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Full text of "Neue Jahrbücher für Philologie und Paedagogik"

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Neue 

JAHRBÜCHER 

für 

Philologie  und  Pädagogik, 

oder 

'     Kritische  Bibliothek 

für  das 

Schul-  und  UntciTichtsAveseii. 


In    Verbindung  mit  einem  Vereine  von  Gelehrten 

begründet  von 


M.  Job.  Christ.  Jahn. 


Gegenwart  ig  herausgegeben 


von 

Prof.  Reinliold  Klotz  zu  Leipzig 

und 

Prof.  Rudolph  Dietsch  zu  Grimma. 


ZM  AXZIGJSTER    JAHRGAXO. 

Achtundfun  fzig6ter     Band.      Erstes    Heft. 


Leipzig^  1850. 

Drucli  und  Verlag  von  B.  G.  Teubner. 


s  d.  Bibliothek  ^- 
-Gymnasiur?; 
MofKhen, 

OU8ges<iil&den 


1 


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Kritische  Beurtheilungen. 


De  Zenodoti  carminum  Hornericortim  editione.  Scripsit  Gull. 
Georg.  Pluygers,      Lugdiini  Batavorum  184*2.    14  S.  in  4. 

Programma  scholasiicum  de  carminum  Homericorum  veterum- 
que  in  ea  Scholiorum  post  nnperrimas  Codicum  Marciano- 
rum  collationes  retractanda  editione.  Scripsit  Guil.  Georg. 
Pluygers,  Gymnasii  Lugduno-Batavi  Prorector.  Lugduni  Batavo- 
rum 1S47  in  4. 

•   .* 

Bei  der  Abfassung  der  Schrift:  deZenl|doti  studiis  Homericis 
war  dem  Unterzeichneten  die  erste  der  beiden  obengenannten  Ab- 
handlungen, das  Schulprogramm  des  Leydener  Gymnasiums,  ganz 
unbekannt  «geblieben;  auch  hat  er  bisher  andierwärts  keine  Erwäh- 
nung  desselben  von  deutschen  Gieiehrteng'efunden,  so  dass  es  in 
Deutschland  bisher  unbeachtet  gebifeben  zu  sein  scheint.  Der 
Unterzeichnete  glaubt  desshalb  den  Lesern  dieser  Jahrbücher 
durch  die  Anzeige  dieser  bereits  vor  sieben  Jahren  erschienenen 
Abhandlung,  welche  durch  freundliche  Mittheilung  des  Herrn 
Gymnasiallehrers  Dr.  de  Vries  in  seine  Hände  gekommen  ist,  einen 
willkommenen  Dienst  zu  erweisen.  Er  verbindet  damit  die  Be- 
sprechung einer  andern  nicht  unbedeutenden,  ebenfalls  auf  die 
Geschichte  der  homerischen  Kritik  bezüglichen  Abhandlung  des« 
selben  Gelehrten. 

Das  Ergebniss  seiner  Untersuchung  fasst  der  Verfasser  am 
Schlusseseiner  Abhandlung  in  den  Worten  zusammen:  Vidimus 
notavisse  quidem  Zenodotum  obelis  in  editione  appositis,  qui  ver-> 
sus  spurii  viderentur;  verum  neque  quod  in  lectione  constituenda, 
neque  in  vcrsibus  omittendis  et  improbandis  secutus  sit  consiliuni, 
memoriae  prodidisse.  Vidimus  librariorum  negligentia  factum  esse, 
ut  labentibus  annis  e  Zenodoteae  editionis  exemplaribus  non  con- 
staret,  quid  singulis  ille  locis  censuisset.  Vidimus  Aristarchum 
bis  de  causis  singulas  Zenodoteae  editionis  lectiones  dignoscere 

1* 


4  Grleclnsclie  LUteratur, 

non  potuisse;  criticara  autem  eins  rationcm,  nisi  forte  incerta  ca 
^\c  re  fama  in  Zenodoteornm  Gramrnaticonim  scliolis  tradita  ev-, 
taret,  nihil  fuissc,  iinde  inteiligere  posset.  Vidimus  practerea 
Aristonieum,  qiiae  de  Zenodoto  ab  Aristarcbo  annotata  lepperisset, 
non  scfnper  diligentissime  tradidisse.  His  addc  et  eins,  qui  vete- 
riun  illonim  Grammaticorum  libros  exccrpsit,  errores,  et  epito- 
matorum,  quorum  nos  (andern  opera  in  Scholiorum  coliectionibus 
utinuir^  ineptias;  quibus  enumerandis  eoriim  expectationem  fallerc 
iiolo,  (jui  hanc  dispiitalionera  ad  llnem  properare  laetantur;  et 
Zenodoteae  editionis  imaginem  valde  obscuratam  esse,  rationis 
vero,  qua  in  editione  instituenda  usus  sit  Zenodotus,  niemoriam 
pcnitus  interiisse  unusquisque  mecum  sentiet.  In  diesem  Haupt- 
ergebnisse stimmt  unsere  Untersuchung  mit  Phiygers  vollitommeu 
überein;  aber  wir  glauben  in  unserer  Sclirift  erwiesen  zu  haben, 
dass  an  manclien  Stellen  die  zenodotische  Lesart  richtiger,  als  es 
bisher  geschehen,  dargestellt  werden  und  durcli  Vergleichung  der 
zenodotischen  Lesarten  von  verschiedenen  Stellen,  so  wie  durch 
Beachtung  der  uns  in  den  Schollen  überlieferten  Gegenbemerkun- 
gen der  Grammatiker  an  den  meisten  Stellen  der  Grund,  weshalb 
Zenodot  änderte  oder  sich  für  seine  Lesart  entschied,  mit  grosser 
Wahrscheinlichkeit  errathen  werden  kann. 

Die  Untersuchung  beginnt  mit  der  Beurtheilung  der  auf  Ho- 
mer bezüglichen  kritischen  Thätigkelt  des  Flerodian,  Didyraos 
imd  Aristonikos,  wobei  zu  bedauern,  dass  blos  auf  den  Cod. 
Yen.  A.  Rücksicht  genommen  und  die  scharfe  Scheidung  zwischen 
den  auf  Didymos  und  Aristonikos  zurückzuführenden  Scliolien 
nicht  versucht  worden  ist.  Dem  Herodian  wird  zuerst  das  Schol. 
II.  ^.  378  zugeschrieben,  ohne  hinreichenden  Grund;  denn  wenn 
auch  Herodian  diese  Stelle  erwähnte,  so  folgt  daraus  doch  niclit, 
dass  das  Scholion  nicht  von  Didymos  oder  Aristonikos  sei,  wofür 
der  Umstand  spricht,  dass  hier  nicht  allein  das  zenodotische  TtQo- 
(pavBiöag^  sondern  die  verschiedene  Lesart  des  ganzen  Verses  an- 
geführt wird.  Wenn  PI.  das  Scholion  dadurch  eraendiren  will, 
dass  er  die  Worte  eön  dl  —  tg5  Tcotrjty  nach  xEkevzcclav  setzen 
und  vor  nago^vtovog  den  Namen  eines  Grammatikers  mit  folgen- 
dem 7iQ0(pavÜ6a  einschieben  will,  so  dürfte  wohl  leichter  zu  hel- 
fen sein,  wenn  man  vor  naQO^vtovcoq  ein  ov  einschöbe,  \\\  dem 
andern  Scholion,  welches  PI.  mit  Recht  auf  Herodian  zurückführt, 
II.  r,  ^'jO,  will  er  die  Worte  r^g  ngo^EGicog  streichen,  aber  selbst 
wenn  wir  die  Worte  T^;g  Trpo^föfwg  tilgen,  können  wir  bei  xbv 
Tovov  nur  an  den  Ton  der  vorhergenannten  Präposition  den- 
ken, wesshalb  wir  auch  hier  vor  q)vlcc(5ösi  den  Ausfall  der  Nega- 
tion ov  annehmen.  Uebergangen  ist  das  Scholion  zu  II.  a,  5ö7, 
wogegen  wir  keinen  genügenden  Grund  sehen,  wesshalb  Schol. 
II.  I,  49-)  und  V,  114  aus  Herodian  geflossen  sein  sollen.  Wenn 
PI.  bei  Gelegenheit  der  beiden  letzteren  bemerkt,  man  dürfe  dar- 
aus nicht  schliessen  ,  dass  Zenodot  schon  Accentzeichen  gebraucht, 


Pluygers:  De  Zenodoti  carm.  Homer,  edilione.  5 

die  erst  Aristoplianes  erfunden  habe,  so  können  wir  dies  nicht  un- 
bedingt zugeben,  vielmehr  glauben  wir,  dass  Zenodot  an  den 
Stellen,  wo  durch  die  Bezeichnung  des  Accentes  oder  des  Spiritus 
eine  Zweideutigkeit  zu  vermeiden  war,  oder  seine  Auffassung  da- 
durch angedeutet  werden  konnte,  sich  solcher  Zeichen  bereits 
bedient  habe.  Hatte  ja  schon  Hippias  von  Thasos  nacl»  Aristoteles 
Poet.  23-  die  Schwierigkeit  an  zwei  homerischen  Stellen  durch 
Accent  und  Spiritus  (xar«  jcgoöcpölav)  gehoben.  Die  Bezeich- 
nung des  Spiritus  nimmt  auch  PI.  S.  7  selbst  an. 

Von  tlerodian  geht  PI.  zum  Aristonikos  iiber,  der  sich  blos 
der  Schriften  des  Aristarch  bedient  habe,  ohne  aber  alle  Schriften 
desselben  genau  zu  vergleichen.  Wie  nachlässig  derselbe  zuwei- 
len verfahren  sei,  sucht  PI.  an  mehreren  Stellen  nachzuweisen. 
Zunächst  will  er  den  Aristonikos  eines  Irrthums  zeihen,  weil  er 
behauptet,  Zenodot  habe  II.  t,  26 — 28  ausgeworfen,  was  PI.  für 
unmöglich  hält,  da  Agamemnon,  wenn  diese  Worte  ausfallen,  gar 
nichts  sage,  und  die  folgende  Antwort  des  Diomedes  ohne  Bezie- 
hung stehe.  Freilich  ist  Zenodot's  Auswerfung  nicht  zu  billigen, 
aber  daraus  folgt  keineswegs,  dass  Zenodot  dieselbe  nicht  gewagt 
habe,  üebrigens  vergisst  PI.,  dass  dieser  nicht  t,  23 — 25,  son- 
dern t,  26 — 28  auswarf,  wenn  er  gegen  den  Grund,  welchen 
Aristonikos  anfiihrt,  bemerkt,  |3,  116 — 118  habe  Zenodot  nicht 
gelesen;  t,  26 — 28,  um  die  es  sich  hier  handelt,  las  Zenodot  wirk- 
lich /3,  139 — 141.  üebrigens  verweise  ich  auf  meine  Schrift 
S.  147  f.,  164  f.  Ein  anderes  Beispiel  von  der  Nachlässigkeit  des 
Aristonikos  soll  ^",  34  bieten,  wo  aber  vale  blos  ein  Schreibfehler 
für  vae  ist.  Auch  ist  der  Grund,  der  zu  11.  r,  172  angefiihrt  wird 
gegen  daszenodotische  ög  va£,  keineswegs  so  ganz  unpassend,  wie 
PI.  meint,  da  Aristonikos  glaubte,  die  erste  Silbe  von  väs  müsse 
lang  sein.  Vergl.  meine  Schrift  S.  84.  Oder  sollte  wirklich  Ze- 
nodot an  beiden  Stellen  og  vais^  was  denn  im  Schol.  v^  172  her- 
zustellen wäre,  geschrieben  und  angenommen  haben,  die  erste 
Silbe  von  valca  werde,  wie  zuweilen  bei  den  Tragikern,  verkiirzt'? 
Zu  II.  0,  470  stimmen  Aristonikos  und  Didymos  in  der  Beurthei- 
lung  der  Lesarten  nicht  überein.  Nach  Didymos  hatte  Aristarch 
beide  für  gleichbedeutend  erklärt,  während  Aristonikos  zwischen 
ihnen  unterscheidet,  aber  es  ist  möglich,  dass  Aristarch  hier,  wie 
auch  sonst,  in  verschiedenen  Schriften  verschieden  urtheilte. 
Dagegen  bemerkt  PI.  mit  vollem  Rechte,  dass  in  den  Schol.  II. 
s,  734  und  r,  387  Aristonikos  den  Ausdruck  dd'etslv  irrig  von  sol- 
chen Stellen  brauche,  die  in  der  Ausgabe  des  Zenodot  ganz  fehl- 
ten. Gegen  Aristonikos  nimmt  PI.  den  Zenodot  mit  Recht  in 
Schutz,  wo  dieser  dem  Zenodot  aus  Unkenntniss  gemachte  Ver- 
änderungen beilegt.  Hierher  gehört  IL  /3,  634,  wo  ich  zuerst 
(S.  21  f.  .'^O)  die  Lesart  Zenodot's  errathen  zu  haben  glaube. 
Wesslialb  PI.  in  dem  Schol.  statt  xara  tö  agösviKOif  lesen  will  rot 
ccQöevLzd^  sehen  wir  nicht  ein ;  den  Fehler  haben  wir  bereits  früher 


6  Griechische  Litteratur. 

in  T«  elg  6g  gefunden,  wofür  es  licissen  miiss  zd  slg  rj.  Aristo- 
nikos  bemerkt,  von  den  Namen  auf  tj  finde  sich  zuteilen  diemäun- 
liclie  Form  auf  ög.  Wenn  aber  Aristonikos  behauptet,  Zenodot 
liabe  die  Form  ^(XQTvgog  nicht  gekannt,  so  sehe  ich  nicht,  wie 
man  ihn  hier  eines  Irrthums  zeihen  kann.  Vergl.  meine  Schrift 
S.  50.  Eben  so  weni^  trifft  der  Tadel  zu  i/,  148,  worüber  man 
daselbst  S.  133  vergleiche.  Dem  Tadel  gegen  die  Bemerkung  des 
Aristonikos  zu  11.  0,  384  treten  wir  bei;  nur  können  wir  es  nicht 
für  richtig  halten,  dass  Zenodot  in  dem  Scliilde  des  Achill  keine 
Aenderung  sich  erlaubt  haben  werde,  weil  er  diesen  als  unhome- 
risch betrachtet  habe.  Beispiele  dieser  Art  sind  Vs.  485.  492. 
52**  f.  565.  576.  Richtig  wird  Aristonikos  getadelt,  dass  er  dem 
Zenodot  die  Kenntiiiss  des  Gebrauchs  des  Infinitivs  statt  des  Im- 
perativs abgesprochen,  was  schon  Heyne  gerügt  hat;  dagegen  hat 
PI.  sich  ein  seltsames  Missverstäridniss  des  Schol.  II.  jr,  679  zu 
Schulden  kommen  lassen;  denn  dass  änoörgocpi]  hier  nicht  die 
Frage  bedeute,  lehrt  der  ganze  Zusammenhang.  Wie  hätte  Ari- 
stonikos dem  Zenodot  ünkenntniss  des  Gebrauchs  der  Frage  vor- 
werfen können,  da  ja  gerade  in  der  zenodotischen  Lesart  die 
Frage  steht?  Was  ccTtoötgocp^  hier  bedeute,  zeigt  das  vorher- 
gehende d7t86TQsq)£  tov  Xöyov  Ik  xov  nQog  avzov  fjrl  rov  nsgl 
avTov.  Wir  stimmen  im  Wesentlichen  mit  PI.  überein,  wenn  er  nach 
diesen  Beispielen  die  Behauptung  aufstellt:  Zenodotus  accuratae 
singulorum  vocabulorum  tractationi  non  studens,  in  constituenda 
lectione  serraonis  Homerici  consuetudinera  non  curabat,  nee  tarnen 
ita  ignorasse  putandus  est,  ut  contra  omnium,  quibus  uteretur,  li- 
brorum  auctoritatem  sola  imperitia  ductus  mutatum  iret,  quod 
probe  Homericum  nosset.  Quae  vero  argumenta  Aristarchus  e 
diligenti  Homerici  sermonis  observatione  petita  attulerat,  ut  le- 
ctionem  firmaret,  quam  e  pluribus  eiusdem  fortasse  auctoritatis 
elegerat,  rationemque  daret,  quare  a  Zenodotea  editione  rece- 
dendum  esse  censeret,  ea  Aristonicus,  quae  quodammodo  adver- 
sus  Zenodotum  proposita  essent,  örjatlov  Aristarchi  explicans  ret- 
tulit,  et  brevitati  studens  sollemni  quasi  formula  ZrjvöÖozog  ygu- 
q)Bi  ....  dyvo7J6ag  (oder  dyvocjv)  ....  comprehendit.  Nur  ist 
hierbei  wohl  zu  bemerken,  dass  zur  Zeit  des  Zenodot  sich  die 
Grammatik  noch  in  der  Kindheit  befand ,  so  dass  wir  manche  Irr- 
thümer  dem  Zenodot  zuschreiben  können,  welche  uns  beim  ersten 
Anblicke  sehr  auffallend  scheinen  Auch  darin  stimmen  wir  PI. 
bei,  dass  nicht  überall,  wo  wir  bei  Aristonikos  finden:  ZtjVüdotog 
7ienoir]7C8^  fiBTanETioirjxB^  ^BzaybygacpB^  ÖitöHivwÄB  (vergl.  meine 
Schrift  S.  4S  Note  69),  anzunehmen  ist,  dass  Zenodot  sich  gegen 
alle  Handschriften  Aenderungen  erlaubt  habe.  Hierfür  wird  mit 
Recht  Schol.  II.  %^  128  angeführt,  dagegen  urtheilt  PI.  irrig  über 
Schol  II.  TT,  677.  v,  273.  x,  378,  und  die  Stelle  Schol.  11.  ß,  727 
gehört  nicht  hierher,  da  hier  nur  der  von  Aristonikos  angeführte 
Grund  auf  In thura  beruht.      Auffallend  ist  es  uns,  wie  PI.  am 


Pluygers:  De  Zenodoti  carni.  Homer,  editione.  7 

Schlüsse  des  Abschnittes  über  Aristonikos  noch  behaupten  konnte, 
er  habe  keinen  Unterschied  im  Gebrauche  der  dmlfj  und  der  dc- 
nlrj  TtBQiEöTLy^evfj  gefunden,  da  die  Bedeutung  derselben  fest- 
steht, wobei  es  nicht  auffallend  sein  kann,  wenn  durch  die  Ab- 
schreiber häufig  beide  Zeichen  mit  einander  verwechselt  worden 
sind.  Vergl.  meine  Schrift  S.  6  fF.  und  die  zweite  Abhandhing 
von  PI.  selbst. 

Mit  grösserem  Lobe  als  Aristonikos  wird  mit  Recht  Didymos 
erhoben,  als  dessen  Quellen  ausser  Aristarch  besonders  Ptolemäos 
'ETtc^BTTjg  und  Kallistratos  genannt  werden.  In  seinem  Ergebnisse, 
dass  Didymos  weder  ein  Exemplar  der  zenodotischen  Ausgabe,  noch 
eine  Schrift,  in  welcher  Zenodot  die  Griinde  seiner  Athetesen  an- 
gegeben, benutzt  habe,  stimmt  Fl.  mit  unserer  Untersuchung 
(S.  16  ff)  ganz  und  gar  überein.  Auch  darin  trifft  Fl.  mit  uns 
zusammen,  dass  Aristarch  an  manchen  Stellen  selbst  nicht  ge- 
wusst,  was  Zenodot  eigentlich  gelesen  habe.  Wenn  er  aber  aus 
Schol.  11.  «,  567  und  g,  329  schliesst,  Zenodotum  vocales  ante 
vocalem  non  cfferendas  perspicuitatis  causa  nonnunquam  ascri- 
psisse,  so  beruht  dies  auf  Irrthum.  Vcrgl.  meine  Schrift  S.  19  f. 
Dass  die  Erklärungen  homerischer  Wörter,  welche  aus  Zenodot 
angefi'ihrt  werden,  aus  den  yXcoööai  genommen  seien,  hat  FI.  mit 
Recht  bemerkt;  aber  die  zum  Beweise  angeführten  Schol.  II.  |3, 
532  und  y,  28  gehören  nicht  hierher  und  beim  Schol.  II,  g?,  169 
bleibt  die  Sache  wenigstens  zweifelhaft,  da  die  Bedeutung,  in 
welcher  Zenodot  l^vKzicav  genommen,  aus  der  nach  der  Weise 
der  alten  Grammatiker  sehr  willkürlichen  Etymologie  erschlossen 
sein  könnte.  Noch  weniger  können  wir  beistimmen,  wenn  die 
Schol.  IL  /3,  581.  y,  99.  d,  478.  e,  31.  x,  515.  A,  27.  480.  /m,  365. 
V,  71.  0,  625.  T,  26  auf  die  yXaööaL  bezogen  werden  sollen ,  zu 
welcher  Annahme  Fl.  meist  durch  Glossen  des  Hesychios  verleitet 
worden  ist.  Die  Schol.  11.  ß,  336  und  |,  117  will  er  auf  Zenodot 
beziehen,  weil  an  letzterer  Stelle  die  ÖLTtkij  TCeQi^öTLyfiEvrj  er- 
wähnt werde,  aber  der  Grammatiker  hat  diese,  wie  häufig,  mit 
der  einfachen  dinXij  verwechselt.  Ueber  II.  A,  27,  wozu  Fl.  aus 
Hesychios  die  Artikel  fptdag  und  £QlöiC7]7Cta  anführt,  vgl.  meine 
Schrift  S.  101.  Am  auffallendsten  ist  es,  dass  das  Schol.  11.  J,  37 
hierher  gezogen  wird,  obgleich  dieses  selbst  besagt,  man  wisse 
nicht,  wie  Zenodot  6'tl^atovteg  gefasst  habe.  In  der  Glosse  des 
Hesychios i"Sl^ai,av  ojttrjöav  elxovist  nicht  ontiKcSg  £t;;uov,  son- 
dern oTCTccölav  eixov  herzustellen.  Die  Vermuthung,  bei  dem- 
selben Hesychios  sei  statt  i&v  htsccvov  zu  lesen  l^vaticjv,  ist  sehr 
unglücklich.  Man  schreibe  l%vKTEavov  und  vgl.  Schneider  unter 
Ttttlg  und  l^vTtxicov.  Aus  Schol.  II.  o,  626  schliesst  Fl ,  Zenodot 
habe  ä^^^rj  in  anderer  Bedeutung  genommen,  für  irgend  einen 
Theil  des  Schiffes,  wogegen  wir  auf  die  von  uns  S.  90  aufgestellte 
Vermuthung  verweisen.  Dass  in  der  Stelle  des  Hesychios  v.  äxvij 
die  Bemerkung:  FgatpstaL  dl  xccll'^vj?,  aus  einem  Missverständ- 


g  Griechische  Litteratur. 

nisse  der  Worte:  rgacpstca  kdc\  öia  tov  i  hervorgegangen  sei,  ist 
eine  liöclist  kühne  Vermuthung,  da  wir  gar  nicht  wissen,  au? 
welclie  Stelle  die  Glosse  sich  eigentlich  beziehe.  Im  Schol.  11.  p, 
263  ist  statt  Zrjvodorog  Zip'ööcogoq  die  richtige  Lesart. 

Dass  Aristarch  kein  Buch  des  Zenodot  gesehen,  in  welchem 
dieser  die  Gründe  seiner  Textkritik  dargelegt  habe,  und  dass  über- 
liaiipt  ein  solches  nicht  existirt  habe,  dass  Aristarch,  da  er  die 
Gründe  des  Zenodot  errathen  musste,  zuweilen  hierbei  fehlgegangen 
sei,  behauptet  PI.  mit  vollstem  Rechte,  und  wir  freuen  uns,  auch 
hierin  mit  ihm  ganz  übereinzustimmen.  Bei  dieser  Gelegenheit 
wird  die  Abweichung  der  Angaben  über  Zenodot's  Lesart  II.  y,  21'^ 
gut  ins  Licht  gesetzt.  Als  Grund,  wesshalb  Zenodot  II.  ß,  641  f. 
ausgeworfen,  vermuthet  PI.,  den  Widerspruch  der  Stelle  mit  den 
späteren  Dichtern,  wonach  Oeneus  keinen  andern  Sohn  ausser 
IMeleagros  gehabt  habe ;  aber  die  von  Aristarch  angeführten  Gründe 
haben  viel  mehr  Wahrscheinlichkeit  für  sich.  Auch  möchten  wir 
bezweifeln,  dass  Zenodot  x,  rJ17  xaöiyvt^TOiöLV  als  vocabulum  ge- 
neris  communis  von  den  Schwestern  verstanden  habe;  er  behielt 
wohl  hier  die  überlieferte  Lesart,  mit  welcher  er  auch  t,  5S4  xa- 
6iyv}]Z0L  gelesen  haben  dürfte. 

Ob  die  LötogrAcc  vTtouvrjuara  dem  alten  Zenodot  oder  einem 
jüngeren  Grammatiker  dieses  Namens  angehören,  lässt  PI.  unent- 
schieden, obgleich  die  grösste  Wahrscheinlichkeit  für  den  späte- 
ren Alexandriner  spricht.  Hierher  zählt  er  auch  die  Stelle  im 
Schol.  11  y,  '236,  die  viel  wahrscheinlicher  zu  den  kvöitg  gehört, 
und,  obgleich  nicht  ohne  Bedenken  *),  Strab.  XII.  p.  543,  worüber 
wir  auf  unsere  Schrift  S.  67  f.  Note  6  verweisen.  iMit  grösserem 
Hechte  dürften  die  Erwähnungen  des  Deukalion  (Tzetz  in  11.  or, 
10.  p.  73  Herm.)  und  der  Mintha  (Phot.  v.  Miv^a)  hierher  ge- 
zogen sein.  Auf  die  Anführung  des  Tatian.  adv.  Graec.  4S  möch- 
ten wir  gar  nichts  geben  **). 

In  (ier  Stelle  des  Suid.  v.  Zr]v68orog  ^Jks^avdgevg  vermuthet 
PI.  die  Erwähnung  einer  Schrift  gegen  die  Athetesen  des  Aristarch 
—  wir  haben  die  Stelle  S.  23  durch  Umstellung  verbessert  — , 
wohin  er  irrig  Schol.  U.  tt,  141  zieht,  verleitet  durch  das  cprjöl  des 
Scholiasten.  Vergl.  meine  Schrift  S.  37  ff.  Dass  die  Gründe  des 
Scholiasten  für  die  zenodotische  Verdächtigung  gegen  die  Bezie- 
hung auf  den  Zenodot  von  Ephesos  angeführt  werden,  ist  höchst 
auffallend,  da  ja  PI.  selbst  anerkennt,  dass  die  dem  Zenodot  bci- 


*)  Quae  tarnen  Zeuodoti  ApoUodorlne  sint ,  dublto  propter  eundcm 
Strabonem  L.XIII.  p.  555. 

**)  Ist  die  Anfühniiig  des  Zenodot  unter  denjenigen,  die  über  Ho- 
mer's  Geschlecht,  Zeit  und  Poesie  geschrieben  haben,  nicht  ganz  irrig, 
go  könnte  man  an  eine  Verwechselung  mit  dem  Zenodot  von  Mallos  den- 
ken -   der  den  Homer  einen  Chaldäer  (Schol.  II.  i/>,  79)  genannt  hatte. 


Pluygers:  De  Zenodotl  carm.  Homer,  editione.  9 

gelegten  Gründe  nicht  aus  einer  sicheren  Quelle  fliessen,  sondern 
nur  erschlossen  sind  *). 

Das  llauptverdienst  des  Verfassers  besteht  in  der  Nachwei- 
sung, dass  Aristarch  selbst  die  Griinde  der  zenodotischen  Kritik 
nicht  historisch  überliefert  erhalten  hat,  sondern  erst  crrathen 
musste,  dass  er  selbst,  was  Zenodot  an  jeder  einzelnen  Stelle  ge- 
lesen, nicht  genau  wusste,  und  dass  den  Angaben  des  Aristonikos 
nicht  überall  zu  trauen  ist.  Diese  Nachweisung,  welche  PI.  be- 
gonnen, habe  ich  in  meiner  Schrift,  welche  sich  auf  die  genaueste 
Kritik  der  Quellen  stützt,  vollständig  zu  liefern  und  die  zum  Theil 
irrigen,  zum  Theil  unvollständigen  Angaben  über  Zenodot's  Les- 
arten wesentlich  zu  berichtigen  gesucht,  wonach  eine  wahre  Be- 
iirtheilung  allein  möglich  ist.  Freilich  hat  Hr.  0.  Schneider  im 
„Philologus^''  Bd.  III,  753  die  Keckheit  gehabt  zu  behaupten,  ich 
habe,  indem  ich  die  Autorität  der  von  Aristarch,  Aristonikos  und 
Didymos  herrührenden,  in  den  Schollen  zur  Ilias  enthaltenen  Be- 
merkungen über  Zenodot's  Kritik  anfechte,  den  sichern  Boden 
verlassen  und  sei  in  den  Sumpf  des  Meinens  und  Glaubens  gera- 
then,aufdem  sich  gleich  Irrlichtern  die  willkürlichsten  Vermu- 
thungen  herumtummelten;  aber  was  kann  es  mich  kümmern,  dass 
O.  Schneider,  der  überall  von  mangelnder  Besonnenheit  träumt, 
während  er  sich  selbst  im  Besitze  gereifter  Weisheit  wähnt,  dort 
Irrlicliter  tanzen  sieht  und  sich  vor  einem  Sumpfe  fürchtet,  wo 
ein  nüchterner  Sinn  den  festen  Boden  historischer  Kritik  und  die 
Ergebnisse  gesunder  und  umsichtiger  Combinatlon  entdeckt!  Ich 
würde  auf  diese  Verurtheilung  meiner  Leistungen  —  denn  warum 
sollte  ich  Hrn.  Schneider  nicht  den  Spass  lassen  sich  an  seinen 
Irrlichtern  zu  erfreuen  und  im  eiteln  Wahne  seiner  eigenen  Un- 
fehlbarkeit sich  behaglich  zu  wiegen?  —  ich  würde  hierauf  gar 
nicht  weiter  eingehen,  wollte  derselbe  nicht  dem  Publikum  ein- 
reden, in  meiner  Schrift  sei  das,  was  in  derselben  zur  Evidenz 
bewiesen  ist,  gar  nicht  zu  finden,  wodurch  der  ganze  gegenwär- 
tige Zustand  der  Untersuchung  über  Zenodot  verrückt  wird.    Hr. 


*)  Die  Stelle,  welche  neuerdings  Schneidewin  im  „Philologus"  IT. 
764  aus  den  Schoi.  Veron.  Virg.  Aen.  XI.  738  beigebracht,  hat  auch 
PI.  nicht  benutzt.  Die  Worte  lauten:  Zenodotus  in  eo ,  quem  inscribit 
naiciVLTjv  (das  Wort  ist  unsicher)  ....  riam  sub  nomine  Naucratis  facit 
disserere  Aristarchios ,  qui  putant  alium  Paetona  (Schneiderin  richtig 
Paeeona)  esse,  alium  ApoHinem ,  ipse  eundem,  nee  diversum  docet.  Für 
60  ist  wohl  libro  oder  eo  libro  zu  schreiben,  Uccmi'i'rjv  oder  Uaitovi'rjv, 
oder  wie  die  Form  sonst  lautete,  ist  ^vohl  aus  Dittographie  des  folgenden 
Paeeona  entstanden.  Den  Titel  des  Werkes  wage  ich  nicht  zu  errathen; 
man  könnte  an  den  Namen  eines  Biestes,  an  welchem  das  Gastmahl  ge- 
balten worden ,  etwa  an  ^(xq^vrjcpoqia,  denken  und  vermuthen:  in  eo, 
quem  inscribit  Daphnephoria,  libro. 


XO  Griechische  Litteratur. 


IT 

Ö 


PIlivgcrs  ist  in  Betreff  der  Quellen,  obgleich  er  die  Untersucliiin 
nicht  In  der  umfassenden  Weise  g:eführt  hat,  wie  es  in  meiner 
Schrift  geschehen,  zu  demselben  Ergebnisse  mit  mir  gekommen, 
lind  wer  mit  besonnenem  Unheil  dieüntersuchung  anstellt,  kann  un- 
möglich ein  anderes  gewinnen.  Anders  Hr.  Sciineider,  der  über 
eine  mit  der  grössten  Sorgfalt  und  Gründlichkeit  gearbeitete 
Schrift  in  einem  unwi'irdigen  Tone  abspricht.  Eine  ausführlichere 
sogenannte  Ueurtheilung  meines  Buches  hat  derselbe  in  der  Je- 
naer Litteraturzcitung  1848.  Nr.  217  fF.  geliefert,  auf  die  wir  hier 
der  Sache  wegen  etwas  näher  eingehen  wollen. 

Zunächst  wundert  sich  Sehn,  über  meine  Verwunderung,  dass 
von  den  drei  grossen  alexandrinischen  Kritikern  Homers  Zenodot 
zuletzt  eine  selbstsläiidige  Behandlung  gefunden,  da  ja  doch  unser 
Wissen  von  ihm  vorzugsweise  eben  durch  Aristarch  vermittelt  sei 
—  wahrlich  ein  wunderlicher  Grund,  als  ob,  weil  wir  meist  auf 
Zeugnisse  des  Aristarch  uns  stützen ,  desshalb  Aristarch's  ganze 
Art  der  Kritik  einer  ins  Einzelne  gehenden  Untersuchung  unter- 
worfen werden  müsste,  ehe  man  über  Zenodot  aburtheilen  könne, 
a's  ob  nicht,  nachdem  Wolf  im  Allgemeinen  das  Verfahren  jener 
drei  Kritiker  ins  Licht  gesetzt  hatte,  die  Natur  der  Sache  erfor- 
dert hätte,  dass  man  vom  ersten  homerischen  Kritiker  ausgegangen 
und  von  ihm  zu  seineu  Nachfolgern  fortgeschritten  wäre.  Beson- 
dere Verwunderung  erregt  dem  Verfasser  meine  Ansicht,  die  ich 
in  den  Worten  ausspreche:  über,  qui  Apionis  et  Herodori  nomine 
ferebatur,  e  schollis  collectus  et  compilatus,  wo  er  unbesonnen 
genug  ein  est  ergänzt,  das  meinen  Worten  fremd  ist;  aber  er 
würde  sich  nicht  gewundert  haben,  hätte  er  eine  richtigere,  aus 
genauerer  Kcnntniss  fliessende  Ansicht  über  die  Entstehung  und 
Zusammensetzung  der  homerischen  Schollen  in  Cod.  A.  gehabt, 
wie  sie  PI.  in  der  zweiten  der  hier  anzuzeigenden  Schriften  ange- 
deutet hat  (in  codicem  Ven.  conflu.\isse,  quae  in  pluribus  codici- 
bus  antiquioribus  servatae  essent  Aristonici  aliorumque  graramati- 
corum  reliquiae),  noch  weniger  würde  er  die  unbesonnene  Mei- 
nung geäussert  haben,  die  Scholieu  in  Cod.  B.  und  L.  seien  Auszüge 
aus  Apion  und  Herodor.  Uebrigens  scheint  mir  Seh.  die  ganz 
falsche  Ansicht  unterzuschieben,  dass  die  Schrift  des  Apion  und 
Herodor  aus  unseren  gegen wärtigen  Schollen  entstanden  sei, 
woran  ich  natürlich  nicht  gedacht  habe,  wie  meine  Darstellung 
deutlich  zeigt.  Sind  schon  die  Schollen  in  Cod.  A.,  wie  PI.  be- 
merkt, wenigstens  aus  drei  verschiedenen  Handschriften  zusam- 
mengestellt *),  so  ist  es  gar  nicht  zu  verwundern,  dass  eine  äha- 


*)  PI.  sagt  S.  9:  Tempore  satis  antiqno  cen.sendus  est  aliquis  ad 
textum  liiadis  appinxisse  ea  signa  (critica),  quorum  in  scholiorum  col- 
lectione,  quam  u.-^iirparet,  mentionem  iiiveniret.  Huius  libri  scholia  alter 
postea  descripsit  —  scholia   autem ,  quae  in  libro ,  unde  textum  petivit, 


Pluygers:  De  Zenodoti  carm.  Homer,  editione.  11 

liehe  Sammlung^  zur  Zeit  des  Eustathios  unter  dem  Titel  des  Äpion 
und  Ilerodor  gin^.  Sehn,  meint,  die  Scholien  in  Cod.  A.  seien 
unmittelbar  aus  den  Sehriften  des  Aristonikos,  Didymos,  Herodian 
und  JNiiianor  hervorgegangen,  was  sich  thatsächh'ch  widerlegen 
lässt,  das  Buch  aber,  welches  Eustathios  unter  dem  Namen  des 
Apion  und  Herodor  anführe,  habe  die  Auszüge  aus  Aristonikos 
und  Didymos  von  Apion,  aus  Herodian  und  Nikanor  von  Herodor 
enthalten.  Wäre  diese  seltsame  Meinung  richtig,  so  müssten  in 
diesem  Buche  doch  die  Namen  jener  Grammatiker  genannt  gewe- 
sen sein;  dies  aber  wird,  wie  ich  S.  2  bemerkt  habe,  durch  Eu- 
stathios widerlegt,  der  als  Beleg  seiner  Bemerkungen  den  Apion 
und  Herodor  selbst,  nicht  jene  älteren  Grammatiker  anführt. 
Nach  Allem  kann  ich  nur  an  der  wohl  begründeten,  früher  ge- 
äusserten Ansicht  über  die  sogenannte  Schrift  d^s  Apion  und  He- 
rodor festhalten ,  wie  auch  meine  Beurtheilung  von  Cod.  B.  und 
Lu  durch  die  Bemerkungen  Schneider's,  der  hier  nur  seine  geringe 
Kenntni^s  jener  Scholien  verräth,  nicht  erschüttert  ist. 

Meiner  Ansicht,  dass  an  manchen  Stellen  des  Etym.  M.  statt 
Zrjvööotog  der  Name  Zrjvoßiog  herzustellen  sei,  pflichtet  Sehn, 
um  so  unbedenklicher  bei,  als  er  dieselbe  bereits  vor  Jahren  schon 
an  Grä'fenhan  mitgetheilt  habe,  in  dessen  „Geschichte  der  Philo- 
logie^ ich  keine  Spur  derselben  gefunden  habe.  Mag  es  immer 
auf  sich  beruhen ,  wer  zuerst  von  uns  jene  Entdeckung  gemacht 
hat,  ich  verdanke  sie  am  wenigsten  Hrn.  Sehn.,  wie  sie  denn  bei 
irgend  genauerer  Vergleichung  sich  nothwendig  darbietet.  Ich 
freue  mich ,  dass  hier  einmal  Hr.  Sehn,  gegen  mich  Recht  hat, 
wenn  er  mit  Larcher  annimmt,  in  der  Stelle  des  Etym.  p.  23  sei 
statt  Q)]z6v  zu  lesen  QTj^aziKov  und  an  einen  Comraentar  zum 
Apoilonios  Dyskolos  zu  denken;  dagegen  kann  ich  an  den  beiden 
anderen  Stellen  p.  255  und  p.  498  nur  an  meinen  früher  geäusser- 
ten Vermuthungen  gegen  Schneider's  unbesonnene  Aenderungen 
festhalten  *j.     Dass  das  Etym.  M.  von  Zenobios  ausser  dem  nur 


inveniebat,  cum  scholiis  alterius  Hbri  coniunxit:  si  eadem  continebai  utra- 
que  coUectio,  bis  eadem  scripsit;  quod  innumeris  in  lo  eis  factum  est,  quam- 
quam  in  edids  rarius  apparet,  quura  editoies  aut  iteratum  schoüum  semel 
edi  curaverunt,  aut,  quod  peius  est,  duo  scholia  mutatis  mutandis  in  unum 
contraxerunt.  Hunc  autera  librura  tertius  deinde  descripsit ,  scholiaque 
ex  tertio  libro  adiecit:  quo  factum  est,  ut  nonnunquam  ter  eadem  in  scho- 
lüs  reperiantur, 

*)  In  der  Stelle:  Js^u  Zrjvodotog  naga  ro  ötco  hccI  ^eco  ist  unsere 
Aenderung  ^suu  aal  ^iua  für  jeden,  der  die  Weise  des  Etymoiogicums 
kennt,  welches  die  Eltymologie  voranstellt,  so  sicher,  dass  kein  Zweifel 
möglich  scheint.  Die  Verbindung  zweier  Wörter  durch  Kcci  ist  unanstös- 
Mg.  Vergl.  p.  3,  8.  25,  13.  65,  45.  Sehn,  will  auf  die  gezwungenj^te 
Weise:  Zrixüiuij  ncc^a  x6  dico  y,u\  ^ioi  neos  ov   UyExcn.     Das  P^tymolo- 


13  Griechische  Litteratur. 

einmal  genannten  Commenlar  zum  Qi^uatiKov  des  ApoIIonios  keine 
andere  Schrift  benutzt  habe,  scheint  uns  eine  nicht  zu  billigende 
Vermutlumg.  Wie  viele  Scliriften  benutzt  das  Etymologicum 
nicht,  z.  B.  von  Philoxenos  und  Choeroboskos! 

Meine  Behauptung,  dass  Didyraos  und  Aristonikos  die  Re- 
cension  des  Zenodot  nicht  gekannt,  sondern  ihre  Notizen  aus  Ari- 
starch  und  seinen  Schillern  geschöpft,  bestreitet  Hr.  Sehn.;  denn 
sollten  die  Ausdrücke  bolüb  oder  öoku  j]  Zi]voö6tov  ygaq)}]  £ti/«i, 
q)aveQ6g  köii  ygäcpcji^  Z.,  ol  08  q)a6iv  Zyjvodoteiov  uvai  tyjv 
yQa^)}]v  u.  s.  Nv.  dies  beweisen,  so  wiirdc  man  mit  demselben 
Kcchte  aus  Schol.  II.  ^,  295  schliessen,  auch  Aristarch  habe  die 
recensio  Zenodotea  nicht  gekannt;  aus  jenen  Bemerkungen  sei 
nur  ein  Schluss  fiir  die  jedesmalige  homedsche  Sielle  zu  ziehen. 
]\Jit  letzterem  stimme  ich  vollkommen  iiberein.  Wir  sehen,  wie 
auch  PI.  bemerkt  hat,  dass  Aristarch  nicht  an  allen  Stellen  die 
zenodotischc  Lesart  kannte,  dass  ihm  also  die  ursprüngliche  ze- 
iiodotische  Kecension  nicht  vorlag;  kannte  aber  Aristarch  diese 
nicht  mehr  ganz,  sondern  lag  ihm,  wie  auch  Sehn,  annimmt,  nur 
eine  recognitio  der  recensio  Zenodotea  vor,  wie  viel  weniger 
konnte  dem  Didymos  und  Aristonikos  eine  genaue  recensio  Zeno- 
dotea vorliegen!  Dass  auch  in  den  Zeiten  nach  Aristarch  Ausga- 
ben des  zenodotischen  Textes  gemacht  worden  seien ,  ist  eine 
ganz  haltlose  Vermuthung  Schneider's;  denn  die  in  den  Schollen 
genannten  .Ausgaben  al  ZtjvoÖözov  sind  als  ältere,  voraristarchi- 
8chc  Ausgaben  zu  betrachten,  deren  Lesarten  Didymos  (denn  bei 
Aristonikos  findet  sie  sich  nicht)  aus  den  Schriften  des  Aristarch 
genommen  hatte.  Wie  Sehn,  gar  das  ot  ntgl  Zr]v6öotov  von  den- 
jenigen verstehen  will,  die  um  Zenodot's  Nachlass  thätig  gewe- 
sen ('?),  ist  bei  dem  bekaimten  Sprachgebrauche  der  Formel  ol 
ntQi  kaum  zu  begreifen.  Wenn  Hr.  Sehn,  die  Sache  so  darstellt, 
als  habe  ich  überhaupt  die  Angaben  des  Aristarch  und  die  aus 
diesen  geflossenen  des  Aristonikos  und  Didymos  über  den  zenodo- 
lischen  Text  bezweifelt,  so  ist  dies  eine  arge  Entstellung;  ich 
habe  nur  behauptet,  dass  Aristarch,  und  um  so  mehr  Aristonikos 
imd  Didymos,  nicht  den  ursprünglichen  Text  des  Zenodot  vor 
Augen  halte,  weil  er  sonst  nicht  hätte  bei  dieser  oder  jener  Stelle 


gicum  braucht  nach  ^rjzELzcci  immer  s/;  die  Structur  mit  einem  weit  nach- 
stehenden 7t(ög  ist  ihm  frenid.  P.  498,  25  i.st  ihm  das  ovtco  Zrjvoöozos 
seiner  falschen  Annahme  \vegen  ,  dass  im  Etym.  überall  nur  eine  Schrift 
des  Znobios  genannt  werde,  so  anstössig  ,  dass  er  das  ovrco,  obgleich 
es  ganz  nach  dem  Sprachgebrauche  des  Etym.  steht,  verschiebt  an  eine 
Stelle,  wo  es  wenig  passt ,  und  Zrjvuöovog  verändert  in  ^r]zSL  f/g  rd  ov 
idtv ,  obgleich  ein  eigener  Artikel  über  ov  adsv  sich  nicht  findet,  die  Form 
auch  hier  gehörig  erklärt  scheint.  Eben  so  leichtsinnig  urtheilt  Sehn, 
über  p.  639,  31  und  194,  34  sq. 


Pluygers:  De  Zenodoti  carm.  Homer,  edltlone.  13 

in  Zweifel  sein  können.     Wie  alle  dessfallsigen  Bescliuldi^iing'en 
Sclineider's  aus  der  Luft  gegriffen  sind,  wird  Jeder  erivennen,  der 
mei.i  Buch  näher  vergleichen  will.     Wenn  Sehn,  nicht  begreifen 
will,  wesshaib  ich  den  Grund,  den  Aristonikos  für  Zenodot's  Les- 
art ;roAi;;rtö«xog  II.  jr,  233  anführt,    nur   für  eine  Verniulhung 
desselben  halte,  so  vergisst  er,  dass  alle  für  Zenodot's  Lesarten 
angeführten  Gründe,  vielleicht  mit  ein  paar  Ausnalimen,  blosse 
Vermuthungen  sind,  wie  Pi.  und  ich  uuwidersprechlich  nachge- 
wiesen haben.     Dass    das  Fragment   des  Antimachos  niclit   ganz 
richtig  sei,  habe  ich  selbst  angedeutet,  und  ich  nehme  gern  Sehn. 's 
^EkloTiii]  statt   EvQcoTtr]  an ;  dagegen  muss  ich   die  Emendation 
^j4vrt^dxov  statt  KakXiaaxov  als  eine  durchaus  nothwendige  im 
Interesse  des  Aristonikos  beibehalten,  da  dieser  doch   unmögllcli 
annehmen  konnte,  Zenodot  habe  sich  zur  Begründung  seiner  Con- 
jectur  auf  die  Stelle  des  Kallimachos,  eines  Jüngern  Zeitgenossen, 
berufen.     Hr.  Seh.  errieth  freilich  gar  nicht  den  offenbar  vorlie- 
genden Grund,  wesshaib  ich  'Avxi^idxov  schrieb,  und  spricht  da- 
her von  mangelnder  Besonnenheit,  wofür  er  noch  ein  paar  andere 
Falle  anführt,  die  gleichfalls  nichts  weniger  als  Dnbesonneuheit, 
es   sei   denn  von  Schneider's  Seite  selbst,   beweisen.     Wenn  ich 
statt  zovTOv  og  ygacpei  schreibe  rovtov  özixov  ov  yga^pei,  so  will 
Sehn,  dafür  zovzov  ov  ygoccpti',  ich  muss  aber  dagegen  bemerken, 
dass  ich  an  jener  Stelle  das  einfache  zovzov  ohne  özi^ov  für  un- 
wahrscheinlich halte.     Im  Schol.  II.  A,  696  (vergl.  S.  28,  Not.  12) 
ist  XQVörftg  wegen   des   folgenden  BgLör^tg  sehr  wahrscheinlich. 
In  Schol.  II.  ü,  557  habe  ich  S.  42  statt  iv  reo  naXaia  vermuthet 
nach  sonstigem  Gebrauche  ev  zolg  naXaiolg;  Schneider's  iv  za 
TCttKocKp  ist  höchst  unwahrscheinlich,  da  es  in  den  Schollen  ohne 
Analogie  ist  und  das  einzige  Beispiel  dieser  Art  sein  würde.     Ue- 
brigens  werden  wir  auf  dieses  Scholion  weiter  unten  zurückkom- 
men.    Im  Fragment  des  Antimachos  will  ich  Schneider  sein  q)t) 
ÖS  yegcjv  oloiv^  wenn  er  Freude  daran  hat  und  die  Form  olöiv 
im  Antimachos  verantworten  zu  können  glaubt,  gern  belassen,  nur 
hoffe  er  nicht  auch  Andere  dafür  zu  gewinnen.      Meine  Vermu- 
thung  (prj  y7]Qccvz86öiv  scheint  mir  noch  immer  nicht   misslungen. 
Aus   dem  Artikel  des  Suidas  Zrjvoöozog  'AXi^avÖQivg  will 
Sehn,  auf  seltsame  Weise  zwei  Artikel  machen,  die  durch  einan- 
der gekommen  und  verstümmelt  seien;  der  eine  betreffe  einen  in 
Alexandria  geborenen,  der  andere  einen  in  einer  Vorstadt  Ale- 
xandria's  lehrenden  Zenodot,  und  zwar  sei  dieser  letztere  identisch 
mit  dem  in  Mallos  geborenen.     Suidas  schreibe  nur   die  Schrift 
ngog  zd   vn    'AQiQzaQiov    d^ezovueva    zov   non^zov  dem   zu 
Alexandria  geborenen ,  die  anderen  Schriften  dieses  Artikels  da- 
gegen dem  Malloten  zu.  Dieses  alles,  was  von  Sehn,  mit  grosser 
Prätension  vorgetragen  wird,  ist  nichts  als  ein  leeres  Luftbild, 
dem  jede  Wesenheit  abgeht.     Ich  bemerke:  Verba  EyQailfe  Ttgög 
nxdzcjvaamte  ngog  zcc  vn  'Jgiözccgxov  d^STov^sva  xov  Tcotf^tov^ 


14  Griechische  Litteratur. 

ponenda  videntur,  ue  scripta  ad  Ilomerum  pertinentia  male  diriman- 
tur.  Desslialb  behauptet  Sehn.,  ich  liabe  bloss  an  der  Reihenfolge 
Anstoss  genommen,  nicht  an  der  noch  befremdlichem  Nachsetzung 
des  Eygcc^s.  Dies  ist  unwahr!  Dass  die  Stelle  des  Suidas  nicht 
richtig  sei,  sondern  das  dem  ersten  Titel  nachgesetzte  t'ygail'S  an- 
derswo stehen  miisse,  ist  unzweifelhaft;  man  könnte  nun  l'y^ai^g 
gerade  vor  ngög  tä  vit  ^A.  «.  z.  it.  setzen  wollen,  wogegen  ich 
mich  aus  dem  Grunde  erkläre,  weil  dadurch  die  auf  Homer  bezüg- 
lichen Schriften  von  einander  getrennt  werden  würden.  Das  ist 
für  jeden,  der  nicht  so,  wie  Sehn.,  zum  Missverständniss  hinneigt, 
so  klar,  dass  ich  es  blos  andeuten  zu  müssen  glaubte.  Nachdem 
Sehn,  auf  seine  Weise  den  Artikel  des  Suidas  verfälscht  hat,  muss 
die  Schrift  %a  vtl  ^A.  d.  t.  tc.  dem  Alexandriner,  die  übrigen  müs- 
sen dem  Malloten  Zenodotos,  dem  Krateteer,  zugeschrieben  wer- 
den, wie  unwahrscheinlich  die  Sache  auch  an  sich  sein  mag '^). 
Die  Bücher  nsgl  z^g  'OßrjQixrjg  övvrj&siag  schreibt  Sehn,  mit  Sui- 
das dem  Zenodot  zu,  indem  er  gegen  mich  anführt,  dass  ich  über- 
sehen habe,  die  Schollen ,  in  welchen  Z7]v68c)Qog  erwähnt  werde, 
seien  aus  Porphyrios  genommen,  wo  statt  ZyjvöÖagog  Zrjvcöozog 
stehe.  Dagegen  ist  aber  zu  bemerken,  dass  Cod.  A.  und  B. ,  in 
welchen  Zrjvoöagog  steht,  älter  sind  als  die  Handschriften  des 
Porphyrios,  in  weichen  sich  schon  die  Corruption  des  Namens  fin- 
det. Dass  Eustathios  II.  o,  64  irrig  dem  Namen  des  Zenodot  die 
Bezeichnung  6  MaXlcoxrig  beifüge,  will  Sehn,  gegen  mich  in  Ab- 
rede stellen,  da  auch  sonst  der  Mallote  (vielmehr  Zenodor)  eine 
Stelle  desFIomer  für  unächt  erklärt  habe.  Aber  Sehn,  scheint  hier 
einen  Hauptumstand,  auf  den  ich  aufmerksam  gemacht  habe,  ab- 
sichtlich zu  übersehen,  nämlich  dass  Didymos  sagt:  Zrivodozog 
ovb\  okag  lygacpiv ^  was  unwidersprechlich  auf  den  Ephesier  als 
Herausgeber  des  Textes  geht.  Wenn  Schneider  ferner 
die  iözogi^d  vjto^vrjuaza  für  dieselbe  Schrift  mit  den  etil- 
zo^al  hält,  die  emzo^al  der  iöTogiTiä  vno^vrmata  des  Kal- 
limachos  gewesen  seien,  so  ist  dies  eine  falsche  Combination. 
Athenäos  führt  X.  2  einen  Mythos  aus  dem  zweiten  Buche 
der  imzoiLai  des  Zenodot  an,  dagegen  lesen  wir  III.  49: 
Magzvgü  KaKki^axog  ij  Zr]v6öozog  ev  iözogizoig  vjto^vrj^aöL. 
Dass  Athenäos  zweifle,  ob  die  iözogiKa  vjto^vr^^aza  von  Ze- 
nodot oder  von  Kallimachos  seien,  zeigt  das  ^',  wie  sehr  auch 
Schneider  widerstreben  mag;  dass  aber  derselbe  Schriftsteller  das- 
selbe Buch  an  einer  Stelle  als  tTCLTO^ial  des  Zenodot  ohne  weite- 


*)  Ein  Krateteer  soll  also  zu  Alexandria  gelehrt  und  mit  demselben 
Namen  'Ale^avögsvg,  wie  der  zu  Alexandria  geborene,  bezeichnet  worden 
sein,  da  doch  der  unterscheidende  Name  MaXloozrjs,  den  er  auch  wirklich 
führt,  oder  EQUtrjzsios  so  nahe  lag!  'Das  alles  ficht  Herrn  Schneider 
nicht  au! 


Pluygers :  De  Zenodoti  carm.  Homer,  editione.  15 

res  anführe,  an  der  andern  dagegen  als  tötoQixd  vnofivrjfiaTa  mit 
Aeusserung  des  Zweifels,  ob  Kaliimachos  oder  Zenoilot  der  Ver- 
fasser sei,  ist  ganz  unglaublich.  Nicht  weniger  seltsam  hält  Sehn, 
die  ylcoööav  und  die  e&VLKCcl  U^etg  des  Zenodot  für  Theile  des- 
selben Werkes,  das  unter  gemeinsamem  Titel  nicht  blos  homeri- 
sche, sondern  auch  dialektische  Glossen  behandelt,  ja  auch  wohl 
eine  Abtheilung  gehabt  habe,  in  welcher  mehr  die  reale  Seite  der 
Lexikographie  festgehalten  worden ,  wofür  der  späte  Tractat  Ttsgl 
(pcovcjv  t^äcav  unter  dem  Namen  eines  Zenodot  angeführt  wird; 
diese  Schrift  aber  soll  dem  Malloten  gehören  *).  In  dem  Schol. 
Od.y,  444,  dessen  Wichtigkeit  Mützell,  Lersch  und  Pluygers  über- 
sehen haben,  wird  angeführt  Zfjvoöotog  £v  talg  ocTto  tovds  (OfiTJ^ 
Qov)  yXcoOöaig',  hier  haben  wir  also  homerische  Glossen; 
dejin  ganz  falsch  Ist  Schneider's  den  Worten  Gewalt  anthuende 
Erklärung:  in  ea  glossarum  parte^  quae  ex  hoc  nostro  poetasumptae 
erant.  Nun  finden  wir  aber  in  den  Scholien  an  mehreren  Stelleu 
Erklärungen  unter  Zenodot's  Namen,  die  dem  Ephesier  zugehören 
müssen,  was  selbst  Sehn,  nicht  ganz  leugnet  (vergl.  meine  Schril't 
S.  29  ff.);  da  diese  nun  offenbar  einem  glossographischen  W^erke 
entnommen  sind ,  so  spricht  die  höchste  Wahrscheinlichkeit  dafür, 
dass  wir  in  jenen  im  Schol.  Od.  y,  444  genannten  yXcoööcci  ein 
Werk  des  Ephesiers  haben  **).  Sehn,  führt  hiergegen  Aristoni- 
kos  II.  i,  404  an,  wo  Zenodot  den  yAcöööoy^cfgjot  entgegengesetzt 
werde;  aber  Zenodot  wird  dort  nur  als  Kritiker  des  Textes  ge- 
nannt, woraus  aber  nicht  folgt,  dass  er  keine  ykcjööat,  geschrie- 
ben haben  könne.  Ich  habe  schon  früher  darauf  aufmerksam  ge- 
macht, dass,  da  sowohl  vom  Lehrer,  als  vom  Schüler  Zenodot's 
yAojööat  angeführt  werden,  es  an  sich  wahrscheinlich  ist,  dass 
dieser  selbst  solche  geschrieben.  Wenn  Sehn,  den  Seleukos  für 
den  Herausgeber  der  noXvötixog  hält,  so  widerspricht  dieser  Ver- 
muthung  nicht  blos  die  Stelle  Schol.  II.  a,  381,  wonach  Seleukos 
berichtet  haben  soll ,  welche  Lesart  in  der  kyprischen  und  kreti- 


*)  Wenn  Sehn,  sich  über  meine  Behauptung,  ein  Buch  wie  die  sQ^vi- 
Hat  Xi^siq  dürfe  kaum  in  die  Zeit  des  Zenodot  fallen,  wundern  will,  so 
übersieht  er,  dass  eine  Sammlung  der  li^sig  der  verschiedensten  griechi- 
schen Stämme  und  Völker  schon  eine  weit  ausgebreitete  grammatische 
Thätigkeit  voraussetzt.  Die  Schrift  des  Zenodot  hiess  wohl  yXaaüKi 
'0[ir}QL-iiccl  oder  einfach  yXaaGcci,  Kaliimachos  hatte  ein  Buch  ni'va^  täv 
drjiioviQitov  yXcoGGav  geschrieben. 

*+)  Man  könnte  etwa  vermuthen ,  dass  auch  in  der  Stelle  des  Schol, 
Apoll.  Rhod.  II.  1005  ein  späterer  Zenodot  zu  verstehen  sei  und  vielleicht 
der  Alexandriner  zugleich  ylco6GCii  und  id^viuccl  Xi^stg  geschrieben  habe, 
obgleich  der  Ephesier  sehr  wohl  die  Bemerkung  über  ötvcpsXos  bei  Gele-; 
genheit  des  Verbums  GtvcpBXi^co  machen  konnte. 


16  Griechische  Litteratur. 

sehen  Reccnsion  gestanden,  sondern  auch  Schol.  U.  «,  258,  wel- 
ches Scliolion  wegen  der  folgenden  obh'quen  Rede  offenbar  nach 
dem  erstem  zu  emendiren  ist.  Vielleicht  ist  der  von  Siiidas  ge- 
nannte Seleukos  mit  dem  Beinamen 'Of/7;9tx6s  zu  verstehn,  von 
dem  auch  ykcjööai  angeführt  werden. 

Hiermit  schliesst  Sehn,  die  Beurtheilung  der  zwei  ersten  Ka- 
pitel, ohne  über  manche  andere  Fragen,  wie  über  den  Beweis,  dass 
die  zenodotische  Lesart  eines  Verses  oft  unvollständig  überliefert 
ist,  und  and.  ein  Wort  zu  verlieren;  er  schweigt  wohl,  weil 
seine  Weisheit  gegen  die  wichtigen  hier  gewonnenen  Äufschli'isse 
nichts  zu  bemerken  fand.  Er  verfolgt  die  Untersuchung  nur  noch 
in  das  dritte  Kapitel  hinein.  Meine  Worte:  Pauca  Zenodotus  in 
formis  grammalicis  et  dialecticis  sibi  permisisse,  eoque  tantum  pec- 
casse  videtur,  qnod  falsas  et  ab  Homero  alienas  non  ubique  sustu- 
iit,  die  so  deutlich  sind,  dass  sie  gar  nicht  missverstanden  werden 
können^  geben  Herrn  Sehn.  Gelegenheit  sich  darüber  zu  forraali- 
siren.  Wenn  derselbe  die  Keckheit  hat  zu  behaupten,  durch  mein 
milderndes  eo  tantum  peccavit  (es  leugnet,  dass  Zenod.  vielfach  fal- 
sche Formen  in  den  Text  gebracht  habe)  stelle  ich  mich  in  meiner 
Urtheilsfähigkeit  tief  unter  dieGraramatiker,  die  ich  so  gern  tadle, 
'  weil  sie  den  Zenodot  aus  diesem  Grunde  tadelten,  so  ist  dies  nur 
ein  neuer  Beweis  von  Schneiders  Unbesonnenheit;  oder  ist  dies 
etwa  ein  Lob  eines  Fehlers,  wenn  ich  behaupte,  jemand  habe  blos 
diesen,  nicht  auch  jenen  ihm  vorgeworfenen  Fehler  gemacht,  und 
wäre  es  nicht  höchst  unbillig,  von  Zenodot  das  zu  verlangen,  was 
erst  die  weiter  gebildete  Kritik  des  Aristarch  längere  Zeit  später 
leisten  konnte*?  Unverständig  ist  es,  wenn  derselbe  verlangt,  ich 
habe  im  Kapitel  über  die  grammatischen  Formen  bemerken  sollen, 
Zenodot  habe  dei/^prachgebrauch  Homer's  nicht  gekaimt,  was  ge- 
rade in  dieses  Kapitel  nicht  gehört,  sondern  in  das  folgende  und 
das  achte  Kapitel.  Auf  vollstem  Missverständnisse  beruht,  was 
Sehn,  über  meine  Bemerkung  zu  II.  A,  OS  sagt ;  denn  von  dieser 
Stelle  ist  es  zweifelhaft,  ob  Zenodot  die  Form 'JAaug  gebraucht 
liabe  oder  nicht,  da  hier  nicht,  wie  in  allen  übrigen  Stellen,  vom 
Vater  des  Ajas  die  Rede  ist;  es  stimmt  deshalb  die  darüber  ge- 
machte Bemerkung  sehr  w  ohl  mit  dem  überein ,  was  ich  über  die 
Form  IXbvs  an  den  übrigen  Stellen  bemerke.  So  leichtfertig  und 
obenhin  hat  Sehn,  meine  Schrift  angesehen.  In  seiner  unglückli- 
chen Vermuthung,  wie  Zenodot  zur  Form  ^Iktvq  gekommen  (näm- 
lich aus  falscher  Abtheilung  der  seriptura  continua  /3,  527j,  hat  er 
sich  dadurch,  dass  der  Vater  des  Ajas  den  Namen  'IXevg  schon  bei 
Hesiod,  Arktinos,  Stesiehoros  und  Pindar  hatte,  nicht  stören  las- 
sen. Ob  Zenodot  d,  478  ^genta  in  Handschriften  fand  oder  es 
aus  Missverständniss  hineinbrachte,  was  uns  wahrscheinlich  ist, 
darüber  wird  man  wohl  immer  streiten  können;  wenigstens  hat 
Sehn,  nichts  Entscheidendes  beigebracht.  Uebrigens  lag  uns  der 
Gedanke  fern,  d^E.Trovsei  eineiNeubildungZenodot's,  der  dnedoKS 


Pluygers:  De  carm.  Homer,  retractanda  editione.  17 

hier  für  reddidit,  restituit  nahm.  In  der  Stelle  des  Scholions  II.  ^, 
266  hat  die  Handschrift,  wie  ich  aus  Phiygers  sehe,  wirklich 
dvLTivr]^  wonach  denn  Zenodot's  Lesart  avintr^öi  gewesen  sein 
muss,  was  auch  Herodian  las.  Zu  guter  Letzt  giebt  Sehn,  noch 
einen  Beweis  seiner  Leichtfertigkeit,  indem  er  meint,  im  Schol. 
Harl.  sei  Jct»^£ör^/ eine  blosse  Corruption  desScholiastenfiirxvd/örw. 
Wie  wäre  das  möglich*?  Im  Schol.  Harl. steht:  rgacpETai  kvÖCötv^ 
6  ÖS  Zi]v6öoTog  xvöeötr]^  wo  eine  Corruption  des  KVÖEövr]  in  xu- 
dlöTT]  ^nz  undenkbar  ist.  Wenn  Sehn,  für  seine  Ansicht  anführt, 
dass  an  den  10  Stellen  der  Ilias  und  den  beiden  anderen  der  Odys- 
see, wo  xvdiöTog  vorkommt,  von  einem  Zweifel  des  Zenodot  an 
dieser  Form  keine  Rede  sei,  so  übersieht  er,  wie  bruchstückar- 
tig unsere  Nachrichten  über  Zenodot  sind  und  dass  nicht  selten 
eine  abweichende  Lesart  bloss  an  einer  Stelle  als  zenodotisch  an- 
geführt wird,  ohne  dass  an  den  anderen  gleichlautenden  Stellen 
davon  eine  Spur  sich  findet. 

Mit  S  55  unserer  Schrift,  welche  ohne  die  Register  201  Sei- 
ten zählt,  bricht  Herr  Sehn,  ab,  ohne  auch  nur  einen  üeberblick 
der  übrigen  Kapitel  zu  geben,  und  glaubt  damit  eine  erschöpfende 
Beurtheilung  gegeben  zu  haben.  Dass  er  die  gründliche  Erörte- 
rung, welche  die  Schrift  überall  über  den  homerischen  Sprachge- 
brauch giebt,  nicht  eines  Wortes  würdigt,  versteht  sich  ganz  von 
selbst,  da  er  ja  zum  Loben  einmal  nicht  aufgelegt  war.  Von  In- 
conscquenzen  und  Willkür,  die  er  aufgezeigt  haben  will,  fanden 
wir  keine  Spur,  dagegen  hat  der  Beurtheiler  selbst  die  Sache  so 
wenig  gefördert,  dass  er  sie  ohne  Einsicht  in  das  iMaterial  und  An- 
erkennung des  wirklich  Geleisteten  wieder  in  Verwirrung  gebracht 
hat.  Doch  wenden  wir  uns  von  dieser  unbesonnenen  und  unbilli- 
gen Beurtheilung  zur  zweiten  der  oben  angeführten  Schriften  des 
Herrn  Pluygers,  so  ward  dieselbe  veranlasst  durch  die  Beschäfti- 
gung mit  der  Vorbereitung  zu  der  neuen  Ausgabe  der  Scholien 
zum  Floraer,  welche  Cobet  nach  neuer  Vergleichung  von  Cod.  A. 
und  B.  und  Entdeckung  einer  neuen  wichtigen  Scholiensammlung 
zur  Odysse  in  einem  Cod.  Marcianus  veranstaltet;  er  hatte  nämlich 
die  Absicht  hier  nachzuweisen,  wie  sehr  die  Ausgaben  der  Scho- 
lien von  den  Handschriften  abweichen  und  welchen  Vortheil  eine 
neue,  nach  den  Handschriften  gemachte  Ausgabe  derselben  brin- 
gen werde.  Omnia  huiiis  generis  conquirere,  fährt  er  fort,  et  ex- 
ponere  longum  est.  üt  ostendam,  quae  volo,  nunc  quidem  animus 
est  seligere  signa  critica  Aristarchea  cum  scholiis  ad  ea  pertinen- 
tibus,  quorura  ralionem  satis  obscuram  esse,  neminem  latet,  qui 
Signa  in  editione  Villoisoniana  versibus  appicta  cum  scholiis  com- 
paraverit.  PI.  beginnt  mit  der  Angabe  der  Bestimmung  der  einzel- 
nen kritischen  Zeichen  des  Aristarch,  welche  Gelegenheit  zu  man- 
chen nicht  unerheblichen  Bemerkungen  bietet.  So  hören  wir,  dass 
das  Scholion  II.  p,  639  in  der  Handschrift  schliesst:  ULd^avcors- 
Qov  ÖS  tov'Ektoqw  k^Tceöslöd^at  svösiaeiv^  wo  vor  kfiTtEoalö^ai 

N.  Jahrb.  /'.  Phil.  u.  Päd.  od.  Krit.  Uibl.  /id.  LVIII.  Hft.  1.  2 


lg  Griechische  Litteratur. 

ein  dvtl  tov  ausgefallen  sein  miiss,  wie  auch  das  in  den  Ausgaben 
fehlende  Scholion  zu  II.  ju,  126  zeigt:  ort  fjti  Ta5v  Tgcöav  XfySL 
dvTL  TOV  s^tcböbIv  h>0Höai^  was  PI.  richtig  herstellt:  ""'Ort  snl 
T(üv  Tgcjcov  Xiyw  avzl  tov  s^nsöslö^aL  kvöBiCBiv.  Im  Schol.  or, 
477:  'H  dvaq)OQa  dno  tijg  ar]^Bic66Ba)g  ngog  zov  täv  tjuBQCJv 
dgi&^ov^  wird  djio  getilgt.  Von  Zenodot  sagt  PI.:  Huius  editione 
in  emendandis  Homeri  carminibus  taiiquam  fundamento  usus  fuisse 
videtur  Aristarchus;  sive  quod  a  scribis  Alexandriiiis  multis  exem- 
plis  propagata  in  plurirnorum  manibus  esset,  sive  aliis  de»causis, 
quas  rectius  aestimare  possemus,  si  de  Zenodoti  et  Aristophanis 
editionibus  pleniorera  notitiam  haberemus.  Zenodot's  Ausgabe 
war  die  erste  mit  Vergleichung  vieler  zu  Alexandria  vorhandenen 
Handschriften  unternommene,  welche  aus  diesem  Grunde  als  Basis 
der  Kritik  diente,  bis  die  aristarchische  Ausgabe  an  ihre  Stelle 
trat;  die  Bemerkungen  des  Aristophanes  u.  a.  hatten  jene  noch 
nicht  zu  verdrängen  vermocht.  Dass  Aristarch  den  Vers  II.  -9^,183 
für  unächt  erklärt  habe,  beweist,  wie  PI.  bemerkt,  der  im  Cod.  A. 
ihm  vorgesetzte  Obelos;  aber  die  Herausgeber  haben  irrig  dem 
Anfang  des  Schollons:  Ovöanov  "0(ji7]gog  die  in  der  Handschrift 
fehlenden  Worte:  'H öitiIyi^  ort  vorgesetzt,  wie  sie  es  leider  an  so 
vielen  Stellen  gethan,  wie  II.  y,  6.  f,  746  f.,  696.  ^,  264.  •9,  535. 
Ueber  die  Athetese  des  Verses  vergl.  man  auch  Schol.  ^,  191.  t, 
400.  Unter  den  Gründen,  wesshalb  Aristarch  jenen  Vers  für  un- 
ächt erklärte,  war  auch  der,  dass  die  homerischen  Heroen  sich  nur 
eines  Zweigespanns,  nicht  eines  Viergespanns  bedienen.  PI.  wun- 
dert sich  mit  Unrecht,  dass  Aristarch  tt,  152  —  154.  466 — 475  ge- 
duldet habe.  Bigarum  currus  simplici  temone  erat,  sagt  er,  per- 
petuoque  et  quod  utrique  equo  iniiceretur  iugo;  tali  currui  ex  utra- 
que  parte  equorum  iugalium  adiungi  poterat  equus  funalis  srapjjo- 
Qog\  ab  alterutra  parte  iunctus  currum  a  directo  cursu  deflecteret 
necesse  erat.  Eandem  difficultatem  offerre  videntur  0^,  80  sqq., 
ob  eandem  causam  non  magis  Homerici  iudicandi,  quam  <&,  185  et 
TT,  11.  cc.  Wesshalb  aber  hätte  Aristarch  an  einem  Seitenpferde 
Anstoss  nehmen  sollen,  da  ja  ein  Dreigespann,  wovon  das  dritte 
Pferd  ein  Seitenpferd  war,  der  Heroenzeit  angehört,  wie  wir  es 
noch  später  bei  den  Römern  finden.  Vgl.  Dion.  Antiqu.  Rom.  VII. 
73.  Eur.  Iph.  Andr.  276.  Zu  Od.  «,  97— 101  giebt  PI.  folgendes 
von  Cobet  entdeckte  Scholion:  '/4^/3()o' öt  a  ;ijpi;  ösr«:  ngoYi^tB- 
zovvTO  v.0L%  Bvia  tcjv  dvziygcKpcov  ot0zixoi,xazd  dh  zi]v  Maööu- 
XicoziK^v  ovö'fjöav  Kalzalg dlrj^Biais iiccXkov dg^oöBLBTcVEg^ov' 
IlÖlov  yäg  dyyBkc}  zoLovzoig  vnoörj^aöL  jjpjjöü^at'  nai  rj  zov  öo- 
Qog  dvdkrjil)Lg  ngog  ovöbv  dvayualov:  —  blXbzo  d'  dkKi^iov: 
d^Bzovvzat  ^Bza  dözBgiGTiav  <^  özi  Iv  zy  E  zrjg'IXLccöog  Kcckcog^ 
welches  zum  Beweise  diene,  nova  illa  scholia  Marciana  ad  Odys- 
scam,  quamquam  ab  imperito  homine  excerpta,  eorundem  librorum 
praeclaras  continere  reliquias,  e  quibus  profluxit,  quidquid  sani  et 
frugi  Marcianis  ad  Iliadera  inest.     Wir  haben  hier  zwei  Schollen, 


Pliiygers:  De  carm.  Homer,  retractanda  editione.  19 

von  denen  das  eine,  was  schon  früher  bekannt  war,  aus  Äristoni- 
kos,  das  andere  aus  Didyraos  geflossen  ist.  Das  Antisigma  und 
die  Stigme  finden  wir  im  Cod.  A.  nur  an  zwei  Stellen,  ^,  188 — 205 
und  0",  535 — 541;  denn  wenn  bei  Villoison  das  erstere  Zeichen 
auch  ß,  138.  t;,  lOi.  t,  680  steht,  hat  hier  Villoison  irrig  die  Ab- 
kürzung von  6fjfi£icoacci  für  ein  Antisigma  gehalten,  wie  er  d' 
535 — 537  das  Antisigma  mit  der  ömKri  verwechselt  und  die  ört- 
y^al  -9^,  539 — 541  ausgelassen  hat.  PI.  bemerkt  bei  dieser  Gele- 
genheit, aus  dem  Schol.  0^,  535  erhelle,  dass  der  Vers  0^,  540  erst 
nach  Aristarch's  Ausgabe  aus  v^  827  eingeschoben  sei. 

Nachdem  PI.  die  Bestimmung  der  aristarchischen  Zeichen  an- 
gegeben hat,  wendet  er  sich  zur  Beantwortung  der  Frage ,  welche 
Autorität  die  im  Cod.  A.  erhaltenen  Zeichen  in  Anspruch  nehmen 
dürfen.  Er  beweist  uns  zunächst,  dass  der  Abschreiber  des  Cod. 
Ven.  A.  die  Zeichen  aus  einer  Handschrift,  welche  einen  andern 
Text,  als  der  von  ihm  gewählte  war,  an  dem  Rande  der  Verse  be- 
zeichnet, sich  aber  hierbei  manche  Versehen  habe  zu  Schulden 
kommen  lassen.  Jene  Zeichen  nun,  welche  in  derjenigen  Hand- 
schrift, die  für  den  Cod.  A.  Quelle  war,  sich  vorfanden,  hatte  einer 
nach  den  Auszügen  aus  Aristonikos,  welche  er  vorfand,  am  Rande 
des  Textes  bemerkt.  Auf  welche  Weise  sich  PI.  die  Entstehung 
der  Scholiensamralung  in  dieser  Handschrift  erklärt,  haben  wir 
oben  gesehen.  Dass  im  Cod.  Ä.  mehrfach  eine  Verwechslung  der 
Zeichen  sich  findet,  welche  dem  Abschreiber  zur  Last  fällt,  wird 
an  mehreren  Beispielen  gezeigt.  So  ist  das  Zeichen  des  Abschnit- 
tes (?J  naQäyQc.(poq)  II.  «,  29ö  mit  dem  Obelos,  II  |3,  478  mit  dem 
Zeichen  der  Länge  des  Vocals,  der  Obelos  II.  ß,  613.  631  mit  dem 
Zeichen  des  Abschnittes  verwechselt.  Die  Worte  des  Scholions 
«,  295,  das  irrig  von  den  Herausgebern  zu  V.  296  gezogen  wird: 
Koivov  xb  £71  LtsXXeo  xal  6  yccg  negLöödg  6  s'^rjg  dio  ßT^gr^trat, 
will  PI.  so  herstellen,  dass  er  nach  nsgiööög  Kolon  setzt  und  die 
Worte  ovTCJ  de  yivstai  nsQiööog  einschiebt.  Ich  vermuthe:  Kai 
6  sBfjg  ydg  TtBQLööog'  dio  d^iTeltai,,  nach  der  bekannten  Verbin- 
dung von  xal  ydg.  Durch  schlagende  Beispiele  beweist  PI.,  dass 
die  Lemmata  der  Schollen  aus  einer  andern  von  dem  Texte  des 
Cod.  A.  verschiedenen  Handschrift  geflossen  und  dadurch  mehrfache 
Irrthümer  und  ungehörige  Zusätze  entstanden  sind.  So  ist  II.  ß, 
192  dem  altern  Lemma:  olog  voog  ^Atgslcovog  in  der  Handschr. 
irrig  das  neue:  olog  voog  'ArgsLÖao  vorgesetzt  und  'Azgblcavog 
nach  iykyganxo  eingeschoben,  wie  der  Abschreiber  sich  ähnliche 
EinschiebungeQ  auch  sonst  erlaubte,  wo  das  Lemma  mit  seiner 
Lesart  des  Textes  nicht  übereinstimmte.  So  schob  er  «,  124  diu 
t6  d  und  v  ein  (die  neuern  Herausgeber  fügten  noch  gegen  die 
Handschr.  nov  dvvl  tov  na  hinzu),  weil  er  in  seinem  Texte  na 
Jas.  Aehnlich  ist  a,  298  öid  tov  ij^  ov  öid  xov  eö  von  dem  Ab- 
schreiber, (jiccxrjöoiJiaL  und  fia^sGöonat  von  den  Herausgebern  hin- 
zugefügt, ß,  355  liest  die  Handschr.:  ngiv  tlvcc  neg'  ovra^ 

2* 


2Q  Griechische  Litteratur. 

*AQL(3taQXog  8lcc  tov  s  xal  tol  vjiofivi^ßava^  wo  wieder  dtd  tov  i 
Zusatz  des  Abschreibers  ist,  wie  ovx  OLVona  «,  350.  y^,  4U4  liest 
die  Handschr. :  ßiy'  ov  Öloc  tov  r,  ßlrjv^  'AglOTaQxog^  wo  PI. 
statt  ov  ovtcjg  setzt  und  die  Worte  ölo.  tov  v,  ßti^v  als  Zusalz 
des  Abschreibers  betrachtet,  so  dass  das  eigentliche  Lemma  ßlrjv 
gewesen.  Aber  wahrscheinlich  wollte  der  Abschreiber  setzen : 
ovTCog  öi%a  toi;  r,  /3t|?,  ov  dta  toi)  v,  ßt't]V,  'Agiöiagiog.  ß, 
278  hat  die  Handschr.  auf  dem  inneren  Rande:  OvTCog  'AgiöTaQ- 
Xog  TtToklnogQog'f  ccXkd  ds  öid  rou  f,  ovk  og^cjg^  auf  dem  äus- 
sern Rande  das  Scholion:  'JvtöTfj  de  —  ävaKTog.  PI.  bemerkt 
mit  Recht,  der  Zusatz  TtToUjtog^og  beruhe  auf  Missverständniss, 
'da  Aristarch  nicht  TtToXenog^og^  sondern  dvä  d'  6  TiToUnog^og 
gelesen  habe,  so  dass  das  Scholion  auf  die  Worte  dvd  d'  6  gehe, 
woher  er  statt  dlkd  richtig  äkkoL  vermuthet.  Das  Schol.  d,  142, 
wo  öi-^wg  ein  Zusatz  der  Herausgeber  ist,  ist  ein  Beispiel  argen 
Missverständnisses.  Wenn  ich  nicht  irre,  so  wollte  der  Abschrei- 
ber: zJtxcög  'Agi6Tag%og^  aal  injico  (vgl.  Schol.  d,  171),  dviKcög 
xal  Tckrj^vvTtxdg^  kv  6\  tfj  xaTcc  'JgiöToqxxvt]  ^ovag  övCxag. 
PI.  glaubt,  das  vom  Abschreiber  raissverstandene  Scholion  habe 
gelautet: '^Tättoi':  iTincp  xal  LTtTccov^  bv  Ob  ttj  xut  'Agi6to^)dvrj 
LJtna^  wo  wir  nur  vor  dem  ersten  inTiG)  den  Namen  des  Aristarch 
einschieben  möchten.  Mit  Recht  wird  bemerkt,  wie  bedeutsam 
die  Lemmata  für  die  Kritik  seien,  und  desshalb  die  Nachlässigkeit 
der  Herausgeber  getadelt,  welche  dieselben  häufig  ausgelassen  oder 
verändert  haben,  wofür  mehrfache  Beispiele  angeführt  werden. 
So  hat  die  Handschrift  «,  585  im  Lemma  xtgöl^  nicht  x^^Q^i  '*» 
598  avoxÖH^  nicht  olvoxou^  J,  128  ovgavov^  nicht  ovgavov^  ^, 
248  aZöoi  j;ö',  nicht  atdo/?;s;  das  Lemma  fehlt«,  96.  d,  273,  welche 
Schollen  irrig  auf  a,  94.  ö,  251  bezogen  werden.  Z,  479  enthält 
das  in  den  Ausgaben  weggelassene  Lemma  xai  tiots  TLg  gl'jrot  die 
richtige  Lesart;  dagegen  ist  i^,  47  von  den  Herausgebern  irrig  das 
Lemma  hinzugefügt  worden,  wo  die  Hdschr.  liest:  ovrwg  'AgiöTag- 
Xog  t6  (lies  xd),  öv'Cxcog.  P,  334  ist  gar  ein  ganzer  Vers  der 
Lesart  des  Zenodot,  den  die  Flerausgeber  für  ein  Lemma  hielten, 
ausgefallen.  Zeuodot  las,  wie  wir  jetzt  sehen,  nach  V.  338  noch 
den  Vers: 

*y4fL(pl  d'  dg  C3y,oi6LV  ßd?.Bt'  dcnlda  TBgtjLLOSööav. 
Die  Handschr.  liest  irrig  T£göav6s66av^  woraus  PI.  nicht  glücklich 
^vöuvosööav^  das  Beiwort  der  Aegis  ist,  statt  des  näher  liegen- 
den TigpLiOBööav  (II.  JE,  803)  gemacht  hat.  Dieser  Vers  dürfte 
als  eine  willkürliche  Einschiebung  zu  betrachten  sein,  wie  die 
ganze  Kritik  der  Stelle  y,  334  ff.  als  willkürlich  gelten  muss.  Zum 
Beweise,  dass  die  kritischen  Zeichen  ursprünglich  einem  andern 
Texte  als  dem  des  Cod.  A.  beigeschrieben  gewesen,  wird  0,  535 — 
541  angeführt,  wo  die  öTLy^ij  vor  V.  538  —  540  steht,  während 
offenbar  Aristarch,  der  V.  540  nicht  kannte,  die  Verse  538,  539 
und  541  damit  bezeichnet  hatte. 


Pluygers:   De  carm.  Homer,  retractaiida  editione.  21 

Dass  die  Zeichen  des  Textes  ans  den  in  den  Scholien  enthal- 
tenen  Bemerkungen  des  Aristoiiikos  genommen   seien,   wird   da- 
durch bewiesen,  dass  diese  Zeichen  auch  da  mit  jenen  Scholien 
übereinstimmen  ,   wo  letztere  etwas  Falsches  berichten.     So  hat 
der  Vers  a,  177  den  aör^giöxog^  übereinstimmend  mit  dem  ver- 
dorbenen Scholion:  'Jötegiöxog  ^  ort  tvravd^a  og^cog  HQTjtai^  kv 
ÖS  rfj  'Oövööeta  ov;  aber  aus  Schol.  s,  891  ergiebt  sich,  dass  Ari- 
starch  jenem  Verse   den   Obelos  mit   dem   ccözegiöKog    gegeben 
hatte.     Das  Scholion  ist  wohl  herzustellen:  'AöTegiöxog^  otl  av- 
rav&a  ovx  dg&cjg  ügritca.  iv  Ö8  tij  E  (oder  zlio^rjöela)  og^cog. 
^,  424  hat  im  Cod.  A.  den  Obelos,  wozu  das  verdorbene  Scholion 
verleitet  hat,  welches  in  der  Handschr.  lautet:   y^lt^ig  'AgiOxdg- 
%ov.  -  6x1  Tiv\g  (ictfov  de  ist  Zusatz  der  Herausgeber)  ygacpovöL 
HBt  d  ,  6  a  i  ^ov  ag    dlXovg'  öio  d^stsltcci.     Ebenso  unglück- 
lich als  kühn  will  PI.  schreiben  :'^'Ort  nvsg  ygdcpovöt,'  nerdlMB^uvo- 
vag  Al^LOTtfjag  ^O^tjog  sßrj  ^erd  öatr ,  dikoi  dh  &sol  ot  snovrac. 
Die  ersten  Worte  hat  Bergk(vgl.  meineSchrift  S.  82)  richtig  herge- 
stellt. V^or  öio  dd^aTBitai  sind  einigeWorte  ausgefallen  ;  vermuthlich 
sagte  Aristonikos,  aus  Vs. 425  sei  Vs.  423  i^lxts  zu  verstehn  und  Vs. 
424  sei  überflüssig.     Vgl.  Schol.  «,  295.     Eine  höchst  wichtige, 
wenn  auch   für  die  Forscher,   welche  bisher  auf  die  Treue  der 
Herausgebersich  verlassen  mussten,  sehr  bedauerliche  Mittheilung 
giebt  uns  PI.  S.  7,  wenn  er  bemerkt:  Praeter  signa  eadem  manu 
versibus  appicta,    qua  et  textus  et  scholiorum  maior  pars  scripta 
sunt,  alia  haud  exiguo  numero  in  codice  Ven.  comparent  diversis 
recentibusque  saepe  exarata  manibus ,  ab  Äristarcheis  signis  probe 
distinguenda       Haec   omnia   cum  antiquis  illis  signis  in   Villois. 
editione   (die  bekanntlich  allein  die  Zeichen  am  Rande  hat)  per- 
mixta  sunt,  auxitque  confusionem  scholiorum  editor  nomina  signo- 
Tum,  in  quibus  explicandis  versetur  scholium,  ei  praeponens,  quae 
in  codice  Ven.  omitti  solent:haud  raro  in  istis  additaraentis  errans, 
aliusque  signi  nomen  scholio  addens,  quum   aliud  in   codice  ante 
versura  inveniatur,  aut  ad  corruptum  scholium  signura  referens,  in- 
terdum  etiam  cum  scholio  a  recenti  manu  appicto,  cui  nulla  in  ex- 
quirendis  Aristarchi  studiis  Homericis  auctoritas  esse  potest,  scho- 
lium coniungens ,  quod   ad  antiqua  illa  signa  pertineat.     Von  den 
vielfachen  Versehen  dieser  Art,   welche   PI.  anführt,  heben  wir 
nur  einige  hervor.     E,  906  steht  am  Rande  von  der  ersten  Haud 
eine  dinkrj^  von  der  zweiten  ein  dötägiöKog-,    hieraus  haben  die 
Herausgeber  die  wunderliche  Bezeichnung  ij  ÖLnXrj  övv  dötegC- 
ÖXG3  Tcagitöriy^eva  gemacht  und  dem  Scholion  vorgesetzt,     i^,  6 
ist  die  ÖLTtlri  von  neuerer  Hand;  in  den  Ausgaben  ist  aber  durch 
die  Worte  ?j  biTiXii  ort  das  Scholion  xai  ta  ^evco  x.  t.  A.  dem  Ari- 
stonikos  zugeschrieben,    T*,  447  ist  am  Rande  ein  Zeichen  von  der 
zweiten  Hand,  welches  anzeigen  soll,  dass  das  von  derselben  Hand 
geschriebene  Scholion:   ^Ev   «AActg  o   6Ti%og   ovtog  ov   xslxai^ 
zu  jenem  Verse  gehören  soll-,  die  Herausgeber  aber  haben  aus 


22  Griechische  Litteratur. 

jenem  Zeichen  eine  dinXrj  gemacht  und  das  Scholion  auf  V.  451 
bezogen.  Mir  ist  es  wahrscheinlich,  dass  das  Zeichen  und  das 
Scholion  zu  V. 446  gehören.  Zu«,  5')8  hat  eine  neuere  Hand  bei- 
geschrieben: OvTog  6  öTLXoc;  ovx  evQ^^r)  Iv  rq3  TraAatoj,  was  in  den 
Ausgaben  zu  V.  557  sich  findet  *).  Da  das  Scholion  sehr  später 
Zeit  angehört,  so  bezweifle  ich  jetzt  die  Richtigkeit  von  hv  tco 
TtaXaLcp  in  keiner  Weise.  An  vielen  Stellen  hat  eine  neuere  Hand 
an  das  Ende  der  Verse  einen  dötsgiöTcog  gesetzt,  weichen  Villois. 
ohne  weiteres  vor  den  V-'ers  gebracht  hat,  als  ob  es  ein  achtes  aristar- 
chisches  Zeichen  wäre;  so  sind  die  dozBQLöxoi  cc^  80.  561.  576.  ß, 
87.  98.  147.  470.  475.  490.  y,  3.  36.  414.  d,  422  und  an  vielen 
anderen  Stellen  entstanden.  0,  493 — 496  hatte  Aristarch  jedem 
Verse  die  öinXij  jr^ptEöriy^asi'?^  vorgesetzt ,  die  im  Cod.  nur  vor 
V.  493  und  vor  V.  496  (an  der  letzteren  Stelle  hat  eine  neuere  Hand 
sie  ausradirt)  sich  findet;  die  Herausgeber  haben,  da  sie  nur  die 
erstere  dinki]  beachteten,  im  Scholion  in  seltsamer  Verkennung 
at  öinXal  mQuöriy^ivai  in  >}  öcnkrj  TCBQLeötiy^svr]  verwandelt. 
ÜT,  388  hat  der  Cod.  richtig,  wie  das  Scholion  zu  V.  343  zeigt, 
den  döTSQiöKog  mit  dem  Obelos;  bei  Villoison  aber  steht  statt  des 
erstem  eine  ömkrj^  und  dem  Scholion  sind  von  den  Herausgebern 
die  Worte  rj  diTtkrj  vorgesetzt. 

Eine  Anzahl  von  Schollen,  welche  in  den  Ausgaben  ganz  feh- 
len, führt  PI.  S.  8  an,  denen  er  mehrere  Beispiele  hinzufügt  («, 
26.  73.  194.  246.  /3,  520),  wo  die  Herausgeber  am  Anfange  das 
otL  des  Aristonikos  ausgelassen  haben.  Vergl.  meine  Schrift  S.  5. 
5,8  Iiaben  die  Ausgaben  vor  ort  irrig  noch  ein  t'öraov,  ß,  435  statt 
des  am  Anfang  ausgelassenen  ort  n^chZrjvoöorog  ein  öh  eingefügt. 

Zuweilen  fehlt  die  Erklärung  der  ächten  aristarchischen  Zei- 
chen, welche  Villoison  von  den  durch  eine  neuere  Hand  beige- 
schriebenen nicht  unterschieden  hat,  auch  in  der  Handschr. ,  was 
im  ersten  Buche  der  Ilias  nach  PI.  an  folgenden  Stellen  der  Fall 
ist:  V.  52  (wo  sich  vom  Scholion  nur  das  Schlusswort  hngcDöKS 
erhalten  hat).  58  (wo  PI.  mit  Recht,  wie  ich  bereits  S.  7  gethan, 
eine  Verwechslung  der  öinXi]  nBQiBöTiy^evr]  mit  der  einfachen 
ÖLTtki]  annimmt).  200.  203  (wo  er  richtig  statt  ort  ovvag  schreibt, 
80  dass  das  Scholion  dem  Didymos  gehört).  305.  323.  338.  425. 
459.  493.  Dass  der  Obelos  zu  V.  493  von  neuerer  Hand  ist,  erse- 
hen wir  jetzt  aus  PI.,  wodurch,  sollte  diesen  Zeichen  von  neuerer 
Hand  gar  keine  Autorität  zuzuschreiben  sein,  alle  Schwierigkeit 
w egfällt ,  welche  dieser  Obelos  bisher  gemacht  hat.  Vgl.  meine 
Schrift  S.  196.  Zu  Od.  y ,  453  theilt  PI.  gelegentlich  das  bisher 
unbekannte  Scholion  mit:  (AvsXovzsg:)  tJ  atsga  tcjv  'AQiöxaQxov 
dvlöxovteg  dvtl  xov  fiizeaQLöavtag'  ölo  örj^aiovraL  cog  öta- 

*)  Sollte  derjenige,  der  diese  Bemerkung  machte,  etwa  eine  ältere 
Handschrift,  welcher  auch  die  aristarchischen  Zeichen  beigeschrieben  wa- 
ren, verglichen  haben? 


Pluygers:  De  carm.  Homer,  retractanda  editione.  23 

q)OQn  td  tr^g  LdQovQylag.  Von  Scliolien,  welche  zur  Erklärung 
der  Zeichen  dienen,  haben  die  flerausgeber  im  ersten  Buche  der 
Ih'as  fiinf  weggelassen,  nämlich  V.  39.  111.  222.  420.  523;  an  drei 
anderen  Stellen  wird  das  ort  des  Aristonikos,  welches  die  Hdschr. 
bieten,  in  den  Ausgaben  vermisst,  nämlich  V.  8.  16.  219.  Dass  in 
der  Handschr.  so  viele  Stellen  sich  finden,  wo  die  kritischen  Zei- 
chen fehlen,  aufweiche  die  Scholien  sich  beziehen,  erklärt  sich 
nicht  allein  daraus,  dass,  wie  PI.  richtig  bemerkt,  sie  in  der  älte- 
sten Handschr.,  welcher  die  Zeichen  beigeschrieben  waren,  durch 
Versehen  fehlten,  vielmehr  müssen  wir  einen  grossen  Theil  der 
Schuld  auch  dem  Abschreiber  zur  Last  legen,  der  viele  Zeichen 
übersah,  wie  er  an  anderen  Orten  verschiedene  verwechselte. 

Nur  über  einen  Punkt  hätten  wir  von  PI.  noch  genauere 
Auskunft  gewünscht,  nämlich  über  die  von  neuerer  Hand  beige- 
fügten Zeichen.  Diese  können  doch  unmöglich  ganz  aufs  Gera- 
thewohl  beigeschrieben  sein  *).  Sind  diese  Zeichen  nun  aus  den 
Scholien  erschlossen  oder  beruhen  sie  etwa  auf  der  Vergleichung 
mit  eii»er  andern  ,  ebenfalls  mit  kritischen  Zeichen  versehenen 
Handschrift*?  Villoison  selbst  spricht  ja  noch  von  einem  andern 
mit  kritischen  Zeichen  versehenen  Codex  (Prolegg.  p.  XIV.).  Wäre 
das  Letztere  der  Fall,  so  würde  auch  jenen  von  neuerer  Hand  bei- 
gefügten Zeicficn  ein  höherer  Werth  beizulegen  sein.  Hierüber 
wünschten  wir  von  Herrn  PI.  weitere  Belehrung,  wie  sie  nur  aus 
genauer  Kenntniss  der  Stelleo,  wo  die  neuere  Hand  solche  Zeichen 
beigefügt  hat,  gegeben  werden  kann. 

Zum  Schlüsse  kommt  PI.  nochmal  auf  die  Naclilässigkeit  der 
bisherigen  Herausgeber  der  Scholien  zu  sprechen.  Wir  setzen 
die  betreffende  Stelle,  welche  zu  sehr  traurigen  Betrachtungen 
veranlasst,  wörtlich  hieher:  Ne  virum ,  cuius  merita  in  litteras 
praedicari  solent,  cahimniari  falsisque  criminationibus  insimulare 
videar,  utque  simul  appareat  omuium,  qui  has  litteras  colunt,  quam 
plurimum  Interesse,  ut  retractetur  scholiorum  Venetorum  edi- 
tio,  paucis  ostendere  volo  ex  editione  Imm.  Bekkeri  ,  non 
tantum  Aristoniceorum  scholiorum  accuratam  notitiam  compa- 
rari  non  posse ,  quod  allatis  documentis  mihi  satis  comprobasse 
videor,  sed  in  ceteris  quoque  scholiis  tradendis  ita  saepe  a 
Cod.  A.  discedere  eiiisdem  recensionem^  ut  ^  nisi  ipse  moneret 
hiiius  Hbri  scholia  a  se  edi^  alium  ante  oculos  euin  habuisse  di- 
ceres.  Exempla  non  raalitiose  conquiram,  sed  ut  scse  mihi  scholia 
percurrenti  oblatura  sunt,  worauf  denn  ein  unerfreuliches  Sünden- 
register folgt**).  Im  ersten  Buche  derllias  allein  hat  Bekker  mehr 
als  zehn  Scholien  dem  Cod.  A.  zugeschrieben,  die  sich  in  ihm  nicht 


*)  Auch  das  oben  erwähnte  Ausradiren  eines  Zeichens  kann  nicht  auf 
reiner  Willkür  beruhen. 

**)  Proben  homev.  Scholien  aus  Cod.  Ven.  B.  in  ihrer  wahren  Ge- 
stalt hat  ganz  neuerdings  E.  Mehler  gegeben  im  „Rhein.  Museum"  VII^  145£F. 


24  Griechische  Litteratur. 

finden,  won:egen  er  an  etwa  zwanzig  Stellen  solche,  die  sicli  im 
Cod.  A.  finden,  als  aus  anderen  Handschriften  genommen  angiebt. 
Dass  bei  einer  solchen  INachlässigkeit  die  LJntersucliung  über  die 
verschiedenen  Scholienhandschriften  misslich  sein  muss,  liegt  nur 
zu  sehr  auf  der  Hand.  Häufig  hat  Bekker  ein  Scholion  in  mehrere 
irrig  zerlegt  oder  zwei  oder  mehrere  Scholien  zu  einem  verbun- 
den. So  hat  er  ß,  196  die  Scholien  des  Äristonikos  und  Didymos 
aneinander  geschoben,  indem  er  statt  ort  Zrjvodoxog  bloss  og 
schrieb.  B ,  789  hat  die  Handschr.  drei  verschiedene  Scholien, 
welche  von  Bekker  ineinander  geschoben  und  in  Verwirrung  ge- 
bracht worden  sind;  sie  lauten  in  der  Hdschr.:  'Og^yjv  ovvcog^ 
cjg  ZndQxyjv.  iv  r}  Wiov.  ''ÖQ&rjv^  cog  Undgtrjv^  'HkavTjv 
ÖS,  cog  KOQCovrjV.  AbvktJv  ovtcjg  o^vtovcDg' snL^stLxojg  yäg 
xkzaKxai.  J,  ^70  hat  Bekker  das  zweite  Scholion  durch  den  Vor- 
satz Koi  Ott  verdorben,  wie  er  r].  41  das  Scholion  des  Äristonikos 
durch  sein  schlechtes  xal  mit  dem  des  Didymos  verbunden  hat. 
In  ähnlicher  Weise  hat  er  cp,  73  statt  ygacpixai  geschrieben 
alKoi  und  das  Scholion  mit  dem  vorhergehenden  verbunden. 
Zusätze  hat  sich  Bekker  nicht  selten  erlaubt;  dahin  gehören  a, 
129  xQiövkkdßcog  nach  'JgiöxaQxog^  a^  304  cv  7j  (.lairjöa^ievcD^  a, 
324  elov^ccL  ij,  a,  434  Zijvööoxog  vfpavxsg^  ß,  76  das  nal  nach 
d/CTc6,  ß,  163  dvxL  xov  ftST«,  wo  die  Handschr.  richtig  liest:  Ov- 
Tcjg  Kaxd  k  ad  v  öv^cpcövag  ccnaöai  sliov ,  ß,  717  ygcccpsi  'OAt- 
Joji'a,  ß,  808  die  Worte  aitpa  da  —  ekvö\  ^,  59  xivtg  da  ygd- 
q)0v<3i  (jpgpg  t ,  ?;,  16  ^  dmlr]  oxl^  wo  das  Scholion  ort  kvvxo  £t- 
Tiov  dvxl  xov  ekvxrrjöav,  ganz  fehlt  rj^  185  ygäfpazai  Ttal  dnrivr}- 
vato  ^  worüber  PI.  bemerkt :  Vocabulum  dTtrjvijvavxo  in  textii 
macula  ohscuratum  erat;  in  margine  rescriptum  est  djtrjvrjvavxo 
tertio  V  satis  evanido.  Hinc  natum  ineptum  scholium.  Auch  sind 
einzelne  Worte  und  ganze  Scholien  nicht  selten  ausgelassen.  Wir 
führen  hiervon,  um  Grösseres  zu  übergehen,  nur  Folgendes  an. 
r",  326:  T6  ij%i  xoglg  xov  i  o'AQLöxotQXog.  E^  89:  'AgiöraQXog 
Bsg fjikvai^  was  als  Lesart  des  Aristarch  noch  nicht  bekannt  war. 
E^  227 :  OvTCjg  'Aglöxagxog  djtoß^öG (lai  did  xov  d.  E^  259 : 
Ovxag  ii  y  ovv^id  rov  y  'Agiöxagxog'  sl  dr]  sxsgog  avxcov  cpvyy. 
Häufig  hat  Bekker  die  Scholien  falsch  bezogen,  wie  a,  572 
(578).  ö,  196  (206).  ^,  123(128).  Auch  hat  er  zuweilen  den  Text 
durch  falsche  Aenderungen  entstellt.  So  hat  die  Handschr.  a,  14 
dvxl  xov  svLKcSg  kkyaiv  ^  of,  22  xov  ^ogcoväcog  ncxidog  (nicht  xov 
^tog),  a,  129  f/Lt£  yavsö&aL  (statt  gAsvöeö^ßt),  a,  277  /7>;A£td^'- 
^sA',  a,  459  dnoßkeitcov  ta  (d.  i.  dnoßXaitovxa^  wo  Bekker  diio- 
ßlaTtovxsg  giebt),  y,  150  aövvaXrjTCXcjg  (d.  i.  döwakeiTCtcog  ^  wo 
Bekker  dövvdnxog)^  ;«,  431  Ttegl  rilimag  (Bekker  nagl  KikiKiag^ 
was  sehr  irreführend  ist).  A ,  567  lesen  wir  bei  Bekker  to  z/io'g 
(to  öv'i'üov  C?)),  aber  to  8v'iyibv  steht  wirklich  in  der  Handschr. 
z/,  2(9  giebt  Bekker:  6vvri^cov  (6vvrjai.Uvcov1)^  wo  die  Hand- 
schrift richtig  öw^ircov  hat.     Auch  in  den  Stellen,  welche  die 


Orelli  et  Ritter :  C.  Corn.  Taciti  opera  etc.  25 

Schollen  aus  anderen  Schriftstellern  anführen,  ist  Bekker  nicht  ge- 
nau. So  hat  die  Handschrift  a,  6  im  Bruchsti'icke  der  Kypria  xov- 
(piöai  nafißcoroga  yalrig  ayd-ganav  gmiöcci  ts  noXk^ov^  a,  98 
im  Bruchsti'ick  des  Kallimachos  Jlörjnoi  (lies  y^lö^TioLo)  ^  nicht 
Jli6ri%ov^  ß,  2  in  dem  Verse  des  Simonides  ^'dvfiov,  nicht  ridv- 
/uog,  /3,  496  im  Verse  des  Hesiod  BoLCJtiTjg^  wie  bei  Eusthatios. 
Selbst  die  Lesarten  der  Grammatiker  giebt  Bekker  nicht  immer 
richtig  an.  So  giebt  die  Handschrift  g,  132  trjv^  nicht  rrjv  y,  t, 
23  7tQ06Bq)r}^  nicht  ^etscpr]  ^  als  Lesart  des  Zenodot,  wodurch  un- 
ser S  147  f.  gegen  diese  erhobener  Einwand  wegfällt.  Aristarch 
schrieb  £,  104  der  Handschrift  zufolge  avöxi^ösö'&aL,  nicht  äv 
6x}]öeö^aL^  7],  Sb^  BKVtXseöifcci^  %v  (die  Handschr.  hat  tVa)  aV, 
nicht  ly.xhXk^6%\  H,  198  lautet  die  Variante  in  der  Handschr.  ovbk 
TS  (nicht  xi)  IdQBLij,  -&,  401  reTsksöfxsvov  sötai,  nicht  tersleö^e- 
vov  eöTiV.  iV,  363  hat  Bekker  bei  der  Angabe  der  argolischen 
Handschr.  zu  'Exdßrig  v6&ov  ohne  weiteres  vtov  iovza  hinzu- 
gefügt. 

Wir  scheiden  von  Herrn  PI.  mit  grossem  Danke  für  die  viel- 
fache Belehrung,  welche  wir  besonders  aus  der  zweiten  seiner 
Abhandlungen  geschöpft  haben,  und  mit  dem  Wunsche,  dass  bald 
die  versprochene  neue  Ausgabe  der  Schollen  zur  Ilias  uns  eine 
feste  Grundlage  der  Kritik  bieten  möge,  wie  wir  sie  so  lau'^e  Zeit 
über  bei  Viiloison  und  Bekker  zu  besitzen  glaubten.  Ohne  Zwei- 
fel werden  in  dieser  auch  die  kritischen  Zeichen  berücksichti*rt 
werden,  und  hoffen  wir,  dass  wir  auch  die  von  neuerer  Hand  bei- 
geschriebenen, natürlich  in  strenger  Unterscheidung  von  den  Zei- 
chen der  ersten  Hand,  hier  überall  angegeben  finden  werden. 

H.  Dünt^er, 


C.  Cornelii  Tacili  opera  quae  snpersunt  ad  fidem  codicum  Mediceorum 
ab  lo.  G.  Baitero  denuo  excussorum  ceterorumque  optimorum  libro- 
rum  recensuit  atque  interpretatus  est  lo.  Caspar  OreUius,  Vol.  II. 
Tiirici  sumptibus  Orellii,  Fuesslini  et  sociorum.  1848. 
Cornelii  T'aciti  operu.  Ad  Codices  antiquos  exacta  et  emendata  com- 
mentario  critico  et  exegetico  illustrata  edidit  Franciscus  Ritter 
Westfalus,  Professor  Bonnensis.  Vol.  HI.  et  IV.  1848.  Cantabrigiae. 

Z  w  e  i  t  e  1^  A  r  t  i  1c  e  l. 
Mehrere  der  bisher  behandelten  Stellen  hat  Or.  mit  Kreuzen 
bezeichnet,  und  es  würde  in  der  That  um  die  Historien  des  Tac. 
sehr  gut  stehen,  wenn  alle  übrigen  verdorbenen  Stellen  als  mit 
Sicherheit  schon  von  Andern  verbessert  betrachtet  werden  dürf- 
ten. Allein  unter  den  nicht  mit  Kreuzen  versehenen  finden  sich 
nicht  wenige,  die  eben  so  bedenklich,  ja  zum  Theil  noch  unge- 
wisser sind,  als  die  von  Or.  als  noch  unverbessert  bezeichneten. 
Wir  betracliten  von    der    nicht    unbedeutenden    Zahl   derselben 


26  Lateinische  Litteratur, 

nur  einige.  So  ist  1,2:  optis  adgredior  opimtnn  casibus^  alrox 
proeliis  von  beiden  Herausgebern  beibehalten.  Da  aber  im  M.  sich 
findet:  opibus  casibus^  so  fehlt  dem  opimiim  der  neueren  codd., 
welches  sich  sonst  schwerlich  so  gebraucht  findet,  eine  sichere 
Grundlage.  Wie  Ilorat.  Carm.  2,  1,  6  periculosae  plenum  opus 
aleac  in  einer  ganz  ähnlichen  Situation  sagt,  so  ist  auch  das  ple- 
7iuin  des  Guelf.  nicht  ganz  zu  verschmähen.  Sollte  die  Silbe  op 
m  opibus  acht  und  nicht  durch  opus  entstanden  sein,  so  ist  viel- 
leicht oppletuui  verdrängt  worden.  —  1,  7  lesen  Beide:  et  inviso 
setnel  principe  —  facta  premunt.  Jain  adferebaiU  etc.  Die  treff- 
liche, zum  Theil  auch  von  Ileinisch  schon  gefundene  Verbesse- 
rung Bezzenberger's:  inviso  s.p?incipi  —  porem  invidiam  adfe- 
rebant.  Venalia  etc.,  durch  welche  alle  Schwierigkeiten  besei- 
tigt werden,  hat  Hr.  II.  in  der  Anmerkung  nur  erwähnt.  —  1,  31 
lesen  Beide:  ut  turbidis  rebus  evenit ^  forte  magis  et  niillo  adhuc 
consilio  parat  signa  ^  quam  quod  (R.  ut)  postea  creditum  est^ 
insidiis  et  simulatione.  Ref.  scheint  die  Zusetzung  von  quam 
ebenso  bedenklich  als  die  Annahme,  dass  die  Cohorte  sich  zu- 
fallig sollte  bewaffnet  haben,  wozu  sie  doch  aufgefordert  waren. 
In  dieser  Beziehung  ist  Freinsheim's  Conjectur  more  magis  vor- 
zuziehen, wenn  nicht  in  eventi  eine  Andeutung  liegt,  dass  die 
Soldaten  den  Erfolg  haben  abwarten  wollen,  die  Worte  aber,  die 
Tac.  gebraucht,  verdunkelt  sind.  Statt  der  Zusetzung  von  quam 
rieth  Kiessling  wo«  statt  vor  ullo  vor  quod  zu  setzen,  was  sich 
kaum  rechtfertigen  lässt,  da  doch  auch  nullo  gelesen  werden 
müsste.  Vielleicht  ist  quod  allein  ausreichend,  wenn  ergänzt 
wird:  factum  esse,  s.  Döderlein's  Prolegomena  p.  XXXVl.  —  1,31 
haben  Beide:  Illyrici  exercitus  electi  Celsum  ingestis  pilis  pro- 
turbant.  Allein  auf  diese  Weise,  sollte  man  glauben,  müsste 
Ceisus  eher  verwundet  oder  getödtet,  als  weggetrieben  sein.  Die 
handschriftl.  Lesart  festumincestis  scheint  durch  die  Umstellung 
einiger  Buchstaben  entstanden,  und,  wie  schon  Andere  vorge- 
schlagen haben,  auf  Cehwn  injestis  hinzudeuten.  Bald  darauf 
hat  M.  spiratio,  worin  vielleicht  st  qua  ratio  liegt.  —  Die  ver- 
dorbene Stelle  1,  37 :  plus  rapuit  Icelus ,  quam  quod  Polyciti  et 
yatini  et  Aegialii  perierunt  liest  Or.  nach  Guelf.  et  —  parave- 
rtint^  aber  Aegiali  statt  Aegialii;  Hr.  R.,  der  seine  frühere  An- 
sicht aufgegeben:  et  Helü  perditum  iverunt^  ohne  dieses  weiter 
zu  erklären.  Auch  Ref.  war  auf  pcrdiderunt  gekommen ,  glaubt 
aber,  dass  corripuerunt  dem  Gedanken  angemessener  sei.  —  1,  43 
hat  M.:  a  Galba  custodiaeta  PisJjuis  additus.  Beide  Herausge- 
ber schreiben  :  custodiae  Pisonis.  Vielleicht  ist  in  den  beiden 
übergangenen  Buchstaben  ta  eine  Andeutung  von  causa  (cä) 
und  zu  lesen:  custodiae  causa  Pisoui  additus.  1,  58  liest  Or. 
noch  partim  simulatione.  obgleich  Jacob  schon  längst  das  richtige 
raro  hergestellt  hat;  auch  Hr.  R.  hat  dieses  aufgenommen;  nicht 
so  die  treffende  Conjectur  Döderlein's,  der  statt  statis  vorschlägt 


Orelli  u.  Ritter:  C.  Corn.  Taciti  opera  etc.  27 

sedatis.  Die  verdorbene  Stelle  1,71  schreibt  Or. :  nee  Otho 
quasi  ignosceret ,  sed  ne  hostes  metueret  concüiationis  adhibens^ 
mit  einem  Kreuze  vor  hostes;  Hr.  R.  nach  seiner  Conjectur:  sed 
ne  hostis  metiiui  reconcüiationi  adkiberet,  der  Sinn  aber,  den  fr 
in  diese  Worte  legen  will:  ,,urn  nicht  Besorgniss  vor  einem  Feinde 
mit  der  Aussöhnung  bestehen  zu  lassen**''  ist  so  dunkel  und  unver- 
ständlich, und  adhiberet  geht  so  weit  von  den  codd.  ab,  dass  man 
billig  Bedenken  trägt,  das  Verfahren  des  Herausgebers,  der  diese 
Worte  in  den  Text  gesetzt  hat,  zu  billigen.  Ref.  vermuthete, 
dass,  da  a,  b.  A.  hoslem  bieten,  za  lesen  sei:  ne  kostem  se  (Otho- 
nem)  metueret  (Celsus)  coticiliationis  adhibens  (s.  Jacob  S.  18), 
glaubt  jedoch,  dass  auch  in  den  letzten  Worten  noch  ein  Feliler 
liege.  1,  83  haben  Beide:  si,  nbi  iubeantur ;  Stürenburg  ver- 
muthct:  s/,  siciibi  iubeantur ;  es  könnte  indess  vor  iubeantur  auch 
(jtiae  ausgefallen  sein.  1,  87  liest  Or.:  Oscus  —  comitatus^  was, 
wie  Jacob  gezeigt  hat,  nicht  als  richtig  betrachtet  werden  kann; 
eben  so  wenig  aber  inditus^  die  Conjectur  des  Hrn.  R.,  da  sie  sich 
zu  weit  von  den  codd.  entfernt.  1,  89  haben  die  codd.  multi  af- 
fiictaflde  (oder  fides)  in  pace  ac  si  turbatis  rebus  alacres^  Beide 
tilgen  SI,  während  schon  ^  um  die  Gleichheit  der  Glieder  herzu- 
stellen, zu  afflicta  fide  in  pace  ein  Prädicat  gefordert  wird,  wei- 
ches wahrscheinlich  in  ac  si  verdorben  ist. 

Ob  2,  1  prosperae  Fespasiani  res  in  a.  b.  sich  finden,  wäh- 
rend diese  Worte  in  den  übrigen  codd.  fehlen,  ist  von  Hrn.  Baitcr 
nicht  bemerkt;  sollten  sie  auch  in  diesen  codd.  nicht  stehen,  so 
ht  prosperae  res ^  wie  auch  Pfitzner  wollte,  oder  prosperae  pa- 
// 16  yes  wahrscheinlicher. —  2,  8  ist,  weil  im  M.  multi  steht, 
eher:  multi —  erecti  zu  leseli,  erectis  entstand  durch  nominis. 
2,  10  ist  die  von  Or.  unternommene  Vertheidigung  der  Conjectur 
des  Rhenanus:  id  senatusconsultum  varie  iactatum^  et  prout  po- 
iens  vel  inops  reus  inciderat^  infirmiim  aut  validiim.  ad  hoc  ter- 
roris,  nicht  ausreichend,  denn  was  er  gegen  Walther  geltend 
macht,  dass  dessen  Conjectur  wegen  inlirmura  nicht  statt  haben 
könnte,  das  gilt  auch  gegen  die  von  ihm  aufgenommene  Lesart, 
da  ein  senatusconsultum  infirmum  Niemand  schrecken  kann,  wozu 
noch  kommt,  ;dass  retinebatur,  so  nackt  liingestellt,  überflüssig 
erscheint.  Ref.  betrachtet  die  Verbesserung  von  Acidalius  reti- 
nebalur  adhuc  terrori^  wenn  nicht  retineba?it  zu  lesen  ist,  als  die 
angemessenste,  indem  so  die  Macht  zu  schrecken  nicht  dem  Se- 
natsbeschlusse,  sondern  den  Senatoren,  wenn  sie  durch  denselben 
schrecken  wollten,  beigelegt  wird.  Hr.R  liest  nach  Beroaldus:  or/ 
hoc  terrore  et  proprio  vi.  —  Dass  2, 18  die  Worte  providentiam 
ducis  laudari  getilgt  werden  müssen,  ist  klar,  die  grammatischen 
Schwierigkeiten  zeigt  Madvig  Opp.  II.  p.  218.  —  2,  31  hat  M  :  Vi- 
iellius  ventre  et  gula  sibi  inhostus  ;  Or.  und  R.  lesen  nach  Victo- 
rius  sibi  inhonestus^  obgleich,  wie  auch  Or.  einräumt,  dadurch 
der  Gegensatz  zu   exitiosior  reipublicae  verdunkelt   wird.     Ref. 


28  Lateinische  Litteratur. 

vermutliete:  sibimet  hostis^  s.  Ann.  1,  44;  4, 10;  Hist.  2,  7;  2,98; 
3,  73  etc.  Sehr  unwahrscheinlich  ist  2,  32:  senatumqae  et  po- 
vnlum  mtnquam  obscura  nomina^  etsi  aliqiiando  obumbrentur^ 
da  im  M.  etf'am^  nicht  etsi  steht.  Ref.  verrauthet  daher  ut  iam  — 
obscurentur,  s.  Hist.  2,  37;  Hand  Tursell.  3,  140  f.  —  2,  86  hat 
Hr.  R.  mit  Recht  die  iirspriingiiche  Lesart  abrtiptis  (Or.  liest  ab- 
replis)  hergestellt,  da  die  Schiffe  durch  Balken  an  einander  ge- 
fügt, durch  Baue  befestigt  waren  und  von  den  Germanen  zurück- 
gehalten wurden ,  so  dass  von  einem  raptim  abducere  nicht  die 
Rede  sein  konnte.  2,  41  ist  in  etastriclis  mucrornbits  vielleicht 
ea  destrictis  ni.  verdorben.  2.  43  schreibt  Gr.,  obgleich  der  cod. 
f'arenus  Jlfenus  hat,  wie  auch  2,  29;  3,  36.  55.  61;  4,  11,  Alfe- 
nins .  indess  ist  zu  bezweifeln,  dass  dieses  Verfahren  durch  seine 
Bemerkung  zu  Hör.  Sat.  1,  3,  100  hinreichend  begriindet  ist.  An 
11.  St.  spricht  schon  das  verdorbene  Vareims  dafür,  dass  auch  Al- 
fejius  zu  lesen  sei.  2,  7ö  hat  M.  spJendidior ;  worin,  da  dieses 
bedetitet  splettdidioriis.  vielleicht  liegt  splendidiore  is  origifie. 
2,  80  schliessen  sich  Beide  an  Gron.  an  und  lesen:  tantae  muta- 
tionis.  während  zu  caligo  nichts  angemessener  zu  sein  scheint,  als 
tai2tae  aUihtdijiis.  —  3,  3  schreiben  Beide:  volgus  et  ceteri  — 
laudibiis  fene7it^  allein  im  M.  steht  volgus  et  cetera  und  ceteri 
neben  volgus  ist  auch  von  Hru.  R  nicht  genVigend  erklärt;  viel- 
leicht ist  volgus  ceterinn^  s.  2,  45,  zu  lesen  oder  ein  anderes  At- 
tribut (credulnm'?)  verdorben.  Was  3,  6  im  M.  steht:  relictum 
Altini  praesidiinn  adversiis  classis  Ravennatis  deutet  darauf  hin, 
dass  ein  Substantiv,  etwa  coepla^  ausgefallen  sei,  Or.  und  R.  ha- 
ben classem  Ravennatem  beibehalten.  —  3,  10  ist  vielleicht 
procul  inde  visi^  indem  inde  auf  adversa  frons  bezogen  würde,  zu 
lesen.  Eben  so  ist  wohl  3,  21  in  cui  iuncta  in  a  laevo  eine  Ver- 
bindnngspartikel  enthalten,  die  dem  fol<renden  mox,  inde  ent- 
spricht. 3,  24  liegt  die  im  cod.  Ryckii  gegebene  Verbesserung 
der  Worte:  currari  sumpsissent ^  nämlich  cur  nam  resumpsissent^ 
näher,  als  cur  rursum  sumpsissent^  wie  beide  Herausgeber  bei- 
behalten. Derselbe  cod.  hat  3,  47  das  von  Döderlein  als  Conjec- 
tur  aufgestellte  vetustam  civitatem^  was  allerdings  nicht  unwaiir- 
scheinlicli  ist.  Schwer  ist  es  zu  glauben,  dass  Tac.  3,  66:  quin,, 
ut  censuram  patris  ^  ut  tres  cotisulatus^  ut  tot  egregiae  domus 
honores  deceret ,  desperatione  sattem  in  audaciam  accingeretur^ 
was  beide  Herren  beibehalten,  geschrieben  habe;  denn  der  Ge- 
danke könnte  kein  anderer  sein,  als  der,  es  zieme  sich  für  einen 
Mann,  der  aus  einer  so  vornehmen  Familie  stamme,  sich  durch 
Verzweifelung  bestimmen  zu  lassen,  während  nach  der  ganzen 
Anlage  der  Stelle  die  edleren  Motive  in  den  Worten:  ut  censuram 
etc.  liegen  müssen.  Dazu  liest  M.  nicht  deceret^  sondern  dege- 
/"e^,  was  am  einfachsten  in  neglegeret  verbessert  wird,  was  der 
cod.  des  Ryckius  hat  und  von  diesem  und  Acidalius  gebilligt 
wird.     Bczzenberger  schlägt   dedecoret  vor.     Dass  kurz  vorher 


Orelli  u.  Ritter:  C.  Corn.  Taciti  opera  etc.  29 

eä9ibus  duhiis  eben  so  unsicher  sei,  als  1,  2  opimum  casibus,  geht 
daraus  hervor,  dass  im  M.  captis  diebus  gelesen  wird.     Ob  ti,  8t» 
pairia  Uli  Luceria  ,  wie  beide  Herausgeber  aufgenommen  haben, 
als  richtig  betrachtet  werden  könne,  muss  jedenfalls  zweifelhaft 
bleiben,  da  M.  patrem  Uli  luceria  bietet.     Bis  zu  Oberlin  wurde 
nach  den  späteren  codd.  pater  illi  L.  Vitellius  gelesen,  und  weder 
Victorius  noch  Ryckius  haben  etwas  über  eine  Abweichung  im  JVJ. 
bemerkt.     Wenn  man  nun  beachtet,  dass  fast  überall  in  solchen 
Epilogen  neben  dem  Vaterlande  auch  der  Vater  des  Besprochenen 
erwähnt  wird,  s.  2,  50;  4,  5;  1,  48;  3,  75  u.  a.,  so  liegt  die  Ver- 
muthung  nahe,  dass  auch  hier  pater  richtig  und  vielleicht  etwas 
ausgefallen  sei:  patrem  ....  habuit  patriam  Luceriam.  —    4,  5 
lesen  Beide:  non ^  ut  plerique ^  ut  nomine  —  velaret^  während  im 
M.  das  zweite  ut  fehlt  und  leichter  durch  qui  oder  quo  ersetzt 
wird.     Auch  sapientium  ist  bald  darauf  nicht  ohne  Wahrschein- 
lichkeit von  Döderlein   hergestellt.   —   4,  12  ist  die  Conjectur 
Walch's:  simulque  insulam  iuxta  sitam  von  beiden  Herausgebern 
gebilligt,  obgleich  der  wichtigste  Grund,  der  für  dieselbe  ange- 
führt wird,  dass  nur  so  die  Lage  der  durch  extrema  Galliae  ange- 
deuteten Gegend  erkannt  werde,  nicht  stichhaltig  ist,   da  an  der- 
selben die  genaueren  Bestimmungen  :  quam  mare  Oceanus  a  fronte^ 
Rhenus  amnis  tergum  ac  latera  circumluit  nicht  zweifeln  lässt. 
Heinisch   vermuthete  inde  vocitaiani ,  was  sich  jedoch  mehr  an 
die  neueren  codd.,  als  an  die  Lesart  des  M.  insula  iuuata  sitan  an- 
schliesst.     In  der  letzteren  dürfte,  wie  es  auch  von  früheren  Kri- 
tikern, s.  Ryckius,  angenommen  wurde,  eher  der  Name  der  hisel 
selbst  liegen.  —    4,  25  steht  im  M.  pleraeque  civilates  adversus 
nos  arma  spe  libertatis^  Or.  u.  R.  schreiben  nach  der  Vulgata:  ar- 
matae;   vielleicht   ist  aber  wegen  spe  das  Verbum  cepeie  oder 
sumpsere  ausgefallen.     Dass  4,  26  ductus  Voculae  exercitus  nä- 
her liegt  als  das  von  Beiden  gebilligte  a  Vocula^  ist  kaum  zu  ver- 
kennen, wenn  anders  eine  Veränderung  nöthig  ist,  s.  Fickert  zu 
Sen,  Clem.  1,  24.  —  4,  35  schreiben  Beide:  desertos  se —  que- 
rebautur ^  während  im  M.  desertosque  sich  findet,  welches  auch 
den  Ausfall  eines  zweiten  Particips:  desertos  se  proditosque  an- 
deuten könnte.  —   4,  55  bietet  M.  Sabinus  —  gloria  incendebut^ 
was,  wenn  man  erwägt,  wie  oft  im  M.  ä  noch  neben  der  Linie  für 
m  steht,  am  einfachsten  in  Sabiuum  — incendebut   verbessert 
wird.     Or.  und  R.  haben  incendebatur  beibehalten.  —  4,  CO  hat 
M.  tutn  pacti  praedam  casirorum  dat  custodes  qui  —  reteuta- 
rent  at  qui  ipsos  leves  abeuntes  prosequerentur.    Or.  und  Hr.  R. 
schreiben /joc^ws,  es  könnte  auch  ;;ac^is  gelesen  werden:  nachdem 
siedle  Bedingung,  dass  sie  die  Beute  übergeben  sollten,  ange- 
nommen hatten,  s.  Periz.  zu  Liv.  38,  9,  9.     Fabri  zu  21,  6,  11. 
Ob  ac  qui  (Or.)  oder  et  qui,  was  nicht  erst  Hr.  R.,  sondern  schon 
der  cod.  des  Ryckius  hat,  oder  atque  zu  lesen  sei,  ist  schwer  zu 
entscheiden.     Die  gegen  leves  erhobenen  Bedenken  scheint  Or. 


30  Lateinische  Litteratur. 

nicht  ^eniigend  beseitigt  zu  haben,  s.  Heiniscli,  der  nicht  unwaljr- 
scheinh'ch  Novaesititn  vermuthet.  —  4,  79,  wo  im  M.  integre que 
ete  cauchis  gelesen  wird,  ist  vielleicht  integra^  fjiwe  de  Chaucis 
zu  schreiben,  s.  Hand.  Turs.  II.  S.  200. —  5,  1  steht  im  M.  atque 
ipse  ut  siiperioriunam  crederetur^  decorum  se  promptumque  in 
armis  ostendebat^  comitate  et  adloquiis  officia  provocaus;  Or. 
und  R.  lesen  super  fortunam,  aber  jener  erklärt:  superior  esse  ea 
fortuna,  quam  in  solito  rerum  cursu  exspectare  poterat.  Allein 
wie  dieser  Sinn  in  jenen  Worten  liegen  könne,  ist  eben  so  wenig 
nachgewiesen,  als  wie,  was  schon  Kyckius  bemerkt,  das,  was  Ti- 
tus  nach  dem  Folgenden  thut,  die  Ansicht  habe  erwecken  kön- 
nen, dass  er  in  dem  angenommenen  Sinne  super  fortunam  sei. 
Angemessener,  aber  auch  nicht  sicher,  ist  die  Erklärung  Hm.  R.'s: 
qui  CO  adiumento  (fortuna)  neque  uti  neque  egere  videretor.  Ref. 
vermuthete:  stiper  invidiain  oder  superior  invidia:  er  zeigte  sich 
herablassend ,  stellte  sich  den  Soldaten  gleich  und  erschien  da- 
durch über  allen  Neid  erhaben,  s.  Agr.  8:  extra  invidiara  nee  ex- 
tra gloriam  erat. 

Es  würde  zu  weit  führen,   wenn  wir  alle  Stellen,  an  denen 
die  Bemühungen  der  Kritiker  noch  zu  keinem   genügenden  Resul- 
tate geführt  haben,  aufzählen  wollten  ;  wir  brechen  daher  ab,  um 
über  die  kritische  Behandlung  der  drei  lileineren  Schriften  Einiges 
wenigstens  hinzuzufügen.    Was  zunächst  die  Germania  betrifft,  so 
konnte  es  keinem  Zweifel  unterliegen,  dass,   wie  es  von  beiden 
Herausgebern   geschehen,  der  durch  Tross  bekannt  gewordene 
cod.  des  Perizonius,  s.  diese  Jahrbb.  33.  S.  57  ff.,  bei  der  Gestal- 
tung des  Textes  zu  Grunde  gelegt  werden  müsse.     Hr.  R.  hat 
denselben  nochmals  genauer   verglichen,  und  diese  Collation,  s. 
Vol.  II.  p.  XII,  auch  Or.  benutzt,  aber  zuweilen  die  Lesarten  des- 
selben nicht  genau  genug  angegeben.     Die  übrigen  codd.  sind  nur 
bisweilen,  auch  hier  mehr  von  Hrn.  R.  angeführt,  von  den  Aus- 
gaben hat  Or.  nur  die  von  Gerlach,  Bekker,  Grimm  gewöhnlich 
angeführt,    Hr.  R.  keine  besonders  berücksichtigt.      Dass  beide 
Herausgeber  den  P.  gewissenhaft  benutzt  haben,  lässt  sich  nicht 
verkennen,  wenn  man  auch  an  einzelnen  Stellen  ihrem  Verfahren 
nicht  ganz  beistimmen  kann.     So  schreibt  Or.  c.  2:  Tuisconem^ 
obgleich  von  c  keine  Spur  im  P.  sich  zeigt  und,  wenn  einmal  von 
der  handschriftl.  Lesart  abgegangen  werden  soll  (Hr.  R.  hat  nach 
derselben  Tristonem  geschrieben),  Tuitonem  oder  Tiutonem  nä- 
her lag,  8.  Hattemer  Ueber  Ursprung  des  Wortes  Teutsch  S.  3. 
Pott  Etymol.  Forschungen  2,  522.     Grimm  Gesch.  der  deutschen 
Sprache  S.  791,  der  aber  die  handschr.  Lesart  nicht  genug  beach- 
tet hat.     Mit  Recht  scheint  dann  von  Or.  Herminones  geschrieben 
zu  sein,  Hr.  R.  hat  Hermiones  aufgenommen.     Warum  bald  dar- 
auf Vandiiiüs  von  Or.  vorgezogen  wird,   da   P.  Vandalios^   was 
Hr.  R.  beibehält,  darbietet,  ist  nicht  abzusehen,  s.  Grimm  a.  a.  0. 


OrelH  u.  Ritter:  C.  Com.  Taciti  opera  etc.  31 

S.  475  ff.     Die  vielbesprochene  Stelle:  ceterum  Germaniae  vo- 
cabulum  schreibt  Or.  nach  den  codd.  und  ändert  nur  ut  nunc  was 
R.  aufgenommen,  in  ac  nunc.     Für  die  Erklärung  ist  von  Beiden 
etwas  Neues  nicht  mitgetheilt,  Hr.  Ritter  scheint  sich  der  frühe- 
ren Ansicht  J.  Grimm's,  s,  Deutsche  Grammatik  3.  Ausg.  I.  p.  10  ff 
zuzuneigen,  welche  dieser  selbst  jetzt  aufgegeben  hat,  s.  Gesch. 
der  deutsch.  Sprache  S.  785  ff.  —  C.  '6  hat  Ör.  baritum  beibehalten 
Hr.  R.   den  ganzen  Satz  quem  —  vocant  als  eine  Glosse  einge- 
klammert, ohne  jedoch  zu  erklären,  wie  dieselbe  entstanden  sei. 
Derselbe  liest  c.  4  nullis  aliarum  nationum   connubiis  mfectos 
und  entfernt  oliis^  was  allerdings  in  der  von  Or.  angenommenen 
Weise:  nullis  omnino  aliarum  nicht  vertheidigt  werden  kann.     Da 
die  Germanen  so  viele  verscliiedene  Nationen  zu  ihren  Nachbarn 
hatten,   soll  vielleicht  ausgedrückt  werden,  dass  sie  mit   keiner 
derselben  in  dem  Verhältnisse  des  connubium  standen,  so  dass  zu 
lesen  und  zu  erklären  wäre:  nullis^  aliis  aliarum^  connubiis^  mit 
keinem   Volke,  so  dass  die  Einen  mit  diesem,  die  Anderen  mit 
jenem  das  conn.  gehabt  hätten,  waren  sie  in  dieser  Weise  in  Ver- 
bindung.    Dass  Rudolfus  Fuldensis  aliis  nicht  hat,  wie  Hr.  R.  be- 
merkt, kann  hier  nicht  entscheiden,  da  er  nicht  genau  die  Worte 
des  Tac.  wiedergiebt.  —  Cap.  6  hat  Or.  mit  Recht  in  irnmensi/m 
geschrieben ;  dass  Tac.  auch  bei  der  Angabe  des  Zieles  in  aus- 
lasse, ist  von  Hrn.   R.  nicht  nachgewiesen.     Zweifelhaft  kann  es 
sein,  ob  plura  mit  Recht  statt  pluraque  geschrieben  ist.     Lieber 
^ieframea  ist  jetzt  zu  vergleichen  Grimm  Gesch.  der  d.  Sprache 
S.  514  ff.  —  Cap.  7  schreibt  Or.:  unde  feminarum  ululatus  au- 
diri^  während  Hr.  R.  audiri  einklammert.     So  wenig  sich  dieses 
jechtfertigen  lässt,  da  Herr  Ritter  keinen  Grund  angegeben  hat, 
wie  ein  Glossem  in  dieser  Form  habe  entstehen  können,  so  wenig 
ist  Or.'s  Vertheidigung  der  Lesart  klar  und  entschieden.     Hr.  R. 
erkennt  im  Agric.  34  den  Infinitiv  an,   unter  Verhältnissen,   die 
von  den  vorliegenden,  da  in  beiden  Fällen  der  Infin.  im  Neben- 
satze stellt,  nicht  wesentlich  verschieden  sind,  aber  a.  u.   St.  will 
er  denselben  nicht  gelten   lassen,  während   Döderlein  Proleg.  p. 
LIII.,  wo  aber  Dial.  30  entfernt  werden  muss,  denselben  in  Schutz 
nimmt;  dasselbe  geschieht  von  Haase  zu  Reisig  S.  782.     Da  aber 
die  Fälle,  wo  der  Infin.  von  Verhältnissen  gebraucht  wird,   die  in 
der  Gegenwart  des  Sprechenden  noch  dauern,  sehr  selten  sind,  so 
dürfte  es  eben  so  gewagt  sein,  denselben  unbedingt  zu  verwerfen, 
als  es  unpassend  ist,  diesen  Gebrauch  als  infin.  historicus  zu  be- 
zeichnen. —  Cap.  9  schreibt  Or.  Herculem  ac  Martern  concessis 
animalibus  placant ^  obgleich  im  P.  sich  findet:  Martern  c.  a.  p. 
et  Herculem.     Hr.  R.  hat  die  beiden  letzten  Worte  aus  dem  Texte 
gestossen,  was  sich  eher  rechtfertigen  Hesse,  wenn  fest  stände, 
welchen  Gott  oder  Heros  Tac.  unter  Hercules  verstanden  habe, 
lind  eine  Veranlassung  dieses  Glossems  angegeben  werden  könnte. 
—  Cap.  11  hat  Or.  mit  Recht  pertractentur  aus  P.  beibehalten. 


32  Lateinische  Litteratur. 

Hr.  R.  aus  dem  Farnes,  das  sonst  ungebräuchliche  praetracteniur 
auf'^enommen ,  was  auch  aus  dem  Grunde  niciit  nothwendig  scheint., 
weil  es  vorher  heisst :   quorum  penes   plebem  arbitrium   est,   und 
sich  daraus  von  selbst  ergiebt,  dass  die  Berathung  der  principe« 
vorausgehen  müsse.  —  Cap.  15  hat  Or.  non  multum  beibehalten 
und  es  genügend,  wie  es  scheint,  gerechtfertigt,  Hr.  R.  720/2  ge- 
tilgt.    Dass  der  Letztere  sed  et  aus  P.  beibehält,  während  Or.  et 
entfernt,  wird  man  nur  billigen  können.  —    Cap.  16  ist  von  Hrn. 
Vi.  qtiippe  aufgenommen,  obgleich  die   codd.  quia  bieten,  allein 
die  Gründe,   die  er  anführt,   dürften  schwerlich   ausreichen,   da 
suffugium  etc.  nicht  sowohl  den  Grund  als  den  Zweck  bezeichnen, 
der  erstere  in  dem  Satze  mit  quia  etc.  hinzugefügt  wird.  —  Cap.  18 
hat  Or.  übersehen,  dass  im  P.  ac  propinqiii^  niclit  et  prop.  sich 
findet,  so  wie  umgekehrt,  dass  er  c.  ^7  nicht  ac  Papirio,  sondern 
et  Papirio  bietet.    Die  schwierige  Stelle  Cap.  19 :  publicatae  enini 
pudicitiae  iiulLa  venia  wird  von  Or.  mit  Stillschweigen  übergangen, 
Hr.  R.   hilft   durch   die  Annahme  einer  Lücke.      Dass  aber  die 
schlechten  Sitten  der  Römer,  wie  Döderlein  und  Andere  bemerkt 
Itaben.  in  den  angeführten,  wie  in  den  folgenden  Worten  vergli- 
chen werden,  dürfte  Hr.  R.  nicht  mit  ausreichenden  Gründen  ge- 
läugnet  haben ,  und  dass  Tac.  Ann.  2, 85  wenigstens  Vergleichungs- 
punkte an  die  Hand  gebe,   wenn  auch  dort  die  Worte  „actamen 
raaritos  inveniebant  *'•   nicht    stehen,     dürfte   sich  schwerlich   in 
Zweifel  ziehen  lassen.     Dagegen  hat  Hr.  R,  nee  anciUis  aut  nu^ 
iricibus  aufgenommen,  s.  Hand  Turs.  L  p,  543  ff.,     Or.  ac  nulri 
beibehalten.     In  demselben  Cap.  hat  Or.  ohne  Grund  tatnquam 
[iij  geschrieben,  da  nach  Hrn.  R.  im  P.  tanquam  et  l  animnm  ge- 
lesen wird  ,  was  für  tamqiiam  etiam  animuin  stehen  kann.     Die 
schwierigen  Worte  Cap.  21:   viclus  inter  hospiles  comis  nimmt 
Or.  in  Schutz,  obgleich  die   Art,   wie   er  dieselben   vertheldigt, 
etwas  künstlich  und  der  Gegensat«  zum  Folgenden,  der  stattfinden 
soll,  da  mehrere  Gedanken  dazwischen  stehen,  nicht  zulässig  \s\. 
Die  Worte  sind   dem  vorhergehenden  monstrator  hospitii  et  co- 
mes  zu  ähnlich ,  als  dass  man  nicht  auf  die  Vermuthung  kommen 
sollte,   sie  ständen   mit    denselben    in    irgend   einer   Verbindung. 
Dieses  hat  auch  Bezzenberger  erkannt,  wenn  auch  die  Art,  wie 
er  die  Stelle  zu  verbessern  sucht:  monstrator  hospiti  victus  et  co- 
vies  nicht  als  sicher  betrachtet  werden  kann.  —    Cap.  25  schreibt 
Gr.  vielleicht  durch  Versehen  impune  statt  impnne  est.  —  Cap.  2<> 
hat  Or.  agri  —  ab  uniiersis  in  vices  occnpantur ^  während  P.  in 
viceni  hat,   was   sich    wohl  vertheidigen   lässt,   s.  diese   Jahrbb. 
Bd.  33.  S.  70.     Grimm  Gesch.  der  deutschen  Sprache  S.  491  f. 
Hr.  R.  hat  seine  Conjectur  ifi  vicos  in  den  Text  aufgenommen,  aber 
den  Worten  einen  solchen  Sinn  untergelegt,  dass  die  angeführten 
Stellen  keine  Beweiskraft  haben.  —  Cap.  27  liest  derselbe  richtig 
obsetvant^  da  observalur  aus  crementur  entstanden  scheint;  eben 
so  ist  summus  auctor ^  wie  Hr.  R.  schreibt,  jedenfalls  dem  von 


Orelli  u.  Ritter :  C.  Corn.  Taciti  opera  etc.  33 

Or.  beibehaltenen  s.  autorum  vorzuziehen.  —    Cap.  28  schreibt 
Or.  richtig:  ab  Osts  Germanorum  natione^  der  Sinn  sclieint  durch 
die  Kürze  der  Darstellung  etwas  verdunkelt  und  die  Worte-G'ey- 
rnanoriim  notione ^  die  von  utrura  hätten  abhängen  sollen,  in  Ap- 
position zu  Osi  gesetzt  zu  sein:  es  ist  ungevviss,  ob  die  Aravisker 
vor  den  Ösen  nach  Pannonien  gezogen   und  diese  eine  deutsche 
Nation  seien.     Hr.  R. ,  der  dieselbe  Ansicht  zu  theilen  scheint, 
hat  dennoch  nach  seiner  Conjectur  Germanorum  natio  geschrieben. 
Um  nicht  von  den  ganz  verworrenen  Wortstellung  zu  reden,  wer- 
den so  die  Aravisker,  die  in  Pannonien  wohnen,  denn  über  den 
Sitz  dieser  Völkerschaft  ist  Tac.  nicht  in  Zweifel,  zu  einem  deut- 
schen Volke,  wenn  auch  nach  Hrn.  R.  nur  muthraaasslich.     Dass 
Cap.  30  Romanae  disciplinae  von  Or.  anerkannt  ist,  wird  man  nur 
billigen,  da,  wenn  ratio ^  was  auch  Hr.  R.  beibehalten  hat,  das 
Richtige  wäre,  alles  Vorhergehende  von  der  ratio  disciplinae  aus- 
geschlossen sein  raüsste.     Warum  Cap.  31  von  Beiden  gegen  P. 
Usipii  geschrieben  wird,  ist  nicht  klar,  eben  so  wenig  dürfte  durch 
Hist.  2,  5  entschieden  werden,  dass  c.  35  ac  si  statt  et  si  zu  lesen 
sei,   wie   Or.  anzunehmen  scheint.  —   Cap.  37   war  kein  Grund 
rursus  pulst  [inde]  zu  schreiben,  wie  es  von  Or.  geschehen  ist, 
da  P.  nicht  inde^  sondern  J  bietet,  inde  vor  pulsus  setzt,  wie  es 
Hr.  R.  mit  Kecht  aufgenommen  hat.  —   Cap.  38  ist  über  quam 
von  derselben  Hand  vis  gesetzt,  also  kein  Grund  quainquam  zu 
schreiben,  wie  es  Or.  gethan.     Bald  darauf  hat  Hr.  R.  richtig:  in 
ipso  vertice,  Or.  in  ipso  solo  vertice^  obgleich  gerade  P.  zeigt, 
wie  diese  Tautologie  entstanden  sei.  —  Cap.  40  ist  jetzt  die  schöne 
Vermuthung  Grimm's  a.  a.  0.  S.  500  Juthones  statt  Nuithones 
zu   lesen,   beachtenswerth.      Hr.    R.  h^t  Nurtones  geschrieben. 
Ob  bald  darauf  mit  demselben  Ertham  zu  schreiben    und   so  die 
schwierige  Stelle  auf  das  leichteste  aufzuklären  sei,  ist  noch  sehr 
z>iveifelhaft.     Die  codd.  sind  dagegen  und  Hr.  R.   kann  nicht  ge- 
nügend nachweisen,  wie  Ertham  in  Neithum  oder  Nerthura  über- 
gegangen sei.     Es  wäre  dieser  der  einzige  Göttername,  den  Tac. 
in  seiner  deutschen  Form  genannt  hätte,  obgleich  sich  der  ent- 
sprechende römische  Name  von  selbst  darbot.    Ob  die  Form  selbst, 
die  er  aufgenommen ,   als    die  älteste   betrachtet  werden  könne, 
werden  Andere  untersuchen,  s.  Diefenbach  Vergleichendes  Wör-» 
terbuch  der  gothischen  Sprache  I.  S.  22;  aber  unerklärlich  ist  es, 
wie  er  Nerthum  „infelicem   J.  Griinmii  coniecturam  ""^   nennen 
kann.  —  Cap.  42  schreibt  Hr.  R,  Varisti^  Or.  Narisci^  obgleich 
kein  Grund  daist,  die  handschr.  Lesart  Naristi  zu  verlassen,  J. 
Grimm  a.  a.  0.  S.  505.  —  Cap.  43  ist  iugumque  mit  Recht  von 
Beiden  entfernt.    Vorher  war  wohl  Goiini  zu  schreiben,  s.  Grimm 
S.  483.  439.     Ob  bald  darauf  IS ahanarvalos  ^  was  Or.  aufgenom- 
men, ein  Schreibfehler  oder  der  richtige  Name  sei,  ist  schwer 
zu  entscheiden.  —  Cap.  45  hat  Or.,  ohne  dieses  genauer  zu  be- 
gründen ,  emergentis  ausgestossen ,  während  es  Hr.  R.  mit  Recht 

JS,  Juhrb.  f.  Phil.  u.  Päd.  od,  Krit.   ßibl.  ßd,  LVIH,  Hft.  1.  3 


34  Lateinische  Litteratur. 

in  Schutz  nimmt;  es  scheint  sich  einfach  an  in  ortnm  dural  anzu- 
schliessen  und  nicht  sowohl  darauf  anzukommen  ,  dass  diese  Ge- 
benden in  Osten,  sondern  dass  sie  im  hohen  Norden  liegen,  s. 
Affr.  c.  12.  Eben  so  hat  er  sudant  ^  was  jedoch  auf  nemora  iu- 
cosque  bezogen  werden  kann ,  mit  Ueclit  aus  P.  u.  Farnes,  auf- 
genommen, Or.  sudanlur  behalten.  —  Cap.  46  schreibt  Or.  -pro- 
cerum  connubiis  inixlis  etc. ;  Hr.  R.  nach  P.  procerum  Cunmibiis 
mixti.  Indess  sieht  man  nicht,  warum  zu  procerum  gesetzt  sein 
sollte  omnium,  und  mistos^  die  ursprüngliche  Lesart  im  P.,  zeigt, 
dass  noch  irgend  ein  Verderbniss  in  der  Stelle  liegen  müsse. 

Für  keine  Schrift  des  Tac.  ist  wohl  in  der  neuesten  Zeit  so 
viel  geleistet  worden,  als  für  die  vlta  Agricolae.  Für  die  kriti- 
sche Behandlung  des  Textes  ist  das  Bedeutendste  von  Wex  ge- 
schehen, an  den  sich  Ilr.  Or.  anschliesst  und  einräumt,  dass  erst, 
wenn  der  vollständige  Apparat  desselben  mitgetheilt  sei,  eine  mehr 
genügende  kritische  Ausgabe  geliefert  werden  könne ;  FIr.  R.  geht 
in  einem  wichtigen  Punkte  von  Wex  ab,  indem  er  an  der  Ansicht 
festhält,  dass  Puteolanus  einen  besonderen  cod  benutzt  habe,  für 
die  er  jedoch  nur  zwei  Stellen  beibringt,  die  schwerlich  entschei- 
den können.  Wir  betrachten,  um  das  V^erfahren  der  beiden  Her- 
ausgeber zu  zeigen,  nur  einige  Stellen.  Die  besonders  in  neuerer 
Zeit,  s.  Herzog  Observatt.  partic.  X.  und  XIII.,  Gernhard  Epi- 
Stola  ad  Herzogium,  Vimariae  1838  u.  a.,  vielbesprochene  Stelle 
Cap.  2  liest  Or.  nach  den  codd.  quam  iion  peiissQin^  incusatu- 
rus^  und  dieses  dürfte  immer  noch  das  einfachste  und  sicherste 
sein,  wie  sich  auch  Bezzenberger  und  Hoegg  dafür  entschieden 
haben,  wenn  auch  die  Erklärung,  die  sie  geben,  noch  manchem 
Zweifel  unterliegen  mag.  Hr.  R.  schreibt:  incursaturus^  aber 
seine  Deutung  dieses  Wortes :  ,,non  fuit  animus  talem  veniam  pe- 
tere,  quo  ipso  saevum  Domitiani  animum  in  me  irritassem  et  ho- 
minem  virtutibus  infestum  graviter  offendissem'-  trägt  so  viel  in 
das  Wort  hinein,  dass  man  schon  desshalb  an  der  Richtigkeit  der 
Lesart  zweifeln  muss.  —  Cap.  4  ist  von  Beiden  JuUi  mit  Recht 
entfernt  worden. —  Cap.  5  nimmt  Or.  intersepii  in  Schutz;  da 
aber  in  der  That  ein  grosser  Theil  des  Heeres  in  die  Gewalt  des 
Feindes  gekommen  war,  so  ist  intercepti.^  wie  Hr.  R.  liest,  wohl 
vorzuziehen.  Im  folgenden  Capitel  schreiben  Beide:  idem  prae- 
iMAae /ewoA  nach  Rhenanus' Conjectur,  allein  die  handschr.  Les- 
art certior  dürfte  schwerlich  auf  diese  Weise  richtig  verbessert 
sein,  eben  so  wenig  aber  durch  Bezzenberger's  Vorschlag  secre- 
tum.  Die  folgenden  Worte  schreibt  Or.  nach  Vat.  A:  Ludos  et 
inania  honoris  medio  Talionis  et  abundanliae  dujcil,^  ohne  sich 
auf  eine  genauere  Vertheidigung  der  schwierigen  Construction,  s. 
Herzog  und  Foss  Altenburger  Programm  von  1837.  S.  8  ff.,  einzu- 
lassen. Und  in  der  That  wird  medio  nur  durcli  den  folgenden 
Zusatz:  uli  longe  etc.  empfohlen.  Hr.  R.  schreibt:  moderatioms 
atque  abundanliae  wie  Böttichcr;  doch  stehen  sich  so  moderatio 


Orelli  u.  Ritter:  C.  Corn.  Taciti  opera  etc.  35 

lind  abuiidantia  nicht  passend  entgegen  ,  und  Hr.  R.  will  auch  nur 
an  modus,  qui  e  moderatione  proficiscitur,  gedacht  wissen.  Ref. 
schien  immer  media  das  Angemessenste,  s.  Schneider  Caes.  b.  g. 
3,  34,  1.  Vell.  2,  114,  3.  Auf  diese  Weise  würde  auch  am  ein- 
faclisten  das  ausgedruckt,  was  schon  Cicero  in  solchen  Dingen 
fordert,  die  mediocritas,  und  es  ist  zu  verwundern,  dass  man  nocli 
nicht  versucht,  statt  mediorationis  zu  schreiben  mediocrilalis. 
Bald  darauf  schreibt  Or.  nach  den  codd.  diligentissima  conquisi- 
tione  fecil  ne  ciiius  (dterius  sacrilegium  res  publica  quam  Ne^ 
ronis  sensisset^  und  erklärt  mit  Weber:  „er  verhütete,  dass  von 
dem  Staate  kein  anderer  Tempelraub  als  von  Seiten  INero's  fühl- 
bar geblieben ,  d.  h.  er  wirkte,  dass  von  der  Vergangenheit  her 
auf  Niemanden  der  Verdaclit  des  Terapelraubes  lasten  blieb." 
Allein  Ref.  gesteht  nicht  einzusehen,  wie  diese  beiden  Erklärungen 
dasselbe  sagen  sollen,  wie  die  diligentissima  conquisitio  das  Re- 
sultat gehabt  haben  könne,  dass  sich  gezeigt,  es  sei  von  Niemand 
als  von  Nero  ein  Tempelraub  begangen  worden.  AUerdirjgs  ist 
die  Construction  selten,  indess  finden  sich  doch  einige  ähnliche 
Beispiele,  s.  Liv.  30,  10:  tabulas  instravit,  ut  perviura  ordinem 
fecisset;  Plin.  Paneg.  40,  4  fecisti  ne  malos  principes  habuissemus 
(die  von  Döderl.  angeführten  Stellen  dürften  anderer  Art  sein), 
von  denen  namentlich  die  letztere  der  unsrigen  entspricht.  Tac. 
scheint,  wie  im  Indicat.,  so  hier  auch  im  Conj.,  das  Plusquamperf. 
nur  zu  brauchen,  um  anzudeuten ,  dass  der  durch  das  Verbum  be- 
zeichnete Zustand  gänzlich  abgethan,  vollständig  beseitigt  sei: 
durch  die  sorgfältigste  Nachsuchung  bewirkte  Agricola,  dass  man 
durchaus  nichts  mehr  vermisste,  als  was  Nero  geraubt  hatte.  Es 
ist  daher  immer  bedenklich,  mit  Hrn.  R.  statt  sensisset  zu  schrei- 
ben senserit^  da  sich  auch  nicht  erklären  lässt,  wie  jenes  statt  des 
letzteren  habe  gesetzt  werden  können.  —  Cap.  9  liest  Or. :  pro- 
vinciae  Aquitaniae  praeposuit^  splendidae  inprimis  dig7iitatis 
adminislratione  ac  spe  cofisulafus  ^  cui  destijiarat^  ohne  genauer 
die  Schwierigkeiten  der  Stelle,  s.  Pfitzner  Krit.  Bemerkungen  zu 
Tac.  Agr.,  Halm  Beiträge  S.  25 ,  zu  würdigen.  Hr.  R.  schreibt 
nach  seiner  Conjectur:  dignitati^  welches  auch  zugleich  das  Subj. 
zu  desiinarat  sein  soll.  So  wenig  sich  das  letztere  grammatisch 
und  logisch  rechtfertigen  lässt,  so  auffallend  bleibt  es,  wenn  die 
dignilas  als  Apposition  der  provincia  selbst  erscheint  und  wie 
dieses  von  praeposuit  abhängen  soll.  Dass  bald  darauf  die  tref- 
fenden Gedanken:  integritatem  atque  abstineiitiam  in  tanto  virn 
referre  iniuria  virtutum  fuerit  ein  Glossem  sei,  wie  Hr.  R.  glaubt, 
davon  dürfte  er  schwerlich  durch  die  schwachen  Gründe,  die  er 
anführt,  Viele  überzeugen.  Weit  eher  wird  man  ihm  beistimmen, 
wenn  er  bald  darauf:  egregiae  iam  spei  statt  e.  tum  sp.  in  den 
Text  aufnimmt.  Die  Stelle  Cap.  10:  dispecta  est  et  Thule  quam 
hactenus  iussum  et  hiems  abdebat  erklärt  Or.  für  verdorben,  ohne 
einen  Versuch  zu  machen,  sie  zu  verbessern.     Zwei  Vorschläge 

3* 


36  Lateinische  Litteratur. 

stehen  sich  ziemlich  gieicli ,  der  ron   Bezzenber^er:  quum  harte- 
Tifis  iussum,   und  von   Hrn.    K. :   ?iaffi   haclenus   iusaiim;   nur  ist 
schwer  zu  glauben,  dass  beim  Äbsegehi  der  Flotte  schon  der  Be- 
fehl gegeben  sei ,    nur  so   weit  zu  schiffen,  dass  man  Thule  er- 
blicken könne.      Ref.  möchte  daher  vermuthen:   natn  haclenus 
Visum ^  man  hielt  es  fiir  passend,  nur  so  weit  zu  gehen,  sich  damit 
zu  begnügen,  dass  man  Tliule  gesehen  hatte,  weil  auch  der  Win- 
ter herannahte.     Kurz  vorher  hat  Hr.  R.  mit  Recht  in  Universum 
aufgenommen,  wofür  die  codd.  sprechen,  Or.  nach  der  Randbe- 
merkung des  Ä.  uniiersis^  was  kaum  den  Sinn   haben  kann  .,uni- 
versae  insulae'",  den  er  darin  findet.  —    Cap.  11  schreibt  Or.  ha- 
bitasse  ^  Hr.  R.  occupasse;  da  im  A.  nur  hitasse  sich  findet  und 
dieses  Ä/ aus /y/6e/ OS  entstanden  sein  dürfte,  so  ist  es  sehr  un- 
sicher, was  Tac.  eigentlich  geschrieben  habe.  —   Cap.  12  haben 
die  meisten  Kritiker  erkannt,  dass  bei  patiens  ein  Begriff  fehle, 
besonders  ist  die  Steigerung  patie?is  fiugum^  fecundum  nicht  aa 
ihrem  Platze,  Hr.  R.  setzt  arhorum  vor  patiens  ein;  Ref.   vermu- 
thete  nach  Germ.  5  patiens  frugiferarum  aiboruni^  fiugum  fe- 
cundum^ weil  sich  so  leichter  der  Ausfall  erklärt.  —  Cap.  13  be- 
zeichnet Or.  auctoritate  operis  mit  einem  Kreuze.  Hr.  R.  schreibt 
auctor  op.^  schwerlich  mit  Recht,   eine  der  beiden  Conjectureii 
iierati  oder  tanti  verdiente  jedenfalls  Beachtung.  —    Cap.  15  hat 
derselbe  alterius  centuriones  alterius  setvos  im  Texte   und  ent- 
fernt ?nanus^  was,  wenn  auch  in  ma?ium  verdorben,  die  codd.  dar^ 
bieten.     Wenn  dieses  eine  passende  Erklärung  zulässt,  wie  Od. 
Müller  gezeigt  hat,  so  wird  es  schwer  halten,  sich  durch  die  pa- 
läographischen  Erörterungen,  die   Hr.  R.   hier  wie  so  oft  anstellt, 
obgleich  selten  durch  dieselben  etwas  entschieden  werden  kann, 
zur  Entfernung  des  Wortes  bestimmen  zu  lassen.     Dass  Cap.  16 
durch  die  von  Or.  aufgenommerje  Conjectur  von  Wex :  7ii  quaui- 
quam  der  Stelle  aufgeholfen  sei,  scheint  sehr  zweifelhaft,  denn 
was  in  Parenthese  gesetzt  ist,  hängt  so  eng  mit  dem  Uebrigen  zu- 
sammen, dass  es  kaum  getrennt  werden  kann;  dann  ist  auch  der 
Gedanke  nicht  klar,  indem  der  Satz  patientiae  restituit  auf  zwei- 
fache Weise,  durch  tenentibus  etc.,  dann  wieder  durch  ni  —  con- 
suleret  beschränkt  wird.     Da  we,  wie  in  den  codd.  steht,  einen 
passenden  Sinn  giebt,  so  ist,  wie  auch  schon  längst  erkannt  ist,  der 
Fehler  in  igitur  zu  suchen.     Hr.  R.  hat  die  handschr.  Lesart  bei- 
behalten, aber  die  gegen  dieselbe  erhobenen  Bedenken  nicht  be- 
seitigt. —  Cap.  17  schreibt  Or.  nach  seiner  Conjectur  obruisset^ 
sed  sustinuit^  die  sich  zu  weit  von  den  codd.  obruisset  sustinuit- 
que  entfernt;  Hr.  R.  erkennt  eine  Lücke  an,  was  durch  das  que 
wahrscheinlich  wird;  doch  ist  vielleicht  nur  ein  Wort  ausgefallen, 
etwa:  subiit  sustinuitque  molem  etc.     Indess  kann  que  auch  aus 
famamque   entstanden  sein.  —  Cap.  18   nimmt  Or.   uieretur  in 
Schutz,  ohne  die  Gründe,  die  für  vei terentur ^  was  Hr.  R,  mit 
Recht  billigt,  sprechen  ,  g.  JNissen  zu  der  St.,  genug  zu  würdigen. 


Orelli  u.  Ritter:   C.  Corn.  Taciti  0])era  etc.  37 

Dass  bald  darauf  die  Worte:  ut  in  duhiis  consitiis  nicht  so  leicht 
seien,  wie  es  Or.  erschienen  ist  (Hr.  R.  übergeht  sie  ganz  mit 
Stillschweigen),  ist  von  Halm  gezeigt  worden,  s.  Zeitschr.  f.  Al- 
terthnmsw.  1848.  S.  725.  Vielleicht  sind  dieselben  so  zu  schi'iz- 
zen ,  dass  der  allgemeine  Gedanke:  wie  bei  zweifelhaften  Unter- 
nehmungen nicht  Alles  vorher  bestimmt  wird,  nicht  alle  Anord- 
nungen getroffen  werden,  hinzugenommen  wird.  Noch  weniger 
genügt  die  künstliche  Erklärung  der  Worte  Cap.  19:  iion  slndiis 
privatis  nee  ex  cominendatione  mit  precibus  ceniuriones  juilites 
nescire^  die  Or.  in  folgenden  Worten  giebt:  propter  amirorum 
coramendationem  aut  preces  ipse  nescire,  quäle  esset  centurionum 
vel  militura  Ingenium,  quid  reapse  praestare  possent,  sed  propter 
illas  aliorum  iiitercessiones  huic  vel  illi  nirais  tribuere,  durch  wel- 
che dem  Schriftsteller  eine  so  gesuchte  Ausdrucksweise  aufge- 
drungen wird,  wie  sie  sich  sonst  schwerlich  findet.  Dazu  kommt, 
dass  das  sogleich  folgende  omnia  scire  sich  nicht  wohl  mit  jenem 
nescire  vereinigen  lässt.  Hr.  R.  hat  mit  Recht  ascire  aufgenom- 
men. ISicht  besser  steht  es  um  die  Erklärung  der  Worte:  ac  lu' 
dere  preiio  cogebant?/r:  licitando  inter  se  praeter  nccessitatem 
quasi  per  ludibrium  fruraenti  pretium  augere,  da  das  ludibrium, 
wie  es  eben  gesagt  ist,  jedenfalls  auf  Seiten  der  Römer  war  und 
der  Zwang  gewiss  das  Spiel  entfernt  hielt  Indess  diirfte  Hrn. 
R.'s  Versuch  der  Stelle  zu  helfen  noch  weniger  gelungen  sein ;  er 
Jiest  nämlich  nach  seiner  Conjectur:  ac  colludere  preiio  ^  was  den 
Sinn  haben  soll:  colludere  pretio  coguntur  eo,  quod  nonnulli  dolo 
malo  pro  frumento  magnam  summam  licentur,  ad  id  inducti,  ut 
ceteri  idem  pretium  numerare  cogantur,  dem  Wortsinne  nach  aber  nur 
heissen  würde:  die  Britannier  wurden  gezwungen  mit  einander 
gemeinschaftliche  Sache  zu  machen,  sich  im  Geheimen  zu  ver- 
ständigen ,  um  Andere  zu  i'ibervortheilen,  oder  sich  selbst  Vor- 
theile  zu  verschaffen,  wobei  man  immer  noch  sieht,  was  pretio 
bedeuten  solle.  Durch  beide  Versuche  ist  vendere  wenigstens 
noch  nicht  iinnöthig  geworden.  Wie  aber  hier  und  im  Folgenden 
der  Gedanke  nur  in  Geirensätzen  fortschreitet,  so  müssen  auch  die 
Worte:  donec  qnod  omnibus  in  promptu  erat,  paucis  lucrosmn 
ßeret  in  gegenseitiger  Beziehung  stehen;  der  Sinn  scheint  zu  sein: 
die  Belästigungen  wurden  so  weit  getrieben,  dass,  was  Jeder  ohne 
Schaden  und  Verlust  mit  Leichtigkeit  hätte  entrichten,  leisten 
können,  iur  Wenige  vortheilhaft  wurde.  Or.  hat  die  Schwierig- 
keit der  Stelle,  die  Halm  a.  a.  O.  S.  7*26  auf  andere  Weise  aufge- 
fasst  hat,  kaum  angedeutet.  Kurz  vorher  liest  Hr.  R.  prodimae 
statt  pro.vimis^  wozu  ein  Grund  gar  nicht  vorliegt,  da  proximis 
hibernis  schon  heissen  würde:  obgleich  das  Winterlager  in  der 
JNähe.  Dass  aber  pro  nach  Halm  und  Bezzenberger  zu  lesen  sei, 
hat  der  Erstere  a.  a.  0.  nachgewiesen. —  Cap.  20  wird  quo  minus 
mit  Recht  nach  Roth,  s.  auch  Haase  zu  Reisigs  Vorlesungen 
Anra,  490,  erklärt,  während  Schneider  im  Coburger  Programm  von 


38  Lateinische  Litteratur. 

1847  den  Sinn  in  der  Stelle  findet:  er  hielt  die  Feinde  immer 
in  besor;2:ter  Spannung,  um  nicht  durch  plötzh'che  Erhebungen  zu 
plötzlichen  Streifzügen  gezwungen  zu  werden;  wobei  jedoch  über- 
sehen ist.  dass  nihil  qnietnm  yati  etwas  anderes  ist,  als  in  Span- 
nung halten,  und  von  dem  eingeschobenen  immer  bei  Tac.  sich 
keine  Spur  findet.  Am  Ende  des  Cap.  liest  Or.  nach  der  Conjec- 
tur  von  Wex:  et  miUa  ante  Biilanniae  nova  pars.  Inlacessita 
traiisiit;  eben  so  Hr.  R.,  der  nur  vor  ut  das  leicht  entbehrliche 
hahilae  zusetzt.  Sollte  etwas  fehlen,  so  möchte  Ref.  vorschlagen: 
7it  nidla  —  nova  pars  pariter  iliacessita  transierit.  Sequens — . 
Die  schwierigen  VVorte  Cap.  22:  crebrae  ervptiones  werden  von 
Or.  mit  Stillschweigen  übergangen,  auch  Hr.  R.  geht  rasch  über 
die  Schwierigkeiten  hinweg,  s.  Schneider  a.  a.  O.  S.  29.  Bald 
darauf  hat  üöderlein  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  secretum^  ut 
silentium  geschrieben;  Or.  und  selbst  Hr.  R.  haben  et  sil.  beibe- 
halten. —  Cap.  24  erklärt  Or.  nave  prima  mit  Walch  und  Roth, 
ohne  nachzuweisen,  warum  darauf,  dass  die  Soldaten  zu  Schiffe 
jetzt  zum  ersten  Male  übergesetzt  werden  (dass  die  Flotte  erst 
im  folgenden  Jahre  an  den  Operationen  Theii  genommen,  sehen 
"wir  aus  Cap.  25),  so  grosse  Bedeutung  gelegt  werde.  Noch  mehr 
gilt  dieses,  wenn  nach  Hrn.  R.  nave  prima  bedeuten  soll:  in  na- 
vium  agmine  —  primus  ipse  legatus  fuit.  Wenn  nicht  vere  primo 
zu  lesen  ist,  so  muss  wenigstens,  obgleich  dieses  Nissen  als  einen 
zu  poetischen  Ausdruck  verwirft,  der  Sinn  in  den  Worten  liegen: 
sobald  die  Schifffahrt  wieder  möglich  war.  —  Die  höchst  schwie- 
rige Stelle  Cap.  25:  fama  —  oppugnasse  uUro,  castella  adorti 
erklärt  Or.  so,  dass  er,  unbekümmert  um  die  g^gQy\  diese  Auffas- 
sung geltend  gemachten  Gründe,  oppugnasse  von  famam  abhängig 
macht  und  zu  castella  adorti  bemerkt:  cum  castella  quidem  ad- 
orti essent  (berannt  hatten),  non  tarnen  cepissent,  sed  mox  in 
fines  regressi  essent,  ohne  zu  beachten,  dass,  wenn  die  Caledonier 
sich  in  ihre  Heimath  zurückgezogen  hätten,  das  Folgende  uner- 
klärlich wäre.  Alle  Versuche,  der  Stelle  aufzuhelfen  (Hr.  R.  will 
die  Worte  entfernen),  namentlich  die  von  Döderlein  und  Schnei- 
der vorgenommene  Versetzung  vor  regrediendumqiie^  so  dass  nach 
des  Letzteren  Ansicht  auch  oppugnasse  nitro  von  admonebant  ab- 
hinge, dadurch  aber  etwas  sich  von  selbst  Verstehendes  mit  be- 
sonderem Gewichte  vorangestellt  würde,  scheinen  nicht  alle  Be- 
denken beseitigt  zu  haben.  Ref.  vermisst  einen  Gedanken  wie 
opposila  nitro  castella  adorti.  —  Cap.  27  wird  at  Britanni  —  arte 
ducis  rati  von  Or.  für  verdorben  erklärt,  Hr.  R.  schreibt  at  Brit. 
—  arte  ducis  superati ^  ein  Gedanke,  dem  die  Schilderung  des 
Kampfes  in  Cap.  26  widerspricht.  Schneider  S.  12  ff.  will  zu  rali 
nur  id  ergänzen,  was  sich  dann  auf  den  ganzen  vorhergehenden 
Gedanken:  prospera  omnes  sibi  vindicant,  adversa  uni  imputantur 
beziehen  müsste,  aber  auch,  nur  auf  den  er^ten  Gedanken  bezogen, 
Dicht  bedeuten   kann:  prospera  ils  (Romanis)  vindicanda,  oder, 


Orelli  u.  Ritter:  C.  Corn.  Taciti  opera  etc.  39 

wenn  dieses  in  den  Worten  Iäg:e,  den  Caledoniern  einen  ihnen 
fremden  Gedanken  unterschieben  würde.  Ref.  glaubt  noch  immer, 
dass  durch  eliidi  se  rati  am  einfachsten  die  Schwierigkeiten  ent- 
fernt werden.  Auch  Cap.  28  wird:  mox  ad  aquam  atque  ul  illa 
raplis  se  cum  von  Or.  mit  einem  Kreuze  bezeichnet.  Hr.  R. 
schreibt  nach  seiner  Conjectur:  ob  aquam  atque  ulensüia  separa- 
tio cum  etc.,  in  der  nicht  nur  utensilia^  sondern  noch  mehr  sepa- 
rati  auffallen  muss.  Dass  später  ein  Theil  von  Sueven,  andere 
von  den  Friesen  gefangen  werden,  lässt  sich  leicht  auf  andere 
Weise  erklären,  auch  müsste  Hr.  R.  annehmen,  dass  die  Entflo- 
henen immer  wegen  des  Wassers  und  der  utensilia  getrennt  ge- 
wesen seien.  Endlich  sieht  man  nicht,  wie  sie  wegen  dieser  Tren- 
nung mit  den  Britanniern  in  Kampf  gekommen  sein  sollen.  I)e»n 
Gedanken  nach  wenigstens  scheinen  die  Conjecturen  von  Bezzen- 
berger  u.  Heinisch  näher  zu  liegen. —  Cap.  30  wird  die  Erklärung  von 
famae  als  Dativ  nicht  durch  neue  Gründe  von  Or.  unterstützt,  die 
Auffassung  als  Genitiv  wird  durch  die  Erörterung  Nissen's  empfoh- 
len, nur  hat  man  nicht  an  eine  Personification  der  faraa  zu  deiiken. 
Verfehlt  ist  jedenfalls  die  Yermuthung  Seyffert's  im  Progr.  von 
Kreuznach  184r),  dass  sinus  fani  zu  lesen  sei.  Um  so  wahr- 
scheinlicher ijit  Cap.  31  die  auch  von  Ritter  aufgenommene  Con- 
jectur desselben:  ageret  annus  in  fritmenium.  Die  Worte  Cp.  80: 
atque  oiiine  ignotum  pro  inagnißco  est  werden  von  Hrn.  R.  durch 
Klammern  beseitigt,  während  sie  Or.  und  Döderlein  als  durch  sich 
selbst  klar  mit  Stillschweigen  übergehen.  Nissen  scheint  die 
Stelle  richtig  aufgefasst  zu  haben.  —  Cap.  32  hat  auch  Hr.  R. 
nicht  mit  Döderlein  circum  von  spectantes  getrennt,  worauf  schon 
die  codd.  hinführen.  —  Auch  Cap.  34  hat  derselbe  die  treffliche 
Conjectur  Bezzenberger's,  auf  die  zum  Theil  schon  Heiiiisch, 
Glazer  Progr.  1840.  S  9,  gekommen  war,  keiner  Beachtung  wertli 
gehalten,  obgleich,  weim  man  derselben  folgt,  uovissimi  haesere 
et  edtremo  metu  ac  torpore  dejirere  aciem  liest,  fast  alle  Schwie- 
rigkeiten der  Stelle  gehoben  werden.  Für  die  Schilderung  der 
Schlacht  und  die  Aufhellung  mehrerer  Schwierigkeiten  in  dersel- 
ben ist  von  Or.  wenig  geschehen ;  Hr.  R.  muss ,  wie  fast  immer 
bei  schwierigen  Stellen,  ein  Glossem  annehmen,  indem  er  fugere 
covinarii  einklammert,  dann  mit  grosser  Confidenz  die  turmae 
equitum  iür  römische  Reiterei  erklärt ,  obgleich  Schneider,  Pro- 
gramm von  Coburg  1848,  mit  grosser  Klarheit  nachweist,  dass  es 
nur  die  Caledonische  gewesen  sein  könne,  da  die  Römische 
erst  später  in  das  Gefecht  kommt.  Noch  bedenklicher  ist,  dass 
Hr.  R.  die  covinarii  für  die  pedites,  clientes  aurigarum  hält,  ohne 
einen  Beweis  beizubringen,  dass  also  von  den  Wagenkämpfern  der 
Caledonier  in  der  ganzen  Schilderung  der  Schlacht  nicht  die  Rede 
ist.  Auch  die  Worte  media  canipi  covinaviiis  eques  etc.  hat  Hr. 
R.  nicht  genug  erörtert,  von  deren  Auffassung  die  Erklärung  des 
Folgenden  zum  grossen  Theile  abhängt.     Er  hat  et  zwischen  co- 


40  Lateinisobe  LItteratur. 

vin.  und  cques  entfernt,  aber  dadurch  nicht  bewiesen,  dass  die 
Britamiier  keine  Heiter  geliabt   haben.      Nicht  unwahrscheinlich 
rermuihei 'Schneider  eguesgue.     Weiterhin  schreibt  Hr.  R.:  mi- 
mnieqiie  eqiiestris  iom  png/we  facies   erat^  wonach  man   gegen 
die  ganze  Darstelhing  annelimen  rnüsste,  dass  vorher  ein   Reiter- 
treffen beschrieben  worden    wäre,  während  nur  die  Fusstruppen 
gekämpft  und   die  Reiter  sich  unter  sie  gemischt  hatten.     Schnei- 
der, der  dieses  erkannte,  liest:  iamque  equestris  ea  nunc  pu^nae 
fcicies  eiat^  was  wegen  des  iam  —  7iunc  schon  schwerlich  richtig 
ist.     Eben  so  schwierig  sind  die  Worte:  recentem  ierrorem  intu- 
lerant^  da   es  nicht   mit  Schneider  auf  den  Schrecken,  welchen 
die  römischen  Cohorten  verbreitet  hatten,  bezogen  werden  kann, 
weil,  wenn  hostium  im  folgenden  Satze,  wie  es  kaum  anders  sein 
kann,  auf  die  Caledonier  geht,  im  vorhergehenden  nothwendii:  ein 
anderes  Object  da  sein  niuss      Eher  erwartet  man  einen  Gedanken 
wie:   1  epentinuni    terrorem  (Romanis)  intulerant.     Die   schwie- 
rigen Worte  aegra  diu  mit  stantes  verbessert  Hr.  R. :  e  gradu 
mtt  «/o//^es  und  bezieht  dieses  auf  die  römischen  Cohorten,  die 
Tac.  vorher  als  siegreich  den  Hügel  ersteigend  geschildert  hatte, 
um  dann  die  bedrängte  Lage  der  Caledonier  zu  schildern,  die,  von 
den  Feinden  geworfen,  auch  von  ihren  eigenen  Wagenkämpfern 
in  Verwirrung  gebracht  werden.      Auch  dürften  schon  in  paläo- 
graphischer  Beziehung  andere  Conjecturen   vorzuziehen  sein.  — 
Cap.  37  sieht  man  nicht,   warum  Or.  collecti  vor  primos  gestellt 
hat,  Hr.  R.  liest  nach  seiner  Conjectur:  inde  primos  sequentiiim 
incautos  collecti  et  locorum  gnari^  circumveniehant ;  gnari^  wo- 
für Or.  ignaros  hat,  gewiss  mit  Recht;  aber  inde  ist  wolil  nur  ein 
Flickwort,  und  nicht  unpassend  vermuthet  Halm:  idenlidem. — 
Cap.  41  ist   et  vor  constantiam  wohl   eher  weggefallen,   als  von 
einem  Abschreiber  zugesetzt,  aber  von  beiden  Herausgebern  ent- 
fernt.    Die  Lücke  nacli  eorum  ist  von   Riegler  und  Halm  besser 
auszufüllen    gesucht  worden  als  von   früheren  Kritikern,   die  Hr. 
R.  anführt.  —   Cap.  43  entscheidet  Or.  nicht,  ob  die  Worte:  nihil 
nobis  comperii  etc.  als  unverdorben  zu  betrachten  seien;  Hr.  R. 
hat  ^z/orfre  zugesetzt.     Jedenfalls  ist  etwas  ausgefallen,  und  die 
künstlichen  Erklärungen  der  handschriftlichen  Lesart,  namentlich 
die  von  Schneider  S.  6,  werden  schwerlich  Jemanden   befriedigen. 
Mit  Recht  weist  dieser  dagegen  nach,  dass  Cap.  44:  nam   sicitti 
diuare  in  hac  beatissimi  saeculi  luce  ac  principem   Traianum 
videre  qiiod  augnrio  votisque  apud  nostras  aures  ominabatur^ 
ita  festinatae  mortis  gründe  solutium  tiilit  etc.  im  ersten  Satze 
ein  Gedanke  wie  der  im  cod.  Ursin.,  den  Or.  hier  nicht  einmal 
erwähnt,   zugesetzte,   entweder   gedacht   oder  beigefügt    werden 
müsse.     Wenn  er  aber  zn  solutium  tulit  ergänzen  will  nobis ^  so 
steht   dem   schon   entgegen,  dass   ominabatur   und  tulit  gleiches 
Subject  haben  muss ,  und  dass  im  Folgenden:  tu  vero  felix  —  op- 
portunitate  mortis  gerade  durch  unsere  Stelle  begründet  ist,  die 


I 


OiellJ  u.  Ritter:  C.  Com.  Taciti  opera  etc.  41 

also  bezeichnen  muss,  dass  fi'ir  Agricola  selbst  ein  Trost  bei  sei- 
nem friilien  Tode  stattgefunden  habe.  Hr.  R.  hat  qiiod  in  quou- 
riöm  verwandelt,  wozu,  wenn  der  Hauptgedanke  ergänzt  wird, 
nichts  nötliigt.  —  Cap.  45  ist  Or.  und  R.  mit  Unrecht  von  der 
handschriftlichen  Lesart:  co77z;;/oro^?/s  abgegangen,  die  wenigstens 
um  nichts  schlechter  ist  als  die  Randlesart  des  A.  composilus. 
—  Audi  Cap.  46  ist  schwer  zu  glauben,  dass  admiratione  te  po- 
tiiis  quam  temporalibus  laudibus  den  codd.  näher  stehe  als  po- 
tius  et  immortalibus^  wofür  Hr.  R.  te  immortalibus  setzt,  ob- 
gleich der  Nachdruck  schon  nach  der  Wortstellung  auf  admiratione 
liegt.  Eben  so  wenig  ist  wohl  ein  schlagender  Grund  vorhanden, 
decoremiis  mit  decorabimiis  nach  Hrn.  R.  zu  vertauschen,  da 
jenes  von  dem  handschriftlichen  decoramiis  nicht  weiter  als  dieses 
entfernt  ist  und  in  Rücksicht  auf  den  Gedanken  den  Vorzug  ver- 
dient. Auch  im  Folgenden,  wo  Hr.  R.  faciemque  ac  ßguram 
liest,  während  im  M.  famamque  ac  figiiram  steht,  wird  man  ihm 
schwerlich  beistimmen  können.  Die  Stelle  Ann.  14,  8  muss  ganz 
anders,  als  es  Hr.  R.  annimmt,  verbessert  werden;  dann  ist  faciem 
weniger  angemessen  (s.  Cic.  OfF.  1,  5,  14:  formam  et  ianqnam 
faciem  honesti  vides),  und  formam^  was  bis  jetzt  für  richtig  er- 
kannt wurde,  steht  der  handschr.  Lesart  famam  gewiss  näher  als 
das  von  Hrn.  R.  aufgenommen e/or/e/n. 

Dass  in  dem  Dialogiis  de  oratoribus  der  Codex  des  Perizo- 
nius  die  sicherste  Quelle  des  Textes  sei,  ist  von  beiden  Heraus- 
gebern anerkannt  worden,  nnd  namentlich  hat  Or.  sich  in  dieser 
Schrift  strenger  an  denselben  gehalten,  als  in  den  beiden  vorher- 
gehenden Büchern  an  die  besseren  Handschriften,  während  Hr. 
R.  auch  hier  mancher  Conjectur  etwas  voreilig  eine  Stelle  ira 
Texte  gegeben  hat.  Der  Neapol.  hätte  vielleicht  mehr  Rücksicht 
verdient,  als  ihm  zu  Theil  geworden  ist.  So  ist  Cap.  1  wenigstens 
zweifelhaft,  ob  nicht  cum  besser  fehle,  s.  diese  Jahrbb.  Bd.  33. 
S.  47.  Dass  Or.  bald  darauf  vel  easdem  als  verdorben  bezeichnet, 
nicht  sie,  wie  Hr.  R.,  geradezu  entfernt,  wird  man  nur  billigen 
können.  Eben  so,  dass  er  Cap.  "3  ipsum  quem  beibehalten,  nicht 
wie  Hr.  R.  ipsumque  quem  mit  Haupt  geschrieben  hat,  s.  diese 
Jahrbb.  Bd.  33,  49.  Liv.  2,  46  euntem —  versautem.  Nägels- 
bach Anmerkung  zur  llias  p.  280  ff.  Bald  darauf  ist  nicht  sicher, 
ob  leges  zu  schreiben  und  tu  ohne  Weiteres  zu  entfernen  sei.  — 
Cap,  5  liest  Or.  cognitionibus  e.TCusei ,  scheint  aber  gegen  se 
nichts  als  den  unangenehmen  Klang  geltend  zu  machen.  Hr.  R. 
hat  mit  Recht  se  aufgenommen.  Ueber  die  Worte  opud  vos  ar- 
gnam  gehen  Beide  stillschwelgend  weg,  Hr.  R.  bemerkt  nur,  dass 
vos  Conjectur  sei  statt  eos.  Ref.  verrauthete  apud  te  coarguam. 
Dass  es  Hrn.  R.  bald  darauf  gelungen  sei /erws  statt /er«^  als  noth- 
w endig  darzustellen,  möchten  wir  sehr  bezweifeln,  wenigstens 
ist  semper  eben  so  wenig  Viberflüssig  als  perpetua  vor  potentia. 
—  Cap.  6  schreiben  Beide  quod  gaudium;  in  dem  id^  welches  die 


42  Lateinische  Litteratur.  * 

codd.  haben,  lieget  vielleicht  eine  Verbindungspartikel.  Bald  dar- 
auf lesen  Beide:  veteies  et  senes ^  wo  aber  die  Conjectur  Flaupt's 
Observatt.  critt.  p.  21 :  veleres  et  senalores  Beachtung  verdiente. 

—  Cap.  7  bezeiclinet  Or.  tum  habere^  quod^  si  non  in  alio  orilur 
als  verdorben,  hätte  aber  dann  auch  nicht  abi're  schreiben  sollen. 
Hr.  R.  liest  nach  seiner  Conjectur:  quoci  si  non  i?i  aliquo  orilur^ 
was  wir  für  zu  unbestimmt  und  farblos  halten,  s.  diese  Jahrbb.  33, 
64.  Sillig  vermuthet  nicht  unpassend:  in  numine  aliqiio.  Für 
verdorben  erklärt  Or.  auch  das  folgende:  qui  non  illustres  et  in 
urbe  non  solum ;  Hr.  R.  hat  seine  Conjectur  in  den  Text  gesetzt: 
qui  illustres  et  in  cetero  ofbe  terrariim  et  in  urbe.  Dass  ein  Zu- 
satz nicht  nöthig  sei,  sondern  das  dem  et  in  urbe  entsprechende 
Glied  in  den  Worten:  advenae  quoque  liege,  hat  Ref.  schon  frü- 
her, s.  diese  Jahrbb.  33.  S.51,  nachgewiesen.  —  Cap.  8  ist  für  die 
Erklärung  der  Worte:  nee  hoc  Ulis  alterius  ter  millies  sestertium 
praestat  wenig  geschehen ;  Hr.  R.  hat  eine  Lücke  bezeichnet, 
was  nicht  einmal  nöthig  ist,  wenn  man  der  Erklärung  Nissen's 
Zeitschr.  für  Alterthurasw.  1841.  S.  863  folgt.  —  Cap.  9  hat  Or. 
das  richtige  ulilitates  so  vertheidigt,  dass  es  Hrn.  R.  m()glich 
wird,  seine  Conjectur: //ii7i7ö^e  eos  ahmt  in  Schutz  zu   nehmen. 

—  Cap.  10  schreibt  Hr.  R.:  cui  sali  inserviunt  et  quod  umim  esse 
prelium  laboris  sui  fatentur  ^  aeque  poetas  quam  oratores  sequi- 
iui\  während  P.  und  andere  codd.  serviunt  und  insequitur  haben 
und  Hr.  R.  nur  auf  künstliche  W eise  diese  Umstellung  von  in  er- 
klären kann.  Mit  Recht  dagegen  hat  er,  wie  Fless,  adeptus  auf- 
genommen ,  Or.  die  Conjectur  von  Acidalius  adepturus.  Im  F'ol- 
genden  bezeichnet  Or.  die  Worte:  medilatus  videiis  aut  elegisse 
als  verdorben  und  vermuthet  ut  statt  aut^  was  er  nur  durch  die 
untergeschobene  Bedeutung:  quasi  dedita  opera  vertheidigen 
kann;  Hr.  R.  wie  Nissen  a.  a.  0,  nimmt  die  handschrifll.  Lesart  in 
Schutz,  ohne  die  Schwierigkeit,  welche  durch  die  Trennung  des 
zusammengehörenden:  raeditatus  —  elcgisse  entsteht,  genügend 
zu  beseitigen;  richtiger  schlägt  Halm  etiam  (oder  adeo?)  vor. 
Die  Worte:  kinc  ingefitis  ejc  his  adsensus  bezeichnet  Or.  als  ver- 
dorben; Hr.  R.  hat  unbedenklich  ingentes  clamores  in  den  Text 
aufgenommen,  obgleich  die  Ergänzung  von  consequi  hart,  der  Aus- 
fall des  Wortes  nicht  motivirt  ist.  Ref.  vermuthet  noch  immer, 
dass  eine  Verbalform:  existere  die  Lücke  veranlasst  habe.  Hier- 
auf erklärt  Hr.  R.:  in  quibus  ejcpressis  si  quando  necesse  sit  — 
offendere^  wie  nach  den  codd.  Hess,  Döderl.,  Or.  u.  A.  geschrie- 
ben haben,  für  unlateinisch  und  liest  nach  Lipsius:  expressit  si 
quando^  ohne  über  die  auffallende  Wortstellung  etwas  zu  bemer- 
ken. Die  schwierigen  Worte  Cap.  11:  cum  quidem  in  Neroneni 
improbam  —  Vatinii  potentiam  fregih^htw  in  beiden  Ausgaben 
einen  Excurs  veranlasst.  Or.  sucht  zu  zeigen,  dass  das  bespro- 
chene Schauspiel  nicht  Domitius  Nero  geheissen  haben  könne,  Hr. 
U.  sucht  nicht  allein  dieses  wahrscheinlich  zu  machen,  sondern 


Orelli  u.  Ritter :  C.  Corn.  Taclti  opera  etc.  4 


q 


auch  nachzuweisen,  wie  Vatiniiis  sei  gestürzt  worden,  ohne  jedoch 
hierin  über  Vermutluingen  liinausziikonimen,  da  wir  von  dem  gan- 
zen Stücke  nichts  wissen.  —  Cap,  1*2  hat  Hr.   li.   mit  Recht  iion 
in  strepitu  aufgenommen,  dasselbe  hätte  mit  si  videatur  gesche- 
hen können,  s.  Cap,  18  si  rae  interroges.   —  Cap.   13  ist   Hr.  R. 
auf  die  Coiijectur  VValther's:  omni  adulalione  zurückgekommen, 
nur  sieht  man    nicht   ein,  was  adulatio  omnis   generis    bedeuten 
solle.     Im  Folgenden  bezeichnet  Or.  die  Worte:  quandoque  enim 
faialis  als  verdorben,  Hr.  R.  hat  enim  ausgestossen;  dadurch  aber 
der  Stelle  noch  nicht  aufgeholfen.     Beide  Herren  schreiben  Cap, 
15  statt  antiquis  eo  Credo  nach  Lipsius:  atque  ideo  credo  ^  was 
sich  von  jenem  zu  weit  entfernt.      Ref.  vermuthete:  antiqtiis  si- 
milem ;  noch  einfacher  glaubt  Halm,  prae  sei  vor  antiquis  ausge- 
fallen.   Bald  darauf  haben  Beide  concentu^  wie  auch  Ref.,  s.  a.a.O. 
S.  59,  schon  früher  vermuthete.  —  Cap.  17  verändern  Beide:  et 
qnidem  Caesarem  in  idem  Caesarem ;  vielleicht  ist  aber  is  qiii- 
dem  Caesarem  zu  lesen.     Im  Folgenden  muss,  wie  Halm  gezeigt 
hat,  duravii^  ne  dividaiis  interpungirt  werden.  —  Die  sehr  schwie- 
rige Stelle  Cap.  19:  quem  tisque  ad  Cassiurn  etc.  hat  von  keinem 
der  beiden   Herausgeber  eine  Verbesserung  erhallen.     Or.  folgt 
der  Puteol.;  Hr.  R.  behalt  nach  Brotier:    quem  reuni  fariunt  bei 
und  erklärt  diese  Worte  für  eine  Ironie,  die  hierbei  der  einfachen 
Zeitbestimmung  nicht  an  ihrem  Orte  sein  würde.      Auch  zeigt  er 
nicht,  wie  Severum  in  den  codd.  ausgefallen  sei,  und   überhaupt 
dürfte  dieser  Zusatz,  wenn  man  einmal  den  codd.  folgt,  wenig- 
stens zweifelhaft  erscheinen.     Im  Folgenden  ist  die  Veränderunsr 
von  inserere  in   insereret  nicht  durchaus  nothwendig,  da  auch 
dieses  wegen  des  folgenden  erant  enim  haec  nova  et  incognita  von 
videretur  abhängen  kann.      Die  Stelle  Cap.  19:  ?2ec  unum  de  po- 
piilo  hat  Or.  als  noch  nicht  hergestellt  bezeichnet,  Hr.  R.  schreibt 
nach  seiner  Vermuthung:  nee  unum  de  populo  j  non  Caiiutii  aut 
Aorii  deformitatem  memornbo  ^  quique  alii  —  probant;  gesteht 
jedoch  selbst,  dass  er  dieselbe  nicht  für  sicher  halte,   was  INie- 
mand  bezweifeln  wird,  da  sie  sich  mehr  als  manche  andere  von 
den  codd.  entfernt.     Bald  darauf   bemerkt  Or.  über   die  Worte: 
qiiotus  er/im  quisque  Calvi  in  Aniistium  —  legit  nichts,  während 
sie  Hrn.  R.  so  anstössig  sind ,  dass  er  mit  einigen   früheren  Kriti- 
kern vor  in  eine  Lücke  annimmt   und  interrogationem  ausgefallen 
denkt.     Wahrscheinlich  stände  dann  interrogationem  oder  inter- 
rogationes  nach  in  Drusum,  und  der  Umstand,  dass  sogleich  zwei 
solche  interrogationes  angenommen  werden  müssen,  ist  wenigstens 
nicht   geeignet   die  Vermuthung   zu   empfehlen.      FJine  ähnliche 
Construction  hat  Cic.  Or.  70,  233:  sume  de  Gracchi  apud  Censores 
illud  etc.     Dass  bald  darauf  quid?  ex  Caelianis   zn  schreiben  sei, 
hat  Halm  bemerkt;  schon  Schulz  liest  ähnlich:  quid*?  ex  Caelianis 
orationibus?     Bald  darauf  scheint  Or.  nicht  mit  Recht  sordes  au- 
tem  illae  verborum  für  eine  willkürliche  Interpolation  zu  halten, 


44  Lateinische  Litteratur. 

ila  dieselbe  in  der  Lesart  des  P.  wenigstens  ihren  Grund  hat.  — 
Cap.  '23  schreiben  lieide:  non  iiifirmilate^  sed  ieiunio :  da  aber 
P.  infirraitateque  bietet,  so  ist  vielleicht  inßitnitale  quidem  zu 
schreiben.  —  Cap.  24  ist  von  Hrn.  R.  cur  lantum  —  recesseri- 
itius  hergestellt,  was  an  sich  richtig  ist,  aber  durch  Cap.  82  in 
ianlum  etc.  zweifelhaft  wird.  —  Cap.  25  liest  Ilr.  R. :  si  cum  om- 
iiibus  Jatetur ^  während  P.  coniinus  hat,  was  Or.  nur  als  falsch 
bezeichnet.  Statt  cominus  vermuthete  Ref.  si  in  commune.  — 
Cap.  26  schreibt  Or.  nach  Rhen.:  sed  Inmen  frequeiis  quibusdam 
ej;c/ß7nfl^20,  bezeichnet  jedoch  diese  Worte  zugleich  als  verdor- 
ben; Hr.  R.  hat  seine  Conjectur  ://ey?/e//s  sicut  histrioni  clamor 
et  ejcclamatio  aufgenommen,  so  zweifelliaft  dieselbe  auch  ist,  tfieila 
weil  histriones  sogleich  folgt,  theils  weil  es  sehr  wahrscheinlich 
ist,  dass  in  his  dam  ein  Substantiv  liegt,  das  aber  dadurch,  dass 
der  Abschreiber  auf  exciamatio  abirrte,  verdorben  ist.  Ein  ähn- 
licher Fehler  findet  sich  Cap.  27,  wo  Ref.  schon  friiher,  8.  a.  a. 
0.  S.  66,  minus  iratus^  was  jetzt  auch  Or.  UFid  Döderlein  liest, 
vermuthete,  während  Hr.  R.  das  unwahrscheinliche  non  iiatus 
beibehalten  hat.  Wenn  derselbe  bemerkt,  dass  minus  iratus 
wegen /;/«we  7/ii7/or  nicht  passe,  so  sollte  man  glauben,  dass  der 
Comparativ  einen  ähnlichen  Ausdruck  im  Folgenden  fordere.  Dass 
aber  durch  memoi abas  besser  als  durch  diaisti  die  Lücke  ausge- 
füllt und  die  Härte  der  Stelle  beseiti;jt  werde,  lässt  sich  schwer- 
lich einräumen.  —  Cap.  29  ist  von  Hrn.  R.  mit  Recht  invenies 
hergestellt,  statt  des  von  Or.  beibehaltenen  ijiieneris^  der,  ob- 
gleich er  sehr  oft  iiec  in  ne  verwandelt,  doch  Cap.  29  und  40  nee 
—  quidera  unverändert  lässt.  Eben  so  ist  nicht  abzusehen,  wa- 
rum Or.  31  ipsa^  dann  civilis^  wenn  auch  jenes  in  Klammern,  bei- 
behalten hat.  —  Cap.  81  schreibt  Hr.  R.  nach  der  Randbemer- 
kung im  P.:  Stoicorum  civitatem\  in  dieser  seien  keine  Kedner 
gesucht  worden.  Aber  gerade  dieser  Grund  scheint  das  Unpas- 
sende dieser  Lesart  zu  zeigen,  da  nur  gesagt  werden  kann,  dass 
es  sich  hier  nicht  um  das  Ideal  des  Redners  handele.  Eben  so 
wenig  wird  man  Hrn.  R.  unbedingt  Recht  geben,  wenn  er  bald 
darauf:  grammalicae ^  musicae  et  geometriae  arte  liest;  denn 
wenn  an  einer  Stelle  der  Schrift  die  lateinische  Form  des  Genitivs 
sich  findet,  so  folgt  daraus  noch  nicht,  dass  an  einer  anderen  nicht 
die  damals  gebräuchliche  griechische  Form  in  einem  anderen  Ca- 
sus habe  gebraucht  werden  können,  s.  Walther  zu  d.  St. —  Cap.  82 
N^ird  von  Or.  vis  quoque  quotidiani  sermonis  für  falsch  erklärt, 
und  das  von  ihm  vermuthete  virus  dürfte  schwerlich  die  Schwie- 
rigkeit beseitigen.  Hr.  R.  nimmt,  wie  Hess,  die  handschriftliche 
Lesart  in  Schutz,  ohne  die  von  Döderlein  erhobenen  Bedenken  zu 
entfernen.  Ref.  vermathet,  dass  in  visquoque  ein  zu  actionibus 
gesetztes  Substantiv  liege,  quo  aus  dem  folgenden  Worte  hierher 
gekommen  sei.  Wahrscheinlicher  ist  neque  enim  tantum  arte^ 
wo  im  P.  dum  steht   und  Döderl.   und  Orelli  das  fern  liegende 


Orelli  u.  Ritter:   C.  Com.  Taciti  opera.  45 

dinniaxat  empfehlen.  —  Cap.  34  hält  es  Hr.  R.  für  unumstössh'ch 
gewiss,  dass  mit  Bekker:  ita  iit  allei cationes  quoque  exciperet 
et  iurgiis  interesset  ^  ulque  sie  dixerim  ^  pit^nare  in  proelio  di- 
scerel ;  allein  wenn  es  im  Vorhergehenden  tieisst:  hnnc  sectari, 
)iunc  prosequi  —  Interesse —  adsucscebat,  wo  eben  so  gut  hätte 
stehen  können :  sectabatur  etc ,  wenn  ferner  pugnare  in  proelio 
wesentlich  nichts  anderes  sagt  als  excipere  —  interesse  und  doch 
von  disceret  abhängig  gemacht  wird ,  so  sieht  man  in  der  That 
keinen  Grund,  warum  dieses  nicht  bei  den  eigentlichen  Aus- 
drücken, sondern  nur  bei  dem  bildlichen  soll  geschehen  können. 
Um  so  mehr  war  das  discere  an  seinem  Platze,  als  das  altercatio- 
nes  excipere  und  iurgiis  interesse  nicht  von  Natur  Jedermanns 
Sache  ist,  sondern  erst  gelernt  sein  will.  —  Cap.  37  steht  im  P.: 
num  quo  saepius  steleiil  tamquam  in  acie^  quoque  mnior  ad- 
versa/ius  et  acrior  qui  pugnas  sibi  ipse  desumpserit^  tanto  aliior 
et  excelsior  et  Ulis  nobilitatis  (mit  u  über  i)  —  agit;  Or.  schreibt 
dafür:  quoque  maior  adversarius  et  acriores  pug//as  siOi ipsa  de- 
sumpserit  —  nobitilata —  agit',  Hr.  R.  nacli  seiner  Conjectur: 
quoque  fnaiores  adversarios  acrioresque  pugnas  (eben  so  Rötli- 
cher, der  nur  et  statt  qne  hat)  sibi  ipsa  —  nobilitata  —  ugit.  In 
beiden  Versuchen  werden  so  viele  Veränderungen  der  handschr. 
Lesart  vorgenommen,  dass  sie  nicht  als  wahrscheinlich  können 
betrachtet  werden.  'Sowohl  ipse  ?\s  nobilitatus ^  ferner  adversa- 
rios desurapserit  weist  daraufhin,  dass  Tac.  von  der  Beredtsam- 
keit  zu  den  Rednern  übergegangen  und  vielleicht  zu  schreiben 
ist:  quoque  inciior  adversarius  et  acrior^  quem  in  pugna  sibi  ipse 
desumpserit  tanto  aliior  —  nobilitatus  —  (^^it.  Die  bald  dar- 
auf folgende  Lücke  hat  Hr.  R.  entdeckt,  aber  schwerlich  glück- 
lich ausgefüllt,  wenn  er  lesen  will:  ut  alios  periclitari ^  alias  pe- 
riculis  iactari^  sibi  ut;  da  pericliteri  neben  ))ericuli$  iactari,  in  so 
fern  es  verschiedenen  Subjecten  beigelegt  wird,  wohl  schwerlich 
von  Tac.  möchte  geschrieben  sein.  Die  Worte:  tesdbns  Silen- 
tium patr  onus  Q>?i^.^^  suchen  Beide  zu  verbessern;  Or.  vermu- 
thet  praetor^  Hr.  R.  hat  iwpatiens  in  den  Text  gesetzt;  beide 
Versuche  entfernen  sich  zu  weit  von  den  codd.  Da  im  P.  silen- 
iiumpfonus  steht,  so  vermuthete  Ref.:  importunus  indicit ^  indem 
Hr.  R.  mit  Recht  bemerkt,  dass  auch  dieser  Satz  sich  auf  iudex 
beziehen  müsse.  —  Cap.  40  wird  von  Or.  populi  quoque  et  histiio- 
nes  auribus  utereniur  mit  einem  Kreuze  bezeichnet,  Hr.  R.  hat 
quoque  et  ceterorum  pronis  (wie  Död.)  uterentur  in  den  Text 
genommen,  was  ebenso  weit  von  dem  cod.  sich  entfernt,  als  es 
unglaublich  ist,  dass  Tac.  mit  diesem  unbestimmten  Ausdrucke  die 
Ritter  solle  bezeichnet  haben.  Vielleicht  ist  populi  q.  et  plebis 
pronis  a.  u.  zu  lesen.  Hierauf  schlägt  Or.  vor:  in  Servitute  con- 
tumax ^  will  aber  dieses  auf  die  Plebs,  nicht,  wie  es  der  Zusam- 
menliang  verlangt,  auf  eloquentia  beziehen.  Hr.  R.  findet  in  der 
handschr.  Lesart  den  Sinn:   neque  servire  imperantibus  potest, 


46  Lateinische  Litteratur.  _ 

was  schwerlich  hier,  wo  von  der  Plebs  zur  Zeit  des  Freistaates 
die  Uede  ist,  gesagt  sein  kann.  Aiicl»  im  Folgenden  wird  man 
immer  an  dem  severissima  disriplina  et  seveiissimae  leges  An- 
stoss  nehmen  und  glauben,  das  eine  sei  durcli  das  andere,  wie  so 
olt,  verdorben.  —  Cap.  41,  wo  Or.  nicht  unpassend  sie  id  quoqiie 
vermutliet,  nimmt  Hr.  R.  sie  quoque  in  Schutz,  findet  aber  in 
den  Worten  den  Sinn,  der  mehr  in  der  Conjectur  Bötticher's : 
uunc  quoque  liegt.  Zu  rasch  ist  im  Folgenden  von  Hrn.  R.  quo- 
fuodo  nach  Entfernung  von  inde  geschrieben.  Mit  Recht  verrau- 
thet  Halm,  dass  quomodo  enim  zu  lesen  sei,  eben  so  bald  darauf 
illas  statt  istas.  —  Cap.  42  hat  P.  Messala  cü  antiquariis;  aber 
Beide  entfernen  das  cw,  obgleich  es  wahrscheinlich  ist,  dass  au- 
tem  oder  ein  Attribut  zu  Messala,  etwa  meus^  darin  liege. 

Wir  fugen  nur  noch  wenige  Worte  über  die  Coramentare 
hinzu.  Or.'s  Verfahren  ist  hinreichend  bekannt  und  anerkannt, 
obgleich  er  nicht  ohne  Bitterkeit  dieses  in  Rücksicht  auf  Deutsch- 
land,  s.  S.  VI,  zu  läugnen  scheint.  Er  hat  theils  aus  dem  reichen 
Materiale,  welches  von  Anderen  gesammelt  ist,  mit  zweckmässi- 
ger Auswahl  das  zusammengestellt,  was  für  das  Verständniss  am 
nothwendigsten  war,  theils  selbst  manche  treffliche  Bemerkung 
hinzugefügt,  z.  B.  2,  39  über  die  Quellen  Plutarch's;  2,  71  über 
die  Consuln  des  Jahres  823;  3,  31  über  nomen  atque  imagines; 
4,  70  ala  Singularium;  4,81  statis  diebus;  4,  86  über  Domitian 
11.  a.  Obgleich  der  Commentar  im  Ganzen  den  Charakter  eines 
commentarius  perpetuus  hat,  so  wird  man  doch  nicht  selten  auch 
bei  schwierigeren  Stellen  eine  Bemerkung  vermissen  oder  eine 
nicht  ausreichende  oder  schwankende  finden.  Am  wenigsten 
dürften  die  grammatischen  Erklärungen  genügen,  die  oft  bekannte 
Dinge  berühren,  z.  B.  l,  79  praelongos;  suis  ducibus;  oder  nicht 
genügen,  z.  B.  4,  52  dicitur  mit  dem  acc.  c.  inf.,  s.  Haase  zu  Rei- 
sig; 4,  75  velit  —  mallet;  oder  die  Schwierigkeiten  nicht  entfer- 
nen, z.  B.  Germ.  7  audiri;  ib.  28  conditoris  sui  u.  a.  Weit  aus- 
führlicher und  genauer  werden  die  historischen  und  antiquarischen 
Verhältnisse  erörtert  und  die  Stellen  aus  den  alten  Schriftstellern 
meist  mitgetheilt,  die  zur  Aufklärung  der  besprochenen  Gegen- 
stände und  Thatsachen  beitragen.  Hr.  R.  hat  mehr  Einzelnes 
behandelt,  am  ausführlichsten  die  kritisch  verdächtigen  Stellen, 
an  denen  er  Aenderungen  vorgenommen  hat,  oft  auch  historische 
Verhältnisse  genauer  erklärt;  seltener  den  Sprachgebrauch  des 
Tac  oder  schwierige  Stellen  weitläuftiger  besprochen;  im  Ganzen 
mit  Takt  und  Umsicht,  zuweilen  jedoch  auch  zu  künstlich  und  ge- 
sucht, z.  B.  1.  51,  wo  er  noch  immer  dedecus  in  Schutz  nimmt; 
1,  68,  wo  noscere  arma  bedeuten  soll:  sich  auf  Waff'en  verstehen; 
3,  16,  wo  fugae  ullimus  erklärt  wird:  is  qui  modum  omnem  in  fu- 
giendo  excedit;  3,  4,  wo  er  zu  erweisen  sucht,  dass  cunctatior 
nicht  lateinisch  sei,  s.  Aischefski  z.Liv.  lib.  trices.  p.  XCIV;  2,40, 
wo  er  läugnet,  dass  non  admitiere  quo  minus  gesagt  werden 


Orelli  u.  Ritter:  C.  Com.  Taciti  opera  etc.  47 

dürfe,  da  doch  der  Sinn  der  betreffenden  Steile  sein  Itann:  der 
Feind  werde  nicht  einen  solchen  Fehler    begehen,  dass  er  nicht 
gerüstet  —  die  Zerstreuten  angreifen  sollte,  s.  Cic. Her.4, 12,  17. 
llaase  zu  Reisig  p.  572  u.  a.     Wir  vergleichen  nur  einige  Bemer- 
kungen beider   Herausgeber  in  der  Einleitung  zu  den  Flistorien. 
Hier  1,  1  hält  es  Hr.  R.  für  nöthig,  die  Ausdrucksweise:  initium 
mihi  operis  Serviiis  Galba  —  Pinit/s  consiiles  erunt  zu  erklären, 
die  wohl  jedem  Leser  der  Ausgabe  des  Hrn.  R.  bekannt  sein  muss. 
Rald  darauf  erklärt  Or.  res  poptili  Homani  für  veteris  p.  R.,  wäh- 
rend Andere  richtiger  den  Gegensatz   des  Volkes  und  der  Kaiser 
angedeutet  finden.     INicht  ganz  klar  ist  es,   wie  Hr.  R.  in  diesen 
Worten  eine  genauere  Zeitbestimmung  für  pari  eloquentia  ac  li- 
bertale  finden  will.     Diese  Worte  scheinen   mehr  in  einem   Ver- 
hältniss  der  Folge  mit  dum  —  memorabantur  zu   stehen  und  diese 
den  Grund  zu  enthalten,  s.  Hand  Turs.  II.  p.  310.     Das  Wort  po- 
tentia  haben  Beide  auf  gleiche  Weise,  Hr.  R.  wohl  zu  wortreich, 
erklärt,   da   eine  Verweisung  auf  Walther  oder  Rupert!  genügt 
hätte.     Die  Worte:  veritas  phtribtis  modis  infracla  sucht  Hr.  R. 
zu  künstlich  zu  erläutern:  verbum  infracta  apte  respondet   pluri- 
bus  modis:  modi  enim  proprie  sunt  varietates  vocura  (Melodien) 
etc.,  da  schwerlich  Tac.  an  diese  Bedeutung  gedacht,  sondern  im 
Folgenden  die  verschiedenen   modos  angegeben  hat.     lieber  iji- 
scitia  reipublicoe  hsit  Veiiier  der  Herausgeber  etwas  bemerkt,  s. 
Reisig  Vorlesungen  p.  117  und  Haase  zu  d.   St.     Am  Ende  des 
Cap.  erklärt  Hr.  R.  sect/riorem  ?nateriatn  dahin,  dass  er  hier  we- 
niger von  der  Walirhelt  sich  habe  entfernen   können,  ohne  nach- 
zuweisen, wie  diese  Bedeutung  in   dem  Worte  liegen  könne,  und 
wie  es  sich  dann  mit  der  incorrupta  fides  verhalte,   die  Tac.  auch 
für  die  frühere  Zeit  verspricht.      Die  richtige  Erklärung  scheint 
in  den  folgenden  Worten:  ubi  sentire  quae  velis  etc.  gegeben  zu 
sein.     Das  ungewöhnliche  opijnum  casibus  in  Cap.  2  wird  von  Or. 
nicht  genügend  erläutert,  von  Hrn.  R.   mit  Stillschweigen  über- 
gangen.    Die  Worte:  perdomila  Britannia  et  statim  missa  er- 
klärt Hr.  Rr.:  Britanniam  h.  I.  intelligit  non  modo  eam  quae  pro- 
prie dicitur,  sed  etiam  Caledoniam  ,  und  bemerkt  dann,   dass  nur 
auf  Caledonien  das  missa  d.  h.  mox  omissa  neque  posthac  imperio 
reddita  est  zu  beziehen  sei,  was  zum  wenigsten  nicht  klar  und  be- 
stimmt ausgedrückt  wäre.      Anders   erklärt  Or. :  man  habe  nach 
den  Siegen  Agricola's  keine  Kriege  mehr  mit  den  Britanniern  ge- 
führt, sie  nicht  ganz  überwunden,  und  allerdings  kann  dieses  in 
missa  liegen:  man  verabsäumte  Britannien,  achtete  es  nicht  weiter. 
Die  Verbindung:  haiistae  et  obrutae  urbes  —  ei  urbs  findet  Hr. 
U.  auffallend  und  unzulässig;  schon  durch  die  Schreibung  et  Urbs^ 
s.  Döderl.,  dürfte  das  Auffallende  gemildert  und  die  Gradation 
sichtbarer  werden.      Die   schwierigen   Worte  ageretit  verierent 
ctmcta  hat  Hr.  R.  fast  übergangen,  Or.  erklärt:  quaestus  causa 
odio  in  locupletes  ac  potentes  impuisi  et  propterea  his  terrorem 


48  Lateinische  Litteratur. 

iiiücientes  primum   eos  agebant,  de  tranquillo  statu  deraoveI)aiit 
—  ileinde  eosdeni  vertebant  i.  e.  evcrtebant,  pervertebant;   allein 
die  Beziehung  auf  die  lociipletes  ist  nirgends  angedeutet,  cuncta 
scheint  einen  weiteren  Umfang  der  Thätigkeit  der   Emporkömiii- 
linge   anzuzeigen    und  in   agebant  vertebant  nur  die  Folge  oder 
Umschreibung  der  interior  polestas  zu  liegen:   sie  verrichteten 
Alles,  schlössen  alle  Anderen  von  den  höchsten  Staatsgeschäfien 
aus  und  kehrten  so  Alles,   alle  Verhältnisse  um.     Wie  die  folgen- 
den Worte:  odio  et  terrore  mit  den  vorhergehenden  in  Verbindung 
stehen,  ob  sie  nur  die  Verhältnisse  bezeichnen,  unter  denen  Bei- 
des, das  agere  und  vertere,  stattfindet,  oder  den   Grund  beider 
Thätigkeilen  enthalten,  oder  ob  sie  nach  Döderlein's  Ansicht  in 
chiastischer  Verbindung  mit  den  Verben  stehen,  ist  von  keinem 
der  Herausgeber  genügend  erörtert;  Hr.  R.  übersetzt  nur:  unter 
Hass  und  Schrecken.      Cap.  3  nimmt  Or.  die  Worte:  supremae 
clarorutn  virorum  necessitates  ;  ipsa  necessüas  fortiter  tolerata 
in  Schutz  und  sucht  mit  wenigen  Worten  die  Schwierigkeiten  der 
Stelle  zu  beseitigen,  während  Hr.  R.  mit  Recht  behauptet,  dass 
das,  was  Or.  u.  R.  in  ipsa  nccessitas   suchen,  schon  in  supremae 
necessitates  liege,  wie  dieses  auch  Ann.   15,  61,  einer  Stelle,  die 
Or.  für  sich  anfülirt,der  Fall  ist.     Dass  es  jedoch  zu  kühn  sein 
würde,  die  Worte  ipsa  —  tolerata  geradezu  zu  entfernen,  wurde 
schon  oben  bemerkt.     Am  Ende  des  Capitels  nimmt  Hr.  R.  Tac. 
mit  Recht  in  Schutz  gegen   die  Vorwürfe  von  Lipsius,  indem  er 
zeigt,  dass  die  in  den  Worten:  non    esse  curae  deis  securitatem 
etc.   angedeutete    Strafe    durch   die    Götter   nur    in    Folge  der 
Schlechtigkeit  der  Römer  eintrete.     Or.  hebt  dieses  nicht  hervor. 
Cap.  4  erklärt  Or.  casus  fortuiti:  ^\n^\\\\  quidem  casus,  ut  victo- 
riae,  clades,  raortes,  successiones  principum,  plerumque  fortuiti 
sunt,  neque  ulla  eorum  certa  causa  afferri  potest:  at  vero  totus 
rerura  progressus  alque  universus  vicissitudinum  imperii  tenor  ad 
certam  rationem  causasque  revocari  potest,  was  kaum  in  den  W^or 
ten  liegen  kann,  da  ratio  causaeque  nur  die  Gründe  und  Motive 
bezeichnet,  welche  erkannt  werden  können,  während  die  Erfolge, 
mögen  sie  unglücklich  (casus)  oder  glücklich  (eventus)  sein,  nicht 
von   der  Macht   und  Berechnung   des  Menschen   abhängen;   dass 
dieses  fortuitum  sei,  bemerkt  mit  Recht  Hr.  R.,  obgleich  er  sonst 
den  Gedanken  nicht  klar  ausspricht.    Dass  keiner  der  Herausgeber 
mit  der  Vertheidigung  oder  Widerlegung  des  verdorbenen  laetius 
usurpata  sichbefasst  hat,  wird  man  nur  billigen  köimen.  Unter  juö/s 
popuLi  integra  versteht  Hr.  R.  die  tribus  nach  seiner  schon  früher 
entwickelten  Ansicht,  s.  diese  Jahrbb.  52.  S.  49.     Döderlein,  was 
wohl  auf  dasselbe  hinaus  kommt,  denkt  zu  integra  „opibus  oder 
fortunis'*"  im  Gegensatz  zu  qui  adesis  fortunis,  was  zu  eng  gefasst 
scheint,  da  auch  die  plebs  sordida  dem  populus  in  jenem   Sitnie 
entgegensteht.     Diese  Ansicht  scheint  dem  Zusammenhange  und 
den  Abstufungen,  die  Tac.  sonst  unterscheidet,  angemessener  als 


Orelli  u.  Ritter:  C.  Com.  Taciti  opera  etc.  49 

die  Erklärung  von  Lipsius,  welcher  Or.  gefolgt  ist.  —  Cap.  5 
schwankt  Or.,  ob  er  arte  magis  et  impetu  mit  Roth  für  tv  Öiä 
övolv  oder  nach  Waither  beide  Begriffe  für  sich  nehmen  soll,  was 
schon  durch  die  Wortstellung  empfohlen  zu  werden  scheint.  Eben 
so  stellt  er  die  verschiedenen  Erklärungen  von  agitottir  neben 
einander,  ohne  sich  für  eine  zu  entscheiden.  Hr.  R.  erklärt  agi- 
tatur  für  gleichbedeutend  mit  agitatus  est,  was  wenigstens  in  Rück- 
sicht auf  das  praes.  bist,  nicht  genau  ausgedrückt  ist.  Eben  so  we- 
nig wird  man  Hrn.  R.'s  Ansicht  billigen,  wenn  er  sagt:  ipsi  Galbae 
anceps  haec  vox  erat,  quod  pecuniam  militibus  haud  concessam 
aliis  viis  dissipari  patiebatur,  da  nur  angedeutet  wird,  dass  die 
Weigerung  das  donativum  zu  geben  ihm  Verderben  gebracht  habe. 
Auch  was  er  Cap.  ö  über  die  Worte:  invalidum  senem  —  destrue- 
bant  sagt,  dass  destruere  bildlich  gebraucht  und  von  Gebäuden 
hergenommen  sei,  reicht  nicht  aus,  die  Stelle  zu  erklären;  eben 
so  wenig,  was  Or.  von  Dübner  entlehnt  hat.  Ohne  die  verschie- 
denen Ansichten,  welche  die  Worte  hervorgerufen  haben,  auf- 
zuzählen, mag  nur  bemerkt  werden,  dass  der  Sinn  des  Tac.  zu 
sein  scheine:  sie  verachteten  Galba's  Trägheit,  oder  indem  sie  Gal- 
ba's Trägheit  verachteten,  wussten  sie  es,  nachdem  sie  ihm  (fremde) 
Verbrechen  aufgebürdet  hatten,  dahin  zu  bringen,  dass  er  alles 
Ansehen  verlor.  Bald  darauf  hätten  die  Worte:  ut  dux  Neronis 
—  ^ä!/^^7/am  innocentes  Hrn.  R.  Gelegenheit  gegeben,  seine  An- 
sicht über  ut  und  tanquam  darzulegen,  wie  sie  zu  Cap.  7  ausge 
sprochen  ist,  aber  sich  schwerlich  überall  durchführen  lässt,  was 
er  auch  selbst  anerkeimt,  indem  er  in  Rücksicht  auf  tamquam  Aus- 
nahmen zugiebt,  s.  Cap.  8  tanquam  in  tanta  multitudine;  ib.  et 
raetu  tamquam  alias  partes  favissent  u.  a.,  s.  Reisig  Vorlesungen 
§.  243,  Ausführlich  handelt  er  dann  über  die  legio  prima  (Adiu- 
trix)  und  sucht  die  verschiedenen  Nachrichten  über  dieselbe  zu 
ordnen ,  was  genauer  von  Pfitzner  geschehen  ist.  —  Doch  brechen 
wir  unsere  Bemerkungen  ab,  die  nur  zeigen  sollten,  dass  auch  in 
Rücksicht  auf  die  Erklärung  noch  Manches  zu  wünschen  ist.  Hr. 
R.  ist  sich  in  seinen  Bemerkungen  fast  in  allen  Schriften  gleich 
geblieben;  Or.  hat  Einzelnes  genauer  und  ausführlicher  erläutert, 
z.  B.  den  Theil  des  5.  Buches,  der  von  den  Juden  handelt,  wo  er 
aber,  s.  5,  2,  wenigstens  Rupert!  Unrecht  thut ,  wenn  er  behaup- 
tet, diese  Stelle  sei  bisher  von  den  Interpreten  des  Tac.  vernach- 
lässigt worden,  und  die  Germania,  in  welcher  er  auf  die  neuesten 
historischen  und  ethnographischen  Schriften,  so  wie  auf  die  Unter- 
suchungen über  die  Verfassung  der  Deutschen  in  der  frühesten 
Zeit  mehr  als  Hr.  R.  Rücksicht  genommen  hat.  In  Bezug  auf  den 
Agricola  ist  der  Commentar  von  Nissen  Or.  nicht  zugänglich  ge- 
wesen und  von  Hrn.  R.  nicht  beachtet  worden.  Einen  Mangel 
haben  beide  Commentare  mit  einander  gemein,  dass  sie  nämlich 
auf  die  Coraposition  und  die  eigenthümliche  Darstellung  des  Tac. 
äusserst  selten  aufmerksam   machen.     Je  mehr  von  der  Meister- 

A.  Jahrb.  f.  Phil,  u.  Päd.   od.  Krit.  Bibl.  Dd,  LVIII.  Hft,  I.  4 


50  Lateinische  Litteratur. 

Schaft  des  Tac.  in  der  historischen  Kunst  geredet  und  je  höher 
sie  raft  Recht  gestellt  wird,  um  so  mehr  muss  es  die  Aufgabe  des 
gewissenhaften  Auslegers  sein ,  über  dein  Einzelnen  diese  höhe- 
ren Gesichtspunkte  nicht  ans  dem  Auge  zu  verlieren.  Gerade  die 
Historien ,  so  weit  sie  uns  erhalten  sind ,  bieten  in  dieser  Bezie- 
liung  reichen  Stoff  dar,  indem  hier  Tac,  nicht  genöthigt,  einzelne, 
abgerissene  Ereignisse  einzuschieben,  grosse  Gemälde  römischer 
und  fremder  Angelegenheiten  entwirft  und  kunstvoll  zu  einem 
schönen  Ganzen  verbindet.  In  Rücksicht  auf  den  Ausdruck  weist 
Or.  zuweilen  auf  das  Mannigfaltige  desselben,  auf  die  Nachahmung 
des  Virgil  hin ,  aber  tiefer  gehende  Bemerkungen  wie  zu  1,  3 : 
noii  autem  oblivisci  per  totam  hanc  Historiarum  curam  libentius 
etiam  Tacitum  rhetoricis  coloribus  uti,  quam  in  annalibus  prove- 
ctiore  iam  aetate  compositis,  stehen  sehr  vereinzelt  und  werden 
nicht  weiter  verfolgt.  Eben  so  steht  es  in  dem  Comraentare  des 
Hrn.  R.,  der  z.  B.  zu  4,  42  bemerkt:  in  scriptis  recentioribus  (7) 
saepius  Ciceronem  Tacitus  imitatur,  in  Annalibus  non  perinde; 
dass  er  sehr  kunstreich  die  Gegensätze  geordnet  habe,  s.  1,21;  er 
zeigt  hier  und  da,  s.  1,  29 ;  13ö,  das  Angemessene  der  Reden,  aber 
ohne  Consequenz  und  bestimmten  Plan.  Vieles  dahin  Gehörige 
wurde  früher  in  dem  besonders  von  Ruperti  sehr  erweiterten  index 
Latinitatis  berührt;  aber  beide  Herausgeber  haben  diese  Zugabe, 
lind  mit  Recht,  entfernt,  da  sie,  wie  Hr.  R.  IV.  p.  XIX  bemerkt, 
doch  nicht  ausreicht  und  durch  ein  besonderes  lexicon  Tacit.  er- 
setzt werden  muss.  Den  index  rerum  oder  historicus  haben  Beide 
beibehalten  und  Or.  denselben  noch  bereichert,  Hr.  R.  Manches 
entfernt,  was  nicht  unmittelbar  für  die  Geschichte  von  Bedeutung 
ist.  Manches  der  Art  jedoch  auch  beibehalten  und  die  Nachwei- 
sung bei  einzelnen  Artikeln  genauer  gegeben.  Den  Beschluss 
macht  bei  ihm  ein  index  annotationis,  in  dem  alle  Punkte,  die  in 
den  Anmerkungen  besprochen  sind,  angeführt  werden.  Bei  Or. 
fehlt  ein  solcher  Index,  dagegen  ist  zu  bemerken,  dass  über 
schwierige  Punkte,  besonders  im  5.  Buche  der  Historien,  Excnrse 
beigegeben  sind ,  in  welchen  theils  fremde  Ansichten  mitgetheilt, 
theils  vom  Herausgeber  die  seinigen  ausführlicher  begründet 
werden. 

Eisenach.  W,  Weissenborn. 


Cornelius  Nepos.      Erklärt  von  Dr.  Karl  Nipperdey.      Leipzig,  Weid- 
mann'sche  Buchhandlung.      XXXVIII  und  198  S. 

Vorliegende  Ausgabe  des  Cornelius  Nepos  gehört  zu  der 
Sammlung  von  Ausgaben  griechischer  und  lateinischer  Schriftstel- 
ler, die  von  Haupt  und  Sauppe  unternommen  und  bereits  in  rüsti- 
gen Fortschreiten  begriffen  ist.     Mit  Zweck  und  Plan  dieser  Aus- 


Nipperdey  :  Cornelius  Nepos.  51 

gaben,  den  wir  als  durch  die  überall  verbreitete  „Ankündigung" 
hinlänglich  bekannt  voraussetzen  dürfen,  erklärt  sich  der  Unter- 
zeichnete gewiss  mit  der  Mehrzahl  der  Schulmänner,  die  die  ge- 
genwärtigen Bedürfnisse  der  Schule  gehörig  würdigen,  im  Ganzen 
einverstanden,  und  er  wendet  sich  daher  sogleich  zur  Beantwor- 
tung der  Frage,  wie  weit  Hr.  Nipperdey  jenem  Plane  entsprochen 
und  den  Anforderungen,  wie  sie  an  eine  praktische  Schulausgabe 
gestellt  werden  müssen,  genügt  hat.  —  Hier  ist  nun  sogleich  die 
Bemerkung  zu  machen,  dass,  während  in  der  „Ankündigung'*'"  als 
„einziges  Ziel'*''  des  Unternehmens  ,,das  unmittelbare  Verständ- 
niss  des  Schriftstellers^''  —  und  zwar,  wie  aus  dem  Zusammen- 
hange erhellt,  nur  für  Schüler  —  angegeben  wird,  der  Heraus- 
geber des  Nepos  jenes  Ziel  dahin  erweitert,  dass  er  seine  Arbeit 
nicht  blos  für  „die  Schüler  der  untersten  Gymnasialclassen^'  be- 
stimmte, sondern  auch  für  ,, Freunde  des  classischen  Alterthums, 
welche  nicht  Philologen  sind."*  Es  ist  allgemein  anerkannt,  dass 
das  Unzweckmässige  und  Unzureichende  vieler  Schulausgaben 
seinen  Grund  darin  hat,  dass  die  Herausgeber  bei  ihrer  Arbeit 
mehrere  Zwecke  zugleich  verfolgten.  Man  begnügte  sich  nicht, 
dem  Schüler  „das  zum  jedesmaligen  Verständniss  Nolhwendige**' 
zu  bieten,  sondern  man  wollte  auch  für  den  ,, Gelehrten",  oft  auch 
noch  für  den  „Freund  der  Classiker"  das  Erwünschte  hinzufügen. 
Eine  so  complicirte  Aufgabe  konnte  nur  selten  glücklich  gelöst 
werden,  und  im  glücklichsten  Falle  musste  ihre  Lösung  den  Schü- 
ler, auf  den  es  doch  vor  Allen  abgesehen  war,  mit  einer  Masse 
von  Notizen  überschütten ,  die  er  weder  verstehen  noch  verarbei- 
ten konnte.  Meistens  aber  war  in  solchen  Ausgaben  weder  der 
Nutzen  des  Schülers,  noch  das  Interesse  des  Gelehrten  oder  ir- 
gend einer  anderen  Kategorie  von  Lesern  gehörig  wahrgenom- 
men. Hat  nun  Hr.  N.  den  ursprünglichen  Plan  der  „Sammlung" 
verlassen  und  ist  er  über  das  Bedürfniss  des  Schülers  hinausge- 
gangen, so  konnte  es  nicht  wohl  ausbleiben,  dass  auch  seine  Aus- 
gabe einer  der  eben  geschilderten  Mängel  treffen  musste.  Wenn 
hier  vom  Bedürfniss  des  Schülers  die  Rede  ist,  so  versteht  es  sich 
von  selbst,  dass  nur  die  Schüler  gemeint  sein  können,  die  den 
Nepos  in  der  Regel  lesen.  Was  bedarf  nun  aber  der  Quartaner, 
wenn  er  diesen  Schriftsteller  zuerst  in  die  Hand  nimmt?  Ge- 
wiss etwas  ganz  anderes,  als  ihm  zum  grössten  Theile  durch  die 
Ausgabe  des  Hrn.  N.  geboten  wird.  Dies  wird  sich  aus  Folgen- 
dem ergeben. 

Voraus  geht  eine  Einleitung  von  XXVIII  Seiten,  in  der  aus- 
führlich gehandelt  wird  von  dem  Leben  des  Autors,  von  seinem 
Umgange,  namentlich  mit  dem  Atticus,  von  seiner  Bildung,  sei- 
nem Charakter  und  seiner  schriftstellerischen  Thätigkeit.  Die 
Werke  werden  aufgezählt  und  ihr  erwiesener  oder  vermuthlicher 
Inhalt  wird  angegeben.  Mit  besonderer  Ausführlichkeit  wird  das 
Buch  besprochen,  dem  das  uns  noch  gebliebene  als  Theil  ange- 

4* 


52  Lateinische  Litteratur. 

hörte,  das  Werk  de  viris  illustribus.  Dann  folgt  die  Angabe  der 
Quellen  ,  aus  denen  Nepos  schöpfte  oder  schöpfen  konnte.  Thu- 
cydides,  Xenophon,  Plato,  Aeschines,  Ephorus,  Theopompus, 
Dinon,  Timaeus,  Neanthes,  Sosilus,  Sllenus,  Polybius  werden 
ihrem  VVerihe  nach  charakterisirt,  worauf  dann  eine  Beurtheilung 
gegeben  wird,  wie  Nepos  diese  Quellen  benutzt  hat,  wie  weit  er 
in  sittlicher  und  künstlerischer  Hinsicht  und  überhaupt  als  Histo- 
riker Anspruch  auf  Bedeutsamkeit  zu  machen  hat  und  wie  sein 
Stil  beschaffen  ist.  Die  letzte  und  verhältnissmässig  kürzeste 
Stelle  findet  die  Frage  über  Aemilius  Probus  und  über  sein  und 
des  Nepos  Verhältniss  zu  den  Vitae.  —  Diese  Prolegomena  sind 
in  einer  klaren ,  guten  Form  geschrieben ,  und  man  findet  hier  die 
Resultate  wissenschaftlicher  Forschungen.  Es  leuchtet  aber  tou 
selbst  ein,  dass  sie  für  den  Schüler  nur  in  sofern  einen  Nutzen 
haben ,  als  er  —  was  freilich  nur  sehr  ausnahmsweise  geschehen 
mag  —  in  den  oberen  Classen  zum  Nepos  zurückkehren  sollte.  — 
Kommen  wir  nun  zu  den  Anmerkungen,  so  gilt  von  einem  grossen 
Theile  derselben  dasselbe,  was  von  der  Einleitung  zu  sagen  war. 
Die  Bemerkungen  zu  dem  Miltiades  und  den  folgenden  Feldherrn 
zielen  in  grosser  Mehrzahl  dahin,  den  Leser  zu  belehren,  dass 
Nepos  „Falsches"  oder  ,, Ungenaues""  berichte,  und  es  herrscht 
dieser  Zweck  so  überwiegend  vor,  dass,  weit  abweichend  von  der 
Bestimmung  der  ,,Ankündigung'"',  dass  ,, Alles  in  gedrängter  Kürze 
gegeben  werden  soll,  um  das  äussere  Verhältniss  festhalten  zu 
können,  dass  die  Noten  nicht  mehr  als  den  vierten  Theil  jeder 
Seite  einnehmen*^',  hier  sehr  oft  das  umgekehrte  Verhältniss  statt- 
findet ,  indem  nur  der  vierte  Theil  oder  wenigstens  überall  weni- 
ger als  die  Hälfte  der  Seite  für  den  Text  geblieben  ist,  den  übri- 
gen Raum  aber  der  den  Nepos  berichtigende  Commentar  einge- 
nommen hat  Zu  Milt.  cap.  1.  §.  1  wird  zunächst  ausgeführt,  dass 
Nepos  den  Milt.  Cimons  Sohn  mit  seinem  Oheim  Milt.  Sohn  des 
Cypselus  verwechselt,  und  dann  die  Veranlassung  zur  Absendung 
der  Colonie  nach  dem  Chersones  von  Herodot  (VI.  34)  und  den 
übrigen  Berichten,  die  wir  darüber  haben,  sehr  abweichend  er- 
zählt. Auf  der  nächsten  Seite  wird  zu  §.  4  erzählt,  wie  Herodot 
das  hier  über  Lemnus  Berichtete  ganz  anders  darstelle.  Auf  der- 
selben Seite  wird  zu  cap.  2.  §.  1  —  4  wieder  ein Itrthura  des  Nepos 
ausführlich  besprochen.  Er  verwechselt  auch  hier  3Iilt.  den 
Oheim  mit  dem  Neffen,  und  die  Besitzer  des  Chersones  waren 
nach  Herodot  nicht  die  barbari ,  sondern  die  Apsinthier;  auch 
habe  Milt.  die  Alleinherrschaft  nicht  blos  mit  Zustimmung  der 
Athenischen  Colonisten  ,  sondern  auch  mit  der  der  Dolonker  inne 
gehabt.  Nachdem  Milt.  die  Apsinthier  vom  Chersones  durch  die 
Befestigung  des  nördlichen  Theiles  desselben  ausgeschlossen 
hatte,  habe  er  Krieg  mit  den  Lampsakencrn  geführt,  welche  ihn 
gefangen  nahmen,  aber  auf  des  Croesus  Verlangen  frei  gaben 
u.  8.  w.  —   Von  Diensten,  welche  Milt.  den  Athenern  (nach  §.  3) 


Nipperdey:  Cornelius  Nepos.  53 

erwiesen  j  sei  anderswo  Nichts   bekannt;   vielleicht  sei  hier  eine 
wirkliche,  auf  den  Sohn  Cinions  bezügliche  Notiz  unter  die  fälsch- 
lich auf  ihn  bezogenen  Nachrichten  gerathen  u.  s.  w.  —    Auf  der 
nächsten  Seite  folgt  zu  den  Worten   Lemnum  revertitur  et  ex 
pacto  postulat  eine  lange  Anmerkung  über  das  Abweichendein  der 
Erzählung  von  der  Besitznahme  der  Insel  Lemnus  bei  Herodot  und 
Diodor.      Ausserdem   auf  derselben   Seite  Nepos  viermal  wegen 
falscher  Angaben  berichtigt.      Auf  der  folgenden  Seite   wird  zu 
cap.  3.  §.  6  bemerkt:  Milt.  verliess  nicht  damals  den  Chersones, 
vielmehr  war  er  mit  einer  Unterbrechung  (als  er  vor  den  in  den 
Chersones  einfallenden  Scythen  fliehen  musste,  Herodot  \1.  40) 
bis  nach  Unterdrückung  des  Aufstandes  der  asiatischen  Griechen 
als  Herrscher  daselbst.     Erst  Ol.  71,  4  =:  493,  als  die  persische 
Flotte  nach  dem  Hellespont  kam,  floh  er  nach  Athen  (Herod.  VI. 
34.  40.  VlI.  10).     Ebenda  heisst  es  zu   den  Worten:  cum  amici- 
cior:  Dass  der  Herrschaft  des  Milt.  keine  Gefahr  durch  den  Un- 
tergang des  Darius  drohte,  zeigt  der  Umstand,  dass,  als  er  später 
von  den  Scythen  vertrieben  war,  ihn  die  Dolonker  selbst  zurück- 
führten (Herodot  VI.  40).     Im  Gegentheil  durfte  er  dadurch  Be- 
freiung von   der  persischen   Oberhoheit    hoffen.   —    Auf   diese 
Weise  wird  Nepos  in  dieser  und  den  folgenden  Biographien  auf 
jeder  Seite  in  der  Regel  mehrere  Mal  als  „falsch'',  „ungenau'^ 
oder  „abweichend*'  von  andern  Schriftstellern  corrigirt.      Wenn 
Rec.  über  diese  Art  und  Weise,  den  Schriftsteller  in  allen  den 
Punkten,  die  unrichtig  zu  sein  scheinen  oder  auch  als  entschieden 
unrichtig  erwiesen  sind ,  in  den  Anmerkungen  zu  widerlegen  und 
zu  berichtigen,  seinUrtheil  ausspricht,  so  ist  zu  bcvorworten,  dass 
er  sich  dabei  nur  auf  den  pädagogischen  Standpunkt  stellt,  da  es 
ihm  darauf  ankommt ,  den  Werth  zu  ermitteln,  den  vorliegende 
Ausgabe  für  die  Schule  haben  kann.     Die  Ausgabe  soll  vor  Allem 
dem  Schüler  dienen,  d.  h.  Knaben,  die  zuerst  in  die  Leetüre  eines 
zusammenhängenden    Schriftstellers    eingeführt    werden    sollen. 
Nimmt  er  den  Nepos  zuerst   zur  Hand,  so  hat  er  mit  dem  Ver- 
ständniss  der  Form  so  viel  zu  thun,  da^^s  er  schwerlich   die  Zeit 
und  die  Kraft  übrig  behält,  von  solcher  Masse  historischer  Anmer- 
kungen Gebrauch  zu  machen.     Ist  er  aber  weiter  vorgerückt,  so 
dass  er  den  Text  mit  einiger  Fertigkeit  liest,  dann  müssen  diese 
fortlaufenden   Berichtigungen   des  Autors  auf  ihn   den  Eindruck 
machen,  als  sei  es  nicht  der  Mühe  werth,  einen  Schriftsteller  zu 
lesen,   der  so  viel  „Falsches'"'',  Irrthümliches"  und  „Ungenaues" 
berichte.     Nepos  muss  in  seinen  Augen  in  demsieiben  Grade  an 
Autorität  verlieren,  als  ihm  die  beredte  Widerlegung  des  Com- 
mentars  imponiren  wird.     Was  war  nun  zu  thun*?    Sollte  der  Her- 
ausgeber die  unrichtigen  Angaben  des  Nepos  unberücksichtigt  las- 
sen,  auf  die   Gefahr   hin,   dass  der  Schüler  seinem  Gedä'chtniss 
Falsches  einpräge*?     Hrn.  N.  erscheint  diese  Gefahr  um  so  grös- 
ser, als  „die  ersten  Eindrücke  von  solcher  Stärke  und  Dauer  sind, 


54  Lateinische  Litteratnr. 

dass  ilie  Kenntniss  und  Anschauung,  welche  man  durch  die  erste 
Lectüre  in  der  Schule  empfängt,  sich  mehr  oder  weniger  im  gan- 
zen Lehen  erhält  und  selbst  nicht  durch  die  spätere  Erkenntniss 
der  Wahrheit  ganz  vertilgt  werden  kann."  Um  diesen  Satz  und 
die  sich  daran  knVipfcnde  licliauptung,  dass  „Viele,  welche 
sich  später  genau  mit  dem  Studium  der  alten  Gcschiclite  be- 
schäftigt haben,  sich  dennoch  auf  3Ieinungen  und  Ansichten  er- 
tappen ,  welche  sie  allein  dem  Nepos  verdanken''*,  zu  erweisen, 
fdhrt  Hr.  IN.  als  Beispiel  an,  dass  die  Schlacht  bei  Zama  nur  nach 
^epos  so  benannt  werde,  während  alle  anderen  Schriftsteller  und 
unter  ihnen  Polybins  berichten,  dass  sie  bei  Noragarra  geschlagen 
wurde.  Hr.  N.  erklärt  diesen  Punkt  selbst  für  unbedeutend  und 
meint  auch,  INoragarra  könne  von  Zama  nicht  weit  entfernt  gewe- 
sen sein;  und  doch  fiihrt  er  fiir  seine  Behauptung  kein  gewichti- 
geres Beispiel  an!  Ref.  ist  der  Ansicht,  dass  derjenige,  der  sich 
später  mit  Geschichte  eindringlich  beschäftigt,  etwaige  Irrthümer, 
die  er  aus  Nepos  gesogen  und  im  Gedächtniss  behalten  hat,  leicht 
beseitigt,  und  dass  der  Vortrag  über  alte  Geschichte  schon  inner- 
lialb  des  Gymnasiums  falsche  Ansichten,  die  von  Quarta  her  hän- 
gen geblieben  sein  sollten  —  wie  das  die  bisherige  Erfahrung  ge- 
wiss bestätigt  —  zu  heben  vollständig  geeignet  ist.  Sollte  dies 
aber  auch  nicht  durchgängig  der  Fall  sein,  so  kann  dieser  Um- 
stand doch  keines  Falls  dazu  berechtigen,  den  etwa  zwölfjährigen 
Knaben,  der  fi'ir  seinen  Standpunkt  viel  wichtigere  Dinge  zu  ler- 
nen hat,  ausführlich  darüber  belehren  zu  wollen,  dass  nach  He- 
rodot  die  Dolonker,  ein  thrazisches  Volk,  das  den  Chersones 
besass,  von  einem  andern  thrazischen  Volke,  den  Apsinthiern, 
bedrängt,  ihre  Könige  nach  Delphi  sandten,  um  das  Orakel  wegen 
des  Krieges  zu  befragen  u.  s,  w.  Ebenso  scheint  es  für  einen 
Quartaner  unwesentlich,  auseinander  zu  setzen,  dass,  was  Milt. 
1,  4  von  den  Lemniern  erzählt  wird,  nach  Hcrodot  lange  vor  Milt. 
dem  .Leitern  und  dem  Jüngern  geschah.  Dasselbe  gilt  von  allem 
anderen,  was  über  die  Geschichte  des  Chersones  und  dann  von 
Lemnus  aus  llerodot  berichtigend  beigebracht  wird.  Auch  die 
Differenz,  die  zwischen  Nepos  und  Herodot  in  der  Erzählung  der 
Schlacht  bei  Marathon  herrscht  —  nach  Ersterem  bewos;  Milt. 
die  Athener,  die  unschlüssig  waren,  ob  sie  sich  innerhalb  der 
Mauern  verlheidigen,  oder  dem  Feinde  entgegen  gehen  sollten, 
zu  dem  letzteren;  nach  Herodot  gingen  sie  den  Persern  sogleich 
entgegen,  und,  da  nun  unter  den  Feldherrn  Meinungsverschieden- 
heit war,  ob  sie  angreifen  sollten  oder  nicht,  so  rieth  Milt.  zum 
Angriff —  ist  wohl  nicht  wichtig  genug,  um  den  Schüler  an  seinem 
Autor  als  ,, ungenauem'^  Erzähler  irre  zu  machen.  Dasselbe  lässt 
sich  darüber  sagen,  dass  Nepos  Milt.  5,  3  den  Ort,  wo  die  Athe- 
ner lagerten,  am  Fusse  von  bewaldeten  Bergen,  mit  dem  eigent- 
lichen Kampfplatze,  der  marathonischen  Ebene,  wie  aus  Herodot 
VI.  221  und  Justin.  11.  9,  11  hervorgeht,  verwechselt  zu  haben 


Nipperdey:  Cornelius  Nepos,  5t$ 

scheint.     Iii  der  Regel  wird  man  zufrieden  sein,  wenn  der  Scliii- 
1er,  nachdem  er  den  Miltiades  #jeiesen,   erzählen  kann,  wie  Milt. 
den  ersten  Grund   zu  seinem  Uuhme  durch  seine  Herrschaft  im 
Chersones  und  die  Eroberung  von  Lemnus  gelegt  habe,  wie  er, 
während  Darius  gegen  die  Sc^then  zog,  auf  dessen  Vernichtung 
bedacht  war,  dann  die  Schlacht  bei  Maralhon  mit  ihren  Haupt- 
umständen,  wie  ihn  die  Athener  dafiir  belohnten,   die  Belagerung 
von  Parus  und  ihren  unglücklichen  Ausgang;  endlich  den  Prozess, 
die  Verurtheilung  und  den  Tod  des  Milt.     Passend  mag  es  sein, 
entschiedene  Irrthümer,  wie  die  Verwechselung  des  älteren  mit 
dem  jüngeren  Milt.,  zu  berichtigen,  und  recht  anregend,  Einzelnes, 
wie  die  Einnahme  von  Lemnus,  die  Schlacht  bei  Marathon  und 
die  Belagerung  von  Parus ,  durch  Benutzung  anderer  Quellen  etwas 
weiter  auszuführen,  so  weit  es  dazu  dienen  kann,  dem  nach  con- 
creter  Anschauung  verlangenden  Knaben   zu  Hülfe  zu  kommen, 
um  sich  dann  von  geweckteren  Schülern  darüber  eiu  Referat  geben 
zu  lassen;  doch  bedarf  es  dazu  sicherlich  nicht  einer  so  massen* 
liaften  Anhäufung  von  historischen  Auseinandersetzungen  und  einer 
den  Autor  in  den  Augen  des  Schülers  nothwendig  herabsetzenden 
Kritik.     Dergleichen  Vorwürfe  hat  der  Herausgeber  vorausgese- 
sehen  und  er  giebt  daher  den  Rath,  für  den  Anfang  zunächst  die- 
jenigen Lebensbeschreibungen  auszuwählen,  „welche  die  wenig- 
sten historischen  Anmerkungen  nöthig  gemacht  haben,"     Für  den 
Anfang  empfiehlt  er  besonders  Datames,  dann  sollen  Epaminondas, 
Alcibiades,  Dion,  Agesilaus  und  Eumenes  folgen,  zuletzt  Atticus. 
,,Die  ersten  Lebensbeschreibungen,  fügt  er  hinzu,  und  den   Han- 
iiibal  wird  man  gut  thun  in  der  Schule  gar  nicht  zu  lesen,  indem 
sie  über  die  bedeutendsten  Perioden  der  alten  Geschichte  falsche 
Ansichten  zu  erzeugen  geeignet  sind  und  die  Masse  der  für  sie 
vorliegenden    Quellen    den    historischen   Anmerkungen  einen   so 
grossen  Umfang  gegeben  haben.''     Wollte  man  dieser  Anleitung 
folgen,  so  würden  also  gerade  die  Biographien  ,  in  denen  die  gros- 
sen Freiheitsschlachten  bei  Marathon ,  Salamis  und  Plataeae  er- 
zählt werden,  ungelesen  bleiben.     War  es  nun  aber  nöthig,  die 
ersten  VI  Fcldherrn  und  den  Hannibal  durch  einen  solchen  Com- 
mentar  unlesbar  zu  machen*?     Ref.  muss  dies,  wie  er  das  Bedürf- 
niss  und  den  intellectuellen   Standpunkt  der  den  Nepos  lesenden 
Knaben  aus  Erfahrung  kennt,  entschieden  verneinen.     Ueber  den 
Miltiades  ist  bereits  gesprochen  und  mit  den  folgenden  Lebens- 
beschreibungen verliält  es  sich  nicht  anders.      Nehmen  wir  noch 
den  Themistocies,  so  finden  wir  die  erste  längere  Note  zu  d.  W. 
exheredatus  est  (1,  2),  in  welcher  von  der  Enterbung,  wie  sie 
nach  attiscliem  und  nach  römischem  Recht  stattfinden  konnte,  die 
Redeist.     Hier  wird  citirt :  Sen.  contr.  1.  p    127  Bip.    luncus  b. 
Stob.  117,  9.    Val.  Max.  VI.  9  ext.  2.    Aelian.  var.  hist.  II.  12. 
Liban.  IV.  374 — 401  Reisk.      Zuletzt  wird  gesagt,  eine  Enter- 
bung, wie  sie  nach  attischem  Rechte  geschehen  konnte  {dnoKrj- 


56  Lateinische  Litteratur, 

Qv^ig)  5  werde  Ton  Plutarch.  Them.  2  mit  Recht  für  erdichtet  er- 
klärt Wozu  dies  für  einen  Quartaner,  zumal  in  einer  Fraj2:e,  die 
auf  das  alleinige  Zeugniss  des  Plutarch  Iiin  doch  nicht  entschieden 
zum  Nachtheil  des  Nepos  erledigt  werden  kann?  —  Einen  ent- 
schiedenen Irrtluira  enthält  der  Anfang  von  cap.  2.  Hr.  N.  be- 
merkt, die  Athener  hätten  keinen  Krieg  mit  den  Corcyräern  und 
den  Seeräubern  geführt,  sondern  mit  den  Aegineten.  Zum  Be- 
hufe  dieses  Kriegs  hätte  sie  Them.  beredet,  Schiffe  zu  bauen; 
auch  sei  nirgends  überliefert,  dass  er  damalsStrateg (praetor)  war 
wohl  aber  sei  es  wahrscheinlich,  dass  er  es  als  Archont  (Ol.  74, 
3  =  482)  oder  vielleicht  einige  Zeit  vorher  that  ii.  s.  w.  Zuletzt 
lieisst  es:  Diese  (die  Worte  des  §.3)  zeigen  vielmehr,  dassN.  das, 
was  Thuc.  I.  33  aus  viel  früherer  Zeit  von  den  Corinthern  erzähle, 
irrthümlich  auf  die  Athener  bezogen  hat  (es  folgen  die  Worte  aus 
Thuc).  Für  einen  Primaner  würden  diese  belehrenden  Worte 
recht  nützlich  sein;  der  Quartaner  wird  keinen  rechten  Gebrauch 
davon  machen  können.  Ihn  mache  man  nur  kurz  darauf  aufmerk- 
sam, dass  hier  wahrscheinlich  eine  Verwechselung  vorliege,  und 
bei  der  Repetition  des  Inhaltes  verlange  man  nur  die  Thatsache: 
Them.  war  der  Gründer  von  der  Grösse  der  athenischen  See- 
macht. ^ —  Dass  §2  durch  den  Ausdruck  largitione  magistratuum  die 
Sache  nicht  passend  bezeichnet  ist,  ist  unerheblich,  und  dass  die  Ver- 
theilung  der  Gelder  einegesetzliche  war,  ist  kurz  anzudeuten,  wie  es 
auch  von  Hrn.  N.  geschehen  ist,  nur  wird  die  Bemerkung  ohne 
Noth  mit  einem  corrigirenden  „Vielmehr*"'  eingeleitet.  —  Zu  §.  7 
wird  erörtert,  dass  ausser  Herodot  alle  übrigen  Schriftsteller  mit 
Nepos  nicht  erzählen,  dass  des  Them.  richtige  Deutnng  des  Ora- 
kels: „O  göttliche  Salamis,  du  wirst  Kinder  der  Weiber  verder- 
ben'', zur  Seeschlacht  überredet  habe.  —  Zu  §,  8  wird  bemerkt, 
die  Athener  hätten  nicht  jetzt  erst  noch  100  Schiffe  bauen  kön- 
nen, sie  hätten  vielmehr  die  an  200  noch  fehlenden  jetzt  gebaut; 
das  von  den  Worten  suaque  omnia  bis  relinquunt  Erzählte  sei  erst 
nach  dem,  was  in  cap.  3  berichtet  wird,  geschehen;  übrigens  sei 
ausser  Salamis  und  Trözen  auch  Aegina  zu  erwähnen  gewesen; 
Priester  wären  nicht  zurückgeblieben;  den  übrigen,  armen  Leuten 
und  Schatzmeistern  der  Athene  sei  die  Burg  nicht  übergeben,  son- 
dern sie  wären  aus  Altersschwäche  zurückgeblieben  u.  s.  w.  — 
Zu  cap.  3,  §.  1:  Weder  die  Athener  wären  gegen  den  Widerstand 
zu  Lande,  noch  die  anderen  Staaten  gegen  den  Widerstand  zur 
See  gewesen.  Jene  hätten  unter  Anführung  des  Them.  selbst  mit 
den  Spartanern  den  Eingang  Thessaliens  besetzt,  und  als  sie  die- 
sen aus  Furcht  vor  Umgehung  verlassen  hatten,  wären  alle  darin 
einverstanden  gewesen,  mit  dem  Landheer  Thermopylä  zu  besetzen 
und  mit  der  Flotte  die  nahe  gelegene  Einfahrt  in  die  Meerenge 
von  Euboea  zu  schützen  u.  s  w.  Ferner  zu  omnes  interierunt: 
Nicht  alle,  sondern  nur  die  Spartaner  und  Thespienser  seien  um- 
gekommen, dieThebaner  wären  von  den  Persern  verschont  worden, 
die  übrigen  Bundesgenossen  hätte  Leoaidas  entlassen.     Zu  §.  2: 


Nipperdey  :  Cornelius  Nepos.  57 

Bei  Ärtemisiom  wären  während  dreier  Tage  am  ersten  und  dritten 
2  Treffen  geliefert  worden,  am  zweiten  hätten  die  Griechen  durch 
einen  üeberfali  cilicische  Schiffe  vernichtet  u.  s.  w.  Nach  ande- 
ren kiirzeren  Anmerkungen  folgt  dann  zu  cap.  5,  §.  1  eine  lange 
über  die  Flucht  des  Xerxes,  in  welcher  ausgeführt  wird,  Xerxes 
sei  auf  eigenen  Antrieb  und  auf  den  Ralh  des  Mardonius  nach  dem 
Hellespont  zuriickgegangen;  Them.  habe  ihm  nicht  gemeldet,  dass 
die  Brücke  zerstört  werden,  sondern  vielmehr,  dass  sie  durch 
seine  Bemi'ihung  nicht  zerstört  werden  würde.  Mit  Nepos  stim- 
me Diodor  überein  und  in  der  Hauptsache  auch  Polyaen.  Begnü- 
gen wir  uns  mit  dieser  Uebersicht  über  den  wesentlichen  Inhalt 
der  historischen  Anmerkungen  zu  den  ersten  5  Capiteln,  so  wird 
aus  dem  Mitgetheilten,  auch  ohne  dass  wir  auf  Einzelnes  näher 
eingehen  —  da  dazu  hier  der  Raum  fehlt  — ,  hinlänglich  erhellen, 
dass  die  Irrthümer,  die  sich  in  der  Biographie  des  Them.  vorfin- 
den, keineswegs  von  solcher  Bedeutung,  zum  Theil  auch  nicht 
von  solcher  Evidenz  sind ,  dass  man  darum  seine  Leetüre  dem 
Schüler  ganz  vorenthalten  sollte.  Wie  weit  der  Schüler  der  un- 
teren und  meistens  auch  der  mittleren  Classen  sich  den  Inhalt  des 
Gelesenen  zum  bleibenden  Eigenthum  machen  soll,  das  liegt  in 
den  meisten  Fällen  ganz  in  der  Hand  des  Lehrers,  nämlich  darin, 
wie  er  die  Erklärung  und  wie  er  die  Repetition  einrichtet.  Man 
gehe  über  Etwas,  was  gelesen  wird,  ohne  weitere  Erörterung 
hinweg  und  repetire  es  dann  nicht,  so  wird  in  wenigen  Wochen 
Alles  vergessen  sein.  Hierin  liegt  die  praktische  Lösung  der 
Frage,  wie  man  den  Schüler  vor  den  Irrthümern  zu  schützen  hat, 
die  er  im  Nepos  vorfindet.  Ist  die  Unrichtigkeit  entschieden  tind 
erheblich,  wie  die  Erwähnung  des  Krieges  mit  den  Corcyräern 
und  den  Seeräubern  (cap.  2,  §.  1  und  3),  so  deute  man  dies  kurz 
an  und  halte  bei  der  Repetition  des  Inhaltes  darauf,  dass  die  Er- 
wähnung solcher  Nachrichten  ganz  wegbleibe.  —  Ist  eine  Angabe 
ungenau  ,  die  Sache  selbst  aber  (für  einen  Quartaner)  nicht  von 
grosser  Bedeutung,  wie  die  über  das  Treffen  bei  Artemisium ,  so 
ignorirt  man  dies  am  besten  und  lässt  bei  der  Repetition  die  Sache 
referiren ,  wie  sie  Nepos  giebt.  Betrifft  aber  das  Versehen  ein 
Factum,  das  man  nicht  gern  fallen  lässt,  wie  die  Meldung  des 
Them.  an  den  Perserkönig  über  das  Abbrechen  der  Brücke,  so 
wird  man  es  berichtigen  und  es  beim  Repetiren  berichtigt  vortra- 
gen lassen,  wenn  man  es  in  diesem  und  in  ähnlichen  Fällen,  wo 
die  Nachrichten  der  verschiedenen  Schriftsteller  mehrfach  von 
einander  abweichen,  nicht  etwa  vorzieht,  ohne  weitere  Bemer- 
kung die  Erzählung  des  Nepos  festhalten  zu  lassen.  —  Hr.  N.  hat 
sich  aber  auf  einen  ganz  anderen  Standpunkt  gestellt.  Er  unter- 
wirft seiner  Kritik  Alles,  was  mit  den  Angaben  des  Herodot,  Thu- 
cydides,  Plutarch  u.  s.  w.  nicht  genau  übereinstimmt,  und  wo 
etwas  ungenau  oder  unvollständig  erzählt  ist,  da  ergänzt  er  es 
durch  summarisclie  oder  wörtliche  Anführung  dessen ,  was  die  ge- 


58  Lateinische  Litteratur. 

nannten  Autoren  darüber  sa^en.  Wenn  man  daher  bisher  man- 
chen Schulausgaben  von  Classikern  den  Vorwurf  gemacht  hat,  sie 
schienen  zum  Zweck  zn  haben,  alle  Gymnasiasten  zu  Philologen 
zu  machen,  so  kann  man  mit  demselben  Recht  von  dieser  Ausgabe 
des  ISepos  sagen,  sie  scheine  vorauszusetzen,  dass  alle  Quartaner 
Geschichtsforscher  werdeu  wollten  oder  schon  wären.  Ausser 
Zweifel  überschätzt  wenigstens  Hr.  N.  die  Fassungskraft  eines 
Schülers  der  „unterster  Classen'',  für  die  doch  zunächst  seine 
Ausgabe  bestimmt  ist,  oder  nach  dem  Plane  der  Herrn  Haupt  und 
Sauppe  wenigstens  bestimmt  sein  sollte.  Sonst  hätte  es  ihm  nicht 
entcrehen  können,  dass  ein  solcher  Schüler  auch  nicht  mit  Hülfe 
des  Lehrers  im  Stande  ist,  den  hauptsächlichen  Inhalt  seiner  An- 
merkungen festzuhalten,  dass  ihn  letztere  vielmehr  verwirren 
müssen  ,  und  dass  er  am  Ende  unstet  und  rathlos  zwischen  Text 
und  xAumerkungen  hin  und  her  schwanken  und  damit  die  uner- 
lä'ssliche  Frucht  jeder  Leetüre,  eine  ungetrübte  und  sichere  An- 
schauung des  Gelesenen,  uuaushleiblich  verlieren  wird. 

So  wichtig  es  nun  aber  auch  ist,  den  Grundsatz  festzuhalten, 
dass  man  schon  in  den  untersten  Classen  über  der  Form  den  Inhalt 
nicht  aus  den  Augen  verliere,  so  wird  man  doch  bei  gehöriger 
Würdigung  des  parktischen  Bedürfnisses  nicht  in  Abrede  stellen 
können,  dass  die  sprachliche  Seite  der  Erklärung  in  einer  Schul- 
ausgabe des  Nepos  die  sachliche  eher   überwiegen,  als  ihr  nach- 
stehen darf.      Dass  aber  in  der  Ausgabe  des  Hrn.  N.  Letzteres  und 
zwar  in  hohem  Grade  der  Fall  ist,  dürfte  sich  aus  dem  bisher 
Gesagten  schon  von  selbst  ergeben.     Er  hat  sich  damit  begnügt, 
auf  Ungewöhnliches  aufmerksam  zu  machen,  und  dies  oft  in  einer 
Weise,  die  für  den  Anfänger  nicht  zweckmässig  genannt  werden 
kann.     Um  dies  Urtheil  zu  rechtfertigen,  mögen  hier  sämmtliche 
sprachliche  Anmerkungen  zu   den  ersten  vier  Capiteln  des  Miit. 
folgen:  Cap.  1.  §.  1.  Chersonesum.     N.  hat  öfter  (§.  4.  b.  c.  2,  4. 
Paus.  2,  1.    Dat.  4,  1.    Ep    7,  3)  griechische  Ländernamen  auf  us 
wie  Städtenamen  behandelt.     Ebenso  andere  Schriftsteller.     (Es 
war  zu  bemerken,  dass  sich  der  Gebrauch  auf  Namen  von  Inseln 
oder  am  Meere  liegender  Länder   beschränkt.)     §.  2.  deliberare 
bezeichnet  hier  und  Them.  2,  6  ,,sich  Rath  erholen^*",  um  ,,Rath 
fragen"-,  für  welchen  Gebrauch  sich  keine  anderen  Beispiele  an- 
führen lassen.     Die  Worte  qui  consulerent  Apollinem  waren  über- 
flüssig.    Eben  so  breit  ist  der  Ausdruck  Timoth.  3,  2  in  consiliura 
dantur — quorum  consiliouteretur.  (Da  deliberare  in  der  Bedeutung 
von  consulere  sonst  nirgends  vorkommt,   so  kann   man  auch   hier 
nicht  sagen,  dass  es  ganz  dasselbe  bedeute,  um  so  weniger,  als 
qui  —  consulerent  gleich  darauf  folgt.)  —  cum  quihus.     N.  setzt 
cum  stets  vor  das  Relativ,  was  bei  den  besten   Schriftstellern  sel- 
ten ist.  —  §.  .").  adversum,  das  Entgegengesetzte,  d.  h.  die  entge- 
gengesetzte Richtung.  —    Cap.  2.  §.  3.  Quamvis  ist  hier  u.  Att. 
20,1  für  quamquara,  wie   umgekehrt  Att.   13,  6  quamquam  für 


NIpperdey:  Cornelius  Nepos.  59 

quamTis  gesetzt,  indem  sich  der  Schriftsteller  der  ursprünglichen 
Bedeutung  jener  Wörter  nicht  bevvusst  whv.     Bei  Cic.  pro  Rab. 
Posth.  2,  4  ist  an  der  Richtigkeit  der  Lesart  quamvis  patrera  suurn 
numquara  viderat  um  so  mehr  zu  zweifeln,  da  für  jene  Rede  noch 
keine  Handschriften  genau  verglichen  sind ;  die  Beispiele ,  welche 
für  quamqiiam  mit  dem  Conjunctiv  aus  Cicero  und  Sallust  ange- 
führt werden,  sind  theils  verderbt,  theils  hängt  der  Conj.  nicht 
von  quaraquam  ab.     Sichere  Beispiele  ßnden  sich  ausser  Nep.  erst 
hei  Livius  (II.  40,  7  non   tibi,  quamvis  infesto  animo   et  minaci 
perveneras,  ingredienti  fines  ira  cecidit?     XXXVI.  34,   6.  quam- 
quam  raoveretur  his  vocibus,  manu  tamen  abnuit) ;  viele  bei  den 
Späteren  (wie  weit  diese  Note,    die  einzige  spracliliche  in  dem 
ganzen  Capitel,  über  den  Horizont  von  Quarta  hinausgeht,  bedarf 
keiner  Erinnerung).  —   Cap.  3.  §.  1  ipsarura  urbium,  „der  Städte 
selbst'',  nämlich   aus  welchen   sie   waren   (loniens  und   Aeoliens), 
also  „ihrer  eigenen  Städte.""     (Wie  ,,der  Städte  selbst^'  so  viel 
sein  kann  als  „ihrer  eigenen  Städte",  ist  nicht  zu  verstehen.)  — 
§.  2.  Graeca  —  loquentes.     Derselben  Umschreibung  bedient  sich 
N.  Ale.  2,  1.    Dion.  1,  5.  —  §.  5.  quo,  nämlich  Dario. —  Cap. 4,1 
interserens.     Das  gewöhnliche  ist  interponens.      Interserere  von 
serere  „flechten'-''  ist  ein  seltenes  Wort  und  sonst  nur  von  Dichtern 
und  späteren  Schriftstellern  gebraucht.     S.  zu  Iph,  1,4.  —  §-4, 
defendere  bezeichnet  hier  „abwehren*^  und  aus   dem  Folgenden 
ist  hostes  hinzuzudenken.  —  §.  5.  earum.     Beim  acc.  c.  inf.  kann 
das  Subject  des  den  acc.  c,  inf.  regierenden  Verbums  nie  durch  is 
bezeichnet  werden,  ausser  dem  Falle,  der  hier  stattfindet,  wenn 
nämlich  jenes  Verbum  einem  Nebensätze  angehört  und  der  Haupt- 
satz ein  anderes  Subject  hat  (animum  accessurum).     Doch  möchte 
sich  selbst  hierfür  kein  zweites  Beispiel  finden.  (Der  abweichende 
Gebrauch   wäre  für   den  Schüler  verständlicher  durch    Zumpt's 
Worte  (§.  550  Anf.   des   zweiten  Absatzes)   erklärt   worden   und 
durfte  nicht  blos  auf  den  acc.  c.  inf.   beschränkt  werden.)  —  au- 
dere:  „sie*"',  „die  Athenienser'',  welche  hier  verstanden  werden 
können ,  da  Miltiades  in  ihrem  Namen  spricht.  —  Dies  sind  sämmt- 
liche  nicht  historischen  Anmerkungen  zu  den  ersten  vier  Capiteln 
des  Milt.     Wer  nun  weiss,  mit  welchen  sprachlichen  Kenntnissen 
der  Schüler  gewöhnlich  an  die  Leetüre  des  Nepos  herantritt,  der 
wird  sich  selbst  sagen,  ob  hier  „dem  Schüler  das  zum  jedesmali- 
gen Verständniss  Nothw  endige'^,  wie  es  die  ,, Ankündigung"  ver- 
spricht, geboten  wird.     Der  Anfänger  erfährt  Cap.  1.  §.  1  Nichts 
über  sui,  wofür  er  eins  erwarten  muss;  §.  3  Nichts  über  den  üe- 
bergang  in  die  oratio  obliqua ;  §.  4  Nichts  über  das  ausgelassene 
ut  bei  dem  noch   dazu  vor  postulasset  stehenden  faceret;  §.  5 
Nichts  über  die  Phrase  adversum  tenet.  —  Cap.  2.  §.  2  bedurfte 
der  Ausdruck  res  constituit  einer  Erklärung;  §.  3.  das  W^ort  offi- 
cia;  §.  4  die  Worte  Chersoneso  —  constituta ;  §.  5  non  dicto  — 
capti ;  Cap.  3.  §.  2  (in  den  Worten :  In  hoc  fuit  tum  numero  Mil- 


60  Lateinisclie  Litteralur, 

tiadcs,  CHI  illa  custodia  crederclur)  der  Conjiinctiv  und  die  Bezie- 
liuiis:  von  cui;  §.  ö  idem  —  et;  §.  G  noii  dubitans  mit  folg.  acc.  c. 
iiif ,  wo  auf  Praef  §  1  zu  verweisen  war.  —  Cap.  4.  §.  1  war  zum 
Vcrsläridniss  des  Zusamnicnliaiigs  über  den  Gebrauch  von  autem 
zu  sprechen;  §  2  über  eins  generis,  qui  —  vocanlur;  §.  4  über 
die  cousec.  temp.  in  creant  —  qui  —  praeessent;  §.  5  über  die 
Bedeutung  von  nitcbatur  und  den  folg.  acc.  c.  inf.  und  über  primo 
quoque  tempore.  —  Für  sehr  nützlich  hätte  es  Ref.  auch  erachtet, 
wenn  hier  und  da  über  den  Gebrauch  der  tempora  etwas  gesagt 
Märe,  z  B.  über  das  mit  dem  Perfect  abwechselnde  Imperfect, 
über  den  Coni.  Plusquamp.  in  abhängigen  Zeit-  und  Bedingungs- 
sätzen, wo  wir  uns  gewöhnlich  des  Imperfects  bedienen,  u.  dergl. 
In  den  Anmerkungen  des  Hrn.  N.  findet  sich  der  Art  selten  etwas, 
im  ganzen  Milt.  blos  zu  5,  5,  wo  von  der  Vorliebe  des  Nepos  zum 
Conjunctiv  Perfecti  in  Folge-  und  Gegenstandsätzen  die  Rede  ist. 
Docli  müssen  diese  Dinge  vorzugsweise  an  der  Leetüre  geübt  wer- 
den. Sie  giebt  die  beste  Gelegenheit,  an  den  verschiedenen 
concreten  Fällen  die  römische  Vorstellung,  die  dem  Gebrauch  des 
Imperfects  u.  s.  w.  zum  Grunde  liegt  und  deren  Verständniss  so 
oft  bis  Tertia  und  Secunda  hinauf  mangelhaft  bleibt,  recht  an- 
schaulich zu  machen.  Derartige  Andeutungen  sind  in  einer  Schul- 
ausgabe recht  zweckmässig  und  brauchen  aus  demselben  Grunde 
nicht  der  blos  mündlichen  Erklärung  überlassen  zu  werden,  aus 
dem  man  andere  sich  nicht  gerade  auf  Anomalien  erstreckende 
Bemerkungen  aufnimmt.  Manches  Grammatische,  was  sich  der 
Scliüler  oft  nur  mit  Mühe  und  durch  längere  üebung  aneignet, 
prägt  sich  ihm  schnell  und  sicher  ein,  wenn  er  die  Regel  (z.  B. 
die  über  den  Unterschied  von  suus  und  eins,  über  Anwendung  von 
Participialconstriictionen  statt  deutsclier  Substantiva  n.  a.)  unter 
dem  gegebenen  Falle  im  Text  und  zwar  in  recht  präciser  Form 
gedruckt  sieht  und  dann  im  Folgenden  recht  oft  auf  diese  Stelle 
zurückverwiesen  wird.  Doch  solclie  praktische  Z\*ecke  hat  nun 
einmal  Mr.  N.  hier  niclit  verfolgen  wollen,  und  es  ist  darüber  auch 
mit  ihm  niclit  zu  rechten.  Ihm  schien  es  hinreichend,  das  zu  er- 
klären, woran  der  Schüler  Anstoss  nehmen  oder  was  ihm  beson- 
dere Schwierigkeiten  bereiten  kann.  Dass  er  dabei  den  intellec- 
tuellen  Standpunkt  des  Schülers  zu  hoch  angeschlagen  hat,  ist  an 
geinen  Anmerkungen  zu  den  ersten  vier  Capiteln  des  Milt.  gezeigt 
worden.  Da  er  aber  selbst  erklärt,  die  ersten  Lebensbeschrei- 
bungen sollten  in  der  Schule  lieber  gar  nicht  gelesen  werden,  so 
wollen  wir  uns  noch  zum  Datames  wenden,  mit  dem  nach  seinem 
Vorschlage  die  Leetüre  des  Nepos  beginnen  soll.  Hier  sind  nun 
die  geschichtlichen  Anmerkungen  allerdings  viel  seltener  und  (mit 
Ausnahme  einer  langen  zu  Cap.  6.  §.  3)  kürzer  als  in  den  voraus- 
gehenden Biographien,  doch  sind  sie  immer  noch  von  solcher 
Ausdehnung,  dass  sie  mit  den  hier  häufiger  angebrachten  sprach- 
lichen Erklärungen,  mit  Ausnahme  von  etwa  zwei  Seiten,  einen 


Nipperdey:  Cornelius  Nepos.  0J[ 

grösseren  Raum  einnehmen,  als  die  „Ankündigung'' bestimmt  *). 
Die  sprachlichen  Noten  zu  den  ersten  vier  Capitein  haben  folgen- 
den Inhalt:  Cap.  1.  §.  1  wird  wegen  primum  auf  die  Anm.  zu 
Thras.  1,3  verwiesen  (wo  primum  erklärt  wird:  „zuerst"  =:=  was 
das  erste  von  ihm  zu  Berichtende  betrifft.  —  Multis  locis:  „bei 
vielen  Gelegenheiten",  wobei  die  Stellen  Cic.  ad  fam.  V.  17,  5. 
VI.  13,  4.  ad  Att.  II.  20,  1.  Tusc.  IV.  in.  wörtlich  angeführt  wer- 
den. —  §.2  über  fungens  mit  dem  Acc.  als  in  guter  Prosa  veraltet. 

—  lieber  die  Stellung  von  ut  wird  auf  Eum.  8.  2.  Ilann.  7,  5  ver- 
wiesen. —  §.  3.  Lieber  regi  dicto  audiens  auf  Anm.  zu  Lys.  1,  2 
verwiesen ,  wo  aber  wieder  auf  andere  Stellen  ohne  Erklärung 
verwiesen  wird.  —  Zu  ut  nach  experiri  ist  Cic.  ad  Att.  IX.  10,  2 
wörtlich  angeführt  mit  dem  Zusatz:  Sonst  gewöhnlich  mitfolgender 
Frage  oder  si.  —  Ueber  quod  vereretur  wird  auf  Milt.  7,  5  ver- 
wiesen, wo  zu  quoniam —  posset  gesagt  wird:  der  Conjunctiv, 
weil  dies  als  Rede  des  Bruders  referirt  wird.  Ebenso  Dat.  2,  3, 
wo  wie  hier  uns  der  Indicativ  natürlicher  erscheinen  würde;  un- 
statthaft war  dieser  Eum.  9,  6.  —  Deber  die  griech.  Form  Thuyn. 

—  Zu  Cap.  3,  §.  2  wird  bemerkt:  qua  u.  s.  w.  N.  hat  dies  in  ei- 
nem Relativsatz  hinzugefügt  in  der  irrthümlichen  Meinung,  dass  er 
im  Vorhergehenden  (ipse  u.  s.  w.)  schon  ein  Verbum  finitiim  ge- 
setzt habe.  S.  zu  Paus.  I.  3.  —  Zu  §.  3:  conspicerent,  „erblick- 
ten", d.  h.  „da  er  allen  in  die  Augen  fiel."  So  oft  das  Passivum 
bei  N.  Att.  13,  5.  —  §,  4.  Zu  in  primis:  Das  Besondere  liegt  in 
inopinanti.  Ueber  dieses  Wort  s.  z.  Dion  6,  1  (wo  bemerkt  ist, 
dass  N.  inopinatus  und  inopinans  braucht,  nie  aber  nee  opinatus 
oder  necopinans,  ebenso  wie  Caesar.  —  Cap.  4,  §.  1  zu  quae  gens: 
als  stände  vorher  nicht  der  Name  des  Landes ,  sondern  des  Volks. 

—  §.2  zu  portarentur:  S.  Zumpt.  §.  558.  Madvig.  §.  364.  Anm. 
1.  —  §.4  zu  eoque  —  venit:  S.  z.  Timoth.  3,  4  (wo  auf  Dat.  4, 
4.  5,  1.  6,  2  verwiesen  wird,  weil  sich  dort  dieselbe  Wendung  fin- 
det). —  Zu  haud:  S.  zu  Pausan.  1,2  (hier  wird  bemerkt,  dass  sich 
haud  bei  N.  noch  Dat.  4,  4.  Ages.  4,  5  findet).  —  Zu  quae  dum 
speculatur:  während  er  das,  was  man  ihm  gesagt,  (selbst)  auskund- 
schaftet. —  §.5  zu  ferens:  ferens  hat  hier  N.  statt  des  fehlenden 
Particip.  des  Passiv,  gebraucht,  wie  sich  öfters  vehens  (Timoth.  2, 
1),  exercens  u.  a.  finden.  Anders  Ages.  4,  4,  da  das  ganze  verbum 
vertere  neutral  gebraucht  wird.  —  Diess  wird  hinreichen,  um  zu 
zeigen,  was  die  sprachliche  Erklärung  der  Ausgabe  da  bietet,  wo 
die  historischen  Anmerkungen  auf  das  kleinste  Mass  beschränkt 
sind  **).  —  Wir  übergehen,  was  man  hier  etwa  vermissen  kann,  da 


*)  Eine  Bemerkung,  die  übrigens  nicht  sowohl  dahin  zielt,  dem  Her- 
ausgeber daraus  einen  Vorwurf  zu  machen,  als  vielmehr  das  Missliche 
einer  derartigen  Bestimmung  anzudeuten. 

**)  Historische  Bemerkungen,  die  alle   nur  aus  wenigen  Zeilen  be- 


Q2  Lateinische  Litteratur. 

der  Massstab,  den  Ref.  dabei  anlegt,  sich  aus  dem  zu  den  Tier  er- 
sten Capiteln  des  iMüt.  Bemerkten  leicljt  ergeben  wird.  Inhalt  und 
Form  dieser  Erklärungen  sind;  wie  man  sieht,  fasslich  und  für  das 
Verständniss  fördernd.  Indem  aber  der  Herausgeber  es  sich 
vorzugsweise  zur  Aufgabe  gemacht  hat,  die  Sprache  des  Nepos  in 
ihrer  Eigenthümlichkeit  erkennen  zu  lassen.  lässt  ihn  diess  Bestre- 
ben vielfach  Dinge  berühren,  die  wohl  für  den  einen  Werth  haben, 
der  sich  durch  die  Leetüre  des  Caesar,  Cicero  und  Livius  die  Fä- 
higkeit zu  einer  vergleichenden  Beurtheilung  des  gesammten  la- 
teinischen Sprachschatzes  bis  zu  einem  gewissen  Grad  bereits  er- 
worben hat,  nicht  aber  für  den  Schüler  der  ,, untersten  Klassen.^' 
In  der  Ordnung  ist  es  natürlich,  dass  dem  Quartaner  gesagt  werde, 
non  dubito  (in  der  Bedeutung  ,,ich  zweifle  nicht*")  habe  bei  den 
bessern  Schriftstellern  nicht  den  acc.  c.  inf.,  sondern  quin  bei  sich 
(wiewolü  in  der  Note  darüber  zu  Praef.  l  die  Erwähnung  des 
Asinius  Pollio.Trebonius,Cicero's  Sohn  und  Hirtius  nur  den  Schü- 
lern oberer  Classen  interessiren  kann),  fungor  mit  dem  accus,  ge- 
höre nur  der  veralteten  Latinität  an  u.  dergj.;  aber  es  wird  ihm 
schwerlich  etwas  helfen,  wenn  er  erfährt,  dass  sich  Nepos  in  ge- 
wissen Ausdrücken  öfter  wiederhole,  wie  mit  der  Phrase  dicto 
audiens  (wie  es  grammatisch  zu  erklären,  dass  dabei  noch  ein  Da- 
tiv stehen  kann,  hätte  übrigens  zu  Lys.  I.  2,  auf  welche  Stelle  an 
den  übrigen  Stellen  nur  hingewiesen  wird,  angedeutet  werden 
sollen),  mit  dem  Ausdruck  unus  —  floreret  Milt.  1,  1  und  Cim.  3, 
1  u.  a. ,  dass  sich  die  Negation  haud  bei  Nepos  an  drei  Stellen 
finde,  dass  er  immer  inopinans  oder  inopinatus,  nicht  aber  nee  opi- 
nans  oder  nee  opinatus  brauche  —  diess  und  Anderes  der  Art  ist 
für  ihn  etwas  sehr  Gleichgültiges:  er  wird  davon  Nichts  behalten, 
weil  ihm  dafür  jeder  vergleichende  Massstab  fehlt.  Während 
dergleichen  Erinnerungen  aber  wenigstens  unschädlich  sind,  muss 
man  eine  andere  Kategorie  von  Bemerkungen  geradezu  für  unpä- 
dagogisch und  nachtheilig  erklären.  Herr  N.  nimmt  nämlich  in 
der  bekannten  Streitfrage  über  den  Ursprung  der  Vitae  eine  eigen- 
thüraliche  Stellung  ein.  Ihm  ist  Cornelius  Nepos,  der  Zeitgenosse 
und  Freund  des  Cicero  und  Atticus,  der  Verfasser  des  Buchs;  doch 
glaubt  er,  dass  er  den  Ruhm,  den  er  im  Alterthura  als  Schriftstel- 
ler genossen,  keinesweges  verdient  hat;  er  sei  vielmehr  eben  so 
sehr  ein  nachlässiger  und  schlechter  Stilist,  als  er  sich  offenbar  als 
unzuverlässigen  und  kritiklosen  Historiker  zeige.  Dieses  ürtheil 
sucht  er  nun  in  den  Anmerkungen  zu  begründen.  Die  erste  be- 
deutende Bemerkung,  die  dahin  zielt,  findet  sich  Paus.  1,  3  in  den 
Worten  quod  —  posuisset.     Sie  lautet :  quod.     Es  folgt  kein  Satz 


stehen,  finden  sich  zu  Cap.  1  zwei,  za  Cap.  2  drei,  zu  Cap.  3  eine,  za 
Cap.  4  eine.      Ausser  dem  Atticus   sind  aber  alle  anderen   Biographien 


weit  reicher  damit  ausgestattet. 


Nipperdey:  Cornelius  Nepos.  63 

hierzu.    N.  wollte  ursprünglich  davon  abhängig  schreiben  epi^ram- 
ma  scripsit  oder  scripsisset,  hat  aber  dann  das  qnod  vergessen  und 
epigraramate  scripto   gesetzt.     Aehnliche  grobe  Nachlässigkeiten 
finden  sich  Chabr.  1,  2.  Dat.  3,  2.  Ep.  9, 1.  Pel.  2,  5.  Ages.  8,  2 
Att.  12,  4.  Vergl.  zu  Them.  8,  2.  Thras.  2,  3.  Eum.  5,  4.  9,  2.  ~ 
Roth  hat  hier  allerdings  mit  den  Handschriften  quod  cum  —  po- 
suisset ;   die  allerneuesten  kritischen  Ausgaben  von  Benecke  und 
Klotz  geben  aber  bei  der  schlechten  Beschaffenheit  der  Codices 
und  bei  der  grossen  Mangelhaftigkeit,  mit  der  dieselben  verglichen 
sind  —  hier  ist  z.  B.  die  Lesart  des  Danielianus  (nach  Benecke 
eines  der  besten)  und  des  Axenianus  zweifelhaft   —    mit  Boeder 
quod  ohne  cum.    Auf  diese  Stelle,  wo  Nepos  ohne  Noth  einer  gro- 
ben Nachlässigkeit  bezüchtigt  wird,  wird  nun  der  Schüler  an  allen 
folgenden  Stellen  verwiesen.     Diess  geschieht  z.  B.  Chabr.  1,  2, 
wo  wieder  mit  Roth  —  auch  mit  Klotz,  der  aber  hinter  Agesilaum 
eine  Lücke  annimmt  —  fidentem  —  Agesilaum  geschrieben  steht, 
während  Benecke  mit  Bremi  statt  der  corrupten  Accusative  Lam- 
bin's  Emendation  fidente  —    Agesilao   aufgenommen   liat.     Auch 
Att.  12,  4  ist  das  Anakoluth  bei  Bremi,  Benecke  und  Klotz  besei- 
tigt, indem  sie  mit  den  edd.  vett.  quem  nach  eruditum  gestrichen  ha- 
ben.    Sollte  es  der  Kritik  nicht  gestattet  sein,  einen  Autor,  der 
den  Umgang  eines  Cicero,  Atticus  und  Catullus  genoss,  von  sol- 
chen Flecken  —  für  die  der  Ausdruck  grobe  Nachlässigkeiten  fast 
noch  ein  Euphemismus  ist  —   auch  trotz  der  Codices,  zumal  sol- 
cher und  so  verglichener  Codices ,  zu  reinigen ,  dann  gehört  diese 
Leetüre  gar  nicht  in  die  Schule  und  am  allerwenigsten  in  die  un- 
tersten Classen.     Was  muss  das  auf  den  Schüler  für  einen  Ein- 
druck machen,  wenn  den  Autor,  von  dem  er  sein  erstes  Latein  ler- 
nen soll,  so  oft  der  Tadel  „grober  Nachlässigkeit'''' trifft,  wenn  ihm 
mehrfach  eine  ,,irrthümliche  Meinung*''"  darüber  oder  ein  „Verges- 
sen" dessen,  was  er  eben  gesagt  hatte,  u.  dergl.  vorgeworfen  wird. 
Es  finden  sich  allerdings  bei'Nepos  eine  Menge  Ausdrücke  und 
Wendungen,  die  nicht  blos  auffallend  sind,  sondern  auch  Mangel 
an  Sorgfalt  und  Präcision  verrathen.     Sind  sie  von  solcher  Erheb- 
lichkeit, so  ist  der  Schüler  darauf  aufmerksam  zu  machen,   und 
man  kann  ihm  sagen ,  wie  die  Worte  besser  oder  richtiger  lauten 
würden,  ohne  das  Ansehen  des  Schriftstellers  in  den  Augen  des 
Lesers  so  tief  herabzusetzen,  wie  es  von  Herrn  N.  geschehen  ist. 
Liegt  nun  das  für  eine  Schulausgabe  Unpassende  des  Tadels  sehr 
oft  nur  in  der  Form,  in  der  es  ausgesprochen  wird,  so  sind  doch 
dem  Ref.  auch  Stellen  vorgekommen,  wo  der  Herausg.  dem  Nepos 
auch  in  der  Sache  selbst  Unrecht  zu  thun  scheint.     So  bemerkt 
er  Ages.  8,  2  zu  cum  suis:   ,,Als  N.  diese  Worte  schrieb,  dachte 
er  noch  nicht  die  späteren  eodemque  comites  u,  s.  w.  hinzuzufü- 
gen; hernach  hat  er  sie  zu  tilgen  unterlassen,  weil  er  vergessen 
hatte,  dass  er  sie  geschrieben.''''     Das  Einfachste  scheint  hier, 
eodem  nicht  als  Adverbium,  sondern  als  Ablativ  zu  nehmen  und 


'64  Lateinische  Litteratar. 

mit  restitn  Iiiimili  atqiie  obsoleto  zu  verbinden,  was  sich  auch  des- 
halb empfiehlt,  weil  man  bei  dieser  Auffassung  zugleich  Etwas 
über  die  Kleidung  des  Agesilaiis  selbst  erfährt,  worüber  man  eine 
Bemerkung  ungern  verraisst.  Dat.  3,  2  wird  in  der  schon  ange- 
fnhrteii  Bemerkung  zu  qua  angenommen,  N.  Iiabe  in  der  irrthiim- 
lichen  Meinung  gestanden,  dass  er  im  Vorhergehenden  sclion  ein 
Verbura  iinitiim  gesetzt  habe,  während  man  in  circumdatus,  bei 
dem  erat  auf  eine  allerdings  nicht  zu  billigende  W  eise  ausgelassen 
ist,  das  Verbum  finitiim  zu  erkennen  hat.  Auch  Epam.  9,  1  liess 
sich  der  absolut  stehende  Nominativ  cognitus  dem  Wesen  des  Ana- 
koluths  entsprechender  (etwa  mit  Bremi)  auffassen,  als  es  von  dem 
Ilerausg.  geschehen  ist,  der  darüber  sagt:  „Der  Satz  wird  begon- 
nen, als  wäre  Ep.  Subject,  gleich  darauf  aber  (universi  u.  s.  w.) 
hat  N,  dies  vergessen  und  die  Laced.  zum  Subject  gemacht. ^^  Pe- 
lop. II.  5  konnte  hervorgelioben  werden,  wodurch  das  Auffallende 
der  Wiederholung  exissent  —  exierunt  gemildert  wird.  Exierunt 
ist  nämlich  nur  der  äussere  Träger  des  Prädicats,  das  dem  Schrift- 
steller als  Hauptsache  vorschwebte,  das  sich  aber  der  äusseren 
Form  nach  an  exierunt  anlehnt.  Herr  N.  sagt  darüber,  Nepos 
Ikabe  anfangs  den  Satz  qui  cum  —  datus  zum  Nachsatz  zu  machen 
beabsichtigt  u.  s.  w.,  und  fährt  dann  fort:  ,,als  er  aber  die  Worte 
cum  canibus  u.  s.  w.  schrieb,  glaubte  er  vorher  statt  cum  —  exis- 
sent nur  Athenis  interdiu  gesetzt  zu  haben.'"'  An  allen  diesen 
Stellen,  namentlich  auch  in  der  schon  angeführten  Bemerk,  zu  Paus. 
1,  ."5,  nach  der  der  Schriftsteller  nicht  mehr  wusste ,  was  er  in  der 
vorhergehenden  Zeile  geschrieben,  spielt  die  Vergesslichkeit  eine 
solche  Rolle,  dass  der  vergessliche  Schüler,  der  den  Indicativ 
schreibt,  weil  er  vergessen,  dass  er  eben  ut  gesetzt  hat,  sichnAiit 
dem  vergesslichen  Nepos  trösten  kann.  Man  sieht,  Herr  N.  hat 
hierbei  das  Bednrfnlss  der  ,, untersten  Classen^''  nicht  gehörig  be- 
rücksiclitigt.  Ihm  kam  es  nach  der  Vorrede  darauf  an,  den  Leser 
„sowohl  zum  Verständniss  als  zur  Beurtheilung  des  Schriftstellers 
zu  befähigen,'  und  er  versteht  hier  unter  dem  Leser  nicht  blos 
den  erwachsenen  Freund  der  alten  Classiker,  sondern  auch  den 
Schüler,  denn  er  sagt:  „Will  man  den  Nepos  in  der  Schule  lesen, 
so  rauss  man  sich  gefallen  lassen,  dass  der  Schüler  dem  Schriftstel- 
ler gegenüber  auf  den  Standpunkt  gestellt  werde,  auf  dem  erstehen 
rauss,  und  demjenigen  Dank  wissen,  welche  dem  Lehrer  die  Mühe 
und  den  Unterrichtsstunden  die  Zeit  erspart,  die  zu  diesem  Zweck 
erforderlich  sind.*'  Wie  weit  aber  dies  bei  den  Schülern  der 
„untersten  Classen"  zu  erreichen  möglich  ist,  bedarf  keiner  weite- 
ren Erörterung.  Wollte  man  wirklich  den  Versuch  machen,  den 
Quartaner  auf  den  Standpunkt  der  Kritik  über  Inhalt  und  Spraclie 
des  Autors  zu  stellen,  so  würde  der  Erfolg  nicht  zweifelhaft  sein: 
wir  MÜrden  schon  die  zwölfjährigen  Knaben  zu  eitlen  Scliwätzern 
und  zu  aufgeblasenen  —  und  doch  nur  das  Wort  des  Lehrers  ohne 
Siüu  und  Verstand  wiedergebenden  —  Tadlern  erziehen. 


Maurer  u.  Heiligstedt :  Comment.  in  Vet.  Test.  65 

Fassen  wir  schliesslich  unser  ürtheil  kurz  zusammen,  so  lau- 
tet es  dahin,  dass  die  Ausgabe  für  den  Gebrauch  in  den  unteren 
Classen  nicht  geeignet  ist,  weil  sie  einerseits  zu  vieles  enthält,  was 
über  den  geistigen  Horizont  dieser  Classen  weit  hinausgeht  und 
was  den  Schüler  verwirren  und  ihn  an  seinem  Autor  gänzlich  irre 
machen  muss,  und  weil  sie  andererseits  vieles  nicht  bietet,  was 
dem,  der  mit  einer  zusammenhängenden  Leetüre  den  ersten  An- 
fang macht,  zum  Verständniss  vor  Allem  noth  thut,  wozu  wir  unter 
Anderem  jedem  Cap.  vorausgehende  kurze  Inhaltsangaben  rechnen. 
—  Diese  Mängel  hat  die  Ausgabe,  wie  schon  angedeutet  wurde, 
dadurch  bekommen,  dass  sie  verschiedene  Zwecke  verfolgt,  die 
sich  ihrer  Natur  nach  nicht  wohl  vereinigen  lassen.  Hätte  sich 
Herr  IN. ,  anstatt  Zweien  dienen  zu  wollen,  sowohl  „den  Schüler 
der  untersten  Classen"  als  auch  „dem  Freunde  des  classischen 
Alterthums,'^  darauf  beschränkt,  eine  praktische  Schulausgabe  zu 
liefern  —  was  ja  der  Zweck  der  „Sammlung'^  ist,  zu  dessen  Er- 
reichung aber  nach  dem  verschiedenen  Standpunkt  oberer,  mittle- 
rer und  unterer  Klassen  natiirlich  auch  verschiedene  Mittel  anzu- 
wenden sind,  —  dann  wäre  wohl  die  Textes  -  Kritik  anders  und 
mehr  dem  Schulzwecke  entsprechend  gehandhabt,  die  sachlichen 
Anmerkungen  wären  auf  ein  kleineres  Maass  beschränkt,  die  sprachli- 
chen vermehrt  worden  und  beide  hätten  vielfach  eine  andere  Form 
oft  aucb  anderen  Inhalt  bekommen.  —  Ganz  anders  muss  die  Be- 
urtheilung  ausfallen,  wenn  man  die  Ausgabe  insofern  betrachtet,  als 
sie  für  erwachsene  Leser  bestimmt  ist.  Abgesehen  davon,  dass 
auch  er,  wenn  ersieh  nicht  sehr  eingehend  mit  Geschichte  be- 
schäftigt, Manches  finden  wird,  was  er  entbehren  möchte,  dass  er 
dagegen  das  kritische  Material,  wo  es  gilt,  sich  ein  ürtheil  über 
die  Sprache  desNepos  selbststandig  zu  bilden,  nicht  selten  ungern 
Termissen  muss,  wird  ihm  die  auf  umfassenden  Quellenstudien  und 
tüchtiger  Kenntniss  des  lateinischen  Sprachschatzes  beruhende 
Arbeit  des  Herrn  Nipperdey  zu  allseitigem  Verständniss  und  gründ- 
licher Beurtheilung  der  Vitae  gewiss  auf  das  Beste  förderlich  sein. 
Indem  sich  Ref.  mit  dieser  Andeutung  begnügt,  überlässt  er  es 
Andern,  diese  Seite  der  Ausgabe  nach  Gebühr  und  wie  es  der 
darauf  verwendete  Fleiss  verdient,  ausführlich  zu  würdigen. 
^  ■'  '  '  Dr.  Breitenbach.    - 


Maureri  Commentarius  in  veius  testamentum.     Vol.  IV.  Sect.  U. 

Commentarium   in   Ecclesiasten    et   canticum   canticorum    continenj.'. 
Scripsit^M^.  Heiligstedt.  Lipsiae  1848.  Renger.  1848.  S.  289 — 484  8. 


ii 


Es  ist  erfreulich,  dass  Herr  Heiligstedt  nunmehr  durch  den 
Commentar  zum  Prediger  und  dem  Hohen  Liede  ein  wichtiges 
Werk,  dessen  unterbrochene  Fortsetzung  sehr  bedauert  worden 

iV.  Jahrb.  f.  Phil.  u.  Päd.  od.  Krit.  Bibl,  Bd,  LVni.  Hft.  1.  5 


gß  Hebräische  Litteratnr. 

ist,  vollendet  hat.  Hoffentlich  diirfte  auch  noch  eine  Ergänzung,  ent- 
haltend h^inleitung  und  Nachtrag  zu  den  frühern,  minder  ausführ- 
lich behandelten  Schriften  des  heiligen  Bundes  dem  Ganzen  seine 
Vollendung  geben.  Bis  jetzt  weiss  wenigstens  Ref.  nicht,  ob  das 
Werk  wirklich  abgeschlossen  sei.  —  Was  nun  den  Sinn  und  den 
Geist  anbetrifft,  der  in  diesem  Commentar  herrscht,  darüber  hat 
sich  in  seiner  gewöhnlich  scharfen  Kritik  Prof.  Ewald  ausgespro- 
chen. (Cf.  Ewald  Jahrbücher  für  bibl.  Wschft. ,  Erstes  Jahrbuch. 
Gott.  1849.  8.46.)  Ungeachtet  der  a.  a.O.  erwähnten  Ausstellun- 
gen, hält  dennoch  Hr.  Ew.  „diesen  kleinen  Commentar  für  gründ- 
licher und  nützlicher,  als  die  grossen  Arbeiten^''  bedeutender  Vor- 
gäu'^er.  Zunächst  aber  bemerken  wir  für  unsern  Zweck,  dass  das 
Prooemium  wie  beim  Hiob,  zuerst  für  den  Ecciesiastes,  eine  pas- 
sende Einleitung  enthält.  Planmässig  ist  nachgewiesen,  dass  der 
angenommene  Name  Salomo's — der  Prediger—  nur  fingirt  sei.  Hl- 
gtorisch  und  grammatisch,  besonders  durch  Anführung  nicht  zeit- 
gemässer  Ausdrücke,  wird  der  Schrift  ihr  hohes  Alter  abgespro- 
chen und  sie  in  die  letzte  Zeit  der  persischen  Periode  gesetzt. 
(Herxheiraer  Rabbiner  etc.  in  seiner  Bibel  mit  FJrklärung.  Berlin 
1848,  ist  ganz  derselben  Meinung.)  Demnach  aber  ergebe  sich 
folgender  Plan.  Das  Buch  hat  einen  theoretischen  Theil  (Cap. 
1_14.  16)  und  einen  praktischen  (Cap.  4,  17—12,  7.).  Im  theo- 
retischen Theil  wird  die  Nichtigkeit  des  menschlichen  Lehens,  das 
erfolglose  Streben  nachgewiesen,  weil  der  Mensch  von  Zeit  und 
Zufall  abhängig  sei.  Im  praktischen  Theile  finden  wir  die  schön- 
sten Lebensregeln,  besonders  aber  wird  die  Gottesfurcht  iiber  Alles 
gepriesen  und  auch  die  Unsterblichkeit  des  Geistes  deutlich  ange»- 
nomraen.  Das  hedonischePrincip  wird  allmäligin  einßtoisches  ver,- 
wandelt.  Wir  hören  (gleichwie  in  der  neuern  Zeit  in  Tiedge's 
Urania)  zuerst  die  Sprache  des  Zweiflers  und  dann  eine  kräftige 
Widerlegung.  Ref.  findet  hier  eine  Fortsetzung  eines  im  Hiob 
bereits  gegebenen  Princips  von  der  göttlichen  Allmacht,  die  über 
alle  menschliche  Kritik  erhaben  ist.  In  dieser  Auffassung  hat  der 
Prediger  bei  nur  scheinbarem  Widerspruch  eine  nicht  zu  verken- 
nende Einheit.  —  Uebersetzungen  und  Erklärungen  sind  einfach 
und  verständlich.  Im  2.  Capitel  ist  der  vielfach  gedeutete  Vs.  3 
also  übertragen:  Investigavi  in  corde  meo  —  trahere  —  ad  vinam 
carnem  meara  etc.  Mit  einem  Worte:  ich  verschaffe  mir  mit  wei- 
ser Einsicht  jeden  Genuss.  Der  Verf.  erklärt  anb  ^^  pna  zzr=  pii< 
gemere  aliquid  und  giebt  den  Ausdruck  modificirt  durch  animum 
meum  sapientiae  taedebat.  Bleiben  wir  bei  der  Grundbedeutung 
und  wegen  des  Parallelismus  zu  ^n-)n,  dann  ist  es  ein:  „Hinziehen, 
ein  Hinführen  zu  Etwas.  Die  Uebersetzung  Herxheiraers  wäre 
daher  angemessen  :  „mein  Herz  veranstaltete  es  mit  Weisheit  etc.'' 
Schöner  noch  van  Ess:  „dann  wollte  mein  Herz  recht  weise  ein- 
lenken;"    3.  Capitel.  —  Alles  hat  eine  bestimmte  Zeit  —  die 

Rabbiner  haben  (bes.  wegen  Vs.  20)  dieses  Capitel,  ja  einige  eben 


Maurer  u.  Heiligstedt :  Comment.  in  Vet.  Test.  67 

desshalb  das  ganze  Buch  unterdrucken  wollen.  Nach  der  oben  ge- 
gebenen Einleitung  spricht  hier  nur  der  (später  widerlegte)  Zweif- 
ler. Finden  wir  keine  nähere  Besprechung  des  Gegenstandes,  so 
entschädigt  uns  dagegen  die  Erläuterung  des  4.  Cap.  V.  2  genaue 
Erörterung  des  vielfach  untersuchten  naej^  ijn;.  Hr.  Heiligstedt 
hält  die  Form  für  das  particip.  Piel  mit  fehl.  "Q  (vgl.  Pual.).  Ewald 
a.  a.  O.  nimmt  hier  ein  Inf.  pro  temp.  finito  an.  Warum  soll 
denn  aber  das  beigesetzte  •»sx  nicht  vielmehr  für  das  particip.  zeu- 
gen*? (Vielleicht  ist  des  Lippenlautes  wegen  und  der  folgenden 
1.  sibilans  nattj^ati  in  nac3i  contrahirt.)  Gut  ist  V.  17  die  Erklärung 
*iad  ^^^'^.  Custodi  pedes  tuos,  (quando  is  ad  domum  Dei)  wobei 
auch  das  f^i^?,^  durch  ähnliche  Belege  aus  der  Schrift  nunmehr 
deutlich  erklärt  ist.  —  Cap.  5,  19  fi?"^?!)  N^  ^3  etc.  Quia  non  mul- 
tum  recordatus  dierum  vitae  suae  etc.  abweichend  von  vielen  Inter- 
preten. Herxheimer  scheint  den  richtigen  Sinn  gefunden  zu  ha- 
ben: „dass  nicht  viele  sind  —  bedenke  er  —  die  Tage  seines  Le- 
bens etc."  Um  Einzelnes  ganz  besonders  hervorzuheben,  machen 
wir  noch  aufmerksam  auf  Cap.  7.  Vs.  7,  wo  besonders  die  Parano- 
raasia  d\ij  und  "j^iy  (Gut  Gerücht  —  gute  Gerüche)  hervorgehoben 
ist;  sowie  im  8.  Capitel  Vs.  10  gediegen  behandelt  erscheint 
(Ct-np).  üebrigens  ist  das  v.  i<i2  eine  genauere  Bezeichnung  des 
futurum,  wie  im  Französischen  aller.  Und  die  vulgata  hat  für 
beide  Ausdrücke  nur  den  einen:  sepultos.  Im  10. Cap.  Vs.  10 sind 
die  Worte  *i^^2«7  )'^'^^'^.'}  •^'s^ri  dorch  ,,emolumcntum  prosperandi 
praebet  sapientia,"  deutsch  etwa  so:  doch  Vortheil  des  Gelingens 
giebt  Weisheit.  Genauer  van  Ess:  Darum  hat  Vorzug  zur  bessern 
Einrichtung  Weisheit.  —  Im  12.  Capitel,  worin  der  Prediger  treff- 
lich das  mit  vielen  Uebeln  verbundene  Alter  schildert,  sind  für  die 
Erklärungen  hervorzuheben:  dieVse.  1.  3.  4.  5.  —  Vom  9.  Verse 
an  (Epilogus)  ist  Alles  erschöpfend  erläutert.  Mit  Becht  wird  Vs. 
1  durch  (das)  ^-T^i  dahin  gedeutet,  dass  wir  (im  Hinblick  auf  den 
Ewigen)  zu  keiner  Zeit  das  Leben  leichtsinnig  geniessen  sollen.  — 
Vs.  4  ist  "i-T^n  m32  übersetzt  filiae  cantus(cantus  senum)  depriraun- 
tur;  angemessener  dürfte  der  Sinn  folgender  sein:  der  Gesang 
der  Vögel  erscheint  gedämpft  (weil  nämlich  der  Greis  nicht  gut 
hört).  Ges.  thes.  na  p.  220,  cantatrices  (al.  oscines).  Im  Epilog 
ist  das  Endresultat  ^la'i  C]*ö  übers,  finem  verbi,  universitatem  au- 
diamus,  Vsn  als  Parallelismus.  Van  Ess  nimmt  hier  eine  Hendya- 
dys  an:,, das  Ende  des  Ganzen  iasst  uns  hören." — Zuletzt  sind  die 
Quellen  gegen  die  ^ithentie  des  Epilogs  angeführt.  — 

Canticuni  Canticorum.  Das  Prooemium  enthält  I  Inscriptio 
et  poeseos  genus.  II.  Carminis  materia ,  argumentum  et  finis. 
111.  Carminis  dispositio,  cohaerentia  et  forma.  IV.  De  cantici  Can- 
ticorum auctore  et  aetate,  et  de  loco,  in  quo  hie  liber  scriptus  est. 
S.  391 — 400.  Von  der  Geschichte  der  Erklärung  des  Gedichtes 
hat  der  Verf.  abstrahirt  und  nichts  von  der  allegorischen  Auffas- 
sung erwähnt,  wie  sie  in  den  ältesten  Zeiten  bei  jüd.  und  christl. 

5* 


(j8  Hebräische  Litteratur, 

Exegetcn  stattgefunden  hat.  Er  folgt  den  neueren  Auslegern,  die 
seit  Michaelis,  Herder  und  EicIit)orn  die  allegorische  Auslegung 
des  Hohenliedes  in  Misscredit  gebracht  haben.  Eine  ziemlich 
ausführliche  Darstellung  bespricht  den  Charakter  dieses  lyr.-ero- 
lischen,  dem  Drama  (wie  ein  Carmen  amoebaeum)  sich  nähernden 
Gesanges.  Dass  König  Salomo  nicht  der  Verfasser  sei,  sondern 
ein,  einige  Dekaden  nachher  zu  Thirza,  der  Residenzstadt  Israelit. 
Könige,  lebender  Sänger,  wird  umständlich  nachgewiesen.  —  Es 
wird  ausser  Zweifel  gesetzt,  dass  gegenwärtiger  Wechselgesang, 
der  sich  mit  Virgilschen  und  Theokritischen  Gesängen  dieser  Art 
gut  vergleichen  lässt,  zwischen  einem  unschuldigen  Landmädchen 
und  einem  Jüngling,  die  sich  aufrichtig  und  innig  lieben,  stattge- 
funden habe.  Die  steten  Versuche  des  Hofes,  die  Schöne  für  das 
Serail  zu  gewinnen,  scheitern  an  ihrer  festen  Liebe.  Capitel  3  u. 
4  sind  als  Phantasieenstücke  erklärt,  welche  zwei  Träume  in  Folge 
lebhafter  Sehnsucht  hervorgerufen  haben.  Die  Erklärungen,  la- 
teinisch gut  und  verständlich  geschrieben,  halten  die  Mitte  zwi- 
schen einer  zu  aphoristischen  und  einer  zu  makiologischen  Her- 
meneutik. Was  Herr  Ewald  a.  a.  0.  (s.  oben  Eccies.)  gegen  die 
Auffassung  der  Dichtung  von  Seiten  unseres  Verfassers  bemerkt 
hat,  übergehen  wir,  da  es  nur  weniges  Einzelne  betrifft.  Ref. 
hebt  einiges  Eigenthümlichc  des  Comm.  hervor.  Cap.  1.  V.  3  die 
schöne  Paronomasie,  die  mit  der  bereits  oben  (Pred.  7,1)  angeführ- 
ten Stelle  zu  vergleichen  ist.  Der  Sinn  ist:  der  Geruch  deiner 
Salben  ist  köstlich.  Herxheira.:  dem  Gerüche  sind  deine  Salben 
lieblich.  Herr  Heiligstedt  bemerkt:  n"»"^  odorem  —  neque  unquam 
odoratum,  i.  e.  odorandi  facultatem  habet  (cf.  Ges.Thes.  p.  1273). 
Die  Erklärung  zu  ^"}'p,  ""^rjx  quod  solis  ardori  semper  erant  exposi- 
ta,  nigrescebant  ist  zu  physisch.  Eine  mechanische  Auffassung 
führt  dahin,  dass  die  ganz  schwarzen  Zeltdecken  der  Araber  aus 
schwarzen  Ziegenhaaren  gewebt  waren. —  Im  2.  Cap.,  das  so  lieblich 
die  Annäherung  des  Lenzes  schildert  (glücklich  hat  Tieck  „Salomo- 
nische Lieder*  die  Stelle  versificirt  und  gereimt),  wird  f^^rnVs.  1 
für  Colchicum  autumnale  erklärt:  wahrscheinlich  ist  dieNarcisse  ge- 
raeint, die  auf  der  Ebene  von  Saron  häufig  gefunden  wird  (cf.  Jes. 
35,  1).  Vs.  15  (vgl  Ewald  a.  a.  0.)  ist  c^^^a  durch  vulpes,  nicht 
durch  canesaurei  übersetzt.  Dass  übrigens  das  Ganzeein  Fragment 
eines  Winzerliedes  sei,  ist  offenbar.  In  Cap.  3.  Vs.  7.8  die  (schein- 
baren) grammatisclien  Abweichungen.  Wohl  dürfte  "n'J'S  —  ge- 
flissentlich die  ländliche  Sprache  ausdrücken.  —  9.  ')'i'''?SvX  (n-.Q 
Bahre)  ferculum  .  Prachtstück;  folglich  ein  Prachtbett.  Die  Tal- 
raudisten  verstehn  (und  vielleicht  nicht  mit  unrecht)  ein  kostbares 
Ehebett  darunter.  Nach  Meier  (die  Bildung  des  Plural  in  den  so- 
mit, und  indogerman.  Sprachen,  Mannheim  1846.  vgl,  S.  Ö6  f.)  ist 
der  Stamm  mit  b^'S  zusammenfallend  ^-Ausbreitung  -^  Lager  = 
Bett,  bes.  Ehebett.  —  Vs.  10  "^äE"^  exornatum  amore  etc.  So  be- 
reits Mendelssohn  „gepolstert  mit  Liebe. ^*     Gezwungen  erscheint, 


Maurer  u.  Heiligstedt :  Comment.  in  Vet.  Test.  69 

dagegen  gehalten,  die  Uebersetzung  von  van  Ess:  „die  Mitte  war 
niedlich  gepolstert  der  Töchter  Jerusalems  wegen."     Aus  Cap.  4 
heben  wir  hervor  D-isii  Tj'??"'?  oculi  columbae,  deine  Augen  Tauben. 
Demnach  entbehren  wir  die  Erklärung,  wie  sie  bei  ähnlichen  Stel- 
len, «.  B.  mxrij  D-tril^x  (cf.  Ges.  Gramm.  1848.  §.  114.  S.)  für  — 
'^^'^^.  —  stattfindet,  und  verzichten  auf  die  Erklärung  Q"»2i''  -i^s»  'r^^:'^5> 
mit  Recht.  —  Das  5.  Capitel,  einen  zweiten  sehr  lebhaften  Traum 
enthaltend  von  der  Erscheinung  des  Geliebten  zur  Nachtzeit,  lässt 
sich  füglich  als  eineSceneimGjnaeceum  betrachten.  Das  Mädchen 
wird  endlich  daraus  befreiet.   Für  die  Erklärung  ist  besonders  der 
11.  Vers  hervorzuheben,    wo  auf  die  Begriffe  des  Orients   über 
morgenländische  Schönheit  aufmerksam  gemacht  wird.    Besonders 
aber  ist  Capitel  6  auf  Hartmann's  Ideale  weiblicher  Schönheit  bei 
den  Morgenländern  Rücksicht  genommen  worden.     Die  Ueber- 
setzung von  Vs.  12  lautet:  Nescivi,  anima  raea  posuit  me  inter  cur- 
rus  populi  mei  nobilis  (inopinato  translatam  me  sensi);  dieVulgata 
hat  hier  den  Eigennamen  Aminadab.    Castellio  übersetzt  unange- 
messen ebenso,  um  hier  nicht  von  der  Vulgata  abzuweichen.  Offen- 
bar ist  aber  hier  nur  die  Rede  von  Wagen  der  Grossen  =  könig- 
liche Wagen  (vgl.  auch  Gesen.  Thes.  S.  853).  —  Im  7.  Cap.  wird 
nachgewiesen,    dass  sich  die  Hoffrauen  ungemein  bemühen,  die 
Sulamith  zurückzuhalten,  die  jedoch  bescheiden  fragt:   fniri  tn?3. 
Der  Verf.  folgt  im  Erklären  der  mit  den  üppigsten  Farben  ausge- 
mahlten  Bilder  orientalischer  weiblicher  Schönheit   Rosenmüller 
und  Winer  und  lässt  es  nicht  an  interessanten  Vergleichen  mit  dem 
classischen  Alterthum  fehlen.   (Auch  Goethe  hat  bei  der  Schilde- 
rung in  der  Walpurgisnacht  im  Faust  Bilder  aus  diesem  Capitel  ent- 
nommen.) —  Vs.  3,  T\^"}^  ist  als  Synecdoche  für  venter  erklärt. 
Aehnliches  sehen  wir  bei  Horatius,  Ref.  erinnert  unter  Andern  an 
crinis  =  capilli  =  caput.    —    Vs.   14   werden  die  d^s<f^i"i  durch 
Mandragorae  übersetzt  =:  Liebesäpfel.     Dieses  entspricht  freilich 
der  Etymologie  von  T'n.  "i^i.     Ref.  fügt  den  angezogenen  Stellen 
zum  Belege  noch  gern  bei:  Philippsohn,  Israelitische  Bibel,  IMos. 
30,  14.  Anm.  S.  152,  woselbst  die  Abbildungen  von  Atropa  Man- 
dragora und  der  Musa  paradisiaca  zur  Veranschaulichung  dienen. 
Nach  neuern  Ansichten  ist  im  Hohenlicde  wirklich  letztere  Pflanze 
gemeint.     In  der  Einleitung  zum  8.  Capitel  wird  der  errungene 
Sieg  der  Unschuld  nachgewiesen,  wodurch  die  Suiamith  endlich 
ihre  Freiheit  erhält.     Dass  dieses  mit  königlicher  Bewilligung  ge- 
schehen sei,  wird   entnommen  aus  dem  auf  Salomo  anspielenden 
Ausdruck  Dibb  im  Vs.  10.  —  Vs.  6  n^  n^nbui  flamma  Jehovae  z^ 

T  T  V    V    ;    - 

vehementissima,  folglich  ein  umschriebener  Superlativ  wie  etwa 
1  Mos.  10,  9.  —  Fänden  wir  hier  nicht  das  Wort  ^^.  wir  würden 
Jehovah  gleichwie  in  Esther  ganz  vermissen.  —  Zu  Vs.  7  fugen 
wir  bei  inta  yn  noch  hinzu,  dass  hier  offenbar  auf  Salomo  selbst 
hingezielt  wird,  dessen  Reichthümcr  eben  so  angestaunt  wurden 
als  seine  Weisheit.    —    Schliesslich  müssen  auch  die  Corrigenda 


70  Bibliographische  Berichte  u.  kurze  Anzeigen. 

bei  der  Lectiire  nicht  unbeachtet  bleiben.  Möge,  wie  bereits  oben 
bemerkt,  eine  baldige  Ergänzung  zum  Commentar  einen  Abschlnss 
des  Ganzen  herbeifüliren ,  um  das  nützliche  Werk  immer  mehr 
dem  Bntzwecke  entsprechender  zu  machen. 

Mülilliausen.  Mühlberg. 


Bibliographische  Berichte  u.  kurze  Anzeigen. 

1.  Satzlehre.  Zum  Behufe  eines  gründlichen  und  fruchtbaren 
Unterrichtes  in  der  deutschen  Sprache  bearbeitet  von  M.  Zeheier ,  er- 
stem Lehrer  und  Präfekt  am  königl.  Schullehrer-Serainar  in  Eichstätt. 
Nördlingen,  Verlag  der  C.  H.  Beck'schen  Buchhandlung.  1849.  XLIV 
D.  263  S.    12. 

2.  Neuhochdeutsche  Grammatik  von  K.  A.  Hahn.  Erste  ab- 
teilung  die  lehre  von  den  buchstaben  und  endungen.  Frankfurt  a.  M. 
Druck  und  Verlag  von  H.  L.  Brönner.    1849.    XX  u.  152  S.    8. 

3.  Der  Vokal  in  den  Wurzeln  deutscher  Wörter  beleuchtet 
von  Eduard  Olawski,  Professor  am  Königl.  Gymnasium  zu  Lissa.  Trze- 
messno.    Verlag  und  Druck  von  Gustav  Olawski.  1849.  XXVI  u.  260  S.  8. 

Wenn  der  Unterzeichnete  diese  drei  Werke  hier  zusammenfasst,  so 
hat  dies  darin  seinen  Grund,  dass  sie  ihm  von  der  verehrl.  Redaction 
zusammen  zugeschickt  worden  sind  ,  um  sie  „in  einer  kurzen  Anzeige" 
in  den  Jahrbb.  zu  besprechen.  Der  Unterzeichnete  wird  sich  darum  der 
möglichsten  Kürze  befleissigen,  dabei  jedes  der  genannten  Werke  beson- 
ders betrachten, 

Herr  Zeheter  ist  den  Lehrern  der  deutschen  Volksschule  und  der 
Schullehrerseminarien  durch  verschiedene  Werke  bereits  rühmlich  be- 
kannt; auch  bekannt  durch  den  sittlich-christlichen  Geist,  der  sich  viel- 
fach in  seinen  Werken,  auch  in  der  vorliegenden  ,, Satzlehre"  ausspricht. 
Sein  Buch,  für  den  Elementarunterricht  in  Knaben-  und  Mädchenschulen 
bestimmt,  zerfällt  in  2  Abschnitte:  im  ersten  werden  die  verschiedenen 
Arten  des  einfachen,  im  zweiten  die  des  zusammengesetzten  Satzes  klar 
und  einfach  entwickelt  und  die  gegebenen  Regeln  durch  zahlreiche  zweck- 
mässig gewählte  Beispiele  erläutert.  Der  Verf.  folgt  besonders  den 
Lehrbüchern  von  Becker ^  Diesterweg,  Honkamp,  Kellner,  ohne  sie  auszu- 
schreiben oder  ihnen  sclavisch  nachzutreten.  Es  wäre  übrigens  zu  wün- 
schen ,  dass  der  Verf.  die  Ergebnisse  der  historischen  Grammatik  mehr 
beachtet  hätte,  denn  mit  Recht  behauptet  der  Verf.  von  Nr.  3,  dass  die 
rechte  Schmiede  einer  auf  historischer  Grundlage  aufzubauenden  neuen 
Orthographie  (statt  unserer  willkürlichen  Un- Orthographie)  die  Volks- 
schule sei.  Durch  die  Volks-  und  Gelehrtenschulen  müssen  die  For- 
schungen J.  Grirnrn^s  in  das  Volk  eindringen  und  dasselbe  belehren  and 
zu  deutschem  Sinne  kräftigen.      Sehr  belehrend  ist  die   Vorrede  j  deren 


Bibliographische  Berichte  u.  kurze  Anzeigen.  71 

Hauptgedanken  hier  mitgetheilt  werden  mögen,  da  sie  auf  den  Sitz  des 
Uebels  (des  Nicht-Gedeihens)  hinweisen  und  Mittel  dagegen  bieten.  Der 
Verf.  handelt  hier  „über  den  Unterricht  in  der  deutschen  Sprache  in 
deutschen  (Voiks-)Schulen"  und  sucht  zunächst  die  Frage  zu  beantwor- 
ten, „ob  der  dem  Erlernen  der  deutschen  Sprache  gespendete  Aufwand 
von  Zeit,  Mühe,  Regelwesen,  überhaupt  vom  sprachlichen  Treiben  mallen 
deutschen  Schulen,  oder  auch  nur  in  den  meisten^  das  gewünschte  oder 
wünschenswerthe  Resultat  geliefert."  Der  Verf.  beantwortet  die  Frage 
mit  Nein]  und  findet  die  Ursache  in  den  verschiedenen  verkehrten  Me- 
thoden ^  deren  er  dann  einige  anführt  und  näher  bespricht.  Er  fordert, 
„dass  der  allseitige  Unterricht  in  der  Muttersprache  den  Schüler  nach 
Kopf  und  Herz  ans  sich  heraus-  und  in  sich  hineinbilde,  indem  der  Schü- 
ler durch  denselben  sowohl  seine  eigene  Geistes-  und  Herzensthätigkeit, 
als  auch  die  Objecto  seines  nothwendigen  und  nützlichen  Wissens  und 
Könnens  klar  und  möglichst  umsichtig  anschauen,  begreifen,  beurtheilen 
und  ordnen  lernt.  Durch  die  Lösung  dieser  formellen  Aufgabe  hat  der 
Sprachunterricht  auch  matenell  zu  wirken  und  den  Schüler  dahin  zu 
bringen  ,  dass  er  sich  der  Sprache  als  mündliches  und  schriftliches  Ver- 
kehrsmittel (-mittels)  richtige  klar,  fertig  und  wohl  auch  schön  zu  bedie- 
nen im  Stande  ist."  Um  diese  Aufgabe  zu  lösen,  ,, bedarf  es  in  objecti- 
ver  Hinsicht  der  Materialien ,  worüber ,  der  Formen,  nach  denen  gespro- 
chen werden  soll,  und  der  schriftlichen  und  mündlichen  Uebungen  für 
beides."  —  In  Bezug  auf  die  Lehrform  verlangt  der  Verf.,  „dass  die- 
selbe einfach  sei,  the'ils  entwickelnd  (entweder  vortragend  oder  kateche- 
tisch), theils  blos  praktisch.^^  Der  Slufengang  „sei  theils  analytisch, 
theils  synthetisch  ,  theils  analytisch-synthetisch  ,  theils  synthetisch-analy- 
tisch, je  nachdem  das  Pensum  beschaffen  ist."  —  Den  Schulkindern  der 
ersten  Classe  (bis  zum  8.  J.)  weist  der  Verf.  zu  1)  Vorübungen:  Be- 
trachten, Benennen  und  Bezeichnen  der  Dinge  im  Schulzimmer  etc. ;  der 
Theile,  der  Eigenschaften  und  Merkmale,  der  Thätigkeiten  und  des  Ge- 
brauchs, der  Zahl  und  der  Verhältnisse  derselben;  2)  Nebenübungen: 
Kenntniss  der  Laute,  Silben ,  der  wichtigeren  Wortarten,  Bildung  ein- 
facher Sätze.  In  der  2.  Classe  (8 — 10  J.)  soll  der  Sprachunterricht 
mehr  und  mehr  als  Selbstzweck,  mithin  in  seiner /ormeZZ-materiellen  Seite 
erscheinen.  Hier  kommen  Wort-,  Wortbildungs-  und  Wortbiegungslehre 
in  Betracht.  In  der  3.  Classe  tritt  der  Satzbau  selbstständig  und  als 
Hauptaufgabe  hervor,  jedoch  mit  beständiger  Rücksichtnahme  auf  die 
Wort-  und  Wortbiegungslehre.  Zu  dieser  Satzbaulehre  liefert  nun  der 
Verf.  im  vorliegenden  Buche  eine  Anleitung  nach  Form  und  Material,  und 
zwar  eine  recht  brauchbare  und  empfehlenswerthe. 

Die  Verf.  von  Nr.  2  und  3  haben  das  miteinander  gemein,  dass  sie 
sich  beide  an  die  Forschungen  von  J.  Grimm  anlehnen ,  unterscheiden 
sich  aber,  abgesehen  von  Inhalt  und  Form  ihrer  Bücher,  wesentlich  durch 
den  Ton,  der  in  denselben  herrscht.  Hr.  Hahn  lässt  durchweg  einen 
zuversichtlichen,  gegen  Andere  vornehm  absprechenden  Ton  hören,  wäh- 
rend Hr.  Olawski  den  für  sein  deutsches  Vaterland  begeisterten  und  zu 
begeistern  suchenden  Lehrer  überall  erkennen  lässt. 


72  Bibliographische  Berichte  u.  kurze  Anzeigen. 

Hr.  Hahn  hat  sich  ,,eine  historische  Belebung  der  Grammatik"  zur 
Aufgabe  gestellt.  FJr  findet  in  den  bisherigen  Lehrbüchern  die  Gramma- 
tik der  neuhöchd.  Sprache  aus  zweierlei  Gründen  ungenügend:  erstens 
fehle  denselben  eine  historische  Grundlage,  d.  h.  der  jetzige  Stand  der 
Sprache  sei  darin  ohne  alle  Rücksicht  auf  den  früheren  dargestellt;  ein 
zweiter  Fehler  sei  das  summarische  Verfahren  in  der  Darstellung.  Er 
fordert  bei  grammatischen  Arbeiten  Ausführlichkeit,  ja  Vollständigkeit 
als  unerlässliche  Bedingung  ihres  dauernden  Werthes.  Der  Verf.  hat 
,, ausser  Grimmas  unschätzbarem  und  unentbehrlichem  Werke  alle  gram- 
matischen Schriften  über  die  jetzige  deutsche  Sprache  mit  Fleiss  ausge- 
schlossen", um  ,,das  beneidenswerthere  Bewusstsein  der  Selbstständigkeit 
und  Unbefangenheit"  zu  haben  und  ,,roit  dem  reinsten  Bewusstsein  be- 
haupten zu  können,  dass  sein  Buch  nicht  zu  denen  gehöre,  von  denen  es 
heisst,  dass  aus  zehn  schon  vorhandenen  ein  elftes  zusammengestöppelt 
■worden."  Dieses  vornehme  Nichtbeachten  hat,  nach  unserem  Urtheil, 
dem  Buche  keinen  Vortheil  gebracht,  so  sehr  wir  sonst  die  Selbststän- 
digkeit anerkennen.  Es  ist  seit  mehreren  Jahren  in  Zeitschriften  (z.  B, 
in  diesen  Jahrbb.,  im  Archiv  von  Viehoff  und  Herwig),  in  Programmen, 
in  besonderen  Abhandlungen  so  manche  Seite  der  historischen  Gramma- 
tik behandelt  worden  und  mitunter  auf  so  belehrende  Weise ,  dass  diese 
Arbeiten  wohl  eine  Berücksichtigung  verdient  hätten.  Hr.  Hahn,  ein 
tüchtiger  Kenner  des  Mittelhochdeutschen  und  als  bewährter  Arbeiter 
auf  diesem  Felde  anerkannt,  dringt  mit  Recht  auf  Benutzung  der  Quellen, 
fordert  mit  eben  so  vielem  Rechte,  dass  bei  einer  Grammatik  der  neu- 
hochdeut.  Sprache  das  16.  und  17.  Jahrh.  beachtet  werden,  —  aber  er 
rouss  auch  wissen,  dass,  wenn  ein  Verf.  seine  Mitarbeiter  auf  dem  Felde 
der  deutschen  Grammatik  so  vornehm  absprechend  behandelt,  man  an  ihn 
desto  grössere  Forderungen  zu  stellen  berechtigt  ist.  Und  da  muss  Ref. 
denn  sogleich  gestehen ,  dasa  es  hier  nicht  genügt,  die  (an  sich  trefflichen) 
Lehrbücher  von  W.  Wackernagel  und  Häusser  y  die  Luise  und  die  Ueber- 
setzung  der  Ilias  und  Odyssee  von  FosSf  Hermann  und  Dorothea  von 
Goethe  und  die  Uebersetzung  der  Schauspiele  Calderon's  von  Gries  zu 
benutzen.  Hier  dürfen,  um  nur  einige  zu  nennen,  Geiler  von  Kaisers- 
berg, Luther,  Fischart,  G.  Sachs ^  die  Dichter  der  ersten  und  zweiten 
schlesischen  Schule  nicht  unbeachtet  bleiben  *)  oder  nur  Stücke  ihrer 
"Werke  in  Lesebüchern  benutzt  werden  ,  von  neueren  gar  nicht  zu  reden. 

Hr.  Hahn  behandelt  S.  1 — 55  die  Buchstabenlehre,  S.  55 — 104  die 
Declination,  S,  105  bis  zum  Schluss  die  Conjugation,  und  zwar  mit  steter 
Beachtung  der  früheren  Sprache;  er  wandelt  dabei  ganz,  und  mit  Recht, 
auf  Grimm's  Weg.  Was  Ref.  tadelt,  ist  das  Pochen  des  Verf.  auf  (eine 
vermeintliche)  Neuheit  und  Vollständigkeit ;  was  Ref.  gern  lobt,   ist  die 


*)  Aus  jedem  Werke  der  genannten  könnte  Hr.  Hahn  Berelchernng 
zu  seiner  Grammatik  gewinnen.  Ref.  glaubt  einiges  Recht  zu  dieser  Be- 
hauptung zu  haben,  da  er  seit  längerer  Zeit  mit  dem  Lesen  der  Schrift- 
steller des  15. — 17,  Jahrh.  beschäftigt  ist,  um  eine  Grammatik  jener  Zeit 
zu  schreiben. 


Bibliographische  Berichte  u.  kurze  Anzeigen.  73 

Klarheit  und  Verständlichkeit  seiner  Entwickelung.  Dieses  Lob  bedarf 
keiner  Begründung,  das  Buch  selbst  giebt  sie;  den  Tadel  will  Ref.  in 
gedrängter  Kürze  zu  begründen  suchen.  S.  12  sagt  der  Verf.  Gebürge, 
wüschen,  Spitzfündigkeit,  Sprüchwort,  sprützen  seien  jetzt  entweder  ganz 
beseitigt  oder  eine  ganz  seltene  Ausnahme.  Bei  Gebürge,  Sprüchwort 
und  sprützen  ist  dies  nicht  der  Fall :  Sprüchwort  findet  sich  oft  bei  Goethe 
u.  A.,  Gebürg  und  sprützen  bei  Platen  (z.  B.  Band  4.  S.  5  nnd  169  der 
Ausg.  Stüttg.  und  Tüb.  18*8),  Statt  des  unorganischen  ergötzen  steht 
in  Goethe's  Werken  (Stuttg.  u.  Tüb.  1827  f.)  meistens  (nicht  immer)  er^ 
geizen,  bei  welcher  Form  wir  also  nicht  bis  zu  P.  Gerhardt  im  17.  J.  zu- 
rückzugehen brauchen.  —  Den  Diphthong  e«,  der  sich  aus  früherem  iu 
entwickelt  hat,  schreibt  Hr.  Hahn  S.  20  f.  eit,  zum  Unterschied  des  Um- 
lautes von  au,  der  bald  äu,  bald  eu  geworden  ist.  Das  Verzeichniss  der 
Wörter  mit  diesem  eu  Hesse  sich  noch  um  manches  Wort  vermehren  (z.  B. 
meuchlings,  keusch,  Keule  u.  A.)  Vergl.  Grimm  I.  189.  226.  3.  A.  • — 
Die  Präp.  halben  (S.  36)  hat  sich  noch  später  als  bei  Fischart  (im  16.  J.) 
erhalten,  z.  B.  bei  Goethe  im  R.  Fuchs  I.  14.  Um  die  Form  Thurn 
(S.  37)  statt  der  jetzt  gebräuchlicheren  Thurm  zu  finden ,  braucht  man 
nicht  bis  ins  17.  J.  zurückzugehen,  Goethe  gebraucht  sie  noch  im  Götz 
V.  B.  (W.  Bd.  8,  121).  —  S.  42  heisst  es:  ,,d  geminiert  wohl  höchstens 
in  troddel."  Hier  ist  Widder  vergessen;  Kladde  ist  mehr  niederdeutsch. 
—  Die  Zahl  der  Wörter,  in  denen  t  ein  unorganischer  Zusatz  ist  oder 
für  d  steht  (S.  44)  lässt  sich  vermehren:  und  gehören  dahin  viele 
Partie.  Präter. :  geflissentlich,  gelegentlich  u.  a.  und  viele  (als  solche  nicht 
mehr  gefühlte)  Partie.  V vis.:  flehentlich  ,  wissentlich  u.  a.  Vergl.  Grimm 
II.  690  f.  und  meine  Gramm.  1.  2,  §.  254,  wo  auch  auf  die  älteren  Formen 
des  15. — 17.  J.  hingewiesen  ist.  —  Von  Fastnacht  geben  Schmeller  (I. 
568  f.)  und  Weigand  (syn.  Wörterbuch  Nr.  677  Nachtrag)  die  altern 
Formen  in  reicher  Fülle  an.  ■ —  S.  48  wird  gesagt ,  s  sei  am  Ende  ver- 
schiedener Wörter  unechter  Zusatz  ,  der  sich  bald  früher,  bald  später 
eingeschlichen  habe ,  und  dabei  wird  auch  wärts  in  himmelwärts  angeführt. 
Wie  der  Satz  da  steht,  kann  er  zum  Irrthum  verleiten,  denn  schon  goth, 
und  nhd.  findet  sich  (nebst  andern)  das  genitivische  Adverbium  wärts x 
jaindvairths,  heimwartes.  Vergl.  Grimm  III.  89  f.  —  S.  50  wird  „als 
ganz  individuelle  Liebhaberei"  Gärtgen  (aus  J.  Moser)  und  mogte  ange- 
führt. So  individuell  ist  doch  wohl  diese  Liebhaberei  gerade  nicht;  denn 
mogte  statt  möchte  findet  sich  in  vielen  Büchern  des  18.  — 19.  J.,  und 
die  Verkleinerungsform  gen  statt  chen  findet  sich  auch  bei  Opitz  *)  und 
Goethe,  z.  B.  Küssgen,  bissgen,  Mädgen  in  „Goethe's  ältestes  Lieder- 
buch" Berlin  1844.  S.  5  und  6.  —  Um  die  vollere  Form  Marschalk 
(S.  51)  zu  finden,  braucht  man  nicht  ins  17.  J.  zurückzugehen,  Goethe 
gebraucht  sie  öfters  im  2.  Theile  des  Faust.     Das  Verzeichniss  der  Wör- 


*)  Nachgewiesen  hat  Ref.  diese  und  andere  Formen  in  einer  be- 
sondern Abhandlung  über  Opitzens  Sprache  im  „Archiv  für  den  Unter- 
richt im  Deutschen"  1844.  II.  2.  S.  31  f. 


74  Bibliographische  Berichte  ü.  kurze  Anzeigen. 

ter,  deren  h  organisch  ist  (S.  54),  lasst  sich  noch  um  manche  vermehren, 
z.  B.  Fehde,  Gemahl,  Bühl  (ahd.  fehida,  kimahal,  puhil)  u.  a. 

Die  Urform  der  schwachen  Declination  (S.  57)  hat  nun  Grimm  in 
setner  ,, Geschichte  der  deutschen  Sprache''  S.  945  etwas  anders  darge- 
stellt als  in  seiner  Grammatik  I.  817.  2.  A.  —  S.  60  werden  einige  Bei- 
spiele angeführt,  die  noch  die  vollen  Flexionsvocale  haben:  meistere,  na- 
gele, vogelen.  Schriftsteller  des  16. — 17.  Jahrh.  bieten  deren  noch 
viele,  z.  B.  ackere,  gütere ,  dienere,  richtere,  urteilsprcchere  in  Hug  s 
Rhetorik  (Tiib.  1528).  —  Zu  den  im  PI.  nicht  umlautenden  Wörtern 
wird  S.  60  y4al  gezählt,  Goethe  sagt  im  Götz  v.  B.  (W.  8,  126)  Aele.  — 
S.  61  waren  die  fremden  Mtar  und  Pallast  anzuführen,  wie  S.  65  Klo- 
ster angeführt  ist.  Die  S.  68  angeführten  schwachen  Pormen  von  Mai, 
März  (zu  denen  auch  Lenz  gehört)  gebraucht  Rückert  noch  sehr  oft.  — 
S.  68  wird  gesagt,  Dichter  hätten  das  schwache  fem.,  wenn  auch  nur 
spärlich,  fortgepflanzt.  Um  von  Opitz  u.  a.  Schriftstellern  des  17.  J.  zu 
schweigen,  mag  nur  bemerkt  werden,  dass  Wieland,  Goethe,  Schiller, 
Rackert  im  18. — 19.  J,  das  schwache  fem.  sehr  oft  gebrauchen.  —  Doch 
Ref.  bricht  hier  ab  in  Bezug  auf  die  Declination  der  Subst. ;  weitere  ab- 
weichende, von  Hrn.  Hahn  ausgelassene  Formen  findet  der  Leser  unter 
Andern  in  einem  Gymnasialprogr.  von  Gortzitza  (Lyck)  und  im  7.  und  8, 
Suppl.  dieser  Jahrbb.  (von  dem  fleissigen  Teipel  in  Coesfeld).  —  Der 
S.  95  aus  A.  Tschudi  angeführte  Acc.  ihne  ist  im  16.  J.  nicht  so  ausser- 
ordentlich selten  ,  ich  habe  die  Form  öfters  gefunden.  S.  102  wird  ieder 
(gereimt  auf  ßrürfer)  aus  dem  17.  J.  angeführt;  Zachariä  (im  Renommist  1) 
reimt  noch  im  18.  J.  jeder  und  wieder. 

Wie  zu  den  Declinationen,  so  lässt  sich  auch  zu  den  (starken)  Con- 
jngationen  mancher  Nachtrag  aus  Schriftstellern  der  früheren  und  späte- 
ren Zeit  geben.  Ref.  beschränkt  sich  zum  Beweis  nur  auf  einige  Verba, 
Bei  der  ersten  Classe  S.  107  und  113  fehlen  schlinden,  schrinden,  hinken 
und  winken;  das  erste  gebrauchen  noch  H.  Sachs,  der  Verf.  des  Helden- 
buches vom  J.  1560,  P.  Abraham,  Logau  u.  A.;  das  zweite  P.  Melissus 
(f  1602)  und  Goethe:  An  der  Finsterniss  zusammeng-escÄrunrfen  wird 
dein  Auge  vom  Licht  entbunden ;  hinken  gebraucht  noch  Opitz  (nachge- 
hunken)^  winken  Uhland  (gewunken)  stark.  Bei  der  5.  Classe  S.  108. 
120  fehlen  tragen^  schaben^  waten.  Das  starke  Partie,  geschahen  zeigt 
ein  Beispiel  bei  Schmeller  (b.  Wörterb.  3,  304);  von  waten  findet  sich 
bei  H.  Sachs  und  andern  Schriftstellern  des  16.  J.  häufig  das  starke 
Prater.  wut.  Es  sind  dies  allerdings  seltene  Formen ,  aber  sie  durften 
hier  nicht  übergangen  werden.  —  Möge  der  Verf.  aus  dem  Gesagten  erse- 
hen ,  dass  Ref.  sein  klar  geschriebenes  und  belehrendes  Buch  genau 
durchgelesen  habe  und  das  viele  Gute  in  demselben  gern  anerkenne ; 
möge  er  aber  auch  daraus  entnehmen,  dass  er  zu  einer  auch  nur  relati- 
ven Vollständigkeit  noch  manches  in  seinem  Buche  nachzutragen  habe. 

In  Nr.  3  ist  dem  Leser  weit  mehr  geboten,  als  der  kurze  Titel  an- 
giebt.  Der  Verf.  hat  sich  ,,die  Lehre  vom  Vocal  der  Wurzel  und  sei- 
nem theils  unwesentlichen,  theils  bedeutsamen  Wechsel"  als  Inhalt  seines 
Buches  gewählt  und  handelt  im  1.  Theile:    1)  vom  dialektischen   Vocal- 


Bibliographische  Berichte  n.  kurze  Anzeigen.  75 

Wechsel  ohne  Einfluss  eines  i  in  der  Endung;  2)  vom  Umlaut  in  der  De- 
clination ,  Conjugation,  Comparation  und  Derivation;  im  2.  Theile  vom 
Ablaut  nach  Form  und  Bedeutung,  und  prüft  dabei  die  Lehren  von  Be- 
cker, Graff,  Schmitthennerund  die  „Anordnung  der  verschiedenen  Sprach- 
lehren in  Rücksicht  auf  die  Bildung  der  Worte"  von  Buttmann,  Zumpt^ 
Grimm,  Dobrowski^  Roth,  Bopp,  Pott,  Rapp,  —  Es  kam  dem  Verf.  dar- 
auf an ,  thatsächlich  darzuthun :  1)  dass  die  Lehre  vom  Vocalismus  die 
Grundlage  des  ganzen  etymologischen  Theiles  der  deutschen  Grammatik 
bilde;  2)  dass  der  Vocal  unserer  heutigen  Sprache  vom  einseitigen  Stand- 
punkt derselben  nicht  begriffen  und  erklärt,  o)  dass  auch  ein  der  Sache 
ganz  unkundiger  Leser  ohne  alle  gelehrte  Zurüstung  und  schwierige  Stu- 
dien in  die  historische  Grammatik  eingeführt  werden  könne,  und  endlich 
4)  dass  die  Beschäftigung  mit  der  Geschichte  des  Vocals  nichts  weniger 
sei  als  trocken  und  anstrengend,  sondern  vielmehr  von  lebendigem,  mäch- 
tig anregendem  Interesse.  —  Der  Verf.  geht  von  der  gewiss  richtigen 
Ansicht  aus,  dass  „ohne  Mitwirkung  der  Schule  Grimm's  Hauptwerk  ein 
todtes  Capital  bleibe  und  unter  der  Masse  der  Gebildeten  Deutschlands 
nicht  volksthümlich  werde."  Darum  kam  es  ihm  vor  Allem  darauf  an, 
„einige  Punkte,  in  welchen  Grimm's  Grammatik  sich  von  allen  früheren 
wesentlich  unterscheidet,  herauszufinden  und  das  darüber  an  verschiede- 
nen Orten  Gesagte  zusammenzustellen  und  übersichtlich  zu  ordnen."  Zu 
diesen  Punkten  gehört  vor  Allem  die  Lehre  von  dem  Vocal  der  Wnrzel, 
Ref.  spricht  es  zuversichtlich  aus,  dass  kein  Leser,  der  einen  klaren 
Blick  in  diesen  Theil  der  deutschen  Grammatik  zu  gewinnen  sucht,  das 
Buch  unbefriedigt  aus  der  Hand  legen  wird.  Ob  der  Gebrauch  dieses 
Buches  in  den  beiden  obersten  Classen  den  weiteren  Unterricht  in  der 
deutschen  Grammatik  entbehrlich  machen  kann,  muss  die  Erfahrung  leh- 
ren. Hier  wird  wohl  besonders  zu  beachten  sein ,  wie  der  deutsche  Un- 
terricht in  den  unteren  Classen  gewesen.  Ref.  knüpft  den  prakt.  Unter- 
richt in  der  neuhochd.  Grammatik  in  den  unteren  Classen  an  das  Lesebuch, 
nimmt  in  IV — lll  neuhochd.  Grammatik  auf  historischer  Grundlage,  in 
II — I  deutsche  Litteraturgeschichte,  und  zwar,  was  auch  Hr.  Olawski 
mit  Recht  fordert,  mit  sprachlicher  Erklärung  zahlreicher  Proben  aus 
der  älteren  (goth.,  ahd.,  mhd.)  Zeit  unserer  Litteratur.  „Denn  ohne 
Schriftproben  (sagt  der  Verf.)  schweben  Grammatik  und  vor  Allem  die 
Geschichte  der  Litteratur  in  der  Luft,  sie  haben  keinen  festen  Grund  und 
Boden."  —  Ref.  bedauert,  auf  Einzelnes  in  dem  Buche  des  Hrn.  Olawski 
nicht  näher  eingehen  zu  können,  besonders  auf  den  Abschnitt  über  unsere 
neuhochd.  (Un-)Orthographie;  er  empfiehlt  noch  einmal  Jedem,  dem  es 
um  Verständniss  der  deutschen  Grammatik  zu  thun  ist  und  ,,der  nicht 
vom  Studium  der  Grimmischen  Grammatik  Profession  macht",  das  Lesen 
dieses  Buches. 

Hadamar.  im  Nov.  1849.  /.  Kehrein. 


Geschichte  der  Neckarschule  in  Heidelberg  von  ihrem  Ur- 
sprünge im  12.  Jahrh.  bis  zu  ihrer  Aufhebung  im  Anfange  des  19.  Jahrb. 


76  Bibliographische  Berichte  n.  kurze  Anzeigen, 

—  Bearbeitet  nach  handschriftlichen,  bisher  noch  nicht  gedruckten  Quel- 
len, und  nebst  den  wichtigsten  Urkunden  herausgegeben  von  Johann 
Friedrich  Uauiz,  Prof.  und  alternirendera  Director  des  Grossherzogl.  Ly- 
ceunis  in  Heidelberg.  Heidelberg,  1849.  Academische  Verlagshandlung 
von  J.  C.  B.  Mohr.  XJI  und  20Ö  S.  8.  —  Als  würdiges  8eitenstück 
der  trefflichen  Schrift  des  Hrn.  Directors  Hautz:  Lycei  Heidelbergensis 
Origines  et  Progressus  etc.,  wovon  wir  bereits  in  diesen  Jahrbb.  (1846. 
Bd.  48.  Heft  2.  S.  235 — 238)  eine  Darstellung  gaben,  verdient  das  vor- 
liegende Werk  desselben  Verfassers  die  Anzeige  in  einer  Zeitschrift,  wel- 
che, wie  die  gegenwärtige,  der  höhern  Pädagogik  und  der  geistigen  Aus- 
bildung durch  classische  Studien,  so  wie  der  Verbreitung  alles  dessen, 
was  zur  wahren  Förderung  derselben  und  zur  Erreichung  ihrer  Zwecke 
beitragen  kann,  gewidmet  ist.  Jener  verdienstvolle  Mann,  der  sich  als 
Lehrer  und  Vorsteher  einer  der  geschätztesten  Gymnasial  Anstalten  und 
zugleich  als  Schriftsteller  in  Erforschung  der  Quellen  und  in  gediegener 
Darstellung  ihrer  Geschichte,  mit  Angabe  ihrer  wissenschaftlichen  Ten- 
denz und  des  sie  belebenden  Geistes,  durch  Gelehrsamkeit,  rastloses 
"Wirken  und  weise  Thätigkeit  so  rühmlich  bewährt,  hat  hier  einen  Ge- 
genstand behandelt,  der,  indem  er  eine  Schilderung  der  wechselnden 
Schicksale  eines  uralten  pädagogischen  Instituts  enthält ,  auch  in  genauer 
Verbindung  mit  der  Geschichte  des  pfälzischen  Landes,  besonders  der 
kirchlichen  ,  steht  und  zudem  manche  interessante  Hinweisung  auf  die 
der  Stadt  Heidelberg  und  ihrer  für  die  dortigen  Lehranstalten  so  wichti- 
gen Universität  ertheilt,  welche  letztere  schon  im  J.  1386  gegründet  wor- 
den, also,  wenn  man  die  von  Prag  nicht  hierher  rechnen  will,  die  älteste 
Academie  Deutschlands  ist  und  jetzt  in  allen  Zweigen  der  Wissenschaft 
die  herrlichsten  Blüthen  entfaltet. 

Das  gegenwärtige  Buch  zerfällt  in  sieben  Abschnitte,  worin  die 
verschiedenen  Perioden,  welche  die  Neckarschule  von  ihrem  Ursprünge 
bis  zu  ihrer  Aufhebung  erlebte,  geschildert  sind.  Der  Raum  erlaubt  uns 
nicht,  in  das,  was  Hr.  H.  in  umfassender,  gründlicher  und  lichtvoller  Dar- 
stellung über  die  Zustände  derselben  raittheilt,  näher  einzugehen;  wir 
können  darum  den  Leser  nur  auf  einiges  Historische  aufmerksam  machen. 
Die  genannte  Schule  ward  in  der  zweiten  Hälfte  des  12.  Jahrhunderts, 
neben  den  bestehenden  Mönchs-Lehranstalten,  als  Stadtschule  Heidelbergs 
gestiftet.  Der  damals  herrschende  Pfalzgraf,  Konrad  von  Ilohenstaufenj 
war  nicht  allein  ,,der  Gründer  des  pfälzischen  Staates  und  der  nachheri- 
gen Hoheit  und  Macht  der  Pfalzgrafen  bei  Rhein",  sondern  sein  Sinn  war 
auch  „vorzüglich  auf  die  höheren  Interessen  der  Wissenschaft"  gerichtet. 
Die  von  ihm  den  Benedictiner-  und  Cisterzienser- Lehrinstituten  zuge- 
wandte Sorgfalt  musste  daher  auch  günstigen  Einfluss  auf  diese  neue 
Schulanstalt  haben.  Der  Verf.  giebt  interessante  Nachrichten  über  den 
in  jener  Zeit  noch  unvollkommenen  Zustand  des  Unterrichtswesens  und 
dessen  allmälige  Verbesserung  und  Fortschritte  im  Laufe  der  folgenden 
Jahrhunderte.  Die  Neckarschule  erhielt,  wie  alle  andern,  erst  eine  feste 
Organisation  und  tüchtige  Lehrbücher  nach  Erfindung  der  Buchdrucker- 
kunst, und  zwar  durch  den    edlen  Reformator  Philipp  Melanchihon,   wel- 


Bibliographische  Berichte  n.  kurze  Anzeigen.  77 

eher  daher  mit  Recht  „Lehrer   Deutschlands"   benannt  wird.      Zugleich 
ward  diese  Schule   ein  Alumneum,   in   welchem   fleissige   und  talentvolle 
Kinder  armer  Eltern  unentgeltlich  erzogen  und  unterrichtet  wurden.  Auch 
gingen  sehr  ausgezeichnete  Zöglinge  aus  derselben  hervor.      Unter  den 
Kurfürsten  Frierfr/cÄ /.,  dem   Siegreichen,  Philipp  dem  Aufrichtigen  und 
Ludwig  dem  Friedfertigen  (von  1449 — 1544)  war  sie  in  blühendem   Zu- 
stande, besonders  durch  die  Wirksamkeit  des  Rectors  M.  Johannes  Benz 
der  sich  eben  so  sehr  als  Gelehrter,  denn  als  praktischer  Pädagog  Ruhm 
erwarb.     Aber  nach  seinem  Abgange  kam  der  Unterricht  in  Verfall,  was 
auch  bei  der  Universität,  da  mehrere  gelehrte  Männer  sie  verliessen,  ein- 
trat.    Kurfürst  Friedrich  IL,  der  Weise,   Ludwig*s   Nachfolger,   dachte 
darum  auf  Verbesserung  des  höheren  und  niederen  Studien wesens,  und 
so  ward  unter  ihm,  auf  den  Vorschlag  der  philosophischen  Facnllät,  eine 
Gelehrtenschule  oder  Pädagogium,  das  nachmalige  Gymnasium,  jetzt  Lv- 
ceum,  in  Heidelberg  errichtet.      Sein  Nachfolger,  der   evangelische   Kur- 
fürst Otto  Heinrich,  wegen  seiner  herrlichen   Eigenschaften  der  Grossmü- 
thige  genannt,  vereinigte  1556    diese  Anstalt  mit  der  Neckarschule  und 
reforrairte  die  Universität,  indem  er  sie  „dem  Kreise  des  mittelalterlichen 
Scholasticisraus  zu  entrücken  und  sie  ganz  auf  die  Höhe  der  wissenschaft- 
lichen und  kirchlichen  Bewegung  seiner  Zeit  empor  zu   heben "   bedacht 
war.      Nach  ihm  wandte  Friedrich  HI,  (auch  rühmlich  bekannt  durch  die 
Aufnahme   der   aus    andern   Ländern  wegen  ihrer  Religion  vertriebenen 
Protestanten  und  die  Begünstigung  ihrer  Existenz  in  der  Pfalz)  sein   be- 
sonderes Augenmerk  eben  so  sehr  auf  die  Wissenschaften,  als   auf  Land- 
wirthschaft,  Handel  und  Industrie,  wodurch  er  sein   Land   zur  höchsten 
Stufe  des  Wohlstandes  erhob.      Schon  1555  war  auch  ein  Sapienz-  Colle- 
gium  in  Heidelberg  errichtet,  worin  60 — 80  talentvolle  Jünglinge  freie 
Pflege  und  Unterricht  erhielten.      Hier  konnten  auch  die  Zöglinge  der 
Neckarschule  den   humanistischen  Unterricht  fortsetzen.      Friedrich  ver- 
wandelte dieses  Collegium  in  ein  Prediger-Seminar  und  übergab  die  bisher 
der  Universität  zustehende  Oberaufsicht  desselben  dem  Kirchenrathe.    Das 
Pädagogium  bestand  wieder  für  sich  allein ,   und  die  Neckarschule  ward 
als  Lehranstalt  aufgehoben,    mit  der  Verordnung,  dass  ihre  Stipendiaten 
den  Unterricht  jener  vollständigen  Gelehrtenschule  unentgeltlich  besuchen 
sollten.     So    blieb   sie    als  Alumneum,  und    ihre  Einkünfte  wurden  von 
Ludwig  FL  noch  vermehrt.     Aber  wirksamer,   als   alle  bisherigen   Für- 
sten, war  für  die  Neckarschule  der  das  Wohl  des  Landes  auf  so  mancher- 
lei Art  bezweckende  Pfalzgraf  JoÄann  Casimir,  Administrator  der  Pfalz 
während  der  Minderjährigkeit  des  Kurerben  Friedrich,  denn   durch  ihn 
ward  nicht  nur  ihr  Stiftungsbrief  erneuert  und  ihr  eine  bestimmtere  Orga- 
nisation verliehen ,  sondern  sie  auch   sehr  reichlich   dotirt,  so  dass  ihr 
Bestehen  für  alle  Zukunft  gesichert  sein  sollte.      Eine  beklagenswerthe 
Erscheinung  war  es  jedoch,  dass  erst  Ludwig  gewaltsamer  Weise  alle  re- 
formirten  Vorsteher  und  Zöglinge  aus  diesem  Institut,  wie  aus  dem  Pä- 
dagogium und  Sapienz-Collegium,  entfernen  und  ihre  Plätze  mit  Luthe- 
rischen besetzen  Hess,  und  dann  Casimir,  gleichsam  als  Wiedervergeltung, 
die  nämliche  harte  Maassregel  gegen  Letztere  zu  Gunsten  der  Reformir- 


78  Bibliographische  Berichte  u.  kurze  Anzeigen. 

ten  aasübte.  Der  bald  darauf  folgende  SOjähr.  Krieg  brachte  dieser 
Schule,  wie  allen  wissenschaftlichen  Anstalten,  grosse  Störungen  und  Un- 
heil. Nach  Ab^chluäs  des  westphälischen  t'riedens  ward  sie  durch  den 
Kurfürsten  Karl  Ludwig y  einen  wahren  Vater  des  Vaterlandes ,  der  we- 
gen seiner  Weisheit,  Thätigkeit,  Kenntnisse  und  Humanität  mit  Recht  der 
deutsche  Salomo  hiess,  in  ihren  pädagogischen  und  ökonomischen  Verhält- 
nissen wieder  hergestellt.  Aber  die  Greuel  des  Orleans'schen  Krieges 
schufen  (1693)  der  ganzen  Pfalz,  und  namentlich  der  Stadt  Heidelberg, 
durch  Brand  und  Zerstörung  neues  Verderben.  Auch  die  Gebäude  der 
Neckarschule  und  des  Sapienz-Collegiums  wurden  ein  Raub  der  E^Iammen, 
das  der  letztem  jedoch  1706  wieder  aufgebaut.  Wir  übergehen  die 
Schicksale  dieser  Anstalt  unter  den  folgenden  Kurfürsten  bis  zur  Regie- 
rung Karl  Theodor's,  wo  sie,  da  ihre  Disciplin  und  ihr  ökonomischer  Zu- 
stand in  V^erfall  gerathen  war,  wegen  möglicher  Verbesserung  derselben 
mit  dem  Sapienz-CoUegiura,  dessen  Mitglieder  bisher  in  Privathäusern 
untergebracht  waren,  in  einem  und  demselben  Gebäude  vereint  wurden. 
Allein  nach  den  Verlusten,  welche  die  Neckarschule  späterhin,  namentlich 
durch  die  Abtretung  des  linken  Rheinufers,  an  ihrem  Fond  erlitt,  und 
durch  das  in  Folge  des  Kriegs  und  anderer  Missgeschicke  herbeigeführte 
Unvermögen  der  reformirten  Kirchencasse,  die  bisher  schuldigen  Beiträge 
zu  leisten,  sah  sich  die  in  Besitz  des  Landes  gekommene  Grossherzogl, 
BadiscÄe  Äeg-ierun^  genöthigt,  diese  Schule  und  das  Sapienz - CoUegium 
als  Alumneen  aufzuheben.  Dies  geschah  im  J.  1805.  Was  nun  von  dem 
Neckarschul-  und  Sapienzfond  gerettet  war,  wurde  zu  Stipendien  für 
Sfudirende,  nachmals  für  die  der  vereinten  evangelisch -protestantischen 
Confessionen,  verwandt.  Bei  den  über  diesen  Gegenstand  gepflogenen 
Verhandlungen  wird  besonders  die  heilsame  Wirksamkeit  zweier  ver- 
dienstvoller Männer,  des  Vice -Präsidenten  des  grossh.  evangelischen 
Kirchen-Ministerialdepartements  Thcod.  Dan.  Fuchs,  und  des  als  Refe- 
rent in  dieser  Sache  so  thätigen  Regierungs  -  und  Kirchenraths  Just. 
Friedr.  Wundt,  gelobt.  Das  Vermögen  beider  Anstalten  betrug  am 
Schlüsse  des  Jahres  1848  die  Summe  von  40,117  fl.  Hiervon  ward  der 
grösste  Theil  bei  der  Pflege  Schönau  in  Heidelberg  zu  4%,  und  der  Rest 
theils  zu  4^^,  theils  zu  6%  hypothekarisch  auf  dem  Lande  angelegt.  Die 
zwei  vereinten  Fonds  sind  nun,  laut  Ministerial Verfügung ,  der  Admini- 
stration eines  besonderen  Verwalters  übertragen. 

Diese  historischen  Nachrichten,  wovon  wir  nur  eine  kurze  Ueber- 
fiicht  geben  konnten,  hat  der  Hr.  Verf.  gründlich,  treu  und  umständlich, 
jedoch  in  gedrängter  und  anschaulicher  Weise,  mitgetheilt,  auch  das,  was 
sich  hier  auf  die  Geschichte  der  Pfalz  im  Allgemeinen  bezieht,  mit  ge- 
nauer Sachkenntniss  dargelegt,  wie  Ref.,  zu  dessen  Lieblingsstudien  die 
Beschreitung  dieses  vaterländischen  P^eldes  gehört,  bezeugen  kann.  Hier- 
bei ist  noch  besondere  Rücksicht  auf  die  Kirchengeschichte  des  Landes 
genommen.  Nebst  dem  findet  man  hier  eine  genaue  Erörterung  der  pä- 
dagogischen Zustände  der  Neckarschule  vom  Ursprünge  bis  zur  Aufhe- 
bung derselben,  so  wie  des  wissenschaftlichen  Elements,  das  auf  ihr  und 
zugleich  auf  den  höheren  Lehranstalten  Heidelbergs  in  den  verschiedenen 


I 


Bibliographische  Berichte  u.  kurze  Anzeigen.  79 

Epochen  herrschte,  die  Erwähnung  vorzuglicher,  dabei  betheiligter 
Männer  und  die  Mittheilung  von  Urkunden  und  Verordnungen,  welche 
den  vorliegenden  Gegenstand  betreffen,  wie  auch  die  Citate  mehrerer 
ausgezeichneten  Werke,  die  zur  Benutzung  dienten.  Das  Meiste  jedoch, 
was  namentlich  die  Neckarschule  angeht,  rausste  aus  schriftlichen,  bisher 
noch  ungebrauchten  Quellen,  welche  in  den  Archiven  von  Karlsruhe  und 
Heidelberg  bewahrt  sind,  entnommen  werden.  Der  F^leiss,  die  Kenntnisse 
und  die  Liebe  zur  Sache,  ganz  dem  schönen,  aus  Ovid  entnommenen  Motto 
auf  dem  Titel:  Et  pius  est  patriae  scribere  facta  labor,  entsprechend, 
welche  der  Hr.  Verf.  hier  offenbart,  sind  um  so  mehr  zu  loben,  wenn 
man  die  Schwierigkeiten  erwägt,  die  er  bei  seiner  Arbeit  zu  überwinden 
hatte.  So  ist  diese  Schrift  für  jeden  Pädagogen,  der  die  Geschichte  be- 
deutender Schulanstalten  Deutschlands  näher  kennen  zu  lernen  wünscht, 
höchst  wichtig  und  empfehlenswerth;  auch  wird  ßie  dem  übrigen  gebil- 
deten Publicum  willkommene  Belehrungen  und  durch  Anführung  des  Cha- 
rakteristischen, das  dem  oder  jenem  Zeitalter  eigen  ist,  manche  interes^ 
sante  Unterhaltung  gewähren.  . 

Referent  kann  nicht  umhin,  bei  dieser  Gelegenheit  von  einem  andern 
trefflichen,  in  das  gegenwärtige  Fach  einschlagenden  Werkchen  des 
Hrn.  Directors  Hautz,  betitelt:  Jubelfeier  der  dreihunderijährigen  Stiftung 
^es  GrossherzogL  Lyceums  in  Heidelberg  etc.  Erwähnung  zu  thun.  Dieses 
Gedächtnissfest  ward  am  19.  October  1846  begangen.  Der  ausführlichen 
und  anziehenden  Beschreibung  desselben  sind  die  hierbei  gehaltenen  Reden 
der  Studien-  und  Stadtbehörden,  zwei  Festgedichte  und  mehrere  Zu- 
schriften von  Directionen  verschiedener  Gelehrtenschulen  u.  A.  beigefügt, 
wodurch  dieser  einer  so  rühmlich  bekannten  wissenschaftlichen  Anstalt 
geweihte  Tag  auf  die  schönste  und  würdigste  Art  verherrlicht  wurde. 

K.  Geib, 


Schul-  und   üniversitätsnachrichteiij    Beförderungen 

und   Ehrenbezeigungen. 

GROSSHERZOGTHUM  BADEN.  Der  GrossherzogL  Oberstu- 
dienrath  in  Karlsruhe  hat  an  sämmtliche  Lyceen,  Gymnasien,  Pädagogien 
und  höhere  Bürgerschulen  folgenden  Beschluss  ergehen  lassen:  ,,ln  Be- 
tracht, dass  die  unheilvollen  Ereignisse  der  jüngsten  Zeit  auch  auf  dem 
Gebiete  der  Schule  ihren  störenden  und  verderblichen  Einfluss  geübt 
haben;  und  in  Erwägung,  dass  au  den  meisten  Anstalten  des  Landes  der 
Unterricht  nicht  nur  kürzere  oder  längere  Zeit  unterbrochen  wurde,  son- 
dern dass  seine  Fruchtbarkeit  unter  dem  Einflüsse  so  ausserordentlicher 
Ereignisse  überhaupt  nur  gering  sein  konnte;  sieht  man  sich  mit  Geneh- 
migung des  Grossherzoglichen  Ministeriums  des  Innern  zu  folgenden,  vor- 
übergehenden  Anordnungen  für  das  gegenwärtige  Schuljahr   veranlasst; 


QQ  Schul- und  Uni versitatsnaclirichten,     l 

1)  Der  Unterricht  ist  an  sämmtlichen  Lehranstalten  vorerst  bis  zum 
1.  September  1.  J.  fortzuführen ,  sofern  nicht  bei  einzelnen  Anstalten  be- 
sondere Verfugung  ergehen  wird. 

2)  Die  Vorstände  der  Anstalten  haben  sofort  anher  zu  berichten ,  ob 
and  >vie  lange  der  Unterricht  im  Laufe  dieses  Sommers  an  der  betreffen- 
den Anstalt  ausgesetzt  worden  ist,  respective  Ferien  stattfanden. 

3)  Feierliche  öffentliche  Prüfungen  sollen  nicht  stattfinden.  Da-' 
gegen  sind  am  Schlüsse  des  Schuljahres  die  Classenprüfuhgen  in  der 
Weise,  wie  dies  für  das  Winterhalbjahr  vorgeschrieben  ist,  durch  die 
Directoren,  und  beziehungsweise  durch  die  Inspectoren  der  höheren  Bür- 
gerschulen, unter  Zuziehung  der  Lehrer  vorzunehmen,  und  ist  über  den 
Befund  anher  Bericht  zu  erstatten.  Die  Ephoren  und  kirchlichen  Com- 
missarien  sind  zur  Theilnahme  an  diesen  Prüfungen ,  letztere  zu  den  Re- 
ligionsprüfungen, von  den  Vorständen  besonders  einzuladen,  auch  die  El- 
tern, Vormünder  und  Fürsorger  der  Schüler  Öffentlich  —  durch  die 
auszugebenden  Programme  oder  auch  sonst  geeignete  Weise  —  von  der 
Zeit  der  Prüfung  zu  benachrichtigen  und  zu  dieser  einzuladen. 

4)  Die  nach  den  bestehenden  Verordnungen  anher  zu  machenden 
Vorschläge  der  Lehrerconferenzen  hinsichtlich  der  Promotionen  der  Schü- 
ler sind  in  der  letzten  Woche  des  Schuljahres  vorzulegen.  —  Was  die 
Entlassung  der  Schüler  der  obersten  Lycealclasse  zur  Hochschule  be- 
trifft, so  werden  die  Lehrerconferenzen,  zu  deren  desfallsigen  Berathungen 
die  Ephoren  einzuladen  sind,  am  Schlüsse  des  Schuljahres  unter  genauer 
Angabe  der  wissenschaftlichen  Befähigung  und  der  Charakterreife  der 
Schüler  ihre  Vorschläge  anher  machen,  worauf  nach  Prüfung  der  schrift- 
lichen Ausarbeitungen  der  Schüler  die  diesseitige  Entschlicssung  erfol- 
gen wird. 

5)  Es  wird  den  einzelnen  Anstalten  überlassen,  ob  sie  je  nach  den 
obwaltenden  Verhältnissen  diesmal  eine  wissenschaftliche  Beigabe  zu  ih- 
ren Programmen  ausgeben  wollen,  oder  nicht.  Ebenso  kann  die  Verthei- 
lung  von  Prämien  unterbleiben ,  was  jedenfalls  an  solchen  Anstalten  zu 
geschehen  hat,  deren  finanzielle  Lage  dies  wünschenswerth  macht. 

Im  Uebrigen  erwartet  man  von  der  Berufstreue  der  Lehrer,  dass 
sie  in  richtiger  Würdigung  der  durch  den  Ernst  dieser  Zeit  erhöhten  Auf- 
gabe der  Schule  mit  allen  ihren  Kräften  bestrebt  sein  werden,  alles  Un- 
geeignete von  jenem  Heiligthume  fern  zu  halten,  und  insbesondere  die 
ihnen  anvertrauten  Zöglinge  zti  reger  geistiger  Thätigkeit,  zu  echter 
Religiosität  und  wahrer  Vaterlandsliebe  durch  Beispiel  und  Lehre  zu 
beleben.  (gez.)  Böhme.^^ 

HERZOGTHUM  BRAUNSCHWEIG.  Die  Nothwendigkeit  einer 
Reform  des  höheren  Schulwesens  erkennend,  berief  das  Herzogliche  Con- 
sistorium  eine  Versammlung  von  Gymnasiallehrern  nach  Wolfenbüttel  (29. 
und  30.  Jan.  1849).  Die  wichtigsten  der  dort  gefassten  Beschlüsse  wa- 
ren folgende:  Weil  die  meisten  Gymnasialschüler  nicht  studiren  und  nur 
wenige  bis  in  die  erste  Classe  aufsteigen,  so  ist  der  Lehrplan  so  einza* 
richten ,  dass  der  Gymnasialcursus  der  Nichtstadirenden  in  Secunda  ab^ 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  81 

schliesse.  Der  Unterricht  in  den  alten  Sprachen  ist  desshalb  in 
den  unteren  und  mittleren  Classen  in  so  weit  zu  beschränken,  dass  die 
nöthige  Zeit  für  and-^re  Lehrgegenstände,  namentlich  für  Mathematik, 
Naturwissenschaften  und  neuere  Sprachen  gewonnen  wird;  die  oberste 
Classe  dagegen  hat  vorzugsweise  die  Studien  des  classischen  Alterthums 
für  Studirende  zu  berücksichtigen.  Unter  den  fremden  Sprachen  ist 
nicht,  wie  bisher,  mit  der  lateinischen,  sondern  mit  der  französischen,  oder, 
nach  dem  örtlichen  Bedürfnisse,  mit  der  englischen  der  Anfang  zu  machen. 
Die  Erlernung  der  lateinischen  Sprache  bleibt  für  alle  Zöglinge  verbind- 
lich, der  Unterricht  in  der  griechischen  ist  auf  die  oberen  Classen  zu  be- 
schränken. Der  Unterricht  in  allen  Lehrzweigen  ist  so  zu  ertheilen,  dass 
er,  so  viel  thunlich,  die  formelle  Bildung  der  Zöglinge  vor  Augen  behalte. 
Die  beabsichtigten  Veränderungen  des  Lehrplanes  dürfen  nicht  plötzlich, 
sondern  erst  dann  ins  Leben  treten,  wenn  in  einem  Gymnasium  die  Lehr- 
mittel dazu  genügen.  Es  ist  dem  Ref.  nicht  bekannt  geworden,  in  wie 
weit  diesen  Beschlüssen  gemäss  Umgestaltungen  in  dem  Gymnasiahvesen 
vorgenommen  worden  sind;  die  Sache  scheint  auch  in  Braunschweig,  wie 
anderwärts,  ins  Stocken  gerathen  zu  sein.  Ueber  die  vier  im  Lande  be- 
stehenden Gymnasien  geben  wir  nach  den  Programmen  von  Ostern  1849 
folgende  Notizen.  Das  Gymnasium  zu  Blanke>"BURG,  welches  ausser 
Studirenden  auch  Zöglinge  für  den  Schullehrerstand,  sogenannte  Präpa- 
randen  bildet,  zählte  zu  dem  genannten  Zeitpunkt  75  Schüler  (13  in  L, 
darunter  6  Präparanden,  19  in  IL,  15  in  III.,  28  in  IV.) ;  zur  Universität 
gingen  3.  Im  Lehrercollegium  waren  keine  Veränderungen  vorgekom- 
men; dasselbe  bestand  aus  dem  Dir.  Prof.  Müller,  dem  Conrector  Wicde- 
mann,  den  Oberlehrern  Dr.  Lange  und  Berkhan,  den  Collat)oratoren 
Volkmar,  Pastor  Dr.  Hoffmeisier ,  Dr.  Hausdörffer  und  dem  Organist 
Sattler.  Die  Einladungsschrift  zum  Osterexamen  enthält:  Einige  durch 
die  gegenwärtigen  Verhältnisse  des  öffentlichen  Lebens  angeregte  Ge- 
danken pädagogischen  Inhalts.  Von  dem  Director  Prof.  C.  //.  Müller 
(12  S.  4.).  In  einfacher,  aber  klarer  und  überzeugender  Kürze  führt 
der  Hr.  Verf.  den  Satz  aus:  dass  die  religiös -sittliche  Bildung  des  auf- 
blühenden Geschlechts  auch  für  die  Zukunft  eine  Hauptaufgabe  jeder 
Schule,  insbesondere  der  Volksschule  sei  und  um  so  mehr,  je  mehr  die 
Staatsverfassung  Reife  und  Ueberwindung  der  Selbstsucht  fordert.  Dann 
nimmt  er  das  Bestehen  von  Gymnasien  in  kleinen  Städten  in  Schutz  und 
führt  sodann  weiter  aus,  dass  die  Studien  des  classischen  Alterthums  in 
Ehren  bleiben  müssen,  wenn  nicht  die  sittliche  und  wissenschaftliche  Bil- 
dung unseres  Volkes  Rückschritte  machen  solle,  welche  das  Gemeinwohl 
bei  jeder,  auch  der  besten  Staatsverfassung  gefährden  würden,  wobei  er 
jedoch  auf  die  Nothwendigkeit  einer  Verbesserung  in  dem  Unterrichte 
und  die  Ausscheidung  alles  dessen,  was  nur  für  den  gelehrten  Philologen 
von  Interesse  sein  könne,  dringt.  Die  Worte  des  wackern  Hrn.  Verf. 
werden  in  dem  Kreise,  für  den  sie  bestimnt  sind,  gewiss  nicht  ohne  Wir- 
kung geblieben  sein.  —  Das  Obergymnasium  zu  Braunschweig  verlor 
am  9.  April  1849  durch  den  Tod  den  Prof.  Dr.  Griepenkerl ,  welcher  in 
«1er  letzten  Zeit  eines  Theils  seiner  Amtsgeschäfte  entbunden  war,  sich 
/V.  Jahrb.   f.  Phil,  u.   Päd.  od.  Krit,  Bibl.   Dd.  LVIII,   Hft.  1.  6 


g2  Schul-  und  Universitätsnachrichten, 

aber  immer  noch ,  besonders  durch  Leitung  des  Gesangunterrichtes,  um 
die  Anstalt  wesentliche  Verdienste  erwarb.  Als  Aushülfslehrer  waren  an 
derselben  beschäftigt:  der  Candidat  Baumgarten  von  Ostern  1848  bis  zum 
December  desselben  Jahres  und  der  Schuiamtscandidat  Dr.  Sack,  Die 
Schiiierzahl  betrug : 

Mich.  1848  in  I.:    7,      II.:  26,      IIl.:  12,      IV.:  30,      Sa.  75. 

Ost.    1849  „  „   10,       „    18,        „21,        „     28,       „    77. 
Zur  Universität  gingen  Mich.  1848  3,  Ostern   1849    1.      Die   Abhandlung 
des  Dir.  Prof.  Dr.  G.  T.  A.  Krüger,  in  dem   Ref.  eine  der   Hauptzierden 
des  deutschen  Lehrerstandes  verehrt:  Die  Einrichtung  der  Schulausgaben 
u.  s.  w.,  ist  schon  zweimal  in    dieser  Zeitschrift  besprochen  worden,  so 
dass  wir  hier  nur  ihren  Titel  nennen.  —  Das  Gymnasium  zu  Helmstedt 
hatte  bis  Ostern  1849  in  seinem  Lehrercollegium   keine  Veränderung  er- 
litten.     Theilweise  Aushülfe  leistete  der  Cand.   philol.  Heinrich  Verdens. 
Die  Zahl  der  Schüler  betrug  in  L:  9,  in  IL:  15  —  14,  in  III.:  22,  in   IV.: 
36 — 35,    in    Sa.  82  —  80.      Zur    Universität    wurden   3    entlassen.      Die 
wissenschaftliche  Abhandlung:  De  Homero ,  tenerae  aetatis  amico  (25 S.  4.) 
schrieb  der  Conr.  Dr.  J.  Chr.  Elster.      In  gutem  Latein  geschrieben,  giebt 
dieselbe  von  einer  sehr  umfassenden  Kenntniss   nicht  allein   der  griechi- 
schen und  römischen,  sondern  auch   der   neuen   deutschen   Litteratur  und 
einem  richtigen  ästhetischen  Ürtheile  Zeugniss  und  bringt  nicht  wenig  bei, 
den  holien  Werth  der  homerischen  Gedichte  in  ein  helleres  Licht  zu  setzen. 
Nachdem  er  in  der  Einleitung  von  der   homerischen   Poesie  im  Allgemei- 
nen gehandelt,  theilt  er  seinen  Stoff  in  drei  Theile  ,  die  Liebe  der  Eltern 
zu  den  Kindern,   die    Anhänglichkeit  der  Kinder  an  die   Eltern  und   die 
Schilderung  des   kindlichen   Charakters  und   Wesens.      Er   bespricht  die 
darauf  bezüglichen  Stellen  des  Homer  ausführlich,  indem  er  sie  mit  ande- 
ren, aus  späteren  Dichtern  genommenen,  zusammenstellt.      Von  den   Epi- 
soden erwähnen  wir  die  Erläuterung  über  die  xvtQci,  über  die  Sitte,  das 
Ohr  zu  zupfen,  weil  es  als  Sitz  des  Gedächtnisses  galt,    das  Urtheil  über 
Ludwig  Tiek's  und  Friedrich  Müller's  Genoveva.      Dass  die  Formel  &sccv 
iv  yovvuGi  xfTrai  hergenommen  sei  von  Eltern,  die  ihre   Kinder  auf  dem 
Schoosse  haben  ,  sich  also  um  sie  bekümmern  und  für   sie  sorgen  ,    davon 
ist    Ref.    nicht   überzeugt  worden.       W^enn  auch   Virgil.   Aen.   IX.  261  : 
quaecunque  mihi  fortuna  ferenda  est,  in  vestris  pono  gremiis,  durch  Goss- 
rau  richtig  erklärt  ist:  in  vestra  cura  et  fide  pono,  so  beweist  diö  Stelle 
doch  durchaus  nichts  für  jene  Auffassung.      Und  ist,  da  HFi^adai  von  dem, 
was  aufbewahrt  wird,  also  für  die  Gegenwart  nicht  zum    Vorschein,  zum 
Gebrauch    kommt,  die  natürlichste   Erklärung:    es  ist  im    Schoosse  der 
Götter  auftjewahrt,  liegt  unmittelbar  in  ihrer  Gewalt,  ist  ganz  und  allein 
von  ihrem  Willen  abhängig.      Auffällig  ist  ferner,  dass  der  bekannte  Her- 
ausgeber des  Propertius  hier  immer  Hertzenberg  geschrieben   wird.      Im 
Allf^eraeinen  hätte  der  geehrte  Hr.  Verf.  wohl  tiefer  in   die  sittliche  An- 
schauuno- des  Homer  eingehen  können,  da  diese,  wesentlich  auf  die  natür- 
lichen Verhältnisse  und  ihre  Erhaltung  basirt,   der  Familie  eine  hohe  Be- 
deutung anweist;  doch   wollen    wir   nicht  verlangen,  dass  derselbe  hätte 
geben  sollen,  was  vielleicht  nicht  in  seiner  Absicht  lag.  —    Am  Gymna- 


Johannis           „ 

?? 

10, 

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19, 

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23, 

J5 

39, 

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Michaelis         „ 

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10, 

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Weihnachten  „ 

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Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  '  83 

sium  zu  WoLFENBLTTEL  starb  am  9.  Sept  1848  der  Collaborator  Schreir- 
her.  Seine  Stelle ,  anfänglich  von  den  Candidaten  R.  Schreiber  und 
Scholz  versehen,  wurde  am  6.  Nov.  des.  Jahres  dem  Schulamtscandidaten 
E.  F.  K.  Rosenbaum  übertragen.  Das  Lehrercollegiura  bestand  demnach 
Ostern  1849  aus  dem  Dir.  Jeep,  Conrector  Buchheister ,  den  Oberlehrern 
Dr.  Jeepj  Dr.  Dressel  und  Cunze^  den  Collaboratoren  Knoch  und  Rosen- 
baum, dem  Rechen-  und  Schreiblehrer  Brandes  und  dem  Zeichenlehrer 
Beyer,  Die  Schiilerzahl  betrug: 
Ostern  1848  in  I.:  10,    IL:  19,    III. :  23,  ^IV.:  39,    V.:  37,    Sa.  128. 

37,     „  128. 

30,     „   124. 

30,      „   122. 

Mich.  1848  ging  1,  Ostern  1849  3  zur  Universität.  Den  Schulnachrichten 
geht  voraus :  Systematische  Darstellung  der  im  mittlem  attischen  Dialekte 
vorkommenden  unregelmässigen  Verba  vom  Oberl.  Dr.  Dressel  (32  S.  4.). 
Das  Sjstera  des  Hrn.  Verf.  wird  sich  erkennen  lassen,  wenn  wir  die  Ein- 
theilung  desselben  hier  wiedergeben.  I.  Verba  auf  Sl.  A.  Pura.  1)  Pura, 
welche  in  allen  Formen  des  Präsens  den  Stamm  unverstärkt  lassen  (yrjocÖj 
Ö8(o,  ßico,  8v(o^  cpvco,  oLOficct,  ol^ai.),  2)  Ein  Purum,  welches  in  einigen 
Formen  des  Präsens  den  Stamm  unverstärkt  lässt,  in  anderen  einfach 
durch  Dehnung  des  Charaktervocals  verstärkt,  KslfiuL*),  3)  Pura,  wel- 
che in  allen  Formen  des  Präs.  den  Stamm  einfach  verstärken  ,  indem  sie 
vorn  die  Reduplication  in  t,  oder  hinten  s,  v,  vv,  cv.,  tax  ansetzen:  rtr^tö, 
«Hox'co  (Stamm  ci-AO-),  cpd-avco,  zivco,  sXccvvco,  yrjgccö'nco,  rjßccOHCo ,  iXdo-KOnai, 
cpaGHCo^  X^OHüJ,  dgia-Hco,  ßocKco,  fisdvGuco,  ccXiano}icii,  dußlianco^  ävciXtayico. 
4)  Pura,  welche  in  allen  Formen  des  Präs.  den  Stamm  doppelt  verstäiken, 
indem  sie  den  Charaktervocal  verlängern  oder  dehnen  und  hinten  v,  vs, 
CFK  oder  vorn  t  und  hinten  v  ansetzen:  dvvco,  ßatvco,  ßvvco,  ccvccßicöoKOiicci^ 
iiaQ-iatc(V(o.  5)  Pura,  welche  in  allen  Formen  des  Präs.  den  Stamm  drei- 
fach verstärken,  indem  sie  den  Charaktervocal  verlängern  und  theils  vorn 
die  Reduplication  in  t,  theils  hinten  ax  ansetzen  ;  ßißqcoaHO),  yiyvcoa-nco,  8i- 
ÖQccOHco,  fii^vria^o),  ninQocOKoa,  titqcüGuco,  B)  Muta.  1)  Welche  in  allen 
Formen  des  Präsens  den  Stamm  unverstärkt  lassen  (^snco,  sxco**),  d^nsxof, 
dcvEXo^iuL,  ndxoaai,  ovxoiiai,  -nuQ^svdco,  nszo^icct)  ***).  2)  Muta,  welche  in 
allen  Formen  des  Präs.  den  Stamm  einfach  verstärken,  indem  sie  vor  dem 
Charakterconsonanten  ein  d  einschieben,  oder  vorn  t,  oder  hinten  f,  v  t 
Vi  ansetzen:  v.ci%L^(o,  o^w,  iGxoi,  ^ohw,  (oQ^co  ,  dänvco ,  zvntcOf  lyivov^oci. 
3)  Muta,  welche  in  allen  Formen  des  Präs.  den  Stamm   doppelt  verstär- 


'*')  Den  Unterschied  zwischen  Verlängerung,  wodurch  ein  einfacher 
langer  Vocal,  und  Dehnung,  wodurch  ein  Diphthong  entstehen  soll,  kann 
Ref.   nicht  anerkennen,  da  r]  ja  auch  aus  &s  entsteht. 

'•'*)  Da  der  Hr.  Verf.  hier  den  Stamm  ZEIT  und  ZEX  anerkennt, 
demnach  im  Präsens  eine  Veränderung  desselben  vorgegangen  ist,  so 
sollte  wohl  hier  eine  besondere  Classe  angenommen  werden. 

***)  Der  Hr.  Verf.  theilt  die  Formen  7csn6rri[icci ,  nsrrjGo^at,  nxrj- 
G0(.iCci,  fTiTrjVy  inTdfiriv ,  iTtro^rjv ,  EnftaG^riv  vier  verschiedenen  Verbis 
zu:  Tiet eitlen j  Trorcoftat,  UntayLUij  nho^ut., 

6* 


g4  Schul-  und  Universitätsnachrichten, 

ken     indem  sie  den  dem  Charakterconsonanten  vorhergehenden  Vocal  ver- 
länfrern    und    unter    Ausstossung    des    Charakter-Consonanten     hinten    ^ 
oder  oa  (rr),   oder  den  angegebenen  Vocal  verlängern  und  hinten  t,  oder 
vorn  i  und  hinten  vs,  oder  endlich  v  oder  a  vor  dem  Charakterconsonanten 
einschieben  und  hinten  ccv  ansetzen:  hocv^co,    nkrjaoco  ^    tiqücttco  ,   nitiooco^ 
(pQ^GOCOf  HVTtToa,  QL7it(o,  VTiLöxi'ovacci,  Xcitißttjco,  XiaTcixvoi)  j   d-iyydvo) ,  q)vy- 
yavo) ,   Xayxcii^co,    tvyx(^v(o^    Ao;vO"af vta ,     (.LKi^avco,    nvvO'civopicii ,    i^ÜKO, 
■i)  Muta,  denen  das  Präsens  fehlt,  (incc,  oUa,  Eicod-a.  C)  Liquida.   1)  Wel- 
cÄe  in  allen  Formen  des  Präsens  den  Stamm  unverstärkt  lassen:    ßovko- 
fiai,  i^sXco,  /Uf'Aw,  vsiico,  iitvco.      2)  Welche  in  allen  Formen  des  Präsens 
den  Stamm  einfach  verstärken,  indem  sie  den   dem  Charakterconsonanten 
vorhergehenden  Vocal  dehnen,  oder  den  Charakterconsonanten    verdop- 
peln oder  vorn  die   Reduplication  in  t,   oder  hinten  f,   v,   lan   ansetzen: 
6q>si'k(o,  iysiQco,  jK«'?»,  ßccXlco,  fif'XXco,  yiyvouai,  kccXcS  (nuXco  Fut.  ist  nach 
dem  Hrn.  Verf.  eben  so  wenig  aus  HdXsGco  entstanden,  als  ouovuui,  ousl, 
-ELTUL  aus  ouo'öouat,  -077,  -atrofj),  yaaco,  nccftvoj,  tsfirco,  svQLOTico,  azsQtaHCO, 
3)  Ein  Liquidum,  welches  in  allen  Formen  des  Präsens  den   Stamm    dop- 
pelt verstärkt,  indem  es  den  durch  Buchstabenversetzung  ans   Ende  ge- 
kommenen Vocal  verlängert  und  hinten  ex  ansetzt:  ^pqanco.      4)  Liquida, 
denen  das  Präsens  fehlt:  si'otj-ncc,  SQrjaoaai.      D)  Digammirte.      1)  Mit  in 
allen  Formen  des  Präsens  unverstärktem  Stamm :  dtco^  vtco,  nXsco,  nvia^ 
Qtco,  xibü.      2)  Welche  in  allen   Formen  des  Präsens  den  Stamm   einfach 
verstärken,  indem  sie  den    dem     Charakterconsonanten    vorhergehenden 
Vocal   dehnen   oder    verlängern:    Halco ,   hXcuco.       E)    Mehrconsonantige: 
1)  mit  im  Präs.  unverstärktem  Stamm:  cev'^co,  eipco^  fQQco,  ax^oaoci.  2)  Die 
in  allen  Formen  des  Präs.  den   Stamm   einfach  durch   hinten   angesetztes 
av,  aiv,  iGnccv  verstärken:  av^ävco,  cciodävufiat,  auagtuvo},  ccnsx^ocvoficcij 
ßlaötüvoi ,   daQddvaj,  oXiödoci'vco,   occpoaivofiai ,    ocpXiayinvco,      F)   Mehr- 
stämmige:  1)  welche  im  Präs.  in  allen  Fällen  den  diesem  Temp.  zu  Grunde 
liegenden  Stamm  unverstärkt   lassen:   (vioco,  ogä,  r^co'yw,   xq^xo),   cpi^cOy 
iQXOuai.      2)  Welche   in    allen    Fällen    des    Präs.    den  diesem    Temp.    zu 
Grunde  liegenden  Stamm  einfach  verstärken,  indem  sie  den  dem  Charak- 
terconsonanten vorhergehenden  Vocal  dehnen  oder  6   vor  dem  Charakter- 
consonanten einschalten,  oder  vorn   die   Reduplication  in  i,    oder  hinten 
an  ansetzen:  xsgSaLvay,  nai^co,  (yto^oo ,  nCnToa ^  Siduanco  (ffir  dieses  Verb, 
nimmt  der  Hr.  Verf.  einen  doppelten  Stamm  JUA  und  zilJAX  an,  weil 
sonst  mit  Thiersch  SL8cixo-A,co  als   ursprüngliche    Präsensform  angenommen 
werden  musste),  naaxco  (nä&co^  nad^ayico).      3)   Ein    mehrst.,  welches   in 
allen  Fällen  des  Präsens  den  diesem  Temp.  zu  Grunde  liegenden  Stamm 
doppelt  verstärkt,  indem  es   den  Charaktervocal  verlängert  und  hinten  v 
ansetzt:    nivo).       4)    Ein    mehrst.,    dom    das    Präsens    fehlt:    kdi^doyia, 
II.  Verba  in  (ii.      Mit  vollem  Rechte,  wie  es  dem  Ref.  scheint,  nimmt  der 
Hr.  Verf.  die  Worte  (prjUL,  aya/xat,  övva/xat,  sniarafiaL  und  ähnl.   für  re- 
gelmässige und  verweist  dagegen   v.LX9W-i   ^'(>r;jai,  nifinXrnii^  TtLungrjfit^ 
ovivrjui,  zL&riaif  triutj  didtoai  anter  die  uaregelmässigen.     Die  Eintheilang 
der  Verba  in  fit  ist  folgende:  A)  Pura.     1)  Welche  in  einigen  Formen  des 
Präsens  den  Stamm  unverstärkt  lassen,  in  anderen  ihn  einfach  verstärken, 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  .  85 

indem  sie  den  ihn  bildenden  Vocal  dehnen,  oder  hinten  s  ansetzen;    eifii^ 
slui.      2)  Welche  in  allen  Fällen  des   Präsens  den  Stamm  einfach   durch 
hinten  angesetztes  vvv  verstärken ,    ■HSQavwfii,  nixccvvviii,      3)  Welche  in 
einigen  Fällen  des  Präsens  den  Stamm  einfach,   in  anderen  doppelt  ver- 
stärken: einfach,  indem  sie  vorn  die   Reduplication  in  i  oder  blos  t  an- 
setzen oder  die  erstere  einschieben,  doppelt,  indem  sie  theils  dieses  thun, 
theils    den  Charaktervocal    verlängern.      Dies    sind    die    oben    genannten 
Verba.      4)  Welche  in  allen  F'ällen  des  Präsens  den  Stamm  doppelt  ver- 
stärken, indem    sie    den  Charaktervocal   verlängern    und    hinten  vvv  an- 
setzen:  ^toWi\u/,  ^wVrv/a  ,  arocovvviii^  ;^9Cd'v^•yfl^      B)   Muta.      Sie   ver- 
stärken in  allen  Formen  des  Präsens  den  Stamm  doppelt,  indem   sie  den 
dem  Charakterconsonanten  vorhergehenden  Vocal  verlängern  oder  dehnen 
und  hinten  1*1;  ansetzen :  7r?5yi/uft/,   QijyvviiL,  ^svyw^t.      C)   Liquida.      Sie 
verstärken  in  allen  Formen   des   Präsens   den    Stamm   einfach ,   indem  sie 
hinten  vv  ansetzen:  oXlvfii,  oi-ivvfii.  —    Xqi]  hält  der  Hr.    Verf.    (vergl. 
Ahrens  de  crasi  et  aphaeresi,  Ilfeld  1846.  p.  6)  für  ein  Substantivum   in- 
declinabile,  aus  dem  durch  Zusammenziehung  mit  den   Formen  //,    su],  sl- 
rcii,  6V,  ?Jv,  earai  die  Formen  XQVi  XQ^^^t  XQ^'^^h  XQV^  oder  ;^ofö}V,   x^^l^ 
und  XQV^^^'^  entstehen.      In  einer  Einleitung  weist  übrigens  der  Hr.  V^erf. 
die   wichtigsten  Punkte  nach,  wodurch   sich  die  unregelmässigen  Verba 
als  solche  kund  geben,  so  wie  er  am  Ende  als   Anhang  ein   Verzeichniss 
der  Stämme  hinzufügt.      Dass  das  von  ihm  aufgestellte  System  viel  Neues 
enthält  und  auf  tüchtigem   Forschen  beruht,   wird    schon    die    gegebene 
Uebersicht  Jedem  klar  machen,  und  sollte  der  Hr.  Verf.  auf  unser  Urtheil 
einiges  Gewicht  legen ,  so  ermuntern  wir  ihn  freudig   zum  Fortarbeiten, 
fügen  aber  den  Wunsch  bei,  dass  für  den  Unterricht  eine  grössere  Ueber- 
sichtlichkeit  möge  erreicht  werden.      Die  einzelnen  Classen  umfassen  eine 
solche  Mannigfaltigkeit,  dass  dem    Schüler   das  Behalten  schwer  werden 
muss.      So  würden  I.  B,  3)  dem  Gedächtnisse  durch  Unterabtheilung  zu 
Hülfe  kommen:  1)  mit  Verlängerung  des  dem   Charakterconsonanten  vor- 
hergehenden Vocals  und  a)  Ansetzung  von  §  oder  66  hinten  mit  Ausstos- 
sung  des  Charakterconsonanten:  x^a'^oo   u.   s.  w.      b)    Mit   Einschiebung 
eines  r  hinter  dem  Charaktercons. :  kvtttöj   u.  s.   w.      2)    Mit   Ansetzung 
von  L  vorn  und  hinten  vs:  VTtiox'^ovnui.      3)  Mit  Einschiebung  von  v  vor 
dem  Charaktercons.   und   Ansetzung   von  av:    Xccvd^ocvco  u.  s.  w.       Auch 
fragt  es  sich ,  ob  die  Scheidung  in  Muta  und   Liquida  eine  so   unbedingt 
nothwendige  ist,  dass  nicht  die  Verba  beider   Classen,   welche  Gleiches 
erleiden,  zusammengestellt  werden  konnten.  [^-J 

Cassel.  Am  dasigen  Lyceura  Fridericianum  arbeiteten  Ostern 
1849  folgende  Lehrer :  als  ordentliche  Lehrer  Director  Dr.  C.  F.  Weber^ 
Dr.  E.  W.  Grehe,J)r.  G.  W.  Matthias,  Dr.  J.  C.  Flügel,  Dr.  ^.  Riess 
(seit  Febr.  1849  zum  ordentlichen  Mitgliede  der  neu  errichteten  Ober- 
schnlcommission  bestellt) ,  Dr.  G.  Sifpell^  Dr.  C.  Schimmelpfep g,  Dr.  W, 
Schwaab  und  Dr.  J.  fV.  Fürstenau;  die  Hülfslehrer  H.  P.  F.  Matthei 
(erhielt  im  Febr.  1849  eine  Zulage  von  100  Thlrn.)  und  L.  fF.  E.  Cassel- 
mann  (erhielt  Ostern  1848  eine  Zulage  von  50  Thlrn.);  den  beauftragten 


86 


Schul-  und  üniversitätsnachrichten, 


Lehrern  Dr.  //.  M.  Stevenson^  C.  Schorre,  Dr.  F.  C.  G.  Gross  und  Dr. 
Christ.  Ostcrmann  (von  dem  Gymn.  zu  Hersfeld  mit  Ende  October  1848 
an  die  Stelle  des  an  das  Progymnasium  zu  Schlüchtern  abgegangenen  Dr. 
Dictcrich  hierher  versetzt);  die  ausserordentlichen  Lehrer  C.  F.  Geyer,  Dr. 
J.  Jf'icgand  und  G.  Koch  (an  die  Stelle  ^ppcls,  welcher  October  1848 
sein  Amt  niederlegte,  ernannt);  endlich  die  Praktikanten  Dr.  C.  E.  He- 
raus (früher  am  Gymnasium  zu  Hanau;  H.  Pelri  verliess  das  Gymnasium 
im  Herbst  1848)  und  F.  Becker.      Die  Schülerzahl  betrug  im 

L      Ha.    Hb.  llla.nib.  IIIc.  IVa.  IVb.  V.    VI.  Summa. 
Sommer  1848     26     25     27     51     28     34     33      19     46     29     348 
Winter  48—49  24     32     26     46     23     34     29     27     46      28     314 
Zur  Universität  gingen  nach  Ostern  1848   nachträglich   noch  1 ,   Mich.  48 
7,  Ostern  49  11.      Ueber  die  beantragten  Reformen  des  Gymnasialwesens 
in  Kurhessen  ist  zwar  bereits  in  diesen  Jahrbb.  von  einer  kundigen  Feder 
berichtet  worden;  dennoch  scheint  es  nicht  uninteressant  hier  zu   erwäh- 
nen, dass  schon  in  dem  mit  Ostern  1849  endenden  Schuljahre  am  Lyceum 
in  I.  dem   Griechischen    1,   dem   Latein   (hauptsächlich  den   Schreib-   und 
Sprechübungen)  3  wöchentl.  Lehrstunden,  in  II.   demselben  2,   in   HI  a., 
V.  und  VI.  je  1,  dem  Schönschreiben  in  IV.  1  St.  entzogen,  dagegen  dem 
Deutschen  in  I.,  IL,  III  a.,  V.  und  VI.  je  1  Stunde  zugelegt  worden  war. 
Der  befolgte  Lehrplan  war  demnach  folgender: 


I. 

IIa. 

IIb. 

III  a. 

Illb. 

IIIc. 

IVa. 

IVb. 

V. 

VI. 


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Die  Mangel  dieses  Lehrplans  werden  im  Programme  selbst  angedeutet, 
indem  für  diejenigen,  welche  Philologie  studiren  wollen,  zur  gehörigen 
Vorbereitung  auf  ihr  Fach  in  Prima,  in  Secunda  und  Tertia  für  diejeni- 
gen, welche  sich  im  Französischen  weiter  bilden  wollen,  unentgeltlicher  Pri- 
Tatunterricht  ertheilt  worden  ist,  der  letztere  doch  wohl  nur  solchen, 
welche  von  der  Schule  zum  bürgerlichen  Leben  übergehen.  Rücksicht- 
Hch  der  Disciplin  heben  wir  die  Notiz  aus,  dass  den  Primanern  und  Se- 
cundanern  Fechtübungen,  jedoch  unter  Aufsicht  eines  Fechtlehrers  an 
einem  von  dem  Director  zu  bestimmenden  Orte,  zugestanden ,  auch  ihnen 
während  des  Sommerhalbjahres  der  Besuch  bestimmter  öffentlicher  Ver- 
gnügungsorte auch  ohne  Begleitung  ihrer  Eltern  oder  Vorgesetzten  ge- 
stattet worden,  jedoch  unter  der  Bedingung,  dass  sie  von  dieser  Erlaub- 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  87 

niss  nur  massiger  und  anständiger  Weise  Gebrauch  machen.  Die  erste 
Erlaubniss  scheint  uns  aus  den  Schülern  etwas  zu  zeitig  Studenten  zu 
machen,  in  Betreff  der  zweiten  wird  es  darauf  ankommen,  welche  Orte 
bestimmt  werden,  ob  sie  von  Gebildeten  aliein  besucht  werden  und  ob 
die  Schüler  dort  eine  solche  Stellung  einnehmen  müssen,  welche  sie  in 
sich  selbst  nicht  zu  zeitig  Freiherrn  erblicken  lässt.  Der  den  Schulnach- 
richten vorausgesetzten ,  von  Scharfsinn  und  tiefen  sprachlichen  Kennt- 
nissen zeugenden  ,  unserer  Ansicht  nach  die  schwierige  Stelle  klar  be- 
leuchtenden Abhandlung  des  Gymnasiallehrers  Dr.  Cr.  JV.  Matthias:  Exe- 
getischer Versuch  über  Galat.  III,  16  und  20,  auf  deren  Inhalt  einzugehen 
der  Zweck  dieser  Blätter  uns  verbietet,  hat  der  Dlrector  auf  S.  20 — 31 
manches  Interessante,  besonders  aus  Urkunden,  bietende  Zusätze  und  Be- 
richtigungen zu  seiner  Geschichte  der  städtischen  Gelehrtenschule  zu 
Cassel  und  das  bekannte  Wort  Luther  s  zur  Nutzanwendun g  in  der  jetzi- 
gen Zeit  (Luther  an  die  Rathherrn  aller  Städte  deutsches  Landes,  S.  13) 
beigefügt.  [/>.] 

Cottbus.      An  dem  Gymnasium  gingen  im  Schuljahr  April  1848 — ■ 
49  zwei  Veränderungen  vor,  indem  der  Religionslehrer  Hofprediger  Feld- 
mann  aus  seinen  Verhältnissen  zur  Anstalt  trat  und   mit  dem  Schlüsse  des 
Schuljahres   der  bisherige  Prorector  Dr.  Nauck  zur  Uebernahme  des  Di- 
rectorats  an   das    Gymnasium  zu    Königsberg  in  der  Neumark  überging. 
Die    erstere  Stelle  ward  nicht  vvieder  besetzt,  die  letztere  durch  Aufrü- 
cken der  übrigen  Lehrer  und  durch  Anstellung  des  vorher  an  dem  Päda- 
gogium   zu  Puttbus  beschäftigten  Dr.  Rotter  ausgefüllt.      Das  Lehrercol- 
legium  bestand  demnach  aus  dem  Dir.  Dr.  Reuscher,  Prorector  Oberlehrer 
Braune^  Conrector  Mathemalicus  Dr.  Boltze ,  Subrector  Dr.  Klix,  5ten 
Lehrer  Dr.  Rotter,  6ten  Lehrer  Cantor  Stäber,  dem  Fachlehrer  des  Fran- 
zösischen Dr.  Koch,  dem  Schreiblehrer  ScÄuZc,  dem  Zeichnenlehrer  MüwcÄ 
und  dem  Candidaten  des  höhern  Schulamts  Seitmann  ,  welcher  auch  nach 
vollendetem  Probejahre    noch   einige   Lcctionen   an  der  Anstalt  ertheilte. 
Die  Frequenz  des  Gymnasium  belief  sich  zu  Johannis  1848  auf  170  und  ei- 
nige Schüler,  sank  dann  bis  Ostern  1849  auf  140,  hob  sich  aber  nach  die- 
sem Termine  durch  neue  Aufnahme  wieder  zu  164  (11  in  I.,  30  in  II.,  41 
in  III.,  49  in  IV.,  33  in  V.).   Zur  Universität  wurden  im  Laufe  des  Schul- 
jahrs mit  Zeugnissen  der  Reife  7   entlassen.      Die  Schulnachrichten  brin- 
gen dringende  Wünsche  nach   Errichtung  einer  6ten  Classe  und    einem 
neuen  Schulgebäude.      Den  Schluss  derselben  theilen  wir  hier  mit,   weil 
wir  bald  eine  andere  Gelegenheit  benutzen  werden  ,  um  über  die  hier  an- 
geregte Frage  zu  sprechen.     „Wie?  wenn  in  die  6.  Classe  Knaben  nach 
zurückgelegtem  9.  Lebensjahre  aufgenommen,  die  6.  und  5.  Classe  aber 
als  reine  Vorbereitungs-CIassen  für  das  Gymnasium  auf  Grund  einer  tüch- 
tigen Elementar-  und  Ausbildung  in  der  Muttersprache,  in  der  Formen-, 
Zahl-  und  Maasslehre  betrachtet  und  behandelt  würden,  so  dass  die  übri- 
gen 4  Classen  von  Quarta  aufwärts,   die  eigentlichen  Gymnasial-Classen, 
fundamentirt  auf  alte  Sprachen ,  Geschichte  und  Mathematik  (nebst  dem 
Mittelgliede  des  Französischen)  ausmachten  und  bildeten?  Denn  das  ,,La- 
teinzen"  von  Sexta  auf  ist  „den  Juden  eine  Thorheit  und  den  Heiden  ein 


88  Schul-  und  Universitatsnachrichten, 

Acrgerniss  worden.**  Und  damit  der  hier  nur  angedeutete,  keineswegs 
aber  moüvirte  Organisalions-Vorschlag  (die  Motive  würden  einen  hier 
unstatthaften  Raum  füllen)  ohne  Rückhalt  ausgesprochen  werde,  so  müsste 
\on  Quarta  an  das  bis  dahin  gegen  das  Lateinische  aus  jetzt  nicht  mehr 
hallbaren  Gründen  zurückgedrängte  Griechische  in  seine  vollen  Rechte 
treten.  Denn  wenn  die  griechische  Sprache  und  Litteratur  die  Supe- 
riorität  vor  der  römischen  hat  (in  Ansehung  der  Originalität,  der  Man- 
nigfaltigkeit, der  Natur-  und  Kunstschönheit,  des  welthistorischen  Ein- 
flusses, der  ihr  inwohnenden  Kraft  der  Jugendbegeisterung):  warum  soll 
dieselbe  nicht  auch  die  Priorität  auf  den  Lehrjjlänen  der  Gymnasien 
haben?  Wahrscheinlich,  wenn  nicht  gewiss,  weil  nach  aller  Erfahrung, 
■würde  von  der  Kenntniss  (Vorkenntniss)  des  Griechischen  aus  der  Schritt 
und  Gang  nach  dem  benachbarten  und  verwandten  Latium  schon  aus  dem 
Grunde  gerader,  bemessener,  sicherer  und  leichter  sein,  weil  das  Grie- 
chische unter  den  Händen  eines  Lehrmeisters  leichter  gefasst  und  inniger 
festgehalten  wird,  als  das  spröde  Gestein  des  Tarpejischen  Preisen  und 
das  in  die  Formation  desselben  wunderbar  eingesprengte  Geäder  der  rö- 
mischen Wort-  und  Satzstellung  —  :  oder  sollte  nicht  schon  jeder  Schüler 
an  sich  und  in  seiner  Versionen  -  Werkstatt  die  Erfahrung  gemacht  und 
den  Satz  ausgesprochen  haben  :  je  deutscher,  desto  unlateinischer; 
aber  schreib  griechisch,  wie  deutsch,  und  du  wirst  wenigstens  nicht  bar- 
barisch schreiben  — !V."  Die  den  Schulnachrichten  vorausgesetzte 
wissenscliafiliche  Abhandlung  schrieb  der  jetzige  Prorector,  Oberlehrer 
Braune,  unter  dem  Titel:  De  Ovidii Metamorphoseon  locis  quibusdam  dispw 
talio  critica  (16  S.  4.).  Dieselbe  zeugt  von  vielem  Scharfsinn  und  richti- 
gem kritischen  Tacte,  sowie  von  einer  genauen  Bekanntschaft  nicht  allein 
mit  Ovid,  sondern  auch  den  übrigen  lateinischen  Dichtern.  Der  Hr.  Verf. 
führt  zuerst  den  wohlbegründeten  Satz  atfs,  dass  Ovid's  Metamorphosen 
schon  in  sehr  früher  Zeit  verdorben  worden  seien  and  demnach  häufig  die 
richtige  Lesart  nicht  aus  den  Handschriften  ,  sondern  aus  Conjectur  ent- 
nommen werden  müsse,  sodann  dass,  wenn  auch  der  Dichter  an  das  Werk 
nicht  die  letzte  Hand  gelegt,  dennoch  die  Achtung  vor  seinem  Genie  und 
seiner  Eleganz  verbiete,  Ungereimtheiten  und  Verkehrtheiten  ihm  zuzu- 
schreiben. Er  bespricht  daher  zuerst  mehrere  Stellen,  in  denen  die  rich- 
tige Lesart  nur  durch  F'orschung  nach  dem  Sinne  und  Zusammenhang  ge- 
funden werden  könne.  Wenn  er  XIII,  333  sich  für  die  vom  cod.  Bersm. 
gegebene  Lesart:  Te  tarnen  aggrediar,  nee  inultus,  spero,  relinquam  ent- 
scheidet, so  muss  Ref.  gestehen,  dass  dieselbe  ihm  nicht  ganz  Genüge 
thut.  Das  folgende:  Tamque  tuis  potiar ,  faveat  Fortuna^  sagillis,  quam 
cet.  giebt  sich  durch  que  angeschlossen  (vgl.  Madv.  Lat.  Gr.  §.  45*2;  Krü- 
ger. Lat.  Gr.  §.  533,  1)  als  eine  Erweiterung  und  [Erläuterung  des  Vor- 
hergehenden zu  erkennen.  Daraus  folgt,  dass  der  Sinn  desselben  sein 
müsse:  Ich  werde  meine  Absicht  erreichen.  Diese  konnte  nur  auf  dop- 
pelte W^eise  erreicht  werden  ,  entweder  indem  Philoctet  mit  den  Pfeilen 
des  Hercules  nach  Troja  gebracht  wurde,  oder,  wenn  jenes  nicht  gelang, 
man  ihn  in  Leranosliess,  aber  diese  ihm  raubte.  (Bezeichnend  ist  dafür 
Vs.  401 :  Fela  dat,  ut  refcrat,  Tirynthia  tela,  sagittas»    Quae  postquam  ad 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  ^  89 

Graios ,  domino  comitante,  revexlt.}      Da    die  Zuriickbringung  der  Pfeile 
die  Hauptsache  war,  so  brauchte  offenbar  Ovid  weder  auf  das  Mitgehen, 
noch  auf  das  Zurückbleiben  des  Philoctetes  Rücksicht  zu  nehmen,      üess- 
halb  können  wir  die  Lesarten:   castrisque  reducere  nitar  und  mecumque 
reducere  nitar  nur  für  eingeschobene  Ausfüllsel  halten.      Besser  wäre  al- 
lerdings das  von  dem  Hrn.  Verf.  Empfohlene,  wenn    nur  in   dem  inultus 
wirklich  das  läge,  was  hier  nothwendig  erwartet  wird:  ,,ich  werde  dich 
nicht  in  Lemnos  lassen,  ohne  dir  deine  Pfeile  genommen  zu  haben."   We- 
nigstens könnte  Ovid  hier  nicht  das  Lob  der  Klarheit  erhalten.      An  und 
für  sich  ist  auch   Te  tarnen  aggrediar   hinlänglich ,   ein  zweiter  Satz  zwi- 
schen diesem  und  dem  folgenden  Tam^rue  durchaus  nicht  nothwendig.    Da- 
gegen wird  ein  Zusatz,   der  das  Vertrauen  des  Ulixes  auf  seine  Klugheit 
ausdrückt,  ganz  gewiss  am  Orte  sein,   und   so  glauben  wir,  dass  hinter 
dem  von  6  Handschriften  gebotenen  sollerti  pectore  ßdus  das,    was  Ovid 
entweder  wirklich  geschrieben  oder  doch  im  Sinne  gehabt,  versteckt  liege. 
Wollte  man  jene  Worte  selbst  für  acht  halten  (vielleicht  mit  der  Correc- 
tur  fidens),  so    könnte  man   allerdings  pectus  vertheidigen,    da  dies  nach 
Virg.  Aen.  I,  661  den  Dichtern  auch  als  sedes  constUorum  gilt,  doch  immer 
würde  man  in  diesen  Worten  die  Eleganz  des  Naso  nicht  wiedererkennen. 
Wegen  der  Stelle  XV,   230  bemerken   wir,   dass  die  von  dem  Hrn.  Verf. 
als  unbedingt  aufzunehmen  bezeichnete  Emendation  von  Baumgarten-Cru- 
sius  bereits  in  den  Text  gesetzt  worden  ist.    XIH.  254  ist  Köppen's  Con- 
jeciur fueritque  henignior  llecior  gewiss  nicht  anzunehmen;  aber  wir  hal- 
tem  fueritque    benignior    Aiax   durch    die    Hinweisung   auf  des  Letzteren 
Worte  Vs.  101  :  Si  semel  isla  datts  meritis  tarn  vilibus  arma,  Dividite ,  et 
maior  pars  sit  üiomcdis  in  Ulis   nicht  für  hinlänglich  erklärt.      Kann  wohl 
Ulixes  seinen  Gegner  wegen  jener  bitteren  Aeusserung  für  gütiger  erklä- 
ren, als  die  Richter,  wenn  sie  ihm  die  Waffen  verweigern  würden?    Wie 
passend  ist  dagegen  der  Gedanke:    Wohlan,  weigert  mir  die  Waffen  des- 
jenigen, dessen  Pferde  ich  so  glorreich  vor  Feindes  Gewalt  behütet  habe, 
und  erklärt  den  Aiax  für  derselben  würdiger.      Desshalb  entscheiden  wir 
uns  für  die  nach  den  besten  Handschriften   vermuthete  Ijesart:  fueritque 
his  dignior  Aiax.   —   Der  Hr.  Verf.  bespricht  dann   solche   Stellen,    wo 
ganze    Verse  fälschlich    eingeschoben  sind.      VHI.  286  (nicht   XHl.,  wie 
irrthümlich  gedruckt  ist)  macht   er  durch    eine  wahrhaft  auf  innere  Noth- 
wendigkeit  begründete  Beweisführung  gewiss,  dass  horrido  cervix  die  al- 
lein richtige  Lesart  und  die  beiden  folgenden  Verse   durch   Interpolation 
entstanden  seien.      Eben  so  weist  er  VH.  185  sehr  scharfsinnig  die  Ver- 
anlassung zu  der  schon  von  anderen  Herausgebern  erkannten  Interpolation 
nach.  1.545  halten  wir  die  von  Gierig  empfohlene  Lesart:  Quanimium  placui, 
mutando  perde  figuram  für  das  Richtigste;  die  Erklärung  aber,  dass  die 
ganze  Interpolation  aus  einem  beigesetzten  Scholion :  ait  hisce:  quae  facit 
utlaedar  entstanden  sei,  zwar  für  äusserst  scharfsinnig,  doch  etwas  weither- 
geholt. Uns  genügt,  für  solche  Interpolationen  dieselbe  Ursache  anzuneh- 
men, aus  welcher  bei  Horat.  ganze  Strophen  eingeschoben  sind.      Weni- 
ger können  wir  in  Betreff  der  Stelle  VI.  280  f.  beistimmen  ,  in    welcher 
der  Hr.  Verf.  den  Vers:  pascere^   ait,   satiaque  meo  tua  pectora  luctu  für 


90  Schul-  und  Universitätsnacluichten, 

einn-eschoben  erklärt  und  die  Stelle  so  für  richtig  hält:  Pascere  crudtlis 
noi'tio  Lalona  dolore  Corque fcrum  satia^  dixit,  perfunera  septem  Efferor, 
S  hr  richtig  hat  hier  derselbe  die  Vertheidigung  des  dixit  nach  ait,  welche 
Dach  unternommen,  zurückgewiesen.  Einer  von  beiden  Versen  ist  unächt. 
Aber  ist  das  per  funera  septem  efferor  wirklich  so  klar  und  des  Ovidius 
würdig,  zumal  da  folgt:  post  tot  quoque  funer a  vinco?  Ist  die  Wiederho- 
lung des  pascere,  mit  zugesetztem  ait,  nicht  dem  Dichtergebrauche  ange- 
messen? Ist  in  dolore  und  luctu  keine  Steigerung?  (Vgl.  Döderlein  Sy- 
non.  III.  p.  *237.)  War  es  nicht  möglich,  dass  ein  Gelehrter  zu  dieser 
Stelle  die  Parallele  IX.  178:  corque  f  er  um  satia ,  hinzuschrieb  und  dies  in 
den  Text  aufgenommen  einen  unglücklichen  Abschreiber  zu  dem  wirklich 
saftlosen,  gewissenhaft  zählenden  Ausfüllsel:  per  funer a  septem  veran- 
lasste? Ganz  einverstanden  sind  wir  damit,  dass  VIII.  602  der  Vers:  ^ffer 
opem  mersaeque  precor  feritate  paterna  auszustossen,  dagegen  der  andere: 
Cui  quondam  tellus  clausa  est  feritate  paterna  aufzunehmen  sei,  wobei  die 
Bemerkung  gemacht  wird,  dass  quondam  ohne  Rücksicht  auf  Entfernung, 
öfters  :=  modo  ante  sei.  Die  hier  gegebene  Auseinandersetzung  über 
die  Wiederholungen  scheint  uns  nicht  erschöpfend,  da  nur  nach  Zusammen- 
stellung aller  Stellen  des  Dichters  sich  genau  bestimmen  lässt,  welche 
Grenzen  er  sich  in  Bezug  auf  dieselbe  gesetzt  habe.  Der  Heir  Verf.  be- 
handelt  dann  noch  drei  Stellen,  in  welchen  Theile  von  Versen  corrupt 
sind.  In  Betreff  der  letzten  XIII.  66*2  (nicht  622)  sind  wir  mit  ihm  ein- 
verstanden;  in  der  Auseinandersetzung  über  VI.  200  dagegen  vermisst  man 
die  rechte  durchsichtige  Klarheit,  wie  auch  VI.  185  eine  genügende  Er- 
klärung des  allerdings  anstössigen  quoque  in  der  empfohlenen  Lesart  von 
Heinsius:  Nescio  quoque,  audete  satam  cet.  Ref.  will  mit  diesen  Bemer- 
kungen nur  beweisen,  dass  er  die  verdiente  Aufmerksamkeit  der  Abhand- 
lung geschenkt  hat.  [-^-J 

Erla>'GEN,  An  der  königlichen  Studienanstalt  gab  der  bisherige 
Repetent  Dr.  H.  Schmid  wegen  seiner  Ernennung  zum  Prof.  extr.  theol. 
an  der  Universität  seine  Stelle  auf  und  wurde  dieselbe  dem  Repetenten 
am  theologischen  Ephorat  und  Privatdocenten  L.  Schöberlein  übertragen. 
Zur  Universität  wurden  14  entlassen,  13  mit  dem  vollen,  1  mit  dem  be^ 
schränkten  Gymnasialabsolutorium.  Die  Schülerzahl  betrug  am  28.  Aug. 
1849  152  und  zwar  im  Gymnasium  55,  nämlich  14  in  IV.,  13  in  III.,  13  in 
II.,  15  in  I.;  in  der  lateinischen  Schule  97,  nämlich  in  IV.  28,  in  III.  22, 
in  II.  20,  in  1.27.  Die  Einladungsschrift  zur  Preisvertheilung  am  28.  Aug. 
1849  enthält  von  dem  Studienrector  Prof.Dr.  L.  Döderlein:  Didactische  Er- 
fahrungen und  Ziehungen  (22  S.  4.),  aphoristische  Bemerkungen,  nach  den 
einleitenden  Worten  zunächst  für  Schüler  bestimmt,  indem  sie  das  enthal- 
ten,  was  öfter  in  den  Lectionen  auseinandergesetzt,  aber  nicht  immer 
vollständig  und  scharf  aufgefasst  wird  ,  hauptsächlich  auf  den  classischen 
Unterricht  und  zwar  dessen  sprachliche  Seite  sich  beziehend.  Jeder  Leh- 
rer wird  aus  derselben  —  einige  sind  geradezu  nur  für  ihn  bestimmt  — 
sehr  Viel  lernen.  Möchten  namentlich  alle  Lehrer  der  classischen  Spra- 
chen von  dem  Hrn.  Verf.  das  Verfahrensich  aneignen,  welches  den  Schü- 
ler erkennen  lässt,  wie  ein  rechter  Sprachunterricht  in  die  verschiedensten 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  Öl 

Regionen  des  Wissens  und  Erkennens  führt  und  durch  ihn  noch  etwas 
ganz  anderes  gewonnen  wird  ,  als  die  Kenntniss  einer  Sprache."  Denn 
dann  wird  man  nicht  mehr  so  oft  über  die  Unlust ,  w  eiche  die  Schüler 
jetzt  den  alten  Sprachen  entgegenzubringen  pflegten,  klagen  hören.  So- 
gleich die  erste  Bemerkung,  welche  den  Vorschlag  macht,  man  möge  von 
den  wichtigsten  der  griechischen  Verba  anomala,  wie  im  Lateinischen 
schon  länger  geschehen,  die  4  Haupttempora,  Präsens,  Futur,  Aorist  und 
Perfectnm,  auswendig  lernen  lassen,  ist  ein  sehr  beachtenswerther  Wink, 
Es  giebt  eine  grosse  Menge  von  Schulmännern,  welche  alles  Memoriren 
für  mechanisch  erklären  und  desshalb  Alles  nur  von  dem  Schüler  begriffen 
oder  rationell  erfasst  wissen  wollen,  ohne  zu  bedenken,  dass  das  Gedächt- 
niss  die  Handhabe  des  Denkens  ist.  Der  Schüler,  welcher  aigsco,  aiQiJGcOj 
siXov,  '^'QTj-Ace  im  steten  Gedächtniss  hat,  wird  dann  gewiss  auch  wissen, 
dass  etüov  von  dem  Stamm  ^EA  komme.  Die  zweite  Bemerkung  bezieht 
sich  auf  die  Eintheilung  der  Redetheile,  von  denen  die  philosophische 
Sprachlehre  die  Interjectionen  ausscheiden  muss,  weil  sie  nicht  Producta 
des  Geistes,  der  Vernunft  sind.  Die  von  dem  Herrn  Verf.  gegebene  Ein- 
theilung: I.  Redetheile.  1)  Substantivum.  a.  Nomen  appellativum.  b.  N. 
proprium.  2)  Attribntivum.  a.  Adiectivum.  b.  Participium.  fv.  transitives 
(activura  und  passivum).  ß.  intransitives,  3)  Verbum.  a.  V.  substantivum. 
b.  Verbum  worr'  £^o;^7jv  d.  h.  Verbum  substantivum  sammt  participium. 
H.  Redetheilchen  oder  Partikeln.  1)  Präposition ,  d.  h.  Verhältnisswort 
des  Substantivs.  2)  Adverbium,  d.  h.  Verhältnisswort  des  Attributivs. 
3)  Conjunction  ,  d.  h.  Verhältnisswort  des  Verbums,  kann  gewiss  schon 
dem  ersten  Unteirichte  zu  Grunde  gelegt  werden.  Nur  würden  wir  dann 
doch  dem  Pronomen,  obgleich  wir  in  ihnen  auch  nur  eine  Unterart 
theils  der  Substantiva,  theils  der  Adiectiva  erkennen,  eine  besondere 
Stelle  einräumen,  weil  sie  auf  eine  ganz  eigenthümliche  Art  die  Begriffe 
bezeichnen.  Recht  belehrend  ist  ferner  die  Zusammenstellung  der  Metrik, 
Musik,  Grammatik  U.Logik  (Mora,  Ton,  Laut  — ;  Fuss,  Tact,  Wort,  Vor- 
stellung; Vers,  Satz,  Untheil;  Strophe,  Stück  ,  Periode,  Schluss).  Die 
folgende  Bemerkung  beseitigt  den  allerdings  jetzt  wohl  allgemein  aufgege- 
benen Irrthum,  dass  vapulare  ein  Activ  mit  passiver  Bedeutung  sei,  bringt 
aber  die  gewiss  richtige  Ableitung,  dass  es  ursprünglich  schreien  be- 
deutet (Mhd.  werfen,,  Wafel  in  einigen  deutschen  Dial.  =  Mund,  rjnveiv 
z=  fanveiv.  Aehnlich  das  Griech.  oilko^si).  Sodann  wird  bemerklich  ge- 
macht, dass  die  veiba  intransitiva  und  neutra  sich  nicht  dem  Wesen  nach, 
sondern  nur  dadurch  unterscheiden,  dass  jene  den  die  activa  und  passiva 
umfassenden  transitivis,  diese  den  getrennten  activis  und  passivis  entge- 
gengestellt werden.  Sehr  scharfsinnig  ist  im  Folgenden  nachgewiesen, 
dass  die  Comparationsformen  keine  Steigerung  ausdrücken,  da  in  Roma 
prae  ceteris  urbibus  magna  fuit ,  Roma  ceteris  vrbibus  maior  fuit ,  Roma 
omnium  urbium  maxima  fuit  kein  verschiedener  Grad  der  Grösse  ausge- 
drückt sei.  Dabei  wird  der  Unterschied  zwischen  longe  maximus  und 
quam  maximus  dahin  bestimmt,  dass  jenes  eine  Vergleichung  mit  anderen 
Gegen.'tänden  (wie  valde  magnns,  multo  maior),  dieses  eine  Vergleichung 
mit  dem  Begriff  der  Grösse  selbst  (wie  satis  magnus,  etiam  maior)  enthält. 


92  Schul-  und  Universltätsnachrichten, 

In  Bezug  auf  das  Folgeride  erkennen  wir  natürlich  an,  dass  cor  den  alten 
Römern  der  Sitz  der  mens,  der  Denkkraft  gewesen  sei  (vgl.  Miitzell  zu 
Curt.  V.  9,  1),  erlauben  uns  aber  einen  Zweifel  dagegen,  dass  es  nie  das- 
selbe, wie  unser  Herz  i=  Gemiith  ,  Gefühl,  sei ,  da  doch  schon  bei  Plaut. 
Capt.  II.  3,  60  corde  inter  se  amare  vorkommt.  (Vgl.  Trin.  III.  2,  34; 
Thiel  zu  Virg.  Aen.  Vlll.  265.)  Die  darauf  kommende  Bemerkung  theilt 
die  lateinischen  und  griechischen  Pronominaladverbia  ein,  wobei  der  ge- 
ehrte Herr  Verf.  das  von  dem  Ref.  vorgebrachte  Missverständniss  ,  als 
habe  er  tum  wirklich  etymologisch  von  is,  tunc  von  ille  abgeleitet,  berich- 
tigt. Sehr  lehrreich  ist  die  folgende  Auseinandersetzung  über  die  Idio- 
tismen,  so  wie  die  durch  das  Beispiel  von  sors  (,,von  sero,  z=  Spruch; 
Virg.  Aen.  VI.  431")  belegte  über  älteste  und  gewöhnlichste  Bedeutung 
eines  Wortes.  Bei  der  Theiliing  der  vollständigen  Interpretation  in 
sprachliche,  historische,  logische  und  ästhetische,  welche  übrigens  der  Hr. 
Verf.  nur  als  vier  Seiten,  nicht  vier  Theile  eines  Ganzen  angesehen  wis- 
sen will,  scheint  uns  der  Begriff  der  historischen  Erläuterung  zu  eng  ge- 
gefasst,  da  wir  darunter  nicht  allein  die  Ergänzung  aller  Anspielungen 
auf  geschichtliche  oder  geographische  Namen  oder  Thatsachen  ,  deren 
Kenntniss  der  Schriftsteller  voraussetzt,  sondern  auch  die  Erörterung  der 
Beziehungen,  in  welchen  das  Schriftwerk  zu  seiner  Zeit  und  zu  seinem 
Volke  steht,  begreifen.  Die  Forderungen,  welche  sodann  als  an  jedes 
Werk  der  redenden  Kunst  zu  machen  aufgestellt  werden,  geben  eben  so 
dem  Lehrer  bei  der  Erklärung,  wie  dem  Schüler  bei  der  Leetüre 
nicht  zu  vernachlässigende  Fingerzeige.  Recht  gefreut  hat  sich  Re- 
ferent, dass  der  geehrte  Herr  Verfasser  die  Chrieen  wieder  zu  Ehren 
bringt,  indem  er  durch  eine  selbstgefeitigte  in  deutscher  Sprache  und  durch 
eine  Auseinandersetzung  beweist,  dass  die  in  ihnen  angenommenen  Theile 
ein  recht  wohl  gegliedertes  Ganzes  geben.  Ref.  kann  aus  seiner  eigenen 
Erfahrung  anführen,  dass  ihm  einst  ein  trefflich  begabter  Schüler  eine 
Chrie  in  dialogischer  Form  übergab,  in  welcher  die  sämmtüchen  Theile 
in  der  vorgeschriebenen  Ordnung  ganz  natürlich  und  angemessen  verbun- 
den waren.  Diese  Form  als  alleinige  den  Schülern  aufzuzwängen  wird 
Niemandem  einfallen,  aber  der  Lehrer  möge  doch  ja  das  Gute,  was  in  dem 
Alten  enthalten  ist,  nicht  unbenutzt  liegen  lassen.  Die  darnach  aufgestellte 
Bemerkung  über  De  c  la  m  ire  n  und  gut  Vortragen  verdient  um  so 
mehr  Beachtung,  als  im  deutschen  Unterrichte  gar  nicht  selten  auf  das 
Erstere  zu  viel,  auf  das  Letztere  zu  wenig  Gewicht  gelegt  wird.  Nach 
einer  ebenfalls  durch  zwei  Beispiele  erläuterten,  das  Verfahren  beim  Dis- 
poniren  betreffenden  Bemerkung  folgen  noch  zwei,  eine  über  das  grie- 
chische Medium,  dessen  Gebrauch  auf  drei  Arten:  reflexiv  (und  zwar  in- 
dem das  Subject  a)  alsAccusativ,  b)  als  Dativ  hinzuzudenken  ist),  cauj^ativ 
und  d(>ponential ,  die  andere  über  den  Unterschied  zwischen  Synonymen 
und  Homonymen  und  den  Nutzen  der  Synonymik  für  Gelehrtenschulen. 
Ref.  glaubt  nichts  weiter  beifügen  zu  müssen,  um  die  Aufmerksamkeit  sei- 
ner Leser  auf  diese  Schrift  des  gleich  trefflichen  Gelehrten  ,  Schulmanns 
und  Menschen  Döderlein  hinzulenken.  [/?.] 

Eutin,      Von  der  vereinigten  Gelehrten-  und  Bürgerschule  ging  um 


I 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen,  93 

Joh.  1848  der  Lehrer  der  Mathematik  und  Naturwissenschaften  Dr.  Vecht- 
mann  ab,  um  das  Subrectorat  an  der  Gelehrtenschule  zu  Meldorf  zu  über- 
nehmen.     Seine   Stelle  wurde   an  den   Candidaten  Heinrich  Rottok    aus 
Meiningen    übertragen.       Nachdem  der  Zeichnenlehrer  Zietz  gestorben, 
übernahm  der  seitherige  Zeichnenlehrer   Schütte  den   Unterricht    allein. 
Die  4  Classen  der  Gelehrtenschule  zählten  73  Schüler  (I.  8,  ]I,  18,  III, 
22,  IV.  26).    Zur  Universität  gingen  Mich.  1848  4,  3  nach  überstandener 
Maturitätsprüfung.    Den  Schulnachrichten  geht  voraus  Uebersicht  des  pro- 
testantisch-deutschen  Unterrichts-   und  Erziehungswesens  seit  den  sieb en- 
ziger  Jahren  des  vorigen  Jahrhunderts  (23  S.  4.),  jedenfalls  von  dem  Rec- 
tor  J.  F.  E.  Meyer,     Ref.  empfiehlt  mit  vollster  Ueberzeugung  diese  von 
ganz  gesunden  pädagogischen   Ansichten  durchdrungene,  jede  Richtung 
der  Pädagogik  deutlich  charakterisirende,  das  Gute  in  ihr  eben  so  freu- 
dig anerkennende,  wie  das  Falsche  und  Verkehrte  daran  scharf  heraus- 
stellende Schrift  der  allgemeinen  Beachtung.      Sie  wird  in  jedem  Gymna- 
sial-Lehrer  das  Bewusstsein  stärken,  welches  einen  kräftigen  Widerstand 
gegen  die  falschen  und  übereilten   Forderungen  der    Zeit  zu  leisten,   zu- 
gleich aber  den  gerechten  gebührende   Rechnung  zu  tragen  vermag;   sie 
wird    ihm    die    durch    viele   Zeiterscheinungen  erschütterte   Freudigkeit 
wiedergeben  und   ihn  mit  mancher  guten  Waffe  gegen  die   Feinde   ver- 
sehen.     Ist  Ref.  auch  nicht  mit  Allem  und  Jedem,   was  darin   aufgestellt 
wird ,  ganz  einverstanden,  so  unterlässt  er  es  doch,  weiter  ins   Einzelne 
einzugehen,  zumal  da  die  Schrift  ja  nicht  alle  Fragen   fest   entscheiden, 
sondern  nur  das,  was  für  und  gegen  die  versuchten  Lösungen  und  aufge- 
stellten Ansichten  spricht,  hervorheben  will,  [-^J 

Flensburg.      Wir    haben  schon  einmal   Gelegenheit  gehabt,   den 
Eifer,  welchen  die  Herzogthüraer  Schleswig   und  Holstein  mitten   unter 
den  Unruhen  und   Drangsalen  des  Krieges   für  die   Gelehrtenschulen  be- 
weisen, zu  rühmen  und  anderen  Staaten  als  Muster  aufzustellen.     Nichts 
giebt  davon  besser  Zeugniss,  als  dass   man  dort  selbst  in  den  kleineren 
Städten,  trotz  vielfacher  Anträge,  sie  in  Real-  oder  Bürgerschulen  umzu- 
wandeln, die  Gymnasien  bestehen  gelassen  und  kein  Antrag  auf  Entzie- 
hung der  denselben  gewährten  Mittel  in   der  Landesversamralung  die  Ma- 
jorität gefunden  hat.      Auch  das,  was  das  Programm   des   Gymnasiums  zu 
Flensburg  von  Ostern  1849  berichtet,   bestätigt  dies.       Dasselbe    hat  in 
der  Zeit  von  Mich.  1847  bis  Ostern  1849  sehr  wesentliche  Umgestaltun- 
gen erlitten.      Am  6.  Mai  1848   wurde   der   Conrector    Dr.    G.   K.   Th, 
Francke  seines  Amtes  entlassen  und  am  15.  Sept.  dess.  J.  der  Rector  Dr. 
H.  Koster  in  das  Rectorat  der  Gelehrtenschule  zu  Plön ,  der  5.  Lehrer 
Dr.  F.  J.  Ottsen  als  Collaborator  an  die  Gelehrtenschule  in    Rendsburg 
versetzt.      Die  Einführung  des  neuen  Regulativs  vom  28.  Jan.  1848  machte 
ausserdem    neue    Anstellungen   nothwendig.       Das    neue  Lehrercollegium 
ward  demnach  bis  zum  18.  Oct.  1848  folgendermaassen  constituirt:  Rect. 
Dr.  F.  H.  Christ.  Lübker,  vorher  Conrector  an  der  Domschule  zu  Schles- 
wig, Conrector  Dr.  C.  Th.  Schumacher ,   vorher  Subrector  an   derselben 
Domschule,   Subrector  Dr.  Mich,  Dittmann,  schon   seit  Ostern   1841  in 
diesem  Amte,  Collabor.  Dr.  Chr,  P.  Jessen  (seit  1841  fünfter  Lehrer,  seit 


QA 


Schul-  und  üniversitätsnachrichten, 


Febr.  1846  Collaborator  an  der  Anstalt),  5.  Lehrer  Dr.  A.  Mommsen, 
6.  Lehrer  Dr.  /i,  fr.  Gidionscn,  7.  Lehrer  C.  F.H.  Kühlbrandt,  seit  1843 
Hülfslehrer,  interimistischer  8.  Lehrer  H.  Chr.  Abr.  Schnack y  vorher 
Hülfslehrer  an  der  Nicoiai-Haiiptschule.  Die  bei  Vermehrung  der  Clas- 
senzahi  nothwendig  gewordenen  neuen  Einrichtungen  in  den  Localitäten 
wurden  von  den  städtischen  Behörden  in  der  liberalsten  Weise  beschafft. 
Es  konnte  sogar  dem  Hedüifnisse  dadurch  besser  entsprochen  werden,  ' 
dass  Quarta  in  zwei  Abtheilungen  geschieden  wurde.  Um  die  innere 
Umi^estaltung  zu  veranschaulichen,  stellen  wir  dem  früheren  Lehrplone 
den  neuen  entgegen. 

Michaelis  1847—48. 


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Nach  Michaelis  1848. 


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in.         8522      2      2   —   3       4 

IVa. 

IVb. 

V. 

Wir  bemerken  dabei,  dass  in  Prima  die  schriftlichen  lateinischen  Uebun- 
gen  nur  in  Exerciiien  und  Extemporalien  bestehen.  Wenigstens  ist  von 
freien  Aufsätzen  in  der  Angabe  der  absolvirten  Pensa  keine  Rede.  Die 
Anstalt  hat  denen,  welche  nicht  studiren  wollen,  statt  des  Griechischen 
in  IV.  und  IIl.  naturwissenschaftlichen,  mathematischen  und  kalligraphi- 
schen Unterricht  ertheilt,  indess  bezeichnet  das  Lehrercollegiura  eine 
mehr  organische  Einheit  der  beiden  Richtungen  alswün- 
ßchenswerth  und  zwar  „in  der  Weise,  dass  den  Schülern,  die  später  vor- 
zugsweise ihre  Nahrung  am  classischen  Alterthum  finden,  zuvor  ein  grös- 
seres Maass  von  dem  Bildungsstoffe,  der  in  den  neueren  Sprachen  und 
den  Naturwissenschaften  gegeben  werden  möge,  mithin  die  Trennung  der 
beiden  Wege  erst  auf  einer  höheren  Altersstufe  erfolge,  dann  aber  nach 
gehöriger  Vorbereitung  durch  Parallel-Lectionen  etwa  in  der  Tertia,  zu 
einer  eigenen,  dieser  Seite  (der  sprachlich -realistischen  Vorbildung  für 
das  bürgerliche  Leben)  ausschliesslich  dienenden ,  den  oberen  und  eigcnt- 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  95 

liehen  Gymnasialclassen  parallel  laufenden  Classe  übergegangen  werde.'' 
Ref.  freut  sich  hier  dasselbe  zu  finden,  was  er  anderswo  vorgeschlai^en. 
Die  Frequenz  der  Schule  war  folgende : 


I. 

11. 

III. 

IV  a. 

IV  b. 

V. 

Sa. 

Abit. 

Mich.  1847 

6 

16 

18 

17 

13 

70 

1 

Ost.  1848 

5 

14 

17 

14 

10 

— 

60 

1 

Mich.  18-kS 

6 

12 

13 

17 

4 

—— 

52 

2 

Ost.  1849 

6 

15 

12 

14 

13 

8 

72 

Den  Schulnachrichten  gehen  zwei  wissenschaftliche  Abhandlungen  voraus 
zuerst:    lieber   den  religiösen   Standpunkt   des   Eurlpides.      Zweiter   Ab- 
schnitt.     Vom  Collaborator  Dr.  Jessen  (14  S.  4.).      Der  erste   Abschnitt, 
welcher  im  Programm  von  1843  erschien ,  ist  uns  leider  nicht  zur   Hand  ; 
da  indess  der  Hr.  Verf.  selbst  erklärt,  die  gegebenen  Bemerkungen  könn- 
ten nicht  darauf  Anspruch  machen,   einen  zweiten  Abschnitt  eines   syste- 
matischen Ganzen  zu  bilden,  so  versucht  Ref.,  ohne  Rücksicht  auf  jene 
nehmen  zu  können  ,  einen  Auszug.      Der  Hr.  Verf.  stellt  zuerst  den  Salz 
auf,  dass  bei  keinem  Dichter  die  Einwirkung  philosophischer  Speculation 
und  moderner  Bildung  auf  die  religiösen   Vorstellunge'n  mehr  hei  vortritt, 
als  bei  Eurlpides,  und  führt  dafür  zunächst  an,  dass  er  nicht  einmal  die 
von  Dichtern  bereits  gestalteten  Vorstellungen  benutzt —  die  Eumeniden, 
welche  den  Orestes   peinigen ,  bei  Aeschylus  wirklich   gestaltete  Wesen, 
sind  bei  ihm  nadrj^Dcxa  ipvxrjg  — ,  auch   nicht  selbst  neue  Gestaltungen 
versucht  habe.      Die  Lyssa  im  Hercules  furens  ist  nicht  ganz  neu  (Ae.ch. 
Xantr.  fr.  155)  und  vernichtet  sich   selbst  als    Allegorie ,  indem   sie  ihre 
Aufgabe  nur   aus  Zwang  und  mit  Unwillen  erfüllen  zu    können    erklärt, 
während  das  von  der  Iris  dem  Chore  zugerufene  Gagchlts  an  den  LÖwen 
in  Shakespear's  Sommernachtstraum  erinnert.      Der  Sccvarog  in  der  Alce- 
stis  macht  mehr  einen  heitern  Eindruck  und  die   Eirene  (Cresph.   fr.  4) 
und  Peitho  (Antig.  fr.  2)  geben  sich  selbst  als  leere  Abstractionen  zu  er- 
kennen.      Wenn  also  Eurlpides  nicht  selbst    neue  Gestaltungen   bildete, 
so  konnte  er  sich  nur  in   dem  überlieferten  Mythenstoffe   bewegen,    aber 
eine  objective  Auffassung  desselben  ist  von  ihm,  dem   philosophus  sceni- 
cus  (Hasse  Eur.  phil.  q.  et   quäl.  fucr.   p.  7),    nicht  zu  erwarten.      Will 
man   sich  die   Frage   beantworten,    welches   das  eigentliche  Uitheil  des 
Eurlpides  über  die  Götter  der  Tradition  und  die   Volksreligion  gewesen, 
so  muss  man  zugleich   mit  untersuchen,   wie  und  in  welchem  Grade  hat 
Eurlpides    die    verschiedenen    Anschauungsweisen   seiner    Zeit   benutzt. 
Nachdem  der  Hr.  Verf.  kurz  die  so  weit  von  einander  verschiedenen  An- 
sichten   Valckenaer's   (diatr,   p.  36) ,    Bouterweck's  (d.  ph.   Eur.  p.  9), 
Schlegel's  (Vorl.  über  dramat.  Poesie  I.  p.  139),  MüUer's  (d.  Eur.   deor. 
pop.  contempt.),  Hartung's  (Eur.  Iph.  Aul.  p.  6,  bedeutend   modificirt  in 
Eurip.  rest,  I,  p.  98)  aufgezählt,  entscheidet  er  sich  für  Bernhardy's  An- 
sicht (Ersch  und  Gruber.  Encycl.   Eurip.  p.  139),  dass   der  Dichter  in 
seiner  Religionsphilosophie  ohne  Consequenz  und  Methode  verfahren  sei. 
Im  Allgemeinen  stellt  er  sodann  auf,  dass  Eur.  im   Allgemeinen  auf  dem 
Standpunkte  des   Socrates  stehe,  in  sofern  ihm,  ohne  dass   er  die  alte 
Mythologie  und  den  Volksglauben  umstossen  wolle ,   die  Hauptsache  sei, 


96  Schul-  und  Universitätsnachrichten, 

dass  die  Gotter  Alles  wissen  und  in  Allem  gegenwärtig  sind,  über  Alles 
nach  den  Gesetzen  des  Guten  walten  und  sich  selbst  genug,  das  höchste 
geistige  und  sittliche  Princip  sind,  dass  er,  uezsbjooXöycov  OHokiocg  andzccs 
verschmähend  (fr.  ine.  158)  erhabene  Vorstellungen  über  das  göttliche 
Wesen  und  das  Verhältniss  zwischen  Göttern  und  Menschen  zu  verbreiten 
strebe,  dass  aber  »ein  allgemein  menschlich -sittliches  ürtheil  über  das 
Wesen  der  Gottheit  oft  im  Widerspruche  stehe  mit  der  Darstellung  der- 
selben im  Einzelnen.  Von  den  zaiilreichen  Belegen  für  diese  Ansicht 
fuhren  wir  nur  an,  dass  in  den  Bacchen,  welche  der  Hr.  Verf.  gegen  Lo- 
beck Agiaoph.  p.  6'23  und  Müller  Gesch.  der  griech.  Litt.  II.  p.  176  nicht 
für  eine  Palinodie,  sondern  nur  für  graduell  von  den  übrigen  Stücken  ver- 
schieden erklärt,  die  Mythe  von  der  Geburt  des  Bacchus  gedeutet  wird, 
wozu  sich  Hei.  18  und  Herc.  für.  1343  und  1349  gesellen,  wobei  der  Hr. 
Verf.  bemerklich  macht,  dass  diesen  Deutungen  und  Veränderungen  oder 
Zweifeln  gegen  die  Mythen  ein  ethisches  Motiv  zu  Grunde  liege,  indem 
es  dem  Dichter  darauf  ankomme,  Mythen  zu  beseitigen,  welche  den  from- 
men Vorstellungen  von  dem  göttlichen  Wesen  anstössig  sein  müssten. 
Die  Untersuchung  über  den  zweiten  Theil  der  oben  aufgestellten  Fragen 
beginnt  mit  Diagoras  und  Critias,  den  Extremen  der  sowohl  Religion  als 
Moral  vernichtenden  Sophistik ,  denen  Aristophanes  den  Euripides  zur 
Seite  setzt,  wie  er  ihn  Thesraoph.  451.  Ran.  8Ö9  besonders  wohl  wegen 
Hippel.  6l7  einen  Eidesverächter  nennt.  Der  Hr.  Verf.  bemerkt,  dass 
von  einer  äusseren  Beziehung  zu  jenen  Männern  keine  Spur  sich  finde, 
und  die  auf  eine  Uebereinstimmuiig  mit  ihnen  zu  beziehenden  Stellen  im 
Zusammenhange  eine  andere  Bedeutung  erhalten  ;  eine  Aehnlichkeit  mit 
den  Atomistikern  könne  man  vielleicht  in  dem  öfters  vorkommenden  Aus- 
rufe, ob  ein  Gott  sei  oder  der  blosse  Zufall  regiere,  finden,  allein  auch 
dieser  sei  nicht  ernste  Ansicht  des  Dichters  und  der  JCvog  aidsgiog  bei 
Aristoph.  Nub.  374  nicht  mit  Hermann  auf  Eur.  zu  beziehen.  Mit  Prota- 
goras,  der  ausdrücklich  als  Lehrer  des  Euripides  genannt  wird,  beweisen 
dem  Hrn.  Verf.  Geistesverwandtschaft  die  Stellen  Herc.  für.  1267.  Or. 
412.  Hei.  709.  1154.  Pirith.  fr.  6,  er  findet  aber  darin  doch  nicht  ganz 
die  zweifelnde  Ungewissheit  über  die  Existenz  der  Götter,  sondern  die 
Anerkennung  der  Unbegreiflichkeit  Gottes.  Mit  Vorliebe  bringt  Eur, 
Freigeister  auf  die  Bühne,  gewöhnlich  aber  so,  dass  ihr  Thun  und  Trei- 
ben zu  nichte  wird;  das  schlimmste  Beispiel  der  Art  bietet  Melanipp.  fr.  1, 
doch  zeigen  sich  in  den  übrigen  Fragm.  (22  und  3)  die  philosophischen 
Ansichten  des  Anaxagoras.  Bei  Bellerophon  (fr.  25)  scheint  doch  auch 
ein  ethisches  Resultat  zu  Grunde  zu  liegen,  namentlich  nach  der  Combi- 
nation  Hartung's  (Eur.  rest.  I.  p.  397).  Es  werden  ferner  noch  als  hier- 
her gehörig  die  Stellen  Hec.  488,  El.  o87,  Troad.  890  besprochen.  Mit 
Prodicus,  der  noch  allgemeiner  als  Lehrer  des  Eur.  bezeichnet  wird,  und 
seiner  mehr  sittlich  paränetischen  und  rhetorischen  Denkweise  (Weicker 
Rhein.  Mus.  I.  p.  634;  Zeller  Gesch.  der  Philos.  I.  p.  265)  glaubt  der 
Hr.  Verf.  eine  Aehnlichkeit  finden  zu  können  in  Hei.  567  und  den  übrigen 
Stellen,  wo  glückliche  Ereignisse  als  -SfOi  bezeichnet  werden;  indess  ist 
er  der  Ansicht,  dass  diese  kaum  bestimmt  auf  Prodicus  zurückzuführen 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  97 

seien,  sondern  vielmehr  auf  den  allgemeinen  leitenden  Grundsatz,  wonach 
das  Symbol  der  göttlichen  Wohlthat  mit  der  Gotteskraft  selbst  verwech- 
selt wird  (Krische  Theol.  Lehr.  p.  443).  Einen  Einfluss  des  Heraclitus 
(Diog.  Laert.  II.  22)  findet  er  in  der  erhabenen  Ansicht  von  der  Allge- 
genwart und  dem  Allesdurchdringen  des  Zeus,  so  wie  ihm  fr.  ine.  162, 
Troad.  890  und  Cret.  fr.  2  Vertrautheit  mit  der  pythagoreischen  Lehre 
verrathen.  Auf  den  damals  schon  aufkommenden  Euhemerismus  kann 
man  Beziehungen  in  Iph.  T.  277.  Hei.  498.  Ion.  353.  Bacch.  30  sehen, 
muss  aber  auch  zugeben,  dass  der  Dichter  denselben  nicht  gebilligt  hat. 
Dagegen  wird  nur  nachgewiesen ,  dass  der  eigentliche  Kern  der  Lehre 
des  Eur.  auf  den  physikalischen  Ideen  der  ionischen  Schule  beruhe,  dass 
aber  der  Dichter  auf  dem  Grunde  derselben  ein  reiches  ethisches  System 
aufbaue.  Der  Hr.  Verf.  kann  nicht  einräumen,  dass  damit  statt  der  festen 
Weltordnung  ein  VVirbeltanz  der  Atome  beginne,  dass  an  die  Stelle  des 
Zeus  nur  ^Ivog  trete  (Märker.  Princ.  d.  Bösen  p.  269) ,  vielmehr  weist 
'er  nach,  dass  Zeus  deutlich  dem  Euripides  das  höchste  geistige  Wesen, 
d.  h.  —  denn  höher  konnte  das  Älterthum  nicht  gelangen  —  das  mög- 
lichst von  allen  unreinen  materiellen  Berührungen  freie  Element  sei,  dass 
der  Dichter  —  weiter  gehend  als  Anaxagoras,  von  der  Natur  zu  den 
Ordnungen  der  sittlichen  Welt  zurückkehre  und  desshalb  hierin  wieder 
eine  Anknüpfung  an  Sokrates  (Krische  a.  a.  O.  p.  215)  sich  zeige.  Den 
dem  Dichter  geraachten  Vorwurf  des  Atheismus  erklärt  er  endlich  als  dar- 
auf beruhend,  dass  derselbe  das  Bedürfniss  einer  Theodicee  empfunden, 
dies  aber  ihm  zu  darauf  bezüglichen  zweifelnden  Aeusserungen  Veranlas- 
sung gegeben  habe.  Dies  der  hauptsächliche  Inhalt  der  geistreichen,  von 
gründlichen  philosophischen  Studien  und  einer  ungemeinen  Vertiefung  in 
die  Seele  des  Dichters  zeugenden  Abhandlung.  Eine  sehr  willkommene 
Einleitung  und  Ergänzung  dazu  bietet  der  zweite  in  dem  Programm  ent- 
haltene Aufsatz:  Zur  Geschichte  des  religiösen  Bewusstseins  bei  den  Helle- 
nen von  dem  Rector  Dr.  Friedr.  Lübker  (S.  15 — 28).  Nachdem  zuerst 
der  Hr.  Verf.  das  Verhältniss  der  griechischen  Bildung  zu  der  des  Orients 
als  einen  Fortschritt,  indem  in  ihr  die  Freiheit  des  Geistes  errungen  wird, 
bezeichnet  hat,  sucht  er  den  Ursprung  des  religiösen  Bewusstseins  bei 
den  Griechen  auf  und  findet,  ohne  sich  weiter  in  die  Untersuchung  über 
den  Einfluss  des  Orients  zu  vertiefen,  denselben  in  der  Verehrung  der 
Natur,  wofür  er  als  deutlichen  Beweis  die  Erscheinung  des  religiösen  Be- 
wusstseins bei  Homer  anführt.  Der  ganze  spätere  homerische  Götter- 
staat giebt  zu  erkennen,  dass  eine  Hinneigung  zur  natürlichen  Seite  ur- 
sprünglich gewesen  und  erst  späterhin  die  vorzugsweise  ethische  Macht 
erwachsen  ist,  dergestalt,  dass  wir  in  einigen  Gottheiten  wesentlich  das 
Frühere,  an  anderen,  wie  an  der  Here,  ausschliesslich  das  Spätere,  da- 
gegen an  den  meisten  die  Vereinigung  beider  gewahren.  Wir  finden  in 
der  ältesten  Erinnerung  die  Wehmuth  um  das  hinschwindende  und  abster- 
bende Leben  der  Natur,  die  um  so  schmerzlicher  ist,  als  sie  mit  ihren 
Reizen  den  Menschen  fesselt,  in  der  Form  dem  orientalischen  Geiste  nahe 
verwandt  (Linos,  Adonis,  Maneros,  Bormos,  Hylas,  Narkissos,  Thammus 
bei  Hesek.  8,  15;  vergl.  v.  Gerlach  A.  Test.  II.  p.  2.  Der  Hr.  Verf. 
iV.  Jahrh.  f.  Phil.  u.  Päd.  od  Krit.  ßibl.   Bd.  LVIIl.  f/ft.  1.  7 


98  Schul-  und  Universitätsnachrichtcn, 

kann  darin  nicht  mit  v.  Lasaulx  Ucber  die  Linoükl.  p.  9  den  sittlichen 
Schmerz  um  die  Sünde  und  das  V^erderben  des  menschlichen  Willens  oder 
auch  um  die  Folgen  derselben,  die  allgemeine  Ohnmacht  und  Gebrechlich- 
keit, sehen).  Gleiche  Aehnüchkeit  bietet  die  Klage  der  Demeter  um 
Kora,  wie  denn  auch  Dionysos  unverkennbar  den  LJebergang  aus  dem  Cul- 
tus  des  Orients  bildet,  und  auch  der  Cult  des  dodonäischen  Zeus  weist 
unverkennbar  auf  diese  Richtung  hin.  Sodann  charakterisirt  der  Hr. 
Verf.  Homer's  religiöses  Bewusstsein,  fast  ganz  in  Uebereinstimmung  mit 
Nägelöbach's  trefflicher  Auflassung;  berührt  kurz  Hesiod,  Herodot  und 
Pindar's  reflectirenden  Rationalismus  mit  einer  durchsichtigen  positiven 
Grundlage  (mehr  Seebeck  Rhein.  Mus.  III.  p.  50-i,  als  Bippart  Pind.  Le- 
ben, Weltansch.  und  Kunst  p.  '-26  ff.  folgend)  und  wendet  sich  hierauf  zu 
Sophocles,  bei  dem  er  einen  wesentlichen  Fortschritt  findet,  indem  bei 
ihm  die  Wirksamkeit  der  Götter  in  unmittelbarem  Zusammenhange  mit 
der  menschlichen  Thätigkeit  stehe  und  dadurch  rein  und  überwiegend 
sittlich  sei,  wodurch  auch  die  Mantik  eine  ganz  andere  Bedeutung  ge- 
winne. Während  bei  Homer  der  besondere  Antheil  des  Einzelnen  an 
seinem  Thun  vorzugsweise  dem  natürlichen  Wesen  des  Menschen,  fällt  er 
bei  Sophocles  dem  mit  der  Einsicht  und  der  Rlrkenntniss  eng  zusammen- 
hangenden freien  Willen  anheim;  während  bei  Homer  die  Sünde  als  facti- 
sche  Zerstörung  der  sittlichen  Weltordnung,  als  falsche  Selbstbestimmung 
nach  eigenen  Gesetzen  und  Maximen,  als  ein  sich  ungebührlich  überhe- 
bendes Selbst-  und  Ehrgefühl,  daneben  als  etwas  von  Aussen  her  Em- 
pfangenes und  Eingeflösstes ,  das  geradezu  den  Göttern  zugeschrieben 
wird,  erscheint,  bringen  nach  Soph.  die  Götter  zwar  auch  den  Menschen 
in  die  Schuld  hinein ,  aber  diese  Verführung  hängt  mehr  oder  weniger 
von  dem  sittlichen  Zustande  des  Individuums  oder  von  der  ganzen  bishe- 
rigen Führung  und  That  des  Geschlechtes  ab;  sie  hat  tiefere  Wurzeln 
innerhalb  der  Menschenwelt  selbst  und  ist  niemals  allein  da,  ohne  dass 
jedoch  der  freie  Wille  seine  Macht  behält.  Indem  so  ein  Unterschied 
zwischen  der  vorsätzlichen  bewussten  und  freiwilligen  und  der  unfrei- 
willif^en  oder  gezwungenen  Schuld  gemacht  wird,  ist,  so  weit  diese  Vor- 
stellung auch  noch  von  der  Idee  der  christlichen  P"'reiheit  entfernt  bleibt,  doch 
der  Fortschritt  da,  der  sichere  Rechtsboden  wird  betreten,  wie  sich  dies 
in  dem  Aufhören  der  Erscheinung  der  Blutrache,  der  Einsetzung  des  Areo- 
pags  und  der  Entwickelung  der  sittlichen  Idee  durch  die  Lehre  des  So- 
krates  kund  giebt.  Die  ganze  Abhandlung  macht  uns  auf  die  verspro- 
chene ausführlichere  Arbeit  über  das  ethisch-religiöse  Element  im  Sopho- 
cles begierig,  da  wir  in  jener  theilweise  ganz  neue  oder  doch  auf  neue 
Weise  herausgestellte  Ansichten  über  Sophocles  finden.  Möge  den  deut- 
schen Stammesbrüdern  in  den  Herzogthümern  bald  derGenuss  der  erstreb- 
ten heiligen  Güter  werden;  dann  werden  wir  von  den  wackeren  Gelehr- 
ten in  jenen  Gegenden  auch  manche  bedeutende  wissenschaftliche  Lei- 
stung erhalten.  [^-J 

Freiberg.  Zu  den  zwei  für  das  Andenken  edler  Wohlthäter  im 
Gymnasium  am  13.  April  zu  haltenden  Gedächtnissreden  wurde  durch 
eine  Schrift  eingeladen,  welche  drei  bei  feierlichen  Gelegenheiten  gehauene 
Schulreden  von  dem  5.  Lehrer  Dr.  A.  E.  Prölss  (18  S.  4.)  enthält,  näm- 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  99 

lieh  1)  bei  der  Vorfeier  des  Reformationsjubelfestes  (30.  Oct.  1839) ,  Lu- 
ther's  Glauben,  seine  Liebe  und  Menschenfreundlichkeit,  sein  Gottvertrauen 
als  Muster  darstellend,  2)  an  Luther's  Todestag  (18.  Febr.  1846);  3)  Vor- 
bereitungsrede auf  die  Feier  des  heiligen  Abendmahls  (27.  Oct.  18i8). 
Sämmtliche  Reden  zeichnen  sich  durch  ihren  Gedankeninhalt  und  die 
kräftige,  schöne  Sprache  vortheilhaft  aus.  Am  wenigsten  hat  den  Ref. 
die  letzte  befriedigt,  da  sie  zu  wenig  auf  den  eigentlichen  Zweck  Rück- 
sicht nimmt.  Als  Rede  zur  Feier  des  westphälischen  Friedens  würden 
wir  sie  ganz  angemessen  finden.  [^-J 

Frankfurt  am  Main.  Am  Gymnasium  wurde  am  28.  März  1848 
der  Prof.  Rödcr  wegen  andauernder  Kränklichkeit  mit  Beibehaltung  sei- 
nes vollen  Gehaltes  in  den  Ruhestand  versetzt.  Zum  Lehrer  der  hebräi- 
schen Sprache  wurde  am  25.  Juli  desselben  Jahres  der  Religionslehrer  an 
der  israelitischen  Realschule  Dr.  phil.  Jacob  /Auerbach  bestellt.  Der  Ein- 
ladung zum  Osterexamen  1849  schickte  der  Dir.  Dr.  J.  Th.  Vömel  vor- 
aus :  De  modis  coniunctivo  et  optativo  verborum  (xi  secundum  Codices  De- 
mo sihenicos  scribendis,  Specimen  Prolegomenorum  apparatus  criiici 
(9  S.  4.},  eine  mühevolle,  aber  für  die  griechische  Sprache  wichtige  Ab- 
handlung. Erst  wenn  bei  allen  Schriftstellern  derartige  Untersuchungen 
gemacht  sein  werden,  können  wir  mit  Sicherheit  eine  vollkommene  grie- 
chische Formenlehre  erwarten.  Die  Resultate,  welche  der  Hr.  Verf.  ge- 
wonnen, sind  folgende:  1)  Der  Coniunctivus  activi  von  den  Verben,  deren 
Wurzelvocal  £  ist,  wird  in  den  Handschriften  des  Demosthenes  immer  mit 
dem  Circumflex  geschrieben  ,  auch  bei  den  Compositis  von  Vrnii,  wegen 
deren  Buttmann  G.  G.  1.  p.  522  zweifelt  und  Schneider  ad  Plat.  Civ.  T. 
p.  305.  H.  p.  38  den  zurückgezogenen  Accent  beibehalten  hat ,  obgleich 
die  Grammatiker  (Et.  M.  p.  467,  42.  Gud.  p.  96,  46.  Gramer  Anecd.  T. 
p.  21)  die  Formen  als  durch  Contraction  entstanden  bezeichnen.  Merk- 
würdig ist,  dass  der  cod.  2.  oft  y-aQ^Catri  darbietet,  die  Falschheit  der 
Lesart  beweist  sich  aber  aus  dem  Fehlen  des  i,  2)  Der  Optativus  Act. 
auf  OL  von  den  Verben  mit  der  Wurzel  £  findet  sich  nur  einmal  im  2. 
Symra.  §.  27  v-axoc^oits,  doch  ist  die  Vulgata  beizubehalten,  weil  die  Form 
sonst  ohne  Beispiel  ist  (Buttm.  I.  p.  518;  Krug,  p,  131).  Von  den  Com- 
positis von  l'riiiL  findet  sich  die  andere  Form  nur  bei  Pseud.  Dem.  Theoer. 
§.  6,  wo  aber  mit  E,  Vat.  und  Vulg.  der  Optativ  beizubehalten  ist  (Klotz 
ad  Devar.  II.  p.  628).  Merkwürdig  und  ganz  einzig  ist  cctpiol  bei  Bekk. 
Anecd,  p.  471.  Rücksichtlich  der  ¥ormQr\  8 idoiriv  und  didcoriv  zeigt  sich 
in  den  codd. ,  wie  bei  den  alten  Grammatikern,  ein  solches  Schwanken, 
dass  die  eine  Form  bei  Uebereinstimmung  der  besten  und  meisten  Hand- 
schriften nicht  mit  der  andern  zu  vertauschen  ist.  3)  Die  Conjunctivi 
Passivi  xid^rJGQ's  j  Tcgod^rjad'S,  ngocd'fJGd'S,  (israO^rio^s ,  dLadrjtat,  iTrtQrjtixt 
sind  als  contrahirt  zu  circumflectiren,  daher  gegen  die  Handschriften  auch 
TtQorjrai',  aber  v.ad-iarr}T(Xi  ist  mit  Z.  Steph.  I.  §.  34  beizubehalten.  4)  Die 
Optativi  Passivi  von  den  Verbis  auf  s  sind  in  ot  und  mit  zurückgezoge- 
nem Accent  zu  schreiben:  TtQoaO'oixo  (auch  Phil.  II.  §.  12  gegen  den  2^.), 
TTooo^oiaQ'Sj  svd'oiTO ,  TCQooivto ,  TtQooiads.  Engelhardt  Ann.  ad  Dem. 
p.  44  hat  nicht   alle  Stellen  gesammelt  und   nach  genauer  Prüfung  der 

7* 


100  Schul-  und  üiuversitätsnachrichten, 

Handschriften  beurtheilt,  was  früher  auch  den  Hrn.    Verf.   zum    Irrthum 
verleitet.  [D.] 

GIESSEN.  An  die  Stelle  des  verstorbenen  Prof.  Dr.  Uartnagcl  trat 
am  Gymnasium  der  Prof.  theol.  cath.  an  der  Universität  Dr.  F'lack  am 
22.  Juli  I848  als  Religionslehrer.  Der  Candidat  Dr.  L.  Krämer  über- 
nahm nach  Vollendung  seines  Probejahres  (Herbit  18-i8)  noch  bis  Weih- 
nachten desselben  Jahres  die  Stunden  des  wegen  seiner  Gesundheit 
beurlaubten  Gymnasiallehrers  Dr.  Diclil  in  der  Vorbereitungsciasse.  Im 
Herbat  1848  trat  der  Cand.  W.  Crecelius  sein  Probejahr  an.  Im  Som- 
merhalbjahr 1848  betrug  die  Schülerzahl  217,  im  Winterhalbjahr  18 i8  bis 
49:  -206  (31  in  I.,  42  in  II.,  23  in  III.,  27  in  IV.,  36  in  V.,  24  in  VI.  und 
23  in  der  Vorbereitungsciasse).  Ostern  1848  wurden  6,  Mich,  desselbc'ii 
Jahres  zur  Universität  entlassen.  Den  Schulnachrichten  voraus  geht  eine 
Abhandlung:  Krinagoras  von  Myülene  von  dem  Dir.  Dr.  E.  Geist  (50S.  8.), 
vortrelesen  am  4.  Febr.  18^8  in  der  Gesellschaft  für  Wissenschaft  und 
Kunst  zu  Giessen.  Der  Hr.  Verf.  hält,  damit  der  Text  der  sogenannten 
Orthologie  auf  eine  sichrere  Weise  verbessert  werden  könne,  mit  Recht 
eine  Zusammenstellung  der  Gedichte  nach  den  Dichtern,  wie  sie  schon  früher 
Brunck  und  in  neuester  Zeit  Meineke  gegeben,  für  nothwendig,  und  giebt 
als  einen  Versuch  zu  beweisen,  wie  viel  dadurch  für  die  Kritik  und  Er- 
klärung gewonnen  werde,  eine  Bearbeitung  der  Gedichte  des  Krinagoras, 
einen  Versuch,  den  Ref.  als  einen  durchaus  gelungenen  bezeichnen  muss. 
Die  Schrift  beginnt  mit  einer  Erörterung  über  die  Lebensverhältnisse 
des  Dichters,  welche  mit  ziemlicher  Bestimmtheit  aus  den  Gedichten 
scharfsinnig  herausgefunden  werden.  Die  Vermuthung,  dass  sich  derselbe 
mit  Bücherabschreiben  beschäftigt,  weil  in  den  Epigrammen  14  und  16 
Bücher  als  Geschenke  vorkommen,  die  nur,  wenn  sie  eigenhändig  ge- 
schrieben, grösseren  und  wahren  Werth  gehabt  haben  könnten,  dürfte 
wohl  als  etwas  gewagt  erscheinen,  da  einmal  der  eigene  Besitz  von  Bü- 
chern auch  in  der  Zeit  des  Augustus  bei  den  Vornehmen  immer  noch  etwas 
Ausserordentliches  war,  die  zum  Geschenke  gemachten  Bücher  aber  ge- 
wiss zu  den  selteneren  gehörten,  also  eine  willkommene  Vermehrung  der 
Bibliothek,  auch  wenn  sie  nicht  von  dem  Schenker  eigenhändig  geschrie- 
ben waren,  bildeten.  Dem  Ep.  4  wird  der  Hr.  Verf.  selbst  keine  Be- 
weiskraft beilegen.  Ebenso  möchte  wohl  zu  der  Vermuthung,  dass  Kr, 
die  Hinreise  nach  seiner  Heimath  vielleicht  im  Gefolge  des  Augustus  ge- 
macht, in  Ep.  26  nicht  hinreichende  Veranlassung  liegen,  da  der  Umstand 
einem  sich  zum  Hofe  Drängenden  leicht  bekannt  werden  und  demselben 
zu  einem  so  schmeichelhaften  Epigramme  Veranlassung  geben  konnte. 
Sehr  richtig  urtheilt  der  Hr.  Verf.  über  den  Werth  des  Dichters,  indem 
er  gegen  Bähr's  Unheil  (Pauly  Realenc.  s.  v.  Crinag.),  dass  seine  Ge- 
dichte zum  Theil  von  wahrhaft  poetischem  Talente  zeugten,  auch  Pas- 
sow's  Meinung  (Jahrbb.  für  Phil,  und  Päd.  1827.  I.  2),  dass  er  ein  ge- 
rade nicht  schlechter  Dichter  gewesen,  nur  in  Vergleich  mit  so  vielen 
Anderen  gelten  lässt,  da  Schönheit  der  Sprache,  Wohlklang  der  Verse 
und  treffender  Witz  ihm  abgehen.  Nur  den  einzigen  Vorzug  hebt  er  her- 
vor, dass  seine  Epigramme  nicht  allgemeinen  epideiktischen  Inhalts,  son- 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  101 

dern  zum   grössten   Theile  wirkliche  Gelegenheitsgedichte  sind.      Dieser 
Einleitung  lässt  der  Hr.  Verf.  die  einzelnen  Epigramme  nach  der  Bruncki- 
schen  Anordnung  folgen,  wovon  er  jedoch  1,  36  u.  37   als  unächt  bezeich- 
net.     5   Epigramme  werden   den    von  Brunck  aufgenommenen  zugefügt. 
Die  Kritik    und   Erklärung,    welche   er  übt,    beweisen   eben   so   grossen 
Scharfsinn,  wie  tüchtige  Sprach-  und  Sachkenntnisse.       Eine  Menge  all- 
geni'in  beachtenswerther  Bemerkungen  werden  von  ihm   gemacht,   z.B. 
S.  9   if.   über   die    Mimen    und    Pantomimen ,    über    die    Namen    Proklos 
S.  13  f.  Simo,  welches  scharfsinnig  in  Libo  verändert  wird,  S.  22,  Polemo 
S.  37  nach  Hecker's  Comm.   crit.  p.   300  evidenter   Conjectur,   UQOiTT}, 
Prima  S.  45  f.,  über  den  Fiuss  Casinus  S.  20,  über  die  Sitte  des  ersten 
Rasirens  S.  24,  über  den  bekanntlich   von   D'Orville  Vannus  crit.   p.  185 
gegen  Pauw  so  heftig  geführten  Streit  wegen  der  Zahl  der  Bücher  des 
Anacreon,    welcher    hier,   wenn    nicht   neue   Beweise   aufgefunden   wer- 
den,  zum    Abschlüsse   gebracht  ist,   S,   26  ff.,   über    den  Sohn   des   Ge- 
schichtschreibers  Salustius  (interessant  wegen  Horat.   Od.    II.  2)  S.  30, 
über  die  Reihenfolge,  welche  bei  der  Anordnung  der  Anthologie  befolgt 
ist,  S.  31  ff.,  der  vielen  feinen  sprachlichen  Bemerkungen  nicht  zu  geden- 
ken.     Darf  Ref.  einige  Bemerkungen   wagen,   so  kann  er    Ep.   2,  3   die 
Conji^ctur  vi'xro;  d'  vttsq  ipEvGtr]g  —  nvocos  in  der  Bedeutung:  ,,die  über 
die  Nacht,  mehr  als   die  Nacht  täuschende   Fackel"  nicht  billigen,   hält 
vielmehr   die  Emendation    o   ip^vorri^    d'    vno   vvhtk   fest.      Dass   in   der 
Handschrift  riTTf'^  steht,  kann   nicht    hoch  angeschlagen   werden,   da  die 
beiden  Prä()ositionen  an  Stellen  verwechselt  er^^cheinen,  wo  man  es  durch- 
aus für  unmöglich  halten  sollte.      Dass  A.  P.  IX.  289,  vs.  3:  nvQCog   ozs 
ipEvaras  ^&ovLrjg   övocpsoateQa  watög  ij^s  cs\a  wesentlich  von  vvy.xa  d' 
rnsQ  ipBVGtrjg  verschieden  sei,  ist  nicht  zu  verkennen.      Ist   aber  das  vno 
rv-ATcc^  sub  noctem,  hier  so  falsch?      Suchen  die  Schiffe  nicht  gerade  am 
Abend  den  sichern  Hafen,  um    nicht  in  der   Nacht  zu  scheitern?      Wird 
also  nicht  das  in  der  Dämmerung  angebrannte  Leuchtfeuer  am  leichtesten 
zum  Betrüger?      Eben  so  zweifelt  Ref.,   ob  in  Betreff  des   Epigr.  6  des 
Hrn.    Verf.    Vermuthung    richtig    sei.       Dass    Vs.  7    in    der   Handschrift 
Uoiänct)  statt  des  nothwendieen  TTgiriTccp  steht,  kann  um  so  weniger  einen 
Anhalt  bieten,  als  auch  an  anderen  Stellen  die  episch -ionischen  Formen 
vr'rN'vischt  sind  und  gerade  der  Name  in  jener  Form  den  Abschreibern  ge- 
läufiger gewesen  zn  sein  scheint.  Auch  könnten  wir,  wenn  wir  in  den  zwei 
letzten  ^^ersen  ein  eigenes  Epigramm  sehen  wollten,  eine  Bedeutung  des- 
selben höchstens  in  den  Beiwörtern  der   beiden  Götter  finden.      Dass  in 
den  6  ersten  Versen  der  Nominativ  steht,  während  man,  wenn  die  darin 
enthaltenen  Substantiva  zu  uvTidstcxi  bezogen  werden  sollen,    den  Acc, 
wie  lirrjv  dahcc,  erwarten  sollte,  scheint  damit  zu  entschuldigen  zu  sein, 
dass  der  Dichter  erst   gleichsam  verwundernd   ausrufend    aufzählt,  dann 
aber  erst  die  eigentliche   Construction   beginnt.      Dem    Ref.   scheint  die 
Bedeutung    des    Epigramms   gerade    darin    zu    liegen,    dass  Philoxenides 
Zwischenspeisen  für  die  Weintrinker  als  ein   vollständiges   Mahl  dem  Pan 
und  Priapus  auftischt.      Was  als  solche  reichlich,  muss    als  Satg  lirri  er- 
scheinen.     Für  ÖBiXai  dccv.vBaQui'  aiivySäKaL  möchte  Ref.  ösival  d,  ver- 


\Q'2  Schul  -  und  Universltätsnacbrichten, 

inuihen,  sclnver  zu  zerbeissende  Mandeln,  nach  einer  zwar  kühneren,  aber 
zu  reclufeitij;enden  Cunstruclion.  Denkt  man  sich,  dass  Philoxenides  bei 
eineu)  zu  Ehren  des  Pan  und  Priapus  veranstalteten  Opferraahle  den  Gä- 
sten nur  zum  Trinken  reizende,  aber  den  Magen  nicht  befriedigende  mas- 
sive Speisen  aufgetischt,  so  wird  das  Epigramm  als  Gelegenheitsgedicht 
eine  leidliche  Gestalt  haben.  Riicksichtlich  ipidvog  Ep.  22  hätte  Ref. 
{gewünscht,  dass  der  Hr.  Verf.  seine  von  Döderlein  Red.  u.  Aufs.  II.  p. 
209  abweichende  Meinung  begründet,  da  nicht  zu  läugnen  ist,  dass  der 
Gegensatz :  uaka-^ol  fiakloC  und  das  beigefügte  ayQoriQcov  tqtjxvtsqcxi  xl- 
^lÜQtov  gerade  die  von  dem  Etymologiker  angenommene  Bedeutung  em- 
pfiehlt. Wünschenswerth  wäre  es  allerdings,  dass  die  beschriebene 
Schaafart  naturhistorisch  bestimmt  würde.  Es  giebt  allerdings  in  den 
Caucasusländern  ein  Schaaf  von  einer  äusserst  groben  Wolle,  die  Haare 
aber  sind  nicht  spärlich ,  sondern  dicht.  [-^-j 

Grimma.      Die  hiesige  königl.  Landesschule  hat  im  Schuljahre  Mich. 
1848 — 49  weder  im  Lehrercollegium,  noch  im  Lehrplane  eine  Verände- 
rung erfahren.      Die  Schülerzahl  war  im   Winterhalbj.   131   (21  in  I.,  30 
in  II.,  37  in  HI.,  43  in  IV.),  im  Sommerhalbj.  132  (23  in  I.,  28  in  II.,  36 
in  III.,  45  in  IV.),  gegenwärtig  beträgt  sie  129  (117  Alumnen   u.  12  Ex- 
traneer;  22  in  I.,  26  in  II.,  34  in  III.,  47  in  IV.).      Zur  Universität  gin- 
gen Mich.  1848  11,  Ost.  1849  4,  Mich.  dess.  J.  8.  —  Den  Schulnachrich- 
ten geht  voraus:  Series  praeceptorum  Illustris  apud  Grimam  Moldani  vom. 
2.  Prof.  M.  Lorenz  (48  S.  4.   und  eine  Tabelle).       Der   Hr.  Verf.  beab- 
sichtigt, die  im  Jahre  1850  bevorstehende  300jähr.  Jubelfeier  der  Anstalt, 
welcher  er  einst  als  Schüler,  dann  seit  1831  als   Lehrer  angehört ,   durch 
eine    Geschichte    derselben    zu    verherrlichen.      Das    hier  veröffentlichte 
Verzeichniss  der   Lehrer   und   Beamten   bildet  die  Sammlung   von  einem 
Theile  des  reichen  Materials,  welches  in  der  Schulgeschichte  zu   einem 
lebensvollen,  die  pädagogische  und  wissenschaftliche  Thätigkeit   der  hier 
aufgeführten  Männer  treu    wiederspiegelnden   Bilde    verarbeitet   werden 
BoU.      Wer  weiss,   welche  Mühe    es  macht,   die  hier  stehenden  kurzen, 
scheinbar  so  trockenen  Notizen  aus  zum  Theil  nur  Wenigen  zugänglichen 
Quellen  zusammenzusuchen,  die  vielen   Daten  aus  Urkunden  und  dergl. 
zusammenzustellen,  der  wird  der  acht  deutschen  Ausdauer  und  der  Umsicht 
des  Hrn.  Verf.   die  gebührende  Anerkennung  nicht  versagen.       Für  die 
Gelehrten-  und  Litteraturgeschichte  finden  sich  hier  viele  Nachweisungen, 
die  dem  Forscher  sehr  brauchbar  sind.    Der  Hr.  Vf.  beabsichtigt  zunächst 
in  gleicher  Weise  ein  Verzeichniss  sämmtlicher   auf  der   Landesschule   zu 
Grimma  gebildeter  Männer  herauszugeben,  welche,  wie  Ref.   aus  eigener 
Ansicht  zu  bestätigen  vermag,  eine  Menge   der  interessantesten   Notizen 
zur  Familien-  und  Gelehrten-Geschichte  bieten  wird,  wesshalb   wir   hier 
Bibliotheken  und  alle  sich   für   die  genannten  Fächer  Interessirende   auf 
die  so  eben  au'-gegebene  Subscriptionsli.ste,  welche  bis  Ende  Januar  ge- 
schlossen werden  wird,  aufmerksam  machen.  [/?.] 

Leipzig  im  October  1849.  Der  Jahresbericht  der  hiesigen  Nicolai- 
schule von  Ostern  1848  bis  dahin  18i9  von  dem  Rector  der  Anstalt,  Pro- 
fessor Dr.  A'o6&c,  welcher  als  Einladungsschrift  zur  feierlichen  Einfüh- 


Buförderungcii  und  Ehreiibezeigungen.  103 

rung  (lerDDr.  Kreussler,  FrUzscJic  u.  TiUmann  in  höhere  Lehrstellen,  zu- 
gleich auch  zur  Erinnerung  an  die  vor  25  Jahren  erfolgte  feierliche  Be- 
stallung des  Conrector  Dr.  Albert  Forhlger  als  ilires  sechsten  ordentlichen 
Lehrers  erst  in  diesem  iMonate  erschienen  ist  (Leipzig,  gedruckt  bei  Willi. 
Staritz  1849.  29  S.  8.),  giebt  uns  erfreuliche  Nachricht  von  den»  fort\>äh 
rend  gedeihlichen  Stande  der  geachteten  Lehranstalt.     Denn  wenn  schon 
die  Anstalt  in  ziemlich  häufiger  Aufeinanderfolge  bewährte  Lehrer,  die  zu 
anderweitiger  Thätigkeit  ehrenvolle  Rufe  erhalten  hatten,  in  welcher  Be- 
ziehung der  Herr  Verf.  an  Dr.  Dietrich^  an  die  Professoren /JCü/ine  zu  Go- 
tha   und   Falm   zu  Grimma,    die    Directoren    oder    Rectoren    Frotscher, 
FunkJiänel,  Hülse  erinnert,   hatten  müssen   von  sich  scheiden  sehen,   so 
war  doch  der  Verlust  so  ausgezeichneter  Lehrkräfte  jedesmal  bald  wieder 
grösstentheils  durch  tüchtige  jüngere  Männer,   welche  der  Anstalt  schon 
vorher  ihre  Lehrkräfte  gewidmet  hatte,    ersetzt  worden.     So  auch  jetzt. 
Denn  nachdem  nach  dem  schnellen  Abgang  des   Dr.  Klee  zur  Uebernahme 
des  Rectorats  an  der  Kreuzschule  zu  Dresden  durch  die  Güte  des  in  ange- 
nehmer Müsse  zu  Leipzig  privatisirenden  Prof.  Dr.  Ricliter  die  entstandene 
Lücke  zeitweilig  ausgefüllt  worden  war,  rückten  Dr.  Kreussler  in  die  V., 
Dr.  Fritzsche  in   die  VL   ordentliche  Lehrstelle  auf,  die   erste  Adjunctur 
aber  ward  dem  Dr.  Tittmann  übertragen  ,    der    bisher  den   naturwissen- 
schaftlichen Unterricht  an  der  Anstalt  ertheilt  hatte,  in  dessen  Stelle  da- 
gegi  n,  nach  einer  interimistischen  Aushülfe  durch  Dr.  Schütz,  Katecheten 
zu  St.  Petri  u.   Observator  an  der  Stadibibliothek,  Dr.  Kcrndt  eintrat. 
Als  eine  sehr  erfreuliche  Erscheinung  haben  wir  noch  hervorzuhebeUj  dass 
in  neuester  Zeit  die  Veranstaltung  getroffen  w  orden  ist,  dass  der  Unterricht  in 
der  engl,  Sprache,  der  bisher  nur  privatim  an  der  Anstalt  gegeben  wurde, 
künftighin  öffentlich  ertheilt  werden  wird,  und  dass  die  Anstalt  mit  Wohl- 
gefallen auf  die  25jähr.  Lehrthätigkeit  des  Conrectors  Dr.  Fo?6«g-er  an  dem 
Tage  der  Einführung  dreier  Collegen  in  höhere  Lehrämter  zurückschauen 
konnte,  der  vor  25  Jahren  an  demselben  Tage  die  sechste  ordentliche  Lehr- 
stelle übernommen  hatte,  im  Jahre  J828  aber  in  das  Tertiat  und  im  Jahre 
1835  in  das  Conrectorat  aufgerückt  war.   —    Zur  Universität  wurden  zu 
IMichaelis  1848  entlassen  8,  dagegen  zu  Ostern  1849  9.    Erfreuliches  war 
auch  über  andere  Verhältnisse  der  Anstalt,  über  Prämien,  Freistellen  und 
Stipendien,  W^ittwenkasse,  so  wie  über  die  angemessene  Vermehrung  der 
Schulbibliothek  zu  berichten.      So  möge    denn   die  tüchtige   Lehranstalt 
fröhlich  fortgedeihen!  [Jf.] 

Leipzig.  An  der  Tä  omassc^uZ  e  lud  zur  Feier  des  31.  Decera- 
ber  1848  der  Rector  Dr.  Stallbaum  durch  den  Abdruck  der  von  ihm  am 
31.  December  1847  gehaltenen  Rede:  De  bonarum  Utterarum  studio  effica- 
cissimo  animi  in  rebus  adversis  tranquillandi  praesidio  et  adiumento  (20  S. 
4.),  an  welcher  das  elegante  Latein  besonders  rühmend  anzuerkennen  ist. 
—  Die  Schule  erlitt  am  Anfange  des  Schuljahres  1848 — 49  empfindlichen 
Verlust  durch  den  Tod  des  Sextus  Dr.  Joh.  Heinrich  Brenner  (13.  Mai)  u. 
des  Quintus  Dr.  Carl  Haltaus  (31.  Jul.).  Die  Wiederbesetzung  der  erle- 
digten Stellen  erfolgte  in  der  Weise,  dass  der  I.  Adj.  Dr.  Jacobitz  Quin- 
tus, der  IL  Adj,  Dr.  Mühlmann  Sextus,  1.  Adj.  Dr.  Paul  Möbius  (Ostern 


204  Schul-  und  Universitätsnaclirichten, 

1848  als  dritter  Adjiinct  angestellt),  II.  Scbnlarntscandidat  //.  R.  Hilde- 
brand  (schon  vorher  von  Mitte  August  als  Hülfslehrer  berufen),  III.  der 
Schuiamtscandidat  Max.   Erler   wurden.    Der  Letztere  trat  sein  Amt  erst 
Ostern  1849  an.      Die  F^'requenz  betrug  am  Schlüsse  des  Schuljahres  224, 
von  denen  in  I.  38,  in  II.   42,   in  III.  43,  in  IV.  40,  in  V.  40,  in  VI.  21 
sassen.  Zur  Universität  gingen  Mich.  1848  16,  Ostern  1849  ISSchüler  über. 
Als  wissenschaftliche  Abhandlung  hat  der  Rector   Prof.  Dr.  G.  Stallbaum 
beigegeben:    Examen  tcsiimonioruni  de    Phaedri   Platonici  tempore  natali 
ajitiquilus  proditorum  (25  S.  4.)   den  zweiten  Thcil   der   im  vorhergehen- 
den Jahre  erschienenen  Abhandlung  (s.  N.  Jahrbb.  Bd.  54.  S.  102  fgg.),  zu 
dessen  Herausgabe  sich  der  Verf.  um  so  mehr  entschloss,   als  Krische; 
Ueber  Platon's  Phädrus ;  Göttingen  1848,  S.  133  ff.  das  Erscheinen  jener 
Platonischen  Schrift  in  Ol.  XCIII.  2  oder  3  oder  einige  Jahre  früher  setzt. 
Die  bisherige  Meinung  stützte  sich  als  auf  äussere  Zeugnisse   vorzüglich 
auf  Diogen.  Laert.  III.  8  und  Olympiodor.  vit.  Plat.  p.  78  Fisch,,  p.  584 
Menag. ,   der  Herr  Verf.  macht  aber  gegen  dieselben  geltend:    1)  Andere 
schweigen  geradezu  von  den   hier  erwähnten  Dingen  und  dies  Schweigen 
erregt  Bedenken.     2)  Das  ausdrückliche  Zeugniss  des   Cic.  Orat.  13,  41 
widerspricht.    3)  Den  Mangel  an  Kritik  bei  Diogenes  Laertius  haben  schon 
Isaac  Casaubon.  Praef.  p.  577  ed.  Meib.,  Bayle  Dictionn.  s.  v.  p.  365  sq., 
Ross.  Comm.  Laert.  p.  248  und  Luzac.  Lect.  Att.   p.  129  sq.    bewiesen. 
Auch  Olympiodor,  der  nach  Creuzer  Praef.  ad  Init.  Philos.  et  Theol.  ex 
Plat.  fönt.  duct.  IL  p.  XIV.  unter  Justinian   lebte,   ist  nicht  weniger  un- 
kritisch; Cicero  aber  benutzte  bessere  Quellen,  als  Beide,  z.  B.  Aristote- 
les (Brut.  48).    4)  Beide  Stellen  enthalten   in  sich  Gründe  genug,  um  ihr 
Zeugniss  ungültig  erscheinen   zu  lassen.      Die  Stelle  des  Diogenes  ist  un- 
klar und  eilfertig  zusammengeflickt.     Es  bleibt  zweifelhaft,  wer  jene  Mei- 
nung vom  Phädrus  ausgesprochen  habe.    Die  Worte:  kocl  yag   t'x^'-  jWf'^«- 
mtöösg  XI  xo  TrQÖßXrjua  rühren  offenbar  von  Diogenes  her,  sind  aber  plötz- 
lich eingeschoben;    es  folgt  unmittelbar  das  Zeugniss  des  Dicäarch  ,    wel- 
ches wiederum  so  unbestimmt  ist  ,  dass  es  auf  den  Stil  des  Plato  ganz  im 
Allgemeinen  gehen  kann.      FVagt  man,   von  wem  jene  Meinung  hi^rrührt, 
so  kann  man  auf  Panaetius ,  Euphorion  und  Aristoxenus  schliessen  ;  allein 
Panaetius    hat    sich,    so    viel    wir   wissen,    mit    kritischen  Studien   des 
Plato   nicht  beschäftigt,   und   auch  Panaetius  hat  höchstens  darnach  ge- 
forscht, was  socratisch  sei  (Diogen.  II.  64,  coli.  III.  37).      Sollten  sie  die 
Sache  erwähnt    haben ,   so  ist  es  gewiss   nur  beiläufig  geschehen  und  zu 
Beider  Zeiten  waren   schon  P^abeln  in  Menge  verbreitet.    (Luzac.  1.  c.  p. 
328  sq.)    War  Aristoxenus  die  Quelle,  so  ist  sein  Zeugniss  noch  weniger 
gültig,  da  er  auf  Besonderheiten  begierig  (Luzac.  1.  c.  p.  164,  195,  232) 
und   besonders  gegen   Plato  und  Socrates  malitiös   war    (Luzac.  p.  111). 
Selbst  die  Stelle  des  Diogenes  giebt  davon  Zeugniss,  da  das  in  ihr  ange- 
führte Urtheil  über  die  Republik  ganz   verkehrt  ist.      Weil   nun  aber  für 
loyov  dl  71QCOT0V  yQuipcci  erwartet  wird  dialoyov ,  so  vermuthet  Herr  St, 
?.6yos  öi  7tQ.  ygäipai,  was  mit  Diogenes'  Sprachgebrauche,  dem  die  Weg- 
lassung des  Verbum  substantivum  geläufig  ist,    wie  mit  des  Olympiodor 
cos  ^iystccL  übereinstimmt;  dann  hat  das  Zeugniss  noch  weniger  Gültig- 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  105 

keit,  weil  sie  nicht  einmal  den  genannten  Schriftstellern  bekannt  war. 
Endlich  wird  noch  daraufhingewiesen,  dass  die  beigefügte  Erläuterung: 
nal  y<XQ  KtA.  ganz  verkehrt  ist.  Der  1fr.  Verf.  vermuthet,  die  Verwech- 
selung der  Nachricht ,  dass  der  Phädrus  Plato's  erste  Schrift  nach  der 
Rückkehr  aus  Sicilien  gewesen,  damit,  dass  sie  überhaupt  seine  erste 
Schrift  sei,  habe  zu  der  Nachricht  Veranlassung  gegeben.  Noch  weni- 
ger Gewicht  kann  den  Worten  des  Olympiodor:  ort  öl  rovg  dLdvgdaßovg 
^'(jxrjTO,  drjlov  in  xov  ^klSqov  zov  öiaXoyov  navv  nviovzog  zov  did^vQcc^i- 
ßcodovg  %DCQDCv.TriQog  ccts  zov  IJkdtcovog  zovzov  Ttoazov  yqaipavzog  Sidlo- 
yov^  cog  ?JystcxL,  Gewicht  beigelegt  werden,  da  sie  ohne  Nennung  eines 
Gewährsmannes  ein  unbestimmtes  Gerücht  >geben ,  ausserdem  aber  die 
Schrift  nicht  dithyrambischen,  sondern  nur  lebhaften,  poetischen  Charak- 
ter hat.  Vielleicht  hat  zu  jenem  Urtheil  Dionys.  Halic.  Ep.  ad  Pomp.  p. 
16'2  u.  d.  admir.  vi  Dem.  p.  969.  Reisk.  Veranlassung  gegeben;  jedenfalls 
aber  hat  Olympiodor  zwei  Erzählungen  vermischt,  die,  dass  des  Plato 
erste  Schrift  ein  Dithyrambus  (Diog.  L.  111,  5),  und  die,  dass  der  Phädrus 
die  erste  Schrift  gewesen  sei.  Das  Erstere  erzählt  auch  der  Anonym,  vit. 
Plat.  bei  Westerm.  Vitt.  scr.  II.  p.  391;  diese  Stelle  ist  aber  nicht  im 
Entferntesten  ein  Zeugniss  über  die  Abfassungszeit  des  Phädrus.  [/).] 
LiEGNiTZ.  Das  Lehrercollegium  der  von  dem  Major  Grafen  von 
Bethusy  dirigirten  Ritteracademie  bestand  in  dem  Schuljahre  1848 — 49 
aus  den  Professoren  Franke  (Stellvertreter  des  Directors),  Bibliothekar 
Dr.  Schnitze,  Keil,  Meyer  (Custos  des  Naturaliencabinets ,  den  grössten 
Theil  des  Jahres  als  Abgeordneter  bei  der  Nationalversammlung  zu  Frank- 
furt a.  M.  abwesend),  Dr.  Sommerbrodt ,  den  Inspectoren  Hering,  Gent 
(Custos  des  physikalischen  Cabinets)  und  Dr.  Platen,  Lehrer  der  engli- 
schen Sprache  Dr.  Brüggemann,  Lehrer  der  Reitkunst,  Rittm.  a.  D.  Hae- 
nel,  Zeichnenlehrer  Dauiioux ,  Fecht-  n.  s.  w.  Lehrer  Prem.-Lieut.  a.  D. 
Scherpe,  Gesang-  und  Elementarlehrer  Reder,  Hülfslehrer  Dr.  Floto  (nach- 
dem derselbe  am  12.  Febr.  1849  sein  Probejahr  vollendet)  und  Candidat 
des  höhern  Schulamts  Dr.  Liehig.  Als  militärische  Inspectoren  waren  an- 
gestellt die  Seconde-Lieutenants  Thielmann  und  v.  Steinäcker.  Die  Fre- 
quenz sank  von  82  auf  75  (37  Zöglinge  und  38  Schüler,  9  in  I.,  17  in  IL, 
26  in  111.,  19  in  IV.  und  4  in  V.).  Zur  Universität  gingen  Ost.  1848  2. 
Bemerkenswerth  ist,  dass  die  Zöglinge  aus  Secunda  ohne  anderweitige 
Vorbereitung,  als  den  öffentlichen  Unterricht,  das  Portepee-Fähndrich- 
Examen  zu  bestehen  befähigt  werden,  indem  sie,  vom  Griechischen  dis- 
pensirt,  den  sogenannten  applicatorischen  Unterricht  in  der  Mathematik 
erhalten.  Den  Schulnathrichten  ist  eine  tabellarische  Uebersicht  des 
Lehrplans  für  das  bevorstehende  Schuljahr  angefügt.  Derselbe  empfiehlt 
sich  durch  einen  verständig  und  zweckmässig  angeordneten  Stufengang. 
Dass  das  Hebräische  nur  in  Secunda  aufgeführt  wird,  erklärt  sich  wohl 
daraus  ,  dass  bei  der  gewiss  geringen  Zahl  von  Theilnehmern  nur  eine 
Classe  für  diesen  Unterricht  von  Secunda  an  gebildet  ist.  Vorausgehen  : 
Bemerkungen  über  den  Unterricht  in  den  alten  Sprachen  auf  Gymnasien. 
Vom  Inspector  Dr,  Platen  (XVI  S.  4.).  Dieselben  sind  grösstentheils  gut, 
wenn  auch  nicht  gerade  neu  und  die  Sache  tief  erschöpfend.  Nachdem  sich 


IQQ  Schul-  und  Univcrsitätsnachrichtcn, 

dt;r  Herr  Vi>rfasser  über  die  Notinvendigkeit ,  dass  auf  den  Gymnasien' 
das  Kormale  gegen  das  Reale,  ohne  jedoch  dies  auszuschliessen  und  zu 
verdrängen,  das  Uebergewicht  behalte ,  und  über  die  Unentbehrlichkeit 
des  Studiums  der  alten  Sprachen  geäussert,  theilt  er  über  die  Methode 
des  Unterrichts  seine  Ansichten  mit.  Mit  Recht  erklärt  er  sich  gegen 
da^  mechanische  Auswendiglernen  der  Paradigmen,  um  so  mehr,  als  er 
das  Gedächtniss  keineswegs  unberücksichtigt  lassen  will.  Dem  Ref.  scheint 
indess  seiner  Auseinandersetzung  eine  kleine  Verwechselung  zu  Grunde 
zu  liegen.  Ks  ist  nämlich  etwas  ganz  Anderes,  den  Unterricht  in  der 
Syntax  und  in  der  Formenlehre  so  mit  einander  zu  verbinden,  dass  der 
Schüler  die  Nothwendigkeit  der  einzelnen  Formen  und  ihre  Bedeutungen 
kennen  lerne,  und  die  Formenbildung  den  Schüler  selbst  aus  den  Sätzen 
entnehmen  zu  lassen,  so  dass  das  Paradigma  nur  als  eine  endliche  Zusam- 
menstellung derselben  dem  Gedächtniss  eingeprägt  wird.  Das  Einüben 
der  Casus  am  Satze  schliesst  das  vorhergehende  Lernen  der  Paradigmen 
nicht  aus,  ja  dies  Letztere  ist  zu  dem  Ersteren  sogar  nothwendig.  Setzen 
wir  z.  B.  bei  dem  Schüler  die  Kenntniss  keiner  fremden  Sprache  voraus, 
so  wird  der  Lehrer  vor  der  lateinischen  Declination  zunächst  am  Deut- 
schen die  Bedeutung  der  Casus  entwickeln,  dann  muss  er  die  lateinische 
Furmenbildung  zeigen  und  nun  an  Beispielen  den  Gebrauch  und  die  Bil- 
dunf^  derselben  einüben.  So  wird  er  schneller  und  sicherer  zum  Ziele 
gelangen,  als  wenn  er  erst  die  Regeln  der  Flexion  den  Schüler  selbst  abs- 
trahiren  lassen  wollte.  Ref.  glaubt,  dass  der  Herr  Verfasser  nichts  An- 
deres gemeint  habe,  als  was  er  ausgesprochen,  indess  könnte  man  leicht 
aus  seiner  Darstellung  es  schliessen.  Ganz  und  gar  übergangen  ist  ein 
Fehler ,  der  am  häufigsten  von  Lehrern ,  welche  den  Knaben  die  ersten 
Elemente  der  alten  Sprachen  beibringen  ,  begangen  wird ,  wenn  sie  nicht 
selbst  tiefer  in  die  Sprachwissenschaft  eingedrungen  sind  (Ref.  meint  beson- 
ders Hauslehrer  u.  dgl.),  nämlich,  dass  sie  Paradigmen  lernen  lassen,  ohne 
die  Regeln  der  F'ormenbilduiig  zu  zeigen,  ohne  Stamm-  und  Flexionssilbe, 
zu  unterscheiden  und  die  Zusaramenfügung  beider  deutlich  zu  machen,  ein 
Uebelstand,  der  bei  nichts  mehr  sich  zu  zeigen  pflegt  als  bei  den  griechi- 
schen Verbis.  Die  meisten  Schüler  können  die  Paradigmen  ganz  richtig 
hersagen,  aber  sind  nicht  im  Stande  nach  ihnen  jedes  andere  Verbum  ab- 
zuwandeln. Die  Formenlehre  darf  nie  anders  gelehrt  werden ,  als  dass 
den  Schülern  die  Bildung  jeder  Form  eine  bewusste  Anwendung  einer 
Regel  ist.  Dann  ist  auch  sie  eine  gute  Uebung  des  Denkens,  dann  wird 
das  Paradigma,  dessen  Einprägung  immer  unerlässlich  bleibt,  ein  im  Ge- 
dächtniss stets  vorhandenes  Beispiel,  um  die  Regel  an  demselben  wieder 
aufzufinden.  Wenn  sich  der  Herr  Verf.  ferner  gegen  das  wörtliche  Aus- 
wendiglernen der  Regeln  erklärt,  so  muss  Ref.  dagegen  seine  von  vielen 
Lehrern  getheilte  Erfahrung  geltend  machen.  INlit  dem  Behalten  einer  fe- 
sten unwandelbaren  Form  wird  auch  der  Inhalt  klar  und  bestimmt  be- 
grenzt behalten,  jede  irrige  Auffassung  und  Unbestimmtheit  ausgeschlos- 
sen, dem  Denken  ein  fester,  untrüglicher  Anhalt  geboten.  Wie  derjenige 
Lehrer  dem  Schüler  am  meisten  nützen  wird,  welcher  Alles  in  scharf  prä- 
ciser  Weise  ihnen  mittheilt,  so  wird  auch  dem  Schüler  die  volle  Auffassung 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  107 

dieser  Präclsion  zur  wesentlichsten  Förderung  gereichen.    Wenn  der  Hr. 
Verf.  dabei  die  Gefahr   eines   leeren  Mechanismus  voraussieht,   weil  bei 
dem   Schüler  der  innere  Zwang  hinwegfalle,   den  Inhalt  und'die  Haupt- 
moraenteder  Regel  sich  klar  und  scharf  zu  vergegenwärtigen,  so  möchten  wir 
dagegen  fragen,   ob   nicht  bei  einer  wörtlich  im  Gedächtnisse  behaltenen 
Regel  eben  der  Inhalt  und  die  Hauptmomente  gegeben  sind.    Den   Lehrer 
freilich,   welcher  nur  auswendig  lernen  Hesse  ohne  vielfältige  Anwendung 
und  Einübung,  müssten  wir  für  ganz  unfähig  oder  ganz  gewissenlos  er- 
klären.   Die  Hauptsache  kommt  darauf  hinaus,  den  Schüler  zu  gewöhnen, 
dass  er  das  einmal  Gelernte,  wo  er  es  braucht,  auf  sich  zurückrufe;  dann 
aber  wird  ihm  ein  in  festen  Rahmen  eingefasstes  Gesetz  mehr  nützen,  als 
eine  Regel,  die  ihm  verschwimmt,  für  die  er  selbst  erst  die  Form  suchen 
muss.      Wer  steht  dafür,   dass  er  sich  ein  Hauptmoment  der  Regel  nicht 
zurückrufe,  wenn  er  nicht  durch  die  Form,  in  der  er  sie  gelernt,  dazu  ge- 
nöthigt  wird.      Ueber  die  Ruthardtische  iNIethode   spricht  sich  der  Herr 
Verf.  sehr  richtig  aus,  indem  er  sie  als  einseitig  verwirft,  ohne  jedoch  das 
Gute,  was  man  aus  ihr  entnehmen  kann,   unbeachtet  zu  lassen.      Ref.  hat 
jene  Methode  stets  als  ein  durch  ein  anderes  Extrem  hervorgerufenes  Ex- 
trem betrachtet.    Die  Methode,  welche  Alles    nur  auf  Reflexion    gründen 
und  vom  Gedächtnisse   gar  nichts  wissen   wollte,   rief  sie  als  Gegensatz 
hervor.    Es  ist  gewiss  gut,   wenn  der  Schüler  zur  Regel  ein  schlagendes 
Beispiel  im  Gedächtnisse  hat,   solche   aber  ihn  selbst  auffinden  zu  lassen 
bei  der  Leetüre  hat  seine  Schwierigkeiten,  da  einen  abgeschlossenen,  auch 
ausser  dem  Zusammenhange  verständlichen  Sinn  gebende  und  durch  ihren 
Inhalt  werthvolle  Sätze  gerade  in  Erzählungen,  w^omit  die  Lesung  beginnt, 
nicht  gar  häufig  sind.      Es  müssen  auch  ganze  Stücke  der  Leetüre  memo- 
rirt  werden,  aber  so,  dass  das  Hersagen  nicht  ein  gedankenloses  Wieder- 
geben,  sondern  eine  bewusste  augenblickliche  Reproduction   des  Inhalts 
und  der  Form  ist.      Ref.  hat  die  Erfahrung  gemacht,  dass  bei  einer  richti- 
gen  Erklärung  die   Schüler  das  in  derselben  Stunde  gelesene  lateinische 
oder  griechische  Stück  wörtlich  auswendig  wussten  ,  ohne  es  memorirt  zu 
haben.     Auch  rücksichtlich  der   Leetüre  bringt  der   Herr  Verfasser  am 
Schlüsse  recht  gute  Bemerkungen.    Ref.  halt  auch  für  die  unteren  Classen 
den  Grundsatz  fest,  dass  nur  Vesständniss  Zweck  derselben  sei.    Wird  die 
Leetüre,  wie  nicht  gerade  selten  geschieht,  nur  benutzt,  um  daran  Gram- 
matik und  Worte  zu  lehren,  so  ist  sie  verfehlt;   der  Schüler  behält  dann 
nichts  von  dem,  was  er  gelesen,  wie  es  denn  dem  Ref.  nicht  selten  vorge- 
kommen ist,  dass  Schüler  nicht  einmal  die  geschichtlichen  Facta,  die   sie 
im  Nepos  gelesen,  mehr  wussten.  [/?.] 

LÜNEBURG.  Am  dasigen  Johanneum  wurde  der  Director  Schmal- 
fuss  am  13.  Jan.  1849  als  Rath  in  das  Königl.  Oberschul- Collegium  zu 
Hannover  versetzt.  An  seine  Stelle  trat  der  bisherige  Rector  vom  Gym- 
nasium zu  Celle,  C.  A.  F.  Hoffmanv.  Ausserdem  ging  der  Dr.  Ziel  in  ein 
Pfarramt  über.  Im  Programm  giebt  der  Rector  Dr.  Volger  einen  kurzen 
Ueberblick  über  die  Entstehung  und  Ausbildung  der  mit  dem  Johanneum 
verknüpften  Realschule.    Die  Frequenz  war 


108  Schul-  und  Universitätsnachrichten, 

I.  IT.  ITT.  IV.  V.  VI.  VIT.  real.I.  real.II.real.UT.  Sa. 
aral.Miirz  1848.  21  19  19  30  52  41  61  19  34  48  344 
am  1.  März  1849.    16     15    36    41    41    50    51  12        35        48       345 

Zur  Universität  gingen  Ost.  1849:8.  Die  wissenschaftliche  Abhandlung 
vom  Rector  Junghans  führt  den  Titel :  Quaestionum  SopJioclearum  spcci- 
inen  II.  De  Oedipi  Colonei  oracuUs  et  cxsecrationibus  (8  S.  4.).  Das  erste 
specimen,  in  einem  Briefe  an  G.  Hermann,  ist  abgedruckt  N.  Jahrbb.  Sup- 
plementb.  XIV.  p,  408  ff .  Der  Herr  Verf.  beabsichtigte  in  diesem  zweiten 
Specimen  über  das  Verhältniss  des  O.  C.  zu  den  Angelegenheiten  des 
Atheni.-chen  und  Thebanischen  Staates  und  über  die  sowohl  von  G.,  als 
C.  Fr.  Hermann  Vs.  919,  929  und  937  angenommenen  Interpolationen  zu 
schreiben,  verschob  aber  dies  wegen  Unvoliständigkeit  seines  Apparats 
und  wählte  nun  die  im  Titel  bezeichneten  Gegenstände  zum  Stoffe.  Es 
werden  in  der  Tragödie  3  Orakel  erwähnt  (Vs.  453  und  1330  beziehen 
sich  auf  dieselben).  Von  diesen  ist  das  letzte  Vs.  387  gegeben,  als  Oed. 
bereits  aus  Theben  entfernt  war,  während  der  Zwietracht  der  beiden 
Brüder,  aber  ehe  noch  Polynices  vertrieben  war.  Das  Letztere  schlicsst 
der  Herr  Verf.  mit  Recht  aus  der  Äeusserung  der  Ismene,  dass  das  O.  bei- 
den Brüdern  wohl  bekannt  gewesen  sei,  da  es  nicht  wahrscheinlich  ist, 
dass  es  P.  in  der  Verbannung  erfahren.  In  Betreff  des  zweiten  Otakels 
Vs.  353  wird  Folgendes  von  ihm  bemerkt:  1)  i^Luov  ciyovGc.  kann  an  die- 
ser Stelle  nicht  auf  eine  Reise  ausserhalb  Thebens  sich  beziehen,  son- 
dern muss  bedeuten,  dass  Ismcne  durch  Hindernisse  jeder  Art  hindurch 
sich  zum  Vater  den  Weg  gebahnt,  um  ihm  Orakelsprüche  zu  verkünden. 
Die  folgenden  Worte  cpvXa^  8s  uov  niatr]  ■KursGvrjg,  yrjg  ox  s^rjXavvuurjv 
beweisen  nämlich,  dass  Ismene  dem  Oed.  Orakel  hinterbracht,  noch  bevor 
er  aus  Theben  vertrieben  war.  2)  Aus  Kaöasicov  XädQoc  folgt,  dass  der 
Inhalt  der  Art  gewesen  sein  müsse,  dass,  wenn  das  Orakel  den  Theba- 
nern  gegeben  war,  diesen  daran  liegen  mnsste ,  es  vor  dem  Oed.  geheim 
zu  halten  und  umgekehrt,  wenn  es  diesem  verkündet  war,  es  den  Theba- 
nern  zu  verbergen.  3)  cc  tovä'  sxQijodrj  acouccrog  beweist,  dass  sich  das 
Orakel  auf  den  Körper  des  Oed.  nach  seinem  Tode  bezog.  Da  nun  auch 
da.s  Vs.  88  erwähnte  Orakel  sich  auf  Oedipus'  Tod  bezog,  so  stimmt  der 
Herr  Verf.  mit  Scholl  (Sopliocl.  Theben  u.  Wirken  p.  174)  bei,  dass  das 
zweite  eine  weitere  Ausführung  des  ersteren  gewesen  sei  [Wunder*s  Änm. 
zu  Vs.  350  spricht  allerdings  nur  aus,  dass  gegen  den  Scholiasten  das 
hier  erwähnte  Orakel  nicht  für  identisch  mit  dem  ersten  zu  halten  sei], 
aber  nur  von  einem  Theile,  nicht  von  dem  ganzen,  weil  die  Worte  Vs.355 
nicht  auch  auf  das  Exil  gedeutet  werden  können,  die  Worte  Vs.  88  aber: 
xcivTTjv  l'lf^s  na^'Xctv  kv  fiaxpw  ;^9oi/fo  beweisen,  dass  jenes  Orakel  vor 
langer  Zeit  verkündigt  war,  während  das  andere  kurz  vor  seiner  Ver- 
treibung aus  Theben  ihm  zugekommen  sein  muss.  In  Bezug  auf  das  erste 
Orakel  entscheidet  er  sich  für  die  Meinung  C.  O.  Müller's  und  C.  Fr. 
Hermann's  (Quaestt.  Oedipode.) ,  dass  es  dasselbe  sei,  auf  welches  die 
Handlung  im  Oedip.  Tyr.  sich  gründet,  dass  ein  Theil  dieses  seine  That 
an  Vater  und  Mutter  vorhergesagt,  der  andere  sich  auf  sein  eigenes  Ende 
bezogen  habe,  und  zwar  hauptsächlich  aus  folgenden  Gründen,  Oed.  ver- 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen»  109 

möge  seines  Charakters  hat  kaum  den  ersten  Theil  des  Orakels  beachtet 
viel  leichter  konnte  er  noch  den  zweiten  vergessen ;  aber  daran  konnte  er 
sich  erinnern ,  als  er,  von  allem  Verkehre  abgeschnitten,  nachdem  er  sich 
selbst  gestraft ,  zur  ruhigeren  Ueberlegung   zurückkehrte.    Da  nun  aller- 
dings der  Ausdruck  XadQcc  Kccöfieiojv  wahrscheinlicher  macht,   dass  den 
Thebanern  gegebene  Orakelsprüche  dem  Oed.  heimlich  hinterbracht  wor- 
den seien,  so  stimmt  dies  mit  jener  Ansicht  am  besten;   denn  dann,  wenn 
Oed.  schon  einen  Götterspruch  in  Bezug  aufsein  Lebensende  hatte,  brauchte 
er  nur  ruhig  zuzuwarten,  nicht  das  Orakel  von  Neuem  zu  befragen;  die 
Thebaner  hatten  aber  Veranlassung  dazu,  weil  der  Gott,  wie  doch  Kreon 
am  Ende  des  O.  T.  angekündigt  hatte,   noch  nicht  befragt  w  ar ,  sodann 
wiederum,  als  sie  den  Oed.  vertrieben  und   dadurch  eine  Schuld   auf  sich 
geladen  hatten;  Hiergegen  muss  allerdings  ein  Bedenken  eingewandt  wer- 
den.   Wenn  die  Thebaner  ein  Orakel ,  das  mit  dem  in  früher  Jugend  dem 
Oedipus  ertheilten  übereinstimmte,  empfingen  und   dann  diesen  aus  der 
Stadt  vertrieben,   so   glaubten   sie  entweder  im  Sinne  desselben  zu  han- 
deln,  oder  sie    boten  geradezu  demselben  Hohn.     Im  ersteren  Falle  kann 
sie  Oedipus  höchstens  wegen  falschen  Verständnisses  tadeln,  im  zweiten 
Falle  würde  er  765  ff.  wohl  anders  zu  Kreon  gesprochen  haben.    Wenn 
zwischen  dem  O.  T.  und  O.  C.  ein  Zusammenhang  der  Handlung  ange- 
nommen werden  muss,  so  kann  Ref.  nicht  anders  glauben,  als  dass  Kreon 
dazu  das  nicht  in  Vollzug  gesetzte  Orakel  O.  T.  96  benutzte.      Freilich 
will  dieser  O.  T.  1404  noch  einmal  den  Gott  befragen ,   allein   dass  er  es 
unterlassen,  stimmt  mit  seinem  Charakter.     Nach  allem  diesen  dürfte  im 
O.e.  Vs.  353  nur  von  einem  dem  Oedipus  ertheilten  Orakel  die  Rede  sein 
können,   und  zwar  des  Inhaltes,    dass  es  ihm  das  Verbleiben  in  Theben 
nicht  geradezu  versagte;  die  Worte  des  Dichters  stehen  der  Deutung,  dass 
Ismene  ein  Orakel  für  den  abgesperrten  Vater  aus  Delphi  geholt,  durchaus 
nicht  entgegen,  ja  das  s^Uov  fordert  sogar  die  Voraussetzung  einer  grös- 
seren Leistung   als  des  blossen  heimlichen  Zubringens.      Tovös  ocdaciros 
endlich  braucht  nicht  auf  den  todten  Oed.,  sondern  kann  nach  dichterischer 
Weise  (vgl.  Brunck  z.  O.  T.  624)  für  8{iov   gedeutet  werden.      Beiläufig 
bemerkt  Ref.,  dass,  wenn  der  Herr  Verf.  O.  C.  Vs.  453  die  Lesart  xd  x 
f|  i^ov  stehen  lassen  will,  dem  zwar  nicht  die  Stellung  des  xi  (vgl.  Herrn, 
zu  Eur.  Iph.  Ä.  1221),   wohl  aber  das  mit  Recht  von  Wunder  als  sprach- 
widrig bezeichnete  f^  kyi,Qv  entgegensteht.    Rücksichtlich  des  zweiten  Ge- 
genstandes, der  gegen  die  Sühne  angesprochenen  Verwünschungen,  stimmt 
der  Herr  Verf.  zuerst  Wunder   (Einleitung  p.   17)    bei,   dass    an  die  in 
der  cyclischen  oder  der  kleinen  Thebais  oder   bei  Aesch.  Sept.  705 — 11 
u.  770 — 76  erwähnten  Gründe  zu  den  Verwünschungen  nicht  zu  denken 
sei,  hauptsächlich  aus  dem  Grunde,   weil  der  Charakter  des  Oedipus  vom 
Sophocles  ganz  anders  dargestellt  werde,  afs  in  der  alten  Sage,  verwirft 
dagegen  die  Ansicht,  dass  jene  durch  die  Vertreibung  ans  Theben  veran- 
lasst worden  seien,  und  verlegt  sie  in  den  Hain  derEumeniden,  bezieht  sie 
also  doch  wohl  auf  Vs.  421  folgende.      Denn   es  wäre  doch  undenkbar, 
dass  der  Dichter  sich  auf  Etwas  beziehen  sollte,  was  im  Stücke  selbst  nicht 
vorgekommen.   Aber  dort  ist  kein  eigentlicher  Fluch  ausgesprochen,  son- 


110  Schul-  und  Universitätsnachrichten, 

dem  Oed.  findet  nur  in  dem  neuen  Orakel  ein  Mittel  mehr,  den  früheren 
erfüllt  zu  sehen.  Die  gegen  Wunder's  Ansicht  vorgebrachten  Gründe 
scheinen  nicht  schlagend  genug.  Denn  ist  eine  Unterlassungssünde,  wenn 
es  sich  daruiu  handelt,  dem  Vater  ein  herbes  Loos  abzuwehren,  nicht 
schwer  und  fluchwürdig  ?  Beweist  sie  nicht  dasselbe  unkindliche, 
lieblose  Herz,  welches  später  über  dem  Zwiste  der  Herrschbegier  des 
Orakels  in  Betreff  des  Vaters  vergisst?  Wenn  ausserdem  auch  der  Zwist 
eine  Erfüllung  des  Fluches  war,  konnte  sie  Oed.  von  der  Schuld  freispre- 
chen? Gerade  dieser  Umstand  entspricht  ganz  der  religiösen  Ansicht  des 
Sophocles.  Die  Stelle  1294  reimt  sich  recht  gut  damit,  und,  soll  sie  auch 
keinen  directen  Beweis  für  die  VVunder'sche  Ansicht  enthalten,  sie  wider 
spricht  derselben  nicht  im  Geringsten.  [/>.] 

Plauen.  Das  Gymnasium  hatte  Mich.  1848  drei  Abiturienten  zur 
Universität  entlassen,  im  Uebrigen  aber  während  des  verflossenen  Schul- 
lahres  keine  Veränderung  erlitten.  Die  Schülerzahl  betrug  Ostern  1849 
113,  15  in  J.,  22  in  IL,  21  in  HJ.,  14  in  IV.,  20  in  V.,  21  in  VI.  Die  vom 
Prorector  Pfretzschner  den  Schulnachrichten  beigegebenen  :  Rückblicke 
auf  die  Entwickelung  des  Schulwesens  im  Königreiche  Sachsen  (55  S.  8.) 
enthalten  eine  meistentheils  aus  Actenstücken  entnommene  Darstellung 
dessen,  was  in  den  letzten  30  Jahren  für  das  Schulwesen  in  Sachsen  ge- 
schehen ist,  zeigen  aber  auch,  wie  viel  noch,  namentlich  in  Bezug  auf  die 
äussere  Stellung  der  Schulen  und  die  Vorbildung  für  künftige  Berufsarten 
zu  thun  sei,  wobei  sie  sich  jedoch  auch  meist  an  das  Aeussere  halten  und 
die  tieferen  Fragen  nach  dem  Verhältnisse  der  Real-  und  Gelehrtenschu- 
len nicht  eingehend  behandeln.  Wenn  wir  freudig  anerkennen,  dass  der 
Hr.  Verf.  mit  strengem  Tadel  Gerechtigkeit  verbindet,  so  hat  es  uns  nicht 
angenehm  berührt,  dass  er  im  Anfange  nicht  ohne  eine  gewisse  Missgunst 
von  den  Fürstenschulen  spricht.  Wenn  die  Lehrer  an  diesen  —  in  wie- 
fern ihre  Arbeit  geringer,  als  an  anderen  Schulen,  wollen  wir  unerörtert 
lassen  —  schon  längst  besser  gestellt  waren,  so  sollte  man  sich  dessen 
freuen,  dass  wenigstens  an  einigen  Schulen  das  Nothwendige  gesche- 
hen. Uebrigens  sind  die  Gehalte  der  Lehrer  an  den  beiden  Landesschulen 
seit  1833,  wo  ihre  Fixiruog  erfolgte  und  zwar  geringer,  als  die  Stellen 
vorher  wirklich  eintrugen ,  nicht  erhöht,  sondern  zurückgebracht  worden, 
wie  actenkundig  feststeht,  [•^•] 

Rottweil,  Das  dasige  mit  einer  Realschule  verbundene  Gymna- 
sium zählte  im  Wintersem,  von  1847 — 48  195  Zöglinge,  von  denen  92  dem 
obern  ,  66  dem  untern  Gymnasium,  37  der  Realschule  angehörten.  Im 
Sommer  1848  sank  die  Zahl  auf  179  (87  0berg.,  59  Unterg.,  33  Realsch.). 
Die  dem  Herbstprogramme  1848  beigegebene  Abhandlung  des  Professors 
Fr.  Lauchert:  Das  IFeidwerk  der  liömer ('22  S.  4.)  ht  eine  sehr  vollständige, 
mit  grösstem  Fieisse  aus  den  Quellen  zusammengestellte  Darstellung  des 
Gegenstandes  und  bietet  eine  sehr  dankenswerthe  Ergänzung  für  die  Hand- 
bücher der  Antiquitäten.  DieEinleitung  weist  nach,  dass  den  Römern,  wie 
den  Griechen,  die  Jagd  Bildungs-,  Abhärtungs-,  Kräftigungsmittel  war. 
Der  erste  Abschnitt  beschäftigt  sich  mit  dem  Jagdzeuge.  Von  den  Hun- 
den werden  die  Arten,  Behandlung,   Abrichtung,  Krankheiten  und  deren 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen,  111 

Heilungen  aufs  Sorgfältigste  behandelt.      "Wir  heben  hervor,  dass  nach 
dem  Herrn  Verf.  bei  Varr.  R.  R.  II.  9  nicht  mit  Schneider  mellium^  son- 
dern maelium  zu  schreiben  ist,  und  dass  das  Halsband  desshalb  so  hiess, 
weil  es  mit  dem  Felle  des  raaeles,  das  für  Mustela  Erminea  L.   zu  halten, 
gefüttert  war.      Unter    der  cervina  pellis  bei  Horat.  Ep.  I.  2,  66  ist  ein 
ausgestopfter  Hirsch  zu  verstehen,  auf  den   man   zur  Uebung  die  Hunde 
hetzte.      Zur  Erläuterung  des  Sprichworts  bei  Petron.  57  :  in  alio  pedi- 
culuni  vides,  in  te  ricinum  non  vides  ist  zu  bemerken,  dass  die  Zecken  sich 
nicht  selten  bis  zur  Grösse  einer  Erbse  mit  Blut  ansaufen.     Aus  der  drit- 
ten  Abtheilung:    Netze  theilen   wir   die  Bestimmung  mit:    retia   sind  das 
leichte  Mittelzeug,  sehr  lange,  hohe  und  starke  und  dennoch  leichte,  trag- 
bare Garne;  lilagae  sehr  festes  Gestrick  aus  Leinen  von  der  Dicke  eines 
kleinen  Fingers  und  sehr  schwer,    daher  meist  durch  Maulthiere  fortge- 
schafft.     Als  Seltenheit  erwähnt  Plin.  H.  N.  XIX.  1  sehr  feine.     Zuwei- 
len steht  das  Wort  uneigentlich  für  retia.      Wahrscheinlich    wurden    sie, 
wie  die  evodia  der  Griechen,  vorzüglich  in  Engwegen  gebraucht   und  wa- 
ren desshalb  wohl  nicht  sehr  lang;  wenigstens  ergiebt  sich  aus  der  angef. 
St,  des  Plinius,  dass  viele  solcher  Garne  dazugehörten,  um  eine  beträcht- 
lichere Waldstrecke  damit  zu  umstellen.    Die  casses  endlich  hatten  in  der 
Mitte  einen  Sack,  eine  Bauchung,  40  Schritte  lang  und  10  Maschen  hoch 
nach  Grat,  de  venat.  28  sqq.      Unter  5.    Blendzeug  wird  die  Stelle  bei 
Lucan.  Pharsal.  IV.  437  dadurch  erklärt,  dass  nach  Grat.  85  häufig  Geier- 
federn wegen  des  widrigen  Geruchs  gebraucht  wurden.    Unter  6.    Schlin- 
gen wird  Stern  zu  Grat.  90  widerlegt.  Die  Schlingen  wurden  von  Hirsch- 
sehnen  wegen    deren    Zähheit  gemacht.      Die    Stelle    Manil.    Astron.   V. 
203  wird  von  dem  Herrn  Verf.  darauf  bezogen,  dass  der  Schaft  des  Fang- 
eisens oder  der  Schweinsfeder  nach  Plin.  H.  N.  XVI.  39  mit  Buckeln  ver- 
sehen war.      In  dem  zweiten  Hauptabschnitte,  welcher  sich  mit  der  Jagd- 
zeit und  Auszug  beschäftigt,  wird  unter  Anderem    die  fascia  gegen  Stern 
ad  Grat.  338  für  identisch  mit  den  cruralia  und  tibialia  erklärt.    Das  pa- 
narium  ist  wahrscheinlich  dasselbe,  was  reiiculum  panis  bei  Horat.  Sat.  I, 
1,  47  (davon  das  französische  ridicule),  und   die  laguncula  nach  Juvenal. 
Sat.  Xn.  60  eine  weitbauchige  Flasche.    Im  dritten  Hauptabschnitte  wer- 
den mit  gleicher  Sorgfalt  die  Thiere,  welche  gejagt  wurden,  die  Jagdart 
und  Jagdzeit,  ihre  Arten  und  Lebensweisen  und  der  Gebrauch  ,    den  man 
von  ihnen  machte,  behandelt.     Dabei  wird  Orell.  ad  Horat.  Sat.  II.  4,  42 
widerlegt.      Catius'  Ausspruch,  das  laurentische  Schwein  sei  schlecht,  ist 
nicht  dessen  subjective  Ansicht,  sondern  beruht  darauf,   dass  in  der  Ge- 
gend von  Laurentum  die  Schweine  sich  von  Wasserpflanzen  nährten,  wäh- 
rend sie  in  anderen  Gegenden  Eichelmast  hatten ,  durch  welche  bekannt- 
lich der  Speck  derber  und  körniger  wird.  [-^-j 

Speyer.  Der  Gymnasialprofessor  Milster,  welcher  während  der 
provisorischen  Regierung  der  Pfalz  das  Directorium  des  Gymnasiums  ge- 
führt hatte,  ist  von  dem  Zuchtpolizeigerichte  am  21.  Aug.  zu  einmonatli- 
chem Gefängniss  verurtheilt  worden. 

Zittau.  Von  den  am  Gymnasium  erschienenen  Gelegenheitsschrif- 
ten erwähnen  wir  den  3.,  4,  und  5.  Theil  der  Quacstiones  Menippeae  vom 


112  Schul-  und  Universitätsnachrichten  u.  s,  w. 

Conrector  //.  M.  Rackert,  in  welchen  gründlich  und  vollständig  über  das 
scribendi  genus  und  die  sectatores  des  Menippus,  Meleager ,  über  dessen 
Leben  die  Notizen  sorgfaltig  zusammengestellt  sind,  Lucian,  in  Betreff  des- 
sen Casaubonus  widerlegt  wird,  und  Julianus  Apostata  gehandelt  wird.  — 
Das  Programm  von  Ostern  1849  weist  nach,  dass  in  dem  Lehrer-Collegium 
keine    Veränderung  eingetreten   war,    Mich.  1848  2  und   Ostern   1849  5 
Schüler  die  Universität  bezogen,  die  Schülerzahl  aber  101  betrug  (I.  16, 
II.  13,  III.  15,  IV.  25,  V.  22,  VI.  10).    Ueber  die  Classencurse  wird  fol- 
gende beachtenswerthe  Aeusserung  mitgetheilt:  Das  Lehrercollegium  hält 
den    l^y^j.   Cursus  für   Prima  nicht  für  ausreichend    und  schlägt  für  alle 
Classen    einjährige,   für  Prima   einen   z  we  ij  ä  h  ri  gen  Cursus  vor. 
Die  wi^sentfchaftliche  Abhandlung  des  Cantor  IM.  Scheibe:  De  satirae  Ro- 
munae  origine  atque  progressu  (12  S.  4.)   ist  eine  recht  gute  und  klare 
Darstellung,  wenn   sie  auch  nicht  gerade  neue  Resultate  zu  Tage  fördert. 
Nachdem  aus  Horat.  Sat.  I.  10,  64;    Quint.  X.  1,  93  und  Diomed.  III.  p. 
482  der  römische  Ursprung  der  Satire  festgestellt  und  die  Meinung,  dass 
dieselbe  aus  dem  Griechichen  Satyrdrama  oder  den  Sillen  entstanden  sei, 
dadurch  widerlegt  ist,  dass  die  Römer,  wenn  sie  ein  griechisches  Vorbild 
in  der  Satire  nachgeahmt  hätten,   sogleich   in  der  Satire  Grösseres  gelei- 
stet haben  würden,  so  wie  dass  dem  römischen  Geiste  Fruchtbarkeit  genug 
zugeschrieben  werden  müsse,  um  eine  Gattung  der  Litteratur  selbststän- 
dig zu  erfinden,  geht  der  Herr  Verfasser   auf  die  vielbesprochene  Stelle 
des  Horatius  Sat.  I.  10,  64,  welche  in  Widerspruch  mit  II.  1,  62 — 70  zu 
stehen  scheint,  über  und  entscheidet  sich  in  derselben  für  die  von  C.  Fr, 
Hermann  d.  satirae  Rom.  auct.  Marb.  I84I,  schon  früher  aber  vonXvIan- 
der  in  Q.  Hör.  Fl.  poem.  acc.  castigat.  Neostad.  1590,  p.  146  aufgestellte 
Erklärung,  hauptsächlich  mit  aus  dem  Grunde,  dass  des  Ennius  Satire  in 
Theocrit,  Chaeremons  Centaiirus  und  der  Technopägnia  des  Simmias  von 
Rhodus  Vorbilder  hatte,  demnach  ihn  Horaz  durchaus  nicht  Graecis  intacti 
carminis   aiictorem   benennen   konnte.     Ferner  weist  er  darauf  hin,    dass 
die  Griechen  nicht  das  Bedürfni.>^s  einer  solchen  Dichtungsart  hatten,  weil 
ihnen  die   Freiheit   der  alten  Komödie  offen  stand,  während  den  Römern 
durch  die  Zwölftafel  -  Gesetze  nach  Augustin.  d.  civ.  Dei  II.  9  Schmähge- 
dichte verboten  waren.      Lucilius  ahmte  die  alte  Komödie    nach;    seine 
Dichtung   hatte   einen  republikanischen  Charakter   und  bewegte  sich    in 
roherer  Form.     Des  Horatius  Satire  ist  höfisch ,  mehr  fein  versteckt  tref- 
fend ,   zugleich   aber  auf  Besserung  berechnet.      Juvenalis  zeigt  die  tiefe 
Entrü.otung  über  die  Schlechtigkeit  seiner  Zeit  und  bewegt  sich  nur  in  der 
4.  u.  11.  Satire  in  eleganterer  und  heitrerer  Weise.    Persius  trägt  in  sei- 
ner Dunkelheit   und  Strenge  den  Charakter  der  stoischen  Philosophie  an 
sich  und  zeigt  sich  mehr  als  der  Laster,  denn  als  der  Menschen  Feind. 

[D.] 


Neue 


JAHRBOGHER 


für 

Philologie  und  Pädagogik, 

oder 

Kritische  Bibliotliek 

für  das 

Schul-  and  UiiterricMswesen. 


In  Verbindung  mit  einem  Vereine  von  Gelehrten 

begründet 


von 


M,  Job.  Christ.  Jahn. 

Gegenwärtig  herausgegeben 


von 


Prof.  Reinliold  Klotz  zu  Leipzig 

and 

Prof.  Rudolph  Dietsch  zu  Grimma. 


Achtundfunfzigster  Band.     Erstes  Heft. 


Ausgegeben  am  31.  Decemher  1849 


Inhalt 

ton  des  achtundfunfzigsten  Bandes  erstem  Hefte. 


Seite 


25  —  50 


Kritische  ßeurtheilungen.        .     .     .............       3 — 70 

Pluygers,  de  Zenodoti  carm.     Homericor.  edit.    \   Vom    Bibliothekar 

Desselb.  Progr.  d.  carm.  Hom.  veteramque  in  ea    >    Dr.    H,    Düntzer        3  —  25 

scholiarum.  —  retractanda  editione.       .     .      )  in  Cöln. 

^   ^        ..-m     •  •  j    r  fy  rk    11-    \7  T  IT    )  Zweiter  Artikel.  Vom 

C.  CorneliiTaciuopera.  ed.  J.  C.  Oreü«.  Vol.  11.  f   p     -    ^       IF^;«cp« 

C.Cor.,emTacitiop.ed.f.fii«er.  Vol.IIIeMV.}  P^/;  ^^-eZZZ ^ 

Cornelius  Nepos.     Erklärt  von  Dr.  K.  Nipperdey.     Vom  Gymnasial- 
lehrer Dr.  Breitenbach  in  "Wittenberg 50 — 65 

Commentar.  in  Ecclesiasten  et  canticum  canticorum.  Scrips.     A.  Hei- 

ligenstedt.     Vom  Conr.  Dr.  Mühlberg  in  Mühlhausen 65 — 70 

Bibliographische  Berichte  und  kurze  Anzeigen 70 — 79 

Zeheter,  Satzlehre 1    Vom  Prof. 

Hahn  ,  Neuhoch  deutsche  Grammatik >     Kehrein        70  —  75 

Olawski^  der  Vocal  in  den  Wurzeln  deutscher  Wörter   )in  Hadamar. 
llaulZj  Geschichte  der  Neckartchule  in  Heidelberg.     Vom  Haupt- 
mann Gcib  in  Lambsheim 75  —  79 

Schul-  u.Universitätsnachrichten,  Beförderungen  u.  Ehrenbezeigungen.     79 — 112 

Grossherzogthum  Baden.     Verordnungen 79  —  80 

Herzogthum  Brauii«ch\veig. 

Blankenburg.     Müller:    Einige    Gedanken    pädagogi-    \ 

sehen  Inhalts 

Braunschweig.     Krüger :  Die  Einrichtung  der  Schul-  f      y^^^ 

ausgaben .     .     >  J)ieUch.     ^^ — ^^ 

Helmstädt.     Elster:  De  Homere  tenerae  aetatis  amico. 
Wollfenbüttel.     Dressel :    Systemat.    Darstellung    der 

gricch.  unregelm.  Verba 

Cassel,     Lehrplan. 

Matthias:  üeber  Galater  HI,  16  u.  20.  .     .     .     )   y^^  Dcms.      85  —  87 

fVeber:  Nachträge .     .     .     J 

Cottbus.     Bemerkung  in  den  Schulnachrichten.     .      |  y^^^  Dems.      87  —  90 

Braune:  De  Ovidii  Metara.  1.  qbsd.  disp.  crit.      1 
Erlancen.     Doderlein :    Didactische  Erfahrungen    und  Uebungeo. 

Von  Dem.« 90-92 

Eutin.     3iei/er;  Uebersicht  des  Protest.  Unterrichtswesens  u.  s.w. 

Von  Dems 92  —  93 


Seite 

Flensburg.     Lehrplan  der  Gelehrtenschule.  . 
Jessen:  Ueber  den  religiös.  Standp.  des  Eoripi- 

des.   n.    .     .     .     .     .     .     ._ )  Von  Dems.    93—98 

Lübker :  Zar  Gesch.    des  religiös.  Bewusstseins 

bei  den  Hellenen 

Freiberg,     Prolss :  Schulreden.     Von  Dems 98  —  99 

Frankfurt  a/M.     Vömel:  De  modis  coni  et  optat.     Von  Dems.     .     99 — 100 
Giessen.     Geist:  Krinagoras  von  Mytilene.     Von  Dems.      .     .     .  100—102 

Grimma.     Lorenz:  Series  praeceptor.  ill.   Moldani.     Von  Dems.  .        102 
Leipzig.     Nicolaischule.     Programm.     Von  K.    ......     .  102-103 

Thomasschule.     Stallbaum:    orat.    d.  bonar.  litter.    i 

studio  etc f       Von        in^— 10' 

Stallbaum :  Examen  testimonior.  d.  Piaton.  Phaedr.   (  Dietseh. 

anno  natali * 

Liegnitz.     Ritterakademie.     Plaien :  Bemerkungen  über  den  Un- 
terricht in  den  alten  Sprachen.     Von  Dems 105 — 107 

Lüneburg.   Junghanns :  Quaestionum  SophocI.  spec.ll.  Von  Dems.  107—  110 

Plauen.     Pfretzschner :  Rückblicke.     Von  Dems 110 

Rottweil.     Lauchert:  Das  Waidwerk  der  Römer.     Von  Dems.     .  150-111 

Speyer.      Notiz 111 

Zittau.     Äücfcer« :  Quaestiones  Menipp.  IIL  IV.  V.  J   Von  Dems.    111- U2 
Scheibe:  De  satirae  Rom.  orig.  atque  progr.    .     ) 


Leipzig, 

Ornek  und  Verlag  von  B.   G.  'Feubner. 

1849. 


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JAHRBÜCHER 

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begründet  von 

M«  Job.  Christ.  Jahn. 

Gegenwärtig-  herausgegeben 


von 


Prof.  Reinhold  Klotz  zu  Leipzig 


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Prof.  Rudolph  Dietsch  zu  Grimma. 


Achtundfunfzig'eter     Band.     Zweites    Heft. 


Leipzig;  1850. 

Druck  und  Verlag  von  B.  G.  Teubner. 


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Kritische  Beurtheifüngen. 


Sophokles*  Aniigone.  Griechisch  mit  Anmerkungen,  nebst  einer  Ent- 
wickelung  des  Grundgedanken  und  der  Charaktere  in  der  Antigene. 
Herausgegeben  von  August  Jacob.  Berlin,  Ferd.  Düramler's  Buch- 
handlung.   (In  Commission.)      1849.      VI  u.  152  S.   8.  t^ 

Rec.  bekennt,  dass  Zweck  und  Anlage  der  vorliegenden  Aus- 
gabe von  Sophokles'  Antigone,  vv  eiche  vorzugsweise  für  Schüler 
der  obersten  Gyinnasialclasse,  die  eine  griechische  Tragödie  für 
sich  lesen  wollen,  und  für  solche  Leser  bestimmt  ist,  die  auch 
nach  ihrem  Abgange  von  dem  Gymnasium  und  der  Universität  ihre 
Neigung  noch  dem  Griechischen  zuwenden,  ganz  in  seinem  Sinne 
sind,  und  dass  er  mit  den  Grundsätzen,  nach  welchen  der  hochr 
geehrte  Hr.  Verf.  bei  dieser  Arbeit  verfahren  ist,  im  Allgemeinen 
vollkommen  einverstanden  ist.  Seine  Leser  sollen  in  der  S.  1  bis 
32  vorausgeschickten  Entwickelung  der  Hauptgedanken  und  der 
Charaktere  in  der  Antigone  sowohl,  wie  in  den  unter  dem  Texte 
stehenden  Anmerkungen  die  Aufklärung  finden,  welche  sie  ausser 
dem,  was  ihnen  Wörterbuch  und  Sprachlehre  bieten,  etwa  noch 
wünschen  dürften;  der  letzte  Zweck  aber  dieser  Leser  sei  wohl 
ein  genaueres  Verständniss  der  Antigone  als  eines  Kunstwerkes 
der  griechischen  Dichtung,  und  desshalb  suche  seine  Ausgabe  be- 
sonders dieses  Verständniss  zu  vermitteln.  Dabei  glaubte  aber 
der  Hr.  Verf.  catiirlich  auch  den  Änstoss  an  Spracheigenthümlichr 
keiten  des  griechischen  Originals  theils  durch  die  Nachweisungen 
der  ihnen  zu  Grunde  liegenden  Regeln,  theils  durch  die  AnfiihJ- 
rung  ähnlicher  Stellen,  soviel  als  möglich,  beseitigen  zu  müssen. 
Diese  Stellen  hat  er  absichtlich,  wie  dies  an  sich  nur  gut  zu  heis- 
sen  ist,  grösstentheils  aus  Sophokles  und  aus  Homer,  zuweilen 
auch  aus  den  übrigen  griechischen  Dramatikern,  selten  aber  au^i 
anderen,  immer  jedoch  ungefähr  mit  Sophokles  gleichzeitigen 
griechischen  Schriftstellern   entlehnt.;  ,|Pa  indess  diese  Sprachr 


116  Griechische  Litteratiir. 

cigcnthümlicbkeitcn  durch  die  Rc^el,  sog^ar  wenn  ihr  ähnliclie 
Stellen  aus  griecliisclieii  Seliriftslelleni  zur  Seite  stellen,  nicht 
gfleiciunäsisig  tur  Alle  hinreichend  aufgeklärt  werden ,  sondern  für 
Viele  dies  erst  geschehe,  wenn  sie  dieselben  Erscheinungen  auch 
in  anderen  Sprachen  wiederfänden,  so  fand  es  der  Hr.  Verf.  für 
rathsam,  zuweilen  auch  Beispiele,  besonders  aus  dem  Lateinischen 
und  Französischen  und  aus  unserer  Spraclie  beizufiigen.  —  Wir 
sind  auch  hier  ganz  einer  Ansicht  mit  dem  Hrn.  llerausg.,  bemer- 
ken auch,  dass  wir  an  einzelnen  Stellen  sogar  noch  liäufiger,  als 
es  jetzt  von  ihm  geschehen  ist,  lateinische  Beispiele  zu  Hülfe  ge- 
nommen haben  würden,  nur  bekennen  wir,  dass  es  uns  sonderbar 
vorkommt,  dass  der  Hr.  Verf.,  welcher  zum  Verständnisse  des 
griechischen  Originals  Stellen  aus  der  lateinischen,  französischen 
und  aus  unserer  Sprache  herbeizog,  so  gar  behutsam  im  Griechi- 
schen selbst  die  Zeit  nachSophokles  gemieden  hat,  da  dasGriechi- 
sche  dem  Griechischen  doch  immer  am  ähnlichsten  ist  und  selbst 
bei  den  Schriftstellern  der  späteren  Zeit  nicht  selten  sehr  Homo- 
genes und  das  Frühere  trefflich  Erläuterndes  zu  finden  ist.  — 
Doch  damit  wollen  wir  es  keineswegs  ausgesprochen  haben,  dass 
die  Vergleichung  der  neueren  Sprachen  hätte  gemieden  oder  aucli 
nur  beschränkt  werden  sollen.  Auch  wir  glauben  mit  dem  Hrn. 
Verf ,  dass  es  die  Aufgabe  unserer  Zeit  vorzugsweise  sei,  in  der 
Alterthumswissenschaft  eine  möglichst  lebendige  Verbindung  mit 
der  Gegenwart,  wo  und  wie  weit  dies  zulässig  ist,  herzustellen, 
und  wollen  es  in  dieser  Hinsicht  auch  keineswegs  tadeln,  dass  der- 
selbe sehr  häufig  üebersetzungen,  zum  Theil  sogar  längerer  Stel- 
len, mitgethcilt  hat,  wiewohl  wir  hie  und  da  glauben  bemerkt  zu 
haben,  dass  das  wahre  Verständniss  mancher  schwierigeren  Stelle 
für  jenen  Leserkreis,  den  sich  der  Hr.  Herausg.  dachte,  durch 
eine  einfache  Darlegung  des  Ausdrucks  des  Dichters  oder  des  Zu- 
sammenhanges der  Stelle  sicherer  hätte  erreicht  werden  können, 
als  durch  die  mitgetheilte,  immerhin  anregende  und  an  sich  tadel- 
lose deutsche  Uebersetzung. 

Was  den  Text  selbst  anlangt,  so  hat  der  Herausgeber  zwar 
die  B  r  u  n  c  k'sche  Ausgabe  bei  der  Verszählung  zu  Grunde  gelegt, 
ist  aber  iu  den  lyrischen  Stellen  der  Böckh'schen  Anordnung  ge- 
folgt, so  wie  er  sich  überhaupt  an  die  Ausgabe  dieses  Gelehrten 
fast  ganz  angeschlossen  hat,  indem  er  grössere,  von  diesem  Ge- 
lehrten nach  eigener  Vermuthung  aufgenommene  Veränderungen 
mit  gesperrter  Schrift  drucken  liess,  um  den  Leser  wenigstens 
durch  ein  äusseres  Merkmal  darauf  aufmerksam  zu  machen,  dass 
er  Ergänzung  vor  sich  habe.  Eigene  Wortkritik,  meint  der  FIr, 
Herausg.,  müsse  von  einer  Ausgabe  dieser  Art  ausgeschlossen  sein. 
Wir  sind  in  dieser  Beziehung  nicht  ganz  mit  dem  Hrn.  Verf.  ein- 
verstanden. Gerne  erkennen  wir  es  an,  dass  der  Böckh'sche 
Te\t  mit  grosser  Sorgfalt  von  jenem  ausgezeichneten  Gelehrten 
hergestellt  worden  ist,  doch  wüuschten  wir,  Hr.  J.  hätte  dasselbe 


Jacob:  Sophokles'  Äntigone.  117 

Verfahren,  wie  in  den  Dialogen,  so  auch  in  den  lyrischen  Stellen 
beobRchtet  und  den  überlieferten  Text  nach  den  Handschriften, 
nicht  nach  den  Ergänzungen  der  Neueren,  gegeben;  eine  Ergän- 
zung, zumal  eine  längere,  läuft  immer  Gefahr  etwas  nicht  Sopho- 
kleisches  in  den  Text  zu  bringen ,  und  da  Hr.  J.  sonst  sich  nicht 
scheute,  die  Leiden  des  Textes  offen  zur  Schau  zu  legen,  warum 
glaubte  er  in  den  lyrischen  Stellen  dieselben   vertuschen  zu  müs- 
sen'?    Wir  glauben,  dass  gerade  in  solchen  Stellen  einige  Verän- 
derungen der  Böckh'schen  Ausgabe  nicht  besonders  gelungen  sind, 
ja  dass  in  einigen  sogar,  was  in  den  Handschriften  steht,  beibehal- 
ten werden  könne  und  miisse,  wovon  späterhin  die  Rede  sein  wird. 
Was  die  Wortkritik  im  engeren  Sinne  anlangt,  so  glaubt  auch  Rec. 
nicht,  dass  eine  solche  Ausgabe,  wie  sie  hier  von  Hrn.  J.  abgefasst 
worden  ist,  ein  eigentlicher  Tummelplatz  für  dieselbe  sein  dürfe; 
allein  an  einigen  Stellen  zu  zeigen,  wie  Unrecht  es  sei,  die  Wort- 
kritik ganz  zu  verachten,  wie  durch  dieselbe,  bisweilen  unter  Ver- 
änderung weniger  Schriftzüge,  Vieles  gewonnen  und  selbst  das 
Verständniss  des  Ganzen  gefördert,  die  plastische  Schönheit  der 
Darstelhmg  erhöht  werde,  wäre  selbst  für  eine  Ausgabe  für  den 
Leserkreis,  den  Hr.  J.   vor  Augen  hatte,   nach  des  Rec.  Ueber- 
zeugung  in  einzelnen,  sparsam  gewählten  Fällen  sehr  zweckmässig 
gewesen  und  würde  vielleicht  die  philolog.  Kritik,  die  nur  in  ihrer 
Entartung  das  Missfallen  des  grösseren  Publicums  auf  sich  gezo- 
gen hat,  in  den  Augen  jener,  nicht  eigentlich  philologischen  Leser 
gerechtfertigt,  ihnen  ein  wärmeres  Interesse  an  der  Alterthums- 
wissenschaft  selbst  eingeflösst  haben.      Wir  gedenken  später  einige 
solche  Stellen  Beispiels  halber  hervorzuheben  und  rechnen  gerade 
in  diesen  besonders  auf  Hrn.  Jacob's  Zustimmung.    Und  zugegeben 
auch,  dass  die  eigentliche  Wortkritik  in  den  Anmerkungen  durch- 
gängijir  ohne  Erwähnung  hätte  bleiben  sollen,  was  hinderte  äeii 
Ilrn.  Herausgeber,  stillschweigend  seinen  Text  in  einzelnen  Fällen 
etwas  schärfer  und  genauer  nach  den  Anforderungen  der  äusseren 
wie  inneren  Kritik  zu  gestalten*?     Doch  auch  darüber  wollen  wir 
vor  der  Hand  nicht   weiter  mit  dem   Hrn.  Herausg.  rechten;  wir 
werden  später  ohnedies  wieder  einiges  hierher  Einsclilagende  mit 
berühren  müssen. 

So  sehr  nun  der  Hr.  Herausgeber  auf  der  einen  Seite  die 
eigentliche  Wortkritik  aus  seiner  Ausgabe  ausschliessen  zu  müs- 
sen glaubte,  so  hat  er  dagegen  seine  Kritik  vorzugsweise  auf  sol- 
che Stellen  gerichtet,  wo  er  grössere  Interpolationen  in  der  Änti- 
gone des  Sophokles  zu  finden  glaubte,  und  mit  aller  Macht  einer 
gewandten  Dialektik  seine  Ansichten  verfochten.  Demungeachtet 
bekennen  wir  unverhohlen,  obschon  der  Hr.  Verf.  nach  dem,  was 
er  S.  V  unj  VI  der  Vorrede  zu  seiner  Rechtfertigung  sagt,  einen 
grösseren  Wcrlh  auf  diesen  Theil  seiner  Kritik  zu  legen  scheint, 
dass  uns  gerade  diese  Partieen  die  schwächste  Seite  seiner  Kri- 
tik zu  sein  scheinen.     Denn  die  Gründe,  mit  welchen  Hr.  J.  seine 


118  Griechische  Litterat iir.'-'- 

Ansichten  von  der  Unächtheit  mehrerer  längerer  Stellen  der  So- 
phokleischen  Antigonc  zu  unterstützen  bemüht  gewesen  ist,  sind 
für  den  Rec.  in  keinem  Punkte  überzeugend  gewesen,  und  er 
reüsste  seine  innerste  üeberzeugung  verläugnen,  wollte  er  zuge- 
ben, dass  melir  als  der  äussere  Schein  in  diesen  Fällen  für  Hrn. 
Jacobs  Ansichten  spreche.  Rec.  gedenkt  auch  hierüber  später 
noch  etwas  ausfiihrlicher  sich  zu  erklären.  Denn  so  sehr  er  auch 
im  Ganzen  Zweck  und  Anlage  dieser  Ausgabe  gut  heisst,  so  hat 
er  doch  im  Einzelnen  viele  Stellen  gefunden,  wo  er  mit  dem  Hrn. 
Herausg.  sich  durchaus  nicht  einverstanden  erklären  kann,  und 
diese  Stellen  hier  noch  etwas  ausfiihrlicher  zu  besprechen  und 
seine  in  einzelnen  Punkten  von  denen  des  Hrn.  Verf.  abweichen- 
den Ansichten  etwas  tiefer  zu  begriinden,  drängt  es  ihn  eben  um 
desswillen,  da  ihn  die  ganze  Anlage  der  Ausgabe  sehr  angespro- 
chen hat,  und  da  er  voraussieht  und  von  Herzen  wünscht,  dass 
diese  Ausgabe  recht  viele  Leser  ßnden  und  dem  Hrn.  Heraus'g. 
bald  Veranlassung  gegeben  sein  werde,  in  einer  neuen  Auflage  die 
Winke  zu  benutzen,  die  ihm  der  Unterzeichnete  hier  noch  zu  ge- 
ben beabsichtigt.  In  einigen  Fällen  hofft  Rec.  auch  ganz  beson- 
ders des  Hrn.  Herausg.  Zustimmung  zu  erhalten,  da  er  sieht,  dass 
derselbe  in  ähnlichen  Fällen  ganz  unabhängig  auf  die  Ansichten 
gekommen  ist,  die  längst  schon  die  des  Unterzeichneten  waren. 
Was  zuvörderst  die  Entwickelung  der  Hauptgedanken 
undderCharaktere  in  der  Antigone  anlangt ,  so  kann  der 
Rec,  welcher  gegen  die  Auffassung  des  Charakters  der  Antigone 
selbst  nichts  einzuwenden  hat,  in  zwei  Punkten  sich  mit  Hrn.  J. 
nicht  einverstanden  erklären;  es  ist  dies  die  Beurtheilung  des  Kreon 
und  die  Charakteristik,  welche  von  dem  Chore  gegeben  wird.  Bei- 
den Personen,  so  kommt  es  ihm  vor,  thut  der  Hr.  Herausg.  Un- 
recht. Er  stellt  zunächst  den  Kreon  nur  als  Willkürherrscher 
dar,  der  fast  allein  sich  und  seine  Persönlichkeit  im  Äuge  habe 
und  sich  keineswegs  scheue  Unrecht  zu  thun  und  Frevel  zu  be- 
gehen, wenn  es  sein  persönliches  Interesse  zu  erfordern  scheine. 
S.  8  sagt  er:  ,,  Allein  wie  konnte  sie  (die  Antigone)  gegen  Kreon 
nicht  erbittert  sein,  da  er,  sonst  als  gut  gepriesen  und  ihr  und  Po- 
lynikes  so  nahe  verwandt,  gegen  das  Gesetz,  nur  aus  Willkür,  jetzt 
über  den  Todten  die  härteste  Schmach  verhängt?**'  Und  S.  10: 
„Denn  indem  diese  CAntigone)  mit  frommer  Treue  sich  ihrer 
Pflicht  fast  ohne  einen  Gedanken  an  sich  selbst  opfert,  Iiat  Kreon 
überall,  zwar  nach  seiner  Meinung  seine  Herrscherpflicht  und 
das  Wohl  der  Stadt,  in  der  Wirklichkeit  aber  fast  allein  sich  und 
seine  Persönlichkeit  im  Auge,  wie  er  auch  dieser  gegenüber  immer 
nur  Persönlichkeiten  sieht.  Denn  ausgegangen  von  dem  im  All- 
gemeinen richtigen  Grundsatze,  die  Bürger  können  nicht  Freunde 
der  Feinde  ihres  Landes  sein,  hat  er  übereilt  ein  Verbot  erlassen, 
durch  welches  er  die  Feindseligkeit  ^e^en  einen  einzelnen  und 
zwar  einen  todten  Feind  so  weit  ausdehnt,  dass  er  dadurch  menscli- 


Jacob  .'Sophokles'  Aiitigone.  IX^ 

liclies  iitid  göttliches  Recht  verletzt.  Aus  seinem  UnheilvoileÄ 
Irrthiime  aber  kann  er  sich  nicht  erheben,  weil  jede  Aeiisserim^ 
gegen  sein  Verbot  ihm  nur  ein  Angriff  auf  seine  Person  und  sein 
Herrscheransehen  scheint  u.  s.  w.*"^  Und  ähnlich  S.  13  :  „Auch 
in  dieser  völlig  unbegründeten  Verurtheilung  Ismene's,  so  wie  in 
der  Art,  wie  er  dieselbe  zuriicknimmt,  zöigt  Kreon  die  Beschiänktii 
heit  und  Flachheit  seines  ürtheils  und  Gefühls  und  seine  ganzJ 
liehe  Unfähigkeit  zum  Herrscher^*"  So  urtheilt  Hr  J.  von  KreoiV? 
Der  Chor  dagegen  erscheint  ihm  als  eine  ziemlich  alterschwachd,» 
ja  beinahe  thörichte  Person,  als  eine  blindlings  dem  Kreoii  erge-^ 
bene  Gesellschaft.  S.  3  heisst  es:  „Der  Chor  besteht  ans  Grei-' 
sen,  welche  Kreon  sich  als  treubewährte,  alte  Anhänger  des  Herr^ 
scherlrauses  zum  Beistand  berufen  hat  und  welche  daher  auch  sein' 
Verbot  als  ein  Gesetz  für  die  Bürger  anerkennen,  üeberdies 
spricht  unser  Chor  die  Unzulänglichkeit  seines  Urtheiis,  seines 
hohen  Alters  wegen,  selbst  aus  (681  fg.).  Endlich  aber  weicht  er 
einer  Aeusserung  über  den  vorliegenden  F^all  aas,  indem  er  ihn  auf 
Kreons  Macht  im  Allgemeinen  zurückführt.  Dieser  aber  setzt 
er  gar  keine  Schranken,  so  dass  bei  den  urtheilsfähigen  Zuschauern 
sogleich  anfangs  Zweifel  an  der  Unbefangenheit  und  Gültigkeit 
seiner  Aeusserungen  überhaupt  entstehen  mussten^^  In  Betreff 
beider  Personen  können  wir  uns  mit  Hrn.  J.'s  Charakteristik  nicht 
einverstanden  erklären. 

Wir  finden  in  Kreon  zunächst  mit  den  Meisten  das  Prin- 
cip  der  äusseren  Staatsgewalt,  den  Vertreter  der 
menschlichen  Satzung,  die  an  sich  zu  achten  und  so 
lange  aufrecht  zu  erhalten  scheint,  so  lange  sie  nicht  mit  den  hö- 
heren Geboten  der  Menschlichkeit  und  den  ungeschriebenen, 
göttlichen  Gej^etzen  in  Widerspruch  geräth,  und  desshalb  auch  in 
diesem  Stücke  nicht  ohne  Weiteres  von  Seiten  des  Chores  ver- 
worfen wird,  Ihm  gegenüber  erscheint  Antigone  als  die  Schirm- 
herrin reiner  Menschlichkeit  und  Vertreterin  des  göttlichen  Ge- 
setzes, das  auf  höheren,  ewig  gültigen  und  durch  keine  Macht  zu 
beugenden  Principien  beruht,  und  daher,  wenn  auch  für  den  Aif- 
genblick  verkannt  und  missachtet,  doch  ewige  Gültigkeit  hat  und 
haben  muss  und  nicht  ohne  harte  Ahndung  von  den  Sterblichen 
vernachlässigt  werden  kann.  Der  Dichter  führt  uns  einen  Con- 
flict  menschlicher  Satzung  und  des  ewig  gültigen  göttlichen 
Gesetzes  in  seinem  Stücke  vor.  Kreon's  Satzung  hat  einen  gros- 
sen Schein  des  äusseren  Hechtes  für  sich,  so  wie  es  auch  mit 
ziemlich  plausiblen  Gründen  von  ihm  selbst  unterstützt  wird ,  und 
desshalb  trägt  auch  der  Chor  einiges  Bedenken,  sich  sofort  gegen 
dasselbe  zu  erklären;  reiner  und  heiliger,  unantastbarer  und  un- 
umstösslicher  dagegen  ist  das  ewige  Gesetz  der  Gottheit,  das  ver- 
kannt, aber  nicht  umgangen  werden  kann  und  zuletzt  als  allgemein 
gültig  von  Allen  anerkannt  werden  muss,  und  zu  dieser  allgemeinen 
Anerkennung  gelangt  dasselbe  auch  im  Verlaufe  unseres  Stückes. 


\20  Griechische  Litteratur. 

Antigene  erscheint  als  Märtyrin  für  das  göttliche  Gesetz,  Kreon 
dat^cgen  geht  in  den  Kampf  fiir  die  äussere  Staatsgewalt,  deren 
Wahrung  sogar  seine  Regentenpflicht  war,  die  aber  nur  dann  walir 
und  haltbar  ist,  wenn  sie  mit  dem  göttlichen  Gebot,  dem, 
gleich  allen  übrigen  Gewalten,  auch  sie  sich  beugen  muss,  nicht 
in  Widerspruch  geräth.  Antigone  nun,  die  Vertreterin  des  gött- 
lichen Gesetzes,  erscheint  nati'irlich  als  reines,  ätherisches  Wesen, 
obschon  auch  ihr  rein  menschliche  Gefühle  nicht  abgehen.  Kreon 
dagegen  erscheint  vermöge  der  Rolle,  die  er  vertritt,  unbeugsam 
und  hart,  aber  er  ist  nicht  roh,  nicht  tyrannisch  an  sich  zu  nennen. 
Er  ist  in  seiner  Ansicht  befangen,  vielleicht  ein  Thor,  ein  Tyrann 
aber,  ein  Bösewicht  ist  er  nicht.  Sein  Gebot  stiUzt  sich  auf  die 
Staatsmaxime,  die  den  Freund  geliebt,  den  Feind  gehasst  sehen 
wollte  —  Antigone  giebt  dies  gewissermaassen  selbst  za  Vs.  523 
—  und  um  desswillen  die  gefallenen  Brüder,  von  denen  der  eine 
im  Kampfe  fiirs  Vaterland,  der  andere  im  Kampfe  gegen  dasselbe 
umgekommen  war,  nicht  gleich  behandelt  sehen  will.  Ja  Kreon 
beruft  sich  in  seinem  Vortrage  zu  Gunsten  der  Staatsgewalt,  der 
an  sich  ganz  vernünftige  Sätze  behandelt,  Vs.  163  fgg.  sogar  auch 
auf  den  Umstand,  dass  Polynikes  sich  ^^^^n  die  Götter  selbst, 
durch  seinen  Angriff  auf  das  Vaterland,  vergangen  habe,  und  ist 
bemüht,  dadurch  seine  Maassregel  über  das  Nicht-Begraben  seines 
Leichnams  zu  rechtfertigen.  Dass  diese  Ansicht,  wenn  auch  nach 
dem  ersten  Scheine  nicht  so  gar  verwerflich,  doch  dem  höheren 
göttlichen  Gesetze  gegenüber,  was  diesen  von  Staatswegen  ange- 
nommenen Unterschied  nichtzulässigfindet.  sondern  wenigstens  den 
Verwandten  dieBestattungderTodten  überlässt,  unhaitbarsei, zeigt 
sich  bei  derallmäligenEntwickelung  der  gegenüberstehenden  Grund- 
sätze, sobald  grössere  Klarheit  in  die  Sache  kommt,  immer  deut- 
licher, und  Antigone,  deren  einfältiger,  kindlicher  Sinn,  deren  rei- 
nes Gemüth  das  Richtige  und  Wahre  sogleich  gefunden  hatte,  legt 
dies  Verhältniss,  besonders  Vs.  450  fgg.,  selbst  trefflich  dar.  Dass 
Kreon,  der  einmal  das  Wahre  verkannt  und  sich  in  seinen  Mitteln, 
den  Feind  des  Vaterlandes  zu  entehren,  vergriffen  hat,  noch  nicht 
so  bald  von  der  Unhaltbarkeit  seiner  Ansicht  überzeugt  wird,  viel- 
mehr durch  den  Widerspruch,  der  ihm  seine  Herrschergewalt  zu 
kränken  scheint,  die  ihn  aufrecht  za  erhalten  keineswegs  Selbst- 
sucht, vielmehr  Pflicht  der  Selbsterhaltung  und  Regentenpflicht 
gegen  das  Land,  das  er  beherrscht,  zu  treiben  scheint,  immer  wei- 
ter hinreissen  lässt,  kann  ihn  in  unsern  Augen  noch  nicht  als  einen 
Willkürherrscher  oder  gar  als  einen  egoistischen  Bösewicht,  wie 
es  z.  B.  Franz  in  Schiller's  Räubern  ist,  erscheinen  lassen,  nur  für 
einen  Befangenen  und  Bethörten,  der  in  blindem  Eifer  nicht  sieht, 
was  er  sehen  könnte,  und  von  seiner  Ansicht,  die  er  aus  innerer 
Ueberzeugung  für  die  richtige  hält,  nicht  weichen  will.  Wir  fin- 
den ihn  in  heftiger  Bewegung,  in  Zorn  und  Leidenschaft,  die  ihn 
bestrickt  und  verblendet  hat,  aber  ungerecht  im  gewöhnlichen 


Jacob:  Sophokles^  Äntigone.  121 

Sinne  des  Wortes  finden  wir  ihn  keineswegs.  Er  lässt  den  Boten 
Vs.  444  fg.  sogleich  abtreten,  nachdem  Äntigone  die  That  bekannt, 
aber  auch  niclit  eher,  um  ihn  zu  strafen,  falls  seine  Anklage  eine 
falsche  wäre.  Er  ist  auch  anfangs  nicht  hart  gegen  Äntigone; 
hätte  sie  wahrscheinlich,  wie  der  Hr.  Verf.  selbst  S.  5  und  7  sa^t, 
milder  behandelt,  hätte  sie  sich  seiner  Herrschergcwalt,  die  er 
nun  einmal  glaubte  wahren  zu  müssen,  nicht  so  schrofF  entgegen 
gestellt.  Auch  ge^en  Ismene  ist  er  nicht  ungerecht.  Sie  hat 
zwar  gegen  Kreon's  Gebot  nicht  selbst  gehandelt,  will  aber  doch 
jetzt  Antigone's  That  mit  vollbracht  haben,  heisst  sie  wenigstens 
gut  und  spricht  so  der  Staatsgewalt  wenigstens  indirekt  Hohn; 
desshalb  erscheint  auch  sie  ihm  mit  verdächtig ,  s.  Vs.  48!*  fgg. 
561.  577  f g  ,  allein  die  üebertreibung  und  die  iMaasslosigkeit  sei- 
ner Hede  Vs.  7(19,  in  welcher  er  die  Ismene  ebenfalls  mit  zum 
Tode  verurtheilt,  nimmt  er  trotz  seiner  grossen  Hitze,  in  welcher 
er  das  Wort  gesprochen,  sofort  auf  des  Chores  Mahnung  V.  771 
wieder  zuriick  und  giebt  so,  nach  unserer  innersten  üeberzeugung, 
keineswegs  zu  dem  Tadel  Veranlassung,  den  Hr.  J.  S.  13  über 
diese  seine  Handlungsweise  ausspricht.  Denn  einen  Irrthum  auf 
frischer  That  offen  zu  bekennen,  zeigt  uns  vielmehr  Tugend  und 
Kraft  des  Mannes,  als  BeschränkÜieit  und  Flachheit  seines  Ur- 
theils.  Wenn  Kreon  ferner  seine  Ansicht  trotz  des  Widerspruches 
der  Äntigone,  des  Hämon,  des  Chores,  ja  trotz  der  Mahnung  des 
Tiresias  aufrecht  erhält,  ja  durch  seine  Leidenschaft  sogar  so  weit 
fortgerissen  wird,  offenbar  ungerecht  zu  handeln,  in  dem  Glauben 
recht  zu  thun,  und  erst  die  thatsächlichen  Beweise  von  dem  Zorne 
der  Götter  den  Verblendeten,  als  es  schon  zu  spät  ist,  auf  den 
Weg  der  Erkenntniss  fiihren,  so  nimmt  er  zwar  niclit  unser  Mitleid 
in  dem  Sifine,  wie  Äntigone,  in  Anspruch,  weil  er  uns  als  die  äus- 
sere Ursache  der  Gräuel  erscheint,  er  wird  aber  auch  kein  Gegen- 
stand unseres  Hasses,  wir  müssen  ihn  vielmehr  beklagen  wegen 
seines  Wahnes  und  seiner  Verblendung,  dass  er  im  Eifer,  die  Staats- 
gewalt aufrecht  zu  erhalten,  den  Zorn  der  Götter  auf  sich  ladet 
und  sich  und  dem  eigenen  Hause  verderblich  wird,  und  zürnen, 
um  mit  Sokrates  zu  reden,  weniger  ihm,  als  seinem  Irrthume.  Ist 
diese  unsere  Ansicht  von  dem  Charakter  Kreon's  richtig,  so  wird 
uns  nun  auch  der  Chor  in  etwas  anderem  Lichte  erscheinen  müs- 
sen, als  er  von  Hrn.  J.  aufgefasst  worden  ist.  Der  Chor  stimmt 
eigentlich  nie  mit  ganzer  Seele  in  die  Ansicht  Kreon's  ein.  Er 
rauss  als  Staatsbürger  und  guter  ünterthan  zuvörderst  die  Gewalt 
Kreon's,  als  rechtmässigen  Herrschers  von  Theben,  anerkennen 
und  kann  dies  anfangs  um  so  mehr,  als  Kreon  seine  Ansichten  we- 
gen des  Nithtbegrabens  von  Polynikes  mit  vernünftigen  Gründen 
zu  unterstützen  scheint,  und  das  ganze  Verhältniss  noch  nicht  so 
ganz  klar  vorliegt.  Aber  auch  da,  wo  er  die  äussere  Herrscher- 
gcwalt des  Kreon  unbedingt  anerkennt,  spricht  er  nicht  mit  einer 
Silbe  direkt  gegen  das  göttliche  Gebot,  Vs.  211—214. 


122  Griechische  Litteratur. 

Z!oi  TCiVT  cigeöxBi^  TCai  MevoLxiayg  Kqecoi', 
rov  tijös  öv6}>ovv  x«l  rdv  svuev^  noXec. 
vo^icp  de  xgiiö^av  nccvzi  itov  z  sveOtl  öol 
ocui  Tcov  ^ai'6vTG)if  ^^fOTroöot  t,coaev  negi. 
Ucbcrliaupt  ist  hier  die  Rückhaltmig,  mit  der  der  Chor  spiiclit'/ 
mit  grO!>ser  Kirnst  von  dem  Dichter  auch  diircli  die  äussere,  walir- 
haft  geschraubte  Kedc,  die  gerade  in  eine  solche  und  keine  andere 
Form  gegossen  worden  ist ,  ausgedrückt  worden.  •  Audi  die  Art 
und  Weise,  wie  der  Chor  sogleich  Vs.  216  fgg,  die  Bewachung  des 
unhegrabenen  Leichnams  ablehnt,  zeigt,  dass  er  die  Saclie  nicht 
fi'ir  unbedenklicii  liält.     Schon  Vs.  278  fg.  spriciit  er  das,  was  er 
anfangs  kaum  anzudeuten  wagt,  etwas  deutlicher  aus: 
'Ava^^  s^oi  TOt,  (.ijj  XL  xal  ^srjlarov 
tovQyoi'  t6Ö\  }]  ^vvvoicc  ßovksvsL  naXai. 
und  der  Dichter  rechtfertigt  den  Chor  besonders  rait  den  Worten: 
?5  Lvvvoia  ßnvkBVBt   näXai^  zugleich  gegen  eine  falsche  Bi*- 
urtheilung,  dass  er  nicht  efier  das  Richtige  erkannt,  wie  sie  gleich- 
wohl von  Hrn.  J.  noch  gemacht  worden  ist.      Riicksicht  auf  den 
rechtmässigen    Herrscher    iässt  ihn  nicht  vorschnell   mit  seinem 
L'rlheile  liervortreten,  und  auch  hier  spriclit  er  seine  Ansicht  nur 
als  Vermutliung  aus,  so  wie  er  auch  Vs.  471  fg.,  da  ihm  Antigone 
dem  Herrscher   zu  hart  begegnet  zu  haben  scheint,  ohne  das  Ver- 
liältniss  selbst  zu  berühren,  versöhnlich  sicli  äussert.     Nicht  min- 
der bescheiden  spricht  er  Vs.  724  fg. ,  wo  er  zur  Nacligiebigk^it 
Vater  und  Sohn  ermahnt.     Vs.  770  giebt  er  dem  Kreon  durcli  die 
Frage : 

"Au.(f)Ci  yag  avtä  ocui  xataxtElvat  voEig', 
seine  Uebereilung  äusserlich  bescheiden  zwar,  doch  entscfiieden 
zu  verstehen.  Vs.  Bol  fgg.  beklagt  er  laut  das  Loos  der  Antigone^ 
doch  immer  bleibt  er  Unterthan  Kreon's;  auch  noch  Vs.  873  fgg., 
und  das  muss  er,  so  lange  die  Stadt  nicht  in  offenen  Aufruhr  ge- 
gen Kreon  kommt,  ein  Umstand,  der  die  Entwickelung  der  ganzen 
Handlung  sofort  gestört  haben  wi'irde.  Auch  da  noch,  wo  Tiresias 
im  Zorne  gegangen  ist,  Vs.  1(91  fgg.,  verletzt  der  Chor  die  Biir- 
gerpfliclit  dem  Kreon  gegenüber  nicht,  obschon  er  ihn  ernst  zur 
L'eberlegung  malmt.  Kreon  schwankt,  bekennt  seinen  Irr- 
thum  und  ermächtigt  den  Chor  ihm  Rath  zu  ertheilen.  Alles  gö^ 
schiebt  auf  eine  angemessene  und  anständige  Weise,  Alles,  wie  es 
das  Verbältniss,  was  zwischen  dem  Chore  und  Kreon  stattfindet, 
mit  sich  bringt.  Selbst  auch  Vs.  1259  spricht  der  Chor,  wenn 
auch  Kreon's  eigene  Schuld  anerkennend,  mit  Anstand,  mit  den 
Worten:  h  %euig  ÜTttiv^  nicht  anders  Vs.  1270,  sogar  noch 
zum  Schlüsse  Vs.  1348  fgg.  gieht  der  Chor  nur  zu,  dass  die  Men- 
schen häufig  irren  und  meist  zu  spät  die  Wahrheit  erkennen.  Wir 
finden  nirgends  einen  Widersprucli  in  den  Aeusserungen  des  Cho- 
res. Er  verletzt  seine  Bi'irgerpfliclit  zwar  nicht,  spielt  aber  auch 
nicht  den  rückhaltslos  und  blindlings  beipflichtenden  Diener  gegen 


Jacob  :  Sophokles'  Antigene.  123 

den  Fürsten,  ihn  besticht  nicht  das  Ansehen  des  Füt'steif  in  dem 
Maasse,  dass  er  kein  Mitgefühl  ge^en  Antiffone  liätte,  obwohl  Ihm 
ihr  Auftreten  einige  Mal  zu  schroff  erscheint.  Alterschwach  er- 
scheint er  nirgends;  denn  Vs.  216  spricht  er  nur  von  den  äusse- 
ren Körperkräften,  und  in  den  Worten  Vs.  681  fg.  ^ 
'"   '  ^         ' Hixlv  ^£r,  d  1X7]  T(p  XQovcp  Kcy.lh^^B^a^ 

X^ynv  (pQOVovvTog  qjv  Xky^Lg  doKÜq  nigi.^ 
worauf  Ilr.  J.  sich  vorzugsweise  bezieht,  möchten  wir  kein  Zeng- 
niss  für  die  Alterschwäche  des  Chores  finden.  Es  lässt  der  Dich- 
ter dort  offenbar  mit  den  Worten:  £t  ^iq  ra  XQOvcp  x8x?,£{Xind^c(y 
die  lii'ickhaltung  des  Chores  durchblicken,  der,  so  wie  die  Worte 
von  Kreon  gesprochen  sind,  nichts  gegen  sie  glaubt  einwenden  zn 
können,  aber  doch  sich  selbst  nicht  recht  traut,  ob  denn  nicht  noch 
eine  andere  Ansicht  vielleicht  geltend  gemaclit  werden  könne'. 
Sind  wir  so  allerdings  in  Bezug  auf  die  Charakteristik  zweier  Per- 
sonen mit  Hrn.  J.  nicht  einverstanden  gewesen,  so  bekennen  wir 
doch,  dass  wir  demselben  in  Bezug  auf  das,  was  er  sonst  in  der 
Einleitung  gesagt  hat,  aus  voller  üeberzeugung  beitreten,  zumal 
da  er  am  Schlüsse  S.  30  i'iber  die  Tendenz  des  Ganzen  sich,  abire- 
sehen  von  6en  beiden  Personen,  ganz  in  demselben  Sinne  aus- 
spricht, wie  wir  ebenfalls  den  Hauptgedanken  aufgestellt  haben: 
„Gegen  das  alte  menschliche  Recht  und  die  Gebote 
der  Götter  solle  der  Mensch  nicht  freveln.  Dies 
thut  Kreon,  indem  er  die  Bestattung  des  Polynikes 
untersagt  und  Antigone  lebendig  einmauern  lässt, 
und  desshalb  geht  er  u  n  d  s  e  i  n  H  a  u  s  z  u  G  r  u  n  d  e.  Kreon 
gegen  Vi  her  steht,  als  die  Vertreterin  des  von  ihm  ver- 
li  ö  h  n  t  e  n  g  ö  1 1 1  i  c  h  e  n  u  n  d  ra  e  n  s  c  h  li  c  h  e  n  11  e  c  h  t  e  s ,  A  li,^ 
tigone.*'' 

Noch  hätten  wir  gewünscht,  Hr  J.  hätte  hier  noch  etwas  über  den 
allerdings  untergeordneten  Charakter  des  Wächters  gesagt.  Denn 
so  tief  er  mit  vollem  Rechte  unter  den  eigentlich  tragischen  Per- 
sonen steht,  so  beschäftigt  er  doch  zu  Anfang  des  Siüekes  diö 
Zuschauer  nicht  blos  ziemlich  lange  Zeit,  sondern  lässt  aucli  seine 
eigenen  Lebensansichten  so  entschieden  durchblicken,  dass  ei^ 
nicht  ganz  als  Nebenperson  angesehen  werden  kann.  Und  da  nun 
noch  dazu  seine  Reden  bisweilen  beinahe  ans  Komische  streifen^ 
z.  B.  817,  so  wäre  es  vielleicht  nicht  unpassend  gewesen,  die  ju- 
gendlicheFi  Leser  auf  die  Art  und  W^eise,  wie  auch  diesen  Charak- 
ter Sophokles  getreu  der  griechischen  Volkssitte  gehalten,  auf- 
merksam zu  machen.  ^'^  * 
Wenden  wir  uns  nun  dem  Texte  und  den  diesen  begleitenden 
Anmerkungen  selbst  zu,  so  können  wir  es  zuvörderst  nur  gut  heis- 
sen,  dass  der  Hr,  Herausg.  die  Textesworte  im  Dialoge  wenigstens 
fast  lediglich  nach  den  Handschriften  gegeben  und  nur  ih  den 
Anmerkungen  gehörigen  Orts  bemerkt  hat,  wo  der  Text  gelitten 
zn  haben  scheine,  wogegen  wir  es  aber  weniger  gut  heissen  nnd 


124  Griechische  Litteratur. 

minrlestcns  es  inconsequent  finden,  dass  der  Hr.  Fleraiisg.  niclit  auch 
in  den  lyrischen  Stellen,  wie  wir  bereits  oben  bemerkt  haben, 
gleicherweise  verfaliren  ist.  Denn  was  hier  recht  war,  war  dort 
biih'g,  und  vielleicht  wäre  es  auch  besser  gewesen,  auch  in  jenen 
Stellen  die  Leiden  des  Textes  einfach  anzuzeigen,  als  sie  corrigirt 
zu  geben,  zumal  grössere  und  kVihnere  Veränderungen  gerade  in 
solchen  Stellen  in  der  Böckh'schen  Ausgabe  vorgenommen  worden 
waren.  Docli  dariiber  wollen  wir  jetzt  nicht  weiter  rechten.  Wir 
bekennen  lieber,  dass  wir  die  zur  Erklärung  der  Sprache  und  Er- 
läuterung des  Iniialtes  beigegebenen  Anmerkungen  nicht  nur  nacli 
ihrem  äusseren  Umfange  richtig  bemessen,  sondern  auch  ihrer 
Form  und  ihrem  Inhalte  nach  meistens  sehr  angemessen  gefunden 
haben.  Dass  im  Einzelnen  auch  liier  noch  Manches  hätte  anders 
aufgefasst,  öfters  auch  wohl  nur  anders  ausgedrückt  werden  kön- 
nen, thut  dem  Ganzen  weniger  Abbruch. 

Gleich  in  der  Anm.  zu  Vs.  1.  S.  35,  wo  Hr.  J.  sagt:  „xapa 
gebrauchen  die  Tragiker  öfters  so,  besonders  in  der  Anrede,  zur 
Bezeichnung  der  Person.  Danach  sagen  aucli  unsere  Dichter  z.  B. 
Des  redlicheJi  Diego  greises  Haupl.''^^  scheint  uns  die  Deduction 
mit  danach  minder  passend.  Wir  hätten  lieber  nach  yiccga  vor 
gebrauchen  eingesetzt  gesehen:  in  sofern  es  den  vorzüglichsten 
Theil  des  menschlichen  Körpers  bezeichnet.^  und  später  Auf  glei- 
che Weise  statt  Danach  geschrieben  gesehen. 

Vs.  29  wi'irden  wir  zu  den  Worten:  hav  ö'  a^cAwvrov,  «ra- 
tpov  Tcze.  einestheils  unsere  jugendlichen  Les^r  darauf  hingewiesen 
haben,  unter  welcher  Bedingung  und  mit  welcher  Verschiedenheit 
des  Sinnes  hier  tav  ds  gesagt  werde,  wo  man  in  der  gewöhnli- 
chen Rede  dkk'  Idv^  wie  so  oft  in  Gesetzen  und  Verordnungen  in 
Prosa  gesagt  wird,  erwartet  haben  wVirde,  vergl.  unten  204  fgg. 
xovxov  TioKii  t)}d'  kKXSKrJQVKtaL  xätpcp  ^^ze.  ktbqi^blv  ^r^re  xcd- 
TiVöaiTLva^  läv  ö*  axfantov  xat  TtQoq  olcovav  dmag  xal  Ttgog 
Tivväv  IdsöTOV  al'ULöxtkvz  Idsiv.  und  s.  meine  Bemerkung  zu 
Devar.  vol.  II.  p.  360  sq.,  andererseits  abcrauch  mit  einem  Worte 
daran  erinnert  haben,  dass  die  Verbindung  von  äxlavzog,  azacpog 
oder  cid'aTCzog.)  und  zwar  in  dieser  Wortstellung,  eine  altherge- 
brachte sei,  s,  Iliad.  XXII.  386.  Kiltai  nag  vrjsööi  vsKvg  äyikav- 
Tog,  a\f anzog.  Odyss.  XI.  72.  /ijj  y!  aalavzov  axfanzov  lav  öiti- 
%tv  'AazakiiTiHV.^  wodurch  zugleich  die  Lesart  ccKkavtov  azacpov 
gegenüber  der  Wortstellung  des  Laurra.  Laur.  b.  Rice.  cet.  äza- 
(jpov  «KAatTOv  gesichert  wird,  in  welcher  Hinsicht,  so  wie  zur 
Veranschaulichung  der  ganzen  Rede  noch  zu  vergleichen  war  Eu- 
ripides  Phoen.  1645  fgg.  KrjQv^szai  de  näöi  Ka8y.üoig  zaÖB'  og 
äv  viKQOV  zovö'  rj  x(cza6ziq)cov  akco  ij  yfj  KakvTtzcjv^  ^dvazov 
d*  dvzaXkd^ezat^  eäv  d'  dxkavzov  dzacpov  olcovoig  ßoguv. 

Zu  Vs.  42  bemerkt  Hr.  J.  „ttoi}  yvcoyrjg  noz'  at;  wo  bist  du 
mit  den  Gedanken^  Unser:  wo  denkst  du  hin*?  So  ftöl  nov  yiig 
(K.  0.  108);  ubi  terrarurn.*"^     Das  ist  Alles  recht  schön,  allein  die 


Jacob :  Sophokles'  Antigene.  125 

handschriftlich  beglaubigte  Lesart  des  Schal.  Laur.  a.   Laur.  b. 
Hicc.  Diesd.  a.  cet.  ist  nol  yvcj^rjg  tiox   ft;     Es  war  demnach 
unser:  „ ^^o  bist  du  mit  deinen  Gedanken  hin?^^  zu  vergleichen, 
oder  desEnniu^:  Quo  vobis  mentes  rectae  qnae  siaresolebant  cet. 
Zu  dem  folg.  43.  Verse  bemerkt  Hr.  J  :  „|i)v  rijöe  heisst,  wie 
Sprechende  im  Griechischen  oft  durch  das  Pronomen  demonstra- 
tivum  sich  selbst  bezeichnen:  mit  mir.    Damit  ;^£pl  zu  verbinden, 
würde  theils  die  Bezeichnung  der  Person  unangemessen  beschrän- 
ken, theils  bedarf  i(ovq)ieig  zur  Belebung  seines  Begriffes,  nach 
Art  der  Alten,  des  Zusatzes  xegt.    So  sagt  Ajas:  i|  ov  xsigl  zovt 
ede^dfirjv  öüjgrjfxa  (Aj.  661).     Endlich  sollte  wohl  auch  Ismene's 
thätigeTheilnahme  durch  ^^qI  bezeichnet  werden  {et  ^Vfinovi^öeig 
aal  ^wsgyccöBL^  öxotisl).'''   Hr.  J.  ist  hier  im  Irrthume.    Das  Zer- 
reissen  der  Rede,   wenn   man  ^vv  tijös  und  ^^gi  getrennt  fasst, 
würde  hier  unangenehm  auffallen.     Der  Einwand,  den  Hr.  Jacob 
macht,   dass ,  wollte   man  |i)v  t|]Ö£  %fpl  verbinden,   die  Bezeich- 
nung der  Person    unangemessen    beschränkt   würde,   ist   nichtig. 
Denn  die   Tragiker   haben   nicht   blos    den  vorzüglichsten   Theil 
einer  Person  für  sie  selbst  gebraucht,  wie  er  selbst  zu  Vs.  1  '/ö^w- 
vr^g  Tidga  bemerkt  hat,  sondern  auch  bisweilen,  wenn  die  Thätig- 
keit  eines  Körpertheiles  bei  einer  Vornahme  vorzugsweise  in  An- 
spruch genommen  wurde,  mit  einer  feinen  Zeichnung  der  Hand- 
lung diesen  genannt,  wo  auch  hätte  die  ganze  Person  genannt  w er- 
den.     Wie  hier  sonach  Sophokles   ganz  richtig  seine   Antigone 
sagen  liess:  ti  tov  viyigov  h^vv  tyÖe  }iovq)LElg  x^gi^   ffenn  du  den 
Todlen  in  Gemeinschaft  mit  dieser  Hand  aufheben  willst  ,^  eben 
so  heisst  es  bei  Euripides  Hippol.  661  ^tdöoyiai  öl  6vv   Ttatgog 
fiokav  noöi^  statt  6vv  TtcxTgi  ^okcjv.    Was  dann  der  Hr.  Herausg. 
noch  darüber  philosophirt,  dass  xovcpi^tiv  noch  x^Q^  nothwendig 
habe  und  dass  die  thätige  Theilnahme  der  Ismene,  w  eiche  Antigone 
anspreche,  durch  ;^fpt  bezeichnet  werde,  bedarf  keiner  weitern 
Widerlegung.     Denn  eincstheils  würde  auch,  wenn  man  ^vv  xyda 
X^gi  verbindet,  doch  die  Vollziehung  von   novcpl^eiv  durch  die 
Hand  deutlich  genug  angegeben,  anderntheils  erfordert  das  Heben 
an  sich  schon  Handthätigkeit,  gleichviel  ob  x^g't  dabei  steht  oder 
nicht.     Auch  finden  wir  die  vorausgeschickte  Bemerkung:  „xou- 
g)it,8iv  wird  allgemein  erklärt  durch  Ismene's  ^cxTttELv;  doch  liegt 
darin  wohl  zugleich  der  Begriff  der  Erleichterung  des  Todten  da- 
durch, dass  er  nicht  in   der  Schmach  liegen  blieb''^,  zu    über- 
schwänglich.      Kovcpl^siv  vsKgovg   war  gewiss  im  Griechischen 
eben  so  gut  stehende  Redensart  wie  im  Latein,  tollere  cadavera^ 
im  Deutschen  einen  Leichnam  aufheben^  indem  man  mit  der  ersten 
Handlung.,  womit  die   Bestattung  eines    aufgefundenen  Leichnams 
beginnt,  die  Vornahme  der  ganzen  Bestattung  andeutet.  Hier  zeich- 
net Antigone,  welche  sich  ihr  Vorliaben  bis  aufs  Einzelne  geistig  ver- 
gegenwärtigt, den  Beginn  der  Handlung,  die  sie  sich  vorgenoinmeu, 


126  Gnechische  Litteratur. 

genau  mit  jener  Rede.  Die  Befreiung  von  der  Schmach  liegt  im 
Ganzen,  nicht  in  dem  einen  Worte. 

.n'ii:  Vs.  4,'S  schreibt  Ilr.  J.  mit  den  Handschriften:  dXX*  ovdly 
avTcp  rüjv  tucDv  ugyeLV  ^eza  statt  der  aus  Conjwctur  entstander 
iien  Vulgata:  tcov  l^cov  y!  ffpj^fn^.  Wir  haben  dagegen  nichts 
einzuwenden.  Denn  es  ist  mehr  Tiefe  in  dem  Gedanken  ohne  fii. 
Allein  die  Erklärung,  die  er  giebt:  ^^ovötv  y&TSöTLV  ama  tcjv 
kficjv:  er  hat  kein  Ueclit  an  den  Meinigen  (dj'ßrf)  BiQyHV  avzovg 
tov  ^äTttsö'^at,.  Der  Infinitiv  steht  als  Ausdruck  der  unmittel- 
baren Folge  aus  oiiöai'  ntTBötiv  avia.'"''  können  wir  niclit  gut  heis- 
seii.  Das  erste  Scholion  hat  das  Verhältniss  richtig  aufgefasst: 
'ylkk'  ovölv  avTcp  Tcov  t^<äv:  Ov  fiarsörtv  avxco  Hgyscv  ye  aTCO 
TCüv  BLicDV.  Es  ist  ju  Gedanken  zu  erklären:  «AA'  ov  yevsöTLV 
avTcp  HfjysLV  tg5v  b^cjv^  dr]kov6TL  Bfia  rj  ölag  xovg  avzovg  tcij- 
davtLV  ßovkoyhovg. 

Zw  \s.  i}b  cog  (Ua^oyaL  Tßöa,  vergleicht  Hr.  J.  den  latein. 
Sprachgebrauch.  Das  ist  ganz  gut.  Allein  warum  stellt  er  die 
Stelle  her:  Cogebal  id  militum  voluntas.^  wo  nur  ein  Accusativ 
steht*?  Warum  nicht  lieber  Cicero  de  re pvbl.  1,  2:  cives  qui  id 
cogit  o?iines  cet.  oder  noch  entsprechender  Livius  4,  26:  Si  qui- 
dem  cogi  aliquid  p?'o  potesLate  ab  iribuno  coiisules  —  possent  ? 

Mit  Uebergehung  anderer  Stellen  wenden  wir  uns  jetzt  einer 
Stelle  zu,  wo  es  vielleicht  nicht  nur  nicht  unpassend,  sondern  gar 
nützlich  gewesen  wäre,  wenn  Hr.  J,  seine  jugendlichen  Leser  sicl^ 
hätte  einmal  auch  mit  der  blossen  Wortkritik  befassen  lassen.  Es 
heisst  Vs.  93  fg.  zwar  in  seiner  Ausgabe: 

,El  ravza  Xe^Big^  sx^agao  ^ilv  eJ  Sfxov^ 

Allein  handschriftlich  steht  die  Lesart  Bx^c/.QBi  keineswegs  fest. 
Die  meisten  und  bessern  Handschrr.,  unter  diesen  Laur.  a.,  dieser 
mit  yg.  Bx^aQ]]^  Kicc,  Membr.  Paris.  A.  u.  a.  m.  haben  sx^Qccv^ 
oder  Bx^(javBl  und  Porson's  Behauptung  zu  Euripides  Med.  555, 
dass  die  Form  ixxfaioa  iiberall  bei  den  Tragikern  herzustellen, 
dagegen  die  Form  BX^Q^i.t'VCi  ganz  bei  ihnen  zu  verwerfen  sei,  ist^i 
wie  so  viele  ähnliche,  gänzlich  aus  der  Luft  gegriffen,  oder  nur  aus 
einer  rein  empirischen  Stelienzählung  hervorgegangen,  die  bis-? 
weilen  etwas  Wahres  an  die  Hand  giebt,  in  unzähligen  Fällen  aber 
durchaus  trügt.  Dass  ByßgaivBiv  eine  an  sich  aus  der  Sprache 
derAttiker  nicht  auszuschliessende Form  sei,  beweist  derQebrauch 
des  Wortes  bei  Xenophon  und  die  Bemerkung  bei  Photius  p.  45. 
'E%%QuivBL :  jutösi.,  so  wie  auch  der,  wenn  sclion  gemässigte,  jedoch 
durch  die  Handschriften  gesicherte  Gebrauch,  den  Sophokles 
selbst  von  der  Wortform  macht,  die  sehr  leicht  von  Abschreibern 
und  Kritikern,  welche  an  die  seit  Homer  gewöhnlichere  Form  1%- 
%aiQa  gewöhnt  waren,  mit  der  liäufiger  vorkommenden  Form 
verwechselt  werden  konnte.  Hier,  so  wie  an  einer  andern 
Stelle  des  Sophokles,  über  die  sogleich  gesprochen  werden  soll, 


>4 


I 


Jacob:  Sophokles'  AntJgone.  £27 

spricht  aber  ein  innerer  Grund  zu  deutlich  für  die  seltene  Form, 
als  dass  ein  besonnener  Kritil^er  sie  ungepriift  verwerfen  sollte. 
Es  ist  dies  das  Gesetz  der  Ällitteration,  was  mit  Recht  von  unse- 
rem Herausgeber  in  anderen  Stellen  anerkannt  worden  ist.  Offen- 
bar legt  der  Dichter  hier  entschiedenen  Nachdruck  auf  das  Wort, 
was  zweimal  an  der  Spitze  des  Satzgliedes  erscheint  und  i'iber- 
haupt  die  Pointe  in  seiner  ganzen  Rede  bildet,  vergl.  Hrn.  J.'s  Be- 
merkung zu  Vs.  86.  Da  dies  nun  offenbar  auf  alle  Weise  theils 
durch  die  Wiederliolung,  theils  durch  die  Wortstellung  hervorge- 
hoben werden  soll,  warum  hätte  der  Dichter  sich  die  dritte  Hülfe, 
dem  Worte  Nachdruck  zu  verleihen,  welche  in  der  äusseren  Äl- 
litteration besteht,  entgehen  lassen  sollen*?  Wir  zweifeln  dessf 
halb  keinen  Augenblick,  dass  unser  Dichter  geschrieben  habe:       , 

El  xavxa  U^BLg,  8%^ gavsl  yag  e^  fftoi), 
li'jijiiJ  aih  sxd'ga  Öh  t(p  &av6vri,  tiqoöxslösl  ölny.  .^?, 

Wie  hier,  so  gebietet  auch  in  einer  andern  Stelle  unseres  Tragi- 
kers, im  i\j  ax  \s.  679  fgg.,  die  nur  von  sehr  wenigen  Handschrif- 
ten gebotene  Form  g^^^ß^rsog  in  die  in  den  meisten  ;Und  besten 
Handschriften  befindiiche  Form  £;^^^ß:i^T£og,  welche  auch  Suidas 
janfliitrt,  umzuwandeln  und  die  ganze  Stelle  also  zu  lesen; 

'' *    "y   'J'XO  t'  g^f^^Og  ij^rv^tg  fOÖOl'Ö'  EXd-QCiVttOg^    ■,^,j  jii.jJu 

.V    •'.cüg  nal  (piA'^öcov  ttvQ'ig  sYg  xs  zov  cpiXov  r-  . 

•^  xo6av^^  VTiovQyuv  iO(:pelHv  ßovKriOo^ai'iizs. 
Hingegen    schützt    schon   dasselbe  Gesetz  der  Ällitteration   die 
Form  £;^O^a/^£a  bei  unserem  Dichter  im  Philoct.  b9  sx&og  1%^ 
%i^Q  ag  {.leya.  und  in  der  Mectra\B.  1023  ovo'  av  xoCovxov  Ex' 
&og8x^cciQG)6'  lyco.,  ja  selbst  in  Aqv  Eleclra  Vs.  172  ^jj-ö^' 
olg   ex^^  i'Q^ig   viiiQax^^o   y^rix    Inild^ov.,  während  in  an- 
deren Fällen  es  gleichgültig  war,  welche  Form  der  Dichter  wählte, 
In  solchem  Falle  hätte  Hr.  J.,  wenn  auch  nur  ausnahmsweise,  auch 
seinem  Leserkreise  einmal  eine  Frage  aus  der  reinen  Wortkriti^ 
vorführen   und   etwa  die  von  ihm  zu  wählende  Wortform  tx^Qa-^ 
VH    mit   folgender    Anmerkung    begleiten    sollen:     „Die    Form 
Ix^QocvH  von  der  auch  anderwärts  (bei  Xenophon)  vorkommen- 
den Wortform  Ix^Qc^l^vc)  war  hier  nach  den  besseren  Handschrif- 
ten der  Vulgata  ijt'^a^fr  vorzuziehen,   weil  hier  die   äussere 
Wortform   (Ällitteration)  den  inneren  Redenachdruck  fördern 
soll :  hx^gavEi  ^ev  e^ifiov,  £;^'9^^  «  ds  tc5  %av6vzL  TtgoöKBiösi 
diarj.     Eben  so  im  Aias  Vs.  679  o  t'  ex^gog  tj^lIv  üg  xoöovb' 
€;(jd'9ßvr£0g."    Denn  so  würde  sich  der  jugendliche  Leser  über- 
zeugt haben,  dass  es  die  Wortkritik,  die  viel  verrufene,  häufig 
mehr  mit  der  Sache  selbst  zu  thun   hat,   als  man  wohl  häufig 
glaubt.     Aehniiche  AUitterationen ,  von  dem  Dichter  zwar  nicht 
einzeln  aufgesudit,  aber  doch  bei  Iiöherer  Gesangsbegeisterung 
günstig  erfasst,  finden  sich  ao  unzähligen  Stellen  bei  unserem  Tra- 
giker.    So  gleich  im  folgenden  Chorgcsange  Vs.  99  fgg. 


128  Griechische  Lilteratur. 

^AKzig  dekiov^  to  xdX- 
kiöTov  hntanvXcp  (pavtv 
0ijßcc  tcDv  TCQorefjcov  qp«  o  g, 
8(pdv^r]g  jtOT\  d  xQvösag  xtL 
Vs.  HO  fgg.  schreibt  Ilr.  J.  nach  Böckh: 

ov  hcp  dfiEzegcc  ya  nokvvtiX7]g 

dg^elg  veLx^av  e^  d{iq)LX6ycov^ 

dyaycüv  ^ovQiog  ö^sa  xkdlcov 

alezog  eg  yäv  <Sg  vnknza  xzs. 
Wir  haben  uns  bereits  oben  gegen  die  Aufnahme  so  willkürlicher 
Aenderiin^en  erklärt  und  können  diese  Stelle  um  so  mehr  als  Be- 
leg zu  unserer  aujigesprochenen  Beliauptung  aufstellen,  da  uns 
die  Stelle  keineswegs  verdorben  zu  sein  scheint,  wenn  man  nur, 
wie  bereits  vor  uns  B  o  t  h  e ,  das  Wort  vTisgenza  in  prägnanter  Be- 
deutung nimmt,  und  sich  mit  Wunder  erinnert,  dass  die  Gleich- 
lieit  der  Anapäste  kein  notl» wendiges  Erforderniss  sei,  vergl.  des 
llec,  Epistola  crilica  ad  G.  Hermann.  (Lips.  1840)  p.  5  sqq. 
Die  Worte:  o^f«  xld^cov  ahzog  ig  yäv  cog,  fasst  übrigens  der  Hr. 
Ilerausg.  ganz  wie  wir,  wenn  er,  sie  zusammenfassend,  also  über- 
setzt: hell  kreischend^  wie  ein  Adler^  g(^gen  das  Land^  vergl.  d. 
Rec.  a.  a.  0.  p.  7.  Dabei  hätten  wir  aber  gewünscht,  er  hätte 
nicht  blos  bemerkt,  wie  S.  49  geschieht:  ,,o5g  wird  öfter  so  nach- 
gestellt, z.  B.  nalg  dzsg  cjg  cpUccg  zi,&i]V(xg  (Phil.  TOS)."",  weil  dies 
nur  todtes  Wissen  ist,  sondern  lieber  das  Wesen  der  Sprache  auch 
hier  tiefer  erfasst  und  gezeigt,  wie  das  nachgesetzte  (d\?  hier  das 
in  der  Vergleichung  Zusammengehörige  auch  durch  die  äussere 
Rede  zusammenhalte  ,  indem  es  die  Vergleichspunkte  enger 
zusammenschiebt;  eben  so  in  der  Stelle  aus  dem  Philoctet,  wo 
dadurch,  dass  dztg  vor  cog  steht,  natürlich  auch  cpikag  XL&rjvag^ 
das  von  der  Präposition  nicht  zu  trennen  ist,  mit  hinangezogen 
wird  ;  ähnlich  bei  Aeschylos  Sieben  gegen  Theben  393  'Cnnog  ya- 
T^ivdv  tdg  xazaQ%\ia[vGiv.  so  wie  bei  Euripides  Phoen.  1170  Pors. 
'cv(f>dg  nvkuLöLv  äg  zig  i^n^öcov.  Denn  ohne  diese  enge  Ver- 
bindung könnte  wg  nicht  nach  jenen  Worten  erst  folgen. 

Zu  Vs.  119  bemerkt  Hr.  J.  ^^BitzdnvXov  öro'fia  für  hTtzdnv- 
lov  oder  ejczdözofxov  noliv.  Auch  Euripides  hat  snzaözo^ovg 
Tcvkag  (Suppl.  401)  neben  knzdnvka  rslxi]  und  sTtzdözo^ov  nvg- 
yco^a  x^ovog.  Das  Streben  nach  Neuheit  des  Ausdruckes  hat 
auch  die  tragischen  Dichter  zuweilen  über  die  Linie  hinausgeführt, 
da  die  nvkai  der  Stadt  eben  ihre  özo^iaza  sind."  Hr.  J.  thut  hier 
den  Tragikern  Unrecht.  Zwischen  özofiaza  und  rcvkai  ist  immer 
noch  ein  ziemlicher  Unterschied.  Höchstens  hätte  er  sagen  kön- 
nen, dass  die  nvlat  der  Stadt  eben  ihre  özo^aza  bilden,  nicht 
sind.  Es  liegt  liier,  wie  oft  anderwärts,  nur  das  Streben  nach  ge- 
nauer Zeichnung  des  Einzelnen  zu  Grunde,  özojxa  ist,  wie  beim 
Menschen  die  Mund-,  so  die  Thor  Öffnung  der  Stadt.  Und 
wie  Li  vi  US  In  genauerer  Darlegung  ilinera  portarum  sagt,  wo 


Jacob:  Sophokles' Antigene.  129 

auch  das  einfache  poriae  ausgereicht  haben  würde,  in  gleichem 
Sinne  sagte  nun  auch  der  Tragiker  snTanvXov  örö^or,  die  sieben- 
thorige  OefFnung,  d.  h.  die  durch  sieben  Thore  gebildeten  Stadt- 
eingänge. 

Vs.  130  hat  Hr.  J.  mit  vollem  Rechte  die  Lesart  vTtSQO- 
uttBiag^  welche  alle  Chancen  in  diplomatischer  Hinsicht  für  sich  hat, 
wenn  man  die  Sache  genauer  erwägt,  in  den  Text  genommen;  doch 
mit  Unrecht  giebt  er  die  Worte  nicht  nur  ohne  Interpunction  also: 

XQvOov  xavaxrjg  VTiEQonzetag.^ 
sondern  bemerkt  dazu  ausdrücklich:  „die  letzten  Worte  bedeuten, 
nach  den  hier  angenommenen  Lesarten,  in  einer  allerdings  harten 
Wortfügung:  indem  er  sie  herankommen  sieht  in  vollem,  mächti- 
gem Strome  des  üebermuths  wegen  des  Geklirres  des  Goldes: 
voll  Trotz  auf  das  Goldgeschirr.'^  Er  hält  also  noch  immer  an 
der  Böckh'schen  Auffassungsweise  der  Worte  fest,  welche  dieser 
Gelehrte  wohl  schon  selbst  aufgegeben  hat.  Ein  Blick  in  des 
Rec.  Epistola  critica  cet.  p.  9  sq.  würde  ihn  wohl  überzeugt 
haben,  dass  alle  drei  Begriffe  xqvOov  xavax^S  VTisgoTttetag  paral- 
lel neben  einander  stehen  und  dass  zu  interpungiren  war  xQvöov^ 
aavccx^g^  VTisQOJirsiag  oder  wenigstens  die  Stelle  so  aufzufassen 
war,  dass  ein  Begriff  unabhängig  von  dem  andern  stehe.  Es  ist 
demnach  nicht  die  Rede  von  einem  vollen,  mächtigen  Strome  des 
üebermuths  wegen  des  Geklirres  des  Goldes,  sondern  vielmehr 
von  einem  Strome  von  Gold,  Geprassel  und  üebermuth,  indem 
das  erste  auf  den  äusseren  Glanz  des  Heeres,  das  zweite  auf  die 
Prahlerei  mit  Worten,  das  dritte  auf  das  überhobene  Wesen  geht. 
Damit  Niemand  die  Verbindung  Q^v^ia  XQ'^^ov  auffällig  finden 
möchte,  wiewohl  gar  nichts  Auffälliges  in  ihr  an  sich  liegt,  verglich 
Rec.  a.  a.  O.  Euripides'  Troad.  vs.  987  t?}v  0Qvyav  nokiv  %qv- 
0(p  geovöav  ^kniöag  naxaKXvöHV  öanavaiöL. 

Vs.  228  fgg.  lautet  das  Selbstgespräch,  was  der  Bote  unter- 
wegs angestellt  haben  will,  bei  Hrn.  J.  also: 

Tdkag^  xL  xciQS^gol  ^oXav  dcoöeig  dluriv; 
rkrj^cov^  ^svslg  av;  Ticcl  rccd'  s'lösxccl  Kqsov 
äXkov  TiQog  ccvÖQog ;  Jtag  <3v  örjt  ova  dXyvvsl', 
Die  Mehrzahl  der  Handschriften  bietet  jedoch  }id  raö'  eXöstat,^ 
Kqscov  'Ute.  und  da  leichter  tiü  in  'nai  als  umgekehrt  x«l  in  'kü 
verderbt  werden  konnte,  war  wohl  diese  Lesart  herzustellen ,  je- 
doch das  Fragezeichen  nach  dvÖQog  zu  lassen  und  also  wiederzu- 
geben :  „  Und  wenn  Kreon  dies  von  einem  andern  Mann  erfährt  ? 
Wie  wird  dir's  da  nicht  schlecht  ergehen?'' 

In  der  wegen  ihrer  Interpunction  von  jeher  streitigen  Stelle 
Vs.  233  fg. ,  wo  Hr.  J.  öol  zu  ^okslv  zieht ,  würden  wir  lieber 
schreiben : 

N.Jahrb,  f.  Phil.  u.  Päd.  od.  Krit.  Dibl.  lid.  LVHI,  Hft.  X  9 


J30  Griechische  Litteratur. 

Ttkog  ye  ^htoi  devQ  kviTct^öev  fioksiv. 

2Joi  K£i  to  ^jjÖEv  f^fpcS,  q)Qa6(o  d'  o^cog. 

Tr]g  ekniöog  yciQ  sy^^oftca  ötögay^evog 

TO  ^i]  ncc^tiv  äv  äklo  icXrjv  to  ^oqöl^ov. 
Der  Sinn  ist  mit  den  Worten:  Tskog  ys  fiBvtOL  ösvq'  avtKi^öBv  /lo- 
Xslv  abgeschlossen,  und  die  Worte:  2Jol  xh  ro  ^^]ölv  t^tgcj^ 
wQccöG)  Ö'  o^cog.  iniissen  schon  um  desswiilen  als  ein  selbstständi- 
gerer Redetheil  angesehen  werden,  weil  der  mit  yag  eingeführte 
Causalsatz  sich  weniger  auf  das  Hierherkommen ,  als  vielmehr  auf 
das  Sprechen  vor  dem  Herrscher  bezieht.  So  haben  auch  die 
alten  Erklärer  die  Stelle  aufgefasst:  ZoIkeI  t6  ^r]8ev  8^bqc5:  Kai 

H  ^riÖSV  ÖOi  TBQJCVÖV  ks^OJ*    7]  OVTCO'  il  X«t  TO  ^fjöev    ÖOL    ^skXcO 

ksysiv  Kui  yccQ  sk  tov  ditBiv  xat  öLyijöai  ovÖsv  ccXXo  kBiittTai 
t]  ^avKTcp  fi£  xok7]ö^^vaL.  'Axokovbov  öh  Kai  TO  e^rjg  öiavorj- 
fta  ■  IkTti^cj  yag  ort  ovölv  äkko  nccd^OL^i,  rj  rö  ^oqöl^ov,  aözs 
ovdh'  ^Oi  ^stpov  ccTtoßrjöBTai  8k  tov  eljiHv. 

Vs.  327  erklärt  Ilr.  J.  die  Worte:  'Akk'  avQa^Bir]  ^bv  ^dki6T\ 
nicht  ganz  entsprechend:  „ach,  fand'  er  sich  doch  gleich."'  Mehr 
entspricht  das  lateinische:  Sed  maxime  iriveniatiir.  Aehnlich  im 
Philoct.  617  OXoLTO  fxBv  ^dkiöd^  exovöiov  kaßav.  Eher  könnte 
man  im  Deutschen  sagen:  ^^Aber  möge  er  immerhin  gefunden 
werden}''  , 

Vs.  341  schreibt  Hr.  J.  nokavinv  statt  des  handschriftlich 
allein  beglaubigten  nokBvov.  Er  will  natürlich  von  dem  voraus- 
gehenden toOto  ganz  abgesehen  wissen  und  nach  den  Gedanken 
av%QCiTiog  ergänzt  haben.  Wir  glauben,  mit  Unrecht.  Die  Mög- 
lichkeit, dass  von  der  begonnenen  Construction  abgegangen  werden 
konnte,  ermächtigt  uns  noch  nicht  zu  der  Annahme,  dass  der  Dich- 
ter von  derselben  habe  abgehen  müssen.  Da  nun  aber  sämmtliche 
Handschriften  nokivov^  nicht  nokBv^v^  lesen  und  noch  dazu  der 
mit  rovro  eingeführte  Satz  erst  mit  Ablauf  der  ersten  Strophe 
seine  Vollendung  gewinnt,  so  ist  es  offenbar  eine  Schlimmbessc- 
rung ,  die  den  Sinn  der  Stelle  gewaltsam  zerreisst  und  das  Ver- 
ständnis« des  Zusammengehörigen  ohne  Noth  stört,  wenn  man 
nokBvav  schreibt,  in  der  Gegenstrophe  hat  der  Dichter  bei  den 
Worten  d^cpißakcov  äyBi  offenbar  schon  negicpQad^g  dvijg  im 
Sinne  und  das  Verhältniss  ist  dort  ein  ganz  anderes. 

Doch  wir  wollen  nicht  die  einzelnen  Stellen,  wo  uns  noch  das 
und  jenes  auszusetzen  zu  sein  scheint,  mit  unseren  Bemerkungen 
begleiten,  sondern  heben  nur  noch  einzelne  Punkte  hervor,  um 
unser  oben  gegebenes  Versprechen  zu  erfüllen.  In  dieser  Be- 
ziehung erwähnen  wir  noch  einer  Stelle,  wo  es  vielleicht  nicht  un- 
passend gewesen  wäre,  wenn  sich  Herr  J.  mit  einer  kurzen 
Erörterung  auf  die  Wortkritik  eingelassen  hätte.  Sie  steht  Vs. 
504  fg.,  wo  der  Hr.  Herausg.  nach  der  Vulgata  liest: 

Tovrotg  rouro  tcccölv  dvödvBLV 
kByoLT  «V,  sl  fiij  ykcjööav  Bynkalöoi  q)6ßog. 


Jacob:  Sophokles'  Antigene.  131 

Da  nun  aber  fast  alle  genauer  verglichenen  Handschriften,  Laur.a., 
Laur.  b.,  Laur.  c,  Aug.,  Paris.,  Dresd.  dvöavei  lesen ,  zum  Theil 
mit  dem  Glosseme  agköKU^  was  doch  ebenfalls  den  Indicativ 
schützt,  so  ist  es  wohl  keinem  Zweifel  unterworfen,  dass  hier  zu 
schreiben  sei : 

tovroig  tovTo  näöiv  avdctvev ' 

Xkyoit  ßV,  86  ^Yj  ylcoööav  syxXsLüoi,  q)ößog. 
Denn  nicht  blos  das  handschriftliche  Zeugniss,  mehr  noch  der 
Sinn  selbst  verlangt  die  Aufnahme  dieser  Lesart.  Zwar  erklärt 
Hr.  J.  in  der  Anmerkung:  „toi5rotg  U^oiz  äv:  vno  tovtcjv  näv- 
Twv  liyoix  äv  {kelsKTai  (xoi)  rovzo  avddvuv  (nämlich  ihnen 
allen)."  Doch  wie  verworren  so  die  ganze  Construction  sein 
würde,  sieht  er  gewiss  selbst  ein.  Dazu  kommt,  dass  der  Gedanke 
selbst  erlahmt,  wenn  gesagt  wird:  ,,Von  allen  diesen  würde  es 
ausgesprochen  werden,  dass  (ihnen  allen)  dies  gefalle,  wenn  nicht 
Furcht  die  Zunge  lähmte."  Wie  viel  schöner  zeigt  sich  der  Ge- 
danke, wie  weit  zuversichtlicher  und  der  inneren  Ueberzeugung 
der  Antigone  entsprechender,  wenn  diese  sagt:  „Allen  diesen  ge- 
fällt dies.  Man  würde  sprechen,  wenn  nicht  Furcht  die  Zunge 
lähmte."  Mit  vollem  Rechte  hat  ja  Hr.  J.  selbst  Vs.  473  dieselbe 
Sprachform  hergestellt: 

'Ak}\!  %6%L  rot,  T«  6}th]Q   äyctv  (pQovri^ata 

WO  man  früher  mit  dem  Infinitiv  nlTttSLV  das  Verhäitniss  gleicher- 
weise minder  kräftig  darlegen  liess. 

Wir  haben  bisher  ganz  absichtlich  die  schwierigsten  Stellen 
von  Sophokles'  Antigone  vermieden,  in  denen  im  Grossen  die  Frage 
entschieden  werden  muss,  ob  die  historische  Kritik  ihr  Feld  vor 
der  reinen  Willkür  der  Conjecturalkritik  einst  einmal  werde  schüt- 
zen können,  oder  ob  fort  und  fort  die  willkürlichsten  Luftgebilde 
sich  in  den  streitigen  Stellen  werden  festsetzen  und  im  unbestrit- 
tenen Besitze,  wenn  schon  im  steten  Wechsel,  werden  fortliausen 
können,  eine  Frage,  zu  deren  endlicher  Lösung  Rec.  in  der  er- 
wähnten Epistola  cj'itica  ad  G.  Hermann.  (Lipsiae,  E.  B.  Schwi- 
ckert  1840.  8.)  zu  seinem  Theile  glaubt  mit  gesprochen  zu  haben. 
Wir  wollen  jetzt  wenigstens  eine  Stelle  hier  mit  berühren,  die 
olFenbar  zu  den  schwierigsten  dieser  Tragödie  gehört,  aber  gleich- 
wohl nicht  von  der  Art  ist,  dass  man  für  alle  Zeiten  an  ihrer  Lö- 
sung verzweifeln  müsste.  Es  ist  die  Stelle,  welche  Hr.  J.  Vs.  604 
bis  Öl7  also,  wohl  meist  nach  der  Böckh'schen  Ausgabe,  geschrie- 
ben giebt: 

Tsav,  Zfii;,  dvvaöiv  xig  dvdQcov  vjtsgßaßla  xatdöxoh 

rdv  ovV  vTivog  cclqel  tco^'  6  navroyiJQCog, 

aKd^atoL  &SCOV  ov 

^fjvag '  dytJQG)  ös  XQova  dvvdovag 

Karex^ig  'O^vfinov  (xccgnaQoeööav  a'iyXav. 

z6  X  Bneiza  xal  rd  ^ekkov 

9* 


J^32  Griechische  Litteratur, 

ro^og  od\  ovölv  ^^qtccjv 
^vazcjv  ßLOTG)  Ttd^noXig  iKTog  ccrag.^ 
Worte,  welche,  wenigstens  nach  dem  Schliisse  der  Stroplic  hin, 
weder  der  handschriftlichen  Uebcriicferiing  entsprechen,  noch 
überhaupt  von  dem  Hrn.  Heraus^,  selbst  für  unverdorben  gehal- 
ten werden.  Wir  haben  die  Worte,  getreu  der  handschriftlichen 
Uebcrlieferung,  in  der  erwähnten  Epistola  c/itica  p.  12  sqq.  also 
wiedergeben  zu  müssen  geglaubt: 

jffav,  Zsu,  övvaöiv  zig  dvÖQCJV 

VTtBQßaöla  xazdö^OL', 
tciv  ovd^  vjtvog  (xtgsl  Ttod''  6  Tcavtoyi^QCjg 

ovz  ccKcc^atOL  ^£c5v 

fii]VBg^  dyrjQcp  öh  XQ^''^^  dvvdötag 

Tiazix^Lg  'OXv^nov 

^aQuagoaööav  aYyXav' 

z6  z   sjtELZtt  Kai  z6  ftsAAcv 

aal  ro  Jtglv  BTtaQKeöst' 

vöfiog  üö '  ovdlv  SQTieL 
d^vazav  ßiota  ndiinoXig  kxzog  azug. 
und  glauben  auch,  weit  entfernt  übrigens  von  dem  Wahne,  be- 
haupten zu  wollen,  dass  jede  Silbeso  von  Sophokles,  wie  die  Hand- 
schriften überliefert  haben,  geschrieben  worden  sei,  dass  die  Stelle 
so  einen  guten  Sinn  gebe.  Betrachten  wir  nun  das  Einzelne,  so 
sehen  wir,  dassllr.  J  über  die  Worte  bis  zu  xcczdöxoi  mit  uns  über- 
einstimmt, indem  er  sowohl  den  Dativ  vjisgßaöla^  wofür  Andere 
VTtegßaOia  lasen,  als  auch  den  Optativ  xazäöxoi  aufnahm,  wofür 
Einige  mit  geringer  handschriftlicher  Auctorität  und  offenbar  ge- 
gen den  Sinn,  wie  llec.  a.  a.  0.  p.  iu  sq.  ausführlicher  gezeigt  hat, 
xazä6x\]  schreiben  wollten.  Er  setzt  sodann  nach  xaraöjijot  ein 
blosses  Komma,  wodurch  er,  wie  der  Sinn  es  verlangt,  das  Folgende 
näher  heranziehen  will.  Reo.  setzt  nach  KazdöxoL  das  Frage- 
zeichen, nicht  aber  in  der  Absicht,  um  das  Folgende  von  dem  Vor- 
hergehenden abzutrennen  —  denn  auch  Rec.  nimmt  eine  engere 
Verbindung  zwischen  beiden  Satzgliedern  an  — ,  sondern  nur,  um 
das  längere  Anhängsel  an  jenes  Frageglied  sodann  nicht  unpassend 
zu  zerreissen,  setzte  er  das  Fragezeichen  hier  ein  und  lässt  nun 
als  erläuternden  Zusatz  zu  jener  Frage  die  Worte  folgen:  zdv 
oiJO"'  VTivog  algsl  —  aiykav.  In  diesen  Worten  glaubte  aber  Rec. 
nach  ^ijieg  nur  mit  einem  Komma  interpungiren  zu  dürfen,  da  die 
darauf  folgenden  Worte,  wenn  sie  auch  scheinbar  aus  der  Relativ- 
construction  heraustreten,  doch  im  Grunde  nur  als  ein  Theil  des 
Relativsatzes  angesehen  werden  köntien,  indem  sie  affirmativ  das 
geben,  was  der  erste  Theil  nur  negativ  aussprach.  Nach  aiykav 
aber  dürfte,  wenn  wir  die  vorausgehenden  Worte  so  fassen,  wie 
der  Sinn  der  Stelle  es  erfordert,  nicht  voll  interpungirt  werden,  da 
nun  mit  den  folgenden  Worten  die  Antwort  auf  die  mit  den  Worten 


Jacob:  Sophokles' Antigone.  133 

Teccv^  Zsv^  dvvaöLV  xlg  dvdgcov  vTtBQßaöca  xatdöxoi',  g:e\visser- 
niaassen  erst  gegeben  wird : 

T6  X  snELxa  Tcal  x6  fisklov 

•naX  x6  ngXv  eTtccQKEöei^ 
die  sodann  aber  von  den  folgenden  Worten  ro^og  oö'oiJ6^i^  hxe.  ab- 
zutrennenwaren, und,  wie  schon  der  Glossograph  im  Cod.  Livineii  V. 
gezeigt  hat,  wenn  er  zu  tTtaQXSßti  schrieb :  rjyovv  ÖLafjLBvsi  7}  6ij 
övTa^ig^  ihr  Subject  aus  dem  vorausgegangenen  dvvaöLi'  zu  ent- 
lehnen haben.  Fassen  wir  so  die  Worte  auf,  so  gewinnen  wir  nun 
ferner  für  den  letzten  Theii  der  Strophe  eine,  ihr  sowohl  in 
äusserer  grammatischer  Hinsicht  als  auch  nach  ihrem  Sinne  noth- 
wendige  Selbstständigkeit.  Denn  wir  können  nun  die  handsclirift* 
lieh  allein  beglaubigte  und  auch  den  Sinn  der  Stelle  selbst  allein 
rettende  Lesart  beibehalten: 

voiiog  öd*  ovdlv  eqtch 

^vavcDV  ßioTG)  TKx^TioXig  gxTog  axag. 
Denn  egnov^  wie  der  Hr.  Herausg.  schrieb,  ist  diplomatisch  nicht 
beglaubigt,  wie  Rec.  a.  a.  0.  p.  15  gezeigt  hat,  und  TtCiixnoXig^  so 
wie  alle  einzelnen  Wörter,  werden  von  allen  Handschriften,  so  wie 
von  den  alten  Erklärern  einmüthig  geschützt.  Alle  alten  Erklärer 
nehmen  auch  so,  wie  wir,  diese  letzten  Worte  für  sich  ,  und  stim- 
men in  der  Erklärung  überein ,  indem  sie  in  die  Worte  folgenden 
Sinn  legen:  Dieses  Gesetz,  was  dem  Zeus  gilt,  ist 
n  i  c  h  t  a  n  z  u  w  e  n  d  e  n  a  u  f  d  i  e  M  e  n  s  c  h  e  n  ,  i  n  keinem  S  t  a  a- 
te,sodasssie  ohne  Unheil  blieben.  So  der  Scholiast: 
Nö^og  od'  ovdlv  egmc:  Ovöslg^  cprjötv,  böxl  vo^uog  Iv  Ttd- 
Caig  xcdg  tzoXsölv^  cdötb  cpBvyBLV  xovg  dvd^gcoTCovg  x6  övfxßrjöo- 
^Bvor.  ^'H  ovTCog'  ovöiig  bötl  v6[iog,  og  övvaxaL  xcov  ijör]  t£- 
Ablcj&bvtcov  TcaKcöv  jzQOöäyBLV  ßo^QEiav.  ^'H  ovxag'  6  8b  vofiog 
6  Ttdvxcov  xcov  di^QCüTtcJV  KOLvög  xovxo  B%Bi^  ^rjdeva  ^rjv  olvbv 
XvTirjg.  —  Und  das  Ganze  zusammenfassend:  "^0  Aoyog'  6v  (jibv^ 
c3  Zsu,  dyrJQcog  xe  xal  övvdöXTjg  Big  dnavxa  xov  %q6vov  bl'  ?} 
ÖB  xc5v  dv^QcoTicov  nolixiia  ovöbtcoxb  xcoQ\g  Ttaxcov  sOtlv.  Und 
sehr  richtig  auch Triclinius:  To  vo^og  od'  ovölv  BQTtBi  ovxo 
vosi.  ^'08b  6  vöfiog,  6V  snl  xrjg  dgx^g  xov  ^log  B(paptBv^  ovÖbv 
•aal  ovda^cQg  bqtibl  hol  (psgBxai  nd^LTtoXig  Kai  nayKoö^Log 
Toj  ßlcp  xcov  ^VT^xav  dxBQ  zal  xoglg  dxrjg'  xovxbötlv^  o  jibqi 
xc5v  Q^BCQV  B(pay.Bv  i  ovk  böxi  nBQi  dvd'QcoTicjv  bItcblv.  ßAA'  ol  ^Iv 
dna^Big  aal  dcpd'agxoi ,  ot  dh  dv^ganoL  ^vTqxoX  xal  na^rjxiKoi. 
Wir  bemerken  nur  noch,  dass  Hr.  J.  gewiss  ohne  Grund  an  der  Be- 
zeichnung der  Gegenwart,  als  XQ^^'^S  BVBöxcSg^  durch  rö  btiblxu 
gezweifelt  hat;  der  sonstige  Sprachgebrauch  der  Griechen,  den 
schon  die  von  den  Herausgebern  beigebrachte  Stelle  aus  Euripides 
Iphig.  Taur.  1263  xd  xb  ngäxa  xd  x  hiBi%\  d  x  bixbIXb  xvxbIv. 
hinlänglich  erweiset,  hätte  ihn  von  diesem  Argwohne  zurückhalten 
sollen.  Zur  Vergegenwärtigung  des  Sinnes  und  Zusammenhanges 
der  ganzen    Stelle    geben   wir  nun  noch  die   Uebersetzung  der 


134  Griechische  Litteratur. 

ganzen  Stelle,  wie  wir  sie  in  der  Eyistola  crilica  a.  a.  0.  ver- 
sucht: Tiiam^  Juppiter  ^  potentiarn  quis  hominum  insolentid  suci 
cocrceat  ?  quam  iieque  somnus  capit  unquam^  qiii  omnia  ad  se- 
iiium  ducit^  neque  deorum  meiises  non  faiigati^  quaque  non 
seiiescente  aevo  rex  tenes  Olympi  micaiitem  splendorem :  adprae- 
seris  [itistafis)^  ad  futurum,  ad  praelerilum  tempus  valebit  (po- 
ientia  tua).  Haec  lex  non  valet  in  hominum  vita  per  cunctas 
civitates  sine  calamitate. 

Es  würde  uns  zu  weit  fiihren,  wollten  wir  den  Herrn  Verf. 
noch  weiter  bei  der.  wir  wiederholen  es,  in  so  vielen  Stellen  treff- 
lich gelungenen ,  Erklärung  des  Sophokleischen  Stückes  begleiten 
und  hier  und  da  unsere  abweichenden  Ansichten  geltend  machen. 
Wir  haben  uns  ohnediess  von  der  Liebe  zum  Gegenstande  selbst 
weiter  mit  fortreissen  lassen,  als  wir  uns  anfänglich  vorgenommen, 
und  aus  dem  Grunde  wollen  wir.  vor  der  Hand  wenigstens,  auch 
unserem  Vorsatze,  in  Bezug  auf  einige  von  dem  Hrn.  Herausgeber 
als  unächt  bezeichnete  Stellen  der  Antigone  unsere  entgegenge- 
setzten Ansichten  geltend  zu  machen,  untreu  werden,  da  der  Ge- 
genstand selbst  und  die  Wichtigkeit  der  Sache  eine  tiefere  Be- 
gründung erfordert,  und  ein  näheres  Eingehen  auf  diese  Streitfragen 
uns  wahrscheinlich  dieGrenzen einer  Recension  überschreiten  lassen 
würde.  Wir  werden  aber  gewiss  den  Gegenstand  bei  nächster  Ge- 
legenheit wieder  aufnehmen  und  unsere  Ansichten  ausführlicher 
zu  begründen  suchen.  Schliesslich  bemerken  wir  noch,  dass  der 
Herr  Verf.  allerdings,  so  wie  wir  oben  andeuteten,  die  Person  des 
Wächters  in  einer  Anmerkung  zu  V.  221  charakterisirt  hat,  dass 
wir  also  das,  was  wir  bei  der  allgemeinen  Personencharakteristik 
vermisst,  dort  ergänzt  finden  und  in  solcher  Beziehung  wenigstens 
unseren  Tadel  zurücknehmen  müssen.  Die  äussere  Ausstattung 
des  Buches  ist  sehr  gut,  der  Druck  bis  auf  nicht  seltene  Accent- 
fehler  ziemlich  correct,  und  also  auch  in  dieser  Hinsicht  die 
Ausgabe  sehr  empfehlenswerth. 


Xeiiophons  Anahasis.      Erklärt    von   Dr.   F.  K.   Hertlein.       Leipzig, 
Weidmann'sche  Buchhandlung.  1849. 

„Es  kann  sehr  gewagt  scheinen,  mit  einer  neuen  Schulausgabe 
der  Anabasis  neben  der  anerkannt  vortrefflichen  Arbeit  Krügers 
hervorzutreten,  und  ich  habe  mir  das  Bedenkliche  dieses  Unter- 
nehmens nicht  verhehlt.^'  Mit  diesen  Worten  beginnt  das  Vorwort 
des  Herausgebers,  und  er  glaubt  sein  Unternehmen  erstens  dadurch 
gerechtfertigt,  dass  in  einer  Sammlung  von  Ausgaben  der  alten 
Classiker  für  den  Gebrauch  der  Schüler  schon  der  Vollständigkeit 
wegen  Xenophons  Anabasis  nicht  fehlen  dürfe ,  ferner  dadurch, 


Heitlein:  Xenophons  Anabasis.  135 

dass  dieser  Sammlung  ein  in  mehrfacher  Beziehung  anderer  Plan 
zu  Grunde  liege  als  der  Arbeit  von  Krüger,  und  endlich  dadurch, 
dass  die  Krüger'sche  Ausgabe  nur  auf  solchen  Anstalten  gebraucht 
werden  könne,  an  welchen  die  griechische  Grammatik  dieses  Ge- 
lehrten eingeführt  sei.  Die  beiden  letzten  Gründe  erkennt  Ref. 
vollkommen  an.  Bei  aller  Vortrefflichkeit  der  Krüger'schen  Aus- 
gabe, die  sich  eben  so  durch  den  reichen  und  gediegenen  Inhalt 
der  Anmerkungen  vor  allen  anderen  Bearbeitungen  der  Anabasia 
auszeichnet,  wie  sie  durch  die  zweckmässige  Methode  in  der  Er- 
klärung tonangebend  geworden  ist,  wird  docli  der  Nutzen  ihres 
Gebrauchs  für  Viele  dadurch  bedeutend  geschmälert,  dass  die 
sprachliche  Erklärung  zum  grössten  Theile  in  blosser  Verweisung 
auf  die  Krüger'sche  Grammatik  besteht,  deren  Einführung  in  die 
Schule,  namentlich  in  die  mittleren  Classen,  durch  ihre  bekannte 
Einrichtung  und  den  oft  nicht  leicht  verständlichen  Ausdruck  sehr 
erschwert  ist.  Dann  aber  beruht  auch  seine  Arbeit  auf  einer  we- 
sentlich anderen  Voraussetzung  und  sie  verfolgt  theilweise  ein  an- 
deres Ziel,  als  es  bei  der  „Sammlung,*^*"  von  der  H. 's  Ausgabe  einen 
Theil  bildet,  der  Fall  ist.  Worin  diese  Voraussetzung  besteht  und 
welches  dieses  Ziel  ist,  wird  sich  weiter  unten  ergeben.  Hier  möge 
im  Voraus  nur  die  Bemerkung  Platz  finden,  dass  Ref.  die  Ausgabe 
von  H.  für  nicht  weniger  berechtigt  und  in  ihrer  Art  für  nicht  we- 
niger mustergültig  hält  als  die  von  Krüger.  Den  Nachweis  dafür 
glaubt  er  am  besten  zu  liefern,  wenn  er  die  Beurtheilung  der  er- 
steren  aus  einem  Vergleich  mit  der  letzteren,  deren  Werth  bereits 
feststeht,  hervorgehen  lässt. 

Zuerst  hat  vorliegende  Ausgabe  vor  der  von  Kr.  eine  recht 
zweckmässige  Einleitung  voraus,  die  die  Lebensverhältnisse  Xeno- 
phons  bespricht,  dann  nach  einer  bündigen  Schilderung  seines  Cha- 
raliters  seine  Schriften  aufzählt  und  mit  einigen  auch  ins  Ein- 
zelne gehenden  Zügen  des  Schriftstellers  Sprache  und  Darstellung 
schildert.  Darauf  werden  die  Hellenica  und  die  Anabasis  nach 
Inhalt  und  Werth  einer  kurzen  Beurtheilung  unterworfen  und  zu- 
letzt geschieht  einiger  Quellen  Erwähnung,  die  bei  Abfassung  der 
Anabasis  benutzt  sein  können.  Alles  dies  wird  auf  zwölf  Seiten 
gegeben,  natürlich  mit  vorzugsweiser  Benutzung  der  beiden  Krü- 
ger'schen Schriften  de  Xenophontis  vita  und  de  authentia  et  inte- 
gritate  Anabaseos  Xenophonteae,  doch  in  einer  der  Fassungskraft 
des  Schülers  durchaus  angemessenen  Form  und  mit  richtiger  Be- 
schränkung bei  der  Breite  des  Stoifes,  Nach  beendigter  Leetüre 
wird  diese  Einleitung  sehr  geeignet  sein,  den  Verfasser  der  Ana- 
basis nach  seinen  Erlebnissen,  seinem  sittlichen  Werth  und  seiner 
Bildung  dem  Leser  in  einem  lebendigen  Gesammtbilde  noch  ein- 
mal vor  die  Seele  zu  führen. 

Gehen  wir  zur  Beschaffenheit  des  Textes  über,  so  bemerkt 
darüber  H.,  er  sei  im  Ganzen  derselbe  wie  in  der  Stereotypausgabe 
von  L.  Dindorf ;  doch  habe  er  sich  hier  und  da  Veränderungen  er- 


1^36  Griechische  Litteratur. 

laiibt,  wie  er  sie  für  eine  Schulausgabe,  bei  welcher  es  hauptsäch- 
lich auf  eiuen  lesbaren  Text  ankomme,  zweckmässig  erachtete; 
hoffcntlicli  werde  man  ihm  aber  nicht  vorwerfen,  er  sei  darin  zum 
Nachtheile  der  handschriftlichen  Beglaubigung  zu  weit  gegangen. 
Der  Herausgeber  ist  vom  Dindorf'schen  Texte  weit  öfter  abgewi- 
chen ,  als  es  seine  Aeusserung  darüber  verrouthen  lässt.  Er  hat 
dies  aber  mit  solcher  Umsicht  gethan  und  mit  so  richtiger  Wür- 
digung des  vorhandenen  kritischen  Apparats,  dass  in  der  Bildung 
des  Textes  —  wie  es  bei  der  gründlichen  Kenntniss  desXcnophon- 
teischen  Sprachgebrauchs  und  der  besonnenen  Kritik,  wie  er  sie  in 
seinen  Observationes  criticae  in  Xenophontis  Historiam  Graecam 
und  anderswo  documentirt  hat,  von  ihm  nicht  anders  zu  erwarten 
stand  —  durch  ihn  sogar  ein  nicht  unerheblicher  Fortschritt  ge- 
schehen ist.  Die  Wichtigkeit  der  Sache  veranlasst  uns  daher  um 
so  mehr  zu  näherer  Besprechung  des  Textes ,  als  die  Behandlung 
desselben  auch  für  den  Werth  einer  Schulausgabe  von  grosser  Be- 
deutung ist. 

Die  Ansichten  der  Kritiker  über  den  Werth  der  Codices,  wel- 
che die  Anabasis  enthalten,  stimmen  im  Ganzen  darin  überein,  dass 
sie  den  Vatic.  987  (H.)  und   den  Paris.  1641  (F.)  am   liöchste» 
stellen,  rait  dem  sie  die  Pariss.  2535  (D.)  und  1640  (E.)  zu  einer 
Familie  rechnen;  ebenso  darin,  dass  sie  den  Guelferb.,  die  Pariss. 
1950  (B.)  und  1635  (C.)  und  die  Vaticc.  1335  (A),  143  (K.),  96 
(L.)  und  990  (J.)  eine  zweite  Familie  bilden  lassen,  die  von  weit 
geringerem  Werthe  ist  als  die  erstere.     Nur  über  den  Etonensis, 
die  Varianten  des  Brodaeus,  Stephanus  und  Yilloison  und  die  we- 
nigen Lesarten,  die  Gail  aus  einem  cod.  Y.  giebt,  lautet  das  Ur- 
tlieil  verschieden.     Während  Dindorf  (in  der  grösseren  Ausgabe) 
den  Eton.  zwischen  beiden  Familien  in  die  Mitte  stellt  und  diesem 
Platz  entsprechend  auch  seinen  Werth  bestimmt,  setzen  ihn  Bor- 
nemann und  Krüger  den  besten  Handschriften  gleich,  ja  Letzterer 
sogar  an  ihre  Spitze.     Brod.,  Steph.,  Vill.  und  cod.  Y.  zählt  Kr. 
zur  ersten  Familie,   Dind.  zur  zweiten.    Hiernach  hat  sich  nun  bei 
den  verschiedenen  Herausgebern  der  Text  auch  verschieden  ge- 
staltet, und  zwar  in  der  Weise,  dass  Dind.  fast  durchgehend  die 
Autorität  von  H.  und  F.  über  die  aller  übrigen  Handschriften  stellt, 
Kr.  aber  daneben  den  letzteren,  besonders  denen,  die  er  zur  ersten 
Familie  rechnet,  bedeutende  Geltung  einräumt,  worin  ihm  Born. 
und  Poppo,  obwohl  sie  in  den  meisten  Fällen  rait  Dind.  überein- 
stimmen, vielfach  vorangegangen,  resp.  gefolgt  sind.     Es  handelt 
sich  hier,  um  eben  so  wohl  Kr.  als  Dind.  gerecht  zu  werden,  um 
zwei  Fragen:  erstens,  ob  die  codd.  H.  F.  (mit  denen  D.  E.  fast 
durchaus   übereinstimmen    und  von   denen  übrigens  der    letztere 
sehr  unvollständig  verglichen  ist)  wirklich  von  solcher  Güte  sind, 
dass  ihre  Lesart  —    ceteris  paribus  —   der  aller  übrigen  Hand- 
schriften vorzuziehen  ist;  zweitens,  ob  sich  nicht  auch  in  den  codd. 
H.  F.  Lesarten  finden,  die  man  für  willkürliche  Aenderungen  der 


Hertlein:  Xenophons  Anabasis.  •      137 

Abschreiber  halten  raiiss.  —  Ref.  weiss  nicht,  ob  diese  Fragen, 
die  in  den  erwähnten  Ausgaben  wenigstens  unerörtert  geblieben 
sind,  irgendwo  schon  genügend  beantwortet  wurden;  er,  für  seinen 
Tlieil,  glaubt  sie  beide  bejahen  zu  müssen.  Was  den  ersten  Punct 
anlangt,  so  finden  sich  in  sieben  Capiteln  unter  sechzig  Stellen,  an 
denen  der  Text  bei  Dind.,  Kr.  und  Hertlein  differirt,  39,  wo  F. 
H.  für  sich  allein,  oder  nur  mit  cod.  Eton.,  45,  an  denen  sie  mit 
noch  andern  codd,  das  geben,  was  sich  aus  kritischen  Gründen 
mehr  empfiehlt,  oder  was  wenigstens  nicht  schlechter  ist  als  die 
Lesart  der  übrigen  Handschriften:  ein  Verhaltniss,  das  gewiss 
sehr  zu  Gunsten  der  beiden  codd.  spricht.  Das  JNähere  darüber 
wird  sich  im  Folgenden  ergeben.  Die  andere  Frage  erledigt  sich 
schon  bei  einer  Prüfung  weniger  Capitel : 

III.  3,  15  ist  die  Vulgata:  ötav  öh  avtovg  ölcohco^bv^  noXv 
fiav  ov%  otov  T£  i&qLov  dno  xov  özQaxsv^atog  öicjueiv^  oklyov 
08'  ev&a  ovo'  d  ra^vg  dr]  Jtf^og  izat^ov  av  öicoxcov  TcaraXdßoc  Ik 
TO^ov  Qv^axog,  eine  Stelle,  in  der  man  an  oXiyov  öe  Anstoss  neh- 
men kann ,  wenn  man  diese  pleonastische  Redeweise  nicht  kennt, 
oder  sie  hier  für  ungehörig  hält,  und  wo  man  gWa,  das  den  Sinn: 
SV  oXlyG)  hat,  nicht  recht  verständlich  finden  kann.  Beides  ist 
aber  entschieden  nicht  gegen  den  Sprachgebrauch,  und  namentlich 
ist  jener  Pleonasmus  als  auch  den  Prosaikern  nicht  fremd  von  Kr. 
nachgewiesen.  Die  Lesart  Ölcokcov^  bv  6Xiy(p  dl  ovd\  die  sich 
ausser  in  D.  Eton.  Steph.  raarg.  auch  in  H.  F.  findet,  ist  daher  um 
so  gewisser  als  eine  spätere  Aenderung  anzusehen,  die  durch  ein 
zur  Erklärung  von  sv^cc  an  den  Rand  geschriebenes  ev  oXiycp  ent- 
standen ist,  als  man  schwer  begreift,  wie  aus  ev  oliyco  —  okiyov 
entstehen,  und  noch  schwerer,  wie  ein  nicht  ursprüngliches  Bv^a 
in  den  Text  kommen  konnte.  Born,  sucht  dies  dadurch  wahr- 
scheinlich zu  machen,  dass  er  ein  nach  der  vorhergehenden  Silbe 
sehr  mögliches  Ausfallen  der  Präp.  Iv  annimmt,  worauf  dann  6X1- 
yov  nöthig  geworden  und  nach  dieser  Aenderung  das  Einschieben 
von  Bv^a  veranlasst  worden  sei.  Diese  Erklärung  scheint  aber 
ganz  unzulänglich,  da  es  doch  weit  näher  lag,  das  etwa  ausgefallene 
hv  vor  okiycp  wiederherzustellen  (zumal  da  es  wegen  der  vorher- 
gehenden Silbe  augenblicklich  als  ausgefallen  erkannt  werden 
musste),  als  eine  so  umständliche  Aenderung  vorzunehmen. 

IV.  4,  1.  Die  Wortstelhing:  'Etih  8b  ddßtjöav,  d^Kpl  ^böov 
fj^egag  övvxa^ä^BVOL  STtoQBv^i^öav  öid  tilg  'JQfiBvlag  Ttedlov  ist 
in  H.  F.  dahin  geändert,  dass  övvta^d^BvoL  vor  a^g?t  steht,  offen- 
bar, well  man  die  Zeitbestimmung  neben  dem  verb.  finit.  haben 
wollte,  zu  dem  sie  gehört.  Durch  die  gewähltere  Wortstellung 
der  Vulg.  wird  övvxa^.  als  dem  Wesen  nach  mit  i7toQBv&r]6av 
eng  zusammengehörend  bezeichnet. 

IV.  4,  11.  xal  xd  vno^vyia  övvBJiBÖrjöBv  jJ  xicjv.  Das  Wort 
övvBnBÖfjöB  bezeichnet  die  Sache  ganz  richtig;  doch  wird  der 
Ausdruck  nocli  gegenständlicher  und  bildlicher  durch  övvbtioöiöb, 


138  Griechische  LitteiaUir. 

das  cod.  11.  bietet  und  durch  Corr.  cod.  J.  Darum  ist  es  undenk- 
bar, dass  övvBTtoötöB^  wenn  es  dasUrsprünglicIie  war,  durch  övv- 
ensÖJjös  verdrängt  werden  konnte.  Dass  aber  ein  Zufall  das  Letz- 
tere entstellen  Hess,  ist  ebenso  unwahrsctieinlich  als  die  Absicht- 
lichkeit der  \  crbcsserung  in  ersterera  evident  ist. 

IV^.  4.  22.  BTCH  df  BnvdovTO  tavzcc  — •,  ooxei  aurotg  vcTtiS- 
vai  —  ^fiTLS  ejtl^BöLg  yevoLTO  rolg  xarakeXsLUfiBvoig.  Das  Prä- 
sens doxBi  ist  gerechtfertigt  durch  I.  1,  3  und  die  dort  von  Kr. 
angefülirten  Stellen.  Doch  lag  es  nahe,  dafür  bÖokbl  zu  schreiben, 
und  dies  findet  sich  in  II.  F.  D. 

V.  1,  8.  Hier  lassen  \l.  F.  in  den  Worten  nal  ßoT]^fj6ai  rt- 
öiv  av  xaiQog  y  —  äv  weg  und  haben  xav  für  xal  und  bringen  so 
die  Conjunction  äv  an  die  Stelle,  wo  man  sie  zunächst  erwartet. 
Wäre  xäv  wirklich  von  Xen.  geschrieben,  so  wiirde  man,  naclidem 
es  in  xcd  verwandelt  war,  die  Conj.  äv  willkiirlich  gewiss  nicht  hin- 
ter TiöLV  gesetzt  haben. 

V.  1,  9  hat  F.  TjTTOv  äv  övvciLvro  ijuag  ^tjqccv  ol  nolBßioi 
sfatt  der  vulg.  Wortstellung  ^rrov  övvaivz  äv  tj.  %.  ol  it.  Wenn 
die  Stellung  von  äv  hinter  i]tzov  die  echte  ist,  so  begreift  man 
nicht,  wie  die  Part,  in  den  anderen  codd.  hinter  bvvaivzo  kommen 
konnte.  Am  einfachsten  ist  die  Annahme,  der  Schreiber  von  cod. 
F.  oder  ein  früherer  Abschreiber  fand  äv  nicht  vor,  wie  es  auch 
wirklich  in  11.  fehlt,  und  setzte  es  so,  wie  es  die  gewöhnliche  Wort- 
stellung mit  sich  bringt. 

VlI.  5,  2  geben  II.  F.  bkbXbvs  statt  bub^bvös^  weil  im  Folgen- 
den das  Imperf.  vorkommt  und  der  Stelle  angemessener  zu  sein 
scheint. 

VII.  5,  5  lassen  H.  F.  Y.  in  den  Worten  bl  f^iij  y  akXog  b8v- 
va  die  Part,  yl  weg,  die  schwerlich  in  den  Text  eingeschwärzt 
worden  ht. 

VII.  5,  11.  'Evtbv^bv  6  ZBv^rjg  IkoidogBL  tov  'HQaxlBidrjv^ 
vTL  ov  TcagaKaXal  nal  ^Bvoq)covTi.  In  IL  F.  findet  sich  itags- 
TcäkBt. 

Diese  aus  nur  vier  Capiteln  entlehnten  Beispiele  werden  zur 
Genüge  darthun,  dass  auch  die  besten  codd.  der  Anabasis  von 
Spuren  einer  willkürlich  bessernden  Hand  keineswegs  frei  sind. 
Steht  dies  nun  einerseits  fest,  so  wie  es  doch  andererseits  auch 
N\ieder  ausgemacht  ist,  dass  die  codd.  H.  F.  weit  vorzüglicher  sind 
als  alle  übrigen,  so  ergeben  sich  als  nothwendige  Grundsätze  für  die 
Behandlung  des  Textes  folgende:  Die  codd.  IL  F.  -  so  lange  sich 
nicht  etwa  erweisen  lässt.  dass  sie  die  übrigen  Handschriften  an 
Alter  erheblich  übertreffen  —  haben  auf  absolute  Bevorzugung 
nur  da  Anspruch,  wo  sich  die  beiderseitigen  Lesarten  in  gleichem 
Maasse  empfehlen;  in  allen  übrigen  Fällen  hat  man  sich  für  die 
Lesart  zu  entscheiden,  die  am  meisten  das  Gepräge  der  ürsprüng- 
lichkeit  trägt,  mag  sie  sich  in  IL  F.  oder  in  A.  B.  Eton.  Guelf.  J. 
K.  L.  Y.  finden.     Ist  dies  die  Richtschnur,  nach  der  man  beiCou- 


Hertlein:  Xenophons  Anabasis,  139 

stituiriing  des  Textes  za  Terfahren  hat  _,  dann  kann  man  in  vielen 
Fällen  Dind.  nicht  beistimmen,  wo  er  den  codd.  H.  F.  den  Vorzug; 
giebt,  obwohl  die  Lesart  der  anderen  Handschriften-Familie  sich 
als  die  ursprünglichere  darstellt;  Kr.  aber  rauss  man  den  Vorwurf 
machen,  dass  er  noch  öfter  den  entgegengesetzten  Fehler  began- 
gen hat,  dass  er  nämlich  dte  Lesart  der  besten  codd.  verschmähte, 
wo  diese  sich  ebenso  sehr,  oder  noch  mehr  als  die  der  übrigen 
mss.  empfiehlt. 

Koramen  wir  nun,  nachdem  wir  über  die  Schätzung  der  Hand- 
schriften das  Nöthige  vorausgeschickt  haben,  zu  der  Frage,  wie 
sich  in  dieser  Beziehung  H.  bei  Behandlung  des  Textes  verhalten 
hat,  so  sieht  man  zunächst  nicht  recht  ein,  warum  er  sagt,  er  habe 
den  Text  von  Dind.'s  Stereotypausgabe  zu  Grunde  gelegt.  Denn 
wenn  dies  auch  von  Hause  aus  geschehen  ist,  so  hat  er  doch  so 
viel  aus  der  kritischen  Ausgabe  dieses  Gelehrten  aufgenommen, 
dass  sein  Text  vielmehr  mit  letzterer  übereinstimmt  als  mit  erste- 
rer.  Auch  hat  er  daran  ganz  recht  gethan ,  da  jene  eine  im  Gan- 
zen mit  richtiger  Consequenz  durchgeführte  Kritik  voraus  hat, 
ohne  dass  sich  diese  etwa  durch  eine  besonders  bemerkbare  Be- 
rücksichtigung des  Schulbedürfnisses  dem  Zwecke  des  Flerausge- 
bers  vor  jener  empfahl.  Die  Grundsätze,  die  wir  als  solche  be- 
zeichneten, die  bei  einer  Revision  des  Textes  die  maassgebenden 
sein  mussten,  finden  wir  bei  ihm  in  noch  riclitigerem  Maasse  ange- 
wendet als  bei  seinen  Vorgängern.  Namentlich  unterscheidet  sich 
sein  Text  in  dieser  Beziehung  am  meisten  von  dem  Kr.'s,  der  sich 
bei  Abfassung  der  Schulausgabe  nur  sehr  selten  bewogen  gefunden 
hat,  von  dem  abzugehen,  was  er  in  seiner  grösseren  Ausgabe  fest- 
gestellt hatte.  Zum  Belege  des  Gesagten  möge  hier  eine  Reihe 
von  Stellen  folgen,  an  denen  wir  H.,  Kr.  gegenüber,  Recht 
geben: 

L  1,  1.  H.  schreibt  eßovlsTo  —  TtuQUvai  mit  den  codd.  — 
Kr.  IßovXsTO  OL  —  Ttagslvat  nur  mit  Aristides  (der  aber  an  einer 
andern  Stelle  auch  eßovketo  avra  anführt)  und  Born. 

I.  1,5.  H.  schreibt  oörig  d'  dcpLKVsiTO  mit  H.F.  D.E.  Poppo, 
Born.  Dind.  L  II.  (so  bezeichnen  wir  Dind.'s  Stereotyp-  nnd  seine 
grössere  Ausgabe)  —  Kr.  mit  Eton.  A.  B.  J.  K.  dq)iKvoLto.  Wel- 
ches das  Urspriinglichere  sein  mag,  lässt  sich  nicht  bestimmen; 
daher  müssen  die  guten  codd.  entscheiden.  Das  Gleiche  gilt  von 
allen  anderen  Fällen  der  Art. 

I.  1,  ().  H.  cc(p8ör7j7i80av  mit  H.  F.  E.  D.  Y.  Vill.  Steph. 
Poppo,  Born.  Dind.  I.  II.  —  Kr.  dneöTrjöav  mit  den  übrigen  codd. 

l.  1,  8.  H.  ot  mit  Dind.  I.  II.,  was  der  Gegensatz  zu  TiCöa- 
(pSQvrjv  verlangt  —  Kr.  mit  Poppo,  Born.  oL  Gr.  Gr.  §.  51.  2, 
Anm.  4  sagt  er,  nicht  ot,  sondern  öo^i]vaL  sei  zu  betonen;  aus 
dem  einfachen  Zusammenhange  ergiebt  sich  das  Gegentheil. 

i.  1,  9.     H.  KUaQxog  Aaxsdat;u6viog  cpvydg  yjv  mit  H,  F.  E. 


140  Griechische  Litteiütur. 

Poppo,  Born.  Dintl.  I.  II.   —  Kr.  setzt  mit  Vill    Aid.  und  Aristid. 
gjr,  das  in  den  i'ibrigen  codd.  ganz  fehlt,  hinter  KkeuQXog. 

Ebend.     H.  vnfQ  'EKh']6noviov  olkovöl  mit  den  codd.  und 
edd.  —  Kr.  VTIBQ  "^EkkrjöTtövxov. 

II.  1,  4.  H.  täv  yaQ  ßo^x]]  riynovrav  xal  xo  äg^iLV  lözi  mit 
II.  Eton.  J.  K.  Dind.  I.  II.  (F.  A.  B.  Guelf.  Born,  ^dx^jv  vlkcjvzov^ 
was  eben  daliin  fiilirt)  —  Kr.  mit  Y.  Vill.  Poppo  (der  tr^v  ein- 
klammert) zrjif  fji(xxr]v  vlk.  Der  Artii^ei  hat  gar  nichts  für  sich; 
denn  er  ist  diplomatisch  nicht  hinreichend  beglaubigt  und  ent- 
spricht auch  nicht  dem  Zusammenhange ,  der  einen  allgemeinen 
Gedanken  verlangt.  Dass  ^ccx^v  ohne  Artikel  nicht  statthaben 
könne,  ist  von  Kr.  zwar  wohl  nicht  mit  Recht  behauptet,  da  man 
zwar  nicht  fiäxtp'  jUß'^föitat  oder  vixrjv  vixäv^  wohl  aber  ^dxrjv 
VLTCoiv  ohne  nähere  Bestimmung  des  Accus,  sagen  kann,  weil  die- 
ser Accus,  schon  an  sich  die  in  vlxccv  liegende  Tliätigkeit  indi- 
vidualisirt;  da  uns  aber  zur  Bestätigung,  dass  diese  ratio  im 
Sprachgebrauch  zur  Anwendung  gekommen  ist ,  kein  zweites 
Beispiel  zu  Gebote  steht  und  die  guten  und  schlechteren  Hand- 
schriften in  gleicher  Hälfte  zwischen  ficcxv  nnd  (xccx^jv  getheilt 
sind,  so  scheint  es  am  meisten  gerechtfertigt,  sich  für  ^ccx]]  zu 
erklären. 

II.  1,  10.  H.  schreibt  ^av^d^co  Ttotega  (og  ugatcov  ßccöilfvg 
altsl  zd  OTika  rj  oSg  Ötd  cpiXiav  dcjga  mit  H.  D.  Guelf.  J.  K.  L. 
Ji;nt.  Poppo,  Born.  Dind.  I.  II.  —  Kr.  hat  xcu  vor  öcDga.  das  schon 
Zeune  entfernte,  aus  den  übrigen  codd,  wieder  aufgenommen,  ob- 
wohl der  Ausdruck  aizEL  zd  OTtka  —  ötd  cpikiav  xat  i^ötd)  doSo«, 
wie  Kr.  die  Worte  versteht,  unerträglich  ist.  üebrigens  scheint 
es  ausser  Zweifel,  dass  öcö^a  nur  ein  Glossem  zu  cog  6id  q)L- 
liav  ist. 

II.  1,  12.  H.  mit  11.  F.  D.  Eton.  Y.  Vill.  Poppo,  Dind.  I.  11. 
GeoTtounog  —  Kr.  Sbvoq)djv.  Jenes  ist  gewiss  das  Richtige,  da 
die  Stelle  III.  1,4,  wo  Xen.  als  ein  bis  dahin  Unbekannter  zuerst 
liandelnd  und  redend  eingeführt  wird,  ein  so  bedeutendes  Hervor- 
treten und  eine  F>wähnung  desselben  an  dieser  Stelle  als  unmög- 
lich erscheinen  lässt,  und  da  es  überdiess  noch  Memand  erklärlich 
gemacht  hat,  wie  §14  eine  Berufung  auf  den  Bericht  Anderer 
enthalten  kann,  wenn  Xen.  bei  der  Verhandlung  mit  Phalinus  zu- 
gegen und  selbst  Redner  war. 

II.  1,  14.  IL  £i  T8  äkko  ZI  %hkoi  mit  F.  (n.Qiku)  D.  Eton. 
Vill.  und  den  edd. —  Kr.  ßovki.zaL  mit  den  übrigen  codd. 

III.  8,  2.  H.  kb^azB  ovv  ngog  /i£  zi  tv  vo}  tx^ze  aq  cplkov 
mit  F.  H.  D.  Eton.  Dind.  I.  II  —  Kr.  lässt  mit  der  vulg.  1<^yi  hin- 
ter ovv  und  jrooc  hinter  cjg  stehen. 

IV.  4,  13.  H.  jroAi)  ydg  ivzcLv%a  £vqiökszo  xoiö^ia^  cp 
lXQc5vzo  d.vz  Ikaiov^  övtiov  xal  örjöd^Lvov  mit  F.  H.  I).  Eton. 
Poppo,  Born.  Dind.  I.  II.  —  Kr.  ivgiöKov  z6  ygiöiia.  Durch  den 
beigefügten  Relativsatz   wird  der  Art,  z6  unhaltbar.      Denn  das 


Hertleln:  Xenophons  Anabasis.  141 

XQLö^ci,  das  hier  ausdrücklich  als  von  dem  gevvohnh'ch  gebrauchten 
fAatov  verschieden  bezeichnet  wird,  lässt  sich  nicht  als  ein  be- 
kanntes voraussetzen. 

V.  1,  4.     H.  v^tlg  de  BLTtsg  tiXhv  ßovXsods,  n^gifievsts  söt 

av  lycb  ll^o  mit  F.  H    Eton,  Poppo,  Born.  Dind.  I.  II.  Kr. 

BTCBLTiEQ  mit  den  übrigen  codd.  und  edd.  Das  Vorhergehende 
macht  es  wahrscheinlicher,  dass  ein  Abschreiber  indnEQ  in  il'jifo, 
als  dass  er  dieses  in  jenes  veränderte. 

V.  1,  14.  H.  68onoLHv  mit  F.  H.  Eton.  Poppo,  Born.  Dind. 
J.  II.  —  Kr.  Ttoieiv  rag  odovs  mit  den  anderen  codd. 

V.  1,  15.  II.  dfjiElrjöag  tov  ^vkUyeiv  nlola  mit  F.  H. 
Poppo,  Born.  Dind.  I.  II.  —  Kr.  ^vXXaßslv^  das  wohl  nur  eine 
Erklärung  von  ^vX^Byaiv  ist,  die  mit  Bezugnahme  auf  narayoiev 
in  §.  11  gebildet  wurde.  Wenigstens  ist  der  Fall  zweifelhaft,  da- 
her an  H.  F.  festzuhalten. 

VI.  2,  5.  H.  «AAog  de  üjce  fii^  bXccttov  -^  ^vgiovg  (nämlich 
av^Lxr]vixovg)  mit  H.  F.  D.  Eton.  (der  Letzte  lässt  freilich  die 
ganze  Stelle  weg)  und  Dind.  I.  II.  —  Kr.  behält  vor  ^tj  die  Worte 
^rjvog  fiLödöv  bei,  die  bei  Poppo  und  Born,  eingeklammert  sind. 
Die  Worte  sind,  wie  schon  ihre  Stellung  andeutet,  ohne  Zweiftl 
eine  Interpolation,  die  ihren  Ursprung  den  Worten  des  Timasion 
V.  6,  23   verdankt. 

VI.  2,  8.  IL  ßovXevösöd'aL  f.cpaöav  mit  Poppo,  Born.  Dind. 
I.  II.  —  Kr.  ßovXsvBö&ai  mit  F.  H.  Hier  gerade,  wo  sich  der 
inf.  praes.  wohl  nicht  rechtfertigen  lässt,  hält  sich  Letzterer  an  F. 
H.,  deren  gute  Lesarten  er  sonst  so  oft  verschmäht.  Alle  übrigen 
codd.  haben  ßovXevöaO^ai^  was  offenbar  aus  ßovXtvOBG^ai  cor- 
rumpirt  ist. 

VI.  2,  10.  H.  schreibt  mit  F.  Poppo,  Born.  Dind.  I.  II. 
VJiBQ  TJfjiiöv  TOV  oXov  öTQaxBv^atog  —  Kr.  mit  den  übrigen  codd. 
ausser  H.,  der  das  Wort  ganz  weglässt,  aXkov.  Wenn  ^övog  rcjv 
aXXcov  gesagt  wird,  worauf  sich  Kr.  beruft,  so  erklärt  sich  dies 
doch  leichter  aus  der  Natur  von  ^ovog.  üebrigens  hält  Ref.  auch 
oAot»  mit  Born,  für  interpolirt. 

VII.  5,  3.  IL  lässt  rdda  weg  vor  bItib  mit  H.  F.  Dind.  I.  U,; 
ebenso  II.  1,  16  ovzol  hinter  ndvzBg  und  II.  1,  18  cüda  hinter  blub, 
• —  Kr.  behält  diese  Worte  mit  den  übrigen  codd.  bei. 

Fast  eben  so  viel  Fälle  sind  uns  vorgekommen,  wo  der  Her- 
ausgeber nicht  blos  von  Kr.,  sondern  auch  von  Dind  's  Stereotyp- 
ausgabe, mitunter  von  dessen  beiden  Ausgaben  mit  Recht  abgewi- 
chen ist: 

I.  1,  6.  H.  mit  fast  allen  codd.  mit  Poppo,  Born.  Dind.  II, 
ccTcaQaQyiBvoxaxov  —  Kr.  mit  Eton.  Gaelf.  u.  Dind.  I.  dnaga- 
öKBvaöTCTaxov.  Es  finden  sich  bei  Xen.  beide  Formen;  Eton.  u. 
Guelf.  können  also  nicht  den  Ausschlag  geben. 

II.  1,  4.    H.  xavxa  daovöavxBg  ot  öXQaxrjyol  xr^l  ot  äXXoi 
'''EXX'qvBg   jtvv&avouBvoc  ßagBcog  BcpBQOv  mit  F.  H.   D.  Eton.  Y. 


142  Griechische  Litteratur. 

Stcpli.  Vill.  Diiid.  II.  —  Kr.  lässt  wie  Born.  nw^avc^BVOL  weg 
mit  den  übrigen  codd.  Das  Partie,  kann  interpolirt  sein;  es  ist 
aber  aiicli  möglicli,  dass  es  in  den  minder  guten  codd.  als  überüiis' 
sig  weggelassen  wurde. 

II.  1,  6.  II.  OL  iilv  (pxovto.)  6  öl  KkEaQxos  e^evs.  —  Mit 
Eton.  hat  nur  Dind.  I.  f.fi£Li>s. 

IL  1,  13.  H.  mit  F.  H.  Dind.  II.  ol'et  — nsQLyBvtö&ai  av.  — 
Kr.  mit  Poppo,  Born.  Dind.  I.  u.  den  übrigen  codd.  ol'ft  av  —  nt- 
Qiyivtö'dai.  Die  gewöhnlichere  Stellung  hat  die  Part,  äv  wahr- 
scheinlich erst  in  Folge  einer  hinter  der  Silbe  öO^wt  leicht  mögli- 
chen Auslassung  derselben  eingenommen. 

III.  8,  12.  II.  mit  F.  H.  D.  Eton.  Poppe,  Dind.  II.  avtinoL- 
slv  ÖE  ov  dvva^iEvovS'  —  Kr.  mit  den  übrigen  codd.  Born.  Dind.  I. 

Ö£  OVÖEV. 

IV.  4,  3.  II.  xaXog  ^£v,  (jiEyag  ö'  ov  mit  den  codd.  ii.  edd. 
bis  auf  Hutchinson,  der  auf  Murets  Vorschlag  aus  Demetr.  Phaler. 
^syag  ^Iv  ov.,  KaXog  öi  aufnahm,  was  dann  in  die  folg.  edd.,  aus- 
ser Poppo  und  Born.,  übergegangen  ist. 

IV.  4,  17.  H.  hat  in  den  Worten  EgoTäpiEvog  öl  x6  noda- 
jiog  eXy]  den  Art.  x6  fest  gehalten,  während  ihn  Poppo  u.  Kr.  ein 
klammern,  Born.  Dind.  I.  11.  mit  Suidas,  H.  Eton.  weglassen.  Dass 
To  gegen  den  Sprachgebrauch  sei,  lässt  sich  ebenso  wenig  behaup- 
ten, als  in  solchen  Dingen  auf  das  Zeugniss  des  Suidas  sowie  an- 
derswo auf  das  des  Aristides  oder  Demetr.  Phaler.  (I.  1,  1.  I.  1,9. 
IV.  4,  3)  etwas  zu  geben  ist.  Uebrigens  begreift  man  viel  leich- 
ter, wie  rd  aus  dem  Texte,  als  wie  es,  wenn  es  ursprünglich  nicht 
darin  war,  liineinkommen  konnte. 

IV.  4,  14.  H.  dia6xr]vr]TEov  ilvai  Elg  tag  Ttcofiag^  slg  (jxhyag  * 
mit  Guelf.  (a  rec.  manu),  Suid.  Dind.  II.  —  Kr.  ilvai  xazd  rag 
xcjfiag  elg  6z.  mit  Hutchins.  Poppo,  Born.  Dind.  I.  nach  den 
ähnlichen  Stellen  §.  8  u.  Cap.  5,  23.  Diese  Stellen  können  hier 
nichts  entscheiden ,  während  flg  xag  xco^ag  wenigstens  Etwas  für 
sich  hat.  Da  aber  alle  codd.  (ausser  der  spät.  Hand  in  Guelf.) 
eine  Präposition  vor  Kco^ag  gar  nicht  haben,  so  ist  wohl  mit  Sicher- 
heit anzunehmen,  dass  xäg  näfiag  nichts  weiter  als  ein  Glossem 
zu  xag  öTEyag  ist ,  welches  nach  den  angeführten  Stellen  gebildet 
wurde. 

IV.  4,  21.  H.  xal  Lnnoi  i^laCav  Elg  eIlkoöl  mit  F.  H.  Eton. 
A.  B.  J.  K.  Poppo,  Born,  Dind.  II.  —  Kr.  ag  E'Uoöiy  als  ob  elg 
nicht  ebenso  diplomatisch  als  sprachlich  (s.  III.  4,  5)  sicher 
stände. 

V.  1,  6.  H.  ovxE  yccQ  dyogd  eöxlv  ixavjj  ovxe  oxov  vjvi]- 
öo^E^a  EVTtogia  mit  II.  F.  D.  Eton.  Steph,  Poppo,  Dind,  II.  — 
Kr.  nÜQEöxt  für  EVTCogla,  ein  offenbares  Glossem. 

V.  I,  17.  H.  Ekäiißcivov  mit  F.  H.  D.  Eton.  Poppo,  Dind.  II. 
—  Kr.  mit  Born.  Dind.  I.  IvEzvyiavov. 

VI.  2,  16.     IL  lässt  in  den  Worten  dfi<pl  zEttaQdaovxa  In- 


HertJein:  Xenophons  Aiiabasis.  143 

jcsag  <len  Artikel  vor  dem  Zahlwort  weg  mit  F.  H.  Eton.  Dind.  II. ; 
Kr.  behält  ihn  mit  Poppe  u.  Born.  Der  bei  so  ungefälirer  Angabe 
vor  dem  Zahlwort  so  gewöhnliche  Artikel  kann  eben  so  gut  inter- 
polirt  als  ausgefallen  sein. 

VII.  5,  13,  H.  f'Af^ov,  tiqIv  OQiöaodat^  agTCa^ovrag  noX- 
Xovg  vTi  dXX^kcov  dTCodvr'jöxtiv  mit  F.  H.  D.  E.  Poppo,  Dind,  II. 
—  Kr.  tXeyovTO  —  dgTtd^ovTEg  nokXol  mit  Born.  Dind.  1.  Doch 
mag  Born.  Recht  haben,  der  hXiyeTO  agna^ovrag  nolkovg  ver- 
rauthet,  wie  auch  Steph.  marg.  hkiyovto  —  ägTtd^ovxag  no^kovg 
bietet  und  in  Eton.  sich  hinter  oQiöaö^at  —  tö  findet,  das  wohl 
zu  sAfyov  gehören  sollte. 

Doch  hat  H.  auch  oft  den  Text  der  Dindorfschen  Stereolyp- 
ausgabe  geändert,  indem  er  mit  Kr.  übereinstimmt: 

II.  1,  6.  H.  OL  ^ev  (ßxovto^  KUaQxog  61  TtSQiafxire  mit  den 
codd.  u.  edd.  —  Dind.  I.  nur  mit  Eton.  nsQLE^eLvs. 

III.  3,  18.  H.  7]v  ovv  avTcSv  eTtiöKsi^co^e^cc  tivsg  nknavtüL 
öcpBvdovag^  xal  xovxco  ^Iv  öco^sv  avxcöv  dQyvQLov,  reo  Öl 
dXlag  TilhTiiLV  i\fhXovTL  alko  ccQyvQLov  zekdo^Bv  mit  F.  II.  D. 
Eton.  Dind.  II.  —  Dind.  I.  tovrav  ra  ^Iv  avtcov  dgyvgiov^  tcj 
Öl  — .  Der  Zusammenhang  verlangt' TOfro)  ^Iv  ^  da  Xen.  offen- 
bar die  Schleudern  von  jedem,  der  welche  hat,  nicht  blos  von  ei- 
nigen, zu  kaufen  rathet;  auch  konnte  gar  zu  leicht  das  folgende 
TcJ  de  ein  tcj  }ilv  hervorrufen, 

IV.  4,  14.  H.  giebt  yeaav.  —  Nur  Dind.  I.  sehr,  dafür  mit 
Eton.  e&Bov^  indem  er  wahrscheinlich  ijsöav  aus  dem  folgenden 
aTcyiöccv  entstanden  glaubte. 

V.  1,  3.    H.  ektys  mit  den  codd.  u.  edd.  —  Dind.  I.  kiyst. 
VII.  5,  5.     H.  ei  ^j}  dkkcog  lövra^  tcoa  aTtodo^evog  xd  eav~ 

Tov  i^dxta  mit  F.  (A.  B.?)  J.  K.  L.  Guelf.  edd.  vett,  Steph.  Poppo, 
Born.  Kr.  —  Dind.  I.  II,  öavxov  für  savxov, 

VII.  5 ,  8.  H.  X8LX7J  TcagaÖLÖävaL  dvögl  dvvafjiLV  exovxt  mit 
den  codd.  u.  edd,  —  Dind,  I.  mit  cod.  H.  to  xeixog,  ohne  Zweifel 
ein  aus  dem  Vorhergehenden  entnommenes  Glossem  zu  xalxt]. 

VII.  5,  14.  II.  ßißkoL  ysyga^^svai  mit  F.  II.  D.  E.  Brod. 
Dind.  II.  Kr.  —  Dind.  I.  lässt  ysygcc^ifxevac  weg,  das  Poppo  und 
Born,  einklammern.  Die  Sache  hat  nichts  Unwahrscheinliches, 
wesshalb  man  den  bessern  Handschriften  folgen  muss. 

Sind  wir  an  allen  den  bis  hierher  besprochenen  Steilen  mit 
der  Kritik  des  Herausgebers  einverstanden,  indem  er  nach  unserer 
Ansicht  den  Werth  der  Codices  und  der  Lesarten  richtiger  erwog 
als  Kr,  oder  als  die  Ausgabe,  deren  Text  er  der  seinigen  zu  Grunde 
legte,  so  ist  uns  doch  auch  eine  ziemliche  Zahl  von  Stellen  vorge- 
kommen ,  wo  man  sich  wundern  muss,  dass  er  sich  nicht  Kr.  ange- 
schlossen, oder  dass  er  die  Lesart  von  Dind.  I.  aufgegeben  hat.  In 
den  meisten  dieser  Fälle  hat  er  es  mit  der  kritischen  Ausgabe  von 
Dind.  gehalten,  wo  Letzterer  gerade  in  der  Stereotypausgabe  eine 
besonnenere,  auf  einer  richtigeren  Würdigung  der  verschiedenen 


144  Griechische  Litteratur. 

codd.  beruhende  Kritik  geübt  hat  als  in  der  grösseren  Ausgabe, 
An  nicht  wenig  Steilen  scheint  uns  nämlich  II,  den  Wcrtli  der  gu- 
ten Codices  zu  hoch  angeschlagen  zu  haben.    Dies  ist  der  Fall: 

I.  1,  5.  II.  TidvTag  ovtcj  öiatid'Blg  dmniyiniTO  cjöts  avza 
(xälkoi'  cpUovg  üvai  rj  ßaöLXslimt  1).  H.  {deravzov  giebt),Poppo, 
Dind.  II.  —  Kr.  mit  den  übrigen  codd.  Aristid.  Born.  Dind.  I,  eav- 
Tc5.  In  paläographischer  Beziehung  ist  die  eine  Lesart  so  wahr- 
scheinlich als  die  andere.  Von  den  vier  besten  codd.  sind  zwei 
für  auTCj,  zwei  für  Eavta  und  für  letzteres  alle  übrigen.  Also 
wird  dieses  den  Vorzug  verdienen,  zumal  da  ein  Anstoss  an  Eavta 
eher  möglich  war  als  an  avtcß. 

II.  1,  4.  H.  ort  Tj^tlg  vlucj^sv  xb  ßa(jiXea ,  ;««/,  Cüg  ogäze 
ovds'ig  BtL  rjalv  ^äxszaL  mit  F.  II.  Btoo.  Vill.  Dind.  II.  —  Kr.  mit 
Born.  Dind.  I.  rjuelg  ys  VLKa{.iBv  ßaö.  Poppo  i^^ug  {ys)  vlkcj^ev 
re  ßaö.  ye  konnte  wohl  leichter  weggelassen  als  eingeschoben 
werden.  —  Auch  II.  1,  14  ist  kein  Grund,  ys  mit  H.  F.  u.  Dind, 
U,  zu  entfernen;  Kr.  hat  es  auch  dort  beibehalten. 

III.  3,  15.  H.  ev  oXiya  ös  mit  II.  F.  D.  Eton.  Poppo,  Born. 
Dind.  II.  —   Kr.  mit  Dind.  I.  oUyov  öe  '  hda.   S,  oben. 

III.  3,  17.  H.  OL  öa  'PoÖLOL  mit  H.  F.  —  Kr.  mit  Poppo,  Born. 
Dind.  LH.  OL  dsye'P. 

IV.  4,  1.  H.  setzt  övvza^d^evoi  vor  dfjLCpl  ^eöov  rj^kgag 
mit  F.  IL  Poppo,  Born.  Kr.  Dind.  IL —  Dind.  I.  setzt  Cvvz.  hinter 
r^HBQccg.   S.  oben. 

IV.  4,  11.  IL  6vv£7c6di6ev  mit  H.  (in  J.  corr.)  Poppo  (der  es 
w  enigstens  vorzieht),  Born.  Dind.  IL  —  Kr.  Dind.  I.  CwsTiBÖrjöev. 
S.  oben. 

IV.  4,  22.  IL  sTtel  dl  btiv&ovzo  —  söokel  mit  H.  F.  D. 
Poppo,  Born.  Dind.  I.  II.  Kr.  ed.  mai.  —  Kr.  öokbI.    S.  oben. 

V.  1,  8.  H.  KCiv  ßor]^fj6aL  ziöl  Kccigog  y  mit  H.  (F.  hat  xat 
und  lässt  dv  weg)  u.  Dind.  IL  —  Kr.  mit  den  übrigen  codd.  Poppo, 
Born.  Dind.  I.  Kai  ßorj^fjöal  zlöl  dv  naigog  rj.     S.  oben. 

V.  1,  9.  H.  Bav  ovv  xazd  (xegog  fXBQiöd^avzBg  cpvXdtzco^Bv 
aal  özoTtcöfiBv  mit  den  codd.  u.  edd.  —  Kr.  lässt  ^BQi0xtBVZ£g  weg, 
das  Poppo  einklammert.  Darauf,  dass  L.  xazd^Bgog  ^isgog  giebt 
und  Eton.  —  lisgiö^ä^Bv^  ist  allerdings  wenig  zu  geben;  Tcazd 
^Bgog  ^tgl^BLv  kann  aber  ebenso  wenig  gesagt  werden  als  im 
Deutschen  :  theilweise  oder  nach  Theilen  eintheilen.  Das  Partie. 
^Bgiö^EvzBg  verräth  sich  deutlich  als  Glossem  von  Tiazd  ^sgog. 

PJbendas.  H,  i^zzov  dv  dvvaivzo  mit  F.  (H._  lässt  «V  weg) 
und  Dind.  IL  —  Kr.  mit  den  übrigen  codd.  u.  edd.  ijzzov  övvaivz 
dv.    S.  oben. 

VII.  5,2.  H.  mit  H.  F.  Born.  Dind.  L  IL  MXeve.  —  Kr.  mit 
den  übrigen  codd.  u.  edd.  ekbIevöe.    S,  oben. 

VII.  5,  5.  H.  eI  liiq  dkkcog  Idvvco  mit  F.  H.  Y.  Kr.  Dind.  IL 
—  Dind.  I.  Born.  bI  ^i]  y    «AA.    S.  oben. 

VII.  5,  11.    IL  kKoiöogEL  x6v'tIgaK\Ei8riv,  ou  ov  nctgEmlEi 


Hertlein:  Xenophons  Anabasis.  145 

xßt  iHjbv.  mit  H.  F.  Born.  Diiid.  I.  11.    —    Kr.  wie  Poppo  mit  den 
übrigen  codd.  nagccxalel. 

Zu  wenig  Werth  auf  die  Autorität  der  guten  Handschriften 
scheint  uns  H.  an  folgenden  Steilen  gelegt  zu  haben: 

II.  1,  3.  H.  schreibt  o^ev  trj  ngovegalcc  coQ^r^vto  mit  Kr.  — 
Die  codd.  und  edd.  (auch  Kr.  ed.  mai.)  cjq^cdvto.  Das  Imperf. 
rechtfertigt  sich  hier  ebenso  gut  wie  1.  1,  6.  8.  II.  1,  6.  Dass  in 
der  ähnlichen  Stelle  I.  10,  1  Sq^yjvto  sieht,  kann  hier  nichts 
ändern. 

III.  3,  3.  H.  rjv  ^8v  tig  m  mit  Poppo  und  den  meisten  codd. 
—  Kr.  d  fjiev  mit  H.  F.  D.  Born.  Dind.  I.  II.  Es  ist  klar,  dass 
das  folgende  rjv  da  rtg  —  ccTioxoXvy  die  Aenderung  des  d  hervor- 
gerufen hat. 

IV.  4,  16.  H.  otdv7i£Q  al  ^A^atpvzg  mit  den  meisten  codd. 
u.  Dind.  II.  —  Kr.  mit  F.  H.  (in  denen  «t  fehlt),  Eton.  Born. 
Dind.  I.  haben  kui  vor  ai.  —  7ia\  konnte  ebenso  leicht  ausfallen 
wie  at. 

V.  1,  16.  H.  sehr,  "jcal  tä  dydyL^bc^  iX  ti  rjyov^  stetig ovfievot 
q)vXaHag  %a%iQza6aVy  önaq  6c5a  eXr] ,  rotg  ds  nkotoig  Bxgrj(3Ccvto 
alg  Ttagaycjytjv  mit  Born.  Dind.  I.  II.  —  Kr.  mit  F.  H.  D.  Eton. 
Poppo  %g^<5aivT0.  Es  lässt  sich  allerdings  ebenso  gut  behaupten, 
Bxgi]OavTO  sei  der  scheinbaren  Concinnität  wegen,  da  eYr]  vorher- 
geht, hl  den  Optat.  verändert  worden,  als  dass  igriöaiVTO  dem  In- 
dic.  gewichen  sei,  damit  das  zweite  Glied  des  Satzes  dem  ersten 
xä  ^8v  dycjyi^a  —  na^iötaöav  entspräche ;  doch  müssen  in  sol- 
chem Falle  die  guten  codd.  den  Ausschlag  geben. 

VI.  2,  6.  H.  döl  ö'  dl  mit  den  codd.  ausser  H.  F.  —  Kr.  mit 
H.F.  (dieser  hat  g'rt),  Poppo,  Born.  Dind.  I.  II.  gört  d'  ot.  FürXen. 
steht  t<3xn>  ot  fest  durch  Cyrop.  II.  3,  18. 

VII.  5,  9.  H.  mit  Poppo,  Dind.  I.  II.  v7ti6%vuzo.  —  Kr.  und 
Boni.  mit  H.  F.  v7iL6%vHtaL^  das,  weil  Imperfecta  vorausgehen  und 
folgen,  geändert  wurde. 

An  allen  diesen  Stellen,  an  denen  Ref.  die  Kritik  des  Heraus- 
gebers nicht  billigen  kann,  glaubt  er  kaum,  dass  die  Rücksicht  auf 
das  Bedürfniss  der  Schule  leitend  gewesen  ist.  Denn  diese  hätte 
ihn  viel  eher  veranlassen  können,  II.  1, 10  daga^  IV.  4,  14  tig  r«s 
jewftag,  V.  1,  9  yLigtö^evxhg  wegzulassen,  als  IV.  4,  22  das  Prä- 
sens öoKHzvx  verwerfen,  oder  einen  Anstoss  des  Schülers  an  einem 
so  leichten  Anakolulh  wie  V.  1,  16  zu  befürchten.  Vielmehr  ist 
wohl  anzunehmen ,  dass  er  es  nur  versäumt  hat ,  das  richtig  er- 
kannte Princip  überall  mit  Consequenz  durchzuführen.  Gleich- 
wohl kann  er  das  oben  schon  bezeichnete  Verdienst  in  Anspruch 
nehmen,  der  Wissenschaft  und  der  Schule  einen  Text  der  Anaba- 
sis geliefert  zu  haben,  der  auf  richtigeren  und  sicheren  Grund- 
sätzen ruht,  als  es  in  den  früheren  Ausgaben  der  Fall  war.  Vor 
der  Krüger'schen  müssen  wir  der  Ausgabe  H.'s  in  dieser  Beziehung 
entschieden  den  Vorzug  geben.    Unter  den  60  besprochenen  Stel- 

iV.  Jahrb.  f.  Phil.  u.  Päd.  od.  Krit.  Bibl.  Dd,  LVIII.   Hft.  2.  10 


146  Griechische  Litteratur. 

len,  zu  deren  näherer  Betrachtung  Ref.  bei  Durchlesung  je  eines 
Capitels  aus  jedem  Buche  durch  die  DilTerenz  des  Textes  beiDind., 
Kr.  und  II.  veranlasst  wurde,  waren  es  nur  22,  an  denen  er  mit 
Kr.,  aber  41,  an  denen  er  mit  II.  Vibereinstimmen  konnte.  Dies 
wird  hinreichen,  um  das  oben  über  den  Text  der  vorliegenden 
Ausgabe  ausgesprochene  Urtheil  zu  begründen. 

Wir  kommen  nun  zur  Erklärung.  H.  verfolgt  dasselbe  Ziel 
als  Kr.,  nämlich  den  Schüler  zu  einer  richtigen  und  guten  üeber- 
setzung  ins  Deutsche  anzuleiten,  indem  er  alles  Andere,  was  die- 
sem Zwecke  nicht  dient,  entfernt  hält.  Zu  einer  guten  üeber- 
setzuug  gehört  aber:  Verständniss  der  grammatischen  Beziehun- 
gen, Kenntniss  der  Sachverhältnisse,  Erfassen  des  Zusammen- 
hanges im  Einzelnen  und  im  Ganzen  und  ein  dem  griechischen 
entsprechender  und  zugleich  gewählter  Ausdruck,  Diese  vier 
Punkte  geben  FI.  wie  Kr.  den  Maassstab,  nach  welchem  er  das 
Bedi'irfniss  zu  einer  Anmerkung  ermisst.  Auch  befleissigt  er  sich 
der  Kürze  ebenso  wie  sein  Vorgänger,  dem  er  auch  darin  folgt, 
dass  er  oft  eine  treffende  Uebersetzung  giebt,  die  zugleich  eine 
grammatische  Erklärung  involvirt.  —  Ist  dies  nun  das  Gemeinsame 
in  der  Einrichtung  der  beiden  Ausgaben,  was  uns  bei  der  Verglei- 
chung  derselben  sogleich  entgegentritt,  so  unterscheiden  sie  sich 
doch  auch  wiederum  in  vier  w  esentlichen  Punkten,  Erstens  giebt 
n.  weit  weniger  sprachliche  Bemerkungen  als  Kr. ,  zweitens  citirt 
jener  gar  keine  Grammatik,  während  dieser  fortlaufend  auf  seine 
Grammatik  verweist,  drittens  berücksichtigt  H.  mehr  das  Sachli- 
che als  Kr.,  viertens  versieht  Ersterer  sämmtliche  sieben  Bücher 
ziemlich  gleichmässig  mit  Anmerkungen,  während  bei  Letzterem 
die  zweite  Hälfte  des  Buchs  deren  weit  weniger  enthält  als 
die  erste. 

1.  H.  macht  I.  1,  1  nur  auf  den  bei  teXbvti^v  fehlenden  Ar- 
tikel aufmerksam;  Kr.  ausserdem  auf  das  histor.  praes.  yiyvovzaL^ 
auf  den  vor  a'juqporfpcö  nöthigen  Artikel,  den  damit  nothwcndig 
verbundenen  Dual  nalö^  und  auf  den  Dativ  oi  neben  Ttagsivat. 
§  2  berührt H.  nur  avzov  ^  das  den  üebergang  aus  einem  relativen 
in  einen  selbstständigen  Satz  bildet,  den  Artikel  tcov  yor'EKkrjvav 
und  die  Wiederholung  ava^alvei  —  dveßr]',  Kr.  ausser  diesen 
Punkten  noch  den  Gebrauch  von  xvyiävHv  in  nciQCOV  IzvyiavB^ 
die  Bedeutung  des  Medii  in  ^staTte^Tisö^aL^  die  aorr.  eTiolrjös 
ccTtiÖBL^E  (gemacht,  eingesetzt  hatte),  xal  —  Ö£,  und  auch,  dg  cpi- 
Xov,  den  er  für  einen  Freund  hielt.  Zu  §.  3  hat  H.  gar  keine 
Anraerk.,  Kr.  zu:  Tcateötr]  elg  rijv  ßaöilelav  .^  zur  königlichen 
Würde  gelangt  war,  ngog  gegen  ^  vor;  die  Bedeut.  von  cjg  und 
über  den  Optat.  in  dg  eTCLßovXevot;  dg  mit  d.  part.  fut.  (dTtoycTS- 
vcDv);  über  die  Bedeut.  des  Med.  und  das  nur  einmal  gesetzte  av- 
töv.  §.  4.  H.  Ini  xcp  in  der  Gewalt  des;  vn^Q^s  begünstigte; 
Kr.  ausser  diesen  Bem.  giebt  noch:  dg ^  als,  ut;  oTtcag  eigentlich 
relativ:  wie;  zu  ^tJtcots  über  ^irj  in  finalen  Sätzen  auch  beim  Indi- 


Hertleln  :  Xenophons  Anabasis.  147 

cativ.    §.  5.  H.  beschränkt  sich  auf:  rcov  naga  ßa6d£cjgi  Attrac- 
tion  st.  Tcjv  Ttagd  ßaöLlBi  nagd  ßaöikEcog  und  ßccöLlevg  ohne  Ar- 
tikel; ndvtag  bezieht  sich  auf  oörtg,  weil  dies  CoUectiv  ist;  rav 
ßagßdgcov  eTCE^eXslvG  =  enE^sXBiro  6g  ot  ßdgßagoi ,  eine  be- 
sonders bei    ffft^fjlatö^at  gewöhnliche  Änticipation  (A-ttraction) ; 
tXriöav  Bi.   bUv,  Kr.  fijgt  hinzu:    dcpr/ivolto^  iterativer  Optativ; 
öiaiLdelg  stimmend;  aTiSTiE^TtSTo  entliess  von  sich;  ^dXXov  (pilog 
st.  des  Comparativ;  üvai^  Infin.  nach  Sörs;  tav  nag  eccvtcp  der 
unter  ihm  Stehenden;  über  die  Form  evvoiKcag;  1%olbv  mit  dem 
Adverb.  —  II.  1,  1.    Bei  H.  und  Kr.  hX%6vxEg  zurückgekehrt;  Kr. 
ausserdem:  zd  ndvxa  (bei  vLxdv)  ist  wohl  Subjects-Accus.:  das 
ganze  Heer,  auch  die  Asiaten  desKyros.  Andere  erklären:  auf  alle» 
Punkten.    §.  2.    H.  nur:  öv^^l^siccv  ist  intransitiv;  Kr.  sagt  darü- 
ber: der  Opt.  als  Gedanke  der  Strategen.     Activ  in  der  Bedeut. 
des  Medii;  ausserdem  über  aaa  rfj  rj^ega  und  über  das  part.  fut. 
in  dlkov  nspinoi  6r]^avovvxtt.  §.3.  H.  über  ijAi'oj  ohne  Art.,  über 
Indic.  und  Opt.  neben  einander  t£^i'?^xe  —  al'i;,  über  das  pleona- 
stische  (pairi  nach  Asyoi;  Kr.,  der  über  tidr^^xs  — hy}  nichts  sagt, 
bemerkt   noch:   og^rj   Aufbruch,  Abmarsch,  über  oVrwv  sc.  av- 
rc5v;  aViö;^?fci' aufgehen ,  dgiov  Fürst;  ysyovcog  entstammt;  tov 
des  Bekannten;  ö&8V  wie  evha  bezieht  sich  auf  ein  vorausgehen- 
des Substantiv;  trj  ngoxigaia^  zu  ergänzen  i^fisga;  über  den  Ac- 
cus. Tfjv  Tjuegav  Ttegi^evsLv;  über  ijti  in  enl  'IcDilag.     §.  4.    Hier 
findet  sich  bei  H.  gar  keine  Anm.;   bei  Kr.  zu  nw^dvo^ai^  das 
Präs.  in  der  Bedeut.  des  Präter. ;  äcptXs  ^rjv^  utinam  viveret ;  ijX- 
^iX8,  gekommen  wäret;   S7iayysk?y6^i^a,  die  Bedeut.  des  Medii; 
edv  —  ek^T]  gekommen  sein  wird  ;  xrjv  ^dx^jv  vlkcovxojv^  über  den 
Accus,  (wo  H.  fidxr]  schreibt).     §.  5.    H.  bemerkt  nur,  dass  dico- 
6x8?,k£öQ-ai  zu  eßovXBxo  zu  ergänzen ;  Kr.  ausserdem  zu  accl  ya^, 
etenim,  nam  etiam  §.  8. 

Man  sieht,  dass  die  beiden  Herausgeber  im  Maasse  der  sprach- 
lichen Erklärung  bedeutend  auseinandergehen,  so  dass  man  zu- 
nächst glauben  könnte ,  sie  hätten  für  Leser  auf  ganz  verschiede- 
ner Unterrichtsstufe  gearbeitet,  Kr.  für  den  Anfänger  der  nur  die 
ersten  Elemente  der  griechischen  Syntax  kennt  und  ausserdem 
durch  die  bereits  erworbene  Kenntniss  des  Lateinischen  unter- 
stützt wird,  H,  für  den  Vorgerückteren,  der  nur  auf  von  dem  Ge- 
wöhnlichen Abweichendes  oder  auf  das,  worüber  er  vielleicht  ohne 
grammatisches  Bewusstsein  hinweg  liest,  aufmerksam  zu  machen 
ist.  Da  aber  beide  Ausgaben  für  die  Schule  bestimmt  sind  ,  und  in 
der  Classc,  wo  die  Anabasis  gelesen  wird,  die  Kenntniss  des  Grie- 
chischen wohl  überall  gleich  ist,  und  da  sich  auch,  bei  näherer 
Ansicht,  bei  H.  Dinge,  die  nur  geringe  Kenntniss  der  Sprache  und 
noch  wenig  gebildetes  Urtheil  voraussetzen ,  ebenso  oft  erwähnt 
finden,  als  bei  Kr.  Entlegeneres  und  über  den  Gesichtskreis  der 
mittleren  Classe  Hinausgehendes,  so  muss  wohl  der  Grund  zu 
der  Verschiedenheit  der  beiden  Ausgaben  in  etwas  Anderem  zu 

1(V* 


148  Griechische  T^itteratur. 

suchen  sein.  Offenbar  macht  der  eine  nerausg:ebcr  andere  Än- 
spriiche  an  die  Präparation  des  Schillers  als  der  andere.  Kr.  will, 
dass  er  die  richtige  Uebersctznng  aus  einem  ganz  genauen  ins 
Einzchiste  gebenden  grammatischen  Verständniss  gewinne  und  dass 
er  auch  mit  dem  bereits  vertraut  in  die  Ciasse  komme,  worüber  er 
leicht  hin  wegliest,  indem  er  sich  mit  dem  Erfassen  des  Sinnes  im 
Allgemeinen  begnVigt.  So  ist  die  Kriiger'sche  Anabasis  ein  Buch, 
das  geeigneter  ist  als  irgend  ein  anderes,  den  Schüler  durch  die 
Leetüre  in  der  griechischen  Syntax  heimisch  und  fest  werden  zu 
lassen,  und  es  ist  ausser  Zweifel,  dass  derjenige,  der  die  Energie 
besitzt,  dieses  Buch,  oder  auch  nur  die  Hälfte  davon,  mit  gewissen- 
liafter  Benutzung  der  Anmerkungen  durchzulesen,  für  eine  tüch- 
tige Kenntniss  der  griecliischen  Sprache  die  gediegenste  Grund- 
lage gelegt  hat.  Anderes  verlangte  der  Plan,  nach  welchem  vor- 
liegende Ausgabe  gearbeitet  ist.  Sie  „setzt  das  Aligemeine  vor- 
aus und  überlässt  dessen  Erörterung  systematischen  Werken. 
Nur  wo  eine  der  Stelle  eigenthümliche  Schwierigkeit  vorliegt 
oder  eine  Eigenheit  des  Schriftstellers  zum  Vorschein  kommt, 
tritt  eine  sprachliche  Bemerkung  ein."  H.  setzt  demnach  mit  den 
Uedacteuren  der  „Sammlung''^  das  Allgemeine,  d  h.  die  Kennt- 
niss der  gewöhnlichen  Syntax  in  dem  Sinne  voraus,  dass  er  es  nicht 
für  die  Aufgabe  einer  Schulausgabe  hält,  zur  Aneignung  dieser 
Kenntniss,  die  dem  angehenden  Tertianer  noch  nicht  geläufig  sein 
kann,  mitzuwirken,  und  dass  er  es  dem  Unterrichte  überlässt,  diese 
Geläufigkeit  vor,  neben  und  bei  der  Lectüre  zu  erzielen.  Es  be- 
darf keiner  Erörterung,  w  ie  diese  Ansicht  für  sich  keine  geringere 
Berechtigung  in  Anspruch  nimmt,  als, die,  worauf  sich  Kr.'s  Ver- 
fahren gründet.  Obwohl  man  darin  im  Allgemeinen  übereinstim- 
men dürfte,  dass  in  der  mittleren  Classe,  die  für  eine  fertige  Lec- 
türe in  den  oberen  Classen  den  Grund  legen  soll,  eine  genaue  Con- 
trolle  des  grammatischen  Verständnisses  und  die  Erklärung  des 
Sprachlichen  vor  der  Rücksicht,  möglichst  viel  zu  lesen,  mehr 
noch  als  in  den  folgenden  Classen  vorherrsch  n  muss,  so  sind  doch 
die  Ansichten  und  Wünsche  in  Bezug  auf  das  Maass,  bis  zu  wel- 
chem, und  in  Bezug  auf  die  Form,  in  welcher  die  Schulausgabe 
Grammatisches  enthalten  soll,  sehr  getheilt.  Namentlich  werden 
viele  Lehrer  H.'s  Arbeit  darum  vorziehen ,  weil  sie  nicht  eine  so 
energische  Thätigkeit  voraussetzt,  wie  sie  die  Mehrzahl  der  Schü- 
ler, wenn  sie  nicht  durch  die  Controlle  des  Lehrers  dazu  angehal- 
ten werden  ,  nicht  entwickeln ,  und  weil  sie  daher  in  den  meisten 
Fällen  auf  eine  consequentere  Benutzung  rechnen  darf  als  die  von 
Kr.  H.  beschränkt  sich  also,  mit  Uebergehung  des  ,,  Allgemeinen," 
auf  Anmerkungen  zu  den  Stellen, ,, wo  eine  eigenthürpliche  Schwie- 
rigkeit, vorliegt."  Hier  ist  es  nun  anzuerkennen,  dass  er  bei  Er- 
wägung dessen,  was  für  einen  Tertianer  schwierig  sein  kann,  das 
rechte  Maass  getroffen  hat.  Denn  es  leuchtet  ein,  dass  von  einem 
abstracten  Standpunkt  aus  die  sprachliche  Erklärung,  die  nur  da 


HerÜem;   Xenophons  Anabasis.  149 

eintreten  soll,  wo  eine  der  Stelle  eigenthüraliche  Schwierigkeit 
vorliegt,  in  einem  so  leicht  und  fliessend  geschriebenen  Buche,  wie 
die  Anabasis  ist,  leicht  sehr  dürftig  ausfallen  dürfte.  FI.  schlägt 
die  Kenntniss  des  Lesers  nicht  zu  hoch  an  und  er  ermisst  es  rich- 
tig, woran  ein  Schüler  der  mittleren  Classe  Anstoss  nehmen,  was 
er  vielleicht  raissverstehen  oder  ganz  übersehen  kann.  Belege  da- 
zu enthalten  schon  die  bereits  mitgetheilten  Anmerkungen  zu  den 
5  ersten  Paragraphen  des  J.  und  II.  Buchs.  liier  mögen  einige 
Stellen  erwähnt  werden,  wo  Ref.  eine  Bemerkung  vermisst  oder  die 
vorgefundene  für  ungenügend  hält. 

I.  1,  1  wird  bemerkt ;  xekivxriv  ohne  Artikel  wie  Comment.  I. 
5,  2  Ini  TElevvr]  tov  ßlov.  Was  soll  die  Parallelstelle  helfen, 
wenn  der  Fall  nicht  auf  ein  allgemeines  Gesetz  zurückgeführt 
wird  7 

I.  1,  8  ist  die  Attraction  adBXq)6g  cov  —  öo^^vccl  ol  st.  ddsX- 
q)(ß  ovzi  unerwähnt  geblieben  und  zu  cov  bloss  bemerkt:  für  ag^ 
Assimilation  (Attraction). 

I.  1,  10  war  über  av  in  den  Worten  o5g  ovro  TtSQiyevo^evog 
ccv  etwas  zu  sagen,  ebenso  über  tiqIv  av  avxa  Cv^ßovXevörjtaL 
in  der  oratio  obliqua. 

II.  1,  i  fragt  H.  zu  xd  Ttdvxa  VLxav:  ob  Subject  oder  Ob- 
jecto    Dadurch  wird  nichts  erklärt. 

II.  1.3  ist  nichts  gesagt  über  das  absolute  ovxov  ohne  av- 
Tcjv.  Eben  da  wird  zu  akeyov  oxl  —  xBd^vrjxev  —  scr]  auf  IL  2, 
15  verwiesen  und  hier  wieder  auf  III.  3,  13,  wo  man  nichts  weiter 
findet  als:  xgeqjovxaL  neben  'i%oi2v  wie  beide  Modi  auch  II,  2,  15. 
IV.  5,  10.  20.  VI.  3, 11.  VII.  1,  34. 

II.  1,  6.  ot  inv  c6%ovxo'.  zu  I.  2,  25,  wo  wiederum  steht:  of 
li\v:  zu  II.  1,  6.  Das  reicht  um  so  weniger  aus,  als  der  Schüler 
das  Asyndeton  wahrscheinlich  gar  nicht  bemerkt.  Eben  da  wird 
zu  aonxovtig  gesagt:  bezieht  sich  auf  öxQÜxBv^a  nach  dem  ö;^^- 
fia  %axä  x6  ö?]^aLv6^bVov.  Warum  nicht  deutsch  und  ver- 
ständlich? 

II.  1,  19  ist  zu  öco^rjvai  nach  llnidov  auf  I.  2,  2  verwiesen, 
wo  aber  nur  mehrere  Stellen  citirt  werden. 

III.  3,  4  war  niöxicog  evsxa  zu  erklären,  während  das  über 
die  Stellung  von  tlg  in  den  Worten  xc5v  TtööcccpSQvovg  rtg  olxeiov 
Gesagte  eher  wegbleiben  konnte;  ersteres  versteht  der  Schüler 
vielleicht  nicht,  an  letzterem  nimmt  er  wenigstens  keinen  An- 
stoss. 

III.  5,  14  war  die  Anticipation  zu  erwähnen  in  TJXsyx^^  '^U^ 
üVKkG)  näöav  %coQav  xig  sxdöxrj  eir]. 

IV.  4,  18  liest  man  nichts  über  Ivxav^a ,  das  sich  auf  fjueg 
zurückbezieht  wie  xovxov  auf  öV  II.  2,  20. 

V.  1,  2.  Die  Construction  von  ditÜQriKa  mit  dem  Particip. 
konnte  angedeutet  werden. 

VII.  5,  10  wird  über  äv  iisXh]^  ötQaxBVöatprjv  «Vauf  V.  l/J 


150  Griechische  Litteratur. 

verwiesen,  wo  aber  nur  gleiche  Beispiele  angefiilirt  werden.  In 
solchen  Fällen  wird  sich  der  Anfänger  aus  Parallelstelleu  schwer- 
lich eine  Hegel  abstrahiren;  sie  können  ihn  höchstens  bei  der  Re- 
pctition  an  die  vom  Lehrer  geraachte  Bemerkung  erinnern. 

Vermisst  man  aber  so  manches  in  der  sprachlichen  Erklärung, 
so  fällt  es  um  so  mehr  auf,  wenn  man  mitunter  auf  Bemerkungen 
stösst,  die  füglich  wegbleiben  konnten,  oder  doch  in  anderer  Form 
zu  geben  waren. 

So  ist  I.  1,  8  zu  ovdsv  ijx^Eto  auf  IH.  3,  20  verwiesen,  wo 
2U  rovto  ccx^BöitB  bemerkt  wird:  vgl.  I,  1,8.  Hell.  II.  3,  12:  oi;- 
Ö8V  rji^BTO.     Wozu  dies,  noch  dazu  dasselbe  Beispiel? 

II.  1,  12  g5s  öl)  ogäg:  das  Pron.  steht  hier  wie  auch  sonst  zu- 
weilen in  relativen  Sätzen  ohne  sonderlichen  Nachdruck.  Dadurch 
gewinnt  der  Schiller  schwerlich  etwas  fiir  das  Verständniss  der 
Sache. 

II.  1,  13  qpiAoödqp«:  mit  Geringschätzung.  Das  ergiebt  sich 
aus  den  Worten  von  selbst. 

IL  1,  22.  rjv  ^sif  ^kvanBv^  öTtovdal^  uthovöl  de  —  Trole^og. 
Dazu:  Concinner  wäre  ^svovöi  ^ev ^  wie  Eur.  Helen.  1393  na- 
QOVöDC  TS  —  tJv  TB  fX7]  naQijg.  Xen.  Hell.  I.  4,  4  tavz'  ovv  cckov- 
ovtBQ  —  xal  BTtBLÖi^  KvQov  blöov.  Dergleichen  scheint  uns  in  der 
Ausgabe  H  's  überflüssig.  Wenigstens  würde  es  Ref.  zweckmäs- 
siger finden,  wenn  statt  solcher  Parallelstellen  (durch  die  man  dem 
Schüler  nicht  erst  zu  zeigen  hat,  dass  derselbe  Mangel  an  Concin- 
nität,  wenn  man  es  so  nennen  will,  sich  auch  anderswo  findet,  da 
er  doch  gar  nichts  Aulfallendes  hat)  manches  Andere  der  Art,  wie 
wir  es  bereits  andeuteten,  Raum  gefunden  hätte. 

2.  Auf  die  Grammatik  verweist  IT.  nirgends,  auch  da  nicht, 
wo  es  die  ,, Ankündigung'^  gestattet,  nämlich  da,  ,,wo  sich  die 
Schwierigkeit  einer  Stfelle  durch  die  nicht  leicht  bemerkbare  Un- 
terordnung unter  eine  grammatische  Regel  heben  lässt/*"  Er  zieht 
es  vielmehr  überall  vor,  die  sprachliche  Erscheinung  selbst  entwe- 
der anzugeben,  oder  durch  üebersetzung  zu  erklären,  oder  durch 
Parallelstellen  bemerkbar  zu  machen.  Da  der  Plan  der  „Samm- 
lung"-* die  gewöhnliche  Syntax  voraussetzt,  so  hätte  sich  das  Citi- 
ren  der  Grammatik  freilich  nur  auf  Abweichendes  erstrecken  kön- 
nen. Warum  aber  der  Herausgeber  die  Grammatik  auch  da  nicht 
erwähnt,  das  gesteht  Ref.  nicht  recht  einzusehen.  Seine  sprach- 
lichen Bemerkungen  sind  immer  nur  kurz,  z.  B.  I.  1,  2  zu  avrovi 
Uebergang  aus  einem  relativen  in  einen  selbstständigen  Satz;  1.  1, 
.0  zu  xcöv  naoä  ßuöLkecog:  st.  täv  itagä  ßaöikil  nagd  ßaötAttog; 
eben  da  zu  täv  ßugßugcov  btcbiieXbIto:  ■-=■  B71B^b?Mto  cog  ol  ßdg- 
ßagoi^  eine  besonders  bei  BmuBlBiö^ai,  gewöhnliche  Anticipation 
(Attraction).  Sollte  es  in  solchen  Fällen  nicht  sehr  nützlich  sein, 
den  Schüler  zu  weiterer  Belehrung,  und  um  ihn  daran  zu  gewöh- 
nen, die  einzelne  Erscheinung  in  ihrem  Zusammenhang  mit  der 


Hei  tlein  :  Xenophons  AnaLasis.  151 

allgemeinen  Rcg^el  zu  erfassen,  auf  die  Grammatik  zu  verweisen*? 
Dadurch,  dass  dies  ganz  unterlassen  worden  ist,  scheint  uns  H.'s 
i^usgabe  in  einen  entschiedenen  Nachtheil  gegen  die  von  Kr.  zu 
treten.     Hätte  Letzterer  nur  den  Gebrauch  seines  Buches  dadurch 
erleichtern  wollen,  dass  er  neben  dem  Citat,  das  sehr  oft  nackt  da- 
steht,   mit  zwei  Worten  den  Inhalt  des  citirten  Paragraphen  der 
Grammatik  andeutete.     Dadurch   würde  er  dem  Schüler  in  vielen 
Fällen,  wo  er  in  der  Grammatik  findet,  was  er  sclion  gewusst,  das 
ermüdende  Aufschlagen  erspart  haben.     Geschieht  das  Citiren  in 
der  angegebenen  Weise,  so  wird  dem  geholfen,  der  die  Sache  noch 
nicht  hinlänglich  kennt,  ohne  dem  weiter  Fortgeschrittenen  eine 
unnöthige  Mühe  zu  machen.     An  solchen  Stellen,  wie  die  eben 
angeführten,  hätte  dies  gev\iss  zu  grossem  Nutzen  auch  H.  thun 
können,   ohne  dadurch  von  dem  Plane  der  ,, Sammlung"  abzuwei- 
chen.    Ganz  besonders  nothwendig  war  es  aber  da,  auf  die  Gram- 
matik zu  verweisen,  wo  sich  der  Herausgeber  mit  blosser  Anfüh- 
rung von  Parallelstellen  begnügt  hat,   z.  B.  I.  1 ,  1 ,   wo  zeXavxtjv 
ohne  Artikel  steht,  II.  1,  3,  wo  von  Eleyov  ort  zwei  verschiedene 
Modi  abhängen,  II.  1 ,  6,  wo  et  fxlv  cpxovro  ohne  Verbindung  mit 
dem  Vorhergehenden  steht,   und  an  sehr  vielen  anderen  Stellen. 
Dadurch,  dass  dieselbe  Eigenthümlichkeit  an  zwei  oder  mehr  Orten 
vorgeführt  wird,  wird  sie  dem  Schüler  nicht  klarer,  als  wenn  er 
sie  nur  an  einer  Stelle  findet;  denn  er  ersieht  daraus  z.  B.  nicht, 
dass  xiXivxtjv  den  Artikel  nicht  braucht  als  superlativer  Begriff, 
der  die  Individualisirung  schon  in  sich  hat,   oder  dass  ekeyov  ort 
zuerst  den  Indic.  te&vtjksv  nach  sich  hat  und  dann  den  Optat.  frvy, 
weil  der  Schriftsteller  den  Tod  des  Cyrus  objectiv  als  Thatsache, 
die  Flucht  des  Ariaeus  aber  als  Inhalt  der  Meldung  derovrot  hin- 
stellen wollte.    Hätte  aber  H.  durch  Verweisung  auf  die  Gramma- 
tik den  Werth  seiner  Ausgabe  gewiss  für  Viele  bedeutend  erhöht, 
so  durfte  ihn  auch  nicht  etwa  die  Rücksicht  auf  Raumersparniss 
davon  abhalten.     Werden    die  drei  oder  vier  gangbarsten  Schul- 
grammatiken mit  dem  Anfangsbuchstaben  bezeichnet,  so  wird  ver- 
hältnissmässig  ein  geringer  Raum  zu  dem  genannten  Zwecke  aus- 
reichen, und  hätte  H.  hier  und  da  die  Parallelstellen ,  wo  sie  dem 
Schüler  nichts  helfen,  weggelassen,  so  konnte  dieser  Raum  dadurch 
wieder  gewonnen  werden. 

3.  Während  sich  Kr.  fast  nur  auf  sprachliche  Erklärung  be- 
schränkt und  Sachliches  nur  dann  berührt,  wenn  es  das  Verständ- 
niss  der  Stelle  nothwendig  verlangt,  lässt  sich  H.  öfter  auch  über 
Historisches,  Geographisches,  Antiquarischesaus,  wo  es  dazu  die- 
nen kann,  die  Sache  anschaulicher  zu  machen.  Z.  B.  I.  1,  10: 
Die  Truppen  selbst  warb  Aristlppus  wahrscheinlich  erst  in  Thes- 
salien ,  wie  sich  aus  ihren  1.2,6  angegebenen  Bestandtheilen 
schliessen  lässt.  I.  1,  11:  Die  Pisidier  waren  ein  kriegerisches 
Volk,  welches  von  den  Persern  nie  völlig  unterworfen  wurde.  II. 
1,9:  l^yQVf^ha:  ausgenommen;  denn  aus  den  Eingeweiden,  be- 


152  Griechische  Litteratur. 

sonders  der  Leber,  glaubte  man  die  Zukunft  erforschen  zn  können. 
IV.  4,  2:  TVQöSLg^  vermuthlich  um  sich  bei  den  räuberisclicn  CJe- 
berfiillen  der  Karduchen  in  denselben  zu  vcrtheidigen.  lyA^-iiccvi- 
ßcck?iBV~=dv£ßißat,8V.  Es  war  dies  persische  Sitte.  Vgl.  de  re  eq.6, 
12 :  dyaxtov  de  tov  iTtnoKOfiov  xal  ccvc(ßdX?i8iv  Iniötaö^ai  tov  Tleg- 
öLKOV  rpojrov,  wo  Kr.  auf  diese  Steile  verweist,  ohne  die  Worte 
anzuführen.  Eben  da  :  vjiagxog  scheint  --^  öazgccTcrjg  zu  sein  wie 
Herod.  9,  113,  so  dass  Orontes,  der  III.  5,  17  im  Allgemeinen  Sa- 
trap von  Armenien  genannt  wird,  dies  nur  vom  östlichen  Theile  gewe- 
sen wäre.  IV.  4, 16:  at'Aacct,6vsg£x^vöiv:  nämlich  auf  Bildwerken, 
deren  KenntnissXen.  bei  dem  Leser  voraussetzt.  VI.  2, 17  :  trjg&ga- 
xi]g :  Bithyniens,  denn  die  Bithynier  waren  ein  thrakischer  Stamm. 
VII.  5,  12  2aX^vör](566g:  Scymnus  Chius  724:  slt  (vom  Bospo- 
rus aus)  cityiaXog  rig  Z^aXixvörjöödg  Xsyopisi'og  ecp'  iTiraKoöia 
ötdÖLa  tsvayadtjg  äyccv  Kai  övöngoöogiiog  dXißSvog  rs  Tcavts- 
Acög  TtagattTCCTat^  talg  vavölv  sxd'görazog  rojrog,  eine  das  Ver- 
ständniss  der  Steile  recht  fördernde  Beschreibung. 

4.  Ein  Vorzug  in  der  äusseren  Einrichtung  der  Hertlein'- 
schen  Ausgabe  ist  es,  dass  in  ihr  die  Anmerkungen  ziemlich 
gleichmässig  durch  das  ganze  Buch  vertheilt  sind,  während  sie  sich 
bei  Kr.  vorzugsweise  in  der  ersten  Hälfte  zusammengedrängt  fin- 
den und  nach  dem  Ende  zu  immer  weniger  werden.  Durch  letz- 
teres Verfahren  werden  diejenigen  Schüler  benachtheiligt,  die  in 
die  Classe  versetzt  werden,  während  die  zweite  Hälfte  der  Ana- 
basis gelesen  wird.  Dieser  Nachtheil  konnte  vermieden  werden, 
wenn  in  den  späteren  Büchern  auf  frühere  Bemerkungen  mit  Con- 
scquenz  zurückverwiesen  wäre.  Auch  dies  ist  von  H.  mehr  be- 
obachtet worden  als  von  Kr.,  obwohl  wir  auch  bei  jenem  in  dieser 
Beziehung  nicht  selten  etwas  verraisst  haben. 

Dies  sind  die  vier  Punkte,  in  denen  sich  die  vorliegende 
Ausgabe  von  der  Krüger'schen  hauptsächlich  unterscheidet.  Sind 
sie  wesentlich  genug,  um  das  Erscheinen  einer  neuen  Bearbeitung 
neben  letzterer  durchaus  gerechtfertigt  zu  finden,  so  darf  man  auch 
daran  keinen  Anstoss  nehmen  ,  dass  die  sprachliche  Erklärung  bei 
H.  in  der  Hauptsache  nur  eine  dem  Zwecke  der  Sammlung  ent- 
sprechende Auswahl  aus  dem  Reichthum  bei  Kr.  bildet.  Die  Voll- 
ständigkeit des  Krüger'schen  Commentars  ist  so  exact,  dass  sein 
Nachfolger  nur  sehr  selten  Veranlassung  zu  einer  Bemerkung  oder 
einem  Winke  finden  konnte,  wo  sein  Vorgänger  nicht  bereits  das 
Nöthige  gesagt  hatte.  Auch  in  der  Wahl  der  passendsten  Paral- 
lelstellen, in  der  Ueberselzung  und  selbst  in  der  Form  der  Anmer- 
kungen rausste  er  bei  dem  ihm  mit  Kr.  gemeinsamen  Streben  nach 
Kürze  und  Präclsion  im  Ausdruck  sehr  oft  unvermeidlich  mit  die- 
sem zusammentreffen.  Zuweilen  ist  es  uns  so  vorgekommen,  als 
habe  der  Verfasser,  nur  um  mit  Kr.  nicht  übereinzustimmen,  et- 
was mehr  Worte  gemacht  als  nöthig  war,  z.  B.  1,  1,  7,  wo  zu  äno- 


Hertlein:  Xenophons  Anabasis.  153 

CTfjvai  Tigog  Kvgov  sIslÜ  der  Worte:  ist  erklärend  zu  ccvtd  tavta 
(welcher  Plural  in  Beziehung  auf  die  verschiedenen  Momente  des 
aTtoötrjvai  steht,  wie  ähnlich  Tat;ra\1.2,  6)  s^efiigt  (Epexegese), 
das  eine  Wort  nämlich  dasselbe  gesagt  hätte.  I.  1,  11  zu  Kai 
Tovtovg  war  das  Wort  gleichfalls  gerade  genug;  die  Worte: 
wie  Äristippus  und  Aristoxenus,  konnten  wegbleiben.  Auch  III.  3, 
11  reichte  hin:  tccg  xw^wg,  die  2,34  erwähnten;  es  war  überflüs- 
sig hinzuzufügen:  daher  der  Artikel.  I.  1,  10  veranlasste  wohl 
nur  Kr.'s  Bemerkung,  der  elg  durch:  gegen  übersetzt,  Folgendes 
zu  schreiben:  slg  öi6xiliovg  ^evovg  gehört  ebensowohl  wie 
XQK^v  ^7]vcov  zu  ^Lö^ov  ^  SO  dass  elg  für  bedeutet  wie  I.  3,  3.  2, 
27.  Oecon.  4,  5:  tsraxB  tco  agiovri  SKaötcp ,  dg  onoöovg  dal  öl- 
dovaL  tQO(priv.  Ganz  ebenso  Thuc.  6,8:  lg  e^yjKovta  vavg  ^rj- 
rog  ^Lö&öv.  Die  ganze  Anmerkung  brauchte  nur  aus  dem  einen 
Worte  für  zu  bestehen.  Solche  scheinbare  Kleinigkeiten,  deren 
noch  viele  erwähnt  werden  könnten,  übergehen  wir  darum  nicht, 
weil  der  Herausgeber,  der  durch  die  Bestimmung,  nicht  mehr  als 
den  vierten  Theil  jeder  Seite  den  Anmerkungen  einzuräumen,  im 
Räume  beschränkt  war,  durch  strengeres  Halten  auf  Kürze  für  an- 
dere zweckmässige  Andentungen  Platz  übrig  behalten  haben 
würde. 

Fassen  wir  zuletzt  unser  Urtheil  zusammen,  so  sind  die  Vor- 
züge zwischen  Kr.'s  und  H.'s  Ausgabe  getheilt.  Diejenigen,  wel- 
che als  Zweck  einer  Schulausgabe  eine  consequente  Anleitung  zu 
vollständigem  grammatischen  Verständniss  betrachten  und  in  sach- 
licher Beziehung  nur  durchaus  nothwendige  Andeutungen  wün- 
schen ,  werden  nach  wie  vor  an  der  Krüger'schen  Ausgabe  volle 
Genüge  finden,  vorausgesetzt,  dass  sie  die  Krüger'sche  Grammatik 
eingeführt  haben.  Ref.  würde  letztere  ganz  befriedigen,  wenn 
Kr.  ausser  seiner  Grammatik  auch  die  von  Buttmann,  Rost  und 
Kühner  berücksichtigt,  den  Inhalt  des  citirten  Paragraphen  der 
Grammatik,  wo  es  aus  dem  oben  angegebenen  Grunde  nöthig  war, 
kurz  angedeutet  und  die  sprachlichen  Anmerkungen  durch  das 
ganze  Buch  gleichmässig  vertheilt  hätte.  Für  Anmerkungen  hi- 
storischen, geographischen  und  antiquarischen  Inhalts,  die  für  das 
Verständniss  der  Stelle  nicht  ganz  nothwendig  sind,  wie  sie  H.  vor 
Kr.  voraus  hat,  würde  er  lieber  Bemerkungen  eintauschen,  die  die 
gewöhnliche  Syntax  betreffen,  wie  sie  Kr.  bietet.  Denn  wenn  dem 
Tertianer,  der  die  Syntax  sich  erst  aneignen  soll,  von  den  gram- 
matischen Beziehungen  etwas  entgeht,  wenn  er  z.B.  übersieht, 
dass  I.  1,  6  (og  kmßovXevovxog  TcööcccpeQvovg  heisst:  indem  er 
vorgab,  dass  ihm  Tissaphernes  nachstelle,  oder  wenn  ihm  I.  1,  10 
in  den  Worten  cog  ovtco  neQiyavo^avog  av  zcov  dvtLöxaöLoxav 
die  Bedeutung  des  Particip.  aor.  mit  äv  fremd  ist,  so  erfasst  er 
den  Sinn  der  Stelle  nicht  und  kommt  mangelhaft  präparirt  in  den 
Unterricht,  während  es  seiner  Vorbereitung  keinen  Abbruch  thut, 
wenn  er  erst  vom  Lehrer  oder  auch  gar  nicht  hört,  wo  Äristippus 


J54  Lateinische  Litteratur. 

seine  Truppen  wahrscheinlich  geworben  hat,  oder  dass  die  Pisi- 
dier  ein  kriegerisches  Volk  gewesen,  das  von  den  Persern  niemals 
unterworfen  wurde.  II.  hat  offenbar  nicht  blos  fiir  die  Schule, 
sondern  auch  zugleich  für  andere  Leser  sorgen  wollen;  daher  so 
manche  Bemerkung,  die  —  unbeschadet  einer  guten  Präparation 
—  dem  Lehrer  iibcrlassen  werden  kann;  daher  viele  Parallelstel- 
len oder  Andeutungen,  die  einen  Sprachgebrauch  als  dem  Xen.  ei- 
genthümlich  oder  als  ihm  mit  anderen  Schriftstellern  gemeinsam 
nachweisen  sollen ,  wofür  der  Tertianer  noch  nicht  das  Ver- 
ständniss  hat;  daher  auch  wohl  das  Wegbleiben  jedes  grammati- 
schen Citats.  lief,  ist  der  Ansicht,  dass  die  Ausgabe  an  Zweck- 
mässigkeit in  ihrer  Einrichtung  noch  gewonnen  haben  würde, 
wenn  H.  den  einen  Zweck:  der  Schule  zu  dienen,  ausschliesslich 
verfolgt  hätte.  Gleichwohl  können  wir,  was  wir  über  den  VVerth 
des  Buchs  bereits  ausgesprochen  haben,  schliesslich  nur  wiederho- 
len: Ilr.  llertlein  hat  durch  seine  tüchtige  und  praktische  Arbeit 
alle  diejenigen,  die  von  einer  Schulausgabe  der  Anabasis  verlangen 
dass  sie  einen  diplomatisch  richtigen  Text  liefere,  dass  sie  den 
Schüler  die  in  der  Sprache  und  in  der  Sache  liegenden  Schwierig- 
keiten lösen  und  eine  gute  Uebersetzung  finden  helfe,  und  dass  sie 
ihn  auf  das  dem  Autor  Eigenthümliche  aufmerksam  mache,  zu 
grossem  Danke  verpflichtet. 

Wittenberg.  Dr.  Breit enbacJu 


em 


Horatiana  Prosopographeia.      Scripsit  J.  G.  F.  Estre.     Amstelo- 
dami,  apud  Fredericuiu  Müller.    MDCCCXLVl.  VllI  u.  599  S.  in  8. 

Wenn  wir  dieses  nützliche  Buch  jetzt  erst  zur  Anzeige  brin- 
gen, so  liegt  der  Grund  der  Verspätung  in  dem  alleinigen  Umstände, 
da>8  wir  wegen  unsrer  Entfernung  vom  litterarischen  Markte  erst 
vor  Kurzem  zur  Kenntniss  des  gelehrten  Werkes  gelangt  sind.  So 
\iel  wir  wissen,  hat  der  Verfasser,  welcher  seit  sieben  Jahren  der 
horazischen  Prosopographie  seine  Aufmerksamkeit  zugewendet  zu 
haben  versichert,  bereits  im  Jahre  1M4:  seinen  ersten  derartigen 
Versuch  unter  dem  Titel:  Horatianae  Prosopographeiae  cap.  duo. 
Amstelod.  bekannt  gemacht.  Es  sind  Studien  in  Absicht  auf  die 
im  Uoraz  vorkommenden  Persönlichkeiten,  durch  das  Beispiel  eines 
Acron,  als  ersten  Prosopographen  (s.  p.  3),  wo  nicht  veranlasst, 
doch  gehoben  und  getragen.  Und  wir  sind  Herrn  Estre,  dem 
würdigen  Schüler  Peerlkarap's,  das  Zeugniss  schuldig,  dass  er  das 
vorhandene  Material  mit  Benutzung  der  neuern  Forschungen, 
hauptsächlich  der  deutschen  Gelehrten,  zu  einem  übersichtlichen 
Ganzen  verarbeitet  und  dabei  ein  freies,  selbstständiges  Urtheil 
sich  bewahrt  habe,  wenn  man  auch  hier  und  da  den  Wunsch  nicht 
unterdrücken  kann,  dass  der  gelehrte  Verfasser  gleicher  gearbei- 


Estre :  Prosopographia  Horatiana.  155 

tet  und  von  der  conservativen  Richtung  sich  entfernter  gelialten 
haben  möchte.  Mag  auch  die  Anordnung  manches  Unbequeme 
mit  sich  führen,  das  Register  wird  den  Suchenden  leicht  zurecht- 
weisen. Hinsichtlich  der  erstem  hat  der  Verfasser  folgenden 
Weg  eingeschlagen:  „Initio  facto  ab  iis  qui  ingenio  censentur: 
Poetis,  Philosophis,  Oratoribus  et  Jureconsultis,  Rhetoribns,  Cri- 
ticis,  Medicis,  post  de  iis  agemus  qui  rebus  gestis  in  Repubh'ca  in- 
claruerunt;  tum  de  Artiiicibus ,  qui  operibus  suis;  hinc  pergemus 
ad  Familiäres,  inde  ad  Amores  Horatii;  in  finem  relegabimus  pri- 
mum  viros  humilis  conditionis:  gladiatores,  mimos,  histriones, 
deinde  infames:  avaros  et  prodigos,  fures  et  delatores,  heredipe- 
tas,  gulosos,  id  genus  reliquos.'^  Der  Eingang  ist  den  Scholiasten 
gewidmet,  über  welche  Suringar  in  seiner  Historia  critica  Scholia- 
starumLatinorum  Vol.  III.  ein  weitläufiges  Material  gespendet  hat. 
Es  darf  für  genügend  gelten,  was  der  Verfasser  von  Seite  1  bis  8 
über  selbige  sagt ;  nur  hätte  er  dem  Fabricius  nicht  nachsprechen 
sollen,  dass  Charisius  des  Terentius  Scaurus  zehntes  Buch  in  llo- 
rat.  Art.  Poetic.  anführe.  In  einer  Anmerkung  wird  nämlich  von 
dem  Verfasser  ausdrücklich  behauptet:  Charisius  bis  laudat,,librum 
decimum  Terentii  Scauri  in  Artem  Poeticam"*  Institutt.  Gramm, 
p.  182  et  188.  Putschii.  Erat  Scaurus  Grammaticus  nobilissimus, 
vixit  riadriani  temporibus.  Vid.  Gellius  Libr.  XI.  c.  l'\  Aliein 
hier  hat  sich  der  Verf.  von  einem  höclist  unkritischen  Verfahren 
hinreissen  lassen ,  welches  längst  von  mehrern  deutschen  Gelehr- 
ten,  als  von  Bernhardy  und  Düntzer,  aufgedeckt  worden  ist. 
Die  Ars  Poetica  ist  ja  nicht  die  horazische,  sondern  die  des  Scau- 
rus selbst,  \^ie  aus  der  zweiten  Stelle  deutlich  hervorgeht.  Wir 
theilen  dieselbe  hier  mit,  um  jedem  Irrthum  in  Betreff  dieses  ver- 
meinten Ilorazscholiasten  der  Ars  poetica  vorzubeugen.  P.  188 
werden  von  Charisius  Virgil  und  Scaurus  in  Verbindung  gebracht: 
Primus  pro  imprimis,  ut  Maro:  Trojae  qui  primus  ab  oris;  ubi  Q. 
Terentius  Scaurus  coramentariis  in  Artem  Poeticam  libro  decimo 
etc.  Uebrigens  wird  mit  Recht  bemerkt,  dass  von  den  von  Fa- 
bricius genannten  Schoüasten,  als  Caius  Aemilius,  Julius  Mode- 
stus  und  Terentius  Scaurus,  nichts  mehr  vorhanden  sei,  ausser  et- 
wa in  der  vom  Scholiastes  Cruq.  zu  Sat.  2,  5,  9:^  angeführten 
Stelle:  ^^Sles  capite  obstipo:  Fixo,  immobil!,  tristi, vel,  ut  Scau- 
rus dicit,  inclinato  in  alterum  humerum,"'  wo  Porphyrion  in  ähnli- 
cher Weise  commentirt :  „Tristi  ac  severo.  Secus  inclinato  dicit. ^'• 
Für  jenes  unerklärliche  secus  wird  Scaurus  vorgeschlagen ,  was 
wir  als  eine  der  glücklichsten  Conjecturen  hinnehmen,  üeber  den 
C.  Aemilius  y,\iA  künftig  Ferdinand  Hau tha  l's  ürtheil  im  rh. 
Museum  V.  S.  516  ff.  zu  berücksichtigen  sein,  welcher  jene  Na- 
men auf  den  Mäccnas  zu  Od.  1,1,1  bezieht:  ad  C.  Aemilium 
Maecenatem.  Vgl.  Th  eod.  Ob  bariu  s  Einleitung  zur  Odenaus- 
gäbe  S.  XXXIV.  Anm.  5.  Das  Verhältniss  der  noch  vorhandenen 
Scholiasten  wird  mit  Ausnahme  des  Sthol  Cruq.  dermaassen  fest- 


156  Lateinische  Litteratur. 

gestellt,  dass  Acron  älter  als  Porpliyrioii  ist,  beide  aber  älter  als 
Charisius  sind,  letzterer  aber  wieder  älter  als  Priscianus,  wesshalb 
das  Berufen  des  Acron  auf  den  Priscianus  zu  Epist.  2,  1,  228  für 
iiiiäcbt  mit  Heusde  (Studia  critica  in  Lucilium  p.  154)  gehalten 
wird.  Ist  diese  Altersfol^e  ricliti^,  so  reicht  das  Zeitalter  der 
Scholiasten  weit  hinter  Priscianus  Zeit  zurück ,  das  man  zeither 
meist  nach  demselben  zu  stellen  pflegte.  Indess  dürfte  Acrons 
Erwähnung  desTheotiscus  (Sat.  1,  5,  97),  welcher  der  Lehrer  des 
Priscian  gewesen  sein  soll,  die  Sache  ziemlich  zweifelhaft  machen. 
Wie  dem  auch  sei,  der  Kern  der  Schollen  geht  unstreitig  auf  eine 
frühe  Zeit  zurück,  wie  schon  die  von  Jani  angezogenen  Stellen 
beweisen,  zu  denen  Herr  Estre  noch  Acron  zu  Od.  4,  6,  i  und 
Porphyrion  zu  Epist.  1,  1,  54  hinzufüget.  Wir  bieten  noch  Od. 
4,  12,  18,  wo  die  beiden  Scholiasten  ein  merkwürdiges  Zeugniss 
ihrer  Zeit  ablegen,  das  bereits  Vanderbourg  gebührend  gewürdigt 
hat.  Der  Herr  Verf.  hat  zu  den  Sulpicia  horrea  daselbst  eine  rei- 
che litterarisch -historische  Nach  Weisung  S.  456.  Nr.  1  gegeben, 
ohne  jedoch  hier  den  rechten  Gebrauch  davon  zu  machen.  Lieber 
Acrons  Verhältniss  zum  Terenz  und  zu  dem  Commentar  des  Do- 
iiatus  hat  Paldaraus  im  Greifswalder  Programm  1847  („Horatia- 
na-*-)  p.  13  und  14  sehr  gründlich  gesprochen.  Vgl.  auch  Dillen- 
burger  im  Aachner  Schulprogramm  1843,  „Horatiana^^  p.  1 — 8. 
Gehen  wir  jetzt  zu  dem  ersten  Capitel  über,  dessen  erster  Theil 
die  griechischen,  von  Horaz  namhaft  gemachten  Dichter  erwähnt! 
Zuersttritt  uns  Home  rentgegen.  EsliegtdieFragcnahe,vviehatder 
Dichter  Horaz  von  dem  VaterderDichtkunst,  demHomer,  gedacht; 
welches  Bild  hat  er  sich  von  demselben  entworfen?  Zwar  werden 
uns  die  bezüglichen  Stellen  unter  und  mit  allgemeinen  Gesichts- 
punkten vorgeführt,  aber  bei  Epist.  1,  2,  3  sq.  Qui,  quid  sit  pul- 
chrum,  quid  turpe,  quid  utile,  quid  non,  PLanius  ac  melius  CJiry- 
sippo  et  Crantore  dicit,  war  hauptsächlich  der  von  Bentley  ver- 
worfnen Lesung  Plenius  zu  gedenken,  welche  zu  der  gegebnen 
Erklärung:  ,,Quem  locum  si  conferamus  cum  vs.  6  sqq.  et  17  sqq., 
Horatium  haud  alienum  fuisse  apparet  ab  illa,  Stoicorum  imprimis, 
sententia,  doctrinam  cgregiam  latere  sub  Homeri  fabulis;  vitae 
praecepta  peti  posse  ex  iis  certe  ostendit,"  viel  besser  als  die 
aufgenommene  passt.  Denn  „von  einer  grössern  Anschau- 
lichkeit und  V  er  stand  li  chkeit  der  Schilderungen," 
wie  noch  neulich  das  Planius  gefasst  ward ,  kann  hier  nicht  die 
Hede  sein,  da  Homer  mit  zwei  bewährten  Philosophen  in  Verglei- 
chung  gestellt  wird.  Horaz  theilt  die  Ansicht,  welche  das  Alter- 
thum  über  Homer  als  den  Quell  alles  Wahren  und  Guten  gefasst 
hat.  Vgl.  Plat.  Rep.  X.  p.  598  E.  und  Xenoph.  Sympos.  4,  6. 
Wenn  in  demselben  Capitel  S,  11  die  Worte:  Nee  sie  incipies  ut 
scriptor  Cyclius  olim:  Fortunam  Priami  cantabo  et  nobile  bellum 
(A.  P.  136  sqq.)  von  einem  gleichzeitigen  Dichter  verstanden  wer- 
den, so  müssen  wir  alle  unsre  Vernunft  gefangen  nehmen  unter  den 


Estrt?:  Prosopographia  Horatiana.  157 

Geliorsara  des  Glaubens,  so  sehr  auch  der  Verfasser  bemüht  ist, 
dem  olim  durch  Vergleichung  des  quondam  Sat.  1,  2,  55.  2,  3,  60 
eine  mildere  Deutung  zu  geben.  Auch  scheint  uns  die  ganze  Be- 
weisführung nicht  stichhaltig:  „Non  ab  antiquo  poeta  exempla  pe- 
titurus  erat  Horatius  quae  reprehenderet.  üocet  Romanos  in  hac 
Epistoia  quoraodo  Pisones  et  Romani  facere  possint  bonum  carmen 
Epicum,  bonum  Dramaticura.  Exempla  ostendit  bona,  quae  se- 
quantur,  mala,  quae  fugiant.  Bona  sunt  Graecorum,  mala  Latino- 
rum,*'  Dagegen  verdient  alle  Anerkennung  die  reichhaltige  Er- 
örterung über  Lucilius  von  S.  71  bis  96,  wenn  man  auch  an  der 
Erklärung  von  Sat.  1,  10,  64  sqq.  Fuerit  Lucih'us,  inquam,  Comis 
et  urbanus,  fuerit  limatior  idem  Quam  rudis  et  Graecis  intacti 
carminis  auctor  Quamque  etc.  Anstoss  nehmen  sollte,  und  wir  wa- 
gen hinzuzusetzen:  mit  Recht;  denn  Herr  Estre',  einerseits  durch 
die  lehrreiche  Beweisführung  C.  F.  Hermann's,  dass  aus  histo- 
rischen Gründen  an  Ennius  als  Satirendichter  nicht  gedacht  wer- 
den könne,  zu  vollkommener  Üeberzeugung  gebraclit,  andrerseits 
durch  grammatische  Gründe  genöthigt,  Hermann 's  Erklärung 

der  Worte :    Quam   rudis auctor  entgegen  zu  treten ,   wird 

nolens  volens  in  Döring's  Lager  gedrängt,  weicher  den  Vers  auf 
Ennius' Annales  Romanorum  bezieht,  jedoch  mit  demünterschiede, 
dass  Estre  die  Worte:  sed  ille  etc.  von  Lucilius,  hingegen  Döring 
ebenfalls  von  Ennius  versteht.  Die  grammatische  Bedenklichkeit, 
welche  der  Verfasser  gegen  Herroann's  Interpretation:  „fuerit 
Lucilius  limatior  quam  pro  ea  conditione,  in  qua  auctorem  rudis 
Graecisque  intacti  carminis  versari  consentaneum  fuerit,'''  nicht 
ohne  zureichenden  Grund  erhebt,  wird  in  folgender,  des  allgemei- 
nen Interesses  wegen  hier  mitzutheilender,  Fassung  vorgetragen: 
„recepta  illa  Hermanni  interpretatione  instituitur  apud  Horatiura 
comparatio  inter  rem  singularem  et  concretara ,  Lvcilium^  cum  re 
universali  et  abstracta,  auctore^  conjuncta  vero  cum  re  concreta, 
p.  s.  turba.  Manc  autem ,  in  altero  comparationis  membro,  con- 
junctionera  inter  rem  abstractara  et  rem  concretam,  vereor  ut  pro- 
bari  possit.  Recte  coraparamus  rem  concretam  cum  re  abstracta, 
v.  c.  recte  dicimus :  Cicero  plus  valebat  in  dicendo  quam  fere  Lati- 
nus  Orator;  minime  vero,  nisi  egregie  fallor:  Cicero  plus  valebat 
in  dicendo  quam  fere  Latinus  orator,  quamque  Hortensius.  Sub- 
stituamus  vocibus:  „Latinus  orator,^'  quae  rem  exprimunt  univer- 
salem, aliud  vocabulum,  singularem  quandam  rem  designans,  v.  c. 
dicamus:  Cicero  plus  valebat  in  dicendo  quam  Hortensius,  quam- 
que ceterorum  oratorum  Latinorum  turba ;  omnia  recte  se  habe- 
bunt. Ita  quoque  apud  Horatium  voce  auctor  certum  quendam 
poetam  designari  censeo  etc.^''  Wenn  hier  Herr  E.  von  einem  rich- 
tigen interpretatorischen  Gefühle  geleitet  wird,  so  verläugnet  er 
dasselbe  hinwiederum  durch  den  Glauben  an  Ennius'  ganz  ausser 
dem  Wege  liegende  Annalen.  Jedenfalls  hatte  Quintilianus  unsrc 
Stelle  vor  Augen,  als  er  10,  1,  93  schrieb:   „Satira  quidam  tota 


158  Lateinische  Litteratur. 

nostra  est  etc.'"'     f  nd  wir  hoffen,  dass  der  Verf.  von  diesem  Irr- 
tliumc  ziiriickkehrcn  wird,  wenn  er  mit  dem  trefflichen  Programme 
Ilcrmann's  (Marburg  1841)  auch  Petermann's  (De  Satirae 
Kornanac  auctore  ejusque  inventore,   Ilirscliberg  1846)  und  Pal- 
damus'  (Floratiana.    Greifswahler  Scliulprogr.  1847  p.  15)    Ent- 
gegnungen zu   vergleiclien  Gelegenheit  nimmt.     Mit  diesen  drei 
Schriften   halten  wir  die  Acten  über  jene  oft  ventilirte  Stelle  für 
geschlossen.    So  verlässlich  auch  der  Verfasser  in  den  historischen 
Forschungen  und  in  seinem  Saramlerfleisse  ist,  so  behutsam  rauss 
man  seinen  Schritten  folgen,  wenn  er  den  schlüpfrigen  Boden  der 
Interpretation  betritt.     So  weiss  er  unter  Andern  keinen  schickli- 
chen Zeitpunkt  zu  finden,   in  welchen  Od.  1,  2  zu  setzen  sei  (p. 
277),   worüber  wir  jedoch  mit  ihm  nicht  rechten  wollen.     Wenn 
er  aber  zu  Vs.  44  patiens  vocari  Caesaris  ultor  lieber  Crassi  ultor 
mit  Hinsicht  auf  Dio  Cass.  51,  8  lesen  möchte,  so  müssen  wir  die 
Motivirung  seiner  Ansicht  als  unpoctisch  abweisen.     Er  sagt  näm- 
lich:   ,,Laudare   potuit  Augustum  Crassi  ultorem ,    Dacorum  Ae- 
tliiopumque  victorem,   raorum  legumque  restitutorem  .   nunquam 
recte  laudare  potuit  ultorem  Caesaris.     Hocsifecit,   ut  alii  sta- 
tuunt,  paulo  post  reditum  in  patriam,  tum  profecto  inconstantiae, 
inffeniique  servilis  cgregium  nobis  documentura  reliquit;  sin  decen- 
nio  post  vel  amplius,  ut  alii,  tum  non  modo  adulator  turpissimus, 
verum  etiam  ineptissimus  est  habendus,  qui,  quum  tot  interea  bella 
externa  atque  interna,  suis  quoque  prodigiis  comitata,  tot  Caesaris 
victoriae  argumenta  Carminis  conscribendi  praebuissent,  id  potissi- 
mum  sibi  sumserit  argumentum,  quod  recte  celebrare  non  posset 
etc."     Allein  Iloraz  steht  bei  jenem  gebrauchten  Ausdrucke  ganz 
auf  dem  Boden  der  Thatsachen,  wenn  wir  Sueton.  Octav.  29.    Ae- 
dem  Martis  hello  Philippensi  pro  uUi'one  palerjia  suscepto  voverat, 
mit    seiner    Aeusserung   bei    Dio   Cassius  58,  4  zusammenhalten. 
Vercl.  auch  Ovid.  Fast.  5,  569  sqq.     Der  Vorwurf  einer  Schmei- 
chelei, deren  sich  Horaz  schuldig  gemacht,  prallt  an  dem  Pflicht- 
gebote ab,  als  Dichter  der  Träger  seiner  Zeit  zu  sein  und  somit  die 
Gesinnung  derer  auszusprechen,  d.  h.  der  Besseren,  die  in  der  po- 
litischen Neugestaltung  des  Vaterlandes  die   endliche  Ruhe  von 
den    unseligen    Bürgerkriegen  gewahrten    und    erstrebten.      Der 
Dichter  hatte  längst  die  Ueberzeugung  gewonnen,  dass  die  republi- 
kanische Verfassung  sich  überlebt  habe  und  der  nothwendigen  Re- 
form  der  Alleinherrschaft  weichen  müsse.     Wir  halten  demnach 
die  Ode  in  dem  Zeiträume  von  725  bis  727  geschrieben,  wo  Cäsar 
Octavianus  das  Heft  der  Herrschaft  aus  den  Händen  zu  geben  sich 
anschickte.     Eben  so  wenig  sind  wir  mit  der  Erklärung  von  Od.  3, 
29,  5  sqq.  eripe  te  morae:  Ne  semper  udum  Tibur  et  Aesulae  De- 
clive  contempleris  arvum  etc.  einverstanden,  wo  statt  wemitCap- 
martin  deChanpy,  Hardinge  und  Andern  z^/ zu  lesen  vor- 
geschlagen wird.     Wir  wollen  auch  hier,  um  uns  keiner  subjectl- 
ven  Deutung  schuldig  zu  machen,  den  Verfasser  selbst  reden  las- 


Estr^:  Prosopographia  Horatlana.  159 

sen  (p.  387):  ,,Simt  Tibiir  et  Tusculum  in  conspectu  Romae,  teste 
Strabone  (Lib.  V.p.2S8)^  sed  tarnen  cumCfi\)maYiuuo(/)ccouver/e 
de  la  Maisoji  de  Campagne  d'Hoiace,  T.  U.  p.  227.  Tatius  in 
Prol.  suae  Horatii  Edit.  p.  XXIX.  eaiidem  conjecturam  Nie.  Har- 
dingio  tribiiit)  vs.  6  pro:  Ne  leg^endiim  esse  censeo:  Ul  semper 
iidum  etc.  Non  in  villara  suara,  prope  Tibiir  sitam,  Maecenatcm  in- 
vitaturus  erat  Horatius,  ?ie  adspiceret  Tibiir  semper  udum,  sed 
?/^,  pro  furao  urbis,  Tibur,  Aesulam,  non  longe  a  Tibure  remotam 
(de  situ  Aesulae  vid.  Valckenariiis,  Histoire  d'Horace^  T.  II.  p. 
i^8  sq  ),  et  Tusculum  ibi  contempiaretur.  Quamvis  aÜter  ipseCap- 
martinius  suum  ut  interpretatus  est,  quasi  Horatius  Maecenati  sua- 
deret,  uti  seu  Tibur,  seu  Aesulam ,  seu  Tusculum,  urbe  relicta,  se 
conferret.''  In  Capmartin's  Erklärung  liegt  unsers  Erachtens 
immer  noch  ein  ansprechender  Sinn,  aber  in  der  des  Verf.'s  können 
wir  nur  Spitzsinn  finden.  Dagegen  müssen  wir  die  gute  Erklärung 
von  caupo  zu  Sat.  1,  1,  4  sqq.  p.  96  rühmend  anerkennen.  Bei 
Od.  2,  20,  6  que?n  vocas^  folgte  der  Verf.  seinem  Lehrer  Peerl- 
kamp  mit  Berufung  auf  Virg.  Aen,  4,  460  sqq.  Von  Letzterm 
wird  uns  auch  eine  bis  jetzt  unbekannte  Lesart  zu  Epist.  1,  1,  57 
(p.  258)  mitgetheilt:  Eslo  animus  tibi,  sint  mores,  sint  lingua  fi- 
desque:  Sed  quadringentis  sex  Septem  raillia  desint ;  Plebs  eris. 
Wir  können  jedoch  nicht  läugnen,  dass  die  Vulgate:  Est  animus 
tibi  etc.  uns  kerniger  und  kraftvoller  scheint.  Eben  so  wenig  wird 
die  Conjectur  des  Verfassers  zu  Sat.  1,  2,  32  (p.  255)  auf  allge- 
meinen Beifall  rechnen  können,  für  sententia  dia  Catonis  zu  lesen: 
sapientia  dia  Catonis  Denn,  setzt  derselbe  hinzu:  Sententia  non 
totum  Catonem  ostendit ,  ut  fach  sapie?2tia,  sed  est  pars  totius. 
Recte  quidem  Lucilius  dixit : .,  Valeri  sententia  dia,"-  teste  Porphy- 
rione  ad  Libr.  I.  Sat.  6,  Vs.  12,  sed  alio  modo,  cum  yvcj^r^v  Va- 
lerii  significaret.  In  solchen  Fällen,  wo  ein  Ausdruck  bereits  gäng 
und  gebe  geworden,  wird  der  feinfühlende  Dichter  sich  hüten,  den- 
selben durch  Substituirung  eines  mundrechtern  Wortes  die  Spitze 
abzubrechen;  denn  auch  Lucretius,  dem  Horaz,  wie  bekannt,  so 
manche  Wendung  entlehnt  hat,  sagt  5,  521 :  Democriti  quod  sancta 
viri  sententia  dixit.  Doch  wir  kehren  nach  diesen  Parerga  zu  den 
historischen  Forschungen  zurück,  in  welchen  Herr  Estre  zu  Hause 
ist.  Im  Allgemeinen  war  wohl  die  Untersuchung  anzustellen,  wel- 
che Personennamen  auf  dem  realen  Boden  der  Geschichte  und 
welche  auf  dem  idealen  der  Fiction  oder  der  Accommodation  basirt 
sind.  So  wählt  der  Dichter  aus  guten  Gründen  den  Namen  Scaeva 
(Sat.  2,  1,  53)  für  einen  Giftmischer,  von  welchem  er  sagt:  Scae- 
vae  vivacem  crede  nepoti  Matrem;  nil  faciet  sceleris  pia  dextera, 
und  die  Bemerkung  eines  solchen  Witzspiels  würde  dem  Verfasser 
die  dürre  Beantwortung  erspart  haben  (p.  572):  „Ignorantur  hodle 
Scaeva  etc."  Eben  so  ist  es  mit  dem  Hitzkopf  Bolanus  Sat.  1,  9, 
11,  wo  Herr  Estre  p.  443  uns  sagt,  wer  es  nicht  sein  könne,  auf 
die  bekannten  Personen,  den  M.  Bolanus  bei  Cicero  in  den  Epist. 


160  Lateinische  Litteratur. 

ad  Div.  13,  77  und  den  VcctiusBolaniis,  den  schon  wegen  der  Zeit 
hier  unmöglich  gemeinten  Präfecten  von  Britannien ,  verweisend 
mit  Berufung  auf  Tac.  Ann.  1 '),  3.  Ilist.  2,  65.  97.  Agric.  16.  Stat. 
Sylv.  5.2,  41  sqq.  hl  dieselbe  Kategorie  stellen  wir  den  Redner 
Mutus  Epist.  1,  0,  22,  den  der  Verfasser  ganz  übersehen  zu  haben 
scheint,  ferner  den  Kutrapelus  Epist.  1,  18,  31,  nicht  zu  gedenken 
der  Namensdichtungen,  wieThaliarchus,  Lycus  (Isegrimm)  Alphius, 
(dkcpaivcü)^  Lalage,  Lydia,  Leuconoe,  Neobule,  Chloe,  über  welche 
Nauck  im  Archiv  für  Philol.  und  Pädag.  1848.  XIV.  4.  S.  557 
den  wahrsten  Gesichtspunkt  aufgestellt  hat.  Der  Eutrapelus  am 
obigen  Orte  ist  nichts  anders  als  was  sein  Name  besagt,  ein 
Schwankmacher,  der  bei  dem  Schaden  Andrer  sich  ins  Fäustchen 
lacht,  wie  auch  Aristoteles  llhet.  2,  12  darauf  hinzielt:  „  o£  vbol 
(piÄoyfkatBg'  öio  xctl  evTQCi7i8XoL'  ij  yag  evroanskia  JceTtaiöev- 
(jisvT]  vßgig  eöTL.  Herr  Estre  sucht  hin  und  her,  bis  er  bei  Plu- 
tarcli  in  der  Vita  Bruti  45  einen  Mimen  findet,  auf  den  der  hier 
erzählte  Zug  passen  könnte:  ^^Hv  öe  tig  BokovfxvLog  fil^og  xal 
2^aytovkLCJV  yekcjtOTtOLog  T^kaxorsg  TitL"'  Die  Alten  gaben  auf 
die  Namensbedeutung  oft  weit  mehr  als  man  zu  glauben  geneigt 
sein  möchte.  Wir  verweisen  dieserhalb  auf  unsre  Bemerkung  zu 
Kpist.  1,  13,  9  und  10,  49.  Und  so  durfte  sich  wohl  unser  Dich- 
ter die  Freiheit  herausnehmen,  seinen  Mann  Eutrapelus  zu  nen- 
nen, unbekümmert,  wer  diesen  Namen  geführt  liabe  oder  noch 
führe.  Anderwärts  war  der  Name  nach  einem  andern  Principe  zu 
beurtheilen,  z.  B.  Od.  4, 12,  wo  der  Dichter  seinen  Freund  Virgi- 
lius  zu  einem  fröhlichen  Mahle  einladet.  Herr  Estre  läugnet  mit 
Recht,  dass  der  Dichter  Virgil  gemeint  sei;  allein  die  Argumen- 
tation aus  der  Ode  selbst,  namentlich  aus  dem  Studium  lucri,  zu 
führen,  scheint  uns  allzu  engherzig.  Uns  genügt  der  historische 
Grund,  dass  das  vierte  Odenbuch  nach  Virgilius  Tode  (735)  ge- 
schrieben worden  ist.  Denn  annehmen  wollen,  die  Ode  habe  sich 
aus  einer  frühem  Zeit  unter  die  Spätfrüchte  des  letzten  Odenbuchs 
verloren,  heisst  eine  petitio  principii  zu  einem  Princip  erheben. 
Gehen  wir  jetzt  zu  einigen  Persönlichkeiten  über,  an  die  der  Dich- 
ter seine  Briefe  gerichtet!  Der  erste  so  wie  der  neunzehnte  ist 
dem  Maecenas  gewidmet.  Lieber  diesen  spricht  sich  der  Herr 
Verf.  von  S.  372  bis  406  auf  eine  löbliche  Weise  aus ,  wobei  wir 
vorzüglich  die  in  den  Anmerkungen  niedergelegten  classischen 
Stellen  als  die  Frucht  eines  grossen  Sammlerfleisses  hoch  anschla- 
gen: Frandsen's  bekanntes  Werk  gab  theilweise  einen  guten 
Führer  ab.  Dabei  tritt  der  Verf.  auf  die  Seite  derjenigen,  welche 
die  Schilderung  des  Maecenas  unter  dem  Namen  Malchinus  oder 
Malthinus  nicht  gelten  lassen  wollen;  auch  kann  er  Od.  2,  12,  13 
unter  der  Licymnia  die  Terentia  nicht  finden,  sondern  eine  Ge- 
liebte des  floraz  selbst,  wie  Teuf  fei  in  der  Zeitschrift  für  die 
Altertlmmstoissensch.  1845  S.  608  darzuthun  gesucht  hat.  Indess 
feind  wir  von  seiner  Beweisführung  keinesweges  überzeugt  worden, 


Estre  :  Prosopographia  Horatiana.  161 

zumal  wenn  man  die  Aehiilichkeit  der  Namen  Licymnia  und  Lici- 
nia  in  Anschlag  bringt,  worauf  Baraberger  im  Philologus  I.  S. 
322  mit  Recht  aufmerksam  gemacht  hat.  üebrigens  finden  sich  die 
Stimmfuhrer  der  einen  oder  der  andern  Meinung  in  Theodor 
Obbarius  Commentar  S.  142  fF.  weit  genauer  angegeben.  Zu 
dem  zweiten,  dem  Loliius  gewidmeten  Briefe  wird  das  Nöthige 
nicht  blos  beigebracht,  sondern  auch  die  Meinung  festgehalten, 
dass  der  hier  genannte  Loliius  ein  Sohn  des  berühmten  Consuls 
im  J.  733  gewesen  sei.  Der  freie  Sinn  des  jungen  Mannes  wird 
durch  die  achtzehnte  F^pistel  ausser  allen  Zweifel  gesetzt, 
aber  das  Epitheton  :  maxime ,  als  unerklärbar  bezeichnet.  Wir 
glauben,  dass,  da  Loliius  wenigstens  noch  einen  Bruder  hatte,  ein 
Unterscheidungswort  ganz  im  antiken  Geiste  sei.  Und  sollte  man 
Anstoss  an  dem  Superlativ  wegen  der  Zweizahl  nehmen ,  so  wür- 
den wir  auf  analoge  Fälle  wie  Cic.  pr.  Süll.  4,  13  und  de  Offic. 
3,  1,  1.  Lael,  26,  100  verweisen.  Das  fehlende  natu  werden  die 
Nachweisungen  bei  Lambin  zu  Od.  4,  14,  14.  For  biger  zu  Virg. 
Ecl.  5,  4  und  Fabri  zu  Liv.  23,  30,  11  rechtfertigen.  Wenn  wir 
den  von  Torrentius  geltend  gemachten  Zunamen  Palikanus  mit 
Paullinus  in  unserm  Commentare  zu  vertauschen  wagten,  so  stimmt 
Herr  Estre  uns  bei,  indem  er  S.  499  noch  eine  Stelle  beibringt, 
wofür  wir  ihm  zu  grossem  Danke  verpflichtet  sind.  Es  ist  Sextus 
Rufus  Breviarum  c.  11,  wo  im  cod.Burm.  also  gelesen  wird:  „Eam 
(Galatiam)  primus  M.  Lolius  paulinus  administravif"^  statt  der  ge- 
wöhnlichen Lesung:  „Loliius  pro  praetore"  (vid.  Verheykii  Edit. 
Eulropii).  Der  Verfasser  bemerkt  dabei  mit  Fug  und  Recht: 
,,quae  lectio  profecto  orta  non  est  ex  errore  librariorum."  In  dem 
d  ritten  Briefe  an  Julius Florus  wird  Vs.  15 — 20  der  dichterischen 
Leistungen  eines  gewissen  Celsus  nicht  eben  zu  dessen  Ruhme  ge- 
dacht. Herr  Estre  identificirt  denselben  p.  486  mit  dem  Celsus 
Albinovanus  der  achten  Epistel,  wie  dies  die  meisten  Ausleger 
Ihun.  Dabei  ist  es  aufl'allend,  warum  diejenige  Meinung  gänzlich 
mit  Stillschweigen  übergangen  ist,  welche  diesen  Celsus  mit  dem 
bekannten  Arzte  für  eine  Person  hält.  Seit  Bianconi's  berühmter 
Schrift:  Lettere  sopra  A.  C.  Celso  ad  celebre  Abate  Girolamo  Ti- 

raboschi.    Roma  1779  oder  dessen  ,, Sendschreiben aus 

dem  Italienischen  übersetzt  von  L  ***.  Nebst  einer  Zuschrift  an 
Dr.  C.  Chr.  Krause."  Leipz.  beiGleditsch  1781.  S.  131  ff.  hat  diese 
Meinung  namentlich  unter  den  deutschen  Gelehrten  vielen  Beifall 
gefunden.  Ihr  stimmen  unter  andern  bei  Sprengel  in  seinem 
„Versuch  einer  pragm.  Geschichte  der  Arzneikunde'''  II.  S  35 
(2.  Ausg.  Halle  l^^OO),  M.  G.  S  chil  ling  in  der  Quaest.  de  Cor- 
nelii  Celsi  vita.  Part,  prior.  Lips.  1824.  p.  19—82  und  in  „All- 
gem.  Encyclopäd.""  XVI.  S.  24,  auch  Pal  daraus  im  Progr.  Gry- 
phisw.  1842  de  Cornelio  Celso  p.  11.  Hinsichtlich  des  Julius  Flo- 
rus wird  mit  gutem  Glück  die  Meinung  derjenigen  bestritten, 
welche  denselben  nach   Porphyrions  ausdrücklichem   Zeugnisse: 

/V,  Ja/irh.    f,  Itliil.  u.    Pml.   od,  Krit.  '^Uibl.    IM.  LVIH.    Hft.  2.  J] 


162  Lateinische  Litleratnr. 

„Hic  Flonis  fnit  Salirarum  scriplor,  cujus  sunt  EIcctae  ex  Eniiio, 
Luciiio,  Varroiic,  cet,,"  zu  einem  Satireiidichtcr  machen.      Der 
Verfasser  findet  für  seine  Meinung  einen  liichli^en  Halt  an  Iloraz 
selbst  Kpist.  '2,  2,  .')9  flF.     Carmine  tu  gaudes:  hie  delectatur  iam- 
bis:  Flic  Bioneis  serraonibiis   et  sale  nigro.      Beachtenssverth  ist 
die  Vermuthung,  dass  der  in  Gesellschaft  des  Celsus,  Titins  ge- 
nannte Munatius  ein  Sohn  des  Consuls  Plauens  (im  J.  71*2)  gewe- 
sen und  auch  Od.  1,  7  gemeint  sein  könne.     Bereits  hat  van  Om- 
meren  gezeigt,  wie  die  Worte:  seu  te  fulgentia  signis  Castra  te- 
nent  auf  den  berühmten  Consularen    nicht  recht  passen  wollen, 
man  mag   nun  die  Abfassung  jener  Ode  in  das  J.  734  mit  Für- 
stenau  oder  729  mit  Grotefend  oder  722  mit  Masson  setzen. 
TreflTend  wird  bemerkt:    „Plauens  profecto,  qui  triumphaverat  a. 
711,  consuique  fuerat  a.  712,  aut  non  amplius  militabat,  aut  inter 
belli  duces,  neque  ejus  nomen  tacituri  fuissent  historiarum  scripto- 
res.     Sed  alium  nos   Plancum  cogitamus,  hujus   fllium    fortasse, 
consulem  a.  76*),  ab  Iloratio  Libr.  I.  Epist   3.  Vs.  30  designatum 
nomine  Munatii  etc."      An  den  jungen  Munatius  Plancus   denkt 
auch  jetzt  Grotefend  und  setzt  die  Ode  in  das  Jahr  733.    Lie- 
ber den  Titius,  welchen  Weichert  zu  einem  Titius  Septimius 
machen  wollte,  waren  die  Entgegnungen  in  Seebode's  Archiv 
1825.  S.  456  ff.  nebst  Welcker  im  Rhein.  Mus.  1841.  11.  Suppl. 
3.  S.  1434  zu  vergleichen.  —  Bei  Tibull,an  welchen  der  vierte 
Brief  gerichtet  ist,    nimmt  es  uns  Wunder,   die  Worte:   ,,Albi, 
nostroram  Sermonum  candide  judex,  cet.'^  S.  359  auf  die  Episteln 
bezogen  zu  sehen.    Diese  Stelle  wird  nämlich  mit  Epist  2,  1,  2'^0. 
„Nee  Sermones  ego  mallem  cet "  in  Vergleichung  gesetzt  und  die 
letztere  von  der  Epistolographle  erklärt,  um  darzuthun,  dass  in 
der  Vita  des  Horaz  von  Sueton  des  Augustus  Aeusserung:  „  post 
Sermones  lectos  quosdam"  ebenfalls  auf  die  Episteln  zu  beziehen 
sei.     Herr  Estre  setzt  hinzu:  „Satiras  enim  suas  non  subjecit  Ho- 
ratius  Tibulli  judicio,  peradolescentuli,  cum  eas  scriberet,  sed  Epi- 
stolas  diu  postea  subjecit.      Schon  das  judicio  subjicere  lässt  eine 
falsche  Auffassung  der  Stelle  zu  ,   als  hätte  Horaz  seine  sermones 
der  Kritik  des  Dichterfreundes  Tibull  unterworfen,  gegen  welche 
Erklärung   die   neuesten  Erklärer  Verwahrung   eingelegt  haben; 
aber  noch  mehr  wird  der  wahre  Gesichtspunkt  verrückt,  wenn  man 
die  Briefe  der  obigen  Stelle  unterlegt.     Der  Irrthum  entsprang 
aus  dem  Nichtbeachten  der  chronologischen  Auffassung  derlloraz- 
Werke.     Es  ist  dies  die  schwache  Seite  des  trefflichen  Baches, 
welche  den  Verf.  auch  anderwärts  in  unangenehme  Verwickelun- 
gen führt.     Mag  man   den  in  Hede  stehenden  Brief  mit  Kirch- 
ner in  das  J.  729  oder  mit  Grotefend  in  das  J.  733  verlegen 
(vgl.  ^^Schriftstellerische   Laufbahn   des  Horatius.'"''    Hannover 
l!**49.  S.  25.  30),  immer  wird  man  nur  an  die  bekannt  gewordenen 
Satiren  zudenken  haben.  Wir  halten  denselben  bald  nach  Bekannt- 
werdung der  Satiren  geschrieben,  welcherMeinung  auch  0  r  e  1 1  i  bei- 


Estre  :  Prosopographia  Horatiana.  16-^ 

gepflichtet  ist.  —  Mit  Recht  verwirft  der  Verf.  zu  Brief  5  den  L. 
Manliiis  Torquatus ,  Consui  im  J.  689  (p.  495  ff.) ,  sowie  dessen 
Sotui  und  Enkel,  von  denen  man  den  einen  oder  andern  hier  hat 
finden  wollen.  Auch  der  von  Marcilius  und  Weich  er  t  beliebte 
C.  Nonius  Asprenas  Torquatus  wird  als  eine  nur  von  denselben  er- 
fundene Aushülfe  abgewiesen.  Und  wenn  wir  in  unserm  Commen- 
tar  uns  für  keinen  der  angeführten  Torquati  entscheiden  konnten 
und  unsre  Verwunderung  aussprachen  (I.  p.  249),  dass  nocii  Nie- 
mand sein  Augenmerk  auf  die  Familie  des  T.  oder  A.  Manlius 
Torquatus  gerichtet  habe:  so  sehen  wir  uns  auf  einmal  unserm 
Wunsche  durch  Herrn  Estre  nahe  gebracht.  Derselbe  sagt  näm- 
lich (p.  497):  ,,Equidem  semper  miratus  sum,  Interpretes  non  co- 
gitasse  Aulum  Torquatum,  de  quo  Nepos  in  Vita  Attici  c.  11 :  ,,At- 
ticus  etiam  post  proelium  Philippense  interitumque  C.CassiietM. 
Bruti  —  Aulum  Torquatum  ceterosque  pari  fortuna  perculsos  in- 
stituit  tueri:  atque  ex  Epiro  his  omnia  Samothraciam  supportari 
jussit,^'  qui,  quam  opportune  suum  locum  cum  Horatio  obtineat, 
nemo  non  videbit.  Innotuerat  ille  Horatio  in  castris  Bruti  Cassii- 
que;  potuit  Attici  interventu  veniam  redeundi  Romam  ab  Augusto 
impetravisse,  ibique  facundia,  quam  laudat  Horatius  Libr.  IV.  Carm. 
7.  Vs.  2S,  innotuisse,  etiamsi  eo  nomine  apud  posteros  notus  non 
fuerit.*'  Die  Berühmtheit  des  Geschlechts,  welche  der  Dichter  in 
jener  Ode  preist,  ist  demnach  ausser  Zweifel;  aber  wenn  Vs.  4 
der  Epistel:  diffusa  palustris  luter  Minturnas  Sinuessanumque  Pe- 
trinum  deswegen  die  vina  erwähnt  sein  sollen,  um  dem  Torquatus 
eine  angenehme  Erinnerung  an  jene  Oertlichkeit,  wo  einer  seiner 
Vorfahren  im  J.  415  nach  Liv.  8,  11  die  Latiner  besiegt  habe,  zu 
gewähren:  so  scheint  uns  doch  dieser  Gedanke  zu  weit  hergeholt. 
Die  in  jener  Ode  erwähnte  pietas  wird  als  eine  kindliche  Tugend 
gegen  den  Vater  A.  Torquatus  gedeutet,  der  ein  Freund  des  Cicero 
und  702  Prätor  gewesen  sei,  aber  nach  Porapejus'  Sturz  zu  Athen 
im  Exil  gelebt  habe.  Auf  diesen  werden  die  Stellen  bezogen:  As- 
conius  zu  Cic.  Or.  pr.  Mil.  c.  35,  Cicero  ad  Attic.  5,  4  und  21.  6, 
1.  7,  14.  9,  8,  ad  Divers.  6,  1 — 4,  de  Fin.  2,  22,  „e  quo  loco 
clare  apparet,**-  so  heisst  es  N.  1.  p.  498,  „A.  Torquatum  non 
fuisse  fratrem  L.  Torquati  illius,  quocum  profectus  est  ad  Pompe- 
jum,  id  quod  Ernestius  statuerat,  uti  bene  ostendit  Orelliu  s. 
Hie  vero  sine  causa  A.  Torquatum ,  qui  memoratur  in  Epistola  ad 
Atticura  Libr.  IX.  8,  sejungit  ab  altero,  qui  ceteris  in  locis,  vid. 
Madvigius  ad  Ciceronis  Libr.  II.  de  Finibus  c.  22.''  Wir  wollen 
diesen  letztern  Umstand  ganz  auf  sich  beruhen  lassen  und  nur  so 
viel  bemerken,  dass  A.  Torquatus,  der  sich  im  Bürgerkriege  für 
Cäsar  offenbar  nicht  erklärt  hatte,  vielleicht  noch  im  J.  709  in 
Athen  gestorben  ist.  Vergl.  Cic.  ad  Div.  6,  1—4,  ad  Attic.  12,  17. 
13,  20  und  21.  So  freudig  wir  jene  von  Herrn  E.  gemachte  Ent- 
deckung begrüssten ,  so  schwand  uns  doch  allgemach  die  Freude, 
als  wir  das  Verhältniss  des  Sohnes  zum  Vater  durch  keine  der 

11* 


164  Lateinische  Littcratur. 

Stellen  constatirt  sahen;  ja  es  will  uns  sogar  bedünken,  als  ob  der 
von  JNepos  genannte  mit  Vergleicliiing  von  c.  15,  3  kein  anderer 
sei,  als  der  gemeinschaftliclie  Freund  des  Cicero  und  Atticus. 
Denn  die  erstere  Stelle,  wo  A.  Torquatus,  L.  Julius  Mocilla,  Vater 
und  Solin^  nebüt  Andern  die  Ili'ilfe  des  menschenfreundlichen  Atti- 
cus erfahren,  steht  so  vereinzelt  da,  dass  auf  sie  ein  wirkliches 
Endergebniss  sich  nicht  bauen  lässt.  Eher  könnte  T.  Torquatus, 
der  im  J.  711  Quaestor  des  C.  Pansa  war,  fiir  einen  Sohn  des  A. 
Torquatus  gelten,  s.  Brut.  Epist.  1,  6.  Diese  Verranthung  hat  be- 
reits Orelli  im  Onomasticon  Tüll.  p.  379  ausgesprochen.  Viel- 
leicht tragen  unsre  Zweifel  dazu  bei,  dass  andre  Gelehrte  den  Ge- 
genstand tiefer  erforschen,  als  wir  zu  thun  im  Stande  sind.  Lieber 
den  Numicius,  an  welchen  Epistel  6,  und  über  den  BuUatius,  an 
welchen  Epistel  11  gerichtet  ist,  erfahren  wir  p.  500  f.  die  be- 
kannte Klage,  dass  von  diesen  Männern  nichts  Zuverlässiges  hat 
aufgefunden  werden  können.  Von  Iccius  (Epist.  12,  12  ff.)  wird 
behauptet  (p.  472),  dass  er  der  academischen  Schule  angehört 
habe  und  der  Zweck  des  Briefes  in  die  Empfehlung  des  Pompejus 
Grosphus  zu  setzen  sei.  Die  Zeit  der  Abfassung  ist  nach  aus- 
driicklicher  Versicherung  das  Jahr  735,  wogegen  die  anderweitigen 
historischen  Zeugnisse  streiten  ,  w  eiche  die  Unterwerfung  Arme- 
niens und  des  Königs  Phraates  in  das  Jahr  734  verlegen.  Nur  Dio 
Cassius  macht  hinsichtlich  der  Cantabri  54,  11  eine  Ausnahme, 
welche  jedoch  Sanadon  und  Düntzer  mit  den  übrigen  Angaben 
in  Einklang  zu  bringen  gesucht  haben.  Herr  Estre  begründet  seine 
Meinung  durch  die  Annahme  (p.  410),  dass  die  Nachricht  von  der 
Unterwerfung  Spaniens  mit  der  Benachrichtigung  dessen,  was  sich 
im  Jahre  734  in  dem  entfernten  Asien  begeben,  so  ziemlich  zu- 
sammenfalle. „Nuntius  ejus  victoriae  Roraam  venit  haiid  ita 
diu  CV.)  postquam  resciverant,  quae  in  ultima  Asia  a  Tiberio  fue- 
rant  gesta  a.  734.*''  Bei  Epist.  1,  15  wirds  für  möglich  befunden, 
dass  der  daselbst  genannte  Numonius  Vala  derselbe  sei,  welchen 
eine  zu  Phliae  in  dem  Tempel  der  Isis  gefundene  Inschrift  nennt. 
Es  ist  dieselbe  Inschrift,  welche  bei  Orelli  Inscr.  4931  steht  und 
welche  Letronne  im  Journal  des  Savants  1843,  p.  466,  auf  den 
Herr  E.  verweiset,  einer  Erörterung  unterworfen  hat.  Uebrigens 
ist  diese  Ansicht  keineswegs  neu,  wenn  man  sich  die  Mühe  neh- 
men will,  unsern  Commentar  p.  242  nachzulesen.  Der  in  derselben 
Epistel  Vs.  26  erwähnte  Maenius  wird  auf  die  Nachricht,  welche 
Acron  und  der  Scholiast  des  Cruquius  über  ihn  hier  geben,  mit 
dem  Pantolabus  Sat.  1,  8,  10.  2,  1,  21  f.  identißcirt  und  der  walire 
Name  Mallius  Verna  ihm  vindicirt.  ,,ColIegit  Doct.  Ileusdius 
(Studia  critica  in  C.  Lucilium  p.  230)  ex  scholiis  allatis,  Maenium 
Libr.  1.  Epist.  15.  Vs.  26  diversum  non  esse  a  Pantolabo,  adeoque 
CO  in  loco  pro:  Maenio^  Mallium  esse  legendum.'*  Bei  Heusde 
finden  wir  aber  nicht  Mae/zius,  sondern  Maenius  geschrieben.  — 
Ueber  den  Quintius  Epist.  16  spricht  sich  Herr  E.  weniger  be- 


Estre:  Prosopographia  Horatiana.  165 

stimm*  aus,  doch  sclieint  er  ihn  nicht  mit  dem  Quiiitius  Hirpinns 
Od.  2,  11  fi'ir  eine  Person,  gleich  wie  auch  wir,  zu  halten  (p.  493). 
Wenn  er  aber  zu  der  Ode  bemerkt,  dass  Fulvius  ürsinus,  welcher 
den  Zunamen  Hirpinus  in  Crispinas  hätte  verwandeln  wollen  und 
den  T.  Quintius  Crispinus  Sulpicianus  es.  a.  745  gemeint  habe, 
welcher  als  Buhle  der  Julia  Augusta  im  J.  752  gebrandmarkt  wor- 
den, unmöglich  der  Zeitgenosse  des  Horaz  sein  könne,  zu  dem  der- 
selbe sage:  „Cur  non  sub  alta  vel  platano  —  Potamus  uncti*?''Mind 
die  Anmerkung  hinzufügt:  „Hoc  si  cogitasset  Obbarius  V.   Cl., 
non  dubitasset,  utrum  Crispinus  Sulpicianus  diversus  esset  necne  a 
T.  Crispino  Valeriano,  qui  consul  fuit  a.  demum  760  cum  P.  Len- 
tulo  Scipione.  Vid.  Panvin.  Fast.  p.  186  u.  s.  w. ,   so  nehmen    wir 
diese  Zurechtw  eisung  dankbar  hin  ,  bemerken  jedoch ,  dass   w  ir 
längst  von  unserm  im  Archiv  1832  I.  4.  p.  576  fF.  ausgesprochnen 
Zweifei  zurückgekommen  waren  und  desshalb  dieses  Verhältniss  in 
unserm  Commentar  p.  295  mit  Stillschweigen  iibergingcn.  —  Hin- 
sichtlich der  Ars  poetica  folgt  der  Vf,  seinem  berühmten  Lands- 
mann J.  H.  van  Reenen  (Disput,   de  Epistola  ad  Pisones.   Amst 
1806),  der  bekanntlich  an  den  von  Tacitus  Ann.  3,  16  bezeichneten 
Piso  denkt,  welcher  im  Jahre  731  mit  dem  Augustus  das  Consulat 
bekleidet  und  zwei  Söhne,  Cnaeus  und  Lucius,  gehabt  habe.    Da- 
bei erfahren  wir,  dass  van  Reenen  seiner  Ansicht  bis  an  sein  Le- 
bensende treu  geblieben  sei  und  dieselbe  mit  Abfertigung  alier 
entgegenstehenden  Meinungen  in  zwei  Disputationen   1841  und 
1843  vertheidigt  habe.    Dieselben  scheinen  jedoch  nur  in  dem  kö- 
nigl.  Neerländischen  Institute  gehalten  und  nicht  zum  Drucke  be- 
fördert worden   zu  sein.     Wenn  der  Verfasser  p.  294  auch  der 
sonderbaren  Meinung  des  Hieronyraus  de  Bosch,  den  Eichstädt 
widerlegt  habe,  gedenkt  und  dabei  sein  Bedauern  ausspricht,  des 
Letztern  Schrift  nirgends  gefunden  zu  haben ,   so  möge  hier  die 
Nachricht  Platz  finden,  dass  die  Censura  novissimarum  observatio- 
nura   etc.   als  Programm  zum  Prorectoratswechscl  zu  Jena  1810 
erschienen  und  in  Ernesti's  Parerga  Horatiana.    Halae  ad  Salam 
1818  p.  LI  ff.  abgedruckt  ist.    Ebendaselbst  p.  LX[  ff.  finden  sich 
auch  des  Hieronymus  de  Bosch  Curae  secundae  etc.  mit  Eich- 
städt's  Erläuterungen.   Doch  wir  brechen  hier  von  der  Anzeige 
eines  Werkes  ab,  das  auch,  trotz  seiner  theilw eisen  ünvollstä'n- 
digkeit ,  dem  deutschen  Gelehrten  genügsame  Gelegenheit  zu  tie- 
fern Forschungen  bietet.     Die  lateinische  Darstellung  hat  zwar 
nicht  die  Reinheit  u.  Eleganz  eines  Ruhnken  oder  Eichstädt, 
fliesst  jedoch  in  leichtem  Redeflusse  dahin.     Dabei  können   wir 
den  Wunsch  nicht  unterdrücken,  dass  die  fleissige  Arbeit  des  hol- 
ländischen Gelehrten  durch  einen  niedrigem  Preis  dem  deutschen 
Schulmanne  zugänglicher  gemacht  werden  möge. 

Dem  obigen  Werke  setzen  wir  gleichsam  als  Ergänzung  die 
kleine,  aber  auf  jahrelangen  Studien  ruhende  Schrift  des  um  den 


166  Lateinische  Litteratur. 

Iloraz  liocliverdienten  Veteranen   Grotefend  zur  Seite.      Sie 
fiilirt  den  Titel: 

Schriftstellerische  Laufbahn  des  Horatius^  vom  Schulrathe  Dr. 
Georg  Friedrich  Groicfend,  Ritter  des  Königlich  Preussischen 
rothen  Adlerordens.  Hannover,  Hahn'sche  Hofbuchhandlung  1849. 
31  S.  gr.  8. 

Gleich  Anfangs  müssen  wir  des  erfreulichen  ümstandes  ge- 
denken, dass  die  kleine  Schrift  ,,den  Schülern  der  heiden  obern 
Classen  des  Lyceums  zu  Hannover  in  dankbarer  Anerkennung  ihrer 
fortwährend  bewiesenen  Liebe  zu  fernerem  Andenken  gewidmet''' 
ist.  Oeffentlichen  Blättern  zufolge  hat  der  eben  so  lilterarisch-thä- 
tigc  als  in  dem  Kreise  der  Schule  praktisch  wirkende  Verfasser 
sein  oOjähriges  Amtsjubiläum  festlich  begangen,   bei  welcher  Ge- 
legenheit sicli   die  Liebe  und  Verehrung  sowohl  der  alten  als  der 
jungen   Schüler   auf  allerlei  Weise   ausgesprochen  hat.      Dieser 
durch  Wort  und  Tiiat  sich  kundgegebenen   Liebe  scheint   diese 
Schrift  als  ein  Gegengeschenk  bestimmt  zu  sein;   und  wir  haben 
daher  eine  doppelte  Ursache  der  l\litfreude,  indem  wir  einmal  den 
Mann  glücklich  preisen,  dem  die  Vorsehung  eine  so  lange  Zeit  ge- 
deihlichen Wirkens  verliehen  hat,   und   indem   wir  zweitens  den 
dankbaren  Sinn  der  Verehrer  des  Jubelgreises  als  ein  schönes  Zei- 
chen der  Zeit  in  der  unerquicklichen  Gegenwart  froh  begrüssen 
und  auch  unsrer  Seits  —  wenn   auch  post  festum  —  dem  hoch- 
verdienten Jubilar  zurufen:  Macte  virtute  esto!    Diese  Schrift  vom 
25.  September  1849  lässt  eben  so  wenig  das  Greisenalter  spüren, 
als  die  Erstlingsschrift  zu  Heyne 's  Geburtstag  1799  de  pasigra- 
phia  sive  scriptura  universali  das  Jünglingsalter.    Daher  wird  jeder 
Leser  gern  in  die  Huldigung  einstimmen,  mit  der  wir  den  verehr- 
ten Mann  als  einen  ter  quatercjue  beatus  willkommen  heissen  und 
ihm  den  Glückwunsch  zu  dem  heilern  Lebensabende  eines  Nesto- 
rischen Lebensalters  darbringen.    JNach  diesem  Vorworte,  das  uns 
die  mitfühlende  Freude  abnöthigte,  zur  Sache!    Der  gelehrte  Ver- 
fasser geht  von  der  Ansicht  aus,  dass  bei  den  meisten  Gedichten 
des  Horaz  eine  ungefähre   Zeitbestimmung   zu   deren   richtigem 
Verständnisse  hinreiche,  bei  andern  es  völlig  gleichgültig  sei,  wann 
man  sie  verfasst  glaube.    Habe  man  also  nur  diejenigen  Gedichte, 
deren  Verfassungszeit  sich  genau  bestimmen  oder  mit  mehr  oder 
weniger  Wahrscheinlichkeit  vermuthen  lässt,  chronologisch  geord- 
net; 80  genüge  es,  diesen  die  übrigen  also  anzureihen,  wie  eines 
das  andere  am  besten  erläutert.    Auf  diese  Weise  werde  es  mög- 
lich, mit  des  Dichters  schriftstellerischer  Laufbahn  seinen  Ideen- 
gang während  seines  ganzen  Lebens  zu  verfolgen,  von  welchem  er 
nach  des  Lucilius  Weise  das  Wisseuswürdigste  selbst  so  umständ- 
lich angeführt  habe,  dass  wir  zur  Schilderung  seiner  Individualität 
eines  andern  Führers  selten  bedürften,     üeberhaupt  lässt  sich  im 
Allgemeinen  die  Schönheit  des  praktischen  Gehaltes  wohl  erfüll- 


Grotefend:  Schriftstellerische  Laufbahn  des  Horatius.  167 

leii,  aber  ohne  historische  Basis  niclit  durchfühlen  und  zum  all- 
seitigen tiefern  Verständniss  bringen.  Im  Ganzen  ist  der  Verfas- 
ser der  von  ihm  schon  früher  (Allgem,  Encyclopädie  der  Künste 
imd  Wissenschaften  von  Ersch  und  Grub  er  Sect.  2.  ThI.  10. 
S.  457—476  u.  Zeitschrift  für  die  Alterthumsw.  1845.  Nr.  116— 
117)  aufgestellten  Chronologie  treu  geblieben.  Wir  billigen  es 
vollkommen,  dass,  wenn  wir  uns  auch  über  den  Anfang  der  lyrischen 
Dichtungen  nicht  mit  ihm  einverstanden  erklären  können,  er  deren 
Ende  bis  zum  Jahre  736  mit  Kirchner  fortführt;  denn  die 
Fr  a  nkisch  e  Theorie,  weicherauch  Düntzer,  Dillen  bur- 
ger, Weber,  Theodor  Obbarius  u.  A.  folgen,  schliesst 
schon  mit  dem  Jahr  730  oder  731  ab,  wodurch  in  der  Productivi- 
tät  des  Dichters  eine  lyrische  Pause  von  sechs  Jahren  eintritt,  was 
schon  a  priori  für  unwahrscheinlich  sich  ergeben  dürfte.  So  viel 
steht  fest,  dass  der  Dichter  seine  lyrische  Laufbahn  vor  dem  Car- 
men Saeculare  (737)  abgeschlossen  und  die  drei  ersten  Oden  Bü- 
cher herausgegeben  hat.  Diejenigen  nun,  welche  dies  vor  Augustus' 
Abreise  in  den  Orient  (732)  geschehen  lassen,  gerathen  wegen  Od. 

1,  3  und  2,  9.  3,  5  in  allerhand  Verwicklungen.  Dagegen  finden 
wir  es  unnatürlich.,  dass  Horaz  erst  zehn  Jahre  nach  Beginn  seiner 
Schriftsteller-Laufbahn^  nämlich  724,  die  erste  Ode:  1,  28,  ver- 
fertigt haben  soll.  Auch  will  sich  mit  dem  Geiste  eines  hervortre- 
tenden Dichters  nicht  recht  vertragen ,  dass  er  zum  Beispiel  im  J. 
714  nur  zwei  Stück,  als  Epod.  5  und  Sat.  1,  8,  im  J.  71')  nur  drei 
Stück,  als  Epod.  17.  12.  8.,  im  J.  716  nur  fünf  Stück ,  als  Epod. 
10.  6.  4.  15,  Sat.  1,7  zu  Stande  gebracht  habe.  Wir  glauben 
vielmehr,  dass  in  den  Zeitraum  vom  J.  713  bis  724  schon  ein  gros- 
ser Theil  Oden  des  ersten  Buches,  hauptsächlich  die  griechisch - 
artigen,  auf  ISachahmung  beruhenden,  falle,  obgleich  wir  nur  Od. 

2,  7  als  eine  der  ersten  aus  nicht  unzweifelhaften  Anzeichen  zu 
bezeichnen  im  Stande  sind,  Gegen  die  Behauptung,  dass  die  drei- 
zehnte und  neunte  Epode  als  schon  gedichtete  Oden  der  Epoden- 
sammluMg  (723)  beigegeben  worden  seien,  während  später  ver- 
fasste  Epodcn,  wie  Od.  1,  2^,  unter  die  Oden  hätten  gereiht  wer- 
den müssen,  hat  Teuffei  ein  trelTendes  Wort  gesprochen  (Zeit- 
schrift f.  d.  Alterthumsw.  1*^45.  N.  77.  S.  616),  das  wir  mit  voller 
Ueberzeugung  zu  dem  unsrigen  machen,  nicht  zu  gedenken,  dass 
auch  Od.  4,  7  ein  epodisches  Versmaass  hat.  Auffallender  Weise 
lässt  Grotefend  die  Briefsaramlung  da  anfangen  (J.  733),  wo 
Andre  sie  schlievsen  möchten.  Vergl.  den  Epilogus  zu  unserm 
Epistel  Commentar  Tom.  II.  p.  558.  üeber  diesen  Umstand  schwei- 
gen wir  jedoch  billig,  da  in  solchen  Untersuchungen,  deren  End- 
ergebniss  zu  apodiktischer  Gewissheit  sich  nicht  bringen  lässt, 
das  subjective  Gefühl  eine  grössre  Rolle  spielt,  als  wir  selbst  zu 
glauben  geneigt  sind;  überdies  haben  wir  bereits  im  Jahre  1835 
(JN.  Jahrbb.  XV.  1.  S.  54  ff.)  unsre  desfallsige  Meinung  in  diesen 
Blällern  niedergelegt.     Die  chronologische  Folge  der  Horaz-Ge 


168  Alte  Geschichte, 

dichte  stellt  sich  demnach  auf  folgende  Weise  nach  Grotefeiid 
lieraiis:  Das  erste  Bnch  der  Sa tiren  ward  in  dem  Zeiträume  v. 
J.  713  bis  719  geschrieben  und  in  dem  letzten  Jahre  in  einer 
Sammlung  ans  Licht  gestellt.  Die  Zeitfolge  der  einzelnen  Stücke 
wäre  demnach  folgende:  Sat.  2  (J.  718).  8  (J.  714).  7  (J.  716). 
5  (J.  717).  9.  6  ebenso;  3  (J.  718).  4.  10  ebenso,  1  im  J.  719.  — 
Das  Epodenbuch  fällt  in  die  Jahre  714  bis  723  nach  diesem 
Zeitverhältniss;  Epod.  5  (J.  714).  17.  12.  8  (J.  715).  10.  6.  4. 
15  (J.  716).  2  (J.  719).  3.  14.  11  (J.  720).  7.  16  (J.  722).  1.  9. 
13  (J.  723).  —  Das  zweite  Buch  der  Satiren  umfasst  den 
Zeitraum  vom  J.  719  bis  724  und  zwar  in  der  Einzelfolge  also: 
Sat.  2,  '2  (J.  719).  3  (J.  721).  4. 8  (J.  722).  5.6.7  ( J.  723).  1  ( J.  724). 
—  Die  Oden  beginnen  im  J.  724  und  enden  mit  dem  3.  Buche 
im  J.  736.  Auf  das  J.  724  kommen  Od.  1,  28.  27.  37.  2,  7.  1,  18. 
11;  auf  das  Jahr  725:  Od.  1,  9.  4.  17.  3,  13.  1,  14.  3,  18.  1,  38. 

3,  23;  auf  das  Jahr  726:  2,  14.  3.  31.  2,  15.  3,  6.  2.  1,34.  3,  17; 
auf  das  Jahr  727:  1,  2.  3,  24.  1,  29.  35.  21.  2,  12.  1.  1,  6 ;  auf 
das  Jahr  728:  3,  25.  2,  19.  1,  15.  32.  3,  11.  27.  1,  23.  3,  15;  auf 
das  Jahr  729:  1,  16.  2,  5.  3,  20.  10.  1,  25.  2,  8.  3,  26.  2,  4;  auf 
das  Jahr  730:  1,  24.  2,  11.  1,  26.  36.  3,  14.  1,  19.  30.  3,  19;  auf 
das  Jahr  731:  1,  33.  12.  2,  18.  3,  1.  16.  2,  2.  16.  10;  auf  das  Jahr 
732:  1,  22.  5.  8.  3,  7.  12.  1,  13.  3,  9.  28.  21;  auf  das  Jahr  733: 
2,  13.  3,  22.  1,  7;  auf  das  Jahr  734:  3,  8.  1,  20.  2,  17.  6;  auf 
das  Jahr  735:  1,  3.  3,  29.  3.  5;  auf  das  Jahr  736:  2,  9.  1,  10.  3, 

4.  2,  20._^3,  30.  1,  1.  —  Das  erste  Epistelbuch  fällt  in  die  Jahre 
733  bis  737  und  zwar  in  das  Jahr  733:  Epist.  1,  2.  3.  4;  in  das 
Jahr  734:  5.  6.  7;  in  das  Jahr  735:  8.  9.  10.  11.  12;  in  das  Jahr 
736:  13.  14.  15;  in  das  Jahr  737:  16.  17.  18.  19.  20.  1.  Das 
vierte  Buch  der  Oden  nebst  dem  C.  S.  fällt  in  den  Zeitraum 
der  Jahre  737  bis  745  und  zwar  in  das  Jahr  737:  Od.  4,  6  und  C. 
S.;  in  das  Jahr  738:  3.  7.  1.  10.  13;  in  das  Jahr  739:  12.  11.  9. 
8;  in  das  Jahr  740:  2.  5;  in  das  Jahr  741:  4.  14;  in  das  Jahr  745: 
15.  Das  zweite  Epistelbuch  ward  im  Jahre  742  bis  744  ge- 
schrieben und  zwar  im  Jahre  742:  2;  im  Jahre  743:  3;  im  Jahre 
744:  1.  Hiermit  empfehlen  wir  die  kleine  Broschüre  der  Be- 
achtung des  gelehrten  Publicums. 

Obbarius. 


A  history  of  Greece.  I.  Legefidary  Greece.   liy  Georfre  Grote,  Esq. 
London,  John  Murray,  1846. 

Zweiter   Artikel. 

Das  folgende  Capitel  handelt  von  dem  Argonautenzuge. 
Die  Argonauten  sind  ohne  Zweifel  schon  vor  Homer  im  Volksglau- 
ben und  im  Munde  der  Sänger  gefeiert  gewesen.     Homer  kennt 


Grote  :  A  history  of  Greece.  I.  169 

den  Liebling  der  Here  lason  und  die  allgefeierte  Ärgo;  er  weiss 
von  der  Landung  der  Argonauten  auf  Leranos,  wo  zur  Zeit  des 
troischen  Kriegs  Euneos,  der  Sohn  des  lason  und  der  Hypsipyle, 
herrscht;  er  weiss  auch  von  den  Plankton,  welche  die  Argo  auf  der 
Heimkehr  passirte.  Dann  haben  die  alten  Dichter  vielfach  diesen 
Zug  beriihrt:  Hesiod  im  Katalog  der  Weiber,  das  alte  Epos  von 
Aegimios,  Kinäthon  in  seiner  Heraklea,  die  Naupaktien,  und  wohl 
mehr  als  gelegentlich,  Euraelos,  Epimenides  in  einem  grossen  Epos 
von  dem  Baue  der  Argo  und  dem  Zug  des  lason  ins  Kolcherland; 
ingleichen  die  Logographen  Pherekydes  und  Hekatäos,  denen  dies 
der  willkommenste  Stoff  war,  bis  endlich  derselbe  in  die  Hände 
des  Rhodiers  ApoUonios  und  der  übrigen  Argonautikendichter  fiel, 
die  ihn  des  letzten  Lebensrestes  beraubten.  Natiirlich  zog  dieser 
mehr  als  andre  dehnsame  Sagenkreis,  sowie  der  Orient  u.derOcci- 
dent  sich  aufschlössen,  immer  neue  Elemente  an  sich,  jede  neue 
Pilanzstadt  am  Pontos  leitete  den  Strom  ihrer  Erinnerungen  bis 
in  die  Zeit  lasons  hinauf;  andererseits  sachte  jede  Landschaft 
Griechenlands  ihre  Helden  unter  die  Begleiter  lasons  zu  bringen. 
Nur  die  Alles  überragende  Gestalt  des  Herakles  machte  hier 
Schwierigkeit;  daher  die  Einen  ihn  vor  den  eigentlichen  Kämpfen 
aus  der  Zahl  der  Argonauten  ausscheiden  lassen,  die  Andern  aber 
geradezu  ausschliesscn  als  einen ,  der  wegen  seiner  Grösse  den 
Uebrigen  missfällig  gewesen.  Ob  die  Sage  von  Athamas  und  Phri- 
xos  schon  bei  Homer  mit  dem  Zuge  der  Argonauten  verknüpft  ge- 
wesen, ist  zweifelhaft,  aber  wenigstens  glaubhaft.  Wir  möchten, 
wenn  es  der  Raum  gestattete,  dem  Verf.  gern  zu  den  einzelneu 
Abenteuern  folgen,  und  bei  deren  jedem  die  Schwankungen  der 
Sage  so  w  ie  ihr  respectives  Wachsthum  bemerklich  machen.  Auch 
hier  tritt  die  Art  und  Weise  auf  das  Klarste  hervor,  wie  der  grie- 
chische Geist,  bewusstlos  oder  mit  Bewusstsein  schaffend,  combi- 
nirend,  ausgleichend  gearbeitet  hat,  bis  eine  glaubenslose  Zeit  an 
den  entseelten  Stoffen  ihre  Künstelei  versuchte.  Schliesslich  bie- 
tet uns  der  Verf.  (S.  332  ff.)  eine  Reihe  von  Betrachtungen  über 
die  Argonautensage  im  Allgemeinen,  in  welche  wir  uns  nicht 
versagen  können  ihm  zu  folgen.  Schon  Heyne  äusserte  adApollod. 
1.  9,  16:  mirum  in  modum  fallitur,  qui  in  his  commentis  certum 
fundum  historicum  vel  geographicum  aut  exquirere  studet,  aut  se 
reperisse,  atque  historicam  vel  geographicam  aiiquam  doctrinam 
(systema  nos  dicimus)  inde  procudi  posse  putat.  Und  gewiss,  es 
fehlt  uns  an  allen  Mitteln,  selbst  die  Frage  zu  beantworten,  ob  der 
Zug  ein  irgendwie  entstelltes  Factum  zur  Grundlage  hat,  oder 
von  vorn  herein  nichts  als  eine  Sage  ist.  Es  ist  ganz  umsonst, 
dass  man  durch  Ausscheiden  des  Liebernatürlichen  und  Romanti- 
schen ein  Residuum  von  geschichtlicher  Wirklichkeit  zu  gewinnen 
sucht.  Gerade  das  Wunderbare  ist  das  Wesentliche  und  Reale  in 
der  Erzählung.  Der  griechische  Seemann  nahm  diese  Sagen  mit 
sich  zu  Schiffe  und  iocalisirtc  sie,  oft  mit  Zusätzen,  die  ihm  seine 


170  A.Ite  Geschichte. 

eigenen  Erlebnisse  oder  die  Scenen  der  Natur  eingaben.  So  naiiin 
er,  gleich  den  WelUirasegiern,  von  dem  Platze  Possess,  nicht  je- 
duch  einen  politischen,  sondern  einen  religiös -poetischen,  und 
diese  Besitznahme  wurde,  zumal  wenn  sie  durch  einen  Tempel 
oder  Altar  eine  Beglaubigung  erhielt,  von  Allen,  die  später  dessel- 
ben VV^egs  gefahren  kamen,  anerkannt.  Die  epischen  Dichter  ha« 
ben  nicht  bloss  eine  mythische  Chronologie  geschaffen,  sondern 
eben  so  wohl  eine  mylhiche  Geographie.  Der  Unterschied  lag 
nur  darin,  dass  die  letztere  durch  immer  neue  Entdeckungen  berich- 
tigt werden  konnte,  während  keine  Argo  in  die  verhüllten  Räume 
der  Vorzeit  drang.  Aber  in  jener  mythischen  Geographie  gab  es 
ausser  den  Oertlichkeiten,  welche  einen  Schein  geographischer 
Wirklichkeit  hatten,  auch  solche,  zu  denen  man  nicht  zu  Wasser 
noch  zu  Lande,  sondern  allein  mit  den  Schwingen  des  Dichters 
hätte  gelangen  können.  Diese  Oertlichkeiten  gehörten  in  der 
Phantasie  des  Dichters  zu  Hause,  und  gleichwohl  suchte  der 
fromme  Glaube  sie  an  eine  bestimmte  Stelle  zu  fixiren.  So  ver- 
legte man  die  Sirenen  an  die  Küste  von  Neapel,  die  Kyklopen  und 
die  Lästrygonen  nach  Sicilien,  die  Fhäaken  nach  Corcyra,  die 
Kirke  nach  dem  von  ihr  benannten  Vorgebirge.  Namen.  Tempel, 
Culte  dienten  dazu,  den  Glauben  festzuhalten,  der  sie  hervorgeru- 
fen hatte.  Selbst  ernste  und  strenge  Historiker  haben  nicht  ver- 
mocht oder  nicht  gewagt,  sich  von  diesem  Glauben  loszureissen, 
wie  Thukydides  lehrt.  Der  Verf.  macht  mit  Recht  darauf  auf- 
merksam, dass  der  VV  e^  und  das  Ziel  des  Argonautenzuges  durch- 
aus keine  höhere  Realität  an  sich  trage,  als  der  Bau  des  Schitfes 
und  seine  halbgöttliche  Bemannung.  In  der  Odyssee  seien  Kirke 
und  Aeetes  Geschwister,  das  ääische  Eiland  der  Wohnsitz  beider, 
Odysseus  nimmt  von  da  aus  denselben  Weg,  den  die  Argo  genom- 
men hat.  Noch  iMimnermos  denkt  sich  Aea,  von  wo  lason  das 
goldene  Vliess  holt,  in  Verbindung  mit  dem  Ocean  und  als  Wohn- 
sitz des  Helios.  Der  erste,  welcher  Aeetes  und  Kolchis  zusammen- 
stellte, war  Eumelos;  es  kann  das  erst  geschehen  sein,  als  die 
Griechen  bereits  in  das  Innere  des  Pontos  vorgedrungen  waren 
und  den  Kaukasus  kennen  gelernt  hatten.  Der  thracische  Bospo- 
ros  erinnerte  unwillkürlich  an  die  Symplegaden ;  am  Phasis  war 
das  Haus  der  Eos;  der  Zug  der  Argonauten  galt  als  vorbereitend 
für  den  Zug  der  Colonisation,  welcher  den  Pontus  mit  den  schön- 
sten griechischen  Städten  schmückte.  Liragekehrt  wurden  die 
Fahrten  des  Odysseus  im  Westen  fixirt  und  so  die  Insel  der  Kirke 
von  dem  Lande  des  Aeetes  getrennt  und  Bruder  und  Schwester 
an  die  entgegengesetzten  Seiten  des  griechischen  Horizonts  ver- 
legt. Das  Dritte,  was  nun  noch  übrig  blieb,  war,  die  Argonauten 
vom  Osten  auf  der  Heimfahrt  zu  dem  Westen  zu  geleiten,  und  es 
ist  bekannt,  wie  sehr  die  Dnbekanntschaft  mit  dem  nördlichen  Eu- 
ropa dies  erleichterte.  In  all  diesen  Entwickclungen  ist  der  Verf. 
höchst  lehrreich  und  nur  eins  zu  bedauern,  dass  seine  (Jcbcrzeu- 


Grote  :  A  history  of  Greece.  I.  171 

giing  von  der  Unmöglichkeit  jedes  Erklärungsversuches  ihn  ge- 
hemmt hat,  seiner  Darstellung  den  höchsten  Grad  von  Evidenz  zu 
geben.  Unserer  Ansicht  nach  sind  in  dem  Mythus  von  lason  und 
dem  goldenen  Vliesse  überhaupt  und  ursprünglich  agrarische 
Verhältnisse  dargestellt  gewesen  (lasion  und  der  goldene 
Erntesegen);  darnach  hat  der  Mythus  erst  die  Gestalt  jenes  ro- 
mantiiichen  und  abenteuerlichen  Zuges  ins  Goldland  erhalten  — 
eine  Umbildung,  welche  demjenigen  nicht  bedenklich  sein  wird, 
der  in  der  deutschen  Heldensage  sich  gewöhnt  hat,  durch  die  glän- 
zende Heroendichtung  hindurch  einen  dunkeln  Urgrund  mythischer 
Gestalten  zu  erkennen. 

Im  Cap.  14  folgen  die  Sagen  von  Theben.  In  der  Odyssee 
sindAmphion  und  Zethos  die  Gründer  Thebens.  Apollodor 
und  vermiuhlich  auch  die  älteren  Logographen  setzten  Kadmos 
an  die  Spitze;  es  hat  auch  nicht  an  Versuchen  gefehlt,  beide  An- 
sichten zu  vermitteln.  Der  Verf.  verfolgt  nun,  an  der  Hand  des 
Apollodor,  das  Geschlecht  des  Kadmos.  Die  Argiverin  I  o  hat  einen 
SohnEpaphos.  Dieser  zeugt  mit  der  Libya  zwei  Söhne:  Belos 
und  Agenor.  Von  Agenor  stammen:  Kadmos,  Phönix,  Kilix,  Euro- 
pa, —  die  letztere  bei  Homer  noch  eine  Tochter  des  Phönix  — ; 
Kadmos  gründet  Theben.  Er  dient,  Theben  sowohl  mit  Phönicien 
zu  vermitteln  als  mit  Aegypten.  Dann  hinterlässt  er,  mit  Ilarmo- 
nia  vermählt,  vier  Töchter:  Ino,  Semele,  Autonoe  und  Agaue,  und 
einen  Sohn  Polydor.  Diesem  folgen  Labdakos,  Laios,  Oedipus, 
des  Laios  Regierung  durch  das  Auftreten  des  Amphion  und  des 
Zethos  unterbrochen,  und  endlich  die  wunder\oIle  Sage  von  der 
Schuld  und  Busse  des  Oedipus  und  dem  Falle  Thebens.  Das  für 
uns  W  ichtigste  wäre  nun  ohne  Zweifel,  das  Werden  und  Wachsen 
der  Oedipussage  zu  sehen  Leider  ist  uns  dies  nur  zum  Theil 
möglich.  Homer  kennt  den  Oedipus  und  seine  Mutter  Epi- 
kaste;  er  kennt  die  Kämpfe  vor  Theben,  Tydeus  und  Polyneikes, 
Amphiaraos  und  die  gierige  Eriphyle,  Adrast  und  das  Wunderross 
Arion,  das  ihn  rettet.  Aber  bei  alle  dem  muss  die  Sage  ganz  an- 
ders gestaltet  gewesen  sein,  als  bei  den  Tragikern.  Sofort,  wie 
Oedipus  die  Epikaste  geheirathet  hat,  lassen  es  die  Götter  vordem 
Auge  der  Menschen  verschwinden.  Sie  erhängt  sich,  er  herrscht 
in  Theben  fort,  allerdings  beladen  mit  dem  Fluche  der  Erinnyen, 
aber  keineswegs  geblendet.  In  der  Oedipodie  vermählt  er 
sich  mit  der  Euryganeia,  und  sie  ist  es,  die  ihm  jenes  Doppelpaar 
von  Söhnen  und  Töchtern  gebiert.  Pherekydes  fügte  selbst  noch 
eine  dritte  Vermählung  hinzu,  mit  der  Astymedusa.  Von  einem 
Exil  des  Oedipus  nach  Attika  ist  keine  Rede.  Karapfspiele  schmü- 
cken und  ehren  seine  Bestattung.  Hieran  schliesst  sich  das  alte 
Epos  der  Thebais  und  der  Epigonen.  Von  der  ersteren,  die 
unser  Verf  für  ein  Gedicht  Argos  zu  Ehren  hält,  ist  Amphiaraos 
der  eigentliche  Held.  Wir  dürfen  uns  um  so  eher  des  Eingehens 
auf  diesen  Gegenstand  enthalten,  da  Welcker  im  2.  Theile  sei- 


172  Alte  Geschichte. 

lies  episclien  Cyclus  diesem  Stoffe  eine  jener  abscliliessenden  Be- 
handlungen hat  zu  Theil  werden  lassen  und  auch  auf  Grote  Rück- 
sicht nimmt.  Welcker's  Äbhandl.  von  1832  (Schulzeitung)  ist  dem 
Herrn  Verf.  unbekannt  geblieben. 

Es  folgt  Cap.  15  die  troische  Sage  ^  deren  wesentlicher  und 
recipirter  Inhalt  so  vorgeführt  wird,  dass  die  Anmerkungen  die 
variirenden  Fassungen  geben.  Es  ist  ein  Boden,  auf  dem  die  Sage 
in  unerraesslicher  Fiille  gewuchert  hat^  ohne  dass  man  immer 
Ursprüngliches  und  spätere  Erweiterung  zu  scheiden  vermöchte. 
Hier  ist  es,  wo  man  vor  allen  Dingen  einer  so  strengen  Analyse 
bedarf,  wie  uns  VVelck  er  im  zweiten  Theile  seines  epischen  Cy- 
clus  darbietet,  obwohl  selbst  durch  die  genaueste  Prüfung  nicht  im- 
mer klar  sich  herausstellt,  was  in  dem  urspriinglichen  Pia»  der 
Sage  gelegen  und  was  später  hinzugekommen  ist.  N^ch  schwan- 
kender wird  diese  Entscheidung,  wenn  sich  immer  klarer  die  De- 
berzeugung  begründete,  dass  Uias  und  Odyssee  nicht  als  ursprüng- 
lich fertige  Gedichte  zu  betrachten  wären,  wenn  in  ihnen  vielmehr 
der  lebendige  Strom  von  Liedern  erkannt  würde,  in  denen  Vorstel- 
lungen wie  Sprache  sich  noch  als  im  Fluss  befindliche  sich  erwie- 
sen. Wie  zweifelhaft  ist  es  selbst,  ob  man  dem  Dichter  der  Ilias 
das  Urt heil  des  Paris  als  bekannt  voraussetzen  darf.  Wie  viel 
zweifelhafter  alles,  was  dem  Kriege  vorausliegt,  des  Paris  verhäng- 
nissvolle  Geburt,  seine  FJrziehung  unter  den  Flirten  des  Gebirgs, 
seine  Wiedereinführung  in  die  königliche  Familie  u.  s.  w.  Wie 
nach  vorn,  so  dürfen  wir  auch  gegen  denSchluss  und  in  der  Mitte 
nicht  an  unermesslichen  Flinzudichtungen  zweifeln,  die  der  einfa- 
chen Heldensage  von  Troja''s  Fall  ganz  und  gar  fern  gelegen  ha- 
ben. Die  Ilias  weist  in  zahllosen  Stellen  über  sich  hinaus  auf  Ge- 
genstände, die  in  der  Sage  gelebt  liaben,  wenn  sie  auch  noch  nicht 
in  die  Form  der  Epopöe  gebracht  waren;  die  Odyssee  eben  so  auf 
Dinge  zurück,  die  in  den  Raum  zwischen  Ilias  und  Odyssee  fallen. 
Der  frühe  Tod,  in  den  Achill  dem  Ilektor  nachfolgt,  zieht  durcli 
die  ganze  Ilias  sich  Iiindurch  und  wird  dem  Achilles  auf  das  Be- 
stimmteste geweissagt.  Er  folgt,  nachdem  der  glänzende  Sohn 
der  Eos  den  Antilochos  er>chlagen  hat.  Um  den  Leichnam  des 
Achilles  erhebt  sich  ein  heisser  Kampf.  Dann  folgt  der  Streit  um 
die  Waffen  des  Achilles  und  der  Tod  des  Aias  durch  seine  eigene 
Hand.  Am  Hellespont  stehen  die  Gräber  des  Achilles  und  des 
Aias.  Dann  wird  vom  hölzernen  Ross,  das  Epeios  gefertigt,  bei 
den  Phäaken  gesungen;  von  der  Zerstörung  der  Stadt,  von  dem 
Kampf  beim  Hause  des  Deiphobos.  Auf  Aeneas,  als  einen,  der  dem 
Tode  entrinnt,  wird  vielfach  hingedeutet.  Es  hat  offenbar  ein  rei- 
cher Stoff  vorgelegen,  den  der  Dichter  der  Ilias  und  der  der  Odys- 
see kannte.  Die  zahlreichen  Beziehungen  auf  diesen  Stoff  nöthi- 
gcn  uns,  mehr  vorauszusetzen,  als  ausdrücklich  erwähnt  wird.  Aber 
wie  viel  da  gewesen,  wie  viel  hinzugedichtet  sei,  ist  fast  unmöglich 
zu  sagen.     So  werden  die  Amazonen  erwähnt   in  der  Ilias,  über 


Grote :  A  history  of  Greece.  I,  173 

nicht  so,  dass  vermiithet  werden  könnte,  der  Dichter  habe  sie  ge- 
kannt als  solche^  die  an  dem  Kampfe  wider  die  Griechen  Theil  ge- 
nommen haben.     So  lange  Geist  und  erfinderische  Kraft  die  Ho- 
meriden  erfüllte,  strömte  aus  unsichtbaren  Quellen  die  Sage  fort, 
und  es  ist  interessant  zu  bemerken,   wie  in  dem  letzten  Gedichte 
dieses  Sagenkreises  auch  die  letzte  Lebensader  desselben  versiegte. 
Der  Verf.  hat  dies  Werden  und  Wachsen  der  Sage  auch  hier  zu 
einer  guten  Anschauung  gebracht.     Die  nächste  Frage,  welche  er 
sich  vorlegt,  ist  nun  natürlich  die,   ob  nicht  wirklich  unter  den 
Mauern  Troja's  ein  Krieg  stattgefunden  habe,  der,  abgesehen  von 
den  Göttern  und  Heroen,  von  Helena,  den  Amazonen  und  den  Ae- 
thiopen,  von  dem  hölzernen  Pferde  und  all  dem  weiteren  bunten 
Farbenspiel  der  Poesie,    in  rein  mensclilicher  Weise  geführt  sei 
und  den  historischen  Kern  zu  all  jenen  Krystallisationen  der  Sage 
bilde.    Der  Verf.  antwortet  hierauf  consequent:  die  Möglich- 
keit eines  solchen  Krieges  sei  nicht  zu  leugnen,  aber  eben  so  die 
Wirklichkeit   desselben    nicht   zu   beweisen.      Die   Griechen 
glaubten  an  die  Wirklichkeit  des  Krieges.    Thukydides  knüpft  an 
Homer  seine   tief  eindringende  Betrachtung  der  alten  Zeit,  und 
nicht  blos    derjenigen,  in   welcher   Homer   gesungen   hat,    son- 
dern auch  derjenigen,  welche  er  besungen  hat;  Neu-Ilion,  obwohl 
erst  unter  der  letzten  Dynastie  der  lydischen  Könige  gegründet, 
zeigte  die  durch  Homer  geweihten  Stellen  auf  und  galt  als  iden- 
tisch mit  dem  der  Sage;  Xerxes,  Mindaros,  Alexander,  die  Römer 
gewährten  dieser  Identität  ihre  Anerkennung.     Auch  die  Zweifel, 
welche  sich  hiergegen  erhoben,   von   Hestiäa,   aus  Alexandria 
Troas  gebürtig,  und  dem  Skepsier  Demetrios,  griffen  nicht  die 
Realität  des  Krieges  noch  die  Autorität  des  Homer  an ,   sondern, 
vielleicht   durch   nachbarliche   Eifersucht   eingegeben,   den    An- 
spruch   der   Ilienser  ,    im   Besitz   der    alten   heiligen    Stadt    zu 
sein,      Sie  fanden  z.  Beisp.   nicht  Raum  genug  zwischen  Neu- 
Ilium  und  dem  Schiffslager  der   Griechen  für  alle   die  Kämpfe, 
deren  Homer  gedenkt,  und  verlegten  daher  die  wirkliche  Stelle 
weiter  landeinwärts,  nach   der  sogenannten   xco^r^   xc5v  'IXUcov. 
Aber  auch  mit  diesen  Zweifeln  selbst  blieben  sie  vereinzelt   und 
gewannen  erst  nach  Jahrhunderten  die  Zustimmung  des  starren 
Homerikers  S  trabo.     Wollen  wir  uns  aber,  statt  durch  die  Sage, 
durch  die  Geschichte  belehren  lassen,  so  finden  wir  in  historischer 
Zeit  die  ganze  Halbinsel,  mit  Ausnahme  einiger  Küstenstädte,  die 
ionischen  Stammes  sind,  im  Besitze  der  Aeoler.     Vor  diesen  ist 
nur  ein  Volk,  das  aber  bei  Homer  gar  nicht  vorkommt,  in  diesen 
Gegenden  nachzuweisen,  das  der  Teukrer,   welches  sich  ver- 
muthlich  weiter  gegen  Süden  erstreckte,  bis  es  durch  die  vordrän- 
genden Aeoler  auf  einige  Orte,  unter  denen  Gergis,  beschränkt 
wurde.     Diese  Teukrer  sind  eine  Kolonie  aus  Kreta  und   daher 
den  Griechen  stammverwandt,  dagegen  in  der  Poesie  das  Volk  des 
Priamos  ein  den  Griechen  absolut  fremdes  ist.     Nach  diesen  Erör- 


174  Alte  Gescluclite. 

tcrunifcn  wird  es  für  die  Leser  interessant  sein,  das  neueste,  die- 
sen Gegenstand  beliandclnde  VVerii,  Wclcker's  epischen  Cycliis, 
namentlich  die  Einleitung,  zn  vergleichen,  welche  sicli  auf  den  et- 
waigen historischen  Kern  der  troischcn  Sage  bezieht  und  aller- 
dings zu  positiveren  llesuUatcn  iuhrt. 

Die  bisherigen  Capitel  haben  eine  Skizze  jener  Stoffe  der  Er- 
zählung gegeben,  aus  denen  die  Urgeschichte  und  Cfironologie 
Griechenlands  extrahirt  ist.  Aus  unbekannten  Quellen  strömten  sie 
hervor  und  lebten  zuerst  als  luftige  Erzähliuigen  im  Volke,  bis  sie 
zum  grossen  Theile  in  den  Gesang  der  Dichter  i'ibergingen,  welche 
sie  auf  tausend  verschiedenen  Wegen  vervielfachten,  umbildeten 
und  ausschmi'ickten.  Es  war  die  erste  Schöpfung  des  griechischen 
Geistes,  der  gemeinschaftliche  Kern,  welcher  ihre  historische, 
geographische,  theologische,  moralische  Bildung  in  sich  umschloss, 
zugleich  sich  an  die  nächste  sie  umgebende  Wirklichkeit  an- 
schloss  und  dem  Hang  nach  dem  Wunderbaren  vollauf  Nahrung 
bot.  Um  sie  zu  verstehen,  muss  der  Betrachtende  sich  auf  die 
Kindheitsstufe  eines  Volkes  zurVickversetzen,  welches  sehend,  hö- 
rend, erzählend  imfrohen  Genuss  der  Gegenwart  sich  erging,  arg- 
los und  harmlos  den  Bildern  seiner  Phantasie,  den  Personificatio- 
nen .  die  es  sich  von  den  Erzeugnissen  der  Natur  und  seines  Gei- 
stes bildete,  Glauben  schenkte,  seine  Götterwclt  sich  als  ein  Ab- 
bild der  eigenen  gestaltete  und  mit  diesen  Phantasiebildern  als 
mit  Wirklichkeiten  verkehrte.  Dieser  Geist  erhielt  sich  auch 
noch  in  späterer  Zeit  in  entlegenen  Ortschaften,  wohin  der  Geist 
eines  Anaxagoras  und  Thukydides  nicht  gedrungen  war;  in  frühe- 
rer Zeit  war  er  der  alleinige  und  die  griechischen  Gölter-  und 
Heroensagen  sein  nothwendiges  Erzeugniss.  In  ihnen  lebte  die 
Erinnerung  an  eine  Zeit  fort,  in  welcher  „den  unsterblichen  Göt- 
tern und  den  sterblichen  Menschen  gemeinsame  Mahle  und  ge- 
raeinsame Sitze  waren, '■•  und  zu  welcher  das  spätere  Geschlecht 
immer  wieder  zurückkehrte  ,  um  sich  des  kindlichen  Verstandes, 
der  jugendlichen  Einbildungskraft  und  des  vollen  Herzens  der  Vor- 
zeit wieder  zu  erfreuen.  Man  nahm  noch  keinen  Anstoss  daran, 
den  Göttern  menschliche  Leidenschaften  ins  Herz  zu  legen ;  man 
hegte  noch  keine  Scrupel,  an  die  Wirklichkeit  jener  Bilder  zu 
glauben.  Der  Dichter  erschien  gleich  dem  Propheten  als  inspirirt 
von  höherem  Geiste;  seine  Dichtung  als  eine  rerum  divinarum  et 
humanarum  scientia.  In  seiner  vollen  Kraft  und  Geltung  sehen  wir 
diesen  Standpunkt  des  Glaubens  in  Homer;  obwohl  er  noch  in  den 
cyclischen  und  hesiodeischen  Dichtern  sich  erhielt,  bis  in  das  er- 
ste Jahrhundert  der  Olympiadenrechnong.  Von  da  ab  sehen  wir 
einen  andern  Geist,  den  der  Wissenschaft  und  der  Kritik,  heran- 
wachsen, und  mit  ihm  die  alte  Götterwelt  in  Trümmer  fallen. 

Die  erste  Ursache  zu  dieser  Umwandlung  ist  das  Wachsen  der 
griechischen  Intelligenz.  Wie  die  Griechen  vor  allen  andern  Völ- 
kern den  Mythen  ihrer  Kindheit  jenen  unsterblichen  Beiz  und 


Grote:  Ä  history  of  Greece.  I.  175 

jenes  allgemeine  Tnteresse  verlielien  hatten,  so  waren  sie  es,  wel- 
che, aus  der  Schärfe  der  Beobachtung  und  Combination  heraus,  die 
wahre  Wissenschaft  produciren  sollten.  Schon  in  den  hesiodei- 
sehen  Gedichten  tritt  die  Gegenwart  an  die  Stelle  der  Vorzeit;  die 
Gegrnwart,  verlassen  von  Göttern  und  Heroen,  in  ihrem  physi- 
schen BedVirfniss,  in  ihrer  sittlichen  Entartung.  Gegeniiber  dem 
Homer  heisst  Flesiod  der  Flelotendichter.  Es  folgt  dieselbe  Rich- 
tung in  Archil  ochos.  Der  Wechsel  des  Rhythmus,  bemerkt  der 
Verf.  mit  sehr  gutem  Recht,  bildet  in  Zeiten,  wo  der  lebendige 
Gesang  waltet,  eine  Epoche.  Dichter  und  Zuhörer  miissen  andere 
geworden  sein.  So  ist  es  in  der  That.  Im  fioraerischen  Gesang 
ist  der  Dichter  das  namenlose  Organ  der  historischen  Muse,  die 
Zuhörer  wollen  nur  hören,  glauben,  fiihien  die  Ereignisse  der 
Vorzeit,  die  Erzählung  gehört  nicht  einer  Zeit  oder  einer  Oert- 
lichkeit  an.  Jetzt  tritt  das  persönliche  Gefühl  des  Dichters,  die 
Specialitäten  der  Gegenwart  in  den  Vordergrund.  Archilochos 
schlug  mit  seinen  lamben  tödtliche  Wunden.  Simonides  von 
Amorgos  brauchte  dasselbe  Metrum  mit  weniger  Bitterkeit,  aber 
mit  derselben  antiheroischen  Tendenz,  wie  sein  Vorgänger.  Dem 
Geist  nach  ist  er  ein  Fortsetzer  von  den  Werken  und  Tacen.  Bei 
Alka  OS  u.  Sappho  ist  es  gleichfalls  das  persönliche  PiVblen  und 
Leiden,  das  persönliche  Verhaltniss  zu  ihren  Zeigeiiossen,  w  elches 
die  Seele  ihrer  Lyrik  bildet.  In  Kallinos,  Mimnermos,  Tyr- 
täos  ist  es  eben  so;  bei  So  Ion,  Theognis  und  Phokylides 
kommt  ein  tief  sittliches  Gefühl  hinzu  ,  welches  der  homerischen 
Poesie  ganz  fehlt.  Am  Gebrauch  der  Mythen  fehlte  es  auch  bei 
diesen  Dichtern  nicht;  aber  sie  sind  der  Gegenwart  zugekehrt. 
Die  epische  Poesie  des  7.  und  6.  Jahrh.  trug  noch  den  alten  epi- 
schen Charakter  ohne  den  alten  epischen  Genius. 

Um  660  wurde  Aegypten  den  Griechen  aufgeschlossen;  es 
war  wie  eine  neu  entdeckte  Welt  für  die  Hellenen.  Eine  uralte  Bil- 
dung, Wunderwerke  der  Architektur,  Kenntnisse  der  Astronomie 
und  der  Geometrie;  mehr  noch,  sie  brachten  ein  Interesse  an  dem, 
was  das  eigene  Land  aus  der  Vergangenheit  an  Denkmalen  darbot, 
heim!  Der  geschichtliche  Sinn  erwacht.  Es  unterstützten 
ihn  die  Feste,  zu  denen  alle  Hellenen  zusammenströmten,  die  geo- 
graphische Ausbreitung  des  griechischen  Volkes  nach  Osten  und 
Westen;  die  alten  Mährchen  wurden  lächelnd  widerlegt;  man  fing 
schon  an,  geologische  Speculation  zu  üben.  Welch  ein  Unterschied, 
der  Anfang  der  Olympiaden  und  das  Zeitalter  des  Hero<lot!  Man 
fing  schon  an,  sich  der  neugewonnenen  Civilisation  zu  freuen,  das 
Piratenwesen  des  Homer  als  einen  Zustand  der  Rohheit  zu  be- 
trachten, die  Unsittlichkeiten  der  alten  Poesie  mit  Xenophanes 
schwer  zu  rügen.  Dann  kam  das  Studium  der  Natur  mit  der  ioni- 
schen Philosophie.  Diese  Natur  ist  nicht  mehr  die  persönlich-vor- 
gestellte.  Selbst  die  Worte  (pvöig  und  xoö^og  treten  in  dieser 
Bedeutung  erst  jetzt  auf.   Hiermit  beginnt  nun  die  Scheidung  zwi- 


176  Alte  Gcscliicl)te. 

seilen  der  wisscnscliaftliclien  und  der  volksthümlicli  gläubigen  Be- 
trachtung der  Dinge,  in  allerdings  verschiedenen  Formen.  Hier 
hält  der  Eine  noch  für  alle  Erscheinungen  der  Natur  und  des 
]>Ienschenlebens  die  wissenschaftliche  und  die  fromme  Auffassung 
in  ihrer  Unterschiedlosigkeit  fest  (Ilippokrates),  ein  Anderer 
lässt  für  eine  gewisse  Classe  von  Phänomenen  die  erstere,  für  eine 
andere  die  zweite  Betrachtungsweise  gelten  (S  o kr at es),  während 
ein  Dritter  (Anaxagoras)  die  Götter  geradezu  zu  allegorischen 
Personen  herabsetzte.  Hier  haben  wir  unter  den  Forschern  selbst 
die  verschiedenen  Standpunkte.  Tiefer  und  unheilbar  war  der 
Bruch  zwischen  der  Wissenschaft  und  dem  Volksglauben,  welcher 
durch  jene,  wenn  auch  nicht  plötzlich  zerstört,  doch  allmählig 
aufgelöst,  umgebildet,  und  selbst  wieder  den  neuen  Ideen  angepasst 
wurde.  Die  Mythen  werden  von  einem  Standpunkte  aus  betrach- 
tet, welcher  der  ehrfurchtsvollen  Wissbegierde  und  dem  phantasie- 
vollen Glauben  der  homerischen  Welt  durchaus  fremd  war.  Der 
Verf.  unterscheidet  hier  die  Auffassungsweise  der  Dichter,  der  Lo- 
gographen, der  Philosophen  und  der  Historiker. 

Den  Dichtern  und  Logographen  sind  die  mythischen  Personen 
reale  Vorgänger,  aber  es  ist  eine  göttliche,  niclit  eine  menschliche 
Realität;  die  Gegenwart  ist,  mit  dem  Dichter  zu  reden,  nur  ein 
Halbbruder  der  Vergangenheit;  die  alten  Gefühle,  der  alte  bewusst- 
lose  Glaube  bleiben  noch  in  der  Seele;  aber  neue  Gefühle  sind 
emporgewachsen,  welche  sie  nöthigen,  manche  der  alten  Erzählun- 
gen fallen  zu  lassen  oder  zu  ändern.  Pindar  protestirt  gegen  die 
Erzählung,  wie  Pelops  von  seinem  Vater  den  Göttern  vorgesetzt 
sei,  gegen  die  Gefrässigkeit  der  Götter.  Die  Liebschaften  des 
Zeus  und  Apollo  lässt  er  bestehen,  aber  er  unterdrückt  einzelne 
Details,  wie  den  Raben,  der  Apollo  von  der  Untreue  der  Koronis 
unterrichtet.  Der  Charakter  des  Odysseus  widerstrebt  ihm,  da- 
gegen fühlt  er  mit  Aias  die  tiefste  Sympathie.  Er  hat  es  kein 
Hehl,  dass  die  alten  Geschichten  zuweilen  falsch  sind.  Das  Wunder 
an  sich  stört  ihn  nicht,  er  rückt  es  selbst  der  Gegenwart  näher, 
indem  er  von  Phalaris  und  Krösos  wie  von  lason  und  Bellerophon 
singt.  Bei  Aeschylos  und  Sophokles  ist  derselbe  Glaube  an 
das  sagenhafte  Alterthum  als  ein  Ganzes;  aber  sie  erlauben  sich 
grössere  Freiheit  im  Einzelnen.  Für  den  Erfolg  der  tragischen 
Poesie  war  es  eben  so  nöthig,  den  alten  Stamm  zu  erhalten,  wie 
durch  neue  Gruppirung  und  (Komposition  Interesse  zu  erwecken. 
Aeschylos  und  Sophokles  haben  die  Würde  der  mythischen  Welt 
eher  erhöht  als  vermindert.  Der  Prometheus  des  Aeschylos  ist 
eine  ganz  andere  Person  als  der  des  Hesiod,  der  Sophokleische 
Oedipus  ein  anderer  als  der  der  Sage.  Allerdings  wirkt  der  De- 
mokratismus Athens  auf  Aeschylos'  Dichtungen  ein;  der  Gegensatz 
zwischen  dem  alten  und  dem  neuen  Geiste  ist  von  bedeutendem 
Einfluss  auf  die  äschyleische  Tragödie;  aber  in  diesem  Gegensatze, 
an  dem  die  Götter  selbst  Theil  nehmen,  erscheinen  Götter  und 


Grote:  A  history  of  Greece.  I.  177 

Menschen  in  einer  Erhabenheit,  zu  der  die  gewöhnliche  mensch- 
liche  Natur  nicht  hinaufreicht;  es  ist  als  schwebten  vor  den  Augen 
des  Zuschauers  jene 

ot  ^8c5v  dyiiöTCOQOi 
Ol  Zrjvog  syyvg,  olg  8v  'Idalco  Ttaya 
z/tög  TtatQCJov  ßc3}i6g  eöv  ev  al^egi^ 
xovTto  6q)iv  B^itrjXov  al^cc  dctLuovcov. 
Von  dieser  Höhe  steigt  Euripides  jählings  herab,  indem  er  die  al- 
ten  Mythen  zum  Spiel  werk  seiner  Willkiir  macht,    Götter   und 
Menschen  dem  geschwätzigen,  subtilen  und  klugdünklichen  Volke 
der  athenischen  Agora  gleichbiidet,  seine  Helden  mit  allen  Künsten 
moderner  Wissenschaft  und  Sophistik  ausstaffirt,  schauerliche  und 
zugleich  gemeine  Verbrechen  auf  die  Bühne  bringt    und  hiermit 
den  Volksglauben  wesentlich  auflöst. 

Die  Logographen  treten  ebenfalls  mit  zweifellosem  Glau- 
ben und  ehrfurcliisvoller  Achtung  an  die  mythische  Welt.  Ihre 
grosse  Aufgabe  aber  ist,  die  Mythen  in  zusammenhängende  Rei- 
lien  zu  bringen;  sie  mussten  daher  nothwendig  zwischen  widerspre- 
chenden Erzählungen  eine  Auswahl  treffen,  einige  als  falsch  ver- 
werfen, andere  als  wahr  recipiren.  Sie  wurden  dabei  mehr  durcli 
ihre  Gefühle  als  durch  einen  etwaigen  historischen  Takt  geleitet. 
Pherckydes,  Akusilaos,  Hellanikos  suchten  nicht  die 
Wunder  aus  der  Geschichte  zu  beseitigen;  sie  wollten  nur  W'ider- 
sprüche  entfernen  und  glaubten  übrigens  an  die  geschichtliche 
Natur  dieser  Erzählungen.  Hellanikos  bestimmte  Jahr  und  Tag 
der  Einnahme  Troja's.  Hekatäos  ist  iler  Erste,  welcher  mit 
Zweifel  an  diese  Stoffe  herantrat  und  sie  in  die  Schranken  histo- 
rischer Glaubhaftigkeit  zu  zwängen  suchte.  So  suchte  er  mythi- 
sche Gestalten  der  Wirklichkeit  näher  zu  bringen:  Cerberus  ist 
ihm  eine  Schlange  in  einer  Höhle  am  Vorgebirge  Tänaron,  Ge- 
ryones  ein  heerdenreicher  König  von  Epirus.  Und  doch  führte  er 
sein  eigenes  Geschlecht  durch  eine  Reihe  von  15  Ahnherrn  auf 
einen  Gott  zurück.  Dieser  innere  Widerspruch  ist  auch  in  He- 
rodot  und  Thukydides.  Sie  haben  beide  den  vollen  ver- 
dachtlosen Glauben  an  die  allgemeine  Realität  des  mythischen  Al- 
terthums;  aber  sie  treten  an  dasselbe  mit  historischem  Sinn,  sie 
wollen  die  historische  Glaubhaftigkeit  aus  inneren  Gründen  prüfen; 
sie  wollen  die  Details  nicht  ohne  Weiteres  so  annehmen,  wie  sie 
ihnen  von  den  Dichtern  und  Logographen  überliefert  sind.  Jeder 
von  ihnen  macht  nun  den  Process  auf  seine  eigene  Weise  durch. 

H  erod  ot  ist  ein  Mann  von  tiefem  und  ängstlichem  religiösen 
Gefühle;  die  Götter  entscheiden  die  historischen  Ereignisse;  er 
spricht  daher  von  ihnen  mit  Ehrerbietung ,  mit  Rückhalt ;  er  ver- 
schweigt, um  ihre  Geheimnisse  nicht  zu  verletzen,  heilige  Legen- 
den, die  er  gehört  liat;  er  verschweigt  oft  selbst  ihren  Namen;  es 
ist,  als  ob  das  Gehei.mniss  eben  von  der  Zunge  springen  wollte;  er 

iS,  Jahrb.  f.  Phil.u.  Päd.  od.  Krit.  Bill.  ßii.  LVUI.   Hfl.X  12 


17S  '^'te  Gcscluclitc. 

hält  CS  i^lcicliwolil  zunick.    Die  Personen,  die  Ereignisse  ilcr  Vor- 
zeit hält  er  für  vollsländi^  real;  selbst  in  die  Kponymen  der  einzel- 
nen Sliidle  oder  Landschaften  setzt  er  keinen  Zweifel;  er  verfolgt 
die   Geschichte   an    der  Leiter  der  Genealogieen  anfwärts  bis  zu 
ihrem  göttlichen  Ursprung.     Darum  aber  lässt  er  für  einzelne  Er- 
eignisse doch  die  nothwendige  Kritik  gelten.     Wie  soll,  fragt  er, 
Jemand   glauben,    dass   Herakles  allein   viele  M;yriaden  getödtet 
habe*?     So   beginnt  er  auch  die  alten  Erzählungen  acht  rationali- 
stisch zu   deuten.     In  Dodona  ist  das  Orakel  und  die  Firzäiilung 
von  den  Tauben.      Er  zieht  ihr  die  Mittheiluug  der  Priester  des 
ägyptischen  Thebens  vor,  weil  er  nicht  über  das  Wunder  hinweg- 
kommen kann,  dass  Tauben  sollten  mit  menschlicher  Stimme  ge- 
redet haben.    Melampus  hat  seine  Seherkunstsich  erworben,  das 
Thal  von  Tempe  ist  durch  ein  Erdbeben  entstanden  u.s.  w.    Auch 
Thukydides  glaubt  an  die  mythische  Vorzeit;  aber  er  glaubt 
daran  ,  wie  an  eine  wirklich  historische  Zeit;  Ilerodot  unterschei- 
det zwischen   Polykrates  und  Minos;   dem  Thukydides  sind  Ke- 
krops,  Pelops,  Hellen  Personen  gerade  so  gut  wie  Miltiades  und 
Themistokles  ,*  er  nimmt  keine  Wunder  an,  er  glaubt  auch  an  kein 
Geschlecht ,  das   mit   besonderen   wunderbaren  Kräften  von  den 
Göttern  ausgestattet  gewesen  wäre.     Den  troischen  Krieg  behan- 
delt er  ganz  als  historische  Unternehmung  und  berechnet  aus  der 
Zahl  der  Schiffe  selbst  die  Zahl  der  Personen,  welche  daran  Theil 
genommen  haben.     So  spricht  er  von  den  Phäaken  als  Urbewoh- 
nern  Corcyra's,  vonTereus  und  Prokne,  von  Kyklopen  und  Lästry- 
gonen.    Eryx  und  Egcsta  sind  wirklich  von  flüchtigen  Troern,  das 
amphilochische  Argos  von  Amphilochos  dem  Sohn  des  Amphiaraos 
gegründet.  Noch  weiter  gehen  die  folgenden  Historiker.    Anaxi- 
menes  von  Lampsakos  beginnt  seine  Geschichte  mit  derTheogo- 
nie,  Ephoros  geht  wenigstens  nicht  über  die  Rückkehr  der  He- 
rakliden  hinaus,  obwohl  er  seinem  Plane  in  dieser  Beziehung  nicht 
treu  geblieben  ist.     Sie  haben  alle  das  mit  einander  gemein,   die 
Gölter-  und  Heroenvorzeit  in  einfach  menschliche  Geschichten 
umzudeuten,   bis  endlich  in  Euhemeros  und  seinen  Nachfolgern 
dies  System  der  Scheingeschichte  zur  Karrikatur  wurde. 

Entschiedenere  Gegner  fanden  noch  die  alten  Mythen  beiden 
Philosophen.  Auf  einem  sittlichen  Grunde  ruhte  die  strenge  Kri- 
tik des  Kolophoniers  Xenophaues  Solchen  Angriffen  zu  be- 
gegnen, statuirte  Thcagenes  von  Rhegion  einen  doppelten  Sinn 
in  den  homerischen  und  hesiodeischen  Erzählungen  und  allegori- 
sirte  nach  diesem  Princip  den  Kampf  der  Götter  in  der  Illade. 
Anaxagoras  und  Metrodor  bildeten  diese  allegorische  Er- 
zählung noch  systematischer  aus,  der  erstere  mehr  nacli  der  ethi- 
schen, der  zweite  mehr  nach  der  physischen  Seite  hin.  Zeus, 
Hera  und  Athene  wurden  ihm  so  zu  Naturkräften,  die  ihnen  zuge- 
schriebenen Abenteuer  zu  Naturerscheinungen.  Empedokles, 
Prodikos,  Antistheneg,  Parmenides,  der  Pontiker  Hc- 


Grote:  A  history  of  Greece.  I.  179 

raki cides  folgten  mehr  oder  weniger  demselben  Principe,  und 
die  Eiklärer  des  Flomer  nahmen  eben  dazu  ilirc  Zuflucht.  Zu 
Plato's  und  Xenophons  Zeit  war  diese  allegorische  Interpretation 
die  recipirte  ;  Plato  selbst  hielt  diesen  Ausweg  für  ungenügend, 
weil  die  jugendliche  F'assungskraft  der  Vorfahren  unmöglich  hätte 
den  tieferen  Sinn  der  Allegoriesich  aneignen  können.  Immer  po- 
pulärer wurde  jedoch  diese  Methode  nach  Christi  Geburt,  wo  die 
Neu-Platoniker  und  Andere  sich  ihrer  als  eines  Schildes  gegan  die 
Angriffe  der  Christen  bedienten.  So  war  bei  den  heroischen  My- 
then die  historisircnde,  bei  den  Göttermythen  die  allegorisirende 
Methode  zur  Herrschaft  gelangt.  Metrodor  hatte  wenig  Erfolg, 
als  er  die  allegorische  Methode  auf  die  Heroen,  und  Euhemeros 
wurde  als  verrucht  verschrieen,  als  er  die  historisirende  Älethodc 
auf  die  Götter  anwandte.  Ja  selbst  für  die  Götter  beschränkte 
man  die  Allegorie  doch  mehr  auf  die  unteren  Götter;  kaum  dass 
die  Stoiker  alle  persönlichen  Göttergestalten  mit  hineinzogen;  die 
Frömmigkeit  sah  in  dieser  unbeschränkten  Allgemeinheit  jenes 
Verfahrens ,  in  der  Aufhebung  aller  göttlichen  Persönlichkeiten 
eine  zu  grosse  Gefahr  für  die  Religion  überhaupt.  Die  ünterschei- 
dui»g  zwischen  Göttern  und  Dämonen,  welche  seit  Empedokles  im- 
mer mehr  ausgebildet  wurde,  wurde  gleichfalls  benutzt,  den  Glau- 
ben an  die  alten  Sagen  und  die  Würde  der  Götter  zu  schützen. 

Nachdem  der  Verf.  so  dargelegt  hat,  wie  das  Verhältniss  des 
Glaubens  zu  den  alten  Götter-  und  Heroengeschichten  sich  umge- 
staltet habe,  bekämpft  er  noch  einmal  die  Anwendung  der  histori- 
schen Methode  auf  die  alte  Sagenzeit  als  eine  völlig  unzuverläs- 
sige, und  eben  so  die  der  Allegorie  auf  die  Behandlung  der  eigent- 
lichen Mythen.  Er  erklärt  sich  hierbei  namentlich  auf  das  Be- 
stimmteste gegen  das  Verfahren  Creuzer's  und  führt  immer, 
der  supponilrten  hohen  Weisheit,  welche  sich  in  symbolische  For- 
men verkleidete,  gegenüber,  zurück  auf  die  Kindesnatur  des  Vol- 
kes, bei  dem  Geschichte  und  Religion,  Glauben  und  Schauen, 
Göttliches  und  Menschliches  zu  unmittelbarer  Einheit  zusammen- 
flössen. 

Nach  diesen  Erörterungen,  welche  den  Inhalt  des  16.  Cap. 
bilden,  giebt  Cap.  17  tke  Grecian  mythicaL  vein  compared  witli 
that  of  modern  Europe.  Das  Vorhandensein  einer  Sage,  in 
grösserer  oder  geringerer  Ausbildung,  ist  ein  Phänomen ,  dem  wir 
überall  wieder  begegnen.  Es  ist  der  natürliche  xAusdruck  des  un- 
gelelirten  phantasic- und  glaabensvoUen  Menschen;  das  Maximum 
desselben  gehört  einer  frühern  Culturstufe  an;  so  wie  die  histori- 
sche Erinnerung,  die  Verbreitung  positiver  Kenntnisse,  Prüfung 
mit  Hülfe  der  Kritik  wachsen,  verliert  die  Sage  ihr  inneres  Leben. 
Sie  bietet  dem  Dichter  den  positiven  Stoff,  den  er  dichterisch  ge- 
staltet, und  ebenso  die  Anregung  zu  eigenen  Schöpfungen,  zu  einer 
Zeit,  wo  der  Dichter  der  Lehrer  der  Religion,  der  Historiker  und 
der  Philosoph  eines  Volkes  ist.     Solche  Volkssagen  finden  wir  bei 

12* 


180 


Alte  Geschichte. 


tlen  cleutsiclicn  und  cellisclicii  Stämmen.  Die  Sa^en  der  Gotlie  i 
siiul  bereits  hei  Jornandcs  in  Zusammenliau^  ^ebraclit,  von  Thui- 
sto,  Maiinus  uiul  dessen  Söhnen  ist  schon  bei  Tacitus  der  Anfang 
eines  genealogischen  Systems.  Die  "[rossen  Analogieen  zwischen 
der  germanisch-scandinavisclien  und  der  griechischen  Vorzeit  sind 
unzweifelhaft  und  oft  genug  in  heiles  Liciit  gesetzt.  Aber  die 
früheste  Poesie  der  Griechen  hat  den  Vorzug  der  Fülle,  der 
Scliönheit;  sodann  ist  der  üebergang  aus  dieser  sa*renhaft  poeti- 
schen in  die  spätere  Zelt  ein  innerliclier,  nicht  ein  Werk  von  Aus- 
sen Es  ist  freilich  ein  grosser  Schritt  von  Homer  zu  Thukydi- 
des  oder  Aristoteles;  aber  es  ist  der  naturgemässe  Üebergang  von 
der  Jugend  zum  Mannesalter.  Bei  den  Germanen  ist  diese  Um- 
gestaltung melir  eine  äusserliclie  und  gewaltsame  Die  römische 
Welt,  das  Christentlium  zerrissen  gewaltsam  das  Band,  das  sie  an 
die  alten  Götter  knüpfte;  eine  neue  Sprache  mit  einer  Litteratnr, 
die  Gewohnheit  des  Schreibens,  Geschichte,  mit  einem  Worte 
eine  fertige  Civilisation  kam  zu  ihnen,  und  diese  Civilisation  war, 
wenn  auch  Karl  der  Grosse  die  alten  Lieder  zu  sammeln  befalil, 
der  früheren  feindlich.  Von  Ludwig  dem  Frommen  heisst  es:  poe- 
tica  carmina  gentilia,  quae  in  juventute  didicerat,  respuit,  nee  le- 
gere nee  audire  nee  docere  voluit.  Da  wurden  auch  die  Königs- 
reihen, welche  bis  auf  Odin  zurückführten,  zerbroclien  ,  und  man 
suchte  jetzt  an  biblische  Personen  anzuknüpfen.  Die  alten  Götter 
selbst  sanken  in  die  Reihe  der  Dämonen  oder  euhemeristischer  Per- 
sonen hinab.  Das  Interesse  an  mythischer  Erzählang  wurde  durch 
Ileiligensagen  und  ritterliche  Dichtungen  befriedigt,  und  nament- 
lich die  letzteren  wurden  das,  was  die  Sagen  von  Theben  und  Tro- 
ja,  von  Oedipus  und  Theseus  den  Griechen  gewesen  waren.  Diese 
Sagen,  von  Siegfried,  von  Karl,  von  Artus  haben  auch  noch  ein  an- 
derweitiges Interesse:  sie  zeigen,  wie  absolut  unmöglich  es  ist, 
aus  ihnen  einen  etwaigen  lüstorisclien  Kern  zu  gewinnen.  Der 
Karl  der  Grosse,  den  die  Romanzen  schildern,  ist,  wie  vor  Allen 
Taiiriel  gelehrt  hat,  gar  nicht  der  historische.  Es  wäre  mehr 
als  lächerlich  zu  untersuchen,  ob  nicht  wirklich  ein  Zug  Karls  ins 
gelobte  Land  Statt  gehabt,  wie  bei  den  Thaten  der  Ritter  von  der 
runden  Tafel  die  Wahrheit  von  ihren  dichterischen  Uebertreibun- 
g:eu  zu  sondern  sei.  Eben  so  lehrreich  ist  es,  mit  dem  Nibelungen- 
liede die  Volsunga  Saga  zu  vergleichen,  und,  wenn  man  den  tie- 
fen mythischen  Hintergrund  und  die  göttliche  Natur  so  vieler  da- 
rin erscheinender  Personen  erkannt  hat,  sich  zu  fragen,  ob  man  es 
noch  wagen  solle,  von  der  Realität  des  Achilles,  des  Oedipus  n. 
8.  w.  zu  reden.  Wir  müssen  uns  mit  diesen  Andeutungen  begnü- 
gen, aus  denen  hoffefitlich  erhellt,  dass  und  wie  der  Verf.  seine 
Aufgabe  erfasst  hat. 

Das  18.  Capitel  enthält  die  closirfg  evenfs  of  legendary 
Greece^  und  unter  diesen  a)  die  Rückkehr  der  llerakliden.  Der 
Verf.  giebt  die  Sage,  indem  er  Apollodors  Darstellung  zum  Grunde 


Grote:  A  history  of  Greece.  I.  181 

legt.  Es  I'ässt  sich  nicht  leugnen ,  dass  sicli  frühzeitig  eine  Art 
Typus  bildete,  Grundziige  für  die  PJrzähiung,  welche  als  unhezwei- 
feit  festgehalten  wurden.  König  Aegimios  und  seine  Verbindung 
mit  Herakles  im  Lapithenkriege,  Oxylos ,  der  IJebergang  bei  Nau- 
paktos,  die  Dreithcilung  der  dorischen  Eroberungen  und  einige  an- 
dere Züge  standen  fest,  theils  weil  sie  in  bestehenden  Verhältnis- 
sen der  späteren  Zeit  eine  Art  Bürgschaft  fanden,  tlieils  vermuth- 
lich,  weil  sie  durch  ein  anerkanntes  Epos,  ich  denke  den  Aegi- 
mios, fixirt  waren.  Es  ist  in  der  griecliischen  Sage  wie  später  in 
der  Kunst;  als  einmal  das  Zeus-,  Apoll-,  Dionysosideal  festgestellt 
war,  wagte  kein  folgender  Künstler  diesem  sich  entgegenzustellen. 
Innerhalb  jener  Schranken  aber  gab  es  manche  Variationen.  Hät- 
ten wir  Eph  Gros  vollständig,  ich  glaube,  wir  würden  ein  wesent- 
lich modificirtes  Bild  jener  Zeit  erhalten;  auch  Plato  hat  sich 
die  Besilzergreifung  der  Dorier  anders  gedacht  und  nur  in  den 
beiden  Grundzügen  eine  Uebereinstimniung  mit  der  recipirten 
Sage:  dass  er  gleiclifalls  die  Dorier  von  den  Hcrakliden  ursprüng- 
lich geschieden  denkt,  und  dass  er  von  der  Eroberung  spricht  mit 
Anerkennung  eines  guten  Rechtes  der  Eroberer.  Um  einige  jener 
Variationen  zu  erwähnen,  so  ist  nach  Diodor,  der  hier  mit  Apollo- 
dor  vermuthlich  aus  einer  Quelle  geschöpft  hat,  Aegimios  König 
der  Dorier,  welche  Hestiäotis  inne  haben ,  nach  Ephoros  dagegen 
der  am  Oeta  wohnenden  Dorier.  Tisamenos  fällt  nach  dem  Apol- 
lodor  beim  ZusammentreiTen  mit  den  Doriern,  nach  einer  an- 
dern Sage  im  Kampfe  mit  den  loniern.  Die  Einen  lassen,  nach- 
dem Hyllos  dem  Echemos  unterlegen  ist,  die  Herakliden  100  Jahre 
lang  Frieden  halten,  die  Andern  lassen  auch  Kleodäos  und  Aristo- 
machos  den  Angriff  erneuern  und  beide  mit  dem  Leben  büssen. 
Die  Dichter  Hessen  den  Aristodem  vor  dem  üebergang  sterben, 
die  Lakedämonier  aber,  oixoKoytovtsg  ovöev\  nonqxi},  sagen,  Ari- 
stodemos  habe  selber  als  König  sie  in  ihr  Land  eingeführt  und 
nicht  die  Söhne  desselben.  Oxylos  ist  eine  eanz  sairenhafte  Ge- 
stalt.  Es  stellt  nur  eins  fest:  dass  die  Dorier  in  der  Peloponnes 
sind  und  dass  sie  in  einer  früheren  Zeit  nicht  darin  gewesen  sind. 
Wer  mehr  als  das  aus  der  Sage  entnehmen  will,  hat  wenigstens 
keine  Sicherheit  dafür,  dass  er  das  Wahre  treffe. 

b)  Die  Wanderung  der  Tliessaler  und  der  Böoter.  Hier  ist 
die  Aiictorität  des  Thukydides  entscheidend  geworden,  welcher 
lehrt,  60  Jahre  nach  Ilions  Zerstörung  seien,  verdrängt  durch  die 
Thessaler,  die  Böoter  aus  Arne  nach  dem  Kadmeerlande  gezogen. 
Die  Tliessaler  selbst  sind  aus  dem  Thesproterlande  in  das  von  ih- 
nen benannte  Land  eingewandert.  Allerdings  ist  es  zweifellos, 
dass  der  Stamm  der  Thessaler  nicht  von  je  in  jenem  Lnnde  ansässig 
gewesen  ist,  dass  er  sich  von  den  benachbarten  griechischen  Stäm- 
men durch  Sitte  und  Art  unterscheidet,  dass  analoge  Verhältnisse 
sich  bildeten  wie  die  der  Periöken  und  Heloten  in  Sparta,  dass  zwi- 
schen Thessalien  und  Böotien  in  ältester  Zeit  eine  specielle  Bezie- 


1^2  Alte  Geschichte. 

hnni;  statlfanil;  —  aber  bei  alle  dem  ist  auch  liier  noch  nicht  im 
Kntferntcsten  eine  historische  Wahrscheinlichkeit.  In  der  Skizze, 
welche  Pansanias  von  der  Zeit  vom  Sturz  Troja's  bis  zur  Ui'ickkehr 
der  Ilerakliden  giebt,  findet  sich  keine  Stelle  fiir  die  Einwande- 
rung der  Böoter,  sondern  diese  würde  in  die  dem  troischen  Krie- 
ge vorhergehende  Zeit  fallen.  Ep hör os  betrachtet  die  Böoter 
als  Nachkommen  der  aus  Böotien  zur  Zeit  der  Epigonen  nach  Thes- 
salien Gefliichteten,  welche  verbunden  mit  den  Bewohnern  Arne's 
in  ibr  Land  ziiriick  kommen.  Auch  bei  Homer  werden  im  Schiffs- 
katalog die  Böoter  erwähnt,  und  es  scheintkein  Unterschied  zwischen 
Böotern  und  Kadmeionen  in  seinen  Augen  bestanden  zu  haben.  Es 
war,  mit  einem  Worte,  die  Ansicht  des  Thukydides  eine  von  den 
vielen,  welche  hier  obwalteten,  und  das  Urtheil  des  grossen  Histo- 
rikers kann,  nach  den  obigen  Erörterungen,  keine  höhere  Geltung 
fiir  sich  prälendiren,  als  der  historisirenden  Auffassung  der  He- 
roenzeit  iiberliaupt  einzuräumen  ist. 

c)  Die  JVanderungen  nach  Kleinasien  ^  und  zwar  zuerst  die 
Ho  li  sehen  Colonieen.    Auch  hier  ist  noch  vollständig  sagenhafte 
Erzählung.     Orestes  selber  galt,  und  dies  ist  vermuthlich  die 
älteste  Fassung,  der  Fiihrer  der  Colonisation.   Dann  Jässt  die  Sage 
den  0  res  t  es  selbst  in  Arkadien  sterben,   seinen  Sohn  Penthi- 
Jos  bis  Thracien  gelangen,  dessen  Sohn  Archelaos  nach  Asien  hin- 
übersetzen,  aber  erst  Gras  in  Lesbos  zum  Besitz  gelangen.     Ein 
anderer  Zug,  der  lange  in  Lokris  verweilt,  setzt,  wie  es  scheint, 
direct  nach  Kleinasien  hinüber  und  griindet  Kyme.     Auch  die 
ionischen  Colonieen  sind  schwerlich  als  in  einer  Zeit  gegrVindet 
zu  denken.     Die  wichtigsten  gehen  von  Athen  aus,  und  ihre  Oeki- 
sten  sind  Neliden,  wie  Penthiliden  die  von  Lesbos.     Daneben 
aber  ist  von  Phokis  Phokäa   colonisirt,  von  Epidauros  Samos. 
Mehr  noch   ist   die    Ausführung    der    dorischen    Pflanzstädte 
sa'^enhaft,  so  dass  z.  B.  in  Betreff  der  Dorisirung  Kreta's  der  ur- 
alte Zusammenhang  mit  den  Doriern  der  Peloponnes  einer  unmit- 
telbaren Anknüpfung  an  Tektaphos  den  Sohn  des  Doros  hat  wei- 
chen müssen,     üeberhaupt  ist  die  Richtung  sichtbar,  die  eigene 
Ver'^an'^enheit  in  eine  weitere  Vorzeit  hinaufzurncken,  und  diesem 
Umstände  der  scheinbar  so  leere  Kaum  zuzuschreiben,  welcher 
zwischen  der  Rückkehr  der  Herakliden  und  der  ersten  Olympiade 
liegt.     Was  allmählig  im  Verlauf  von  Jahrhunderten  entstanden 
ist,  wurde  in  den  Strom  einer  einzigen  Bewegung  zusammenge- 
drängt, und  die  Einheit,  welche  sich  erst  allmählig  bildete,   als 
eine  ursprüngliche  gesetzt. 

Das  Cap.  20  handelt  von  der  Unanwendbarkeit  der  Chrono- 
logie auf  die  sagenhafte  Zeit  nnd  wendet  sich  besonders  gegen 
Clinton.     Wir  gehen  weiter  zu 

Cap.  21,  das  die  Culiurznsiände^  wie  sie  in  der  griechischen 
Sage  erscheinen,  zum  Gegenstand  hat.  Wenn  der  Inhalt  der  Sa- 
gen nicht  für  Geschichte  gelten  kann,  so  enthalten  sie  gleichwohl 


Giote :  A  Iifstory  of  Greece,  I.  183 

ein  Bild  des  Lebens  und  der  Sitte  der  Zeiten,  welche  den  Dicli- 
tern  nnd  Verbreitern  jener  Sagen  gegenwärtige  waren.  Mit  der- 
selben Unbefangenheit,  mit  welcher  sie  an  der  historisclien  Reali- 
tät ilirer  Traditionen  hingen,  trugen  sie  die  Zustände,  von  denen 
sie  umgeben  waren,  in  die  von  ihnen  geschilderte  Vergangenlieit 
hinüber.  Freilich  liegt  aller  Ursprung  jenseits  unserer  nur  Ent- 
wickelung  iMid  Fortgang  fassenden  Begriffe;  diesem  Grundsatze 
folgend,  hält  sich  der  Verf.  unfruchtbaren  Spcculationen  über  die 
etwaigen  Urzustände  fern  und  bespricht,  mit  vollster  Objectivität, 
zuerst  die  politischen,  dann  die  moralisclien,  endlich  die  socialen 
Zustände  jener  Zeit,  worauf  er  im  22.  Cap.  sich  insbesondere  der 
griechischen  Epik  und  vorzüglich  den  homerischcu  Gedichten 
zuwendet. 

Die  homerischen  Gedichte  (im  weitern  Sinn)  tragen  einen 
Charakter,  der  von  der  hesiodeisclicn  Epik  sehr  verschieden  ist. 
Jene  ersteren  beschränken  sich  auf  eins  der  grossen  Ereignisse, 
eine  der  grossen  Persönlichkeiten  der  sagenhaften  Vorzeit,  umfas- 
sen nur  eine  beschränkte  Zahl  gleichzeitiger  Charaktere  und  nä- 
liern  sich  einer  gewissen  poetischen  Einheit;  die  letzteren  brin- 
gen mehr  verschiedene  Ereignisse  ohne  ein  Streben  nach  einer 
Concentration  von  Interesse  zusammen.  Zwischen  beiden  stehen 
die  biographischen  Gedichte,  die  Ilerakleis  und  Theseis,  nähern 
sich  aber  mehr  den  hesiodeischen.  Nach  dieser  Oistinction  zählt 
nun  der  Verf.  die  uns  bekannten  epischen  Gedichte  auf,  deren 
Zahl  sich  auf  etwa  30  belaufen  mochte.  Aus  diesen  bildeten  gleich 
die  ersten  Logographen  sich  eine  zusammenhängende  chronologi- 
sche Geschichte.  In  ähnlichem  Sinne  ordneten  die  alexandrinisclien 
Gelehrten  diese  Gedichte,  nach  einem  Zusammenhang  des  Stoffs, 
zu  einem  Corpus,  welches  den  Namen  des  epischen  Cyclus  erhielt. 
Der  Verf.  bezweifelt  mit  Recht,  dass  Zenodot  derjenige  sei,  wel- 
cher diesen  Cyclus  gebildet  habe.  Dieser  Cyclus  umfasste  nach 
seiner  Ansicht  alle  epischen  Gedichte,  welche  älter  waren  als 
die  Theogonie  und  sich  für  eine  zusammenhängende  Erzäh- 
lung eigneten.  Es  Avaren  davon  also  nur  zwei  Classen  ausgeschlos- 
sen: 1)  die  neueren  epischen  Dichter,  wie  Panyasis,  Antimachos; 
2)  die  genealogischen  und  desultorischen  Gedichte,  wie  der  Kata- 
log der  Weiber,  die  Eöen.  Dass  der  Cyclus  sich  bloss  auf  die  ho- 
merischen Gedichte  beschränkt  habe  und  keins  der  hesiodeischen 
darin  aufgenommen  sei,  wie  W  elck  er  behauptet  hatte,  bezweifelt 
der  Verf.  Die  Theogonie  und  der  Aegimios  können  nicht  darin 
gefehlt  haben.  Eine  Umarbeitung  der  alten  Gedichte  zu  dem  Be- 
hufc,  eine  wirkliche  aKoXov%ia  rav  Tigayiiäiav  zu  erreichen, 
weist  der  Verf.  ebenfalls  zurück.  Dass  eine  lilterarhislorische  Zu- 
sammenstellung in  Prosa,  als  eine  Art  von  Compendium,  existirt  hat, 
lässt  der  Verf.  unberücksichtigt.  Er  wendet  sich  nun  (S.  171)  zu 
Homer. 

Die  Zahl  der  homerischen  Gedichte  ging  in  aller  Zeit  ohne 


1S4  Alte  Gesclüchte. 

Zweifel  weit  liinaus  über  Ilias  nnd  Odyssee.  Alte  Kritiker  bezeicli- 
iieten  den  ganzen  epischen  Cyclus  als  homerisch.  Die  cyclisrhe 
Thobais  und  die  Epiiionen ,  die  Kypria,  die  Einnahme  Oeclialia's, 
die  kleine  Ilias,  die  Phokais,  die  Amazonia  werden  alle  homcriscli 
genannt.  DIcThcbais  schrieb  schon  Kallinos  dem  Homer  zu. 
Eben  darauf  führt  die  merkwürdige  Erzählung  des  Ilerodot,  wie 
und  warum  Kleisthenes  die  Rhapsoden  aus  Sikyon  trieb;  die  Of.t/j~ 
gsicc  8Jtr],  um  derentwillen  dies  geschah,  können  keine  andern  als  die 
Tliebais  und  die  Epigonen  gewesen  sein.  In  diesem  weiteren 
Sinneist  auch  allein  zu  verstehen,  dass  Homer  und  Ilesiod  den 
Griechen  sollen  ihre  Götter  gemacht  haben.  Dieser  weite  Um- 
fang der  homerischen  dichterischen  Production  führt  den  Verf. 
auf  die  Frage  nach  der  Person  des  Homer.  War  dieser  Homer 
ein  Dichter  wie  andere  Dichter,  oder  war  er  eine  jener  halbgött- 
lichen Personen  ,  welche  als  Eponymen  an  die  Spitze  eines  Ge- 
schlechts gestellt  wurden,  mit  nicht  grösserem  Anspruch  auf  histo- 
rische llealität,  als  dieselbe  z.  B.  dem  Herakles  zugestanden  wer- 
den hann*?  und  ist  dem  Geschlecht  der  Ilomeriden  allein  sowohl 
diese  Realität,  als  die  Abfassung  so  umfangreicher  Gedichte  zuzu- 
schreiben'? Es  kann  nicht  zweifelhaft  sein,  wie  bei  unserm  Histo- 
riker sich  diese  Fragen  beantworten.  Hiervon  ist  ganz  getrennt 
die  Frage,  ob  Ilias  und  Odyssee  ursprünglich  ganze  Gedichte  wa- 
ren, und  ob  beide  von  einem  Autor  herrühren.  Für  uns  bezeicli- 
iiet  Flomer  eben  diese  beiden  Gedichte;  von  ihnen  wünschen  wir 
das  Datum,  die  ursprüngliche  Composition,  die  Art  und  Weise,  wie 
sie  dem  Publicum  mitgetheilt  wurden,  zu  erfahren.  Die  Angaben 
über  das  Datum  variiren  sehr.  Krates  lässt  diese  Gedichte  ent- 
stehen vor  der  Rückkehr  der  Herakliden ;  Eratosthenes  setzt  sie 
100  Jahr  nach  Troja's  Untergang;  Aristoteles,  Aristarch  und  Ka- 
stor  setzen  Homers  Geburl  gleichzeitig  mit  der  ionischen  Wande- 
rung, Apollodor  100  Jahr  später.  Theopomp  und  Euphorion  rü- 
cken sein  Alter  hinab  bis  in  die  Zeit  des  Königs  Gyges.  Herodot, 
der  älteste  und  sicherste  Zeuge,  sagt,  Homer  sei  400  Jahre  älter 
als  er;  wir  würden  so  850 — 800  für  die  Composition  dieser  Ge- 
dichte erhalten.  Demnächst  ist  eins  der  wenigen  unbestrittenen 
Facten ,  dass  diese  Gedichte  nicht  von  einzelnen  Lesern  gelesen, 
sondern  bei  Festen  vor  grösseren  Versammlungen  gesungen  oder 
recitirt  wurden.  Dies  gestehen  selbst  die  zu,  welche  den  Homer 
schriftlich  aufbewahrt  werden  lassen.  Es  ist  kein  Zweifel,  dass 
selbst  lyrische  und  chorisciie  Dichter  in  dieser  Weise  ihre  Dich- 
tungen mitthcilten,  und  noch  zu  einer  Zeit,  wo  unter  den  Gelehr- 
ten das  Lesen  längst  gebräuchlich  geworden  war.  Unter  diesen 
Umständen  war  das  Amt  eines  Rhapsoden  von  unendlicher 
Wichtigkeit,  und  wenn  Philosophen  wie  Plato  und  Xcnophon  mit 
Geringschätzung  von  ihnen  sprechen,  so  hat  das  theils seinen  Grund 
in  dem  grossen  Unterschied,  der  zwischen  Rhapsoden  und  Rhapso- 
den stattfand,  theils  in  der  Verachtung,  welche  sie  gegen  jede  der- 


Grote:  A  history  of  Greece.  I.  185 

artige  gewerbsartige  und  auf  Erwerb  berechuete  Thätigkeit  hegen. 
Der  Unterschied  des  Rhapsoden  von  dem  alten  Barden  mag  darin 
gelegen  liaben,  dass  bei  jenem  die  musil<alische  Begleitung  weg- 
fiel, er  vielmehr  allein  auf  seinen  declamatorisclien  Vortrag  ange- 
wiesen war.  In  dem  homerischen  Hymnus  auf  den  deiischen  Apoll 
sehen  wir  noch  ganz  den  alten  Barden  vor  uns  und  die  Gemein- 
schaft von  xi^agig^  doLÖr]  und  6QXt]x^(.i6g,  dagegen  Hesiod  bereits 
von  der  Muse  den  Lorbeerzweig  empfängt,  welclien  der  Rha- 
psode trägt.  Der  Verf.  nähert  sich  jetzt  den  wichtigen  Fragen, 
welche  seit  Fr.  A.  Wolf  eine  so  verschiedenartige  Beantwortung 
erhalten  fiaben.  Er  hält  die  Ansicht  W  olf  s  fiir  nicht  zulässig, 
dass  Peisistratos  und  seine  Genossen  die  Composition  der  beiden 
betreffenden  Werke  vollfiihrt  hätten;  er  hält  aber  für  eben  so  un- 
wahrscheinlich, dass  im  9.  Jahrhundert  sollten  lange  Gedichte  nie- 
dergeschrieben sein.  Die  älteste  griechische  Inschrift,  welche  wir 
kennen,  reicht  nicht  über  Olymp.  40  hinaus,  und  sie  zeigt  noch 
einen  grossen  Mangel  anUebung  im  Schreiben;  es  ist  nicht  zu  be- 
weisen, dass  die  ersten  elegischen  und  lyrischen  Dichter  ihre  Lie- 
der niedergeschrieben  haben.  Die  erste  positive  Nachricht  von 
einer  Handschrift  Homers  haben  wir  aus  der  Zeit  Solons;  wie 
lange  friiher  schon  dergleichen  existirt  haben,  vermögen  wir  nicht 
zu  sagen.  Diejenigen,  welche  den  Homer  urpriinglich  als  geschrie- 
ben denken,  berufen  sich  auch  nicht  auf  positive  Beweise,  sondern 
auf  die  supponirte  Nothwendigkeit  des  Schreibens  zur  Erhaltung 
der  Gedichte.  Indess  dies  ist  ein  sehr  misslicher  Beweis.  Das 
ausserordentliche Gedächtniss  von  Barden  ist  weit  weniger  befremd- 
lich ,  als  das  Vorhandensein  von  Handschriften  in  einer  nicht  le- 
senden und  nicht  schreibenden  und  von  passendem  Schreibmate- 
rial entblössten  Zeit.  Ueberdies  wurden  die  Dichter  blind  ge- 
dacht: Demodokos,  der  blinde  Sänger  von  Chios  im  deiischen  Hym- 
nus; jedenfalls  glaubte  man  die  Sänger  nicht  bedürftig  der  Nach- 
hülfe des  Gedächtnisses.  Dass  mit  denselben  Mitteln  die  Gedichte 
pich  im  Grossen  und  Ganzen  200  Jahre  lang  erhalten  konnten 
(denn  vielfache  Abweichungen  im  Einzelnen  sind  nicht  zweifel- 
haft), ist  eben  so  glaublich.  Die  Grundlinien  der  Dichtungen,  die 
Ordnung  der  Theile,  der  homerische  Geist  und  Ausdruck  erhiel- 
ten sich  und  sie.  Das  Di  gamma  ist  vor  allem  ein  unwiderlegli- 
cher Beweis  dessen,  dass  diese  Gedichte  in  einer  andern  Zeit  ent- 
standen sind,  als  in  der  sie  niedergeschrieben  wurden.  Die  erste 
schriftliche  Aufzeichnung  setzt  der  Verf.  in  die  Mitte  des  7.  Jahr- 
jjunderts.  —  Die  nächste  Frage  ist  nun,  wie  wir  uns  die  Beschaf- 
fenheit der  homerischen  Gedichte  zu  denken  haben  ,  in  der  sie 
Peisistratos  vorfand.  Hat  er  Dichtungen,  die  nie  zusammengeholt 
hatten,  kunstvoll  zu  einem  Ganzen  verbunden*?  oder  hat  er  Zusam- 
mengehöriges, was  im  Verlauf  der  Zeit  getrennt  war,  wieder  zu- 
sammengefügt *?  Die  Zeugnisse  des  Alterthums  sprechen  nur  für 
das  Letztere ;  Wolf,  W.  Müller,  Lachmann  dringen  auf  das  Erstere, 


186  Alte  GescUichtc.     Grote:  A  history  of  Greccc.  I. 

ol)Nvolil   ilies  llieils  der  ErzSIiluiig:  von  Soloiis  die  llhapsoden  re- 
gelnder Sor^e,  Iheils  dem  strengen   Sinn  der  Zeugnisse  der  Alten 
widerstreitet    und  überdies   wohl  erklärlich  ist,    wie  Peisistratos 
es  fiir  eine  würdige  Aufgabe  lialten  konnte,  den  alten  bekannten 
Homer  zu  erhalten,  nicht  aber,  wie  er  dieselbe  Sorge  der  Zusam- 
menfügimg  fremder  Stücke  widmen  sollte.     Es  widerstreitet  dem 
aber  auch  das  frühere  Vorhandensein  grosser  episclier  Gedichte, 
wie  der  Aethiopis  des  Arktinos  und  anderer  Gediclitc,  die  llieil- 
weis  selbst  den  iSamen  horaerisclier  tragen,  welche  bereits  Ilias  und 
Odyssee  als  Ganze,  ja   als  hellstrahlende  Vorbilder  voraussetzen. 
Was  mehr  ist,  der  Schiffskatalog  geliört  offenbar  zu   denjenigen 
Stücken,  die  am  ersten  einen  spätem  und  fremdartigen  Ursprimg 
andeuten;   aber  selbst  dieser  Theil  galt  sclion  zu  Solons  Zeit  aLs 
ein  untrennbares  Glied  des  Ganzen.  So  wird  man,  unbcscliadet  der 
Composition  zu  Peisistratos'  Zeit,  befugt  sein,  eine  früliere  Com- 
position  anzunehmen.   Die  Gedichte  selbst  geben  aber  auch,  durch 
den  Mangel  an  modernen  Elementen,    Zeugniss  für  ihr   höheres 
Alter.     Es  ist  nirgends  eine  Anspielung  auf  die  im  Verlauf  zweier 
Jahrhunderte  geschehenen  Veränderungen  des    griechischen  Le- 
bens zu  finden:  auf  geprägte  Münzen,  Lesen  und  Schreiben,  die 
neuen  politischen  Gestaltungen,  den  Fortschritt  im  Schiffsbau,  die 
Amphiktyonen,  die  grossen  Festversammlungen,  die  neuen  Ideen, 
welche  aus  dem  Orient  oder  Aegypten  gekommen  waren.  Sowohl 
an  Inhalt  als  an  Ausdruck  gehören  Ilias   und    Odyssee  einer  viel 
früljeren  Zeit  an.     Dm  aber  die  Frage,  ob  Einheit  oder  Vielheit 
hier  das  Ursprüngliche  gewesen ,   recht  eindringend  zu  erörtern, 
wendet  sich  der  Verf.  zu  den  einzelnen  Gedichten,  und  zwar  zu- 
nächst zur  Odyssee,  als  demjenigen,  bei  welchem  die  Frage  so  viel 
leichter  zu  beantworten  ist.     Es  ist  nicht  meine  Absicht,  dem  Vf. 
hier  ins  Einzelne  zu  folgen;  es  ist  derselbe  Cyclus  von  Erörterun- 
gen,  dem  wir  in  Deutschland  überall  begegnen.     Es  ist  bekannt, 
dass,  je  mehr  man  sich  für  die  Einheit  enVscIieidet,  um  so  mehr 
von  den  Interpolationen  wird  Gebrauch  gemacht  werden,  und  die- 
ser Nothwendigkeit  ist  auch  der  Verf.  besonders  für  die  lliade  ge- 
folgt.   Schliesslicli  entscheidet  sich  der  Verfasser  dafür,  flass  Ilias 
und  Odyssee  allerdin":s  nicht  Werke  eines  und  desselben  Dichters 
sind,  obgleich  er  ihr  FJntstehen  nicht  in  verschiedene  Zeiten  setzt. 
—  Dass  bei  diesen  Erörterungen,  von  denen  ich  ein  getreues  Hild 
zu  geben  versucht  habe,  \iele  wichtige  Fragen  ungelöst  bleiben, 
ist  nicht  zu  leugnen.     Denn  wenn  auch  die  Composition  des  Peisi- 
stratos nicht  als  die  ursprüngliche  gelten  kann,  sondern  auf  eine 
frühere  zurückgegangen  werden  muss,  so  ist  damit  die  Frage  nicht 
abgelehnt,  ob  nicht  derjenige,  in  dessen  Seele  damals  der  Gedanke 
einer  grossen  Epopöe  sich  bildete.  Bruchstücke,  Lieder  vor  sich 
liattc,  welche  er  zu  einer  solchen  Einheit  verband,  und  wir  unse- 
rerseits   müssen    offen    gestehen,   dass   uns   hier   Uitschl    bereits 
scheint  die  richtige  üahn  vorgezeichnet  zu  haben,  wie  das  Wider- 


Bibliograpliische  Berichte  u.  kurze  Anzeigen,  187 

sprechende  zii  einer  harmonischen  und  wahrhaften  x\nscliaming  zu 
bringen  ist. 

Hiermit  schh'esst  der  erste  Theil  von  Grote's  history  of 
Greece.  Ein  fol«jender  Artikel  wird  in  ähnliclier,  docli  gedrängterer 
Weise  von  dem  2.Theilc,  historical  Greece,  ein  Bild  zu  geben  ver- 
suchen. Camjje. 


Bibliographische  Berichte  u.  kurze  Anzeigen. 

Das  höhere  und  niedere  Studiefiwesen  im  Grossherzogthum 
ßaden^  dargestellt  in  einer  Sammlung  der  über  Volks-,  Gewerbe-,  hö- 
here Bürgerschulen,  die  polytechnische  Anstalt,  Gelehrtenschulen  (Lyceen, 
Gymnasien,  Pädagogien)  und  die  beiden  Landes -Universitäten  (Heidel- 
berg und  Freiburg)  erschienenen  Gesetze  und  Verordnungen.  Constanz. 
Buchhandlung  von  W.  Meck.  1846.  VII  und  274  S.  8.  —  Die  Gesetz- 
gebung über  das  gesammte  Unterrichtswesen  im  Grossherzogthum  Baden 
>\urde  vom  Jahre  1834  an  wesentlich  umgestaltet.  Sie  ist  sehr  umfas- 
send nnd  durch  dieselbe  wurde  das  Badische  Schulwesen,  das  darf  man 
mit  Recht  behaupten,  gut  und  zweckmässig  geordnet.  Allein  die  Ge- 
setze und  Verordnungen  sind  unterdessen  so  angewachsen ,  dass  eben  so- 
wohl von  den  Schulmännern  als  auch  den  verschiedenen  Behörden,  wel- 
che das  Schul-  und  höhere  Studienfach  zu  beaufsichtigen  haben,  mehr- 
fach der  Wunsch  ausgesprochen  wurde,  die  einzeln  erschienenen  Gesetze 
und  Verordnungen  übersichtlich  zusammengestellt  zu  erhalten.'  Diesem 
Wunsche  wurde  in  vollständiger  und  sehr  dankenswerther  Weise  durch 
die  Herausgabe  der  oben  genannten  Schrift  entsprochen  und  so  einem 
längst  gefühlten  Bedürfnisse  abgeholfen. 

Da  nun  diese  Zusammenstellung  wohl  auch  Schulmännern  und  Legis- 
latoren des  Auslandes  nicht  unwillkommen  und  förderlich  sein  möchte ,  so 
sehen  wir  uns  dadurch  veranlasst,  diese  Schrift  auch  in  weitere  Kreise 
einzuführen,  zumal  dieselbe,  obgleich  schon  vor  mehreren  Jahren  erschie- 
nen, in  dem  Auslande  bis  jetzt  wenig  oder  gar  nicht  bekannt  ist. 

Um  den  reichen  Inhalt  der  Schrift  selbst  genau  kennen  zu  lernen, 
theilen  wir  die  Ueberschriften  der  einzelnen  Gesetze  und  Verordnungen 
vollständig  mit.  I.  lieber  Volksschulen,  a)  Ueber  Einrichtung  der  Volks- 
schulen im  Allgemeinen  und  die  Aufsichtsbehörden  S.  1 — 15.  Insbesondere 
über  Schulordnung  und  Schulplan  S.  15.  97.  101.  b)  Ueber  den  Auf- 
wand für  Volksschulen  und  die  Rechtsverhältnisse  der  Schullehrer  S.  25 
bis  62.  Vollzugsverordnung  hierzu  vom  4.  December  1835  S.  62.  Vom 
allgemeinen  Schullehrer- Witwen-  und  Waisenfond  S.  76.  79.  94.  10^. 
101.  105,  113.  Ueber  das  Verfahren  bei  Besetzung  der  Schullehrerstellen 
S.  87.  Ueber  Anschaffung  der  Schulgeräthschaften ,  des  Brennmaterials 
u,  s.  w.  S.  88.      Ueber  Erhöhung  des  Schulgeldes   S.  116.      c)   Von  In- 


15'8  Bibliographische  Berichte  u.  kurze  Anzeigen. 

dastrieschulen  S.  90 — 98.  d)  Von  den  öiTentllchen  Schulen  der  Israeli- 
ten S.  58.  98 — 108.  üeber  Errichtung  eines  israelitischen  Schullehrer- 
AVitwen-  und  VVaisenfonds  S,  108 — 110.  e)  UeberScliullehrer-Convente 
und  Lesezirkel  S.  103 — 105.  f)  Ueber  den  Schulunterricht  der  in  Fa- 
briken beschäftigten  Kinder  S.  111 — 114.  Ueber  Privatlehranstalten 
S.  114  —  117. 

II.  Ucbcr  Gewerbeschulen.  Ueber  ihre  Errichtung  und  Aufsichts- 
behörden S,  117  — 125.  Vollzugsverordnung  hierzu  S.  125 — 127.  Ueber 
den  Besuch  der  Gewerbeschulen  S.  127  — 129. 

III.  Ueber  höhere  Bürgerschulen.  Ueber  ihre  Einrichtung  S.  129 
bis  134.  Lehrplan  und  Schulordnung  S.  134 — 144,  Ueber  den  Reli- 
gionsunterricht bei  denselben  S.  144 — 145. 

IV.  Ueber  die  polytechnische  Schule.  Ueber  die  Einrichtung  im 
Allgemeinen,  Schulordnung  und  Lehrplan  S.  145 — 200. 

V.  Ueber  Gelehrt cnschulen  (Lyceen,  Gymnasien,  Pädagogien).  Ue- 
ber Errichtung  des  Oberstudienrathes  als  Aufsichtsbehörde  des  Gelehr- 
tenschulwesens S.  201 — 203.  Ueber  Einrichtung  der  Gelehrtenschulen 
u.  s.  w.  S.  203 — 212.  Lehrplan  und  Schulordnung  S.  212 — 237.  Vom 
Uebergange  der  Lyceaischüler  auf  die  Universität  S.  237.  238.  Ueber 
die  Anstellung  der  Lehrer  S.  238.  Ueber  die  dienstlichen  Verhältnisse 
des  Lehrerpersonals  S.  238. 

VI.  Ueber  die  Universitäten,  a)  Universität  Freiburg  S.  241  bis 
243.  b)  Universität  Heidelberg  S.  243.  c)  Akademische  Gesetze  für 
beide  Universitäten  S.  243 — 271.  Ueber  Befreiung  von  Zahlung  der 
Collegiengelder  S.  271 — 274. 


Die  lateinische  Wortstellimg .^  nach  logischen  und  phonetischen 
Grundsätzen  erläutert;  auch  zum  Gebrauch  für  gereiftere  und  denkende 
Schüler  der  oberen  Gymnasialclassen.  Von  M.  J,  Wocher,  Rector  und 
Professor  am  Gymnasium  zu  Ehingen.  Ulm,  1849.  VVohler'sche  Buch- 
handlung (F.  Lindemann).  —  Der  durch  seine  Phonologie,  d.  h.  durch 
den  ersten  wissenschaftlichen  Versuch,  die  durch  die  Sprachwerkzeugc 
bedingte  Weise  beim  Sprechen  in  Bezug  auf  die  Grnppirung  und  Moditi- 
cirung  der  Laute,  auf  bestimmte,  klare  Regeln  zurückzuführen  und  den 
Sprachforschern  zur  bewusstvollen  Anerkenntniss  zu  bringen,  den  den- 
kenden Freunden  der  Sprachwissenschaft  von  einer  gar  vortheilhaften 
Seite  bekannte  Hr.  V^erfasser  fährt  fort  in  diesen  seinen  Studien  und  Auf- 
klärungen. Dies  Mal  hat  er  sich  zum  speciellen  Gegenstande  ,, die  Wort- 
stellung der  lateinischen  Sprache"  erkoren,  bekanntlich  eine  IVlaterie,  die, 
trotz  der  mehrfachen  Bearbeitungen  durch  Grammatiker  der  neuesten 
Zeit,  noch  sehr  im  Dunkeln  liegt  oder  viele  schwankende,  unsichere  Par- 
tieen  darbietet.  Sodann  schien  es,  laut  der  Vorrede,  dem  Verfasser,  ,,dass 
gerade  die  lateinische  Wortstellung  auch  zur  Verständigung  über  die 
mannigfaltige  praktische  Anwendung  der  phonologischen  Methode  beson- 
ders dienlich  sein  und  dass  auch  für  gereiftere,  denkende  Schüler  so  eine 
specielle  Abhandlung  über    den  sehr  eingreifenden   Gegenstand  nützlich 


Bibliographische  Berichte  u.  kurze  Anzeigen.  189 

und  anregend  werden  könnte."  Dies  bewog  den  Hrn.  W.  zur  Anferti- 
gung der  Schrift,  die  zwar  nur  „der  besondere  Abdruck  eines  Schulpro- 
gramras"  ist,  die  aber  verdient  auch  in  weiteren  Kreisen  bekannt  zu  wer- 
den. Zwar  ,,in  Folge  eigener  amtlicher  Verhältnisse,  die  nur  wenig 
freie  Müsse  übrig  iiessen,  und  wohl  auch  in  Folge  der  politischen  Un- 
ruhen, die  noch  im  Laufe  des  Jahres  zu  irgend  einer  litterarii^ciien  Be- 
schäftigung alle  Aufgelegtheit  benahmen,  hatte  sich  die  Ausarbeitung  des 
übernommenen  Programms  ganz  verspätet,  und  es  musste  dann  Alles  in 
rascher  Eile  ausgeführt  werden;  bei  mehr  Ruhe  und  Müsse  hätte  er,  na- 
mentlich auf  diese  oder  jene  abweichenden  Ansichten,  mehr  noch,  als  es 
hat  geschehen  können^  erörternd  eingehen  mögen"  ;  allein  selbst  so  wird 
sie  manchen  neuen  Aufschluss  und  manche  Anregung  bieten  für  Jeden,  der 
offenen  Sinn  für  die  Sache  hat.  Denn  das  Aufmerken  auf  das  Mund- 
sprachgefühl ,,in  allen  Sprachgebieten  kommt  sowohl  für  das  lebendige 
praktische  F^rlernen,  als  auch  für  eine  tiefere  Betrachtungsweise  überall 
nicht  wenig  zu  Statten"  und  ,,das  natürliche  Streben,  alle  Sprache  be- 
quem und  mundrecht  zu  machen,  beruht  auf  bestimmten  ,, aligemeinen  Laut- 
gesetzen'', man  muss  nur,  wie  der  Verf.,  oder  nach  dem  Beispiele  und 
Vorgänge  desselben,  verstehen  die  Regungen  jenes  Gefühls  und  die  des- 
fallsigen  sprachlichen  Thätigkeiten  zu  erfassen  mit  dem  Verstände  und  auf 
Begriffe,  Gedanken,  Worte,  Regeln  zu  bringen.  Auch  im  vorliegenden 
Falle  wird  man  davon  sattsam  ,,sich  überzeugen  können,  da.'>s  eine  ange- 
messene (resp.  subsidiäre)  Anwendung  der  phonologischen  Methode  der 
logischen  Betrachtung  der  Sprache  sehr  zu  Statten  kommen  kann,  um  gar 
manche  Fragen  und  Räthsel  aufs  einfuchste  zu  lösen."  Zwar  bemerkt 
irgendwo  Nägelsbach:  ,,dass  es  ein  nicht  lehrbares  Element  der  Sprache 
gebe  und  also  nicht  All  und  Jedes  in  starre  Regeln  zu  bannen  sei,  viel- 
mehr ein  gewisser  Takt  und",  was  Hr.  W.  hinzufügt  (S.  24),  ,,ein  ge- 
wisses Sprachgefühl  gar  Vieles  ergänzen  und  entscheiden  müsse";  indes- 
sen was  heisst  das  anders  als:  es  giebt  in  der  Sprache  nicht  wenige  Fein- 
heiten, Regeln,  die  schwer  durch  Reflexion  in  Begriffe  und  Worte  ge- 
fasst  werden  können,  aber  die  in  Begriffe  und  Worte  zu  fassen  eben  die 
Aufgabe  des  Forschers,  des  Grammatikers  ist? 

Hr.  W.  übersieht  hier  keineswegs  das  logische  Element;  im  Gegen- 
theil,  er  stellt  solches,  wie  schon  früher  in  der  eigentlichen  Phonologie, 
an  die  Spitze  (S.  5.  37  u.  a.);  nicht  minder  lässt  er  dem  Wohllaute,  dem 
Gehör,  den  Gesetzen  des  Ohres  volle  Berechtigung,  auch  im  vorliegenden 
F'alle  (S.  56  ff.);  aber  mit  Recht  macht  er  darauf  aufmerksam,  dass  man 
sich  im  Gewöhnlichen  nicht  davor  hütet,  Wohllaut  und  Bequemsprechen 
mit  einander  zu  vermengen  und  dem  ersteren  zuzuschreiben,  was  dem  letz- 
teren gebührt  (S.  57  ff.)-  J^^it  Recht  bemerkt  ferner  der  fein  aufmer- 
kende Verf.  a.  a.  O.,  wie  „das  Ohr  sehr  vieles  ertragen  kann,  was  doch 
für  das  Sprachorgan  ziemlich  hart  und  unbequem  sein  könnte;  unwill- 
kürlich folgt  aber  die  Sprache  (weit  mehr  als  dem  Zuge  des  Wohlklangs) 
dem  noch  stärkeren  Zuge  des  Bequem  lautes;  das  Sprachgefühl  sucht 
auch  unbewusst  diejenige  Ordnung  und  Stellung  der  Laute  und  Wörter, 
die  sich  für  eine  bequeme ,  leicht  fügsame  und  geschmeidige  Aussprache 


190  Bibliographische  Berichte  u.  kurze  Anzeigen, 

im  lebeniligcn  Contcxt  der  Rede  am  besten  schicken  mag.  Es  ist  die 
sehr  fühlbare  und  objective  Natur  des  Sprachorgans,  die  sich  hier  nach 
bestimmten  Gesetzen  geltend  macht."  Zur  näheren  Bestimmung  des 
Wesens  dieser  Lehre  vom  Bequemlaute  wird  dann  trelTend  (S.58)  hinzu- 
gefügt:  ,,Ks  versteht  sich ,  dass  dieses  euphonische  Princip  viel- 
fältig mehr  in  negativer  Weise  zur  Wahrnehmung  kommt,  indem  die  fühl- 
bar werdende  Abweichung  von  den  Lautgesetzen  mehr  oder  weniger 
Härte  und  Unbequemlichkeit  im  Aussprechen  bemerken  lässt:  nicht  um 
pedantische,  absolute  Vollendung  des  Wohllautes  in  jedem  Satze  kann  es 
überhaupt  sich  handeln,  sondern  nur  um  ungekünstelte,  leichte  Ver- 
meidung von  merklichen  Härten  und  minder  fiigsamen  Wendungen."  ,, Aus- 
ser einem  ungefügen  Zusammentreffen  der  Consonanten  wird  auch  ein 
misstöniges  oder  doch  unbequemes  Aufeinanderfolgen  der  Vocale  vermie- 
den" (S.  60).  Wobei  z.  B.  freilich  ,,wohl  zu  unterscheiden  ist  zwischen 
dem  blos  scheinbaren,  oft  sehr  gefälligen  Hiatus  und  dem  eigentlichen, 
widrig  klaffenden  Hiatus",  d.  h.  zwischen  dem,  bei  welchem  die  Sprach- 
werkzeuge leicht  oder  schwer  von  einem  V^ocala  zum  andern  hinüberkom- 
men können.  Denn  eben  darin  besteht  die  Natur  des  Bequemsprechens, 
dass  die  betreffenden  articulirten  Laute,  selbst  von  mannigfacher  Tönung, 
bei  ihrer  Gruppirung  sich  leicht  hinter  einander  von  den  betreffenden 
Sprachwerkzeugen  aussprechen  lassen,  indem  die  Verwandtschaft,  die 
Aehnliclikeit,  die  Gleichheit ,  das  Nebeneinanderliegen  der  Sprachvverk- 
zeuge  eben  gestattete,  dass  sie  leicht  hinter  einander  und  mit  einander  ge- 
braucht werden  können. 

Im  Allgemeinen  wird  also  mit  unserem  Verf.  bei  der  Frage  über  die  lat. 
Wortfolge  derGrundsatz  aufgestellt  u.  festgehalten  werden  müssen,  dass, 
wenn  auch  ,,das  logische  Princip,  soweit  es  dem  Geiste  der  Sprache  angemes- 
sen, obenan  steht  u.  selbst  in  all  den  feinen  Unterschieden  derauf-  und  ab- 
steigenden Satzgliederung  sich  mannigfach  geltend  macht,  doch  der  EinHuss 
der  Euphonie  nicht  so  gar  gering  anzuschlagen  sein  wird,  vielmehr  weit  tiefer 
greift,  als  es  beim  ersten  Anblick  scheint  (vgl.  S,  61).  So  hat  „die  usuelle 
Wortstellung"  im  Lateinischen  ,,in  vielen  Punkten  ihre  logischen  Gründe"; 
allein  ,,eine  genauere  Belauschung  des  Wohllautes  und  Bequemlau-  | 
tes  lässt  in  mancher  Hinsicht  auch  dessen  Einfluss  auf  das  Usuelle  der 
latein.  Wortfolge  erkennen"  (S.  62).  Als  Beispiele  fuhrt  der  Verfasser 
(S.  63  ff.)  an  die  Nachstellung  von  enim,  autem,  quidem,  quoque.  Die- 
selbe ,, erscheint,  >venn  man  unzählige  Fälle  mit  phonetischer  Abwägung 
belauscht,  ganz  überwiegend  bequem  und  wohlfügsam",  und  ,, natürlich 
war  es,  dass,  wenn  in  neunzig  Fällen  von  hundert  im  Sprachgebrauch 
die  Na  c  h  8t  eil  u  ng  entschieden  als  das  Bequemere  stetig  wurde,  bald 
dann  auch  in  den  wenigen  seltenern  P'ällen,  wo  die  Wahl  schwankte,  die 
gleiche  Ordnung  üblich  werden  mochte,  weil  ein  gewisses  gleichförmiges 
Verfahren  wohl  dem  logischen  Sinne  zusagt."  ,, Bequem  ist  der  euphoni- 
sche Wechsel  in  der  Anfügung  der  Partikeln  que  und  ve  bei  Präpositio- 
nen, ob  ich  z.  B.  sage :  deque  tot  rebus  oder  de  totqiie  rebus.  Merklich 
besser  fügt  das  Erstere"  (S.  64).  „Sehr  beweglich  und  zur  Vermitte- 
lung  d<;s  Wohllautes  dien§am  sind  die  Pronominalicn."  ,jUeberaus  mannig- 


Bibliographische  Berichte  u.  liurze  Anzeigen.  191 

faltig  kann  im  Zusammentreffen  besonders  mit  hie,  ille,  omnis,  totus,  tan- 
tiis  das  Possessiv  die  Stellung  wechseln. ''  „Sehr  handgreiflich  sind  Ein- 
flüsse des  Bequemlautes  in  der  Stellung  von  enim,  igitur,  autem  im  Falle 
des  Hinzutretens  von  est,  welches  überhaupt  sehr  beweglich  die  Stellung 
wechselt"  (S.  65)  u.  s.  w. 

Von  diesen  Gesichtspunkten  aus  ist  der  Verf.  mehreren  Behauptun- 
gen Raspe's,  Heinichen's,  Hand's  entgegengetreten  oder  hat  sie  zu  be- 
richtigen gesucht.  Finden  wir  nun  auch,  gemäss  dem  geringen  Umfange 
der  Schrift,  den  schwierigen  und  umfangreichen  Gegenstand  keineswegs 
erschöpft,  so  treffen  wir  doch  auf  mehrere  gewichtige  einzelne  Bemer- 
kungen und  Anregungen  zu  weiterem  Forschen,  die  manchem  denkenden 
Grammatiker  von  grossem  Nutz  und  Froramen  und  sehr  willkommen 
sein  werden.  Das  Ganze  ist  wieder  ein  schätzenswerther  Beitrag,  um 
endlich  die  Wissenschaft  der  Phonologie  beim  gelehrten  Publikum  zu 
Ehren  und  zu  Geltung  zu  bringen.  Dr.  Heffter. 


Schul-   und   Universitätsnachrichten ^    Beförderungen 
'    und  Ehrenbezeigungen. 

Aus  dem  GROSSHERZOGTHUM  BADEN,  den  27.  October  1849. 
Ansprachen  der  aliernirenden  DirecioreTL,  des  Grossherzoglich- Badischen 
Obcrstudienrathes  in  Karlsruhe  an  die  Lehrer  der  Lyceen^  Gymnasien  und 
Pädagogien ,  so  wie  auch  an  die  Lehrer  der  höheren  Bürgerschulen  des 
Landes.  Die  bisherigen  alternirenden  Directoren  des  Grossherzoglichen 
Obcrstudienrathes  in  Karlsruhe  waren  die  Herren  Böhme,  Director  des 
Grossherzog!,  evangelischen  Ober-Kirchenrathes,  und  Sigel,  Director  des 
Grossherzogl.  katholischen  Ober-Kirchenrathes.  Der  Erste  wurde  zum 
Grossherzogl.  Regierungsdirector  des  Unterrheinkreises  in  Mannheim  er- 
nannt und  hat  schon  seit  mehreren  Wochen  das  ihm  übertragene  Amt  an- 
getreten; dem  Zweiten  wurde,  unter  Anerkennung  seiner  vieljährigen,  dem 
Staate  und  der  Kirche  treu  geleisteten  Dienste,  die  gebetene  Versetzung 
in  den  Ruhestand  zu  Theil.  An  die  Stelle  des  Hrn.  Böhme  wurde  nun 
Hr.  Hofgerichtsrath  von  Wöllwarth  von  Mannheim  und  an  Hrn.  SigeVs 
Stelle  Hr.  INIinisterial-Dir^ctor  Staatsrath  Brunner  berufen.  Beide  wir- 
ken bereits  als  Directoren  der  obersten  Kirchenbehörden,  und  da  ihnen 
diese  ihre  Stellung  an  der  Spitze  der  beiden  hohen  kirchlichen  Collegien 
auch  die  Leitung  der  Geschäfte  der  obersten  Studienbehörde  des  Landes 
abwechselnd  zur  Pflicht  macht,  so  haben  sie  auch  bereits  dieses  Amt  an- 
getreten (in  dem  laufenden  Jahre  hat  Hr.  Staatsrath  Brunner  die  Direc- 
tion)  und  zugleich  unter  dem  19.  dies.  Mts.  einige  freundliche,  wohlge- 
meinte und  ernste  Worte  an  die  Lehrer  der  Lyceen,  Gymnasien  und  Pä 
dagogien,  so  wie  auch  an  die  Lehrer  der  höheren  Bürgerschulen  des 
Landes  gerichtet.      Sie  thaten  dieses  gemeinschaftlich  und  um  so    lieber, 


192  Schul-  und  Universitätsnaclulchten, 

da  es,  wie  es  mit  Recht  in  der  Ansprache  heisst,  den  Lehrern  nur  erfreu- 
lich sein  kann,  zu  erfahren,  dass  die  Grundsätze,  von  welchen  beide  Män- 
ner ausgehen ,  mit  dem  von  Jahr  zu  Jahr  eintretenden  Wechsel  in  der 
Direction  keine  Aenderungen  erleiden  werden  *).  Bei  der  Wichtigkeit 
des  Gegenstandes  und  bei  der  Theilnahme,  welche  unsere  Zeit  demselben 
zu  widmen  allen  Grund  hat,  mag  es  nicht  ohne  Interesse  sein,  diese  An- 
sprachen auch  in  weiteren  Kreisen  zu  vernehmen.  Es  zeigen  dieselben, 
von  welchem  Geiste  diese  durch  wissenschaftliche  und  humane  Bildung 
ausgezeichneten  Männer  beseelt  sind,  und  wie  das  gelehrte  Schulwesen  im 
Grossherzogthum  Baden  unter  ihrer  Leitung,  so  wie  es  unter  der  ihrer 
würdigen  Vorgänger  immer  der  Fall  gewesen,  nur  gedeihen  kann.  Wird 
dem  Geiste,  der  aus  den  Worten  der  Ansprachen  leuchtet,  Folge  gegeben, 
dann  wird  die  öffentliche  Erziehung  nie  in  die  Gefahr  kommen,  auf  Ab- 
wege zu  gerathen,  es  wird  vielmehr  ein  charakterfestes  Geschlecht  aus 
den  Schulen  hervorgehen,  welches  an  Zucht,  Ordnung  und  Gehorsam  ge- 
wöhnt und  in  dem  wahre  Gottesfurcht  geweckt  und  Achtung  vor  Ge- 
setz und  Obrigkeit  eingepflanzt  ist.  —  Der  Wortlaut  der  beiden  An- 
sprachen ist  Folgender: 

I. 

Die  alternirenden  Directoren  des  Oherstudknrathes  an  die  Herren 
Lehrer  der  Lyeeen,  Gymnasien  und  Pädagogien  des  Landes, 

Nachdem  wir  unser  neues  Amt,  das  uns  die  Leitung  der  Geschäfte 
der  obersten  Studienbehörde  des  Landes  abwechselnd  zur  Pflicht  macht, 
angetreten  haben,  glauben  wir  in  Hinblick  auf  die  wichtigen  Interessen, 
die  uns  zu  wahren  obliegt^  einige  freundliche,  wohlgemeinte  und  ernste 
W^orte  an  die  Männer  richten  zu  müssen,  welche  bei  den  Anstalten,  deren 
Pflege  uns  nunmehr  anvertraut  ist,  zu  wirken  berufen  sind. 

Wir  ergreifen  die  Gelegenheit,  dieses  gemeinschaftlich  zu  thun,  um 
so  lieber,  als  es  denselben  nur  erfreulich  sein  kann,  zu  erfahren,  dass  die 
Grundsätze,  von  welchen  wir  ausgehen,  mit  dem  jeweils  eintretenden 
W^echsel  in  der  Direction  keine  Aenderung  erleiden  werden.  —  Wenn 
die  höhere  \^issenschaftliche  Bildung  zu  allen  Zeiten,  durch  Veredlung  des 
Geistes  und  Herzens,  auch  edle  Sitten  und  reinen  Wandel  zu  befördern 
geeignet  ist,  so  erscheint  sie  in  dem  gegenwärtigen  Zeitpunkte  mehr  als  in 
jedem  andern  als  eine  Noth wendigkeit ,  um  der  Verwilderung,  die  nach 
den  Erfahrungen  der  jüngsten  Vergangenheit  über  uns  herein  zu  brechen 
droht,  entgegen  zu  wirken.  Es  ist  darum  die  J^ufgahe  Derjenigen  ,  wel- 
chen der  Unterricht  an  unseren  höheren  Lehranstalten  übertragen  ist,  in 
den  jetzigen  Augenblicken  eine  um  so  wichtigere,  weil  nicht  allein  die 
Zukunft  der  Einzelnen,  sondern  auch  das  Schicksal   unseres  Vaterlandes 


*)  Für  Solche,  welche  mit  den  Anordnungen  und  Einrichtungen  des 
gelehrten  Schulwesens  im  Grossherzogthum  Baden  weniger  bekannt  .sind, 
die  Bemerkung,  dass  auch  der  jeweilige  nicht  fungirende  Director  den 
Sitzuniren  des  Oberstudienraths  beiwohnt  und  in  demselben,  so  wie  die 
anderen   Mitglieder  des  Collegiums,  stimmberechtigt  ist. 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  193 

durch  den  Geist  und   die   Richtung   bedingt  ist,  der   den  Gebildeten  im 
Volke  durch  ihre  wissenschaftliche  Erziehung  gegeben  wird. 

Wir  hegen  das  Vertrauen  zu  den  Lehrern  unserer  höheren  Schulan- 
stalten, dass  sie  mit  uns  diese  unsere  hier  ausgesprochene  Ueberzeugung 
theilen  und  pflicht-  und  berufstreu  dahin  wirken  werden,  die  heranwach- 
sende Jugend  nur  in  dem  Geiste  zu  unterrichten,  der  sie,  indem  er  sie  auf 
die  Stufe  wahrer  Bildung  führt,  zugleich  zu  edeln  Menschen  und  braven 
Bürgern  erzieht,  welche  vor  allem  Gesetz  und  Ordnung  achten  und  die 
sich  frühe  daran  gewöhnen,  den  Ungebildeten  im  Volke  durch  ein  gutes 
Beispiel  in  Sitte  und  Wandel  und  in  der  Achtung  vor  göttlichem  und 
weltlichem  Gesetz  voran  zu  leuchten.  —  Das  Studium  des  classischen 
Alterthums,  welches  stets  ein  vorzüglicher  Gegenstand  der  höheren  Lehr- 
anstalten bleiben  rouss,  kann  nur  von  wohlthatigem  Eintluss  auf  die  jungen 
Geraüther  sein,  wenn  man  in  diesen  mit  der  Liebe  zu  demselben  das  Ge- 
fühl für  das  Grosse  und  Schöne  zu  wecken  weiss ,  welches  die  unerreich 
baren  Classiker  der  Griechen  und  Römer  enthalten  und  entwickeln. 

Wir  können  daher  dieses  und  das  Studium  der  Geschichte,  welche 
gleichfalls  eine  reiche  Quelle  für  die  Bildung  der  Jugend  darbietet,  der 
Sorge  der  Herren  Lehrer  nur  besonders  anempfehlen,  ohne  dass  darum 
die  übrigen  Lehrgegenstände  vernachlässigt  werden  dürfen,  welche  der 
gebildete  Mann  nicht  entbehren  kann. 

Wir  fühlen  uns  aber  auch  weiter  verpflichtet,  aufmerksam  zu  machen 
auf  das,  was  auch  bei  der  wissenschaftlichen  Erziehung  jetzt  mehr  als  je 
Noth  thut,  auf  die  Pflege  des  religiösen  und  sittlichen  Elementes,  welches 
allein  der  höheren  Bildung  die  wahre  Weihe  zu  geben  vermag,  und  ohne 
die  jedes  Bestreben  nach  Besserung  unserer  socialen  Zustände  vereitelt 
wird.  < —  Die  wahre  Gottesfurcht,  die  einem  christlich  gebildeten  Volke 
nicht  fehlen  darf,  wenn  es  der  Wohlthaten  theilhaftig  werden  will ,  die 
edle  Sitte  und  Bildung  ihm  gewähren,  muss  in  den  Herzen  der  Jugend 
von  allen  Lehrern  auch  bei  dem  wissenschaftlichen  Unterrichte  geweckt 
und  gepflegt  werden ,  und  es  können  unsere  höheren  Lehranstalten  nur 
dann  den  Standpunkt,  der  ihnen  zukommt,  mit  vollem  Erfolge  ausfüllen, 
wenn  sie  mit  kräftigem  Willen  der  irreligiösen  Richtung  entgegentreten, 
welche  ein  mächtiger  Hebel  derjenigen  Partei  war ,  die  unser  Vaterland 
an  den  Rand  des  Verderbens  zu  bringen  drohte. 

Indem  es  uns  hierbei  nur  erfreulich  sein  kann,  die  Herren  Lehrer 
der  verschiedenen  Religionsbekenntnisse  in  dieser  Richtung  gleichen 
Schritt  halten  und  ein  gemeinschaftliches  Ziel  verfolgen  zu  sehen,  dürfen 
sie  überzeugt  sein,  dass  derselbe  Geist  uns  selbst  stets  beseelen  und  dass 
es  auch  unser  Bestreben  sein  wird,  ohne  Rücksicht  auf  confessionelle  Ver- 
schiedenheit, die  Wissenschaft  und  die  wahre  Religiosität  zu  fördern. 

Das  lohnende  Bewusstsein,  Ihrem  Vaterlande  gute  Dienste  geleistet 
und  Ihre  jungen  Mitbürger  von  den  Irrwegen  abgeleitet  zu  haben,  auf 
welche  sie  zu  gerathen  bedroht  sind  und  waren,  wird  Ihnen  das  schwere 
Amt,  welches  Sie  au  verwalten  haben,  erleichtern  und  der  Dank  aller 
Edlen  und  Besseren  die  Mühe  vergelten,  welche  Sie  im  Dienste  der  Er- 
ziehung zu  bestehen  haben.  Bei  uns  selbst  werden  Sie,  dessen  dürfen 
i\.  Jahrb.  f.  Phil.  u.  Päd.  od.  Krit.  ftibl.    Bd.  LVIll.  Hft.  2.         13 


J^94  Schul-  und  Univcrsitätsnachriclitcn, 

Sie  sich  versichert  halten,  in  Ihren  redlichen  Bestrebunnen  stets  diejenige 
Unterstiitzun«;  finden,  die  >\ir  Ihnen  von  unserem  Standpunkte  aus  angc- 
dcilicn  7.n  lassen  berufen  sind. 

Karlsruhe,  den  19.  October  I8i9. 

Brunner.  von  JFöllwarth, 

II. 

Die  altcrnircndcn  Dlrcctorcn  des  Obcrstudienrathcs  an  die  Herren 
Lehrer  der  höheren  Bürgerschule, 

Nachdem  wir  durch  unser  neues  Amt  zu  der  abwechselnden  Leitung 
der  obersten  Studienbehörde  des  Landes  berufen  sind ,  glauben  wir  im 
Hinblick  auf  die  wichtigen  Interessen,  die  uns  hierbei  zu  wahren  obliegt, 
einige  freundliche,  wohlgemeinte  und  ernste  Worte  an  die  Männer  richten 
zu  müssen,  welche  bei  den  Anstalten,  deren  Pflege  uns  anvertraut  ist,  zu 
wirken  haben. 

Wir  ergreifen  die  Gelegenheit,  dieses  gemeinschaftlich  zu  thun,  um 
so  lieber,  als  es  denselben  nur  erfreulich  sein  kann,  zu  erfahren,  dass  die 
Grundsätze,  von  welchen  wir  ausgehen,  mit  dem  jeweils  eintretenden 
Wechsel  der  Direction  keine  Aenderung  erleiden  werden. 

Wenn  die  Bildung  der  Jugend  durch  nützliche  Kenntnisse  zu  allen 
Zeiten  ein  Bedürfniss  war,  welches  die  W^ohlfahrt  eines  Volkes  mehr 
oder  weniger  bedingte,  und  wenn  man  daher  durch  Errichtung  der  höhe- 
ren Bürgerschulen  in  unserem  Lande  auch  für  diejenigen ,  welche  sich 
einem  gelehrten  Berufe  nicht  widmen  wollen ,  die  Mittel  zu  bereiten 
suchte,  sich  die  allgemein  nöthigen  wissenschaftlichen  Kenntnisse  zu  ver- 
schaffen, die  sie  auch  bei  den  bürgerlichen  Gewerben  auf  eine  den  Fort- 
schritten der  Zeit  entsprechende  höhere  Bildungsstufe  stellen  konnten,  so 
sind  es  gerade  diese  Anstalten,  welchen  in  dem  gegenwärtigen  Zeitpunkte 
eine  höchst  wichtige  Aufgabe  zukömmt. 

}>  Sie  sollen  den  Kern  des  Mittelstandes  heranbilden,  der   durch  seine 

Tüchtigkeit  einen  grossen  Einfluss  auf  das  Wohl  des    Staates  auszuüben 
angewiesen  ist. 

Zur  Erreichung  dieses  Zweckes  thut  es  aber  jetzt  mehr  als  je  Noth, 
den  Unterricht  in  dem  Geiste  und  in  der  Richtung  zu  leiten ,  dass  aus 
demselben  nicht  allein  kenntnissreiche  Männer,  sondern  auch  redliche  und 
gewissenhafte  Staatsbürger  hervorgehen,  welche  in  der  Achtung  vor  dem 
Gesetze  und  der  Staatsordnung  denjenigen  mit  gutem  Beispiel  vorangehen, 
unter  denen  sie  im  Leben  wirken  sollen. 

Es  ist  darum  die  Aufgabe  der  Lehrer  der  höheren  Bürgerschulen, 
bei  Ertheilung  des  Unterrichtes  das  religiöse  und  sittliche  Element,  ohne 
welches  dieser  Zweck  nie  erreicht  werden  kann,  stets  vorzüglich  im  Auge 
zu  behalten  und  jene  irreligiöse  und  sittenverderbende  Tendenz  zu  be- 
kämpfen, durch  welche  eine  frevelhafte  Partei  unser  Vaterland  an  den 
Rand  des  Verderbens  gebracht  hat. 

Wir  hegen  das  Vertrauen  zu  allen  wackeren  Lehrern  dieser  Anstal- 
ten, dass  sie  diese  unsere  Ueberzeugung  theilen  und  mit  uns  anerkennen 
werden,  dass,  wenn  weiteres  Unheil  von  demselben  abgewendet  werden 
soll,  die  wahre  Gottesfurcht  in  den  jugendlichen  Gemüthern  mehr,  als  es 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  195 

in  der  neueren  Zeit  geschah,  geweckt,  Achtung  vor  Gesetz  und  Obrig- 
keit denselben  frühzeitig  eingepflanzt  werden  muss,  damit  sie  diese  mit 
den  erworbenen  Kenntnissen  in  das  bürgerliche  Leben  mitbringen  und 
den  Verlockungen  derjenigen  zu  widerstehen  vermögen,  welche,  indem 
sie  dieselben  bei  ihnen  zu  untergraben  suchen ,  die  Wohlfahrt  der  Fa- 
milien und  des  Staates  erschüttern. 

An  der  Wiederbefestigung  dieses  erschütterten  Zustandes  redlich 
und  thätig  zu  arbeiten,  möge  daher  unsere  erste  Pflicht  sein,  und  wir 
werden  mit  allem  Ernste  diejenigen  unterstützen,  welche  sich  dieselbe 
zu  erfüllen  mit  Eifer  angelegen  sein  lassen. 

Möge  unser  redliches  Streben  nicht  ohne  Erfolg  bleiben. 

Karlsruhe,  den  19.  October  1849. 

Brunner,  von  JFöllivarih, 

CoNSTANz.  Zu  Anfang  des  Schuljahres  1848 — 49  fand  in  dem 
Lehrerpersonale  des  hiesigen,  mit  der  höheren  Bürgerschule  vereinigten 
Lyceums  ein  bedeutender  Wechsel  statt.  Prof.  Nicolaij  welcher  seit 
dem  Jahre  1832  an  dem  hiesigen  Lyceum  eine  Lehrstelle  verwaltet  und 
nach  dem  Abgange  des  Directors  Lender  auch  die  Direction  geführt  hatte 
(NJahrbb.  Bd.  LV.  Heft  4.  S.  444),  wurde  an  das  Lyceum  in  Rastatt, 
Prof.  Scherm,  der  im  Jahre  1840  in  die  hiesige  Anstalt  als  Lehrer  einge- 
treten war,  an  das  Lyceum  in  Freiburg,  Lehrer  Steuer  an  die  höhere 
Bürgerschule  in  Mahlberg  und  Lehramtspraktikant  Kappes  an  das  Gym- 
nasium in  Bruchsal  berufen.  Zur  Wiederergänzung  des  Lehrerpersonals 
der  hiesigen  Anstalt  traten  hierauf  für  die  abgegangenen  Lehrer  in  das 
Lyceum  ein :  Prof.  Furtwängler^  bis  dahin  an  dem  Lyceum  in  Mannheim 
in  gleicher  Eigenschaft  angestellt,  Prof.  Iloffmann,  welcher  durch  Staats- 
ministerial-Erlass  vom  26.  September  1848  (im  Sinne  des  §.  40  der  all- 
gemeinen Schulordnung  vom  31.  Decbr.  1836)  dem  Director  zur  Unter- 
stützung, insbesondere  in  Handhabung  der  Disciplin ,  beigegeben  wurde, 
von  dem  Lyceum  in  Rastatt,  und  der  geistliche  Rath  Schmeisser  (bis  dahin 
Vorstand  des  Lyceums  in  Freiburg),  welchem  die  Direction  des  Lyceums 
und  der  höheren  Bürgerschule  übertragen  wurde.  Einige  Wochen  nach 
dem  Beginne  des  Schuljahres  wurde  auch  Vicar  Linder  von  Mannheim 
hierher  berufen  und  in  die  erste  Classe  des  Lyceums  als  Hauptlehrer  ein- 
gewiesen, —  Leider  wurde  in  dem  Sommersemester  der  Unterricht 
einigermaassen  gestört,  wiewohl  er  niemals  eine  gänzliche  Unterbrechung 
erlitten  hat.  Ein  Theil  der  Lehrer  und  der  Schüler  musste  nämlich  an 
den  Waffenübungen,  die  allenthalben  in  unserra  engeren  Vaterlande  ange- 
ordnet waren ,  Theil  nehmen.  Dieses  und  die  Aufregung ,  welche  wegen 
der  bekannten  Vorgänge,  die  auch  unsere  Stadt  zu  bedrohen  schienen, 
die  Gemüther  von  Jung  und  Alt  in  fortwährender  Spannung  erhielt,  hatte 
zur  Folge,  dass  die  Studien  nicht  mit  jener  Hingebung  und  Ruhe ,  die  zu 
ihrem  Gedeihen  nothvvendig  erforderlich  sind,  betrieben  werden  konnten. 
Als  hierauf  im  Monat  Juni  das  erste  Aufgebot  der  Bürgerwehr  von  hier 
auszog,  war  nicht  nur  ein  Theil  der  Schüler  der  obersten  Classen,  son- 
dern auch  ein  Lehrer  der  Anstalt,  Lehramtspraktikant  Eble,  genÖthigt, 

13* 


196  Schul-  und  Universitatsnachrichten, 

diesen  Zug  mit  zu  machen.  Der  Letztere  würde  zwar  auf  Verwendung 
der  Lehrercoiiferenz  seinem  Berufe  nach  kurzer  Zelt  wieder  zurückgege- 
ben, allein  die  Schüler  waren  mehrere  Wochen  von  hier  abwesend.  Doch 
auch  diese  sind,  bis  auf  wenige,  sobald  es  ihnen  möglich  war,  wieder  in 
das  Lyceum  zurückgekehrt.  Dieser  temporäre  Abgang  hatte  nun,  nebst 
dem,  dass  der  Studiengang  dieser  Schüler  unterbrochen  wurde,  für  die 
Anstalt  noch  einen  doppelten  Nachtheil.  Einmal  waren  unter  denselben 
die  besten  Turner,  denen  auf  den  Antrag  der  Lehrerconferenz  der  Gross- 
herzogliche Oberstudienrath  die  Ertheilung  des  Turnunterrichtes  über- 
tragen hatte;  und  dann  musste  der  Unterricht  in  der  englischen  Sprache, 
den  im  Wintersemester  Lehraratspraktikant  Eblc  in  ausserordentlichen 
Stunden  zu  ertheilen  begonnen  hatte,  auj^gesetzt  werden.  —  Nach  einem 
Erlasse  des  katholischen  Oberkirchenrathes  vom  31.  März  I8i9  wurden 
von  der  für  (katholische)  theologische  Stipendien  bestimmten  Summe  von 
18,000  fl.  dem  hiesigen  Lyceum  für  das  Winterseraester  425  fl.  zuerkannt, 
nämlich:  3  Stipendien  zu  je  25  fl.,  3  zu  je  50  und  1  zu  75  fl.  In  Bezug 
auf  die  Vertheilung  der  erwähnten  Stipendien  für  das  Sommersemesler 
ist  bis  jetzt  (August  1849)  keine  Verfügung  der  oberen  Behörde  einge- 
troffen. —  Am  Schlüsse  des  Schuljahres  1847 — 48  wurden  15  Schüler 
zur  Universität  entlassen.  Von  diesen  widmen  sich  9  der  katholischen 
Theologie,  3  der  Jurisprudenz,  3  dem  Cameralfache.  —  In  dem  laufenden 
Schuljahre  besuchten  die  höhere  Bürgerschule  63  Schüler.  Von  diesen 
sind  im  Laufe  des  Schuljahres  wieder  ausgetreten  im  Ganzen  13  und  einer 
ist  gestorben.  —  Das  Lyceum  wurde  im  Ganzen  von  174  Schülern  besucht. 
Darunter  sind  24  Ausländer.  Katholiken  besuchten  das  Lyceum  163  und 
Protestanten  11.  Ausgetreten  sind  aus  dem  Lyceum  im  Ganzen  18  Schü- 
ler. Am  Ende  des  vorhergehenden  Schuljahres  (1846 — -1847)  betrug  die 
Gesammtzahl  der  Schüler  des  Lyceums  180  und  die  der  höheren  Bürger- 
schule 74  (NJahrbb.  a.  a.  O.  S.  445;.  • —  Die  Lyceumsbibliothek  wurde 
sowohl  durch  Anschaffungen  aus  den  Mitteln  der  Anstalt  als  auch  durc'i 
Geschenke  vermehrt. 

Die  wissenschaftliche  Beilage,  mit  welcher  das  Programm  *)  ausge- 
stattet ist,  bat  den  Professor  Furtwängler  zum  Verfasserund  ist  betitelt: 


*)  Nach  §.  34  der  allgemeinen  Schulordnung  vom  31.  Decbr.  1836 
sollen  in  der  Regel  die  Programme  der  Lyceen  eine  kurze  wissenschaft- 
liche Abhandlung  enthalten,  welche  in  der  Regel  und  wo  die  Natur  des 
Gegenstandes  nicht  den  Gebrauch  der  deutschen  Sprache  räthlich  macht, 
in  lateinischer  Sprache  abgefasst  sein  soll.  Dasselbe  kann  auch  bei  Gym- 
nasien geschehen.  Sie  wird  vom  Director  oder  von  einem  der  Lehrer 
geschrieben  und  von  dem  Verfasser  dem  Director  vor  dem  Drucke  vor- 
gelegt. —  Für  das  Schuljahr  1848 — 49  wurde  es,  nach  einer  Verfügung 
der  obersten  Studienbehörde,  den  einzelnen  Anstalten  überlassen,  ob  sie 
bei  den  obwaltenden  Zeitverhältnissen  diesmal  eine  wissenschaftliche  Bei- 
gabe zu  ihren  Programmen  ausgeben  wollten  oder  n'cht.  —  Wissen- 
schaftliche Beigaben  haben  in  dem  Schuljahre  1848  —  49  den  Programmen 
beigefügt:  die  Lyceen  zu  Constan?. ,  Hei'lelberg  und  W^ertheira. —  Von 
den  Gymnasien  zu  Bruchsal  und  Tauberbischofsheim  ist  uns  weder  ein 
Programm  noch  eine  wissenschaftliche  Beilage  zu  Gesicht  gekommen. 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  197 

„Der  reitende  Charon  j  eine  mythologische  Abhandlung.  Constanz,  1849. 
Druck  von  J.  Stadier.  38  S.  8."  Mit  Vergnügen  ergreifen  wir  die  uns 
hier  gebotene  Gelegenheit,  auf  diese,  für  die  mythologischen  Forschungen 
nicht  unwichtige  Schrift  aufmerksam  zu  machen.  Von  seinem  früheren 
Vorhaben,  sie  lateinisch  zu  schreiben,  ist  der  Verf.  aus  dem  Grunde  ab- 
gegangen, weil  er  es  jetzt  nach  den  jüngsten  Vorgängen  in  Deutschland 
für  geeigneter  hielt,  dieses  in  deutscher  Sprache  zu  thun. 

Im  Volksglauben  der  heutigen  Griechen  findet  sich  eine  grosse  An- 
zahl von  Sagen  vor,  welche  offenbar  auf  das  Alterthum  zurückgehen. 
Wenn  wir  nun  auch  nicht  die  Ansicht  haben,  dass  man  in  jedem  Zuge, 
der  einige  Aehnlichkeit  mit  Altem  aufweist,  sogleich  einen  Rest  des  Hel- 
lenenthums  erblicken  müsse,  so  konnten  wir  uns  doch  niemals  überzeugen, 
dass  man  namentlich  in  solchen  Sagen  blos  eine  Art  von  Merkwürdig- 
keiten zu  suchen  habe,  die  wohl  dem  Müssigen  Unterhaltung  bieten,  der 
Wissenschaft  aber  keine  wahre  Ausbeute  gewähren.  Zu  der  letzten  An- 
sicht, die  sich  nicht  selten  findet,  mag  wohl  vorzüglich  der  Umstand  Ver- 
anlassung gegeben  haben,  dass  diejenigen,  welche  sich  mit  der  Sache  be- 
fassten,  etwas  zu  leicht  mit  derselben  umgingen.  Uns  scheint,  dass  die 
Wissenschaft  nur  dann  eines  Gewinnes  sicher  sein  kann ,  wenn  dieser 
auch  auf  wissenschaftlichem  Wege  gesucht  wird.  Die  hierüber  erschie- 
nenen Schriften  sind  einmal  von  sehr  geringer  Zahl  und  die  vorhandenen 
enthalten  in  der  Regel  in  Bezug  auf  das,  was  die  Wissenschaft  angeht, 
nur  Notizen.  Bis  jetzt  ist,  unseres  Wissens,  keine  Arbeit  erschienen, 
welche  darauf  ausgegangen  wäre,  die  Neugriechischen  Sagen  in  ihrem 
Entwickelungsgange  zu  verfolgen,  den  Zusammenhang  derselben  nicht  blos 
mit  Althellenischen  Vorstellungen,  sondern  auch  mit  denen  anderer  Völ- 
ker, welche  mit  den  Hellenen  durch  die  Bande  der  Cultur  verknüpft 
waren,  nachzuweisen  und  den  Standpunkt,  den  sie  im  grossen  Ganzen  ein- 
nehmen, ins  Licht  zu  setzen.  Dass  dieses  aber  durchaus  geschehen 
müsse,  wenn  den  Forderungen,  welche  heut  zu  Tage  die  Wissenschaft 
stellen  darf,  entsprochen  werden  soll,  unterliegt  wohl  keinem  Zweifel. 
Von  dieser  eben  dargelegten  Ansicht  geleitet,  arbeitete  der  Verfasser  die 
vor  uns  liegende  Schrift  aus. 

Schon  vor  mehreren  Jahren  wurde  ein  längerer  Aufenthalt  in  Grie- 
chenland (Vorwort  S.  I)  ihm  Veranlassung,  in  den  ^Erscheinungen,  welche 
gegenwärtig  dieses  Land  darbietet,  Züge  des  Alterthums  aufzusuchen  und 
dem  Gange  der  Entwickelung,  welchen  sie  genommen,  nachzuforschen. 
Er  ging  dabei  von  dem  Gedanken  aus,  dass  zu  zahlreichen  Bildern,  wel- 
che uns  die  schriftlichen  Denkmäler  des  Alterthums  nur  mangelhaft  dar- 
stellen, in  solchen  Zügen  eine  Ergänzung  gefunden  werden  könne.  Bei 
der  Fülle  des  Stoffes  scheinen  ihm  die  religiösen  Vorstellungen  von  beson- 
derer Wichtigkeit  zu  sein,  welche  unverkennbar  in  Bezug  auf  ihre  alte 
Quelle  durch  spätere  Einflüsse  nur  modificirt,  vorzüglich  in  Volkssagen 
niedergelegt  sind.  Dieser  Sphäre  gehört  auch  der  Inhalt  der  vorliegen- 
den Schrift  an.  Sie  behandelt  die  im  Volksglauben  der  Neugriechen 
fortlebende  Sage  des  j,reitenden  Charon^''  und  setzt  sich  insbesondere 
zum  Zwecke,  die  Vorstellung  desselben  auch  im  Alterthume,  zunächst  bei 


198  Schul-  und  Unlversitatsnachrichten, 

den  Giiechen,  aber  auch  bei  anderen  Völkern,  mit  welchen  diese  durch 
die  oben  angegebenen  Bande  verknüpft  waren ,  nachzuweisen.  Dabei 
hat  sich  der  Verfasser,  wie  die  Arbeit  selbst  auf  das  Deutlichste  dem  auf- 
merksamen Leser  überall  zeigt,  bemüht,  nirgends  einen  Schritt  weiter 
zuthun,  ohne  vorher  einen  sicheren  Standpunkt  gewonnen  zu  haben; 
denn  auf  dem  Gebiete  des  ^Mythus  und  der  Sage  muss  man  sich  vor  Allem 
hüten,  der  Phantasie  ungezügelten  Spielraum  zu  lassen,  weil  man  hier 
gar  zu  leicht  auf  Unkosten  gründlicher  Forschung  sich  von  ihr  gefangen 
nehmen  lässt.  Er  hat  daher  auch  überall  den  historischen  Momenten 
nachgeforscht  und,  was  diese  lückenhaft  Hessen,  auf  philosophischem 
Wege  zu  ergänzen  gesucht.  Lange  war  der  Verf.  der  Ansicht,  es  möchte 
vielleicht  der  reitende  Tod  im  Mittelalter  durch  germanische  Völker,  bei 
welchen  er  sich  ebenfalls  vorfindet,  nach  Griechenland  verpflanzt  worden 
sein;  später  aber  überzeugte  er  sich,  indem  er  auf  die  ersten  Quellen  zu- 
rückging, dass  schon  in  den  ältesten  Zeiten,  ja  vor  Homer,  die  Vorstel- 
lung desselben  in  Griechenland  müsste  bestanden  haben.  Bei  Homer  (11. 
V.  664.  XL  443  fF.  XVL  625)  findet  er  sich  bestimmt  gezeichnet  in  dem 
"Äidt  x/lvro.TtöAfo  und  es  unterliegt  wohl  keinem  Zweifel,  dass  die  Erklä- 
rung, welche  der  Verfasser  von  diesem  Typus,  so  wie  von  dem  Wesen 
und  der  Entwickelung  des  Hades  überhaupt  (S.  15 — 20)  gegeben  hat, 
unter  diejenigen  Momente  in  der  Abhandlung  zu  zählen  sei,  worauf  es 
hauptsächlich  ankommt.  Dabei  begnügt  sich  aber  der  Verfasser  nicht, 
sondern  hat,  mit  anerkennenswerther  Gründlichkeit,  den  reitenden  Tod 
in  den  alten  Mythen  der  Griechen  weiter  verfolgt ,  der  Verbindung  des 
Pferdes  mit  dem  Tode  und  zugleich  mit  dem  Wasser  (da  in  Griechenland 
Poseidon  als  Schöpfer  des  Pferdes  gilt)  nachgeforscht  und  die  griechi- 
schen Vorstellungen  in  ihrem  Zusammenhange  mit  denjenigen,  welche  sich 
bei  anderen  Völkern,  namentlich  bei  den  Indern  und  Germanen,  über 
diese  Verbindung  vorfinden,  zu  beleuchten  gesucht  (S.  21  ff.).  Hierbei 
sah  der  Verfasser  aber  auch  öfter  zu  einer  (wie  wir  glauben  glucklichen) 
neuen  Deutung  einzelner  Mythen  sich  veranlasst.  Wir  nennen  in  dieser 
Beziehung  insbesondere  den  Pegasus  und  Narcissus  (S.  36  —  38). 

So  viel  über  diese  mit  eben  so  grossem  Scharfsinne  als  gründlicher 
Gelehrsamkeit  ausgearbeitete  Schrift.  Mit  stets  wachsendem  Interesse 
ist  Referent  den  in  derselben  niedergelegten  Forschungen  gefolgt  und 
kann  es  nur  sehr  bedauern,  dass  in  Folge  unverhofft  eingetretener  Hin- 
dernisse, wie  der  Verfasser  selbst  in  einem  Nachworte  S.  38  angiebt  (um 
die  Casse  zu  schonen),  der  Druck  der  im  Manuscripte  vollendeten  Ab- 
handlung mit  dem  ersten  Theile  abgebrochen  werden  musste.  Der 
zweite  Theil  wird  nun  in  diesem  Jahre  (1850)  mit  dem  Programme  ge- 
druckt und  ausgegeben  werden.  Wir  sehen  ihm  um  so  freudiger  entge- 
gen, als  in  demselben  der  Verf.  die  mit  so  schönem  Erfolge  begonnene 
Untersuchung  zunächst  weiter  verfolgt,  dann  übergeht  auf  den  schiffenden 
Charon,  um  dessen  Verhältniss  zu  dem  reitenden  ins  Licht  zu  setzen,  und 
die  Entwickelung,  welche  beide  gewonnen  haben ,  nachweist.  Insbeson- 
dere hat  der  Verfasser  in  Bezug  auf  den  Reiter  die  Verhältnisse  dort  zu 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  199 

zeichnen  gesucht,  unter  welchen  derselbe  sich   bis  auf  den  heutigen  Tag 
in  Griechenland  erhalten  konnte. 

Hamburg.    Das  Programm  der  Gelehrtenschule  des  Johanneums  ent- 
hält Bemerkungen  über  Reform  der   Gelehrtenschulen ,   von  dem  Director 
Dr.  Kraft  (60  S.  4.),  zu   dem  Zwecke  geschrieben,  um  bei  der  auch  in 
Hamburg  in  Folge  der  grossartigen  Bewegung  des  Jahres   1848  wieder  in 
Anregung  gekommenen  Umgestaltung  des  Schulwesens  vor  Ueberstürznng 
und  Uebereilung  zu  warnen.     Machen  sie  auch  auf  keine  vollständige  Er- 
schöpfung des  Gegenstandes  Anspruch,  so  verbreiten   sie  sich  doch    über 
fast  alle  Fragen,  welche  in  neuerer  Zeit  auf  dem  Gebiete  des  Gymnasial- 
wesens zur  Erörterung  gekommen  sind,  und  obgleich  sie  nicht  überall  in 
die  Tiefe  gehen,  so  enthalten  sie  doch  viel  Beachtens-  und  Beherzigens- 
werthes.      Ref.  will  nur  einige  Punkte  herausheben,  um  daran  eine   wei- 
tere Besprechung  zu  knüpfen.      Wenn  S.  4  der  Zweck  der  Gymnasien 
so  bezeichnet  wird:  ,,Den  Lernenden  durch  zweckmässige  Anleitung   und 
vielfache  Uebungen,  insbesondere   durch  altclassische  Bildung,   diejenige 
Befähigung  zu  geben,   durch  welche  dieselben  zum  erfolgreichen  Besuche 
der  Universität,  zum  selbstständigen  Studium  der  Wissenschaften  vorbe- 
reitet werden,  und  zwar  eben  so  wohl  in  sittlicher  (ethischer)  als  wissen- 
schaftlicher (intellectueller)  Beziehung",  so  fürchten  wir,  dass  diese  De- 
finition den  Gegnern  der  bisherigen  Gymnasialbildung  manche  Seite  zum 
Angriff  darbiete.      Sie  behaupten  ja  eben,  dass  zum  selbstständigen  Stu- 
dium der  einzelnen  Wissenschaften,  mit  Ausnahme  höchstens  der  Theolo- 
gie und  Philologie,  die  Kenntniss  der  alten   Sprachen   nicht  mehr  nöthig 
sei,  und  haben,  wenn  auf  die  praktische  Betreibung  eines  solchen  Berufs 
allein  Gewicht  gelegt  wird,  sehr  triftige  Gründe  für  sich.    Es  muss  dess- 
halb  ihnen  eine  Definition  entgegengehalten  werden,  die   den   Zweck  der 
Gymnasien  als  eine  unleugbare  Forderung  hinstellt;  eine  solche  aber,  die 
Keiner,  welcher  über  das  Wesen  des  Menschen  richtig  urtheilt,   hin  weg- 
zuwerfen vermag,  ist  die,  dass  die  Jugend  befähigt  werde,   die  Welt  des 
Geistes  zu  erfassen  und  in  ihr  zu  wirken.      Weil  die  Erfüllung  derselben 
unmöglich  ist,  wenn  nicht  der  Lernende  den  Entwickelungsgang,  welchen 
der  menschliche  Geist  durchgemacht,  selbst  kennen  gelernt  hat,  weil  fer- 
ner unmöglich  ist,  das  Geistige  ganz  zu  erfassen  ohne   die  Form,  in  wel- 
cher es  sich  ausgeprägt  hat,  so  folgt  aus   ihr  mit    unumstösslicher  Conse- 
quenz,  dass  die  Bildung,  welche  das  Gymnasium  geben  will  und  soll,  ohne 
das    Studium    der  Sprachen    von  jenen   beiden  Völkern   des  Alterthums, 
deren  Werk  es  war,  die  Grundlage  zu  aller  menschlichen   Bildung  zu  le- 
gen, nicht  bestehen  kann.     Indem  der  Hr.   Verf.  die  Disciplin   als  noth- 
wendig  zur  Erreichung  des  Zweckes  der  Gymnasien  bespricht,  berührt  er 
eine  Sache,  die  bei  den  vielfachen   Erörterungen  über  dieselbe    leider  zu 
sehr  aus  den  Augen  verloren  worden  ist.     Je  mehr  Haus  und  Schule  da- 
bei in  Conflict  gerathen,  um  so  nothwendiger  ist  es,  dass  der  Staat  der 
letzteren   eine  Stütze  verleihe.      Ref.  meint  nicht  eine  Einmischung  des 
Staates  in  die  innersten  Angelegenheiten  der  Schule  damit,  sondern  der 
Staat  muss  der  Schule  das  gewährleisten,  was  zur  Aufrechterhaltung  des 


200  Scliul-  und  Universitätsnachrichten, 

in  ihr  geltenden  Gesetzes  unumgänglich  nothwendig.  Viele  Lehrer  wer- 
den ans  ihrer  eigenen  Erfahrung  bestätigen,  und  selbst  aus  den  Schul- 
nachrichten mancher  Programme  können  Beweise  dafür  beigebracht  wer- 
den, wie  oft  das  Gesetz  der  Schule  durch  die  Art  und  Weise,  wie  die 
Eltern  sich  gegen  dasselbe  verhalten,  gehöhnt  wird  ,  und  wie  wenig  oft 
nicht  einzelne  Lehrer,  nein  ganze  Collegien,  dagegen  auszurichten  ver- 
mögen. Soll  die  Schule  Staatsanstalt  werden,  so  wird  für  den  Staat  um 
so  höher  die  Pflicht,  weil  dann  in  der  Schule  ihm  selbst  der  Gehorsam 
versagt  wird.  Das,  was  der  Hr.  Verf.  S.  13 — 18  über  den  Religions- 
unterricht sagt,  enthält  zwar  viel  Gutes,  hat  aber  im  Ganzen  dem  Ref. 
nicht  Genüge  gethan.  Der  Religionsunterricht  muss  confessionell  sein, 
weil  so  wenig  eine  Wissenschaft  ohne  Principien,  so  wenig  eine  Religion 
ohne  Glaubenssätze  bestehen  kann.  Ein  unentschiedenes  Darüberhin- 
gehen  über  die  Verschiedenheiten  muss  bei  dem  Schüler  Zweifel  und 
Gleichgültigkeit  erzeugen.  Um  so  nothwendiger  ist  aber  dies  für  unsere 
Tage,  weder  Zweifel  schon  in  tausenderlei  Gestalt  an  den  Jüngling 
herangetreten  ist.  Wird  hier  der  Lehrer  seine  Pflicht  thun,  wenn  er 
nicht  dasjenige  mittheilt,  war  zur  Beseitigung  jenes  und  zur  Bezeugung 
der  Wahrheit  dient?  Und  wenn  tiefere  Einsicht  in  die  Religionswahr- 
heiten, Avie  für  das  eigene  Herz  des  Gebildeten,  so  zu  einem  segensrei- 
chen Wirken  für  und  auf  Andere  ein  nolhwendiges  Erforderniss,  so  muss, 
da  für  die  Nichttheologen  mit  der  Schule  der  Religionsunterricht  ab- 
schliesst,  derselbe  in  den  oberen  Classen  eine  solche  Gestalt  annehmen, 
dass  dem  Bedürfnisse,  welches  im  Leben  hervortritt,  Befriedigung  gebo- 
ten würde.  Man  spricht  so  Viel  von  der  Erweckung  und  Erwärmung 
des  Gemüths  und  vergisst  dabei,  dass  eine  solche  ohne  festen  Glauben 
zur  Schwärmerei,  zur  Mystik,  oder  zur  Irreligiosität  führt.  Erbaulich 
muss  freilich  der  Unterricht  sein ,  aber  die  beste  Erbauung  bringt  die 
freudige  Verkündigung  der  Wahrheit.  Desshalb  ist  Ref.  mit  dem  Herrn 
Verf.  darüber  einverstanden,  dass  der  Religionsunterricht  nicht  durch 
Geistliche  ertheilt  werde;  der  Lehrer  der  Religion  gehöre  ganz  der  Schule 
an.  Aber  wenn  für  jede  andere  Wissenschaft  gefordert  wird,  dass  der 
Lehrer  dieselbe  ganz  beherrsche,  soll  bei  dem  Religionsunterrichte,  dem 
wichtigsten  von  allen,  nicht  dasselbe  gelten?  Desshalb  fordert  Ref.  Leh- 
rer, deren  Hauptgeschäft  Religionsunterricht  ist.  Die  übrigen  Lehrer 
werden  auch  ihrerseits  genug  Gelegenheit  finden,  auf  die  religiöse  Bil- 
dung ihrer  Schüler  einzuwirken,  und  damit  dies  geschehe  ,  damit  nicht, 
was  der  Eine  baut,  der  Andere  niederreisse,  muss  die  ganze  Schule  einen 
confessionellen  Charakter  haben.  Sie  kann  Schüler  aufnehmen,  die  einer 
andern  Kirche,  einem  andern  Glauben  angehören,  aber  der  Gesammtunter- 
richt  muss  gleichwohl  von  einem  Geiste  getragen,  die  Erziehung  von 
ein  e  r  religiösen  Ueberzeugung  geleitet  sein,  die  Lehrer  einer  Schule 
müssen  eine  r  Kirche  angehören.  Bei  der  Besprechung  des  Unterrichts 
in  den  alten  Sprachen  nimmt  der  Hr.  Verf.  das  Lateinsprechen  und  schrei- 
ben in  Schutz.  Der  mit  so  grosser  Leidenschaftlichkeit  geführte  Streit 
darüber  ist  ein  rein  methodischer.  Der  oft  gehörte  Satz,  dass  eine  Be- 
schränkung in  den  alten  Sprachen  nothwei>dig  sei,  um  für  Anderes  Raum 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  201 

zu  gewinnen,  sollte  gar  nicht  ausgesprochen  werden ,  weil  in  der  Päda- 
gogik der  Grundsatz  gelten  muss:  Was  nothwendig  ist,  muss  möglich 
gemacht  werden.  Der  ganze  Streit  würde  nach  des  Ref.  Meinung  leicht 
entschieden  werden ,  wenn  man  sich  über  folgende  Fragen  verständigt 
hätte:  1)  Welches  ist  der  Zweck  des  lateinischen  Unterrichts  in  den 
Gymnasien?  Ist  es  der,  dass  der  Schüler  zu  jeder  Zeit  seine  Gedanken 
lateinisch  ausdrücken  könne,  oder  ist  es  Kenntniss  der  Sprache,  um  durch 
dieselbe  vom  Geiste  des  römischen  Volkes  die  rechte  Anschauung  zu  ge- 
winnen? 2)  In  wie  weit  ist  zum  Verständniss  einer  Sprache  schriftliche 
und  mündliche  Fertigkeit  nothwendig?  Darum  handelt  es  sich  nicht, 
dass  jene  Uebungen  Nutzen  bringen,  sondern  lediglich,  ob  dieser  Nutzen 
nothwendig  erzielt  werden  müsse,  weil  es  eben  so  ein  Grundsatz  der  Pä- 
dagogik ist:  Nicht  alles  Nützliche  kann  von  dem  Unterrichte  umfasst 
werden;  was  nicht  nothwendig  ist,  muss  ausgeschieden  bleiben.  Wer 
sich  jene  Fragen  richtig  beantwortet,  der  wird  wohl  darüber  mit  sich  ins 
Reine  kommen,  dass  schriftliche  und  mündliche  Uebungen,  so  weit  sie  zum 
Verständnisse  der  Sprache  dienen,  nie  unterlassen,  dass  aber  ebenso 
auch  Alles,  was  über  den  Kreis  und  Geist  der  lateinischen  Sprache  hin- 
ausliegt, davon  ausgeschieden,  dass,  um  den  Schüler  zu  einer  genügenden 
Kenntniss  der  römischen  Litteratur  zu  fördern ,  Viel  gelesen  und,  um  das 
Gelesene  klar  zu  machen  und  allseitig  zu  beleuchten  und  die  Leetüre 
nicht  unnÖthiger  Weise  aufzuhalten.  Deutsch  interpretirt  werden  müsse, 
endlich  dass  durch  genaue  und  vielseitige  Leetüre  mit  auf  dieselbe  be- 
züglichen Uebungen  der  Schüler  von  selbst  dahin  gelange,  die  Spreche 
auch  mündlich  handhaben  zu  können,  dass  nur  durch  die  Alten  selbst  man 
sich  in  ihr  Leben  hineinleben,  mit  ihnen  denken  und  sprechen  lerne,  der 
Nutzen  für  die  deutsche  Sprache  aber  mehr  durch  zur  genauen  Verglei- 
chung  zwingendes  Uebersetzen,  als  durch  freies  Schreiben  und  Sprechen 
der  fremden  erreicht  werde.  Prüfung  der  Productionsfahigkeit  wird  in 
deutschen  Aufsätzen  genügender  veranstaltet  werden,  weil  hier  der  Schü- 
ler weniger  mit  der  Form  zu  ringen  hat;  dass  er  über  Gegenstände,  die 
ausserhalb  des  Kreises  des  Alterthums  liegen ,  sich  lateinisch  ausdrücke, 
dies  fordern,  heisst  verlangen,  dass  er  die  Sprache  über  die  von  den  Rö- 
mern hinterlassenen  Grenzen  hinaus  weiter  bilde.  Die  Lust  an  den  clas- 
sischen  Studien  wird  nicht  gemindert  werden,  wenn  die  Leetüre  den  nach 
Kenntniss  strebenden  Geist  befriedigt,  und  die  Krone  der  Gymnasialbil- 
dung darf  nicht  in  einer  ohnehin  bei  den  Meisten  sehr  zweifelhaften  Fer- 
tigkeit gesehen  werden,  die  für  das  Leben  keinen  praktischen  Nutzen 
mehr  hat,  sondern  in  der  Klarheit  des  Geistes,  der  Gründlichkeit  des 
Wissens,  der  sittlichen  Energie  und  dem  regen  Gefühle  für  das  Gute, 
Wahre  und  Schöne.  Gefreut  hat  sich  Ref. ,  dass  dem  Griechischen  von 
dem  Hrn.  Verf.  ein  grösseres  Recht  eingeräumt  wird;  dagegen  vermissen 
wir  hinsichtlich  des  Deutschen  ein  tieferes  Eingehen.  Die  Methode  die- 
ses Unterrichts  ist  unstreitig  diejenige  Aufgabe ,  von  deren  glücklicher 
Lösung  die  Zukunft  der  Gymnasien  abhängt.  Bei  den  neueren  Sprachen 
entscheidet  sich  der  Hr.  Verf.  dafür,  dass  mit  dem  Lateinischen  und 
Französischen  zu  gleicher  Zeit  begonnen  werde,   eine  Ansicht,  der  wir 


202  Schul-  und  ünlversitätsnachrichtcn, 

unter  keiner  Bedingung  uns  anschliessen  können,  weil,  wenn  auch  einzehic 
ausgezeichnete  Köpfe  in  früher  Jugend  den  ihnen  so  auf  einmal  zugeführten 
Sprach-  und  Lernstoff  überwältigen  können ,  die  Mehrzahl  dazu  unfähig 
ist.      Wie  der  durch  die    Erlernung  der  alten  Sprachen    erzielte  Nutzen 
sich  vor  vielen  Augen  verbirgt,  so  treten  auch  die   durch   eine  so  frühe 
Ueberfüllung  bewirkten  Nachtheile  oft  nicht  handgreiflich   hervor,    aber 
die  auf  die  Psychologie  gegründete  Pädagogik  muss  dieselben  verhüten. 
Was  das  Parallel-  und  Classensystem  betrifft,  so  entscheiden   wir  uns  mit 
dem  Hrn.  Verf.  unbedingt  für  das   letztere,  halten  aber  die   von  demsel- 
ben angeführten  Gründe  nicht  für  überzeugend  genug.      Denn  dagegen, 
dass  das  Classensystem  zu  einer  grösseren  Anstrengung  in  allen   Fächern 
nölhige,  wird  man  einwenden,  dass  eine  solche  Anstrengung,  gegen   Lust 
und  Neigung  gefordert,  nur  Nachtheil  habe,  und  gegen  die  Schwierigkeit 
der  Lectionsvertheilung  unter  die  Lehrer  einhalten,  dass  sich  die  bei  der 
Anstellung  zu  befolgenden  Grundsätze  nach  der  Organisation  der  Schule, 
nicht  diese  nach  den  Zufälligkeiten  von  Anstellungen  richten  müssen.   Das 
entscheidende  Moment  für  diese  Frage  liegt  darin,  ob  man  die  einzelnen 
Unterrichtszweige  des  Gymnasiums  nicht  allein  als  unerlässlich   für  Alle, 
sondern  auch  sich  gegenseitig  bedingend  und  unterstützend  ansieht,  oder 
mit  anderen  Worten  :  ob  man  jeder  einzelnen  Classe  ein  einiges  Bildungs- 
ziel zuschreibt.     Dies  Letztere  muss   der  Fall   sein.      Das  zugleich  zu 
Lernende  muss  im  innigsten  Zusammenhange  unter  sich  stehen ,  weil  nur 
so  eine  wirkliche  Erstarkung  des  Geistes  auf  die  einfachste  und  natürlich- 
ste Weise  erreicht  werden  kann.      Schwieriger  ist  die  Durchführung  des 
Classensystems ,  es   erfordert  harmonisches  Zusammenwirken  der   Lehrer 
und  eine  grössere  Umsicht  bei  Versetzungen;   aber  diese  Schwierigkeiten 
lassen  sich  überwinden,  sobald  nur  alle  Lehrer  das  Ganze  des  Unterrichts 
überschauen  und  im  Auge  behalten,  nicht  ihr  Fach  allein,  und  sobald  man 
nur  dem  Grundsatze,  dass  nicht  von  Allen  das   Gleiche,   sondern  nur  das 
Nothwendige  gefordert  werden  müsse,  gehörige  Berücksichtigung  schenkt. 
Trägheit  und  Abneigung  der   Schüler  zu   überwinden,  ist    eine  würdige 
Aufgrabe.      Verschiedenheit  der  Anlagen  ist  nicht  zu  läugnen;  wer  aber 
für  ein  Fach  des  Unterrichts  gar  keine  zu  haben  behauptet,   der  erklärt 
sich  für  überhaupt  einer  höheren  allseitigen  Bildung  unfähig.      Ref.  be- 
merkt hier  sogleich,  dass  er  zu  zweckmässiger  Durchführung  des  Classen- 
systeras  und  zu  richtiger   Wirksamkeit  des  Classenordinariats  eine  grös- 
sere Concentration  des  Unterrichts,  als  sie  in  der  Hamburger  Gelehrten- 
schule in  Bezug  auf  die  lateinische  Sprache   stattfindet,  für    nothwendig 
hält.      In  Prima  ertheilen  diesen  Unterricht  3,  in  Secunda  4,   in  Tertia 
und  Quarta  je  3  Lehrer.      Ohne  denselben  nahe  treten   zu  wollen,  glaubt 
Ref.  dennoch,  dass  eine  volle  Uebereinstimraung,   ein  allseitiges   Ineinan- 
dergreifen dabei  nicht  möglich  ist.       Zum  Schlüsse   geben  wir  eine  Zu- 
sammenstellung des  Lectionsplanes,  wie  er  nach  den  Ansichten  des  Hrn. 
Verf.  gestaltet  werden  soll  und  wie  er  bis  Ostern  1849   bestanden.      Der 
letztere  stellt  sich  so  heraus: 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen. 


203 


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Dass  der  letztere  Lectionsplan  in  vieler  Hinsicht  zweckmässiger  ist  als 
der  erstere,  darüber  wird  wohl  Jeder  mit  dem  Ref.  einverstanden  sein, 
obgleich  im  Einzelnen  manche  Einwendungen  sich  machen  Hessen.  Ihm 
genähert  konnte  der  von  Ostern  1849  an  beginnende  nur  in  so  fern  wer- 
den ,  als  um  in  Prima  2  Stunden  für  die  Physik  und  2  für  das  Englische 
zu  gewinnen,  den  lateinischen  Disputirübungen  und  der  alten  Litteratur- 
geschichte  je  eine  Stunde  gekürzt  und  indem  in  IV.  2  Stunden  für  den 
naturhistorischen  Unterricht  angesetzt  wurden.  Möge  des  Hrn.  Verf. 
Schrift,  in  welcher  wir  viel  Treffliches  anerkennen,  zu  einer  besseren  Or- 
ganisation des  Jobanneüms  beitragen ,  möge  namentlich  die  Klage  wegen 
der  zu  geringen  Besoldung  der  Lehrer  von  dem  reichen  Hamburg,  das 
doch  sogar  an  die  Gründung  einer  Universität  denken  konnte,  abgestellt 
werden.      Die  Schülerzahl  war  folgende  : 

Ost.  1848:  I.:  20;  IL:  33;  IIL  :  26;  IV.:  17;  V.:  15;  VL :  15;  Sa.:  126  , 
Mich.l848:„  17;  „  35;  „  24;  „  17;  „  18;  „  16;  „  127 
Zur  Universität  gingen  nach  Ostern  1849  7  mit  und  7  ohne  Maturitäts- 
prüfung, da  in  Hamburg  es  in  das  Belieben  gestellt  ist,  ob  Jemand  einer 
solchen  sich  unterwerfen  will  oder  nicht.  Das  LehrercoUegium  bestand 
aus  dem  Director  Dr.  th.  Kraft,  den  Professoren  Dr.  th.  Müller,  Lic.  th. 
Dr.  Calmberg,  Dr.  Ullrich,  Dr.  Hinrichs  und  Bubendey,  den  Collaboratoren 
Dr.  Meyer,  Dr.  Laurent,  Dr.  Fischer,  den  Lectoren  der  neueren  Sprachen 
Tassart,  Gallois  und  Glover,  dem  Zeichnenlehrer  Hardorff,  Schreiblehrer 
Elton,  Rechenlehrer  Möller  und  Gesanglehrer  Klapproth.  [D.] 

GROSSHERZOGTHUM  HESSEN.       Von   den   6  Gymnasien  des 
Grossherogthums  erschien  in    dieser  Zeitschrift  bis  jetzt  noch  niemals 


204  Schal-  und  Univers'itätsnaclirichten 


ein  allgemeiner  Bericht;  nur  manchmal  wird  das  eine  oder  das  andere  er- 
>vähnt,  einige  sind  wohl  eine  ganze  Reihe   von  Jahren  keiner  Beachtung 
»erth  gefunden  worden  *).      Indem  wir  die  Ursachen  hiervon  nicht  auf- 
suchen wollen   —  da  dies  uns  zu  weit  führen  durfte  — ,  wünschten  wir 
schon  längst,  dass  unser  Ländchen  in  dieser  geachteten   und  weitverbrei- 
teten Zeitschrift  nicht  so  ganz  unberücksichtigt  bleibe,  und   wollen  daher 
einen  kurzen  Bericht  über  das  jetzt  abgelaufene  Jahr  abstatten,   in  der 
HülTnung ,  dass   unsere  Lücken  vielleicht   an   jedem  unserer    Gymnasien 
einen  Collegen  veranlassen    werden,    über  das  eigene  Gymnasium  einen 
Jahresbericht  selber  hier  einzuliefern.      Da    unter    den    Gymnasien  kein 
Unterschied  des  Ranges  besteht  —  wiewohl  drei,  zu  Darmstadt,  Giessen 
und  INIainz,  gewöhnlich  grosse  oder  vollständige,  die  drei  andern,  zu  Bens- 
heim, Büdingen  und  Worms,  kleine  heissen ,  weil  erstere  7 — 8  getrennte 
Classen  und  ein  grosses   Lehrerpersonal,  letztere  nur  4 — 6   gesonderte 
Classen  und  nur  wenige  Lehrer  besitzen,  wiewohl  alle,  da  sie  durch  Ab- 
theilnngen  in  den   Classen  die  Schüler  8  Jahre    zu  beschäftigen   wissen, 
jährlich  oder  auch  jedes  Semester  ihre  oberste  Classe  ganz  oder  theilweise 
auf  die  Universität  entlassen,  — •  wollen  wir  diejenigen  zuerst  aufführen, 
welche  ein  Programm  während  des  Jahres  veröffentlichten.      In  Darm- 
stadt edirte  Oberstudienrath  Dr.  Dilthey  zu  Ostern  1849  ein  Programm 
unter  dem  Titel :  „Zur   Gymnasialrcform,    Zweites   Heft.^^    52  S.    4.      Im 
vorigen  Herbst  erschien  das  erste  Heft,  35  S.  und    11   S.  Schulnachrich- 
ten.   4.    Beide  Programme,  die  ihr    Erscheinen  der  neuen   Zeit  zu   ver- 
danken haben  (dem  seit  1834  ist  in  Darmstadt  kein  Programm  veröffent- 
licht worden),    enthalten    einen    reichen   Schatz    von  Erfahrungen,    einen 
scharfen  Blick  in  das   Gymnasial-    und  Schulwesen    überhaupt  und  eine 
würdevolle  Beurtheilung  heimathlicher,    namentlich   localer  Verhältnisse, 
wie  sich  das  vom  Verf.  erwarten  lässt,   der,  wie   in  der  gelehrten   Welt 
wegen  seiner  ausgebreiteten  Kenntnisse,  so  im  Schulwesen  wegen    seiner 
pädagogischen  An-  und  Einsichten  eines  allgemein  anerkannten  Rufes  ge- 
niesst.      Daher  bedauerte  man  vielfach,  dass  so  viele  Jahre  kein  Programm 
von  ihm  erschienen  ist,  und  wenn  man  schon  das   Wiedererscheinen  eines 
solchen  mit  Freuden  begrüsste,  so  zog  der  Inhalt  desselben  noch  mehr  an. 
Da  über  den  Inhalt  des  ersten  Programms  bereits  in  diesen  Jahrbb.  LVII, 
2.  S.  213 — 16  berichtet  ist,  so  verweisen  wir  hier  nur  wiederholt  Jeden, 
dem   die   Gymnasialangelegenheiten    überhaupt    und    die  unseres  Landes 
insbesondere  interessiren,  auf  die  frische  und   lebensvolle  Schrift,  wobei 
wir  ihn  versichern  können,  dass  er  dieselbe   nicht    ohne  vielfache  Beleh- 
rung und  nicht   ohne   neue  Hochachtung  gegen   den   Verf.  zu    empfinden, 
lesen    wird,    wenden    uns   zum    2.   Programm,   bemerken   aber    im  Vor- 
aus, dass  dieses,  wiewohl  nicht  minder   inhaltsreich ,  ja  sogar  noch  viel- 
seitiger als  das  erstere,  sich  nicht  ebenso  zu   einem  kurzen   Auszuge   eig- 
net; es  verdient  eine  ganz  eigene  Betrachtung,  namentlich  liefert  es  einen 
nicht  unwesentlichen  Beitrag  zur  Geschichte  des  Gymnasialwesens,  insbe- 


*)  Nicht  Missachtung,  sondern  der   Mangel  an    Unterlagen   war  die 
Ursache.  '   Die  Red. 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  205 

sondere  in  unserem  Lande,  indem  der  Verf.  über  sein  Wirken  und  seine 
Stellung  in  Darmstadt  seit  27  Jahren   und   über  viele  damit  verbundene 
Verhältnisse  offene  und  wahre  Worte  vorbringt.      Wenn  wir  hierbei  nur 
loben  können,  dass  wir  hiermit  über  höchst  wichtige  Dinge,  die  Vielen  im 
eigenen  Lande  und  selbst  in  der  Residenz  ein  Räthsel  blieben,  jetzt  man- 
che Aufschlüsse  erhalten ,  so  müssen  wir  doch  bemerken,  dass  noch  Vieles 
unerörtert  geblieben  ist;  der  Verf.  hat  nach  seiner  bekannten  Ehrenhaftig- 
keit nur  die  Dinge  berührt,  die  jetzt  nicht  mehr  zu  verschweigen  waren, 
dagegen  Manches,  was  nicht  minder  wichtig  und  einflussreich  war,   über- 
gangen;  wir    wollen  hier  nicht    aufzählen,  was   hätte  angefügt  werden 
können  —  es  wäre  sehr  Vieles  — ,   wünschen  aber,  dass  der  Verf.   eine 
Geschichte  des  Gymnasialwesens  in  unserem    Lande  während   der  letzten 
5  Lustra  liefern  möge.      Wenn  wir  aber  diese  Berücksichtigung   früherer 
Verhältnisse  und  Zustände  nur  loben  können,  so   stimmen  wir  dagegen 
dem  Verf.  nicht  bei,  dass    er  auf  mehrere    öffentliche   Angrüfe,  die  das 
Gymnasium  von  Darmstadt  im  letzten  Jahre  erfahren  hat,  hier  antwortet; 
solche  ephemere  Vorwürfe  in  der  Tageslitteratur  verdienen  nur  augen- 
blickliche Beachtung  und,  wenn  man  will,  Ervsiderung  und  Rechtfertigung 
in  demselben  Blatte,  sie  sind  aber  nicht  werth  in  den  officiellen  Organen 
der  Gymnasien,  die   als  ein  Denkmal  der  Nachwelt  überliefert  werden, 
eine  Besprechung  zu  finden.      Etwas  Anderes  ist  es,  wenn  der  Verfasser 
Ideen  und  Vorschläge,    die  er  im  ersten   Programm  vorgebracht  hat  und 
welche  eine  Entgegnung  irgendwo  gefunden   haben,  jetzt  näher  zu   be- 
gründen sucht,  und  in  so  fern  nun  wollen  wir  ihm,  wenn  er  S.  11  sagt: 
„der  einzige  Zweck  dieser  Programme  ist,  eine  Verständigung  mit  unse- 
rem Publicum  ( —  was  man  aber  nicht  zu  weit  ausdehnen  wolle  — )  her- 
beizuführen", nicht  gerade  widersprechen,  wiewohl  wir  in  dem  vorliegen- 
den Programme   einen  höheren  Zweck  finden.       Wir   können  nun,   wie 
schon  gesagt,  die  einzelnen  Punkte  dieses  zweiten  Programms  nicht  durch- 
gehen, indem  es  uns  an  Raum  hierzu  fehlt;  nur  zwei  Punkte  dürfen  wir 
nicht  mit   Stillschweigen  übergehen.      Der    Turnunterricht  nämlich    ist 
nach  der  bekannten  Methode  des   Turnlehrers    Spiess  am  Gymnasium  zu 
Darmstadt  eingerichtet  und  unter  seiner  Leitung  weiter  geführt  worden. 
Indem  wir  dieses  nur  billigen  und  wünschen,  dass  an  allen  Schulanstalten, 
höheren  wie  niederen,  die  einfache  „nur  massige  Anstrengung  des  Leibes 
erfordernde"  Turnweise  des  erwähnten  Meisters  Eingang  finden   möchte, 
können  wir  doch  nicht  beistimmen,  wenn  dem  Turnwesen  eine  zu  grosse 
Bedeutung  und  Wichtigkeit  untergelegt  wird  ;  wir  wollen  es  als  einen  Ver- 
such hingehen  lassen,  ,,da!?s  die  Unterrichtszeiten  für  das  Turnen  innerhalb 
der  regelmässigen  Schulzeiten  je  auf  die  Dauer  nur  einer   Stunde  gesetzt 
werden";  nur  dürfen  sie  nicht  zwischen  die  andern  Unterrichtsfächer  ein- 
geschoben werden,  auch   eine  Stunde  jedesmal  scheint  besonders,  wenn 
die  Ciassen  stark  sind,  nicht  hinreichend;  die  freien  Nachmittage  müssen 
während  2 — 3  Stunden  für  das  Turnen  verwendet  werden  ;  die  jüngeren 
Schüler  mögen  allerdings  öfter,  jedoch  nur  am  Schlüsse  der  Nachmittags- 
stunden, sich  in  den  massigen  Leibesübungen  versuchen.     Man  möge  aber 
nicht  das  Turnen  den  Gymnasialdisciplinen  gleichstellen,  dass  man  z.  B., 


206  Schul-  und  Uiüversitätsnachrichten, 

wie  es  S.  33  heisst,  bei  der  Versetzung  der  Schüler  in  andere  Classen 
darauf  Rücksicht  nehme,  während  man  doch  bekanntlich  das  Zeichnen^ 
das  Schönschreiben  dabei  nicht  beachtet;  oder  soll  auch  das  Tanzen, 
Fechten  und  Schwimmen  (letzteres  ist  in  Mainz  eingeführt,  was  wir  zur 
Nachahmung  anmerken)  auf  den  Rang  der  Schüler  Eintluss  haben?! 
Wenn  es  weiter  heisst:  ,,Die  Besoldung  für  den  Turnunterricht  wird  nach 
denselben  Rücksichten  betrachtet,  wie  die  Besoldung  für  anderen  Unter- 
richt'', so  kehren  wir  den  Satz  um  und  wünschen,  dass  in  unserem  Lande, 
wo  das  Princip  der  Anciennitat  vorherrscht,  die  Besoldung  des  voriges 
Jahr  angestellten  Turnlehrers  als  Norm  für  die  älteren  und  neu  anzu- 
stellenden Lehrer  in  den  Hauptfächern  des  Gymnasiums  angesehen  werden 
möge.  Eine  andere  Bemerkung  trifft  den  dem  Programm  angefügten 
Plan,  den  Dr.  Külz,  Director  an  der  Realschule  in  Darmstadt,  zur  Ver- 
einigung, Vereinfachung  und  Reforrairung  des  gesammten  Unterrichtswe- 
sens im  Kurfürstenth.  Hessen,  Grossherzogth,  Hessen,  Herzogth.  Nassau 
und  der  Stadt  Frankfurt  entworfen  hat.  Da  die  Zeit  vorüber  ist,  wo 
man  eine  Vereinigung  oder  Verschmelzung  mehrerer  deutschen  Länder 
auch  nur  im  Schulfache  erwarten  dürfte,  also  der  Plan  wohl  nie  verwirk- 
licht wird,  auch  in  praktischer  Hinsicht  hier  und  da  nicht  genügt  (z.  B, 
eine  Handelsschule  ist  zu  wenig;  je  zwei  der  alten  Facultäten  an  ver- 
schiedene Orte  zu  legen,  ist  ganz  unrathsam  u.  s.  w.),  würden  wir  die- 
sen Plan  mit  Stillschweigen  übergangen  haben,  wenn  wir  nicht  glaubten, 
unsere  Verwunderung  aussprechen  zu  müssen,  dass  bei  der  Vertheilung 
der  einzelnen  Schulanstalten  in  die  Provinzen  und  Städte  gar  keine  Rück- 
sicht auf  die  hessische  Rheinprovinz  und  Mainz  genommen  ist.  Oder 
hat  man  damals  in  Darmstadt  das  linke  Rheinufer  aufgeben  wollen?  In- 
dem wir  abbrechen,  hoffen  wir  bald  ein  drittes  Programm  des  geehrten 
Verfassers  begrüssen  zu  können,  und  wünschen,  dass  auch  Directoren  an- 
derer Gymnasien  über  sich  und  ihre  Anstalten  auf  ähnliche  Weise  offene 
Geständnisse  und  Schilderungen  vorlegen  möchten.  —  Ausser  dem  Dir. 
Dilthey  lehren  am  Gymnasium  ßaur,  Bender,  Bossler,  Haas  (für  das  Franz., 
Engl,  und  Itab),  Hüffell,  Kayser,  Lauteschläger  (für  Mathematik),  Nodna- 
gel,  Palmer,  Pistor,  Wagner  I.  und  II.,  ferner  Müller,  Rauch  u.  Slauih 
für  Schönschreiben,  Zeichnen  und  Gesang;  Accessisten  sind  Maurer  und 
Büchner,  Die  Schülerzahl  beträgt  im  Ganzen  270;  auf  die  Universität 
wurden  Ostern  25,  im  Herbst  22  entlassen. 

In  GIESSEN  hat  Director  Dr.  Geist  als  Programm  eine  Abhandlung 
y,Kr{nagoras  von  Mytilene^^  edu't  (bO  S.  8.  1849,  auch  im  Buchhandel). 
Zuerst  werden  die  Nachrichten ,  die  wir  über  denselben  haben,  gesam- 
melt und  gezeigt,  dass  derselbe  unter  August  in  Rom  gelebt,  zwar  wohl 
nicht  mit  ihm  und  seinen  Stiefsöhnen,  doch  aber  mit  mehreren  Frauen  und 
Kindern  der  kaiserlichen  Familie  in  Berührung  gestanden  und  wohl  nicht 
bis  zu  Tiberius'  Regierung  sein  Leben  gebracht  habe ,  denn  mit  Recht 
meint  der  Verf.  S.  5,  dass  im  Epig.  28  (Anth.  IX.  283)  nicht  der  jüngere 
Germanicus,  sondern  dessen  Vater  Drusus  zu  verstehen  sei,  was,  wie  wir 
beifügen,  noch  dadurch  bestätigt  wird,  dass  es  im  vs,  1  heisst;  „die  Py- 
renäen sind  Zeugen  von  Germanicus'  Glänze",   was   doch  wohl  nicht  auf 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  207 

den  Adoptivsohn  des  Tiberlus  gehen  kann.  Unter  den  Kelten  vs,  4  ver- 
stehen v>ir  die  Rätier  uiTd  denken  an  die  Unterwerfung  derselben  im  J. 
738  V.  C.  Hierauf  wird  kurz  dessen  dichterischer  Werth  besprochen  und 
gezeigt,  dass  er  nicht  so  hoch  zu  steilen  sei,  wie  ihn  z.  B.  Bahr  in  Pau- 
ly's  Realenc,  setzt;  dagegen  seien  seine  meisten  Epigr.  Gelegenheitsge- 
dichte, was  als  ein  Vorzug  von  ähnlichen  Dichtern  seiner  Zeit  anzusehen 
sei.  Zuletzt  werden  sämmtliche  Epigr.,  im  Ganzen  51,  nach  dem  Texte 
von  Jacobs  mitgetheilt  und  zu  vielen  derselben  kritische,  antiquarische, 
historische  u,  a.  Bemerkungen  beigefügt,  welche  grösstentheils  ein  hüb- 
scher Beitrag  zu  einer  tieferen  Erklärung  dieser  Gedichte  sind.  Aus  den 
Schulnachrichten  entnehmen  wir,  dass  eigentlich  keine  Veränderungen  im 
Lehrerpersonale  vorgefallen  sind.  Die  Lehrer  sind  Director  Geist  j  die 
Classenführer :  Soldan,  Schauer,  Lanz,  Rumj)f,  Hainebach  und  Diehl^  aus- 
serdem die  Fachlehrer  Otto  (seit  Kurzem  Professor  an  der  Universität) 
(im  Latein);  Koch  für  Religion,  Mathematik  U.A.;  Drescher  für  Religion 
und  Naturwissenschaften;  Köhler  und  Uhrig  in  verschiedenen  Gegenstän- 
den; Prof.  Flück  für  den  katholischen  Religionsunterricht;  Hanstein  für 
englische  Sprache;  Hofmann  für  Gesang;  v.  Ritgen  im  Zeichnen;  endlich 
Accessist  Krämer  und  Candidat  Crecalius. 

Das  Programm  von  Worms  enthält  einen  Beitrag  ,,cMr  Methode  des 
Unterrichts  in  der  deutschen  Sprache''^  von  Dir,  Wicgand  (5  S.,  Schul- 
nachrichten 10  S.  4.  1849).  Was  hier  mitgetheilt  wird ,  sind  eigent- 
lich —  falls  keine  Mystification  obwaltet,  wozu  wir  keine  Ursache  sehen 
—  nicht  Ansichten  des  Directors,  sondern  besteht  aus  „einem  sehr  eng 
beschriebenen  Bogen",  den  der  Herausgeber  1846  bei  der  Reallehrer-Ver- 
sammlung in  Mainz  zufällig  gefunden  und  der  S.  P.  aus  D.  unterschrie- 
ben war.  Schlagen  wir  das  Verzeichniss  jener  Versammlung  nach ,  so 
passen  jene  Buchstaben  nur  auf  den  Reallehrer  Petry  oder  Lehrer  Pulch 
aus  Dietz.  In  dem  Aufsatze  nun  sind  mehrere  Ansichten,  die  in  damali- 
ger Versammlung  vorgetragen  wurden,  wiederholt  und  besprochen — was 
wir  für  etwas  verspätet  halten  ,  daher  wir  hier  davon  Umgang  nehmen 
wollen. —  Dagegen  können  wir  uns  nicht  enthalten,  den  eigentlichen 
„Rath"  des  S.  P.  aus  D.  in  Bezug  auf  deutsche  Sprache  hier  mitzutheilen, 
,, Wollen  die  Lehrer  der  Volks-  und  zum  Theii  auch  der  Realschule,  heisst 
es  S.  17,  es  nicht  erleben,  dass  nach  langjährigem  Abhaspeln  der  Satz- 
lehre ihre  Schüler  selbst  den  einfachsten  Gedanken  noch  hölzern  nieder- 
schreiben, so  müssen  sie  die  Gedanken  derselben  wecken  und  bereichern 
durch  eine  entsprechende  Leetüre.  Wollen  wir  dagegen  in  den  höheren 
Schulen  nicht  mehr  die  Erfahrung  machen,  das»  nach  ebenfalls  Jahre  lan- 
ger Bereicherung  aus  der  deutschen,  aus  der  fremden  Litteratur  der  alten 
und  neuen  Welt  die  Schüler  keinen  ordentlichen  Brief  zu  schreiben  und 
den  einfachsten  Gedankenausdruck  nicht  mit  den  üblichen  Satzzeichen 
darstellen  können"  (was  sich  nur  selten  und  bei  ganz  Talentlosen  finden 
dürfte),  „so  dürfen  wir  hierauch  die  Satzlehre,  das  Studium  der  deut- 
schen Wortstämme  (denn  dadurch  wird  unsere  Muttersprache  uns  erst 
eine  lebendige)  nicht  vernachlässigen.  —  Wollen  die  Gymnasien  über- 
haupt mit  den  Realschulen  einen  Wettkampf  beginnen,   das  Deutsche  zur 


20S  Schul-  und  Universitätsnachrichten 


Grundlage  des  Unterrichts  zu   machen"  ( —   das   werden  sie,   meint  der 
Unterzeichnete,  nie  thun,  auch  nicht  nöthig   haben ;  auch  lassen  wir  uns 
mit  einem  ungleichen,  ganz  jungen  Gegner  in  keinen  Wettkampf  ein,  denn 
der  Sieg  ist  zwar  gewiss,    erhöht  aber  nur   bei   Unverständigen   unsern 
Werth),  ,,d.  h.  Natiunalbildungsanstalten  zu  werden  ( —  was  wir  dennoch  u. 
in  einem  höheren  Grade   sind,    entgegnet  Ref.),  so   haben  sie  bei    aller 
bisherigen  Verspätung  (?)  noch  einen  grossen  Vorsprung  durch  das  Hal- 
ten auf  eine  sorgfältige  und  geschmackvolle   Uebersetzung  der  exempla- 
ria  graeca  und  der  chartae  Socraticae  (?)    u.  s.   w."      Um  nichts  weiter 
zu  sagen,  wundern  wir  uns  nur,  wie  Director  Wiegand,  der  sonst  Besse- 
res zu  geben  wusste,   diesmal  das  Programm  mit  einem   Fragment  aus- 
füllte, das  ganz  Gewöhnliches  enthält  und  das  Einer  zufällig  weggeworfen 
oder  verloren  hatte.  —    An  der  Anstalt  fungiren  ausser  dem  Director  die 
Classenführer /7ü6e/,  Schödlerj  Zimmermann,    Pf  off,   Seipp ,  Eich,  dann 
Rostmann,  Vicar  Klein  (für  Mathem.),  Hoffmann  und  Gauss  für  das  Zeich- 
nen, Pfarr.  Markel  und  Pfarr.  Reuss  für  die  protest.  u.  kathol.   Religion. 
Die  Schülerzahl  beträgt  im  Ganzen  195,  von  denen  36  den   beiden  Real- 
abtheilungen angehören;  Abiturienten  9.  —    Die  übrigen  Gymnasien  des 
hessischen  Landes  gaben  keine  wissenschaftlichen  Abhandlungen  heraus. 
Zunächst  steht  aber  das  Gymnasium  zu  Mainz,  wo  doch  jedes  Jahr  eine 
gedruckte  Einladung  zu  den  Öffentlichen  Prüfungen  edirt  wird,  in  welcher 
die  Lehrgegenstände  nebst  Angabe  der  Stundenzahl  und  der  betreffenden 
Lehrer  angegeben  sind.      Im  letzten  Jahre  fungirten   Director  Steinmetz, 
die  Classenführer  Klein,  Becker,  Vogel^  Schollen,  Gredy,  Munier  und  Ac- 
cessist Killian,  als  Fachlehrer  Baur  (in  der  deutschen   Sprache),    Griesen 
in  der  Mathematik,  Hennes  für  Geschichte,  Schilling  in  der  französischen 
und  italienischen  Sprache,   Gergens  in  den  Naturwissenschaften  (wobei 
wir  bemerken  müssen  ,   dass  schon  über  30  Jahre  Chemie  und  zwar  in 
einem  eigenen  Laboratorium  gelehrt  wird,  wiewohl  Dilthey  im  2.   Progr. 
S.  30  sagt:  ,,Von  den  inländischen  Gymnasien  ist  das  zu  Worms  das  ein- 
zige, in  welchem  Chemie  gelehrt  wird'',  ein  Versehen,   das  wir   uns  gar 
nicht  erklären  können),  Lindenschmit  für  Zeichnen,  yi.  Klein  für   Schön- 
schreiben, Ilorn  für  Gesang,  Mousang  und  Nonweiler  für  die  kathol.  und 
evangel.  Religion,    endlich  provis.  Albrecht  für  das  Französische.      Die 
Lehrstunden  des  am  1.  März  verstorbenen   Prof.   Baur  übernahmen  pro- 
visorisch Gredy  und  Hennes.      Accessisten  sind  Kiefer  und  Noire.     Wei- 
tere Nachrichten    über   Schülerzahl   oder  sonstige  Schulangelegenheiten 
enthält  jene  Einladung  niemals. 

Die  zwei  übrigen  Gymnasien  geben,  so  viel  wir  wissen,  auch  nicht 
einmal  solche  Einladungen  heraus,  und  so  ist  Ref.  nicht  einmal  gewiss, 
ob  die  folgende  Liste  der  Lehrer  vollständig  ist.  In  Bensheim  fungiren 
Director  Helm,  als  Lehrer  JVeycr,  Herrmann^  Helm  jun.,  Blümmer ,  Kun- 
kel; in  BÜDINGEN  Director  Thudichum,  als  Lehrer  Haupt,  Zimmermann, 
Gambs,  Bausch  u.  A. 

So  wie  wir  uns  enthalten,  über  die  früheren  Verhältnisse  der  Gym- 
nasialangelegenheiten unseres  Landes  zu  berichten  —  wiewohl  nament- 
lich die   oben   kurz  besprochenen  Programme  von  Dilthey  Veranlassung 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen,  209 

genug  boten,  die  Klagen,  die  er  selbst  anhebt,  zu  vermehren,  oder  andere 
Zustände  zu  schildern,  —  ebenso  wollen  wir  über  die  Reformbestrebun- 
gen der  Gymnasiallehrer,  die,  wie  in  andern  Gegenden,  so  auch  bei  uns  im 
vorigen  Jahre  wegen  Aenderung  und  Besserung  ihrer  Verhältnisse  und 
der  Gymnasialzustände  überhaupt  sich  einigemal  versammelten  und  be- 
riethen,  weiter  nichts  mittheilen,  theils  weil  wir  es  jetzt  für  verspätet 
halten  und  auf  Früheres  nicht  gern  zurückkommen,  theils  weil  die  Wün- 
sche der  Gymnasiallehrer  bis  jetzt  keine  Berücksichtigung  gefunden  ha- 
ben. Dagegen  die  Veränderung  im  höheren  Studienwesen,  die  vor  kur- 
zer Zeit  stattfand,  müssen  wir  schliesslich  noch  anfügen.  Bis  jetzt  stan- 
den seit  1832  die  6  Gymnasien  unter  einem  Oberstudienrath,  der  zuletzt 
aus  5  Mitgliedern  bestand,  wovon  nur  zwei  in  der  Residenz,  dem  Sitze 
ihres  Collegiums,  wohnten  (wodurch  eben  manche  Langsamkeit  u.  s.  w. 
veranlasst  wurde).  Die  Real-  und  Elementarschulen  beaufsichtigte  ein 
Oberschulrath,  dessen  Mitglieder  jedoch  sämmtlich  in  Darmstadt  residir- 
ten.  Unter  dem  14.  Sept.  nun  sind  beide  Behörden  unter  dem  Titel : 
jjOberstudiendirection"  vereinigt  worden;  Director  ist  der  seitherige 
pensionirte  Ministerialrath  Dr.  jur.  Breidcnbach,  Mitglieder  sind:  der  bis- 
herige Oberstudienrath  Dr.  Diltkey ,  die  bisherigen  überschulräthe  Dr. 
jur.  Schödler^  Dr.  theol.  Luft  und  Kümmich  (von  den  beiden  Letzteren 
ist  der  erstere  katholischer,  der  andere  evangelischer  Pfarrer),  endlich  hat 
Turnlehrer  Spiess  als  Assessor  Stimme  in  den  das  Turnwesen  berühren- 
den Angelegenheiten,  Die  vier  anderen  Mitglieder  des  bisherigen  Ober- 
studienrathes,  Ministerialrath  Dr.  jur.  Lindelof  ^  seither  Director,  dann 
die  Räthe  Prof.  Hillebrand  in  Giessen,  Director  Steinmetz  in  Mainz  und 
Director  Thudichum  in  Büdingen,  wurden  dieses  ihres  Amtes  entbunden. 
Hoffen  wir  Neues,  Gutes  von  der  neuen  Einrichtung! 

M— z.  Kl. 

MiJHLHAUSEN.  Das  Gymnasium  hat  im  Schuljahre  Ostern  1848  bis 
1849  in  seinem  LehrercoUegium  keine  Veränderung  erlitten.  Die  Fre- 
quenz war: 

I.         IL         m.         IV.         V.  Sa. 

Ostern  1848:  8  26  18  38  27     .     117 

Ostern  1849:  8  16  29  37  30  120 

Abiturienten  waren  Ostern  1848:  3,  Mich.  1849:  2.  Die  wissenschaft- 
liche Abhandlung  schrieb  der  Lehrer  der  französischen  Sprache ,  Dr.  G, 
Weigand:  De  la  versißcation  frangaise  (40  S.  4.).  Dieselbe  ist  ein  auf 
gründlichen  Studien  beruhender,  mit  sorgfältig  gewählten  Belegen  ver- 
sehener Abriss  der  französischen  Metrik,  welcher  —  für  den  Schüler 
etwas  zu  gelehrt  gehalten  —  jedem  Lehrer  eine  sehr  willkommene  Er- 
gänzung der  französischen  Grammatik  bietet,  um  so  dankenswerther,  als 
diese  Seite  bei  der  Leetüre  der  Dichter  nicht  beachtet  zu  werden  pflegt, 
während  doch  ihre  Kenntniss  zur  rechten  Würdigung  der  französischen 
Litteratnr  unumgänglich  nöthig  ist.  [2?.] 

Posen.     Das    königliche   FriedricTi-TFilhelms-  Gymnasium 
erfuhr  in  dem  vorjährigen  März  eine  längere  Störung,  wesshalb  auch  da- 
iV.  Jahrb.  f.  Phil.  u.  Päd.    od.  Krit.  Bibl.  Bd.  LMU.Hft.  2.  14 


210  Schul-  und  Universitätsnachrichten, 

mals  kein  Programm  ausgegeben  worden  ist.  Aus  dem  Berichte  über  die 
beiden  Schuljahre  Ostern  18-47 — 49  heben  wir  folgende  Notizen  aus. 
Oütern  1847  wurde  der  vorher  an  den  bVanke'schen  Stiftungen  zu  Halle 
beschäftigt  gewesene  Schulamtscaudidat  Dr.  Krahner  als  ausserordent- 
licher Hülfslehrer  angestellt.  Der  israelitische  Religionsunterricht ,  wel- 
chen seit  Ostern  1847  der  Dr.  Sachs  ertheilte,  wurde  im  Wintersemester 
von  1848 — 49  wieder  eingestellt,  weil  bei  dem  mangelnden  Zwange  sich 
zu  wenige  Schüler  an  demselben  betheiligten.  Der  Prof.  Low  war  wäh- 
rend des  ganzen  letzten  Schuljahres  anfangs  als  Beauftragter,  dann  als 
Abgeordneter  in  Frankfurt  a.  M.  abwesend.  Dr.  Kock  1.  war  ebenfalls 
längere  Zeit  von  seinem  Berufe  entfernt,  um  seiner  Landwehrpflicht  Ge- 
nüge zu  leisten.  Nach  den  Sommerferien  1848  trat  der  Schulamtscau- 
didat Dr.  Löwenthal,  israelitischer  Confession,  sein  Probejahr  an ;  dagegen 
schieden  Mich.  dess.  Jahres  die  Schulamtscandidaten  Dr.  Mings,  an  das 
Gymnasium  zu  Trzemeszno  versetzt,  und  Dr.  Gcssncr,  um  eine  Reise  nach 
Paris  anzutreten.  Der  zu  derselben  Zeit  zur  Abhaltung  des  Probejahres 
eintretende  Schularats-Candidat  Dr.  Kock  IL  wurde  bald  darauf  zum  zwei- 
ten Male  zum  Landwehrdienst  aufgeboten.  Mit  dem  1.  Januar  1849 
wurde  der  Gymnasiallehrer  Dr.  Rymarkiewicz  an  das  Mariengymnasium, 
dagegen  von  diesem  der  Gymnasiallehrer  Dr.  Ilepke  an  das  Fr.- W. -Gym- 
nasium ver.^etzt.  Das  Lehrercollegium  bestand  demnach  Ostern  1849  aus 
dem  Director,  Consistorial-  und  Schulrath  Dr.  Kiessling,  den  Proff.  Mar- 
tin, Dr.  Müller,  Low  und  Schünborn,  dem  Oberlehrer  Müller,  den  Gym- 
nasiallehrern Ritschi,  Dr.  Kock  L,  Dr.  Ilejike  und  Dr.  Tieder  (vorher 
Hülfslehrer,  seit  dem  12.  Februar  1849  als  wirklicher  ordentlicher  Lehrer 
ancestellt),  Präbendarius  Grandke,  den  Lehrern  Brüllow  und  Hüppe,  Divi- 
sionsprediger Bork,  den  Hülfslehrern  Dr.  Krahner,  Iloffmann  und  JVendt, 
den  Schulamtscandidaten  Dr.  Löwenthal  und  A'ocfc  //.  und  dem  Lehrer 
llielscher.  Die  Frequenz,  welche  im  März  1848  in  Folge  der  Zeitereig- 
nisse sehr  vermindert  wurde,  betrug: 

L      II.    III a.    Illb.    IV a.      IV b.      V.     Vorb.-Cl.    Sa. 

75        71        79         95         428 
87        84        67       111         443 
66        55        56         76         366 
78        59        47         81         369 
-wobei  zu  bemerken,  dass  IV  a.  in  zwei  Cötus  geschieden  ist.      Zur  Uni- 
versität gingen  Ostern    1848   2,   Ostern  1849  5.       Von    Ostern    1848  an 
wurde  auf  Antrag  des  Collegiums  der  Beginn  des  griechischen  Unterrichts 
nach  Untertertia,    der  des   französischen   nach   Oberquarta   verlegt.      Da 
bei  dem  Mangel  eines  Realgymnasiums  in  der  Stadt   häufige   Gesuche  um 
Dispensation  vom  Griechischen  vorkamen,   so  hat  das   Provinzial -Schul- 
Collegium  angeordnet,  dass  ihm  darauf  gerichtete  Gesuche  zur  Kntschei- 
dung  in  den  einzelnen  Fällen  vorzulegen  seien.  —  Den  Schulnachrichten 
vorausgeschickt   sind   Beiträge  zur    Geographie  Kleinasiens.      Vom  Prof. 
Schönborn  (27  S.  4.).      Die  Geographie  des  südlichen  Klelnasiens   hat  in 
neuester  Zeit  durch  Kiepert'»  Karte  (Berlin,   1844),  hauptsächlich    aber 
durch  die  Engländer  Daniell,  Spratt  und  Forbes  (Travels  in   Lycia ,  Mi- 


Sommer  1847    9 

25 

29 

45 

Wint.  47-— 48    8 

23 

24 

39 

Sommer  1848  11 

25 

27 

51 

Wint  48—49  12 

25 

27 

40 

I 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  211 

lyas  and  the  Cibyratis  in  Company  with  Daniell  by  Lieut.  Spratt  and  Prof. 
Forbes,  in    two  volumes.    London,   1847)  sehr  Viel  gewonnen;   dennoch 
bleibt  noch  immer  Einiges  unerforscht,   Anderes  noch  zweifelhaft.      Nie- 
mand ist  wohl  über   solche  Punkte  Aufklärung   zu   geben  befähigter,  als 
der  Hr.  Verf.  der  erwähnten  Abhandhing,  welcher  mit  der  Autopsie  das 
gründlichste  Studium  der  Alten  und   einen  tief  eindringenden   Scharfsinn 
verbindet.      Die  Bedeutung  seiner  Schrift  vor  Augen  zu   legen,   versucht 
Ref.  einen  möglichst  gedrängten  Auszug  zu  geben.      Dieselbe  ist  zwar  in 
zwei  Theile  getrennt,  diese  aber  stehen  in  so  engem  Zusammenhange  und 
Richtung  auf  dasselbe  Ziel,  den  Marsch  Alexander's  des  Grossen    durch 
Lycien  festzustellen,  dass  wir  sie  nicht  auseinander   zu  halten  brauchen. 
Der  Hr.  Verf.  geht  davon  aus,  dass  der  Zug   Alexander's    durch  Lycien, 
obenhin  angesehen,  dem  ihm  von  Arrian.  L24, 3  (wir  geben  mehrere  kleine 
Fehler   in  den  Citaten  berichtigt)  zugeschriebenen  Zwecke  nicht  zu  ent- 
sprechen scheine,   da   Alexander  nur  an  zwei  Punkten,  bei  Patara  und  im 
Osten,  die  Küste  berührt  habe.     Die  am  angef.  O.  4  erwähnten  30  klei- 
neren Städte  sind  nicht  Seestädte  gewesen,  die  Gesandten  dieser  erschei 
nen  erst  in  der  Milyas  bei  ihm.      Der  Grund  für  das   Verlassen    der  See- 
küste ergiebt  sich  leicht  daraus,    dass  ein    Marsch   von  Patara  an   der 
Küste  weiter  nicht  nur  nutzlos,  sondern  auch  gefährlich  gewesen   wäre, 
zumal  da  Alexander  Eile  hatte.      Wenn  nun  Alex,  die  Seeküste  bei  Patara 
vcrliess  und  nordwärts  durch  das  Thal   des   Xanthus   und   die  Pässe  und 
Hochebenen  der  Milyas  gegen  Osten   zog,  so   rauss    man   sich   wundern, 
warum  er  sich  noch  einmal  der  Küste  zugewandt,   wozu  ihm   der  einzige 
Weg  durch  das  Arycanda-Thal  offen  stand.      Gegen  Plutarch  (Alex.  17), 
welcher  einen  romantischen  Schmuck,  und  Droysen  (Gesch.   Alex.  d.  Gr. 
p.  137),  welcher  in  einer  Einladung  die  Ursache  sieht,    haben   die   engli- 
schen Reisenden  (I.  p.  198)  gewiss  gemacht,  dass  Alex,  den  Umweg  über 
Phaselus  wählte,  um  Termessus  von  der  Seite,  von  welcher  es  allein  an- 
greifbar war,  einzunehmen.      Die  Lage  von  Termessus  (an  dem  südw. 
Ende  der  Milyas,  Isinda  oder  Isionda  gegenüber ,  den  aus   der  pamphyli- 
sehen  Ebene  nach  der  Milyas  und  Cibyratis  führenden  Pass  beherrschend) 
war  schon  aus  Strab.  XIII.  4  und  XIV.  3,  9.  p.  606  Gas.   bekannt,  aber 
erst  die  Wiederauffiiidung  der  Ruinen,  von  welchen  der  Hr.    Verf.   eine 
ausführliche  Beschreibung  giebt,  machte  deutlich,  wie  schwierig  der  An- 
griff auf  sie  gewesen.      Rücksichtlich  der   Schreibung  des   Namens   ver- 
weist derselbe  auf  Wesseling    zu  Diod.  XVIII.  45   und  die  Erklärer   zu 
Dionys.  Perieg.  859  und  Steph.  Byz.  s.  v.  TsQ^uGGÖg^  die  Inschriften  und 
Münzen  bezeugen  TsQurjGGos,     Strabo  a.  a.   O.  sagt  ausdrücklich,  dass 
Alex.  Termessus  eingenommen.      Der  Hr.  Verf.  verrauthet,  dass  bei  Arr. 
L  26,  1  und  2  für  Tlsgyrig  zu   schreiben  sei    TsQfirjacov ,   und  zwar  mit 
folgenden  überzeugenden  Gründen:   Perge   lag  am   Nordsaume  der   pam- 
phylischen  Ebene,  etwas  westlich  vom  Flusse  Cestrus  bei  dem  jetzigen 
Mürtana,  folglich  dem  Alex,  auf  dem   Marsche  nach  Side  ganz   aus  dem 
Wege;  sie  konnte  auch,  da  sie  nicht  fest  und  unbedeutend   war,  bei   der 
Eile,  welche  er  hatte,  seine  Aufmerksamkeit  nicht  auf  sich  ziehen.    Wich- 
tiger ist,  dass  der  Zug  der  Truppen  durch  die  Berge,  wenn  man  WQyrjg 

14* 


212  Schul-  und  Universitätsnachrichten, 

festhalt,  weil  weder  dem  Alex,  an  der  Besetzung  der  Pässe  in   den  hohen 
Bef^en  etwas  liegen  konnte,  noch  bedeutende  Städte  einzunehmen  waren, 
ganz  unnütz  erscheint,    zumal   da  ein    AngrilT  von   den    Bergen   aus   auf 
Perge  niemals  in  der  Absicht  eines  Heerführers  liegen  konnte,  weil  man 
von  den  Bergen  an  immer  noch  bis  zur  Sladt  einen  stundenlangen  Marsch 
durch  die  Ebene  hat.      Hätte  Alex,  durch  die  Truppen,  welche  durch  die 
Berge  marschirten,  einen  bedeutenden  Platz  einnehmen  wollen,  so   hätte 
dies  nur  die   an  dem    nördlichen   Ende    der  INlilyas   gelegene  Stadt  sein 
können,  die  er  später   nicht   eingenommen  hat,  schwerlich   also  zweimal 
»ird  angegriffen  haben.      Das  Entscheidendste  aber  ist,  dass   ein  Marsch 
von  Phaseiis  aus  gegen   Norden   durch   die    Berge  in  der  Richtung   von 
Perge    wegen   der    Beschaffenheit  des   Terräns,    dem    selbst    Fusssteige 
fehlen,    geradezu   unmöglich  ist.      Als  Veranlassung    zu  der   Corrnption 
nimmt  der  Hr.  Verf.  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  an,  dass,  weil  1.27,5 
ein  erfolgloser  Angriff  auf  eine  Stadt  Namens  Termessus  erwähnt  werde, 
die  Abschreiber,  diese    für  dieselbe  Stadt    mit  jener  haltend,   Perge  än- 
derten.     Da  Arrian  noch  andere  geographische   Irrthümer  begangen  hat, 
>\ie  I.  24,  4  rücksichtlich  der  Lage  von  Pinara,   so  könnte  man   nach  des 
Ref.  Meinung  vielleicht  auch  dem  Schriftsteller  selbst  die  Aenderung    des 
in  seinen  Quellen  gefundenen   Namens  zuschreiben.      Der  Hr.   Verf.  fügt 
übrigens   der  Begründung  seiner   Ansicht  bei,  dass  die  Worte  Arrian's 
ganz    genau   mit    der  aus    der  Oertlichkeit  zu  erschliessenden   Art,   wie 
die  Stadt  allein  eingenommen  werden  konnte,   übereinstimmen,  und  dass 
der  Weg  schwierig  war,  obgleich  er  die  Hauptschwierigkeit  nur  in  dem 
Schnee  finden  zu  müssen    glaubt.       Daran   knüpft  derselbe  sodann   einen 
Gef^enstand,  rücksichtlich  dessen  er  ganz  entschieden  von   den  englischen 
Reisenden  abweicht.      Dass  der  bei  Diod.  XVII.   28   erwähnte,  auf  dem 
Zuge   durch    das   Gebirge   der    Solymer   vorgekommene   Vorfall  mit  der 
Stadt  Marmara  dasselbe  Ereigniss  mit  dem  von  Arrian  I.  24,    6  berichte- 
ten sei,  darüber  sind  fast  Alle  einig,  aber  die  Lage  der  Stadt  steht  nicht 
fest.      Die   englischen  Reisenden  I.  p.  199  ff.  haben  die  Thracier  bei  Ar- 
rian I.  26,  1  nicht  für  Truppen  des  Alexander,  sondern  für  in  jenen  Ge- 
genden ansässige,  welche  nur  als   Wegweiser  dienten,  angenommen  und 
aufgestellt,  dass  sie  am  Ende  des  Tschandir-Thales,  wo  sie  Ruinen   ge- 
funden, gewohnt  hätten.      Der  Stadt,  deren  Ruinen  sie  fanden,   gaben  sie 
nach  einer  aufgefundenen  Inschrift,  welche  aber   nur   die  Buchstaben  All 
enthält,  den  Namen  Apollonia  und  bezogen  auf  dieselbe  auch  eine  Münze 
bei  Arundel  mit  der  Inschrift  ATlOA.  COA.  AVK.      Wegen  der  Lage  von 
Marmara  wagten  sie  keine  Bestimmung,  doch  nahmen  sie  es  in  der  Nähe 
von  jener  an.      Daniell  hat  seine  neue  abweichende  Ansicht  (II.  p.  12  ff.) 
nicht  begründet.      Der  Hr.    Verf.  dagegen   hält  die  am    Bergkamme  des 
Kestepdagh   gefundenen  Ruinen  für  Marmara    und  verwirft  die   Ansicht 
jener  Reisenden  mit  folgenden  Gründen:  1)  Die   Thracier  werden    von 
Arrian  nicht  bei  dieser  Gelegenheit  erwähnt,  sondern  bei  einer  ganz  an- 
deren, und  zwar  nicht  als  Wegweiser,  sondern  als  Wegbahner,   zu  wel- 
chem Geschäfte  sie  bei  dem   Terrän  ihres  Heimathlandes   ganz  geeignet 
waren;  ohnehin  fällt  das  Bedürfniss  von  Wegweisern  ganz   hinweg,  da 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  213 

nach  Arrlan  die  doch  zweifellos  mit  dem  Wege  bekannten  Phaseliten  den 
Zug  mitmachten.  2)  Die  im  Tschandirthale  Wohnhaften  waren  nicht 
Nachbarn  der  Phaseliten,  wohl  aber  die  am  Kcstep-dagh.  Jene  hätten, 
um  die  Aeck'er  der  Phaseliten  zu  plündern,  erst  durch  das  Gebiet  von  dem 
angenommenen  Apollonia  ziehen  müssen  und  ihrer  Raubsucht  hätte  die 
nähere  pamphyli^jche  Ebene  eine  viel  günstigere  Gelegenheit  geboten. 
3)  Die  zwei  Buchstaben  können  keine  Beweiskraft  haben,  zumal  da  sonst 
nirgends  eine  Stadt  Apollonia  in  Lycien  erwähnt  wird.  Eine  Insel  dieses 
Namens  führt  Steph.  Byz.  an  und  auf  diese  sind  die  Münzen  mit  dem 
Namen  bezogen  worden  und  ist  wahrscheinlich  auch  die  oben  erwähnte 
bei  Arundel  zu  beziehen.  4)  Die  Lage  des  Tschandirthales  passt  nicht 
zu  dem,  was  Diodor  erzählt.  Der  Hr.  Verf.  nimmt  weiter  an  ,  dass  der 
Zweck  des  Zuges  für  Alex,  die  Recognoscirung  der  Gebirgsgegenden 
war,  und  dass  er  ihn  mit  dem  Theile  der  Truppen  unternahm,  welcher 
dann  weiter  durch  das  Gebirge  ziehen  sollte.  Da  der  Name  Marmara 
sonst  nicht  w  eiter  vorkommt,  so  glaubt  er,  dass  vielleicht  in  den  Concilien- 
unterschriften  o  Mugtuvqov  ,  6  Mccovccvqcov  (Codin.  ed.  Goar.  p.  337. 
368  und  381)  ein  Anklang  daran  zu  finden  sei.  Ehe  wir  uns  zum  zwei- 
ten Theile  wenden,  durch  welchen  Mehreres  im  ersten  Theile  festere  Be- 
gründung erhält,  theilen  wir  die  von  dem  Hrn.  Verf.  in  einer  Anm.  S.  21 
bis  23  gegebene  Untersuchung  über  die  Grenzen  der  Milyas  und  Ciby- 
ratis  mit,  über  welche  die  Geographen,  Mannert  Klein-As.  H.  p.  146, 
Gramer  descr.  of  As.  min.  II.  p.  267,  Forbiger  Alte  Geogr.  II.  p.  249. 
258.  330.  324  Anm.  17,  sehr  in  Unklarem  sind.  Hr.  Prof.  Schönborn 
bemerkt,  dass  die  Klage  des  Strabo  über  Unklarheit  sich  auf  etwas  An- 
deres beziehe,  als  was  man  gewöhnlich  glaube.  Aus  den  Stellen  XIV. 
3,  9  und  XIII.  4,  17  ergeben  sich  die  Grenzen  von  Termes^us  bis  Saga- 
lassus  und  Apamea,  duichweg  feste  Naturgrenzen,  wie  auch  das  Land, 
als  von  mehreren  Bergketten  durchzogene  Hochebene,  mit  Recht  von  dem 
Schriftsteller  oobivi]  genannt  wird.  Damit  stimmen  eben  so  Strab.  XII, 
7,  1,  als  Arr.  I.  24,  5  überein.  Die  Cibyratis  dehnt  sich  nach  den  ihr  zu- 
getheilten  Städten  und  deren  Ruinen  gegen  W.  bis  auf  die  Karajukebene 
und  d  n  Caibis  (Gerenistschai)  ,  gegen  S.  bis  Oenoanda,  dem  Akdagh 
und  dem  Almalü-  oder  Susus-dagli,  gegen  O.  bis  zur  INIilyas,  gegen  N.  je- 
denfalls bis  an  den  Rahatdagh  und  das  Flussgebiet  des  Gebremtschai  aus. 
Damit  stimmt  Strabo's  Angabe  XIII.  4,  17,  da  die  Berührung  mit  der 
rhodi^^chen  Peraa  am  Caibis  stattfand.  Ausdrücklich  berichtet  derselbe 
Schrifisteller,  dass  die  Landschaft  früher  Cabalis  geheissen,  welcher  Name 
sich  daher  bei  Herodot,  der  III,  90  über  die  Lage  offenbar  mit  Strabo 
übereinstimmt,  allein  findet.  Mit  der  abnehmenden  Macht  Cibyra's  kam 
theils  der  alte  Name  wieder  zur  Geltung,  theils  von  anderen  Städten  her- 
genommene. Daher  ist  nicht  zu  verwundern,  dass  Ptolemäus  und  Plinius 
Cibyratis  und  Cabalia  als  verschiedene  Landschaften  aufführen.  Wenn 
bei  dem  Ersteren  die  Milyas  weiter  gegen  Süden  gerückt  erscheint,  so 
ist  anzunehmen,  dass  sie  ihren  früheren  Haupttheil  an  die  Cabalia  ver- 
loren. Es  kann  kein  Anstoss  genommen  werden  an  Plin.  H.  N.  V.  32,  42, 
indem  Ptolemäus  die  Lande  sowohl  Lycien,  als  auch  Pamphylien  zuweist, 


214  Schul-  und  Universitätsnachrichten, 

und  da  die  Lycischen  Hochebenen  durch  einen   einzigen  Pass   von  Ary- 
canda  getrennt  sind,  so  wird  auch  die  Stelle  V.  27,  25  verständlich.     Die 
bei   Ptülom.   genannte  Stadt  Milyas  ist   wohl  in  der  Nähe    des  jetzigen 
Milly,  Cabalis  beim  jetzigen  Kolnien  zu  suchen.      In  dem  zweiten  Theile, 
in  den  die  so  eben  ausgezogene,  für  die  Geographie  wichtige   Bemerkung 
eingeschaltet  ist,  geht  der  Hr.  Verf.  davon  aus,  dass  der  Zugang  zur  Mi- 
Jyas  in  der  Gewalt  zweier  Städte  lag,  von  W.   her  von  Termessus,  von 
der  Küstenebene  gegen  Norden  hin  in  den  Händen  der  Stadt,  deren  (aus- 
führlich in  der  Abhandlung  beschriebenen)  Ruinen  bei  Padam  aghatsch  an 
der  Westseite  der  ersten  Hochebene   über    dem   pamphylischen  Küsten- 
lande   eine    Tagereise   von  Adalia    entfernt   liegen.      Den    Namen   dieser 
Stadt  bezeichnet  Kiepert  auf  seiner  Karte   Kretopolis?,   die  Engländer 
Termessus  minor.      Aus  Polyb.  V.  72  wird  zur  Gewissheit,  dass  die  Stadt 
Cretopolis  und  der  Pass,  wie  sich   schon  aus  seiner   physischen  Beschaf- 
fenheit erklärt,  Klimax  hiess,  da  alles  dort  Erzählte  mit  der   Oertlichkeit 
auf  das  Allergenauste  übereinstimmt.      Damit  stimmt  auch  Alles  das,  vsas 
Diodor  XVHI.  44  berichtet,  zumal  -wenn  man  annimmt,  dass  das  Lager 
des  Alcetas  sich  an  der  Südseite  des  Berges  oder  im  Passe  selbst  befand. 
Arrian  I.  27,  5  endlich  beweist,  dass  die  Stadt  früher   Termessus  geheis- 
sen.      An  das  andere  früher  beschriebene  Termessus  zu  denken,  verbietet 
dessen  westliche  Lage,  so  wie  die  Beschaffenheit  des  Passes,   welcher 
nicht  so  schmal  ist  und  nicht  von  den  Bergen  zur  Seite  vertheidigt   wer- 
den kann,  endlich  die  Umstände,  dass  dort  der  Weg  nicht  in  die  Nähe 
der  Stadt  führt,  ein  Raum  aber,  um  vor  der  Stadt  ein  Lager  zu  schlagen, 
gar  nicht  vorhanden  ist,  während  alles   Erzählte   auf  Cretopolis   trefllich 
passt.      Wenn  nun  auf  Münzen  und  Inschriften  der   vsestlichen  Stadt  sich 
TsQu-qacscov  ^sl^ovoov  findet,  so   macht  dies  die   Existenz   einer  zweiten 
desselben  Namens,  im  Gegensatze  davon  minor  genannt,  nothwendig  und 
Dionys.  Perieg.  859  bezeugt  dies  ausdrücklich.      War  aber  das  zweite 
Termessus  eine  Colonie  des  ersteren,  so  erklärt  sich  auch  die  grosse  Be- 
deutung,   welche    von    den    Alten   dem   letzteren   beigelegt   wird.      Der 
W^echsel  der  Namen  kann  in  Lycien  durchaus  nicht   auffallen  und   fällt  in 
Betreff  derselben  Stadt  noch  einmal  vor,  indem  Cretopolis  im  Mittelalter 
Sozopolis  und  Susopolis  (Susus  bei  Paul  Lucas)  heisst.      Es  fallen  dem- 
nach die  Ansichten  der  Engländer  I.  p.  231   über   die  Stelle  des  Arrian 
und  Droysen's  (p.  141)  Meinung,  dass  Perge   den  Schlüssel  zum   Ueber- 
gange  über  die  Berge  hält.      Der  Marsch  Alexander's  des  Grossen  wird 
demnach  durch  den  Hrn.  Verf.  also  bestimmt:  Er  erobert,  von   W.  kom- 
ment,  das  Xar.thuithal  bis  zur  Küste,  kehrt  dann  durch  dasselbe   gegen 
Norden  zurück  ,  wendet  sich  bei  der  Annäherung  an   die   Tcrmessischen 
Engpässe  (oder  Isinda)  über  die  Almalüebene  und  das  Arycandathal  aber- 
mals zur  Südküßte,  geht  von  Phaseiis  aus  an  der   Ostküste  Lyciens  nach 
Termessus  maior  und  zerstört  es,  rückt  dann  gegen  Ost  nahe  an  der  Küste 
bis  Side  vor  und  zieht  von  da  über  Perge  nach  Termessus  minor,  kann 
aber  diese  Stadt  nicht  erobern   und  begnügt  sich  daher  mit  der  Gewin- 
nung des  Weges.      Ein  sehr  grosses  Verdienst  würde  sich  der  Hr.   Verf. 
erworben  haben,  wenn  er  seiner  ausgezeichneten  Abhandlung  eine  Karte 


Beförderungen  nnd  Ehrenbezeigungen.  215 

zugegeben  hatte.      Die  von  Kiepert  der  Sintenis'schen  Aui;gabe  des  Arrian 
beigegebene  genügt  nicht,  um  die  Sachen  sich  deutlich  zu  machen. 

[D.] 

Wertheim.  Nach  einem  Erlasse  des  Grossherzoglichen  Oberstu- 
dienrathes  vom  12.  März  1849  ist  der  seit  dem  3.  Novbr.  1845  am  hiesi- 
gen Lyceum  angestellte  Lehramtspraktikant  Ferdinand  Gaspari  definitiv 
zum  Lyceallehrer  ernannt  worden,  unter  Zusicherung  der  damit  verbun- 
denen Rechte  *).  —  Durch  die  Uebertragung  der  evangelischen  dritten 
Pfarrei  zu  Wertheim  an  den  nach  dem  Abgange  des  Prof.  Tlcrtlein  an  das 
Lyceum  zu  Mannheim  (NJahrbb.  Bd.  LV.  Heft  3.  S.  349)  provisorisch 
angestellten  Lyceallehrer,  Vicar  MühUiäusser ,  wurden  die  Lehrstunden 
desselben  an  dem  Lyceum  wöchentlich  auf  14  Stunden  beschränkt,  näm- 
lich 8  Stunden  Unterricht  in  der  Religion  für  Protestanten  und  6  Stunden 
im  Hebräischen  in  3  für  Protestanten  und  Katholiken  gemeinschaftlichen 
Abtheilungen.  Dagegen  wurde  durch  Erlass  des  Grossherzogl.  Ober- 
studienrathes  vom  2.  April  1849  der  bisherige  Lehramtspraktikant  an  der 
höheren  Bürgerschule  zu  Buchen,  G cor ^  Arnold  aus  Karlsruhe,  als  sol- 
cher am  hiesigen  Lycenm  angestellt.  Nach  dem  Abgange  des  Turn-  und 
Schwimmlehrers  JVilhclmi,  Anfangs  October  1848,  wurde  der  Turnunter- 
richt in  3  Abtheilungen  ertheilt,  und  zwar  während  des  Wintersemesters 
durch  die  Classenlehrer,  seit  Ostern  aber  unterrichtete  Professor  Föhlisch 
(Sohn  des  Directors  der  Anstalt)  alle  Schüler  corabinirt  und  die  Vortur- 
ner besonders. 

Durch  Erlass  des  Grossh.kathol.  Oberkirchenrathes  v.  31.  März  1849 
sind  an  8  vorzügliche  kathol.  Lyceisten  und  zwar  an  2  aus  Qnarta  jedem 
25  fl.,  an  4  aus  Untersexta  jedem  50  fl.  u.  2  ans  Obersexta  jedem  75  fl.,  also  im 
Ganzen  400  fl.  als  Stipendium  für  das  Schuljahr  1848 — 49  zu  dem  Zwecke 
ihres  Studiums  der  katholischen  Theologie  ertheilt  worden. 

Im  Laufe  des  Schuljahres  besuchten  139  Schüler  die  Anstalt,  und 
zwar  92  Protestanten,  42  Katholiken  und  5  Israeliten.  Bei  dem  Schlüsse 
des  Schuljahres  waren  111  anwesend.  Im  Schuljahre  1847 — 48  betrug 
die  Gesammtzahi  der  Schüler  153  und  bei  dem  Schlüsse  des  Schuljahres 
waren  noch  134  anwesend  (NJahrbb.  a.  a.  O.  S.  350). 

Die  wissenschaftliche  Beilage,  welche  mit  dem  Programme  ausgege- 
ben wurde,  ist  von  dem  Director  des  Lyceums,  Geheimen  Hofrathe  Dr. 
,/.  G.  E.  FuhliscJi,  verfasst  und  gJebt  eine  :  ,, Erklärung  zweier  Oden  des 
Iloraz  (/.  4;  1.  11)  von  Friedrich  August  Wolf,  mit  Vorerinnerungen, 
Wertheim,  Druck  der  Nie.  Müller'schen  Buchdruckerei.  1849.  43  S.  gr.  8." 


'•')  Durch  das  Grossherzogl.  Badische  Staats-  und  Rejsierungsblatt 
vom  29.  August  1840,  Nr.  27  wird  ausgesprochen ,  dass  das  Staatsdiener- 
Edict  von  18l9  auf  die  Vorstände  und  Hauptlehrer  an  der  polytechni- 
schen Schule ,  den  Lyceen ,  Gymnasien ,  Pädagogien ,  höheren  Bürger- 
schulen, Schullehrerseminarien ,  am  Blindeninstitute  und  der  Veterinär- 
schule, welche  mit  landesherrlichem  Anstellungspatent  versehen  sind, 
Anwendung  finde.  Nur  die  Vors<ände  der  gedachten  Anstalten  und  die 
Hauptlehrer  in  wissenschaftlichen  B\ächern  erhalten  Anstellungspatente 
(vergl.  §.  1  dieses  Gesetzes). 


216  Schul-  und  Universltätsnachrichten, 

Den  grössten  Theil  der  Schrift  (S.  1 — 32)  nehmen  „Vorcrinncrun- 
gcn  aus  der  Vergangenheit  für  die  Schule  der  Gcgenwart'^^  ein,  welchen 
als  Motto  die  Stelle  aus  Persius  vorgesetzt  ist:' 

O  curas  hominum !  o  quantum  est  in  rebus  inane  1  — 
Quis  leget  haec?  — 
Die  Schrift  selbst  widmet  der  ehrwürdige  Verfasser,  welcher  jetzt  über 
40  Jahre  *)  mit  segensreichem  Erfolge  an  der  Gelehrtenschule  in  Wert- 
heim wirkt,  den  IVlanen  Friedrich  August  Wolfs,  welchen  er  als  seinen 
Lehrer  in  der  Alterthumswissenschaft  verehrt,  um  der  Jugend  den  Weg 
anzudeuten,  auf  welchem  dieser  verdienstvolle  Mann  seine  Schüler  in  die 
Kunsthallen  des  Alterthums  einzuführen  suchte.  Wie  so  viele  junge 
iNlänner,  welche  sich  zu  Halle  der  Theologie  widmeten,  verdanktauch  der 
Verfasser,  welcher  an  Ostern  1798  die  Hochschule  zu  Halle  bezog  (S.  5), 
den  Vorträgen  Wolfs  seine  spätere  Richtung  in  die  Alterthumswissen- 
schaft, so  wie  dem  Vorstande  der  Franke''schen  Stiftungen,  A.  Niemeyer, 
seine  pädagogische  Schulbildung  (S.  6).  Wolf  widmete,  in  der  Ueber- 
zeugung,  dass  gründliche  Reformen  der  Schulen  wie  des  Staates  und  der 
Kirche  weniger  von  neuen  Formen  ihrer  Verfassung  abhängen,  als  von 
dem  guten  Geist  der  Lehrer  und  Beamten,  welche  sie  beseelen,  seine  be- 
sten Kräfte  zunächst  der  Bildung  von  Schulmännern,  indem  er  in  seinem 
Seminar  eine  Pflanzschule  derselben  zu  begründen  suchte  (S.  11).  Er 
unterhielt  sich  mit  seinen  jungen  Freunden  von  der  einfachen  Sprach- 
regel bis  zu  den  Gesetzen  der  höheren  Kritik  unter  Scherz  und  Ernst  im 
lebhaften  Wechselgespräche  und  begeisterte  sie  für  ihren  künftigen  Be- 
ruf.     Es  fehlte  nur  noch  an  pädagogischen  Vorschulen  für  Lehrer,   wel- 


*)  Es  sei  uns  gestattet,  Einiges  ans  dem  L»ben  dieses  Mannes,  wel- 
cher zu  den  ältesten  und  verdienstvollsten  Schulmännern  Badens  gehört, 
hier  mitzutheilen.  Wir  entnehmen  unsere  Mittheilung  aus  dem  ,  was  er 
selbst  S.  5  der  vorliegenden  Schrift  in  einer  Note  giebt.  Geboren  den 
19.  Febr.  1778  zu  Bärge  bei  Sagan  in  Niederschlesicn,  verlebte  er  in 
der  Nähe,  zu  IMallmitz  ,  wohin  seine  Eltern  bald  nachher  übersiedelten, 
im  freundlichen  Boberthale,  das  der  kunstsinnige  Graf  Fabian  zu  Dohna 
noch  durch  geschmackvolle  Anlagen  verschönert  hatte,  ein  frohes  Kna- 
benalter. Das  Leben  in  der  Natur,  die  Bibel  und  Friedrichs  IL 
W^erke  erweckten  schon  in  früher  Jugend  Liebe  zu  Gott,  Fürst  und 
Vaterland.  iSach  dem  Besuche  der  Dorfschule  (1783 — 1792)  ging  er 
1792  in  das  W^aisenhaus  zu  Bunzlau  über,  zugleich  eine  Gelehrtenschule, 
welche  Maurermeister  Zahn  1757  im  Vertrauen  auf  Gott  mit  sehr  ge- 
ringen Mitteln  begründete  und  nach  dem  Vorbilde  des  Halle'schen  Wai- 
senhauses zu  gleichem  Zwecke  einrichtete.  Zu  Ostern  1798  bezog  der 
Verfasser  die  Hochschule  zu  Halle,  um  sich  auf  der  Grundlage  der  Phi- 
losophie der  Theologie  und  Philologie  zu  widmen.  Im  Jahre  1802  wurde 
er,  nachdem  er  einige  Zeit  an  einer  höheren  Privatschule  der  Stadt  für 
Knaben  und  Mädchen  unterrichtet  und  zugleich  einem  angehenden  Came- 
ralisten auf  der  Hochschule  zum  Führer  gedient  hatte,  an  dem  Königl. 
Pädagogium  zu  Halle  als  Lehrer  angestellt.  Im  Jahre  1809  wurde  er  als 
Conrector  an  das  Cdamalige)  Gymnasium  in  Wertheim  berufen,  wo  er 
fortzuwirken  gedenkt,  bis  er  in  die  höhere  Schule  jenseits  abgerufen 
wird. 


I 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  217 

che  er  durch  seine  Consilia  scholastica  einzuleiten  suchte  (S.  12).  Dar- 
auf verbreitet  sich  Hr.  Fühlisch  ausführlich  über  die  Nothwendigkeit  einer 
tüchtigen  pädagogischen  Vorbildung  der  Lehrer,  denn,  sagt  er,  den  er- 
fahrenen und  ausgezeichneten  Pädagogen  Greife  als  Gewährsmann  anfüh- 
rend, in  unserer  Zeit  würden  weniger  gute  Fachlehrer,  Philologen,  Ma- 
thematiker, Geschichtslehrer,  Naturkundige,  Theologen  vermisst,  als  gute 
Pädagogen,  welche  in  einer  naturgemässen  Menschenbildung  und  in  der 
Kenntniss  ihrer  Entwickelungsgeschichte,  wozu  schon  der  schöne  Name 
einer  Schule  für  Humaniiät  einlade,  ihren  Hauptberuf  fänden.  Darauf 
dringt  'er  auf  die  Hebung  des  Lehrerstandes.  Man  befreie ,  heisst  es 
S.  13,  den  Lehrer  von  drückenden  Nahrungssorgen  und  gönne  ihm  eine 
der  Würde  und  Wichtigkeit  seines  Berufes  angemessene  Stellung  im 
Staate.  Den  Unterricht  selbst  soll  der  Geist  des  Christenthums  durch- 
dringen; die  Liebe  zu  Gott  und  göttlichen  Dingen,  welche  dem  Staate  zu 
wahren,  der  Kirche  zu  leiten  obliegt,  soll  in  der  Schule  genährt  und  ge- 
pflegt und  der  Streit  über  das  Verhältniss  zwischen  Staat,  Kirche  und 
Schule  sich  in  einen  liebevollen  Wettstreit  verwandeln  in  der  Ausbildung 
göttlicher  Geisteskräfte  zu  Einem  erhabenen  Zwecke,  vollkommen  zu 
werden,  ine  der  Vater  im  Himmel  vollkommen  ist.  Mit  der  Leitung  und 
Verwaltung  der  Schulen  sollen  aber  auch  nur  sach-  und  fachkundige  Män- 
ner betraut  werden,  die,  aus  Erfahrung  als  wissenschaftliche  Pädagogen 
und  Schulmänner  bewährt,  sich  selbstständig  bewegen  und,  bis  in  die 
obersten  Schulbehörden  vertreten ,  endgültig  im  Bereiche  ihres  Berufes 
entscheiden  können ;  der  lange  Weg  vom  Papiere  ins  Leben  soll  ver- 
kürzt, die  todte  schriftliche  Verhandlung  durch  das  lebendige  Wort  in 
der  Nähe  belebt  und  dadurch  der  wissenschaftliche  Schulmann  und  Pä- 
dagog  von  den  ihm  fremden  und  unfruchtbaren  Actenstudien  zu  den  Ge- 
schäften seines  Berufes  zurückgeführt  werden.  —  Doch  wir  brechen 
liier  die  interessanten  und  gehaltvollen  Bemerkungen  des  Verfassers  ab, 
welche  aus  dem  reichen  Schatze  seiner  vieljährigen  Lehrererfahrung 
geschöpft  sind,  und  gehen  zu  dessen  Mittheilung  der  Erklärung  der  oben 
genannten  Oden  des  Horaz  über. 

Ehe  der  Verfasser  diese  Erklärung  selbst  mittheilt,  glebt  er  in  le- 
bendigen Zügen  ein  Dild  der  Zeit,  in  welcher /^o// diese  Vorlesungen  hielt 
(S.  28 — 32).  Die  Universität  Halle  war  damals  von  etwa  1200  Studen- 
ten besucht.  Ausser  fVolf  waren  Nüsselt,  Knapp,  Eberhard,  Fichte,  Tief' 
trunk,  von  Jacob  u.  a.  Zierden  jener  Hochschule.  In  der  Nähe  von  Wei- 
mar und  Jena,  wo  unter  dem  Schirme  eines  kunstsinnigen  Fürstenhauses 
die  Koryphäen  der  deutschen  Poesie  und  Kunst,  wie  Schiller,  Goethe, 
Herder,  Wieland,  die  Gebrüder  Schlegel,  A,  von  Humboldt  u.  a,  den  Mu- 
sen ewig  blühende  Kränze  flochten ,  wurde  auch  die  academische  Jugend 
in  Halle  von  der  allgemeinen  Bewegung  dieser  grossen  Männer  lebhaft 
ergriffen  und  begeistert.  Diese  allgemeine  Anregung  zu  einem  Leben  in 
Wissenschaft  und  Kunst  blieb  auch  für  die  Schüler  Wolfs  nicht  ohne 
Einfluss.  Mit  Vorliebe  wandten  sich  Viele  den  Hörsälen  der  Philologie 
zu,  um  unter  Wolfs  (der  S.  4  praeceptor  Germaniae  genannt  wird)  Lei- 
tung die  Grundlage  der  höheren  Menschenbildung  und  die  Quellen  jeder 


218  Schul-  und  Universitätsnachrichten, 

Wissenschaft  und  Kunst  kennen  zu  lernen.  Aber  ihre  Vorbildung  war 
sehr  verschieden.  Von  der  scheinbaren  grammatischen  Kleinigkeit  und 
der  einfachen  Wort-  und  Sacherklärung  erhob  sich  JFolf  daher  bis  zur 
Ahnungsgabe  (Divination)  der  höheren  Kritik.  Er  bemühte  sich  durch 
Kntwickelung  der  Einheit  des  Gedankens  und  der  Form,  durch  genetische 
Ableitung  der  Gliederung  des  Kunstwerkes  aus  der  Idee  des  Ganzen  den 
Geist  des  Schriftstellers  darzustellen  und  daraus  eine  gründliche  Bildung 
aller  seiner  Zuhörer  zu  schöpfen.  Weniger  bezweckte  er  die  Fülle  ge- 
lehrter Kenntnisse,  als  allgemeine  Anregung  von  Ideen  und  Begeisterung 
für  Wissenschaft  und  Beruf.  Er  wollte  die /rcic  Thätigkeit  aller  Seelen- 
kräfte durch  die /rcj'en  Künste  wecken  und  stärken  und  zu  einem  acht 
menschlichen  und  höheren  Geistesleben  nach  dem  Vorbilde  des  jugend- 
frischen Alterthums  erheben.  —  Wiewohl  bei  seinem  freien,  geistvollen 
Vortrage  manche  Perle  desselben  wahrscheinlich  verloren  worden  ist,  so 
wird  doch  auch  der  folgende  ,,Schattenriss"  davon  ,  wie  es  der  Verfasser 
bezeichnet,  bei  seinen  Verehrern  noch  eine  liebe  Erinnerung  an  ihn  her- 
vorruf n.  Daran  knüpft  der  Verfasser  zugleich  den  Wunsch,  welchen 
gewiss  viele,  recht  viele  Freunde  und  Kenner  des  classischen  Alterthums 
theilen,  da>s  es  di.;r  Königl.  Preussischf^n  Regierung  bald  gefallen  möge, 
eine  Auswahl  aus  dem  handschriftlichen  Nachlasse  fFolfsj  den  sie  über- 
nommen, zu  veröffentlichen. 

Wolfs  Erklärung  der  oben  angegebenen  beiden  Oden  (im  Winter- 
semester 1801)  werden  (S.  33 — 43)  ohne  alle  Zusätze  mitgetheilt;  ein 
Verfahren,  welches  nur  lobend  anerkannt  werden  muss.  Vor  jeder  Ode 
steht  eine  Einleitung.  So  heisst  es  unter  Anderm  S.  33:  „Die  vierte  Ode 
des  ersten  Buches  ist  ein  Aufruf  zum  Genüsse  des  Lebens,  wozu  der 
P^'rühling  veranlasst.  Die  Beschreibung  desselben  ist  ein  Uebergang  zu 
dem  Satze:  ^^^^Genicssc  des  Lehens  und  zwar  besser  als  sonst;  denn  nichts 
üt  schneller  und  gewisser  als  der  Tod.'-'- "  Iloraz  behandelt  diese  Mate- 
rie oft,  aber  immer  neu,"  Von  der  elften  Ode  desselben  Buches  wird 
bemerkt:  ,,Sie  ist  ein  kleines  poetisches  Billet  an  eine  Dame,  die  Iloraz 
besser  gekannt  haben  wird,  als  wir.  Der  Name  ist  griechisch  ,  weil  er 
besser  klingt,  als  der  ihrige  vielleicht  geklungen  haben  mag.  Die  In- 
schrift ,,meretrix"  ist  erbärmlich,  denn  der  Inhalt  kann  jeder  Dame  gelten.'* 
Auf  die  Einleitung  folgt  eine  eben  so  geistreiche  als  belehrende  Erklärung 
der  einzelnen  Verse.  —  Der  Raum  gestattet  uns  nicht  näher  auf  dieselbe  ein- 
zugehen. Wir  verweisen  desshalb  auf  die  Schrift  selbst,  welche  kein  Leser 
ohne  Befriedigung  u.Dank  gegen  den  Herausgeber  aus  der  Hand  legen  wird. 

Wittenberg.  Am  dasigen  Gymnasium  arbeiteten  im  Schuljahre 
Ostern  1848 — 49  folgende  Lehrer  :  Director  Dr.  Schmidt,  Prof.  Görlitz, 
Conr.  Ifensch,  Dr.  Breilcnhach,  Dr.  Bernhardt,  Dr.  Becker  (bedurfte  we- 
gen Kränklichkeit  eines  langen  Urlaubs),  Hülfsichrer  Lomnitzer,  Zeich- 
iienlehrer  Schreckenherger,  Gesanglehrer  Musikdirector  Kloss.  Für  den 
erkrankten  Dr.  Becker  leisteten  der  Diaconus  JFalter  und  der  Predigtamts- 
Candidat  JFichmavn  Aushülfe.  Die  Schülerzahl  betrug  Ostern  1848: 
150,  zu  derselben  Zeit  1849:  153  (19  in  1.,  31  in  IL,  38  in  111  ,  30  in  IV. 
und  35  in  V.).      Abiturienten  waren  Ostern  1849  8.  —    In  der  Lehrvcr- 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  219 

fassung  war  in  dem  genannten  Schuljahre  eine  wichtige  Veränderung  ver- 
suchsweise gemacht  worden.  Auf  die  unter  dem  9.  Nov.  1846  von  dem 
Provinzial-Schulcollegium  an  die  Lehrercollegien  ergangene  Aufforderung, 
Vorschläge  zu  thun,  wie  den  durch  das  Vielerlei  der  Unterrichtsgegen- 
stände entstehenden  Uebelständen  der  Zerstreuung,  Erschlaffung  und 
Gleichgültigkeit  abzuhelfen  sei,  hatte  das  Lehrercollegium  ausgesprochen, 
dass  ihm  der  zvveckmässigste  Weg  in  dem  schon  im  Programme  Ostern 
1844  angedeuteten  Vorschlage  zu  liegen  scheine,  darin  nämlich,  dass  die 
beiden  alten  Sprachen,  an  deren  energischer  Betreibung  einmal  das  Ge- 
deihen und  das  Leben  der  Gymnasien  hange,  entschiedener,  als  dies  bisher 
der  Fall  gewesen,  als  Hauptgegenstände  in  den  Vordergrund  träten  und, 
um  Raum  für  sie  zu  gewinnen,  einige  der  übrigen,  namentlich  die  Ge- 
schichte und  die  Naturwissenschaften,  nicht,  wie  bisher,  ununterbrochen 
neben  ihnen,  sondern  in  dann  und  wann  eintretenden  halbjährigen  Zwi- 
schenräumen vorgetragen  und  die  dadurch  gewonnenen  Stunden  dem 
Sprachunterricht  zugelegt  würden.  Es  wurde  demselben  gestattet,  einen 
Versuch  damit  zu  machen,  und  ist  dieser  in  folgendem  Maasse  bewerk- 
stelligt worden:  Im  l.  Sem.  wurden  in  II.  und  III.  die  historischen  Stun- 
den zur  cursorischen  Leetüre  des  Salust  und  Nepos,  in  V.  die  naturhisto- 
rischen Stunden  ebenfalls  zur  lateinischen  Leetüre,  im  2.  Sem.  in  II,,  III. 
und  IV.  die  physikalischen  und  naturhistorischen  Stunden  zur  Leetüre  von 
Homer,  dem  Abschnitte  in  Schmidt's  und  Wensch's  Griech.  Elementar- 
buche über  Griechenlands  Geographie  und  Eutrop  verwendet,  und  ist  das 
Lehrercollegium  durch  den  Versuch  in  seiner  Ueberzeugung  nur  noch 
mehr  bestärkt  worden.  Ref.  macht  auf  diesen  Versuch,  eine  so  viel  be- 
sprochene und  in  der  That  einen  Angelpunkt  des  Gymnasialwesens  bil- 
dende Frage  zu  lösen,  um  so  mehr  aufmerksam,  als  er  einige  Bedenken  dabei 
nicht  unterdrücken  kann.  Nicht  zu  verkennen  ist,  dass  nach  einer  längeren 
Unterbrechung  des  Unterrichts  der  Schüler  mit  frischer  Lust  zu  demselben 
zurückkehrt,  nicht  zu  läugnen,  dass  die  Leetüre  eines  alten  Historikers 
zur  geschichtlichen  Kenntniss  von  selbst  führen  muss  und  dass  an  dieselbe 
bald  mehr,  bald  weniger  leicht  die  ganze  Geschichte  des  Volkes  ange- 
knüpft werden  kann;  allein  die  Frage  wird  sein:  Werden  in  der  Ge- 
schichte und  der  Naturwissenschaft  die  Leistungen  den  Anforderungen 
der  Zeit  entsprechen?  Wer  das  weite  Feld  jener  beiden  Wissenschaften 
überschaut  und  dabei  mit  der  sorgfältigsten  Auswahl  des  für  die  Schule 
geeigneten  und  nothwendigen  Stoffes  verfährt,  der  wird  die  demselben 
bei  der  halbjährigen  Unterbrechung  zugemessene  Zeit  zwar  zum  Vor- 
trage ausreichend  finden,  schwerlich  aber  zur  Befestigung  und  Einübung 
des  Stoffes.  Etwas  Anderes  wäre  es,  wenn  die  der  Geschichte  ausge- 
setzten Stunden  ein  Halbjahr  lang  dem  naturhistorischen  Unterrichte  und 
dann  zum  Ersätze  die  diesem  gegebenen  im  nächsten  Halbjahr  jener  zu- 
gewiesen würden.  Obgleich  Ref.  auch  gegen  eine  solche  Einrichtung 
manches  Bedenken  hegen  würde,  eine  Vereinfachung  wäre  dadurch  er- 
zielt, Dass  der  classische  Unterricht  den  Hauptmittelpunkt  der  Gymna- 
sien bilden  müsse,  daran  hält  auch  Ref.  fest,  allein  er  gesteht  daneben 
auch  den  Realien  eine  volle  Berechtigung  zu  und  stellt  für  diese  ein  Ziel 


220  Schul-  und  Uiüversitätsnachrichten, 

auf,  Jas,  wenn  es  auch  nicht  zu  hoch  ist,  doch  zu  seiner  Erreichung  der 
vollen,  ihnen  jetzt  eingeräumten  Zeit  bedarf,  um  so  nothwendiger  aber 
erscheint  ihm  die  Erreichung  jenes  Zieles,  als  auf  der  Universität  neben 
dem  eigentlichen  Fachstudium  jenen  Wissenschaften  wenig  Zeit  bleibt 
und  eine  wahrhafte  und  volle  Benutzung  der  academischen  Vorträge  ohne 
eine  tüchtige  Vorbereitung  und  Vorbildung  nicht  möglich  ist.  Sodann 
kann  Ref.  auch  das  Bedenken  nicht  beseitigen,  dass  der  Schüler  durch  die 
zeitweilige  Unterbrechung  veranlasst  werde ,  jene  Wissenschaften  für 
minder  wichtig  zu  achten,  dass  viel  von  dem  Erlernten  vergessen  werde, 
zumal  da  sich  im  übrigen  Unterrichte  nicht  immer  Gelegenheit  finden 
>\ird,  dasselbe  aufzufrischen  und  zu  befestigen,  und  in  P'olge  davon  schon 
zur  Wiederanknüpfung  viele  Zeit  erforderlich  sei.  Weniger  dürfte  dies 
für  die  Naturwissenschaften  der  Fall  sein,  da  die  Geographie  ohne  innige 
Beziehung  auf  sie  nicht  mehr  gelehrt  werden  kann,  demnach  hier  eine  Rc- 
petitlon  und  Erweiterung  der  Kenntnisse  von  selbst  Raum  findet;  aber 
soll  di '  Geschichte  im  Zusammenhange  erkannt  werden,  so  muss  zu  der 
folgenden  Periode  stets  eine  lebendige  Anschauung  nicht  blos  einer,  son- 
dern aller  vorhergehenden  Perioden  hinzugebracht  werden,  eine  solche 
aber  kann  nur  in  der  Unmittelbarkeit  erhalten  werden.  EJs  ist  bereits 
von  vielen  tüchtigen  Pädagogen  (Ref.  nennt  nur  Dilthey;  s.  NJahrbb. 
LVII.  2.  S.  216)  ausgesprochen  worden,  dass  sich  das  multa  von  dem 
Gymnasialunterrichte  nicht  mehr  abwehren  lasse,  aber  auf  der  andern 
Seite  muss  auch  das  multum  festgehalten  und  eine  gründliche  Be- 
schäftifTunfT  den  Realien  vindicirt  werden.  Kann  diese  nicht  stattfinden, 
dann  lieber  hinweg  damit!  Zwei  Mittel  gegen  die  Ueberfüllung  sind  da- 
bei dem  Ref.  als  die  sich  am  unmittelbarsten  darbietenden  erschienen: 
1)  Die  innige  Beziehung,  in  welche  die  einzelnen  Unterrichtsfächer  zu 
einander  gesetzt  werden.  Kein  Fach  darf^als  ein  vereinzeltes  gelehrt, 
die  in  jedem  gewonnenen  Kentnisse  müssen  für  jedes  andere  benutzt  wer- 
den. 2)  Der  häusliche  Fleiss  bleibe  vorzugsweise  den  alten  Sprachen 
und  der  Tbätigkeit  gewidmet,  welche  das  Productions-  und  Rcproductions- 
verraöcen  weckt  und  fördert.  In  den  Realien  mögen  sich  die  Lehrer  be- 
mühen,  in  den  Lectionen  selbst  den  Schülern  das  Nöthige  beizubringen, 
nur  äusserst  wenig  den  Fleiss  ausserhalb  derselben  in  Anspruch  nehmen. 
Damit  sie  dies  können,  damit  sie  für  die  dazu  nöthige  Beleuchtung  der 
Sachen  für  die  Uebung  der  Kräfte  der  Schüler  an  ihnen,  für  die  Wieder- 
holung Raum  gewinnen,  darf  man  gegen  sie  nicht  zu  karg  in  Zumessung 
der  Zeit  sein.  Eine  Stunde  öffentlicher  Lection  mehr  wird  den  Schülern 
viel  mehr  Zeit  ausser  derselben  ersparen  und  die  dadurch  gewonnene  auf 
das  Vortheilhafteste  für  die  des  Geistes  Kraft  viel  mehr  anregende  selbst- 
thatige  Beschäftigung  mit  der  altclassischen  Littcratur  verwandt  werden. 
Uebrif^ens  ist  Ref.  weit  davon  entfernt,  durch  die  Aufstellung  seiner  Be- 
denken dem  Lehrercollegium  des  Wittenberger  Gymnasiums  einen  Vor- 
wurf machen  zu  wollen.  Eine  glückliche  Vereinigung  begabter  Persön- 
lichkeiten überwindet  Schwierigkeiten ,  die  anderwärts  unüberwindlich, 
und  bringt  Leistungen  hervor,  die  anderswo  unmöglich  sind.  Nur  das 
beabsichtigte  Ref.  mit  seinen  Bemerkungen,  vor  einer  zu  schnellen  Nach- 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen. 


221 


ahmung  dessen,  was  unter  anderen  Verhältnissen  leicht  misslich  wird, 
vor  genauer  Kenntniss  des  Erfolgs,  welche  allein  durch  längere  Erfahrung 
erreicht  werden  kann,  und  ohne  allseitige  Verständigung  über  das  Ziel 
des  Unterrichts  nicht  allein  im  Ganzen,  sondern  auch  in  den  einzelnen 
Gegenständen  zu  warnen.  —  Die  den  Schulnachrichten  vorausgehende 
wissenschaftliche  Abhandlung:  lieber  den  Entwickelungsgang  der  GoetJie*- 
schen  Poesie  bis  zur  Italienischen  Reise  (22  S.  4.)  hat  den  Dr.  Breitenbach 
zum  Verfasser  und  ist  eine  recht  gute  und  lichtvolle  Behandlung  des 
Stoffes.  Rosenkran  z's  Werk :  Goethe  und  seine  fVerke  hat  zwar  den 
Anhalt  dazu  geboten,  doch  ist  dem  Hrn.  Verf.  in  vielen  Punkten  die  Selbst- 
ständigkeit, wenigstens  der  Darstellung,  nicht  abzustreiten.  [^«j 

Worms.  Das  dasige  Gymnasium  zählte  im  Herbst  1848  in  Prima 
6,  in  Secunda  21,  in  Tertia  11  studirende  und  8  nichtstudirende,  in 
Quarta  16  studirende  und  24  nichtstudirende  ,  in  Quinta  31  und  in  Sexta 
42  Schüler.  Abiturienten  waren  im  Herbst  1847  7.  Seit  Neujahr  1848 
übernahm  der  Pfarrer  Reuss  den  katholischen  Religionsunterricht.  Der 
von  den  Lehrern  im  Anfang  18i7  festgesetzte  Lehrplan  ergiebt  folgende 
Stundenvertheilung,  bei  der  uns  das  Griechische,  so  wie  die  Mathematik, 
doch  zu  sehr  verkürzt  erscheinen  : 


Prima. 
Secunda. 
Tertia. 
Quarta. 

Quinta. 

Sexta. 


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3 


Die  neben  Tertia  und  Quarta  bestehenden  Parallelclassen  haben  3  Stun- 
den besonderen  lateinischen  Unterricht,  die  übrigen  lateinischen  und 
griechischen  Stunden  werden  auf  Naturkunde,  Rechnen  und  Zeichnen  ver- 
wandt. In  dem  Programme  theilt  der  verdienstvolle  Rector  Dr.  ffie- 
gand  die  Schulgesetze  von  JVorms  vom  26.  Sept.  1726,  ein  für  die  Ge- 
schichte der  Pädagogik  interessantes  Actenstück,  mit.  Im  Programm  der 
Stadtschule  giebt  derselbe  unter  der  Ueberschrift :  Ein  Philosoph  und  das 
heutige  Volksschulwesen  eine  sehr  treffende  Abfertigung  der  Aeusserungen 
\on  Heinrich  Vogel:  Die  Philosophie  des  Lebens  der  Natur.  Braunschw. 
1845.  S.  7.  Eben  so  weist  derselbe  unter  dem  Titel :  Das  offene  Ge- 
heimniss  des  Wormser  Schulwesens  und  dessen  Kritik  und  Die  Schwierig- 
keiten des  Wormser  Schulwesens  missliebige  und  unverständige  Urtheile 
über  die  Einrichtung  der  Schulen  derb  und  kernig,  aber  doch  immer  hu- 
man zurück.  [-Ö-] 


222  Schul-  und  Universltätsnachricbtcn, 


E  r   k  1  a  r   u  n  g. 

Der  um  den  Livius  so  hoch  verdiente  Prof.  Joh.  Gottl.  Kreyssig  in 
Meissen  hat  ungeachtet  seiner  vorgerückten  Jahre  die  Litteratur  des 
Livius  schon  wieder  durcli  eine  sehr  bedeutende  Schrift  vermehrt,  in  wel- 
cher er  eine  Reihe  schätzbarer  Bemerkungen  zu  der  letzten  uns  übrig  ge- 
bliebenen halben  Decade  nebst  den  vollständigen  Lesarten  der  alten  Lors- 
heimer  Handschrift  veröffentlicht.  Bei  dieser  Gele"enheit  kommt  er  denn 
unter  Andern  auch  auf  mich,  und  erzählt,  dass  er  sich  gewundert  habe, 
in  meiner  im  Jahre  1839  erschienenen  Separatausgabe  des  dreissigsten 
Buches  einige  Abweichungen  von  ihm  und  von  GÖllern  zu  finden,  und  dass 
er  desshalb  den  leider  zu  früh  uns  entrissenen  Fabri  gebeten  habe,  die 
Sache  durch  eine  nochmalige  Vergleichung  der  ihm  so  leicht  zugänglichen 
Bamberger  Handschrift  aufs  Reine  zu  bringen.  Da  habe  ihm  denn  da- 
mals sein  Freund  sogleich  zurückgeschrieben,  dass  seine,  nämlich  Kreys- 
sig's,  Angaben  über  einige  Capilel  des  30.  Buches,  wie  sie  in  seiner  Aus- 
gabe des  33.  Buches  vom  Jahre  1839  her  in  der  Vorrede  S.  6  und  7  an- 
geführt ständen,  durchaus  nichts  zu  wünschen  übrig  Hessen,  und  dass, 
was  zwischen  mir  und  ihm  sich  Abweichendes  finde,  lediglich  auf  der  Un- 
genauigkeit  meiner  Collation  beruhe.  Und  um  dies  auch  durch  eine  an- 
dere, als  die  von  Kreyssig  angeführten  Stellen  zu  beweisen,  verweise  er 
nur  auf  das  von  mir  im  26.  Cap.  jenes  30.  Buches  angeblich  auch  aus  der 
Bamberger  Handschrift  aufgenommene  ,,cunctat2or",  während  doch  in  der 
Handschrift  selbst  auf  das  Deutlichste  ,,cunctator"  stände.  Hätte  unser 
Kreyssig  über  meine  Benutzungsweise  alter  handschriftlicher  Ueberliefe- 
rungen  und  über  meine  kritischen  Grundsätze  gesprochen,  so  würde  ich 
ihm  nichts  zu  entgegnen  haben.  Keiner  schätzt  mehr  die  Verdienste  des 
würdigen  INlannes  als  ich,  aber  in  der  Kritik  würde  ich  mich  eben  so  we- 
nig mit  ihm  als  mit  irgend  wem  verständigen  können,  der  über  Ansichten 
des  gleichwohl  so  grossen  Joh.  Friedr.  Gronov  und  Drakenborch's  nicht 
eben  hinauszugehen  gesonnen  ist.  Die  Wissenschaft  i>t  im  Fortschreiten 
und  muss  gefördert  werden,  und  sie  wird  auch  gefördert  werden  trotz 
allen  Hin-  und  Herredens  dieser  oder  jener  noch  befangenen  Seite.  Aber 
so  spricht  Kreyssig  über  meine  Gewissenhaftigkeit  beim  Vergleichen  und 
in  der  IMittheilung  des  handschriftlichen  Apparates,  und  da  man  sehr 
leicht,  wenn  ich  hier  schweige,  über  den  Weith  und  die  W^ahrheit  meiner 
Collationen  überhaupt  irre  werden  könnte,  so  bin  ich  nicht  sowohl  mir 
als  vielmehr  der  Sache  eine  rechtfertigende  Erklärung  schuldig. 

Als  ich  im  Jahre  1836  unser  königl.  Ministerium  darum  ersuchte, 
mir  durch  seine  Vermittelung  den  bekannten  Bamberger  Codex  des  Livius 
auf  eine  Zeit  lang  zu  verschaffen,  war  mein  Augenmerk  allein  auf  die  in 
jenem  Buche  zum  grössten  Theil  enthaltene  vierte  Decade  gerichtet  ge- 
wesen, deren  Collation  ich  mich  denn  auch,  nachdem  ich  das  Buch  er- 
halten hatte,  mit  ganzer  Aufmerksamkeit  iintcrzog.  Als  ich  hiermit  fer- 
tig geworden  war,  sah  ich  mir  natürlich  auch  die  in  demselben  Bande 
enthaltene  Abschrift  eines  grossen  Theiles  der  dritten  Decade   an  und  war 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  223 

bald  nicht  wenig  erstaunt,  eine  Handschrift  zu  finden,  die  das  gering- 
schätzende Urtheil  Göller's  nicht  nur  nicht  verdiente,  sondern  die  mir  da- 
mals, wo  ich  den  Puteanus  noch  nicht  aus  eigenem  Studium  kannte,  zu 
den  vorzüglichsten  Abschriften  der  dritten  Decade  zu  gehören  schien. 
Aber  die  zur  Benutzung  des  Buches  erbetene  Zeit  war  fast  vorüber,  und 
so  konnte  ich  mir  also  bei  dieser  Handschrift  nur  noch  eine  Vergleichung 
in  wesentlicheren  Verhältnissen  erlauben.  Da  die  Abschrift  in  mancher 
Hinsicht,  besonders  in  den  Eigennamen,  mit  ziemlicher  Nachlässigkeit 
gemacht  ist,  so  überging  ich  die  nomina  propria  fast  ganz,  und  also  natür- 
lich auch  alles  das,  was  nur  auf  orthographische  Verschiedenheiten  hinaus- 
lief, wie  wenn  hec  statt  haec,  preter  statt  praeter  geschrieben  stand; 
merkte  mir  aber  wohl  die  abweichende  Stellung  der  Worte  und  überall 
da  die  Lesart  an,  wo  dieselbe  bemerkenswerthe  Aufschlüsse  für  die  Ge- 
winnung des  ursprünglichen  Textes  zu  bieten  schien.  Als  ich  daher  1838 
den  Entschluss  fasste,  das  30.  noch  so  sehr  verunstaltete  Buch  des  Livius 
in  einer  verbesserten  Gestalt  herauszugeben,  liess  ich  mir  für  meine  Ko- 
sten nicht  nur  eine  sorgfältige  Abschrift  der  ersten  30  Capitel  aus  dem 
Puteanus,  und  des  übrigen  Theiles  des  Buches  aus  dem  besten  Colbertiner 
Manuscript  in  Paris,  sondern,  da  ich  meiner  CoUation  die  nöthige  Voll- 
ständigkeit absprechen  musste,  auch  eine  dergleichen  vom  Bamberger  Bu- 
che in  Bamberg  machen,  auf  deren  Genauigkeit  ich  um  so  mehr  glaubte 
bauen  zu  können,  da  mir  der  Bibliothekar  Jäck  einen  von  ihm  besonders 
geschätzten  Baierschen  Gelehrten  dazu  empfahl.  Indess,  so  wie  ich  nach- 
mals in  Paris  sah,  dass  an  nicht  wenigen  Stellen  die  mir  gemachte  Ab- 
schrift den  Originalen  nicht  entsprach,  so  mag  es  auch  mit  der  Bamber- 
ger Abschrift  geschehen  sein ,  und  ich  will  gern  zugeben ,  dass  an  den 
beiden  wesentlicheren  Stellen,  wo  meine  Angaben  von  denen  Kreyssig's 
abweichen,  der  Ehrenkranz  allein  unserem  Kreyssig  gebühre.  Es  sind 
dies  im  44.  Cap.  die  auch  von  GöUer  angeführte  Lesart  „CR"  für  das 
Kreyssig'sche   ,,Cn."  in    dem  Namen    Cn.  Cornelio ,    und    nach  Kreyss. 

,,finiret"  d.  h.  finiretur,  wo  meine  Abschrift  das  gewiss  von  Livius  ge- 
setzte ^rjir  et  bietet,  wie  auch  in  dem  schönen  Colbertiner  Buche  steht. 
An  der  dritten  abweichenden  Stelle  habe  ich  mit  Absicht  im  Cap.  43 
,,fetialibus  dari'*  schreiben  lassen,  obgleich  in  der  mir  angefertigten  Ab- 
schrift wie  bei  Kreyssig  ,,fecialibus  dari"  steht.  Wenn  ich  dagegen 
nicht  Affricam,  sondern  Africam,  nicht  hec  und  preter,  sondern  haec  und 
praeter  an  Stellen,  wo  es  sich  um  etwas  Wichtigeres  handelte  ,  aus  dem 
Bamberger  ßuche  anführte,  so  wird  Kreyssig  so  gut  wie  Fabri  gesehen 
haben  ,  dass  eine  solche  diplomatische  Genauigkeit  in  der  Angabe  der 
Lesarten  des  ganzen  Buches  von  mir  unterlassen  ist,  und  zwar,  weil  ich 
nur  dann  auch  dazu  mich  konnte  verstehen  wollen,  wenn  ich  nicht  blos 
die  eine,  sondern  alle  benutzte  Handschriften  mit  eigenen  Augen  colla- 
tionirt  hätte.  Was  aber  die  von  Fabri  aus  dem  26.  Cap.  gerügte  Lesart 
„cunctatior"  betrifft,  so  bin  ich  überzeugt,  dass  Fabri  —  der  wohl  über- 
haupt nicht  durch  meine  Bemerkungen  auf  den  Werth  auch  dieses  Theiles 
der  Bamberger  Handschrift  hingewiesen  ward,    da  er  in  seiner  Ausgabe 


224  Schul-  und  Universitätsnachrichten  u.  s.  w, 

des  24.  Buches  zwar  öfter  als  in  der  Ausgabe  des  21.  und  22.  Buches 
von  Drakeuborch  abweicht,  aber  des  ihm  so  nahe  gewesenen  Bamb.  Cod. 
gar  nicht  erwähnt  —  ungenau  gelesen  hat,  da  ich  mir  jenes  ,,cunctattor'* 
selbst  und  zwar  mit  den  Worten  angemerkt  habe,  dass  so  ursprün  glich 
in  der  Handschrift  gestanden:  so  dass  ich  recht  gern  zugeben  >\ill ,  dass 
Fabri  d  e  u  tlich  nur  noch  ,,cunctator"  an  der  veränderten  Stelle  ge- 
funden habe,  und  zwar  zweifle  ich  an  meiner  Angabe  um  so  weniger,  als 
ich  auch  in  dem  alten,  mit  dem  Bamb.  so  vielfach  übereinstimmenden  Col- 
bcrtiner  Buche  dasselbe  ,,cunctatior"  wiederfand.  Da  aber  im  Puteanus 
nur  „cunctator"  steht,  so  habe  ich  in  der  Textesrecension  der  dritten 
Decade  von  1844  ebenfalls  so  wieder  schreiben  lassen.  Möge  daher  ein 
Gelehrter  sich  die  Mühe  nicht  verdriessen  lassen,  die  angeführte  Stelle 
im  Bamberger  Codex  nachzusehen,  und  öffentlich  mitzutheilen ,  was  zu- 
erst gestanden  und  was  emcndirt  worden :  da  wird  es  sich  ja  dann  zei- 
gen, wer  Recht  hat.  Ob  sich  in  den  von  mir  selbst  in  Paris,  Florenz  und 
Wien  veranstalteten  Collationen  Irrthümer  vorfinden  möchten ,  lasse  ich 
dahin  gestellt  sein;  ich  habe  mit  Aufbietung  aller  nur  möglichen  Aufmerk- 
samkeit die  alten  Bücher  erst  studirt  und  dann  collationirt,  was  mir  bei 
dem  in  mehreren  Partieen  so  schwer  zu  entziffernden  Puteanus  fast  das 
rechte  Auge  gekostet  hat;  mögen  Kenner  meine  Angaben  prüfen  und 
sich  frei  und  offen  darüber  erklären:  ich  glaube  mit  gutem  Gewissen  meine 
handschriftlichen  Mittheilungen  vertreten  zu  können.  Dass  übrigens 
Kreyssigdas,  was  er  in  der  Vorrede  seiner  Ausgabe  des  33.  Buches 
S.  LXI  aus  einem  Briefe  Jäck's  an  ihn  über  die  für  mich  angefertigte 
,,  diplomatisch  genaue  Abschrift"  des  30.  Buches  erzählt,  jetzt 
wieder  vergessen  zu  haben  scheint ,  befremdet  mich  keineswegs.  Und 
so  möge  denn  der  treffliche  Mann  auch  davon  überzeugt  sein ,  dass  ich 
seinen  Bemerkungen  nicht  die  Absicht  einer  Verdächtigung  unterlege  ;  aber 
es  mir  auch  nicht  verargen,  dass  ich  dem  Ernst  der  Sache  die  vorste- 
hende Rechtfertigung  schuldig  zu  sein  glaubte.  Wie  Manches  übrigens 
in  der  sonst  im  Ganzen  mit  grosser  Aufmerksamkeit  von  Kopitar  ange- 
fertigten Collation  des  Lcrsheimer  oder  Wiener  Buches,  die  uns  von 
Kreyssig  jetzt  vorgelegt  ist,  übersehen  worden,  wird  der  spätere  Heraus- 
geber nachzuweisen  haben. 

C.  F.  S.  Aischefski. 


Inhalt 

i^on  des  achtundfnnfzigsfen  Bandes  zweitem  Hefte. 

Seite 

britische  ßeurtheilungen.        , 2^5 jgT 

Jacob:  Sophokles'  Antigene.     Griechisch  mit  Anmerkungen  u.  s.  w 

Von  Professor  R.  Klotz  zu  Leipzig 115 134 

Hertlein:  Xenophons  Anabasis.     Vom  Gymnasiallehrer  Dr.  Breiten- 

bach  zu  Wittenberg 23^ I54 

Estre:  Horatiana  Prosopographeia.     Von  Professor  Dr.  i.  Obbarius 

zu  Rudolstadt.  '    \'     '     '     '- •     .154-168 

Cifrote:  A  history  of  Greece.  I.    Legendary  Greece.    Zweiter  Artikel. 

Von  Professor  Dr.   Campe  zu  Neuruppin \  Igg igy 

Jibliographische  Berichte  und  kurze  Anzeigen !     .*     !  187 191 

Das  höhere  und  niedere  Studienwesen  im  Grossh'  rzogthum  Baden  * 

dargestellt  in  einer  Sammlung  der  hierüber  erschienenen  Gesetze 

und  Verordnungen ^  Igj igg 

Wocher:  Die  lateinische  Wortstellung.      Von  Prorector  Dr.  Heffter 

zu  Brandenburg Igg igt 

chul-  u.  Universitätsnachrichten,  Beförderungen  u.  Ehrenbezeigungen.  191 '221 

Grossherzogthum  Baden.     Ansprachen °.     .     .  191 195 

Constanz 295 ]99 

Furtwängler:   Der    reitende   Chäron,    eine   mythologische    Ab- 
handlung  197—199 

Hamburg 199-203 

Kraft:  Bemerkungen  über  Reform  der  Gelehrtenschulen.      Von 

Professor  Dr.  Dietsch  zu  Grimma.   .     .     .  •  .     .     .     .     .     .  199 203 

Grossherzogthum  Hessen 203 209 

Dariiistadt 204 206 

,         DUihcy  :  Zur  Gyranasialreform.  Zweites  Heft.  Von  KL  zu  M— z.  204—206 

Giessen 206—207 

Geist:  Krinagoras  von  Mytilene.     Von  Dems 206 207 

Worms 207 

Wiegand:    Zur    Methode    des    Unterrichts    in    der    deutschen 

Sprache.     Von  Dems 207 208 

Benzheim  und  Büdingen 208 

Mühlhausen 209 

Weigand:    De    la    versification     fran^aise.       Von    Professor 

Dr.  Dietsch  zu  Grimma.      . 209 

Posen-.. .     .  209-215 

Schönborn:  Beiträge  zur  Geographie  Kleinasiens.     Von  Dems.    210—215 

■'  Wertheim 215 — 218 

Fiihlisch:  Erklärung  zweier  Oden  desHoraz  \on  Fr.  Aug.  IVolf.  215 — 218 

Wittenberg 218 — 221 

Breitenbach :  Ueber  den  Entwickelungsgang  der  Goethe'schen 
Poesie  bis  zur  italienischen  Reise.      Von  Prof.  Dr.  Dietsch 

zu  Grimma , 221 

Worms.     Programme  von  Wiegand.     Von  Dems 221 

Erklärung  von  Professor  Dr.  C.  /.  Ä.  Aischefski  zu  Berlin.    .     .  222—224 


Leipzig, 

Druck   und  Verlag  von   B.   G.   Teiibner. 

1950. 


4 

AonD 


Neue 

JAHRBOGHER 

für 

Philologie  und  Pädagogik, 

oder 

Kritische  Bibliothek 

für  das 

Schul-  und  Uiiterriclitswesen. 


In    Verbindung  mit  einem  Vereine  von  Gelehrten 

begründet  von 

Mi  Job.  Christ.  Jahn. 


Gegenwärtig  herausgegeben 


von 

Prof.  Reinhold  Klotz  zu  Leipzig 

und 

Prof.  Rudolph  Dietsch  zu  Grimma. 


ZTTAXZIGSTER    JAHRGAXG. 

A  c  h  t  11  n  d  f  11  n  f  z  i  g  s  t  e  r     Band.      Drittes    H  e  f  f. 


Leipzig;  1850. 

Druck  und  Verlag  von  B.  G.  Teubner. 


Kritische  Beurtheilungen. 


1)  Forschungen    auf   dem    Gebiete   der   röm.    Verfassu?igs ge- 

schickte von  Dr.  fF.  Jhne. 

2)  Der  römische  Senat  zur  Zeit  der  Republik  von  Dr.  Fr.  Hofmann. 

3)  De  legibus   iudiciisque  repetund.  in   republica  Rom.  comni. 

lectae  a  C.  Tli.  Zumptio. 

4)  Die  Cooptation  der  Römer  von  Dr.  L.  Mercklin. 

Zweiter  Artikel. 

Der  Verfasser  der  zweiten  Schrift  hat  sich  eine  engere  Auf- 
gabe gestellt,  nämlich  zu  untersuchen,  wie  der  Senat  in  der  Blü- 
thezeit  der  römischen  Republik  zusammengesetzt  war  und  in  wie- 
fern sich  die  einzelnen   Classen  seiner  Mitglieder  rücksichtlich 
ihrer  Berechtigung  von  einander  unterschieden.     Zu  diesem  Be- 
hufe  musste  er  auf  den  Anfangspunkt  dieser  Periode  zurückgehen, 
als  welche  die  lex  Ovinia  mit  Recht  bezeichnet  wird,  bei  welcher 
Gelegenheit  Hr.  H.  die  Hypothese  des  geistreichen  Rubino  billigt, 
dass  es  gänzlich  in  der  gesetzlich  unbeschränkten  Willkür  der  Kö- 
nige gestanden  habe,  wen  sie  in  den  Senat  aufnehmen  wollten, 
und  hinzufügt,  dass  eine  nach  Rücksicht  der  Gunst  und  Missgunst 
erfolgende,  lediglich  von  der  Willkür  des  Wählenden  abhängende 
Auswahl  der  Senatoren  auch  noch  lange  nach  der  Vertreibung  der 
Könige  fortgedauert  habe.      Zwar  hängt  diese  Theorie  mit  der 
anderen  von  der  ursprünglich  unbeschränkten  Machtvollkommen- 
heit des  Königs  zusammen,  allein  diese  ist  schon  oft  als  mit  dem 
Geiste  des  römischen  Alterthums  überhaupt  und  mit  den  Quellen 
unverträglich  zurückgewiesen  worden,  so  dass  ich  mich  hier  auf 
die  lectio  senatus  beschränke.     Ich  bin  weit  davon  entfernt,  die 
Ansicht  zu  billigen,  dass  der  Senat  als  eine  Vertretung  der  Curien 
und  Geschlechter  von  diesen  selbst  gewählt  worden  sei,  aber  eben 
so  wenig  kann  ich  die  unbedingte  Wahlfreiheit  des  Königs  zuge- 
ben.    Die  Wahrheit  liegt  vielmehr  in  der  Mitte  und  die  Wahl  er- 

15* 


228  Römische  Staatsalterthümer. 

folgte  walirscliclnlicli  durch  den  Köni^  und  die  Curien  gemeinsam, 
entweder  indem  die  Curien  das  Vorsclilagsrecht  hatten  oder,  durch 
eine  Art  von  Cooptation,  worüber  ich  mich  in  Pauly's  Realencykl. 
VI.  p.  998  ausgesprochen  habe.  Dion.  11,  12  leidet  zwar  an  vie- 
len Unrichtigkeiten,  allein  so  viel  sieht  man  doch  daraus,  dass 
eine  gewisse  Theihiahrae  der  Curien  bei  der  lectio  senatus  statt- 
fand; Mercklin,  die  Cooptation  p.  30,  glaubt  sogar,  dass  bis  auf 
Tarquinius  Priscus  der  Senat  aus  rein  patricischer  Cooptation  her- 
vorgegangen sei,  worin  er  zu  weit  geht.  Wollte  man  aber  aus  der 
grösseren  Freiheit ,  welche  sich  die  letzten  Könige  nahmen,  etwas 
fiir  die  Macht  der  früheren  Könige  herleiten,  so  würde  man  irren, 
denn  Serv.  Tullius  nahm  bei  seiner  neuen  Verfassung  ausseror- 
dentlicher Weise  mehrere  Senatoren  ex  plebe  auf,  indem  er 
Stützen  seiner  Einrichtungen  suchte  und  die  Majorität  des  Volkes 
für  sich  hatte;  und  was  den  letzten  Tarquinius  betrifft,  so  zeigte 
sich  dieser  in  allen  Stücken  so  willkürlich,  dass  daraus  für  die  ge- 
setzliche Königsgewalt  nichts  zu  folgern  ist. 

Um  so  unbedingter  muss  man  Hrn.  II.  in  Beziehung  auf  die 
Behandlung  der  lex  Ovinia  beistimmen,  z  E.  dass  er  in  der  be- 
kannten Stelle  des  Festus  v.  praeteriti  die  Conjectur  Meier's  iu 
rati^  welche  übrigens  schon  vorher  von  Peter  in  der  Neuen  Jen. 
Litter. -Zeitg.  1842.  Nr.  55  aufgestellt  worden  war,  adoptirt. 
Auch  die  Worte  ex  omni  ordine  sind  treffend  erklärt:  aus  allen 
ordinibus,  welche  Anrecht  auf  die  Aufnahme  in  den  Senat  hatten. 
Zu  demselben  Resultate  ist  auch  Hr.  Mercklin  (Nr.  4.  p.  32  f.) 
gleichzeitig  mit  Hrn.  H.  gelangt.  Die  Vermuthung,  dass  das  Ge- 
setz unmittelbar  nach  den  Licinischen  Gesetzen  gegeben  worden, 
ist  auf  scharfsinnige  Weise  begründet.  Sodann  verfolgt  Hr.  H. 
die  einzelnen  Classcn  der  Senatsmitglieder,  und  zwar  zunächst 

2)  die  senatores  pedarii  p.  19 — 34  und  zeigt,  dass  unter  die- 
sem Namen  die  Senatoren  zu  verstehen  sind,  welche  aus  den  Rit- 
tern in  den  Senat  gewählt  worden  waren,  ohne  ein  Amt  bekleidet 
zu  haben,  wie  V^arro  bei  Gell,  andeutet.  Das  Wahre  sahen  schon 
früher  Beaufort,  Reiz  und  Puchta,  Hr.  H  aber  hat  das  Verdienst, 
die  Sache  fest  begründet  und  ausser  allen  Zweifel  gesetzt  zu  haben. 

3)  Die  stimmberechtigten  Beisitzer  im  Senat  (quibus  in  se- 
natu  senteniiam  dicere  Licet)  p.  35 — 77.  Diese  Classe  umfasste 
nach  Hrn.  H.  sowohl  die  Magistraten,  welche  das  Recht  hatten 
an  den  Sitzungen  Theil  zu  nehmen,  ohne  wirkliche  Senatoren  zu 
sein,  als  die  Exmagistraten,  welche  noch  nicht  in  den  Senat  auf- 
genommen waren.  Die  widersprechenden  Berichte  des  Fest.,  Val. 
Max.,  Varro  und  Gell,  über  die  Exmagistraten  vereinigt  Hr.  H. 
auf  das  Ueberzeugcudste.  Von  der  ältesten  Zeit  gilt  die  Notiz 
des  Val.  Max.  II,  2,  1:  nicht  das  Amt  mache  zum  Senator,  son- 
dern nur  die  Aufnahme,  und  mit  der  Amtsniederlegung  höre  auch 
der  Sitz  im  Senat  auf,  jedoch  mit  der  Beschränkung,  dass  die 
iiichtcurulischen  sofort  austreten  mussten,  während  die  curulischeu 


Hofmann:   Der  rÖm.  Senat  zur  Zeit  der  Republik.  229 

im  Senat  bis  zur  näclisten  lectio  verweilen  durften,  wo  es  sich 
entschied  5  ob  sie  auf  immer  darin  blieben  oder  nicht,  Gell.  111.18. 
Seit  Sulla  behielten  alle  Exmag^istraten,  curulische  wie  nichtcuru- 
lische,  Sitz  im  Senat,  und  auf  diese  Zeit  bezieht  sich  Fest, 
p.  339  M.,  also  von  dieser  Zeit  begreift  die  Classe:  quibtis  etc. 
alle  Magistraten  u.  FJxraagistraten  von  einem  Lustrum  zum  andern. 
Auch  diesen  Gedanken  sprach  schon  Beaufort  aus,  allein  bewiesen 
ist  er  erst  durch  Hrn.  II.  Dass  Sulla  diese  Veränderung  schuf, 
wird  durch  innere  imd  äussere  Gründe  höchst  wahrscheinlich  ge- 
macht. Es  musste  ihm  daran  liegen,  zum  Schutze  seiner  Verfas- 
sung und  seiner  im  Senate  sitzenden  Freunde  die  Macht  der  Cen- 
soren  zu  beschränken.  Ob  aber  Sulla  die  Censur  ganz  anfbob 
(Schol.  Gronov.  p.  384  Orell.)  oder  nur  die  Wahl  der  Censoren 
verhinderte,  ist  schwer  zu  entscheiden.  Nach  ITjährlger  Unter- 
brechung wurden  zwar  wieder  Censoren  gewählt,  behufs  einer 
strengen  lectio,  aber  die  Aufnahme  in  den  Senat  wurde  immer 
mehr  eine  blosse  Form  und  die  senatorischen  Rechte  wurden  un- 
mittelbar mit  der  Erlangung  eines  senatorischen  Amtes  erworben. 
So  musste  der  Unterschied  zwischen  wirklichen  Senatoren  und 
denen  quibus  licet  etc.  ganz  verschwinden. 

4)  Die  Magistrate  im  Senat  p.  78—106.  Auch  dieser  Ab- 
schnitt ist  reich  an  neuen  und  sicheren  Resultaten.  Aus  der  Un- 
tersuchung iiber  die  Bedeutung  des  itis  sententiam  diceudi^  wel- 
ches Hr.  H.  im  engern  Sinne  als  das  Recht  nachweist,  einen  Vor- 
schlag zu  machen,  welcher  von  dem  Referenten  zur  Abstimmung 
gebracht  wird,  folgt,  dass  die  höheren  Magistrate  dieses  Recht 
in  dem  Jahre  ihrer  Amtsfiihrung  entbehrten  (obgleich  sie  dasselbe 
in  der  Regel  schon  vorher  besessen  hatten),  desgleichen  die  Tri- 
bunen und  niederen  Magistrate.  Eben  so  wenig  nahmen  sie  an 
der  discessio  Theil.  Allerdings  ist  es  auffallend,  dass  gerade  die- 
jenige Classe,  welche  mit  den  Worten  bezeichnet  wird  qiiibtis 
licet  seilt,  dic.^  dieses  Recht  nicht  gehabt  hätte ,  allein  in  dieser 
Formel  haben  diese  Worte  einen  weiteren  Sinn  (s.  v.  a.  referre)^ 
was  Hr.  H.  noch  mehr  hätte  hervorheben  sollen.  Auch  hatten 
die  höheren  Magistrate  dieses  Recht  im  e.  S.  nicht  nöthig,  da  sie 
das  ins  referendi  und  interccdendi  besassen,  abgesehen  davon, 
dass  es  unpassend  gewesen  wäre  mitzustiraraen,  nachdem  sie  selbst 
referirt  hatten.  Den  Hauptbeweis  für  diese  Behauptung  fiihrt 
Hr.  H.  aus  vielen  Stellen,  in  denen  der  Hergang  bei  den  Senats- 
sitzungen erzählt  wird.  Nirgends  findet  sich  eine  Erwähnung  von 
Magistraten,  welche  gestimmt  hätten,  während  die  Stimmen  der 
Exmagistrate  und  der  designirten  Magistrate  so  oft  vorkommen. 
Ja  es  ist  nicht  einmal  ein  Platz  zu  ermitteln ,  an  welchem  die  Ma- 
gistrate ihre  sententia  hätten  abgeben  können.  Eine  einzige 
Stelle  scheint  gegen  Hrn.  H.  zu  sprechen:  Cic.  p.  Sest.  32  (Piso 
et  Gabin.  coss.)  cum  in  senatii  privati  (nicht  privatim,  wie  noch 
Hr.  H.  hat)  vi  de  me  sententias  dicerent  flagitabantur  ^  legem 


230  Romische  Staatsalterthümer. 

Uli  se  Clodiam  timere  dicehant.  Allein  schon  Ernesti  erkannte 
den  waliren  Sinn  dieser  Worte,  welchem  sich  anch  Ilr.  11.  an- 
schliesst  (in  ähnlicher  Weise  der  von  FI.  nicht  angeführte  Madvi^, 
s,  Halms  Ansg.  p.  199).  Demnach  hat  Hr.  II.  volles  Kecht,  die 
Thätigkeit  der  Magistrate  im  Senat  mit  der  der  Minister  in  den 
heutigen  Ständcversammlungen  zu  vergleichen,  obwohl  auch  viele 
Verscliiedenheiten  statthnden. 

5)  Die  Tribunen  im  Senat ^  p.  106 — 16').  Bei  der  ünter- 
sucliung^  über  diesen  sehr  wichtigen  und  noch  nicht  ins  Klare  ge- 
brachten Gegenstand  legt  Hr.  H.  eine  Stelle  des  Zon.  VII.  15  zu 
Grunde,  welcher  hier  wie  in  einigen  andern  Punkten  (z.  E.  über 
die  Quästoren)  unter  allen  Schriftstellern  allein  das  Richtige  be- 
wahrt hat.  Zon.  unterscheidet  4  Perioden  der  tribunicischen 
Theilnahrae  am  Senat,  nämlich  1)  die  Zeit,  wo  die  Tribunen  vor 
den  Thüren  der  Curie  sassen  und  gegen  missfällige  Beschlüsse  In- 
tercession  einlegten;  2)  die  Gegenwart  der  Tribunen  im  Innern 
der  Curie;  3)  Aufnahme  der  Extribunen  in  den  Senat;  4)  Bewer- 
bung der  nicht  patricischen  Senatoren  um  das  Tribunat.  Hr.  H. 
stimmt  im  Ganzen  damit  überein,  nur  dass  er  vor  der  ersten  Pe- 
riode des  Zon.  noch  eine  frühere  einschiebt,  so  dass  die  erste  Zeit 
des  Zon.  bei  Ilrn  H.  die  zweite  bildet.  Er  sagt  nämlich,  die 
Volkstribunen  hätten  in  der  ersten  Zeit  das  ins  intercedendi  we- 
der rechtlich  gehabt  noch  sich  angemaasst,  und  hätten  in  dieser 
Zeit  an  den  Senatssitzungen  regelmässig  nicht  Theii  genommen. 
Nur  in  zwei  Fällen  wären  sie  unter  Vermittelung  der  Consuln  zu- 
gelassen worden,  wenn  ein  aussergewöhnlicher  Umstand  es 
dem  Senat  oder  den  Coss.  wünschenswerth  gemacht  habe,  das 
Gutachten  der  Tribunen  zu  vernehmen  oder  sie  Zeugen  der  Ver- 
Jiandlungen  sein  zu  lassen,  2)  wenn  die  Tribunen  im  Interesse 
ihres  Standes  eine  Anzeige,  Bitte  oder  Beschwerde  an  den  Senat 
zu  bringen  Iiatten. 

Es  ist  gewiss  ganz  riclitig,  wenn  Hr.  H.  die  Intercessionsbe- 
fugniss  der  Tribunen  für  die  älteste  Zeit  verwirft;  was  aber  den 
andern  Satz  betrifft,  dass  die  Anwesenheit  der  Tribunen  vor  dem 
Senatssaal  einer  neuen  Periode  angehöre,  so  werden  Wenige  bei- 
stimmen, indem  beide  Momente  nicht  zusammenzugeliören  schei- 
nen. Die  Tribunen  hatten  Grund  genug,  als  Hörer  zugegen  zu 
sein,  wenn  ihnen  auch  noch  keine  Intercession  zustand,  da  es  ihnen 
viel  daran  liegen  musste,  von  allen  Beschlüssen  und  Verhandlun- 
gen des  Senats  zeitig  unterrichtet  zu  sein,  was  ohne  persönliche 
Gegenwart  unmöglich  war.  Dazu  kommt,  dass  sie  vermöge  ihrer 
Unverletzlichkeit  von  der  Thüre  nicht  entfernt  werden  konnten, 
wenn  sie  Lust  hatten,  daselbst  Platz  zu  nehmen.  INatürlich  durf- 
ten sie  nicht  verlangen  eingeladen  zu  werden  wie  die  andern  Se- 
natoren —  ausgenommen  wenn  ihre  Gegenwart  von  dem  Senat  ge- 
wünscht wurde  —  ,  sondern  sie  kamen  nach  Belieben  von  selbst, 
60  dass  wenigstens  einer  aus  ihrer  Mitte  anwesend  ^^ar,  ausser 


Hofmann  :  Der  rÖni.  Senat  zur  Zeit  der  Republik.  231 

wenn  der  Gegenstand  der  Verhandlung  für  die  Volkstribunen  gar 
kein  Interesse  hatte,  z.  K.  bei  sakralrecfitlichen  Discussionen. 
Die  regelmässigen  Sitzungen  waren  ilinen  bekannt  und  die  ausser- 
ordentlichen werden  ihnen  wohl  auch  selten  verborgen  geblieben 
sein.  Nöthigenfalis  konnten  sie  dann  sogleich  von  der  Thiir  in 
das  Innere  gerufen  werden,  um  Auskunft  zu  geben  u.  s.  w.  — 
Dass  diese  Anmaassung  —  denn  als  solche  rauss  die  Anwesenheit 
der  Tribunen  gelten  —  keineswegs  zu  gross  war,  als  dass  wir  sie 
nicht  schon  den  Tribunen  der  frühesten  Zeit  zutrauen  dürften, 
ergiebt  sich  aus  anderen  ähnlichen  Thatsachen,  vorzüglich  aber 
aus  der  kurz  nach  der  Errichtung  des  Tribunats  von  den  Tribunen 
erhobenen  Anklage  gegen  Coriolan,  was  doch  eine  ungleich  grös- 
sere Kühnheit  war,  als  vor  den  Thüren  der  Curie  ruhig  zuzuhö- 
ren, zumal  da  auch  andere  Bi'irger  hier  standen  (Liv.  III.  41). 

Zwar  glaubt  Hr.  IL  aus  einigen  Stellen  des  Dionysius,  wo  es 
heisst:  (Coss.)  skccXovv  tovg  drj^dQXOvg  oder  TtaQaxXr^^evrcJv 
Twv  dr]U.  schliessen  zu  dürfen,  dass  die  Tribunen  nur  auf  erlas- 
sene Einladung  in  den  Senat  gekommen  wären,  allein  diese  Stel- 
len sind  entweder  so  zu  erklären,  dass  die  an  der  Thür  sitzenden 
Tribunen  in  den  Saal  gerufen  wurden,  oder  dass  eine  förmliche 
Einladung  ergangen  war,  welche  fi'ir  solche  Fälle,  wo  die  Gegen- 
wart der  Tribunen  dringend  verlangt  wurde,  erfolgen  musste,  da 
es  auch  zufällig  geschehen  konnte,  dass  gerade  an  diesem  Tage 
kein  Tribun  oder  nur  einer  gekommen  wäre,  welcher,  hereinge- 
rufen, nicht  für  seine  Collegen  hätte  sprechen  können.  Auch 
sind  Stellen  anzuführen,  wo  die  Tribunen  zugegen  waren,  ohne 
dass  eine  Berufung  durch  die  Coss.  erwähnt  wird.  So  z.  E.  ist 
Liv.  III.  9  eine  Einladung  der  Tribunen  durch  den  praefectus  urbi 
nicht  wahrscheinlich.  Es  Iieisst  auch  öfter  bei  Dion.  nagovrcov 
X.  d.  oder  ol  ds  örjßagxoL  TtQoek^ovreg  xtI.,  z.  E.  X.  2,34,  und  da 
könnte  man  folgern ,  wenn  man  die  Worte  eben  so  stricte  nimmt, 
dass  die  Tribunen  auch  ohne  Einladung  da  waren.  Am  schla- 
gendsten ist  Dion.  VII.  49,  welche  Stelle  nur  durch  Umänderung 
des  Textes  zu  beseitigen  ist.  Allein  ftt;  r^v  ßovXrjv  ist  diploma- 
tisch gesicherter  als  e.  x.  noXiv.  Endlich  rauss  ich  noch  bemer- 
ken ,  dass,  wenn  die  Gegenwart  der  Tribunen  vor  der  Thür  als  eine 
denselben  geraachte  Concession  und  als  ein  Fortschritt  der  zweiten 
Periode  erscheinen  soll,  dieses  ein  schlechter,  nicht  ehrenvoller 
und  mit  der  sonstigen  raschen  Entwickelung  des  Tribunats  nicht 
zu  vereinigender  Fortschritt  zu  sein  scheint.  Darum  verbinde 
ich  beide  Perioden  des  Hrn.  H.  und  halte  den  Platz  vor  der  Thür 
und  die  jeweilige  Einladung  zur  Versammlung  für  gleichzeitig. 
Während  dieser  Zeit  wurde  allmählig  die  Intercession  errungen, 
wie  Hr.  H,  schön  entwickelt  (indem  er  das  ins  interced.  aus  dem 
ins  auxiliandi  ableitet),  bis  dieses  Recht  endlich  vollkommen  aner- 
kannt wurde  (nach  Hrn.  H.  nach  dem  Sturze  der  Xviri).  Damit 
verbindet  Hr.  H.  die  Aufstellung  der  Sconsulta  und  leges  in  dem 


232  Römische  Staatsalterthumer. 

Tempel  der  Ceres.  Wenn  er  aber  sagt,  dass  man  diese  Einrich- 
tung nur  desshalb  getroffen  habe,  um  kein  Scons.  ^egen  Willen 
und  Wissen  der  Tribunen  zu  Stande  kommen  zu  lassen,  so  ist  da- 
gegen zu  bemerken,  dass  die  Tendenz  dieser  Einrichtung  eine 
viel  weitere  war,  theils  nämlich  um  Fälschungen  in  den  gefassteii 
Beschliissen  zu  verhindern ,  theils  um  neben  dem  allgemeinen 
Staatsarchiv  ein  rein  plebejisches  Arthiv  gleichsam  zur  fortlaufen- 
den Controle  der  pleb.  Magistrate  unter  den  Augen  und  in  dem 
Besitz  derselben  zu  gründen.  Ohnehin  würde  der  von  Hrn.  H. 
geltend  gemachte  Grund  nur  auf  die  Scons.,  aber  nicht  auf  die 
leges  Anwendung  finden. 

Die  dritte  Periode  (nach  Hrn.  H.)  oder  die  zweite  nach  Zon. 
beginnt  mit  dem  Sifz  der  Tribunen  im  Senate  selbst.  Dieses 
identificirt  Hr.  H.  sehr  richtig  mit  dem  Rechte  der  Tribunen,  den 
Senat  zu  berufen  und  zu  referiren  (indem  die  regelmässige  Auf- 
nahme der  Trib.  in  den  Senat  kaum  unter  einem  andern  Titel  ge- 
schehen konnte),  und  behauptet,  dass  die  Tribunen  diese  Rechte 
mit  den  Licinischen  Gesetzen  oder  bald  darauf  erhalten  hätten. 
Zu  diesem  Resultate  gelangt  Ilr.  H.  durch  folgendes  Raisonne- 
ment.  Nach  dem  Sturze  der  Xviri  wäre  die  Stellung  der  Plebejer 
gegenViber  den  Patriciern  sehr  stark  gewesen,  denn  durch  die  !n- 
tercessionsbefugniss  der  Tribunen  sei  die  patricische  Macht  sehr 
beschränkt  worden,  und  seitdem  die  Plebiscite  durch  lex  Valeria 
allgemein  verbindlich  gewesen  wären  (ohne  einer  Senatus  aucto- 
Fitas  zu  bediirfen),  wäre  die  ganze  Gesetzgebung  immer  mehr  den 
Tribunen  und  den  Tributcomitien  anheim  gefallen.  Dazu  sei  der 
grosse  Uebelstand  gekommen,  dass  die  wichtigsten  Gesetze  ohne 
vorausgegangene  gründliche  Prüfung  beantragt  und  angenommen 
worden  wären.  Darum  sei  die  Wiederherstellung  der  alten  Sitte, 
nur  gründlich  geprüfte  Gesetzvorschläge  an  das  Volk  zu  bringen, 
sehr  wünsclienswerth  gewesen  und  darum  hätten  die  Patricier  den 
Tribunen  gern  das  ins  referendi  gestattet.  Dieses  sei  aber  erst 
dann  möglich  gewesen,  als  die  Stellung  der  Parteien  gegen  ein- 
ander nicht  mehr  so  schroff  wie  früher  gewesen  sei  (denn  damals 
wäre  keine  der  beiden  Parteien  darauf  eingegangen),  also  erst 
nach  den  Licinischen  Gesetzen,  als  die  Plebejer  den  Zutritt  zu  dem 
Consulat  und  den  andern  curulischen  Würden  erlangt  hätten.  Auch 
noch  ein  anderer  Umstand  hätte  den  Senat  zu  der  Bewilligung  des 
Relationsrechts  veranlasst,  der  Wunsch  nämlich,  durch  die  Tri- 
bunen ein  von  den  Coss.  unterdrücktes  Gutachten  eines  Senators 
zur  Geltung  oder  einen  von  den  Coss.  absichtlich  unbeachtet  ge- 
bliebenen Gegenstand  zur  Sprache  bringen  zu  lassen.  Aber  auch 
dieses  habe  erst  dann  geschehen  können,  als  die  Tribunen  aus 
Vertretern  der  Plebs  Vertreter  der  ganzen  Nation  geworden  wären. 

Wenn  auch  in  dieser  Schlussfolge  mehrere  sehr  richtige  Ge- 
danken enthalten  sind,  z.  E  der  letzte,  dass  der  Senat  die  Tri- 
bunen oft  benutzt  habe,  unterdrückte  Gutachten  zur  Geltung  zu 


Hofmann:   Der  rÖm.  Senat  zur  Zeit  der  Republik.  233 

bringen,  dass  eine  gründliche  Pri'ifung  der  Plebiscite  von  dem  Se- 
nat sehr  gewünscht  worden  sei  u.  A.,  so  ist  doch  der  Hanptschluss, 
dass  die  Tribunen  das  Relationsreclit  erst  nacli  den  leg.  Licin.  er- 
halten liätten,  unritlitig,  indem  der  Schwerpunkt  des  ganzen  Ge- 
bäudes auf  zwei  falschen  Sätzen  beruht,  nämlich  1)  dass  die  Stel- 
lung der  Plebs  nach  den  XU  Tafeln  so  stark  gewesen  und  dass  die 
Plebiscite  seit  lex  Yaleria  allgemein  verbindliche  Kraft  gehabt 
hätten;  2)  dass  die  Vermittelung  mit  den  Tribunen  erst  erfolgt 
sei  nach  ausgeglichener  Differenz  und  geschlossenem  Frieden 
zwischen  beiden  Parteien,  d.  h.  nach  den  leg.  Licin.  Die  Stellung 
der  Parteien  war  zwar  nach  diesen  Gesetzen  weniger  schroff, 
allein  der  Kampf  war  noch  nicht  erloschen  und  der  Gegensatz  noch 
keineswegs  aufgehoben,  denn  die  Klagen  der  Plebs  über  harten 
Schulddruck  hörten  noch  nicht  auf,  die  den  Plebejern  von  den 
Patriciern  eingeräumten  Rechte  wurden  noch  immer  oft  verletzt, 
z.  E.  durch  die  ungesetzliche  Wahl  zweier  patricischenCoss.  u.  s.w. 
Daher  waren  und  blieben  die  Tribunen  noch  immer  das  negirende 
Princip  des  ganzen  Staatsorganismus,  im  ewigen  Kampfe  gegen  die 
Unterdrücker  des  zweiten  Standes.  Wenn  also  die  Tribunen  das 
Recht  der  Relation  erst  nach  gesclilossenera  Frieden  erhalten 
hätten,  so  würde  es  noch  später  geschehen  sein,  als  unmittelbar 
nach  den  leg.  Licin.  Es  hängt  aber  dieses  Recht  mit  der  angeb- 
lichen Versöhnung  gar  nicht  zusammen  und  war  viel  früher,  wahr- 
scheinlich bald  nach  lex  Valeria,  den  Tribunen  eingeräumt  wor- 
den, wie  wir  sogleich  sehen  werden,  indem  wir  Hrn.  H.'s  paradoxe 
Hypothese  näher  betrachten,  dass  die  Stellung  der  Plebs  nach  den 
Xll  Tafeln  so  stark  gewesen  sei  (also  trotz  des  verbotenen  Coimu- 
bium  und  trotz  der  ihnen  versagten  Theilnahme  an  den  curulischen 
Würden  ?)  und  dass  lex  Val.  den  Plebisciten  volle  Gültigkeit  ge- 
geben habe.  Diese  Episode  ist  die  schwächste,  oder  richtiger,  die 
einzig  schwache  Partie  des  ganzen  Buches.  Hr.  H.  sagt:  ,, die  Ple- 
biscite hätten  eines  Probuleuma  des  Senats  nicht  bedurft '•'  und 
„dass  sie  dennoch  seit  lex  Val.  für  alle  Bürger  verbindlich  waren 
oder  es  sein  sollten.'"''  Wenn  dieses  heissen  soll,  was  unstreitig 
damit  gemeint  ist,  dass  die  Plebiscite  ohne  alle  Bestätigung  voll- 
kommen gültig  gewesen  seien,  so  ist  dies  entschieden  falsch. 
Hätte  Hr.  H.  gesagt,  das  Probuleuma  sei  principiell  nicht  noth- 
wendig  gewesen,  die  senatus  auctoritas  hätte  eben  so  gut  nachfol- 
gen können  ,  so  wäre  das  richtig  gewesen,  denn  eine  auctoritas 
war  nothwendig,  sie  mochte  nun  vor  der  Annahme  des  Plebiscits 
erfolgen  oder  nachher.  Doch  wir  wollen  zuerst  die  von  Hrn. 
H.  angeführten  Beweisstellen  prüfen  (S.  133  ff.).      Er  behauptet, 

a)  dass  keine  Stelle  die  Nothwendigkeit  der  senat.  auct,  darthue, 

b)  es  gäbe  Beispiele  von  Plebisciten,  welche  der  sen.  auctor.  ent- 
behrten, ohne  darum  von  ihrer  Gültigkeit  zu  verlieren,  und  kämpft 
gegen  Peter  (Epochen  p.  102  f.),  welcher  die  Nothwendigkeit  der 
sen.  auct.  aus  einigen  Stellen  herleitet     Die  Stelle  Plut.  Mar.  4 


234  Römische  Staatsalterthüraer. 

verwirft  Ilr.  11.  g;änzlich  und   begreift   nicht,  wie  sie  für  Peter 
sprechen  solle.     Gleicliwohl  ist   die  Sache  ausser  allem  Zweifel. 
IVlariiis  schlug  als  Tribun  ein  Gesetz  de  suffragiis  ferendis  vor,  der 
Senat  versagte   seine   Einwilligung    und  beschloss  tco  ^ev  voyno 
(.idx^ö^ai^  xov  ÖS  Magiov  y,aküv  koyov  vcpe^ovza.    Da  erscheint 
3Iariiis  und  yntikrjös  tov  Küzzav  (Cos.)  dnä^uv  slg  t6   dtöijiG)- 
TtJQLOv^  ii  ^t]  ÖiayQd^l-'iu  t6  doy^a  (d.  h.  wenn  das  gefasste  hin- 
dernde ScoHs.  nicht  zuriickgenommen  würde).     Durch  diese  Dro- 
hung wird  der  Senat  eingeschüclitert,  kein  Tribun   will  interce- 
dircn  und  so  lieisst  es  endlich:  tJ  Ö£  övyxlrjTog  H^aöa  TiQotJKazo 
t6  öoy^a.     Der  Senat  gab  also  nach,  indem   er  seinen  Bescliluss 
zuriicknahm,  und  die  lex  Maria  ging  durch.     Wenn  das  Gesetz  die 
Bestätigung  des  Senats  nicht  bedurft  hätte,  würde  der  Tribun  den 
Cos.    wohl    mit    Gefängniss   bedroht   haben,   um   den  Senat  zur 
Nachgiebigkeit   zu  zwingen*?     Es  wäre  ganz  sinnlos  von  Marius 
gewesen,  wenn  wir  niclit  die  Nothwendigkeit  des  Scons.  voraus- 
setzen wollten.     Eben  so  zeigt  die  von  Hrn.  H.  gänzlich  verwor- 
fene Erzählung  des  Liv.  XXXVIII.  36,  wenn  wir  sie  unbefangen 
lesen,  dass  es  gewisse  Dinge  gab,  bei  denen  eine  Bestätigung  des 
Senats  unbedingt  nothwendig  war.      Vier  Tribunen  intercediren 
gegen  ein  Piebiscit,  welches  den  Formianern  das  Stimmrecht  ver- 
leihen sollte,  qiiia  non  ex  auctorilate  senatus  ferretar^  aber  dann 
treten  sie  zurück  edocli  populi  esse^  non  senatus  ii/s^  si/ff/aghim 
qiiibus  velit  impartiri.     Für  diesen  Fall  war  nämlich  eine  senat. 
auct.  entbehrlich;  nicht  aber  für  viele  andere,  wie  der  Zusammen- 
hang zeigt.     In  den  von  Liv.  XXI.  63  und  Cic.  de  sen.  4  erzählten 
Fällen    gingen    die   Plebiscite    allerdings   ohne   sen.  auct.  durch, 
aber  es  geschah  nicht  gesetzlich,  sondern  gewaltsamer  Weise  und 
>vurde  heftig  getadelt,  was  nicht  geschehen  sein  würde,  wenn  die 
Plebiscite  der  sen.  auct.  nicht  bedurft  hätten.     Nachdem   Hr.  H. 
die  von  Peter  angeführten  Stellen  zurückgewiesen  zu  haben  glaubt, 
führt  er  andere  auf,  welche  die  unbedingte  Gültigkeit  der  Ple- 
biscite  beweisen  sollen.      Zuerst  Dion.  IX.  41  iirizh  TiQoßovXev- 
fiazog  yivo^Bi  ov  %zh.^  allein  diese   Worte  beziehen  sich  auf  die 
älteste  Zeit  der  Tributcomitien,  wo  sie  nur  speciell  plebejische 
Angelegenheiten    ordneten   (\or   lex    Val.)    und  damals  natürlich 
noch  keiner  sen.  auct.  bedurften.     Dann  folgen  die  Beispiele  meh- 
rerer ohne  sen.  auct.    durchgegangenen   Plebiscite,   doch  sie  be- 
weisen in  so  fern  nichts  für  Hrn.  H.,  als  die  einen  Plebiscite  ver- 
möge ihrer  Natur  mit  vollem  Kechte  ohne  sen,  auct.  beschlossen 
werden  konnten,  z.  E.  die  lex  Duilia,  Liv.  \TI.i6,  deim  hier  waren 
die  Tribus  in  ilirem  Rechte,  und  die  andern  ungesetzlich  durch- 
gingen, indem  sich  die  Tribus    Dinge  anmaassten,  die  nicht  in  ihr 
Kessort  gehörten,  z.  E.  Liv.  III.  63  lum  primum  sine  anctoritcUe 
palrum  ^  populi  iussu  triumphalum  est.     Dass  diese  Bestimmung 
den  Tribus  gesetzlich   zugestanden    habe,  wird  nirgends  gesagt. 
Ebenso  war  das  Plebisc.  über  die  Auswanderung  nach  Vcii  Liv. 


Hofmann :  Der  röm.  Senat  zur  Zeit  der  Republik.  235 

V.  30  nicijts  als  Anmaassiiiig,  wie  auch  ans  Liv.  in  dem  vorigen 
Cap.  hervorgeht.  Endlich  Liv.  IV.  48,  wo  die  Tribiitcoraitien  eine 
AciiervertheiUing  beschliessen,  fällt  in  dieselbe  Kategorie  der  un- 
gesetzlichen Beschlüsse.  Hr.  H.  behauptet  sogar,  die  berühmten 
imd  wichtigen  leges  Liciniae  seien  ohne  sen.  auct.  gegeben  wor- 
den ,  was  rein  unmöglich  ist.  Die  Worte  bei  Liv.  VI.  42  per  in- 
^enlia  certamina  dictator  senatiisque  victiis  heissen  doch  nichts 
anderes,  als  sie  wurden  zum  Nachgeben  gezwungen  und  gaben 
widerstrebend  die  Bestätigung,  so  wie  Liv.  IV.  6  bei  der  lex  Ca- 
nuleia  ausführlicher  spricht:  vidi  tandem  patres^  ut  de  connubio 
ferretur^  consensere.  Auch  würden  die  leg.  Lic.  ohne  Senatsbe- 
stätigung gar  keine  Wirkung  gehabt  haben,  indem  die  Coss.,  wel- 
che die  Wahlcomitien  leiteten,  nur  zu  erklären  brauchten,  sie 
würden  auf  plebejische  Candidaten  keine  Rücksicht  nehmen.  Was 
halfen  dann  alle  Tributbeschlüsse *?  Hatte  der  Senat  aber  einge- 
willigt, dann  konnte  von  einer  solchen  Weigerung  der  Coss.  keine 
Rede  sein. 

Man  kann  demnach  nicht  sagen,  dass  Hr.  H.  seinen  Beweis 
geführt  habe.  Noch  wichtiger  sind  die  gegen  ihn  sprechenden 
inneren  Gründe.  W^enn  nämlich  lex  Val.  die  Legislation  den  Tri- 
bus  auf  einmal  und  unbedingt  übertragen  liätte,  so  wäre  Rom  seit 
dieser  Zeit  eine  Demokratie,  ja  vielmehr  eine  Ochlokratie  gewe- 
sen, während  sich  doch  die  röm.  Verfassung  nur  langsam  in  dieser 
Weise  entwickelte  und  erst  spät  den  Sieg  des  demokratischen 
Princips  anerkannte.  Wenn  Hr.  H.  Recht  hätte,  so  wäre  die  Lob- 
rede des  Polybius  über  die  zweckmässige  Theilung  der  Gewalt  in 
dem  röm.  Staate  eher  eine  Satire  zu  nennen,  denn  die  Theilung 
wäre  ein  Unding,  wenn  die  Gesetzgebung  in  den  Händen  des  einen 
der  Factoren  gelegen  hätte.  Ohnehin  konnte  ein  Theil  des  Volkes 
unmöglich  Beschlüsse  fassen,  welche  ohne  Zustimmung  der  ande- 
ren Theile  für  das  Ganze  bindend  gewesen  wären.  Die  Plebs  war 
von  den  Patriciern  staatsrechtlich  gesondert  und  mit  ihnen  nur 
durch  foedera  gleichsam  wie  mit  einem  fremden  Volke  verbunden 
(s.  z.  E.  Liv.  IV,  6),  so  dass  der  eine  Theil  kein  Recht  hatte,  dem 
andern  Gesetze  aufzulegen.  Diese  staatsrechtlichen  Ansichten 
der  Römer  entwickelt  Dion.  X.  4  auf  das  Klarste.  Er  sagt,  die 
Gesetze  des  Volkes  müssten  durch  Scons.  bestätigt  sein,  denn  die 
Gesetze  seien  Cvv^TJxaL  —  Tiocval  tvoIecov  —  ovxl  ^SQOvg  tcjv 
Iv  Talg  noktöiv  oIkovvtcöv.  Wie  will  Hr.  H.  annehmen,  dass  die 
Tributcomitien  ein  viel  umfassenderes,  ja  fast  dictatorisches  Recht 
gehabt  hätten,  als  die  eigentliche  Nationalversammlung  der  Cen- 
turiatcomitien,  deren  Beschlüsse  ohne  ein  Scons.  niemals  Gültig- 
keit hatten*?  Der  wahren  Bedeutung  der  lex  Valcria  zufolge  er- 
hielten die  Tributcomitien  dieselbe  Befagniss,  wie  die  Centiiriat- 
comitien,  mussten  also  auch  denselben  Beschränkungen  unterworfen 
sein,  wie  diese.  Dass  aber  lex  Yal.  den  Tributccm.  nicht  mehr 
einräumte,  als  den  Centuriatcom  .  sagt  Dion.  XI.  41  ausdrücklich. 


236  Römische  Staatsaltertlmmer. 

wo  er  von  der  lex  Val.  handelt:  tjJv  avxrjv  dvva^LV  £;^ot'rßg 
(nämlich  die  Trihutbeschliisse)  tolg  iv  xaig  Xoxltlölv  SKxky]6icas 
TBy^i^öoi.iBi'ovg.  Endlich  müssen  wir  bemerken,  dass  die  späteren 
Kampfe  über  die  Plebiscite,  z.  E.  die  leges  agrariae,  ganz  wunder- 
bar und  unerklärbar  wären,  wenn  die  Entscheidung  lediglich  in 
den  Händen  der  Tribus  gelegen  hätte.  Nicht  weniger  auffallend 
wären  die  zahllosen  und  fast  regelmässigen  Erwälinungen  der  sen. 
auct.  bei  Plebisciten,  wenn  man  dieselbe  für  ganz  entbehrlich 
halten  dürfte. 

Damit  soll  aber  keineswegs  gesagt  sein,  als  ob  bei  allen  Tri- 
butbeschlüssen eine  sen.  auct.  nothw endig  gewesen  sei,  man  muss 
vielmehr   unter    denselben  sorgfältig  unterscheiden.       Wenn  die 
Tribus  specielle  und   iocale  Interessen  der  Gemeinde  beriethen, 
war  eine  Senatsbestätigung   niemals  noth wendig,  weder  vor  lex 
Val.   (wo   alle   Tributbeschlüsse  diesen   engen  Charakter  an  sich 
trugen),  noch  nach  derselben.     Alle   Ilohciisrechte  des  Volkes, 
Verleihung  der  Civilät  und  des  Suffragium,  Wahlen  plebejischer 
IMagistrate,  Anklagen  gegen  die  Widersacher  der  Gemeinde  und 
dcrgl.,  gehörten  unbedingt  zum  Ressort  der  Tribus,  ohne  dass  der 
Senat  ein  Probuleuma  oder  eine  nachfolgende  Bestätigung   zu  er- 
theilen  hatte.     Seitdem  aber  nach  lex  Val.   den  Tribus  auch  ali- 
gcraeine  Angelegenheiten  (für  die  Plebs  und  die   Patricier  gleich 
wichtig)  vorgelegt  werden  durften,  z.   E.  Aenderungen  der  Ver- 
fassung, Verfügungen  über  Staatsvermögen  und  über  die  Verwal- 
timg überhaupt,  Verleihungen  des  Imperium  in  ausserordentlichen 
Aufträgen  u.  A  ,  war  ein  Scons.  unerlässlich,  welches  in  der  Re^el 
vorher  eingeholt  wurde,  und  zu  diesem  Behufe  mussten  die  Tri- 
bunen das  ins  rcferendi  im  Senate  erhalten  haben.     Selten  wichen 
die  Tribunen  von  der  Regel,  des  Senats  Genehmigung  einzuholen, 
ab,  denn  das  Gefühl  für  Recht  und  Gesetz  war  zu  stark,  als  dass 
sie  gesucht  hätten,  gesetzliche  Erfordernisse  zu  umgehen,  und  da- 
her gehören  Tributbeschlüsse,  ohne  sen.  auct.  gefasst  (z.  E.  die 
leges  Scmproniae) ,  zu  den  grössten  Seltenheiten  in  der  ganzen 
römischen  Verfassungsgeschichte,  abgesehen  davon,  dass    schon 
der  Ausführung  des  Beschlusses  wegen  die  senat.  auct.  sehr  wün- 
schenswerth  und  in  den  meisten  Fällen  unerlässlich  war,  z.  E.  bei 
Verleihungen  des  Imperium  (wegen  der  von  dem  Senat  abhängen- 
den finanziellen  Ausstattung),  Ländervertheilung  (s.  Pauly  Real- 
encykl.  II.  p.  513)  u.  s.  w.     Vergl   Peter  a  a.  0.,    Pauly  Realenc. 
II.  p.  ^A^.  VI.  p.  102)  und  die  treffliche  Fortsetzung  der  Becker'- 
gchen  Alterth.    v.  IMarquardt  II.  3.   p.   117  fF.  161  ff.     Ging  aus- 
nahmsweise ein    Plebiscit    ohne  sen.  auct.  durch,   so  hoffte  man 
diese  Bestätigung  nachher  zu  erlangen  oder  zu  ertrotzen,  indem 
der  Senat ,  wenn  der  Gesaramtwille  des  Volkes  sich  entschieden 
aussprach,    seine   Bestätigung    nicht   versagte,    entweder  alsbald 
formell  oder  im  schlimmsten  Falle  stillschweigend.      Nur  in  den 
dringendsten  Fällen  hob  der  Senat  die  ungesetzlich  durchgegan- 


Hofmann:  Der  rom.  Senat  zur  Zeit  der  Republik.  237 

g:enen  Plebiscite  auf,    s.  Marquardt  a.  a.  O.  p.  115.    Paiily  VI. 
p.  1020. 

Wenn  man  aus  dem  Gesagten  die  Nothwendi^kcit  der  senat. 
auct.  für  die  Tributbeschlüsse  nach  lex  Val.  anerkennt,  so  liegt 
auch  der  Grund  sehr  nahe,  warum  man  den  Tribunen  unmittelbar 
darauf  das  Ilelationsrecht  und  dem  zufolge  auch  den  Sitz  in  der 
Curie  gab,  zumal  da  bei  dieser  Einrichtung  beide  Parteien  be- 
theiligt waren.  Das  erste  Beispiel  der  tribunicischen  Relation 
kommt  zwar  erst  Liv.  XXII.  61  vor,  aliein  da  die  zweite  Dekade  des 
Livius  nicht  erhalten  ist,  so  können  frühere  Erwähnungen  verloren 
gegangen  sein.  Hätten  die  Tribuiien  dieses  Recht  erst  dann  er- 
halten, als  die  Tribus  schon  längst,  wie  Hr.  H.  sagt,  die  unbe- 
dingte Gesetzgebung  erlangt  hatten,  so  wäre  dieses  in  keiner 
Weise  zu  motiviren. 

Die  3.  Periode  der  Theilnahme  der  Tribunen  am  Senat,  wel- 
che nach  Zon.  die  censorische  Aufnahme  der  Extribunen  (^ör^fiaQ- 
X^öavtsg)  in  den  Senat  umfasst,  verbindet  Hr.  H.  mit  der  vorigen 
und  hält  diese  Aufnahme  für  eine  Folge  der  Licinischen  Gesetze, 
was  von  Hrn.  H.'s  Standpunkte  nicht  unwahrscheinlich  ist,  obwohl 
sich  auch  anderer  Seits  Manches  für  eine  frühere  Erlangung  dieses 
Anrechts  anführen  lässt.  In  den  Quellen  findet  sich  keine  frühere 
Erwähnung  als  Liv.  XXIII.  23. 

Die  4.  und  letzte  Periode  knüpft  Hr.  H.  an  das  plebisc. 
Atinium,  indem  er  die  von  dem  grossen  Lipsius  aufgestellte,  im 
Wesentlichen  auch  von  Reiz  angenommene  Ansicht  vertheidigt, 
dass  nach  diesem  Gesetz  nur  Senatoren  zum  Tribunat  wählbar 
seien,  dass  also  die  Tribunen  vorher  Quästoren  gewesen  sein 
müssten,  während  Beaufort,  Rubino  und  Mercklin  behaupten,  dass 
diese  lex  den  Tribunen  während  ihres  Amtes  und  nach  demselben 
bis  zur  nächsten  lectio  das  ins  sententiae  dicendae  gegeben  habe. 
Die  Letzten  versetzen  dieses  Plebiscit  in  die  Zeit  des  jüngeren 
Gracchus ,  Hr.  H.  aber  kurz  vor  das  erste  Consulat  Sulla's  und  es 
ist  nicht  zu  verkennen,  dass  die  Theorie  des  Hrn.  H.  Manches  für 
sich  hat.  Da  wir  aber  schon  zu  lange  von  den  Tribunen  im  Ver- 
hältniss  zum  Senat  gesprochen  haben ,  wollen  wir  nicht  näher  dar- 
auf eingehen  und  wenden  uns  zum  letzten  und  kürzesten  Abschnitt. 

6)  Die  ordentlichen  Mitglieder  des  Senats^  p.  165 — 177. 
Hier  wird  der  Census  und  das  Alter  der  Senatoren  in  einer  Weise 
behandelt,  dass  nichts  Bedeutendes  dagegen  einzuwenden  ist. 
]\ur  ist  die  Behauptung,  dass  das  Vermögen  gar  keine  nothw en- 
dige Bedingung  der  Senatorwürde  gewesen  sei,  zu  allgemein  ge- 
stellt und  gilt  nur  von  denen,  welche  durch  Führung  von  Aem- 
tern  in  den  Senat  gelangten.  Bei  den  andern  war  bis  auf  Augustus 
der  census  equester  erforderlich.  Eine  Prüfung  der  von  Hrn.  H. 
angeführten  Stellen  findet  sich  in  Pauly's  Realenc^kl.  VI.  p.  1001. 
Auch  konnte  Hr.  H.  nicht  sagen ,  dass  in  neuerer  Zeit  Alle  das 
30.  Lebensjahr  als  das  für  die  Quästur  und  den  Senat  erforderliche 


238  Römische  Staatsaltertliüraer. 

angcselicn  hätten,  der  Unterzeichnete  hat  stets  eben  so  wie  Ilr. 
II.  nur  das  '21 .  Jalir  anerkannt,  s.  Pauiy's  Realenc.  IV.  p.  1434. 
VI.  p.  1002. 

Zum  Schluss  bemerke  ich  noch,  dass  die  Forscliungen  des 
Verfassers  sich  ebenso  durch  Klarheit,  als  durch  Besonnenheit 
und  Sicherheit  der  Combiuation  auszeichnen.  Er  beschränkt  sich 
nicht  auf  den  jedesmal  vorliegenden  Moment,  sondern  beriicksich- 
tigt  zugleich  die  Gesammtverfassung  der  damaligen  Zeit  und  be- 
leuchtet mit  deren  Hülfe  das  Einzelne,  und  so  sind  auf  diese 
Weise  mehrere  sehr  bestrittene  oder  noch  gar  nicht  angeregte 
Punkte  des  grossartigsten  und  ehrwiirdigsten  römischen  Instituts 
entweder  ganz  befriedigend  zur  Erledigung  gekommen  oder  der- 
selben doch  wenigstens  bedeutend  näher  gebracht  worden,  wie 
sich  aus  der  obigen  Lebersicht  ergiebt.  Eine  Schattenseite  des 
Buches  ist  die  nicht  selten  crmiidende  Weitschweifigkeit,  welche 
die  ganzen  geistigen  Operationen  des  Verfassers  vergegenwärtigt 
und  welche  namentlich  bei  Uebergängen ,  Recapitulationen,  Ge- 
genbeweisen den  Leser  etwas  belästigt,  z.  E.  p.  42  fF.  o3.  58.  66  f. 
l.')3  f.  etc.  Wollte  Ilr.  H.  die  ganze  Verfassungsgeschichte  des 
Senats  in  derselben  Weise  behandeln,  so  würden  kaum  ein  paar 
starke  Quartbände  hinreichen. 

Nicht  ohne  schmerzliche  Bewegung  wende  ich  mich  zu  Nr.  3, 
welche  Schrift  nebst  der  neuen  Bearbeitung  des  Curtius  zu  den 
letzten  Gaben  gehört,  mit  denen  der  scharfsinnige,  geschmackvolle 
und  unermüdlich  thätige  Zumpt  die  philologische  Litteratur  be- 
reichert hat.  Eine  Reihe  von  Schriften,  welche  für  die  römischen 
Antiquitäten  grossen  Werth  haben,  wird  durch  diese  gediegene 
und  interessante  Abhandlung  geschlossen,  welche  nicht  blos  einen 
trcftlichen  Beitrag  zur  Kenntiiiss  des  römischen  Strafrechts  liefert, 
sondern  manche  andere  Partien  des  röm.  Staatslebens  beleuclitet. 
Zumpt  beschränkte  sich  nämlich  nicht  auf  die  geschichtliche  Dar- 
stellung des  Repetundenverbrechens,  sondern  hat  die  leges  iudi- 
ciarias  und  die  gleichzeitigen  Veränderungen  des  ganzen  Gerichts- 
wesens mit  eingeflochten,  an  mehreren  Stellen  sogar  allzuvorwie- 
gend ,  so  dass  man  den  Hauptgegenstand  der  Untersuchung  darüber 
ganz  aus  den  Augen  verliert. 

iNach  der  in  dem  1.  §.  gegebenen  Definition  des  crimen  re- 
petund.  folgen  Bemerkungen  über  das  Vorrecht  der  römischen 
Magistraten ,  während  ihres  Amtsjahres  weder  criminell  angeklagt, 
noch  auf  dem  Civilwege  belangt  werden  zu  dürfen,  und  über  den 
Schutz  der  röm.  Bürger  ^o^en  Ungerechtigkeiten  der  Obrigkeit. 
Fiir  die  Bürger  war  von  jeher  gesorgt,  aber  um  so  hülfioser  er- 
scheint §.  4  die  Lage  der  Unterthanen,  namentlich  seitdem  unter 
den  Provinzialbearaten  Habsucht  und  Sittenverderbniss  allgemein 
eingerissen  war.  Endlich  erschien  lex  Calpurnia,  von  welcher 
Zumpt  in  folgenden  Hauptpunkten  handelt:  1)  dieselbe  habe  nur 


Zumpt:  De  legibus  judiciisque  repetundarnm  etc.  239 

gegen  die  Provinzialmagistrate  Iliilfe  verschaffen  sollen,  2)  sei 
nur  für  die  socii  gegeben  worden  *),  3)  die  socii  hätten  persönlich 
oder  unter  Beistand  eines  römischen  Patroniis  auftreten  können, 
stets  aber  4)  vor  dem  Praetor  peregrinus,  bis  dieser  nacli  und  nach 
um  die  Richter  geioost,  das  Gericht  selbst  aber  einem  andern 
Prätor  überlassen  habe.  In  allen  diesen  Punkten  stimmt  Z.  mit 
dem  von  mir  in  dem  röm.  Crim. -Recht  Gesagten  überein,  im 
5.  Punkte  aber  weicht  er  ab,  indem  er  sagt,  das  durch  lex  Calp. 
angeordnete  iudicium  sei  privatum  gewesen,  aus  folgenden  Grün- 
den: a)  weil  die  legis  actio  sacramenti  dabei  üblich  gewesen  sei 
nach  dem  Fragment  der  s.  g.  lex  Servilia  (Calpur);z«ö  aiit  le^e 
lunia  sacramento  actum  stet.  (Doch  daraus  folgt  nicht  noth- 
wendig,  dass  sich  dieses  auf  alle  Prozesse  bezogen  habe,  wenn 
ich  auch  jetzt  zugeben  will,  dass  vermittelst  der  fingirten  Civität 
ein  Peregriner  mit  dieser  römischen  Prozessform  hätte  klagen 
können.)  b)  Der  Beweis,  dass  das  iudicium  legis  Calp.  desshalb 
ein  publicum  nicht  gewesen  sei,  weil  keine  infaraia  folgte,  ist  ganz 
irrig,  denn  ursprünglich  war  infamia  nicht  mit  jeder  Conderana- 
lion  verbunden,  wie  wir  daraus  ersehen,  dass  manche  criminell 
Verurtheilte  später  zu  3Iagistraten  gewählt  wurden,  was  bei  in- 
famia unmöglich  gewesen  wäre.  So  z.  E.  lesen  wir  bei  Liv.  XXVII. 
34,  dass  M.  Livius  Consul  wurde,  inuUis  ante  amiis  ea;  consulatu 
populi  iiidicio  damnatus,  s.  XXIX.  37.  So  wurde  L.  Corn.  Sci- 
pio  als  Legat  nach  Asien  geschickt  post  damnniionem  et  bona 
vendila,  Liv.  XXXIX.  22,  vergl.  XXII.  35.    Val.  Max.  II.  9,  6. 


*)  Wenn  Z.  p.  11  glaubt,  dass  ich  mir  in  dem  röm.  Crim.- Recht 
(welches  er  übrigens  auf  das  freundlichste  beurtheilt)  widerspräche,  in- 
dem ich  S.  602  f.  gesagt  hätte,  dass  der  Prätor  L.  Hostilius  Tubu- 
lus  desshalb  vor  ein  iudicium  extraordinarium  gestellt  worden  sei,  weil 
in  der  lex  Calpurnia  Bestechlichkeit  noch  nicht  enthalten  gewesen,  und 
doch  S.  613  zugäbe,  dass  Bürger  nach  lex  Calp.  nicht  klagen  konnten 
(welches  nach  Z.  der  wahre  Grund  ist,  warum  Tubulus  extra  ord.  ge- 
richtet wurde) ,  so  liegt  darin  kein  Widerspruch.  Tubulus  konnte  nach 
lex  Calp.  nicht  angeklagt  werden ,  weil  Bestechlichkeit  der  magistr,  ur- 
bani  darin  gar  nicht  verpönt  war ;  denn  dass  meine  Meinung  nicht  etwa 
die  war,  wie  Z.  glaubt,  dass  Bestechlichkeit  (nämlich  der  Statthalter) 
nicht  in  lex  Calp.  enthalten  gewesen  sei,  ergiebt  sich  auch  S.  613,  wo  ich 
sagte;  .,Von  Missbrauch  der  Amtsgewalt  in  Rom,  z.  B.  von  Bestechung, 
war  in  dieser  lex  noch  nicht  die  Rede."  Bestechlichkeit  derProvinzialmagi- 
strate  bildete  vielmehr  einen  Hauptbestandtheil  des  crim.  repet.  Ein 
städtischer  praetor  wie  Tubulus  konnte  also  nach  lex  Calp.  nicht  belangt 
werden,  die  Kläger  mochten  nun  dem  Stande  der  röm.  Bürger  oder  der 
Peregrinen  angehören.  Darum  bezog  ich  das  Hinderniss,  wesshalb  Tu- 
bulus nicht  nach  lex  Calp.  angeklagt  werden  konnte,  nur  auf  die  Person 
des  Angeklagten,  während  Z.  ausschliesslich  die  Ankläger  ins  Auge  fasste. 


240  Römische  Staatsalterthümer. 

VI.  9,  10.  Erst  nach  und  nach  wnrde  infamia  gesetzlich  als  Folge 
der  Condemnation  für  einzelne  Verbrechen  angeordnet,  oder  auch 
nur  gewisse  Arten  von  Ehrenschmäierungen,  wie  z.  E.  durch  lex 
Cassia  in  Bezug  auf  die  Tlieilnahme  am  Senat,  Cic.  in  Corn.  und 
Asc.  p.  77  f.  Or.  Endlich  wurde  infamia  für  alle  Verbrechen  be- 
stimmt, und  auf  diese  Zeit ,  nicht  auf  die  fri'ihere,  bezieht  sich  die 
von  Z.  angezogene  Digestenstelle  XLVIII.  1,  7.  Endlich  c)  sagt 
Z.,  sei  das  iud.  legis  Calp.  desshalb  nicht  publicum  gewesen,  weil 
die  Richter  nur  Recuperatoren  gewesen  wären.  Wenn  wir  dieses 
auch  zugeben,  so  würde  das  Gericht  doch  mehr  einen  völker- 
rechtlichen als  einen  privaten  Charakter  an  sich  tragen.  Die  Pro- 
zessformen sind  uns  nicht  bekannt  und  mögen,  je  nachdem  die  Be- 
schwerde crimineller  oder  rein  privatrcchtlicJier  Natur  war,  sich 
bald  an  denCriminal-,  bald  an  den  Civilprozess  angeschlossen  haben. 

Ueber  die  fast  unbekannte  lea:  lunia  äussert  sich  Z.  §.  7  mit 
grosser  Vorsicht  und  wendet  sich  sodann  zu  den  Gesetzen  des  jün- 
geren Gracchus,  welche  eine  Verbesserung  der  Gerechtigkeits- 
pflege bezweckten,  vorzüglich  zu  dem  bekannten:  ne  qiiis  iudicio 
circiimveniretur^  welches  später  in  die  lex  Cornelia  de  sicariis 
überging.  Darauf  folgen  wichtige  §§.  über  die  lex  Acilia  und 
lex  Servilia  Glauciae  de  repet.  Ich  war  bisher  der  3Ieinung, 
dass  lex  Servilia  die  ältere  sei,  bin  aber  vor  Kurzem  von  dem  Ge- 
gentheil  überzeugt  worden,  nicht  durch  die  von  Zumpt  u.  A.  vor- 
gebrachten Gründe,  sondern  durch  ein  Factum,  welches  meines 
Wissens  noch  nicht  geltend  gemacht  worden  ist.  M.  Aemil. 
Scaurus  wurde  92  v.  C.  von  seinem  Feinde  Q.  Servil.  Caepio  repet. 
angeklagt  und  zwar  lege  Servilia,  wie  Cic.  p.  Scaur.  1  bei  Ascon. 
sagt,  p.  21  Or.  Ist  diese  Angabe  richtig,  woran  man  wohl  kaum 
zu  zweifeln  Ursache  hat,  so  ist  lex  Servilia  jünger  als  lex  Acilia, 
denn  wenn  lex  Servil,  noch  92  v.  C.  in  Geltung  war,  so  kann  lex 
Acilia  unmöglich  später  gegeben  worden  sein,  da  sie  von  dem 
Vater  des  Acilius  Glabrio  herrührte,  welcher  in  dem  Verrinischen 
Prozesse  Präsident  des  Repetundengerichts  war.  Nehmen  wir 
an,  dass  der  Sohn  70  v.  C.  zwischen  40  und  50  Jahr  alt  war,  so 
ist  er  in  der  Zeit  120 — 110  v.  C.  geboren  worden,  und  in  dersel- 
ben Zeit  wird  auch  sein  Vater  als  Volkstribun  die  lex  Acilia  gege- 
ben haben.  Aber  auch  angenommen,  dass  er  sie  einige  Jahre 
später  gab,  so  muss  es  doch  vor  104  v.  C.  geschehen  sein,  wo 
Servilius  Volkstribun  war  und  die  lex  Servil,  repet.  promulgirte, 
unmöglich  nach  dem  J.  92  v.  C,  s.  Z.  p.  19  f. 

Wichtig  ist  die  von  Z.  aufgestellte  Behauptung,  dass  die 
unter  dem  Namen  der  lex  Servilia  bekannten  und  von  Klenze  treff- 
lich bearbeiteten  Gesetzesfragmente  Ueberreste  der  lex  Acilia^ 
nicht  der  lex  Serv.  seien.  Der  Hauptgrund  für  diese  Vermulhung 
ist,  dass  in  den  gen.  Fragmenten  die  ampliatio  erwähnt  sei,  was 
in  der  lex  Servilia  unmöglich  gewesen ,  da  diese  die  ampliatio 
aufgehoben  und  die  coraperendinatio  eingeführt  habe.   Namentlich 


Zumpt:  De  legibus  judicUsqiie  repetundarum  etc.  241 

soll  die  Stelle  der  Fragmm.:  ubi  duae  partes  mdiciim  qui  aderunt 

die  Erwähnung   beweisen,   indem  Z.   die  folgende  Lücke 

supplirt:  rem  sese  nosse  dixerufit^  d.  h.  wenn  zwei  Drittheile  der 
anwesenden  Richter  erklären,  rem  sibi  liquere,  solle  zum  Urtlieil 
geschritten  werden,  wo  nicht,  müsse  ampliatio  eintreten.  Das 
ist  allerdings  nicht  unwahrscheinlich,  allein  dieser  Sinn  ergiebt 
sich  nicht  nothwendig  aus  den  Worten,  namentlich  fehlt  die  An- 
deutung der  ampliatio  gänzlich.  Der  Sinn  der  Stelle  kann  ebenso 
gut  gewesen  sein:  „wenn  zwei  Drittheil  der  Richter  erklären,  rem 
sibi  liquere,  so  könne  das  Urtheil  gefällt  werden,  wo  nicht,  so 
müsse  die  Untersuchung  fortgesetzt  werden,  sei  es  in  demselben 
Termine  (welcher  Tage  lang  ausgedehnt  werden  konnte),  sei  es  in 
einer  anzuberaumenden  comperendinatio. '^  Bei  der  grossen 
Lückenhaftigkeit  des  Textes  an  diesem  Orte  ist  mit  Sicherheit 
nichts  zu  ermitteln.  Wenn  Z.  ferner  sagt,  dass  die  Bestimmung 
der  lex  Servilia:  ad  quos  pecunia  yervenit  in  den  Erztafeln  fehle 
und  dass  diese  desshalb  der  lex  Serv.  nicht  angehören  könnte,  so 
ist  dagegen  zu  sagen,  dass  wir  nicht  wissen,  ob  diese  Bestimmung 
wirklich  gefehlt  hat,  und  dass  dieselbe  in  dem  lückenhaften  18.  Ca- 
pitel  wohl  gestanden  haben  kann.  Für  den  Namen  der  lex  Serr. 
lässt  sich  dagegen  anführen,  dass  die  Fragmm.  Cap.  23  die  prae- 
mia  accusatorura  bestimmten,  was  Cic.  p.  Balb.  24  von  der  lex 
Serv.  angiebt.  Z.  sagt  zwar,  diese  Bestimmung  sei  aus  der  lex 
Acilia  in  die  lex  Serv.  aufgenommen  worden  und  darum  sei  die 
üebereinstimmung  ganz  natürlich;  allein  es  ist  kein  Beweis  dafür 
beizubringen  und  man  darf  wohl  annehmen ,  dass  Cicero  die  lex 
Acilia  genannt  haben  würde,  wenn  diese  die  praemia  accusat.  vor 
der  lex  Servilia  angeordnet  hätte.  Demnach  ist  es  noch  keines- 
wegs entschieden,  ob  die  Fragmente  der  lex  Äc.  oder  Serv.  ange- 
hören. Ein  sicherer  Beweis  liegt  weder  für  das  Eine  noch  für  das 
Andere  vor. 

§.  12.  Bei  den  Repetundenprozessen  nach  lex  Acilia  bemerkt 
Z.  über  C.  Porcius  Cato  mit  Recht,  dass  er  nicht  wegen  Repe- 
tunden  exilirt  wurde,  sondern  nacii  lexMamilia;  aber  daraus,  dass 
er  nach  seiner  früheren  Condemnation  wegen  repet.  Mitglied  des 
Senats  blieb,  folgt  nicht,  wie  Z.  glaubt,  dass  er  auf  dem  Civilwege 
belangt  worden  wäre  und  desshalb  keine  infamia  erlitten.  Die 
infamia  erfolgte  damals  überhaupt  noch  nicht,  wie  bereits  oben 
bemerkt  wurde,  sondern  Cato  blieb  im  Senat  trotz  der  criminellen 
Verurtheilung. 

Im  13.  §  f.  behauptet  Z, ,  dass  der  Volkstribun  C.  Servil. 
Glaucia  104  v.C.  zwei  Gesetze  gegeben  habe:  a)  lex  Serv.  iiidicia- 
ria^  welche  die  Ritter  wieder  zu  den  Gerichten  berufen,  b)  lex 
Serv.  rep.  Die  erste  Annahme  ist  wahrscheinlich,  wenigstens 
steht  so  viel  fest,  dass  die  lex  Serv.  rep.  nicht  etwa  eine  beson- 
dere Abtheilung  mit  allgemeinem  judiciarischen  Inhalt  in  sich 
fasste,  wie  Klenze  vermuthete,  aber  Mommsen  treffend  beseitigt 

£k\  Jahrb.  f.  Phil.  u.  Päd.  od.  Krit.  Dibl.  lid.  LVIII.  Hft.  3.  iß 


242  Römisclic  Staatsalterthünipr. 

Iiat  in  Zeitsclir.  für  Alterthumsw.  1843.  Nr.  103,  welchen  Auf- 
satz Z.  leider  nicht  ijekannt  liat.  Bei  der  Darstellung  der  hx 
Serv.  rep.  beij^c^nen  wir  wiederum  der  Strafbestimmung,  dass  alle 
Condemnirten  mit  infamia  belegt  worden  wären,  was  aber  erst 
durch  lex  Julia  geschah,  s.  unten  8.244  fg.  Unter  den  Uepetunden- 
prozessen  ist  aucli  der  des  L.  Luculius  aufgenommen,  indem  Z.  den 
Ausdruck  bei  Plut.  Luc.  1.  TcXonijg  nicht  in  dem  gewöhnlichen 
Sinne  als  pcculatus,  sondern  als  rep.  nimmt,  da  ein  Proprätor 
keine  Gelegenheit  zu  pecul.  gehabt  habe.  Docli  Luculius  hatte 
als  Feldherr  gegen  die  aufrVihrerischen  Sklaven  Gelegenheit  genug, 
die  ihm  für  den  Krieg  anvertrauten  Staatsgelder  u.  s.  w.  anzugreifen. 

Darauf  werden  wieder  iegcs  iudiciariae  besproclien,  zuerst 
Ipjc  ridiitia^  welche  die  Zahl  der  Kichter  sehr  reducirte.  Wäli- 
rend  lex  Serv.  oder  Acilia  ii'ir  den  Kepetundengerichtshof  allein 
450  Kichter  bestimmte ,  wurden  durch  lex  Plautia  für  alle  Quä- 
stionen  zusammen  nur  'rl'^  Uichter  angeordnet.  Auch  hier  ist  zu 
beklagen,  dass  Z.  IVIommsen's  oben  erwähnte  Abhandlung  nicht 
kannte.  Lex  Cornelia  iudiciaria  gab  bekanntlich  die  Gerichte 
an  die  Senatoren  zuriick  und  verordnete  (nach  Z.),  dass  das  Album 
der  Senator.  Richter  3  Abtheilungen  oder  Decurien  enthalten 
sollte,  in  der  ersten  decuria  die  Consularen,  in  der  zweiten  die 
praetorios,  in  der  dritten  die  anderen  Exmagistrate  und  dazu  noch 
einige  andere  Senatoren  in  jeder  dec.  Bei  dieser  Ziimptschen 
Eintheilung  der  dec.  ist  nicht  zu  loben,  dass  die  dec.  nach  dem 
Range  bestimmt  worden  wären  ,  da  es  aus  vielen  Griinden  zweck- 
mässiger war,  die  dec.  iud.  aus  allen  Arten  von  Senatoren  ge- 
mischter Weise  zusammen  zu  setzen.  Auch  fragt  es  sich  sehr,  ob 
lex  Corn.  besondere  neue  dec.  iud.  einführte,  oder  ob  sie  nicht 
vielmehr  die  alte  Eintheilung  des  Senats  in  decurias  Behufs  der 
Gerichte  annahm  und  benutzte,  wofür  wenigstens  die  Schol.  spre- 
chen, Gronov.  ad  Verr.  p.  892.  Ps.  Asc.  p.  131  Or.  Die  einzigen 
Stellen  Cic.  Verr.  I.  öl.  V.  32.  p.  Clu.  37  sind  zu  kurz,  als  dass 
sie  ein  näheres  Erkenntniss  des  Instituts  gestatteten. 

§  18.  In  Beziehung  auf  die  lex  Cornelia  repel.  ist  nichts 
zu  bemerken,  ausser  über  die  Strafen.  Eine  schöne  Vermulhung 
Z.s  ist,  dass  dieses  Gesetz  27ofachen  Ersatz  des  verursachten 
Schadens  bestimmt  habe,  weil  Cicero  in  dem  Verrinischen  Pro- 
zess  diese  Forderung  machte.  Mit  dieser  Geldstrafe  sei  infamia 
verbiinden  gewesen  (s.  oben)  und  aus  Furcht  vor  diesen  beiden 
Strafen  seien  Viele  der  Angeklagten  in  das  Exil  gegangen  *).  Das 
Exil  sei  nämlich  iion  poena^  sed  fuga  poe?iae  gewesen  und   nur 


*)  Z.  sagt,  dass  er  nicht  wisse,  wie  ich  (Crim. -Recht  p.  622  f.)  die 
Strafe  des  Exils  mit  einer  ge\>issen  infamia  minor  verbinden  könne,  was 
jedoch  ganz  gut  angeht.  Das  Kxil  traf  nur  die  wirklichen  Capilal- 
verbrecher,  welche  sich  ausser  Erpressung  Grausamkeit  n.  s,  w.   hatten 


Zumpt:  De  legibus  judiciisque  repetundarum  etc.  243 

gegen  die  vor  der  Condemnation  Geflohenen  sei  aquae  et  ignis  in- 
terdictio  ausgesprochen  worden,  nebst  Confiscation.  Ich  will  liier 
nicht  wiederholen,  was  ich  mehrmals  über  diese  falsche  Auffas- 
sung des  exiliura  gesprochen  habe,  und  nur  die  Hauptmomente  be- 
merken. Wäre  das  Exil,  wie  Z.  und  viele  Ändere  glauben,  keine 
Strafe,  sondern  nur  eine  Maassregel  gewesen,  welche  die  Riick- 
kehr  des  flüchtigen  Angeklagten  hindern  sollte,  so  wäre  die  in 
vielen  Gesetzen  (namentlich  in  dem  Cornelischen  u.  Julischen) 
vorkommende  Strafformel:  „dass  den  Verbrecher  aquae  et  ignis 
interdictio  treff'en  sollte'"'  eine  höchstwunderbare,  denn  wie  konnte 
das  Gesetz  im  voraus  wissen,  ob  jeder  Angeklagte  freiwillig  in  das 
Exil  gehen  würde?  Was  wäre  geschehen,  wenn  es  dem  Ange- 
klagten nicht  beliebte,  sich  zu  entfernen  und  in  welchem  Falle 
der  Bann  nicht  hätte  ausgesprochen  werden  können*?  Wir  haben 
aber  genug  Beispiele  von  Männern,  welche  mit  aquae  et  ign.  in- 
terd.  nicht  etwa  erst  nach  ihrer  Flucht  von  Rom  belegt  wurden, 
sondern  bei  ihrer  Anwesenheit,  indem  sie  den  ürtheilsspruch  ab- 
warteten und  auf  Freisprechung  hofl'ten.  Nach  Z.'s  Theorie 
würde  es  aber  unmöglich  gewesen  sein,  dass  ein  in  Rom  Anwesen- 
der mit  dem  Banne  belegt  worden  wäre.  Beispiele  von  Anwesenden 
sind:  P.  Rutilius  Rufus  und  T.  Albucius,  beide  wegen  Repetunden 
anwesend  mit  dem  Exil  belegt.  M""  Aquilius  wäre  nicht  dem  Exil 
entgangen ,  wenn  er  nicht  absolvirt  worden  wäre,  s.  Cic.  de  or. 
II.  47  quinn  mihi  JSVAq.  in  civitate  retinendiis  esset.  Auch 
wegen  anderer  Verbrechen  wie  ambitus  und  maiestas  wurden  man- 
che Anwesende  mit  dem  Banne  belegt,  z.  E.  L.  Memmius,  A.  Ga- 
binius,  T.  Annius  Milo,  T.  Munatius  Plauens  Bursa,  M.  Aemilius 
Scaurus  u.  A.,  über  welche  die  Belegstellen  in  meinem  Criminal- 
recht  und  in  Orelli's  clavis  Cic,  zu  finden  sind.  Demnach  müssen 
wir  nothwendiger  Weise  eine  doppelte  Anwendung  der  aq.  et  i.  i. 
unterscheiden:  a)  als  Bann  gegen  den  Abwesenden,  um  dessen 
Rückkehr  zu  verhindern,  b)  als  eine  in  förmlichem  ürtheil  aus- 
gesprochene Strafe  gegen  einen  Anwesenden,  durch  welche  der- 
selbe zur  Abreise  gezwungen  wurde.  In  diesem  letzteren  Sinne 
begegnen  wir  der  aq,  et  i.  i.  so  häufig  In  den  Strafgesetzen  der 
späteren  republikanischen  Zeit,  wo  eine  andere  Auslegung  unmög- 
lich ist.  —  Ein  anderer  Irrthum  Z,'s  ist,  dass  mit  der  aquae  et 
i.  i.  stets  Vermögensconfiscation  verbunden  gewesen  sei.  Der 
Exulirte  (sowohl  der  freiwillige  als  der  gezwungene)  behielt  sein 
ganzes  Vermögen,  ausser  bei  den  Verbrechen,  welche  Schaden- 
ersatz nach  sich  zogen.  Hier  nämlich  trat ,  wenn  das  Vermögen 
zur  Bezahlung  der  gerichtlich  verhängten  Geldstrafe  nicht  aus- 


zii  Schulden  kommen  lassen,  die  infamia  minor  bezog  sich  nur  auf  die, 
welche  wegen  einfacher  Erpressung  blos  litis  aestimatio  erfuhren,  also 
nicht  capital  verurtheilt  worden  waren. 

16* 


244  Römische  Slaatsaltorthiinior. 

reit  litc,  Vcrmöijcnsconfiscation  ein.  Sichere  Beweise  fiir  diese 
yehaiiptuii';  sind  or.  p.  dorn.  17  nt  ne  pocnci  capitis  cum  pecunia 
conimi^aiui  ,  Suet.  Caes.  4:i  pocnas  faciuoriun  aiixit  et  quum 
locupletes  eo  facilius  scelere  se  obli^arent  quod  iniegris  putii- 
inoiiiis  ejculubant^  parricidas —  boiiis  omnibus^  reliquos  dinii- 
dia  parte  j/iultavit^  endlich  Jiiv.  1.  47  ff. 

—  et  hie  damnatiis  inani 
Jndicio  (f/uid  eiiim  salvis  infamia  Jitunrnis  ?) 
Jbixsul  ab  octava  Marias  bibit  et  frititur  Dis 
Iratis :  at  tu  victrijo  proviiicia  ploras. 
7t.  durfte  um  so  weniger  diese  Annalwne  aulstellen,  da  er  das  K\il 
als  fnga  poenae  bezeichnete.     Was  hätte  dem  Condemnirten   die 
Entrernung  geholten ,  wenn  in  Folge  derselben  Confiscation  ein- 
getreten wäre*?     Dann  liätte  er  besser  gethan,  in  Rom  zu  bleiben, 
die  Geldstrafe  zu  bezahlen  und  auf  diese  Weise  wenigstens  einen 
Theil  seines  V  ermögens  zu  retten. 

Nach  einer  lebendigen  und  schönen  Schilderung  des  Verrini- 
sclien  Prozesses  (in  welcher  die  Abh  von  Zeyss  über  die  abwei- 
chende Streitsumnie  hei  Plutarch  nicht  beriicksichtigt  ist)  folgen 
die  andern  nach  lex  Corn.  angestellten  Anklagen;  darunter  auch 
die  ^Q^^w  P.  Septimius  Scaevola,  ein  Mitglied  des  beri'ichtigten 
iudiciura  lunianura,  wo  Z.  bemerkt,  dass  ich  die  Conderanation  der 
iudices  luniani  auf  die  lex  Cornelia  bezogen  hätte.  Dieses  ist 
jedoch  ein  3Iissvers(ändniss,  denn  ich  habe  zwar  der  vollständigen 
üebersicht  wegen  die  sämmtlichen  Mitglieder  dieses  Richtercol- 
legiums  zusammengestellt,  aber  bei  eiiiera  Jeden  das  Verbrechen 
genannt,  dessen  er  speciell  condemnirt  war.  An  lex  Corn.  l»abe 
ich  nicht  gedacht,  noch  etwas  Derartiges  gesagt. 

Die  //.  Abtheiluug  beginnt  mit  einer  langen  Digression  iiber 
die  leges  iudiciariae  Aiirel.  und  ratin.  Die  erstere,  70  v.  C, 
schuf  ganz  neue  Richterdecnrien,  eine  der  Senatoren,  eine  der 
Ritter ,  eine  der  tribuni  aerarii,  wo  Z.  richtig  bemerkt,  dass  im 
gemeinen  Leben  die  Aerartribunen  mit  zu  den  Rittern  gerechnet 
worden  wären  und  dass  desshalb  hei  einigen  Schriftstellern  nur 
von  2  ordines  iud.,  Senatoren  und  Equites,  die  Rede  ist.  Neu 
und  ansprechend  ist  die  Ansicht,  wie  sich  nach  diesem  Gesetz  die 
Zahl  der  Richter  für  jeden  Prozess  vermehrt  liabe,  nämlich  ver- 
fünffacht. So  wären  nach  lex  Corn.  1')  Richter  bei  jeder  Repe- 
tundensache  gewesen,  nach  lex  Aurelia  7 J ,  nach  lex  Corn.  maist. 
14,  nach  lex  Aur.  7U  u  s.  w.  Lex  Vatinia  \.  51)  v.  C.  wiid  mit 
Recht  nicht  ausschliesslich  auf  die  iudicia  repet.  bezogen. 

§.  24.  Jje.v  Jutia  repet.  zeichnete  sich  vorziiglich  durch  sorg- 
fältige Aufzählung  aller  als  Repetunden  anzusehenden  Handlungen 
aus,  welche  Z.  genau  erörtert.  Was  die  Strafen  betrifft,  so  be- 
stand sie  in  vierfachem  Schadenersatz  und  Exil,  obgleich  dieses 
Z.  in  Abrede  stellt.  Da  aber  aquae  et  i.  i.  nicht  eine  eventuelle 
Androhung  gewesen  sein  kann,  so  müssen  wir  hier  sowohl  wie  bei 


Zumpt:  De  legibus  judiciisque  repetundarum  etc.  245 

lex  Com.  die  Exilstrafe  festlialten.  Vgl.  auch  die  oben  erwähnte 
Stelle  bei  Juv. ,  welche  sich  auf  die  Zeit  nach  lex  Julia  bezieht. 
Was  die  von  Z.  schon  früher  ang^enommene  infamia  betrifft,  so 
hat  sich  diese  erst  durch  lex  Julia  bestimmter  entwickelt,  indem 
diese  für  diejenigen,  welche  nicht  exilirt  wurden,  besondere 
Ehrensclimälerungen  aufstellte,  s.  mein  Crirainalrecht  p.  630. 

§.  26.  Hier  wird  der  gute  Gedanke  ausgesprochen,  dass  die 
durch  lex  Pompeia  de  vi  und  de  ambitu  gemachten  prozessuali- 
schen schärferen  Bestimmungen  später  auch  auf  die  anderen  Pro- 
zesse ausgedehnt  wurden,  was  nach  Dion.  XL.  52  nicht  in  Abrede 
zu  stellen  ist. 

Die  ///.  Abtheilnjig  wird  mit  den  von  August  in  seinen  legi- 
bus public  omni  et  privatorum  iudicioruni  gemachten  Verände- 
rungen des  Gerichtswesens  eröffnet.  1)  Indicurn  lectio^  welche 
der  Kaiser  selbst  übernahm  und  in  dessen  Abwesenheit  die  Präto- 
rcs.  2)  Aetas  iiidicuin  war  früher  das  30.  Jahr  (nicht  zugleich 
das  Jahr  der  Quästur,  wie  Z.  irriger  Weise  glaubt,  s.  oben  bei 
]\r.  2),  und  doch  sagt  Suet.  Aug.  32  iiidices  a  XXX.  aelatis  anno 
(dlegü  i.  e.  quinquennio  maturius  quam  solebant.  Die  dadurch 
bewirkte  Differenz  will  Z.  beseitigen  und  zugleich  die  Lesart  bei 
Suet.  festhalten,  indem  er  sagt:  in  lex  Aurelia  sei  für  die  senato- 
rischen Uichter  das  30.,  für  die  andern  Richter  das  35.  Jahr  be- 
stimmt worden,  August  liabe  den  Terrain  um  5  Jahr  verkürzt, 
als  für  Senatoren  das  25.  und  für  die  andern  das  30.  Jahr  ange- 
ordnet. Doch  dieser  Ausw  eg,  einen  Unterschied  der  Richter  nach 
ihrem  Stande  zu  maclien,  ist  nicht  glücklich  zu  nennen,  indem  die 
Römer  wohl  schwerlich  den  Grundsatz  anwandten:  quo  quis  no- 
bilior  est^  eo  citius  sape/e  existitnatur.  Viel  leichter  ist  der 
Vorschlag  von  Geib  (s.  Pauly  Realencycl.  IV.  p.  359),  bei  Suet. 
statt  XXX  zu  lesen  XXV,  so  dass  bei  allen  Richtern  das  25.  Jahr 
galt,  welches  auch  in  der  Kaiserzeit  oft  als  das  regelmässige  wie- 
derkehrt, 3)  Decuriae  indicum^  mit  einer  trefflichen  Erklärung 
der  Ilauptstelle  bei  Plin.  h.  n.  XXXIII.  7 f.  Es  waren  4  decuriae: 
1)  senatorum,  2)  equitum,  3)  centurionum  (nach  der  von  August 
wieder  hergestellten  Einrichtung  des  Antonius,  wenn  sie  auch 
nicht  cent.  genannt  wurden,  sondern  noch  oft  trib.  aer.  hiessen), 
4)  ducenariorum.  Die  selecti  bei  Plin.  sind  die  equites,  die 
schlechtweg  genannten  iudices  die  ducenarii.  Die  3  ersten  Dc- 
curien  entschieden  über  die  wichtigen  Criminal-  und  Civilsachen, 
die  4.  Decurie  über  die  minder  wichtigen  Angelegenheiten,  So- 
dann bespricht  Z.  die  Gerichtsferien  und  erklärt  die  Worte  Suet,, 
dass  Singulis  decuriis  per  vices  annua  vacatio  esset^  treffend  da- 
liin,  dass  von  jeder  dccuria  ein  gewisser  Theil  (einige  ünterdecu- 
rien)  ein  ganzes  Jahr  pausiren  sollten  und  dass  demnach  decuria 
einen  doppelten  Sinn,  einen  engeren  und  weiteren,  gehabt  habe. 
Unmöglich  wäre  anzunehmen,  dass  immer  eine  ganze  Decurie  ein 
ganzes  Jahr  Ferien  gehabt  hätte. 


240  Römische  Staatsalterthümcr. 

§.  31.  Leber  die  Vorsteher  der  Gerichte^  die  Practoren 
iijid  P/aefectus  urbi.  Um  zu  erklären,  wie  die  prätorisclien  Gc- 
riclite  oder  quaestiones  perpetuae  allmälig  durch  die  Praef.  urbi 
verdrängt  worden  wären,  behauptet  Z.,  der  praef.  urbi  Iiabe  ur- 
sprüniilicli  die  Sachen  nur  voruntcrsuclit  oder  instruirt  nnd  die 
Sache  dann  dem  betreffenden  Prätor  überwiesen,  blos  die  inalc- 
ficia  manil'esta  habe  er  alsbald  selbst  bestraft.  Doch  nur  das 
Letzte  ist  wahrscheinlich,  das  FJrste  ist  aus  mehreren  Gründen  zu 
verwerfen.  Vorzüglich  muss  man  bedenken,  dass  die  praef.  urb. 
ihre  Gewalt  erst  nach  und  nach  ausdehnten,  dass  also  in  der  ersten 
Zeit  eine  solche  Unterordnung  der  Praet.  unter  den  Praef.  nicht 
gut  zu  denken  ist.  Ueberhaupt  steht  dieser  §.  so  wie  die  zunächst 
folgenden  an  Gründlichkeit  den  andern  weit  nach,  Mas  zum  Theil 
davon  seinen  Grund  hat,  dass  die  Sache  zu  schwierig,  der  Stoff  so 
reich  und  die  Quellen  nicht  selten  so  widerstreitend  sind,  dass  es 
eines  grösseren  Raumes  bedarf.  Es  wäre  besser  gewesen,  wenn 
der  Verf.  mit  wenigen  Zeilen  über  diese  A^erhältnisse  weggegan- 
gen wäre,  da  sie  nicht  unmittelbar  in  den  zu  behandelnden  Kreis 
gehören. 

§.  32  f.  Der  Kaiser  als  Richter  und  Appellationsinstanz, 
Hier  unterscheidet  Z.  die  Appellation  gegen  die  Decrete  der  Ma- 
gistrate in  iure  von  der  gegen  die  in  iudicio  gefällten  ürtheils- 
sprüclie  und  legt  einen  zu  hohen  Werth  darauf  (indem  er  glaubt, 
dass  die  zweite  Art  der  Appellation  an  den  Kaiser  später  aufge- 
kommen sei  als  die  erste),  denn  es  fragt  sich  sehr,  ob  die  liömer 
der  Kaiserzeit  in  praxi  wirklich  an  diesen  Unterschied  dachten. 
Dass  die  Quelle  dieser  kaiserlichen  Befugniss  die  potestas  tribu- 
nicia  war,  erkannte  Z.  richtig,  nur  hätte  er  auf  den  grossen  Un- 
terschied der  alten  potestas  trib.  und  derjenigen,  wie  sie  der  Kaiser 
übte,  eingehen  sollen,  z.  E.  dass  die  alten  Tribunen  ihr  Amt  nur 
ein  Jalir,  die  Kaiser  aber  lebenslänglich  bekleideten,  dass  demnach 
das  auxilium  der  Tribunen  bei  eingelegter  Appellation  nur  vorüber- 
gehend war  (wenn  nicht  die  Nachfolger  denselben  Schutz  ange- 
deihen  Hessen),  während  ein  kaiserlicher  Spruch  die  Sache  ein 
für  allemal  abmachte.  Dazu  kommt,  dass  die  Kaiser  nicht  blos 
die  pot.  trib.,  sondern  auch  das  höchste  Imperium  hatten,  dem- 
nach also  die  an  sie  gebrachten  Urtheile  nicht  blos  cassiren,  son- 
dern auch  reformiren  konnten ,  und  so  waren  sie  die  Schöpfer  des 
Instanzenzugs,  welcher  der  republikanischen  Zeit  ganz  fremd  war. 
Alles  dieses  hat  Z.  nicht  berücksichtigt. 

§.  34-.  ])ie  Appellation  ans  den  Provinzen  ging  bei  den  kai- 
serlichen Provinzen  an  die  kaiserlichen  Statthalter,  bei  den  Volks- 
oder Senat.'iprovinzcn  eigentlich  an  den  Senat  und  erst  nach  und 
nach  an  den  Kaiser.  Dieses  entwickelt  Z.  vollkommen  befriedi- 
gend ,  nur  durfte  er 

§.  35  die  Appellationen  an  den  Senat  ^  welche  durch  ganz 
allgemeineStelleubestätigtwerdeii(Suet.rSer.l7.Tac.  Ann.XIV.  2?^. 


Zumpt:  De  legibus  judiciisque  repctundaruin  etc.  247 

Vop.  Prob  13),  nicht  blos  auf  die  Appellationen  aus  den  Volks- 
provinzen beschränken.  Die  Quellen  der  späteren  Zeit  schweigen 
allerdings  von  der  Äppellationsbefugniss  des  Senats,  allein  dieses 
hat  darin  seinen  Grund,  dass  das  Appellationswesen  immer  sorg- 
fältiger geordnet  wurde,  während  friiher  die  Trennung  der  Fora 
keineswegs  so  scliarf  war,  und  dass  der  Senat  überhaupt  immer 
tiefer  sank,  also  aucfi  dieses  Recht  einbüsste. 

§.  36,  Nach  dieser  langen  Digression  kehrt  Z.  zu  dem  Re- 
petundenvcrgehen  zurück  und  berichtigt  die  Hauptnachträge  zu 
der  früheren  Gesetzgebung,  z.  E.  über  die  Begleitung  der  Frauen 
in  den  Provinzen,  die  Vergehungen  der  Begleiter  und  mehrere 
Verwaltungsraaassregeln.  Recht  gut  behandelt  §.  37  dieThcilung 
der  Provinzen  in  kaiserliche  und  Senatsprovinzen,  wo  die  Lage 
der  ersteren  als  weit  vorzüglicher  dargestellt  wird.  Zu  den  sehr 
nützlichen  Neuerungen  gehörte  die  Fixirung  der  salaria,  welcher 
Gegenstand  durch  Z.  wesentlich  gefördert  worden  ist  (§.  38). 
Nach  der  Schlussbehauptung,  dass  die  Lage  der  Provinzen  unter 
den  Kaisern  weit  glücklicher  gewesen  als  in  den  Zeiten  der  Re- 
publik (§  39)  werden  die  Repetiindeiigerichte  geschildert  und 
zwar  zunächst  die  Gerichte  des  Senats  (§.  40  f.).  Von  vor- 
züglicher Wichtigkeit  war  die  Freiheit,  welche  der  Senat  in  Be- 
ziehung auf  die  Ertheilung  der  Strafe  erhielt,  so  dass  er  die  ge- 
setzlichen Strafen  et  mitigare  et  intendere  (Plin.  ep,  IV.  9) 
durfte.  Neben  der  Criminalstrafc  stand  nocli  immer  der  in  der 
litis  aestimatio  zu  ermittelnde  Schadenersatz  (§.  43).  In  den  bei 
Tac.  Ann.  L  74  erwähnten  Recuperatoren  erkennt  Z.  mit  Recht 
Senatoren,  welche  mit  dieser  Untersuchung  beauftragt  wurden. 
In  §.  44  wird  das  Verhältniss  der  kaiserlichen  Jurisdiction  über  die 
Senatoren  neben  der  des  Senats  beleuchtet.  Die  Senatoren  wur- 
den nur  von  ihres  Gleichen  gerichtet,  bis  dieses  mit  der  steigen- 
den Macht  der  Kaiser  und  dem  sinkenden  Einfluss  des  Senats 
anders  wurde.  Dass  aber  der  Kaiser  schon  im  Anfang  dieser  Pe- 
riode über  angeklagte  Senatoren  eine  Voruntersuchung  mit  seinem 
Consistorium  gehalten  liabe,  darf  man  nicht  mit  Z,  aus  Spart. 
Hadr.  8  folgern,  denn  diese  Notiz  rührt  schon  aus  der  Zeit  her, 
in  welcher  der  gesetzliche  Geschäftskreis  des  Senats  nicht  mehr 
so  genau  beobachtet  wurde. 

Der  46.  §.  giebt  eine  schöne,  obwohl  nichts  Neues  enthal- 
tende Darstellung  der  in  der  Kaiserzeit  üblichen  Strafarten  und 
der  47.  §.  eine  Üebersicht  der  unter  den  Kaisern  vorkommenden 
Repetundenprozesse,  welche  durch  mein  Criminalrecht  S.  667  ff. 
noch  einige  Ergänzungen  erhalten  konnte.  —  So  haben  wir  die  — 
wenigstens  auf  dem  antiquarischen  Gebiet  —  letzte  Gabe  des 
verewigten  Z.  bis  zum  Ende  begleitet  und  haben  bei  manchen 
einzelnen  Irrthümern  und  weniger  befriedigenden  Partien  doch 
viel  des  Neuen  und  Lehrreichen  gefunden,  welches  theils  einen 


248  Griechische  Littcratur. 

festen  Platz  in  tler  Eiitwickehing  der  "Wissenschaft  behaupten; 

zter  Forscluuij 

(Schliiss  folgt.) 


llieils  Andere  zu  fortgesetzter  Forscluing  anregen  wird 


W,  Rein. 


J)e  Polilia^  Timneo^  Critia.,  ullimo  Platonico  temione^  libfo- 
7  um  de  Legibus  praeciptia  habila  ralione:  dissemit  et  in 
Caesarea  Litterarum  Universitate  Kasaiicnsi  publice  def.  Clcotildus 
Falcrianus  Tchorzcwski.      Kasani,  1847.      188  S.    8. 

Der  Verfasser  bietet  in  dieser  sehr  interessanten  und  mit 
Scliarfsinn  und  Gelehrsamkeit  abgefassten  Schrift  einerseits  mehr, 
andererseits  aber  auch  weniger  dar,  als  man  dem  Titel  zufolge 
von  ihm  erwarten  dürfte.  Denn  gewiss  erwartet  Jeder  zunächst 
nur  eine  Abhandlung  über  Zweck,  Inhalt  und  Abfassungszeit  der 
genannten  Platonischen  Schriften.  Allein  bei  dieser  Aufgabe  ist 
der  Verf.  keineswegs  stehen  geblieben,  Tielraehr  hat  er  sich  in 
einer  mehr  als  ein  Drittheil  des  Werkes  einnehmenden  Abhand- 
lung im  Allgemeinen  auch  über  die  verschiedenen  Wege  verbrei- 
tet, welche  man  von  jeher  zur  Ermittelung  und  Feststellung  einer 
bestimmten  Reihenfolge  der  Platonischen  Schriften  betreten  hat. 
Auf  der  andern  Seite  hat  er  aber  die  verlieissene  Berücksichtigung 
des  Werkes  von  den  Gesetzen  so  gut  wie  gänzlich  fallenlassen; 
ja  selbst  das,  was  über  den  Timäus  und  Critias  mitgetheilt 
wird ,  beschränkt  sich  wesentlich  nur  auf  chronologische  Bestim- 
mungen, wahrend  von  einem  inncrn  Zusammenhange  dieser  Werke 
mit  der  Politie  nirgends  gehandelt  wird.  Ja  die  Schrift  be- 
schäftigt sicli  auch  mit  der  Politie  nur  in  Bezug  auf  die  Frage 
nach  ihrer  Abfassungszeit,  ohne  auf  ihren  philosophischen  Inhalt 
oder  ihre  künstlerische  Construction  tiefer  einzugehen  ,  und  so 
möchte  man  wohl  auch  von  diesem  Standpunkte  aus  zu  der  Be- 
hauptung berechtigt  sein  ,  dass  nicht  Alles  das  in  Erfüllung  ge- 
setzt worden  ,  was  die  Aufschrift  des  Werkes  verheisst.  Indessen 
bleiben  die  von  dem  Verf.  gebotenen  Untersuchungen  immerhin 
wichtig  und  interessant.  Denn  die  darin  behandelten  Gegenstände 
sind,  wie  jeder  mit  Piaton  auch  nur  einigermaassen  Vertraute 
leicht  zugestehen  wird,  für  die  richtige  Würdigung  der  Platoni- 
schen Schriften  überhaupt  so  wie  fiir  ihr  volleres  Verständniss 
von  höchster  Bedeutsamkeit,  indem  sie  namentlich  auch  ein  Licht 
auf  den  Bildungsgang  des  Philosophen  zu  werfen  geeignet  sind, 
ohne  dessen  Berücksichtigung  auch  keine  sichere  Gruppirung  sei- 
ner verschiedenen  Schriftwerke  jemals  möglich  werden  wird. 
rSehmen  wir  daher  das  vom  Verf.  Gebotene  dankbar  auf  und  wür- 
digen dasselbe  nach  seinem  Inhalte,  um  so  den  Gewinn  kennen  zu 
lernen,  welchen  die  Platonische  Lilteratur  dadurch  erhalten  hat. 


Tchorze^vsk^ :  De  Piatonis  Polltia,  Timaeo,  Critia.  249 

Schon  oben  haben  wir  angedeutet,  dass  die  Schrift  des  Hrn. 
Tch.  von  selbst  in  zwei  Haiipttheile  zerfällt,  indem  der  besondern 
Untersuchung  über  die  Politie  und  ihre  Abfassungszeit  eine 
Abhandlung  allgemeineren  Inhaltes  vorangeht,  welche  sich  mit 
den  verschiedenen  Versuchen  beschäftigt,  welche  zur  Feststel- 
lung einer  Anordnung  und  Reihenfolge  der  Platonischen  Werke 
gemacht  worden  sind.  Unsere  Aufgabe  kann  denn  auch  demge- 
mäss  keine  andere  als  die  sein,  dem  Hrn.  Verf.  auf  diesem  von  ihm 
betretenen  Wege  seiner  Untersuchung  zu  folgen,  und  wir  werden 
daher  beide  Abhandlungen,  obschon  dieselben  mit  einander  in 
einer  gewissen  Verbindung  stehen,  im  Ganzen  auseinander  zu  Iial- 
tcn  und  besonders  zu  betrachten  haben. 

Fassen  wir  also  zunächst  den  ersten  Theil  der  Schrift  ins 
Auge,  so  muss  Rec.  gestehen,  dass  derselbe  ihn  fast  überall  voll- 
kommen befriedigt  hat  und  dass  die  darin  niedergelegten  oder 
damit  gewonnenen  Ansichten  ganz  auch  die  seinigen  sind.  Bei 
der  Seltenheit  der  Schrift,  die  jedenfalls  unter  uns  nur  Wenigen 
zugänglich  sein  dürfte,  wird  es  indessen  nicht  unzweckmässig 
sein,  nichts  desto  weniger  dasjenige,  was  der  Verfasser  in  diesem 
Theile  derselben  behandelt  hat,  in  der  Kürze  mitzutheilen,  be- 
sonders da  Einzelnes  davon  auch  geeignet  scheint,  zu  weiterer 
Verfolgung  der  begonnenen  Untersuchungen  anzureizen.  Das 
Wesentliche  der  Untersuchung  läuft  aber  auf  Folgendes  hinaus. 

Der  Verf.  beginnt  mit  Bestreitung  der  bekannten  Schlei  er- 
mach er'schen  Ansicht,  dass  Piaton  schon  beim  Beginn  seiner 
schriftstellerischen  Laufbahn  eine  Gesammtanschauung  seiner 
Lehre  im  Geiste  aufgenommen  und  die  Keime  des  Einzelnen  und 
Ganzen  derselben  bereits  damals  in  sich  getragen  habe,  so  dass 
seine  Schriften  gleichsam  ein  Abbild  der  allmäligen  organischen 
Fortbildung  und  Entwickelung  derselben  darstellen  und  dem- 
gemäss  unter  sich  zu  verbinden  und  anzuordnen  seien.  Der  Ver- 
fasser weist  nach,  wie  dies  bereits  auch  vom  Rec.  und  von  K.  F. 
Hermann  geschehen  ist,  dass  dies  weder  an  sich  wahrschein- 
lich sei,  noch  auch  mit  den  über  Platon's  Leben  und  Bildungs- 
gang auf  uns  gekommenen  ISachrichten  irgendwie  in  Uebereinstim- 
mung  gebracht  werden  könne.  Was  er  hierüber  sagt,  enthält 
indessen  eben  nichts  Neues.  Dagegen  ist  die  Bemerkung  und 
deren  Durchführung  etwas  Verdienstliches  von  ihm,  dass  jene 
Schleierraacher'sche  Ansicht  auch  jeder  sonstigen  historischen 
Bestätigung  ermangele.  Der  Verfasser  stellt  nämlich  die  sehr 
richtige  Behauptung  auf,  dass  dieselbe  sich  auch  desshalb  nicht 
als  wahrscheinlich  bewähre,  weil  über  eine  bestimmte  Rei- 
henfolge d  er  Platonischen  Schriften  im  gesamraten  Al- 
terthume  durchaus  nichts  verlaute,  während  sich  doch  mit  Zuver- 
lässigkeit annehmen  lasse,  dass,  wenn  eine  solche  ursprünglich 
vorhanden  gewesen,  die  ersten  Nachfolger  und  Schüler  des  gros- 
sen Mannes  davon  Kunde  gehabt  haben  würden.    Gewiss  eine  sehr 


250  Griechische  Litteratur. 

einlenclitcnde  Behauptung,  die  um  so  zuverlässin:er  sclieiut,  da 
selbst  Speii  sipp  US,  Sctiwestersoliii  und  Nachfolger  des  Pia- 
ton, in  seinen  Coinmcntaren  über  Pliitons  Leben  und  Scliriften 
nichts  davon  berichtet  haben  kann.  Denn  wäre  dies  der  Fall  sc- 
wcsen ,  so  würden  Spätere  nicht  so  un^ewiss  über  die  Saclie  ge- 
blieben sein,  zumal  da  auch  noch  A  pul  ejus  das  Werk  des 
Speusip|)us  benutzt  zu  haben  scheint.  Dieser  Satz  nun  führt 
den  Verf.  w  eitcr  zu  einer  Beleuchtung  der  verschiedenen  Kinthei- 
lungen  und  Anordnungen  der  Platonischen  Schriften,  welcfie  in 
der  späteren  Zeit  sich  hervorthun,  und  veranlasst  ihn  genauer 
nachzuweisen,  dass  dieselben  keineswegs  aus  alter  Zeit  abstam- 
men.  sondern  erst  spätem  Ursprungs  sind.  Vorzüglich  handelt 
er  (S.  3(1  ir)  über  die  von  Manchen  für  uralt  gehaltene  Einthei- 
lung  nach  Trilogien  und  Tetralogien.  Die  Trilogieii 
anlangend^  so  zeigt  er  aus  Diogen.  Laert.  III.  61,  dass  zuerst 
Ari  s  tophan  e  s  von  By  zanz  die  danach  gebildete  Eintheilung 
der  Platonischen  Schriften  erfunden  habe,  eine  Ansicht,  welche 
so  überzeugend  begründet  wird,  dass  wir  nichts  Wesentliches  hin- 
zuzufügen wüssten.  Einleuchtend  wird  auch  die  Veranlassung 
dargestellt ,  welche  den  berühmten  Grammatiker  zu  seinen  Anord- 
nungsversuchen führen  konnte.  Der  Umstand  nämlich,  dass  in 
der  That  einige  Platonische  Schriften  vorhanden  sind,  welche  sich 
von  selbst  trilogisch  verbinden,  namentlich  der  Sophist,  Po- 
litikus und  Parmenides,so  wie  die  Politie,  der  Timäus 
und  der  unvollendet  gebliebene  Critias,  brachte  ohne  Zweifel 
deii  Kritiker  auf  den  Gedanken,  die  trilogische  Eintheilung  voll- 
ständig durchzuführen,  und  so  versuchte  er  denn  von  einem  äus- 
serlichen  Standpunkte  aus,  was  zu  versuchen  die  nähere  Betrach- 
tung des  Inhaltes  der  übrigen  Platonischen  Schriften  ihn  wohl 
Iiäüe  abhalten  können.  Aber  freilich  das  tiefere  B^indringen  in 
Platonische  Weisheit  war  nun  einmal  nicht  die  Aufgabe,  welche 
die  damaligen  Kritiker  sich  gestellt  hatten  ,  und  so  konnte  es  leicht 
geschehen,  dass  aus  blos  äusserlichen  Gründen  eine  solche  Ein- 
theilung versucht  wurde  und  Aufnahme  fand.  —  Das  Beispiel  des 
Aristophanes  nun  reizte  später  zu  andern  ähnlichen  Versu- 
chen an,  besonders  da  die  ünzweckmässigkeit  seines  Verfahrens 
doch  nicht  für  alle  Zeit  verborgen  bleiben  konnte.  Daher  ver- 
buchten denn  Dercyllides  und  nach  ihm  Thrasyllus  eine 
Eintheilung  der  Platonischen  Schriften  nach  Tetralogien, 
worüber  der  Verf.  von  S.  48  an  handelt.  Mit  Recht  wird  hier 
bemerkt,  dass  auch  hierbei  Platon's  Beispiel  vor  Augen  schweben 
mochte.  Denn  die  Trias  der  R  e  p  u  b  lik,  des  Timäus  und  des 
Cri  tias  sollte  ja  noch  den  verheissenen  Ilermogencs  in  sich 
aufnehmen,  wodurch  sich  dieselbe  von  selbst  zur  Tetralogie 
würde  fiestaUet  haben,  und  eben  dieses  gilt  auch  vom  Sophist, 
Politikus  und  Pa  r  menid  es,  zu  welchen  noch  der  Ph  iloso|)  h 
verheissen  zu  sein  schien.     Dazu  kam  noch  die  Bedeutung  der 


TchorzGwskI :  De  PJatonis  Politia,  Timaeo,  Critia.  251 

Tetractys,  wclclie  auch  in  der  Platonischen  Pliilosopliie  ihre 
Rolle  spielt.  Somit  hatte  allerdings  die  tetralogische  Ein- 
theihnig  mindestens  eine  äiinliche  Unterlage,  wie  die  nach  Tri- 
logien,  und  selir  begreiflich  ist  es,  wie  man,  da  jene  erste  wollt 
nicht  Aller  Beifall  haben  mochte,  auf  dieselbe  fallen  konnte.  Unge- 
wiss ist  indessen  das  Zeltalter  ihrer  Entstehung,  obschon  so  viel 
feststeht,  dass  dieselbe  erst  durch  Thrasyllus  weitere  Ver- 
breitungerhielt. Wäre  die  Stelle  bei  Varro  De  Lingua  Latina 
p.  SS.  T.  I.  ed.  Bip.,  worin  der  Phädon  als  das  vierte  Gespräch 
der  ersten  thrasyllischen  Tetralogie  bezeichnet  wird  —  (PUilo  in 
quarto  de flaminibiis^  heisst  es,  ajmd  iiiferos  quae  sitit^  in  his 
unum  Tartaium  appellat)  —  wäre,  sagen  wir,  diese  Stelle  acht 
und  unverdorben,  so  würde  allerdings  jener  Eintheilung  ein  sehr 
hohes  Alter  beizulegen  sein.  Allein  die  Worte:  in  quarto^  sind 
jedenfalls  verfälscht,  und  die  Stelle  ist  mit  Scioppius  zu 
schreiben:  in  quatuor  fluminibus  etc.,  wie  auch  Ottfr. 
Müller  edirt  hat.  Demnach  kann  dieses  Zeugniss  des  Alters 
keineswegs  als  giltig  betrachtet  werden,  und  ein  zweites  dafür  fin- 
det sich  nirgends  vor.  Auch  lebte  Dercyllides  jedenfalls  erst 
später,  obschon  sein  Zeitalter  sich  nicht  mit  Gewissheit  bestimmen 
lässt,  und  wie  er  bei  seiner  Eintheilung  nach  Tetralogien  verfah- 
ren sei,  lässt  sich  auch  nicht  erralhen,  indem  weder  Diogenes 
noch  Albinus  Isag.  c.  6  etwas  darüber  berichten.  Nur  so  viel 
scheint  sicher,  dass  die  tetralogische  Eintheilung  des  Thrasyl- 
lus von  jener  muss  verschieden  gewesen  sein,  weil  eben  sie  den 
Namen  des  Letzteren  besonders  berühmt  gemacht  hat.  Diese 
Eintheilung- des  Thrasyllus  nun  kennen  wir  genau  aus  Diog. 
Laert.  liL56 — 61  und  Suidas  in  Illaxcov  und  Tatgaloyla. 
Auch  ist  bekanntlich  in  der  Aldini  sehen  Ausgabe  des  Piaton 
die  Reihenfolge  der  Schriften  danach  geordnet.  Allein  keinem 
sorgfältigen  Betrachter  derselben  kann  es  entgehen ,  dass  dieselbe 
eine  höchst  willkürliche  und  grundlose  ist,  so  dass  sie  ihren  späte- 
ren Ursprung  —  Thrasyll  lebte,  wie  neulich  erwiesen  worden, 
unter  Tiber  ins  —  deutlich  genug  verräth.  Demnach  ergiebt 
sich  aus  Allem ,  dass  man  im  Alterthume  irgend  eine  sichere  Nach- 
richt über  die  Ordnung  der  Platonischen  Schriften  durchaus  nicht 
gehabt  hat,  und  wenn  einige  der  Werke  des  Philosophen  rück- 
sichtlich  ihres  Inhaltes  zu  drei  oder  vier  einheitlich  zusammenge- 
hen, so  giebt  dies  durchaus  keine  Berechtigung,  dem  Piaton  über- 
haupt solche  Eintheilung  und  Anordnung  seiner  sämmtlichen  Werke 
zuzuschreiben.  Ja,  es  lässt  sich  sogar  bezweifeln,  ob  Piaton  selbst 
bei  jenen  zu  drei  oder  zu  vier  zusammenhängenden  Werken  an 
Tetralogien  oder  Trilogien  gedacht  habe.  Wenigstens  hat 
er  selbst  mit  keiner  Silbe  darauf  hingedeutet;  und  so  kann  es 
recht  wohl  auch  reiner  Zufall  sein,  wenn  sich  gerade  drei  oder 
vier  seiner  Bücher  zu  einer  Einheit  zusammenfügen.  In  keinem 
Falle  aber  ruht  die  Meinung  von  Fr.   Ast  (Leben  und  Schriften 


252  Griechische  Llttcratur. 

Plat.  S.  48  f.)  und  von  Winckelmann  Prolcgg.  ad  Eiithydem, 
p  XLIV  auf  lialtbarem  Grunde,  welclje  beide  annehmen,  Piaton 
habe  wirklich  seine  Gespräche  selbst  nach  Tetralogien  zusammen- 
gestellt, aber  die  wahre  Ordiiun^^  sei  durch  untergeschobene,  viel- 
leicht auch  durch  verloren  gegangene  Gespräche  gestört  worden. 
Das  Altertlium  berichtet  wenigstens  davon  gar  nichts,  sondern 
schreibt  vielmehr  ausdrücklich  die  Erfindung  der  trilodschen  und 
tetralogischen  Anordnung  den  oben  genannten  Grammatikern  und 
Kritikern  zu.  —  Nach  diesen  Auseinandersetzungen,  zu  denen 
wir  uns  hie  und  da  kleine  Ergänzungen  erlaubt  haben,  nimmt  dar- 
auf der  Verf.  mit  Recht  das  Resultat  für  sich  in  Anspruch,  dass  im 
Alterthume  durchaus  keine  Spur  von  einer  von  Piaton  selbst  her- 
rührenden plaumässigen  Ordnung  seiner  Schriften  vorhanden  sei, 
wie  doch  bei  S  ch  leier  m  acher's  Tlvpothese  vorausgesetzt  wer- 
den dürfe.  Und  so  wendet  er  sich  denn  wieder  zur  Beurtheilung 
der  letzteren  zurück,  und  verbindet  dann  S.  55 — 60  damit  die 
Priifung  der  Ast'schen  Ansicht,  gegen  welche  er  ähnliche  Gründe, 
wie  gegen  jene,  geltend  macht.  Und  jetzt  schreitet  er  endlich 
zur  Darlegung  seiner  eigenen  Ansicht  der  Sache,  welche  er  indes- 
sen nur  in  Kurzem  (S.  61  ff)  mittheilt.  Entschieden  schliesst  er 
sich  nämlich  der  Ansicht  vom  Rec.  und  C.  Fr.  Hermann  an,  dass 
weder  das  Ergreifen  einzelner  Iiistorischer  Notizen,  noch  das  ein- 
seitige willkürliche  Verbinden  einzelner  Gespräche  nach  ihrem 
Inhalte,  zu  einer  Gewissheit  über  die  Zeitfolge  und  den  innern  Zu- 
sammenhang der  Platonischen  Werke  hinführen  könne,  sondern  dass 
vielmehr  vor  Allem  der  durch  sichere  historische  Zeugnisse  beglau- 
bigte Bildungs-  und  Entwickelungsgang  des  Piaton  selbst  ins  Auge 
zu  fassen  und  demgemäss  die  Nothwendigkeit  einer  geschichtlichen 
Abstufung  seiner  schriftstellerischen  Thätigkeit,  als  durch  jenen 
bildungs-  and  Entwickelungsgang  bedingt,  anzuerkennen  sei,  wo- 
mit sich  dann  andererseits  die  Betrachtung  der  einzelnen  Werke 
nach  ihrem  Inhalte  und  nach  ihrer  künstlerischen  Gestaltung 
verbinden  müsse.  Was  der  Verf.  hierüber  von  S.  60 — 67  vor- 
trägt, wollen  wir  indessen  nicht  ausführlicher  mittheilen.  Es 
genüge  die  Versicherung,  dass  wir  auch  hier  eine  Veranlassung  zu 
abweichenden  Urtheilen  im  Ganzen  nicht  gefunden  haben. 

Ilaben  wir  uns  nun  bis  hierher  mit  den  Ansichten  des  Herrn 
Tch.  fast  durchgängig  einverstanden  erklären  können,  so  ist  dies 
leider  bei  weitem  weniger  mit  dem  zweiten  Theile  seiner  Schrift 
der  Fall,  welcher  von  der  Abfassungszeit  der  auf  dem  Titel  ge- 
nannten Schriften,  insbesondere  der  Politia,  handelt.  Hier 
scheint  uns  derselbe  %iclmehr  dessen  nicht  genug  eingedenk  ge- 
wesen zu  sein,  was  er  selbst  in  der  ersten  Abhandlung  als  leiten- 
den Grundsatz  bei  solchen  Untersuchungen  anerkannt  hat,  indem 
er  allerdings  einzelne,  zum  Theil  ganz  raissverstandene  oder 
verdrehte,  historische  Notizen  ergriffen  hat,  um  der  Politia  eine 
frühere  Abfassungszeit  zu  vindiciren,  während  Anderes,  was  in 


Tchorzewskl :    De  Piatonis  Politia  ,  Timaeo,  Criüa.  253 

Aiiscl»Iag[  zu  bringen  war,  nicht  gehörige  berücksichtigt  und  ge- 
vviirdigt  zu  sein  scheint.  Dieser  Umstand  ,  so  wie  eine  gewisse 
Willkür  bei  Behandlung  der  benutzten  Zeugnisse,  hat  denn  zu 
einem  Resultate  der  Untersuchung  geführt,  das  wir  keineswegs 
für  ein  richtiges  und  wahres  anerkennen  können.  Eine  genauere 
Betrachtung  und  Würdigung  dessen,  was  der  Verf.  mit  grosser 
Ausführlichkeit  über  den  in  Untersuchung  gezogenen  Gegenstand 
auseinander  gesetzt  hat ,  wird  dies  hoffentlich  überzeugend  dar- 
thun.  Folgen  wir  ihm  daher  auch  liier  auf  dem  W^ege,  welchen 
er  bei  seiner  Untersuchung  eingeschlagen  hat,  Schritt  vor  Schritt, 
um  so  an  jeder  Stelle  sofort  dasjenige  zu  bemerken,  was  als  Ab- 
irrung vom  Richtigen  zu  bezeichnen  sein  wird. 

Der  Verf.  geht,  um  vorerst  einen  Stützpunkt  für  seine  Un- 
tersuchung zu  gewinnen,  S.  68 ff.  von  dem  Zeugnisse  Plutarch's 
im  Leben  des  Solon  c.  32  aus,  dass Piaton  den  Xoyog  'AxlavTiKog^ 
also  den  Critias,  denn  dieser  wird  ohne  Zweifel  verstanden,  un- 
vollendet gelassen  habe,  weil  er  vor  Vollendung  des  Werkes  vom 
Tode  ereilt  worden  sei.  Das  sagen  allerdings  auch  die  W^orte 
Plutarch's  klar  und  deutlich  aus,  mit  der  ausdrücklichen  Bemer- 
kung, dass  Piaton  die  Abfassung  des  Critias  erst  spät  {oipi) 
begonnen  habe,  vergl.  unsere  Prolegg.  ad  Crit.  p.  377.  Daraus 
folgert  aber  der  Verf.  gewiss  zu  rasch,  dass  der  Critias  ganz  an 
das  Lebensende  des  Piaton  zu  rücken  sei.  Denn  einmal  steht 
dieser  Ansicht  schon  der  Umstand  entgegen,  dass  das  Werk  viel 
zu  enge  mit  dem  Tim  aus  und  der  Republik  verbunden  ist,  als 
dass  es  viel  später  als  diese  sollte  begonnen  worden  sein.  Sodann 
fasste  Piaton  bekanntlich  im  spätem  Lebensalter  mehr  die  W  irk- 
lichkeit  des  politischen  Lebens  ins  Auge,  wie  denn  auch  Aristo- 
teles Politic.  II.  6  ausdrücklicli  bezeugt,  dass  er  die  Gesetze 
erst  72ßcÄ  der  Republik  oder  Politia  geschrieben  habe.  Es 
ist  also  nicht  recht  wahrscheinlich,  dass  er  sich  da  noch  mit  dem 
Critias  beschäftigt  haben  sollte,  der  jedenfalls  ein  Idealbild  vor 
Augen  zu  führen  bestimmt  war.  Dies  Alles  lässt  daher  vermuthen, 
dass  das  o'i|'6(spät)  des  Plutarchus  nicht  in  so  strengem  Sinne, 
wie  der  Verf.  will,  aufgefasst  werden  dürfe,  und  vielmehr  dabei 
überhaupt  an  die  spätere  Lebenszeit  des  Philosophen,  von  seiner 
zweiten  Reise  nach  Syracus  an  gerechnet,  gedacht  werden  müsse. 
Wahrscheinlich  wurde  gerade  auch  der  Plan,  das  Werk  über 
die  Gesetze  vorzunehmen,  Veranlassung  zum  Aufschub  des 
Critias,  dessen  Vollendung  dann  später  aus  leicht  begreiflichen 
Gründen  gänzlich  unterblieb.  Somit  stellt  sich  denn  schon  hier 
eine  minder  haltbare  Ansicht  des  Verf.  heraus,  indem  er  Plu- 
tarch's  W^orte  wegen  unterlassener  Berücksichtigung  des  Verhält- 
nisses der  vorhandenen  Piaton.  Schriften  zu  einander  in  allzube- 
engendem Sinne  aufgefasst  hat.  Allein  merkwürdig,  bei  dieser 
Auffassung  hat  derselbe  auch  gewissermaassen  sich  selbst  entge- 
gengearbeitet.    Folgerecht  erwartet  man  nämlich,  dass  der  Verf., 


254  Griechische  Litteratur. 

nacluiera  er  die  Zeit  der  späteren  Abfassung  des  Critias  er- 
mittelt zu  haben  glaubte,  daraus  schliessen  werde,  dass  auch  die 
Abfassung  der  mit  diesem  Werke  zusammenhängenden  Schriften, 
des  Tim  aus  und  der  Politia,  in  die  spätere  Lebenszeit  Pla- 
ton's  fallen  müsse.  Allein  davon  tliut  er  gerade  das  Gegentheil. 
Denn  S.  IS  erklärt  er,  dass  der  Zusammenhang  der  Politia  mit 
Tim  aus  und  Critias  keineswegs  hindere,  eine  weit  frühere 
Abfassung  der  Ersteren  anzunehmen.  Quid  enim  obstat^  heisst  es 
dann  weiter,  ^/?/ow?/^?/5  eitm  (Critiam) /joi/ea  assutiun  fuisse  di~ 
com  praestantissimis  Ulis  operibus^  mulio  forte  anterius  in  lucem 
editis?  Und  von  S.  90  an  beginnt  er  dann  nach  Morgenstern 
den  Beweis  zu  führen,  dass  Piaton  die  Politia  schon  vor  seiner 
ersten  Reise  nach  Syracus  zwischen  Olymp.  95,  1 — 97  oder  im 
30. — 40.  Lebensjahre  geschrieben  haben  müsse.  Allein  es  leuch- 
tet ein,  dass  der  Zusammenhang  zwischen  Cri  tias,  Timäu  s  und 
der  Republik  keineswegs  ein  so  lockerer  ist,  dass  die  Abfas- 
sungszeit dieser  Schriften  ohne  Weiteres  so  weit  auseinander  ge- 
rückt werden  darf,  als  es  der  Verf.  zu  thun  beliebt  hat ;  vielmehr 
weist  ihr  Inhalt  auch  auf  eine  nähere  Verbindung  derselben  in  der 
Zeit  hin.  Je  weiter  deranacli  der  Verf.  den  Critias  dem  Lebens- 
ende des  Piaton  zuschiebt,  desto  mehr  tritt  er  der  natürlichen 
Betrachtungsweise  der  Sache  feindselig  entgegen  und  desto  mehr 
geräth  er  mit  sich  selbst  in  offenbaren  Widerspruch. 

Doch  sehen  wir,  wie  der  Verf.  verfährt,  um  der  Politia 
eine  frühere  Abfassungszeit  zu  vindiciren  ,  indem  er  im  Ganzen 
Mor  genstern''s  Ansicht  in  Schutz  nimmt.  Das  Erste,  was  er 
in  dieser  Flinsicht  unternimmt,  ist  der  Versuch  des  Beweises^  dass 
die  für  eine  spätere  Abfassung  des  Werkes  angeführten  i  n  n  e  r  n 
Gründe  nicht  stichhaltig  seien.  Das  Urtheil  über  künstlerische 
Gestaltung  der  Politia,  meint  er,  so  wie  über  sprachliche  Dar- 
stellung, wissenschaftlichen  Geist  u.  s.  w. ,  sei  doch  immer  ein 
subjectives  und  mithin  schwankendes.  Der  philosophische  hihalt 
davon  ferner  sei  jedenfalls  ein  solcher,  den  Piaton  in  einem  Alter 
von  30 — 40  Jahren  recht  wohl  habe  bewältigen  können,  wie  ja 
auch  Newton  bereits  im  30.  Jahre  seine  spätere  Grösse  und  Be- 
deutsamkeit beurkundet  liabe.  Zurückbeziehungen  auf  andere 
Platonische  Werke,  welche  man  habe  finden  wollen,  seien  dunkel 
und  unsicher.  Die  Schilderung  des  Tyrannen  im  8.  Buche  sei 
keineswegs  eine  solche,  die  nothwendig  auf  Dionysius  zu  be- 
ziehen sei,  fj?/?/m  id  beslianim  genus  iibiqtie  eundem  suboleat 
odorem.  Das  Pythagoreische  und  Aegyptische  endlich,  was  hie 
und  da  vorkomme,  könne  füglich  auch  aus  Hörensagen  hergelei- 
tet werden  (S.  101).  Wir  gestehen  indessen,  dass  diese  Nega- 
tive uns  keineswegs  befriedigt.  Denn  was  den  ersten  Punkt  be- 
trifft, so  ist  der  Unterschied  zwischen  einer  Republik  und  den 
früheren  sokratischen  Dialogen,  Euthyphron,  Charmides, 
Lach  es,   Lysis    u.  a.   doch  wahrlich  ein  so  gewaltiger,  dass 


Tchorzewski :  De  PlatonJs  Politla,  Timaeo,  Critia.  255 


seine  Erkenntniss  sicherlich  nicht  auf  blossem  iinsichern  Gefühle 
beruht.  Der  philosophische  Inhalt  des  Werkes  ferner  kann  zwar 
an  sich  allerdings  einem  Manne  von  30  bis  40  Jahren  recht  wohl 
zuffeschrieben  werden:  allein  sieht  man  auf  die  Lebensumstände 
des  Piaton  und  auf  den  Fortschritt  seiner  wissenschaftlichen  Bil- 
dung, so  ist  es  keineswegs  wahrsclieinlich ,  dass  unser  Philosoph 
ihn  auf  diese  Weise  schon  als  reiner  Sokratiker  behandelt  habe. 
Auch  sind  die  Riickblick«  auf  den  Gorgias,  Phädo  und  Phi- 
lebus nicht  so  unerkenntlich  und  Iiätten  jedenfalls  eine  nähere 
Würdigung  verdient.  Was  ferner  die  Zeichnung  des  Tyrannen 
im  8.  Buche  angeht,  so  gesteht  der  Verf.  S.  98  im  Widerspruche 
mit  sich  selbst  freiwillig  zu,  dass  vieles  darin  ganz  besonders  auf 
den  Dionysius  passe;  auch  hatte  Piaton  einen  solchen  Tyrannen, 
wie  er  hier  schildert,  wohl  kaum  sonst  noch  kennen  gelernt.  Das 
Pythagoreische  endlich  betreffend,  so  ist  zu  bemerken,  dass  aus- 
drückliche Zeugnisse  der  Alten,  worüber  Rec.  in  s.  Prolegg.  zum 
Politic.  p.  35  ff.  handelt,  dem  Piaton  eine  genaue  Kenntiiiss  des- 
selben erst  seit  seiner  ersten  Reise  nach  Italien  und  Sicilien  zu- 
schreiben, woraus  von  selbst  hervorgeht,  dass  er  dieselbe  früher- 
hin  nach  dem  Urtheile  des  Alterthums  nicht  besessen  haben  kanr'. 
Des  Verf.  Urtheile  über  diese  Gegenstände  erweisen  sich  daher 
als  wenig  begründet  und  sind  wenigstens  nicht  geeignet,  die  be- 
sprochenen Beweise  für  eine  spätere  Abfassung  der  Republik 
irgendwie  zu  erschüttern  und  wankend  zu  machen. 

Doch  liören  wir  weiter,  was  er  nach  dieser  Negative  (von  S. 
109 an)  beibringt,  um  auf  directem  Wege  die  früher  e Abfassungs- 
zeit des  Werkes  zu  beweisen.  Zuerst  weist  er  hier  die  Ansicht 
derer  zurück,  welche,  gestützt  auf  die  Mittheilung  des  Gellius 
N.  Att.  XIV.  3,  dass  Xenophon  den  beiden  zuerst  erschienenen 
Büchern  der  Republik  seine  Cyropädie  entgegengesetzt  habe ,  die 
Meinung  vertheidigen,  dass  die  Republik  des  Piaton  nur  nach  und 
nach  in  verschiedenen  Zeiten  ans  Licht  getreten  sei.  Wenigstens 
will  er  dies  (S.  114)  nicht  von  den  ersten  sieben  Büchern  nach  der 
vorhandenen  Eintheilung  verstanden  wissen,  und  so  mag  er  denn 
auch  seine  Untersuchung  mindestens  auf  diesen  grösseren  Theil 
des  W^erkes  bezogen  sehen.  Wir  können  indessen  dem  hier  Ge- 
sagten nicht  ohne  Weiteres  beitreten.  Nur  so  viel  halten  wir  für 
wahr,  dass  ein  so  unübertreffliches  philosophisches  Kunstwerk, 
wie  die  Politia,  wohl  nur  in  einem  Gusse  geformt  worden 
sein  kann  und  deshalb  auch  schwerlich  stückweise  in  längern  In- 
tervallen ans  Licht  getreten  ist.  Handelt  es  sich  daher  um  die  Ur- 
sprungszeit der  Republik,  so  denken  wir  dabei  an  die  Zeit  ihrer 
geistigen  Schöpfung  und  lassen  vor  der  Hand  die  Nachricht  des 
Gellius,  die  sich  auf  die  Herausgabe  der  Schrift  bezieht, 
ganz  auf  sich  beruhen. 

Der  erste  Beweis  nun,  welchen  der  Verfasser  beibringt,  um 
seine  Meinung  von  dem  früheren  Entstehen  der  Politia  zu  be- 


256  Griechische  Litteratur. 

griindeii,  ist  aus  einer  Stelle  des  si  e beuten  Piaton.  Briefes 
entlehnt,  welchen  derselbe  unbedingt  fi'ir  acht  anerkennt.  Dort 
erzählt  nämlich  Piaton  selbst  S.  326  IF.,  wie  er  schon  friihzeitig, 
und  namentlich  nach  dem  Tode  des  Sokrates,  die  Ueberzeugung 
gewonnen  Iiabe,  dass  der  Zustand  der  Staaten  und  des  Staatslebens 
ein  durch  und  durch  morscher  und  fauler  sei,  der  nur  durch  Phi- 
losophie sich  werde  heben  lassen,  und  wie  er  sclion  damals  sich  zu 
dem  Urtheile  gedrungen  gefühlt  habe   (ksyeiv  i^vayxccO^rjv):  xa- 

7iäl>  OV  k}]^BLV  TCC  CCV^QCüJtLVCi  yBVl]^  TCqIv  äv  7]  T  6  T  CO  V  CplXoÖO- 

(povvtav  oQ^cjg  xal  dXrj^ögysvog  Elgdg^oLSt^^y]. 
rag  TtoXtrixäg  rj  z  6  t  c5v  övvaötevövrcov  av  x  alg 
nökiöLV  £x  TH'og  ^olgag  d^Siagovzcx}gcpLlo6oq)}]6y. 
IMit  solcher  Gesinnung  (Maxime)  {rcLvxtjv  xi]v  diuvoiav  excov)-, 
heist  es  dann  weiter,  sei  er,  als  er  zum  ersten  Male  dorthin  abge- 
gangen {öxB  TtgcjTOv  (xcpiy.6^n]v)^  nach  Italien  und  Sicilien  gereist 
(326.  B.),  wo  er  leider  ebenfalls  die  grösste  Verderbtheit  der  Sit- 
ten ffewahrt  habe.  In  Svrakus  habe  er  indessen  den  Dion  kennen 
gelernt,  und  zu  seiner  Freude  erkannt,  dass  dieser  seinen  philoso- 
phischen Ansichten  über  die  politischen  Zustände  der  Zeit  den 
grössten  Beifall  zolle.  Dion  habe  dann  später  auch  Alles  aufge- 
boten, auch  den  Jüngern  Dionysius  dafür  zu  gewinnen,  und  diesen 
gogar  vermocht,  den  Piaton  zur  Theilnahme  an  den  politischen 
Angelegenheiten  von  Syrakus  lierbeizurufen.  Vom  Dionysius 
habe  derselbe  nämlich  damals  die  schönsten  Hoffnungen  gehegt 
und  deshalb  an  den  Pia  ton  geschrieben:  xaxaXiyav  xi^v  (xqx^v 
Ttjg  'Ixaklag  v.aX  ZiiKskiug  aal  xrjv  avxov  Övva^iv  Iv  avxf]  x«l 
T}]V  VBotTjxa  xai  xrjv  Inixfv^lav  rijv  zliowötov  xrjg  (piloöocpLag 
T£  xal  TiciLÖtLag  cog  E^ot  öq)6dQia  — ,  Söxs,  s'iTtSQ  noxe^  xat  vvv 
iA^ig  Ttäöa  xov  avxovg  (piXoöocpovg  xe  Kcd  tioIeov  ägxovxag  fis- 
ydkav  ^vjjißyjvaL  ytyvousvovg.  Er  selbst,  Piaton,  habe  sich 
dann  entschlossen,  diesem  Rufe  zu  folgen,  und  so  sei  er  abermals 
nach  Sicilien  abgegangen,  um  zu  versuchen,  wie  es  S.  30S.  B.  ed. 
Steph.  heisst,  el  noxk  xig  xd  ÖLavoTj^svxa  mgl  vofiav  xs  vm\  no- 
hxELag  t7iLXBiQt](50L.  Aus  diesen  Stellen  nun  folgert  der  Verf.  S. 
119  ff.,  dass  die  Politia  nothwendig  vor  Platon's  erster  Zusam- 
menkunft mit  dem  Jüngern  Dionys,  welche  in  das  2.  Jahr  der 
103.  Olymp.  ^^  367  v.  Chr.  fällt,  müsse  geschrieben  worden  sein. 
Eine  sehr  merkwürdige  Folgerung,  die  offenbar  auf  grosser  ün- 
acht«iamkeit  beruht.  Denn  dass  das  berühmte  Werk  vor  Olymp  103 
abgefasst  i?it,  leugnen  ja  selbst  aucfi  diejenigen  nicht,  deren  Mei- 
nung der  Verf.  zu  bekämpfen  wähnt;  vieiraehr  ist  es  fast  herr- 
schende Ansicht  der  Neuem,  dass  sein  Ursprung  in  der  Zeit  zwi- 
schen Olymp.  98.  in.,  wo  Piaton  in  der  Akademie  zu  lehren  be- 
gann, und  Olymp.  103.  2.,  also  jedenfalls  vor  dem  zuletzt  genann- 
ten Zeitpunkte,  zu  suchen  sei.  Herr  Tchorzcwski  hat  daher 
mit  dieser  Beweisführung  durchaus  nichts  Neues  dargethan.  Al- 
lein wir  glauben  vermuthen  zu  dürfen,   dass  er  eigentlich  etwas 


Tchorzewski:  De  Platoiiis  Politia,  TIraaeo,  Ciitia.  257 

Anderes  beabsichtigt  habe,  was  er  aber  aus  Unachtsamkeit  unter- 
lassen hat.  Er  hat  nämlich  übersehen,  dass  in  dem  genannten 
Platonischen  B  riefe  erst  von  P.  327.  B.  ed.  Steph.  an  von 
t\em  jÜ7igere?i  Dionys  und  Platon's  Verhältnissen  zu  ihm  die 
Rede  ist,  während  das  Vorhergellende  P.  326.  A.  B.  sich  offenbar 
auf  Platon's  frühere  Reise  nach  Sicilien,  von  der  er,  wie  auch 
der  Verf.  S.  139  annimmt,  bereits  Olymp.  97.  4.  =3  388  v.  Chr. 
in  sein  Vaterland  zurückkehrte,  und  auf  seine  damaligen  Verhält- 
nisse zu  Dion  und  zudem  altern  Dionys  bezieht.  Demnach 
musste  er  aus  P.  32ö  A.  B.  vielmehr  nach  seiner  Argumentations- 
weise den  Schluss  ziehen,  dass  die  Politia  vor  Olymp.  97,  4 
geschrieben  sei,  indem  dort  jener  berühmte  Satz,  welcher  De 
Rep.  V.  p.  473  C.  coli.  VI.  p.  499.  B.  VII.  p.  540.  D.  vorkommt, 
dem  Piaton  bereits  für  die  damalige  Zeit  zugeschrieben  wird. 
Wir  wissen  nun  zwar  nicht,  ob  dies  wirklich  so  im  Sinne  des  Verf. 
gelegen  habe.  Aliein  setzen  wir  voraus,  dass  es  sich  so  verhält, 
so  entsteht  billig  die  Frage,  ob  der  Verf.  damit  Recht  habe.  Offen 
gestehen  wir  indessen,  dass  wir  auch  so  der  Ansicht  desselben 
nicht  beitreten  können.  Offenbar  ist  nämlich  in  jener  Stelle  nicht 
von  Schriften  und  schriftlichen  Mittheilungen,  sondern  nur  von 
Ansichten,  Meinungen,  Maximen  die  Rede,  welche  sich 
der  Philosoph  damals  bereits  angeeignet  hatte.  Dies  bestätigt 
nicht  nur  der  Zusammenhang,  welcher  uns  zeigt,  welche  Ansicht 
des  Lebens  Piaton  durch  die  seit  früher  Jugend  gemachten  Er- 
fahrungen bis  dahin  allmählig  gewonnen  hatte,  sondern  auch  die 
Ausdrücke  didvoia  und  ötavoatöO'ai,  welche  durchaus  nicht  de 
scriptis  e ditisqiie  Piatonis  voluininibus  verstanden  werden 
können,  wie  S.  121  behauptet  wird.  Die  ganze  Stelle  beweist 
daher  nicht  mehr  und  nicht  weniger,  als  dass  Piaton  schon  vor 
seinem  vierzigsten  Lebensjahre,  in  welchem  er  zum  ersten  Male 
Sicilien  besuchte,  zu  der  tJeberzeugung  gelangt  war,  dass  alles 
Heil  der  Staaten  nur  von  der  Philosophie  zu  erwarten  sei,  und 
dass  er  auch  bereits  damals  den  berühmten  Ausspruch  gethan,  dass 
entweder  Philosophen  regieren  oder  Regierende  Philosophen  sein 
raüssten,  ein  Ausspruch,  den  er  später  in  seiner  Republik  be- 
kanntlich schriftlich  wiederholt  hat.  Demnach  glauben  wir  denn 
mit  Recht  behaupten  zu  dürfen,  dass  des  Verf.  erster  Beweis  für 
eine  frühere  Abfassungszeit  der  Politia  durch  und  durch  ver- 
unglückt ist. 

Nicht  besser  aber  steht  es  mit  einem  zweiten,  welchen  er 
S.  127  zu  führen  versucht.  Dort  erwähnt  er  nämlich  der  be- 
kannten Erzählung  des  Aelian.  Varr.  Hist.  II.  42  und  Diogen. 
Laert.  III,  23,  dass  Piaton  von  den  Thebanern  und  Arcadiern 
wegen  der  Gesetzgebung  für  Megalopolis  sei  zu  Rathe  gezogen 
worden.  Dies  erklärt  er  jedoch  für  unmöglich,  wenn  der  Philo- 
soph nicht  bereits  durch  sein  Werk  vom  Staate  grössere  Berühmt- 
heit des  Namens  erlangt  gehabt  hätte.     Nun  wurde  aber  Megalo- 

iV.  Julirb,    f.  Phil.  u.   Päd.   od.  Krit.  Dibl.   Dd.  LVIII.    Hft.  3.  YJ 


258  Griechische  Litteratur. 

polis  bekaniillich  nach  der  Sclilaclit  von  Leuctra  Olymp.  102.  2  =^ 
371  V.  Chr.  gegrünilet.  Hieraus  schiiesst  denn  der  Verf.,  dass 
die  Platonisclie  Politia  vor  Olymp.  102,  2  müsse  bekannt  gewesen 
sein.  Allein  abgesehen  von  der  ünsiclierheit  jener  Erzäliiung  selbst, 
welche  Meiners,  Ritter  u.  A.  nicht  ohne  Grund  verdächtigt 
haben,  so  müssen  wir  wieder  bemerken,  dass  der  Verf.  abermals 
mit  seiner  Beweisführung  eine  frühere  Abfassungszeit  des  Wer- 
kes nicht  dargethan  hat.  Höchstens  geht  daraus  hervor,  dass 
dasselbe  vor  Olymp.  102,  2  geschrieben  ist,  was  aber  kaum  von 
Jemandem  ist  bestritten  worden.  Allein  auch  selbst  dieses  er- 
giebt  sich  nicht  mit  Sicherheit,  indem  offenbar  die  Prämisse 
falsch  ist.  Denn  Piaton  konnte  ja  wegen  politischer  Einsicht  auch 
auf  andere  Weise  Berühmtheit  erlangt  haben  als  durch  Abfassung 
seines  Idealwerkes  vom  Staate,  was  gewiss  auch  in  Mcgalopolis 
nicht  realisirt  werden  sollte;  und  Aelian  und  Diogenes  geben 
noch  dazu  ausdrücklich  einen  andern  Grund  an,  warum  man  seinen 
Rath  bei  Einrichtung  der  neuen  Verfassung  von  Megalopolis  sich 
erbeten  habe.  Somit  ruht  denn  auch  dieser  Beweis  auf  keinem 
sichern  Grunde,  und  hat  weder  formell  noch  materiell  betrachtet 
irgend  eine  Bedeutsamkeit.  Sind  aber  diese  eben  behandelten 
Beweisführungen,  wie  wir  gezeigt  zu  haben  glauben,  nicht  stich- 
haltig, so  ist  auch  alles  das,  was  der  Verf.  in  weiterer  Erörterung 
bis  S.  132  seiner  Schrift  zur  Unterstützung  derselben  beibringt, 
geradezu  überflüssig,  und  füglich  können  wir  daher  dasselbe  mit 
Stillschweigen  übergehen. 

Nach  solchen  Auseinandersetzungen  wendet  sich  darauf  der 
Verf.  von  S.  133  an  zur  Widerlegung  des  Einwandes,  dass  Piaton 
während  der  Zeit  vom  Tode  des  Sokrates  an  bis  zum  ersten  Be- 
suche von  Sicilien  seiner  fortgesetzten  Reisen  wegen  zur  Abfas- 
sung eines  so  umfassenden  Werkes  nicht  Müsse  genug  gehabt  ha- 
ben dürfte;  eine  Widerlegung,  die  um  so  mehr  überrascht,  da  ja 
vorher  gar  nicht  bewiesen  ist,  dass  die  Politia  jener  Zeit  zuzu- 
schreiben sei.  Es  scheint  also  auch  hieraus  hervorzugehen,  dass 
der  Verf.  sich  über  die  chronologischen  Verhältnisse  im  Leben 
des  Piaton  nicht  gehörig  orientirt  und  seine  erste  Ankunft 
auf  Sicilien  mit  der  ersten  Zusam  menkunft  mit  dem 
jüngerfi  Dionys,  welche  weit  später  fällt,  irrthümlich  verwech- 
selt hat.  Denn  sonst  würde  es  kaum  begreiflich  sein,  wie  er  jetzt 
zu  solcher  Untersuchung  habe  fort!«chreiten  können,  indem  ja  gar 
kein  Zweifel  obwaltet,  dass  der  Philosoph  nach  seiner  ersten  Rück- 
kehr aus  Sicilien  Olymp.  98.  1  in  Athen  lebte  ond  seitdem  Müsse 
und  Zeit  genug  hatte,  sich  der  Schriftstellerei  zu  widmen.  Aber 
der  Verf.  denkt,  wie  gesagt,  offenbar  daran,  dass  die  Republik 
vor  Olymp.  98.  1  geschrieben  sei,  und  desshalb  sucht  er  während 
der  Periode  von  Socrates  Tode  an  bis  zu  eben  dieser  Zeit  im  Le- 
ben des  Piaton  einen  Ruhepunkt  aufzufinden,  in  welchem  dem 
Philosophen  es  möglich  gewesen,  ein  so  umfassendes  Werk  aus- 


Tcliorzewski:  De  Piatonis  Politia,  Tiinaeo,  Critia.  259 

zuarbeiten.     Er  thut  dies  aber  S.  133  — 148  dermaassen,  dass  er 
die  verschiedenen  Berichte  über  die  Aufeinanderfolge  der  Reise- 
touren, welche  Piaton  gewählt,  unter  sich  vergleicht  und  zusam- 
menstellt.    Hierbei  findet  er   denn  in  den  glaubwürdigsten  Be- 
richten, dass  Piaton  auf  seiner  ersten  Heise  zuerst  nach  Gross- 
griecheniand,  Cyrene,  Aegypten  und  Vorderasien,  und  dann  erst, 
nach  wiederholtem  Besuche  von  Grossgriechenland,  nach  Sicilieri 
abgegangen  sei,  eine  Darstellung  der  Sache,  welche  aoch  Rec.  in 
seinen  Prolegoimn.  ad  Plat.  Opera  Vol.  I.  P.  I.  p.  XIX  sqq.   für 
die  richtige  anerkannt  hat.     Allein  wie  benutzt  nun  unser  Verf. 
diese   Erzählung*?     Aus    Vorderasien   lässt  er   den  Piaton  sofort 
wieder  nach  Athen  wandern,  und  dort  bis  zur  zweiten  Reise  nach 
Grossgriechenland  und  zur  ersten  nach  Syrakus  nicht  weniger  als 
sechs  Jahre  hindurch   verweilen,   annehmend,   dass   während 
dieser  Zeit  zwischen  Olymp.  96.  4  —  Olymp.  97.  4  die  Politia 
geschrieben  sein  müsse.     In  dieser  Ansiclit  der  Sache  vermischt 
er  aber  jedenfalls   wieder   Wahres  mit    Falschem.     Für  richtig 
nämlich  erkennen  auch  wir  die  Annahme,  dass  Piaton,  von  seinen 
Reisen  nach  Aegypten  und  Vorderasien  zurückgekehrt,  eine  Zeit 
lang  wieder  in  Athen  lebte,  ehe  er  abermals  nach  Grossgriechcn- 
land  und  Sicilien  abging;  auch  mag  er  damals  einige  Gespräche, 
namentlich   socratische,  abgefasst  und   bekannt  gemacht  haben. 
Aber  wenn  der  Verf.  behauptet,  Piaton.  habe  damals  im  korinthi- 
schen   Kriege,  wie  Diog.  Laert.   III.  8  nach  Aristoxenus   und 
Aelian.  Varr.  Hist.  VlI.  14  erzählen,  Kriegsdienste  gethan,  und 
in  kleinen,  sonst  unbekannten  Schlachten  bei  Korinth,  Tana- 
gra  und  Deliura  mitgekämpft,  und  dann  demselben  eine  Aufent- 
haltszeit in  Athen  von  sechs  Jahren  zuschreibt,  so  ist  Ersteres 
jedenfalls  zweifelhaft,   und  Letzteres    willkürlich    angenommen. 
Denn  die  damaligen  Feldziige  des  Piaton  —  seinen  regelmässigen 
Dienst  hatte  der  Philosoph  jedenfalls  schon  früherhin  verrichtet 
—  sind   offenbar  erdichtet   und   durch  irrthümliche  Verwechse- 
lungen mit  den  Schlachten ,  welchen  Sokrates  beigewohnt  hatte, 
in  die  Geschichte  gekommen,  wie  schon  Perizonius  zu  Aelian. 
a.  O.,  Morgenstern  im  Leben  des  Piaton  S.   13  u.  A.  gezeigt 
haben,  deren  Urtheil  indessen  auch  Clinton  Chrono],  zu  Olymp. 
96.  2,  dem  der  Verf.  zu  vertrauungsvoll  gefolgt  ist,  unbeachtet  ge- 
lassen hat.     Was  aber  die  sechsjährige  Aufenthaltszeit  des 
Piaton  in  Athen  betrifft,  welche  der  Verf.  statuirt,  so  entbehrt  die 
Annahme  derselben  aller   und  jeder  historischen  Unterlage.     Ja 
sie   widerspricht  geradezu   den  vorhandenen  historischen  Zeug- 
nissen, welche  sammt  und  sonders  die  Reise  nach  Syrakus  mit  den 
übrigen  in  engste  Verbindung  setzen,  so  dass  sie  von  denselben 
nicht  durch  eine  längere  Zwischenzeit  kann  geschieden  gewesen 
sein.     Dazu  kommt,  dass  vom  Tode  des  Sokrates  an  (v.  Chr.  399) 
bis  zur  ersten  Rückkehr  des  Piaton  von  Syrakus  (v.  Chr.  388)  nur 
ein  Zeitraum  von  11  Jahren  in  der  Mitte  liegt.     Ist  es  wohl  wahr- 

17* 


260  Griechische  Litteratur. 

sclieiiilicli,  tlass  Piaton  zu  jenen  ersten  Ueisen  nur  fünf  oder  scrlis 
Jalire  sollte  verwendet  haben*?  Wir  unseres  Tlieils  glauben  dies 
nicht  und  glauben  es  um  so  weniger,  da  Piaton  bekanntlich  nach 
des  Sükrates  Tode  auch  länß:ere  Zeit  in  Megara  zubrachte,  ehe  er 
jene  Ueisen  unternahm,  so  dass  der  fünfjährige  Zeitraum  dadurch 
wieder  um  ein  Bedeutendes  verkürzt  wird.  Auch  scheint  der  be- 
gonnene Gang  seiner  Studien  und  die  dabei  gewonnene  praktische 
Richtung  ihn  zum  möglichst  schleunigen  Wiederbesuche  Italiens 
angetrieben  zu  haben.  Glaublich  also  ist  es  nicht,  dass  er  nach 
seiner  Rückkehr  aus  Aegypten  und  Asien  in  Athen  länger  sollte 
verweilt  haben,  und  schwerlich  würde  dies  auch  von  den  Biogra- 
phen ganz  unbemerkt  gelassen  worden  sein.  Dass  übrigens  Piaton 
noch  Olymp.  96.  3  in  Aegypten  war,  erkennt  der  Verf.  S.  135 
selbst  an,  da  dies  aus  Plutarcirs  u.  A.  Mittheilungen  klar  ersicht- 
lich ist. 

Doch  lassen  wir  jetzt  die  ganze  Frage  über  den  damaligen 
Aufenthalt  Piaton's  in  Athen  und  über  seine  Dauer  auf  sich  be- 
ruhen, und  sehen  vielmehr,  wie  der  Verf.  den  begonnenen  Be- 
weis einer  früheren  Abfassungszeit  der  Politia  im  Folgenden 
weiter  fortführt.  Er  thut  dies  von  S.  149  an.  Hier  stellt  er  näm- 
lich nach  Morgenstern  u.  A.  die  Behauptung  auf,  dass  die 
Ekklesiazusen  des  Aristoplianes  gegen  Piaton's  Ideal- 
staat (Politia)  gerichtet  seien.  Nun  sind  aber  die  Ekklesia- 
zusen, wie  sich  aus  den  Sc  hol.  zu  Vers  193  verglichen  mit 
Diodor.  XIV.  ^2  ergiebt,  Olymp.  96,  4  =z^  393  v.  Chr.  zur  Auf- 
führung gekommen.  Mithin  musste  Piaton's  Politia  schon  vor- 
her geschrieben  gewesen  sein.  Allein  der  Verf.  hat  selbst  zuge- 
stehen müssen,  dass  Piaton  Olymp.  96,  3  =  394  v.  Chr.,  also 
ein  Jahr  vorher,  noch  in  Aegypten  war.  Dies  setzt  ihn  denn 
freilich  in  eine  nicht  geringe  Verlegenheit.  Doch  verzweifelt  er 
desslialb  nicht  an  seiner  Sache.  Vielmehr  wird  er  desto  kühner. 
Er  stellt  nämlich  S.  151,  wahrscheinlich  von  Schiciermacher's 
Aeusserung  Einleit.  zu  Gorgias  Bd.  II.  Abth.  I.  p.  20  sqq. 
verleitet,  plötzlich  die  Behauptung  auf,  dass  die  Ekklesiazu- 
sen Olymp.  97,  3  -—  389  v.  Chr.  aufgeführt  worden  seien,  und 
verspricht  anderwärts  davon  den  Beweis  zu  geben.  Cuimnissa 
eslfabula^  sagt  er,  secundiim  noslrani  quidem  computationem^ 
qua  de  re  erit  übt  agemus  (sie!),  Dinnysiis  urbanis  anni  Demo- 
stratei  Olymp.  97,  3  -=  389  a.  Chr.  und  damit  sind  die  Leser  ab- 
gefertigt. Allein  wir  fragen,  ob  denn  der  Beweis,  der  hier  auf 
unbestimmte  Zeit  verschoben  wird,  bei  einer  so  wichtigen  Streit- 
frage nicht  gleich  hätte  gegeben  oder  wenigstens  angedeutet  wer- 
den sollen'?  Wir  wenigstens  zweifeln  durchaas  an  seiner  Mög- 
lichkeit und  werden  dies  so  lange  thun,  bis  uns  der  Ilr.  Verf.  eines 
Besseren  belehrt  hat.  —  Doch  räumen  wir  dem  Verf.  einmal  ein, 
was  wir  indessen  nicht  wirklich  zugestehen  mögen,  dass  Aristo- 
phanes  seine  Ekklesiazusen  erst  in  dem  genannten  Jahre 


Tchorzewski:  De  Platoiiis  Politia,   Tiinaeo,  Critia.  261 

aufgeführt  habe,  so  fragen  wir  billig  zunächst  nach  den  Beweisen, 
welche  er  vorbringt,  um  überzeugender  als  seine  Vorgänger  dar- 
zuthun ,  dass  der  Komiker  wirklich  die  Politia  des  Piaton  zur 
Zielscheibe  seines  Witzes  gemacht  habe.  Wir  lassen  indessen 
hierbei  die  Hemerkung,  welche  der  Verf.  S.  151  ff.  macht,  dass 
Piaton  damals  berühmt  genug  gewesen  sei,  um  Gegenstand  des 
öffentlichen  Spottes  werden  zu  können,  füglich  auf  sich  beruhen; 
denn  sie  beweist,  wie  jeder  sieht,  in  der  fraglichen  Sache  ganz 
und  gar  nichts.  Vielmehr  fragen  wir  einzig  nach  den  positiveu 
Gründen,  welche  für  jene  Ansicht  beigebracht  werden. 

Hiervon  nun  ist  der  erste,  S.  153  ff.  behandelte  der,  dass 
in  den  Ekklesiazusen  ein  A  r  i  s  t  y  1 1  u  s  durchgehechelt  werde ; 
imd  da  meint  denn  der  Verf.  mit  Bergk  Comoed.  Attic.  Reliq. 
p.  404  und  Meine  ke  Histor.  Comoed.  Gr.  T.  I.  p.  287,  dass 
dieser  Aristyllos  kein  anderer  sei  als  Pia to  n  selbst,  der  eigent- 
lich geheissen  habe  Aristocles,  wovon  Aristyllus  bekannt- 
lich hypokoristisch  gebildet  wird.  Fragen  wir  demnach  weiter 
nach  diesem  Aristyllus,  um  zu  sehen,  ob  derselbe  mit  Pla- 
ton  dieselbe  Person  sein  könne.  Es  wird  aber  derselbe  in  den 
Ekklesiazusen  Vers  647  bei  Gelegenheit  der  Darstellung  der 
Weiber-  und  Kindergemeinschaft  bespöttelt,  indem  hier  gesagt 
wird,  es  müsse  dann  recht  appetitlich  sein,  wenn  einer  vom  Ari- 
styll  als  vermeintlicher  Vater  ambrassirt  und  abgeküsst  werde. 
Damit  sollen,  wie  der  Verf.  urtheilt,  die  nach  Athenaeus'  Zeug- 
iiiss  oft  bespöttelten  Liebesverhältnisse  des  Piaton  gemeint  sein 
und  der  Philosoph  selbst  als  ekelhafter  Wollüstling  bezeichnet 
werden.  Allein  gewisss  ist  das  eine  grundfalsche  Voraussetzung, 
wie  deutlich  aus  Aristoph.  Plut.  v.  313  erhellt.  Hier  wird 
nämlich  derselbe  Aristyil  mit  den  Worten  ausgespottet:  fiivd^ci- 
Co^ev  -O"'  SöTtSQ  tgayov  xt^v  Qiva'  6v  d'  '/^QLözvXkog  vnoxccöxcov 
fQslg'  eiieö^s  ^rjZQl  x^^QOi'-t  wozu  der  Schol.  bemerkt:  ovtog 
(jia^ccKog  ijv,  "Kai  reo  özo^axL  xdöxav  ^  cog  rolg  oqcjöi  HLvelv  ys- 
Xcata.  Wie  nun?  passt  dies  auf  Piaton?  Hatte  dieser  in  der 
That  einen  gaffenden  und  klaffenden  Mund,  so  dass  sein  Anblick 
Lachen  erregte?  Wir  erfahren  davon  gerade  das  volle  Gegen- 
theil !  —  Und  wie?  hätte  wohl  Aristophanes  den  Piaton  selbst 
noch  im  Plutus  so  darstellen  mögen?  und  hätte  es  ihm  Piaton 
jemals  vergeben  können,  wenn  er  von  ihm  auf  solche  Weise  als 
der  geilste  und  weggeworfenste  Wüstling  gebrandmarkt  worden 
wäre,  oder  hätte  er  denselben  gar  in  dem  nach  Olymp.  98  ge- 
schriebenen Symposium  unter  solchen  Umständen  als  geistreichen 
Mitunterredner  aufzuführen  sich  entschliessen  können?  Wir 
sagen  Iiierauf  entschieden:  Nein!  Denn  offenbar  hätte  der  Komi- 
ker des  Philosophen  sittliche  Würde  auf  allzu  gemeine  und  nie- 
drige Weise  verletzt  gehabt.  Auch  derSpott  der  Komödie  hatte  hier 
sicherlich  seine  Grenzen !  üebrigens  ist  es  auch  mehr  als  zwei- 
felhaft, ob  Platoti  wirklich  durch  Ausschweifungen  in  der  Liebe 


262 


Griechische  Litteratur. 


dem  Arlstopliancs  Gelegenheit  zu  solcliem  Spotte  dargeboten 
liabe,  worüber  sclion  Teiiiiemanii  Gesch.  d.  Plat.  Phil.  Bd.  1. 
p.  11  ff.  selir  bcsoiiiieii  geiirtheilt  hat.  Erwägt  man  also  das  Ge- 
sagte genauer,  so  ergiebt  sicli,  glauben  wir,  von  selbst,  dass  die- 
ser erste  Beweis  von  einer  Beziehung  des  Aristophanischen  Sti'i- 
ckes  auf  die  Plat.  Politie  in  der  That  ein  erschlicliener  ist,  indem 
dabei  ohne  Grund  ein  Wiistling  mit  Piaton  identificirt  wird,  der 
nach  allen  Bezeichnungen  des  Komikers  selbst  von  demselben 
gänzlich  verschieden  war,  wie  denn  auch  sonst  in  dem  ganzen 
Stiicke  eine  Ilinweisung  auf  Piaton  oder  auch  üherliaupt  auf  phi- 
losophische Ansichten  und  Meinungen  desselben  nirgends  zu  lin- 
den ist. 

Doch  der  Verf.  geht  von  S.  1.57  an  noch  weiter.  Hier  sucht 
er  nämlich  auch  zu  erweisen,  um  uns  seiner  eigenen  Worte  zn 
bedienen,  Comicum  luisquam  alii/fide^  qiiom  ex  eodem  ipso  Phi- 
losophi  libro  ea  accipere  potuisse^  quae  ad  deridenda  isla  com- 
mejila  perlinenl.  Wäre  es  ihm  nun  wirklich  gelungen,  diese 
Behauptung  durchzuführen  und  zu  rechtfertigen,  dann  müssten 
wir  freilich  gestehen ,  dass  er  doch  am  Ende  Recht  Itabe,  wenn 
er  der  Plat.  Republik  eine  frühere  Entstehungszeit  zuweist.  In- 
dessen mag  freilich  schon  der  Umstand  einen  leisen  Zweifel  da- 
gegen aufkommen  lassen,  dass  man  von  jeher  in  den  Ekklesiazusen 
nur  Aehnliches  von  Platonischen  Dogmen  gefunden,  aber  kei- 
neswegs Identisches  entdeckt  hat.  Der  Verf.  müsste  daher 
ganz  Weues,  was  zeither  übersehen  worden,  aufgefunden  haben, 
wenn  er  seine  Behauptung  wirklich  begründen  könnte.  Doch  wir 
werden  sehen,  dass  dies  eben  nicht  der  Fall  ist,  und  dass  es  nur 
durch  eigene  Reflexion  gebildete  Ansichten  sind,  welche  ihn  zur 
Aufstellung  derselben  vermocht  haben. 

Um  aber  seinen  eben  erwähnten  Satz  durchzuführen,  wider- 
legt der  Verf.  zuerst  S.  lo7 — 165  die  Meinung  Sclileierma- 
ch  ers,  dass  Aristophanes  mündliche  Mittheilungen  aus  Platon's 
Lehrvorträgen  benutzt  und  komisch  verspottet  habe.  Was  indes- 
sen liierüber  gesagt  wird,  können  wir,  so  scharfsinnig  es  auch  ist, 
füglich  mit  Stillschweigen  übergelien,  falls  sich  ergeben  sollte, 
dass  in  den  Ekklesiazusen  von  besondern  Ansichten  undLefiren  Pla- 
ton's gar  nicht  die  Rede  ist.  Und  wir  glauben  mit  Zuversicht, 
dass  Letzteres  der  Fall  sein  werde.  Denn  wenn  der  Verf.  von 
S.  165  an  darzuthun  versucht,  dass  nur  Platon's  Republik  die 
Quelle  des  komischen  Zerrbildes  beim  Aristophanes  sein  könne, 
so  gestehen  \*ir,  dies  für  eine  grundlose  Behauptung  zu  halten. 
Vielmehr  sind  wir  der  Uebcrzeugung ,  dass  Aristophanes  nicht 
Platonische,  sondern  allgemeiner  unter  den  Atheniensern  herr- 
schende und  von  dorisirenden  Staatsmännern  und  Kannegiessern 
aufgenommene  Ansichten  und  Meinungen,  die  freilich  mit  den 
Platonischen  grosse  Verwandtschaft  haben,  persiflirt  hat.  Es 
wird  sich  dieses  schon  dadurch  ergeben,  dass  wir  dasjenige,  was 


Tchoizewski:  De  Piatonis  Politia,  Tiiuaeo,  Critia.  263 

der  Verf.  als  eigenthümlich  Piatonisch  bezeichnet,  einer  näheren 
Betrachtung  unterwerfen;  noch  deutlicher  aber  wird  es  sich  zei- 
gen, wenn  wir  darauf  den  Inhalt  und  die  Tendenz  der  Aristoplia- 
nischen  Dichtung  schärfer  ins  Auge  fassen  und  genauer  prüfen, 
was  doch  das  eigenth'che  Ziel  sei,  worauf  sich  Alles  am  Ende  be- 
zieht. Betrachten  wir  demnach  vor  Allem  dasjenige,  was  der  Verf. 
vorbringt,  um  Platon's  Staat  als  die  allein  mögliche  Quelle  der 
Aristophanischen  Darstellungen  eines  communistischen  Staates  zu 
bezeichnen. 

Zuerst  also  behauptet  derselbe  S.  168 ff. ,  dass  die  Aristo- 
phanische Gütergemeinschaft  ganz  die  Platonische, 
nicht  aber  die  Spartanische  sei.  Denn  Praxagora  hebe  ja, 
\iie  auch  bei  Piaton  geschehe,  allen  und  jeden  Besitz  auf,  was 
doch  in  Sparta  nicht  stattgefunden  habe,  indem  sich  dort  die 
Gütergemeinschaft  mehr  auf  gleiche  Vertheilung  des  Grundbe- 
sitzes und  riicksichtlich  der  fahrenden  Habe  nur  auf  eine  Gemein- 
schaftlichkeit des  Gebrauchs  von  Geräthschaften ,  Hausthieren, 
Früchten,  und  im  Nothfalle  wohl  auch  von  Sclaven  des  Andern 
beschränkt  habe,  so  dass  der  Privatbesitz  gewisserraaassen  zu  einem 
mehrfachen  geworden  sei.  Letzteres  ist  allerdings  sehr  richtig. 
Dagegen  muss  aber  auch  bemerkt  werden,  dass  die  Gemeinschaft 
des  Besitzes  bei  Aristophanes  noch  sehr  weit  verschieden  ist 
von  der  Platonischen.  Denn  letztere  dehnt  sich  keineswegs,  wie 
die  des  Komikers,  über  den  ganzen  Staat  aus,  sondern  betrifft 
lediglich  den  Stand  der  Krieger,  während  der  Stand  der 
Herrschenden  und  Arbeitenden  davon  nicht  berührt  wird, 
wie  sich  sonnenklar  aus  Polit.  III.  p.  416.  C.  sqq.  417.  A.  coli.  IV. 
p.  419.  A.  sqq.  ergiebt.  Die  Idee  eines  allgemeinen  Commu- 
nismus  bei  Ar  is  top  han  es  ist  daher  durchaus  nicht  platonisch, 
sondern  unstreitig  neu  und  vom  Dichter  selbst  durch  komische 
Umbildung  dorischer  Institutionen,  die  damals  auch  in  Athen  An- 
klang fanden,  selbstständig  geschaffen,  ohne  irgendwie  aus  Piaton 
entlehnt  zu  sein.  —  Ferner  will  der  Verf.  S.  171  sqq.  auch  in 
Betreff  der  Syssitien,  oder,  wie  man  sie  in  Sparta  nannte,  der 
P  h  i  d  1 1  i  e  n ,  darthun,  dass  die  Aristophanische  Dichtung  weit  ver- 
wandter mit  der  Platonischen  als  mit  der  Spartanischen  Einrich- 
tung sei.  Bei  den  Spartanern  musste  nämlich  ein  Jeder  für  sich 
zu  den  Phiditien  beisteuern,  während  die  Platonischen  Krieger 
Alles  von  den  andern  Ständen  erhalten,  was  zu  ihrem  Unterhalte 
erforderlich  ist,  wie  beim  Aristophanes.  Allein  wer  erkennt  nicht 
dennoch  beim  ersten  Anblick  auch  hier  eine  grosse  Verschieden- 
heit zwischen  Letzterem  und  Piaton 7  Beim  Piaton  nämlich  erhält 
eben  nur  der  Kriegerstand  öffentliche  Speisung.  Ganz  anders 
beim  Aristophanes!  Da  geht  es  eben  darin  ganz  toll  her,  dass 
Alle  ohne  Ausnahme  umsonst  schmaussen,  ohne  dass  man  sieht, 
wer  denn  eigentlich  der  erwerbende  und  fürsorgende  Theil  des 
Staates  ist.     Gewiss  hat  also  der  Komiker  wieder  dorische  Insti- 


264  Griechische  Litteratiir. 

tiitionen  vor  Augen  gehabt  und  ihre  atheniensischen  Anhänger 
persiflirend  selbstständig  eine  Carricatiir  derselben  geschaffen.  g 
Auch  ist  um  so  weniger  nöthig  anzunehmen ,  Platon's  Ideulstaat 
sei  die  Quelle  dieses  Witzes,  als  allgemeinere  Beköstigung  auf 
öffentliche  Kosten  auch  in  manclien  dorischen  Staaten,  wie  z.  B. 
in  Creta.  üblich  war.  —  Ein  dritter  Gegenstand,  durch  den  der 
Verf.  seine  IMeinung  zu  bekräftigen  gesucht  hat,  betrifft  die  Ge- 
meinschaft der  Weiber  und  Kinder.  Derselbe  glaubt 
S.  173  ff.  auch  hierin  beim  Aristophanes  sichere  Anzeigen  Plato- 
nischer Dogmen  zu  entdecken.  Wir  können  ihm  indessen  auch  hi 
diesem  Punkte  nicht  beistimmen.  Denn  gerade  hierbei  entfernt 
sich  Aristophanes  so  weit  von  Platon's  Einrichtungen ,  dass  er 
letztere  unmöglich  vor  Augen  gehabt  haben  kann.  Denn  erstens 
gilt  das,  was  Piaton  hieriiber  festgestellt  hat,  wieder  einzig  und 
allein  vom  Kriegerstande,  während  beim  Aristophanes  der  ganze 
Staat  in  Weiber-  und  Kindergemeinschaft  leben  soll.  Zweitens 
besitzen  beim  Piaton  die  Krieger  keine  eigentlichen  Frauen ,  son- 
dern Alle  leben  für  Alle  und  mit  Allen,  während  bei  Aristophanes 
die  Frauen  wirklich  Frauen  einzelner  Männer  sind,  aber  dabei  un- 
beschränkte Befriedigung  ihrer  Wollust  gesetzlich  festgestellt  ha- 
ben wollen,  um  so  ihre  Rechnung  zu  finden.  Dies  ähnelt  aber 
jedenfalls  den  Einrichtungen  der  Spartaner.  Denn  aus  P  oly  b  i  u  s 
Excerptt.  in  Mail  Scriptor.  Vett.  e  codd.  Vatic.  T.  II.  p.  884  sq. 
wissen  wir  bestimmt,  dass  es  in  Sparta  herkömmlich  war,  dass  ein 
Mann  mit  mehreren  Frauen  leben  konnte,  so  wie  es  umgekehrt 
auch  vorkam,  dass  mehrere  Männer  eine  Frau  hatten,  und  dabei 
die  Ehen  bestanden;  man  s.  auch  Becker  im  ChariklesII. 
p.  439  ff.  Dass  aber  Aristophanes  sicherlich  Lacedäraonische  Ge- 
bräuche vor  Augen  hatte,  dergleichen  bei  Piaton  sich  nicht  vor- 
finden, lehren  mehrere  Stellen,  z.  B.  Vs.  688,  wo  derjenige,  der 
Andern  Unrecht  zufügt,  bei  den  gemeinschaftlichen  Mahlzeiten 
cariren  soll,  wie  es  nach  Athenäen s  IV.  141  in  Sparta  wirklich 
der  Fall  war. —  Endlich  bespricht  der  Verf.  S.  177  ff.  auch  die  vom 
Aristophanes  dargestellte  Weiberh  errschaft,  um  nachzuwei- 
sen, dass  nur  Piatons  Politia  dem  Komiker  vor  Augen  geschwebt 
habe.  Allein  das  Unrichtige  des  hier  Gesagten  ist  so  augenfällig, 
dass  es  in  der  That  kaum  eine  Widerlegung  verdient.  Denn  von 
einer  Weiberherrschaft,  wie  sie  Aristophanes  entwirft,  ist  beim 
Piaton  nirgends  die  Rede.  Alles  beschränkt  sich  bei  ihm  vielmehr 
darauf,  dass  die  Weiber  auch  an  öffentlichen  Uebungen,  Festen 
und  Dienstleistungen  Antheil  haben  sollen,  und  das  Herrische  und 
Ungebundene  der  dorischen  Frauen  war  dem  Philosophen,  wie 
mehrere  Stellen  seiner  Schrift  darthun,  geradezu  ein  Greuel.  Der 
Dichter  hat  also  hier  wieder  spartan.  Sitte  vor  Augen  gehabt,  von  der 
Aristotel.  Pol.  II.  9  ausdrücklich  also  berichtet:  nokkci  dLcoKBito 
(bei  den  Spartanern)  vno  tav  yvvaixav  Inl  trjg  dgxrjg  avrcJv, 
und  er  fand  vielleicht  um  so  mehr  Veranlassung,  sie  carricatirt 


Tchorzewski:  De  Piatonis  Politia,  TImaeo,  Critia.  265 

darzustellen,  als  bei  der  Viberhand  nehmenden  Laconenwuth  und 
Sittenentartung  in  Athen  auch  die  Athenienserinnen  und  ihre  com- 
munistischen  Verehrernach  endlicher  Emancipation  der  Frauenwelt 
strebten.  —  Dieses  sind  also  die  Punkte,  welche  der  Vf.  in  dieser  An- 
gelegenheit zur  Sprache  gebracht  hat.  Fragen  wir  nun,  ob  er  damit 
auch  wahrscheinlich  gemacht  habe,  dass  nur  allein  die  Republik  des 
Piaton  die  Quelle  gewesen  sei,  aus  welcher  Aristoplianes  seine 
Staatseinrichtungen  entlehnt  habe,  so  müssen  wir  dies  schlechthin 
in  Abrede  stellen.  Vielmehr  findet  sich  in  den  ganzen  Ekklesia- 
zusen  nicht  das  Geringste,  was  der  Dichter  nicht  auch  ohne  das 
Vorhandensein  des  Platonischen  Werkes  hätte  so  darstellen  kön- 
nen,  wie  es  von  ihm  geschehen  ist.  Der  Spott  und  Witz  des  Ko- 
mikers ist  daher  nicht  gegen  Piaton,  sondern  vielmehr  gegen  den 
in  Athen  unter  Vielen  herrschenden  Dorismus  und  gegen  die  Ver- 
derbtheit des  atheniensischcn  Staates  selbst  gerichtet.  Denn  dass  es 
in  Athen  eine  lächerliche  Lacomanie  u.  s.  w.  gab,  ist  allbekannt, 
und  wir  erfahren  dies  nicht  nur  vom  Pia  ton  Gorg  p.  515  D.  und 
Protagor.  p.  312  B.,  sondern  auch  von  Aristophanes  Avv.  v. 
1280.  Vesp.  473  ff,  wie  denn  auch  in  den  Ekklesiazusen  die  Er- 
wähnung der  Laconischen  Schuhe  Vs.  74.  269.  508  u.  s.  w.,  der 
Stöcke  und  Barte,  welche  die  Weiber  tragen,  unverkennbar  dar- 
aufhinweist, und  die  Weiber  überhaupt  mit  laconischer  Frech- 
heit und  laconischem  üeberrauthe  ausgerüstet  erscheinen,  wel- 
chen Piaton ,  wie  schon  erinnert,  in  seinen  politischen  Schriften 
an  mehr  als  einer  Stelle  scharf  rügt  und  für  verwerflich  erklärt. 
Auch  fanden  sich  sonst  in  Athen  gewiss  nicht  Wenige,  welche  das 
Heil  des  Staates  von  dorischen  Institutionen  erwarteten,  und  unser 
Dichter  erwähnt  in  den  Ekklesiazusen  selbst  Vs.  408  des  coramu- 
iiistischen  Redners  Euäon. 

Doch  dass  der  allgemeine  Zustand  des  atheniensischen  Staa- 
tes und  nicht  die  Republik  des  Piaton  es  ist,  womit  es  Aristopha- 
nes in  den  Ekklesiazusen  zu  thun  hat,  das  lehrt  auch  eine  unbe- 
fangene Betrachtung  des  ganzen  Stückes  des  Komikers  so  über- 
zeugend,  dass  es  uns  fast  Wunder  nimmt,  wie  man  beim  Spotte 
desselben  allein  an  das  Platonische  Werk  hat  denken  mögen.  Denn 
erstlich  geschieht  in  den  Ekklesiazusen  nicht  nur  des  Piaton,  son- 
dern auch  der  Philosophie  und  der  Philosophen  nirgends  auch  nur 
mit  einer  Sylbe  Erwähnung,  wenn  man  nicht  die  Stelle  Vs.  569 sqq. 
hierher  rechnen  will,  wo  der  Chor  die  Praxagora  auffordert, 
jetzt  ihren  Philosophensinn  zu  wecken,  um  Neues  zur  gemeinsamen 
Beglückung  vorzubringen;  was  indessen  dem  Zusammenhange  ge- 
mäss in  allgemeinerem  Sinne  aufzufassen  ist.  Wie  wäre  dies  aber 
in  aller  Welt  denkbar,  wenn  der  Komiker  die  Pfeile  seines  Witzes 
gegen  einen  Philosophen  gerichtet  hätte*?  W^er  andere  Stücke 
desselben  von  ähnlicher  Tendenz,  wie  z.  B.  die  Frösche  und 
die  Wolken,  vergleicht,  wird  leicht  erkennen,  dass  dieses  Ver- 
fahren mindestens   als    nicht  Aristophanisch  müsste  bezeichnet 


3 


266  Griechische  Ijitteratur. 

werden      Dazu  kommt  aber  noch  ein  zweiter  L^mstand.     Nimmt 
man  iiämlicl»  an,  dass  die  Tendenz  der  Eivkiesiazusen  Persiflage 
des  Platonischen  Staates  sei,  so  mnss  das  Stiick  geradezu  als  eine 
iini\iinstlerische  Missgeburt  angesehen  werden,  indem  weder  An- 
fang noch  FCnde  mit  der  Flaupttendenz  desselben  zusammenstimmte 
und  namentlich  die  letzte  Scene  langweilig  und  ungebi'ihrlich  aus- 
gedefint,  ja  ganz  überfli'issig  sein  würde.     Ganz  anders  stellt  sich 
aber  die  Sache  dar,  wenn  wir  den  Zweck  des  Stiickes  als  einen 
allgemeineren  betrachten,  wie  allerdings  seine  ganzeAnlage  u.  sein 
Inhalt  erheischt,  und  es  vielmehr  als  eine  Enthüllung  der  traurigen 
Zustände  Athens  seit  dem  unheilvollen  Ausgange  des  pcloponne- 
sischen  Krieges  ansehen.     Wohl  war  nämlich  mit  Euklid's   Ar- 
chontat  403  V.  Chr.  die  Solonische  Verfassung  wieder  eingeführt 
und   eine  Commission  ernannt  worden,  um  zeitgemässe  Abände- 
rungen derselben  zu  beantragen,  deren  Bestätigung  man  dem  Areo- 
pag  übcrliess.      Allein  die  sittliche  Entartung  der  Zeit   hatte  be- 
reits Volk  und  Führer  zu  tief  ergriff'en ,  als  dass  eine  Verjüngung 
des  Staates  noch  möglich  gewesen  wäre.     Wie  es  nun  jetzt  bei 
uns  gellt,  so  ging  es  auch  damals  in  Athen;  man  suchte  den  Grund 
des  üebels  in  der  äusseren  Lage  und   namentlich  in  der  Mangel- 
haftigkeit der  Gesetze  und  der  Staatsverfassungen,   während  man 
ihn  in  der  moralischen   Zerflossenheit  des   Volkes  hätte  suchen 
sollen.     Und  so  erging  man  sich  denn  in  den  mannigfaltigsten  po- 
liiisclien  Theorien,  und  gerade  wie  man  jetzt  in   Deutschland  das 
Heil  der  Staaten  in  dem   im  nachbarlichen  Frankreich  ausgebrü- 
teten Socialismus  und  Communismus  finden  will,  so  erblickte  man 
damals  in  Athen  das  Rettungsmittel  von  dem  Unglück  der  Zeit  in 
Aufnahme  ähnlicher  dorischer  Institutionen,  deren   Ansehen  sich 
um  so  mehr  geltend  machte,  je  mehr  seit  dem  Ende  des  pelopon- 
iieslsciien  Krieges  Sparta's  Macht  und  Einfluss  gestiegen  war,  und 
die  Vielen  um  so  mehr  gefallen  mussten,  je  mehr  sie  dabei  hoffen 
durften  zu  gewinnen  oder  auch  sich  aus  Zuständen  der  Bedräng- 
niss  zu  retten,  in  welche  sie  gerathen  waren.     Diese  Zustände  des 
Staatesaiso  sind  es,   welche   Aristophanes  in  einer  grossartigen 
Carricatur  vor  Augen  führt,  zu  deren  Entwerfung  er  sich  um  so 
mehr  veranlasst  finden  konnte  .  als  kurz  vorher  ein  schuftiger  De- 
ma^og,  Namens  A  gyrrhiu  s,    es   durchgesetzt  hatte,   dass   der 
Sold  der  komischen  Dichter  geschmälert ,  der  Sold  der  Volksde- 
putirten  dagegen  von   einem    Obolen   auf  drei   erhöht  werden 
sollte;  vergl    Vs.  102  und  dazu   die  Ausleger.     Und  aus   diesem 
Gesichtspunkte  betrachtet,  erkennen  wir  auch,  wie  gesagt,  in  dem 
Stücke  erst  künstlerische  Einheit  und  Zusammenhang,  wie  schon  ein 
flüchtiger  Ueberblick    seines    Inhaltes  zeigen  wird,   welcher  auf 
Folgendes  hinausläuft.      Schon  am  frühen   Morgen  kommt  Pra- 
xagora,  die  den  Plan  einer  neuen  Staatsordnung  und  einer  Wei- 
berherrschaft entworfen  hat,  mit  den  Vertrauten  ihrer   Pläne  zu 
einer  sog<"nannten   Volksversammlung   (Weibervcrsammlung)  zu- 


Tchorzewski:  De  Piatonis  PoHtia ,  Timaeo,  Critia.  267 

sammen.  Nach  mehreren  vergeblichen  Anläufen  zum  Reden  von 
einzelnen  Weibspersonen  offenbart  sie  endlich  Vs.  170  ff.  ihre 
Ansichten  und  Absichten.  Die  Sorge  fiir  den  Staat,  sagt  sie,  liegt 
uns  nicht  minder  ob  als  unsern  Herren.  Es  kränkt  mich  bitter 
das  ganze  Thun  und  Treiben  unserer  Stadt,  da  sie  leider  immer 
schlechte  Lenker  und  Führer  hat.  Ist  Einer  auch  einmal  einen 
Tag  gut,  zehn  andere  Tage  ist  er  schlecht.  Dazu  kommt  dann  ein 
Anderer,  der  es  noch  viel  ärger  treibt.  —  So  stellt  sie  denn  also 
vorerst  die  Schlechtifikeit  und  Unfähigkeit  der  atheniensischen 
Staatsmänner  dar.  Nachdem  sie  darauf  auch  des  in  den  Volks- 
versammlungen herrschenden  Unfugs  gedacht,  heisst  es  fernerhin 
weiter:  Als  das  VVaffenbündniss  zur  Sprache  kam,  da  meinten 
Alle,  es  sei  zur  Rettung  unseres  Staates  abgeschlossen.  Allein  kaum 
war  es  zu  Stande  gekommen,  als  dieselben  Redner,  welche  dafür 
gesprochen ,  die  Flucht  ergriffen  und  sich  als  feile  Demagogen 
zeigten.  Dazu  wird  dann  noch  insbesondere  auch  der  schmählige 
Eigennutz  des  Demos  erwähnt,  welcher  den  öffentlichen  Schatz 
ausleere,  da  Jeder  nur  auf  seinen  Gewinn  denke.  Bedeutsam 
ruft  die  Rednerin  daher  aus:  Du  aber,  Volk,  bist  selbst  an  Allem 
Schuld!  Den  öffentlichen  Schatz  erschöpfest  Du,  weil  Jeder  nur 
für  sich  nach  Solde  hascht  und  nur  des  eigenen  Gewinnes  gern 
gedenkt.  Das  Gemeinwohl  dagegen,  es  schleppt  sich  nur  elend 
und  jämmerlich  weiter.  —  Nach  diesen  Schilderungen,  die  offenbar 
die  Schlechtigkeit  des  atheniensischen  Volkes  und  seiner  Führer 
darstellen,  beantragt  darauf  Praxagora,  dass  endlich  einmal 
an  die  Stelle  der  nichtswürdigen  Männer,  die  den  Staat  zu  Grunde 
richten,  die  Franen  treten  und  statt  des  beschränkten  Egoismus 
ein  durchgreifender  Coramunismus  walten  solle.  So  persiflirt 
also  der  Dichter  offenbar  vor  Allem  die  Staatsmänner  und  den  De- 
mos selbst.  Dann  aber  schreitet  er  zur  Darstellung  des  commu- 
nistischen  Staates  fort,  der  an  die  Stelle  des  alten  treten  soll. 
Indem  er  aber  dieses  thut,  verspottet  er  nicht  blos  die  Anhänger 
des  Dorismus,  die  in  Socialismus  und  Communismus  die  Wohl- 
fahrt des  Staates  zu  finden  vermeinten,  indem  er  ein  frappantes 
Zerrbild  ihres  Staates  vor  Augen  führt  ,  sondern  wendet  vielmehr 
die  Geissei  seines  Witzes  doppelt  an,  indem  er  gleichzeitig  auch 
ein  wahrhaft  erschreckendes  Gemälde  von  der  herrschend  gewor- 
denen Sittenlosigkeit  und  Verderbtheit  der  Frauenwelt  aufstellt. 
Denn  nachdem  die  Weiber  die  Zügel  der  Regierung  erlangt  und 
ihren  Staat  gegründet  haben,  so  tritt  auch  ihre  Keckheit,  Scham- 
losigkeit, Wollust  und  Geilheit  in  der  ekelhaftesten  Gestalt  her- 
vor, und  somit  zeigt  denn  der  Dichter  auf  eine  zwar  höchst  ko- 
mische, aber  in  der  That  sehr  ernste  Weise,  wie  auch  der  weib- 
Jiche  Theil  der  atheniensischen  Welt  in  die  ärgste  Verderbniss 
der  Sitten  gerathen  sei.  Hierauf  bezieht  sich  denn  eben  auch  die 
letzte  Scene  des  Stückes,  deren  Länge  nur  hieraus  allein  erklär- 
lich wird.     Ueberblicken  wir  also  den  Inhalt  des  ganzen  Stückes 


2ß8  Grieclnschc  LiUeratur. 

und  <lei)  Oaiig  und  Fortschritt  der  Handlung,  so  kann  es  auch  in 
dieser  Beziehung  niclit  zweifelhaft  scheinen,  worauf  die  Tendenz 
des  Ganzen  gerichtet  ist.  Nicht  philosophische  Ansichten,  nicht 
Lehren  des  Piaton  sind  es  nämlich,  gegen  die  der  Dichter  zu 
Felde  zieht.  Nein,  es  sind  die  allgemeinen  Zustände  des  atheniensi- 
ßcheu  Staates  und  die  daraus  hervorgegangenen  und  unter  dem  Ein- 
flüsse der  spartanischen  Obmacht  kühner  hervorgetretenen  com- 
munistischeu  Geliistc,  welche  er  zur  Zielscheibe  seines  geistvollen 
Witzes  gemacht  hat.  Führt  nun  aber  auch  die  allgemeine  Be- 
trachtung des  Stückes  von  selbst  zu  dieser  Ansicht  hin  ,  so  dürfte 
auch  damit  die  Frage  vollkommen  entschieden  sein,  ob  die  Ek- 
klesiazusen  das  frühere  Vorhandensein  des  Platonischen  Wer- 
kes über  den  idealen  Staat  nothwendig  voraussetzen  lassen,  und 
ist  dies  nicht  der  Fall,  so  wird  auch  jeder  Versuch,  aus  den- 
selben die  Abfassungszeit  der  Platonischen  Republik  näher  zu  be- 
stimmen ,  durchaus  als  ein  eitler  und  erfolgloser  betrachtet  wer- 
den müssen. 

Fassen  wir  nun  endlich  das  Resultat  unserer  Auseinander- 
setzungen zusammen,  so  können  wir  nicht  umhin  zu  bekennen, 
dass  uns  die  Abhandlung  des  Verfassers  keineswegs  in  der  üebcr- 
zeugung  wankend  gemacht  hat ,  dass  Piaton  seine  Republik  erst 
nach  seinem  ersten  Aufenthalte  in  Syrakus  und  zwar  in  der  Zwi- 
schenzeit zwischen  seiner  ersten  und  zweiten  Reise  geschrieben 
habe,  wie  denn  auch  die  für  diese  Ansicht  aufgestellten  Gründe 
durch  dieselbe  nicht  widerlegt  sind.  Allein  demohngeachtet  dür- 
fen wir  dem  Verf.  auch  das  Zeugniss  nicht  versagen,  dass  er  in 
seiner  Schrift  des  Interessanten  und  Belehrenden  viel  zur  Sprache 
gebracht  hat,  wofür  ihm  die  Freunde  des  Piaton  immer  zu  Danke 
verpflichtet  sein  werden. 

G*  Stallbaum* 


1)  Lateinische  Lehr-  und  LesestücJce  für  den  Anfangsunterricht  von 

Gebh.  flu.  Högg.  I.  u.  II.  Buch.     83  S.    Ladenpr.  18  kr.  od.  5  Ngr. 

2)  Aufgaben  über  die  lateinischen  Lehr-   und   Lesestücke  für    den  An- 

fanosunterricht  von  demselben.  I.  und  II.  Buch.  Mit  der  eramma- 
tischen  Uebersicht  über  das  II.  Buch  der  latein.  Lehr-  u.  Lesestücke. 
59  S.    Ladenpr.  12  kr.  oder  3%  Ngr. 

3)  Andeutungen  zum    Gebrauche    der  latein.  Lehr-   und  Lesestücke. 

Von  demselben.  46  S.  Ladenpr.  12  kr.  oder  3^  Ngr.  Stuttgart 
bei  Carl  Erhard.    1845.      kl.  8. 

Drei  Schriftchen,  die  schon  vor  fünf  Jahren  erschienen  sind, 
und  jetzt  erst  eine  Anzeige  davon  *f  Um  so  besser,  wenn  sie  nacli 
dieser  Zeit  noch  der  Beachtung  werth  sind.  Es  hängt  ja  zuweilen 
von  gar  verschiedenen  Zufällen  ab,  ob  ein  Buch  bald  die  Auf- 


Högg:  Latein.  Lehr-  und  Lesestucke  u.  s.  w.  269 

nierksamkeit  auf  sich  ziehe  oder  nicht.  Ref.  hatte  immer  gehofft, 
es  würde  von  anderer  Seite  her  eine  nähere  Bcsiprechung  obiger 
Schriften  erfolgen.  Da  es  bisher  unterblieben  ist,  so  glaubt  er 
im  Interesse  des  Unterrichtswesens  auf  dieselben  hinweisen  zu 
müssen,  und  zwar  umso  mehr,  als  der  Zweck  einer  früheren 
ähnlichen  Schrift:  ,, Lateinische  Lesestücke  für  die  Jugend,  zu- 
gleich eine  Andeutung  eines  einfachen,  dem  Knabenalter  ange- 
messenen Anfangsunterrichts.  Stuttgart,  Buchhandlung  von  Paul 
Neff.  1838'''',  und  eine  Abhandlung  des  Hrn.  Verfassers:  „Lieber 
die  Nolhvvendigkeit,  den  latein.  Elementar-Ünterricht  zweckmäs- 
siger einzurichten,  nebst  erläuternden  Bemerkungen  zu  einem 
dahin  zielenden  Versuche.  EUvvang.,  1838"  mehrfach  missverstan- 
den worden  sind,  woraus  dann  vielleicht  ein  Vorurtheil  entstand,  wel- 
ches die  Aufmerksamkeit  von  den  späteren,  in  derselben  Richtung 
von  ihm  ausgearbeiteten,  Schriften  ablenken  mochte  *).  Unge- 
achtet seine  Grundsätze  und  die  hiernach  geforderte  Methode 
nicht  neu  zu  nennen  sind ,  wie  Hr.  Högg  in  den  Andeutungen 
(S.  7)  selbst  erklärt;  so  ist  doch  die  irrthümliche  Auffassung  sei- 
ner Ansichten  und  Absichten  leicht  erklärbar.  Denn  theils  wei- 
chen sie  von  den  am  allgemeinsten  umlaufenden  um  Vieles  ab, 
theils  hatte  er  sich,  ehe  die  ,, Andeutungen''*  erschienen,  zu  kurz 
darüber  ausgesprochen,  namentlich  solchen  gegenüber,  die  mit 
der  durch  K.  F.  Becker  für  systematische  Darstellung  der  Sprach- 
lehre gebrochenen  Bahn  nicht  vertraut  waren.  Diese  Grund- 
sätze und  der  Plan  nun,  deren  Durchführung  im  Unterrichte  durch 
seine  Lehr-  und  Uebungsbücher  unterstützt  oder  überhaupt  er- 
möglicht werden  soll,  sind,  wie  bei  jedem  derartigen  Buche,  we- 
nigstens eben  so  wichtig,  wo  nicht  wichtiger,  als  der  Inhalt  an  und 
für  sich  betrachtet.  Manches  Buch  enthält  sehr  viel  Gutes,  ja 
möglicherweise  lauter  Gutes,  wenn  man  jedes  Einzelne  für  sich  be- 
trachtet; und  doch  kann  es  ein  sehr  unzweckmässiges  Schulbuch 
sein.  Die  methodische  Seite  ist  wesentlich.  Der  Plan  des  Hrn. 
Verf.  unterscheidet  sich  nach  dem  Dafürhalten  des  Ref.  haupt- 
sächlich dadurch  von  anderen ,  dass  er  die  verschiedenen  Princi- 
pien,  aus  denen  mancherlei  einseitige  Methoden  entwickelt  wor- 
den sind,  soweit  in  sich  zu  vereinigen  und  zur  Anerkennung  zu 
bringen  strebt ,  als  sie  Wahrheit  enthalten.  Denn  unverkennbar 
liegt  jedem  der  vielerlei  gemachten  Versuche  ein  richtiger  Ge- 
danke zu  Grunde,  dem  die  Berechtigung,  auf  den  Unterrichtsgang 
einzuwirken ,  nicht  abgesprochen  M^erden  darf.     Die  Einwendung, 


*)  Indessen  Dr.  E.  Ruthardt  (in  seinem  bekannten  Buche  S.  17), 
wiewohl  er  in  Hrn.  Högg's  Vorschlägen  nur  rein  formale  Aenderungen 
findet,  erkennt  an,  dass  der  Verf.,  „das  Bedürfniss  der  Gegenwart  ins 
Auge  fassend,  einer  praktischeren,  lebendigeren,  vornehmlich  mündlichen 
Behandlung  des  Sprachstoffes  vorzuarbeiten  suche." 


270  Latein.  Lesebucher.  *i| 

eine  Einigung  verschiedener  Prineipien  sei  uncrrciclibar,  weil  ein 
Princip  seinem  Wesen  nach  entweder  allein  bestehen  oder  einem 
andern  den  Platz  einräumen  mi'isse,  wäre  nur  dann  begri'indct, 
wenn  jene  Prineipien  wahre  Prineipien,  d.  h.  oberste  und  nicht 
abgeleitete  Grundsätze  wären.  Der  oberste  Grundsatz  fiir  den 
Unterricht  liegt  in  dem  Zwecke,  und  zwar  in  dem:  dass  der 
Schiller  den  Gegenstand,  mit  dem  er  sich  befasst, 
gründlich  und  auf  eine  natu  r  gemäss  e,  d.  h.  g  ei  st  bil- 
dende Weise  lerne.  Daraus  entspringen  erst  gewisse  Grund- 
sätze für  die  Mittel,  die  man  zur  Erreichung  des  Zweckes  er- 
greifen, für  den  Weg,  den  man  einschlagen  will.  Und  hier  gehen 
dann  die  Ansichten  weit  auseinander.  Jenen  obersten  Grundsatz 
aber  wird  ohne  Zweifel  Jeder  als  den  seinigen  gelten  lassen,  dass 
seine  Schüler  etwas  Gründliches  lernen  sollen  ,  und  mag  auch  Je- 
mand noch  so  mechanisch  verfahren,  so  wird  er  doch  nie  zuge- 
stehen .,  seine  Lehrweise  sei  nicht  geistbildend  oder  sie  sei  gar 
geisttödtend.  Ein  Schulbuch  macht  freilich  noch  keine  Methode; 
aber  ohne  auf  Das  einzugehen  ,  was  hierüber  schon  gestritten  wor- 
den ist,  nimmt  Ref.  doch  als  sicher  an,  dass  ein  zweckmässig  ein- 
gerichtetes Buch  den  Unterricht  um  Vieles  fördern  und  dem  Leh- 
rer die  Mühe  um  ein  Grosses  erleichtern  müsse. 

Hr.  Högg,  welcher  in  der  am  meisten  gangbaren  Unterrichts- 
weise der  natürlichen  Entwickelung  des  jugendlichen  Seelenlebens 
zu  wenig  Rechnung  getragen  glaubt,  stellt  in  den  „Andeutungen''* 
(S.  9  ff.)  vor  Allem  nachstehende  allgemeine  Sätze  auf: 

,,1)  Wenn  man  den  Unterricht  des  Lateinischen,  wie  jeder 
fremden  Sprache  überhaupt,  beginnt,  muss  bei  dem  Schüler  eine 
gewisse  Befähigung  zur  Aufnahme  desselben  als  unerlässliche 
Bedingung  vorausgesetzt  werden,  eine  Befähigung,  welche  er 
durch  Schule  und  Leben  gewonnen  hat.  Jene  hat  durch  Verglei- 
chen und  Unterscheiden  sein  Wahrnehmungs-  und  Erkenntniss- 
vermögen geübt,  und  durch  Sprachunterricht  das  Mittheilen  und 
Verstehen  erleichtert,  u.  s.  f.;  dieses  —  das  Leben  —  hat  ihm 
bereits  eine  Menge  von  Begriffen  zugeführt.  Letzteres  ist  für 
unsern  Zweck  hauptsächlich  darum  wichtig,  weil  davon  das  Ver- 
ständniss  dessen  abhängt,  was  die  fremde  Sprache  zum  Gegen- 
stande ihrer  Mittheilungen  hat. 

2)  Jene  Befähigung  wird  selten  vor  dem  achten,  bei  den 
meisten  wohl  erst  mit  dem  zehnten  Jahre  vorhanden  sein.  Und 
wenn  man  dennoch  den  Unterricht  in  einer  fremden  Sprache  mit 
einer  Schaar  achtjähriger  Kinder  beginnt*)  (man  kann  es,  aber 
zum  Schaden  für  das  Seelenleben  derjenigen  unter  ihnen,  deren 


*)  Da  dies  in  Württemberg  vorschriftsmässig  geschehen  soll,  so 
mosste  der  Hr.  Verf.  in  der  Anlage  seines  Buches  gegen  seine  Grundsätze 
darauf  Rücksicht  nehmen.  Anra.  des  Ref. 


Högg :  Latein.  Lehr-  und  Lesestiicke  u.  s.  w.  271 

Eiitwickeliing  noch  nicht  zu  dem  erforderlichen  Grade  erfolgt  ist), 
so  miiss  die  lateinische  Schule  auch  noch  jenen  Unterricht  auf- 
nehmen und  fortsetzen ,  welcher  jene  Befähigung  nachzuholen  und 
fortzusetzen  geeignet  ist,  nämlich  den  Anschauungsunter- 
richt,  und  muss dem  deutschen  Sprachunterrichte  mehr 
Zeit  einräumen,  als  es  im  anderen  Falle  nöthig  wäre. 

8)  Der  deutsche  Sprachunterricht  besteht  nicht  blos  in  gram- 
matischem Unterrichte,  sondern  auch  im  Sprechen,  im  Beschrei- 
ben und  Aufschreiben,  in  Lese-  und   Gedächtnissübungen  u.  s.  w. 

4)  Der  grammatische  Unterricht  im  Deutschen  aber  muss 
dem  der  fremden  Sprache  wenigstens  in  den  allgemeinsten  Grund- 
zügen vorangehen.  Die  Uebereinstimmung  zweier  Sprachen  stellt 
sich  so  dem  Schüler  zuerst  dar,  und  dann  auch  ihre  Verschie- 
denheit, je  nach  dem  Grade  seines  geistigen  und  sprachlichen 
Fortschreitens.  Sehr  wichtig  ist,  dass  die  Terminologie  für 
beide  Sprachen  dieselbe  sei. 

5)  Unsere  Lehrweise  setzt  bei  dem  Schüler  keine 
Kenntniss  irgend  einer  lateinischen  Form  voraus. 
Die  Lehr-  und  Lesestücke  sind  das  einzige  lateinische  Buch,  wei- 
ches er  anfänglich  gebraucht. 

6)  Der  Lehrer  lehre;  er  kann  also  nicht  §.  für  §.  dem  Schü- 
ler zur  selbstlhätigen  Vorbereitung  aufgeben.  Der  Lehrer  selbst 
aber  bereite  sich  desto  sorgfältiger  vor,  was  auch  schon  desshalb 
nöthig  sein  dürfte,  um  zu  sehen,  wo  er  naturhistorische  und  and. 
Erläuterungen,  beziehungsweise  Berichtigungen  zu  geben  habe. 
An  dem  Lehrer  liegt  es,  die  Schule  für  das  Leben  fruchtbar  zu 
machen.  Das  Buch  bietet  nur  Stoff  und  Form ;  auf  den  Lehrer 
kommt  es  an,  ob  sie  Leben  erhalten,  oder  Wortkram  bleiben,  ob 
sie  dem  Schüler  Freude  bereiten  oder  lange  Weile;  des  Lehrers 
Sache  ist  es,  dem  ganzen  Unterrichte  Interesse  zu  geben,  ohne  wel- 
ches keine  Methode  gut  und  kein  Lehrbuch  brauchbar  erscheint." 

Diese  Voraussetzungen  leiteten  den  Hrn.  Verfasser  bei  Wahl 
und  Anordnung  des  Lesestoffes,  sowie  bei  der  ganzen  Einrichtung 
seiner  Uebungsbücher. 

Das  l.  Buch  der  Lehr-  und  Lesestücke  (66  §§.  auf  17  Seiten) 
ist  zur  Einübung  des  Wichtigsten  aus  der  Formenlehre  bestimmt. 
Die  Formen  treten  selten  vereinzelt,  gewöhnlich  in  Satzverhält- 
nissen auf,  aber  unter  strenger  Anordnung  sowohl  nach  ihrer 
äusseren  Erscheinung,  als  nach  ihrer  Anwendung.  Z.  B.  §.  1 — 11 
Prädicatives  Satzverhältniss  mit  Substantiv  und  Verb.  Nominativ 
Sing,  und  Plur.  §.  1  und  2.  Substantiv  nach  der  ersten  Declina- 
tion.  §.  3.  Nach  der  zweiten  Declination.  §.  4.  Beide  Declin, 
gemischt.  §.  5.  Dritte  Declin.  §.  6.  Die  drei  ersten  Declinatio- 
nen  gemischt  u.  s.  w.  §.  1.  Verben  der  ersten  Conjugation.  §.  2. 
Verben  der  zweiten  Conjug.  §.  3.  Beide  gemischt.  §.  4.  Dritte 
Conjug.  u.  s.  w.  —  §.  12.  Infinitiv.  §.  13.  Prädicatives  Satzver- 
hältniss mitzMei  Substantiven  und  esse.     §.  14 — 17.  Objectivcs 


272  Latein.  Lesebücher. 

Satzverhältniss  (Äccusativ).  §.  18 — 25.  Attributives  Satzverliält- 
iiiss  lind  zwar  §.  18 — '21  attributiver  Genitiv,  §.  22  —  25  attribu- 
tives Adjectiv.  §.  26.  Prädicatives  Satzverhältniss,  Prädicat  — 
ein  Adjectiv  u.  s.  w.  u.  s.  w.  —  Sonacli  möchte  es  scheinen,  es 
handle  sich  schon  im  I.  Buche  mehr  um  Syntax,  als  um  Formen- 
lehre. Dennoch  bleibt  letztere  die  Hauptsache.  Von  jener  wird 
nur  so  viel  zu  Hülfe  genommen,  als  nöthig  ist,  um  der  psycholo- 
gischen Forderung  zu  geniigen,  dass  der  Schüler  die  wichtigsten 
Formen  in  lebendigem  Zusammenhange  angewendet  anschaue,  sie 
durch  selbstlhätige  Beobachtung  (versteht  sich,  vom  Lehrer  durch 
Fragen  angeregt)  unterscheiden  lerne  und  erst  nachher  im  Schema, 
das  er  vor  seinen  Augen  entstehen  sieht ,  zusammengestellt  über- 
blicke. Hieran  wird  man  kaum  Anstoss  nehmen,  wenn  die  Vor- 
aussetzung erfüllt  ist,  dass  dem  Schüler  die  wichtigsten  Satzver- 
hältnisse schon  aus  dem  vorangegangenen  deutschen  Sprachunter- 
richte bekannt  sind.  Die  erste  Einprägung  der  Formen  erfolgt 
theils  durch  wiederholte  mannigfaltige  Benutzimg  der  Lesestücke, 
wozu  in  den  „Aufgaben'"'  (Nr.  2)  und  in  den  „Andeutungen" 
(Nr.  8)  Winke  gegeben  sind,  zumTheil  durch  die  übersichtliche  Zu- 
fiammensteliung  in  Tabellen  *).  Alle  Formen  zuerst  in  Sätzen 
vorzuführen,  wäre  weder  möglich,  noch  lag  es  im  Bestreben  des 
Hrn.  Verfassers.  Allein  schon  das  Unternehmen,  auch  nur  mit 
den  hauptsächlichsten  den  Schüler  auf  diese  Weise  bekannt  zu 
machen,  hat  Bedenken  erregt.  Sollte  wirklich  ein  Lehrer  die 
vom  Schüler  selbst  geübte  Beobachtung  zu  gering  anschlagen  und 
sollte  er  es  vorziehen,  z.  B.  die  Endungen  einer  Declination  vor- 
her nach  einer  Tabelle  auswendig  lernen  zu  lassen,  so  wird  dies 
der  Brauchbarkeit  der  Lehr-  und  Lesestücke  keinen  Eintrag  thun. 
Es  ist  nicht  zu  iäugnen:  auf  den  ersten  Blick  kann  die  An- 
ordnung darin  zufällig,  willkürlich  scheinen;  bei  näherer  Betrach- 
tung übrigens  wird  sie  sich  als  durchaus  absichtlich  und  berechnet 
erweisen.  Aber  das  ist  allerdings  zu  einem  erfolgreichen  Unter- 
richt auf  dem  Wege,  wie  er  in  dem  Buche  vorgezeichnet  ist,  un- 
erlässlich,  dass  der  Lehrer  völlig  mit  dem  Wege  vertraut  sei,  ihn 
überschaue  und  (wie  oben  die  6.  Forderung  lautet)  lehre,  wor- 
unter namentlich  auch  das  zu  verstehen  ist,  dass  er  beim  ersten 
Anfang  nur  einen  sehr  geringen  Theil  seiner  Aufgabe  im  soge- 
nannten „Aufgeben'"''  suche.  Es  ist  das  eine  Forderung  von  der 
grössten  Wichtigkeit  auch  für  den  Unterricht  in  höheren  Classen, 
und  da  sie  vielfältig  nicht  anerkannt  wird,  so  wird  es  keiner  Recht- 
fertigung bedürfen,  wenn  bei  dieser  Gelegenheit  die  schlimmen 
Folgen  jener  Missachtung  in  Erinnerung  gebracht  werden.     Be- 


*)  Damit  der  Schüler  diese  Zusammenstellung  selbst  vornehmen 
könne,  ist  ein  lithographirtes  Formular  für  die  Declination  und  Conjuga- 
tion  beigegeben. 


Högg:  Latein.  Lehr-  und  Lesestücke  u.  s,  w.  273 

zeichnet  man  nämlich,  wie  es  nur  noch  zu  häufig  geschieht,  dem 
Schüler  blos  einen  Abschnitt  in  seinem  Buche  mit  dem  Verlangen, 
in  der  nächsten  Stunde  müsse  er  das  „präparirt^'',  d.  i.  er  müsse 
die  Bedeutung  aller  vorkommenden  Wörter  mit  Hülfe  des  Lexi- 
kons aufgesucht  haben  und  anzugeben  wissen,  und  die  Sätze  in 
die  Muttersprache  übersetzen  können;  so  entspringt  daraus  als 
beklagenswerihestes  üebel —  Missmuth,  Abneigung  ^^S^n 
das  Lernen.  Es  ist  zum  Erstaunen,  wie  man  trotz  ausführlicher 
und  gründlicher  Widerlegungen  einen  Vortheil  für  die  geistige 
Entwickelung  eines  jungen  Menschen  darin  erblicken  kann,  wenn 
dieser,  beinahe  ein  Wort  ums  andere  mühselig  in  einem  Buche  nach- 
schlagend, die  Bedeutung  oder  Bedeutungen  derselben  herauszu- 
schreiben genöthigt  wird.  Ist  es  nicht  viel  vernünftiger,  der  Lehrer 
giebt  dem  Kleinen  sogleich  an  die  Hand,  was  dieser  doch  niemals  » 
aus  seinem  eigenen  Kopfe  herauszufinden  vermag,  und  leitet  ihn 
durch  Fragen  allmälig  an,  das  zu  entdecken,  was  er  wirklich  selbst 
entdecken  kann*?  In  zahlreichen  Büchern  ist  dem  Lernenden  die 
Arbeit  dadurch  erleichtert,  dass  vor  oder  hinter  jedem  Abschnitte 
die  nöthigen  Wörter  aufgeführt  sind.  Diese  Einrichtung  erspart 
zwar  für  den  Augenblick  manche  Mühe,  zieht  aber  den  Uebel- 
stand  nach  sich  ,  dass  sie  den  Schüler  immer  wieder  verleitet,  nach 
diesen  Verzeichnissen  hinzublicken.  Die  Wörter  und  deren  Be- 
deutung sich  fest  einzuprägen,  dazu  wird  er  offenbar  am  sicher- 
sten bewogen,  wenn  er  im  Anfange  weder  ein  Wörterbuch,  noch 
sonst  ein  Wörterverzeichniss  hat.  Der  Lehrer  sei  das  erste 
Wörterbuch,  wieerauch  von  vorn  herein  dieGram- 
matik  sein  soll.  Dnrch  fleissige  Wiederholung  und  verschie- 
denartige Anwendung  des  Lesestoffes  wird  ein  sicherer  und  rei- 
cherer Wörtervorrath  gewonnen,  als  auf  irgend  eine  andere  Weise. 
—  Eine  weitere,  sehr  traurige  Folge  der  falschen  Präparations- 
roethode  ist  diese:  Erkennt  der  Schüler,  dass  er  die  an  ihn  ge- 
raachten Forderungen  mit  eigenen  Kräften  nicht  lösen  kann,  so 
wird  er  sich,  sofern  seine  Vermögensumstände  es  gestatten,  zum 
Besuche  von  Privatstunden  entschliessen,  und  um  so  eher,  wenn 
ihn  das  Bestreben,  dem  Lehrer  Genüge  zu  thun,  oder  wenigstens 
die  Furcht  vor  dessen  Strafen  erfüllt.  Findet  er  einen  tüchtigen 
Unterricht,  was  nur  dann  der  Fall  ist,  wenn  dieser  so  behandelt 
wird,  wie  er  in  der  Schule  selbst  behandelt  werden  sollte,  so  muss 
er  doch  immerhin  überflüssig  Geld  und  Zeit  aufwenden.  Wird 
aber  der  Unterricht  verkehrt  ertheilt ,  wie  es  wohl  nicht  selten 
geschehen  mag,  wenn  etwas  reifere  Schüler  die  ijlnstructoren'^ 
sind,  so  ist  der  Schaden  noch  grösser.  Gar  gerne  ereignet  sich 
dann  das  gerade  Gegentheil  von  der  beabsichtigten  Selbstthätig- 
keit  des  Anfängers ,  indem  der  Aeltere  ihm  sogleich  Alles  ganz 
zubereitet  vorlegt,  statt  dass  er  nur  so  viel  mittheilte,  als  der 
Kleine  nicht  durch  eigenes  Naclidenken  ausfindig  machen  kann. 
Dass  auf  diesem  W'^ege  nie  eine  Selbstständigkeit  erreicht  werde, 

iV.  Jahrlt.    f.  Phil,  u.   Päd.   od.  Krit.  liiöt.   Bd.  LVIII.    Hft.  3.  Jg 


274  Latein.  Lesebücher. 

lict  am  Ta^e.  Tritt  aber  vollenils  in  der  Noth  an  die  Stelle  der 
l'rivHt  st  linden  das  Uiihepolster  der  gedruckten  oder  ererbten  g;e- 
schiiebenen  Debersetzung,  nun  so  weiss  jeder  Schulmann,  dass 
es  niclit  leicht  wieder  verlassen  wird.  Allgemein  ist  das  Bedauern 
darüber,  wie  so  viele  Schüler  dieses  bequeme  Lager  suchen,  und 
doch  —  wie  wenig  geschieht,  um  es  zu  verhindern!  Verbote  hel- 
fen nichts,  Vorstellungen  über  die  Verderblichkeit  nicht  viel,  dies 
weiss  Jedermann;  mehr,  glauben  Einige,  richte  man  aus,  wenn 
mit  Strenge  vorgefahren  wird,  sobald  ein  Schüler  bei  der  münd- 
lichen üebersetzung  nicht  gehörig  Ilechenschaft  geben  kann  und 
über  gar  zu  sorglosem  Gebrauch  seines  llülfsmittels  sich  ertappen 
lässt.  Dies  möchte  aber  einige  Äehnlichkeit  haben  mit  der  Hand- 
lungsweise einer  Wärterin,  welche  ein  Kind,  das  noch  nicht  ge- 
hen kann,  auf  ein  Kissen  niedersetzt  und  nachher  züchtigt,  weil 
es  nicht  aufstehe.  —  Der  sicherste,  ja  einzige  Weg  zu  helfen 
ist:  man  unterstütze  den  Kleinen  bei  seinen  Versuchen  das  Gehen 
zu  lernen ,  aber  jedesmal  nur  in  dem  Maasse,  als  er  der  Unter- 
stützung bedarf.  So  wird  er  allmälig  zu  gehen  lernen,  und  wenn 
er  es  kann,  so  wird  es  seine  Freude  sein,  wirklich  davon  Gebrauch 
zu  machen.  —  Solche  iNachhülfe  wird  auch  in  höheren  Classen 
häufig  noch  recht  am  Platze  sein,  so  oft  eine  Schriftgattung  zur 
Hand  genommen  wird,  die  mit  den  früher  gelesenen  weniger  Ver- 
wandtschaft hat.  Schon  die  Eigenthümlichkeit  des  Schriftstellers, 
noch  mehr  der  von  ihm  behandelte  Stoff  und  die  hierzu  gewählte 
Form,  müssen  dem  Schüler  eine  Menge  von  Schwierigkeiten  ent- 
gegenführen, die  ihm  eine  Zeit  lang  vom  Lehrer  weggeräumt  wer- 
den sollten.  Wie  kann  gefordert  werden,  dass  ein  Knabe,  der 
bisher  seine  Kräfte  nur  an  Geschichtschreibern,  jedenfalls  nur  an 
Prosaisten  versucht  hat,  ausschliesslich  an  der  Hand  seines  ge- 
treuen Wörterbuches  ohne  Weiteres  den  Virgil  richtig  übersetze, 
oder  dass  er,  wenn  unter  den  griechischen  Dialekten  mit  ihm  nur 
der  attische  eingeübt  ist,  den  Homer  „analysire"*?  Wird  da 
nicht  der  fleissigste  Schüler  gezwungen,  nach  dem  nächsten  besten 
Mittel  zu  greifen,  wenn  es  ihn  nur  aus  seiner  Qual  errettet? 

Doch  zurück  zu  unserm  Anfänger!  „Nun  ja,  er  soll  die  Bedeu- 
tuuff  der  Wörter  allein  aus  dem  Munde  des  allersetzenden  Lehrers 
vernehmen.  Wie  dann,  wenn  er  sie  vergisst  und  kein  Mittel  ihm 
zu  Gebote  steht,  sie  wieder  ins  Gedächtniss  zu  rufen'?*'  —  Eine 
sehr  natürliche  Frage.  Doch  dürfte  die  Antwort  eben  so  einfach 
lauten.  Einmal  wird  bei  der  Behandlung,  welche  Ref.  bisher 
auseinandergesetzt  hat  und  mit  Hrn.  Högg  fordert,  lange  nicht  so 
viel  vergessen  werden,  als  sonst;  und  dann,  wenn  etwas  entweicht, 
dann  —  sagt  es  eben  der  Lehrer  noch  einmal.  „Welche  Ver 
wöhnung  des  Knaben!  Also  wiederum  soll  er  aller  Mühe  über- 
hoben werden*!-*  —  Dagegen  lässt  sich  fragen,  was  denn  der  Ge- 
winn davon  gewesen  sei ,  wenn  nicht  gerade  unfähige  Schüler  auf 


Högg;  Latein.  Lehr-  und  Lesestücke  u.  s.  \v.  275 

drei  und  mehr  Seiten  hintereinander  jedesmal  dasselbe  Wort  in 
ihrem  „Präparationsheft""  oder  in  ihrer  „Analyse''  aufzeichneten'^ 

Wie  das  I.  Buch  der  Lehr-  und  Lesestücke  die  Grundlage  für 
die  Einübung  der  gewöhnlichsten  Formen  und  zugleich  für  Ge- 
winnung eines  auf  dieser  Stufe  hinreichenden  Wörterschatzes  bil- 
den soll;  so  hat  das  II.  Buch  den  Zweck,  dem  Schüler  die  ganze 
Sy  Utax  i  n  ih  ren  Grundzügen  vorzuführen.  Den  dabei 
befolgten  Plan  hat  der  Hr.  Verf.  in  der  , ^grammatischen  Lieber- 
sicht'- auf  sieben  Seiten  für  jeden,  dem  Becker's  Sprachsystem 
nicht  fremd  ist,  verständlich  genug  dargelegt.  Ref.,  der  das  Büch- 
lein schon  beim  unterrichte  benutzte,  hat  die  üeberzeugung  ge- 
wonnen, dass  die  Spracherscheinungen  durch  die  gewählte  Be- 
handlung und  Anordnung  nicht  gewaltsam  in  einen  ihr  widerstre- 
benden Rahmen  eingezwängt  worden  seien,  und  fand  zugleich, 
dass  sich  mit  dieser,  in  der  Hauptsache  an  eine  wissenschaftliche 
Form  sich  anlehnenden  Ordnung  ganz  wohl  eine  gemeinfassliche, 
dem  jugendlichen  Älter  entsprechende  Lehrweise  verbinden  lasse. 
Daher  betrachtet  Ref.  die  Lesestücke  auch  in  dieser  Hinsicht  als 
ein  erwünschtes  Beförderungsmittel  einer  Lehrweise,  wie  sie  an- 
gestrebt werden  muss,  nämlich  einer  solchen,  die,  ohne  sich  in 
eine  dem  Knaben  unverständliche  Abstraction  zu  verirren,  doch 
die  F]rgebnisse  der  wissenschaftlichen  Forschung  auf  angemessene 
Weise  in  die  Schule  einführt. 

Vielleicht  könnte  die  Frage  erhoben  werden,  warum  der  Hr. 
Verf.  nicht  statt  der  grammatischen  Uebersicht  geradezu  vollstän- 
dige Regeln  seinem  Buche  einverleibt  habe.  Dieses  haben  aller- 
dings bisher  die  Meisten  gethan;  sie  haben  Grammatik  und  üe- 
bungsstücke  (entweder  zur  Exposition  oder  zur  Composition  oder 
auch  beide)  in  Einem  Buche  vereinigt.  Viele  Lehrer  erkennen 
hierin  einen  grossen  Vorzug.  Denn  so  erscheine  dem  Anfänger 
dieses  Eine  Buch  als  der  Inbegriff  alles  dessen,  womit  er  sich  für 
jetzt  zu  beschäftigen  habe.  Dessenungeachtet  muss  es  Ref.  bil- 
ligen, dass  Hr.  Högg  sich  begnügt  hat,  durch  die  uebersicht  dem 
Lehrer  seinen  Plan  deutlich  zu  machen  und  dem  Schüler  die  Auf- 
fassung des  Ganzen  zu  erleichtern.  Die  abgesonderte  Aufstellung 
des  Regelwerkes  einerseits  und  der  üebungsstücke  *)  anderer- 
seits bietet  mancherlei  Vortheile.  Die  Grammatik  gewinnt  an 
üebersichtlichkeit,  indem  sie  sich  auf  einen  kleineren  Raum  zu- 
sammenzieht. Damit  wird  auch  die  Möglichkeit  einer  passenden 
einzigen  Schulgrammatik  für's  ganze  Gymnasium  angebahnt.  Fer- 
ner wird  der  Blick  nicht  fortwährend  zwischen  Regel  und  Beispiel 
hin  und  herschweifen,  sondern  der  Schüler  wird  sich  genöthigt 


*)  Hierunter  sind  natürlich  nicht  die  einzelnen  Beispiele  zu  verste- 
hen ,  die  jeder  Grammatik  als  Belege  für  die  Regeln  beigefügt  werden 
müs-sen. 

18* 


276  Latein.  Lesebücher. 

seilen,  je(1cs  für  sich  zu  seinem  vollen  Eigentluim  zu  maclien. 
Ilauptsiichlicli  ^ilt  das  für  die  Composition.  Endlich  erwärhst 
dem  Schüler  daraus  i^eiii  grösserer  Aufwand,  wie  es  den  Anschein 
haben  möciite,  sondern  es  hat  die  gegentheilige  woliilhälige  Folge. 
Lmfangsrcicher  wird  das  Ganze  nicht;  denn  die  einzelnen  Theile 
sind  nur  anders  geordnet.  Höchstens  könnte  der  Buchbinder 
eine  grössere  Ausgabe  verursachen,  weil  nun  drei  Bücher  ent- 
stehen: Uebungsstücke  zur  Exposition,  zur  Composition,  Gram- 
matik.    Hingegen  ist  nur  noch  Eine  Grammatik  erforderiicli  *). 

Zieht  man  in  Betracht,  ob  die   Lesestücke   für   den    ersten 
Unterricht  in  grammatischer  Hinsicht  erschöpfend  genug  seien,  so 
werden  notlnvendig  die  Ansichten  abweichend  ausfallen,  weil  der 
Eine  jetzt  schon  dieses  für  unentbehrlich   erachtet,   ein  Anderer 
jenes.     Ref.  hüt  in  diesem  Stücke  die  31  einung,  dass  die  Schüler 
sehr  oft  nutzlos  viel  zu  früh  mit  schwierigen  Spracherscheinungen 
oder  haarspaltendcn  Unterscheidungen  geplagt  werden.     Schwer- 
lich wird  man  es  tadeln  wollen,  dass  die   Lesestücke  z.   B.   nicht 
in  den  ersten  Paragraphen  des  II.  Buches   alle  die  vielerlei  mög- 
lichen Fälle  enthalten,  wo  das  Prädicat  bald  im  Singular,  bald  im 
Plural,  im  Masculinum,   Femininum  oder  Neutrum  steht,  wenn 
es  sich  auf  mehrere  Subjecte  zugleich  bezieht.     Doch  hätte  lief. 
neben  dem  Beispiel  (II.  3):  Visurgis,  Albis,  Vistula  sunt  naviga- 
biles  amnes  —  noch  eines   oder  das  andere   gewünscht,  wo  die 
Subjecte   Personen   bezeichnen.     Besonders  aber  vermisst  er, 
dass  nicht  den  Zahlwörtern,  die  nur  gelegentlich  eingemischt 
sind  (wie  II.  5.  23.  3S.  o7.  58.  65.  66)  eigene  §§.  gewidmet  sind. 
Auch  ist  die  Construction  bei  accusare^  damnare  u.  dergl.  völlig 
übergangen.     Bei  II.  65  konnten  vielleicht  ausser  quantum^  nihil^ 
plus  auch  niultum^  ntiquid^  quid^  satis  ^  aß'alim  u.  s.  f.  berück- 
sichtigt und  nebenbei  eine  Vergleichung  anderer  Ausdrucksweisen 
statt  des  Genitivs  (ej7,  «V/,  de)^   besonders  wegen  des  Superlativs 
und  wegen  uiius^  angestellt  werden.     Neben  decet^pudet  u.  s.  w, 
(IL  1.2«  ff.)  hätte  wohl  licet  eine  Steile  verdient.     In  IL  160  soll- 
ten facüis^  difficilis^  jucundus  mit  ad  und  dem  gcrund.  nicht  feh- 
len, da  sie  beim  Supinum  (IL  156)  gehörig  vertreten  sind.  —   So 
Hesse  sich  noch  Manches  beibringen,  dessen  Aufnahme  Hr.  Högg 
um  so  unbedenklicher  finden  wird,  da  er  Mehreres  nicht  zurück- 
gewiesen hat,  was  er  beim  erstmaligen  Lesen  ausgelassen  und  erst 
später  bei  der  Wiederholung  beachtet  wünscht.     Desswegen  sind 
einige  §§.  mit  Sternchen  bezeichnet,  z.  B.  II.  21  (von  den  Städte- 
namen).    Dass  aber  über  die  s.  g.  Consecutio  temporum  keine  be- 
sonderen §§.  gegeben  sind,    darf  kaum  Anstoss  erregen,  da  zur 
Nachweisung  des  Leichteren  sich  in  dem  Buche  hinreichend  Stoff 


*j  Für  die  erste  Zeit  ist  sie  ganz  entbehrlich,  indem  sie,  wie  oben 


bemerkt,  durch  den  Lehrer  ersetzt  wird. 


Högg :    Latein.   L«hr-  und  Lesesliicke  u.  s.  w.  277 

findet,  die  Erklärung  des  Schwierigeren  aber,  wie  jeder  Lehrer 
weiss,  selbst  in  den  mittleren  Ciassen  noch  Miilic  genug  erfordert. 

Was  dann  die  Auswahl  der  Sätze  anlangt,  so  gehört  ihr 
Inhalt  theils  der  äusseren,  theils  der  inneren  Welt  an.  Das 
I.  Buch  giebt  (auf  17  Seiten)  fast  ausschliesslich  Naturgcschicht- 
liches,  und  auch  im  II.  ist  dieses  und  das  geographische  Gebiet 
stark  vertreten,  sowie  überhaupt  diejenigen  Kreise  des  mensch- 
lichen Wissens,  welche  sich  vorzugsweise  auf  die  unmittelbare 
Sinneswahrnehmung  gründen.  Da  die  Lesestücke  für  sehr 
junge  Schüler  bestimmt  sind,  so  wird  diese  Wahl  um  so  mehr 
Beifall  verdienen,  als  sich  in  dieser  Zeitschrift  erst  kürzlich  die 
gewichtige  Stimme  eines  Mannes  der  Wissenschaft  in  ähnlichem 
Sinne  erhoben  hat  (s.  Bd.  57.  Ilft.  2.  S.  178),  wodurch  Referent 
einer  grösseren  Ausführlichkeit  über  diesen  Punkt  überhoben  ist. 
üebrigeos  wurde  das  geistige  Gebiet,  namentlich  in  sittlich  bil- 
denden Aussprüchen  nicht  zu  karg  behandelt.  —  Ob  auch  der 
Geschichte  ihr  gebührender  Beitrag  abgefordert  worden^  Zwar 
lässt  sich  nicht  läugnen ,  dass  es,  so  lange  der  Schüler  noch  nicht 
so  weit  vorgerückt  ist,  um  zusammenhängende  Stücke  zu  lesen, 
mit  einigen  Schwierigkeiten  verknüpft  ist,  einzelne  Sätze  ausfindig 
zu  machen ,  die  für  den  kleinen  Anfänger  anziehend  und  verständ- 
lich genug  sind.  Es  fehlt  solcfien  Beispielen  häufig  an  der  nöthi- 
gen  Anschaulichkeit.  Lange  Erläuterungen  aus  der  Geschichte 
sind  gewiss  in  den  ersten  paar  Jahren,  wo  der  Knabe  eine  fremde 
Sprache  zu  lernen  beginnt,  nicht  am  Orte,  wie  denn  überhaupt  der 
Stoff,  ohne  in  Leerheit  und  Gehaltlosigkeit  zu  verfallen,  von  der 
Art  sein  muss,  dass  zum  Vcrständniss  selten  mehr  als  eine  Zeich- 
nung oder  eine  Landkarte  erforderlich  ist.  Die  Aufmerksamkeit 
wird  sonst  zu  sehr  getheilt.  Bei  alle  Dem  will  es  dem  Ref.  schei- 
nen ,  die  Geschichte  hätte  noch  eine  reichere  Ausbeute  gewähren 
können. 

Mit  Vergnügen  bemerkt  man  in  der  Anordnung,  dass  dem 
Stoffe  nach  Verwandtes  in  einzelnen  §§.  zusammengestellt  ist, 
soweit  es  andere  nicht  zu  beseitigende  Rücksichten  erlaubten.  Es 
ist  dies  ohne  Zweifel  nicht  ohne  Einfiuss  auf  den  Geschmack  des 
Schülers.  Ref.  macht  auf  diesen  Umstand  aufmerksam,  weil  er 
zwar  schon  in  manchen  älteren  Lehrbüchern  beachtet  worden  ist, 
aber  in  neuerer  Zeit  der  lobensvverthe  Vorgang  oft  nicht  die  ver- 
diente Nachahmung  gefunden  hat.  Wen  sollte  es  niclit  unange- 
nehm berühren ,  z.  B.  folgende  Sätze  unmittelbar  hintereinander 
zu  lesen:,, Alle  gute  Männer  lieben  die  Billigkeit.  Die  Bewohner 
Aegyptens  verehrten  den  Apis,  einen  schwarzen  Ochsen.  Die 
Hunde  werfen  blinde  Junge.  Die  Wiederkunft  der  Störche  kün- 
digt den  Frühling  an.  Archelaus  schenkte  dem  Euripides  einen 
goldenen  Becher*"*-'?  Es  versteht  sich,  dass  Abwechselung  vor- 
handen sein  müsse,  nur  nicht  in  solcher  Weise.  —  Als  eine  an- 
dere zweckmässige  Einrichtung  hebt  Ref.  hervor,  dass  in  späteren 


278  Latein.  Lesebücher. 

Absclinitten  häufiir  auf  Früheres  Bezug  genommen  ist.  So  kehrt 
der  Satz  I,  48  Diei  noctisque  vicissitudo  conservat  animantes  — 
bei  IL  143  wieder  mit  der  Erweiterung:  tribuens  aliud  agendi 
Icmpus,  aliud  quiescendi.     Vergi.  II,  61  und  161;  20  u.  149. 

Ks  ist  nun  noch  iibrig,  etwas  Viber  die  Sätze  in  sprachli- 
cher Hinsicht  zu  sagen.  Mühevoll  musste  die  Anlage  des  Bu- 
ches in  der  bisher  angedeuteten  Weise  darum  sein,  weil  die 
Beispiele  im  I.  Buche,  so  weit  möglich,  im  IL  durchgehends 
aus  Werken  alter  Schriftsteller  entnommen  und  zwar 
unmittelbar  aus  diesen  gesammelt  sind,  was  auch  daraus  zu  er- 
kennen ist,  dass  viele  aufgenommene  Beispiele  sich  in  den  frühe- 
ren Lesebüchern  nicht  finden.  Gerade  diese  Gewissenhaftigkeit 
verleiht  den  Lesestücken  einen  besonderen  Vorzjig.  Zwar  sind 
auch  solche  Autoren  benutzt,  die  von  den  ekeln  Latinisten  scheel 
angesehen  werden.  Wenn  aber  andere  Schulmänner  sich  nicht 
scheuten,  ihr  eigenes  Latein  den  Anfängern  als  Muster  aufzustel- 
len, so  wird  auch  ein  Seneca  oder  Plinius  die  Ehre  haben 
dürfen,  in  unseren  Elemeiitarbüchern  mit  kurzen  Sätzen  zu  er- 
scheinen, wo  ja  an  Bildung  des  Stil  s  noch  wenig  gedacht  werden 
kann,  zumal  wenn  es  sich  findet,  dass  der  Gegenstand,  über  den 
sie  sich  vernehmen  lassen,  einem  gewissen  Alter  mehr  entspricht, 
als  einer  des  Cicero.  Dabei  ist  aber  freilich  festzuhalten ,  dass  in 
der  Auswahl  und  Benutzung  Umsicht  geübt  werden  solle,  weniger 
in  Betreff  eines  einzelnen  Ausdrucks  (wiewohl  I.  28  Scorpio  ve- 
nenatus  für  Sc.  venenosus  zu  wünschen  wäre),  als  der  Ausdrucks- 
weise. In  keinem  der  Sätze,  die  sich  desto  tiefer  einprägen,  je 
früher  sie  dem  Lernenden  vorgeführt  werden ,  sollte  eine  Abwei- 
chung von  den  Flauptlehren  der  Grammatik,  wie  sie  nach  dem 
Sprachgebrauche  der  besten  Schriftsteller  festgestellt  sind,  vor- 
kommen. Dieser  Forderung  dürfte  Hr.  Wögg  nicht  überall  Ge- 
nüge gethan  haben.  So  steht  II.  21  Hure  juventam  egi,  —  wäh- 
rend bekanntlich  zur  Bezeichnung  der  Ruhe  an  einem  Orte  in  der 
Regel  die  Form  auf  i  gebraucht  wird.  Es  wäre  dies  um  so  besser 
vermieden  worden,  als  für  das  Regelmässige  kein  Beispiel  geboten 
ist,  und  darauf  folgt:  Rure  in  urbem  redibas.  —  68  üt  prae  lae- 
titia  lacrumaetibi  praesiliunt  (Plaut.  Stich,  lll.  2,  13,  wo  übrigens 
Schm  ieder:  praesiliunt  mihi  hat)  —  bezeichnet  prae  einen  Grund, 
der  nicht  als  Hinderniss  erscheint.  Wollte  man  auch  sagen,  es 
liege  ein  negativer  Sinn  darin,  etwa:  lacrumas  teuere  non  potes 
(vergl.  Fabri  zu  Liv.  22,  3,  13),  so  wäre  dies  doch  bei  Anfängern 
nicht  gut  angebracht.  —  71  Apud  Pythagorara  discipulis  quinque 
annis  tacendum  erat  —  könnte  der  Ablativ  einen  Schüler  auf  der 
angenommenen  Stufe  irre  leiten.  —  So  wie  die  Sätze  80  An  tu 
haec  non  credis^  und  123  An  nc  hoc  quidera  intelligimus  cet.  da- 
stehen, scheint  es,  an  sei  in  einfacher  Frage  gesetzt.  Vergl. 
Zumpt§.  3r)l.  Dagegen  91  Cogiia  tecum^  an^  quibuscunque 
dcbuisti  gratiam ,  retuleris  —  lässt  sich  wohl  nach  Zumpt  §.352 


Högg :  Latein.  Lehr-  und  Lesestücke  u.  s.  w,  279 

erklären.    Aber  das  Comma  würde  Ref.  lieber  vor  gratiam  stellen. 

—  Wegen  105  Solls  defectus  nonnisi  novissima  primave  fiiint 
luna:  lunae  autem  defectus  nonnisi  plena  —  s.  Ziimpt  §.  796 
der  6.  Ausgabe  und  Krebs  Antibarbarus  unter  iion  nisi.  —  Der 
Indicativ  lUG  Sunt,  qui  ....  non  audent  dlcere  —  und  die  alter- 
thüraliche  Nominativform  113  lade  (Plaut.  Menaech.  V.  9,  29  ss.) 
möchten,  obschon  die  gewöhnliche  Form  aus  I.  32  (lac  dulce)  be- 
kannt sein  muss,  in  diesem  Buche  bedenklich  sein.  —  114  Vi- 
des,  quanto  vocaliora  sunt  vacua,  quam  plena  (Sen.  Nat.  qu.  11,29) 
möchte  Ref.  abweichend  von  den  Ausgaben  aus  gewissen  Rück- 
sichten interpungiren:  Vides*?  quanto  ....  plena*?  —  117  üt 
quacque  fliimina  sunt  altissima,  ita  minori  sono  labuntur —  ent- 
hält ohne  Zweifel  einen  Schreib-  oder  Druckfehler;  so  auch  55 
Megarensium  insula  Athe?iiensibus  fiebat.  —  118  Omnia  prius 
experiri,  quam  armis ,  sapientera  decet  ist  nach  experiri  wahr- 
scheinlich verbis  ausgefallen,  wie  141  Sunt  divitiae  certae,  in 
quacunque  sortis  humanae  permansurae  (Sen.  de  Benef.  VI.  3) 
nach  humanae  das  Wort  levitate.  —  158  wäre  dem:  Cupidus  te 
audiendi,  obschon  es  von  Cicero  (de  Or.  II.  4,  16)  herrührt,  ein 
Beispiel  mit  der  gebräuchlicheren  Gerundiv -Construction  vorzu- 
ziehen.    Vergl.  Krüger,  Gramm,  d.  latein.  Spr.  §.  489,  Anm.  6. 

—  Einiges  ist  unnöthig  oder  unpassend  verändert.  162  Exercenda 
est  memoria  ediscendis  ad  verbum  quam  plurimis  et  Cicerom's 
scriptis  et  aliorum  nach  Cic.  de  Or.  I.  34, 157,  wo  es  heisst:  quam 
plurimis  et  nostris  scriptis  et  alienis.  —  99  erscheint  in  dem 
Satze:  Cum  quiescere  volunt,  fremitum  murmurantis  maris  non 
audiunt  —  nach  Cic.  Tusc.  V.  40,  116  der  Mangel  des  Subjects 
surdi^  das  in  der  Urschrift  aus  dem  Zusammenhange  ergänzt  wird, 
unbequem,  wenn  gleich  der  Sinn  im  üebrigen  absichtlich  geändert 
sein  mag.  —  91  giebt  das  Ul  am  Anfange  des  aus  Cic,  Tusc.  I. 
28,  67  einzeln  ausgehobenen  Satzes  keinen  Sinn,  ist  also  zu  tilgen; 
ebendaselbst  ist  deinde  statt  dein  zu  schreiben.  —  115  die  Worte: 
Huc  postero  die  quam  frequentissimi  convenirent  —  sind  als 
selbstständiger  Satz  hingestellt,  wodurch  das  Imperf.  Conj.  noth- 
wendig  eine  ganz  andere  Bedeutung  erhält,  als  im  Zusammen- 
hange bei  Caes.  b.  g.  IV.  11.  —  121  bei:  BiSt  Gallicae  consuetu- 
dlnis,  uti  —  hat  Cäsar  (b.  g.  IV.  5):  Est  hoc  Gallicae.  —  157  ist 
aus  Versehen  sinnstörend:  danda  vero  opera,  ut  et  animos  statt 
amicos  (Cic.  ofF.  I.  34,  123)  geschrieben.  —  Ferner  muss  126 
Aristaeus  statt  Aristeus  (Cic.  Verr.  IV.  57,  128)*)  und  Zoroa- 
stres  statt  Zoroaster  gesetzt  werden;  so  auch  150  carissimi  (aus 
Quintil.  in.  or.  II.  9)  statt  charissimi.  —  80  wäre  besser  Tui  be- 
nevolentis  statt  bene  volenlis  (Plaut.  Trin.  I.  2,  8),  well  benevo- 
lens,  wie  öfters  bei  diesem  Dichter  (s.  bes.  Trin.  V.  2,  24.  53  und 


*)  Ernesti  hat   zwar  an  dieser  Stelle:   Aristeus,   aber  in   der 
Clavis  und  Cic.  Nat.  DD.  III.  18,  45  Aristaeus,  wie  Andere. 


280  Latein.  Lesebücher. 

Pcrs.  IV.  4,  9S),  hier  als  Substantiv  gebraucht  ist. —  142.  Der 
Name  des  Augurs  (Cic.   Divin.  I.  17)  wird  jetzt  gewöluilich  Na- 
riits  ^   nicht  Aaevius  geschrieben.  —   Wiewohl  im  Allgemeinen 
der  Grundsatz  festgehalten   ist,   dass  jeder   Satz   für  sich   einen 
vollen  Sinn  gebe,  so  ist  doch   einigemal  dagegen  Verstössen,  wie 
in  der  oben  beri'ihrten  Stelle  aus  Caes.  b.  g.  IV.  11,  und  142  kann 
inde  in  dem  Satze:  Philocrates  jam  inde  usque  amicus  fiiit  mihi  a 
pucro  puer  —  auf  nichts  Vorhergehendes  bezogen  werden.     Vgl. 
144  Id    odeo  mctuens  vos  celavi ,  quod  nunc  dicam  —  und  158 
J)ata  facultate  itineris   faciundi.  —    um   nichts    zu   übergehen, 
wird  noch  erwähnt,  dass  die  Druckfehler,  deren  Zahl  übrigens 
nicht  sehr  gross  ist ,  am  Schlüsse  der  „Andeutungen''  nicht  voll- 
ständig aufgeführt  sind.    lief,  hat  ausser  den  oben  genannten  wahr- 
genommen: II.  49  ephipiis;  97  His-pania;  lllvoveant  st.  foveant. 
ISr.  2.     Die  Aufgaben  über  die  lateinischen  Lehr- 
und  Lesestücke  sollten  zeigen,  zu  wie  mannigfaltigen  üebun- 
gen   die  letzteren   benutzt  werden  können.     Sie  sind   nach  der 
itnmer   mehr  Eingang  findenden  Ansicht  ausgearbeitet,  dass  die 
Uebersetzungen  aus  der  Muttersprache  in  eine  fremde  sich  mög- 
lichst an  den  in  der  letzteren  behandelten  Stoff  anlehnen  müssen. 
Denn  die  fremde  Sprache   wird    an   und   aus  ihr   selbst   erlernt. 
Das  Uebertragen  in  dieselbe  hat  den  Zweck,  den  Blick  für  die 
Auffassung  der  Sprachgesetze  beim  Exponircn  zu   schärfen  und 
das  Erlernte  zum  unverlierbaren  geistigen  Besitz  zu  machen.     Die 
Compositionsübungen  können ,  da  lüer  Componere  nicht  den  Sinn 
des  selbstständigen  Schaffens,  sondern  nur  des  Zusamraenfügens 
nach  einem  Vorbilde  oder    der  Nachahmung  haben  kann,  in 
keiner  Weise  ihren  eigenen  Weg  gehen.     Nicht  nur  soll  bei  ihnen 
die  Anwendung  keiner  Regel  verlangt   werden,   die  nicht  schon 
durch  Exposition  völlig  klar  gemacht  und  eingeprägt  ist*),   son- 
dern es  sollen  dabei  auch  keine  einzelnen  Ausdrücke  und  Redens- 
arten vorkommen,  die  nicht  bereits  aus  der  früheren  Leetüre  be- 
kannt sind.     Lässt  sich  dies    nicht  gänzlich  vermeiden,  so  gebe 
man  dem  Schüler  das  Unbekannte.    Das  deutsch- lateinische 
Lexicon  wird  hiermit  überflüssig.     Ilr.  llögg  sagt  in  den  ,, Andeu- 
tungen*"' Seite  44:  ,,Es  i.st  ein  eben  so  zeitraubendes,  als  auch  in 
anderer   Hinsicht   unpraktisches    und   tadelnswerthes  Verfahren, 
Deutsches  in  das  Latein,  übersetzen  zu  lassen,  wobei  der  Schüler 
ein  deutsch-latein.  Laxicon  gebrauchen  soll  oder  darf;  denn  erst- 
lich wird  er  einen  recht  ungeschickten  Gebrauch  von  diesem  Buche 
machen,  che  er  die  oben  erwähnte  Anweisung  erhalten  hat;  zwei- 
tens verliert  er  nutzlos  viele  Zeit,  endlich  —  und  das  ist  bei  wei- 
tem der  grösste  Nachtlieil  —  hindert  es  ihn  nachzudenken  und 
dasjenige  aus  dem  Gedächtnisse  zu  schöpfen,  was  er  aus  seinem 

*)  Man  sollte  meinen,  das  verstehe  sich  von  selbst,  allein  man  wolle 
nur  gewisse  Compositiousbücher  nachsehen ! 


Högg :  Latein.  Lehr-  und  Lesestücke  u.  s.  \v.  281 

Lesebuche  wissen   kann.      Niclit  viel  weniger  unpraktiscli  ist  es 
aber  auch,  dem  Schüler  zu  jenen  Aufgaben  viele  Wörter  und  Re- 
densarten^ die  er  bereits   wissen  könnte  und  sollte,  anzugeben." 
Diese  Grundsätze,  denen  Ref.  vollkommen  beitritt,  sollten  auch 
in  höheren  Classen   mehr  zur  Anwendung  gebracht  werden,  als 
gar  häufig  geschieht.     Man  fiihrt  gerne  an,  es  sei  für  die  Bildung 
der  Urtheilskraft  förderlich,  wenn  der  Schüler  in  dem  Wörter- 
buche zwischen   mehreren    Wörtern    oder   Redensarten    wählen 
müsse.     Diese  Einwendung  wird  durch  die  Erfahrung  widerlegt. 
Denn  entweder  hat  er  sie  bereits  gelesen  —  dann  soll  er  sie,  wie 
schon  gesagt,  aus  dem  Schatze  seines  Gedächtnisses  hervorlangen, 
oder  sie  sind  ihm  fremd  —  dann  sind  wieder  zwei  Fälle  möglich. 
Hat  Einer  nur  ein  dürftiges  Wörterbuch,  so  ist  es  reiner  Zufall, 
wenn  er  das  Rechte  getroifen  hat,  er  hat  es  errathen;  besitzt 
Einer  ein  umfangsreicheres  mit  vielen  Unterscheidungen,  so  wird 
er  öfter  das  Rechte  wählen  und  vor  dem  Ersteren  einen  Vorsprung 
haben.     Wer  wird  gewöhnlich  dieser  Glückliche  sein*?     Der  Rei- 
chere, der  sich  ein  theureres  Buch  kaufen   kann.     Aber   mehr 
weiss  und  kann  er  darum  nicht,  als  jener,  sondern  nur  sein  Buch. 
—  Wird   es   einmal  so  weit  kommen ,  dass  in  der  Schule  kein 
deutsch-latein.  Wörterbuch  mehr  zu  sehen  ist  —  was  freilich  nur 
dann  wird  durchgeführt  werden,  wenn  auch  bei  Prüfungen  für  den 
Eintritt  in  höhere  Lehr-  und  Erziehungsanstalten  und  für  Zulas- 
sung zum  üniversitätsstudium  keines  mehr  gestattet  wird  *)  — , 
dann  werden  die  Schüler  ihre  Classiker  mit  anderer  Aufmerksam- 
keit lesen.     Und  wenn  die  Exposition  von  Anfang  an  auf  die  oben 
verlangte  Art  behandelt  wird  und  sich  die  Coraposition  in  entspre- 
chender Weise  anreiht,  so  werden  auch  die  so  häufig  vorkommen- 
den, bald   ärgerlichen,  bald  komischen  Verwechselungen  immer 
mehr  verschwinden.     Wie  kommt  es,  dass  ein  Gymnasiast,  der 
Bchon  sechs  Jahre  Latein  lernt,  pecuiiiam  erigere  schreibt,  wenn 
er  „Geld  erheben"'  übersetzen  soll*?     Er  ist  nicht  genug  gewöhnt 
worden,  die  fremden  Ausdrücke  im  Zusammenhange  anzuschauen 
und  zu  begreifen ,  und  daher  übersetzt  er  Wörter  statt  Worte. 
Allerdings  wird  Mancher  in  seiner  Arbeit  Lücken  haben,  wenn  er 
sie  nicht  mehr  durch  Nachschlagen  ausfüllen  darf;  aber  was  scha- 
det dies'?     Es  wird  um  so  leichter  zu  unterscheiden  sein,  wie  viel 
Jeder  behalten  hat.     Und  sollte  es  nicht  auch  für  einen  Vorzug 
gelten,  wenn  Einer  einen  reicheren  Vorrath  von  Wörtern  und  Re- 
densarten im  Gedächtniss  aufbewahrt,  als  ein  Anderer*?     Sie  sind 
ein  sehr  wichtiges  Erforderniss  zur  Kenntniss  einer  Sprache.    Das 
Material  darf  nicht  fehlen. 

Sind  diese  Ansichten  richtig,  so  kann  ein  Uebungsbuch  zum 
Componireu  für  untere  und  wohl  auch  für  mittlere  Classen  nur 


*)  Dann  muss  aber  auch  das  zu  übersetzende  Thema  mit  der  gröss- 
ten  Sorgfalt  gewählt  werden. 


282  Latein.  Lesebücher. 

zu  einem  bestimmten  Lesestoffe  ausgearbeitet  werden ,  wie  es  bei 
den  in  llede  stellenden  Büchern  der  Fall  ist.  Fiir  mittlere  Classen, 
wo  einmal  das  Lesen  einer  Chrestomathie  oder  leichter  Schrift- 
steller begonnen  hat,  wird  sich  ein  ganz  zweckmässiges  üebungs- 
buch  mit  längeren  Sl'ückcn  zusammenhängenden  Inhalts  kaum  zu 
Stande  bringen  lassen.  Die  W  ahl,  oder  wenigstens  die  Aneinander- 
reihung des  Lesestoffes  in  der  Zeit,  hängt  vom  einzelnen  Lehrer 
ab.  Dieser  wird  daher,  wenn  er  die  Üebungen  unter  Ilereinzie- 
hung  und  Verarbeitung  des  Gelesenen  genau  dem  jeweiligen  Stande 
der  Kenntnisse  seiner  Schüler  anpassen  will ,  am  besten  die  The- 
raate  jedesmal  selbst  entwerfen.  Dazu  gehört  freilich  auch  Zeit, 
welche  aber  dem  Lehrer  zum  Besten  des  Unterrichts  zu  gönnen 
wäre. 

Die  aufgestellten  Forderungen  enthalten  niclit  Einräumungen 
an  den  sog.  Zeitgeist.  Sie  müssen  an  eine  naturgemässe  Einfüh- 
rung in  fremde  Sprachen  zu  jeder  Zeit  gemacht  werden  ,  weil  sie 
aus  dem  Wesen  der  Sache  selbst  hervorgehen.  Eben  aus  diesem 
Grunde  wird  die  Erfüllung  derselben  nur  dazu  mitwirken,  den 
Bestand  und  die  Fortdauer  des  Unterrichts  in  fremden  und  insbe- 
sondere in  den  alten  Sprachen  zu  sichern;  sie  wird  einen  Umstand 
entfernen ,  der  den  Gegnern  einen  willkommenen  Angriffspunkt 
darbietet.  Die  Composition  soll  nicht  aufhören,  aber 
sie  soll  auf  die  erspriesslichste  Weise  ausgeübt  wer- 
d  en.  Wie  das  auf  der  Anfangsstufe  erzielt  werden  könne,  dafür 
hat  Hr.  Högg  in  seinen  „Aufgaben^''  ein  Beispiel  zu  geben  ver- 
sucht.—  Im  Einzelnen  fügt  Ref.  darüber  noch  an,  dass  er  bei 
II.  118  astrologus  statt  astronomus^  120  pergrandis  statt  proe- 
grandis  und  quod  est  nomen  statt  quid  est  nomen  —  lieber  dar- 
geboten sehen  nürde. 

Der  Inhalt  der  .,  A  n  d  eu  t  un  g  en""  (INr.  3)  bedarf  keiner 
weiteren  Auseinandersetzung,  da  das  Nöthige  daraus,  zum  Theil 
wörtlich,  in  die  Anzeige  von  Nr.  1  und  2  eingestreut  ist. 

Schliesslich  erlaubt  sich  Ref ,  weil  die  angezeigten  Schriften 
in  seinen  Augen  ein  beachtenswerther  Beitrag  zur  Verbesserung 
der  Methodik  im  Sprachunterrichte  sind,  dieselben  der  sorgfälti- 
gen Prüfung  der  Schulmänner  zu  empfehlen.  Wer  die  Nothwen- 
digkeit  von  Verbesserungen  einsieht  und  ernstlich  wünscht  zu 
deren  Einführung  etwas  beizutragen,  wird  gewiss  viel  Anregendes 
darin  finden. 

Ellwangen ,  im  Januar  1850. 

Dr.   Alb,    Vogelmann. 


Gödeke:  Deutschlands  Dichter  von  1813 — 1843.  283 

Anthologien  aus  Deutschlands  Dichtern. 
I.  Deutschlands  Dichter  von  1813  bis  1843.  Eine  Auswahl  von 
872  charakteristischen  Gedichten  aus  131  Dichtern,  mit  biographisch- 
litterarischen  Bemerkungen  und  einer  einleitenden  Abhandlung  über 
die  technische  Bildung  poetischer  Formen.  Von  Karl  Gödeke. 
Hannover,  im  Verlage  der  Hahn'schen  Hofbuchhandlung.  Breit  8. 
LXVIII  und  406  S. 

Es  sind  im  letzten  Jahrzehnt  eine  solche  Men^e  Bhimenlesen 
aus  deutschen  Dichtern,  theils  für  den  allgemeinen  Gebrauch,  theils 
für  Schulen  jeder  Art  bestimmt,  von  den  verschiedensten  Sammlern 
nach  den  verschiedensten  Grundansichten  herausgegeben  worden, 
dass  eine  Auswahl  aus  diesen  Auswahlen  wiederum  selir  schwierig 
wird  und  eine  kurze  Kritik  derselben  gerechtfertigt  scheint.  Bei 
dem  mäctitigeii  Einflüsse,  welchen  die  deutsche  Litteratur  in  neue- 
ster Zeit  auf  die  Bildung  der  Jugend  sowohl  als  des  Volkes  über- 
haupt gewonnen  hat,  ist  es  keineswegs  gleichgültig,  durch  welche 
Hülfsmittel  und  welche  Pforten  wir  dieses  Gebiet  des  Geistes  be- 
treten. Alle  Dichter  sind  nicht  gleich  gut  und  bildend,  während 
sie  doch  alle,  wenn  auch  verschieden,  auf  verschiedene  Indivi- 
dualitäten wirken.  Abgesehen  von  den  ersten  Einflüssen,  die 
nicht  selten  für  das  junge  Gemüth  wie  der  Frühling  für  die  Ernte 
entscheidend  sind ,  muss  die  gesammte  Bahn,  welche  zur  Kennt- 
niss  der  Dichtkunst  führt,  so  weit  es  immer  möglich  ist,  über- 
schaut und  auf  die  zweckmässigste  Weise,  selbst  nicht  ohne  Vor- 
sicht beschritten  werden.  Der  eine  Weg  fördert  auch  hierin  mehr 
als  der  andere.  Wie  wichtig  die  Sache  sei,  erhellt  alsbald,  wenn 
wir  bedenken,  dass  die  Dichtkunst  auf  alle  Menschen,  welche 
nicht,  wie  Goethe  sagt,  von  Haus  aus  barbarisch  sind,  bestimmend 
einwirkt  in  Hinsicht  der  Sittlichkeit,  der  Schärfung  der  Denkkraft, 
der  Ausbildung  des  Charakters  u.  im  Allgemeinen  des  Geschmackes, 
der,  wenn  wir  ihn  im  weitesten  Sinne  nehmen,  die  Gestaltung  des 
ganzen  Lebens ,  Meinungen  und  Handlungen  bedingt.  Denn  die 
Zeiten ,  wo  man  die  Dichtkunst  für  ein  leichtes  Spielwerk  ansah, 
das  allenfalls  einzelne  Minuten  des  Alltagslebens  verschöne  und 
das  man  deswegen  ohne  besondere  Einbusse  auch  auf  die  Seite 
werfen  könne,  sind  für  Deutschland  hoffentlich  auf  immer  vorüber. 

Wenigstens  glaubt  Ref.  nicht,  dass  die  Leser  dieser  Blätter 
geneigt  sind,  die  Poesie  als  blosses  Mittel  zur  geselligen  Unter- 
haltung zu  benutzen  und  also  dieselbe  der  Instrumentalmusik  an 
die  Seite  zu  stellen,  deren  Hauptaufgabe  gemeiniglich  dahin  geht, 
dem  Hörer  eine  angenehme  Zerstreuung  zu  bereiten  oder  allge- 
meine Seelenstimmungen  hervorzurufen.  Das  hiesse  nämlich  die 
Dichtkunst  herabziehen  und  mindestens  um  die  Hälfte  erniedrigen. 
Denn  was  die  Musik  unvollkommen  leistet,  was  sie  dunkel  und  in 
unbestimmten  Umrissen  zeichnet,  das  führt  der  Geist  des  Ge- 
dichtes vollendet ,  klar  und  entschieden  aus ;  jene  bereitet  gleich- 


2S-i  Deutsche  Litteratiir. 

sajii  ilic  Seele  blos  vor,  die  Poesie  öffnet  das  AUerlieiligste;  jene 
lässt  iiielir  ahnen,  diese  mehr  begreifen.  Dazu  kommt,  dass  die 
Diihlkunst,  sobald  sie  in  gebundener  Rede  auftritt,  mit  der  Musik 
ausgerüstet  ist,  die  Musik  zur  Grundlage  genommen  hat  und  in 
sich  schliesst,  woraus  die  untergeordnete  Stellung  der  letztern 
hervorleuchtet.  Denn  ein  Theil,  wenn  aucli  ein  wesentlicher, 
wird  niemals  dem  Ganzen  gleich  gestellt  werden  diirfen. 

Duss  aber  diese  Verbindung  wirklich  stattfinde,  geht  daraus 
liervor,  dass  ein  walnes  Gedicht  niemals  für  das  Auge,  für  das 
Lesen  geschrieben  ist,  sondern  stets  für  das  Ohr,  für  den  leben- 
digen \  ortrag.  Es  soll  nicht  blos  schöne  Gedanken  enthalten, 
welche  der  Geist  ruhig  aufnimmt,  gesättigt  durch  die  dargebotene 
Speise,  sondern  die  Gedanken  sollen  durcli  das  Mittel  der  Sprache, 
welche  sie  ausspricht,  dem  aufmerksamen  Geiste  lautkräflig  vor- 
geführt werden  auf  diejenige  Weise,  wodurch  der  Mensch  dem 
Menschen  seine  Gedanken  zunächst  zu  erkennen  giebt,  am  leichte- 
sten und  natürlichsten  vorführt.  Denn  sonst  genügte  es,  die  dich- 
terischen Gedanken  zu  malen,  das  Geschäft  des  Malers  würde  die 
Poesie  ersetzen  können.  Offenbar  müssen  also  die  Dichter  darauf 
bedacht  sein,  mit  der  Musik  der  Sprache  auf  das  Gründlichste 
sich  bekannt  zu  machen. 

Aus  dieser  Rücksicht,  scheint  es,  hat  Herr  Gödeke  der  oben 
angezeigten  Sammlung,  die  eine  höchst  interessante  Epoche  deut- 
scher Dichtung  umfasst  und  die  wir  weiter  unten  näher  beleuch- 
ten wollen,  eine  sehr  gediegene  und  äusserst  lobcnswerthe  Ein- 
leitung über  die  technische  Bildimg  poetischer  Formen,  also  mit 
anderen  Worten  über  die  Hervorbringung  und  Ausführung  sprach- 
licher Melodien  (was  man  kurzweg  „  Metrik''  genannt  hat),  ob- 
schon  mit  üebergehung  der  Prosodie,  vorausgeschickt.  Ref.  rühmt 
vorzüglich  die  Vollständigkeit  dieser  Gödeke'schen  Darstellung, 
welche  auf  Beispiele  aus  alten  und  neuen  Sprachen  sich  stützt, 
sodann  die  g-eschickte  Anordnung  der  einzelnen  Formen,  ihreEin- 
theilung  und  Aufeinanderfolge,  ferner  die  Gründlichkeit,  mit 
welcher  anscheinende  Kleinigkeiten  berührt  und  geprüft  werden, 
ganz  vorzüglich  endlich  die  historische  Erörterung,  womit  Herr 
Gödeke  die  geschilderten  Maasse  begleitet.  Er  weist  nicht 
nur  den  gesammten  Schatz  der  Formen,  soweit  sie  die  Grundlagen 
einer  besonderen  Gattung  bilden,  in  besonderen  Abschnitten  nach, 
indem  er  alle  aufführt,  welche  wirklich  in  Deutschland  gebraucht 
worden  sind,  sondern  erzeigt  auch,  welche  mehr,  welche  weniger, 
welche  mit  Glück,  welche  erfolglos  und  bis  zu  welchen  Grenzen 
manche  angebaut  wurden,  von  welchen  ein  fernerer  Anbau  zu 
lioilen  steht,  welche  veraltet  und  mit  Recht  oder  Unrecht  wieder 
aufgefrischt  worden  sind  und  seit  welcher  Zeit  endlich  die  ersten 
Versuche  mit  den  einzelnen  dieser  Versarten  stattgefunden  haben. 
Gödeke  hat,  so  zu  sagen,  durch  diese  Abhandlung  ein  helles  Licht 
in  den  fast  w  irren  und  unübersehbaren  Wald  der  Formen  gebracht, 


Gödeke:  Deutschlands  Dichter  von  I8l3  — 1843.  285 

die  bei  uns  heimisch  oder  möglicli  sind.  Er  bietet  für  Denjenigen, 
der  sicli  schon  einige  Kenntniss  von  den  leicliteren  Maassen  ver- 
schafft hat,  viel  Lehrreiches  und  Anregendes;  indem  er  gegen  die 
Unkunst  schonungslos,  aber  ruhig  sicli  erklärt,  räumt  er  zugleicli 
manches  Vorurtheil  weg,  das  gegen  künstlerisclie  Vollendung  seit 
längerer  Zeit  aufgeschossen  war,  wie  gross  aucli  die  Autorität  sein 
mag,  die  den  falsclien  Samen  ausgestreut  hatte.  Dagegen  für 
Anfänger  oder  vielmehr  für  solche,  die  noch  keine  umfangreichen 
Sprachkenntnisse  sich  erworben  haben  und  ihre  Aufmerksamkeit 
auf  die  ersten  Elemente  der  Metrik  richten  müssen,  erscheint 
seine  Abhandlung  zu  schwierig  und  unverständlich,  nicht  sowohl 
wegen  ihres  gelehrten  Vortrages,  als  wegen  ihrer  gehaltreichen 
Kürze,  welche  zu  viele  Vorkenntniss  der  Sache,  selbst  einzelner 
künstlerischer  Ausdrücke  voraussetzt.  Wenn  dies  auch  der  Lei- 
stung keinen  Abbruch  thut,  scheint  diese  wissenschaftliche  Dar- 
legung doch  niclit  ganz  an  der  rechten  Stelle  zu  stehen,  da  anzu- 
nehmen ist,  dass  die  Mehrzahl  der  Leser,  in  deren  Hände  diese 
Auswahl  kommt,  von  seinen  Winken  schwerlich  den  gehörigen 
Gebrauch  zu  machen  wissen  werde.  Man  müsste  daher  wün- 
schen, dass  die  Abhandlung  als  ein  besonderes  Werk  herausge- 
kommen wäre,  wofern  Hr.  Gödeke  nicht  etwa  die  wohlmeinende 
Absicht  hatte,  die  gute  Gelegenheit  zu  benutzen,  um  den  Poeten 
derNeuzeit  eine  nützliche  Anweisung  zu  grösserer  Formvollendung 
in  die  Hände  zu  spielen  und  ihnen  gleichsam  einen  Spiegel  vorzu- 
halten, woraus  sie  abnehmen  könnten,  wie  geringe  Sorgfalt  seither 
gerade  im  letzten  Menschenalter  auf  die  Ausbildung  der  Mutter- 
sprache verwendet  worden.  Denn  rechnen  wir  zwei  Dichter  die- 
ser Sammlung,  ilückert  und  Platen,  ab,  so  ergiebt  sich  das  uner- 
freuliche Resultat,  dass  die  übrigen  fast  ohne  Ausnahme  in  den 
allergewöhnlichsten  hergebrachten  Formen  sich  bewegt  haben 
und  dass  die  Gödeke'sche  Abhandlung  am  wenigsten  dazu  be- 
stimmt sein  kann,  die  Künstlichkeit  der  Maasse  zu  schildern  und 
darzustellen,  welche  etwa  in  den  letzten  dreissig  Jahren  benutzt 
und  gepflegt  wurden.  Und  gleichwohl  sind  aus  diesem  Zeiträume 
die  Proben  von  mehr  als  hundert  Poeten  aufgeführt! 

Dürfen  wir  bei  dieser  Gelegenheit  einen  Tadel  über  die  Ein- 
leitung Hrn.  Gödeke's  aussprechen,  so  würde  derselbe  in  der  Be- 
merkung bestehen,  dass  antike  und  deutsche  Form,  welche  durch 
dieEigenthümlichkeit  des  Sprachmaterials  bedingt  ist,  nicht  scharf 
genug  geschieden  worden.  Gödeke  sagt  nichts  davon,  dass  die 
antiken  Maasse,  wenn  sie  der  deutschen  Sprache  angemessen  sein 
sollen,  vielfache  Aenderungen  erleiden  müssen  und  unter  der 
Hand  bereits,  wo  sie  gut  behandelt  worden  sind,  erlitten  haben. 
Einige  Andeutungen  über  ein  Paar  Formen,  worüber  unsere  Mei- 
ster sich  entschieden  ausgesprochen,  sind  ungenügend,  da  der 
Grund  nicht  angeführt  ist,  welcher  diese  Veränderungen  hervor- 
gerufen hat  und  nicht  blos  berechtigt,  sondern  noth wendig  er- 


286  Deutsche  Litteratur. 

sclieincn  lässt.  Wir  lesen  blos  von  etlichen  äiisserliclien  Ab- 
welcliurig^en  und  Verschiedenheiten,  von  welchen  man  glauben 
kötiiite,  dass  sie  blos  zufälli";  eingetreten  seien.  Allein  das 
ist  keineswegs  der  Fall,  vielmehr  linden  wir,  wenn  wir  tiefer 
nachfragen,  die  Gründe  heraus,  warum  die  antiken  Formen,  we- 
nigstens theilweis,  in  unserer  Sprache  nicht  blos  anders  klingen, 
sondern  wesentlich  verschieden  gebaut  werden  müssen:  letzte- 
res sowohl  desswegen,  damit  sie  die  Schönheit  der  antiken  Vor- 
bilder, wenn  auch  in  anderer  Weise,  möglichst  erreichen,  als  auch 
desswegen,  damit  sie,  über  die  Klippe  falscher  Nachbildung  hin- 
weggehoben, wirklich  deutsch  ausfallen,  das  heisst  der  deutschen 
Sprache  natürlich  und  angemessen.  Schlechterdings  muss  der 
oftgehörte  Vorwurf  entfernt  werden ,  dass  der  Deutsche  aus  blin- 
der Nachahmungssucht,  aus  philologischer  Schulgelehrsamkeit  und 
aus  Mangel  an  eigener  Schöpferkraft,  wo  nicht  gar  unter  Verken- 
nung der  vaterländischen  Vorzüge,  die  Kunst  der  Griechen  und 
Römer  auf  unvolksthiimliche  Weise  einzubürgern  strebe,  wie  in 
anderen  Stücken,  so  auch  hier  der  germanischen  Selbstständigkeit 
entsagend.  Es  muss  überzeugungsvoll,  praktisch  sowohl  als  theo- 
retisch nachgewiesen  werden,  dass  die  Muttersprache  keine  frem- 
den Fesseln  auf  sich  lade,  wenn  sie  das  Kunstgewand  der  Alten 
anziehe,  dass  sie  vielmehr  zum  eigentlichen  und  wahren  Glanz, 
dessen  sie  fähig  sei,  durch  jene  unübertrefflichen  Forramuster  ge- 
lange,  ohne  irgend  einem  gerechten  Vorwurfe  sich  auszusetzen. 
Damit  dies  gelinge,  ist  es  nöthig,  dass  man  darthut,  eine  blinde 
Nachahmung  der  Allen  sei  nicht  beabsichtigt,  im  Gegentheil 
strebe  man  dahin,  die  vorgefundenen  Maasse  der  antiken  Poeten 
selbstständig  auszubilden.  Und  stellt  man  diesen  Grundsatz  auf, 
so  folgt,  dass  es  durchaus  fehlerhaft  sein  würde,  wenn  Jemand  ein 
antikes  Maass,  trotz  des  natürlichen  Widerstrebens  der  Sprache, 
einzig  und  allein  desswegen  gerade  so,  wie  es  die  Griechen  und 
Römer  aufweisen,  mit  Hartnäckigkeit  nachzirkeln  wollte,  um  sagen 
zu  können,  dass  sein  Vers  dem  antiken,  natürlich  blos  äusserlich, 
vollkommen  entspreche. 

Ref.  maasst  sich  das  Verdienst  an  (wenn  es  anders  eine  Än- 
maassung  ist ,  eine  neue  Erfahrung  zur  Anerkennung  zu  bringen), 
zuerst  in  seinem  ,, Lehrbuche  der  deutschen  Prosodie  und  Metrik*' 
auf  diese  Unterscheidung  zwischen  antiker  und  moderner  Vers- 
baukunst hingewiesen  und  die  selbstständige  Ausbildung  der  deut- 
gehen Sprache  gefördert  zu  haben.  Er  glaubt  mit  diesem  Grund- 
satze allen  Vorwürfen  ,  wie  sie  noch  in  den  letzten  Jafirzehnten 
sich  geltend  machten,  wenigstens  in  den  Augen  der  Sachverstän- 
digen und  der  nachwachsenden  Jugend,  welche  die  Dichtkunst  mit 
Ernst  zu  pflegen  gesonnen  ist,  begegnet  zu  sein.  Hr.  Gödeke 
wird  gewiss  der  Erste  sein,  der  einer  solchen  Einführung  antiker 
Kunstform  seinen  Beifall  nicht  versagt.  Indem  daher  Ref.  sich 
begnügt,  nochmals  auf  diesen,  für  die  deutsche  Sprache  so  wich- 


Gödeke:  Deutschlands  Dichter  von  1813—1843.  287 

tigen  Umstand  aufmerksam  gemacht  zu  haben,  übergelit  er  einzelne 
Ausstellungen  an  der  trefflichen  Abliandlung  dieses  Buches,  die 
ohnehin  nur  unbedeutende  Dinge  aufstechen  würden,  und  wendet 
sich  zur  vorliegenden  Gedichtauswahl  selbst,  welche  uns  mit  der 
gegenwärtigen  Blüthe  der  deutschen  Dichtkunst  näher  bekannt  zu 
machen  die  Aufgabe  sich  gesetzt  hat. 

Ks  braucht  kaum  gesagt  zu  werden,  dass  dieses  Buch  seinem 
Zwecke  Genüge  leiste  und  Jedem  zu  empfehlen  sei,  der  eine 
Liebersicht  der  poetischen  Kräfte,  welche  seit  Deutschlands  Be- 
freiung aus  französischer  Oberherrschaft  thätig  gewesen  sind,  und 
des  gesammten  Zustandes,  worin  sich  dermalen  die  deutsche  Poe- 
sie befindet,  mit  möglichst  geringem  Zeitaufwande  sich  verschaf- 
fen wolle.  Hr.  Gödeke  ist  planmässig  zu  Werke  gegangen ,  und 
wir  werden  seinen  Plan  nicht  anders  als  billigen  können.  Lassen 
wir  ihn  selbst  darüber  sprechen.  Die  Anordnung  des  gesammel- 
ten Soff  es  ,  sagt  er  in  einer  Zueignung  an  Gustav  Schwab,  folgt 
den  (wie  mir  scheinen  will)  einfachsten  Grundsätzen.  „Die  Dich- 
ter desselben  Landes  stehen  gruppenweis  zusammen;  diejenigen, 
welche  vorzugsweis  politischen  Charakters  sind,  wurden  in  einem 
besonderen  Abschnitte  nach  der  Reihenfolge  ihres  Auftretens  ver- 
einigt. Dass  ich  häufig  die  Dichtungen  politischen  Inhalts  von  den 
übrigen  desselben  Autors  trennen  musste,  dünkt  mich  kein  so 
grosser  üebelstand,  als  wenn  ich  durch  andere  Anordnung  den 
leichten  und  klaren  Ueberblick  gestört  hätte.  Eine  durchgreifende 
Zusammenstellung  nach  den  Winken  der  Chronologie  brächte  Ver- 
wirrung; die  schwankenden  und  unzulänglichen  Begriffe  von  poe- 
tischen Schulen  konnten  nicht  binden,  zumal  alle  Dichter  unseres 
Zeitraumes  nur  einer  und  derselben  Schule  angeliören;  am  wenig- 
sten mochte  ich  mich  durch  Rücksichten  auf  metrische  und  stro- 
phische Fügungen  leiten  lassen  (Ref.  meint,  dass  dies  schon  wegen 
dermaliger  Armuth  an  Material  unthunlich  gewesen  wäre);  die 
lyrischen  Gattungen  endlich,  die  sich  in  der  Theorie  prächtig 
ausnehmen,  flechten  sich  in  der  lebendigen  Vegetation  so  durch- 
einander, dass  man  einzelne  Zweige  nicht  ohne  Einbusse  heraus- 
reissen  kann.  Die  Vortheile  meiner  Anordnung,  die  besonders 
bei  den  Elsässern  deutlich  und  selbstredend  hervortreten,  möchte 
ich  mit  keiner  anderen  vertauschen." 

Für  diesen  Zeitraum  wenigstens  hält  Ref.  Hrn.  Gödeke's  An- 
sicht für  die  allein  richtige  und  zweckmässige;  sie  wird  überdies 
vom  Herausgeber  in  der  Einleitung  noch  näher  begründet.  Im 
Allgemeinen  sagt  er  dort ,  dass  er ,  so  lange  er  sich  mit  der  genaue- 
ren Kenntniss  von  Deutschlands  Dichtern  beschäftigt  habe,  immer 
sein  Augenmerk  darauf  gerichtet,  die  charakteristischen 
Merkmale  der  Einzelnen  aufzusuchen.  Die  Abspannung  und 
der  Ueberdruss,  welche  gar  leicht  entstünden,  wenn  man  aus  poe- 
tischen Werken  immer  nur  die  Glanzstellen  heraussuche  und  im 
Genuss  derselben  schwelge,  würde  durch  eine  solche  Aufführung^ 


2S8  Deutsche  LItteratur. 

am  siclicrsten  vermieden;  die  Beschäftigung  mit  den  Erzeugnissen 
der  Poesie  sei  dann  nicht  ein  blosses  passives  Aufnehmen,  bei  wel- 
chem der  Verstand  nichts  und  oft  nur  das  Ohr  etwas  zu  thun  liabe, 
sondern  ein  wirkliches  Studium,  das  alle  Geisteskräfte  gieich- 
raiissig.  das  heisst  stärkend  und  erkräftigend  anspanne.  Und  solch 
ein  Studium  fromme  am  meisten.  Wenn  es  aber  blos  darauf  an- 
komme, schöne  gelungene  meisterhafte  Gediclite  zu  sammeln,  so 
sei  die  Aufgabe  bequem;  denn  es  bediirfe  da  weder  einer  Be- 
schränkung auf  ein  Land  noch  auf  eine  Zeit,  sondern  nur  eines 
llerausgreifens  dessen,  was  sich  von  selbst  darbiete,  und  das  Re- 
sultat, welches  die  Betrachtung  einer  solchen  Schatzkammer  un- 
ordentlich zusammengestellter  Kleinode  ergebe,  sei  eben  kein  an- 
deres als  die  von  vornherein  zu  erwerbende  Gewissheit,  dass  der 
dichtende  Geist  von  Homer  bis  auf  die  heutige  Stunde  viel  Schö- 
nes, Gelungenes  und  Musterhaftes  hervorgebracht.  Ein  Aufmerken 
auf  die  Eigenart  und  die  Besonderheit  der  Dichter  und  ihrer 
Werke  lehre  aber  mehr  kennen,  als  blosse  Schönheiten,  und  gebe 
ein  Bild,  das  mehr  enthalte  als  blossen  Stoff  zum  Amüsement. 

Mit  Recht  bemerkt  der  Hr.  Verf.  weiter,  dass  esfi'ir  eine  ge- 
wöhnliche Anthologie,  dergleichen  wir  bereits  genug  besitzen, 
genügt  haben  würde,  blos  einige  nach  Willkür  gesammelte  Lieder 
und  Romanzen  drucken  zu  lassen;  ihm  jedoch  kam  es  vor  allem 
auf  die  Eigenthümlichkeit  der  hier  verzeichneten  Poeten  an,  um 
ein  richtiges  Bild  sowohl  der  Gesammtheit  der  Dichter  als  jedes 
einzelnen  zu  liefern.  Er  versichert,  und  die  Leserwerden  es  be- 
stätigt finden,  dass  er  durchgängig  aus  den  Quellen  selbst  ge- 
schöpft hat,  aus  den  ursprünglichen,  zum  Theil  handschriftlichen 
Texten,  nicht  selten  auch  unter  Vergleichung  mehrerer  Ausgaben, 
kurz,  man  erblickt  überall  philologische  Strenge,  Sorgfalt  und 
Gewissenhaftigkeit  neben  möglichster  Berücksichtigung  der  ge- 
scliichtlichcn  Seite.  Dabei  bietet  seine  Auswahl  nicht  zu  viele 
Proben,  eher  bisweilen  zu  wenige;  und  da  sich  überall  eine  ord- 
nende Hand,  Nachdenken,  ürtheil,  Absicht  und  Geschmack  offen- 
baren, unterscheidet  sich  diese  Sammlung  vorthcilhaft  von  so 
manchen  andern,  und  wir  können  dem  Verf.  zugestehen,  dass  das 
Buch,  wie  es  vorliegt,  von  Anfang  bis  zu  Ende  seine  Arbeit, 
seine  Schöpf  u ng  ist.  in  der  That,  keine  geringe  Empfehlung 
für  ein  derartiges  Werk! 

Herr  Gödeke  hat  also,  wie  oben  bemerkt,  die  Dichter  die- 
ses Zeitraums  nach  ihren  Geburtsorten  und  nach  Ländern  zusam- 
mengestellt, ohne  sich  jedoch  mit  Aengstlichkeit  an  die  eigent- 
lichen, oft  zufälligen  Geburts&tätten  zu  binden,  da  manche  auch 
ausserhalb  Deutschlands  Grenzen  gelegen  waren,  und  ohne  bei 
der  Bezeichnung  der  Länder  mit  pedantischer  Strenge  die  politi- 
schen Grenzen  der  Gegenwart  zu  beobachten.  Er  zog  mit  richti- 
gem Takt  die  ältere  auf  Volks-  und  Stammeigenheiten  gegründete 
Einthcilung  vor.     Auf  diese  Weise  linden  wir  folgende   Haupt- 


Gödeke:  Deutschlands  Dichter  von  1813—1843.  289 

gruppen  der  131  Dichter:  eine  westpliälische ,  rheinische  (elsäs- 
sisclie^  hessische,  badische,  bairische,  schweizerische,  so  weit  diese 
Ländchen  den  Rhein  umsäiimen,  zur  eigentlich  rheinischen  hinzn- 
gerechnet),  schwäbische,  bairische,  österreichisclie,  schlesisclie, 
sächsische,  preussische,  niedersächsische;  an  welche  neun  Haupt- 
gruppen eine  zehnte,  welche  ohne  Rücksicht  auf  Land  und  Ge- 
burt Zeitgedichte  oder  politische  Gesänge  umfasst,  ange- 
schlossen worden  ist.  Ueberall  trug  Hr.  Gödeke  Sorge,  an  die 
Spitze  der  einzelnen  Abschnitte  bezeichn  en  de  Gedichte  zu 
stellen;  selbst  bei  den  einzelnen  Dichtern  verwendete  er  ein  be- 
sonderes Augenmerk  darauf,  die  Beziehung  zwischen  Heiraath 
und  Gedicht  hervorzuheben;  auch  sei,  bemerkt  er,  allen  Dichtern 
desselben  Erdstrichesein  gewisses  Element  gemeinsam,  wie  den 
Westphalen  z.  B.  der  Hang  zur  poetischen  Malerei.  Natürlich 
sind  Dichter,  die  zu  unbedeutend  waren  oder  doch  noch  keine 
abgerundete  poetische  Persönlichkeit  zeigten,  übergangen  wor- 
den; seine  Unpartheilichkeit  sowohl  als  seine  Umsicht  und  Bele- 
senheit in  diesem  Punkte  verdient  hohes  Lob.  Am  ergiebigsten, 
sagt  er  in  der  Einleitung,  wo  er  sein  ürtheil  über  die  einzelnen 
Gruppen  zusammenfasst,  sei  der  Rhein  gewesen;  er  spiegele  in 
seinem  ausgedehnten  Laufe  alle  Gestaltungen,  welche  die  lyri- 
sche Poesie  im  besprochenen  Zeiträume  angenommen  habe,  von 
der  dunkeln  finstern  Miene  Schenk's  bis  zu  der  ewig  lachenden 
Heine's.  Auf  beiden  Ufern  wohne  ein  Volk  von  Dichtern,  denen 
nur  Eines  fehle,  der  vereinende  Mittelpunkt,  und  fast  keine  Stadt 
liege  am  Rheine  oder  in  seinem  nahen  Bereiche,  die  nicht  einen 
Dichter  eigenthümlicher  Bildung  aufzuweisen  habe. 

Mit  Verwunderung  lesen  wir  dagegen,  wenn  er  sagt,  dass 
nur  bei  Sachsen,  d.  h.  den  gesammten  sächsischen  Landen,  eine 
sichtbare  Armuth  hervortrete,  die  ihren  Grund  zum  Theil  darin 
habe,  dass  die  Litteratur  nirgends  mehr  aus  äusseren  Rücksichten 
betrieben  werde  als  gerade  hier,  wo  der  zusammengedrängte  Jour- 
nalismus und  Buchhandel  die  stillere,  bescheidene  und  genügsame 
poetische  Thätigkeit  zurückdrängten  oder  irre  leiteten.  Es  hät- 
ten freilich  auch  viele  Sachsen  Verse  und  Lieder  drucken  lassen, 
aber  wenige  würden  sich  oben  erhalten;  und  von  diesen  werde  er 
seiner  Zeit  gehörig  Rechenscliaft  zu  geben  wissen.  Ob  Hr.  Gö- 
deke recht  urtheilen  niagl  Er  fuhrt  aus  sächsischem  Landesbe- 
zirk, da  wir  Namen  wie  Karl  Barth,  der  berühmte  Kupferstecher 
aus  Eisleben,  und  Prinz  Albert  (Gemahl  der  Königin  Viktoria) 
und  Erbprinz  Ernst  von  Sachsen-Koburg-Gotha  nicht  füglich  rech- 
nenkönnen, nicht  mehr  als  sechs  Poeten  auf,  Julius  Mosen  aus 
dem  Voigtlande,  Adolf  Peters  angeblich  aus  Dresden,  Wilhelm 
Müller  aus  Dessau  ,  Adolf  Bube  aus  Gotha,  L.  Bechstein  aus  dem 
Meiningischen  und  P.  H.  Welcker  aus  Gotha;  von  welchen  Adolf 
Peters,  geboren  in  Hamburg,  nicht  unter  diese  Abtheilung  gehört, 
während  an  seine  Stelle  der  ganz  sächsische,   blos  durch  einen 

A'.  Jahrb.  f.   Phil.  u.  Tüd.    od.  Krit.  liibl.  Bd.  LVHI  I/ff.  3.  1^ 


290  Deutsche  Littcratiir. 

Irrthum  unter  Preiisscn  aufgcnoramene  Karl  Förster  aus  Nauni- 
bur«'  gesetzt  werden  musste.  Diese  weiten  Landstriche,  in  wel- 
chen doch  fast  jeder  zehnte  Mann  ein  Dichter  ist  oder  zu  sein 
«»laubt,  ohne  die  vielen  Frauen,  welche  schril'tstellern  und  Verse 
wenigstens  fürs  Haus  machen,  boten  kaum  ein  halbes  Dutzend 
solcher  Poeten,  welche  dem  Verf.  nennenswerth  erschienen!  Ilr. 
(iödeke  mag  vollkommen  Recht  haben,  doch  hätte  er  wohl  die 
Masse  der  sächsischen  Dichter,  besonders  in  Dresden,  am  schö- 
nen Strande  der  Elbe,  in  Rücksicht  auf  andere  deutsche  Gebiets- 
theile  nicht  unterschätzen  sollen.  Wie  gross  diese  Masse  sei, 
kann  man  aus  folgender  Anekdote  sehen  Ein  gelehrter  Fremder, 
der  einstmals  nach  dem  deutschen  Florenz  verschlagen  worden 
war,  speiste  an  der  königl.  Tafel  zu  Pillnitz;  das  Gespräch  war 
auf  Litteratur  gefallen  und  der  Fremdling  sah  sich  veranlasst,  sei- 
nen Nachbar,  einen  bekannten  Dichter,  um  den  Namen  desjeni- 
gen, der  ihm  zur  Linken  sass,  zu  befragen.  „Das  ist  der  Dichter 
Herr  von  X.,  den  Sie  wohl  kennen!""  Aber  wer  sitzt  mir  gegen- 
Viber*?  erkundigte  sich  der  Gast  weiter.  „Das  ist  der  Baron  von 
M.,  der  bekannte  Dichter.'^  Und  die  Nachbarin  desselben*?  „Das 
ist  die  gefeierte  Dichterin  Gräfin  von  S."  Erstaunt  über  diesen 
Reichthum  an  sächsischen  Musen,  stellte  der  Gelehrte  seine  Fra- 
gen ein  und  dachte  dariiber  nach,  wie  es  kommen  möge,  dass 
selbst  der  beste  Dichterin  Deutschland  grosse  Mühe  habe,  bekannt 
zu  werden  oder  einen  berühmten  Namen  zu  gewinnen. 

Doch  lassen  wir  das  dahingestellt.  Sind  Sachsens  Gefilde 
wirklich  an  Poeten  so  arm,  wie  es  den  Anschein  hat,  wenn  blos 
wahres  Talent  und  Eigenthümlichkeit  in  Frage  kommen,  so  kön- 
nen sie  sich  mit  Oesterreichs  Völkern  trösten.  Denn  diesen  lässt 
Hr.  Gödeke  kein  grösseres  Heil  widerfahren.  Oesterreichs 
zahllose  Poeten,  sagt  er,  in  genauerer  Repräsentation  einzuführen, 
habe  ihm  nicht  rathsam  geschienen.  Die  meisten  führten  nur  ein 
Leben  in  den  Wiener  Buchhändlergewölben;  von  den  wenigen,  die 
mit  knapper  Noth  über  die  Grenzen  des  Kaiserstaates  heraus- 
dringen, werde  man  hinreichende  Portraitskizzen  finden,  von  den 
bedeutenden  aber  keinen  vermissen.  Baiern  ferner  mit  einem 
Theil  von  Franken  erscheine  numerisch  sparsam  bedacht,  da  es 
nur  vier  Namen  aufführe ;  intensiv  sei  es  dagegen  durch  Rückert 
und  Platen  desto  stärker  vertreten.  Zunächst  haben  ihm  dann 
Schwaben,  von  welchem  man  eine  Zeitlang  geglaubt,  als  zeuge 
nur  dieser  Landstrich  noch  wirkliche  Poeten,  und  die  sogenannte 
niedersächsische  Flur  den  reichsten  Stoff  zur  Auswahl  ge- 
liefert: Schwaben  17,  letzteres  Gebiet  15  Dichter. 

Jedem  einzelnen  Dichter  schickt  Hr.  Gödeke  eine  kurze  Bio- 
graphie sammt  einer  bald  ausführlicheren,  bald  gedrängteren 
Beurtheilung  sämmtlicher  seitheriger  Leistungen  voraus.  Sieht 
man  sich  auch  veranlasst,  ihm  nicht  in  allen  Punkten  seiner  Ab- 
schätzung beizustimmen ,  so  wird  man  doch  zugestehen  müssen, 


} 


I 


Richter:  Lehrbuch  der  Planimetrie.  291 

dass  seiner  Darstellung  ein  redliches  Streben  nach  Wahrheit  zu 
Grunde  liege,  und  dass  er  hierin  den  modernen  Kritikern,  die 
nach  Koterien  urtheilen,  nicht  ähnele.  Wir  schiiesscn  diese  An- 
zeige mit  der  festen  üeberzeugung,  dass  ein  Werk  dieser  Art 
grossen  Nutzen  stiften  müsse  und  tiefer  einzudringen  geeignet  sei, 
als  eine  kahle  Litteraturgeschichte,  welche  des  lebendigen  Inter- 
esses einerseits  häufig  ermangelt,  andererseits  nicht  selten  aus 
hidividuellen  parteiischen,  wo  nicht  pedantischen  3Ieinungen  zu- 
sammengebaut ist.  Denn  aus  dem  Gödeke'schen  Buche  kann  sich 
im  Nothfall  jeder  Leser,  dem  die  Natur  das  ürtheil  nicht  versagt 
hat,  über  Persönlichkeit  sowohl  als  Leistung  und  Verdienst  des 
Einzelnen,  der  hier  besprochen  und  aufgeführt  ist,  ein  eigenes 
selbstständiges  Urtheil  bilden. 

Johannes  Minckieif^. 


Lehrbuch  der  Planimetrie  für  die  mittleren  Classen  höherer  Lehran- 
stalten. Von  August  Richter.  IVlit  2  Tafeln  Figuren.  Zweite  Aus- 
gabe. Elbing ,  Verlag  von  Neumann  -  Hartmann.  1848.  VIII  und 
84  S.  kl.-8. 

Der  Zweck,  welchen  der  Verf.  bei  Abfassung  dieser  Schrift 
verfolgte,  war   nicht,    ein  vollständig   ausgearbeitetes  Lehrbuch, 
sondern  einen  Leitfaden  zu  geben,  welcher  unter  Anleitung  des 
Lehrers  bei   mehr  oder  weniger  ausgeführten  Andeutungen  die 
Thätigkeit  des  Schülers  wecken   und   beleben,  sein  Nachdenken 
schärfen  und  ihn  so  allmälig  zum  Selbstfinden  heranbilden  sollte. 
Demnach  ist  der  auf  dem  Titel  stehende   Ausdruck:   Lehrbuch 
selbst  nach  des   Hrn.   Verf.   Ansicht  nicht  passend  gewählt;  wir 
möchten  aber  die  vorliegende  Schrift  nicht  einmal  für  einen  eigent- 
lichen Leitfaden  erklären;  sie  führt  in  dieser  Beziehung  hier   und 
da  zu  viel  ins  Einzelne  aus  und  berücksichtigt  andererseits  den 
Innern  systematischen  Zusammenhang  der  geometrischen  Wahr- 
heiten nicht  genug.     Ein  Leitfaden  soll  unserer  Ansicht  nach  nur 
eine  Anzahl  fester  Hauptpunkte  bieten,  an  welche  der  Unterricht 
sich  anlehnen  kann ;  aber  diese  Hauptpunkte  müssen  nicht  isolirt 
daliegen  und  dem  Anfänger  auch  nicht  wegen  der  mathematisclien 
Zeichensprache,  in  der  sie  gegeben  sind,  als  sterile  Höhen  er- 
scheinen, sondern  sie  müssen  durch  sicher  vorgezeichnete  Linien 
unter  sich  verbunden  sein,  und  die  überzeugende  Kraft  der  freien 
Rede  muss  dann  dahin  wirken,  dass  sie  vor  Allem  in  der  Seele 
des  Schülers  Leben  und  Existenz  gewinne,  so  dass  mit  ihnen  zu- 
gleicli    die  Haltpunkte  gewonnen  sind  für  das  unendliche  Detail 
der  geometrischen  Gebilde  und  Gesetze.     Wir  leugnen  nicht,  dass 
Hr.  li.  in  Stoff  und    Form  manches  für  der  Schüler  sehr 

19* 


292  Mathematik. 

Brau  eil  bare  bi  etet,  dass  aber  sein  Buch  die  streu  <;e  Disposi- 
tion und  Gedrängtheit,  namentlich  die  Ucbersichtlichkeit  eines 
Leitfadens  vermissen  lässt,  wird  aus  unseren  folgenden  Bemerkun- 
gen sich  mittelbar  leicht  folgern  lassen. 

Der  erste  Abschnitt  des  ,, Lehrbuches"  soll  der  Ueberschrift 
nach  Erklärungen  geben.  Sieht  man  genauer  zu,  so  findet  man 
die  in  den  sogenannten  Einleitungen  mathematischer  Lehrbi'icher, 
welche  statt  der  festen  Fundamente  eines  consequenten  Systems 
oft  nur  einzelne  Grundsteine  mit  andern  aus  dem  Gebäude  selbst 
herausgefallenen  vermengt  enthalten^  gewöhnlich  hingestellten 
Axiome,  eine  Anzalil  Lehrsätze,  viele  Aufgaben  und  nur  eine 
etwas  bedeutendere  jMenge  von  Erklärungen,  als  den  anderen  Ab- 
schnitten des  Werkes  eingefi'igt  ist.  Die  Geometrie  wird  hier  die 
Lehre  vom  Räume  genannt;  es  scheint  uns  genauer,  sie  die  Wis- 
senschaft von  den  llaumgrössen,  von  ihrer  Entstehung  und  ihren 
Gesetzen  etc.  zu  nennen.  Gleich  nachher  ist  von  Constructionen 
die  Rede,  ohne  dass  dieses  Wort  erklärt  worden  wäre.  Von  Par- 
allellinien wird  gesagt,  dass  sie  von  einer  dritten  Linie  gleiche 
A  b  weich  ung  hätten,  während  erst  später  bei  der  Betrachtung 
des  Winkels  die  Abweichung  erklärt  und  somit  gegen  den  syste- 
matischen Fortschritt  Verstössen  wird.  Der  Verf.  fügt  noch  zu, 
dass  die  Parallelen  einander  nie  treffen,  so  weit  man  sie  auch  ver- 
längert. Wir  wissen  wohl,  dass  in  der  ebenen  Geometrie,  soweit 
sie  dieses  Lehrbuch  betrachtet,  wenig  Anlass  gegeben  wird,  die 
Vorstellung  von  dem  unendlich  entfernten  Punkte  weiter  zu  ver- 
folgen; aber  sie  ist,  sobald  man  nur  versucht,  die  einfachsten 
Raumsebilde  aus  einander  zu  entwickeln  und  nicht  in  starrer  Ruhe 
aufzufassen,  der  Consequenz  wegen  kaum  entbehrlich,  in  der  Be- 
trachtung der  Kegelschnitte  (z,  B.  bei  der  Parabel  mit  ihrem  im- 
endlich  fernen  Brennpunkte),  sowie  der  stereometrischen  Gebilde 
ist  sie  aber  längst  vollkommen  gerechtfertigt.  —  Den  Winkel  er- 
klärt der  Verf.  als  die  gegenseitige  Abweichung  zweier  von  einem 
Punkte  auslaufenden  Linien.  Abgesehen  davon,  dass  der  sehr 
unbestimmte  Ausdruck  ,, Abweichung"  selbst  wieder  einer  Erklä- 
rung bedarf,  so  ist  durch  das  FJpitheton  ,, gegenseitig"  die  Unter- 
scheidung des  positiven  und  negativen  Winkels  ganz  verwischt. 
Der  Winkel  erscheint  uns  als  die  Grösse  der  Drehung,  welche  aus 
einer  Richtung  in  eine  andere  überführt;  dabei  ist  es  allerdings 
an  sich  gleich,  ob  man  von  dem  Schenkel  a  zu  dem  Schenkel  h 
oder  von  b  zu  a  übergeht;  hat  man  aber  einmal  einen  Uebcrgang 
gewählt,  so  ist  keine  Gegenseitigkeit  mehr  denkbar,  jedes  Zurück- 
drehen führt  zur  Negativ itat.  —  Die  Winkeleintheilung  (p,  7)  ist 
nicht  vollstärjdig  durchgefiilirt,  ferner  ist  fp.  8)  die  (ebene)  Figur 
als  eine  allseitig:  begrenzte  PJbene  erklärt.  Demgemäss  wären 
viele  der  auf  den  Tafeln  gegebenen  Figuren  gar  nicht  als  die  Ab- 
bilder ebener  P'iguren  anzusehen.  VV  as  der  Verf.  Figur  nennt, 
würden  wir  ungefähr  einfache  Figur  nennen,  obgleich  auch  bei 


Richter:  Lehrbuch  der  Planimetrie.  293 


Oieser  der  Begriff  der  vollkommenen  Begrenzung:  nicht  der  we- 
sentliche ist.  —  In  §.  28  fiel  es  auf,  dass  in  einem  reclitwinkligen 
Dreieck  die  Hypotenuse  gewöhnlich  als  Basis  betrachtet  werden 
solle.  In  der  praktischen  Geometrie,  wo  die  geschickte  Wahl  so- 
wohl der  Dreiecke  selbst  als  ihrer  Grundlinien  allerdings  oft  sehr 
wichtig  ist,  würde  ein  solcher  Usus  schwerlich  nachzuweisen  sein. 
Die  im  folgenden  §.  erklärten  äusseren  Winkel  sind  seltsamer 
Weise  nur  am  Dreieck  einer  besonderen  Betrachtung  gewürdigt, 
üeberhaupt  wird  in  der  Disposition  des  ganzen  Buches  eine  scharfe 
Consequenz  vermisst.  So  z.  B.  ist  der  zweite  Abschnitt  ,, Linien 
und  Winkel'"'' überschrieben,  und  es  ist  doch  nachzuweisen,  dass 
bereits  der  erste  hierunter  gehörenden  Lehrstoff  —  nicht  etwa 
blosse  Erklärungen  —  geboten  hat.  Umgekehrt  giebt  der  zweite 
Abschnitt,  z.  B.  gleich  der  erste  §.,  Beweise,  welche  zu  viel  vor- 
aussetzen. So  wird  in  dem  angeführten  Paragraphen  die  Kennt- 
niss  der  Winkel-Theilung,  so  wie  ihrer  Addition  und  Subtraction, 
stillschweigend  vorausgesetzt.  Doch  nicht  blos  die  Anordnung 
des  ganzen  Buches,  sondern  auch  die  Form  der  Darstellung  ist 
öfters,  wie  uns  scheint,  ganz  verfehlt.  Es  ist  ein  grosser  Vorzug 
fast  aller  mathematischen  Werke  der  Franzosen,  dass  sie  selbst  in 
dem  gedrängten,  fragmentarischen  Vortrage  kurzer  Compendien 
eine  gewisse  Eleganz  und  Sicherheit  des  Ausdrucks,  jedenfalls 
eine  grosse  Klarheit  und  Reinheit  der  Sprache  zu  entfalten  wissen. 
Man  vergleiche  nun  ,  ohne  irgend  grosse  Anforderungen  stellen  zu 
wollen,  Sätze  wie  folgende:  „p.  9,  30.  Ein  Parallelogramm  ist  ein 
Viereck,  dessen  jede  zwei  Gegenseiten  parallel  sind,  —  p.  12,  47. 
Aufgabe.  An  einer  gegebenen  geraden  Linie  in  einem  gegeb. 
Punkte  einen  gegeb.  Winkel  anzutragen.  —  Auflösung.  1)  der 
Transporteur.  2)  vermittelst  gleicher  Kreisbogen  etc. —  p.  28, 113. 
5, Die  Parallelogramme  .  .  stehen  auf  derselben  Grundlinie  .  .  .: 
so  wird  behauptet,  — '*  und  letztere  Construction  sehr  häufig;  — 
„ein  Kreisabschnitt,  der  eines  gegebenen  Winkels  x  fähig  ist.**^ 

Nachdem  die  Paralleltheorie  nur  skizzirt  worden,  geht  der 
Verfasser  im  dritten  Abschnitt  zu  den  Eigenschaften  des  Dreiecks 
über.  Hier  findet  man  Erklärungen  und  Constructionen,  welche 
gar  nicht  in  dies  Capitel  aufzunehmen  waren.  Oder  soll  man  in 
den  abgegrenzten,  schon  Vibcrreichen  Lehrstoff  eines  solchen  Ab- 
schnittes noch  eine  bedeutende  Menge  praktischer  und  unprakti- 
scher Folgerungen  aufnehmen'?  Der  Verf.  erlaubt  sich  dies  ohne 
viele  Bedenken.  Er  spricht  sogar  §.  72,  6  von  dem  Halbkreise, 
§.  66  von  gleichen  Figuren ,  ohne  dass  die  Gleichheit  vorher  er- 
wähnt worden  wäre.  Die  geometrische  Gleichheit  kommt  über- 
haupt in  dem  ganzen  Lehrbuche  zu  keiner  rechten  Würdigung.  — 
Bei  dem  Ablesen  der  Linien  behandelt  der  Verf.  die  Stellung  der 
Buchstaben  sehr  gleichgültig;  er  sagt:  man  verlängere  BC  um  BD, 
worunter  Ref.  versteht,  dass  BD  an  C  in  der  Richtung  BC  ange- 
setzt werde.  —    Der  vierte  sehr  kurze  Abschnitt  verspricht  danach 


294 


Mathematik. 


die  Eiffenscliaftcn  des  Vierecks  zu  geben.  Das  Wichtigste  aher, 
was  Ilicr  gelelirt  wird,  sind  Parallciilälssätzc.  Der  ganze  Stoff 
ist  sehr  lose  aneinander  gefiig:t,  ohne  dass  auf  die  Grundidee  des 
Vierecks  und  Vierscits  irgend  Rücksicht  genommen  wäre.  Die 
Ergänzungen  an  der  Diagonale  eines  Parellelogramms  nennt  der 
Verf.  kurzweg  Ergänzungen  des  Parallelogramms  (§.  99),  Im 
§.  102  stellt  er  den  Lehrsatz  auf,  dass,  wenn  in  einem  Viereck 
li  Gegenseiten  gleich  und  parallel  sind,  dasselbe  ein  Parallelo- 
gramm sei.  Dieser  Satz  ist  eben  so  wenig  allgemein  richtig,  als 
der  oft  aufgestellte  Kreissatz,  dass  2  gleiche  Kreisbogen  abschnei- 
dende Sehnen  einander  parallel  sein  müssten.  Auffallend  er- 
schien uns  auch  die  vom  Verf.  gewählte  Bezeichnung  des  Recht- 
ecks: OAU  .  BC  oder  Q  AB  x  BC,  da  sie  arithmetische  und  geo- 
metrische Symbole  mit  einander  vermischt.  —  Die  im  §.  106 
gegebene  Aufgabe:  Eine  gegebene  Linie  in  n  gleiche  Theile  zu 
theilen,  gehört  gar  nicht  in  die  Vierecksätze.  —  Der  fünfte  Ab- 
schnitt geht  oder  springt  zur  Gleichheit  der  Parallelogramme  und 
Dreiecke  über.  Auch  hier  könnte  man  an  der  Fassung  mehrerer 
Paragraphen,  besonders  vom  pädagogischen  Standpunkte  aus,  Man- 
ches geändert  zu  sehen  wünschen,  z.  B.  wenn  §.  118  ein  Lehr- 
satz wegen  seiner  Wichtigkeit  für  die  gesammte  Mathe- 
matik der  pythagoreische  genannt  worden  sein  soll.  In  den 
Aufgaben  am  Ende  vermissen  wir  strenge  Ordnung.  Einigemale 
werden  auch  Aufgaben  gestellt,  welche  geradezu  den  Stoff  eines 
kurz  vorher  gegebenen  Lehrsatzes  in  kaum  veränderten  Worten 
wiederholen.  Vergl.  z.  B.  217  und  219.  —  Es  folgen  im  sechsten 
Abschnitt  die  Eigenschaften  des  Kreises.  Gehört  wohl  die  Frage: 
„Wenn  Ungleiches  von  Gleichem  weggenommen  wird,  wo  bleibt 
der  grössere  Rest^*'  in  die  Kreissätze  eines  Lehrbuches  oder  in 
den  mündlichen  Vortrag  des  Lehrers*?  Es  ist  gewiss  im  münd- 
lichen, heuretischen  Vortrage  sehr  passend,  dass  jede  Gelegen- 
heit, auf  frühere,  oft  scheinbar  fernliegende  Sätze  Bezug  zu 
nehmen  und  stets  auf  die  Abhängigkeit  der  Theoreme  hinzuwei- 
sen, ergriffen  werde;  unpassend  aber  ist  es,  jede  nur  irgend  zu 
benutzende  Andeutung  dieser  .'\rt  sogleich  in  das  gedruckte  Lehr- 
buch aufzunehmen.  Dass  das  regelmässige  Vieleck  (warum  „das 
reguläre  Polygon*?'*)  erst  in  den  Kreissätzen  eine  F]rklärung  findet, 
erscheint  uns  ebenfalls  unpassend.  Es  wird  erklärt  als  eine  Figur, 
welche  gleiche  Seiten  und  Winkel  hat.  Dieser  Erklärung  gemäss 
kann  man  z.  B.  in  das  regelmässige  Fünfeck  oder  in  die  2  durch 
5  in  dem  Kreisumfange  regelmässig  liegende  Punkte  gegebenen 
Fünfecke  2  Kreise  einschreiben  (§.  165  ist  nur  von  einem  die 
Rede).  —  Ergänzungen  zu  allen  früheren  Abschnitten  sind  da- 
nach für  berechtigt  gehalten  worden,  einen  eigenen  Abschnitt  zu 
bilden.  Wenn  es  der  Platz  erlaubte,  auf  viele  P^inzelnheiten  ein- 
zugehen, so  könnte  man  erstens  leicht  rjachweisen,  dass  der  Stoif 
dieser    Ergänzungen   wohl  füglich  in   den  früheren  Abschnitten 


Richter:  Lehrbuch  der  Planimetrie.  295 

seine  Stellen  finden  konnte  und  dass  er  hier  sehr  fragmentarisch 
zusammengehäuft  ist.  §  171  heisst  es:  „Wenn  2  gleiche  Winkel 
einander  am  Scheitelpunkt  entgegengesetzt  liegen  und  das  eine 
Paar  der  Schenkel  eine  gerade  Linie  bildet:  so  liegt  auch  das  an- 
dere Schenkelpaar  in  gerader  Linie.*"^  Eine  entgegengesetzte  Lage 
der  Winkel  scheint  dem  Ref.  nur  aus  einer  entgegengesetzten 
Drehung  hervorgehen  zu  können.  Er  kann  sich  also  der  Voraus- 
setzung nach  nur  zwei  gleiche  aneinander  stossende  Winkel  den- 
ken, welche  nur  im  Falle,  dass  sie  rechte  sind,  der  Behauptung 
entsprechen. 

Der  achte,  die  Aelinlichkeit  der  Figuren  beliandelnde  Ab- 
schnitt, zieht  eine  Menge  von  Sätzen  über  Proportionalität,  Gleich- 
heit, sogar  Maassverhältnisse  und  Kreissätze  herbei,  welche  die 
Aehnlichkeitssätze  nur  vorbereiten  oder  sonst  lose  mit  ihnen  zu- 
sammenhängen. Auf  die  Aehnlichkeitstheorie  wird  dagegen  fast 
kein  Bezug  genommen.  Das  Verhältniss  der  gleiche  Höhen,  aber 
verschiedene  Grundlinien  besitzenden  Figuren  lässt  sich  an  dem 
Parallelogramm  einfacher  zeigen  als  an  dem  Dreieck.  —  Der 
neunte  Abschnitt  giebt  ein  sehr  kurzes  Fragment  über  reguläre 
Figuren,  eigentlich  nur  einige  constructionelle  Aufgaben.  End- 
lich im  zehnten  Abschnitt  folgt  die  dem  Schüler  vor  Allem  an- 
schauliche Ausmessung,  in  welche  manche  von  den  früheren  Sätzen 
gehört  hätten.  In  der  Kreismessung  wird  der  Werth  von  %  ge- 
radezu hingestellt  und  erst  nachher  eine  nicht  eben  elegante  Be- 
rechnung dafür  gegeben.  Bei  der  Berechnung  des  dem  Kreise 
eingeschriebenen  regelmässigen    Zehnecks,    wo  bekanntlich  die 

Zehnecksseite  (für  r=  1)= —  ^       gefunden  wird,  beraubt 

der  Verf.  die  streng  richtige  Formel  ihrer  Allgemeinheit  und  ver- 
bannt ohne  ürtheil  und  Recht  den  negativen  Wurzelwerth,-  als 
ob  die  Zehnecksseite  nicht  in  ihrem  absoluten  Werthe  grösser  sein 
könnte  als  der  Radius!  Bildet  denn,  wenn  man  die  10  in  dem 
Kreisumfange  regelmässig  liegenden  Punkte  mit  den  Ziffern  1  bis 
10  bezeichnet,  der  Zug:  1—2—3—4—  .  .  .—10—1  allein  e\\\ 
Zehneck *?  Was  ist  denn  1_4— 7  — 10—  .  .  .  —8—1?  Und  ist 
hier  die  zu  einem  Mittelpunktswinkcl  von  108^  gehörende  Sehne 

nicht    etwa    genau  ^=1  )L — IL — ?  Ist  endlich  ausser  diesem  Zehn- 

2 

eck  noch  irgend  ein  drittes  möglich*?  Warum  soll  also,  wenn  ein- 
mal die  Gleichung  zwei  Werthe  giebt,  der  Schüler  nicht  auf  die 
Bedeutung  derselben  aufmerksam  gemacht  werden,  wenn  auch  der 
zweite  Werth  den  gewöhnlichen  mathematischen  Lehrcursen  nach 
Euklidischer  Methode  mitunter  etwas  unbequem  sein  sollte*?  Es 
wäre  überhaupt  sehr  zweckmässig  gewesen,  wenn  viel  früher  auf 
die  so  wichtige,  die  Vorzeichen  bedingende  Lage  der  Linien, 
Dreiecke  11.  s,  w.  aufmerksam  gemacht  worden  wäre,  von  welcher 


296 


Schul  -  und  Universitätsnachrichten, 


wir  selbst  in  dem  kurzen  Abrisse  der  alp^ebraischen  Geometrie, 
welclier  das  Lelirbiich  beschlicsst,  erst  nachträglich  und  nebenbei 
eine  unvollständige  iNotiz  crlialten. 

Unter  den  auf  2  Tafeln  sehr  eng  und  klein  lithographirten 
Figuren  sind  viele  ganz  geeignet,  den  Anfänger  an  ein  flüchtiges 
Zeichnen  zu  gewöhnen.  Fig.  9  ist  ganz  unverständlich,  die  wich- 
tige Figur  zum  Pythagoreischen  Satz  höchst  ungenau.  Auch  die 
Zaiil  der  Druckfehler  wächst  zu  einiger  Bedeutung  Iieran ,  wenn 
man  das  liäufige  Auslassen  der  Klammern,  z.  B.  in  p  .  p— 2a  .  p — 
2b  .  p — 2c,  wie  billig,  hierher  rechnet. 

Rudolstadt.  O.  Böttger. 


Schul  -   und    Universitätsnachrichten ^    Beförderungen 

und   Ehrenbezeigungen. 

KÄISERTHUM  OESTERREICH.  Bei  den  vielfachen  Neuge- 
staltungen im  österreichischen  Staate  durfte  und  konnte  natürlich  das 
Unterrichtswesen  ,  die  Grundbedingung  jeder  gedeihlichen  Entwickelung 
des  Volkes,  nicht  ausser  Acht  gelassen  werden,  und  um  so  weniger,  als 
sich  auch  dort  schon  länger  das  ßedürfniss  von  Reformen  geltend  gemacht 
hatte.  Dies  Letztere  entnehmen  wir  aus  der  bereits  1838  geschriebenen, 
aber  erst  1849  erschienenen  Schrift  von  J.  Arneth  (Generaldirector  der 
Gymnasialstudien  im  Lande  o.  d.  E.):  „Bemerkungen  über  die  Mängel 
der  österreichischen  Gymnasialeinrichtung  und  Vorschläge  zur  Verbesse- 
rung derselben,  Linz,  8.,  in  welcher  mit  Klarheit,  aber  besonnener  Wür- 
digung das  an  der  gesammten  Einrichtung,  wie  an  der  angenommenen  und 
fast  allgemein  gewordenen  Unterrichtsmethode  zu  Rügende  herausgestellt 
und  mancher  beherzigenswerthe  Fingerzeig  zur  Organisation  gegeben 
■wird.  Zur  Vergleichung  mit  dem  von  der  Regierung  aufgestellten,  aus- 
führlich zu  besprechenden  Entwürfe  theilen  wir  hier  nur  den  von  ihm 
S.  37  aufgestellten  Lectionsplan  mit: 

I.    Vorbereitungsciasse. 
Relig.  Geogr.  u.  Gesch.  Arithm.  Deutsch.  Rechtschr.  Schönschr.  Lat.  Sa. 
3  3  3  2  2  2  13     26 

II.     Gymnasium. 


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Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen, 


297 


Ilf.    Lyceum. 


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I. 

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IV. 


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Bewundernde  Anerkennung  verdient,  dass  die  Regierung  mitten  unter 
den  furchtbaren  Stürmen  des  Kriegs  und  bei  der  schnellen ,  die  gewaltig- 
sten Anstrengungen  erfordernden  Umwandlung  in  allen  Theilen  der  Ver- 
waltung und  des  Staatswesens  bereits  so  Viel  für  jenen  Zweig  thun  konnte, 
wie  gegenwärtig  uns  vor  Augen  liegt.  Zwar  waren  durch  die  Bestre- 
bungen des  übrigen,  namentlich  des  nördlichen  Deutschlands  eine  IMenge 
von  Unterlagen  gegeben,  deren  Benutzung  das  Geschäft  wesentlich  zu 
erleichtern  vermochte;  allein  bleiben  schon  an  und  für  sich  die  Aussichtung 
des  Wahren  vom  Falschen,  des  Gediegenen  vom  Schlackigen,  des  Aus- 
führbaren vom  Unmöglichen,  die  Anpassung  des  Neuen  an  gegebene  be- 
sondere Verhältnisse  und  die  schonungsvolle  Berücksichtigung  des  Einge- 
lebten  und  Festgewurzelten  schwierige  Aufgaben,  so  gestalteten  sich 
dieselben  für  Oesterreich  noch  schwerer,  indem  es  hier  galt,  den  mannig- 
faltigsten und  verschiedenartigsten  Interessen  und  Verhältnissen  Rech- 
nung zu  tragen  ,  ohne  sich  von  ihnen  beherrschen  zu  lassen  ,  Einheit  in 
der  Vielfältigkeit  zu  schaffen  und  auch  durch  das  Unterrichtswesen  eine 
engere  Einigung  der  getrennten  Nationalitäten  anzubahnen,  ohne  sie 
selbst  in  ihrem  Bestehen  zu  kränken.  Aus  diesem  Gesichtspunkte  ist  der 
Entwurf  der  Organisation  der  Gymnasien  und  Realschulen  in  Oesterreich 
zu  beurtheilen,  welcher,  nachdem  über  einen  vorher  mitgetheilten  Plan 
die  Gutachten  der  Gymnasialdirectionen  eingeholt  und  ausführliche  Be- 
rathungen  gepflogen  waren,  von  dem  Ministerium  des  Cultus  und  Unter- 
richts (Wien,  4.  260  S.)  veröffentlicht  worden  ist.  Indem  Ref.  den- 
selben einer  ausführlichen  Besprechung  unterwirft,  will  er  nicht  die  Ver- 
fasser meistern,  sondern  durch  seine  Bemerkungen  nur  die  Theilnahme 
beweisen,  welche  er  ihm  geschenkt.  Zuerst  muss  er  im  Allgemeinen 
anerkennen,  dass  das  Ganze,  aus  so  mannigfaltigen  Bestandtheilen  auch 
es  zusammengesetzt  ist,  dennoch  von  einem  selbstständigen.  Alles  ord- 
nenden und  beherrschenden  Geiste  zeugt  und  dass  zwar  den  allgemeinen 
Wünschen  und  Ansichten  möglichst  Beachtung  geschenkt,  aber  auch  con- 
sequent  alles  dem  angenommenen  Principe  Widersprechende  ausgeschie- 
den ist. 

Der  Entwurf  zerfällt  in  zwei  Haupttheile  ,  den  Gymnasialplan  (S.  I 
bis  216)  und  den  Realschulplan  (S.  217  —  258),  wobei  zu  bemerken,  dass 
in  dem  letzteren  vielfach  an  das  im  ersteren  Gegebene  angeknüpft  und 
daraus  die  verhältnissmässig  viel  kürzere  Behandlung  erklärlich  ist.  Der 
Gymnasialplan   enthält  zuerst  den   eigentlichen   Organisationsentwurf  in 


298  Schul-  und  Univcrsitätsuachiichten, 

kurz  gefa-<stoii  Paragraphen,  sodann  in  einem  Anhange  sechzehn  ausführ- 
liche Instructionen  und  F>örterungen  über  einzehie  besonders  wichtige 
Punkte. 

Derselbe  beginnt,  wie  natürlich,  mit  den  allgemeinen  Bestimmungen. 
,^.  1  giebt  den  Zweck  der  Ciymnasien  dahin  an,  dass  sie  1)  eine  höhere 
aligemeine  Hildung  unter  wesentlicher  Benutzung  der  alten  classischen 
Sprachen  und  ihrer  Litteratur  gewähren  und  2)  hierdurch  zugleich  für 
das  Universitätjistudium  vorbereiten  sollen.  Da  die  Realschulen  eine  all- 
gemeine Bildung  ohne  wesentliche  Benützung  der  alten  classischen  Spra- 
chen gewähren  sollen,  so  erkennt  man  die  mit  dem  Ausdrucke  ,, wesent- 
lich" verbundene  Bedeutung;  es  soll  nämlich  dadurch  das  Studium  der  clas- 
sischen S[»rachen  als  das  charakteristische  Merkmal  der  Gymnasien  aufge- 
stellt werden.  An  dem  Ausdruck  ,,eine  allgemeine  höhere  Bildung"  hat 
Ref.  allerdings  auch  Anstoss  genommen,  nicht  weil  er  mit  Hrn.  Mützell 
Zeitschrift  f.  d.  Gymnasialwesen  IV.  1.  S.  3  *)  dem  Gymnasium  nur  die 
Vorbereitung  und  Anbahnung  einer  höheren  allgemeinen  Bildung  zuge- 
schrieben wissen  will  —  denn  das  Gymnasium  muss,  wie  jede  andere 
Schule,  einen  bestimmten  Abschluss  haben  — ,  sondern  weil  derselbe  zu 
unbestimmt  erscheint,  da  darunter  überhaupt  jede  sich  nur  etwas  über 
das  gewöhnliche  INlaass  der  Volksbildung  erhebende  Bildung  verstanden 
werden  kann.  Jedenfalls  sollte  dadurch  den  Gymnasien  der  Charakter 
allgemeiner  höherer  Bildungs-,  nicht  specieller  Fachvorbereitungsanstalten 
vindicirt  und  der  Zweck,  um  dessen  willen  alle  Gegenstände,  die  alten 
Sprachen  mit  eingeschlossen,  auf  denselben  gelehrt  werden,  bezeichnet 
werden.  Da  in  den  später  folgenden  Einzelbestimmungen  das  IVIaass  der 
Bildung  fest  begrenzt  erscheint,  so  kann  man  um  so  leichter  dabei  Be- 
ruhigung fassen,  wenn  man  bedenkt,  wie  schwierig  die  Auffindung  kurzer, 
das  Wesen  einer  einzelnen  Bildungsanstalt  scharf  bezeichnender,  Jeder- 
mann verständlicher  Ausdrücke  ist  **). 

Die  Gymnasien  zerfallen  nach  den  §§.  8 — 16:  1)  in  öffentliche,  d.  h. 
solche,  welche  staatsgiltige  Zeugnisse  ausstellen  und  Maturitätsprüfungen 
vornehmen  können,  und  zwar  a)  eigentliche  Staatsgymnasien,  welche 
ganz  aus  Staatsfonds  unterhalten  werden,  und  b)  diejenigen  bischöflichen 
Gymnasien  und  Gymnasien  geistlicher  und  weltlicher  Corporationen, 
deren  Zeugnisse  bisher  öfTentliche  Geltung  hatten;  2)  Privatgymnasien. 
Durch  §.  3  wird  Jedem  das  Recht  ertheilt,  ein  Privatgymnasium  zu  er- 
richten ,  doch  wird  dazu  die  Genehmigung  des  Unterrichtsministers  erfor- 
dert und  die  Gewährung  derselben  an  die  Bedingungen  geknüpft,  dass 
einmal  die  Kinrichtung  den  Vorschriften  des  Unterrichtsgesetzes  entspre- 
che ,  sodann  aber  die  Subsistenzmittol  auf  eine  Reihe  von  Jahren  voraus- 
sichtlich gedeckt  seien.      Ausserdem  bedarf  nach   den   Bestimmungen    des 


*)  Unser  geehrter  Freund,  dem  wir  für  vielfache  Anregung  und  Be- 
lehrung dankbar  sind,  wird  uns  verzeihen,  wenn  wir  im  Folgenden  nicht 
überall  mit  Nennung  des  Namens  auf  die  Punkte  aufmerksam  machen, 
in  denen  wir  mit  ihm  übereinstimmen  cder  von  ihm  abweichen. 

♦*)  Die  Ursache  liegt  darin,  dass  alle  einen  gleichen  Zweck  haben 
und  sich  nur  graduell  unterscheiden. 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  299 

4.  Abschnittes  die  Anstellung  der  ordentlichen  Lehrer  an  denselben  der 
vorgängigen  Bestätigung  des  Landesschulraths.  Ref.  kann  darnach  die 
Befürchtungen  theilen,  welche  Hr.  Mützell  a.  a.  O.  S.  3  ausspricht,  am 
wenigsten  aber  den  österreichischen  Entwurf  übereinstimmend  finden  mit 
dem  der  preussischeu  Nationalversammlung  §.  22:  ,, Unterricht  zu  erthei- 
len  und  Unterrichtsanstalten  zu  gründen  steht  Jedem  frei.  Vorbeu- 
gende, beengende  Maassregeln  sind  untersagt."  Denn  ist 
nicht  dem  Missbrauche  vorgebeugt,  wenn  sogar  die  Anstellung  der 
Lehrer  an  den  Privatgymnasien  der  Bestätigung  durch  eine  Staatsbehörde 
bedarf  und  wenn  der  Unterrichtsminister  erst  die  Genehmigung  ertheilen 
muss,  demnach  dieselbe  auch  wieder  zurück  nehmen  kann?  Ist  dem  aber 
so,  sind  die  Gefahren  des  Missbrauchs  hinlänglich  beseitigt,  so  erkennt 
Ref.  die  Weisheit  der  Regierung  an,  welche  der  Bevölkerung  Oesterreichs 
durch  Gewährung  jenes  Rechts  eine  ungemeine  VVohlthat  gewähi t  hat. 
Denn  schwerlich  wird  wohl  so  bald  der  Staat  in  allen  Reichstheilen  so 
viele  Gymnasien  errichten  können,  dass  den  Bedürfnissen  der  verschiede- 
nen durch  einander  wohnenden  Confessionen  —  darauf  legen  wir  ein  be- 
sonderes Gewicht  • —  und  Nationalitäten  vollständig  genügt  werde,  ja  es 
werden  selbst  nicht  alle  volkreichen  Städte  damit  versehen  werden  kön- 
nen ,  so  dass  den  Einwohnern  nur  die  Wahl  bleibt  zwischen  Entsendung 
ihrer  Söhne  nach  entfernten  Orten,  oder  Privatunterricht  und  Privat- 
gymnasium. 

Bisher  bestanden  in  Oesterreich  ein  Gjähriger  Gymnasial-  und  ein 
5jähriger  Universitätscursus.  Die  beiden  ersten  Jahre  des  letzteren  waren 
die  sogenannten  obligaten  philosophischen  Curse,  nach  denen  erst  das 
sogenannte  Fachstudium  begann.  Die  Vorbereitung  zu  diesem  war  dem- 
nach zwischen  dem  Gymnasium  und  der  Universität  getheilt.  Wenn  wir 
nun  aus  Arneth  S.  13 — 19  ersehen,  dass  diese  Einrichtung  schon  lange 
bei  Manchem  Bedenken  erregt  hatte,  so  können  wir  aus  der  Rechtferti- 
gung, zu  welcher  sich  die  Verfasser  des  Entwurfs  in  den  Vorbemerkungen 

5.  2  und  3  wegen  ihrer  Abänderung  gedrungen  gefühlt  haben,  entneh- 
men, dass  sich  doch  auch  viele  Stimmen  für  ihre  Beibehaltung  erhoben 
haben.  Ganz  richtig  sind  die  Obligatcurse  als  unvereinbar  mit  der  den 
Universitäten  durch  die  Grundrechte  zuerkannten  Lehr-  und  Lernfreiheit 
erkannt  worden.  Um  die  dann  mangelnde  Vorbereitung  zum  Fachstu- 
dium zu  ergänzen,  mussten  die  für  dieselben  bestimmten  Jahre  zu  dem 
Gymnasialcursus  geschlagen  werden  ,  obgleich  nicht  alle  in  dieselben  bis- 
her gehörigen  Lehrfächer  mit  herüber  genommen  werden  konnten. 

Nach  §.4  besteht  demnach  das  Gymnasium  aus  8  Classen,  deren 
jede  einen  Jahrescursus  bildet,  und  zerfällt  in  das  Unter-  und  Obergym- 
nasium von  je  4  Classen.  Ref.  freut  sich,  dass  der  Entwurf  die  Ein- 
richtung jährlicher  Curse,  welche  auch  in  Sachsen  von  der  Mehrzahl  der 
Lehrer  für  zweckmässig  anerkannt  worden  ist  und  jetzt  ins  Leben  geführt 
werden  soll,  angenommen  hat.  Die  Scheidung  in  Ober-  und  Untergym- 
nasien entspricht  der  in  Baiern  bestehenden  Eintheilung  der  Studienan- 
stalten in  Gymnasien  und  lateinische  Schulen  ,  womit  jedoch  nicht  die 
österreichischen  Untergymnasien  als  dem  Wesen  nach  mit  den  baierischen 


300  Schul-  und  Universitätsnachiichten 


lateinischen  Schulen  identisch  bezeichnet  werden  sollen.  Es  ist  an  und 
für  sich  gleichgültig ,  ob  eine  Schule  in  zwei  oder  drei  oder  noch  mehr 
Abtheiliingen  zerfällt  wird,  da  eine  strenge  Absonderung  nach  den  Stu- 
fen des  Alters  eine  Sache  der  Unmöglichkeit  ist;  es  kommt  Alles  auf  die 
Bestimmung  des  Zieles  an ,  welches  jede  Abtheiliing  zu  erreichen  hat. 
Demnach  wird  sich  aus  dem  Folgenden  erkennen  lassen  ,  ob  die  in  dem 
Entwürfe  angenommene  Scheidung  eine  zweckmässige  sei,  eine  P^rage, 
die  Ref.  um  so  weniger  verneinen  kann ,  als  dabei  offenbar  im  österrei- 
chischen Volksleben  enthaltene  Bedingungen  Einfluss  gehabt  haben. 

§.  5  sagt:  ,,Das  Untergymnasiura  bereitet  auf  das  Obergymnasium 
vor,  es  hat  aber,  indem  es  jeden  seiner  Lehrgegenstände  zu  einem  rela- 
tiven Abschlüsse  führt  und  mehrere  davon  in  vorherrschend  populärer 
Weise  und  praktischer  Richtung  behandelt,  ein  in  sich  abgeschlossenes 
Ganzes  von  allgemeiner  Bildung  zu  ertheilen,  welches  für  eine  grössere 
Zahl  von  Lebensverhältnissen  erwünscht  und  ausreichend  ist  und  zugleich 
auch  als  Vorbereitung  für  die  Ober  Realschulen  und  weiter  für  die  tech- 
nischen Institute  zu  dienen  vermag.  Das  Obergymnasium  setzt  diesen 
Unterricht  in  mehr  wissenschaftlicher  Weise  fort  und  ist  die  specielle 
Vorbereituugsschule  der  Universität."  Als  zu  dieser  §.  bestimmende 
IMotive  werden  in  den  Vorbemerkungen  S.  4  und  5  aufgeführt,  wie  es 
sehr  wünschenswerth  sei,  dass  diejenigen  Knaben,  welche  nach  der  in 
der  Volksschule  erlangten  Bildung  eine  höhere  erstrebten,  ohne  sich 
jedoch  noch  für  die  Realschule  oder  für  das  Gymnasium  entschieden  zu 
haben  ,  mit  genügendem  Erfolge  für  ihre  Bildung  noch  einige  Jahre  in 
derselben  Anstalt  könnten  zusammengehalten  werden;  das  Untergymna- 
sium könne  nun  die  alten  classischen  Sprachen  nicht  aus  seinem  Kreise 
ausschliessen,  weil  ohne  eine  genügende  Vorbereitung  in  denselben  ein 
befriedigendes  Resultat  in  dem  Obergymnasium  nicht  zu  erreichen  sei; 
andererseits  aber  sei  es  unmöglich  —  wenigstens  in  einem  Theile  der 
österreichischen  Kronländer,  alle  Knaben,  welche  eine  über  die  Sphäre 
der  Volksbildung  hinausreichende  Bildung  suchten,  zu  einem,  wenn  auch 
nur  dreijährigen  Studium  der  lateinischen  Sprache  zu  verpflichten;  dem- 
nach habe  man,  um  für  den  angegebenen  Zweck  das  Mögliche  zu  errei- 
chen, den  bezeichneten  Weg  einschlagen  müssen;  es  könne  nach  ihm  Jeder, 
wenn  er  in  das  Untergymnasium  eingetreten  sei,  sich  die  Freiheit  der 
Wahl  noch  für  spätere  Jahre  seiner  Studienzeit  bewahren ,  weil  er  zu- 
gleich eine  Vorbereitung  für  die  Oberrealschule  finde;  weil  jedoch  die 
Bürger-  oder  niederen  Realschulen  nicht  das  Gleiche  für  das  Obergym- 
nasium  leisten  könnten,  so  sei  durch  die  Bestimmungen  über  die  Aufnahme 
in  die  Gymnasien  der  Uebergang  zu  diesen  wenigstens  nicht  unmöglich 
zu  machen  gewesen  für  solche  Realschüler,  welche  ausnahmsweise  durch 
unge\AÖhnliche  Anstrengungen  oder  besonders  aufgewendete  Zeit  die  ver- 
säumten classischen  Studien  nachgeholt  haben  möchten.  —  Ref.  erkennt 
in  diesen  Worten  freudig  die  besonnene  Würdigung  des  Zeitbedürfnisses 
an.  Es  ist  klar,  dass  für  die  Gymnasialbildung,  welche  in  den  Sprachen 
das  Haupimittel  ihrer  Erreichung  hat,  die  Grundlage  zeitig  gelegt  wer- 
den müsse,  demnach  der  classische  Unterricht  der  Regel  nach  nicht  erst 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  301 

jenseit  des  Knabenalters  beginnen  dürfe*),  aber  eben  so  gewiss  auch, 
dass  in  den  unteren  Classen  der  für  das  bürgerliche  Leben  erforderlichen 
realen  Bildung  eine  ausgedehntere  Berücksichtigung  zu  Theil  werden 
müsse,  als  bisher  ihr  zugewandt,  nicht  allein  um  den  Knaben  die  spä- 
tere Wahl  eines  anderen  Berufes  möglich  zu  machen ,  sondern  auch  damit 
später  ohne  Nachtheil  für  die  durch  das  Leben  erforderte  allgemeine 
Bildung  eine  grössere  Concentration  der  geistigen  Thätigkeit  auf  die 
sprachlichen  und  historischen  Studien  stattfinden  könne.  Betrachten  wir 
das  Einzelne,  so  ergiebt  sich  aus  dem  Lehrplane,  dass  unter  den  meh- 
reren Gegenständen,  welchen  vorzugsweise  eine  populäre  und  praktische 
Behandlung  zugedacht  ist ,  hauptsächlich  die  Mathematik  und  Natur^^is- 
senschaften  zu  verstehen  sind,  obgleich  dieselbe  auch  für  die  übrigen 
Gegenstände  eine  nur  weniger  ausgedehnte  Anwendung  findet.  Der 
Ausdruck  ,,in  populärer  Weise"  erklärt  sich  leicht;  es  sollen  weder  wis- 
senschaftliche Kenntnisse  vorausgesetzt,  noch  überliefert  werden;  allein 
bezweifeln  lässt  sich ,  ob  eine  solche  Behandlungsweise,  namentlich  die 
praktische  Richtung,  für  diese  Stufe  des  Unterrichts  überhaupt  ralhsam 
sei.  Es  ist  ja  gewiss,  dass  die  rechte  Praxis  ohne  die  Theorie  nicht 
möglich  und  der  jugendliche  Geist  derjenigen  Praxis,  welche  man  im  ge- 
wöhnlichen Leben  mit  diesem  Namen  bezeichnet,  abgewandter  ist.  Für 
den  deutschen  Sprachunterricht  kann  die  Richtung  auf  jene  Praxis  nur  in  der 
Aufnahme  der  Geschäftsaufsätze  hervortreten,  welche  dann  auch  wirklich 
gefordert  wird.  Aber  die  Instruction  S.  133  bemerkt  darüber  sehr  rich- 
tig, dass  die  Formen  derselben  sich  sehr  leicht  und  fast  von  selbst  finden, 
und  erkennt  dieselben  also  für  ein  sehr  geringes  Nebending  an.  Und 
mindestens  kann  daraus  nur  für  die  ein  wirklicher  Nutzen  hervorgehen, 
welche  sofort  die  Gelegenheit  zu  praktischer  Fortübung  erhalten.  Das- 
selbe gilt  sogar  von  den  technologischen  Anwendungen  der  Naturkennt- 
nisse. Sollen  sie  einem  wirklichen  Bedürfnisse  genügen  ,  so  müssen  sie 
entweder  für  dieses  Alter  und  für  die  übrigen  Zwecke  der  Bildung  zu 
weit  ausgedehnt  werden,  oder  sie  werden  nur  nebenbei  laufen.  Ja  selbst 
in  der  Mathematik  ist  eine  unmittelbar  praktische  Richtung  doch  nicht 
eigentlich  eingeschlagen  ,  wie  die  spätere  Besprechung  zeigen  wird.  Die 
praktischen  Anwendungen,  welche  S.  3  der  Vorbemerkungen  bezeichnet 
werden,  sind  für  den  reinen  Gymnasialzweck  eben  so  nothwendig,  wie 
zur  Vorbereitung  für  die  Realschule ,  und  höchstens  ihre  etwas  grössere 
Ausdehnung  kann  eine  besondere  Hervorhebung  in  der  allgemeinen  Be- 
stimmung des  Wesens  der  Anstalt  rechtfertigen.  W^as  wir  überhaupt  bei 
jenen  W' orten  denken  können ,  beschränkt  sich  auf  einige  Kenntnisse, 
welche  für  unmittelbar  von  dem  Untergymnasium  ins  bürgerliche  prakti- 
sche Leben  übergehende  Schüler  einige  Wichtigkeit  besitzen.  Für  die 
Oberrealschule  haben  sie  in  sofern  keinen  höheren  Werth ,  als  auch  diese 
nur  die  Praxis  an  die  Theorie  knüpfen  kann  ,  und  eine  mannigfaltigere 
und  vielseitigere  Uebung  in  dem ,  was  sie  voraussetzt ,   bei  den   anderen 


*)  Wir  verweisen  auf  Beneke's  treffliche   Schrift:   Ueber  die  Re- 
form und  die  Stellung  unserer  Schulen;  s.  NJahrbb,  LV.  S.  325. 


302  Schul-  und  Universitätsnachrichten 


Zwecken,  welche  das  Untergymnasium  verfolgt,  doch  nicht  stattfinden 
kann.  Es  will  dem  Ref.  scheinen,  als  hätten  die  Verff.  des  Entwurfs 
den  materiellen  Forderungen  an  die  höheren  Erziehungsanstalten  eine 
Concession  gemacht ,  die  im  Grunde  doch  wieder  von  selbst  zu  nichte 
wird.  Nach  seiner  Ansicht  verträgt  es  sich  recht  wohl,  dass  das  Unter- 
gymnasium nicht  als  Vorbereitungsanstalt  für  das  Obergymnasium  allein 
betrachtet  und  dennoch  eine  unmittelbare  Rücksicht  auf  andere  Zwecke 
nicht  genommen,  eine  streng  wissenschaftliche  Betreibung  der  Gegen- 
stände, welche  zu  jenem  Zwecke  dienen,  nicht  ausgeschlossen  werde. 
Man  muss  nur  den  von  der  Pädagogik  aufgestellten  Grundsatz  nicht  aus 
den  Augen  verlieren,  dass  für  jedes  Fachstudium  die  Erstarkung  der  Gei- 
steskraft eine  bessere  Vorbereitung  ist ,  als  positives  Wissen.  Wird  in 
dem  Untergymnasium  den  Realien  eine  solche  Aufmerksamkeit  geschenkt, 
dass  eine  feste  elementare  Grundlage  in  denselben  gewonnen,  der  Geist 
in  den  von  ihnen  vorausgesetzten  Anschauungen  geübt  ist,  werden  die 
Sprachen,  namentlich  die  lateinische,  so  betrieben,  dass  das  formale 
Denken  und  das  Sprachgefühl  diejenige  Ausbildung,  welche  der  Alters- 
stufe, für  die  dasselbe  bestimmt  ist,  möglich  ist,  erreicht  hat,  so  %vird 
der  Schüler  eben  so  zum  Besuche  des  Obergymnasiums,  wie  der  Ober- 
realschule befähigt  sein.  Besitzt  er  für  diese  einen  geringeren  Schatz 
positiven  Wissens,  so  wird  er  dagegen  im  geistigen  Können  so  viel  vor- 
aus haben  ,  dass  er  mit  leichter  IMühe  die  vorhandenen  Lücken  auszufüllen 
vermag.  Für  die  Materialisten,  welche  jeder  wahren  Schätzung  der 
Sprachbildnng  und  des  durch  sie  gewährten  Nutzens  unfähig  sind,  ist 
jedes  Entgegenkommen  ohnehin  verloren. 

Durch  §.  6  werden  die  vollständigen  Gymnasien  für  einheitliche, 
unter  gemeinsamer  Leitung  stehende  Ganze  erklärt  und  einer  Spaltung 
des  Gyranasiallehrerstandes  in  Lehrer  für  das  Ober-  und  für  das  Unter- 
Gymnasium  durch  die  Bestimmung  entgegen  getreten,  dass  jeder  Lehrer 
sowohl  im  Ober-  als  auch  im  Untergymnasium  beschäftigt  sein  könne, 
d.  h.,  wenn  wir  es  recht  verstehen  ,  dass  kein  Lehrer  sich  weigern  dürfe, 
zugleich  im  Ober-  und  Untergymnasium  Unterricht  zu  ertheilen ,  eine 
Bestimmung,  welche  den  vollsten  Beifall  verdient. 

Was  §.  7  bestimmt,  dass,  wo  die  Errichtung  eines  vollständigen 
Gymnasiums  aus  Mangel  an  Mitteln  nicht  möglich  oder  ein  Obergymna- 
gium  nicht  noth wendig  sei,  auch  das  Untergymnas.  ohne  das  Obergymnas. 
bestehen  könne,  ist  eine  wohl  in  den  meisten  Ländern  bereits  bestehende 
Einrichtung.  Der  dritte  Fall,  auf  den  Hr.  Mützell  a.  a.  O.  S.9  aufmerksam 
macht,  dass  in  manchen  Orten  die  zu  grosse  Schülermenge  die  Errichtung 
eines  oder  mehrerer  selbstsländiger  Untergymn.  neben  dem  Obergymn.  noth- 
wendig  machen  könne,  scheint  uns  in  dem  Vorhergehenden  schon  mit  er- 
ledigt. Wenn  derselbe  Gelehrte  in  einem  solchen  F'alle  die  P'rrichtung 
von  Parallelclassen  der  eines  selbstständigen  Untergymnasiums  vorzieht, 
so  kann  Ref.  damit  sich  nicht  einverstanden  erklären.  Denn  abgesehen 
von  dem  Falle,  dass  in  einer  weitläufigen  Stadt  für  einen  Bezirk  schon 
wegen  der  bei  Kindern  jüngeren  Alters  nicht  gering  anzuschlagenden  zu 
grossen  Entfernung  des  einen  Gymnasialgebäudes   die  Errichtung   eines 


ßeförderuiigen  und  Ehrenbezeigungen.  303 

Unter-,  nicht  aber  eines  vollständigen  Gymnasiums  zum  Bedürfniss  ma- 
chen kann,  dem  durch  Parallelclassen  nicht  abgeholfen  wird,  haben  die 
letzteren  immer  eine  gewisse  Schwierigkeit,  Dass  durch  sie  für  das 
Obergyranasium  mehr  gewonnen  werde,  kann  nicht  zugegeben  werden, 
da  ein  selbstständiges  Untergymnasiura,  gut  eingerichtet  und  geleitet*) 
und  mit  tüchtigen  Lehrern  besetzt,  seine  Schüler  gewiss  zu  dem  gleichen 
Ziele  führen  wird,  wie  das  dem  Obergymnasium  verbundene  Untergym- 
nasium. Eine  Gleichheit  Aller,  eine  durchaus  vollständige  Vorbereitung 
für  alle  Zwecke  des  Obergymnasiums  ist  auch  bei  dem  letzteren  nicht 
möglich  und  Parallelclassen  derselben  Anstalt  werden  gewiss  keine  gerin- 
gere Verschiedenheit  aufzeigen,  als  die  sich  entsprechenden  Classen  zweier 
selbstständiger  Schulen.  Was  in  demselben  §.  hinzugefügt  ist:  ,, Hier- 
gegen soll  ein  Obergymnasiura  nie  getrennt  von  einem  Untergymnasiura 
bestehen,  weil  nicht  nur  die  Schüler  überall  dieses  vor  jenem  besuchen 
müssen,  sondern  weil  auch  nur,  wenn  beide  Theile  des  Gymnasiums  ver- 
einigt sind,  die  richtige  Durchführung  eines  für  den  Zweck  der  ganzen 
Lehranstalt  berechneten  Lehr-  und  Erziehungsplanes  möglich  ist  **)'*, 
hat  des  Ref.  vollsten  Beifall  und  kann  er  den  Einwendungen,  welche  Hr. 
Mützell  a.  a.  O.  dagegen  macht,  nicht  beipflichten.  Die  Anstalten,  auf 
welche  sich  jener  beruft,  die  evangelischen  Seminarien  in  Württemberg, 
Schulpforta  und  die  beiden  sächsischen  Fürstenschulen,  sind  Stiftungen 
einer  vergangenen  Zeit.  Die  ihnen  gegebenen  Bedingungen  machen  eine 
Veränderung  unmöglich,  aber  an  und  für  sich  kann  aus  ihrem  Bestehen 
nicht  gefolgert  werden ,  dass  man  jetzt  noch  gleiche  Anstalten  mit  dem- 
selben Rechte  gründen  könne,  wie  damals.  Die  evangelischen  Seminarien 
Württembergs  haben  in  ihrer  geringeren  Schülerzahl  und  in  dem  gleich- 
massigen  Fortführen  Aller  durch  alle  Stufen  ganz  eigenthümliche,  eine 
Vergleichung  mit  anderen  Anstalten  nicht  zulassende  Verhältnisse.  Von 
den  Fürstenschulen  aber  kann  Ref.  versichern,  dass  der  Mangel  eines  mit 
ihnen  verknüpften  Untergymnasiums  in  vieler  Hinsicht  sich  empfindlich 
macht.  Für  Pforta  wird,  wie  für  Rossleben,  die  Klosterschule  zu  Donn- 
dorf als  Progymnasium  betrachtet  und  in  Meissen  ist  unter  Mitwirkung 
der  Lehrer  der  Fürstenschule  ein  Progymnasium  errichtet  worden.  Durch 
das  Fehlen  eines  solchen  ist  den  Lehrern  jedes  Mittel  benommen,  Knaben, 
welche  sie  als  nicht  genügend  vorbereitet  zurückweisen  müssen  ,  sofort 
einen  richtigen  Unterricht  zu  verschaffen ,  was  oft  für  die  Eltern  ein  em- 
pfindlicher Schlag  ist,  und  wer  in  der  untersten  Classe  einer  Fürsten- 
schule gearbeitet  hat,  wird  die  Schwierigkeiten  kennen,  welche  daraus 
hervorgehen ,  dass  die  Mehrzahl  der  neu  aufgenommenen  Schüler  aus  den 
verschiedensten  x\nstalten  und  Unterrichtsweisen  hervorgegangen  sind. 
Gleichwohl  haben  die  Fürstenschulen  in  den  Alumnatsverhältnissen  Mittel, 


*)  Ein  Zusammenhang  mit  der  Leitung  des  vollständigen  Gymna- 
siums kann  wenigstens  in  derselben  Stadt  hergestellt  werden. 

**)  Dass  das  Letztere  nicht  von  einem  selbstständigen  Untergym- 
nasium ohne  Obergymnasium  gilt ,  bedarf  keiner  weiteren  Auseinander- 
setzung. 


304  Schul-  und  Universltatsnachrichten, 

die  Verschiedenheit  schneller  auszugleichen,  wie  sie  sich  bei  anderen 
Gymnasien  nicht  finden.  INlindestens  bietet  es  geringere  Inconvenienz, 
wenn  für  ein  Obergymnasiuin  an  demselben  Orte  zwei  getrennte  Unter- 
gvmnasien  bestehen,  als  wenn  jenes  eines  Untergymnasiums  gänzlich  er- 
mangelt. Die  österreichische  Regierung  verdient  also  nur  Dank,  wenn 
sie  für  sich  jene  Regel  als  bindend  aufstellt,  zumal  da  aus  ihrer  Befolgung 
für  den  Staat  keine  Ersparniss  hervorgeht. 

Der  zweite  Abschnitt  enthalt  den  Lehrplan,  unstreitig  das  schwie- 
rigste, aber  auch  wichtigste  Werk  des  Entwurfs.  Wenn  in  neuerer  Zeit 
von  vielen  Seiten  die  Behauptung  aufgestellt  worden  ist,  es  sei  gar  nicht 
gerathen  einen  allgemeinen  Lehrplan  für  ein  ganzes  Land  aufzustellen, 
der  Staat  habe  sich  damit  zu  begnügen,  dass  er  seine  Forderungen  be- 
stimmt hinstelle,  den  LchrercoUegien  aber  die  Wahl  des  dazu  führenden 
Weges  und  der  zweckmässigsten  Einrichtung  zu  überlassen  ;  er  solle  sich 
nur  beaufsichtigend  und  Missbräuche  verhütend  betheiligen:  so  kann  diese 
Ansicht,  so  gewichtige  Gründe  sich  auch  für  sie  anführen  lassen,  doch 
nicht  im  Allgemeinen  gebilligt  werden.  Denn  da  der  Staat  die  Pflicht 
hat  zu  verhüten  ,  dass  nicht  die  anvertraute  Jugend  der  subjectiven  Will- 
kür Einzelner,  wie  ganzer  Corporationen  preisgegeben  werde,  so  folgt 
daraus  das  Recht  und  die  Nothwendigkeit,  allgemein  bindende  Normen  für 
seine  Anstalten  aufzustellen.  Aber  er  darf  auch  nicht  aus  den  Augen 
lassen,  dass  der  Geist  sich  nicht  binden  und  uniformiren  lässt,  dass  er, 
werden  ihm  zu  enge  Fesseln  angelegt,  erlahmt  und  in  Folge  davon  das 
best  Gemeinte  in  das  Gegentheil  umschlägt,  dass  endlich  eine  Menge  in- 
dividueller und  localer  Verhältnisse  vorwalten,  welche  durch  eine  allge- 
meine Regel  nicht  beseitigt  werden  können.  Die  Kunst  des  Schulgesetz- 
gebers besteht  desshalb  darin,  seine  Regeln  so  aufzustellen,  dass  sie  heil- 
sam bindend  und  dennoch  nicht  beengend  sind,  dem  Gesetze  eine  solche 
Dehnbarkeit  zu  geben,  dass  es,  ohne  selbst  aufgehoben  zu  werden  und 
ohne  dass  der  durch  dasselbe  beabsichtigte  Nutzen  verloren  geht,  den- 
noch bestehenden  und  unabänderlichen  Verhältnissen  sich  accommodiren 
lässt,  die  individuelle  F"'reiheit  mit  dem  Zwange  zu  versöhnen.  Wenn 
irgend  einer  Regierung,  so  war  der  österreichischen  die  Nothwendigkeit 
auferlegt,  einen  detaillirten  Lehrplan  für  alle  Gymnasien  als  bindende 
Norm  aufzustellen,  weil  einmal  ohne  denselben  eine  durchgreifende  Re- 
form unausführbar  ,  zweitens  aber  die  von  dem  Staatsprincip  geforderte 
Einheit  unmöglich  gewesen  wäre.  Im  Allgemeinen  kann  man  dem  Stre- 
ben ,  diese  unabweisbaren  Forderungen  mit  möglichster  Gewährung  in- 
dividueller Freiheit  zu  erfüllen,  und  der  Art,  wie  dies  zu  erreichen  gesucht 
ist,  die  Anerkennung  nicht  versagen  ,  ja  man  muss  dem  Muthe  und  der 
Besonnenheit,  mit  welchen  das  schwierige  Werk  ausgeführt  worden  ist, 
Bewunderung  zollen.  Dies  allgemeine  Urtheil  musste  Ref.  um  so  mehr 
vorausschicken,  als  das  Einzelne  ihm  zu  manchen  Gegenbemerkungen  An- 
lass  giebt. 

Zur  richtigen  Würdigung  des  Lehrplanes  ist  es  nöthig,  das  zu 
wissen,  was  vorausnesetzt  wird.  Für  die  Aufnahme  in  die  unterste 
Gvmnasialclasse  wird  nach  dem  3.   Abschnitte  erfordert:  in   der  Religion 


H 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  305 

jenes  Maass  von  Kenntnissen,  welches  in  der  Volksschule  ertheilt  wird, 
Fertigkeit  im  Lesen  und  Schreiben  der  Schrift  der  Muttersprache,    der 
lateinischen  Schrift ,  und  wo  sie  in  der  Volksschule  gelehrt  wird,  auch  der 
deutschen,  Kenntniss  der  Elemente  aus  der  Formenlehre  der  Mutterspra- 
che,  P^ertigkeit  im  Analysiren  einfacher  bekleideter  Sätze,    Fertigkeit  im 
Dictandoschreiben  nebst  Setzen  der  Interpunctionen,  Uebung  in  den  vier 
Species  in   ganzen ,  unbenannten   und  benannten ,   gebrochenen   und  ge- 
mischten Zahlen    und  in  den    einfachsten  Proportionsexempeln.       üeber 
das  Maass    dieser   Forderung   lässt   sich  nicht   rechten,    wenn    aber    das 
9.  Lebensjahr  als  dasjenige  bezeichnet  wird ,  in  welchem   der  Gymnasial- 
unterricht beginne,  so  kann  Ref.  nicht  anders  glauben,   als  dass  die  Ver- 
fasser des  Entwurfs  damit  nur  den  Termin ,  vor  welchem  eine   Aufnahme 
in  das  Gymnasium  nicht  stattfinden  dürfe,  haben  bestimmen  wollen.  Denn 
können  wir  einerseits  das  17.  Jahr  nicht  als  dasjenige  betrachten,  in  wel- 
chem die  Mehrzahl  die  zur  Freiheit  des   akademischen  Studiums  *)  erfor- 
derliche Geistes-  und   Charakterreife  erreicht ,  müssen   wir  vielmehr   als 
das  ungefähre  Jahr  dafür  das  19.  und  20.  halten,  so    scheint  es  uns  an- 
dererseits unmöglich,  dass  die  Mehrzahl  der    Knaben   des    Volkes,  die 
trefflichsten  Leistungen  der  Volksschule  vorausgesetzt,   mit  dem  9.  Jahre 
die  Forderungen,  welche  für  die  Receptionsfähigkeit  aufgestellt  sind,  er- 
füllen werde.      Wohl  wird  dies  Knaben  von   guter  Begabung  aus  gebil- 
deten Familien,  zumal  wenn  sie  für  sich  oder  mit  Wenigen  durch  tüchtige 
Lehrer  unterrichtet  sind  ,  nicht  schwer  sein ,  aber  in  der  Volksschule  ist 
durch  eine  Menge   vorhandener  Bedingungen   ein    viel  langsamerer  Gang 
nothwendig.      Auch   würde,    wenn  jene  Annahme    nicht    gegründet    sein 
sollte,  eine  ziemliche  Menge  nicht  leicht  fasslicher  Unterricht^gegenstände 
in  ein  Alter  verlegt  sein,   das  zur   Bewältigung   derselben  in    der  Regel 
nicht  für  fähig  gehalten   werden  kann.      Es  ist  ja    auch  dies    eine   unum- 
stössliche  pädagogische  Erfahrung,  dass,  wenn  die  Kraft  zu  früh  und  für 
zu  Schwieriges  in  Anspruch  genommen   wird,  nicht   blos  der  Geist,  son- 
dern auch  das  Gemüthsleben  Störung  und  Schaden  leidet. 

Wenden  wir  uns  zu  dem  Lectionsplane  selbst.  Nachdem  durch  die 
Verfassung  den  mannigfaltigen  Nationen  des  Kaiserreiches  der  rechtliche 
Bestand  ihrer  Nationalität  gewährleistet  war,  ergaben  sich  daraus  natür- 
lich gewisse  Grundsätze  für  die  Wahl  der  Unterrichtssprache. 
Diese  sind  nach  dem  Entwürfe:  1)  Die  Wahl  derselben  richtet  sich  nach 
den  Bedürfnissen  der  Bevölkerung,  die  an  einem  Gymnasium  beiheiligt 
ist.  2)  Wo  die  letzteren  in  zwei  Nationalitäten  so  ziemlich  gleich  ge- 
theilt  ist,  können  zwei  Unterrichtssprachen  für  verschiedene  Abtheilungen 
oder  Unterrichtsgegenstände  zur  Anwendung  kommen.  3)  Der  etwaige 
Streit  über  die  Wahl  wird  bei  den  Staatsgymnasien  durch  die  Kreisver- 
tretung, bei  den  übrigen  durch  diejenigen,  welchen  die  Fonds  der  An- 
stalt zugehören ,  entschieden.  Gegen  die  Ausführbarkeit  oder  Zuträg- 
lichkeit des  zweiten   hegt  Ref.  manche  Bedenken.       Bestehen    die  beiden 


♦)  Man  erinnere  sich ,  dass   auch   in    Oesterreich   den   Universitäten 
Lehr-  und  Lernfreiheit  zugestanden  ist. 

N.  Jahrb.  f.  Phil.  u.  Päd.  od.  Krit.  Bibl.   Dd.  LVHI.  Hft.  3.         20 


300 


Schul-  un«l  Uiuversitätsiiacliriclitcn, 


Volksi^pracheii  so  neben  einander,  dass  jedes  Kind  von  Klein  auf  beide 
erlernt,  so  ist  die  Sache  leicht;  aber  wo  dies  nicht  der  Fall  ist,  ergeben 
^ich  solche  Schwierigk eilen  —  ob  wohl  dadurch  der  leider',  nicht  abzu- 
läu'^nende  Hai^s  der  Nationen  versöhnt  oder  heftiger  erregt  werden  wirdV 
—  dass  die  Errichtung  zweier  Anstalten  fiir  die  beiden  Nationalitäten, 
wäre  sie  auch  noch  so  kostspielig,  zur  Pflicht  werden  möchte.  Indess 
Ref.  bescheidet  sich.  Die  derartigen  Verhältnisse  sind  ihm  zu  fremd,  als 
dass  er  sich  ein  sicheres  Urtheil  darüber  zutraute.  Mit  lebhafter  Freude 
begrüsste  er  dagegen  die  Bestimmung  der  §.  20,  nach  welcher  neben  der 
Landessprache,  die  ausser  der  Muttersprache  im  Kronlande  gangbar  ist, 
die  deutsche  Sprache  an  allen  Gymnasien  des  Reichs  gelehrt  werden  muss, 
obiileich  die  Theilnahme  der  Schüler  daran  nur  facultativ  ist,  eben  so 
sehr  aber  auch  über  die  Ansichten ,  durch  w  eiche  diese  Bestimmung  in 
den  Vorbemerkungen  S.  6  flgde.  gerechtfertigt  wird;  da  es  das  Interesse 
des  Reiches  sei,  dass  die  Gebildeten  aller  Theile  eine  Sprache  kennten, 
die  ihnen  das  Mittel  zum  unmittelbaren  Verkehre  werde,  die  deutsche 
dazu  sich  am  besten  eigene,  nicht  nur,  weil  bie  bereits  unter  jenen  die 
am  weitesten  verbreitete  sei,  sondern  auch,  weil  sie  zu  einer  durch  Reich- 
thum  und  \Verth  ausgezeichneten  Litteratur  führe.  Dadurch  scheint  ihm 
Üesterreich ,  seines  deutschen  Ursprungs  eingedenk,  ausgesprochen  zu 
haben ,  dass  es  vorzugsweise  deutsch  bleiben  und  um  seinen  deutschen 
Kern  die  vielen  fremden  Nationen,  welche  sein  Scepter  beherrscht,  zu- 
sammenrelhen  will.  INlöge  ihm  diese  Absicht  gelingen,  möge  es  sich 
durch  keine  Hindernisse  und  Widersprüche  davon  abbringen  lassen. 

Durch  §.  18  und  19  werden  folgende  Gegenstände  des  Unterrichts 
als  obligatorisch  eingeführt:  Religion,  Latein,  Griechisch,  die 
Muttersprache,  Geographie  und  Geschichte,  Mathema- 
tik, Naturgeschichte,  Physik,  philosophische  Propä- 
deutik, als  facultative  ausser  der  schon  erwähnten  neben  der  Mutter- 
sprache ira  Kronlande  gangbaren  Landessprache  und  der  deut- 
schen Sprache:  eine  oder  mehrere  lebende  Sprachen  (Reichs- 
sprachen, Englisch,  Französisch  u.  s.  w.),  Kalligraphie,  Zeich- 
nen, Gesang  und  Gymnastik.  Wenn  bestimmt  ist,  dass  im  Unter- 
gymnasium diejenigen  Schüler,  welche  nicht  in  das  Obergymnasium  über- 
gehen wollen,  durch  den  Landesschulrath  vom  Griechischen  dispensirt 
werden  können ,  so  führt  uns  dies  auf  unsere  schon  oben  aufgestellte  Be- 
merkung, dass  es  mit  den  beiden  anderen  Zwecken,  welchen  ausser  der 
Vorbereitung  für  das  Obergymnasium  das  Untergymnasium  dienen  soll, 
nicht  so  ernstlich  gemeint  sein  könne.  Denn  werden  jene  wirklich  als 
berechtigt  angesehen,  so  sieht  man  durchaus  keinen  Grund,  warum  die 
Entbindun«:  vom  Griechischen  erschwert  wird,  indem  sie  von  der  über 
das  Gymnasium  gesetzten  Behörde  abhängig  gemacht  ist.  Erinnern  wir 
uns  zumal  an  das,  was  wir  schon  oben  aus  den  Vorbemerkungen  anführ- 
ten, dass  kaum  ein  nichtstudirender  Knabe  zu  einem,  wenn  auch  nur 
dreijährigen  Studium  der  lateinischen  Sprache  verpflichtet  werden  könne, 
so  gewinnt  dieselbe  an  Bestimmtheit.  Was  die  für  facultativ  erklärten 
Unterrichtsgegenstände  betrilTt,  so  liegt  rücksichtlich  der  Sprachen  in  der 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  307 

Nothwendigkeit,  die  Landessprachen  zu  berücksichtigen ,  ein  so  durch- 
schlagender Grund,  dass  Niemand  ein  Wort  dagegen  (z.  ß.  über  die  noth- 
wendige  Herbeiziehung  der  französischen  und  englischen  Litteratur)  ver- 
lieren wird.  Die  Bestimmungen  der  §§.  33 — 36,  wonach  die  zweite 
lebende  Sprache,  wo  sie  als  ein  für  die  Schüler  ganz  neuer  Gegenstand 
eintritt,  erst  in  der  zweiten  Classe  des  Untergymnasiums,  und  nur  da, 
wo  der  Unterricht  in  Fortbildung  bereits  vorhandener  Sprachkenntnisse 
besteht,  in  der  ersten  beginnen  soll,  das  Ziel  des  Unterrichts  in  derselben 
für  das  Untergyranasium  Fähigkeit  des  Sprechens  und  Verstehens ,  für 
das  Obergymnasium  Richtigkeit  des  schriftlichen  und  mündlichen  Aus- 
drucks und  einige  Kenntniss  der  Litteratur  ist,  das  Minimum  der  wö- 
chentlichen Stundenzahl  auf  2  ,  das  der  Muttersprache  und  der  zweiten 
lebenden  Sprache  zusammen  zustehende  Maximum  auf  6  wöchentliche 
Stunden  festgesetzt,  der  Eintritt  einer  dritten  lebenden  Sprache  endlieh 
auf  die  erste  Classe  des  Obergymnasiums  verschoben  und  als  Ziel  gram- 
matisch richtiges  Verstehen  aufgestellt  wird ,  verdienen  sowohl  im  Ver- 
bältnisse zu  dem  Ganzen  des  Planes,  wie  in  pädagogischer  Hinsicht  nur 
allgemeine  Billigung.  In  Betreff  der  anderen  facultativen  Gegenstände 
müssen  wir  auf  §.  21  aufmerksam  machen,  woselbst  es  heisst:  ,, Nicht 
obligate  Gegenstände  sind  für  jetzt  — ,  weil  es  nicht  möglich  ist,  sie 
schon  jetzt  an  jedem  Gymnasium  lehren  zu  lassen  und  auch  für  sie  keines- 
wegs überall  das  gleiche  Bedürfniss  besteht,  jedoch  können  sie  künftig, 
wenn  es  sich  allmälig  als  zweckmässig  und  ausführbar  herausstellt,  für 
obligat  erklärt  werden",  und  rücksichtlich  der  Kalligraphie:  ,, Einem  jeden 
Schüler  kann ,  so  lange  er  im  Untergymnasium  ist,  zu  jeder  Zeit  vom 
Lehrkörper  auferlegt  werden,  durch  einen  bestimmten  Zeitraum  an  dem 
Unterrichte  im  Schönschreiben  Theil  zu  nehmen."  Auch  müssen  wir  mit 
Hrn.  Mützell  a.  a.  O.  S.  15  darauf  hinweisen,  dass  nach  dem  bisher  in 
Oesterreich  geltenden  Leclionsplane  die  Gymnasien  nur  18  wöchentliche 
obligate  Stunden  gehabt  haben  und  die  Furcht,  es  möchte,  da  ohnehin 
eine  Steigerung  der  Zahl  erforderlich  war,  eine  noch  grössere  Vermeh- 
rung das  Publicum  gegen  den  Entwurf  noch  mehr  einnehmen,  auch 
hier  (n.  S.  5)  Einfluss  geübt  hat,  obgleich  wir  mit  demselben  p.  22  auch 
den  Wunsch  theilen,  man  wäre  um  der  Sache  willen  dem  Vorurtheile 
kräftiger  entgegengetreten  und  hätte  demselben  mindestens  da  nichts  ein- 
geräumt, wo  unabweisbare  Bedürfnisse  nicht  ausreichend  befriedigt  wer- 
den können  *).  Es  verdient  ohnehin  Erwägung,  ob  nicht  die  spätere 
Erhebung  eines  vorher  nur  als  facultativ  betrachteten  Gegenstandes  zu 
einem  allgemein  verbindlichen  schwieriger  sei ,  als  das  umgekehrte  Ver- 
hältniss.  Was  die  Gegenstände  selbst  anbetrifft,  so  ist,  abgesehen  von 
anderen  Gründen,  der  Besitz  einer  lesbaren  und  sicheren  Handschrift 
ein  zu  wesentliches  —  übrigens  auch  von  den  Verfassern  des  Entwurfs 
anerkanntes  Bedürfniss,  als  dass  die  Nothwendigkeit  des  kalligraphischen 
Unterrichts  für  die  Jugend  auch  nur  einen  Augenblick  in  Zweifel  gestellt 
werden  könnte.      Ist  vorauszusetzen,  dass  die  Mehrzahl  der  Schüler  jene 


=*')  Wir  werden  darauf  bald  zurückkommen. 

20* 


308 


Schul-  und  Universitätsnachrichten, 


schon  In  das  Gymnasium  mitbringen,  so  wäre  es   falsch,  ihn  für   obligat 
zu  erklären;  sehen  wir  aber,  welche  Stellung  Arneth  demselben  in  seinem 
Lectionsplane  eingeräumt  hat,  so  scheint   uns  die  Erfahrung   wenigstens 
in  einem  Theile  des  Staates  dagegen  zu   sprechen.      Es   hätte   sich  übri- 
gens   eine   Möglichkeit   gefunden ,    ihm    ohne    grössere    Belästigung    für 
das  Ganze  mindestens  in  der  untersten  Classe  eine  Stelle  einzuräumen, 
wovon  zu  reden  beim  deutschen  Unterrichte  Gelegenheit  sich  bieten  wird. 
Das  Zeichnen,   obgleich   es  für  viele  Lehrfächer ,  Geographie,   Naturge- 
schichte ,  Mathematik,  wesentlichen  Vortheil  bietet ,  obgleich  es  den  Sinn 
und  die  Anschauung  für  Gegenstände  der  Natur  u.  der  Kunst  schärft,  ob- 
gleich es  das  wichtigste  Werkzeug  des  menschlichen  Körpers,  die  Hand, 
geschickter  macht  und  veredelt,  ist  nach  des  Ref.  Ansicht  überall  nur  fa- 
cuUativ   einzuführen,  weil   gezwungene    Betreibung   einer   Kunstübung  in 
vielen  Fällen  das  Gegentheil  von  dem,    was   beabsichtigt  wird,   bewirkt 
und  die  übiigen  durch   dasselbe   zu  erreichenden   Vortheile  auch   auf  an- 
dere Weise  erzielt  werden  können.      Der  Allgemeinheit  des  Gesangunter- 
richts setzt  schon   die   Natur   gewisse  Schranken.       Seine  bildende  und 
veredelnde  Kraft  macht  ihn  wünschenswerth  und  darum  muss  jede  Schule 
zu  ihm  Gelegenheit  bieten  ;  es  genügt  aber,  wenn  alle  Lehrer  es  sich  zur 
PHicht  machen,  den  Sinn  dafür  zu  wecken,  ja  es  wird  dadurch  mehr  er- 
reicht werden,  als  durch  Zwang.      Die  Gymnastik  dagegen  wünschte 
Ref.  überall  für  alle  Schüler,  bei  welchen  nicht  leibliche  Hindernisse  ent- 
gegenstehen, verbindlich,  weil  durch  sie  die  bei  dem  Studirenden  unserer 
Tageso  leicht  gefährdete   Gesundheit  des  Körpers,   die  Bedingung  des 
frischen  geistigen  Lebens,  wie  durch  nichts  Anderes,  befördert  wird,  weil 
sie  eine  Herrschaft  über  die  Glieder  und  Kräfte  des  Leibes  verleiht,  wie 
sie  keine  andere  Uebung  zu  geben  vermag,   weil   sie,  auf  rechte   Weise 
betrieben,  die  jugendlichen  Herzen  enger  an  einander  kettet  und  an  Ord- 
nung und  Pünktlichkeit  gewöhnt.      Gerade  je  öfter  sie  in   halsbrechende 
Kunststücke  ausartet,  je  häufiger  sich  mit  der  Turncrei  falsche  politische 
Absichten  verbinden,  um  so  grösser  wird   die  Verpflichtung    des  Staats, 
die  Sache  selbst  in  die  Hand  zu  nehmen.      Ref.  giebt  sich  dem  Vertrauen 
hin,  dass  dieser  Theil  des    Unterrichts  oder  vielmehr  der  Erziehung   in 
Oesterreich  bald  zu  einem  obligaten  erhoben  werden  wird. 

Ueber  die  allgemeinen  bei  der  Entwerfung  des  Lehrplanes  leiten- 
den Grundsätze  sprechen  sich  die  Vorbemerkungen  S.  7  also  aus:  „Die 
schwierigste  pädagogische  Forderung,  welche  man  an  den  Unterricht  stel- 
len kann,  aber  auch  stellen  muss ,  ist  ein  solches  Zusammenwirken  aller 
Theile  desselben  bei  der  Mannigfaltigkeit  der  Lehrgegenstände,  dass  er 
die  eine  Frucht  zur  Reife  bringt,  welche  das  letzte  Ziel  der  Jugendbii- 
dung  ist,  einen  gebildeten  edlen  Charakter.  Dies  Zusammenwirken  ist 
schwieriger  beim  öffentlichen  Unterrichte  mit  seinen  zahlreich  besuchten 
Classen  und  seiner  Vielheit  der  Lehrer,  als  beim  häuslichen.  Zur  Er- 
leichterung substituirt  man  gern  dem  idealen  Mittelpunkte  einen  physi- 
schen, indem  man  einem  gewissen  Lehrgegenstande,  dem  man  eine  be- 
sondere bildende  Kraft  zutraut,  durch  Menge  des  Lehrstoffes  und  der  ihm 
gewidmeten  Stunden  ein   entschiedenes  Uebergewicht  über  alle  anderen 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  309 

verschafft  und  diese  fast  nur  nebenher  und  zu  seiner  Unterstützung  be- 
handelt. Als  den  Gegenstand,  in  welchem  an  Gymnasien  gJeichsam  der 
Schwerpunkt  des  ganzen  Unterrichts  zu  ruhen  habe,  hat  man  bekannt- 
lich die  classischen  Sprachen  angesehen;  die  Durchführung  jenes  Gedan- 
kens wurde  aber  alierwärts  immer  schwieriger ,  je  mehr  Raum  und  selbst- 
ständige Geltung  die  sogenannten  Realien  forderten  und  sich  zu  erobern 
verstanden,  und  sie  ist  gegenwärtig  unmöglich.  Mathematik  und 
Naturwissenschaften  lassen  sich  nicht  ignoriren;  sie  gestatten  auch  nicht, 
dass  man  die  Kraft  ihres  Lebens  zum  leeren  Schatten  irgend  einer  andern 
von  ihnen  wesentlich  verschiedenen  Disciplin  mache.  Der  vorliegende 
Lehrplan  verschmäht  in  dieser  Beziehung  jeden  falschen  Schein.  Sein 
Schwerpunkt  liegt  nicht  in  der  classischen  Litteratur,  noch  in  dieser  zu- 
sammen mit  der  vaterländischen,  obwohl  diesen  ungefähr  die  Hälfte  der 
gesammten  Unterrichtszeit  zugetheilt  ist,  sondern  in  der  wechselseitigen 
Beziehung  aller  Unterrichtsgegenstände  auf  einander.  Dieser  nach  allen 
Seiten  nachzugehen  und  dabei  die  humanistischen  Elemente ,  welche  auch 
in  den  Naturwissenschaften  in  reicher  Fülle  vorhanden  sind,  überall  mit 
Sorgfalt  zu  benutzen,  scheint  gegenwärtig  die  Aufgabe  zu  sein.  Wenn 
sich  hierdurch  die  Schwierigkeiten  gesteigert  haben,  so  giebt  es  keine 
andere  Beruhigung,  als  welche  in  dem  Gedanken  Hegt,  dass  sie  nicht 
willkürlich  erzeugt,  sondern  durch  wohlbegründete  Bedürfnisse  der  Zeit 
aufgenöthigt  und  dass  sie  nicht  unüberwindlich  sind."  Man  wird  in  die- 
sen Worten  die  klare  Erkenntniss  des  von  der  Zeit  und  Wissenschaft  ge- 
forderten Princ'ps  und  die  energische  Festhaltung  desselben  mit  Freuden 
anerkennen,  man  kann  es  nur  billigen,  dass  jedem  Lehrgegenstande  seine 
selbstständige  Berechtigung  zuerkannt,  dass  sämmtliche  in  Beziehung  auf 
den  gleichen  Zweck  der  Erziehung  gesetzt,  dass  die  sittliche  Charakter- 
bildung als  das  Endziel  derselben  anerkannt  wird;  allein  die  Darstellung 
giebt  doch  zu  einer  Gegenbemerkung  Anlass.  Wenn  nämlich  die  hohe 
Bedeutung  der  classischen  Litteratur  dadurch  anerkannt  ist ,  dass  man  ihr 
in  Verbindung  mit  der  vaterländischen  allein  die  Hälfte  der  Unterrichts- 
stunden eingeräumt,  so  scheint  es,  als  hätte  man  auch  klar  und  deutlich 
hier  aussprechen  sollen,  warum  dem  so  sein  müsse.  Ist  die  ideale  Bil- 
dung *)  der  Hauptzweck  des  Gymnasiums  —  dies  haben  die  Verfasser 
des  Entwurfs  dadurch  anerkannt ,  dass  sie  überall  die  sorgfältige  Be- 
nutzung der  humanistischen  Elemente  fordern  — ,  ist  man  sich  dessen  klar 
bewusst,  dass  zu  diesem  das  Studium  der  Sprachen  und  Litteraturen  das 
wirksamste  Mittel  ist  —  und  wer  wollte  bestreiten ,  dass  diejenigen, 
welche  dereinst  vorzugsweise  in  den  Gebieten  des  Geisteslebens  zu  wir- 
ken berufen  sind,  vor  allem  Andern  dasjenige  kennen  lernen  müssen,  wo- 
rin sich  der  Geist  der  Menschheit  in  seinem  edelsten  Wesen  manifestirt 
hat,  dass  sie  selbst  den  Gang  durchmachen  müssen,  durch  welchen  das 
Geistesleben  geworden  ist,  was  es  ist?  —  so  kann  man  ein  Ueberwiegen 
dieser  Bildungselemente  vor  den  übrigen  zugestehen  ,  ohne  einen  falschen 


*)  Wir  verweisen  auf  Bäumlein's    treffliche  Schrift:   Die  Bedeutung 
der  classischen  Studien  für  eine  ideale  Bildung.    Heilbronn,  1849.    8. 


310 


Schul-  und  Unlvers'itätsnachrichten, 


Schein  zu  erwecken.  Oder  werden  etwa  diese  herabgewürdigt,  wenn 
sie  jenen  nicht  untergeordnet,  aber  nebengeordnet  werden,  hören  sie  auf 
wesentliclie  Bestandtheile  zu  bleiben  ,  wenn  man  jene  für  die  Hauptbe- 
standtheile  erklärt?  Wenn  man  auf  der  einen  Seite  mit  der  grössten 
Entschiedenheit  aussprechen  muss,  dass  die  alten  Sprachen  auf  den  Gym- 
nasien nicht  um  Ihrer  selbst,  sondern  um  der  durch  sie  zu  erreichenden 
Bildung  willen  gelehrt  werden,  wenn  also  die  einseitige Ueberschätzung  be- 
kämpft und  die  Ausschliesslichkeit  zurückgewiesen,  wenn  anerkannt  wer- 
den muss,  dass  ohne  die  übrigen  Lehrfächer  die  allgemeine  J3ildung  des 
Geistes,  wie  sie  von  Zeit  und  Wissenschaft  gefordert  wird,  nicht  zu  er- 
reichen ist,  so  ist  wiederum  auch  denen  gegenüber,  welche  das  Studium 
des  Alterthums  für  überflüssig  erklären,  seine  Bedeutung  und  seine  Be- 
rechtigung aufrecht  zu  erhalten.  Ref.  fürchtet,  dass  die  oben  angeführ- 
ten W^orte  in  dieser  Hinsicht  zu  IMissdeutungen  Anlass  geben  können. 

Wir  theilen  zuerst  eine  Uebersicht  der  für  die  Obligatlehrgegen- 
stände aufgestellten  wöchentlichen  Stundenzahlen  mit,  wobei  wir  be- 
merken    dass  die  Classen ,  wie  in  Bayern,  von  unten  auf  gezählt  werden. 


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2 

6 

4 

3 

3 

— 

2 

20 

ITI. 

2 

5 

5 

3 

3 

3 

— 

3 

24 

IV. 

2 

6 

4 

3 

3 

3 



3 

24 

V. 

2 

6 

4 

2 

4 

4 

2 

24 

VI. 

2 

6 

4 

3 

3 

3 

3 

24 

VII. 

2 

5 

0 

3 

3 

3 

3 

24 

VIII. 

2 

5 

6 

3 

3 

2 

3 

24 

Da  sich  ein  Lehrplan  in  kurzgefassten  Paragraphen  nicht  vollständig 
darlegen  lässt,  so  ist  es  besonders  dankenswerth,  dass  derselbe  für  die 
einzelnen  Fächer  in  den  Anhängen  ausführlich  erläutert  ist.  Dem  Ver- 
nehmen nach  hat  an  der  Abfassung,  namentlich  des  für  die  alten  Sprachen, 
der  Prof.  der  Philologie  an  der  Universität  zu  Wien,  Dr.  Herrn,  Bonitz, 
als  scharfer  Denker  und  tiefer  Kenner  der  griechischen  Philosophie  rühm- 
lichst bekannt,  den  hauptsächlichsten  Antheil.  Es  zeugen  diese  Instruc- 
tionen wie  von  tüchtiger  pädagogischer  Fähigkeit  und  Erfahrung,  so  von 
umsichtiger  Benutzung  der  neueren  Leistungen  auf  den  einzelnen  Gebie- 
ten und  sind  um  so  mehr  der  allgemeinen  Beachtung  zu  empfehlen,  als  sie 
manches  Eigenthümliche  enthalten.  Für  den  Religionsunterricht  ist  die 
Aufstellung  eines  Lehrplanes  für  die  Zukunft  noch  vorbehalten. 

Ueber  die  alten  Sprachen  äussern  sich  die  Vorbemerkungen  8.5: 
,,Als  Hauptzweck  der  Erlernung  der  alten  Sprachen  ist,  obwohl  die  durch 
grammatische  Studien  zu  erwerbende  formelle  Bildung  nicht  ausser  Rech- 
nung bleibt,  doch  die  Lesung  der   alten   Schriftsteller  angenommen,  der 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  311 

unerschöpften  Quelle   wahrhaft  humaner  Bildung.      Das  Gymnasium  soll 
diese  Lesung  nicht  blos  möglich  machen,  sondern  in  reichem  Maasse  und 
guter  Auswahl  wirklich  vornehmen."      Mit  der  Sache  ist  Ref.   ganz  ein- 
verstanden; er  hätte  aber  über  das  Maass  und  die  Auswahl  eine   festere 
Bestimmung  gewünscht.       Eine  solche  bietet  sich  leicht  dar.    Der  Unter- 
richt kann  nicht  eher  für  abgeschlossen  gelten,  als  bis    die  Schüler   eine 
lebendige  und  allseitige  Anschauung  des  Lebens  der  alten   Völker  in  sei- 
nen   bedeutsamsten    und    hervorstechendsten  Momenten    und    Richtungen 
gewonnen  haben.       Rücksichtlich    der    Stundenzahl    finden    wir   folgende 
Erklärung  ebendaselbst:  ,,Der  griechischen  Sprache  musste  desshalb  eine 
grössere  Stundenzahl,   als   bisher   üblich  gewesen,  zugewendet  werden. 
Die  rechte  Oekonomie  besteht  in  diesem  Falle   darin,  so  viele  Zeit  dem 
Gegenstande  zu  widmen,  als  nöthig,  um  P^rüchte  der  gehabten   Mühe  zu 
erndten,  oder  ihn  ganz  aufzugeben.      Uebrigens  ist  die   für  beide  classi- 
sche  Sprachen  bestimmte  Stundenzahl  kleiner,  als  es  vielleicht  von  vielen 
competenten  Beurtheilern  der  Gymnasialeinrichtung  gewünscht  wird;   die 
Erfahrung  wird  entscheiden,  ob   eine  Vermehrung  derselben  nothwendig 
ist.      Der  Plan  baut  auf  die   Wirkungen  einer  verbesserten  Unterrichts- 
methode, er  nimmt  Rücksicht  auf  den  Widerwillen,  den   eine   weit  über 
die  gewohnte  Zahl  hinausgehende  Menge  wöchentlicher  Unterrichtsstun- 
den finden  würde,  so  wie  auf  die  den  österreichischen   Gymnasien  eigen- 
thümliche  Aufgabe,  eine  Mehrheit  im   Reiche  gangbarer  und   häufig  den 
Schülern  nothwendiger  Landessprachen  zu  lehren."      Obgleich  Ref.  die 
Verpflichtung    vollkommen    anerkennt,    den    einzelnen  Unterrichtsgegen- 
ständen bei  ihrer  so  grossen  Menge  ein   möglichst  geringes  Maass  von 
Stunden  zuzutheilen  ,  obgleich  er  eine  Verringerung  der  bisher   oder  doch 
früher  den  alten  Sprachen  zugewiesenen   Lehrstunden   nicht   allein   ohne 
Nachtheil  für  dieselben  für  möglich,  sondern  in  Rücksicht  auf  die  in  den 
Realien  zu  stellenden  Forderungen  sogar  für  nothwendig  hält,  wobei  er^ 
jedoch  die   der  griechischen   Sprache   vielmehr   vergrössert  wünscht,  so 
gesteht  er  doch,  dass  er  nicht  ohne  Bedenken  den  Entwurf  betrachten 
kann.      Wohl  ist  anzuerkennen,  dass  eine  gute   Unterrichtsmethode  eines 
geringeren  Zeitmaasses  bedarf,  aber  sie  kann  unmöglich  den  Mangel  daran 
ersetzen.      Sie  darf  sich  ja  der  allseitigen  Beleuchtung  und  Veranschau- 
lichung des  gegebenen  Stoffes,  der  Wiederholung  zur  Befestigung,  der 
Ueberführung   von    dem  Bekannten  zum    Unbekannten    und  Neuen  nicht; 
entschlagen.      Auch  ist  die  Methode,   welche  die  kürzeste  Zeit  braucht, 
nicht  die   pädagogisch  beste.       Wie  jede  Pflanze  bei  der  sorgfältigsten 
Pflege    und    der  Darbietung    aller  ihr  Wachsthum  befördernden  Bedin- 
gungen dennoch  zu  ihrer  gesunden   vollen    Entwickelung    eine  bestimmte 
Zeit   braucht,    zu    schnell    und    gleichsam    ruckweise    getriebene   nie  die 
Kraft  und  die  Dauer  der  natürlich  entwickelten  erreichen ,   so  ist  noch  in 
viel  höherem  Grade  für  die   Entwickelung  des  jugendlichen  Geistes   ein 
richtiges  Zeitmaass  erforderlich.    Wohl  fasst  er  auf,  wenn  er  auch  schnell 
von  dem  Einen  zum  Andern  fortgeführt  wird ,   aber   er   empfindet  später 
den  Nachtheil  davon.      Zum  richtigen   Erfassen,  zum   sicheren  Behalten, 
zum  Ordnen  und  Gestalten  bedarf   er  einer  gewissen  Ruhe  —  man  be- 


312  Schul-  und  Universitätsnachrichten, 

zeichnet  dies  häufig  ganz  passend  durch:  Verdauung  — ,  eines  längeren 
Vervveilcns  bei  dem  Kinzelnen.  Ganz  besonders  ist  dies  für  die  Spra- 
chen erforderlich  ,  weil  es  hier  der  Auffassung  des  Inhaltes  durch  die 
Erkenntr.iss  der  Form ,  also  dem  Bewusstwerdcn  des  Einen  durch  das 
Andere  gilt,  weil  nirgends  eine  so  grosse  Mannigfaltigkeit  einzelner  unter 
ein  Gemeinsames  zu  subsundrender  Fälle  sich  fnidet.  Ist  demnach  aus 
theoretischen  Gründen  eine  das  bisher  von  der  Erfahrung  festgehaltene 
IMaass  so  bedeutend  verringernde  Verkürzung  der  Zeit  bedenklich ,  so 
treten  auch  noch  praktische  Rücksichten  hinzu.  Jeder  erfahrene  Lehrer 
wird  wissen ,  wie  oft  ihn  die  sorgfältigste  Vorherberechnung  über  die 
Verwendung  der  Zeit  getäuscht  hat,  wie  oft  ihm  die  Individualitätseiner 
Schüler  gegen  alle  Erwartung  ein  längeres  Verweilen  und  Stillstehen,  ein 
öfteres  und  umfänglicheres  Wiederholen  ,  eine  gründlichere  Besprechung 
gebot,  als  er  beabsichtigt  hatte.  Welche  Verlegenheit  entsteht  für  ihn, 
wenn  ihm  dann  nicht  Zeit  genug  für  das  Uebrige  bleibt?  Wohl  mag 
man  namentlich  in  der  späteren  Zeit  dem  Privatfleiss  Etwas  überlassen, 
ja  derselbe  ist  noch  viel  mehr  in  Anspruch  zu  nehmen,  als  es  gegenwärtig 
an  vielen  Schulen  geschieht;  jedoch  um  ihn  zu  controliren  und  ihn  für 
den  Schüler  recht  fruchtbar  zu  machen,  wird  immer  ein  nicht  unbedeu- 
tender Theil  der  Lectionen  in  Anspruch  genommen,  abgesehen  davon, 
dass  der  öffentliche  Unterricht,  die  Anleitung  dazu,  desshalb  nicht  ver- 
kürzt werden  darf.  Der  Entwurf  stellt  nun  zwar  eine  Vermehrung,  wenn 
die  Erfahrung  dafür  sprechen  werde,  in  Aussicht,  allein  es  wird  dadurch 
die  Gefahr  nicht  beseitigt,  dass  eine  Zeit  lang  die  gewünschte  Leistung 
nicht  erzielt  werde,  und  eine  Verringerung  der  einem  Gegenstande  ge- 
widmeten Stundenzahl  bringt  immer  in  dem  Lehrgange  eine  geringere 
Störung  hervor,  als  eine  Steigerung  derselben.  Dem  Vorurtheile  hätte 
die  Regierung  kräftiger  entgegentreten  sollen.  Der  Widerwille  wird 
schwinden ,  wenn  der  Nutzen  eingesehen  wird.  Uebrigens  hat  auch 
Arneth  sich  nicht  gescheut,  eine  grössere  Stundenzahl  in  Vorschlag  zu 
bringen.  In  wie  fern  die  Bedenken  des  Ref.  begründet  sind,  wird  sich 
bei  der  Besprechung  der  einzelnen  zeigen. 

Von  dem  lateinischen  Unterricht  handeln  die  §§.  23 — 26  und  der 
Anhang  S.  101 — 116.  Wir  heben  daraus  Folgendes  hervor.  Ziel 
d  e  s  U  ntergy  mnasiums  ist  (§.  23):  Grammatische  Kenntniss  der  la- 
teinischen Sprache,  Fertigkeit  und  Uebung  im  Uebersetzen  eines  leichten 
lateinischen  Schriftstellers  (Cornelius  Nepos  und  Cäsar).  Der  Weg  dazu 
ist  nach  §.  24  folgender:  1.  Cl.  8  St.  Formenlehre  der  wichtigsten  regel- 
mässigen Flexionen  und  die  einfachsten  syntaktischen  Formen,  eingeübt 
in  beiderseitigen  Uebersetzungen  aus  der  Chrestomathie;  Memorlren, 
später  häusliches  Aufschreiben  von  Uebersetzungen.  II.  Cl.  6  St.  For- 
menlehre der  selteneren  und  unregelmässigen  F'lexionen,  und  die  schwie- 
rigeren syntaktischen  F'ormen,  unter  anderen  des  accusatlvus  cum  infinitivo 
und  der  ablativi  absoluti,  eingeübt  wie  in  Cl.  I.,  Memoriren,  später  auch 
häusliches  Prapariren ,  alle  14  Tage  ein  Pensum.  ITI.  Cl.  5  St.  2  St. 
Grammatik,  Casuslehre;  3  St.  Cornelius  Nepos;  im  1.  Sem.  alle  Wochen, 
im  2.  alle  14  Tage  ein    Pensum;   Präparation.      IV.  Cl.  6  St.    3—2  St. 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  313 

Grammatik:  Modus-  und  Tempuslehre;  3 — 4  St.  Cäsar's  bellum  Galli- 
cum;  alle  Wochen  ein  Pensum;  Präparation.  Gegen  den  Schluss  sollen 
2  Stunden  der  Leetüre  zur  Bekanntschaft  mit  Hexametern  und  Distichen 
verwandt  werden.  Empfohlen  werden  für  den  Schüler  die  Uebungs- 
bücher  von  Ellendt  und  Dünnebier  und  0.  Scliulz  Tirocinium,  die  Ueber- 
setzungsbücher  von  J.  v.  Gruber  und  Siipße,  die  Schnlgrammatiken  von 
Kühner  und  Putsche,  für  die  Lehrer  die  Grammatiken  von  Ferd.  Schulz, 
IVehsenborn  und  Zumpt.  Ziel  des  Obergymnasiums  ist  (§.  25): 
Kenntniss  der  lateinischen  Litteratur  in  ihren  bedeutendsten  Erscheinun- 
gen und  in  ihr  des  römischen  Staatslebens,  Erwerbung  des  Sinnes 
für  stilistische  Form  der  lateinischen  Sprache  und  dadurch  mittelbar  für 
Schönheit  der  Rede  überhaupt.  §.  26  vertheilt  den  Stoff  also:  V.  Cl. 
6.  St.  5  St.  Livius.  Ovid.  Metamorph.  1  St.  grammatisch  -  stilistische 
Uebungen.  Präparation.  Alle  14  Tage  ein  Pensum.  VI.  Cl.  6  St. 
5  St.  Salust.  Cic.  in  Cat.  T.  Caes.  bell,  civ.,  einige  die  Zeitverhältnisse 
charakterisirende  Briefe  Cicero's.  Virgil.  Eclog.  und  Bncol.  Auswahl 
und  der  Anfang  der  Aeneis.  1  St.  grammatisch  -  stilistische  Uebungen. 
Präparation.  Alle  14  Tage  ein  Pensum.  VIT.  Cl.  5  St.  4  St.  Cicero*s 
rhetorisch  ausgezeichnetste  und  politisch  bedeutendste  Reden.  Virgil's 
Aeneis.  1  St.  grammatisch  -  stilistische  Uebungen.  Präpaiation.  Alle 
14  Tage  ein  Pensum.  VIII.  Cl.  5  St.  4  St.  Tacitus  Agricola  oder  Ger- 
mania und  in  sich  möglichst  abgeschlossene  Gruppen  aus  einem  oder  den 
beiden  anderen  Geschichtswerken  desselben.  Horatius  Oden  und  Aus- 
wahl aus  den  Epoden,  Episteln  und  Satiren.  1  St.  grammatisch-stilisti- 
sche Uebungen.  Präparation.  Alle  14  Tage  ein  Pensum;  statt  dessen 
zuweilen  ein  lateinischer  Aufsatz  in  Beziehung  auf  die  Leetüre.  Em- 
pfohlen werden  Sevfferi  Palaestra  Ciceroniana  und  Nägelsbach*s  lateini- 
sche Stilübungen,  dessen  Stilistik  für  die  Lehrer,  aber  nur  zum  Gebrauch, 
nicht  um  darnach  vorzutragen.  In  den  untersten  Classen  sollen  Gram- 
matik und  Leetüre  so  wenig  als  möglich  getrennt  sein,  damit  die  Formen 
und  Regeln  sogleich  in  ihrer  Anwendung  angeschaut  werden.  Erst  in 
der  dritten  und  vierten  Classe  sollen  eigene  grammatische  Stunden  ein- 
treten,  in  denen  das  Bilden  selbstständiger,  aber  einen  aus  der  Ge- 
schichte oder  der  Leetüre  entlehnten  Gedankeninhalt  enthaltender  Sätze 
durch  den  Schüler  empfohlen  wird.  Bei  der  Leetüre  wird  vor  einer  zu 
weit  gehenden  Erklärung  gewarnt,  sie  soll  sich  auf  das  Bedürfniss  zum 
Verständnisse  beschränken  und  ihr  Ergebniss  eine  freie  und  geschmack- 
volle Uebersetznng  sein. 

Die  auf  die  Feststellung  des  Zieles  im  Obergymnasium  einwirken- 
den Motive  dürfen  wir  wohl  in  den  S.  102  angegebenen  Punkten,  wess- 
halb  die  lateinische  Sprache  für  die  höhere  Jugendbildung  einen  dauern- 
den Werth  habe,  erkennen.  Es  wird  aufgestellt:  ,,1)  ist  für  alle  auf 
wissenschaftlicher  Bildung  ruhenden  Beruf^wege  die  Kenntniss  der  latei- 
nischen Sprache  insofern  erforderlich,  als  durch  sie  entweder  die  leichtere 
Aneignung  (Medicin) ,  oder  die  gründliche  Betreibung  der  speciellen  Be- 
rufswissenschaft (Theologie ,  Jurisprudenz)  ermöglicht  wird.  2)  ist  die 
Erlernung  der  lateinischen  Sprache,  durch  die  strenge  Gesetzmässigkeit 


314  Schul-  und  Uiuversitätsnachrichten, 

einerseits,  wie  durch  die  merl<Iiche  Entfernung  von  moderner  Denk-  und 
Sprechweise  andererseits,  vorzüglich  geeignet,  das  Sprachbewusstsein  zu 
entwickeln,  die  selbst,  abgesehen  von  der  darin  liegenden  Erleichterung 
beim  Erlernen  der  meisten  neueren  Sprachen,  als  ein  wesentliches  Bil- 
diingselement  wird  anerkannt  werden.  Endlich  3)  ist  die  Lectüre  der 
besten  Clas^iker  der  lateinischen  Sprache  fähig,  den  Jüngling  in  das 
Leben  eines  Volkes  und  eines  Staates  zu  versetzen,  der  durch  einfachere 
Verhältnisse  ihm  verständlicher,  durch  seine  Grossartigkeit  erhebend  ist, 
und  sie  kann  hierdurch,  bei  der  innigen  Vereinigimg  des  Gedankeninhal- 
tes mit  der  Kunstfcrm,  einen  tieferen  ,  selbst  sittlich  bildenden  Einfluss 
gewinnen ,  den  in  solchem  Maasse  die  blosse  Erzäiiiung  oder  Ueber- 
setzung  zu  erreichen  nicht  vermag."  Ref.  ist  mit  Hrn.  Mützell  (a.  a.  O. 
S.  23  f.)  einverstanden,  dass  der  Wcrth  des  lateinischen  Sprachstudiums 
hier  nicht  genug  bezeichnet  sei.  Er  vermisst  die  Bedeutung,  welche  das 
römische  Volk  für  die  gesammte  Bildung  des  Mittelalters  und  der  neueren 
Zeit  gehabt  hat.  Durch  dasselbe  sind  die  Elemente  und  Grundlagen  gege- 
ben worden  ,  auf  und  aus  welchen  sich  durch  das  hinzutretende  Christen- 
thum  unser  gegenwärtiges  Leben  entwickelt  hat.  Diese  Grundlagen 
muss  jeder  kennen,  welcher  auf  höhere  Bildung  Anspruch  machen  will, 
weil  ohne  ihre  Kenntniss  ein  tieferes  Verständniss  der  Gegenwart  unmög- 
lich ist.  Jene  Grundlagen  aber  hat  das  römische  Volk  nicht  allein  durch 
seine  Schöpfungen  im  Staate  und  seine  weltumstürzenden  Thaten  gege- 
ben ,  sondern  durch  seinen  ganzen  Charakter,  seine  Kenntnisse,  seine 
Denk-  und  Anschauungsweise.  Weil  diese  aber  nur  dann  vollständig  u. 
lebendig  erkannt  werden  können,  wenn  man  sich  in  die  Erzeugnisse  sei- 
ner Litteratur  selbst  hineingearbeitet,  wenn  man  die  durch  nichts  ganz 
wiederzugebende  Eigenthümlichkeit  seines  Wesens  selbst  angeschaut  hat, 
so  muss  die  lateinische  Sprache  selbst  erlernt  werden.  Betrachten  wir 
darnach  die  Be.>^timmung  des  Zieles  in  materieller  Hinsicht,  so  können  wir 
damit  einverstanden  sein,  wenn  wir  in  den  Worten  ,,uiid  in  ihr  des  rö- 
mischen Staatslebens"  nur  das  Wichtigste  hervorgehoben  sehen  —  denn 
allerdings  ist  der  Staat  bei  den  Römern  der  Alles  beherrschende  und  be- 
dingende Mittelpunkt  — ,  müssen  sie  aber  zu  eng  finden,  wenn  wir  damit 
Anderes  ausgeschlossen  denken.  Die  Wahl  der  Schriftsteller  scheint 
allerdings  das  Letztere  zu  bestätigen;  doch  davon  unten.  In  formeller 
Hinsicht  scheinen  dem  Ref.  die  Worte:  ,, Erwerbung  des  Sinnes  für  sti- 
listische Form  der  lateinischen  Sprache  und  dadurch  mittelbar  für  Schön- 
heit der  Rede"  zu  wenig  Positives  und  Messbares  zu  enthalten.  Der 
Sinn  muss  geweckt  und  aufgeschlossen  sein ,  aber  man  muss  in  einer  Thä- 
tigkeit  ihn  finden.  Verlangen  wir  von  dem  das  Gymnasium  Verlassenden, 
dass  er  im  Stande  sei  selbst  schwerere  lateinische  Schriftstellen  nicht 
allein  richtig,  sondern  auch  möglich  getreu,  aber  in  gutem  Deutsch  zu 
übersetzen*),  also  die  Fertigkeit  in  dem,   was   der   Entwurf  als   Ergeb- 


*)  Wir  meinen  natürlich  damit  nicht,  dass  der  Abiturient  jede  be- 
liebige ihm  vorgelegte  Stelle  sofort  geläufig  übersetzen  könne,  aber  es 
muss  ihm  das  oben  Verlangte  ohne  vorausgegangene  Erklärung  mög- 
lich sein. 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  315 

niss  der  Erklärung  fordert,  „einer  freien  und  geschmackvollen  Ueber- 
setzung",  so  ist  ein  solcher  Maassstab  gegeben,  >\eil  dazu  nicht  nur  voll- 
ständiges grammatisches  Verständniss  der  Sprache,  sondern  auch  richtige 
Auffassung  und  Würdigung  der  stilistischen  Form  gehört. 

Wenn  nach  den  allgemeinen  Bestimmungen  das  Untergymnasium 
nicht  allein  für  das  Obergymnasium ,  sondern  auch  für  die  Oberrealschule 
■vorbereiten  und  ein  in  sich  abgeschlossenes  Bildungs- Ganzes  gewähren 
soll,  das  Lateinische  aber  für  Alle  obligat  ist,  so  musste  das  in  demsel- 
ben zu  erreichende  Ziel  dahin  bestimmt  werden,  dass  die  für  das  Studium 
jeder  anderen  Sprache,  namentlich  der  Muttersprache,  erforderliche  all- 
gemeine logisch-grammatische  Bildung  erreicht  werde,  also  ein  vollstän- 
diger grammatischer  Cursus  beendet  werden.  Ist  nun  die  Erreichung 
dieses  Zieles  bei  der  dem  Unterrichte  zugemessenen  Zeit  möglich?  Ref. 
glaubt  diese  Frage  bejahen  zu  können  in  Bezug  auf  diejenigen,  welche 
aus  dem  Untergyranasium  in  eine  andere  Laufbahn  treten.  Sie  werden 
eine  hinreichende  Vocabelkenntniss  besitzen,  um  sich  bei  Erlernung  einer 
romanischen  Sprache  erleichtert  zu  fühlen,  und  da  bei  ihnen  es  nicht  so- 
wohl auf  das  Festhalten  des  Gelernten,  als  darauf  ankommt,  dass  das 
Sprachbcwusstsein  geübt  worden  sei ,  so  ist  auch  dieser  Zweck  gewiss 
erreichbar.  Anders  aber  stellt  sich  das  Verhältniss  in  Bezug  auf  die- 
jenigen ,  welche  in  das  Obergymnasium  übergehen.  Sollen  sie  schwe- 
rere Schriftsteller  mit  Nutzen  lesen,  so  muss  eine  grössere  Sicherheit  und 
eine  umfänglichere  Kenntniss  der  Grammatik  vorausgesetzt  werden  ,  ja 
selbst  die  Fertigkeit  im  Uebersetzen  wird  kaum  als  hinlänglich  geübt  er- 
scheinen. Man  wird  einwenden  ,  dass  ja  für  diese  die  Fortsetzung  des 
Unterrichts  die  Gelegenheit  zur  Auffrischung,  Befestigung,  Ergänzung 
und  Erweiterung  biete.  Allein  einmal  werden  wir  die  im  Obergymna- 
sium dem  Latein  zugewiesene  Zeit  selbst  sehr  gering  finden,  sodann  aber 
lehrt  ja  die  Erfahrung,  dass  die  Sicherheit  in  den  Elementen,  einmal 
versäumt,  später  nur  durch  den  energischsten  Willen  nachgeholt  werden 
kann.  Diejenige  Sicherheit,  welche  ein  fast  unbewusstes  stetes  Gegen- 
wärtighaben des  Erlernten  und  der  richtige  Tact  in  Anwendung  der 
Regel  und  Unterordnung  der  einzelnen  Fälle  unter  dieselbe  ist,  kann  in 
den  unteren  Classen  nicht  durch  Privatfleiss  neben  dem  Unterrichte,  son- 
dern nur  durch  mannigfaltige  und  allseitige  Uebungen  und  durch  häufige 
aber  mehrere  Jahre  fortgesetzte  Repetitionen  unter  Leitung  des  Lehrers 
erworben  werden,  und  darum  darf  gerade  ihnen  am  wenigsten  die  Zeit 
karg  zugemessen  werden.  Für  die  erste  Classe  werden  8  Stunden  voll- 
kommen ausreichend  gefunden  werden,  am  wenigsten  aber  wird  die  Zeit 
für  Cl.  IV.,  da  in  ihr  die  Metrik  hinzutritt,  ausreichend  erscheinen. 
Musste  die  wöchentliche  Stundenzahl  festgehalten  werden ,  so  konnte 
allerdings  die  Zahl  der  lateinischen  Stunden  nicht  vermehrt  werden  (wir 
erinnern,  dass  in  Cl.  II.  die  zweite  lebende  Sprache,  wenn  auch  nur  fa- 
cultativ,  in  Cl.  IIL  das  Griechische  hinzutritt).  Wenn  daher  diesem 
Uebelstande  abgeholfen  werden  soll ,  so  bleibt  nichts  übrig  als  der  Vor- 
schlag Hrn.  xMützeirs  (a.  a.  O.  S.  27),  die  Zahl  der  Jahrescurse  um  einen 
zu  vermehren.     Im  Uebrigen  billigt  Ref.  es  vollkommen,  dass  nur  in  den 


316  Schul-  und  Universitätsnachrichten, 

beiden  untersten  Classen  Grammatik  und  Lectüre,  so  weit  es  möj;Hch, 
verschmolzen  sind,  dagegen  in  Cl.  III.  dem  grammatischen  Unterrichte 
getrennte  Stunden  zugewiesen  werden,  in  Anerkennung  des  Grundsatzes, 
dass  auch  schon  auf  dieser  Stufe  Kenntniss  des  Inhaltes  Zweck  der  Lec- 
türe sei.  Eben  so  ist  die  Forderung,  dass  bei  dem  Bilden  von  Sätzen 
durch  den  Schüler  auf  einen  reellen  Gedankeninhalt  zu  sehen  sei  ,  durch- 
aus lobenswerth ,  indess  hält  Ref.  diese  Operation  für  den  lateinischen 
Sprachunterricht  für  nicht  ganz  angemessen,  weil  der  Schüler  noch  nicht 
diejenige  Kenntniss  des  Ausdruckes  besitzt,  um  sich  frei  zu  bewegen, 
demnach  entweder  Gedanken,  zu  denen  ein  Wort  ihm  fehlt,  fallen  lassen, 
oder  zu  ganz  unlateinischen  Wendungen  greifen  wird ,  deren  Verbesse- 
rung dem  Lehrer  Mühe  ohne  Frucht  verursacht,  deren  Nichtbeachtung 
aber  dem  Schüler  eine  später  nur  sehr  schwer  zu  beseitigende  falsche 
Gewohnheit  anbildet.  Das  Zweckmässigste  ist,  wenn  der  Schüler  deut- 
sche Sätze  bildet,  auf  welche  die  Regel  anwendbar,  und  sie  dann  mit 
Hülfe  des  Lehrers  überträgt,  oder  wenn  der  Lehrer  eine  gehörige  Zahl 
solcher  selbst  in  Bereitschaft  hat,  um  die  Schüler  daran  zu  üben.  Ferner 
ist  für  den  Ref.  erfreulich  gewesen,  dass  der  Entwurf  entgegen  den  An- 
sichten Mancher  *)  bald  eigene  Präparation  von  dem  Schüler  fordert. 
Der  Missbrauch  ,  der  damit  getrieben  worden,  hebt  den  Nutzen  nicht  auf, 
der  ein  wissenschaftlicher  und  sittlicher  ist.  Denn  die  Vocabelkenntniss 
wird  sicherer,  wenn  der  Schüler  die  Bedeutung  des  Wortes  selbst  suchen 
muss ,  die  Kräfte  werden  mehr  geweckt,  indem  er  in  Unbekanntes  ein- 
zudringen gennthigt  ist,  und  selbst  der  Charakter  wird  gestärkt,  da  er 
sich  an  Schwierigkeiten  zu  versuchen  gezwungen  sieht.  Dem  Lehrer 
wird  es  obliegen,  die  Sache  vor  Ausartung  und  Gedankenlosigkeit  zu  be- 
wahren. Für  die  schriftlichen  Uebungen  dagegen  scheint  zu  wenig  ge- 
sorgt zu  sein.  Es  ist  wichtig,  dass  der  Schüler  die  gelernte  Regel 
selbstständig  in  Anwendung  bringe,  und  ein  vierzehntägiger  Zwischen- 
raum erscheint  dafür  zu  gross.  Eine  grössere  Ausdehninig  dessen,  was 
im  1.  Sem.  der  Cl.  III.  und  in  Cl.  IV.  zweckmässig  befunden  worden, 
dürfte  dem  Ganzen  nicht  nachtheilig,  sondern  eher  förderlich  sein. 

Bei  der  Wahl  der  im  Obergymnasium  zu  lesenden  Schriftsteller  hat 
offenbar  die  Rücksicht  gewirkt,  dass  das  römische  Staatsleben  kennen 
gelernt  werden  soll.  Wenn  nun  damit  auch  andere  Eigenthümlichkeiten 
der  Römer  zur  Anschauung  kommen  werden,  so  erscheint  dennoch  die  so 
erworbene  Kenntniss  der  Litteratur  zu  unvollständig.  Die  Römer  haben 
auch  auf  den  Gebieten  der  Rhetorik  und  Philosophie  Leistungen  vollbracht. 
Stehen  sie  auch  darin  auf  den  Schultern  der  Griechen,  so  haben  doch 
ihre  Bearbeitungen  einen  eig?nthümlichen  Charakter,  ergänzen  vielfach 
die  uns  erhaltene  griechische  I^itteratur,  sind  in  historischer  Hinsicht  der 
Beachtung  würdig,  weil  in  ihnen  die  Cultur  des  Aiterthums  auf  das  Mittel- 
alter überging;  ja  wenn  man  darauf  Rücksicht  nimmt,  wie  der  Entwurf 
thut,  dass  neuere  wissenschaftliche  Werke  in  lateinischer  Sprache  zu  stu- 


♦j  Vergl.  Högg  in  der  Pädagogischen  Vierteljahrsschrift  v.  Schnitzer 
VI.  1.  S.  81  ff. 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  317 

diren  sind ,  so  ist  ihre  Kenntniss  zu  deren  Verstandniss  nothwendig.    Für 
ein  vollständiges    Gymnasium   halten    wir   demzufolge    die    Lesung    einer 
rhetorischen  und  einer  philosophischen  Schrift  des  Cicero  für  nothwendig. 
Statt  der  ersteren  kann  auch  Quinclilian's  X.  Buch  dienen.      Ueberhaupt 
aber  ist  Cicero  so  sehr  der  Normalschriftsteller   der  lateinischen  Littera- 
tur,  es  kann  aus  ihm  der  römische  Geist  in  seiner  edelsten  Form  so  voll- 
ständig und  klar  angeschaut  werden  *)  ,  dass  er  wohl  eine   ausgedehntere 
Beachtung  verdient,    als    ihm  in  dem   Entwürfe  zu  Theil  geworden  ist. 
Auch  unter  den  Dichtern  vermissen  wir  ungern  wenigstens  ein  Stück  des 
Terentius,    da   durch   denselben   eine   sonst    nirgendsher    zu  erkennende 
Seite  des  antiken  Lebens  aufgeschlossen  wird  und  er  der  einzige  vollstän- 
dige Repräsentant  einer  Litteraturgattung  ist,  die,  von  den  Alten   ausge- 
bildet, nicht  ohne  bedeutenden  Einfluss  auf  die  Neueren  geblieben,  min- 
destens durch  Vergleichung  mit  diesen  zu  förderlichen  Betrachtungen  Ver- 
anlassung bietet.      Die  Ordnung,   in  welcher  die  Prosaiker  zur  Lesung 
kommen  sollen,  beruht,  wie  in  die  Augen  fällt,   darauf,  dass  die  Haupt- 
momente der  Entwickelung  des  römischen  Staatslebens  in  ihrer  chronolo- 
gischen Folge   zur    Anschauung    kommen    sollen.      Es    entsteht   aber  die 
Frage,  ob  das  historische  Princip  sich   mit  dem   andern  pädagogischen, 
welches  zur  Erlernung  der  Sprache  ein  stetes  Fortschreiten  vom  Leich- 
teren zum  Schwereren  fordert ,  vertrage ,  und   welches   wohl  ein  Ueber- 
wiegen    verdiene,      Ref.    hält   das  Letztere  für   das  Berechtigtere,    weil 
Kenntniss  der  Geschichte  doch  immer  nur  ein  Zweck,  nicht  der  allei- 
nige ist,  und  weil  der  mangelnde  chronologische   Zusammenhang    durch 
anderen   Unterricht   unschädlich    gemacht    wird ,    während  das  verletzte 
pädagogische  Princip  grösseren  Nachtheil  bringt.      Kaum  scheint  es   ihm 
möglich,  dass  nach  dem  im   Untergymnasium  empfangenen  Unterricht  der 
Schüler  den  Livius  recht  zu  verstehen  befähigt  sei.      Man  täuscht  sich 
über  diesen   Schriftsteller  eben   so   häufig,  wie  über  Salust.      Die   Rede 
erscheint  so  einfach  und  leicht  verständlich  und  doch  erfordert  ein   tiefe- 
res Eindringen  bereits  umfänglichere  Kenntnisse  der  Sprache  und  ein  ge- 
übteres Urtheil.      Die  Lesung  hat  aber   doch    nicht   allein  die  Kenntniss 
der  vom  Schriftsteller  überlieferten  Sachen ,  sondern  auch  die  Anschauung 
seines  Charakters    und   die  richtige    Würdigung   seiner  Darstellung  zum 
Zwecke.      Die  erste  catilinarische  Rede  des  Cicero   hält  Ref.   unbedingt 
für  leichter,  als  einen  längeren  Abschnitt  aus  Livius'  ersten  Büchern  oder 
eines  von   Salust's  Geschichtswerken.       Durchaus   Feind  einer   über  das 
zum  Verständnisse  des  Schriftstellers  unumgänglich  Erforderliche  hinaus- 
gehenden Erklärung,  hält  Ref.  doch  ein  häufiges  Besprechen  des  Gelese- 
nen, schon  damit  das  Ganze  in  seinem  Zusammenhange  überblickt  werde, 
für  nöthig;  durchaus  Gegner  jenes  Strebens,  welches  dem   Schüler  Alles 
und  Jedes  am  Schriftsteller  durch  Reflexion  zum  Bewusstsein   zu  bringen 
sucht  und  nichts  der  unmittelbaren  Auffassung  überlässt,   muss  er  doch 


*)  Wir  verweisen,  um  nicht  weiter  eingehen  zu  müssen,  auf  Bar- 
telmann,  Bemerkungen  über  den  Unterricht  in  den  alten  Sprachen. 
Oldenburg,  1849. 


318  .Schul-  und  Universitätsnachrichten, 

Fingerzeige,  um  des  Schülers  Aufmerksamkeit  auf  die  Uebereiiistimmung 
von  Inhalt  und  Form,  auf  die  Oekonomie  der  Schrift,  auf  die  ästhetische 
Beurtheilung,  auf  des  Schriftstellers  V^erwandtschaft  mit  und  seine  Ver- 
schiedenheit von  Anderen  für  unentbehrlich  erklären;  überzeugt,  dass  so- 
bald als  möglich  der  Privatlectüre  des  Schülers  Etwas  zugemuthet  wer- 
den müsse,  kann  er  doch  nur  dann  einen  rechten  Nutzen  von  ihr  erwarten, 
wenn  dem  Gelesenen  mindestens  eine  Besprechung  in  der  Classe  ge- 
widmet wird ,  ja  die  nothwendige  Controle  wird  den  Lehrer  meist  noch 
weiter  zu  gehen  zwingen.  Halten  wir  Alles  dies  fest,  so  scheint  wohl 
das  Bedenken  gerechtfertigt,  ob  der  lateinischen  Leetüre  hinlängliche 
Zeit  im  Obergymnasium  gewidmet  worden  sei.  Um  den  Umfang  dersel- 
ben zu  erweitern  und  sie  selbst  fruchtbarer  zu  machen,  scheinen  dem 
Ref.  5  wöchentliche  Stunden  erforderlich. 

Für  grammatisch-stilistische  Uebungen  ist  in  jeder  Classe  1  Stunde 
■wöchentlich  angesetzt.  Hegten  wir  nun  oben  Bedenken,  dass  der  gram- 
matische Unterricht  im  Untergymnasium  den  nothwendigen  Abschluss  er- 
reichen werde,  so  müssen  sie  hier  stärker  erwachen.  Soll  bei  der  Lee- 
türe die  grammatische  Kenntniss  befestigt  und  erweitert  werden ,  so  wird 
deren  Umfänglichkeit  noch  mehr  verkürzt.  Das  fortgeschrittene  Alter, 
die  Vergleichung  mit  anderen  in  den  Kreis  des  Uterrichts  eingetretenen 
Sprachen,  die  durch  die  Lesung  der  Schriftsteller  sich  aufdrängenden 
Fragen ,  Alles  begründet  die  Forderung  einer  tieferen  Auffassung  und 
einer  zusammenhängenderen  Begründung  der  Grammatik,  als  sie  in  den 
unteren  Classen  möglich  ist,  abgesehen  davon,  wie  viele  Erleichterung 
die  Leetüre  und  Erklärung  dadurch  gewinnen  werden.  Ref.  kann  sich 
demnach  für  eine  so  frühe  Aufgebung  jeden  besonderen  grammatischen 
Unterrichts  nicht  erklären,  und  um  so  weniger,  als  sich  die  lateinische 
Grammatik  als  ein  bestimmtes  systematisches  Ganzes  zeigt.  Allerdings 
ist  eine  Vereinigung  desselben  mit  den  schriftlichen  Uebungen  nicht  allein 
möglich ,  sondern  auch  wünschenswerth  *)  ,  allein  diesen  müsste  dann 
mindestens  in  den  beiden  untersten  Classen  des  Obergymnasiums  mehr 
Zeit  eingeräumt  sein.  Ja  um  der  schriftlichen  Uebungen  selbst  willen 
scheint  eine  Vermehrung  der  Stundenzahl  nothwendig.  Ref.  ist  ganz 
damit  einverstanden,  dass  der  Entwurf  freie  Arbeiten  nur  in  der  höchsten 
Classe  zugelassen  und  auf  Reproductionen  **)  beschränkt  hat  —  wie  er 
denn  auch  die  S.  116  ausgesprochene  Ansicht  theilt,  dass    die  Uebung  im 


*)  Bartelmann    in    der   angeführten   Schrift    giebt   darüber   sehr 
Beachtensw  erthes. 

**)  Als  Beis[)iel  wird  angeführt,  wenn  nach    der   Leetüre    der  Rede 
d.  imp.  Cn.  Pompeii  aufgegeben  wird,    ob  Cicero   durch  diese  Rede  die  | 

Gegner  des  Gesetzantrages  wirklich  widerlegt  habe.     Eine  solche  Arbeit  ' 

ist  freilich  nicht  rein  reproductiv ,  wie  Hr.  Mützell  a.  a.  O.  S.  29  be- 
merkt, aber  sie  ist  in  der  Hauptsache  roprodnctiv,  indem  einmal  ein  ge- 
gebener Inhalt  nur  unter  anderem  Gesichtspunkte  betrachtet  wird,  dann 
aber  auch  die  Form  an  ein  vorhandenes  Muster  sich  anzuschliessen  hat. 
Wer  will  überhaupt  scharf  die  Grenzen  zwischen  Production  und  Repro- 
duction  bestimmen? 


I 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  319 

Gebrauche  der  lateinischen  Sprache  zum  Ausdrucke  eigener  Gedanken 
ihren  Werth  als  allgemeines  Bildungsmittel  verloren  habe,  —  er  hält 
unverrückbar  fest ,  dass  die  schriftlichen  Uebungen  in  der  lateinischen 
Sprache  nicht  die  Anbildung  lateinischen  Stils,  sondern  nur  die  Einfüh- 
rung in  das  Verständniss  der  Sprache  zum  Zwecke  haben  dürfen ;  aber 
eben  damit  dieses  ein  tieferes  werde,  damit  der  durch  solche  Uebungen 
zu  erzielende  Nutzen  vollständig  erreicht  werde  —  es  genügt  dies  an 
einer  der  alten  Sprachen,  und  die  lateinische  ist  durch  ihren  Charakter 
die  geeignetere*),  — verlangt  er  eine  grössere  Ausdehnung  derselben, 
als  der  Entwurf  zulässt.  Und,  was  ein  äusserliches  Verhältniss  anbe- 
trifft, nur  dann  können  wir  einen  genügenden  Erfolg  erwarten,  \venn  die 
Correctur  eine  genaue,  die  Besprechung  eine  gründliche  und  eingehende 
sein  wird.  Diese  aber  erfordert  um  so  mehr  Zeit,  je  zahlreicher  die 
Classen  und  je  mannigfaltiger  in  Folge  davon  die  Bedürfnisse  sind.  Um 
dieses  Alles  zu  erfüllen,  um  in  den  beiden  unteren  Classen  des  Ober- 
gymnasiums einen  höheren  grammatischen  Cursus  einzurichten,  um  in  den 
oberen  Classen  eine  tiefere  und  gründlichere  Besprechung  der  gelieferten 
Arbeiten  zu  ermöglichen,  um  zugleich  der  Leetüre  einen  hinlänglicheren 
Zeitraum  zu  sichern  ,  scheint  dem  Ref.  die  Vermehrung  der  Stundenzahl, 
welche  der  Entwurf  für  den  lateinischen  Unterricht  ausgesetzt  hat,  noth- 
wendig.  Für  einen  8jähr.  Cursus  in  dieser  Sprache  gelten  ihm  7  wö- 
chentliche Stunden  als  Minimum.  Die  Erfahrung  wird  zeigen,  ob  er 
sich  geirrt. 

Der  Lehrplan  für  das  Griechische  ist  folgendermaassen  angeordnet. 
Ziel  des  Untergymnasiums  ist  nach  §.27:  Grammatische  Kennt- 
niss  der  Formenlehre  des  attischen  Dialekts  nebst  den  nothwendigsten  u. 
wesentlichsten  Punkten  der  Syntax.  Cl.  IIL  5  St.:  Regelmässige  For- 
menlehre mit  Ausschluss  der  Verba  in  fit.  Uebersetzung  aus  dem  Lese- 
buche. Memoriren.  Präpariren.  Im  2.  Sem.  alle  14  Tage  ein  Pensum. 
Cl.  IV.  4  St.  Verba  in  ul;  das  Wichtigste  der  unregelmässigen  Flexio- 
nen. Uebersetzung  aus  dem  Lesebuche.  Memoriren.  Präpariren.  Alle 
14  Tage  ein  Pensum.  Empfohlen  werden  Kühneres  Elementargramraatik, 
welche  dem  grammatischen  Bedürfnisse  auch  für  das  Obergymnasium  ge- 
nügen soll,  und  Krüger'' s  griechische  Sprachlehre  für  Anfänger,  Feld- 
bausch^s  und  Süpfle's  griechische  Chrestomathie,  Jacobs''  griechisches  Ele- 
mentarbuch  und  Halmes  Lesebuch.  Ziel  des  Obergymnasinms  ist: 
Gründliche  Leetüre  des  Bedeutendsten  aus  der  griechischen  Litteratur,  so 
weit  es  die  dem  Gegenstande  gestattete  kurze  Zeit  zulässt.  Cl.  V.  4  St.: 
Etwa  vier  Gesänge  von  Homer's  Ilias.  Alle  14  Tage  1  St.  Grammatik. 
Präparation  mit  Memoriren  der  Vocabeln.  Alle  4  Wochen  ein  Pensum. 
Cl.  VI.  4  St.:  1.  Sem.  ungefähr  6  Gesänge  von  Homer's  Ilias.  2.  Sem. 
aus  Herodot  die  Hauptpunkte  aus  der  Geschichte  der  Perserkriege.  Das 
Uebrige  wie  in  Cl.  V.      Cl.  VIL  5  St.:  1.  Sem.  eine   Tragödie   des  So- 


*)    Um   weiterer    Auseinandersetzung   überhoben    zu   sein,   beziehen 
wir  uns  auf  die  Darlegung  unseres  FVeundes  und  Collegen  Palm :    Ueber 


Zweck,  Umfang  und  Methode  u.  s.  w. 


320 


Schul-  und  Universitätsnachrichten, 


phokles,  nachher  Homer's  Odyssee.  2.  Sem.  Deraosthenes'  kleine  Staats- 
reden und,  wenn  Zeit  ist,  de  Corona.  Das  Uebrige  wie  in  der  vorher- 
gehenden Classe,  aber  nur  „zuweilen  ein  an  das  Gelesene  sich  anschlies- 
sendes Pensum."  Cl.  VIII.  6  St.:  1.  Sem.  Plato's  Apologie,  dann  einer 
der  bedeutenderen  Dialoge,  Protagoras,  Gorgias,  Phädon.  2.  Sem.  eine 
Tragödie  des  Sophokles.      Das  Uebrige  ganz  wie  in  Cl.  VII. 

Wenn    unabänderliche  Verhältnisse  dem  Griechischen  nur  eine  ge- 
ringe Zeit  gestatteten ,  so  konnte  w  ohl  die  Frage   aufgeworfen  werden, 
ob  es  nicht  zweckmässiger  sei,  sich  mit  einer  alten  Sprache  zu  begnü- 
gen und  eine  grössere  Einheit  in  die  bunte  Mannigfaltigkeit  der  Unter- 
richtsgegenstände zu  bringen.      Ref.  freut  sich  aufrichtig,  dass  der  Ent- 
wurf diese  Frage  verneinend  entschieden.      Die   völlige  Unbekanntschaft 
mit  dem  Griechischen  wäre  jedenfalls  von  unberechenbarem  Nachtheil  für 
die  Gymnasialbildung ,  ja  geradezu    eine  Aufhebung   dieser  gewesen  und 
es  lässt  sich  in  der  gegebenen  Zeit  doch  immer  etwas  Erfreuliches  leisten. 
Bei  den  vorhandenen  Verhältnissen  können  die  Bemerkungen  des  Ref.  kei- 
nen andern  Zweck  haben,  als  seine  Ansichten  über  den  griechischen  Un- 
terricht zu  entwickeln  und  das  Verhältniss  derselben  zu  den  von  den  Ver- 
fassern   des  Entwurfs    angenommenen   darzulegen.    Mit  Recht  hat  zuerst 
derselbe  den  Beginn  des  Griechischen  erst,  nachdem  im  Lateinischen  ein 
tüchtiger  Grund  gelegt,  angenommen.      Viele  verlangen  jetzt  das  Umge- 
kehrte, aber  wenn  gewiss  ist,   dass  im    Unterrichte  das  fest  Bestimmte 
und  Fixirte  dem  Mannigfaltigen,   das  Objectivere  dem  Individuellen  vor- 
ausgehen rauss,  so  kann  man  nicht  im  Zweifel  sein,  dass   die  lateinische 
Grammatik  dem  jugendlichen  Alter  angemessener  sei  als  die    griechische, 
und  hält  man  die  vorher  aufgestellte  Ansicht,  dass  die  formelle  Bildung 
an    einer    Sprache  und  zwar  an  der   lateinischen    zu  erreichen  sei,  für 
wahr,  so  wird  man  dieser  einen  längeren  Unterricht  ohne  Bedenken  ein- 
räumen und  um  so  mehr,  als  der  Geist,  durch  die  lateinische  Sprache  be- 
reits   der    antiken  Sprach-   und    Denkweise  näher   gerückt,   leichter   die 
griechische  erfassen  wird.      Die  Grundsätze,  welche  für  den   ersten  Un- 
terricht aufgestellt  werden,  sind  durchaus  richtig.      Auch  die  Bestimmung 
des  durch  den  grammatischen  Unterricht  zu  erreichenden  Zieles  (S.  117), 
dass  das  Uebersetzen  niemals  auf  einem  unsicheren  Rathen,   sondern   auf 
einem  gründlichen   grammatischen    Verständnisse  beruhe,  kann  Ref.    nur 
billigen  und  desshalb  gegen  die  Ansetzung  weniger  grammatischer  Stunden 
um  so  weniger  Etwas  einwenden,  als  er  überhaupt  überzeugt  ist,  dass  die 
griechische   Syntax  sich  auf  eine  verhältnissmässig  nicht  gar  zu  grosse 
Menge  einfacher,  freilich  aber  zu  ihrem  Erfassen  ein  bereits  gebildetes 
Sprachbewusstsein  und  logisches  Denken  voraussetzender  Regeln  zurück- 
führen lässt;  dagegen  muss  er  darauf  aufmerksam   machen,   dass  bei  der 
griechischen  Leetüre,  wenn  nur  ein  einigermaassen    tieferes  Verständniss 
des  Verhältnisses  zwischen  Inhalt  und  Form  erzielt  werden  soll,   ein  häu- 
figeres Zurückgehen  auf  die  Grammatik  nothwendig  wird  ,  als  bei  der  la- 
teinischen.     Da  nämlich  das  freiere  Walten  der  Individualität  einen   we- 
sentlichen Zug  des  griechischen  Charakters  bildet,  so  ist  es  weniger  an- 
gemessen,  in  der  Grammatik    alle    die    freieren,    aus    der   Individualität 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen,  321 

hervorgehenden  Gestaltungen  unter  die  Regel  zu  subsumiren  und  dadurch 
diese  über  der  Fülle  der  Ausnahmen  und  Einzelheiten  selbst  vergessen 
zu  machen  —  ein  Fehler,  der  viele  sonst  ganz  treffliche  Grammatiken  für 
den  Schulgebrauch  weniger  zweckmässig  erscheinen  lässt  — ,  als  bei  dem 
Vorkommen  eines  einzelnen  Falles  auf  diesen  aufmerksam  zu  machen  und 
die  Berechtigung  des  Ausdrucks  im  Verhältnisse  zu  dem  Sprachgesetze 
nachzuweisen.  Darausfolgt  aber,  dass,  wenn  für  den  grammatischen 
Unterricht  und  die  Schreibübungen  im  Griechischen  weniger  Zeit  erfor- 
dert wird  als  im  Lateinischen ,  umgekehrt  wieder  die  Leetüre  eine  ver- 
hältnissmässig  grössere  fordert, 

Kücksichtlich  des  Umfanges  der  Leetüre  geht  Ref.  von  der  Forde- 
rung aus,  dass  eben  so,  wie  im  Lateinischen,  das  Ziel  sei  die  Erkennt- 
niss  des  griechischen  Lebens,  namentlich  des  geistigen  in  seinen  bedeut- 
samsten Momenten ,  dadurch  aber  die  Aneignung  der  Grundlagen  rein 
menschlicher  Bildung,  welche  das  griechische  Volk  gelegt  hat,  und  die 
richtige  Würdigung  seiner  historischen  Bedeutsamkeit.  Darin  ,  in  der 
Verfolgung  des  gleichen  Zieles,  nicht  in  der  Anwendung  gleicher  Mittel 
findet  er  für  sich  die  Frage  über  die  sogenannte  Parität  beider  Sprachen 
entschieden.  Zur  Erreichung  von  jenem  aber  hält  er  Folgendes  für 
nothwendig:  zuerst  die  vollständige  Leetüre  beider  homerischen  Epen  — 
auf  den  Privatfleiss  rechnet  er  mindestens  die  Hälfte  — ,  weil  aus  ihnen, 
uud  zwar  nicht  nur  aus  dem  einen  oder  dem  andern  allein,  die  Grundlage, 
worauf  die  gesammte  religiöse,  sittliche,  politische,  ja  ästhetische  Bil- 
dung der  Hellenen  beruht,  geschöpft  werden  muss.  Das  hohe  Ansehen, 
welches  Homer  zu  allen  Zeiten  beim  Volke  derselben  genoss ,  die  Stel- 
lung, welche  er  in  ihrem  Jugendunterrichte  zu  allen  Zeiten  behauptete, 
die  stete  Rücksichtsnahme  auf  ihn ,  welche  sich  bei  fast  allen  Schriftstel- 
lern wiederfindet,  machen  die  Berechtigung  dieser  Forderung  klar.  Hin- 
zu tritt  aber  noch  die  Mustergültigkeit,  welche  seine  Gesänge  für  die 
Nationalepen  aller  Zeiten  und  aller  Völker  besitzen.  An  Homer  reiht 
sich  Herodot.  Seine  Darstellung  der  Perserkriege  ist  allerdings  das 
Werthvollste  in  seinem  Werke,  aber  auch  Anderes  dürfte  nicht  zu  über- 
gehen sein,  einmal  als  Quelle  für  die  Kenntniss  anderer  Länder  und  ihrer 
Geschichte,  sodann  aber,  weil  daraus  die  Art  und  Weise,  wie  die  Grie 
chen  fremdes  Wesen  auffassten  und  beurtheilten,  vor  Augen  tritt.  Ueber- 
haupt  ist  Herodot  der  Repräsentant  eines  Bewusstseins ,  welches  in  der 
Gesammtentwickelung  des  Volkes  eine  hohe  Bedeutung  hat.  Die  Blüthe- 
zeit  des  athenischen  Staates  unter  Perikles,  die  Erkenntniss  seines  inner- 
sten Wesens  mit  seinen  Licht-  und  Schattenseiten  und  des  grossen 
Auflösungsprocesses,  den  das  gesammte  griechische  Volk  im  peloponne- 
sischen  Kriege  durchmachte,  macht  wenigstens  einige  Bekanntschaft  mit 
Thucydides  nothwendig.  Ref.  weist  nur  auf  die  berühmte  Leichenrede 
des  Perikles  hin.  Woraus  kann  der  Geist  des  attischen  Volkes  besser 
erkannt  werden  *)  ?      Für  die  Zeit  des  Sinkens  bietet  Xenophon  ein  zu 


*)  Es  soll  hier  natürlich  nicht  zugleich  die  Reihenfolge,   in  welcher 
die  Schriftsteller  gelesen  werden  sollen,  festgestellt  werden. 

IS,Jahrb^f,  Phil.u.  Päd.  od,  Krit,  Bibl.  /?d.  LVIII.  Hft.d,  21 


322 


Schul-  und  UniversitStsnachnchten, 


anschauliches  Bild,  als  dass  er  ganz  ausgeschlossen  werden  könnte.  Seine 
Anabasis  ist  eine  Jugendschrift,   wie  nur   wenige.       Soll  die  Geschichte 
/Alexanders  des  Grossen  aus  einer  Quelle  studirt  werden  —  und   wegen 
ihrer  weltunigestaltendcMi   Folgen  ist  dies  gewiss  wünschenbwerth  — ,  so 
bietet  Arrian ,  der  jetzt  erst  einer  gerechteren  Würdigung  theilhaftig  ge- 
worden ist,    sich    dar.      Plutarch   kann    zur   Krgänzung    der  Geschichts- 
quellen zugezogen  werden,  auf  die  Nothwendigkeit   seiner   Leetüre  ver- 
maii  Ref.  nicht  zu  bestehen.      Als  Muster  der  Beredtsamkeit  für   alle  Zei- 
ten,  zugleich  als  Hauptquelle  der  Anschauung  des  an  unheilbarer  Krank- 
heit hinsterbenden  Volkes,  muss  Demosthenes  aufgenommen  werden.    Nur 
die  philippischen  Reden  und  die  vom  Kranze  eignen  sich  zur  Leetüre  in 
der  Schule.      Um  auch  andere  Gattungen  zur  Kenntniss  zu  bringen,  dürf- 
ten statt  der  letzteren  einige  kleinere  Reden  des  Lysias  (z.  B.  nach  Rau- 
chenstein's  Auswahl)  und  vielleicht  Isokrates  Panegyricus  oder   Panathe- 
naVcus  zweck mäj^sig  sein.      Das  letzte  Stadium  der  Prosa  mag  eine   oder 
einiiie  der  kleineren  Schriften    des  Pluton    bilden.       Wäre  auf  der   einen 
Seite  zu  bedauern,  wenn  der  Schüler  gar  nichts  davon  kennen  lernte,  da 
doch  die  Philosophie  die  höchste  Schöpfung  des  griechischen   Geistes   ist 
und  die  Leetüre  als  eine  sehr  zweckmässige  Einführung   in  das  philoso- 
phische Studium  betrachtet  werden  muss,  so    daif  auf  der  andern  nicht 
unberücksichtigt  bleiben,    dass    das   wahre    und   volle  Verständniss  sehr 
schwierig  zu  erreichen  ist.      Wenden  wir  uns  zu  den  Dichtern ,  so  bedarf 
es  über  Sophokles  keines  Wortes;  es  will  aber  dem   Ref.   nicht   genügen, 
wenn  Euripides  ganz  übergangen  werden  soll,   da  derselbe  anerkannter- 
maassen  auf  die  Gestaltung  des  Drama's  der  Neueren  einen  bedeutenden 
Einfluss  gehabt  hat  und  von  den  das  griechische  Wesen   in   sich  auflösen- 
den Elementen  und  Richtungen   bedeutsame  Zeugnisse  ablegt.      Ob   Äe- 
schylus  (Prometheus)  in  den  Kreis  zu  ziehen  sei,  ob  als  Beispiel  der  Ly- 
rik ein  Gesang  des  Pindar,  eine  oder  mehrere  Idyllen   des  Theokrit  ge- 
lesen  werden    können,    macht    Ref.    von   den    obwaltenden  Verhältnissen 
abhängig.      Dass  die  Schüler  durch  Vorträge  über  die    Litteratur  —  mag 
man  sie  zur  Geschichte  weisen,  welcher  dann   ein   grösserer   Zeitraum  zu 
lassen  ist,  oder  sie  als  Einleitungen  zu  den  Schriftstellern  aufstellen  —  in 
das  rege  und  mannigfaltige  geistige  Leben  der   Griechen  eingeführt   wer- 
den und  wenigstens  einige  Kenntniss  von  den  hier  nicht  berührten  Gat- 
tungen (namentlich  der   alten    Komödie)   erlangen,   scheint  ebenfalls  eine 
berechtigte,  von  Niemandem  mit  anderen  Gründen,  als  mit   dem   Mangel 
an  Zeit  bestrittene  Forderung. 

Einen  solchen  Umfang  der  Leetüre  zu  geben  ,  war  dem  Entwürfe 
natürlich  unmöglich,  da  die  auf  diesen  Unterricht  verwendete  Zeit  nur 
eine  geringe  sein  konnte.  Um  das  Mögliche  zu  erreichen,  stellten  seine 
Verfasser  eine  Auswahl  de>>jenigen  aus  der  griechischen  Litteratur  zusam- 
men, was  dem  Charakter  des  Jugendalters  vorzugsweise  angemessen  und 
ihm  eine  edle  Nahrung  zu  geben  fähig  sei,  dass  die  Hauptgebiete  der 
Litteratur  durch  je  einen  Repräsentanten  vertreten  wären.  Die  meisten 
der  vorgeschriebenen  Pensa  lassen  sich  bei  einer  verständigen  Methode  in 
der  dafür  bestimmten  Zeit  allenfalls  vollenden  ;   nur  in  BetrelF  des   Plato 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  323 

erlaubt  sich  Ref.  mit  Hrn.  Mützell  a.  a.  O.  S.  33  Zweifel  zu  hegen.  Mit 
demselben  Gelehrten  kann  er  aber  nicht  den  Anstoss  theilen ,  den  ihm  die 
Bestimmung  der  Lectüre  für  Cl.  V.  und  VI.  gegeben  hat.  Dieselbe  wird 
in  dem  Anhange  S.  118  dadurch  gerechtfertigt,  dass ,  da  bei  dem  gerin- 
gen Umfange,  auf  den  der  griechische  Unterricht  zu  beschränken  gewe- 
sen, nur  eine  der  homerischen  Dichtungen  in  einiger  Ausdehnung  gelesen 
werden  könne,  die  llias  als  die  im  Ganzen  bedeutendere  und  dem  Cha- 
rakter des  jugendlichen  Alters  mehr  entsprechende,  der  Odyssee  vorge- 
zogen worden  sei.  Es  steht  dies  dem  bisher  wohl  fast  überall  beobach- 
teten Verfahren,  nach  welchem  die  Odyssee  vor  der  llias  gelesen  wird 
und  eine  bedeutsamere  Stelle  im  Unterrichte  einnimmt,  entgegen,  allein 
dem  Ref.  scheint  doch  mancherlei  dafür  zu  sprechen.  Es  ist  wohl  als 
unzweifelhaft  anzusehen,  dass  die  Odyssee  späteren  Ursprungs  ist  als  die 
llias.  Wenigstens  trägt  sie  den  Charakter  eines  fortgeschrittenen  Be- 
wusstseins ,  einer  in  mancher  Hinsicht  bereits  veränderten  und  die  Keime 
zu  neuen  Gestaltungen  in  sich  enthaltenden  Zeit  an  sich*).  Und  abge- 
sehen davon,  es  knüpft  sich  Alles,  was  in  ihr  erzählt  wird,  an  das  grosse 
Drama  vor  Troia  an ,  setzt  also  dieses  voraus.  Spricht  also  schon  ein 
historischer  Grund  für  die  Umkehrung  des  bisher  befolgten  Weges,  so 
kommt  hinzu,  dass  die  llias  äusserlich  eine  geringere  Mannigfaltigkeit  des 
Inhaltes  und  der  Form  zeigt,  und  ausserdem  das  Ganze  viel  leichter  über- 
schaulich ist,  als  die  Odyssee.  Wir  wollen  hier  nicht  die  Frage  erörtern 
über  die  Einheit  der  Odyssee  **),  aber  wie  das  Ganze  uns  vorliegt,  ist  es 
aus  viel  mehr  einzelnen  und  getrennten,  durch  einen  künstlichen  Faden 
zusammengehaltenen  Theilen  zusammengesetzt,  als  die  llias.  Sind  ein- 
mal die  ersten  Schwierigkeiten  überwunden,  so  kann  in  der  letzteren  viel 
rascher  gelesen  und  demnach  ein  tieferer  Eindruck  gewonnen  werden. 
Auch  lässt  sie  eine  fiagmentarische  Lectüre  viel  leichter  zu  als  die  Odys- 
see, weil  in  dieser  die  Spannung  auf  den  Ausgang  eine  viel  höhere  ist. 
Was  endlich  die  Angemessenheit  für  den  jugendlichen  Charakter  betrifft, 
so  ist  zuzugestehen,  dass  die  Odyssee  eine  buntere  Mährchenwelt  bietet; 
aber  wir  fragen,  ob  kräftig  leidenschaftlich  handelnde,  in  kühnen  Kriegs- 
thaten  sich  überbietende  Helden  das  Interesse  der  Jugend  mehr  fesseln, 
oder  der  im  Harren  und  Dulden  sich  bewährende  Held.  Wenn  nach  die- 
sem Ref.  die  von  den  Verfassern  des  Entwurfs  unter  den  gegebenen  Um- 
ständen getroffene  Wahl  nicht  missbilligen  kann,  so  ist  doch  nach  dem 
früher  Bemerkten  die  fast  gänzliche  Ausschliessung  der  Odyssee  zu  be- 
klagen. Da  die  vollständige  Anschauung  einer  geistigen  Schöpfung  in 
seiner  Totalität  für  die  Geistesbildung  einen  höheren  und  bleibenderen 
Werth  hat,  als  die  doch  nur  auf  Einzelnes  beschränkte  Kenntniss  mehre- 
rer, so  kann  wohl  die  F"'rage  aufgeworfen  werden,  ob  es  nicht  zweckmäs- 
siger  gewesen    wäre,    eine   kleinere   Zahl  von  Schriftstellern,  als    eine 


*)  Vergl.  Ulrici  Gesch.  der  hellen.  Dichtkunst,  I.  S.  304.  Anm.  271. 

^*}  Nitzsch's  Auseinandersetzungen  sind  Jedem  bekannt.  Man  vergl. 
auch  Bäumlein's  Abhandlung  de  compositione  Iliadis  et  Odysseae,  Stutt- 
gart 1847. 

21* 


324  Schul-  und  Uulversitätsnacluicliten, 

grossere  Menge  von  Gebieten  der  Litteratur  für  die  Lecture  auszuwählen, 
die  vollständige  Lesung  weniger  an  die  Steile  der  fragmentarischen  vie- 
ler zu  stellen.  Ref.  würde,  wenn  er  einen  Entwurf  hätte  ausarbeiten 
sollen,  die  Leetüre  für  das  Obergymnasium  so  geordnet  haben,  dass  nach 
der  Leetüre  eines  leichteren  attischen  Prosaikers  in  Cl.  V.  durch  die 
sänimllichen  3  folgenden  Classen  die  möglichste  vollständige  Lesung  des 
Homer  und  neben  diesem  nur  von  Herodot  und  Demosthenes  folgte.  Ob 
dadurch  nicht  ein  im  Verhältnisse  erfreulicheres  Ziel  erreicht  werden 
>vürde,  darüber  mögen  competente  Richter  entscheiden;  die  Absichten, 
welche  die  Verfasser  des  Entwurfs  hegten,  bleiben  jedenfalls  anerken- 
nenswerth. 

Wir  wenden  uns  zu  dem  Unterrichte  in  der  Mutterspra- 
che, und  da  wir  über  die  anderen  Sprachen  (es  werden  folgende  aufge- 
zählt:  Böhmisch ,  Polnisch,  Ruthenisch,  Slo venisch,  Illyrisch  ,  Serbis^ch, 
Slowackisch;  das  Magyarische  und  Italienische  sind  wohl  desshaib  über- 
gangen ,  weil  die  Verhältnisse  Ungarns  und  der  Lombardei  zum  Kaiser- 
reiche ,  als  der  Entwurf  gefertigt  wurde,  noch  nicht  entschieden  waren) 
kein  Unheil  haben ,  so  betrachten  wir  nur  den  Lehrplan  für  diejenigen 
Schulen  ,  in  welchen  die  deutsche  Sprache  Muttersprache  ist.  Als  Ziel 
d  e  s  U  n  t  e  r  g  y  mnas  i  u  m  s  wird  in  §.  31  festgesetzt:  Richtiges  Lesen 
und  Sprechen ;  Sicherheit  im  schriftlichen  Gebrauche  der  Sprache  ohne 
Fehler  gegen  Grammatik  und  Orthographie,  nebst  Kenntniss  der 
Formen  der  gewöhnlichen  Geschäftsaufsätze.  Anfänge  zur  Bildung  des 
Geschmacks  durch  Auswendiglernen  von  poetischen  und  prosaischen  Rede- 
stücken bleibenden  Werthes,  welche  den  Schülern  erklärt  sind.  Cl.  I. 
4  St.:  Grammatik:  Zusammengesetzter  Satz,  Formenlehre  des  Vcrbums, 
1  St.  Orthographische  Uebungen  1  St.  Lesen,  Sprechen,  Vortragen 
1  St.  Aufsätze  1  St.  Im  2.  Semester  ein  Aufsatz  jede  Woche  oder  alle 
zwei  Wochen  als  häusliche  Arbeit.  Cl.  II.  4  St.:  Grammatik:  Satzver- 
bindungen, Verkürzungen  u,  s.  w.  Formenlehre  des  Nomen  1  St.  Sonst 
wie  Cl.  I.  Ein  Aufsatz  wenigstens  alle  zwei  Wochen  als  häusliche  Ar- 
beit. Cl.  III.  3  St.:  2  St.  Lesen  und  Vortragen  von  raemorirten  Ge- 
dichten und  prosaischen  Aufsätzen.  1  St.  Aufsätze.  Alle  14  Tage  ein 
Aufsatz  als  häusliche  Arbeit.  Cl.  IV\  3  St.,  ganz  wie  in  Cl.  III.  Das 
Grammatische  soll  in  den  beiden  letzteren  Classen  nur  nebenbei  in  Er- 
innerung gebracht,  dagegen  die  Schüler  in  die  Hauptpunkte  der  Stilistik- 
so  weit  sie  diesen  Classen  zugänglich  sind,  eingeführt  und  namentlich 
auf  den  Einfluss,  welchen  der  poetische  oder  rhetorische  Charakter  der 
Sprache  auf  Wortstellung,  Satzfügung,  Wahl  von  Bildern  und  Figuren 
hat,  aufmerksam  gemacht  werden.  In  Cl.  IV.  sind  im  Anschlüsse  an  die 
Leetüre  die  Hauptpunkte  der  deutschen  Metrik  zu  verdeutlichen  und  hier 
ist  auch  die  Bekanntschaft  mit  den  wichtigsten  F"'ormen  der  gewöhnlichen 
Geschäftsaufsätze  zu  bewirken.  Das  Ziel  des  O  b  ergy  m  nasiura  s 
ist  nach  derselben  Paragraphe:  Gewandtheit  und  stilistische  Correctheit 
im  schriftlichen  und  mündlichen  Gebrauche  der  Sprache  zum  Ausdrucke 
des  allmälig  sich  erweiternden  eigenen  Gedankenkreises;  historisch  er- 
weiterte Kenntniss  der  Sprache;   historische  und  ästhetische  Kenntniss 


I 

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Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  325 

des  Bedeutendsten  aus  der  Nationallitteratur ;  daraus  sich  entwickehide 
Charakteristik  der  Hauptgattungen  der  prosaischen  und  poetischen  Kunst- 
formen. CI.  V,  2  St. :  1  St.  Leetüre  einer  Auswahl  aus  dem  Mittelhoch- 
deutschen. 1  St.  Aufsätze.  Alle  14  Tage  ein  Aufsatz  als  häusliche  Ar- 
beit. Cl.  VI.  3  St.:  2  St.  Litteraturgeschichte  mit  Leetüre  und  Erklärung 
einer  Auswahl  aus  dem  Bedeutendsten  seit  Opitz.  1  St.  Aufsätze.  Alle 
14  Tage  ein  Aufsatz  als  häusliche  Arbeit.  Ci,  VIT.  3  St. :  2  St.  Littera- 
turgeschichte. Fortsetzung  und  Schluss  des  in  Cl.  \I,  Begonnenen. 
1  St.  Aufsätze.  Alle  1-4  Tage  ein  Aufsatz  als  häusliche  Arbeit.  Cl.  VIII. 
3  St.:  1  St.  analytische  Aesthetik.  1  St.  Redeübung.  1  St.  Aufsätze. 
Alle  14  Tage  oder  3  Wochen  ein  Aufsatz  als  häusliche  Arbeit. 

Zu  seiner  grossen  Frende  findet  Ref.  die  Bedeutsamkeit  des  Unter- 
richts in  der  Muttersprache  in  dem  Entwürfe  vollständig  und  richtig  ge- 
würdigt. Was  man  auch  dagegen  sagen  mag ,  er  muss  als  der  Mittel- 
punkt der  gesammten  Gymnasialbildung  anerkannt  werden,  eben  so  wohl, 
weil  jeder  andere  Unterricht  an  die  Muttersprache  als  das  schon  vorhan- 
dene verständlichste  Medium  der  Mittheilung  anknüpfen  muss,  wie  dess- 
halb,  weil  die  Ergebnisse  des  Unterrichts  in  allen  anderen  Fächern  sich 
nur  nach  der  Fähigkeit  des  Schülers,  das  Erkannte  in  der  Muttersprache 
wiederzugeben,  richtig  messen  lassen*),  weil  endlich,  da  sämratliche 
Schüler  doch  zunächst  als  zur  Wirksamkeit  in  ihrem  Volke  berufen  an- 
gesehen werden  können,  die  Vorbereitung  dazu  als  der  erste  und  haupt- 
sächlichste  Zweck  gelten  muss  **).  Desshalb  fordert  der  Entwurf  mit 
vollstem  Rechte,  dass  die  Lehrer  der  übrigen  Fächer  für  die  Ausbildung 
in  der  Muttersprache,  namentlich  in  Bezug  auf  Sprechen  und  Vortragen, 
durch  die  Methode  ihres  Unterrichts  direct  mitwirken,  und  wiederum,  dass 
der  Stoff,  an  welchem  die  Fertigkeit  in  jener  geübt  und  bethätigt  wer- 
den soll,  den  übrigen  Lehrfächern  entnommen  sei. 

Das  Ziel  des  Untergymnasiums  stimmt  mit  dem  Zwecke  dieses  Thei- 
les  der  Gymnasialanstalten ,  ein  abgeschlossenes  Bildungsganzes  zu  ge- 
währen und  ebenso  für  das  Obergymnasium,  wie  für  die  Oberrealschule 


*)  Dass,  wer  seine  Gedanken  in  fremder  Sprache  auszudrücken  ver- 
mag, einen  gewissen  Grad  der  Bildung  besitzt,  wird  nicht  geleugnet. 
Weil  aber  die  Muttersprache  die  ureigenste ,  von  der  Natur  dem  Men- 
schen eingebildete  Form  des  Geistes  ist,  so  kann  nur  das  als  sein  vol- 
les Eigenthum  angesehen  werden,  was  er  in  dieser  Form  klar  mitzu- 
theilen  vermag. 

**)  Man  hat  mit  nationaler  Eildung  vielfach  ganz  verkehrte  Ideen 
verbunden  und  Viele  sind  um  derentwillen  ihr  feindlich  aufgetreten.  Weit 
entfernt,  das  Fremde,  namentlich  die  alten  Sprachen  und  Litteraturon, 
auszuschliessen,  verlangt  sie  deren  Kenntniss,  weil  sie  selbst  aus  ihnen 
Anregung  und  Gestaltung  empfangen  hat  und  durch  sie  vor  Einseitigkeit 
bewahrt  wird.  Nach  der  gegenwärtigen  Gestaltung  der  Welt  kann  sie 
selbst  nichts  anderes  sein  ,  als  die  Läuteruno;  des  nationalen  Wesens  durch 
die  Aneignung  des  Edelsten  und  Besten  aller  Zeiten  und  Völker.  Wer 
wollte  aber  den  Umschwung  der  Zeit,  wer  die  veränderte  Stellung  der 
Gelehrten  und  Gebildeten  zum  Volke  leugnen?  Wer  kann  sich  der  For- 
derung entziehen,  welche  die  Gegenwart  stellt? 


326  Schul-  und  Universitätsnachrichten, 

vorzubereiten ,  überein.  Grammatische  Sicherheit  und  diejenige  Kennt- 
niss  und  Fähigkeit,  welche  zu  einer  nützlichen  Leetüre  von  Schriftstel- 
lern in  der  Muttersprache  erforderlich  sind,  können  und  müssen  von  dieser 
Stufe  verlangt  werden.  In  Bezug  auf  den  Weg  zur  Erlangung  gramma- 
tischer Sicherheit  stehen  sich  zwei  Ansichten  schroff  einander  gegenüber. 
"Während  die  Einen  grammatischen  Unterricht  ganz  ausschliessen  und  nur 
Erläuterung  an  der  Leetüre  und  mündliche  und  schriftliche  Uebungen 
fordern,  legen  die  Andern  das  grösste  Gewicht  auf  denselben.  W'ährend 
jene  vor  dem  Nachtheile,  den  eine  zu  frühe  Gewöhnung  an  die  Reflexion 
bringen  muss,  warnen*),  stellen  diese  geradezu  als  Ziel  auf,  dass  der 
Schüler  Alles  mit  dem  Bewusstsein  der  Regel  schreibe  und  spreche.  Die 
Wahrheit  liegt  hier  offenbar  in  der  Mitte.  Der  deutsche  Unterricht  darf 
sich  des  grammatischen  Unterrichts  nicht  entschlagen,  er  muss  Einsicht 
in  den  Organismus  der  Sprache  bieten ,  welche  Einsicht  zwar  an  umfäng- 
licher Leetüre,  aber  nicht  ohne  zusammenfassenden  und  ordnenden  Unter- 
richt gewonnen  werden  kann  ;  auf  der  andern  Seite  aber  muss  er  sich 
hüten,  die  Sprache  selbst  wie  ein  dem  Schüler  fremdes  Object  zu  be- 
trachten. Der  vorliegende  Entwurf,  wie  er  überhaupt  sehr  viele  tref- 
fende und  in  den  weitesten  Kreisen  beachtungswerthe  Bemerkungen  ent- 
hält, stellt  daher  mit  Recht  den  Grundsatz  voran,  dass  die  Muttersprache 
nicht  erst  erlernt,  sondern  an  der  bekannten  das  Sprachbewusstsein  ent- 
wickelt werden  solle,  und  eben  so  mit  Recht  fordert  er,  dass  durch  den 
grammatischen  Unterricht  in  ihr  die  Stelle  einer  allgemeinen  Grammatik 
vertreten  und  dadurch  die  nöthige  Grundlage,  auf  welcher  der  Unterricht 
in  den  fremden  Sprachen  zu  bauen  habe,  gelegt  werde.  Dem  entspre- 
chend tritt  die  Satzlehre  in  den  Vordergrund  und  es  werden  für  diesen 
Unterricht  Wurst's  Sprachdenklehre  und  Beclcer's  Leitfaden  empfohlen. 
Es  zeigt  sich  indess,  dass  der  Entwurf  eine  verkehrte  und  einseitige  An- 
wendung der  in  jenen  vorgezeichneten  Methode  **)  vermieden  wissen  will. 
Den  vollsten  Beifall  verdient  auch  die  Vorschrift,  dass  bei  der  Formen- 
lehre,  für  welche  dem  Lehrer  die  Benutzung  von  Hoffmanns  neuhoch- 
deutscher Elementargrammatik  angerathen  wird,  diejenigen  Gesetze  am 
nachdrücklichsten  hervorgehoben  werden  sollen ,  gegen  welche  gewöhnlich 
am  meisten  gefehlt  wird.  Gegen  die  Anordnung,  dass  erst  die  Lehre 
vom  zusammengesetzten  Satze,  dann  die  Flexion  des  Verbums,  hierauf 
die  Lehre  von  den  Satzverbindungen  u.  s.  w,  und  nach  ihr  die  Flexion 


*)  Treffliche  Bemerkungen  darüber  bietet  das  Programm  von  Hüls- 
raann:  Ueber  den  Unterricht  in  der  deutschen  Sprache  und  Litteratur. 
Duisburg,  1842.  Vergl.  auch  Herder's  Werke  XIL  Bd.  286  und  Deut- 
sche Vierteljahrsschrift  1848.  I.  S.  75. 

**)  Wir  verweisen  auf  G.  W.  Hopff:  Ueber  Methode  der  deutschen 
Stilübungen,  Nürnberg,  1848.  S.  6  und  die  von  diesem  angeführten 
W^orte  eines  erfahrenen  Schulmannes  :  , .Selbst  bei  glänzenden  Fortschrit- 
ten im  Erkennen  und  Bilden  der  Sätze  nach  gegebenen  Kategorien,  in 
Kenntniss  der  Wortarten  und  ihrer  Biegung  blieb  der  mühsam  ausge- 
streute Same  stets  ohne  Frucht,  sobald  es  sich  um  freie  Anwendung 
handelte." 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  327 

des  Nomen  durchgenommen  werden  sollen,  sprechen  allerdings  \iele 
Gründe.  Soll  der  Weg  eingehalten  werden,  nach  welchem  die  Formen- 
bildung da  gelehrt  wird,  wo  die  Bedeutung  der  Formen  aus  dem  Satz- 
verhältnisse  erläutert  ist,  so  muss  sich  die  Lehre  von  der  Flexion  des 
Verbi  an  die  Lehre  vom  einfachen,  die  von  der  Flexion  des  Nomen  an 
die  Lehre  vom  bekleideten  Satze  anschliessen ,  beide  also  an  das,  was  für 
den  Unterricht  im  Untergymnasium  vorausgesetzt  ist,  und  man  würde 
dann  die  ganze  Formenlehre  am  Anfange  des  Cursus  erwarten.  Abge- 
sehen davon,  sieht  man  keinen  rechten  Grund  ein,  warum  die  Formen- 
lehre und  die  Satzlehre  in  je  zwei  getrennte  Hälften  getheilt  sind  ,  nicht 
zusammenhängende  Ganze  bilden.  Obgleich  Ref.  der  Ansicht  ist,  dass 
der  grammatische  Unterricht  eine  sehr  grosse  Vereinfachung  erfahren 
kann  und  rauss,  so  sieht  er  doch,  da  für  denselben  in  den  beiden  unter- 
sten Classen  nur  je  eine  Wochenstunde  angesetzt  ist  und  derselbe  später 
nur  nebenbei  in  Erinnerung  gebracht  werden  soll,  dem  Lehrer  eine  sehr 
schwierige  Aufgabe  gestellt,  zumal  wenn  er  berücksichtigt,  dass  auf  der 
Altersstufe,  in  welche  dieser  Unterricht  fällt,  eine  dialogische  Entwicke- 
lung  der  Regeln  nothwendig  ist,  viele  Lehren  aber,  wie  z.  B.  die  von 
den  Prunominibus  und  den  Präpositionen ,  welche  ebenso  wegen  ihrer 
Bedeutung  für  den  Gebrauch  der  Muttersprache,  wie  wegen  der  Ver- 
gleichung  mit  anderen  Sprachen  unmöglich  übergangen  werden  können, 
einer  sehr  mannigfaltigen  und  umfänglichen  Einübung  an  vielen  Beispielen 
schon  um  desswillen  bedürfen,  weil  gegen  sie  im  gewöhnlichen  Leben  sehr 
häufig  gefehlt  wird.  Wenn  für  die  Orthographie  S.  125 — 27  der  Grund- 
satz aufgestellt  wird ,  dass  zwar  das  Gymnasium  zur  Verbreitung  einer 
einfachen,  in  der  Sprache  selbst  begründeten  Orthographie  mit  zu  wirken 
habe,  aber  dabei  die  grösste  Mässigung  zu  beobachten  sei,  so  giebt  dies 
dem  Ref.  Veranlassung,  über  die  in  der  Orthographie  herrschende  Un- 
sicherheit zu  klagen.  Möchten  die  Männer  der  Wissenschaft,  möchten 
die  gelehrten  Gesellschaften  sich  dem  allerdings  nicht  leichten  Geschäfte 
unterziehen ,  unter  Berücksichtigung  der  Sprachelemente,  aber  auch  mit 
gehöriger  Beachtung  des  historisch  durch  den  Gebrauch  Berechtigten,  die 
Gesetze  derselben  aufzustellen,  möchten  dann  dieselben  eine  allgemeine 
Beobachtung  finden  !  Der  Lehrer  befindet  sich  oft  in  grosser  Verlegen- 
heit. Will  er  das  durch  die  Wissenschaft  Herausgestellte  seinen  Schülern 
lehren,  so  tritt  er  damit  in  Widerspruch  gegen  das,  was  diese  in  den 
meisten  Büchern  vor  Augen  bekommen,  und  läuft  Gefahr  Verwirrung  zu 
erzeugen,  zumal  die  Erfassung  der  wissenschaftlichen  Gründe  den  Schü- 
lern meist  unmöglich  ist.  Hält  er  sich  an  den  Schreibgebrauch,  so  stösst 
er  auf  viele  Zweifel,  die  er  den  Schülern  nicht  lösen  kann.  Sollen  dem- 
nach die  Gymnasien  zur  Verbreitung  einer  einfachen  rationellen  Ortho- 
graphie mit  wirken,  so  ist  vorher  die  wissenschaftliche  Begründung  einer 
solchen  und  die  Einführung  derselben  in  die  Schulbücher  nothwendig. 
Das  Dictandoschreiben  ,  welches  für  die  orthographischen  Uebnngen  durch 
den  Entwurf  beibehalten  ist  —  obgleich  durch  den  Inhalt  der  Dictate  und 
durch  die  Weise  des  Vorsprechens  (jedes  Wort  nur  einmal)  noch  andere 
wichtige  didaktische  Zwecke  (schnelle  Auffassung,  rasches  Besinnen,  nütz- 


328  Schul-  und  Universitälsnachricliten, 

liehe  Kenntnisse  u.  s.  \v.)  verfolgt  werden  sollen  — ,  bedarf  von   Seiten 
des  Lehrers   eine  sehr  hohe    Aufmerksamkeit,    weil    leicht    entweder  die 
Aufmerksamkeit  der  Schüler  zu  sehr  angespannt  wird,  indem  neben  der 
Sorge  für  die  Züge  der  Buclistaben   das    Besinnen  auf  die   Orthographie 
und  Interpunction  und  die  Achtsamkeit  auf  den  Sinn  und  Inhalt  der  Worte 
hergehen  müssen,    oder  der  Schüler  an  ein  zerstreutes  und  kopfloses  me- 
chanisches Hören  und  Schreiben  sich   gewöhnt.      Diese  Gefahren  lassen 
sich   allerdings    durch    gute    Methode    beseitigen,    gleichwohl   freut    sich 
Ref.,  dai>s  der  Entwurf  das  Dictiren  nicht   über  die  unterste  Classe  aus- 
dehnt.     Die  Sache  selbst  aber  führt  ihn  auf  einen   schon   oben    berührten 
Gegenstand  zurück,  den  Mangel  des  obligaten  Schreibunterrichts.    Wenn 
der  Zweck  desselben,  wie  ja  wohl  nicht  in  Abrede  gestellt  werden  kann, 
nicht  allein  die  Anbildung  einer  schönen,  sondern  auch  einer  sicheren  und 
leichten   Handschrift   ist,  so  kann  und  darf  er  nicht  allein  im  Nachmalen 
vorgelegter  INlusterschriften  bestehen,  er  muss  das  Dictandoschreiben  in 
sich  aufnehmen;  dann  aber  führt  die  Natur  der  Sache  dahin,   mit  ihm  die 
orthographischen   Uebungen    zu  verbinden,   welche  Verbindung  von   be- 
deutenden Pädagogen  für  die  Volksschule  längst  beantragt   und   in  meh- 
reren Schulgesetzgebungen  bereits  eingeführt  ist.      Das  Dictandoschreiben 
ist  fast  unmöglich  ,  wenn  die  Schüler  noch  keine  geübten  Hände  besitzen. 
Fassen  wir  die  daraus  für  den  in  Cl.  I.   angesetzten  Unterricht   erwach- 
sende Schwierigkeit  ins  Auge,  so  wird  sich  der  aus  dem  Mangel  des   ob- 
ligaten   Schreibunterrichts    hervorgehende    Nachtheil    deutlicher   heraus- 
i^tellen ,  aus   dem    vorher  Gesagten   aber    sich   ergeben ,    dass    demselben 
leichter  eine  Stelle  verschafft  werden  könnte,   als    es  vielleicht   den  Ver- 
fassern des  Entwurfs  erscheinen  mochte.  —    Wenn  wir  das   Pensum  für 
Cl.  ni.  und  IV.  richtig  beurtheilen  wollen,  so  dürfen  wir  die  Ausdrücke: 
,, Einführung  in  die  Hauptpunkte  der  Stilistik"  nicht  in  ihrer  strengen  wis- 
senschaftlichen Bedeutung  nehmen;  die  Instruction  giebt  zur  Abwehr  et- 
waiger unrichtiger  Auffassungen  genügenden  Aufschluss.      Da  ausserdem 
das  Grammatische  nach   dem   vorhergegangenen   Cursus  immer  zu  seiner 
Befestigung  und  Ergänzung  eine  umfänglichere  Berücksichtigung  erfordern 
und  nicht  ganz  nebenbei  hergehen  können  wird,   so  wird   schon  die    Zeit 
ein  Ausschweifen  in  zu  Tiefes  und  zu  Umfangreiches  unmöglich  machen. 
Auch  rücksichtlich    der    in    Cl.  IV.  an   dem   Lesebuche    zu    erläuternden 
Hauptpunkte    der   deutschen   Metrik    wird   die   Zeit  selbst   die  nöthigen 
Schranken    setzen.       Eine    Erleichterung   dafür    bietet  der  gleichzeitige 
Eintritt  der  Bekanntschaft  mit  den  Hexametern  und  Distichen.  —    Ueb  ^r 
die  schriftlichen  Uebungen  sind  sehr  zweckmässige  Vorschriften  gegeben. 
Sie  sollen  in  Cl.  I.  mit  dem  Wiedergeben    von  kurzen   durch    den   Lehrer 
vorgetragenen  Erzählungen  und  Beschreibungen  beginnen,  in  den  folgen- 
den Classen  durch  den  Geschichtsunterricht  eine  Erweiterung  finden  und 
allmälie  auch  zur  eigenen  Production  übergehen,  diese  freilich  nur  in  sehr 
beschränktem  Maasse.      Dass  in   Cl.  IV.   nebenbei   die  Bekanntschaft  mit 
den   Formen   der  Geschäftsaufsätze    gefordert  wird,   ist  in    dem  Stand- 
punkte, von  welchem  die  Zielbestimmung  des  Untergymnasiuras  festgesetzt 
wurde,  begründet.      Der   Schreibunterricht,    auf  dessen   Benutzung  Hr. 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  329 

Mützell  a.  a.  O.  S.  35  hinweist,  konnte  schon  darum  nicht  für  diesen 
Zweck  herbeigezogen  werden ,  weil  er  überhaupt  gar  nicht  als  obligater 
Gegenstand  aufgenommen  ist.  Wir  haben  indess  schon  oben  gesehen, 
dass  der  Entwurf  selbst  auf  diesen  Theil  des  Unterrichts  einen  zu  ge- 
ringen Werth  legt,  als  dass  wir  die  Forderung  für  eine  unumgängliche  an- 
sehen müssten. 

Die  in  der  Bestimmung  des  Zieles  für  das  Obergymnasium  aufge- 
stellte Forderung:  ,, Gewandtheit  im  schriftlichen  und  mündlichen  Ge- 
brauche der  Sprache  zum  Ausdruck  des  allmälig  sich  erweiternden  eignen 
Gedankenkreises"  stimmt  mit  den  Forderungen  der  Meisten,  welche  über 
den  deutschen  Unterricht  geschrieben  haben,  überein,  sie  stimmt  auch 
überein  mit  dem,  was  Ref.  mit  seinen  Collegen  in  dem  Berichte  über 
Nationalitätsbildung  (NJbb.  Snpplementbd.  XV.  S.  4  f.  §.  7)  aufgestellt 
hat:  ,, freie  Beherrschung  der  Muttersprache  im  schriftlichen  und  münd- 
lichen Gebrauche."  Es  hat  diese  Bestimmung  von  manchen  Seiten  als 
zu  weit  gehend  Widerspruch  erfahren;  allein  verlange  man  nun,  was  der 
österreichische  Entwurf  fordert,  oder  was  Wedewer  und  Hüppe  (Der 
deutsche  Sprachunterricht.  Cösfeld  1842 ,  S.  19)  begehren:  „Fertigkeit 
in  mündlicher  und  schriftlicher  Darstellung  mit  logischer  und  stilistischer 
Richtigkeit",  es  wird  immer  Herrschaft  über  die  Sprache  dazu  erfordert. 
Oder  kann  Jemand  in  einem  Geschäfte  gewandt  sein  oder  in  ihm  eine 
Fertigkeit  besitzen  ,  der  nicht  über  die  dazu  gehörigen  Mittel  frei  ge- 
bietet? Kann  Jemandem  Gewandtheit  im  Ausdruck  zugeschrieben  wer- 
den, wenn  ihm  für  das,  was  er  denkt  und  empfindet,  was  er  angeschaut 
hat  und  vorstellt,  die  angemessenen  Worte  und  Wendungen  nicht  zu  Ge- 
bote stehen?  Der  Ausdruck:  ,, freie  Beherrschung  der  Sprache"  schliesst 
ein  vorausgegangenes  Nachdenken  nicht  aus,  er  fordert  nur  die  Fähig- 
keit, aus  sich  selbst  ohne  fremde  Beihülfe  für  jeden  erfassten  Gedanken 
und  jede  gewonnene  Anschauung  den  richtigen,  klaren,  deutlichen,  der 
Sache  angemessenen  Ausdruck  (vergl.  den  Anfang  der  §.)  finden  zu 
können.  Viel  weiter  ging  Spilleke,  indem  er  als  Ziel  des  deutschen  Un- 
terrichts ,,  diejenige  Geistesgegenwart"  bezeichnete,  ,, welcher  nie  das 
rechte  Wort  fehlt."  Das  Hauptmittel  zur  Erreichung  des  besprochenen 
Zieles  sind  die  schriftlichen  Arbeiten,  über  deren  Methode  in  dem  Anhang 
sehr  treffliche  Instructionen  ertheilt  werden.  Besonders  lobenswerth  ist, 
dass  die  Klarheit  des  Denkens,  die  Grundbedingung  eines  guten  Aus- 
drucks, als  das  Erste  und  Hauptsächlichste  der  Beachtung  empfohlen 
wird,  dass  die  Wahl  der  Aufgaben  an  den  in  den  anderen  Lehrobjecten 
gewonnenen  Stoff  *)  verwiesen  und  selbst  die  auf  der  letzten  Stufe  ein- 
tretenden Aufsätze  reflectirenden  Inhalts  hauptsächlich  an  einzelne  gele- 
sene oder  leicht  zugängliche  Stellen  angeknüpft  werden,  so  wie  dass  in 
Betreff  der  letzteren  vor  zu  unbestimmt  allgemeinen  Thematen  und  vor 
dem  Ueberwiegen   solcher,  die    den  poetischen  Sinn   und   die  Phantasie 


"^^  Dadurch  ibt  eine  Abstufung  von  selbst  gegeben,  indem  ja  mit 
jeder  Classe  eine  Erweiterung  des  Gesichtskreises  eintritt,  und  es  er- 
ledigt sich  demnach  das  Bedenken  Hrn.  Mü^zelPs  S.  36. 


330  Schul-  und  Universitätsnachrichten, 

vorzugsweise  in  Anspruch  nehmen,  gewarnt  wird.  Ref.  freut  sich  auch 
darüber,  dass  die  Aufsätze  häufig  genug  gefordert  werden,  um  eine  man- 
nigfaltige und  stetige  Uebung  zu  gewähren,  ja  für  die  oberen  Classen 
dürfte  von  Manchem  eine  geringere  Zahl  aus  doppelter  Rücksicht  ge- 
wünscht werden,  einmal  um  den  Schülern  zu  umfänglicheren  Arbeiten 
Gelegenheit  zu  gewähren ,  sodann  um  für  die  Correctur  einen  grösseren 
Zeitraum  zu  gewinnen.  Ref.  will  das  Letztere  etwas  weiter  erörtern.  Er 
weiss  wohl,  dass  bei  der  Correctur  nicht  alle  Classen  von  Fehlern  ver- 
bessert werden  dürfen,  sondern  immer  nur  diejenigen,  welche  der  Stufe 
des  Unterrichts  entsprechen.  Ist  man  von  dem  Schüler  Vollkommenes  zu 
fordern  nicht  berechtigt,  so  entsteht  durch  Hinlenkung  seiner  Aufmerk- 
samkeit auf  zu  Vieles  auf  einmal  nur  Verwirrung  in  ihm  und  es  wird  zum 
wenigsten  das,  was  für  ihn  gerade  die  Hauptsache  i.st ,  nicht  genügend 
herausgestellt.  Auch  verlangt  Ref.  keineswegs,  dass  der  Schüler  über 
den  Grund  jeder  Correctur  zum  Bewusstsein  gebracht  werde.  Vieles 
beruht  auf  dem  Gefühle  und  in  sehr  vielen  Fällen  nützt  die  blosse  Ueber- 
setzung  des  Richtigen  mehr,  weil  sie  den  Schüler  zum  Denken  anregt. 
Erleichtert  wird  ferner  die  Correctur,  wenn  der  Gegenstand  vor  der 
Ausarbeitung  mit  dem  Schüler  besprochen  worden  ist  —  und  aus  diesem 
Grunde  hat  wohl  auch  die  Instruction  S.  137  dies  als  allgemeine  Norm  '") 
aufgestellt.  Zeitersparniss  beim  Durchgehen  der  Arbeiten  wird  endlich 
dadurch  ermöglicht,  dass  allgemeine  Fehler  nur  einmal  besprochen  wer- 
den. Allein  trotzdem  bleibt  des  Individuellen  und  Besonderen  genug 
und  mehrt  sich,  je  mehr  die  Arbeiten  eigene  Prodnctionen  werden,  je 
mehr  die  Entwickelung  Selbstständigkeit  erreicht,  so  dass  der  Lehrer 
zumal  bei  stark  besuchten  Classen  immer  eine  längere  Zeit  zum  Durch- 
gehen der  Arbeiten  bedürfen  wird  **).  Da  alle  14  Tage  2  Stunden  zn 
den  Aufsätzen  bestimmt  sind  ,  so  wird  höchstens  1^2  Stunde  zu  diesem 
Zwecke  bleiben  und  es  dürfte  demnach,  für  die  oberen  Classen  wenig- 
stens, eine  Modification  der  Vorschrift  nicht  ganz  unräthlich  sein.  Münd- 
liche Uebungen  sind,  wie  nicht  anders  zu  erwarten  war,  durch  alle  Clas- 


*)  Ohne  das  Gewicht  der  von  Hrn,  Mützell  a.  a.  O.  S.  36  gemach- 
ten Bemerkungen  zu  verkennen,  sind  wir  doch  der  Ueberzeugung ,  dass 
in  den  allermeisten  Fällen  vorherige  Besprechung  nützlich  sei,  weil  der 
Schüler,  je  weniger  Schwierigkeiten  ihm  die  Auffindung  des  Stoffes  macht, 
desto  grössere  Aufmerksamkeit  der  Form  zuwenden  kann.  Nur  darf  der 
Lehrer  zweierlei  nicht  aus  den  Augen  verlieren,  einmal  dass  die  Bespre- 
chung den  Schüler  auf  acht  sokratische  Weise  zum  Selbstfinden  und  Er- 
innern leite,  sodann  dass  ihm  zur  Einschlagung  frei  gewählter  Wege  und 
zur  Aeusserung  eigener  Gedanken  genug  S|)ielraum  bleibe.  Damit  der 
Schüler  nur  solches  gebe,  was  ganz  zu  seinem  geistigen  Eigenthum  ge- 
worden ,  untersage  man  ihm  jedes  Nachschreiben  während  der  Bespre- 
chung. 

**)  Der  von  Manchen  aufgestellten  Ansicht,  dass  es  genüge,  wenn 
der  Schüler  nur  wisse,  seine  Arbeit  werde  controlirt ,  kann  man  gewiss 
nicht  das  Wort  reden,  da  sie  im  Grunde  nichts  Anderes  besagt,  als  man 
müsse  den  Schüler  auf  Fehler  und  Mängel  aufmerksam  machen,  dürfe 
ihn  aber  rathlos  lassen  über  die  Mittel  zu  ihrer  Verbesserung. 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  331 

sen  vorgeschrieben,  eigentliche  Redeübungen,  d.  h.  ,,das  Vortragen 
selbstverfasster  Reden  von  den  Schülern  vor  ihrer  Classe"  nur  für  die 
letzte  Classe  zugelassen.  Ob  nicht  schon  in  den  vorhergehenden  Classen 
einen  vorbereitenden  Anfang  damit  zu  machen  rathsam  sei ,  indem  man 
dem  Schüler  zumuthet,  nach  gehöriger  Vorbereitung  Gegenstände  von 
grösserem  Umfange,  z.  B.  geschichtliche  Begebenheiten  *),  im  Zusam- 
menhange frei  vorzutragen  oder  über  die  Gegenstände,  über  welche  vor- 
her Arbeiten  gefertigt  sind,  mit  Benutzung  der  Correctur  und  der  dabei 
gemachten  Bemerkungen  aus  dem  Gedächtnisse  zu  sprechen,  will  Ref. 
unerÖrtert  lassen,  eigentliche  Redeübungen  können  nur  ganz  zuletzt  statt- 
finden; aber  diesen  dürfen  nicht  allein  förmlich  abgefasste  Reden  zu 
Grunde  gelegt  werden,  es  ist  vielmehr  die  Forderung  zu  stellen ,  dass  der 
Schüler  über  einen  leichten  Gegenstand ,  über  den  er  bereits  einmal 
nachgedacht  haben  oder  der  ihm  gegenwärtig  sein  muss,  nach  einigem 
Nachdenken  frei  spreche,  eine  Uebung,  die  allerdings,  verkehrt  betrieben, 
grosse  Gefahren  hat,  aber  sorgfältig  und  besonnen  geleitet,  den  doppelten 
Nutzen  gewährt,  die  Schüler  an  rasche  Sammlung  ihrer  Gedanken  zu  ge- 
wöhnen und  ihnen  Anleitung  zu  geben,  wie  sie  im  gewöhnlichen  Leben, 
namentlich  im  wissenschaftlichen  Verkehr,  ihre  Ansichten  klar  und  bün- 
dig vortragen  und  abweichende  richtig  bekämpfen.  Sehr  wohl  begrün- 
det ist  die  in  dem  Entwürfe  in  Betreff  der  Redeübungen  gegebene  War- 
nung, dass  sie  nie  zu  einem  leeren  Spiele  der  Unterhaltung,  aber  auch 
nie  zu  eitler  Phrasenmacherei  ausarten  dürfen.  Gerade  um  desswillen 
aber  scheint  es  dem  Ref.  nothwendig,  dass  nicht  immer  die  Schüler  selbst 
die  Themata  wählen  und  dem  Lehrer  zur  Billigung  vorlegen,  sondern 
dass  sie  auch  genöthigt  werden ,  Gegenstände  zu  behandeln  ,  die  ihnen 
gleichsam  aufgedrungen  sind  ,  und  dadurch  sich  selbst  überwinden  lernen. 
Was  den  Unterricht  in  der  Nationallitteratur  betrifft,  so  wird  der- 
selbe fast  ganz  auf  Leetüre  basirt,  so  dass  den  Schülern  kein  litterar- 
historisches  Hilfsbuch  **),  sondern  nur  eine  Chrestomathie  in  die  Hände 
gegeben  werden  soll.  Durch  die  LecLÜre  soll  auch  die  historisch  erwei- 
terte Kenntniss  der  Sprache,  welche  in  dem  Ziele  mit  enthalten  ist,  ge- 
wonnen werden.  Ref.  kann  nicht  unterlassen  hier  auf  die  Frage  einzu- 
gehen ,  ob  und  wie  weit  eine  solche  von  dem  Gymnasium  zu  fordern  sei. 
Suchen  wir  zuerst  die  Gründe,  welche  von  denen  angeführt  werden,  die 
das  Studium  des  Altdeutschen  —  wir  wählen  mit  Absicht  diesen  Collectiv^ 
namen  —  als  einen  nothwendigen  Theil  der  Gymnasialbildung  betrachten, 
so  sind  es  hauptsächlich  folgende:  Eine  gediegene  Kenntniss  der  deut- 
schen Sprache  kann  der  nicht  besitzen,  welcher  nur  die   gegenwärtigen 


''')  In  dem  Geschichtsunterrichte  sind  solche  Uebungen  auch  nöthig, 
aber  das  Materielle  überwiegt  hier ,  das  Formelle  fällt  dem  deutschen 
Unterrichte  zu. 

'•'*)  Dem  Vernehmen  nach  ist  der  Professor  der  deutschen  Litteratur 
an  der  Universität  zu  Pesth,  Schröer,  mit  der  Ausarbeitung  eines 
Compendiums  der  deutschen  Litteraturgeschichte  für  die  höheren  Lehr- 
amtalten Oesterreichs  beschäftigt. 


332  Schul-  und  Universitätsnachrichten, 

Formen  der  Sprache  kennt,  nicht  wie  sie  historisch    entwickelt  und  sich 
gestaltet  haben ;  treten  doch  die    Geltungen   der   einzelnen   Formen,   die 
Gesetze  der  Flexion,    die  Stammverwandtschaften   der  Wörter  und   ihre 
Bedeutungen  erst  dann  klar  vor  Augen,  wenn  man  auf  die  älteste  Gestal- 
tung der  Sprache  zurückgeht.      Da  ferner  die  Sprache  der  Ausdruck  des 
Geistes,  der  objectivirte  Geist  ist,  so  muss  derjenige,   welcher   die   Gei- 
stesentwickelung  seines  Volkes  recht  anschauen  will — und  dies  wird  doch 
von  Jedem,  der  auf  höhere  Bildung  Anspruch  macht,  gefordert   — ,  auch 
die  Entwickelung  jener  kennen.      Und  wird   Bekanntschaft   mit  der   Na- 
tionallitteratur  gefordert,  so  ist  doch  die  Kenntniss  des   sprachlichen  Ge- 
wandes, in  das  sie  in  den  verschiedenen  Zeitaltern  gekleidet  war,  unaus- 
schliessbar,    da   ja  nur  Form  und    Inhalt    in   ihrer  gegenseitigen  Durch- 
dringung eine  volle  Anschauung  der  Kunstwerke  geben.      Ja,    was  ist  im 
Allgemeinen  bildender,  als  den  Gang  zu  verfolgen,   den   der  Geist  eines 
^'olkes  in    der    Gestaltung  seiner   Form    eingeschlagen    und   zurückgelegt 
hat,  welches  Volk  aber  läge  uns  näher,  um  an  ihm  dies  zu  thun  ,  als  das 
eigene?  Den  Mangel  an  geeigneten  Hülfsmitteln  hoffen  sie  bald  beseitigt 
zu  sehen  und  in  der  That  ist  dafür  auch  bereits   nicht  Unerhebliches  ge- 
leistet worden  (wir  erinnern  nur  an   die  auch   im   vorliegenden   Entwürfe 
mit  vollem  Rechte  empfohlene  deutsche  Grammatik  von    Vilmar).      Allein 
das  erste   entgegenstehende    Hinderniss  bildet  immer   die  Schwierigkeit 
der  Sache;  diese  aber  besteht  nicht  allein  darin,  dass  die  gothischen,  alt- 
und  mittelhochdeutschen  Texte  keineswegs  eine  so  sichere  Gestalt  haben, 
um  auf  ihnen  als  auf  verlässlicher  Grundlage   die   Grammatik  vollständig 
auf-  und  auszubauen  —  dagegen  würde  man   einwenden,   dass  des  Fest- 
stehenden  genug  sei  — ,  sondern  vielmehr    in    der  Mannigfaltigkeit    der 
Lautwandelungen,  in  der  Unbestimmtheit  so  vieler  syntaktischer  Regeln, 
in  dem  Mangel  so  vieler,  das  Gewordene  an   das   Gewesene   knüpfenden 
und  den  Veränderungsprocess  genügend  aufhellenden   Mittelglieder.      Soll 
hierin  von  dem  Schüler  etwas  geleistet  werden  ,  so  bedarf  es  grosser  An- 
strengung, durch  welche  nothwendig  die  übrigen  Bildungselemente  beein- 
trächtigt werden  müssen,  und  kann  das  Studium  nicht  zu  einem   gewissen 
Abschluss  gebracht  werden,  so  ist  die  Mühe  meist  vergeblich  aufgewendet, 
da  ja  die  grössere  Mehrzahl  der  Schüler  zur  Fortsetzung  auf  der  Univer- 
sität vseder  Zeit  noch  Neigung  besitzt.      Ref.  meint,  die  Stimmen  solcher 
Forscher  und  Kenner  des  deutschen  Alterlhums,  wie  Jacob  Grimm  u.  A., 
welche  sich  auf  das  Entschiedenste  gegen    die  Aufnahme  jenes   Studiums 
in  den  Kreis   der  Gymnasien    erklärt  haben,   müssten    wenigstens   davon 
abhalten,  einen  Versuch  damit  zu  machen.      Nützlich  und  schön  wäre  es, 
könnten  wir  es  dahin  bringen,  dass  das  gesammte  deutsche  Wesen  Gegen- 
stand des  Jugendunterrichts  wäre;  aber  nicht  Alles,  was  wünschens-  und 
erstrebenswerth   erscheint,  ist  desshalb   auch   nothwendig  und    möglich. 
Wäre  zu  erweisen,  dass  Niemand  ohne  Kenntniss  des   Altdeutschen    die 
neuhochdeutsche  Sprache  in  ihrem  Organismus  aufzufassen  oder   sich  in 
derselben  richtig  und  schön  auszudrücken  im  Stande   sei,    so   würde   die 
Frage  entschieden  sein.      V^ir  müssten  es  möglich  machen,  jenes  Studium 
aufzunehmen.      Aber  es  spricht  ja  eine  so  unendliche  Menge  von   That- 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  333 

Sachen  dagegen ,   dass  wohl  Niemand  jene  Behauptung  im   Ernste   wird 
thun  wollen.      Will  man   um  der  Einsicht  in  die  Gesetze  der    Sprachent- 
wickelung im  Allgemeinen  willen  dasselbe  eingeführt  NAissen,   so  ist  wie- 
derum zu  entgegen,  dass  jene  weder  in   dem   Zwecke  der  Gymnasialbil- 
dung enthalten  ist  —  denn  man  will  ja  nicht   gelehrte   Sprachkenner  und 
Sprachphilosophen  bilden  —  noch  erreicht  werden  kann  ,    da ,    was  Män- 
nern erst  nach  jahrelangen  Bemühungen   sich   erschliesst,  unmöglich   der 
Jugend  schon  zugänglich  ist.      Freilich,  will  man  die  Geschichte  der  Na- 
tionallitteratur  lehien,   so  wird  man  auch  den  Schülern   wenigstens  eine 
Anschauung  von  der  Form  geben  müssen,  deren  sich   die   älteren  Sänger 
und  Schriftsteller  bedient  haben.      Dazu  genügt  aber  die  Vorlegung  eini- 
ger Proben  und  die  Vergleichung  derselben  mit  dem   Neuhochdeutschen. 
Betrachtet  man,  dass  die  altdeutschen  Gedichte  in  neuhochdeutscher  Be- 
arbeitung verhältnissmässig  viel  weniger  verlieren  ,  als  die  alten  Classiker 
in  Uebersetzungen  —  wir  unterlassen  es  Auctoritäten  anzuführen  — ,  so 
wird  man  kaum  mehr  verlangen.      Wenn  nun  der  vorliegende  Entwurf  die 
Leetüre  einer  Auswahl  aus   dem   Mittelhochdeutschen   in  der   Chrestoma- 
thie —  die  Forderung  wird  durch  das  als  ungefähres  Muster  aufgestellte 
Henneberger'sche  Lesebuch  *)  anschaulicher  —  und  das  Durchgehen  eini- 
ger die  auf  einander  folgenden  Stufen  der  Sprachentwickelung  zusammen- 
stellenden Paradigmen  fordert,    so  ist  Ref.   damit   im   Allgemeinen  ganz 
einverstanden ;  dagegen  stimmt  er  darin  Hrn.  Mützell  bei ,   dass   der  Un- 
terricht darin  zu  früh  angesetzt  sei,  welche  Ansicht  im  Folgenden  weitere 
Beleuchtung  erhalten   wird.       In    Betreff  der  Nationallitteratur    nämlich 
muss  diejenige  Periode  und  Entwickelungsstufe  ,  welche  auf  die  Bildung 
der  Gegenwart  den  wichtigsten  Einfluss  gehabt  hat,  also,  um  es  bestimmt 
zu  bezeichnen,  für  jetzt  die  Blütheperiode,  die  mit  der  Mitte  des  vorigen 
Jahrhunderts  beginnt,  am  genausten  und  vollständigsten  gekannt  werden. 
Desshalb  wäre  an  und  für  sich  gegen  die  Bestimmung  des  Entwurfs,  dass 
die  Zeit  vom  Sinken  des  Mittelalters  bis  zu  Opitz  nur  ganz  kurz  über- 
sichtlich behandelt  werden  solle ,   nichts  einzuwenden ,  wenn  dabei  nicht 
der  ungeheure  Einfluss,  den  das  Zeitalter  der  Reformation   und  nament- 
lich   die   Lutherische    Bibelübersetzung    auf  die   Litteratur    gehabt   hat, 
welcher  Einfluss   auch  von  den   Katholiken   anerkannt  werden  muss  und 
ohne  Verläugnung  ihres  kirchlichen  Dogma   anerkannt  werden   kann,  zu 
sehr  in  den  Hintergrund  träte.      Um  aber  sich  auf  die  Höhe   der  Bildung 
der  Gegenwart  zu  erheben,  genügt  es  nicht,  dass  man  nur  mit  einzelnen, 
wenn  auch  immer  den   bedeutendsten  Werken  der   Dichter  und   Schrift- 
steller, deren  Einfluss  noch  immer  im  Volke  wirksam  lebt,  Bekanntschaft 
habe ,  man  muss  in  das  ganze  Wesen  derselben  eingedrungen  sein.     Frei- 
lich wird  hier  die  Privatlectüre  den  grössten  Theil  zu  übernehmen  haben, 
freilich  wird  nach  Zurücklegung   des  Schulcurses   eine  fortdauernde    Be- 
schäftigung vorausgesetzt  werden;    aber    die  Schule    muss    die  tüchtige 
Vorbereitung  und  Anleitung  dazu  geben  ,  schon  um  falsche  Auffassungen 


*)  Wir  werden  nächstens  über  dasselbe  einen  Bericht  bringen. 


334  Schul-  und  Universitätsnachrichten, 

zu  verhüten  *).      Mit  Recht  hat  daher  schon  Hr.  Mützell  a.  a.  O.  S.  43 
darauf  aufmerksam  gemacht ,  dass  zur  Erreichung  des  Zieles  eine  umfäng- 
lichere Leetüre    nothwendig   sei.      Betrachten   >\ir   ferner,   was   in    dem 
üntergymnasium    im  Deutschen  und   in  den  übrigen   Sprachstunden   be- 
reits erreicht  sein  kann,    so  wird  man   darin    nur  die  ersten  Anfänge  zu 
einer  richtigen  Würdigung  von  Kunstwerken   finden.      Es  sollen  nun  die 
Schüler  mit  einem  Male  in  die  mittelalterliche  Litteratur  eingeführt  wer- 
den, deren  richtige  "Würdigung  doch  schon   ein  geübtes  ästhetisches  Ur- 
theil   und    die  Fähigkeit ^  den  eigenthümlichen  Charakter  des   Zeitalters 
aufzufassen,   voraussetzt.       Eine    nur    einigermaassen    dazu    genügende 
Kenntniss  der  Geschichte  ist  nach  dem  Lehrplane  gewiss  auch  nicht  vor- 
handen.     Es  kann  an  und  für  sich   nichts  dagegen   eingewendet  werden, 
wenn  schon  frühzeitig  durch  Leetüre  Kenntniss  der   mittelalterlichen  Lit- 
teratur gewonnen  werden  soll,  aber  es  muss  dann  später  noch  einmal  dar- 
auf zurückgekommen  werden,  und  um  so  mehr,  je  weniger  vollständig  jene 
Leclüre  gewesen.      Dies  vermisst  Ref.  in   dem   Entwürfe.      Endlich   wird 
in  der  Litteraturgeschichte,  deren    Aufgabe  es  ist,  die  litterarischen  Er- 
scheinungen in  historischen  Zusammenhang    zu  setzen,    demnach   die    Be- 
deutung, welche  jede  für  ihre   und  die  folgende  Zeit  gehabt,  herauszu- 
stellen, leichter  ein  erfreuliches  Ziel  erreicht  werden,  wenn   der   Schüler 
mit  einer  durch   Anschauung  gewonnenen  Kenntniss  der   Kunstgattungen 
und  mit  geübtem  Urtheile  zu  ihr  hinzutritt.      Um  des  doppelten  Zweckes 
willen  also,  einmal  damit  mit  dem  wichtigsten  Theile  der  Litteratur  eine 
umfänglichere  Bekanntschaft   erreicht  werde,  sodann  damit  der  Schüler 
gereifter  sei,  den  historischen  Zusammenhang  tiefer  zu  erfassen,  hält  Ref. 
den  in  dem  Berichte  für  Nationalitätsbildung  vorgeschlagenen  W^eg  (vgl. 
das.    §.  13 — 15,  38—40,  42  und  43,  46)  fest.      Nachdem  durch  Leetüre 
und  Anschauung  eine   genauere  Kenntniss  der  Kunstgattungen  und  eine 
reichere  Bekanntschaft  mit  der  Litteratur    der  neueren  Zeit  gewonnen 
ist,  soll  der  Unterricht   in   der   Litteraturgeschichte   das    Erlernte   in   hi- 
storischen Zusammenhang  unter  sich    und   mit  der    Vergangenheit  setzen. 
Für  diesen  Unterricht  wird  dann  eine  geringere  Zeit  genügen  und  ausser- 
dem der  Vortheil  erzielt  werden,   dass,  indem   bei  der  Leetüre   nicht  so 
viele  andere  Punkte  berücksichtigt  zu  werden  brauchen,  die  Aufmerksam- 
keit  sich    mehr   auf  den  historischen   Zusammenhang  concentriren  kann. 
Daran  wird  sich  dann  als  Abschluss  der  in  dem  Entwürfe  für  Cl.  VJII.  an- 
gesetzte  Unterricht,   gewissermaassen   die  theoretische  Beleuchtung   des 
vorher  praktisch  und    historisch   Betrachteten  zweckmässig  anschliessen. 
Die  analyti.sche  Aesthetik,  darin  bestehend,  dass  die  aus  der  Leetüre  der 
altclassischen  Schriftsteller  und   der   Nationallitteratur  den   Schülern  be- 
kannt   gewordenen    Erscheinungen   prosaischer  und    poetischer    Rede  zu 
Gruppen  vereinigt   und   als   Ergebni.ss   aus    der  Kenntniss   des  Einzelnen 
eine  der  Systematik  sich  nähernde  Charakteristik  der  Hauptgattungen  ge- 
wonnen wird  (es  wird  dafür  die  dritte  Abtheilung  von  Kurz's  Litteratur- 


♦)  Hülsmann  in  dem  oben    angeführten   Programme   weist   dies  sehr 
treffend  an  Lessing's  Nathan  dem  Weisen  nach. 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen,  335 

geschichte  empfohlen),  verdient  in  allen  Gymnasien  auf  der  letzten  Stufe 
aufgenommen  zu  werden.  Durch  die  Bemerkungen  des  Ref.  wird  übrigens 
nichts  dem  Lobe  genommen,  welches  die  Verfasser  des  Entwurfs,  indem 
sie,  an  gegebene  enge  Grenzen  gebunden,  mit  grösster  Besonnenheit  und 
Einsicht  das  Möglichste  zu  erreichen  suchten,  in  vollem  Maassc  verdienen. 

(Die  Fortsetzung  dieses  Artikels  folgt  in  den  Supplement-Bänden.) 

Coesfeld.  Das  dortige  Gymnasium  zählte  im  Schuljahre  1848 
gerade  170  Schüler,  im  folgenden  Jahre  167.  Das  Lehrercollegium  be- 
steht aus  dem  Director  Prof.  Dr.  Schlüter,  dem  Prof.  Rump ,  den  Ober- 
lehrern Dr.  Marx,  Hüppe,  Dr.  th.  Teipel,  den  Gymnasiallehrern  Dr.  Grü- 
ter ,  Bachoven  von  Echt,  Löbker ,  dem  Hülfslehrer  Weierstrass,  zu  denen 
der  Gesanglehrer  Fölmer  und  der  Zeichnenlehrer  Marschall  kommen.  Der 
Oberlehrer  Dr.  Middendorf  ist  1848  um  Ostern  nach  Münster  versetzt 
und  Löbker  statt  seiner  eingetreten.  Die  wissenschaftliche  Abhandlung 
schrieb  fürs  Schuljahr  1848  Dr.  Telpel:  De  scriptis  Joannis  apostoli  etc, 
24  S.  4.  Fürs  Jahr  1849  geht  den  Schulnachrichten  eine  Schulrede  vom 
Director  voraus ,  gehalten  zur  feierlichen  Entlassung  der  Abiturienten 
am  30.  August  1848.  Der  zur  Spendung  der  h.  Firmung  im  Sommer  1849 
in  Coesfeld  anwesende  Bischof  von  Münster  wurde  von  der  Anstalt  bei 
seinem  Besuche  mit  Ueberreichung  eines  deutschen  und  eines  griechischen 
Gedichtes  begrüsst,  die  der  Oberlehrer  Teipel  verfasst  hatte, 

Jena  ,  im  Dec.  1849.  Die  Zahl  der  hier  Studirenden  beträgt  im 
Laufe  dieses  Semesters  370,  also  38  weniger  als  im  vergangenen  Sommer- 
halbjahre, weiche  Abnahme  indess  darum  weniger  befremden  darf,  weil 
die  meisten  thüringischen  Gymnasien  nur  zu  Ostern  ihre  Abiturienten 
entlassen,  so  dass  der  neue  Zuwachs  zu  Michaelis  fast  nur  aus  solchen 
besteht,  welche  von  andern  Universitäten  kommen,  oder  von  Schulen 
benachbarter  Staaten  abgegangen  sind ,  während  die  Zahl  der  von  Jena 
Abgehenden  sich  ziemlich  gleich  bleibt.  Wie  von  anderen  Universitäten 
(z.  B.  Giessen)  über  den  schwachen  Besuch  der  Vorlesungen  über  allge- 
meine Wissenschaften  in  öffentlichen  Blättern  berichtet  v>ird  (v\as  man 
als  nächste  Folge  und  als  Missbrauch  der  ertheilten  Lernfreiheit  ansehen 
zu  müssen  glaubt)  ,  so  wird  auch  hier  über  den  nur  schwachen  Besuch 
der  meisten  Vorlesungen  über  Geschichte,  selbst  Politik,  und  Philosophie, 
ja  selbst  über  allgemeinere  theologische  Disciplinen,  geklagt  und  von  Ein- 
zelnen dem  Ministerium  ein  Vorwurf  daraus  gemacht,  dass  es  den  Colle- 
gienzwang  aufgehoben  habe,  ohne  zugleich  an  die  Stelle  desselben  stren- 
gere Bestimmungen  über  Examina  zu  setzen,  über  welche  letzteren  aller- 
dings von  dem  Senat  schon  vor  Jahresfrist  gutachtliche  Vorschläge  ein- 
gefordert worden  waren.  Allein  man  darf  nicht  vergessen,  dass  bei  einer 
fortdauernden  Betheiligung  aller  herzogl.  sächsischen  Ministerien  (welche 
ja  seit  dem  März  1848  durch  die  politischen  Verhältnisse,  namentlich 
durch  ihre  Karamerverhandlungen ,  so  vielfach  in  Anspruch  genommen 
wurden)  an  der  Oberleitung  der  akadenäschen  Angelegenhf  iten  eine  jede 
Reform  vielfach  verzögert  und  erschwert  bleiben  uird,  und  es  ist  desshalb 


336  Schill-  und  Universitätsnachrichten  u.  g.  w. 

um  so  mehr  zu  beklagen,  dass  durch  die  vielbesprochenen  und  vielfach 
gepflogenen  Unterhandlungen  über  die  Einigung  der  thüringischen  Staaten 
nicht  wenigstens  eine  Vereinbarung  über  eine  einheitliche  Oberbehörde 
für  die  allen  gemeinsame  Landesuniversität  herbeigeführt  worden  ist. 
Ausserdem  aber  ist  daran  zu  erinnern,  dass  unter  den  Hunderten  von  Zu- 
hörern, welche  einst  alle  Vorlesungen  des  verewigten  Luden  besuchten, 
sehr  Viele  waren,  welche  durch  keinen  CoUegienzwang  dazu  getrieben 
wurden,  dass  derselbe  noch  jetzt  sehr  rüstige  Philosoph  Reinhold,  der 
im  vorigen  Jahrzehend  vor  mehr  als  hundert  Zuhörern  Geschichte  der 
Philosophie  las,  jetzt  oft  nicht  mehr  als  zwanzig  hat,  obgleich  die  Zahl 
der  Studircnden  seit  1833  nur  um  200  abgenommen  hat.  Daneben  sind  aucli 
noch  jetzt  die  publice  gehaltenen  Vorlesungen  von  VVolff  über  deutsche 
Litteratur  des  achtzehnten  Jahrhunderts ,  von  Schieiden  über  Anthropo- 
logie stark  besucht;  auch  die  Vorträge  von  Dr.  Beruh.  Stark  über  Ra- 
phael  finden  Theilnahme.  Es  liegt  also,  selbst  abgesehen  von  den  be- 
schränkten Mitteln  der  Mehrzahl  unsrer  Studirenden,  tiefer,  als  Manche 
zu  glauben  geneigt  sind ;  es  ist  als  ein  Symptom  der  allgemeinen  Rich- 
tung unserer  Jugend  auf  das  unmittelbar  Nothwendige  anzusehen,  welches 
auch  von  den  Lehrern  an  Gymnasien  wohl  beachtet  werden  rauss,  damit 
sie  demselben  entgegenarbeiten.  Als  äusserlich  fördernde  Momente  dieser 
Richtung  sind  die  Fortschritte  des  Gymnasialunterrichts  in  den  ver- 
schiedenen Gegenständen  anzusehen ,  welche  dem  Abiturienten  eine  fer- 
nere Beschäftigung  mit  denen,  die  ihm  nicht  näher  liegen,  als  unnöthig 
erscheinen  lassen,  und  die  Vermehrung  der  zu  den  speciellen  Fachstudien 
gehörigen  Vorlesungen,  so  wie  die  Ausdehnung  derselben,  welche  ihm 
wenig  Zeit  zu  anderen  Collegien  übrig  lassen.  [^^«J 


Inhalt 

von  des  achtundfunfzigsten  Bandes  drittem  Hefte. 


Seite 


Kritische  Beurtheilungen.  ...         227 — 296 

Hofmann:    Der    römische   Senat    zur    Zeit    der    Re-   )     Von  Prof. 

publik SDt.W.  Rein  227—24  < 

Zumpt:  De  legibus  judiciisque  repetund.       ....      )  zu  Eisenach. 
Tchorzewski :   De  Politia,    Timaeo,    Critia,    ultimo  Piatonis  ternione. 

Von  Prof.  Dr.  G.  Stallbaum  ^    Rector  der  Thomasschule  u.  s.  \v. 

zu  Leipzig. 248—268 

Hogg  :  Lateinische  Lehr-  und  Lesestücke j  Von  Dr.  Mb. 

Derselbe:  Aufgaben  über  die  lat.  Lehr-  und  Lesestücke,  t  Vogelmann  ^cq^^q*} 
Derselbe:  Andeutungen  zum  Gebrauche  der  lateinischen  f  zu  Ellwan- 

Lehr-  und  Lesestücke \         gen. 

Gödeke  :  Deutschlands  Dichter  von  1813  bis  1843.  —  Von  Dr.  J.  Minck- 

witz  zu  Leipzig 282-291 

Richter:  Lehrbuch  der  Planimetrie.  —    Von  Dr.  C.  Bottger  zu  Rudol- 

stadt.     , 291—296 

Schul-  u.  Universitätsnachrichten,  Beförderungen  u.  Ehrenbezeigungen.  296 — 336 

Kaiserthum  Oesterreich 296 — 335 

Coesfeld 335 

Jena 335 — 336 


Leipzig, 

Droek  uDd  Verlag  von  B.   G.  Teuboer. 

1950. 


Neue 

JAHRBOGHER 

für 

Philologie  und  Pädagogik, 

oder 

Kritische  Bibliothek 

für  das 

Schul-  und  UnterricIltSAvesen. 


In    Verbindung  mit  einem  Vereine  von  Gelehrten 

begründet  von 

M.  Job.  Christ.  Jahn. 

Gegenwärtig  herausgegeben 


von 


Prof.  Reinhold  Klotz  zu  Leipzig 


und 


Prof.  Rudolpli  Dietscli  zu  Grimma. 


zu  AXZIGISTER    JAHROAIKO. 

Aclitundfunfzigster    Band.      Viertes     Heft. 


Leipzig;  1850. 

Druck  und  Verlag  von  B.  G.  Teubner. 


Kritische  Beurtheilungen. 


Die  Cooptation  der  Römer  von  Dr.  L.  MercM'm. 

(Bescliluss  der  Kecension  über  Ihne,  Hoffmann  und  ZumiA.) 

Ein  sehr  scliätzbarer  Beitrag  zur  Kenntniss  des  in  den  letzten 
Decennien  von  Kiibino,  Hiischke  und  vorzüglich  von  Arabroscli 
angebauten  römischen  Sacraircchts  ist  Nr.  4,  eine  Schrift,  welche 
ebenso  sehr  von  dem  bekannten  Scharfsinn  des  Verf.  ein  neues 
günstiges  Zeugniss  ablegt ,  als  von  dessen  fleissigem  Studium .  in- 
dem Hr.  M.  nicht  allein  die  Quellen  gewissenhaft  durchforscht, 
sondern  auch  die  gesammtc  Litteratur  des  In-  und  Auslandes  sorg- 
fältig benutzt  Iiat,  so  dass  in  Beziehung  auf  das  gesammelte  Ma- 
terial sehr  wenig  nachzutragen  sein  diirfte.  Auch  die  gewonne- 
nen Resultate  stehen  der  Hauptsache  nach  fest  und  gewähren 
eine  wirkliche  Bereicherung  der  Wissenschaft,  obwohl  Hr.  M.  in 
einzelnen  Partieen  die  Sphäre  der  Cooptation  etwas  zu  weit  aus- 
dehnt und  aus  einzelnen  Aeusserungen  oder  Nebenmomenten  auf 
die  Existenz  einer  Cooptation  schliessen  will,  welche  auf  die  sa- 
cralen  und  eigentlich  collegialen  Verhältnisse  strenger  zu  begren- 
zen war. 

Bei  dem  ersten  Anblick  könnte  es  zwar  scheinen,  als  ob  die 
Frage  nach  der  Ergänzung  und  Fortpflanzung  der  priesterlichen 
Corporationen  eine  äusserliche  und  von  untergeordneter  Art  sei, 
allein  dem  ist  nicht  so  und  Hr.  J\J.  hat  sehr  richtig  gerade  damit 
begonnen,  denn  um  zur  tieferen  Kenntniss  der  römischen  Reh'gion 
zu  gelangen,  muss  man  bei  den  Priesterschaften  anfangen  und  von 
da  zu  dem  Cultus  übergehen.  Die  Priesterschaften  aber  müssen 
zuerst  erforscht  werden  und  zwar  theils  in  ihrer  sacralen  Bedeu- 
tung, theils  in  ihrem  Verhältnisse  zum  Staate.  In  dieser  letzte- 
ren Beziehung  tritt  die  Lehre  von  der  Cooptation  der  Priester, 
welche  mit  der  der  weltlichen  Collegien  mehrfach  übereinstimmt, 
hauptsächlich  hervor,  so  dass  die  allgemeine  Cooptation  mit  in 

22* 


340  Römische  Staaisaltertluimer. 

den  Kreis  der  Untersuchung  gezogen  werden  muss,  was  Ilr.  M. 
auch  gethan  hat.  Er  beginunt  mit  einer  Einlei  tung  üb  er  d  eii 
IJegrif  f  d  er  Coop  tati  0  n,  wo  die  verschiedenen  Worte,  wel- 
che die  Römer  fiir  Wahl  gehrauchten,  von  einander  unterschieden 
werden.  Cieare  wird  aufgefasst  als  das  Schallen  von  etwas 
Neuem,  noch  nicht  Vorhandenem,  etwa  wie  facere;  cooptare  ist 
das  corporative  Wählen  mit  der  Idee  der  zukünftigen  durch  die 
Wahl  beabsichtigten  Gemeinschaft  des  W^ählers  und  des  Gewälil- 
ten.  Adoptare  bezeichnet  ebenfalls  die  Vermehrung  von  etwas 
Bestehendem  durch  Hinzutreten  eines  fremden  Bestandtheiles,  aber 
ohne  Andeutung  des  collegialen  Verhältnisses,  und  adlegere  ist 
ganz  älinlich ,  nämlich  addere  iegendo,  während  jenes  für  addere 
optando  steht.  Sublegere  und  siifflcere  bedeuten  das  Ausfüllen 
einer  Lücke  durch  einen  Ersatzmann.  Sonach  wird  sich  Coopt. 
bei  allen  Corporationswahlen  finden  und  zwar  zuerst  bei  den  pa- 
tricischen  Geschlechtern,  als  den  ältesten  Innungen.  Von  diesen 
liaudelt  Abschnitt  I.  S.  11 — 25,  wo  4  Arten  verschiedener  Auf- 
nahmen in  das  röm.  Patriciat  getrennt  werden:  1)  von  einzelnen 
Fremden,  2)  fremder  gentes ,  3)  plebejischer  gentes,  4)  einzelner 
Plebejer.  Die  Coopt.  wurde  durch  den  König  und  die  Curien  ge- 
meinsam bewirkt,  wie  sich  aus  den  einzelnen  von  Hrn.  M,  sehr 
sorgfältig  erörterten  Fällen  ergiebt.  Bei  dieser  Gelegenheit  sagt 
Hr.  M.  S.  20,  der  Beweis  für  meine  Behauptung,  jjdass  die  unter 
Brutus  und  Valerius  aufgenommenen  absolut  minores  hiessen"",  sei 
noch  zu  erwarten,  wozu  ich  wenige  Worte  bemerke.  Dass  die 
Geschlechter  des  Brutus  und  Valerius  minores  hiesscn,  ist  nicht 
zu  bezweifeln  und  ich  fügte  das  Wort  „absolut"  hinzu,  weil  ich 
den  Gegensatz  zu  den  gent.  des  Tarq.  Priscus  im  Auge  hatte. 
Diese  nämlich  scheinen  malores  und  minores  genannt  worden  zu 
sein,  je  nachdem  man  sie  im  Gegensatze  zu  den  neuen  gentes  des 
Brutus  oder  zu  den  alten  des  llomulus  bezeichnen  wollte.  Sie 
h.  minores  Aur.  Vict.  6  u,  s.  w.,  was  nicht  nachgewiesen  zu  wer- 
den braucht,  allein  von  Tac.  Ann.  XI.  25  wurden  sie  zu  den  maio- 
res  gerechnet,  indem  er  nur  2  Classen  annimmt:  Romiilus  fnaio- 
rum  ,  Brutus  minorum  g.  Eine  solche  relative  Bezeichnung  ist 
bei  den  Geschlechtern  des  Brut,  und  Valer.  nicht  möglich  und  ich 
glaubte  desshalb  dieselben  als  die  absolut  minores  Genannten  be- 
zeichnen zu  dürfen.  —  Zum  Schlüsse  wird  des  Gegensatzes  der 
coopt.,  nämlich  des  Ausscheidens  aus  den  patric.  Geschlechtern, 
gedacht  und  damit  die  detestatio  sacrorum  verbunden,  wie  zuerst 
Savigny  erkannt  hatte. 

II.  Abschnitt.  Die  Cooptalion  des  Senats^  S.  26 — 44. 
Hier  unterscheidet  Hr.  M.  die  Zeit  der  4  ersten  Könige,  welche 
Periode  durch  die  patricische  Coopt.  mit  vorwiegender  Theilnahrae 
der  Curien  charakterisirt  werde,  von  der  Zeit  der  drei  letzten  als 
Uebergangsperiode,  indem  unter  diesen  das  republikanische  Prin- 
cip  der  lettio  durch  den  Magistrat  schon  einwirke.     Man  findet 


Mercklhi :  Die  Cooptation  der  Uömer.  341 

Jiier  manches  Treffliche,  obwohl  Ilr.  M.  in  der  Theihiahme  der 
Curieii  unter  den  ersten  König^en  etwas  zu  weit  zu  gehen  scheint. 
Sehr  überzeugend  ist  die  Untersuchung  über  lexOvinia,  wie  schon 
bei  Nr.  2  bemerkt  worden  ist.  Auch  darf  man  die  eingewebten 
Forschungen  über  das  Institut  der  interreges  nicht  übersehen. 

III.  A  b schnitt.  Die  Cooptation  der  Ritter  und  des  Hee- 
res^ S.  45 — 57.  Auch  bei  der  Stiftung  der  equites  erkennt  Hr. 
M.  eine  Theilnahme  der  Curien  unter  Leitung  des  Königs,  was  für 
die  älteste  Zeit  nicht  in  Abrede  zu  steilen  ist.  Die  weitere  Fort- 
bildung erfolgte  nur  durch  die  Könige.  Genau  genommen  kann 
aber  von  einer  eigentlichen  Cooptation  der  Ritter  keine  Rede  sein, 
indem  bei  der  ersten  Stiftung  der  Kern  noch  nicht  da  war,  zu 
welchem  hinzugewählt  werden  sollte.  Bei  den  Ersatzwahlen 
wurde  ebenso  wenig  cooptirt,  sondern  der  König  wählte  selbst- 
ständig. Nur  in  der  republikanischen  Zeit  könnte  man  von  einer 
coopt.  eq  sprechen,  wenn  wir  annehmen  dürften,  dass  der  Cen- 
sor  «tets  zugleich  Ritter  gewesen  wäre,  was  kaum  glaublich  ist. 
Uebcrhaupt  trat  das  ursprüngliche  collegiale  Element  der  Ritter 
frübzeitig  in  den  Hintergrund  und  das  politische,  so  wie  das  mili- 
tarisclie  Element  überwog  bei  weitem,  und  auch  in  diesem  Sinne 
liegt  der  Gedanke  an  eine  coopt.  fern.  Dieses  scheint  auch  Hr. 
M.  selbst  zu  fühlen,  indem  er  sagt,  dass  die  coopt.  der  Ritter- 
schaft in  der  Kaiserzeit  bei  der  Wahl  des  princeps  iuventutis  deut- 
licher durchleuchte.  Die  Ritter  hätten  nämlich  die  ersten  princ. 
luv.  selbst  gewählt  (die  beiden  Enkel  August's)  oder  cooptirt.  Es 
fragt  sich  aber  sehr,  ob  man  coopt.  im  eigentlichen  Sinne  von  einer 
Wahl  sagen  könne,  welche  nicht  auf  den  alten  Rechten  dieses 
Standes  beruhte,  sondern  nur  durch  die  damit  beabsichtigte 
Schmeichelei  gegen  den  Kaiser  zu  entschuldigen  war  und  als  ganz 
singulärer  Act  dasteht.  Das  monum.  Ancyr.  111.  4  f.  spricht  auch 
nicht  von  coopt.,  sondern  es  heisst:  eq.  iiniversi  —  appellaverunt. 
Nur  einmal  wird  coopt.  gebraucht:  Lamp.  Commod.  2.  Aber  auch 
angenommen,  dass  man  von  einer  solchen  Wahl  coopt.  habe  sagen 
können,  so  war  doch  nur  die  erste  Wahl  als  coopt.  zu  nennen,  in- 
dem die  Wahl  der  nachfolgenden  princ.  iuv.  nur  passiv  war  und 
ganz  von  dem  Verlangen  des  Kaisers  abhing.  Abgesehen  von  die- 
ser allzuweiten  Anwendung  der  coopt.  muss  man  Hrn.  M.  in  den 
meisten  Einzelheiten  beistimmen.  Noch  ist  zu  erwähnen,  dass  er 
die  Ansicht  Rubino's  (gebilligt  von  Gerlach  und  Haltaus),  dass  die 
sex  suffragia  nur  die  Ersatzmänner  der  eigentlichen  in  den  zwölf 
Centurien  beßndlichen  Ritter  enthalten  hätten,  angenommen  und 
weiter  ausgeführt  hat. 

Was  endlich  das  Heer  betrifft,  so  bemerkt  Hr.  M.  mit  Recht, 
dass  dasselbe  nach  alter  Anschauung  eine  geschlossene  Körper- 
schaft gebildet  und  dass  bei  mehreren  Völkern  Italiens  nach  den 
alten  leg.  sacrat.  bei  der  Werbung  eine  coopt.  stattgefunden  habe. 
Den  neueren  delectus  der  Römer  nennt  Hr.  M.  eine  abgekürzte 


342  Römische  Staatsaltcrthümer. 

Cooptation,  indem  die  Coss.  die  Ausliebiing  durch  vorher  gewählte 
oder  cooptirte  Tribunen  vollziehen  liessen.  Es  ist  jedoch  nicht 
zu  erweisen,  dass  diese  Einrichtuni;  ein  üeberrest  der  uralten 
('oopt.  gewesen  sei,  da  sie  sich  durch  ihre  Leichtigkeit  u.  Zweck- 
mässigkeit von  selbst  aufdrängen  musste.  Eirie  Spur  der  Coopt. 
der  Anfiilirer  suclit  Hr.  M.  in  dem  Namen  optio^  doch  ist  in  Ab- 
rede zu  stellen,  dass  dieses  Wort  sowohl  zur  Bezeichnung  der 
Officicre,  welclie  den  dccurio  unterstützten,  als  der  Ersatzmänner 
gedient  habe,  und  dass  demnach  zwei  Arten  von  Optionen  gewe- 
sen seien.  Der  Name  accensus  ist  wahrscheinlich  die  Quelle  die- 
ses Irrthums  gewesen,  s.  Pauly  Realencycl.  V.  p.  959  f. 

Den  Kern  der  ganzen  Sclirift  bildet  der  IV.  Absclinitt,  die 
Cooptation  der  Priester^  S.  58  — 174.  An  der  Spitze  stehen  die 
allgemeinen  Bctracljtungcn,  dass  in  Rom  Staat  und  Cultusaus  dem 
gemeinsamen  Coden  der  Familie  erwachsen  sei,  und  dass  die  po- 
litische Verfassung  eben  so  wie  die  Priestertliümer  in  dem  Keime 
der  gentes  wurzelten.  Der  Staatscultus  bildete  sich  aus  dem  Son- 
dergottesdienst der  Gesclilecliter  hervor,  indem  er  die  Gentilsacra 
zu  öffentlichen  erhob  und  die  gens  zur  Priesterschaft  machte,  wie 
zuerst  Mommsen  nachgewiesen  hat,  indem  er  auf  eine  Reihe  von 
Familien  hinwies,  welche  sicli  im  Besitze  einzelner  Culte  befan- 
«ien.  Ja  soirar  in  dtr  Kaiserzeit  wurde  bei  der  Bildung  einzehier 
l^riesterthiimer  die  Ri'icksicht  auf  die  gens  nicht  vernachlässigt. 
Neben  den  gentilen  PriestercoUegien  stehen  andere  ebenso  alte 
Priesterlhiimer,  welche  der  collegialen  Form  entbehren  und  dess- 
lialb  von  Hrn  IM.  Einzelpriester  genannt  werden,  nämlich  die  Cu- 
rionen,  Flamines,  Opferkönig  und  die  Vestalinnen.  Alle  diese 
entbehrten  der  Cooptation,  während  sie  bei  den  andern  stattfand. 
Was  1)  die  Curionen  betrifft,  so  lässt  sie  Hr.  M.  aus  und  durcli 
die  Curien  erwählt  werden  und  findet  bei  Dion.  II.  22  vno  tcjv 
cpQaTQiCüv  und  21  f^  e>cd6T7]g  (pgatgocg  keinen  Widerspruch,  wel- 
chen Rubino  und  nach  ihm  Marqnardt  in  seiner  vortrefflichen  Fort- 
setzung der  Becker'schen  Alterth.  II.  3.  S.  140  riigen.  Die  Er- 
klärung Hrn.  M.'s  befriedigt  aber  mehr,  denn  c.  21  wird  nur  der 
Kreis  angegeben,  aus  welchem  gewählt  wird,  und  c.  22  wird 
das  Wahlverfahren  hinzugefügt,  so  dass  die  zweite  Stelle  die  erste 
gleichsam  vervollständigt.  Auch  widerspricht  Dion.  II,  73  keines- 
wegs, denn  hier  spricht  er  nur  von  der  Ergänzung,  nicht  von  der 
Stiftung  der  Priester,  und  zwar  mit  Ausnahme  der  Curionen,  wel- 
che er  schon  hinlänglich  besprochen  hatte.  Die  Ergänzung  der 
erledigten  Stellen  wird  ebenfalls,  wie  die  erste  Stiftung,  von  Hrn. 
M.  aaf  die  Curien  zuriick^eführt ,  also  ohne  Coopt.,  eine  Erschei- 
nung, die  nicht  bei  allen  Collegien  wiederkehrt,  indem  bei  meh- 
reren die  Art  ihrer  Stiftung  und  Regeneration  sehr  verschieden 
ist.  Dessgleichen  macht  Hr.  M.  sehr  wahrscheinlich,  dass  der 
Curio  maximus  auf  dieselbe  Weise  durch  die  Curien  gewählt 
wurde ;  nur  in  einem  Punkte  kann  ich  nicht  beij;t!mmen ,  nämlich 


Mercklhi:  Die  Cooptation  der  Römer.  343 

in  der  Behauptung,  dass  die  Plebejer  auch  In  den  Curien  gewesen 
wären  und  desshalb  auf  die  Stelle  des  curio  maxiraus  hätten  An- 
spruch machen  dürfen.  Es  lässt  sich  fi'ir  die  Aufnahme  der  Ple- 
bejer in  die  patric.  Curien  weder  eine  scliickiiche  Veranlassung 
und  passende  Zeit,  noch  eine  leise  Andeutung  dieser  Veränderung 
ausfindig  machen  und  es  drängen  sich  vielmehr  gewichtige  Gründe 
dagegen  auf.  Man  muss  sich  daher  mit  der  Erklärung  befriedi- 
gen, dass  die  Curien  immer  mehr  ihre  alle  Bedeutung  verloren 
hatten  (man  denke  nur  an  die  spätere  Vertretung  der  Curien  durch 
die  Lictoren!)  und  dass  sich  daher  das  Amt  des  curio  max.  nacli 
und  nach  zu  einem  allgemeinen  Priesterthum  umgestaltete,  wess- 
halb  auch  Plebejer  den  Zutritt  dazu  erlangten. 

2)  Die  Flamines  bildeten  kein  Collegium,  waren  also  aucli 
ohne  Cooptation.  In  der  ältesten  Zeit  wurden  sie  von  dem  Könige 
und  später  von  dem  pontifex  max.  gewählt.  Dasselbe  gilt  3)  von 
^QW  Vestalinnen^  deren  Wahlrecht  ebenso  von  dem  rex  auf  den 
pont.  max.  überging.  Das  Gesetz,  dass  die  Eltern  der  zu  wählen- 
den Vestalinnen  beide  noch  am  Leben  sein  müssten,  erklärt  Ilr. 
M.  dadurch,  dass  man  für  die  Würdigkeit  der  Priester  an  der  Ab- 
kunft, Lebenswandel  und  Erziehung  ihrer  Eltern  sicli  eine  Bürg- 
schaft habe  verschaffen  wollen.  Die  citirten  Stellen  beweisen  we- 
nigstens nichts  für  diese  Vermutlumg.  Auch  die  Rücksicht,  dass 
man  das  Haus  der  zu  wählenden  Priesterin  so  beschaffen  wünschte, 
um  den  gehabten  Verlust  wieder  ersetzen  zu  können,  lag  wenig- 
stens der  älteren  Zeit  ganz  fern.  Es  war  diese  Bestimmung  we- 
der durch  moralische  noch  durch  politische  Motive  veranlasst,  son- 
dern die  alten  Ritualgesetze  verlangten,  dass  den  Göttern  nur 
Vollständiges  und  Glückliches  geweiht  und  dass  der  göttliclie 
Dienst  möglichst  nur  von  Glücklichen  verrichtet  werden  dürfe. 
Darum  gehörten  zu  vielen  Solennitäten  palrimi  tnatrimi^  sicher- 
lich aber  nicht  wegen  der  in  dem  Leben  der  Eltern  enthaltenen 
moralisclien  Garantie,  deren  man  bei  diesen  Kindern  nicht  be- 
durfte, s.  Pauly  Realencycl.  V.  p.  1242  f.  Auch  von  den  Saliern 
wurde  in  der  ältesten  Zeit  dasselbe  gefordert,  Dion.  II.  22.  Gell. 
1.  12,  4.  Rex  sacrorum  wurde,  wie  schon  Rubino  erkainit  hatte, 
durch  den  pontifex  max.  gewählt  und  war  demselben  überhaupt 
untergeordnet. 

INach  diesen  Einzelpriestern  folgen  die  Priestercollegien^ 
welche  sich  selbst  ergänzen  und  überhaupt  viel  selbstständigcr 
sind,  was,  wie  Hr.  M.  vermuthet,  schon  unter  den  Königen  der 
Fall  war.  1)  Die  Poutifices,  S.  87—95.  Nach  Hrn.  M.  waren 
ursprünglich  4  pontif.,  denen  sich  der  König  als  fünfter,  nämlich 
als  pontifex  raaximus  anschloss.  Nach  der  Könige  Vertreibung 
sei  die  fünfte  erledigte  Stelle  niclit  wieder  besetzt  worden,  son- 
dern man  habe  einen  der  4  pontif.  zum  pont.  max.  gemacht  und 
erst  lex  Ogulnia  habe  durch  Hinzufügung  von  4  pontif.  die  Ge- 
sarnmtzahl  bis  auf  8  erhoben.      Gegen  diese  Ansichten  erheben 


344  Romische  Staatsaltertluimer. 

sich  aber  in  doppelter  Hinsicht  Zweifel,  sowohl  was  das  Pontifikat 
des  Königs,  als  die  Achtzahl  der  Pontifices  betrifft.  Zwar  sagen 
Pliit.  Nnm.  4  und  Zos.  IV.  36,  dass  die  Könige  zugleich  ponlif. 
ma\.  gewesen  seien,  allein  das  Zeiigniss  wird  durch  die  Aensse- 
rungen  des  Cicero,  Livius  und  Dionysins  ebenso  sehr  als  durch 
andere  Griinde  beseitigt.  Auch  ist  leicht  zu  erkennen,  wie  Plut. 
und  Zos.  zu  der  erwähnten  Aeusserung  kamen;  sie  schlössen  näm- 
lich von  ihrer  Zeit,  wo  der  Kaiser  pont.  max.  war,  rückwärts  auf 
die  alten  Könige  und  wollten  das  Kecht  der  Kaiser  an  das  der 
Könige  ankniipt'en,  wie  Zos.  klar  ausspricht.  Dion.  und  Liv.  spre- 
chen dagegen  von  dem  allgemeinen  sacralen  Aufsichtsrecht  des 
Königs,  ohne  seines  Pontifikats  zu  erwähnen,  was  sie  gewiss  ge- 
than  hätten,  wenn  es  in  ihren  Quellen  enthalten  gewesen  wäre. 
Dass  aber  Cicero  nicht  daran  dachte,  sehen  wir  aus  de  rep.  I!.  14 
sarn's  e  principutn  mnupro  qiiiiiqiie  pracfecit  ^  welche  Worte  sich 
mit  dem  Pontifikat  des  Königs  unmöglich  vereinigen  lassen.  So- 
dann machen  wir  darauf  aufmerksam,  dass  man,  wenn  der  König 
pont.  max.  gewesen  wäre,  nach  der  Vertreibung  der  Könige  eines 
besonderen  rex  sacrorum  nicht  bedurft  hätte,  sondern  dem  nun- 
mehrigen pont.  max.  alle  sacralen  Besorgungen  des  Königs  über- 
lassen haben  würde,  sowie  sie  vorher  in  einer  Person  vereinigt 
gewesen  sein  sollen.  Ferner  glauben  wir  mit  Niebuhr,  Iluschke, 
Göttling  und  Hüllmann,  dass  es  bis  auf  lex  Ogulnia  5  pontif.  wa- 
ren, welche  durch  dieses  Gesetz  auf  9  gebracht  wurden.  Als 
Hauptzeugniss  stützen  wir  uns  auf  die  citirte  Stelle  Cic.  de  rep. 
II.  14,  welche  keine  andere  Auslegung  zulässt,  als  dass  es  unter 
den  Königen  3  pont.  waren.  Es  raüsste  demnach  ihre  Zahl  später 
um  eine  verringert  worden  sein,  was  sehr  auffallend  wäre.  Zwar 
spricht  Liv.  X,  fj  allerdings  nur  von  4  pontif,  allein  er  zählte  den 
\  orstand  oder  den  pont.  max.  nicht  mit.  Dass  man  bei  der  An- 
gabe priesterlicher  Collegien  den  Vorsteher  nicht  mit  zu  zählen 
brauchte,  würde  sich  durch  eine  überraschende  Analogie  der  vc- 
stalischen  Jungfrauen  ergeben,  deren  nur  6  angegeben  werden, 
obwohl  es  noch  eine  7.,  die  virgo  maxima  gab,  allein  es  ist  sehr 
ungewiss,  in  welcher  Zeit  diese  Siebente  zu  der  alten  Sechszahl 
In'nzugefügt  wurde.  S.  Gothofr.  ad  Cod.  Th.  XIII.  3,  8.  Tom.  V. 
p.  42.  Endlich  lässt  sich  für  die  j\eunzahl  der  pont.  noch  anfüh- 
ren,  dass  Sulla  Augurn  und  Pontifices  beide  auf  15  brachte,  dass 
also  beide  Collegien  vorher  aller  Wahrscheinlichkeit  nacli  gleich 
viele  Mitglieder  hatten.  —  Vortrefflich  handelt  Ilr.  M.  von  der 
Wahl  des  pont  max.;  nur  glaube  ich  niclit,  dass  die  Zahl  der  17 
Wahltribus  erst  seit  der  Erfüllung  der  3.')  Tribus  (513)  bestanden 
Jiabe,  sondern  vermuthe,  dass  diese  Zahl  der  17  Tribus  aus  der 
ältesten  Zeit  herrührt,  wo  es  21  Tribus  gab  (17  rust.,  4  urb.),  in 
welcher  die  17  tribus  rusticae  allein  zur  Wahl  berufen  worden 
waren.  Zwar  kann  Ilr.  M,  Cicero'«  Worte  für  sich  anführen ,  de 
leg.  agr.  II.  7  ul  quod  per  populum  creari  faa  non  erat  propier 


Mercklin:   Die  Cooptation  der  Römer,  345 

religionem  cett.  ut  minor  pars  populi  vocaretur  cslt.^  allein  da 
gar  kein  Grund  denkbar  ist,  warum  die  Römer  ihre  pontif.  seit 
alter  Zeit  durch  die  Minorität  der  Tribus  gewählt  hätten,  ist  viel- 
mehr anzunehmen,  dass  Cicero  seinem  Zwecke  gemäss  so  sprach, 
lim  das  Gesetz  des  Rullus  herabzusetzen  und  die  für  den  darin 
enthaltenen  Wahlmodus  in  der  lex  Domitia  zu  findende  Entschul- 
digung im  voraus  zu  entkräften.  Dazu  kommt,  dass  Cicero  nur 
von  der  lex  Domitia  spricht  und  dass  sich  aus  seinen  Worten  auf 
IMinoritätswahlen  der  ältesten  Zeit  keineswegs  schliessen  lässt. 
Darum  glaube  ich  die  bereits  von  Huschke  (Serv.  TuU.  S.  640) 
aufgestellte  Ansicht  vcrtheidigen  zu  müssen,  dass  die  Zahl  der 
17  Tribus  nur  des  uralten,  bei  religiösen  Instituten  um  so  hei- 
liger bewahrten  Herkommens  wegen  beibehalten  wurde.  So  wie 
die  Cooptation  bei  den  pontif.  bis  zur  lex  Domitia  feststeht,  so  ist 
dieses  auch  2)  bei  den  Jugurn  der  Fall,  S.  95  if.  Grosse  und 
unbesiegbare  Schwierigkeiten  bietet  die  Einrichtung  und  die  ur- 
sprüngliche Zahl  dieses  Collegiuras  unter  Roraulus  oder  Numa 
dar.  Hr.  M.  glaubt ,  auch  bei  diesen  sei  der  König  der  dritte  oder 
fünfte  gewesen,  je  nachdem  man  2  oder  4  augures  annehme,  mit 
der  Gründung  der  Republik  sei  diese  Stelle  ausgefallen. 

3)  Die  Qtiindecimvin\  S.  99  ff.  Hier  bekämpft  Hr.  M.  Gött- 
ling's  Ansicht,  dass  dieselben  nach  Tarq  Sup.  von  den  Centuriat- 
comitien  gewählt  worden  seien,  und  nimmt  dafür  die  comitia  calata 
an,  bis  sie  durch  lex  Licinia,  welche  die  Zahl  auf  10  erhob,  als 
Collegium  die  Cooptation  erhalten  hätten.  Das  Letztere  ist  gewiss 
ganz  richtig,  ebenso,  dass  Sulla  es  war,  welcher  die  Zahl  auf  15 
brachte;  aber  nicht  so  gewiss  ist,  ob  die  Com.  calata  überhaupt 
zur  Wahl  dienten,  denn  der  auf  eine  Inschrift  gestützte  Beweis  ist 
ganz  ungenügend,  da  die  Hauptsache  erst  durch  eine  Ergänzung 
des  Norisius  hineingetragen  ist,  s.  Grut.  228,  5.  Mercklin  S.  157. 
Auch  zerfällt  der  gegen  Göttling  geltend  gemachte  Grund,  dass 
die  Plebejer  die  Cooptation  nicht  zugegeben  haben  würden,  wenn 
sie  die  Wahl  vorher  in  den  Com.  cent.  gehabt  hätten,  indem  die 
Cooptation  doch  nur  von  der  collegialen  Verfassung  abhängen 
konnte.  W^urde  diese  einer  Priesterschaft  gegeben,  so  trat  Coopt. 
ein  und  die  frühere  Wahlart  hörte  auf,  sie  mochte  vor  die  Curiat- 
oder  vor  die  Centuriatcomitien  gehört  haben.  Desshalb  ist  die 
Wahl  der  Duuraviri  in  den  Centcom.  wenigstens  nicht  so  unbedingt 
zu  verwerfen.  4)  Bei  den  Septemviri  nimmt  Hr.  M.  zuerst  Wahl 
in  den  Tributcoraitien  und  später  Coopt.  an ,  obwohl  nichts  hin- 
dert, die  Coopt.  schon  gleich  anfangs  vorauszusetzen.  Die  Ver- 
mehrung auf  7  Männer,  statt  der  früheren  3  durch  Sulla  oder  Cä- 
sar wird  zweifelhaft  gelassen.  Bei  den  folgenden  Collegien  ist 
die  Coopt.  ebenfalls  mit  Recht  angenommen  worden,  wenn  auch 
ausdrückliche  Zeugnisse  fehlen,  nämlich  5)  Salii^  welche  die  auf- 
fallende Erscheinung  eines  Doppelcollegiums  darbieten,  6)  Lu- 


346  Romische  Staatsalterthumer. 

perci;  7)  Fratres  Arvales ^  8)  Feliales ^  welche  an  der  Grenze 
der  priesterlichen  und  politischen  Collegien  stehen. 

Von  den  Kreisen,  in  denen  die  Coopt.  stattfand,  geht  Hr.  M. 
zu  der  Coopt.  als  sacralrechtlichem  Act  selbst  über,  S.  115  bis 
131,  und  beginnt  auch  hier  mit  der  Beobachtung,  dass  das  genti- 
licische  Princip  in  der  Zusammensetzung  der  Priesterthümer  das 
lierrschende  gewesen  sei  und  dass  die  ganze  Coopt.  auf  diesem 
Princip  beruhe.  Da  in  der  ältesten  Zeit  gens  und  Priesterthum 
zusammenfiel,  so  konnte  über  den  Kreis,  aus  welchem  zu  coopti- 
ren  war,  kein  Zweifel  stattfinden;  aber  auch  später  wählte  man 
vorzugsweise  die  Ilinterlassenen,  gleichsam  als  Erben  der  väter- 
lichen Würde  und  Kenntnisse.  Was  die  Handlung  der  Coopt.  selbst 
betriff"!,  so  bildete  sie  nur  einen  Act  in  der  Kette  von  mehreren 
Gliedern,  nämlich  1)  fiojjiinatio ,  das  Vorschlagen  des  Candidaten 
mit  der  eidlichen  Versicherung  seiner  Tüchtigkeit  und  zwar  in 
der  Versammlung  des  Collegiums;  2)  coopt.  in  einer  uns  unbe- 
kannten Form,  bewirkt  durch  den  Vorstand  des  Coli,  und  das 
Coli,  selbst;  S)  inaii^iiratio ^  die  Ertheilung  der  priesterlichen 
Weihe  unter  Beistand  der  Augurn,  welche  aber  nicht  selbst  die 
W^eihe  gaben,  wie  Hr.  M,  gut  zeigt.  Auch  bemerkt  er,  dass  die 
Pontif,  nicht  bei  allen  Inaugurationen  zugegen  waren,  und  wenn  sie 
es  waren,  so  vollzogen  sie  die  Handlung  nicht  selbst,  sondern 
wohnten  als  Zeugen  bei.  Endlich  wird  Zeit  und  Ort  der  Coopt. 
besprochen,  und  bewiesen,  dass  die  sämmtlichen  Coopt.  nicht  z« 
einer  bestimmten  Zeit  des  Jahres  erfolgten,  sondern  so  wie  sie 
durch  die  Todesfälle  veranlasst  wurden.  Livius  erwähnt  sie  frei- 
lich immer  zusammen  am  Ende  des  Consularjahres.  Ueber  die 
Locale  siud  die  Angaben  höchst  spärlich.     Daran  schliesst  sich 

Die  Geschichte  der  priesterlichen  Coopt. ^  S.  131 — 174,  1)  seit 
der  lex  Domilia  ;  2)  unter  deu  Kaisern.  Die  alte  gentilicische 
Coopt.  wurde  nach  und  nach  von  dem  entgegengesetzten  Princip 
der  Comitienwahlen  besiegt.  Zuerst  wurde  der  pont.  max.  in  den 
Tributcomitien  ernannt,  was  Hr.  M.  sehr  gut  motivirt,  und  als  die 
Plebejer  allmälig  Aufnahme  in  die  Priesterthümer  erlangt  hatten, 
griff'en  sie  auch  die  Coopt.  an.  Zuerst  beantragte  C.  Licin.  Cras- 
sus  die  Volkswahl  der  Priester,  aber  erst  Domitius  drang  damit 
durch*),  so  dass  von  nun  an  die  priesterlichen  Collegien  überhaupt 


*)  Wunderbarer  Weise  spricht  Liv.  XXXIX.  46  bekanntlich  schon 
vor  der  lex  Domitia  von  einer  Volkswalil :  Extremo  prioris  anni  comitia 
habita  erant  in  demorlui  Cn.  Cornclii  locum  au^uris  sujficiendi.  Ciealus 
Sp.  Posiumius  Alb.  Hr.  M.  beseitigt  die  verschiedenen  Erklärungsver- 
suche mit  Recht,  allein  auch  sein  Vorsclila^,  nach  habita  erant  zu  inter- 
pungiren  und  mit  d^n  VV^orten  In  dem.  loc.  einen  neuen  Satz  anzufangen, 
ist  nicht  zu  billigen  ,  zumal  da  dieses  ohne  Textesänderung  unmöglich  ist, 
denn  jedenfalls   muss  Hr.  M.  die    Worte  auguris  sulf.   (mit  Drakenborch) 


Mercklin :  Die  Cooptation  der  Römer.  347 

(Cic.  de  1.  agr.  II.  7  de  ceteris  sacerdotüs  ^  also  ohne  Beschrän- 
kung auf  die  höheren  Coli.)  von  den  Tribus  gewählt  werden  soll- 
ten. Das  Collegium  pflegte  8  Männer  vorzuschlagen,  so  dass 
auch  die  Priester  an  der  Wahl  nicht  ohne  Theilnahme  waren.  Die 
Entscheidung  gehörte  dem  Volke  an  und  die  priesterliche  Coopt. 
sank  zu  einer  leeren  Formalität  herab.  Aber  auch  in  der  Nomi- 
nation  deutet  Hr.  M.  Veränderungen  an,  denn  wenn  die  alte  No- 
inhiation  geblieben  wäre,  liätte  man  den  Domitius  nicht  in  Folge 
seiner  lex  zum  pont.  raax.  wählen  können.  Er  glaubt  nicht  ohne 
Grund,  dass  die  Nomin.  nicht  mehr  von  den  Collegien,  sondern 
von  einzelnen  Collegienmitgliedern  vorgenommen  wurde,  so  dass 
jetzt  mehrere  nominirt  wurden  als  frViher,  und  dass  man  nur  zwei 
Freunde  im  Collegium  haben  rausste,  um  die  Norain.  zu  erhalten. 
Das  wechselvolle  Schwanken  nach  lex  Dom.  durch  Sulla,  lex  Atia 
und  lex  Julia  wird  vollständig  dargestellt.  Nur  als  Ausnahme  ist 
es  anzusehen  (in  confiisione  rerinn  ac  iumullu^  Liv.  cp.  CXVIl), 
dass  Lepidus  nicht  von  dem  Volke,  sondern  durch  die  pontif.  als 
pont.  raax.  gewählt  wurde,  was  auf  des  Antonius  Veranlassung 
geschah. 

In  diese  Verhältnisse  kam  durch  den  Kaiser  wieder  einige 
Stetigkeit.  Das  Priesterthum  wurde  frei  von  dem  Einflüsse  des 
Volkes,  erlangte  aber  die  frühere  Unabhängigkeit  nicht  wieder, 
indem  die  wiedereingeführte  Coopt.  dem  Einflüsse  des  Kaisers 
vielfach  ausgesetzt  war  und  dadurch  in  eine  ungleichartige  von  der 
Individualität  des  Flerrschers  abhängige  Bewegung  gerieth.  Heber 
alles  dieses  giebt  Hr.  M.  die  klarste  Einsicht  nach  einigen  Ilaupt- 
gesichtspunkten.  Zuerst  werden  die  Einflüsse  des  Kaisers  als 
regelmässigen  pont.  raax.  erörtert.  August  wurde  noch  in  ge- 
wöhnlicher Weise  zum  pont.  raax.  gewählt  und  das  Amt  blieb  erb- 
lich bei  den  Kaisern,  indem  diese  Würde  seit  Tiberius  vom  Senat 
iedem  Kaiser  gegeben  wurde.  Das  Collegium  war  dabei  nach 
llrn.  M.  ex  Scons.  thätig.  Zugleich  waren  die  Kaiser  Theilnehmer 
an  raehreren  anderen  Priesterthümern  und  übten  ein  allgemeines 
Ernennungsrecht  aus,  wobei  sich  der  Kaiser  des  Senats  als  Durch- 


herauswerfen (obwohl  er  nichts  davon  sagt) ,  da  diese  Worte  nur  dann 
einen  Sinn  geben,  wenn  sie  mit  comitia  verbunden  werden  können,  und 
ganz  in  der  Luft  schweben  würden,  wenn  Hr.  M.  lesen  wollte:  In  dem. 
Joe.  aug.  suff.  crecit.  cett.  Zwar  fehlen  diese  Worte  in  der  ed.  Mogunt., 
Avelche  hier  bekanntlich  die  erste  Autorität  hat,  allein  dafür  hat  sie: 
comitia  auguris  creandi  hahita  erant  cett. ,  wesshalb  jene  Worte  um  so 
weniger  verdächtig  sind.  Darum  müssen  wir  entweder  annehmen,  dass 
in  den  Worten  com.  aug.  creandi  ein  alter  Fehler  verborgen  ist  (Heusin- 
ger suchte  cooptatio  darin),  oder  glauben,  dass  Livius  einen  Irrthum  be- 
gangen hat,  was  mir  das  Wahrscheinlichste  ist,  da  sich  mehrere  Fälle 
von  augenscheinlichen  Irrthümern  dieser  Art  bei  Livius  nachweisen  lassen. 


348  Römische  Staatsalterthümer. 

gangspunktes  des  kaiserlichen  Willens  bediente  oder  die  Empfeli- 
liingen  der  Candidaten  auf  eijirene  Hand  an  «las  Collegium  gelangen 
liess.  Was  die  alten  republikanischen  Priesterschaften  betrifft, 
so  war  bei  den  bisher  vom  Volke  gewählten  Collegien  die  Coopt. 
wieder  eingeführt,  wenn  nicht  die  Kaiser  eingriffen,  was  z.  E.  bei 
den  Pontifices  ziemlich  regelmässig  war.  Dagegen  bei  den  Au- 
giirn,  Fetiaien  u.  s  w.  fand  der  Regel  nach  Coopt.  statt.  Die 
bisher  von  dem  pont.  raax.  ernannten  Priester  wurden  nun  natiir- 
lich  von  dem  Kaiser  ernannt.  Sodann  behandelt  Hr.  M.  noch  die 
neugebildeten  Priesterschaften,  die  Äugustale  u.  s.  w.,  aufweiche 
wir  nicht  eingehen  wollen. 

V.  Abschnitt.  Die  Coopt aiion  der  Magistrate^  S.  175 
bis  203.  Bevor  das  Resultat  gezogen  wird ,  dass  die  Coopt.  sich 
am  meisten  bei  den  Aemtern  finde,  weiche  am  wenigsten  beiden 
Ständen  angehörten  (Dictatur  und  Trlbunat),  ohne  desshalb  von 
den  übrigen  ausgeschlossen  zu  sein,  geht  eine  sehr  interessante 
Untersuchung  über  die  Verwandtschaft  und  den  Unterschied  zwi- 
schen Magistratur  und  Priesterthum  voraus.  Die  sacrale  und  po- 
litische Verfassung  war  in  der  Urzeit  identisch,  da  sie  beide  in  den 
gentes  enthalten  waren,  allein  beide  schlugen  verschiedene  Bah- 
nen ein ,  als  der  ursprüngliche  Staat  fremde  Elemente  in  sich  auf- 
genommen hatte  (die  plebs),  welche  er  von  den  Priesterthiiraern 
ausschloss.  Wenn  sie  sich  aber  in  Beziehung  auf  ihren  Zweck 
vollständig  trennten,  so  stimmten  sie  doch  in  der  collegialen  Form 
ihrer  Verfassung  überein.  Die  Priester  bildeten  continuirliche 
Collegien,  die  Aemter  temporäre,  welche  in  jedem  Jahre  neu  ge- 
stiftet wurden.  Daher  konnte  die  Coopt.,  das  herrschende  Er- 
gänzungsmittel der  Priester,  bei  den  Magistraten  nur  ausnahms- 
weise im  Laufe  des  Jahres  zur  Ausfüllung  von  Lücken  eintreten, 
aber  durch  die  entgegengesetzte  Walilart,  die  Creation,  beeinträch- 
tigt und  verändert.  Als  wahre  Cooptalion  fasst  Hr.  M.  die  Wahl 
des  tribun.  celerura  durch  den  König,  des  magister  eq.  durch  den 
Dictator,  des  praef.  praetorio  durch  den  Kaiser  auf  und  nennt  das 
Verhältniss  dieser  Aemter  ein  collegiales.  Auch  bei  dem  Consulat 
glaubt  Hr.  M,  Spuren  von  Coopt.  gefunden  zu  haben,  nämlicli 
Liv.  VII.  24  collegam  —  diiit ;  da  aber  dieselben  Worte  XXXVil. 
47  unzweifelhaft  von  der  Leitung  der  Wahlcomltien  gebraucht 
werden,  so  können  wir  dasselbe  auch  an  der  ersten  Stelle  anneh- 
men.    Den  Schluss  bildet  die  Coopt.  der  Volkstribunen. 

So  schön  auch  diese  Darstellung  ist  und  anziehend  durch 
neue  Gedanken  und  überraschende  Blicke,  so  kann  man  doch  we- 
der die  Magistraten  als  eigentliche  Collegien  bezeichnen,  noch 
die  Coopt.  in  einem  so  weiten  Umfange  zugeben.  Das  Wesent- 
liche der  Collegien,  die  Einheit  der  moralischen  und  juristischen 
Person,  das  ideale  Ganze,  welches  auch  unter  dem  Wechsel 
der  verschiedensten  Mitglieder  fortbesteht,  ist  mit  der  so  kurzen 
Dauer  dieser  angeblichen  Collegien  ebenso  wenig  zu  vereinigen. 


Doberenz:  Ausgewälilte  Reden  des  Demosthenes.  349 

als  mit  der  allzulvleinen  Anzahl  derselben  —  denn  wie  könnte  man 
2  Personen  ein  Collegium  nennen*?  Der  Ausdruck  collega  lässt 
keineswegs  auf  ein  Collegium  schliessen,  da  collega  auch  in  einem 
uneigentlichen  Sinne  gebraucht  wird,  und  wenn  die  Amtsgenossen 
auch  immer  collegae  lieissen,  so  wird  man  sie  doch  nie  sodales 
genannt  finden.  Wenn  aber  die  Amtsgenossen  kein  eigentliches 
Collegium  bilden,  so  brauchen  wir  auch  die  Coopt.  nicht  nolh- 
wendig  anzunehmen,  wie  wir  dieselbe  unzweifelhaft  auch  nur  bei 
einem  Amte  finden,  dem  der  Volkstribunen,  die  die  Coopt.  erst 
bei  weiterer  Ausbildung  nach  der  Analogie  anderer  Collegien  er- 
hielten. Bei  dem  Consulat  ist  an  Coopt.  nicht  zu  denken.  Was 
aber  die  Coopt.  des  trib.  cel.  und  mag.  eq.  betrifft,  so  dürfen  wir 
—  abgesehen  von  anderen  Bedenken  —  nicht  übersehen,  dass 
diese  Wahl  schon  desshalb  keine  coopt.  war,  w  eil  die  wahre  coopt. 
nicht  zur  Stiftung  der  Collegien,  sondern  zu  deren  Ergänzung 
diente.  Bei  diesen  Magistraten  wurde  aber  die  coopt.  nicht  zur 
Ergänzung  angewandt,  sondern  zur  jedesmaligen  neuen  Consti- 
tuirung. 

VI.  Abschnitt.  Die  Coopt.  ausserhalb  Roms ,  S.  204  bis 
212,  nämlich  bei  der  Wahl  der  Municipal-  und  Collegialpatrone 
und  bei  der  Wahl  der  Provinzialdecurionen.  Die  Coopt.  der  Pri- 
vatcollegien  lag  leider  ausser  dem  Plane  dieser  Schrift,  was  um 
so  mehr  zu  beklagen  ist,  da  sich  dieselben  zum  Theil  nach  dem 
Muster  der  geistlichen  Collegien  gebildet  haben,  so  dass  von  man- 
chen Einrichtungen  der  weltlichen  Coli,  rückwärts  auf  die  der 
geistlichen  geschlossen  werden  konnte.  —  Der  Anhang  enthält 
einen  Abdruck  der  römischen  Sacerdotalfasten  (nach  Cardinali, 
ßorghese,  Marini),  sämmtlich  aus  der  Kaiserzeit,  mit  Ausnahme 
eines  einzigen  aus  der  republikan.  Periode  herrührenden  Frag- 
ments der  Auguralfasten. 

VF.  Rein. 


Ausgeipählte  Reden  des  Demosthenes  zum  Schulgebrauch  heraus- 
gegeben von  Dr.  Albert  Doberenz,  Professor  am  Herzog!,  Gymna- 
sium zu  Hildburghausen.  (Erstes  Heft:  die  drei  Olynthischen 
Reden.  1848.)  Zweites  Heft.  Halle,  Verlag  der  Buchhand- 
lung des  Waisenhauses.  1849.  Auch  mit  dem  Specialtitel:  Die 
erste  und  zweite  PhiUppiscJie  Rede  des  Demosthenes  u.  s.  w.  72  S.  kl.  8. 

Das  erste  Heft  dieser  Ausgabe  ist  bereits  in  diesen  NJahrbb. 
Bd.  54.  S.  200  ff.  von  Hrn.  Dietsch  gewürdigt  worden.  Alles, 
was  dort  in  objectiver  Hinsicht  zum  Lobe  gesagt,  aber  auch  was 
als  Erinnerung  hinzugefügt  ist,  wird  Jeder  begründet  finden,  der 
die  Schrift  des  Hrn.  Dob.  mit  pädagogischem  Auge  gelesen  hat. 


350  Griechische  Litteratur. 

Ich  will  jetzt  bei  der  gegenwärtigen  Benrtheilung  auf  das  Einzelne 
eingehen  und,  wie  es  das  eifrige  Streben  des  Herausgebers  ver- 
dient, mit  grösster  Offenheit  anführen,  was  ich  nach  dem  Ge- 
brauche des  Buches  zu  loben  und  was  ich  zu  erinnern  habe. 

Herr  Doberenz  hat  seit  dem  Erscheinen  seiner  Observ.  De- 
mosth.  1836  (die  mir  indess  nur  aus  der  Anzeige  in  dies.  INJahrbh. 
19,  360  und  aus  der  Benutzung  Anderer  bekannt  sind)  sich  viel- 
fach mit  Demosthenes  beschäftigt,  so  dass  zu  erwarten  stand ,  er 
werde  auch  fiir  die  Schule  etwas  Brauchbares  und  Empfchlens- 
werthes  liefern.  Und  diese  Erwartung  ist  nicht  unerfi'illt  geblie- 
ben,  indem  man  der  Wahrheit  gemäss  anführen  rauss,  dass  ausser 
geinen  eigenen  Gaben,  die  beachtenswerth  sind,  zugleich  das 
Werthvollste  und  für  die  Schule  Geeignetste  in  dieser  Ausgabe  aus 
den  Bearbeitungen  von  Vö  me  1,  Franke  und  Sauppe  entlehnt 
ist.  Dies  wird  angeführt,  nicht  um  es  zu  tadeln:  tadeln  müsste 
jeder  das  Gegentheil,  sondern  nur  um  zu  sagen,  dass  Hr.  Dob.  in 
dieser  Beziehung  des  Aeschylus  bescheidenes  Wort  von  den  t£- 
Haxri  t(DV  'O^rjQOv  ^fyulcov  öüiivcov  „mit  aufrichtigem  Danke''^ 
im  Gedächtniss  hatte.  Indess  hätte  er  in  der  Vorrede  des  ersten 
Heftes  p.  IX  nicht  schreiben  sollen,  seine  Ausgabe  habe  ,, ledig- 
lich ihren  Grund  darin,  theils  weil  jene  mehr  enthalten, 
als  der  Schüler  braucht,  theils  weil  sie  die  Selbstthätigkeit 
desselben  zu  wenig  in  Anspruch  nehmen.'^  Denn  abgesehen  vom 
zweiten  Grunde ,  worin  seine  Bearbeitung  nicht  höher  steht  als 
die  genannten,  enthält  auch  der  erste  Grund  in  dieser  Form  einen 
Tadel,  den  Hr.  Dob.  gar  nicht  beabsichtigt  hat.  Es  sollte  daher 
nur  gesagt  sein,  dass  jene  Gelehrten  lateinisch  und  mehr  für  den 
philologischen,  er  dagegen  deutsch  und  für  den  rein  pädagogischen 
Standpunkt  gearbeitet  habe.  Dieser  letztere  Standpunkt  soll  hier 
vorzugsweise  zur  Sprache  kommen. 

Dass  die  Ausgabe  brauchbar  und  für  Schüler  empfehlungs- 
werth  sei,  ist  schon  oben  erwähnt  worden.  Auch  hat  das  zweite 
Heft  vor  dem  ersten  den  Vorzug,  dass  jede  Anmerkung  beson- 
ders abgesetzt  und  so  für  grössere  üebersichtlichkeit  des  Einzel- 
nen gesorgt  worden  ist.  Da  nun  das  Gute  und  Brauchbare  beson- 
ders hervorzuheben  etwas  Nutzloses  wäre  und  zuviel  Raum  bean- 
spruchen würde,  so  möge  nur  dasjenige  berührt  werden,  was  dem 
Verf.  bei  einer  zweiten  Ausgabe  nützlich  sein  könnte.  Ich  will, 
was  ich  zu  bemerken  gedenke,  der  üebersicht  wegen  auf  einzelne 
Punkte  zurückführen. 

Erstens  ^c\\(ih\i  mir  die  Ausgabe  zu  stark  an  Subjecti- 
vismus  zu  leiden.  Statt  dass  die  Ausgabe  nur  das  wohler- 
wogene Resultat  des  Unterrichts  in  objectivster  Sprachform  dar- 
stellen sollte,  hört  man  hier  nicht  selten  den  unterrichtenden 
Lehrer,  wie  er  mit  seinen  Schülern  ,  ich  möchte  sagen,  auf  fami- 
liäre und  bisweilen  naive  Weise  verkehrt.  Dahin  gehört  gleich 
die  erste  Anmerkung  zu  Philipp.  1.  1.  jjMan  lese  den  ganzen  ersten 


Doberenz:  Ausgewählte  Reden  des  Demosthenes.  35i 

§.,  so  sielit  man,  dass  dem  sl  [ikv  entspricht?'*  wo  jeder  Andere 
kurz  und  objectiv  sagen  würde :  was  entspricht  dem  u  (jlsv  im  Fol- 
genden? Denselben  Charakter  tragen  Noten,  wie  ebendaselbst 
„x«t  TtQCDTogi  übersieh  nicht  xßt.'*  Eben  so  §.  6.  7.  8.  23.  25. 
38.  II.  9.  10.  13.  19.  31  „8txor(ög  äv:  übersieh  nicht  ofv."  §.  2 
„es  heisst  ovd\  nicht  oux."  Eben  so  §.  9.  II.  17.  Aber  solche 
Dinge  sieht  der  Schüler  selbst  und  muss  sie  sehen,  oder  man  darf 
mit  ihm  noch  nicht  den  Demosthenes  lesen.  Denn  für  einzelne 
Schwache,  bei  denen  ein  Lehrer  wohl  mündlich  einmal  solche 
Dinge  zu  erinnern  hat,  darf  eine  Ausgabe  nicht  berechnet  sein. 
Und  doch  finden  sich  solche  Noten  häufig,  z.  B.  §.  10.  11.  25.  29. 
34.  38.  II.  10.  12.  24.  Mit  dieser  familiären  Erklärungsweise 
hängt  es  zusammen,  dass  der  Verf.  sehr  oft  die  Anrede  mit 
der  zweiten  Person  gebraucht.  In  einfachen  Imperativen, 
wie  er  ganze,  siehe,  vergleiche  ist  die  Sache  minder  auf- 
fällig; aber  wenn  gesagt  wird  wie  §.  3  „xßAöJg  suche  die  passende 
Uebcrsetzung.*'  §.  4  „betone  kräftig  er/^ofisv  und  rj^ng.  §.  5 
,,sxr?^öaTo:  dazu  ziehe  auch  «V.''  §.6  ,, beachte  auch  das  ans 
Ende  gesetzte  vvv.'''  und  wenn  derartiges  §.  8.  19.  21.  22.  25.  26. 
28.30  u.  s.  w.  in  verschiedenen  Wendungen  zurückkehrt,  so  er- 
regt dies  den  Eindruck  einer  Naivetät,  die  nicht  Jedem  gegeben 
ist  und  Primanern  gegenüber  auch  mancherlei  Bedenken  erweckt. 
Wenigstens  wird  derjenige  Lehrer,  den  Mutter  Natur  in  eine 
strengere  Charakterform  gegossen  hat,  einen  solchen  Subjectivis- 
mus  als  einen  seiner  Individualität  widerstrebenden  Ton  nicht  ge- 
brauchen können;  wobei  natürlich  nicht  geleugnet  werden  soll, 
dass  die  familiäre  Zutraulichkeit,  von  der  geeigneten  Persönlich- 
keit getragen,  dieselben  Früchte  erzeugen  kann,  als  die  mit  Ge- 
rechtigkeit verbundene  Strenge.  Aber  eben  weil  die  geeignete 
Persönlichkeit  naturgemäss  nothwendig  ist,  kann  eine  Ausgabe, 
die  diesen  Ton  anschlägt,  nicht  überall  objectiv  giltig  sein. 

Ich  komme  zu  einer  zweiten  Erinnerung,  die  zum  Theil  in 
dem  eben  Bemerkten  ihren  Grund  haben  mag,  nämlich  zu  den 
sprachwidrigen  Fragen,  welche  nicht  selten  in  dieser  Aus- 
gabe gefunden  werden.  Von  dieser  Art  sind  §.  1  „so  sieht  man, 
dass  dem  ü  ^ihv  entspricht?''  §.  2  ^^TCQarzovxav'.  Subject  ist?^*" 
§,  3  „rourov:  damit  ist  off'enbar  gemeint?"  §.  12  „die  Worte 
heissen  eigentlich?'"'  §.  16  „öfrv:  dazu  ist  Subject?  avzovg  ist 
entgegengesetzt?  aviolg'.  dazu  ist  der  Gegensatz?"  Aehnlich 
§.  24.  27.  29.  41.  49.  50  und  anderwärts.  Schon  der  praktische 
Dinter  hat  in  seinem  Büchlein:  ,,t)ie  vorzüglichsten  Regeln  der 
Pädagogik,  Methodik  und  Schulmeisterklugheit"  die  Seminaristen 
vor  dergleichen  Fragen  gewarnt .  und  alle  Pädagogen  und  Kate- 
cheten haben  später  dasselbe  gethan:  ein  Tca&r^yrjttjg  (im  neu- 
griechischen Sinne)  unter  den  Gymnasiallehrern  darf  sich  daher 
weder  mündlich,  noch  viel  weniger  schriftlich  solche  Fragen  er- 
lauben.    Aber  Hr.  D.  hat  überhaupt,  weil  die  Subjectivitat  seines 


352  Griechische  Litteratur. 

mündlichen  Unterrichts  zu  scharf  in  der  Ausgabe  ausgeprägt  ist, 
bisweilen  im  sprachlichen  Ausdruck  sich  gehen  lassen.  So  steht 
in  der  Einleitung  zur  ersten  Philippischen  Rede :  „Araphipolis  fiel 
von  Athen  ab,  welches  später Macedonisches  Eigenthum  wurde^*", 
statt:  und  wurde  später  Mac.  Eig.  In  §.  17  liest  man:  ,, er 
sagt  qpaötV,  weil  dieser  Feldzug  vor  des  Redners  Zeit  statt- 
fand"", wo  die  Schriftsprache  verlangt:  der  Redner  sagt,  weil 
—  vorseiner  Zeit  etc.  Bei  §.  27  z.  E. :  „warum  also  soll  das 
verlangte  Heer  aus  Bürgern  bestehen  und  diesen  Verpflegungs- 
gelder gegeben  werden?"  wo  genauere  Objectivität  ein  und  wa- 
rum sollen  diesen  gesetzt  haben  würde.  Auch  in  Redeweisen 
wie  §.  34:  „Gerästus  war  ein  Vorgebirge  und  Stadt  auf  der  In- 
sel Euböa""  würde  dieselbe  und  eine  Stadt  oder  ein  V o r g e - 
birge  mit  gleich  n  amig  er  Stadt  u.  s.w.  geschrieben  haben. 
Verbindungen,  wie  in  der  Einleitung  zur  zweiten  Philippika:  „Als 
er  nach  glücklichen  Eroberungen  daselbst  von  da  zurückge- 
kehrt" etc.,  sind  wenigstens  nicht  empfehlungswerth.  Das  eben- 
daselbst am  Ende  stehende:  „es  trat  D.  abermals  auf,  um  das  Volk 
zu  warnen,  .  .  .  den  Krieg  kräftigst  gegen  ihn  zu  erneuern",  hat 
wohl  ermahnen  heissen  sollen.  Ich  muss  nebenbei  gestehen, 
dass  die  früheren  Philologen  im  Dialekt  ihres  Neulateins  sich  nicht 
leicht  solche  Dinge  zu  Schulden  kommen  Hessen.  Es  sollten  da- 
her die  deutsch  schreibenden  Commentatoren,  die  nach  dem  Sinne 
der  Zeit  so  manche  Frucht  jener  mühsamen  Saaten  mit  Leichtig- 
keit einerndten,  im  deutschen  Stile  behutsam  und  vorsichtig  sein. 
Dies  nur  als  allgemeine  Nebenbemerkung. 

Eine  dritte  Erinnerung,  die  wieder  speciell  auf  Hrn.  Dob. 
Bezug  hat,  betriff"!  dessen  VVortreichthum  und  üeberfluss 
an  Erklärungen.  Hierher  gehören  Dinge  wie  §.  4:  „in  wel- 
chem Verhältnisse  iXtij^BQa.  und  avvovo^ov^Evcc  steht,  ergiebt 
sich  leicht."  §.  5.  „Das  Verhältniss  zwischen  novtlv  und  xlvöv- 
vsvBLV  ist  klar."  §.9  ,,0!  döeXystccgi  diese  Construction  ist  aus  der 
Casuslehre  bekannt."  §.  13  „(ög  mit  dem  Particip  ist  eine  sehr 
häufig  vorkommende  und  bekannte  Verbindung,  so  wie  auch  das 
Verhältniss  zwischen  kyvcoKozcov  und  Titnuö^h'cov  klar  ist." 
§.  14.  „Warum  der  Redner  dem  jcgokaiißccvets  noch  ausdrücklich 
ngotegov  hinzufügt,  ist  klar."  §.  19  ^.nelöszaL  aal  ccxoXovd^rj- 
68ii  das  Verhältniss  beider  Worte  ist  klar.^'  §.  25  „7r«p«xara- 
Cz^öavTttS-  die  Beziehung  des  nagd  ist  leicht  zu  finden."  §.  31 
„jcat  XoyiöaLö^s:  das  Verhältniss  dieses  Gedankens  zum  vorher- 
gehenden ist  klar";  ^^ngola^ßdvcjv:  die  Beziehung  des  jigo  ist 
leicht  zu  finden."  §.  45  ^^CvvanoGtalrj:  die  Beziehung  von  6vv 
ist  leicht  zu  finden."  §.  51  ,,oi;r£ — t£  ist  nicht  selten."  So  auch 
in  der  zweiten  Rede.  Bei  allen  solchen  Noten  entsteht  dem  Pä- 
dagogen die  Alternative:  entweder  ist  für  den  Schüler  wahr,  w«<s  die 
Noten  besagen,  dann  sind  sie  überflüssig;  oder  es  ist  nicht  wahr, 
dann  sind  sie  nutzlos,  weil  sie  keine  Belehrung  geben.     Sollen  sie 


Doberenz:  Ausgewählte  Reden  des  Demosthenes.  353 

aber,  was  offenbar  der  Zweck  zu  sein  scheint,  blos  anregen  und 
aufmerksam  macheu,  so  mussten  sie  in  bestimmte  sprachrichtige 
Fragen  eingekleidet  werden.  Auch  Wendungen,  wie  Phil.  I.  23: 
„ttJv  jiQCJZijv:  dergleichen  absolute  Accusative  erklärt  die  Casus- 
lehre'-'',  oder  11.  5  „Sinn  und  Uebersetzung  von  Xav^dvcLV  mit  dem 
Particip  muss  bekannt  sein"'  sind  Luxus  aus  der  Elementargram- 
matik. Und  wenn  man  gar  liest,  wie  I.  27  „ZV  rjv:  die  Bedeu- 
tung des  Imperf.  in  Absichtssätzen  ist  einem  Primaner  be- 
kannt^'';  so  gesteht  eine  anders  organisirte  Natur  ganz  offen,  dass 
ihr  diese  Form  ans  Platte  und  Fade  zu  streifen  scheint.  ; 

Zu  dem  üeberflüssigen  gehören  auch  manche  üebersetzuii- 
gen,  welche  das  Selbstlinden  des  Schülers  und  die  Selbstthätigkeit 
beeinträchtigt  haben,  z.  B.  §.  7  ^^Ttgcczreiv  handeln.'*-  §.  8  ^^i]drj 
gleich  jetzt.''  §.  9  „xiJxAw  ringsum."  §.  II  „Tror^öirg:  schaf- 
fen." §.  13  „xat  dtj^^ijöt]  sogleich."  §.  15  ,,toi;  Xoinov:  in 
Zukunft'^  u.  s.  w.  Diese  würden  besser  übergangen  werden.  Aus 
allem  möchte  hervorleuchten ,  dass  wenigstens  Hr.  Dob.  nicht  ganz 
berechtigt  war,  von  seinen  Vorgängern  zu  sagen,  dass  ,,sie  die 
Selbstthätigkeit  des  Schülers  zu  wenig  in  Ansprucli  nehmen."  Am 
entschiedensten  aberiindet  sich  das  Zuviel,  wovon  hier  die  Uede 
ist,  bei  manchen  sachlichen  Erläuterungen.  So  §.  26  über  noß' 
nai.  §.  31  über  die  Etesicn.  §.  35  über  die  Panathenäen,  welche 
]\ote  beinahe  eine  Seite  einnimmt.  §.  36  über  Leiturgien,  beson- 
ders über  Trierarchie  und  die  OlvxlÖoöh^.  II.  14  über  Elatea. 
§.  29  über  die  Gesandtschaften  an  Philipp.  Dies  Alles  lässt  sich 
auf  viel  kürzeren  Ausdruck  bringen.  Denn  viele  Einzelnheiteii 
sind  für  Sciiüler  entbelirlich,  die  erst  lernen  sollen  sich  in  den 
Demosthenes  hincinzulesen.  Dazu  braucht  man  noch  niclit  das  viele 
Detail,  weil  Schüler  jede  Einzelnheit  des  Redners  noch  nicht  bis 
zu  dem  Punkte  zu  verfolgen  brauchen,  wie  es  ein  Philolog  oder 
Historiker  thun  muss.  Sonst  wird  der  Hauptzweck,  die  rasche 
Leetüre  und  der  Zusammenhang  des  Ganzen,  zu  oft  unterbrochen 
und  am  Ende  verfehlt.  Mir  scheint  daher  Hr.  Dob.  in  diesem 
Punkte  zu  viel  gegeben  zu  haben,  wiewohl  jeder  hinzusetzen  wird, 
dass  über  das  Z  u  V  iei  und  Zuwenig  bei  der  Durchfülirung  an 
Beispielen  die  Ansichten  stets  getheilt  bleiben  werden.  Lieber 
das  Zuwenig  hätte  ich  aus  eigener  Erfahrung  nur  ein  paar 
Stellen  zu  erwähnen,  wo  Schüler,  die  blosse  Texte  gebrauchten, 
in  der  Regel  anstiesseu  und  in  vorliegender  Ausgabe  keine  Hülfe 
finden  würden,  nämlich  §.  3  ovz\  äv  ohycjQijts^  xoiovtov^ 
olov  äv  v^iBig  ßovXoLö^e.  §.  40  rcc  öv^ßdvta  öiioxsiv.  11.29 
TÜVT03V  dcpaötr^xova.  Auch  könnte  I.  29  zu  ulö^ov  ivtelrj  die 
kurze  Angabe  hinzukommen,  wie  viel  der  vollständige  Sold 
eines  Atheners  betj-agen  habe,  und  I.  19  wo  der  Redner  vor  der 
Rüstung  gegen  plötzliche  Kcldzüge  Philipps  von  den  Athenern 
noch  eine  Macht  verlangt  >y  öL»i'f;^c5tj  jroÄ£.u?J(?«fc  ycaX  Tcaxcog 
tKtivov  noL^öSL,  hätte  dieser  Gebrauch  des  Futur!  (dcnSauppe 

y.  Jahrh  /.  r/iil.  11.  Päd.  od.  Kril.  Hihi.  Bd.  LVIII.    Hfl    4.  23 


354  Griechische  Litteratur. 

hier  nicht  berührt)  fi'ir  den  Schüler  eines  Winkes  bednrft.  Es 
haben  darüber  bekanntlich  Mätzner  zu  Lycurg.  p.  81  und  144, 
Franke  zu  Olynth.  I.  2  [wo  Hr.  Dob.  ebenfalls  schweigt],  K.  W. 
Krüger  Gr.  §.  53,  7.  Anm.  7  und  8*)  und  Andere  gesprochen. 
Dies  Wenige  ausgenommen,  hat  sonst  Hr.  Dob.  nach  meiner  üe- 
berzeugung  im  Zuviel  gefehlt. 

Als  eine  Nebensache,  die  blos  äusserlicher  Natur  ist,  möge 
viertens  hinzukommen  eine  Inconsequenz  in  der  Anfüh- 
rung von  A  uct  ori tä t en.  Es  werden  nämlich  öfters  Regeln 
aus  Krüge  r''s  Grammatik  mit  dessen  Namen  entlehnt.  Eben  so 
wird  Jacobs  citirt,  besonders  bei  Uebersetzungsforraeln.  Und 
dasselbe  geschieht  bei  verschiedenen  Dingen  mit  Böckh,  K.  F. 
Hermann ,  Wach  smuth,  einmal  mit  V  ömel  und  einmal  mit 
Sauppe  in  einer  Bemerkung  zu  I.  30  [wo,  nebenbei  gesagt,  die 
einzige  kritische  Note  dieser  Ausgabe  als  ein  verirrter  Fremdling 
erscheint].  Wenn  nun  aber  diese  Gelehrten  citirt  werden,  so 
haben  alle  übrigen  Commentatoren,  aus  denen  Hr.  Dob.  geschöpft 
liat,  ein  gleiches  Recht,  überall  mit  Namen  genannt  zu  werden. 
Ich  kann  hierin  keinen  Vorzug  des  zweiten  Bändchens  vor  dem  er- 
sten finden,  worin  Niemand  ausser  Krüger  namentlich  citirt  wird. 
Entweder  nenne  man  jeden,  nach  der  Gewissenhaftigkeit,  die  unter 
Andern  Krüger  im  Thukydides  beobachtet  hat,  oder  keinen:  jedes 
andere  Verfahren  ist  Inconsequenz  eines  subjectiven  Beliebens. 
Die  Entsclieidung  in  obigem  Dilemma  dürfte  kaum  zweifelhaft 
sein.  Da  nämlich  für  Schüler  nicht  w  er  etwas  sagt,  sondern  was 
man  sagt,  in  Betrachtung  kommt:  so  wird  es  in  Schülerausgaben, 
wie  die  vorliegende  ist,  das  gerathenste  sein,  die  Nennung  eines 
jeden  Namens  zu  übergehen  und  nur  in  der  Vorrede  zu  erN\ ahnen, 
aus  welchen  Quellen  man  dankbar  geschöpft  habe.  Etwas  ande- 
res ist  es  natürlich  mit  Ausgaben,  die  über  den  Gesichtskreis  des 
Schülers  hinausgehen. 

Doch  das  sind  Aeusserlichkeiten.  Wichtiger  möchte  eine 
fünfte  Erinnerung  sein,  nach  welcher  die  Ausgabe  nicht  überall 
eingedenk  bleibt,  dass  sie  einen  Redner  zu  erläutern 
habe.  Es  ist  eine  wichtige  Lehre  von  G.  Hermann  (Opusc.  VII. 
p.  100):  ,,aliara  historicus,  aliam  philosophus.  aliam  orator,  aliam 
poeta  sibi  interpretationem  poscit^' :  eine  Lehre,  die  auch  pädago- 
gische Bedeutung  für  die  Schule  hat.  Dies  vollständig  zu  zeigen, 
würde  eine  ausführliche  Abhandlung  nöthig  sein:  hier  kann  nur 
von  Andeutungen  die  Rede  sein.  Hr.  Dob.  hat  öfters  sehr  gut 
bemerkt,  dass  man  dieses  oder  jenes  Wort  betonen  solle,  lässt 
die  Steigerung  oder  Aufeinanderfolge  verbundener  Begriffe  be- 
achten, erläutert  Redefiguren,  wie  I.  10  die  Ep anale psis,  nur 
diese  etwas  zu  weitläuftig,  da  schon  die  blosse  Erwähnung  des 


♦)  In  Rost's  Schulgr.  §.  151  finde  ich  derartige  Sätze  mit  dem  Re- 
lativ, die  häufig  vorkommen,  nicht  berührt. 


Doberenz  :  Ausgewählte  Reden  des  Demosthenes.  355 

Namens  ausgereicht  hätte ,  und  zerlegt  jede  Rede  in  ihre  einzel- 
nen Theüe.  Aber  er  hätte  docli  einen  Schritt  weiter  gehen  sollen: 
es  wären  näralich  hier  und  da  Winke  über  die  rhetorische  Gliede- 
rung und  über  den  Periodenbau  an  ihrer  Stelle  gewesen.  Frei- 
lich sind  dazu,  ausser  Dissen  zur  Rede  de  corona,  noch  wenig 
Vorarbeiten  vorhanden,  da  erst  manches  andere  zur  Entscheidunir 
gebracht  werden  musste,  und  da  wir  leider  die  Prolegomena  von 
Sauppe  noch  nicht  besitzen.  Indess  hätte  Hr.  Doberenz  — 
diesen  Wunsch  erweckt  die  Lectüre  seiner  Leistung  —  schon  jetzt 
hier  und  da  den  Versuch  machen  sollen. 

Dagegen  müht  er  sich  ab,  wie  manche  seiner  Vorgänger,  mit 
Erklärungen  Ton  Sachen  und  Begriffen ,  die  bei  einem  Redner 
entweder  nicht  nöthig  oder  mit  grösserer  Vorsicht  zu  behandeln 
sind.     Ich  will  mich  auf  drei  Dinge  beschränken.     Erstens  wird 
gleich  Anfangs  die  Anrede  c3  avögsg  'A^}]vaioi  erläutert,   und 
auch  §.  3.  4.  8.  10.  13.  31  u.  s.  w.  auf  dieselbe  mit  specieller  Aus- 
deutung hingewiesen.     Fast  noch  häufiger  geschieht  es  im  ersten 
Bändchen,      Wenn   nun   gesagt  wird,  es  enthalte  diese   Anrede 
„theils  Aufforderung  zur  Aufmerksamkeit  (wie  namentlich  im  An- 
fange der  Rede),  theils  Lob,  theils  Tadel,  theils  mehreres  zu- 
gleich.   Suche  also  stets  nach  dem  Grund ,  warum  sie  gesetzt  isf"^; 
so  heisst  das  den  Schüler  unnöthig  aufhalten  und  von  ihm  ver- 
langen, was  ein  Ding  der  Unmöglichkeit  ist.     Denn  Hr.  Dob.  hat 
theils  in  die  Anrede  hineingelegt,  was  nur  in   der  jedesmaligen 
Umgebung  des  Satzes,  in  welchem  sie  vorkommt,  liegen  kann; 
theils  hervorgehoben,  wovon  weder  Demosthenes  noch  irgend  ein 
Athener  beim  Hören  dieser  Anrede  ein  klares  Bewusstsein  hatte. 
3Ian  frage  doch  bei  uns  einen  Prediger,  ob  er  auf  der  Kanzel,  oder 
einen  politischen  Redner,  ob  er  auf  der  Rednerbühne  beim  Ge- 
brauche solcher  Anreden  dieses  Bewusstsein  habe,  und  man  kann 
der  verneinenden  Antwort  so  sicher  sein,  wie  es  der  Hörer  von 
sich  selbst  weiss.      Man  lese  daher  mit  dem  dazu  vorbereiteten 
Schüler  rascher  eine  Reihe  von  Reden,  und  er  wird  schon  fühlen, 
dass  die  Anreden  passend  eingesetzt  seien ;  aber  man  wolle  nicht 
erklären ,  was  theils  unrichtig,  theils  unnöthig  ist.     Eine  gleiche 
Bcwandtniss  hat  es  mit  dem  Begriffe  xä  ngay^aza^  wovon  es  in 
beiden  Heften  §.  2  heisst:  „muss  auf  mancherlei  Weise  übertra- 
gen werden:  öffentliche  Angelegenheiten,  Umstände,  Lage,  Vor- 
fälle, Macht,  Reich,  Staat,  Staatsinteressen  u.  s.  w,     Suche  also 
jedesmal  die  passendste  Bedeutung"*,  auf  welche  Note  dann  sehr 
oft  zurückgewiesen  wird.     Abgesehen  von  dieser  Ordnung  in  lexi- 
kalischer Hinsicht,  kann  man  das  Auffinden  des  entsprechenden 
Ausdrucks  dem  Nachdenken  des  Schülers  um  so  mehr  überlassen, 
als  ja  bei  einem  Redner  von  der  jedesmaligen  Sachlage  und   von 
den  spcciellen  Verhältnissen  genauer  gesprochen  wird,  und  dem- 
nach gerade  beim  Redner  solche  Bemerkungen  der  Lexikographie 
entbehrlich  sind. 

23* 


356  Griechische  Lltteratur, 

Noch  weiter  erstreckt  sich  der  zweite  Punkt,  über  den  ich 
jetzt  sprechen  will.     Die  Redner  pflegen  bekanntlich  öfters  einen 
Begriff  durcli  Synonyma  auszudrücken,  blos  um  ihn  recht  stark 
hervorzuheben  und  dem  Hörer  zu  Geraüthe  zu  führen.     Da  haben 
nun  die  Erklärer  nicht  selten  mit  ängstlicher  Genauigkeit  den  Un- 
terschied der  Synonyma  entwickelt,  als  wenn  sie  einen  Philosophen 
zu  erläutern  hätten.     Das  ist  hier  ungehörig,  weil  weder  der  Red- 
ner noch  die  Zuhörer  an  so  scharfe  Unterscheidung  gedacht  ha- 
ben.    Ich  will  Beispiele  aus  dem  ersten  Hefte  wählen ,   weil  sie 
dort  zahlreicher  sind.     So  wird  Olynth.  I.  25,  wo  Demosthenes 
Macedonien  und  Attica  gegenüberstellend  den  Athenern  zuruft: 
Tj]V  BXBLVOV  ^axcog  noL7]68TB^  trjv  vTCccQxovöav  xal  xrjv  olKSiav 
tavtr^v  dÖBCjg  TcaQjtovutvof  in  den  Comracntaren  wie  hier  be- 
merkt: ^^vnccQxovöav  das,  was  ihr  habt,  und  olxeLav  das  von  den 
Vätern  Ererbte."      Aber  daran  hat  schwerlich  ein  Grieche  ge- 
dacht, sondern  es  war  für  ihn  sicherlich  nur  der  Begriff  Eures 
eigenen   Landes   mit  besonderem  Nachdruck  hervorgehoben. 
In  dieselbe  Kategorie  gehört  Ol.  I.  12  ^oyl^ezaL  xai-  ^tcogsl  er- 
wägt und  betrachtet.     §.  14  tva  yvcoze  xal  aXö^tjör^s    da- 
mit i  hr  k  lar  ei  ns  eh  et.     §.21  Bv^v^rj^rjvaL  xal  Xoyiöaö&ai 
sorgfältig  erwägen  (wo  wieder  nutzlos  distinguirt  wird).     Ol. 
II.  1  daL(iOVLCc  ZLVL  xal  %eia  evegysöLcc  einer  überaus  gött- 
lichen  Wohlthdt.      §.   6  &8C3QCDV    xal  öxoTtcJv  bei  genauer 
Ueb  e  rleg"ung.     §  9  öVfiTTOvHv  xal  (psgaiv  tag  GvyicpOQÜg  (wo 
Hr.  Dob.  unrichtig  sagt:  „xat  übersetze  durch  und  überhaupt, 
wodurch  das  Verhältniss  der  beiden  Verba  klar  wird'"'')  ist  einfach: 
die  Mühe  mit  übernehmen  und  die  Unglücksfälle  er- 
tragen, welche  Sprechweise  bei  keiner  Nation  einer  Erläuterung 
bedarf.     Ebendas.  äv&%aixL6s  xal  dieXvös.     §.  12  ^ätaL6v  xi  xal 
xsvov.     §.  13  ^etdöiaöLV  xal  fisxaßoX'^v  (wo  Hr.  D.  richtig  ur- 
theilt).     Ebend.  aQxrjg  xal  övvdi.i8Cüg.     §.  15  xolg  TCoXEaoig  xal 
zaig  özQaztiaig.     §.  18  s^Tteigog  nols^ov  xal  dycovcov.     Ebend. 
jtagscoö^aL  xal  Iv  ciJösfOi?  ilvai  ^BgsL.     §.  29  Boi^Siv  xal  Öls- 
özdvai.     Ol.  III.  3  TCoKlrig  (pgovzlöog  xal  ßovX^g  ÖBlzai.     §.  6 
Ttavxl  ö^BVBi  xazd  x6  övvarov.      §.  21  tg5  bübl  xal  xa  xgoTKo 
xrjg  TCokiZBiag  xgijö^ai,.     §.  27  ojjLoiag  xal  7iaga7tXr]6icog^  wo  Hr. 
D.  theils  den  Begriff  schwächt,  indem  er  xaC  und  nur  übersetzt, 
theils  nutzlos  hinzufügt:  „Die  Verbindung  dieser  Worte  liebt  vor- 
züglich Demosthenes'",  da  dieser  auch  viele  andere  Begriffe,  wo  es 
uöthig  ist,  eben  so  zu  verbinden  liebt,  und  da  überhaupt  kein  Le- 
ser irgend  einer  Nation   einen  Anstoss  nelmieii  kann,  wenn  ein 
Rednerdie  Begriffe  gleich  und  ahn  lieh  verbindet,  um  den 
Begriff  von   ganz   gleich   hervorzuheben.      Auch    im   zweiten 
Hefte  findet  sich  Derartig^es  mehrmals,  z.  B.  Phil.  I.  22:  ^.(pgaöco 
xal  Öti^co;  öti^co  hi  de uliich  zeigen.'"''     Gewiss  nicht!  dBi^a 
ist  blos  zeigen;  erst  beide  Verba  zusammen  geben  den  Begriff 
des  deutlichen  Zeigens   und  geliören  mit  §.  19  TtBLöBzai  xal 


Doberenz :  Ausgewählte  Reden  des  Demostlieiies.  357 

ttKoXov^rjöet  und  allem  übrigen,  was  berührt  wurde,  in  dieselbe 
Kategorie. 

Schon  aus  diesen  wenigen  Andeutung^cn  möchte  erhellen,  dass 
man  theils  den  Redner  vergisst,  indem  man  an  allen  solchen  Stel- 
len eine  haarspaltende  Unterscheidung  der  Begriffe  übt,  als  wenn 
man  einen  philosophischen  Schriftsteller  vor  sich  hätte,  theils 
überhaupt  diesen  Sprachgebrauch  in  zu  enge  Grenzen  einschliesst, 
indem  man  ihn,  wie  Hr.  Dob.  nach  dem  Vorgange  Anderer  zu  Ol. 
I.  12  und  anderwärts  gethan  hat,  auf  Worte  von  bestimmter  Be- 
deutung einschränken  will.  Die  in  den  Commentaren  stehenden 
Beispiele,  welche  Hrn.  Dob.  zu  solchen  Bemerkungen  Veranlas- 
sung gaben,  könne»  durch  extensiv  und  intensiv  zahlreiche  Bei- 
spiele vo  n  jed  em  Begriffs  Worte  aufgewogten  werden.  Wer 
aber  mit  Schülern  tief  darauf  eingeht,  der  pflegt  deren  Aufmerk- 
samkeit für  Er  fassun  g  der  ganzen  Rede  zu  stören  und  zu 
schwächen. 

Ich  komme  zum  dritten  Punkte,  der  mir  bei  einem  Redner 
schon  für  die  Schullectüre  beaclitungswerth  scheint.  Ein  politi- 
scher Redner  nämlich  stellt  immer  ,,auf  der  Zinne  der  Partei.'-' 
INun  ist  es  eine  gleichsam  geheiligte  üeberlieferung,  den  Demosthe- 
nes  und  seine  Partei  zu  erheben ,  den  Aeschines  und  Philipp  mit 
ihrem  Anhange  möglichst  tief  zu  stellen.  Und  wenn  man  auch 
nicht  mehr  mit  Reisk  e  übersetzen  wird  ,,der  verfluchte  Racker 
Philipp'*-,  so  ist  docli  der  Standpunkt  für  die  Beleuchtung  jener 
politischen  Verhältnisse  niclit  selten  derselbe  geblieben.  Aber  ein 
Gymnasiallehrer,  dem  die  Politik  in  praktischer  Hinsiclit  nichts 
angeht  und  der  nur  die  ewig  wahren  Ideen  der  Humanität  zur 
Geltung  zu  bringen  hat,  muss  in  seinen  Ürtheilen  über  politische 
Zustände  des  Alterthums  parteilos  sein.  Er  darf  für  die  Zeiten 
des  Philipp  niemals  vergessen,  was  z.  B.  der  edle  Fr.  Jacobs 
(Demosthenes'  Staatsreden  S.  206)  bei  Gelegenheit  sagt:  ,,man 
kann  den  Theopompus  so  wenig  als  den  Demosthenes  fiir 
einen  vollgültigen  Zeugen  ansehen^*;  und  muss  eingedenk 
bleiben,  was  derselbe  Jacobs  besonders  für  die  Gegenwart  passend 
S.  457  geschrieben  hat:  ,,Ein  sicherer  Maassstab  der  Wahrheit 
mangelt,  und  wir  sehen  uns,  nicht  ohne  Beschämung,  zu  dem  Ge- 
ständnisse genöthigt,  dass  die  Ocfl'entlichkeit  der  Verhandlungen 
in  der  alten  Welt  so  wenig  als  in  der  neuern  der  Lüge  den  VVeg 
versperrt,  und  dass  die  Dreistigkeit  der  Redner  und  die  Vergess- 
lichkeit  leichtgläubiger  Zuhörer  sich  auch  in  der  Stadt  der  Minerva 
vereinigt  hat,  um  durch  Verunstaltung  der  Wahrheit  gegen  alle 
historische  Gcwisslieit  misstrauisch  zu  machen."  Dazu  die  trefl- 
liclie  Anmerkung:  ,,Wenn  man  die  Macht  erwägt,  die  in  bewegten 
Zeiten  der  Parteigeist  ausübt,  so  ist  es  gar  nicht  ungereimt,  anzu- 
nehmen, dass  in  den  Reden  erhitzter  Gegner  dieselben  That- 
sachen  ,  ohne  den  bestimmten  Vorsatz  lügenhafter  Entstellung,  auf 
eine    ganz  abweichende   Weise    erzählt    und   dargestellt  werden 


358  Griechische  Litteratur. 

konnten.     Jener  unreine  Geist  ist  seiner  ganzen  Natnr  nach  der 
Wahrheit  ungünstig  und  einem  trüben  Medium  vergleichbar,  das 
keinen  Gegenstand  auffassen  und  wiedergeben  kann,  ohne  Farbe 
und  Form  an  ihm  zu  ändern.     Von    den  mannigfaltigen  Aussagen, 
die  sich,  auch  ohne  seine  Einmischung,  durch  die  blosse  münd- 
liche FortpflanzuFig  bilden,  greift  Jeder  auf,  was  ihm  und  seiner 
Partei  am  meisten  zusagt,  und  Wunsch  und  Neigung  muss  über 
die  Wahrheit  entscheiden.      Da.  wo  einmal  Parteien  einander  ge- 
genüber stehen,  drängt  sich  auch  nur  allzuleicht  die  Begierde  ein, 
dem  Gegner  anfalle  Weise  zu  schaden,  erst  durch  wahre  Berichte, 
wo  aber  diese  nicht  genügen,   durch  Verleumdung  und  vergiftete 
Waffen.      Der   Gipfel  der  Kunst  ist  dann,   dem   Unwahren  den 
Schein  des  Wahren   zu   geben."     Hätten  wir  Maccdonische   Be- 
riclitc,  und  wäre  nicht  zugleich  manches  andere  verloren  gegan- 
gen, wir  würden  sicherlich  über  Manches  mit  grösserer  Bestimmt- 
heit  urtheilen   können.      Die    Athener   des    Demoslhenes  waren 
nicht  mehr  die  alten  M«^a^w7'o^uc^';tO''' sondern  ein   vielfach  ent- 
artetes Geschlecht,  das  sein  Schicksal  verdient  hatte.     Und  De- 
mosthenes  hat  uns  unter  Anderra  in  seinem  ngog  irö  tsXevtaLov 
txßdv  äxciöTOV  Tc5v  vitaglccvtcov  xgcvstai  (Ol.  I.  11)  einen  Maass- 
stab in  die  Hand  gegeben,  den  wir  nach  Recht  und  Billigkeit  auch 
in  Beziehung  auf  Philipp  anwenden  müssen.     Da  man  wahrschein- 
lich die  Redner  des  Alterthums,  besonders  den  Demosthenes.  künf- 
tig in  den  Schulen  weit  mehr,  als  früher,  des  sachlichen  Interesses 
wegen  lesen  wird,  so  ist  sehr  zu  wünschen,  dass  nicht  etwa  das 
politische  Leben  jener  Zeit  zu  einseitigen  Parteizwecken  der  Ge- 
genwart gemissbraucht  werde,  sondern  dass  die  besonnenste  V^or- 
sicht  und  objective  Parteilosigkeit  gewahrt  bleibe.     Hr.  Doberenz 
nun  ist  zu  loben,  dass  er  sich  in  seinen  Einleitungen  und  hier  und 
da  in  der  Erläuterung  fast  durchweg  nur  an  das   sicher  Ausge- 
machte und  historisch  Erwiesene  gehalten  hat,   ohne  zweifelhafte 
Dinge  und  parteivolle  Ansichten  der  Snbjectivität  mit  aufzunehmen. 
Aber  Einzelnheiten  vom  Gegentheil  sind  dennoch  zu  finden.     So 
erwähnt  er  in  der  Einleitung  zu  den  Olynthischen  Reden  ,,die  von 
Philipp  erkaufte  Partei,  an  deren  Spitze  vorzüglich  der  ver- 
derbliche und  feile   Äeschines  stand."     Welcher  Historiker 
hat  überliefert,  dass  Philipp  eine   „ganze  Partei   erkauft^' 
habe*?     Sollte  es  damals  keine  Athener  gegeben  haben,  welche 
aus  reinster  üeberzeugung  nur  im  Anschluss  an  Philipp  das 
Heil  für  die   Stadt  erblickten*?    oder   welche   die   Unmöglichkeit 
eines  siegreichen  Widerslandes  voraussalien*?     Dazu  die  Gemäch- 
lichen, die  um  jeden  Preis  Ruhe  haben  wollten.     Klingt  doch  des 
Polybius  Ausspruch  (XVII.  14,  13),  Athen  habe  durch  hartnäckiges 
Streben  gegen  Philipp  die  grössten  Unfälle  und  die  Niederlage 
bei  Chäronea  sich  zugezogen,  wie  ein  übcrzeugungsvoller  Nach- 
hall jener  Macedonischen  Partei.     Ferner  heisst  Äeschines  oben 
ganz  allgemein  „verderblich."     Für  wen'?   Wohl  für  die  Athener. 


Doberenz:  Ausgewählte  Reden  des  Demosthenes.  359 

Aber  wer  aus  Äeschiues'  Rede  ge^en  Timarcliiis,  aus  Demosthenes 
und  andern  Zeugnissen  die  gesunkene  Sitliichkeit  Athens  in  der 
damaligen  Zeit  sich  vor  Augen  stellt,  der  wird  bei  ruliigera  dr- 
Iheil  Bedenken  tragen ,  die  Schuld  des  Verderbens  einer  ein- 
zigen Persönlichkeit  in  solcher  Ällgeraeinlieit  aufzubürden.     Ob 
dann  blos  die  Geschenke  des  schlauen  Königs  den  Aeschines  um- 
gestimmt haben,  und  nicht  auch  die  Achtung  vor  Philipps  Persön- 
lichkeit und  unermüdlichem  Charakter  von  Einfluss  gewesen  seien, 
das  kann  nicht  entschieden  werden.     Man  muss  den  Demosthenes 
bewundern   und  seine  Politik  dem   innersten  Wesen    nach 
für  die  bessere  halten,  aber  man  darf  nicht  die  ganze  Gegen- 
partei und  deren  Führer  in  solcher  Allgemeinheit  mit  schmähen- 
den Epithetis   belegen.     Die  ruhige  Besonnenheit   und  Vorsicht 
würde  daher  für  den  obigen  Satz  in  einem  Schul  buche  genannt 
liaben   „die  Makedonische  Partei ,   an  deren   Spitze   der  zweite 
Hcdner  Athens,  der  von   Philipp   gewonnene  Aescliines   stand. '■'^ 
Auch  für  den  Ausdruck,  der  in  der  Einleitung  zur  ersten  Philippi- 
schen Rede  über  Amphipolis  und  Pydna  gebraucht  ist,  nämlich 
für,, diese  mit  Lug  und  T  rüg  vollbrachte  Eroberung'"'',  hätte  die 
objective   Parteilosigkeit  sich  begnügt  ,,mit    Lisf"'  zu   setzen. 
Und  in  der  Einleitung  zur  zweiten  Philippika  würde  statt  des  Aus- 
drucks: „es  wurde  346  v.  Ch.  Friede  geschlossen,  wobei  sich  der 
König  abermals  höchst  treulos  zeigte''^  eine  unbestochene 
Mahrheitsliebe  wenigstens  beigefügt   Iiaben  „nach  Demosthenes' 
Rede'"'',  da  wir  sonst  für  diesen  dunkeln  Zeitraum  keine  Nachricht 
Iiaben;  oder  weil  Libanius  über  die  Atliener  das  Gegentheil  sagt: 
TtQog  de  tov  (PthnTiov  ÖLi^^ccQtijxaöt  (xev  cov  T^lniöav ^  ov  ^rjv 
vii  SKslvov  ys  avtov  ö  okovö  lv   s^rjTt  atijöd^  a  i.    ovts 
ydg  zaig  kmöTokals  Iveygaxl'sv  6  ^ilinnog  ejtccyyeXlav  ovös- 
^  lav  ovTE  öid  Tcov  löiov  TtQBößecov  In  otrj  ö  ato  riva  vno- 
6%b6lv^  dXXä  'A&rjvaicjvziveg  ^6  av  oi  tov  drj^ov  et  g 
kknlöaxaraötr^öavtsg^  cog  Olkinnog   ^axeag  öcoöel  Kai 
TTjv  &rjßaLa)v  vßgiv  TcatcckvöSL ^  und  weil  mit  dieser  Angabe   die 
Stelle  in  der  Rede  für  Flalonnesos  §.  18  übereinstimmt,  so  würde 
ruhige  Vorsicht  geradezu  sagen:  ,, wobei  Philipp  abermals  seine 
bisherige  Klugheit  zeigte.'^     Hierher  gehören  auch  manche  par- 
teiische üebersetzungen,  wie  z.  B.  Phil.  II.  8  das  über  Philipp 
gesagte  ovölv  dv  kv ö ei^aixo  toöoitov  xtA.  ohne  Weiteres  ge- 
deutet wird  „ vorprahlen.^''     Aber   Demosthenes  sagt  mit  dem 
griechischen  Worte  nur  einfach:  ,,er  möchte  nicht  an  sich  oder 
von  sich  aufzeigen  können.""      Auch  die  einzige  Bemerkung 
dieser  Art,  die  man  U.  3  zu  den  Worten  liest:  v^ilg  ot  xa&rj^tvoi^ 
cog  filv  dv    EXitottB  ÖLuaiovg    Xoyovg  xccl  Keyovtog 
aKkov  6vv£Cr]TB^  d^airov  0lXl7C71  ov  ti  a  q  s  6  yi  s  v  a  6  d^  s^ 
cog  ÖS  nalvöaiz'  dv  luelvov  Ttgärttiv  tavta^  fqp'  wv  fort  [muss 
fori  heissen]    vvv,  7tcivvsXc5g    dgycog   txete.     „Diese  Worte 
enthalten  Lob.     Aber  eben  darum  ist  der  grosse  Redner  so 


360  Griechische  Litteratur. 

achtunn:swerlli  und  liebenswürdig,  dass  er  iinvcrliohlen  und  frci- 
ra Vi thig  tadelt,  aber  auch  lobt,  wo  er  es  ohne  die  Wahrheit  zu 
verletzen  kann";  —  auch  diese  Be?Tierkung  ist  von  Parteilichkeit 
nicht  frei  zu  sprechen.  Denn  dass  Philipp  eben  so  klug  war,  als 
die  Athener,  kiyovzog  alXov  övvelvat.  das  hat  er  praktisch 
durch  seine  Thaten  bewiesen.  Sodann  wird  das  yerraeintliche 
,,Lob^'  durch  den  ganzen  Zusammenhang  und  durch  den  Ton  der 
Stelle  nicht  bestätigt.  Dies  zeigt  schon  das  an  die  Spitze  gestellte 
vfXBig  OL  yM^rjuBVOL.  was  freilich  Franke  zu  vag  durch  ein  ,,i.  q, 
OL  dxovovtsg''''  mit  Parallelen  abfertigt,  Hr.  Dob.  mit  Stillschwei- 
gen übergeht,  aber  durch  Erinnerung  an  seine  eigene  IN'ote  zu  Ol. 
II.  23  mit  dem  Hinweis  versehen  sollte,  dass  darin  die  Apathie  der 
Athener  gegen  Thaten  ausgedrückt  sei.  Ferner  deutet  Hr.  Dob. 
,,ihr  besitzt  mehr  als  Philipp  dieFähigkeit  und  Fertigkeit, 
wodurch  (cog)  ihr"  u.  s.  w.,  also  naQBöxEväödaL  durch  Fähig- 
keit und  Fertigkeit  besitzen,  während  der  Redner  blos 
sagt:  ,,ihr  seid  besser  als  Philipp  gerüstet.  Reden  zu  halten  und 
solche  zu  verstehen,  aber  nicht  zu  handeln.''*'  Endlich  ist  auch 
der  letzte  Anhalt,  den  man  für  das  ,,Lob''^  anführen  könnte,  das 
ÖLzatovg  Xoyovg^  schwerlich  in  dem  Sinne  zu  verstehen ,  dem  Hr. 
Dob.  nach  den  Comraentatoren  gefolgt  ist:  ,,orationes,  qwlhws  Jura 
.^thefiiensium  adversus  Philippura  defenduntur."  Sollte  man 
dann  nicht  tovg  dixaiovg  Xoyovq  erwartend  Wer  ohne  Com- 
raentar  den  Zusammenhang  liest,  der  findet  darin,  wie  ich  glaube, 
nur  tüchtige  Reden,  so  dass  auch  an  dieser  Stelle  die  Zungen- 
fertigkeit der  Athener,  im  Gegensatze  zu  ihrer  Schlaffheit  und 
Thatenlosigkeit  oder  zum  Mangel  des  ÖLKalcjg  ngäzzuv^  geta- 
delt wird ,  an  ein  Lob  also  gar  nicht  zu  denken  ist.  Wohl  aber 
liätte  Hr.  Dob.  an  mancher  andern  Stelle,  wo  er  schweigt,  die 
,,achtungswerthe  und  liebenswürdige"  Seite  des  ,, grossen  Red- 
ners" hervorheben  können. 

Durch  die  drei  Punkte,  die  ich  jetzt  andeutungsweise  be- 
sprochen habe,  glaube  ich  die  Wichtigkeit  der  Hermann'schen 
Lehre,  von  welcher  ich  ausging,  für  die  Praxis  der  Schule  we- 
nigstens von  einigen  Selten  gezeigt  und  damit  der  pädagogischen 
Pflicht  genügt  zu  haben.  Es  bleibt  nur  noch  eine  sechste  Be- 
merkung übrig,  die  als  Anhang  hinzukommen  möge,  nämlich  an 
einige  Unrichtigkeiten  im  Einzelnen  oder  auch  an 
ein  paar  Stellen  zu  erinnern,  wo  e  i  n  e  a  n  d  e  r  e  Ansicht 
d  ie  ri  cht  i  gere  seh  ei  nt.  Ich  will  mir  erlauben,  zugleich  auf 
andere  treffliche  Commcntare,  die  gerade  neben  mir  liegen,  bei 
ein  paar  Kleinigkeiten  Rücksicht  zu  nehmen. 

Allgemeinerer  Natur  ist  das  häufig  zurückkehrende  ergänze, 
worein  sich  das  beliebte  scilicet  der  lateinischen  Commentatoren 
verwandelt  hat.  Ich  entsinne  mich  nicht,  in  den  Vorlesungen  G. 
Hermann's  solche  scilicet  gehört  zu  haben.  Und  in  derThat  sind 
dieselben  geeignet,  die  richtige  Auffassung  sprachlicher  Verhält- 


Doberenz  :  Ausgewählte  Reden  des  Demosthenes.  361 

iiisse  mehr  zu  verrücken  als  zu  befördern.  Ich  will  die  Beispiele 
durchgehen.  Phil.  I.  3  z.  E.  weist  der  Redner  auf  Philipp's  vßgig 
hin,  ÖL  7]V  tagatTOiiE&a  ek  tov  ^i^öev  cpQovzit.uv  dv  sxQrjV. 
Dazu  wird  bemerkt:  ^^^XQrjV'  dazu  ergänze  den  Inf.^^  Aber  das 
wäre  ein  elendes  Griechisch  und  ein  elendes  Deutsch,  wenn  Je- 
mand sagen  wollte:  „weil  wir  nichts  von  dem,  was  nöthig  war  zu 
bedenken,  bedenken."  Wer  in  aller  Welt  denkt,  wenn  er  diese 
deutschen  Worte  ohne  den  Infinitiv  hört,  an  eine  Ergänzung 
desselben!  Gerade  so  haben  die  Griechen  beim  Hören  der  Worte 
gedacht.  Und  doch  finden  sich  solche  Noten  in  gleichen  Stellen 
nicht  selten,  wie  §.  32  u.  s.  w. 

Im  §.  17  zu  den  Worten:  ösl yccQ  Itiüvco  tovto  Iv  tij  yvcjßu 
TcagaörijöaL,^  cjg  vfislg  Ix.  TTJg  cc^sXsiag  ravtrjg  rijg  äyav  ,  cjqtceq 
ilg  Evßotav  aal  jiqovsqov  nors  (paöiv  eig  'AXlchqxov  kccl  za  xs- 
kevrala  Ttgcpr^v  sig  IlvXrjv^  I'öcds  äv  ogfirjöairs.  wird  bemerkt: 
^^nagccöT^öai:  dazu  ergänze  das  Subj.*''  Es  soll  offenbar  (wie  bei 
Franke)  vnag  ergänzt  werden.  Das  würde  Dem.  haben  dazu  setzen 
müssen,  wenn  er  es  hätte  gedacht  wissen  wollen.  So  aber  würde 
hier  wohl  jeder,  der  aufmerksam  liest,  sogleich  TiagaözrjvaL  er- 
warten, das  Sauppe  und  Vömel  mit  Recht  unverändert  lassen. 
Auch  die  Parallelstelle,  die  Franke  für  sich  anführt,  spricht  für 
den  zweiten  Aorist.  Ferner  sagt  Ilr.  Dob.  nach  dem  Vorgange 
Anderer:  .^ägntg-,  dazu  ergänze  das  Prädicat  aus  cog^rjöcizs. 
Auch  zu  (paölv  ist  ein  Infin.  zu  ergänzen."  Wenn  aber  ein 
Deutscher  sagt:  „dass  ihr,  gerade  wie  nach  Euböa  und  früher 
einmal  nach  Haliartus  — ,  wohl  gegen  ihn  aufbrechen  werdef"^,  so 
wird  dieses  Satzverhältniss  doch  sicherlich  ein  Quintaner  verste- 
hen, ohne  an  Ergänzung  zu  denken.  Eben  so  §.  26.  II.  8.  Und 
einem  Primaner  will  solche  Dinge  erklären,  wer  G.  Hermann's 
Worte:  „Est  recte  legere  scriptorem,  ita  legere,  ut  eum  sie  intel- 
ligamus,  uti  ipse  intelligi  voluit'-*'  für  einen  Griechen  erwogen  hat. 
Ich  gestehe,  wer  sich  mit  solchen  Dingen  in  der  Prima  aufhält, 
der  kann  nicht  vorwärts  kommen,  und  kann  schwerlich  seine  Schü- 
ler dahin  bringen,  dass  sie  sich  in  einen  Autor  hineinlesen  und  mit 
Genuss  vorwärts  dringen.  Oder  der  deutsche  Unterricht  muss 
nicht  ordentlich  vorgearbeitet  haben.  Auch  bei  dem  obigen  cpcc- 
6iV  scheint  mir  die  Einfachheit  und  Lebendigkeit  des  grie- 
chischen Geistes  nichts  anderes  gedacht  zu  haben,  als  was  wir  durch 
ein  mitten  in  den  Satz  eingeschobenes  „sagt  man"  andeuten  wol- 
len. —  §.  45  „^aV  ^rj  näöa:  dazu  ergänze  aus  den  vorherg. 
[Worten  das]  Verb.  ccTtoörah)}'  Das  gäbe  eine  vom  Redner 
nicht  beabsichtigte  Emphase.  So  aber  war  zu  sagen,  dass  das 
Yerbum  zu  beiden  Sätzen  gehöre,  welche  Sprechweise  wir  nach- 
ahmen. §.  46  ^.Tvxrjre  erg.  '4}r](pLt,6fi8voL.''''  Es  braucht  nicht 
ergänzt  zu  werden,  was  für  den  Gedanken  des  Griechen  nicht 
nöthig  war.  §.  50  6<5cc — xa^'  rjpicov  svgijtai.  Dazu  „ergänze  ein 
Particip.'"'     Der  Grieche  hat  sicherlich  nur  gedacht:  wie  viel 


362  Griechische  Litteratur. 

gegen  euch  erfuiulen  ist.  Sonst  liätte  er  das  Particip  hinzu- 
gesetzt und  es  nicht  einer  andern  Nation  zur  vermeintlichen  „Er- 
gänzung'' Vlberlassen.  —  §.  51  eßovXourjv  ö'  «V,  agTreg  ort  öv^- 
(psQSL  rä  ßekTLöTu  dxovBiv  otd«,  ovtcog  dÖevca  övi'Oiöov  aaX 
rc3  tä  ßsktiöta  ilnovxi.  liest  man  die  iNote:  .^övvolöov  ergänze 
TO  td  ßklxiöxa  elntiv."  wie  bei  Vörael,  Franke  und  Sauppe.  Aber 
wenn  ein  Athener  beim  Hören  dieser  Stelle  daran  hätte  denken 
sollen,  so  würde  der  Redner  die  vermeintliche  ,, Ergänzung^*"  hin- 
zugesetzt haben.  Wie  die  Worte  des  Demosthenes  dastehen, 
werden  seine  Zuhörer  nur  gedacht  haben:  ,,dass  es  auch  dem 
nützt,  der  den  besten  llath  giebt.'^  Und  das  es  kann  schwerlich 
etwas  anderes  sein ,  als  was  er  eben  gesagt,  nämlich  dass  ihr 
den  besten  Rath  anhört.  Denn  nutzlos  will  ein  Demosthe- 
nes nicht  sprechen,  und  eine  so  egoistische  Furcht,  wie  die  ,, Er- 
gänzung" hier  andeuten  würde,  hat  der  Redner  niemals  geäussert. 
Phil.  II.  4:  „TTpa^aig —  Xoyoc:  dazu  erg.  das  Prädicat.'*"  Es  ist 
nichts  zu  ,, ergänzen'"",  sondern  beide  Substantiva  stehen  ap  posi- 
tiv zu  dem  vorhergehenden  ravta.  Im  Griechischen  wie  im 
Deutschen  machte  jede  „Ergänzung^'  nur  schleppend.  §.  5:  „6 
avTog  ZQOTtog  erg.  aözl  vvv"'  wie  bei  Franke.  Aber  das  vvv  ist 
ungehörig,  weil  die  Periode  nicht  mit  einer  Zeitpartikel,  sondern 
mit  der  Bedingungspartikel  si  beginnt.  §.  6  ^^TtQOogäv :  erg.  als 
Obj.  die  Zukunft*'  wie  beim  Vorgänger  „sc.  zd  jLisAAovra."  Das 
ist  jedoch  nicht  zu  ergänzen,  sondern  liegt  schon  in  der  Prä- 
position jr^d,  so  dass  das  Verbum  unserm  ,,in  die  Zukunft 
blicken"  entspricht.  §.  8  ,,a  TtoogrJKBH  dazu  erg.  den  Infin.": 
eine  Note,  die  öfters  in  beiden  Bändchen  zurückkehrt.  Es  ist 
jede  Ergänzung  unnöthig  und  störend,  da  die  Worte  für  den  Grie- 
chen einfach  bedeuten:  was  sich  ziemt,  also  im  Sinne  von  ta 
7tQog7]KOVTa  gesetzt  sind,  wozu  kein  Mensch  eine  Ergänzung 
braucht.  §.  9  „ravra  vneilrjcpcög:  erg.  tibqI  aviaiv^  cctieq  nsgl 
Tcov  0t;ßaicov.''''  So  matt  und  schleppend  spricht  kein  griechi- 
scher Redner.  Wenn  etwas  bemerkt  werden  sollte,  so  war  aus- 
reichend zu  sagen,  dass  es  in  demselben  Sinne  stehe  wie  das  fol- 
gende Tavz'  SLKOTGjg  jcal  negl  v^cov  ovrag  vTidlricps.  §.  16  „«v 
Zig  ^eagi]:  als  Obj,  ergänze:  es,  die  Sache,  die  Lage  der 
Dinge."  Davon  hat  ein  Grieche  schwerlich  ein  Bewusstsein  ge- 
habt, sondern  er  hat  beim  Anhören  der  Worte  dv  zig  OQxfäg 
l&BCOorj  nichts  anderes  in  seiner  Seele  gedacht,  als  was  w  ir  sagen : 
,,wenn  einer  ordentlich  Umschau  hält"  (ähnlich  steht 
Phil.  lll.  2:  avTieg  eiezd^rjrs  og^cjg)^  so  dass  das  substantielle 
IMoment  des  Verbi  dichter  und  inhaltsreicher  geworden  ist:  ein 
Gebrauch,  den  nach  meiner  Ueberzeugung  Rumpel  in  seiner 
„Casuslehre"  S.  116  ff.  gut  erläutert  hat.  —  §.  22  „rt  ö'  ol  08t- 
TttAot;  erg.  ngogBÖOKCOV.'-''  Aber  ein  Grieche  wird  hier  blos  ge- 
dacht haben ,  was  wir  sagen:  wie  aber  die  The  ssal  er?  oder: 
was  war's  mit  den  Thessalern*?  —   §,  29  ^^higovg  Ttakslv: 


Dobercnz:  Ausgewählte  Reden  des  Dcmosthenes.  363 

erg.  dUaiov  ^v.''  Ist  wenigstens  ein  zum  Missverständniss  füh- 
render Ausdruck.  Es  war  mit  praktischer  Richtigkeit  zu  sagen, 
dass  auch  hierauf  noch  das  obige  ?}v  öinaLOv  eingewirkt  habe  und 
aus  diesem  Grunde  an  die  Spitze  des  Satzes  getreten  sei.  Dies 
sind  Beispiele  von  verraeintliclier  Ergänzung,  wodurch  die  rich- 
tige Auffassung  der  Stellen  nur  beeinträchtigt  wird. 

Von  sonstigen  Einzelnheiten  will  ich  noch  folgende  erwälnien. 
Phil.  I.  5  steht  im  Texte,  wie  bei  Andern.  dX?!  slöbjk  Das  in 
Sauppe's  Ausgabe  stehende  oldev  ist  wohl  nur  Druckfehler,  da  in 
dessen  Anmerkung  „primum  vidil"-  und  in  der  grösseren  Ausgabe 
ebenfalls  tldev  gelesen  wird.  §.  6  macht  Hr.  Dob.  mit  Recht  auf 
„das  an's  Ende  des  Gedankens  gesetzte  vvv''^  aufmerksam.  Aber 
da  man  hieran  Anstoss  genommen  hat,  so  wäre  es  wohl  gerathen 
gewesen,  die  Sache  etwas  allgemeiner  zu  fassen  und  auf  dieselbe 
Betonung  hinzuweisen  durch  ähnlichen  Abschluss  des  Gedankens, 
wie  z.  B.  mit  vvv  (wie  hier)  8,  44.  Ol.  I.  6,  14,  mit  ^'ör;  Ph.  I.  8, 
mit  äyav  17,  mit  ÖLXccLog  10.  Ol.  II.  5,  mit  oq^c^q  Ph.  I.  U,  x^^^' 
nc5g  Ol.  II.  17,  mit  dt]7iov  Ol.  III.  9,  17,  ngo^v^ag  Ol.  III.  5,  mit 
TÖ  HUT  dgxag  Ol.  II.  6  u.  s.  w.  —  §.  7  hat  Ilr.  Dob.  mit  Andern 
VTtSQ  avTov  gesetzt.  Ich  glaube,  dass  Bekker  und  Vömel  das 
avTOV  mit  Recht  unverändert  lassen,  theils  weil  in  solchen  Stellen 
aus  dem  objectiven  Gesichtspunkte  des  Redners  gesprochen  wird, 
theils  weil  hier  zugleich  der  Doppelsinn  vermieden  werden  soll, 
dass  man  amov  nicht  etwa  auf  tov  nh]6iov  beziehe.  —  §.8  wird 
erklärt:  „jrarr«  zavxa:  die  mit  dem  vorhergehenden  xig  ange- 
deuteten Völker.""  Dann  wiirde  das  Masculloum  stehen.  Es 
sollen  aber  nicht  die  concreten  Völker,  sondern  deren  Ge- 
danken und  heimliche  Pläne ,  das  |Ltt(?£ti',  q}doi'f tv  xtA.  angedeutet 
werden.  Dies  hätte  Hr.  Dob.  schon  aus  Sauppe's  allgemeiner  ge- 
haltenen Note  entlehnen  können.  Statt  §  9  ngogmQißdkUtav 
durch  „erobern^^  zu  erklären,  war  das  entsprechende  „immer  wei- 
ter um  sich  greifen''  ausreichend.  —  §.  11  würde  die  Auflösung 
von  ^^Iniözdvtig  -—  knKjzaiijTS  äv  Ttal''  wohl  besser  nach  dem 
Gedanken  condicionell  zu  geben  sein.  —  Zu  der  Inhaltsan- 
gabe von  §.  8  —  12  will  ich  mir  nur  die  allgemeine  Bemerkung  er- 
lauben, dass  mir  ein  Theil  der  Fragen,  die  in  beiden  Bändchen 
stehen,  theils  zu  zerstückelt  erscheint  und  dem  Begriffe  der 
Aufgaben  zu  fern  liegt,  theils  am  Schlüsse  für  die  jedesmal  be- 
liandelte  Rede  zu  allgemein  gehalten  ist,  abgesehen  von  eini- 
gem Subjectivismus  des  Tones.  Vielleicht  komme  ich  bei  einem 
npälern  Bändchen  auf  diesen  Gegenstand  zurück ,  um  ihn  vollstän- 
dig im  Zusammenhange  zu  besprechen  und  Positives  als  Ergeb- 
nibs  der  eigenen  Praxis  in  anderer  Form  gegenüber  zu  stellen. 
Dies  sollte  nur  eine  vorläufige  Andeutung  sein,  da  ich  diesmal  den 
gestatteten  Raum  für  andere  Punkte  benutzen  wollte.  —  §.  14 
wird  dg  deov  zu  vag  „zu  eurem  Vortheile'''  gedeutet  statt  nach 
Gebühr,  auf  gebührende  Weise.     Eben  so  §.  40,  wo  hier- 


364  Griechische  Litteratiir, 

her  verwiesen  wird.  —  Die  Beraerkun":  in  §.16  zu  „EaV  ti  dei/^ 
war  unnöthig,  da  dies  dem  Griechen  einfacli  bedeutet:  ,,wenn  es 
etwa  nöthig  ist.**'  Die  Steile  in  »jij.  33.  wo  hierher  verwiesen  wird, 
ist  von  etwas  anderer  Bescliaffenlieit.  In  §.  18  zu  H7]d6vdg  ovzog 
k^TtodcDv''''  heisst  es  wie  bei  Franke  und  Sauppe:  ^^u7]Ö8v6g  ist  Gen, 
neutr,"  Das  scheint  mir  nicht  so  ausgemacht  zu  sein,  weil  das 
persönliche  tvÖcp  folgt,  wie  Ol.  III,  8  persönliche  Beziehung  vor- 
iiergeht.  Vömel  in  der  Uebersetzung  der  Pariser  Ausgabe  wech- 
selt bei  dieser  Formel,  was  noch  weniger  annehmbar  ist.  —  In 
§.  19  soll  Tfjg  nokecog  eivai  nach  Sauppe's  Vorgange  sein:  ,,das 
Interesse  des  Staates  im  Auge  haben,  im  Interesse  des  Staates 
handeln. ^'^  Das  wird  sich  sprachlich  wohl  nicht  rechtfertigen  las- 
sen. Wenigstens  sind  die  zwei  von  Sauppe  erwähnten  Stellen 
nicht  entscheidend,  weil  dort  die  einfachste  Bedeutung  ausreicht, 
wie  hier:  eine  Macht  der  Stadt  wird  es  sein,  im  Gegensatz 
zu  den  ^svovg.  Daher  haben  auch  Franke  und  Vömel,  wie  ich 
glaube,  das  «AA'  ^' mit  Recht  unverändert  gelassen,  weil  die  Ne- 
gation in  ^7]  lioi  l^unrjQ)  liegt.  —  §.  20  hat  Hr.  Dob.  ebenfalls 
oricsg  uiq  TtCLijöEzs  von  Bekker  beibehalten.  Ich  erwähne  dies  nur, 
um  nebenbei  anzufi'ihren,  dass  Vömel  auch  in  diesem  Punkte  sich 
nicht  consequent  bleibt,  indem  er  z.  B.  hier  die  Lesart  der  Bücher 
ytoirjörjTB  unverändert  lässt,  anderwärts  dagegen,  wie  Ol.  1.  2  oTtcog 
ßoJ]%i]6BTe,  ^e^en  die  Mss.  das  Futurum  aufnimmt.  —  §.  22  soll 
man  in  xat  noklzag  TOi)g  öZQCiZBVofiBvovg  das  jioXizag  betonen. 
Aber  man  rauss  auch  das  aal  mit  explicativer  Emphase  verstehen : 
und  zwar,  und  auch,  wodurcli  erst  eine  künstlichere  Deutung 
unnöthig  zu  werden  scheint.  —  In  Beziehung  auf  ilg  filv  Arj^vov 
§.  27  sagt  Hr.  Dob.:  ,,Es  ist  wahrscheinlich,  dass  dieser  Zug  um 
dieselbe  Zeit  stattfand,  zu  welcher  die  Rede  gehalten  wurde. 
Darauf  scheint  das  Präsens  öbI  hinzuführen  "  Aber  dann  würde 
\\o\\\  vvv  oder  etwas  ähnliches  dabeistehen;  in  dieser  Nacktheit 
dagegen  kann  man  das  Präsens  nur  auf  die  feststehende  Ge- 
wohnheit der  Festfeier  beziehen.  In  allen  solchen  sprachli- 
chen und  sachlichen  Dingen  herrscht  bei  Sauppe  eine  so  wohler- 
wogene Besonnenheit  und  Tiefe,  wie  man  sie  nur  in  wenig  Com- 
inentaren  antrifft.  Es  ist  daher  in  der  Regel  gefährlich,  über 
Sauppe's  Schlussfolgerungen  hinauszugehen.  Indess  hätte  ich  die 
folr^ende  Bemerkung:  ,.MBVBkaov:  dieser  war  ein  Macedonier'"' 
doch  nicht  in  dieser  apodiktischen  Form  aufgenommen.  Denn  Ja- 
cobs^ F^inwaud  S  115  scheint  mir  noch  nicht  ganz  widerlegt  zu 
sein,  Ich  will  mein  kleines  Bedenken  lieifügen.  Wenn  Sauppe 
bemerkt:  ,,Menelaum  fi07i  ab  Athenieusibus  ipsis  creotiim  ?iec 
ejcercilui  7i?iiverso  praefeclii?n  ftiisse  en  ostendunt  quae  sequun- 
tur''^  etc  ;  so  scheint  mir  das  im  Widerspruch  zu  stehen  mit  dem, 
was  im  Folgenden  bemerkt  wird:  ,,Demosthenes  vituperat,  quod 
vnuin  tantum  impcratorem  creme  ejusque  arbitrio  omnia  peunit- 
iere  solebant^'\  wenn  hier  das  ^^creare''^  nicht  etwa  inittere  heissen 


Doberenz:  Ausgewählte  Reden  des  Demosthenes.  365 

soll,  um  sich  auf  das  obige  ;rA^v  avog  ccvSqos,  ov  äv  eansn- 
il^T^ts  ZU  beziehen.  Sodann  würde,  wie  mich  dünkt,  wenn  der 
Sinn  sein  sollte  ^^tinum  tantum  iraperatorem  creare*"^,  bei  Msvk- 
Xaov  ein  y,6vov  oder  ava  nicht  wohl  fehlen  können.  Ich  würde 
daher  in  einer  Schulausgabe  mit  vorsichtiger  Einfachheit  bios  be- 
merkt haben:  „Menelaus  war  ohne  Zweifel  ein  Fremder/''  Wei- 
ter ist  für  Schüler  zum  Verständniss  der  Stelle  nichts  nöthig. 
§.  28  muss  bei  aal  noch  „vor  Tt^gaivo''''  hinzukommen.  Statt 
überall,  wie  Hr.  Dob.  gethan  hat,  die  angeführten  Summen  auf 
Thaler  und  Gulden  genau  zu  reduciren ,  w  ar  es  ausreichend  an 
einer  Stelle  zu  erwähnen,  wie  viel  Ein  Talent  betragen  habe, 
höchstens  noch  mit  dem  Zusätze,  dass  ein  Talent  -^  60  Minen 
und  eine  3iine  =  100  Drachmen  sei.  In  §  30:  STteidav  ö'  liti- 
XSLQOtovrjxa  rag  yvco^aq^  a  dv  [oder  nach  der  richtigeren  Form 
mit  Vömel  av]  vfxlv  ägsöxi] ,  xeigoTov^este.,  Iva  —  7CO?L8^rJTS 
0LXtJi7icp  —  rolg  egyoig^  hat  sich  Hr.  Dob.  ganz  an  Sauppe  an- 
gelehnt, das  ä  getilgt  und  nun  äv  für  edv  genommen.  Aber  da 
vermisst  der  Leser,  der  ohne  Commentar  den  Text  betrachtet,  das 
Object.  Denn  was  man  erklärt:  „si  vobis  sententia  mea  placue- 
rit*"'  oder  bei  Hrn.  Dob.  ,,wenn  euch  mein  Vorschlag  gefällt'^, 
das  müsste  wohl  ausdrücklich  dabeistehen.  Auch  ist  hier  niclit 
vom  ,,cohortari*''  und  ,,monere^''  die  Rede,  indem  man  lUQOTori^- 
ösrs  in  imperativischem  Sinne  fasst,  sondern  auf  acht  rheto- 
rische Weise  sagt  Demosthenes  nach  der  Vulgata  dasselbe,  was 
man  ihn  durch  Aenderung  gegen  die  Mss.  zu  stark  und,  wie  mir 
scheint,  weniger  rhetorisch  sagen  iässt.  Er  spricht  nämlich  nach 
der  Vulgata  nur  in  leiser  Andeutung  und  mit  grösserer 
Bescheide  n  h  eit,  in  dem  er  de  mUrt  heile  in  bestimm- 
terer Rede  form  nicht  vorgreifen  will,  folgendes:  „Wenn 
ihr  aber  über  die  Meinungen  abstimmt,  so  werdet  ihr  den  Gegen- 
stand eurer  Abstimmung  i^dv  vfilv  agsöxy)  in  der  Absicht  wählen, 
dass  ihr  einmal  thatsächlich  mit  dem  Philipp  den  Krieg  be- 
ginnt." Die  Hauptpointe  des  Gedankens  liegt  daher  in  iva  ^yj  — 
Tolg  agyoig.  —  Zu  §.  3-i  liest  man:  „In  ovx  Söneg  pflegte  man 
die  Con'struction  dem  Söneg  statt  dem  ov  anzufügen**^  nach  Krü- 
ger, aber  mit  dem  vagen  Zusätze:  ,,Das  eine  Glied  einer  Ver- 
gleichung  lassen  die  Griechen  oft  weg.''  Nicht  \om  „W'eg- 
lassen*^  kann  die  Rede  sein,  sondern  nur  davon,  dass  ein  zu 
Haupt-  und  Nebensatz  gehöriges  Prädicat  blos  in  die  Sprachform 
des  Nebensatzes  eingefügt  wird.  Ich  wage  zwar  noch  nicht,  über 
die  Grenzen  des  Atticismus  zu  entscheiden,  aber  so  viel  scheint 
festzustehen,  dass  sich  dieser  Gebrauch  nicht  blos  auf  eigent- 
liche Vergleichungen  mit  ovx  coöTiag  erstreckt.  Ich  habe  mir 
wenigstens  schon  eine  ziemliche  Reihe  verschiedenartiger  Bei- 
spiele, die  aber  alle  unter  denselben  Gesichtspunkt  fallen,  zu  mei- 
ner Note  in  Theoer.  V.  28  beigeschrieben.  Auch  oben  §.  12  wird 
gelesen:  td  vfjg  tvx^Si  ^^tsg  del  ßäXzLOV  rj  r^^elg  i^^cov  amcov 


366  Griechische  Litteratur. 

eTtL^sXov ^s&a,  TCtX. —  In  §.  36  wird  gelehrt:  „ov'öav  «V- 
e^etciötov  ovo'  aogiötov  sind  proleptisch  hinzugefügt.''^  Aber 
oi;Ö£v  ist  jedenfalls  Subject ,  und  die  beiden  Adjectiva  wird  mau 
richtiger  prädicativ  zu  erklären  haben,  weil  TJ^ilrjTai  nur  als 
bezeichnenderes  Wort  für  den  Begriff  t^v  gilt.  —  In  §.  37  wird 
das  tov  fi£r«^v  xqovov^  nach  dem  Vorgange  Anderer,  erklärt  „die 
Zwischenzeit,  während  eine  grössere  Macht  zusammengebracht 
wird*"',  und  ovölv  olaL  te  ovöat  noulv:  „eben  weil  die  ausge- 
schickte Macht  zu  gering  ist.'*"  Aber  in  diesem  Sinne  würde 
Deraosthenes  zu  övi^ß^ftg  wohl  noch  ein  TtE^cp^elöag  oder  Aehn- 
iiches  hinzugesetzt  haben.  Daher  wird  man  richtiger  die  Zwi- 
schenzeit zwischen  der  Ausrüstung  und  Abfahrt  zu  ver- 
stehen haben,  also  während  der  Streitigkeiten  und  des 
Wortgezänkes.  Oder  man  deutet  mit  Jacobs  S.  118  and 
R  a  u  c  h  e  n  s  t  e i  n  (in  iMager's  Pädag.  Revue  1^46.  B.  XIII.  S.  341). 

—  §.  39  ,,oi;;c  vor  ccKokov^elv  ist  mit  öbl  zu  verbinden;  es  ist 
getrennt,  um  es  hervorzuheben.'*'  Gewiss  nicht,  sondern 
weil  öel  zu  beiden  Sätzen  gehört,  ist  es  naturgemäss  vorangestellt. 

—  §.  41  ^^ycal  v^elgso  auch.*"'  Dann  müsste  oprco  dabeistehen: 
so  aber  heisst  es  einfach:  auch  ihr,  mit  Emphase.  —  §.  42  wird 
(XTtoxQfjv  EvloLg  VUC3V  äv  ^Oi  öoxft,  £|  dv  aiöivvTqv  —  oqpA^JCo- 
Tfg  av  ri^EV  drjuoöLaj  wie  bei  seinen  Vorgängern  erklärt:  „er- 
gänze tavta:  so  würden  sich,  glaub**  ich,  manche  von  euch  da- 
bei beruhigen.  f|  cjv  d.  i.  wenn  wir  keinen  Unwillen  über  das 
von  Philipp  Vollbrachte  empfände  n.''''  Aber  tavta  ist  nicht  zu 
„ergänzen"",  sondern  liegt  schon  in  e^  av.  Daher  ist  das  erste 
nicht  „dabei"  und  das  zweite  nicht  adverbiell  „ej-  qua  re*"'  und 
mit  8K  tovtov  in  §.  46  zu  vergleichen ,  sondern  die  Stelle  heisst: 
„so  würden  sich,  glaub'  ich,  manche  von  Euch  bei  dem  beruhi- 
gen, woraus  wir  den  Vorwurf  der  Schmach  etc.  dem  Staate  zu- 
ziehen würden,  nämlich  weil  wir  keinen  Unwillen  —  empfin- 
den.*"'  Das  ,,wenn  wir^'  u.  s.  w.  liegt  schon  in  aJCOxQrjv  äv. 
Es  geht  also  auf  die  wirkliche  Schlaffheit  und  Thatenlosigkeit 
der  Athener,  insofern  sie  schon  jetzt  das  Gegentheil  von  Phi- 
lipps cpiloTiQayiioGvvYi  gezeigt  hatten.  —  In  §.  43  werden  die 
tQiYiQEig  KBvdg  allgemein  verstanden  „leer  von  Bürgersoldaten.''' 
Sollte  das  hier  nicht  solche  bedeuten ,  die  blos  versprochen, 
aber  nicht  ausgeführt  werden*?  —  In  §.  45  „gv'asi'gg:  ist 
Prädicat^'  u.  s.  w.  ist  ein  offenbares  Versehen,  da  es  Subject 
ist  und  die  Stelle  bedeutet:  ,,die  Gunst  der  Götter  und  der 
Glücksstern  kämpft  mit  uns.'''  Ebendaselbst  wäre  statt  ,,T£di/a(jt 
t(p  Ö£EL  -=  fidla  ÖEÖlaöLv'''  wegen  der  Stärke  des  Ausdruckes 
^dkiöta  zu  setzen.  —  §46:  ^^djto^iö^cjv  enthält  die  Ursache 
von  aO"Aic3v",  also  i.  q.  dts  aTConiö^ojv  ovtav.  Aber  d^klav  hat 
einen  weiteren  Begriff,  sonst  wäre  es  nicht  beigefügt.  Und  wer 
braucht  bei  „elenden  und  sold losen  Fremdlingen"  über- 
haupt eine  Erklärung*?     Zu  §.  47  lautet  nach  Franke's  Vorgang 


Doberenz:  Ausgewählte  Reden  des  Demoslhcncs.  367 

die  Note:  „man  erwartete  nicht  v^äg  bei  gleichem  Subj.  in  den 
beiden  Sätzen;  indessen  unter  den  hier  mit  v^äg  be- 
zeichneten Atheniensern  denkt  sich  der  Redner  an- 
dere, als  unter  dem  obig:en  v ^slg.'"''  Daran  hat  Demosthe- 
nes  schwerlich  gedacht.  Doch  es  hat  diesen  Gedanken  schon 
Sauppe  nach  seiner  humanen  Gewohnheit  stillschweigend  ge- 
missbilligt  und  dafür  den  Nachdruck  4er  Wortstellung  hervor- 
gehoben. Man  kann  wohl  die  Deutlichkeit  beifi'igen,  insofern 
wegen  des  folgenden  Ttagovrag  leicht  ein  Doppelsinn  entstehen 
könnte.  —  §.  48  „£^  'IXlvQioig^  also  rebellirten  sie  jetzt  wahr- 
scheinlich.^'' Konnte  aber  ebenfalls  blosses  Gerücht  sein.  Ueber 
die  Abhängigkeit  des  Infin.  öiaöTCccv  schweigt  Hr.  Dob.  Man  lässt 
ihn  gewöhnlich  von  ngdztuv  abhängen.  Aber  das  scheint  zu  ge- 
sucht. Die  unmittelbare  Verbindung  mit  q)a6LV  ist  einfacher  und 
giebt  der  Steile  eine  grössere  Concinnität,  weil  man  sonst  wohl 
entweder  vor  rrjv  &rjßaLOV  ein  kul  oder  vor  tag  JioXixüag  ein  z6 
erwarten  dürfte.  Auch  das  folgende  koyovg  nXäzxovTsg  scheint 
für  unmittelbare  Verbindung  mit  cpaölv  zu  sprechen.  In  §.  51  hat 
der  Text:  ßsKtLöza  aKovsLv  und  ßkkziöza  ünovzi.  Da  aber  Hr. 
Dob.  sonst  überall,  so  weit  ich  darauf  geachtet  habe,  der  Iliatus- 
theorie  gefolgt  ist,  so  hätte  dies  auch  hier  und  Phil.  If.  23  bei 
dmv%B6%B  il^  nach  Vömel's  Vorgang,  geschehen  können.  —  Am 
Ende  der  Rede  lehrt  auch  Ilr.  Dob.,  man  solle  construiren:  algov- 
^au  XiyBiv  iTcXzco  7t£7t  slö^aL  xcivza  övvoiöslVj  edv  ngcc^i^ze. 
Aber  dem  widerstreitet  offenbar  die  Wortstellung  des  Redners, 
nach  welcher  enl  zcp  öwotösiv  eng  zusammengehört.  Das  ns- 
nelö^at  bezieht  sich  nicht  auf  die  Athener,  sondern  auf  Demo- 
sthenes,  und  dieConstruction  ist  atgovfica  K^ysLV  zavza  TtSTCtlö^at 
inl  tgJ  övvoLöeiv  v^lv  [was  ich  aus  pädagogischem  Grunde  nicht 
getilgt  haben  würde],  kdv  ngd^7]zs^  wörtlich:  ,,so  ziehe  ich  doch 
vor  zu  sagen  davon  überzeugt  zu  sein  in  Beziehung  auf  euren 
Nutzen ,  wenn  ihr  es  thut'-'',  d.  h.  dem  Sinne  nach  so  viel  als  (um 
mit  vorhergehenden  Worten  zu  reden)  o  zl  dv  övvoiöuv  niitu- 
Cyiivog  co. 

Aus  Philipp.  II.  noch  Einiges.  Gleich  Anfangs  wäre  statt 
,, betone  Xiyziv''''  wohl  besser  ein  Fingerzeig  gegeben  worden,  dass 
ndvzcig  mit  zovg  xazrjyogovvzag  zu  verbinden  sei.  Für  zd  diov- 
T«,  wenn  etwas  bemerkt  werden  sollte,  reichte  einfach  aus:  „das 
Erforderliche.'"''  In  §.  5  meint  Hr.  Dob.,  mit  Franke,  zu  ^^kniözi]- 
Cszai:  Subj.  ist  Philipp.^'*  Natürlicher  erscheint  mir  als  Subject 
das  dabeistehende  ^Lsyedog^  weil  das  Medium  gesetzt  ist,  so  dass 
der  Sinn  sei:  ,,und  nicht  eine  Grösse  der  Gefahr  sich  erhebe."  — 
Schon  aus  pädagogischem  Grunde  hätte  ich,  um  das  Verständniss 
ohne  Note  zu  erleichtern,  nicht  ausgeworfen  §.  5  öcoöovz'  dvzi^ 
§  (3  ßäKzLov  z(Dv  dXlov^  §.  15  iiilXsi  xat  ^sXkrjöSL  ys  (was  in 
dieser  Verbindung  schvverlich  ein  Abschreiber  hinzugesetzt  hat), 
und  hätte  §.  27  coöza  und  A^;0£ß^^  §.  32  statt  Kaivrjv  das  xal  vvv 


368  Griechische  Litteratur. 

in  den  Text  gesetzt ;  dies  alles  nach  dem  Beispiele  Vömel's.  — 
In  §.  9  ,,xaö'  v^uav:  in  diesem  lobenden  Sinne  ist  xarä  selten,  in 
der  Regel  steht  es  bei  tadelnden  Aeusserungen."  Ich 
denke  auch  hier,  insofern  das  xarcc  absichtlich,  vom  Standpunkte 
des  Philipp  aus  gesagt  zu  sein  scheint,  wodurch  auch  zugleich  das 
Ttal  molivirt  ist.  —  §.  12  ist  eine  Note:  „dia  tavz\  d.  i.  diä  xo 
TJyHöd^ai.''''  Aber  mit  Recht  hat  Franke  ein  atX.  hinzugefi'igt. 
Denn  es  bezieht  sich  nicht  auf  dies  Wort  allein,  sondern  auf  den 
ganzen  vorhergehenden  Gedanken,  wie  auch  der  Plural  beweist. 
In  §.  13  erklärt  Hr.  Dob.  mit  F'ranke:  „a5g  ndvta  xavz  ü^chqi 
ob  schon  er  dies  alles  wusste,  so  that  er  dies  doch  nicht  seines 
Vortheils  halber'^  ii.  s.  w.  Aber  da  bitte  ich  um  sichere  Beleg- 
stellen, in  denen  ag  mit  dem  Particip,  ohne  dass  ein  ausdrück- 
liches o/L(a)g  folgt,  obschon  ((/uamvis)  bedeute.  So  lange  dies 
nicht  geschieht,  bleibe  ich  bei  der  andern  luterpunction  und  Deu- 
tung, und  glaube,  dass  die  Worte  hinzugefiigt  seien,  um  das  be- 
stimmte und  directe  eirga^Bv  zu  motiviren.  Zu  §.  14  soll  xal 
Tiagd  yvcj^iTjv  heissen  „und  desshalb  wider  seinen  Willen." 
Aber  dann  würde  did  xovro  oder  etwas  Aehnliches  dazugesetzt  sein : 
das  Hai  steht  explicativ  und  zwar.  Statt  zu  sagen  ^^vtcotitcos 
exBLv  -—  vTtoTitevsLv^''  wärc  jedenfalls  deutlicher:  Misstrauen 
fassen  gegen.  §.  15  ist  bei  xovg  nhv  ovxag  ,,die  wirklichen''' 
zu  tilgen  und  nur  zu  sagen:  ,,die  noch  vorhandenen'',  weil  es  im 
Gegensatze  zu  ovg  d'  aTtcjXtöav  steht.  In  §.  16  liest  man  über- 
all: „öüvrarrcöv  enthält  den  Begriff  des  Listigen,  Verschmitzten." 
Ich  sehe  nicht  ein,  wie  dies  in  der  blossen  Präposition  6vv  liegen 
könne:  es  liegt  vielmehr  im  Bau  des  ganzen  Satzes,  besonders  in 
nüvxa  Ttfjayuaxevsxai^  welches  nävxa  überdies  den  Gebrauch 
von  %iCöQfi^  wovon  schon  oben  die  Rede  war,  stützen  hilft.  Zu 
§.  19  w  ird  dem  xQonog  zugeschrieben ,  was  nur  der  Plural  ent- 
hält. In  §.  20  wird  gelehrt:  ,,yap  ziehe  zu  tq)rjv''^  was  durch 
die  Wortstellung  widerlegt  wird,  und  nebenbei  deutsch,  aber  nicht 
griechisch  gedacht  ist.  Ein  Grieche  hat  ncog  ydg  in  der  Frage 
eng  verbunden.  Auch  das  ^^EKßdXkcov  =^  tcdcI  e^eßaXXt"  ist  nicht 
griechisch  gedacht  und  desshalb  nicht  erleichternd.  Hier  wäre 
das  bojoarische  Königsparticipium  ganz  an  seiner  Stelle.  —  §.  22 
„«AA«  ^}]v  aber  dennoch."  Das  wäre,  wie  der  Anfang  von 
§.  21,  ßAA'  o^cjg.  —  §.  23  „ß7rfi;;^£09^£  ist  wohl  Imperativ."  Aber 
darauf  verfällt  nicht  leicht  ein  Leser,  der  den  Text  ohne  Commen- 
tar  betrachtet.  Hätte  der  Redner  dies  gewollt,  so  würde  er  wohl 
«AA'  dnevxeö^'^  v^elg  lÖslv  oder  ähnlich  seine  Worte  gestellt  ha- 
ben. In  §.  25  wird  auch  hier  bei  jcal  rdg  ngoörjyoQiccg  gesagt: 
„xat  bezieht  sich  auf  den  vorschwebenden  Gedanken  nicht  nur 
Gesinnungen."  Ich  denke,  der  Zusammenhang  verlange: 
„sogar  die  Benennungen,  geschweige  seine  T baten." 
Bei  der  Inhaltsangabe  von  §.  20 — 25  ist  nur  die  letzte  Frage  pas- 
send, das  üebrige  steht  nicht  in  diesen  Paragraphen,  sondern  im 


Franz:  Des  Aeschylos  Oresteia,  369 

Vorliergehciirlen.  In  §.  32  t«  vvv  wird  der  Artikel  wohl  der 
Symmetrie  wegen  durch  a  tiolü  veranlasst  sein.  Bei  der  Bemer- 
kung §.  34:  „Toi^s  vno  xzigag:  die  sie  in  der  Gewalt  haben,  die 
sie  bekommen  könuen""  wird  ein  Schüler  nicht  leicht  den  waliren 
Sinn  durchschauen;  darum  wäre  deutlicher  zu  sagen:  „die  ihnen 
zunächst  sind,  die  ihnen  in  den  Weg  kommen",  was  die  Griechen 
bekanntlich,  wie  Herodot  111.  79,  auch  durch  zgv  Iv  noölv  yi- 
vö^evov  und  ähnlich  ausdrücken. 

Hiermit  will  ich  schliessen ,  da  ich  schon  zu  viel  Raum  bean- 
sprucht habe,  als  dass  ich  noch  zu  den  Olynthischen  Reden  den 
mehrfachen  Stoff  in  einzelnen  Bemerkungen  vortragen  könnte. 
Auch  wird  das  Angeführte  ausreichen,  um  den  Verf.  auf  alle  Sei- 
ten aufmerksam  zumachen,  die  bei  einer  wahren  Schulausgabe 
eines  griechischen  Redners  in  Betrachtung  kommen.  Möge  Hr. 
Dobercnz  auf  seinen  gegenwärtigen  Beurtheiler  das  Demostheni- 
sche  «  yiyvcoöKCD  jtccv^^  äickcog  Ttccggr^öLccö^uaL  mit  freundlichem 
Sinne  in  Anwendung  bringen.  Er  bemerkt  noch  in  der  Vorrede, 
wo  er  übrigens  die  namentliche  Anführung  seiner  früheren 
Recensenten  mit  Unrecht  übergeht,  „er  habe  nach  seiner  Ausgabe 
die  Olynthischen  Reden  in  der  Classe  gelesen,  und  müsse  der 
Wahrheit  gemäss  bekennen,  dass  er  weit  schneller,  ohne  der 
Gründlichkeit  Eintrag  zu  thun,  lesen  konnte,  als  es  ohne  jene 
Hülfe  geschehen  sein  würde."  Das  wird  ihm  Jedermann  glau- 
ben, aber  das  höchste  Ziel  ist  damit  noch  nicht  erreicht.  Denn 
jede  Ausgabe  mit  Noten  bleibt  mehr  oder  weniger  eine  Krücke, 
die  bei  Seite  legt,  wer  allmälig  auf  eigenen  Füssen  stehen  und 
gehen  lernt.  Dass  aber  Primaner  eine  Reihe  Demosthenischer 
Reden,  nicht  mit  philologischer  Akribie,  sondern  mit  pädagogi- 
scher Gewandtheit  rasch  hinter  einander  lesen  und  verstehen  ler- 
nen, das  kann  und  muss  erstreben  wer  nicht  Gefahr  laufen  will, 
im  nächsten  Jahrzehnt  mit  den  ganzen  altclassischen  Studien  in 
deutschen  Gymnasien  Schiffbruch  zu  leiden. 

Mühlhausen.  Ämeis. 


Des  aeschylos  Oresteia^  Griechisch  und  Deutsch  herausgegeben  von 
Johannes  Franz.  Leipzig,  in  der  Hahn'schen  Verlagsbuchhandlung, 
1846.   gr.  8.     XXXI  und  426  S. 

Der  griechische  Text  bildet  den  wichtigen  Theil  dieses  Wer- 
kes, der  deutsche  dagegen,  oder  die  Uebersetzung,  ist  unbedeu- 
tend und  für  den  Äeschylus  unwichtig.  Was  den  ersteren  nämlich 
anbelangt,  so  gründet  sich  die  kritische  Bearbeitung  auf  eine  noch- 
malige genaue  Untersuchung  des  vorzüglichsten  handschriftlichen 
Materials,  eine  Untersuchung,  welche  durch  die  fördernde Theil- 

Df.  Jahrb.  f.  Pliil.  u.  Päd.  od.  Krit.  Bibl,   Dd.  LVlIi.  H[t.  4.         24 


370  Griechische  Litteratur. 

nähme  Sr.  Majestät  des  Königs  Friedrich  Willielm  des  Vierten 
dem  Ilrn.  Herausgeber  ermöglicht  wurde,  der  denn  aucli  die  Aus- 
beute in  einem  besondern  Anhange,  welcher  „Lesearten  und  Kri- 
tik*' überschrieben  ist,  mit  strengster  philologischer  Sorgfalt  und 
selbst  die  geringste  Kleinigkeit  niclit  verachtender  Genauigkeit  zu- 
sammengestellt hat.  Wie  viel  oder  wie  wenig  Hr.  Prof.  Franz 
für  die  Heilung  des  durch  den  Zeitenzahn  tief  und  nur  allzuoft 
unheilbar  verwundeten  Originals  ausgerichtet,  mag  Ref.  hier  nicht 
in  Erwägung  ziehen.  Es  genügt  die  Bemerkung ,  dass  derjenige, 
welcher  die  Oresteia  griechisch  lesen  will,  den  vorliegenden 
Text  nicht  entbehren  kann,  wenn  er  gründlich  zu  lesen  gedenkt; 
lind  eine  neue  Ausgabe,  welche  die  Franz'sche  Arbeit  ausschöpfte 
und  überflüssig  machte,  steht  in  diesen  Zeiten  nicht  so  bald  zu 
erwarten.  Das  Buch  wird  also  sein  Publicum  finden  und  wenig- 
stens unter  den  Philologen  eine  Zeitlang  behaupten. 

Schon  aus  diesem  Grunde  und  weil  es  unter  den  heutigen 
Philologen  immer  noch  eine  kleine  Anzahl  blinde  Verehrer  des 
Antiken  giebt,  welche  nicht  nur  die  kunstreiche  Nachbildung  der 
Alten  entweder  für  überflüssig  oder  für  unmöglich  halten,  sondern 
auch  die  deutsche  Sprache  überhaupt  mit  Geringschätzung  be- 
trachten, müssen  wir  den  zweiten  Thcil  des  Werkes,  die  dem 
Urtexte  gegenüberstehende  Verdeutschung,  einer  kurzen  Kritik 
unterwerfen.  Denn  sonst  könnte  es  leicht  kommen,  dass  jene 
Gegner,  welche  auf  ihre,  oft  jedoch  sehr  zweifelhafte  Kenntniss 
der  alten  Sprachen  so  stolz  sind,  dass  sie  jede  Verdeutschung  für 
eine  Entweihung  ansehen,  in  dieser  neuesten  Yerdolmetschung 
der  Oresteia  einen  entschiedenen  Beleg  für  ihre  gutgemeinte,  aber 
kurzsichtige  Ansicht  suchen  und  finden  möchten.  Dies  wäre  um 
so  leichter  möglich,  als  die  Franz'sche  Verdeutschung  kurz  nach 
ihrem  Erscheinen  von  Berliner  Kritikern  für  ein  wahres  Wunder- 
werk ausposaunt  und  selbst  von  Gottfried  Hermann,  der  sich  hier- 
über ein  besseres  ürtheil  hätte  bilden  sollen,  für  gut  ausgegeben 
wurde.  Ist  aber  das  gespendete  Lob  ungegründet  und  gewahren 
jene  selbstgenügsamen  Philologen,  trotz  des  vielen  Rühmens,  in 
der  neuen  Arbeit  nichts  Besonderes,  wenn  sie  genauer  zusehen, 
sondern  im  Gegentheile  etwas,  das  der  althergebrachten  Unge- 
schicklichkeit sehr  ähnlich  sieht,  und  gewahren  sie  in  der  jüngsten 
vielgepriesenen  Vorlage  keinen  Versuch,  der  sie  zur  Bewunderung 
nöthigt,  im  Gegentheil  einen  abermaligen  Versuch,  der  ihre  Ken- 
nerschaft nicht  einmal  nothdürftig  befriedigt,  so  werden  diese 
Herren  Gelehrten  nicht  blos  den  neuen  Versuch  schlechthin  ver- 
werfen, sondern  auf  ihrer  alten  festgewurzelten  Meinung,  dass 
alle  dergleichen  Verdolmetschungen  nutzlos,  vergeblich  und 
schädlich  seien  und  bleiben,  mit  um  so  grösserer  Flartnäckigkeit 
verharren.  Weil  also  Ref.  die  Sache  von  ernster  Seite  nimmt  und 
der  Unkunst  sowohl  als  der  Verkennung  der  Kunst  entgegenzu- 
wirken beabsichtigt,  wird  er  über  die  vorliegende  Arbeit  sprechen 


Franz  :   Des  Aeschylos  Oresteia.  371 

und  ein  gerechtes  und  durchaus  unparteiisches  ürtheil  fällen.  Dass 
man  vom  Ref.  Gerechtigkeit  und  Unparteilichkeit  voraussetzt, 
darf  er  erwarten;  sollte  er  sich  jedoch  bei  einigen  Lesern  hierin 
irren,  so  kann  er  sie  glücklicherweise  thatsächlich  überführen, 
indem  er  schlagende  Beispiele,  die  ihm  als  Uebersetzer  der  Attiker 
in  reicher  Fülle  zu  Gebote  stehen,  für  alle  seine  Üehauptungeu 
beibringt,  dass  Niemand  im  Stande  sein  wird,  an  üirer  Wahrheit 
zu  zweifeln.  Und  in  so  fern  wird  meine  Kritik  nicht  blos  negativ, 
sondern  zugleich  positiv  sein. 

Die  deutsche  üebersetzung  der  Oresteia  des  Hrn.  Prof.  Franz 
erhebt  sich  keineswegs  über  das  gewöhnliche  Niveau,  auf  welchem 
seit  geraumer  Zeit  die  Verdolmetschungen   hellenischer   Dicht- 
werke stehen  gebh'eben  sind ,  trotz  des  vorgezeichneten  Planes, 
den  der  Verf.  in  seinem  Vorworte  mit  Bewusstsein  geschildert  hat 
und  trotz  der  ziemlichen  Mühe,  die  er  bei  der  Ausführung  des- 
selben aufgewendet  zu   haben    scheint.      Wir  dürfen   es   daher 
schwerlich   sehr  bedauern,    dass   seine   Verdeutschung,  welche 
eigentlich  für  eine  theatralische  Aufführung  zu  Berlin  bestimmt 
war,  nicht  das  Glück  hatte,  auf  der  Bühne  zu  erscheinen  und  vor 
das  grössere  Publicum  zu  treten,  welches  mit  dem  Original  keine 
Bekanntschaft,  also  auch  vor  demselben  keine  sonderliche  Ehr- 
furcht hat.     Denn  wie  die  sehr  mittelmässige  Donner'sche  üeber- 
traguDg  der  Sophokleischen  Antigone  leider  nicht  eben  geeignet 
war,  ein  glänzendes  Bild  der  antiken  Tragödie  vorzuführen  und 
gehässige  Meinungen   zurückzuschrecken ,  so  w  ürde   in  gleicher 
Weise  die    Franz'sche  Verdeutschung  der  Oresteia  zu  schwach 
und  unvollkommen  gewesen  sein,  um  die  Herrlichkeit  des  Origi- 
nals zu  zeigen  und  die  Nation  einen  Blick  in  das  harmonische  Reich 
der  Griechen  thun  zu  lassen,  der  mit  Bewunderung  an  der  Kunst 
des  Alterthums  gehaftet  hätte.      Denn  jene  wie  diese  lassen  uns 
kaum  die  überwältigende  Schönheit  ahnen,  welche  im  attischen 
Drama  lebt  und  webt;  sie  bieten   uns  kaum  den  Reichthum  des 
Sinnes   und   der  Gedanken,   womit  die  Originale   ausgeschmückt 
sind,  da  Sinn  und  Gedanke,  auch  wo  sie  richtig  übersetzt  haben 
gleichsam  entblösst  dastehen,  indem  der  eigenthümliche  Zauber 
mangelt,  welchen  die  vollendete  Form  um  sich  verbreitet.     Denn 
diese  führt  den  Stempel,  welcher  über  das  Gewöhnliche  hinweg- 
hebt und  dem  Gedanken  den  wahren  Charakter  aufdrückt,  Nach- 
druck, Leben  und  dauernde  Gestalt  verleiht.     Mit  Recht  sagt 
Friedrich  Rückert  darüber: 

Gebet  ihr  aus  euren  Schachten 

Edelsteine  mir  und  Gold, 

Wenn  ihr's   roh  mir  geben  wollt, 

Werd*  ich's  nur  als  Stoff  betrachten. 

Gebt's  in  Form,  so  werd'  ich's  achten; 

Denn  das  muss  ich  gelten  lassen, 

Was  ich  nicht  kann  besser  fassen. 

24* 


372  Griechische  Litteratur. 

Ohne  eine  wirklich  gediegene  Form ,  welche  das  Antike  so  repro- 
ducirt.  dass  es  gleichsam  durch  alle  Adern  deutsch  pulsirt,  er- 
halten wir  nichts  als  äusserliche  Knochen  und  Hippen,  welche  uns 
fleischlos  und  nicht  sehr  anrauthig  entgegenslarren  und  die  mei- 
sten Leser  und  Hörer  gespensterhaft  zurückscheuchen.  Im  glück- 
lichsten Falle  gewähren  uns  solche  Verdolmetschungen  allge- 
meine Umrisse  der  hellenischen  Kunstwerke,  welche  noch  ein  ge- 
wisses Lehen  behaupten,  weil  es  unmöglich  ist,  eine  geniale 
Schöpfung  durch  die  ärgste  Stümperei  ganz  und  gar  todtzuschlagen. 

Wie  kommt  es  aber,  dass  Hr.  Prof.  Franz  den  gerechten  An- 
sprüchen, welche  heutzutage  an  eine  derartige  üebertragung,  zu- 
mal behufs  theatralischer  Aufführung,  zu  stellen  sind,  nicht  besser 
Genüge  geleistet  hat*?  An  Uebersetzungstalent  scheint  es  ihm 
weniger  gemangelt  zu  haben  als  an  rechtzeitig  erw  orbener  Einsicht 
in  die  Kunst  des  Uebersetzens.  an  Fertigkeit  und  Gewandtheit, 
an  Fleiss  und  Feile  und  an  hinlänglicher  Kenntniss  des  deutschen 
Idioms,  das  mit  dem  griechischen  Idiome  vermittelt  werden  soll: 
eine  Aufgabe,  die  nur  demjenigen  gelingen  kann,  der  beide  Idiome 
gleich  gut  bemeistert.  Die  Wahrheit  des  letzteren  Satzes  liegt 
so  zu  Tage,  dass  wohl  Niemand  bezweifeln  wird,  man  könne  auch 
nur  zehn  Verse  vollendet  übersetzen,  ohne  dass  man  das  Grie- 
chische so  gut  zu  handhaben  wisse  als  das  Deutsche.  Hören  wir 
aber  zunächst,  wie  Hr.  Franz  sich  in  seinem  Vorworte  selbst  über 
sein  Vorhaben  ausgesprochen  hat. 

Nachdem  er  die  Darstellungsweise  des  Aeschylus ,  welche 
der  Ausdruck  einer  mächtigen  Individualität  sei,  S.  VIII  mit  leid- 
lichen Zügen  dargelegt,  glaubt  er  sich  auf  dem  Standpunkte  zu 
befinden,  auf  welchem  der  üebersetzer  seiner  Praxis  genügen 
solle.  Um  die  Priesterschaft  der  Muse  des  Aeschylos  werde  er 
sich  nur  dann  bewerben,  fährt  Hr.  Franz  fort,  wenn  dem  Üeber- 
setzer, abgesehen  von  einem  für  Poesie  empfänglichen  Sinn,  die 
errungene  Herrschaft  über  die  alte  Sprache  und  eine  lang  ge- 
pflegte Bekanntschaft  mit  den  litterarischen  Grössen  des  Alter- 
thums  Berechtigung  dazu  gäben.  Des  Bedenklichen  bliebe  dann 
doch  genug  auf  seinem  Wege.  Denn  so  leicht  es  ihm  auch  wer- 
den möge,  mit  dem  Fluge  der  Phantasie  des  Dichters  gleichen 
Schritt  zu  halten  ,  so  sei  der  Kampf  mit  dem  widerstrebenden 
Material  seiner  Sprache  doch  zu  gross,  als  dass  er  hoffen  könnte, 
eine  vollkommene  Verdeutschung  zu  liefern.  Er  werde  sich 
daher  nächst  der  möglichst  treuen  Üebertragung  der  charakteri- 
stischen Eigenthümlichkeiten  des  Dichters  mit  einer  erträg- 
lichen Nachbildung  der  Form  begnügen  müssen,  deren  Geheim- 
niss  immer  noch  auf  einem  glücklichen  Maass  von  Freiheit  in  der 
Treue  beruhe,  zu  dem  selbst  ihn  nur  Liebe  und  Begeisterung  er- 
heben könne.  Eine  solche  Uebersetzung  werde  den  allgemeinen 
Charakter  der  Sprache  des  Dichters  möglichst  wiedergeben,  den 
Ton  heben  und  senken,  wie  es  das  Original  vorschreibe,  und  die 


Franz  :   Des  Aesch^Ios  Orestela.  373 

Mittel  bereit  halten,  die  nothwendi^  einbrechende  Dissonanz  der 
Fremdheit  durch  eine  geschickte  Wendung-  wieder  aufzulösen. 
Auf  diese  Weise  werde  sie  im  Stande  sein,  in  dem  gebildeten  deut- 
schen Hörer  ein  igerm  aas  s  en  den  Eindruck  hervorzubringen, 
den  der  alte  Dichter  mit  seiner  Schöpfung  auf  seine  Zeitgenossen 
gemacht.  Bei  einer  solchen  G  r  u  n  d  a  n  s  c  h  a  u  u  n  ^ ,  schliesst  er, 
Ton  den  Voraussetzungen  einer  leidlichen  Verdeutschung 
liesse  es  sich  übrigens  nicht  leugnen,  dass  dem  üebersetzer  des 
Aeschylus  heutzutage  zwei  Umstände  zu  Statten  kämen ,  die  er 
dankbar  anzuerkennen  habe,  einmal  der  Fortschritt  unserer  Spra- 
che in  Aneignung  und  Pflege  der  griechischen  Metrik,  dann  der 
Rückhalt  an  einer  nicht  unerheblichen  Anzahl  von  Uebersetzungs- 
versuchen,  in  welchen  für  ihn  viele  Momente  sowohl  der  Beieh- 
rung als  der  Warnung  sich  vorfänden.  Nachdem  Hr.  Franz  diese 
Uebersetzungsversuche  (von  der  gesammten  Oresteia  indessen 
waren  blos  vier  vorhanden)  aufgezählt  und  zum  Theil  kritisch 
abgeschätzt,  fährt  er  weiter  unten  S.  XII  fort:  wer  einer  solchen 
Menge  von  Vorgängern  nachwandle,  könne  sich  allerdings  der 
Einsicht  in  die  Stufen  des  Misslungenen  erfreuen.  AVicderum 
aber  könne  es  nicht  fehlen,  dass  er  bemerke,  wie  dieser  oder 
jener  das  Hechte  glücklich  getrofl'en  habe.  Um  dem  alten  Mei- 
sterwerke ein  volleres  Heiraathsrecht  in  der  deutschen 
Sprache  zu  erringen,  wäre  es  nothwendig  gewesen,  die  früheren 
Leistungen  mit  seiner  üebertragung  aufmerksam  zu  vergleichen 
lind  das  etwa  besser  Wiedergegebene  nicht  gedankenlos,  sondern 
nach  sorgfältiger  Prüfung  aufzunehmen  und  an  die  Stelle  des 
Selbstgefnndenen  zu  setzen.  Ref.  hatte  sich  gegen  dieses  Ver- 
fahren entschieden  erklärt  und  dasselbe  für  ein  Zusammenflicken 
aus  verschiedenen  Dolmetschungen  angesehen,  woraus  nichts  Ge- 
diegenes, Harmonisches  und  Gleichmässiges  entspringen  könne. 
Ich  stellte  die  Behauptung  auf,  dass  August  Bötkh,  von  welchem 
dieser  Vorschlag  einer  Auswahl  gelegentlich  hingeworfen  worden 
w  ar ,  die  Sache  nicht  recht  überlegt  habe ;  man  wollte  nämlich 
nicht  blos  einzelne  Verse,  sondern  ganze  „Partien",  je  nachdem 
sie  von  diesem  oder  jenem  üebersetzer  am  besten  getroff"en  seien, 
reit  überbessernder  Hand  zusammenstellen.  Nichts  schien  leich- 
ter und  bequemer  als  dies,  und  ich  glaubte,  dass  dadurch  der 
heutigen  Uebersetzungswuth  vollends  Thor  und  Thür  geöffnet 
werde,  ohne  dass  irgend  etwas  Gutes  zu  Tage  komme,  weil,  nach 
meiner  Ansicht,  die  attischen  Dichter  überhaupt  weder  im  Einzel- 
nen, noch  in  umfangreicheren  Scenen  von  den  seitherigen  Ueber- 
setzern  auf  zufriedenstellende  Weise  verdeutscht  worden.  Die 
Gegengründe,  womit  ich  ein  solches  unbedachtsames  Verfahren 
bekämpfte,  vorzüglich  als  es  mehrseitigen  Beifall  zu  finden  schien, 
habe  ich  anderwärts  ausführlich  entwickelt.  Hr.  Prof.  Franz 
rechtfertigt  den  geraissdeuteten  Vorschlag  S.  XIII  mit  einigen 
Sätzen,  ohne  jedoch  in  die  Sache  selbst  einzugehen;  seine  Grimdc 


374  Griechische  Litteratur. 

sind  nicht  stichhaltig  und  beschränken  sich  auf  die  allgemeine  Be- 
hauptung, dass  ein  üebersetzer,  der  fähig  sei  und  Beruf  habe  zu 
übersetzen,  nichts  Fremdes  sich  aneignen  werde,  was  in  den  Ton 
des  Originals  nicht  passe,  in  denjenigen  Ton,  der  überall  wieder- 
gegeben werden  solle.  Aber  diese  Rechtfertigung  war  i'iberhaupt 
unnöthig,  da  FIr.  Franz  blos  von  einzelnen  ,, Ausdrücken^''  spricht, 
die  er  Ton  seinen  Vorgängern  aufgenommen  habe;  von  dieser 
Freiheit,  fügt  er  überdies  hinzu,  glaube  er  eben  nicht  Missbrauch 
gemacht  zu  haben ,  und  auf  diese  Weise  beschränkt  er  das  ganze 
Verfahren.  Vorarbeiten  zu  benutzen,  ist  in  der  Ordnung,  und 
Ref.  sieht  sich  nicht  veranlasst,  näher  zu  untersuchen,  ob  Fran- 
zens Glaube  richtig  sei,  dass  er  sich  der  Freiheit,  mit  dem  Kalbe 
der  Vorgänger  zu  pflügen ,  glücklich  and  mit  Maass  bedient  habe. 
Es  kommt,  nachdem  seirie  üebersetzung  fertig  ist,  sehr  wenig 
darauf  an,  wie  er  dieselbe  zu  Stande  gebracht;  es  handelt  sich 
lediglich  darum,  ob  sie  gelungen  ist,  und  darüber  wollen  wir  den 
Lesern  dieser  Bläüer  Aufscliluss  verschaffen. 

Wir  begegnen  zunächst,  wenn  wir  die  oben  mitgetheilten 
Winke  seiner  Vorrede  überschauen  und  zusammenfassen,  dem 
merkwürdigen  Ergebniss,  dass  Hr.  Prof.  Franz,  als  er  seine  Reise 
in  das  Land  der  Uebersetzungskunst  antrat,  sich  keineswegs  das 
wahre  Id  e  a  1  einer  Verdeutschung  vorgesteckt  habe.  Es  man- 
gelten ihm  allerdings  nicht  einige  geographische  Vorstellungen  von 
dem  Boden,  auf  den  er  werde  treten  müssen;  aber  sei  es  dass  er 
sich  seiner  Schwäche  bewusst  war  und  fühlte ,  dass  er  einem  Vo- 
gel gliche,  der  noch  nicht  ganz  flügge  geworden,  oder  sei  es  dass 
er  irgend  eine  Ahnung  hatte  von  der  unabweisbaren  Kritik  eines 
Sachverständigen,  genug,  er  malt  sich  den  Himmelsstrich,  der  vor 
seinen  Blicken  lag,  nicht  eben  rosenfarbig  aus,  überall  gewahrt  er 
Dornen,  die  ihn  stechen,  Disteln,  die  ihn  verwirren  könnten,  und 
sieht  überhaupt  eine  Landstrasse  vor  sich,  welche  so  viele  Steine 
des  Anstosses  biete,  dass  es  unmöglich  sei  über  sie  mit  deutschen 
Füssen  hinwegzukommen,  ohne  ifn  ungleichen  Kampfe  mit  dem 
leichtbeschuhteren  Griechen  den  Kürzeren  zu  ziehen.  Daher  be- 
gnügt sich  Hr.  Franz,  wenn  seine  üebersetzung  im  Stande  sei,  in 
dem  gebildeten  deutschen  Hörer  einigermaassen  den  Ein- 
druck, welchen  das  Original  auf  den  Griechen  ausgeübt  habe,  her- 
vorzurufen; daher  begnügt  er  sich,  bei  seiner  Grundanschauung 
von  den  Schrecknissen  der  holpricliten  Pfade,  die  er  zu  wandeln 
gezwungen  sei,  eine  leidliche  Verdeutschung  zu  machen ;  daher 
entsagt  er,  bei  dem  widerstrebenden  Material  seiner  Sprache,  frei- 
willig und  mit  Vorbedacht  der  schönen  Hoff'nung,  den  Griechen 
siegreich  einzuholen  und  eine  vollkommene  Verdeutschung  zu 
liefern.  Einen  einzigen  Compass  nur,  der  ihn  tröstet,  wenn  aucfi 
des  Bedenklichen  genug  auf  seinem  Wege  bleibe,  hält  der  rei- 
sende Üebersetzer  unter  allen  Umständen  fest,  und  dieser  Com- 
pass ist:  die  errungene  Herrschaft  über  die  alte  Sprache  und  eine 


Franz:  Des  Aesch^Ios  Oresteia.  375 

lang  gepflegte  Bckaimtscliaft  mit  den  litterarisclien  Grössen  des 
Alterthums.  Vermittelst  dieses  Compasses  hofft  er  wenigstens, 
dass  es  ihm  leicht  fallen  werde,  mit  dem  Fluge  der  Phantasie  des 
Dichters  gleichen  Schritt  zu  halten;  aber  Ref.  besorgt  nur,  dass 
dieses  Instrument,  dessen  gelehrte  Handhabung  dem  geehrten 
üebersetzer  nicht  bestritten  werden  soll,  auf  dem  labyrinthischen 
und  steinigten  Pfade  nicht  ausreichen  dürfte;  denn  sobald  der 
Reisende  zu  fliegen  gedenkt  und  die  schwerfälligen  nordischen 
Füsse  im  wirren  Bodengestrüpp  sicli  verfangen  sollten ,  was  hilft 
ihm  dann  der  gelehrte,  aus  griechischem  Stoffe  verfertigte  Com- 
pass'?  Wird  er  im  Stande  sein  sich  flott  zu  machen,  wenn  er  niclit 
anderweitige  Hülfe  herbeizuschaffen  weiss  und  deutsche  Segel 
an  die  Füsse  spannt'?  Wird  er  nicht,  selbst  im  glücklichsten 
Falle,  dass  es  ihm  durcli  eine  geschickte  Wendung  gelingen  sollte, 
aus  der  Wirrsal  des  fremden  Bodens  sich  loszumachen,  zerrissene 
Sandalen  und  dornen  verwundete  Zehenspitzen  davontragen'? 

Es  erwächst  aber  hieraus  die  Frage ,  ob  der  Hr.  Prof.  Franz 
Recht  gethan  habe,  seine  Aufgabe  von  allem  Anfang  an  so  niedrig 
zu  stellen,  wie  erwähnt  worden,  und  so  bescheidene  Anforderun- 
gen an  seine  üebersetzung  zu  machen,  dass  er  sogar  kein  Beden- 
ken hat,  mit  einer  erträglichen  Nachbildung  der  Form  sich 
zu  begnügen,  und  höchstens  von  dem  Wunsche  durchdrungen  ist, 
dem   alten  Meisterwerke   ein  volleres    Heimalhsrecht  in  der 
deutschen  Sprache  zu  erringen,  nicht  aber  ein  volles*?     In  der 
That  erstaunt  man  einerseits,  in  unsern  Tagen,  wo  man  emsig  dar- 
nach strebt,  die  Dichtungen  fremder  Völker  in  unsere  Litteratur 
einzubürgern,  aus  dem  Munde  eines  Gelehrten  zu  hören,  dass  er 
nach  diesem  Ziele  nicht  mit  ganzem  Herzen   zu  trachten   wage, 
gleichsam  als  ob  die  Uebersetzungskunst  eine  Kunst  sei,  die  man 
im  Nothfall  auch  als  halbe  Pfuscherei   betreiben   dürfe!     Nichts 
Jiat  der  Nachbildung  antiker  Schönheit  in  der  Gunst  des  Publicums 
mehr    geschadet    als    die    üeberschwemmung  des   litterarischen 
Marktes  mit  oberflächlichen  Machwerken,  welche  dergleichen  Vor- 
aussetzungen und  begnügsamen  Meinungen  ihren  Ursprung  ver- 
dankten und  die  besten  Leistungen  wie  wucherndes  Unkraut  um- 
dämmten.    Ludwig  Tieck  nannte  dies  freilich  Uebersetzungseifer, 
welchen   er   durch   die   geglückte    Aufführung   der    Antigone  in 
Deutschland  angefacht  habe!     Andererseits   braucht  Ref.  keinen 
langen  Beweis  dafür  aufzustellen,    dass  derjenige,  welclier  dem 
eigentlichen  höchsten  Ideal,  sei  es  aus  der  vollen  Ueberzeugung 
es  nicht  erreichen  zu  können,  oder  aus  Furcht  im  Hintertreffen  zu 
bleiben,  oder  aus  allzubescheideuer  Ergebung,  von  freien  Stücken 
und  von  Haus  aus  entsagt  hat,  schwerlich  jemals  etwas  Tüchtiges 
und  wahrliaft  Künstlerisches  hervorbringen  werde.     Das  Streben 
nach  dem  höchsten  Ideal  vielmehr  ist  so  unerlässlich,  dass  selbst 
der  grösste  Meister,  wenn  er  einmal  so  thöricht  sein  sollte,  dieses 
Streben  ausser  Acht  zu  lassen,  nicht  im  Stande  sein  würde,  über 


376  Griechische  Litteratur. 

die  breite  Fläche  der  Mittelmässigkeit  hinausziigelangen.  Wel- 
chem Bildhauer  wird  es  je  beig:efallen  sein,  wenn  er  eine  antike 
Bildsäule  nachraeisselt,  lediglich  daraufhinzuarbeiten,  dass  er  ein 
erträgliches  und  leidliches  Abbild  verfertige,  in  der  Voraussetzung, 
dass  der  alte  Meister  unerreichlich  sei?  Dieser  Gedanke  müssle 
ihn  niederschlagen  und  schon  vor  dem  Beginne  des  Werkes  seine 
Kraft  brechen.  Die  Wichtigkeit  des  Ideals  erstreckt  sich  so  weit, 
dass  auch  der  raittelmässige  Kopf,  wofern  er  das  Ringen  nach  dem, 
was  ihm  unersteiglich  ist,  von  ganzer  Seele  festhält,  eine  höhere 
Stufe,  als  er  selbst  bescheiden  zu  hoffen  gewagt,  nicht  selten  er- 
klimmt. Wäre  es  also  auch  eine  Anmaassung,  wenn  Jemand,  wie 
Ref.,  eine  vollkommene  Verdeatschung  hervorzubringen  und  mit 
dem  Griechen  gleichsam  um  die  Palme  zu  streiten  sich  erkühnt, 
so  würde  diese  Anmaassung  doch  zum  Heile  fi'ihrcn;  sie  wiirde 
jedenfalls  den  Fortschritt  beabsichtigen  und  etwas  Schöneres  be- 
wirken, als  wenn  er  von  vornherein  sich  vorgenommen  hätte  zu 
stümpern,  wie  die  Vorfahren  gestümpert  haben,  in  der  traurigen 
Meinung,  dass  es  doch  vielleicht  nicht  anders  ginge  und  das  wahre 
Ziel  wie  ein  Stern  hinter  Gewölk  verschwämme.  Ref.  hat  andere 
Erfahrungen  gewonnen  und  für  den  etwaigen  Gegner  folgende 
Zeilen  verfasst: 

Wisse,  dem  Stümper  aliein  sind  strengere  Maasse  verderblich, 

Schwache  verklagen  allein,  wo  sie  gestümpert,  die  Kunst: 
Aber  die  Zügel  gelind  anfassend  und  leicht  wie  der  Vogel 

Ueber  Gefahr  und  Beschwer  spielt  sich  der  Meister  hinweg. 
Nach  dieser  Auseinandersetzung,  welche  keinen  andern  Zweck 
hat  als  darzuthun,  dass  Hr.  Prof.  Franz  der  strengen  Kritik  ver- 
muthlich  ein  Schnippchen  zu  schlagen  versucht  hat,  lässt  sich 
nicht  erwarten,  dass  seine  Uebersetzung  so  gelungen  sei,  dass  sie 
den  Namen  einer  guten  verdiene.  Der  Verf.  selbst  hat  alles  Mög- 
liche gethan ,  die  allenfallsigen  Erwartungen  im  Voraus  herabzu- 
stiramen.  Wir  würden  desshalb  seine  Leistung  milder  beurtheilen 
müssen ,  wenn  nicht  der  aussergewölinliche  Umstand  hinzuträte, 
dass  Hr.  Franz  sich  demungeachtet  die  Aufgabe  gesetzt  hat,  etwas 
Gediegneres  und  Vollendeteres  zu  liefern  als  alle  seine  Vorgänger. 
Dass  dies  wirklich  in  seinem  Plane  lag,  erkennt  man  nicht  allein 
daraus,  dass  er  das  Brauchbare,  was  die  früheren  üebertragungen 
der  drei  Tragödien  darbieten  sollten,  zu  dem  Seinigen  zu  machen 
gedachte,  sondern  auch  aus  der  Abschätzung  der  sämmtlichen  Vor- 
arbeiten ,  die  er  in  seinem  Vorwort  Uebersetzungsversuche  nennt. 
Und  erklären  rausste  er  allerdings,  dass  er  wenigstens  nach  die- 
sem Ziele,  etwas  Besseres  zu  schaffen,  mit  Bewusstsein  ringe, 
denn  sonst  würde  man  die  berechtigte  Frage  gestellt  haben,  warum 
er  zu  so  zahlreichen  bisherigen  Versuchen  einen  neuen  Versuch 
geselle,  und  den  kurzen  Ausspruch  thun,  es  sei  wohl  besser  ge- 
wesen,  diese  nicht  bessere  Uebertragung  ungemacht  oder  unge- 
druckt zu  lassen.     Im  Allgemeinen  ertheilt  er  denn  seinen  Vor- 


Franz  :  Des  Aeschylos  Oresteia.  377 

gängern  theils  Lob,  theils  Tadel ;  denn  dass  dieselben  nichts  durch- 
aus Schlechtes  in  seinen  Äugen  geboten  haben  konnten,  lässt  sich 
voraussetzen,  da  er  das  Gute  aus  ihren  Versuchen  aufzunehmen 
gesonnen  war.  Ref.  hatte  damals  nur  die  dritte  Tragödie,  die 
Eumeniden,  durch  den  Druck  veröffentlicht;  er  wird  aus  mehre- 
ren Gründen  nicht  umhin  können ,  dasjenige  aus  dem  Vorworte 
anzuführen,  was  über  diesen  jüngsten  Versuch  Hr.  Prof.  Franz 
gemeint  hat,  welchem  die  beiden  andern  Stücke,  der  Agamemnon 
imd  das  Todtenopfer  oder  die  Todtenspenderinnen ,  erst  zuge- 
kommen waren,  als  der  Franz'sche  Text  bereits  die  Presse  ver- 
lassen hatte.  Indessen,  sagt  er,  wäre  eine  Beurtheilung  meiner 
Leistung  schon  durch  meine  Nachdichtung  der  Eumeniden  mö<^lich 
gemacht  gewesen.  Vermöge  der  fliessenden,  meist  natürlichen 
Sprache  und  der  leichten,  ungezwungenen  Versification ,  mit  wel- 
cher meine  Verdeutschung  des  Aeschylus  ausgestattet  erscheine, 
würde  es  derselben  wohl  nicht  schwer,  sich  Leser  zu  verschaffen. 
In  den  Augen  des  Laien  werde  sie  selbst  eine  gewisse  Rolle  spie- 
len. Und  es  sei  nicht  zu  verkennen,  dass  sie,  abgesehen  von  den 
Stellen,  in  welchen  durch  mehr  prosaisch  klingende  Fügung  und 
Ausdrücke  der  Ton  über  Gebühr  herabgestimmt  werde,  im  Gan- 
zen eine  anrauthige  Farbe  abspiegele. 

Das  klingt  so  weit  nicht  übel,  obschon  sich  in  den  beiden 
letzten  Sätzen ,  wo  er  von  dem  Laien  spricht  und  etwas  von  Prosa 
und  Herabstimmung  munkelt,  bereits  das  hohe  Pferd  bemerklich 
macht ,  das  Hr.  Franz  bestiegen  hat.  Verfolgen  wir  aber  einst- 
weilen seine  kritischen  Bemerkungen  weiter.  Gegen  das  Urtheil, 
fährt  er  fort,  dass  meine  Leistung  eine  unübertreffliche  sei, 
kämpfe  ich,  der  Lebersetzcr,  selbst  an,  dadurch,  dass  ich  mir  zu 
liäuflg  und  namentlich  in  den  lyrischen  Partien  eine  überaus  un- 
gebundene Freiheit  in  Ausdruck  und  Wendung  gestatte,  wodurch 
die  üebersetzung  aufhöre  üebersetzung  zu  sein  und  Commentar 
werde.  Ohne  in  seinem  Vorworte  darauf  eingehen  zu  wollen,  in 
wie  weit  sich  in  solchen  Fällen  der  Commentar  rechtfertigen  lasse 
oder  nicht,  scheine  ihm  meine  üebersetzung  eben  so  wenig  als 
meine  Nachdichtung  frei  zu  sein  von  dem  Vorwurfe,  theils  den 
klaren  Strom  des  Dichterwortes  vor  prosaischer  Verseichtung  nicht 
bewahrt,  theils  dem  Original  fremden  Schmuck  verliehen  zu  ha- 
ben, Ueberdies  dürfe  man  es  sich  nicht  verhehlen,  dass  meine 
üebersetzung  eine  grössere  Gewandtheit  in  Handhabung  der  deut- 
schen Sprache  als  Einsicht  in  das  griechische  Idiom  und  in  die 
Leiden  des  Urtextes  an  den  Tag  lege. 

Ref.  ist  somit  durch  diese  geschickten  und  vorsichtigen  Wen- 
dungen von  Hrn.  Franz  in  die  gebührenden  Schranken  zurückge- 
wiesen und  in  die  Classe  der  übrigen  Verdeutschcr  geworfen  wor- 
den, die  Hr.  Franz  nolcns  volens  übertreff"en  musste  und  von 
denen  er  das  Brauchbare,  was  sie  bei  aufmerksamer  Vergleichung 
darbieten  sollten,   unter  dcmüthiger  Hintansetzung  der  eigenen 


378  Griechische  Litteratur. 

Erfindungen  und  wahrhaft  weiser  Entsagung  zu  dem  Seinigen  zu 
machen  gedachte.  Wir  können  ihm  dies  nicht  verdenken;  denn 
nachdem  er  einmal  die  verhängnissvolle  Bahn  zurückgelegt  hatte, 
was  sollte  er  da  ohne  Umschweif  und  oline  alle  Selbstgefälligkeit 
das  unangenehme  Geständniss  ablegen,  dass  er  umsonst  ausgereist 
sei,  umsonst  mit  Dornen  und  Disteln  sich  Iierumgeschlagen  habe, 
besonders  da  er  einen  so  trefflichen  Compass  besass?  Das  wäre 
eine  allznpoetische  Zumuthnng  in  diesen  prosaischen  Zeiten  ge- 
wesen. In  der  Kunst  rauss  man  keine  christliche  Demuth  und 
Entsagung  beanspruchen.  Freilich  dürfte  es  sehr  schlimm  aus- 
sehen, wenn  es  sich  am  Ende  offenbarte,  dass  Hr.  Franz  nichts 
Besseres  oder  Schlechteres  als  seine  Vorgänger  geleistet  habe, 
ja  vielleicht  gegen  den  einen  oder  den  andern  zurückgeblieben  sei. 
Denn  man  dürfte  alsdann  veranlasst  sein ,  und  zwar  mit  gerechtem 
Grund ,  sein  ürtheil  über  die  früheren  Uebersetzungsversuche  als 
eitle  InmaassuniT  auszuleiren.  Schon  bei  mehreren  anderen  Ge- 
legenheiten  hat  Ref.  dargethan ,  dass  die  Vorwürfe,  die  ihm  Hr. 
Franz  im  Obigen  gemacht,  nicht  nur  in  eitlen  Seifenblasen  be- 
stellen, sondern  auch,  wenn  sie  wohlbegründet  wären,  gerade 
Hrn.  Franz  selbst  tausendmal  stärker  treffen  würden.  Ref.  hat 
die  besten  Mittel  in  Händen,  den  Beweis  dafür  so  zu  führen,  dass 
ein  Widerspruch  lächerlich  erscheinen  müsste;  er  darf  nur  von 
den  Beispielen  Gebrauch  machen,  die  jede  Seite  im  Ueberfluss 
bietet,  und  er  wird  weiter  unten  dieser  entscheidenden  Waffe  sich 
bedienen. 

Zuvörderst  müssen  wir  die  Ausstellungen ,  die  Hr.  Franz  ge- 
gen die  Verdeutschung  des  Ref.  vorgebracht  hat,  überblicken  und 
in  ihre  Theile  zerlegen.  Die  schöne  Form  erkennt  er  an  und 
gesteht  der  Arbeit  im  Ganzen  eine  anmuthige  Farbe  zu ;  darüber 
wäre  also  vorläufig  nichts  zu  bemerken.  Die  Last  der  übrigen 
Vorwürfe  aber  abzuwälzen,  dürfte  uns  hinreichende  Arbeit  ver- 
schaffen; sie  bestehen  darin,  dass  Hr.  Franz  behauptet,  erstlich, 
Ref.  habe  in  seiner  Nachdichtung  an  einzelnen  Stellen  durch  raelir 
prosaisch  klingende  Fügung  und  Ausdrücke  den  Ton  über  Gebühr 
herabgestimrat.  Zweitens,  Ref.  habe  sich  zu  häufig  einer  über- 
aus ungebundenen  Freiheit  bedient,  wodurch  seine  Uebersetzung 
zum  Commentar  umgeschlagen,  der  klare  Dichterstrom  vor  pro- 
saischer Verseichtung  nicht  bewahrt  und  dem  Original  fremder 
Schmuck  verliehen  worden  sei.  Drittens,  Ref.  habe  eine  grössere 
Herrschaft  über  die  deutsche  Sprache  als  über  das  griechische 
Idiom  beurkundet  und  die  verdorbenen  Stellen  des  Urtextes  nicht 
überall  wahrgenommen,  begriff'en  und  berücksichtigt.  Alle  diese 
Diu ''e,  ist  die  natürliche  Schlussfolgerung,  muss  also  Hr.  Prof. 
Franz  glücklicher  als  Ref.  überwunden  haben,  er  muss  frei  von 
dergleichen  Schwächen  und  Mängeln  dastehen.  Wenigstens  kann 
man  folgern,  dass  Hr.  Franz  sie  zu  vermeiden  möglichst  getrach- 
tet habe,  auch  wenn  er  blos  eine  „ leidliche ^^  Verdeutschung  zu 


Franz:  Des  Aeschylos  Orestcia.  379 

machen  von  Haus  aus  beabsichtigte.  Wir  dürfen  auf  alle  Fälle 
ein  Werk  erwarten,  welches  durchaus  poetisch,  mit  dem  Aeschy- 
his  gleichtönig,  gleich  voliklingend,  gleich  einfach,  gleich  prunk- 
haft sei  und  welches,  unter  einsichtsvollster  Erwägung  der  Ver- 
derbnisse des  Originals,  eine  richtige  Behandlung  des  deutschen 
sowohl  als  des  griechischen  Idioms  durchweg  erkennen  lasse. 

So  billig  und  gerecht  auch  diese  Erwartungen  scheinen  mö- 
gen, ergiebt  sich  doch  für  die  nachrechnende  Kritik,  dass  Herr 
Trof.  Franz  dieselben  so  wenig  erfüllt  hat ,  dass  nicht  nur  Ref. 
sich  der  eigenen  Vertheidigung  gegen  jene  oberflächlichen  An- 
deutungen überlioben  sieht,  sondern  auch  die  Leser  dieser  Blätter 
werden  gestehen  müssen,  der  Berliner  Herr  Uebersetzer  besitze 
entweder  nicht  den  guten  Willen  das  Bessere  anzuerkennen,  oder 
nicht  den  gehörigen  Geschmack  das  Bessere  zu  würdigen.  Zu- 
gleich werden  gewichtige  Zweifel  entstehen ,  ob  Hr.  Franz  die 
genügende  F'ähigkeit  habe,  die  Schönheit  der  Griechen  schöpfe- 
risch auszuprägen.  Denn  um  mit  der  ersten  Erwartung  anzufan- 
gen, dass  seine  Uebersetzung  poetisch  sein  werde,  finden  wir 
uns  in  dieser  Hinsicht  sogleich  und  entschieden  getäuscht.  Nicht 
von  einzelnen  Stellen,  die  prosaisch  wären,  redet  Ref.,  niclit  von 
mehr  oder  weniger  prosaisch  klingenden  Fügungen,  wodurch  der 
diciiterische  Ton  über  Gebühr  Iierabgestimmt  würde,  raaclit  Ref. 
viel  Aufhebens,  nicht  von  einzelnen  Ausdrücken,  welche  die  Rein- 
heit des  poetischen  Stromes  trübten,  spricht  er  mit  einigen  leicht 
hingeworfenen  Worten.  Denn  Ref.  pflegt  sich  nicht  an  Einzeln- 
heiten zu  halten  und  aus  gelungenen  Werken,  um  Stoff'zum  Tadel 
zu  finden  ,  das  etwa  minder  Gelungene  begierig  herauszuklauben, 
den  Kritikern  ähnlich,  welche  gegen  die  Sonne  eifern,  weil  sie 
zuweilen  dunkle  Flecken  zeigt.  Was  nützte  es  auch  ,  eine  Anzahl 
verfehlte  Ausdrücke  zu  sammeln;  welchen  Vortheil  brächte  es, 
wenn  ich  anführte,  dass  Kr.  Franz  in  der  ersten  Rede  des  ersten 
Stückes  den  armen  Wächter  klagen  lässt,  er  sei  „dem  Hunde 
gleich'^;  dass  bald  darauf  einer  „Nachtle  uch  t  e""  Willkoramen 
zugerufen  wird,  einer  Nachtleuchte,  welche  uns  nicht  blos  an 
eine  Laterne,  sondern  auch  an  die  Nachtlampe  und  andere  nächt- 
liche Gefässe  unwillkürlich  erinnert;  dass  er  weiter  unten  (Vs.459) 
einen  „durst'gen  Bruder''  zu  Tage  fördert,  von  welchem 
das  griechische  Original  nichts  weiss;  dass  er  (Vs.  1056)  der  gott- 
begeisterten Jungfrau,  der  Kassandra,  Worte  wie  „Kuh"  und 
„Stier"  in  den  Mund  gelegt  hat,  statt  gewähltere  Benennungen 
zu  gebrauchen*?  Dazu  kommt,  dass  sich  über  einzelne  Ausdrücke 
rechten  läsest;  bei  der  Verschiedenheit  des  Gesciimackes  billigen 
die  einen  was  die  andern  verwerfen,  und  ausserdem  entscheidet 
häufig  Stellung,  Zusammenhang  und  Betonung  über  grössere  oder 
geringere  Angemessenheit  der  gebrauchten  Wörter.  Nicht  min- 
der fruchtlos  würde  es  sein,  etliche  Beispiele  von  prosaisch  klin- 
genden Fügungen  aufzuzählen,  zumal  da  auch  dies  eine  Frage  ist, 


3 so  Griechische  Litteralur. 

Über  die  gestritten  werden  kann  und  dabei  untersucht  werden 
roüsste,  in  welchen  Punkten  der  poetische  Stil,  um  seine  Nationa- 
lität zu  behaupten,  eine  Gleichstellung  mit  dem  prosaischen  Ge- 
füge verlange,  während  die  Entscheidung  darüber,  wo  die  gewöhn- 
liche Fügung  zugleich  die  poetische  ist,  weil  dieselbe  als  die  na- 
türliche auftritt,  dem  Endausspruche  des  Geschmackes  überlassen 
bliebe.  Es  genügt  die  Bemerkung,  dass  die  Franz'sche  Ueber- 
setzung  von  Fügungen  wimmelt,  deren  Prosa  ebenso  grell  hervor- 
tritt als  die  unzweifelhafte  Niedrigkeit  der  oben  gerügten  einzel- 
nen Ausdrücke.  Um  aber  nicht  blos  zu  behaupten,  hebe  ich  zwei 
der  ersten  besten  Proben  aus,  wie  sie  mir  gerade  ins  Auge  sprin- 
gen.    Hr.  Franz  übersetzt  Vs.  972  und  973  also: 

,,lst  aber  einmal  solch  ein  hartes  Loos  verhängt, 
So  ist  ein  altbegütert  Haus  ein  wahres  Glück." 
Statt  dieser  alltäglichen  Fügung,  welche  einen  vollkommen  spiess- 
bürgerlichen  Ton   hat,  während   die  Worte  des  Aeschylus  selbst 
hier  erhaben  klingen,  verdeutscht  Ref. : 

Trifft  aber  solchen  IMissgeschickes  Blitz  das  Haupt, 
Dann  beut  ein  altbegütert  Haus  den  besten  Trost. 
Noch   deutlicher,  wo  möglich,  klingt  die  Prosa  aus   folgendem 
Satze  (denn  Vers  kann  die  Zeile  nicht  genannt  werden)  Vs.  977: 

,,Dir  hat  sie  wahrlich  jetzt  ein  wahres  Wort  gesagt." 
Und  gleich  daraufkommt  wieder  das  „ein  mal''  mit  dem  Hülfs- 
zeitwort  „sein"  und    anderweitigem    prosaischem    Gefüge  zum 
Vorschein : 

,,Und  bist  du  einmal  im  verhängnissvollen  Netz, 
So  magst  du  folgen,  doch  vielleicht  auch  folgst  du  nicht." 
Alle  diese  gewöhnlichen  Constructionen  und  Wendungen ,  welche 
dem  Griechischen  in  keiner  Hinsicht  entsprechen,  vermeiden  wir 
durch  folgende  Verdeutschung  der  Stelle  : 

Sie  harrt  der  Antwort;  deutlich  sprach  ihr  Mund  zu  dir; 
Verstrickt  im  schicksalsvollen  Netz,  gehorch',  wofern 
Du  willst  gehorchen;  nicht  gehorchst  du,  scheint  es  fast. 
Die   angeführten   Zeilen  der  Franz'schen   Uebertragung   könnte 
Ref.  zugleich  auch  als  Stellen  benutzen,  die  den  Ton  des  Dichters 
nicht  blos  über  Gebühr  herabgestimmt  zeigen,  sondern  schlecht- 
weg prosaisch  lauten.     Doch  stossen  wir  auf  einen  solchen  Ueber- 
fluss  an  solchen  Stellen ,  dass  es  angemessen  erscheinen  dürfte, 
trotz   der  Schwierigkeit  der  Auswahl,  ein   Paar   andere  Stellen 
auszuwählen.     Hr.  Franz  übersetzt  z.  B.  Vs.  38  und  39: 

•  ,,Denn  bei  Kundigen 

Sprech'  ich  davon  gern  ;  vor  Unkund'gen  weiss  ich  nichts." 
Hier  ist  alles  blanke  baare  Prosa,  Worte  sowohl  als  Fügung  und 
Rhythmus;  Niemand  wird  glauben  einen  Dichter  vorsieh  zu  haben 
(geschweige  einen  Dichter  wie  Aeschylus),  wenn  er  obige  Zeilen 
ansieht.     Es  war  zu  verdeutschen : 


Franz:  Des  Aeschylos  Oresteia,  381 

— —  ' —  Denn  ich  rede  frei 

Vor  Kundigen,  aber  fliehe  vor  Unkundigen. 
Eine  umfangreichere  Stelle  wird  den  Umfang  dieser  Prosa  noch 
mehr  verdeutlichen;  ich  wähle  die  Schlussrede  eines  Herolds,  der 
die  Gewalt  des  Sturmes  geschildert  hat   und  alsdann  folgender- 
maassen,   nach  Franzens  Dolmetschung,  spricht  (Vs.  635  u.  f.): 
,,Und  wenn  von  jenen  einer  Athem  jetzt  noch  schöpft, 
So  spricht  von  uns  er  wie  von  Todten,  ganz  gewiss; 
Wir  wieder  meinen,  ihnen  sei  es  so  gescheh'n. 
O  mög'  es  gut  sich  wenden.      Und  Menelaos  dann. 
Der  kommt  zuerst  wohl  und  vor  allen  noch  zurück. 
Denn  wenn  ein  Strahl  der  Sonn'  ihn  irgendwo  erspäht, 
Noch  lebend,  noch  aufblickend,  nach  Zeus'  ew'gem  Rath, 
Der  sein  Geschlecht  noch  auszutilgen  nicht  gedenkt, 
So  bleibt  ja  Hoffnung,  dass  er  einmal  wiederkehrt. 
So  viel  du  hörtest,  Wahres  hast  du  nur  gehört." 
Es  kann  wohl  nichts  geben,  was  den  Stempel  alltäglicher  Unter- 
haltung unverkennbarer  an   sich   trüge,   als  diesen    zehnzeiligen 
Redeguss,  in  welchem  weder  irgend  ein  dichterischer  Hauch  weht, 
noch  eine  Spur  von  poetischer  Eleganz  bemerklich  ist.    Wir  haben 
eine  rein  prosaische  Mittheilung  vor  uns,   eine  Aeusserung  über 
ein  stattgefundenes  Unglück  und  eine  daran  geknüpfte  Hoffnung; 
jenes  vermag  uns  nicht  zu  erschüttern,  diese  nicht  zu  erfreuen 
oder  zu  trösten.     Anders  hat  Ref.  die  Sache  ausgedrückt: 
Wer  noch  dem  allgemeinen  Sturz  entronnen  lebt. 
Betrachtet  uns  als  Opfer,  könnt'  es  anders  sein? 
Und  wir  dagegen  wähnen  dies  von  ihrem  Loos. 
Zum  Besten  mag  sich's  wenden!    Kühn  erwart'  indess, 
Menelaos  kehrt  vor  allen  und  zuerst  zurück. 
Denn  falls  ein  Lichtstrahl  Helios'  ihn  noch  erblickt, 
Ihn  leben  sieht  und  athmen,  durch  die  Huld  des  Zeus, 
Der  noch  den  Stamm  der  Atreiden  nicht  ausrotten  mag. 
Bleibt  sichre  Hoffnung  seiner  Wiederkunft  nach  Haus ! 
So  ist's;  die  Wahrheit  sprach  ich  rein  und  unverkürzt. 
Durch  eine  kurze  anapästische  Probe  erweitert  sich  das  Franz'- 
sche  Reich  der  Prosa.     Die  Leser  haben  keine  sonderliche  Freude 
von    dem    Tanze   dieser    Versgattung   zu    erwarten;    wenigstens 
zweifle  ich,  dass  sie  nach  den  Schlussworten  des  Chores  Beifall 
klatschen  werden ,  welche  (Vs.  743  u.  f.)  der  geehrte  Hr.  üeber- 
setzer  also  verdolmetscht: 

„Jetzt  strömt  Wohlwollen  dir  zu ;  schön  ist's, 
Wenn  Gefahr  man  glücklich  bestanden. 
In  der  E'olge  der  Zeit  wirst  prüfend  du  seh'n, 
Wer  löblich  und  wer  nicht,  wie  es  sich  ziemt, 
Von  den  Bürgern  im  Staate  gehandelt.'^ 
Die  Leser  werden  finden,  dass  der  Ton  dieser  Anapäste  von  dem 
Klange  der  angeführten  lamben  sich  in  nichts  unterscheidet,  dass 


382  Griechische  Litteratur. 

Herr  Franz  vielmehr  Alles  über  Einen  Leisten  schlägt.   Die  üeber- 
setzung  des  Ref.  lautet : 

Nun  aber  begrüsst  lautjauchzend  und  froh 
Des  gelungenen  Werks  Urheber  das  Herz! 
Im  Verlaufe  der  Zeit  siehst  forschend  du  leicht, 
Wer  redlichgesinnt  von  den  Bürgern  und  wer 
Missgünstig  verweilt  in  den  Mauern. 
Doch  genug  der  Belege.      Wie  gesagt,  ist  es  mir  nicht  um  die 
Flecken  der  prosaischen  Steilen    zu  thun,  sobald  der  Grundtou 
eines  Werkes  poetisch,  das  Ganze  gelungen  ist  und  gleichsam  nur 
die  Schwäche  aller  mensciilichen  Vollkommenheit  an  sich  trägt. 
Das  aber  ist  hier  nicht  der  Fall.     Ref.   muss  ohne  Riickhalt  er- 
klären, dass  das  Ganze  prosaisch  und  misslungen  ist;  dass  überall 
die  Saiten  so   tief  herabgestiramt   sind,    wie  in  den  angeführten 
Proben;  dass  Hr.  Prof.  Franz  ein  Werk  geliefert  hat,  welches  uns 
nicht  auf  die  olympische  Höhe  des  Originals  versetzt,  sondern  in 
die  sandigen   Blachgeülde    des  Nordens    niederzieht,  ein  Werk, 
dessen  Grundton  mit  dem  Grundtone  des  Aeschylus  so  wenig  ge- 
mein hat,  als  der  Helikon  mit  der  Lüneburger  Haide.     Wir  fassen 
uns  darüber  kurz  und  bemerken  nur,  dass  wir  uns  absichtlich  nicht 
in  die  Chorlieder  der  Oresteia   verstiegen  haben;  denn  diese  in 
vorliegender  Uebersetzung  zu  lesen,  ist  ein  wahrer  Jammer.     Es 
gebricht  Hrn.  Franz  nicht  das  Verstau dniss  der  griechischen  Ho- 
heit (den  Besitz  dieses  Compasses  haben  wir  ihm  freiwillig  ein- 
geräumt), aber  etwas  Anderes   ist  es,  die  Hoheit  eines  Kunst- 
werkes zu  begreifen,  und  etwas  Anderes,  dieselbe  mit  eigener 
Hand  nachzumalen.     Denn  dazu  gehört  positive  Schöpferkraft  des 
Geistes,  ohne  welche  der  gründlichste  Kenner  nichts  ausrichtet; 
und  dass  diese  dem  Hrn.  Uebcrsetzer  mangelt,  bezeugt  die  vor- 
liegende Arbeit,  soweit  dazu  poetisches  Talent  erforderlich  war. 
Zu  dieser  allgemeinen  Herabstimmung,   zu  diesem  durchweg 
prosaischen  Tone   haben    indessen    mehrere  Dinge  beigetragen. 
Zunächst  sieht  sich  die  Kritik  in  der  zweiten  Erwartung  getäuscht, 
deren  wir  oben    Erwähnung  gethan:   Hr.   Franz  hat  den  klaren 
Strom  des  Dichterwortes  theils  vor  prosaischer  Verseichtung  nicht 
bewahrt,  theils  dem  Original  zu  geringen  Schmuck  verliehen.  Die- 
ser doppelte  Uebelstand  ist  nicht  lediglich  durch  Mangel  an  ge- 
höriger Freiheit  in  Ausdruck  und  Wendung  herbeigeführt  worden, 
obschon  auch  darin  ein  gewaltiger  Treffer  liegt,  dass  man  die  Zü- 
gel nicht  zu  kurz  und  straff  anzieht,  damit  das  Ross  in  seinem 
Laufe  nach  der  Siegessäule  rüstig  aiisgreifen,  die  Steine  des  Anstos- 
ses  überspringen  u.  die  Pegasischen  Flügel  entfalten  könne,  voraus- 
gesetzt, dass  der  Reiter  festsitzt.    Ref.  hat  ohne  Bedenken  seinem 
Ross  zuweilen  die  Zügel  schiessen  lassen,  ohne  dass  er  befürchtet, 
in  Schrankenlosigkeit  verfallen  zu  sein.     Ob  seine  Uebertragung 
ein  Commentar  sei  oder  nicht,  kümmert  ihn  wenig;  wenn  sie  gut 
sein  sollte,  wird  sie  jedenfalls  ein  guter  Commentar  sein.     Auch 


Franz :  Des  Aeschylos  Oresteia,  383 

die  Franz'sche  Arbeit  ist  ein  Commentar,  aber  mir  ein  solcher, 
welcher  dazu  dient,  dass  man  sehen  kann,  wie  Hr.  Franz  den  Sinn 
des  griechischen  Textes  aufgefasst  hat,  und  welcher  dem  Leser 
des  Originals,  der  dieses  oder  jenes  Wort  nicht  kennt,  die  Mühe 
erspart,  die  Wörter  im  Wörterbiiche  aufzusuchen.  Und  gleich- 
wohl wird  letzteres  nur  zu  oft  nöthig  sein.  Denn  liierin  besteht 
die  prosaische  Verseichtung  des  klaren  Dichterwortes,  welche  wir 
dem  Verf.  zur  Last  legen ;  Hr.  Franz  liat  die  Wörter  verwässert 
lind  aufgelöst,  anstatt  die  kiihne  Composition  nachzubilden,  durch 
welche  Aeschylus  bekauntermaassen  sich  auszeichnet  und  in  wel- 
cher eine  seiner  vorziiglichstt  n  Eigenthümlichkeiten  besteht.  Dass 
die  bildungsfähige  deutsche  Sprache  hierin  ein  Erkleckliches  leiste 
und  keineswegs  ein  so  widerstrebendes  Material  sei,  wie  unser 
üebersetzer  geglaubt  hat,  ist  eine  längst  erwiesene  Sache.  Ferner 
beruht  jene  prosaische  Verseichtung  in  der  Vernachlässigung  der 
Bilder,  welche  in  den  plastischen  Wörtern  der  herrlichen  helleni- 
schen Sprache  ausgesprochen  oder  angedeutet  sind;  eine  Vernach- 
lässigung, die  sich  Hr.  Franz  entweder  ganz  oder  theilweise  häu- 
fig hat  zu  Schulden  kommen  lassen,  anstatt  sich  zu  bemühen,  mit 
dem  Original  zu  wetteifern  und  die  Pracht  der  Sprache  nach  allen 
Seiten  aufzuschliessen,  damit  sie,  ol'.ne  der  Einfachheit  zu  scha- 
den, grüne  und  blühe.  Die  Beweise  dieser  Verseichtung,  welche 
auf  jeder  Seite  zu  finden  sind,  mögen  die  Leser  sich  selbst  auf- 
suchen. Sie  ist  ein  Fehler,  der  mit  Dürftigkeit  der  Sprache  und 
Mangel  an  Schmuck  zusammenhängt.  Doch  erstreckt  sich  letzte- 
res Gebrechen  noch  viel  weiter  bei  unserm  üebersetzer;  wenn 
wir  demselben  Schuld  geben,  dem  Aeschylus  zu  geringen  Schmuck 
verliehen  zu  haben,  so  meinen  wir  auch  solche  Versstellen  und 
Verse,  welche  im  Original  keinen  besonderen  augenfälligen  Schmuck 
und  Glanz  besitzen.  Und  dennoch,  fragt  Jemand,  hält  Ref.  es 
nicht  nur  für  angemessen,  sondern  auch  für  nothw endig,  dem 
Dichter  mit  Schmuck  und  Glanz  gleichsam  ein  freiwilliges  Ge- 
schenk zu  machen?  Allerdings;  denn  der  Dichter  selbst  giebt 
dazu  die  Veranlassung,  den  Wink  und  die  Nothwendigkeit  an  die 
Hand,  und  man  kann  nicht  einmal  sagen,  dass  er  dieses  stumm 
thut,  im  Gegentheil,  mit  beredtem  Mund  und  hellem  Ton,  so  dass 
ein  Jeder,  dem  Natur  ein  Ohr  zu  hören  verliehen  hat,  ihm  zu  ge- 
horchen suchen  wird.  Oftmals  redet  nämlich  Aeschylus,  wie  an- 
dere Dichter,  in  einfachen  und  schmucklosen  Worten,  diese  aber 
klingen  nicht  selten  so  reizend,  zierlich  und  nachdrucksvoll  in 
den  schönen  Lauten  des  Hellenen,  dass  wir  häufig  den  Ton  über 
Gebühr  herabstimmen  würden,  wenn  wir  die  einfachen  und  schmuck- 
losen Worte,  welche  die  Sprache  des  Teut  darbietet,  dafür  ge- 
brauchen wollten.  Denn  die  letztern  besitzen  nicht  immer,  wie 
es  die  Verschiedenheit  verschiedener  Sprachen  mit  sich  bringt, 
die  nämliche  Eleganz,  Gewähltheit  und  Fülle,  iira  die  Schönheit 


384  Griechische  Litteratur. 

des  Urbildes  aufzuwägen  und  nachziizaubern*).  Weitgefehlt  daher, 
dass  wir  ein  Versehen  machen,  wenn  wir  in  solchen  Fällen  zum 
poetisclien  Farbcnpinsel  greifen,  würde  es  im  Gegentheil  ein  Un- 
recht lind  ein  Fehler  gegen  den  Dichter  sein,  wenn  wir  demselben 
den  gebührenden  Schmuck  und  Glanz  aus  blindem  Geiz  versagen 
wollten.  Denn  Gewissenliaftigkeit  liesse  sich  eine  solche  Verwei- 
gerung nicht  benennen;  der  Dichter  hat  ein  Recht  zu  fordern,  dass 
wir  ihn  nicht  sinken  lassen,  dass  wir  den  Mangel  an  Schmuck  und 
Kraft,  welcher  bei  der  Einfachheit  der  Uebertragung  sich  heraus- 
stellen würde,  mit  vorsorgender  Hand  ausgleichen,  dass  wir  die 
schmucklose  Zierde,  welche  das  Original  umkleidet,  auf  andere 
Weise  ersetzen,  dass  wir,  kurz  gesagt,  den  Aeschylus  so  reden 
lassen,  wie  er  reden  würde,  wenn  er  deutsch  geschrieben  hätte. 
Dass  dieses  Werk  heilsamer  und  berechtigter  Vermittelung  ge- 
schickt ausgeführt  werden  müsse,  versteht  sich  von  selbst;  alles 
aber  kommt  dabei  auf  den  richtigen  poetischen  Takt  an,  welcher 
den  nachempfindenden  Uebersetzer  leiten  wird,  weder  zu  viel, 
noch  zu  wenig  aus  seinem  Farbenschatz  auszuspenden.  Ich  be- 
gnüge mich,  ein  einziges  Beispiel  auszuheben,  und  zwar  eines, 
das  zu  den  kühnsten  gehört,  woran  ich  im  Aeschylus  meine  poe- 
tische Kraft  geübt  habe,  und  wenn  ich  sage,  dass  ich  gerade  eines 
der  kühnsten  wähle,  will  ich  damit  andeuten  ,  dass  ich  das  Licht 
der  Kritik  und  das  Urtheil  der  Leser  nicht  scheue.  Auch  ge- 
schieht es  nicht  zu  meiner  Rechtfertigung,  sondern  um  derUeber- 
setzungskunst  der  Alten  richtige  Bahnen  anzuweisen.  Herr  Prof. 
Franz  verdolmetscht  uns  die  vier  Verse  des  Urbildes  (Vs.  515  bis 
518  des  ersten  Stückes)  also: 

,,Ja,  schön  vollbracht  ist's!    Freilich  in  so  langer  Zeit, 
Mag  einer  sagen,  fügt  sich  manches  ganz  nach  Wunsch, 
Doch  andres  auch  ungünstig.      Wer,  wenn  Götter  nicht, 
Erfreut  sich  harmlos  seiner  ganzen  Lebenszeit?'' 
Ref.  zweifelt  keinen  Augenblick,  dass  sich  die  einfachen  Verse 
des  Originals,  die  erhaben  und  volltönend  klingen,  auch  wenn  sie 
ganz  einfach  wiedergegeben  werden,  nicht  ungleich  besser  aus- 
drücken lassen ,  als  sie  im  Obigen  Hr.  Franz  nachgesungen  hat, 
der  hier  wieder  das  Füllhorn  seiner  Prosa  ausschüttet.    Aber  Ref. 
würde  trotzdem,  dass  mit  einfachen  Worten  etwas  Besseres  als 
jenes  bewerkstelligt  werden  könnte,  wie  er  es  denn  auch  seiner 
Zeit  versucht  hat,  nicht  davon  abzubringen  sein,  dass  es  das  Beste 
ist,  diese  Stelle  so  zu  verdeutschen: 


*)  Auch  anderweitig  zeigt  Hr.  Franz  eine  geringe  Sorgfalt  in  der 
Wahl  der  Wörter.  Er  sagt  z.  B.  liegen,  wo  ruhen  edler  war,  er- 
mitteln statt  entwirren ,  sein  statt  anderer  Wörter,  essen  statt 
trinken  und  vieles  Aehnliche. 


Franz :   Des  Aeschylos  Oresteia.  385 

Ja,  Heil  umglänzt  uns!    Im  Verlauf  von  langer  Frist 

Erscheinen  bald  uns  Tage,  die  erfreulich  sind, 

Bald  auch  gewölkumflorte !    Wem  indessen  fiel 

Ein  ewig  blauer  Himmel,  ausser  Göttern,  zu? 
Wenn  hier  Aeschylus  wirklich  spricht,  so  dürfen  wir  getrost  zu 
der  dritten  Erwartung  übergehen,  die  Hr.  Prof.  Franz  ebenfalls 
getäuscht  hat.  Sie  betrifft  die  geschickte  Vermittelung  des  grie- 
chischen und  deutschen  Idioms.  Ref.  darf  sich  hierüber  kurz 
fassen;  es  würde  ihm  weit  leichter  sein,  in  diesem  Stücke  nach- 
zuweisen, dass  Hr.  Franz  das  Griechische  nicht  gründlich  versteht, 
als  dass  es  Hrn.  Franz  gelingen  würde,  darzuthun,  dass  Ref.  das 
deutsche  Idiom  besser  kenne  als  das  griechische.  Denn  von  dem- 
jenigen, der  so  häufig  und  vielfältig,  wie  der  geehrte  Hr.  üeber- 
setzer,  gegen  das  Idiom  seiner  Muttersprache  gesündigt  hat,  wo- 
für die  Leser  dieser  Blätter  aus  obigen  wenigen  Beispielen  Belege 
in  Menge  aufsammeln  können,  liesse  sich  mit  guten  Gründen  be- 
haupten, dass  er  des  griechischen  Idiomes  nicht  Meister  sein 
könne.  Sonst  müsste  er  gewusst  und  vermocht  haben,  das  Idiom 
des  Originales  deutsch  zu  drehen  und  zu  wenden ,  was  Hr.  Franz 
nicht  gewusst  und  vermocht  hat.  Indessen  wollen  wir  nicht  so 
streng  sein  und  den  geehrten  Hrn.  Verdeutscher  nicht  seines  ge- 
rühmten Compasses  berauben.  Es  genügt,  ihn  darauf  aufmerk- 
sam gemacht  zu  haben,  dass  es  nicht  rathsam  sei.  Andere  aus 
Eigenliebe  oder  aus  Triebfedern  des  Eigennutzes  herabzusetzen. 
Was  die  Leiden  des  Urtextes  endlich  anbelangt,  so  hat  Ref.  sein 
Theil  davon  genossen;  ihn  verlangt  nicht  sehr  sich  weiter  damit 
zu  beschäftigen.  Sonst  aber  würde  er  mit  Leichtigkeit  zeigen 
können,  wie  diese  Leiden  eine  chronische  Krankheit  sind,  an  wel- 
cher Hr.  Franz  noch  lange  Zeit  zu  lieilen  haben  wird,  ehe  er  sich 
der  vollkommenen  Einsicht  in  das  Wesen  derselben  rühmen  kann. 
Was  aber,  ausser  den  bereits  beleuchteten  Dingen,  unend- 
lich dazu  beigetragen  hat,  diese  Uebersetzung,  welche  nur  ,, leid- 
lich^'* sein  sollte,  zur  unleidlichen  zu  machen  und  ihren  Stil  theils 
zur  Prosa  herabzudrücken ,  theils  zur  entschiedenen  Prosa  zu  ge- 
stalten, lässt  sich  am  Schlüsse  dieser  Anzeige  nicht  verschweigen. 
Es  ist  der  Mangel  an  gutem  Rhythmus,  der  sich  überall,  beson- 
ders aber  bei  dem  rhythmisch  gewaltigen  Aeschylus,  rächt.  Hr. 
Franz  ging  von  einer  blos  ,, erträglichen'''  Nachbildung  der  Form 
aus,  vielleicht  um  nur  ein  Etwas  zu  Stande  zu  bringen;  seine  Form 
ist  aber  schlechterdings  unerträglich  geworden  und  steht  hinter 
jener  alten ,  aber  w  cgebahnenden  Messung  W  ilhelm  von  Hum- 
boldts zurück.  Er  hat  sich  der  zahlreichen  Vortheile  nicht  be- 
dient, welche  die  Befolgung  der  strengen  und  reinen  Quantität, 
wie  sie  vom  Unterzeichneten  festgestellt  worden  ist,  wie  ein  frucht- 
barer Regen  mit  sich  führt,  weil  er  sich  ihrer  nicht  zu  bedienen 
wusste.  Die  Anmuth  der  Melodie,  welche  aus  der  wahren  ]\Ies- 
sung  entspringt,  wirkt  auf  die  Vereinfachung  des  Ausdrucks,  indem 

A".  Juhrü.  f.  I'hil.  u.  i'üd.    od.  Krit.  Bibl.  ßd,  L\[l\.  1/ft.  4.  25 


386  Griechische  Litteratnr. 

sie  die  Worte  gleichsam  stärkt  und  belebt,  auf  die  Feierlichkeit 
und  Eihöhung^  der  Töne,  indem  sie  den  oft  gehörten  Klang  i'ibcr 
die  Prosa  hinausträgt,  und  sogar  auf  die  Steigerung  der  Klarheit 
des  Gesagten,  indem  sie  die  Laute  durch  richtige  Stellung  und 
Anordnung  vernehmlicher  in  das  Ohr  geleitet.  Alle  diese  Folgen 
einer  mehr  als  erträglichen  Form  waren  dem  üebersetzer  so  we- 
nig bekannt,  dass  er  nicht  einmal  die  Würde  und  Erhabenheit  der 
sechsfiissigen  lamben,  welche  von  der  Prosa  wie  durch  ein  Welt- 
meer getrennt  sind,  leidlich  auszudrücken  vermochte.  Selbst  der 
äussere  Bau  der  Trimeter,  wovon  Hr.  Franz  sich  aus  dem  mehrere 
Jahre  vorher  erschienenen  Handbuch  des  Ref.  über  Prosodie  und 
Metrik  geniigende  Auskunft  verschaffen  konnte,  war  ihm  so  voll- 
ständig unbekannt,  dass  er  am  Schlüsse  seines  Vorwortes  sich 
entschuldigt,  wenn  er  ein  paar  Mal  gezwungen  gewesen  sei,  Ana- 
pästen statt  der  lamben  eintreten  zu  lassen ,  wofiir  er  denn  auch 
von  Gottfried  Hermann  belobt  wurde,  der  über  Dinge  dieser  Art 
kein  maassgebendes  Urtheil  hatte.  Die  deutsche  Sprache  befolgt 
eigene  Gesetze,  sie  soll  das  Antike  nachahmen,  aber  ohne  ihre 
Selbstständigkeit  aufzugeben,  sie  soll  das  griechische  Maass  nicht 
nachzirkeln,  sondern  nachzeichnen  aus  freier  Hand,  sie  soll  das 
Vorbild  gleichsam  neu  gebären. 

Es  mangelt  also  der  üebertragung  des  Hrn.  Prof.   Franz,  um 
die  Strahlen  unserer  Ausstellungen  gleichsam  in  einen  Brennpunkt 
zusammenzufassen,  an  Poesie,  an  Würde  des  Tones,  an  Kraft  und 
Fülle  des  Ausdrucks,  an  Takt  und  Melodie  des  Verses,  an  Deutsch- 
heit des  gesammten  Gepräges  und  an  Deutlichkeit.     Wenn  es  uns 
vergönnt  ist  dies  an  einer  zusammenhängenden  Stelle  zu  erhärten, 
ohne  jedoch  unsere  Kritik  in  die  einzelnen  Gebrechen  allzutief  zu 
versenken,  führe  ich  eine  Rede  der  Klytämnestra  auf,  welche  sie 
Dach  der  Ermordung  ihres  Gatten  an  den  Chor  richtet  (Vs.  1304 
u.  f.).     Hr.  Franz  lässt  sie  also  das  Herz  ausschütten: 
,,Nach  vielem  früher  zeitgemäss  Gesprochenem 
Das  Gegentheil  zu  sagen,  will  ich  nicht  mich  scheu'n. 
Wie  kann  man  Feinden  ,  die  sich  Freunde  nennen,  auch 
Feindsel'ges  bietend  hoch  genug  das  Jammernetz 
Aufspannen  zum  Verderben,  dass  kein  Sprung  befreit? 
Geboten  kam  der  Kampf  mir,  lang  vorher  geseh'n, 
"Vom  alten  Hader,  spät  zwar,  aber  endlich  doch. 
Da  wo  er  hinsank,  steh'  ich  nach  verübter  That. 
Ich  hab'  es  so  vollzogen,  und  verhehl'  es  nicht: 
Dass  er  dem  Tod  nicht  wehren  konnte ,  nicht  entfllehn, 
Schling'  ich  ein  weit  Gewebe ,  wie  ein  Fischeinetz, 
Abmessend  um  ihn,  reiches  Prunkgewand  des  Leids. 
Ich  schlag'  ihn  zweimal,  zweimal  stöhnt  er  auf  und  lässt 
Dann  sinken  seine  Glieder;  wie  er  niederliegt, 
Geb'  ich  den  dritten  Schlag  ihm ,  für  den  Retter  dort 
Im  Schattenreich,  den  Hades,  gut  zum  VVeihgoschenk, 


Franz:  Des  Aeschylos  Oresteia.  387 

Also  verröchelnd  haucht  er  dann  sein  Leben  aus, 
Und  trifft,  ergiessend  seines  Blutes  jähen  Strahl, 
Mit  einem  dunkeln  Tropfen  mich  vom  rothen  Thau, 
Die  minder  nicht  sich  freute,  als  am  Regenschau'r 
Des  Zeus  das  Saatfeld,  wenn  im  Knospenschooss  es  schwillt. 
Bei  solchem  Ausgang  dürftet  ihr,  ehrwürd'ge  Schaar, 
Euch  fren'n ,  wenn  Freud'  ihr  fühlet;   ich  frohlocke  laut. 
Und  war'  es  schicklich,  einem  Leichnam  Opferguss 
Zu  weih'n ,  gerecht  hier  war'  es,  überaus  gerecht. 
Er,  der  den  Kelch  so  vieler  fluchbelad'nen  Schuld 
Im  Haus  gefüllt  hat,  leert  ihn  selbst  zurückgekehrt.'* 
Wie  Ref.  an  der  Verständlichkeit  des  Einzelnen  zweifelt,  so  ver- 
niisst  er  jegliche  Eleganz  der  Sprache;  wir  haben  Verse  vor  uns, 
wie  sie  von  früheren  Uebersetzern  der  attischen  Poeten  in  Un- 
raasse  verfertigt  sind,  ohne  Tiefe  und  ohne  den  Ton  des  Originals, 
raehr  zusararaengestoppelt  als  frei  hingegossen  mit  dem  Sang  und 
Klang  der  rhythmischen  Wellen.     Was  auch  Hr.  Franz  behaupten 
mag,  Ref.  hat  ungleich  wörtlicher  übersetzt  und  deraungeachtet 
mit  grosser  Freiheit  sich  bewegt;  eine  Sache,  die  sich  zu  wider- 
sprechen scheint,  in  der  That  aber  auf  ausgleichender  Wechsel- 
wirkung beruht,  wie  ich  anderwärts  und  schon  in  den  Vorreden 
zu  meiner  üebersetzung  des  Sophokles  dargethan  habe,  wo  ich 
bemerkte,  dass  eine  wörtliche  Uebertragung  nicht  nur  häufig  den 
Sinn  verfehlt,  sondern  auch  nicht  selten  auf  der  Oberfläche  hin- 
schwebt, während  dass  der  Geist  des  Autors,  der  kostbaren  Mu- 
schel auf  der  Tiefe  vergleichbar,  aus  dem   Fangnetze  der  Worte 
entschlüpft  ist.     Umgekehrt  erobert  die  rechte  Freiheit  oft  die 
rechte  Wörtlichkeit.     Ich  gebe  statt  der  obigen  folgende  Rede  der 
wahntiunkenen  Klytämnestra: 

Mit  freiem  Antlitz  sag'  ich  keck  das  Gegentheil 

Von  jenem  frühern  zeitgeraässen  Redepomp. 

Durch  welches  Mittel  schlüge  sonst  der  Feind  den  Feind, 

Der  unter  Freundes  Namen  naht?    Wie  könnt'  er  ihm 

Ein  tödtend  Fangnetz  stellen  sonst,  ein  mächtiges, 

Unüberspringbar  hohes  Garn?    Ich  schaute  längst 

Den  Kampf  voraus,  der  lange  zögernd  endlich  kam, 

Aus  altem  Groll  erwachsen ;  sicher  steh'  ich  nun 

Am  Ziel:  das  Opfer  blutet.  Alles  ist  vollbracht. 

Ja ,  nimmer  läugn'  ich  ,  also  führt'  ich  aus  das  Werk, 

Dass  weder  Flucht  ihm,  weder  Gegenwehr  verblieb: 

Ich  schlang  ein  faltenweites,  fischnetzähnliches 

Geweb  um  ihn,  ein  Kleid  verderbenreicher  Pracht. 

Drauf  gab  ich  ihm  zwo  Schläge ;  zweimal  stöhnt'  er  laut, 

Und  brach  erschlafft  zusammen  ;  als  er  niederlag, 

Ward  ihm  von  mir  ein  dritter  Streich,  dem  Schattenhort, 

Dem  unterirdischen  Hades,  als  gelobter  Dank. 

So  haucht'  er  seines  Lebens  Athem  sinkend  aus; 

25* 


388  Griechische  Litteratiir. 

Dliitröchelncl  lag  er,  und  ich  ward  vom  jähen  Strahl 
Benetzt  mit  dunkeln  Stäubchen  purpurrothen  Thau's, 
Die  mich  so  hoch  erfreuten,  als  der  Süd  des  Zeus 
Das  junge  Saatfeld,  ^venn  es  voll  in  Knospen  schwillt. 
Ob  solchen  Siegs  nun  jauchzet,  wenn  ihr  jauchzen  wollt, 
O  greise  Schaar  von  Argos  5  ich  frohlocke  laut! 
Ja,  ziemten  auch  Dankopfer  für  der  Todten  Blut., 
Dann  wären  hier  gerecht  sie,  vollgerecht,  fürwahr! 
Den  flucbgemischton  Becher,  den  er  füllt'  im  Haus, 
Ihn  hat  er  kehrend  selber  ausjielcert  daheim. 
Betrachten   ^^\v  die  Franz'sche   Uebersetzun^  dieser  Stelle  ge- 
nauer^ so  finden  wir,  dass  sie  weder  poetisch,  noch  kräftig,  noch 
dem  deutschen  Idiom  entsprechend  gewendet  vor  uns  tritt.  Gleich 
in  den  ersten  beiden  Versen  musste  die  Periode  umgestellt  werden, 
um  das  griechische   Idiom  dem  deutschen  anzupassen;  denn  auf 
Franzens  Weise  fängt  der  Deutsche  nicht  zu  sprechen  an,  der  sich 
lebhaft  ausdrücken  will,  am  wenigsten  die  Klytämnestra,  welche 
die  Frauenscheu  abgelegt  hat.      Die  übrigen  zahlreiclicn  Fehler 
gegen  das  Idiom  liegen  in  der  Wortstellung,  worin  er  dem  grie- 
chischen Bauwerk,  Stein  gleichsam  an  Stein  anfügend,  mit  über- 
grosser Fingerfertigkeit   gefolgt  ist,   ohne  jedoch  dadurch   zum 
eigentlichen  Zwecke  der  Aehnlichkeit  zu  kommen  und  das  We- 
sentliche auszudrücken ,  wie  er  denn  gleich  in  der  dritten  Zeile 
das  rednerische  „Feind  dem  Feind",  welches  im  Urbilde  sich  vor- 
findet und  Ref.  nicht  verabsäumt  hat ,  anzubringen   verabsäumt. 
Gleichzeitig  sehen  wir  dadurch   ündeutlichkeit  entstanden;  wir 
sind  gleichsam  gezwungen  die  Worte  zusammenzusuchen,  um  zum 
Sinn  zu  gelangen;  es  mangelt  am  rechten  Fluss  und,  wenn  wir  so 
sagen  dürfen  ,  am  Verswurf.    Nicht  minder  gebricht  es  der  Franz'- 
schen  Rede  an  Kraft;  abgesehen  davon,  dass  der  üebersetzer  affir- 
mativ reden  musste,  wo  der  Grieche  negativ  sich  ausdrückt,  und 
umgekehrt  (wie  denn  z.  B.  das  „will  ich  nicht  mich  scheu'n^'  in 
der  zweiten  Zeile  keineswegs  dem  Griechischen  hinlänglich  ent- 
spricht, das  affirmativ  zu  übersetzen  war),  sind  seine  Verse  weder  mit 
rechter  Fülle,  sei  es  durch  Spondeen ,  sei  es  durch  klangreiche 
Wörter,  ausgerüstet ,  noch  überhaupt  gut  rhythmisch  geraessen, 
so  dass  man  in  ihnen  angenehme  und  bequeme  Ruhepunkte  fände. 
Ja,  sie  genügen  nicht  einmal  der  blos  metrischen  Messung.     Vor- 
züglich macht  sich   eine  gewisse  Zusammenflickung  der  Wörter 
auch  im  Franz'schen  Rhythmus  geltend;  wie  störend  wirkt  z.  B. 
das  Schlussauch  der  dritten  Zeile,  und  weiter  unten  das  ,,mich'''', 
welches  tonlos  von   den  Worten:  ,5 Die   minder  nicht  sich 
freute"  getrennt  steht. 

Doch  wollen  wir  nicht  die  philologische  Genauigkeit  weiter 
verfolgen.  Dass  aber  aus  ungeschicktem  deutschen  Redegefüge, 
aus  rhythmischen  und  metrischen  Sclinitzern ,  aus  matter  und 
klangloser  Seichtigkeit  des  Verses,  zumal  des  antiken  äschyleischen, 


Franz :  Des  AeschyJos  Oresteia.  389 

welcher  gleicLsani  unter  Trompetenklängen  einherschreitet,  und 
aus  allerhand  dergleichen  Geringfügigkeiten  Gefühl,  Wärme  und 
Begeisterung  der  Darstellung  in  Verlust  gerathen,  leuchtet  dera 
Kenner  wie  Nichtkenner  ein.  Diese  Dinge  verwimmern  wie  unter 
einer  Schneedecke,  aus  welcher  sie  sich  nicht  hervorarbeiten  kön- 
nen. Der  Mangel  an  Poesie  steigert  sich  ausserdem  durch  un- 
zweckmässige Auswahl  der  Wörter.  W  as  griechisch  schon  ist,  ist 
desswegen  noch  nicht,  wie  oben  bemerkt,  auch  im  Deutschen 
schön.  Welchen  Klang  bietet  uns  gleich  die  erste  Zeile:  „Nach 
vielem  früher  zeitgemäss  Gesprochenem",  was  im  Deutschen  als 
eine  sehr  unzeitgemässe  Sprecherei  sich  herausstellt!  Klytäm- 
nestra  ferner  wird  nicht  sagen,  dass  sie  „nach  verübter  That^'^ 
dastehe,  was  ihrem  Charakter  widerspräche;  sie  wird  von  voll- 
brachter That  reden.  Auch  hat  sie  keine  Zeit,  das  fischernetz- 
ähnliche  Prachtgewand  dem  Gatten,  den  sie  hinterlistig  hinein- 
verwickeln will,  mit  der  Elle  „abzumessen";  sie  wird  es  blos 
eilfertig  um  ihn  herumwerfen.  Agamemnon  seinerseits  lässt 
„seine  Glieder  sinken'*,  was  etwa  uns  Deutsche  an  einen 
Elephanten  erinnern  würde;  ein  Dichter  drückt  sich  auf  solclie 
Weise  nicht  aus,  er  wird  die  Glieder  selbst  nur  alsdann  erwäh- 
nen, wenn  es  ihm  erlaubt  ist,  von  lieldengliedern  zu  reden,  was 
hier  nicht  thunlicli  war:  der  Grieche  meinte  dasjenige,  was  wir 
unter  schlaffem  Zusammenbrechen  verstehen.  Endlich 
langte  keineswegs  „ein  dunkler  Tropfe n'^  aus ,  von  welchem 
die  Mörderin,  nach  Franzens  Angabe,  getroffen  wird;  es  gehörte 
dazu  eine  grössere  Summe,  wie  schon  die  gleich  darauf  folgende 
Vergleichung  mit  dem  Südregen  des  Zeus  mit  ziemlicher  Derb- 
heit, nicht  blos  für  den  Eingeweihten,  andeutet,  üeberhaupt 
kann  der  Uebersetzer  selir  viel  aus  gehöriger  Berücksichtigung 
der  Sache  lernen,  und  nicht  blos  der  uebersetzer,  sondern  auch 
der  Philolog.  Ref.  hegt  die  feste  üeberzeugung,  dass  er  durch 
seine  Verdeutschungsmethode,  wenn  er  auch  bisweilen  einer  Er- 
klärung den  Vorzug  gab,  die  nicht  haltbar  ist,  öfter  dennoch  im 
Aeschylus,  Sophokles  und  in  den  bisher  gedruckten  pindarischen 
Gesängen  die  richtige,  wo  nicht  einzig  richtige  Deutung  auch  für 
die  kritischen  Philologen ,  welche  den  Urtext  sichten  und  ver- 
bessern, angebahnt  hat. 

W^ir  wollen  hierbei  stehen  bleiben.  Wir  würden  nicht  fertig 
mit  der  Aufzählung  der  hundert  Einzelheiten,  deren  Misshellig- 
keit und  unharmonischer  Zusammenklang  in  diesen  wenigen  Versen 
unser  poetisches  Gewissen  und  an  Hellas'  Wohllaut  gewöhntes 
Ohr  beleidigt.  Ich  hoffe  meinerseits ,  dass  es  mir  gelungen  sein 
werde,  durch  meine  üebertragung  auch  denjenigen,  welche  nicht 
griecliisch  können,  einen  wahren  Begriff  vom  Aeschylus  zu  geben 
und  diesen  grossen  Dichter  in  das  deutsche  Publicum  würdig  ein- 
zuführen. Denn  auf  dieses  Ziel  und  kein  anderes  war  mein  Au- 
genmerk gerichtet,  rauss  das  Äugenmerk  eines  jeden  Uebersetzers 


390  Lateinische  Litteratur. 

gerichtet  sein ,  der  einerseits  seine  Zeit  nicht  unnütz  vergeuden 
will,  andererseits  die  üebersetzungskunst  niclit  für  eine  sehr 
untergeordnete  Sache,  mit  welcher  man  nach  Belieben  umspringen 
könne,  ansieht.  Freilich  behauptete  noch  kürzlich  ein  gelehrter 
Freund,  Philolog  von  Profession,  dass  dieses  Ringen  nach  volks- 
thümlicher  Einführung  vergeblich  sei,  weil  heutzutag  Niemand 
eine  antike  Verdeutschung  lese,  wenigstens  sei  ihm  für  seine  Per- 
son Niemand  bekannt,  der  sich  dafür  interessire,  und  er  könne 
sich  kein  Publicum  denken,  das  einen  Alten  aufschlage,  um  ihn 
deutsch  zu  geniessen.  Ref.  beabsichtigt  in  einer  der  nächsten 
Anzeigen  für  diese  Blätter  auf  diese  Meinung  zurückzukommen, 
die  in  so  fern  wohl  begründet  ist,  als  weder  Singen  noch  Sagen 
helfen  würde,  einen  oberflächlichen  Geist  für  antike  Litteratur 
einzunehmen. 

Johannes  Minckwit^* 


M.  Tiillii  Ciceronis  Cato  Maj.  sive  de  senectute  dialogiis,  sprachlich  und 
sachlich  erläutert  von  Dr.  G.  Tischcr ,  Gymnasiallehrer  zu  Branden- 
burg.   Halle,  Waisenhaus.    1847.      184  S. 

Die  vorliegende  Ausgabe  schliesst  sich  den  jetzt  hänfiger  wer- 
denden Versuchen  an,  durch  Popularisirung  des  gewonnenen  ge- 
lehrten Materials  dem  Schüler  das  Verständniss  des  Einzelnen, 
wie  des  ganzen  inneren  Zusammenhanges  einer  Schrift  zu  erleich- 
tern Es  ist  also  hauptsächlich  der  pädagogische  Gesichtspunkt, 
von  wo  aus  sie  beurtheilt  werden  will.  Solche  Ausgaben  sind  von 
Werth  ,  wenn  die  Verfasser,  gleich  weit  entfernt,  einerseits  dem 
Schüler  eine  sog.  Eselsbrücke  zu  bauen  und  andererseits  ihre 
Eitelkeit  durch  Hervorkehrung  ihrer  Gelehrsamkeit  zu  befriedigen, 
es  verstehn,  sowohl  den  Standpunkt  der  Classe  von  Schülern,  für 
die  sie  arbeiten,  festzuhalten,  als  auch  eine  kräftige  Anregung  zum 
Selbstdenken  und  zur  Selbstthätigkeit  zu  geben.  Dass  dies  bei 
der  vorliegenden  Arbeit  der  Fall  ist,  rauss  rühmlich  anerkannt 
werden.  Sie  soll  dem  Schüler  ,,den  Stoff  zu  einer  gründlichen 
und  umfassenden  Vorbereitung  auf  die  Leetüre  in  der  Classe  dar- 
bieten und  zugleich  als  Führer  bei  Privatstudien  dienen'%  und 
hierzu  ist  sie  wohl  geeignet.  Wenn  freilich  der  Verf.  dabei  zu- 
nächst solche  Gymnasiasten  im  Auge  gehabt  hat,  die  die  Leclüre 
von  Cicero's  philosophischen  Schriften  mit  dem  Cato  eben  erst 
beginnen ,  so  müssen  wir  allerdings  gestehen,  dass  die  ürtheils- 
fähigkeit  und  die  Kenntnisse  der  jungen  Leser  wohl  etwas  hoch 
angeschlagen  sind;  denn  die  wenigsten  Fragen,  die  in  den  Noten 
dem  Nachdenken  der  Schüler  vorgelegt  sind  ,  möchte  ein  ange- 
hender Secuudaner    zu   beantworten   oder  eine   Hinweisung  auf 


Tischer:  CIc.  Cato  Maior.  391 

Suiil.  ex  sciiol.  ad  Aristopli.  Vesp.  (s.  zu  VII.  23)  zu  benutzen 
im  Stande  sein.  Wohl  aber  kann  die  Durcharbeitung  des  Com- 
mentars  einem  reiferen  Gymnasiasten  reichen  Stoff  ziir  Schärfung 
des  Urtheils  und  zum  Verständniss  der  ciceronianischen  Stilistik 
darbieten.  Einzehies  möchten  wir  indess  auch  für  diesen  Zweck 
des  Buches  noch  anders  eingerichtet  wVuischen. 

Betrachten  wir  nämlich,  wie  die  Mehrzahl  der  Schüler  sich 
namentlich  auf  die  Leetüre  des  Cicero  vorbereitet,  so  gesteht  sich 
auch  wohl  ein  guter  Lehrer,  dass  es  bei  der  geringen  sprach- 
lichen Schwierigkeit  nicht  leicht  ist,  die  Schüler  zu  einem  sorg- 
fältigem Eingehen  in  den  Gedankenzusammenhang,  in  die  stili- 
stischen Feinheiten  und  sachlichen  Bemerkungen  zu  nöthigen. 
Dies  aber  zu  erreichen  und  zugleich  dem  Lehrer  ein  Mittel  an  die 
Hand  zu  geben,  die  Gewissenhaftigkeit  einer  solchen  Vorberei- 
tung zu  controliren,  rauss  das  Hauptbestreben  einer  für  die  Schule 
bestimmten  Ausgabe  sein.  Zu  diesem  Zweck  wäre  es  wohl  dien- 
lich gewesen,  wenn  der  Verf.  die  historischen  und  biographischen 
Notizen  (die  ohnehin  zum  Gebrauch  für  die  jedesmalige  einzelne 
Stelle  zu  weit  ausgeführt  sind,  z.  B.  VL  20  über  Naev ins,  und 
öftere  gegenseitige  Hin  Weisungen  nöthig  machen)  sämmilich  in 
einem  Index  am  Schlüsse  zusammengestellt  und  öfter  durch  kurze 
Fragen  zum  Nachlesen  derselben  gezwungen  hätte.  Der  Verf. 
liat  Letzteres  oft  gethan  ,  allein  bei  einer  solchen  Einrichtung  wäre 
es  öfter  geschehen.  Auch  hat  der  Verf.  es  zuweilen  versäumt, 
wo  er  es  leicht  konnte,  z.  B.  I.  2  genügte  statt  der  Bemerkung  des 
Alters  des  Cicero  und  Atticus  mit  Hinweis  auf  die  Einleitung  die 
Frage:  wie  alt  waren  beide  damals*?  (Einiges  Nähere  über  Atticus, 
an  den  die  Schrift  doch  gerichtet  ist,  hätte  die  Einleitung,  die 
sich  über  Zeit,  Veranlassung,  Form  der  Schrift  und  die  Personen 
und  Zeit  des  Dialogs  verbreitet,  auch  bieten  können)  Ebenso 
hätte  sich  der  Schüler  in  IV.  10  manche  Jahreszahl,  z.B.  die 
für  des  Fabius  Consulat,  mit  Hülfe  der  Einleitung  selbst  heraus- 
rechnen können.  2)  Ferner  hätte  der  Verf.  nicht,  wie  z.  B.  1.3 
bei  facere  c.  Part,  bei  Verweisung  auf  Zumpt's  Grammatik,  die  be- 
treffende Regel  selbst  angeben  sollen;  der  Lehrer  verliert  dadurch 
die  Möglichkeit  zu  sehen,  ob  der  Schüler  die  Regel  bei  der  Vor- 
bereitung wirklich  nachgelesen.  So  hätten  wir  z.  B.  die  Anmer- 
kung VI.  20  a  senibus  kürzer  und  anregender  so  gestellt:  was 
fehlt *?  Zumpt§.  781.  Suche  ähnliche  Fälle  in  X.  33.  XI.  36. 
XIV.  46,  und  dadurch  den  Schüler  zum  Nachlesen  der  Grammatik 
und  schriftlicher  Aufzeichnung  der  betreffenden  Stellen  gezwun- 
gen. 3)  Zuweilen  übersetzt  der  Commentar  Stellen  vor,  die  keine 
Schwierigkeit  bieten,  wie  Xll.  41,  oder  er  giebt  sachliche  Erklä- 
rungen, die  der  Schüler  selbst  finden  soll,  wieVI.20nominantur  se- 
nes,  wo  er  durch  eine  Frage  leicht  veranlasst  werden  konnte,  sein 
Lehrbuch  der  alten  Geschichte  über  die  spartanische  Gerusia 
nachzuschlagen. 


392  Lateinische  Litteratur. 

Ebenso  hat  der  Verf.  durch  genaue  Angabe  des  Inhaltes  und 
Gedankengangs  bei  jedem  Capitel  den  Lehrer  einer  sehr  nützlichen 
Aufgabe  für  den  Zweck  der  Repelition  beraubt;  besser  wären 
diese  Bemerkungen  weggelassen  und  die  Disposition  etwa  nur 
durch  den  Druck,  z.  B.  im  Anfang  von  VL  IX.  XII.  XIX.,  hervor- 
gehoben ,  oder  ganz  kurze  Andeutungen  des  Inhaltes  in  den  Text 
eingeschoben. 

Endlich  wäre  es  gewiss  Vielen  eine  angenehme  Zugabe  ge- 
wesen, wenn  am  Schlüsse  (nach  Art  von  Seyffert's  gricch.  Lese- 
buch) einige  auf  den  Inbalt  der  Schrift  bezügliche  Fragen  den 
Schüler  veranlassten,  das  Gelesene  sich  gelegentlich  zu  vergegen- 
wärtigen und  noch  einmal  zu  durchdenken. 

Wenn  wir  aber  auch  Einzelnes  in  der  Ausgabe  kürzer  und 
dabei  für  den  Schüler  anregender  wünschten,  so  können  wir  doch 
nicht  unterlassen,  dem  Verf.  für  den  Fleiss  der  Arbeit  und  für  die 
zweckmässige  und  pädagogische  Behandlung,  namentlich  auch  des 
kritischen  Materials  (bis  auf  10  Stellen  ist  der  Madvig'sche  Text 
benutzt)  unsern  Beifall  zu  schenken,  so  wie  wir  auch  nur  in  we- 
nigen Beziehungen  mit  ihm  nicht  übereinstimmen.  Vielleicht 
kann  der  Verf.  in  einer  etwaigen  zweiten  Auflage  davon  etwas  be- 
nutzen ,  und  wir  lassen  es  daher  hier  nebst  einigen  anderen  Zu- 
sätzen folgen. 

I.  3  in  suis  libris]  fehlt  der  Hinweis  auf  c.  XV. 

in.  7  sine  quibus  nuliam  putarent]  für  den  Gebrauch  des  Con- 
junctiv  (=  sine  quibus  nulla  esset)  war  der  Schüler  auf  Zumpt 
§.  551  zu  verweisen. 

ibid.  senectutem  sine  quereia]  Diese  Verknüpfung  ohne  Par- 
ticip  wird  nach  Cicero's  Zeit  zahlreicher.  Ilaase  zu  Reisig 
Sprachw.  512. 

III.  8  verwirft  der  Verf.  mit  Madvig:  nobilis.  Sollten  nicht 
vielmehr  dem  griech.  Text  (Plat.  Rep.)  entsprechender  die  letzten 
Worte  zu  verwerfen  sein,  so  dass  die  Stelle  lautete:  nee  hercule, 
inquit,  si  ego  Seriphiiis,  cssem  nobilis:  nee  tu,  si  Atheniensis. 
Dann  entspräche  nobilis  dem  ovo^aötog  und  stände  an  derselben 
Stelle,  wie  dies  bei  Plato;  das  schleppende  und  neben  esses  un- 
passende unqiiam  fuisses  fiele  weg,  und  vor  Allem  der  Witz  er- 
hielte seine  griechische  Kürze  wieder. 

ibid.  nee  enim  etc  ]  Die  spitzfindige  Bemerkung  Nauck's  über 
den  ungeraden  Gegensatz  von  summa  inopia  und  summa  copia 
möchte  ein  Schüler  schwerlich  begreifen ,  da  Alles  so  klar  ist. 

ib  9  arma  senectutis]  Nachher  folgt  cultae  und  efferunt 
fructus;  von  kriegerischen  Thaten  der  Jugend  ist  gerade  nicht 
vorher  die  Rede;  der  Zusammenhang  verlangt  eher:  Gebiet;  arva? 

IV.  10  senem  adolescens]  Orelli's  Wortstellung:  adolescens 
ita  dilexi  senem  ist  wegen  des  nothwendigen  Gegensatzes  der  Be- 
griffe vorzuziehen.  Zumpt  §.  798  spricht  nur  von  der  Zusam- 
menstellung gleichlautender  Worte. 


Tischer:  Cic.  Cato  Maior.  393 

VII.  21  qiii  Aristides  esset]  steht  statt  Aristidem  wegen  der 
Häufung  der  Accusative ,  nicht  nach  Zumpt  §.  714. 

\I1I.  26  qiias  —  sie  —  arripui,  ut  —  nota  essent]  fehlt  für 
den  Schüler  der  Hinweis  auf  Zumpt  §.  514. 

IX.  28  quam  si  ipse  exsequi  nequeas,  possis  tarnen  Scipioni 
praecipere  et  Laelio]  Zur  Begründung  der  Lesart  kann  auf  den 
rednerischen  Charakter  des  Laelius  hingewiesen  werden.  Quam 
ist  gleichraässig  Object  zu  exsequi  und  praecipere  und  auf  die 
compta  et  mitis  oratio  zu  bezielien,  die  Cato  zwar  nicht  selbst  aus- 
zuüben, aber  doch  einem  Scipio  und  Laelius  lehren  zu  können 
meint.  Nun  ist  aber  gerade  die  raitis  sapientia  Laeli  (Hör.  serm. 
II.  1,  72),  seine  multa  hilaritas  (de  ofF.  I.  30),  die  lenitas  seiner 
Rede  (de  or.  Ili.  7)  bekannt,  und  Cicero  hätte  dem  Cato  also  einen 
recht  gelehrigen  Schüler  gegeben.  Diese  artige  Hindeutung  fiele 
weg,  wenn  man  aliis  für  Scipioni  et  Laelio  läse,  oder  quam  auf 
audientiam  bezöge,  oder  quod  statt  quam  aufnähme  und  mit  Jacobs 
übersetzte:  wenn  du  auch  dieses  nicht  mehr  leisten  kannst,  so 
kannst  du  doch  einem  Scipio  und  Lällus  Lehren  geben. 

X.31  at  ut  Nestoris]  Zumpt  §.  394  Druckf.  st.  349.  —  ib.  35 
alterum  illud  cxstitisset  lumen  civitatis]  Ille  ist  nothwendig.  Je- 
ner (der  kränkliche  Vater)  wäre  eine  zweite  Leuchte  des  Staats 
geworden  (wenn  es  mit  seiner  Gesundheit  besser  bestellt  gewesen 
wäre).  Wenn  Cato  sagte:  —  alterum  illud  —  1.  c,  so  müsste 
doch  eben  jene  zweite  Leuchte  vorhanden  sein,  die  Scipio  nicht 
geworden  ist. 

XIII,  44  caret  epulis]  Der  Verf.  lässt  mit  Klotz  at  weg,  be- 
streitet aber  dessen  innere  Gründe.  Letzteres  mit  Unrecht.  Denn 
wenn  eben  bewiesen  ist,  dass  das  Alter  keine  leiblichen  Genüsse 
Terlangt,  kann  Niemand  einwenden,  dass  es  aber  doch  der  Schmau- 
sereien und  Trinkgelage  entbehre.  Vielmehr  liegt  in  dem  Satze 
eine  einfache  Fortführung  des  Gedankens,  dass  das  Alter  die  Ge- 
nüsse nicht  begehre  (denn  es  entbehrt  freilich  der  Gastereien, 
aber  es  entbehrt  auch  ihrer  Folgen). 

ib.  49  liest  der  Verf.  mit  Madvig:  videbamus  in  studio  dime- 
tiendi  paene  coeli  atque  terrae  C.  Gallum  statt  mori  paene  \id.  in 
stud.  dim.  coeli  etc.  und  übersetzt:  wir  sahen  den  G.  in  seinem 
Eifer  Himmel  und  Erde,  ich  möchte  sagen,  auszumessen.  Allein 
1)  verlangt  videre  aliquem  in  studio  ein  Particip ,  wie  etwa  occu- 
patum,  2)  ist  paene  bei  dimetiendi  coeli  unpassend;  denn  wenn 
auch  noch  Niemand  den  ganzen  Himmel  wirklich  ausgemessen 
hat,  so  giebt  es  doch  immer  ein  Studium  dimetiendi  coeli  atque 
terrae,  d.  h.  Astronomie,  aber  kein  Studium  dim.  paene  coeli;  denn 
das  wäre  ein  Studium  des  ias^t  Messens  des  Himmels.  Den  Be- 
griff des  „ganzen""^  legt  der  Verf.  erst  in  die  Worte  hinein ,  auch 
in  dimetiendi  liegt  er  nicht.  3)  Würde  kein  Abschreiber  mori  hin- 
zugesetzt haben,  wie  auch  Klotz  bemerkt.  Wenn  der  Verf.  ferner 
gegen  mori  bemerkt,  dass  „in  diesem  Zusammenhange  nicht  von 


394  Latein.  Sprache. 

der  zeitlichen  Auideliiiung  des  Studiums,  sondern  von  dem  Grad 
des  Reizes,  welchen  sie  auch  im  Alter  ausüben,  die  Rede  ist'S  ^o 
liegt  doch  wohl  ein  hoher  Grad  des  Reizes  darin,  wenn  man  selbst 
das  Nahen  des  Todes  über  den  Studien  nicht  fühlt. 

XV.  54  Hesiodus]  Hier  war  nicht  mehr  auf  die  lleinsius'- 
sche  Hypothese  einer  verlorenen  Schrift  des  Hesiod,  sondern  auf 
die  Geschichte  des  Textes  der  f.Qya  k.  ijft.  zu  verweisen,  s.  Bern- 
hardy  Griech.  Litt.  11.  p.  179. 

XV HI.  63  ist  mit  Klotz  nach  consurrexisse  oranes  hinzuge- 
setzt ilii  dicuntur.  Mit  Recht,  doch  ist  illi  wohl  nicht  mit  Klotz 
als  JNominativ  mit  omnes  zu  verbinden,  sondern  ist  Dativ.  Um  so 
leichter  kann  dann  gleich  darauf  illum  bei  senem  wegfallen. 

XIX.  71  poma  —  vix  evelluntur]  vix  ist  wohl  vom  Äbreissen 
unreifen  Obstes  zu  stark,  vi  dagegen,  obgleich  schon  im  Verbum 
liegend,  wird  durch  die  Vergleichung  gerechtfertigt. 

XXIII.  8.5  cujus  defectionem  fugere  debemus]  Hier  war  auf 
die  ganz  ähnliche  Stelle  in  XVIII.  64  zu  verweisen,  auf  die  Cato 
wahrscheinlich  selbst  Bezug  nimmt;  hier  wie  dort  ist  die  senectus 
mit  peractio  vitae  verglichen,  und  die  defectio  ist  hier  gewiss 
dem  corruisse  in  extremo  actu  in  XVIII.  entsprechend.  Zugleich 
liegt  hierin  ein  neuer  Rechtfertigungsgrund  für  die  Lesart  defectio. 

Burg.  Haacke. 


Lateinische  Schulgrammatik  für  die  unteren  Gymnasialcla.«sen  von 
Dr.  Hermann  Middendorf  und  Dr.  Friedrich  Grüter.  Coesfeld  18:i9. 
Wittneven.  Mit  dem  NebeiUitel:  Lateinische  Schul grammatik  für 
sämmtliche  Gymnasialclassen  etc.    1.  Theil.      XIV  und  448  S. 

Bei  Beurtheilung  einer  Schulgramraatik  hat  man  nicht  allein 
auf  die  Richtigkeit  der  aufgestellten  Regeln  und  der  gegebenen 
Uebungsbeispiele,  sondern  auch  auf  die  Anordnung  des  Materials, 
die  Art  der  Mittheilung  und  die  Oekonomie  in  derselben  zu  sehen. 
Wir  werden  nach  diesen  Rücksichten  das  vorliegende  Buch  durch- 
gehen, ohne  sie  jedoch  vollständig  gesondert  zuhalten,  und  unser 
Urtheil  unparteiisch  abgeben.  Was  die  Laut-  und  Wortbildungs- 
lehre angeht,  so  ist  nicht  zu  übersehen,  dass  die  in  Rede  stehende 
Schrift  der  crsteThell  der  Schul^rrammatik  für  alle  G  vmnasia  I- 
c  lassen  sein  soll.  Es  ist  freilich  nicht  allein  von  Seitender 
Behörden ,  sondern  auch  von  einsichtigen  Schulmännern  in  Erinne- 
rung gebracht,  wie  grossen  Nutzen  es  stifte,  wenn  die  Schüler 
das  ganze  Gymnasium  hindurch  nach  einer  Grammatik  unter- 
richtet würden.  Die  verschiedene  Stellung,  Fassung  und 
Motivirung  der  Regeln  verwirrt  die  Schüler  sehr  leicht,  wenn 
sie  auf  den  verschiedenen  Bildungsstufen  verschiedene  Handbücher 


Middendorf  a.  Grüter:  Latein.  Schulgrammatik.  395 

gebrauchen.  Obendrein  wird  oft  in  dem  einen  Buche  etwas  als 
zulässig  oder  so  und  so  begründet  bezeichnet,  was  man  in  einem 
andern  verworfen  findet.  So  hält  es  also  sehr  schwer,  dass  der 
Scliüler  in  einer  Grammatik  heimisch  werde,  und  das  ist  doch  ohne 
Widerrede  erforderlich.  Da  es  jedoch  zugleich  für  die  unteren 
Classen  von  der  grössten  Bedeutung  ist,  wenn  ein  Vocabularium 
und  ein  üebungsbuch  nicht  allein  in  demselben  Geiste  als  die 
Grammatik  bearbeitet,  sondern  auch  wirklich  mit  der  letztern  zu- 
sammengebunden ist,  weil  das  Nachschlagen  und  Vergleichen, 
sowie  das  Einüben  der  grammatischen  Formen  durch  die  leicht 
zngänghchen  und  das  Interesse  belebenden  Sätze  in  solcher  Weise 
sehr  erleichtert  wird;  da  es  ferner  sehr  wichtig  ist,  dass  die  Re- 
geln mit  Ausschluss  alles  ü^lnöthigen  so  gefasst  sind, 
dass  die  Schüler  der  unteren  Bildungsstufe  sie  wörtlich  auswendig 
lernen  können:  so  dürften  unsere  Verfasser  leicht  das  Richtige  ge- 
troffen haben,  welche  denjenigen  Theil,  welcher  auch  für  die 
untere  Stufe  leicht  verständlich  ist,  nämlich  die  Wortbildungslehre, 
ganz  in  den  ersten  Band  verlegen  und  demnach  den  unteren  Clas- 
sen zuweisen,  die  Satzlehre  aber  im  ersten  Theile  auf  eine  der 
jugendlichen  Fassungskraft  sehr  entsprechende  Weise  behandeln, 
dann  aber  im  zweiten  Theile  eine  ausführlichere  Syntax  mit  vielen 
classischen  Belegstellen,  doch  laut  der  Vorrede  im  engsten 
Anschlüsse  an  die  Fassung,  Anordnung  und  Begründung  des  ersten 
Theiles,  folgen  lassen.  Die  Wortbildungslehre,  im  Verlaufe  oft 
angeregt ,  soll  nach  der  Vorrede  XIII  im  2.  Semester  der  Quarta 
übersichtlich  dargestellt  werden,  was  wir  um  so  mehr  billigen,  als 
zu  der  Zeit  die  deutsche  Worthildungslehre  bereits  hinlänglich 
eingeübt  ist.  Unsere  Grammatik  giebt  nun  von  S.  1 — 9  die  so- 
g^enannte  Elementarlehre,  in  der  über  die  Verschiedenheit  der 
Buchstabenarten,  über  Abtheilung,  Quantität  und  Betonung  der 
Silben  im  Allgemeinen,  über  Veränderung  und  Ausstossung  der 
Buchstaben,  demnach  auch  über  Assimilation  etc.  die  Rede  ist, 
Gesetze,  die  natürlich  erst  bei  der  Wortbildung  und  Abänderung 
der  Wörter  an  den  geeigneten  Stellen  und  zur  geeigneten  Zeit 
zur  Sprache  kommen  sollen.  Es  ist  unabwendbar,  dass  dabei  der 
Geschicklichkeit  des  Lehrers  3Ianches  überlassen  bleiben  muss, 
um  so  mehr,  da  wir  bei  praktisch-tüchtigen  Lehrern,  und  andere 
sollten  wir  nie  haben,  den  prädestinirten  Formalismus  durchaus 
hassen.  Von  S.  10 — 232  folgt  die  Formenlehre,  welche  eine 
reiche  Wörtersammlung  in  sich  schliesst.  S,  233  beginnt  die 
W^ortbildungslehre,  bis  S.  259  reichend.  Da  hebt  die  Satzlehre 
an  und  geht  bis  S.  364,  mit  zahlreichen  ins  Deutsche  wörtlich 
übersetzten  Belegen  und  mit  noch  viel  mehr  üebungssätzen  zur 
üebersetzung  ins  Latein  versehen.  Von  S.  365 — 383  sind  deutsche 
Uebungsstücke  und  von  S.  384 — 408  lateinische;  ein  deutsch-la- 
teinisches und  ein  lateinisch -deutsches  Wörterbuch  schliesst  das 
Ganze  (409—448).     Da  diese  Wörterbücher  mit  durchgängiger 


396  Latein,  Sprache. 

Verweisung  auf  die  Wort-  und  Forrabildung  versehen  sind  und  so 
den  Schüler,  falls  er  Auskunft  haben  will,  zum  Nachlesen  unl 
Vergleichen  nöthigen,  so  nehmen  sie  den  saumseligem  Schillern 
nicht  allein  die  Gelegenheit,  aus  den  unter  dem  Texte  stehenden 
Noten  rasch  eine  Antwort  zu  erhaschen,  sondern  veranlassen  ihn 
auch,  neben  der  so  nöthigen  Erwerbung  eines  Vorraths  von  latei- 
nischen Wörtern  und  Worten  sich  beständig  die  Bildungsgesetze 
der  Sprache  wieder  vorzuführen.  Die  Satzlehre  giebt  zuerst  Vor- 
übungen (Verbindungen  von  Substantiven  mit  einem  Attribut: 
Substantiven  der  verschiedenen  Declinationen,  Adjectiven  in  den 
verschiedenen  Graden,  Zahlwörtern ,  Fürwörtern),  dann  die  auf 
wenige  Linien  beschränkten  Regeln  über  den  einfachen  Satz  und 
seine  dreifache  Form  ;  sofort  folgen  latein.  und  deutsche  Beispiele, 
in  denen  das  Prädicat  ein  Nomen  mit  der  Copula  ist  (nackte  Sätze, 
Bestimmung  des  Substantivs  durch  ein  attributives  Adjectiv,  einen 
attributiven  Genitiv,  durch  beides;  Wahl  der  vorkommenden  Sub- 
stantiva,  nach  den  verschiedenen  Declinationen  wechselnd)  und 
dann  Sätze,  in  denen  das  Prädicat  als  selbstständiges  Verbum  auf- 
tritt mit  näherer  Bestimmung  durch  einen  Dativ,  einen  Accusativ 
und  Ablativ,  passive  Sätze  aus  activen  (Pronomen  als  Subject  und 
Verwandlung  ins  Passiv,  Accusativ  der  Zeit,  Ablativ  der  Zeit  und 
abl.  instrumenti,  ein  Adverb,  eine  Präposition  mit  ihrem  Casus, 
eine  Apposition),  Sätze,  in  denen  ein  Infinitiv  Subject  oder  Object 
ist  (accus,  c.  infin.,  Verwendung  der  Pronomina  bei  dem- 
selben). Die  hierher  gehörigen  Regeln  sind  überall  fasslich 
und  kurz  vorausgeschickt.  Das  73.  Capitel  hat  die  Ueberschrift: 
Tempora  und  Modi,  und  giebt  über  den  Gebrauch  des  Perfects 
und  Imperfects,  so  wie  des  praesens  histor.  des  unabhängigen 
Conjunctivs  Auskunft.  Mit  Capitel  74  wird  der  zusammengesetzte 
Satz  eingeführt  und  zwar  §.  343  Beiordnung  der  Sätze,  §.  344 
Doppelfrage,  wobei  ein  Zusatz  die  einfache  Frage  behandelt, 
§.  346  Zusammenziehung  beigeordneter  Sätze  nebst  den  Regeln 
der  Congruenz  des  Subjects  und  Prädicats  in  diesem  Falle  be- 
sprochen. Cap.  76  führt  die  Unterordnung  der  Sätze  ein  und 
spricht  im  Allgemeinen  von  conjunctionalen,  relativen  und  inter- 
rogativen Nebensätzen;  Capitel  77  von  Zusammenziehung  eines 
Haupt-  und  Nebensatzes;  Cap.  78  von  der  consecutio  temporum 
und  Cap.  79  hebt  dann  von  den  conjunct.  Nebensätzen  zu  spreclien 
an.  Es  folgen  die  Regeln  von  den  Conjunctionen,  die  blos  mit  dem 
Indicativ  oder  blos  mit  dem  Conjunctiv  stehen  oder  bald  mit  dem 
Indicativ,  bald  mit  dem  Conjunct.,  also  von  postquam,  ut,  ubi,  ut 
primum,  quum  pr.,  simulac,  von  ut  (damit,  so  dass),  von  ne  (auch 
von  timere  etc.  ist  hierbei  die  Rede),  quo,  quo  minus,  quin,  von 
quum.  Cap.  80  behandelt  die  relativen  Nebensätze  (Regeln  über 
Genus,  Casus,  Numerus  des  Relativs,  über  den  Conjunctiv  nach 
Relativen  in  Absichts-  und  Folgesätzen  und  in  Sätzen  des  Grün- 
dest, Cap.  81  die  interrogativen  Nebensätze,   wo  die  indirecte 


Middendorf  Q.  Grüter:  Latein.  Schulgrammalik,  397 

einfache  und  doppelte  Frage  erörtert  wird.  Cap.  82  giebt  die 
Lehre  von  der  Abkürzung  der  Nebensätze  durch  Participia,  Cap.  83 
die  von  der  oratio  obliqua.  —  lieber  Cap.  84  lesen  wir:  Erweite- 
rung der  Satzlehre  durch  die  Lehre  vom  Gebrauche  der  Casus 
(Rectionslchre).  Da  führt  uns  dann  Cap.  84  die  Lehre  vom  No- 
minativ bei  fieri,  evadere  etc.,  reddi  etc  ,  creari  etc.,  vocari  etc., 
putari  vor  und  spricht  vom  Nominat.  c.  infin.  bei  debeo,  soleo  etc., 
dicor,  perhibeor  etc.  Cap.  85  lässt  den  Accus,  bei  juvo,  aequo 
etc.,  den  doppelten  bei  facio  etc.,  creo  etc.,  dico  etc.,  puto  etc., 
praebeo  etc.,  doceo  etc ,  celo,  oro  etc.,  posco  etc.,  interrogo  er- 
scheinen, behandelt  den  Accusativ  des  Raumes  und  der  Zeit,  die 
Constniction  der  Städtenamen,  den  Accus,  bei  Ausrufungen  und 
bei  Präpositionen.  Cap.  86  giebt  den  Dat.  commod.  oder  incomm., 
den  Dativ  bei  obtrecto,  invideo  etc.  (Verwandlung  solcher  Sätze 
ins  Passiv!),  bei  esse  (haben!  gereichen!),  fieri,  dare,  habere  etc., 
niittere,  venire.  Cap.  87  ordnet  die  Lehre  vom  Genit.  in  fol- 
gende Kategorien:  1)  in  den  subject.,  2)  object.,  3)  partitiv.  Ge- 
nitiv, 4)  in  den  des  Maasses  (quant.),  5)  den  der  Eigenschaft  (qua- 
iit.),  6)  den  des  Werthes  (pretii).  Cap.  8S  bringt  den  Ablativ  in 
15  Ordnungen,  die  da  sind:  1)  Ablat.  der  Ursache,  2)  des  Mit- 
tels oder  Werkzeuges,  3)  objectiver  Ablativ,  4)  AM.  des  Ortes, 
5)  Abi.  der  Zeit,  6)  Ablat.  der  Eigenschaft,  7)  Abi.  der  Art  und 
Weise,  8)  Abi.  der  näheren  Bestimmung  und  Beschränkung  (limi- 
tationis),  9)  Abi.  des  Maasses,  10)  Abi.  der  Vergleichung,  11)  Abi. 
des  Ceberflusses  und  Mangels,  12)  Abi.  der  Trennung  und  Ent- 
fernung (abl.  separatlonis),  13)  Abi.  des  Preises,  14)  Abi.,  abhän- 
gig von  Präpositionen ,  15)  Abi.  absolutus.  Das  vorletzte  Capitel 
handelt  vom  Gerundium  und  Gerundivum,  das  letzte  vom  Supinum. 
Die  Regeln  sind  nicht  allein  überall  klar  und  fass- 
lich vorgetragen,  sondern  auch  von  einer  guten  Zahl 
latein.  Belegstellen  und  einer  recht  grossen  Zahl 
deutscher  ü  ebungss  tücke  zum  Uebersetzen  in's 
Latein  begleitet.  —  Wir  wollen  zuerst  nach  dieser  üe- 
bersicht  über  einzelne  Regeln  und  Bemerkungen  unsere  abwei- 
chende Ansicht  aussprechen.  Bei  cum  kann  man  zweifelhaft 
sein,  ob  es  vor  g,  c  etc.  in  n  übergeht  und  ob  fast  immer  vor  Vo- 
calen  und  immer  vor  h  in  Zusammensetzungen  das  m  abfällt,  da 
dies  davon  abhängt,  ob  nicht  cum  aus  cyn  erst  entstanden  ist,  oder 
welches  überhaupt  die  Grundform  sei.  Doch  lässt  sich  die  Dar- 
stellung der  Verff.  auch  vertheidigen,  jedenfalls  ist  sie  für  den 
Schüler  der  untersten  Stufe  die  fasslichste.  S.  23  heisst  es  irrig, 
dass  die  griech.  nom.  propr.  auf  -gog  im  Latein  die  Endung  er  an- 
nehmen ,  da  das  bald  folgende  Beispiel  Uomerus  die  Behauptung 
widerlegt.  Statt  gog  wird  wohl  dgog  stehen  müssen.  S.  41 
hätten  wir  cadaver  lieber  mit  Leiche,  nicht  mit  Aas  übersetzt. 
Vgl.  C.  Milon.  13:  Tu  P.  Ciodii  cruentum  cadaver  ejecisti  domo; 
tu   in    publicum   abjecisti;    tu    spoüatum    iraaginibus,    exsequiis, 


398  Latein.  Sprache. 

pompa,  laiulationc,  infelicissirais  lignis  seraustulatum,  nocturnis 
caiiibus  dilaiiiandum   reliqiiisti;   Serv.   Siilpic.   (Cic.  epp.  ad  t'iun. 

4,  r^):  Uno  loco  tot  oppidiira  cadavera  projecta  jacent.  S.  49  wird 
vcsperi  für  adverbiale  Form  ^jehalten.  Köjic  hielt  es  in  seiner 
Sciuift  über  die  Sprache  der  Epiker  für  Genitiv.  Durch  die  von 
uns  in  der  Recension  dieses  Werkes  in  der  Zeitschrift  fiir  Alter- 
thiimsNvissenschaft  angeführten  Beispiele:  Si  deillariim  coenaturus 
Tesperi  es,-  qni  de  vesperi  vivat  (Plaut.  Rud.  1,  2,  91;  Mii  4,2,5) 
sind  wohl  beide  Änsicliten  widerlegt.  S.  49  halten  wir  Hieroso- 
hraa  nach  der  1.  Decl.  für  die  weniger  zu  empfehlende  Form,  da 
der  Plural  neutr.  selbst  durch  Solyraa ,  raorum,  bei  Martial  noch 
empfohlen  wird,  abgesehen  von  den  andern  Auctoritäten.  S.  55 
und  219  verwerfen  wir  longe  beim  Comparativ  als  dichterisch  und 
spätlateinisch.  S.  56  könnte  angegeben  sein,  dass  der  Singular 
von  inferi,  superi  etc.  doch  wohl  vorkommt,  wie  das  Lexicon  lehrt. 

5.  57  wäre  bei  der  Comparation  auch  wohl  zu  bemerken  gewesen, 
dass  dieselbe  bei  Participien  selten  Statt  findet.  S.  60  läsen  wir 
lieber  den  Plural  inimicitiac,  als  den  Singular.  S.  162  würden 
wir  salutare  lieber  mit  ,,begrüssen^^  übersetzen.  S.  169  würden 
wir  attinere  nicht  mit  ,, betreffen^'  wiedergeben,  da  doch  in 
dieser  Bedeutung  die  Präposition  ad  wohl  nicht  fehlen  darf.  Sollte 
S.  170  das  Sup.  adultura  =  verbrannt  nicht  als  veraltet  zu  be- 
zeichnen sein'?  Zu  sileo,  von  dem  auch  Scheller,  George,  Zumpt, 
Schulz,  Krüger  kein  Supinum  kennen,  bemerken  wir,  dass  Au- 
gust. Civ.  Dei  16,  2  sagt:  Benedictis  igitur  duobus  filiis  Noe  atque 
uno  in  medio  eorum  raaledicto  deinceps  usque  ad  Abraham  de  ju- 
storum  aliquorum,  qui  pie  deum  colerent,  commemoratione  silitum 
est.  S.  177  ist  bei  bibo  bemerkt,  dass  es  kein  Sup.  habe.  Zumpt 
giebt  in  der  9.  Ausgabe  das  Sup.  bibitum.  Ausser  den  von  Schel- 
ler im  Lex.  angeführten  Stellen  mache  ich  auf  bibiturus  der  Vul- 
gata  Matth.  20,  22;  Apg.  23,  12  aufmerksam.  Auch  bei  abnuo 
ist  abnuiturus  nicht  ganz  zu  verwerfen,  zumal  da  es  durch  die  Ab- 
leitung abnuitio  noch  gestützt  wird.  Ueber  sero  ==::  .,an  ein- 
ander reihen'*"  bemerkt  Zumpt,  serui,  sertum  kommen  vom  ein- 
fachen Verb  nicht  vor,  doch  sei  serta  (Kränze)  davon  abgeleitet. 
Unsere  Grammatik  giebt  perf.  und  sup.  ohne  Bemerkung.  Das 
Perfect  weiss  ich  nicht  zu  belegen,  aber  loricae  sertae  bei  Nepos, 
Corona  serta  bei  Apulejus  wird  doch  wohl  genügen ,  falls  auch  bei 
Nepos  die  Lesart  angefochten  wird;  zum  üeberflusse  führe  ich 
Cyprian.  ep.  4,  3:  Coronas  sertas  an.  S.  176  sollte  es  in  der 
2.  Anm.  heissen:  ,,Die  mit  Nominibus  gebildeten  Composita  von 
facio  haben  fico  und  ficor  etc.  Vergl.  testificari,  gratificari.^''  Von 
ludifacere  wollen  wir  eben  sowohl  absehen,  als  von  augificare, 
calefacientur,  calefaciamini,  calfacc  (Cic.  fam.  16,  18,  2),  parvi- 
faciatur.  S.  177  wäre  bei  fendo  wohl  die  Bedeutung  ,,stossen'' 
anzuheben  gewesen  ,  so  wie  bei  cando  die  Ilinweisung  auf  candeo, 
candela  wenigstens  im  mündl.  Unterrichte  nicht  unterbleiben  darf. 


Middendorf  u.  Gruter:  Latein.  Schulgrammatik.  399 

In  Bezug  auf  einige  Ableitungen  erlauben  wir  uns,  wie  wir  glauben, 
im  Interesse  der  Wissenschaft  eine  Bemerkung,  die  für  den 
praktischen  Unterricht  nicht  so  wichtig  ist,  übrigens  nicht  allein 
unsere  Grammatik,  sondern  auch  viele  andere  betrifft.  Wir  kön- 
nen nicht  glauben,  dass  fulgur  von  fulgeo ,  aedificiura  von  aedifi- 
care,  frigus  von  frigeo,  opinio  von  opinor,  oblivio  von  obliviscor, 
religio  von  religare,  vinculum  von  vincire  gebildet  seien;  wir  glau- 
ben vielmehr,  dass  beide  Bildungen  neben  einander  stehen  und 
von  den  Stämmen  fulg  —  frig  —  relig  —  ausgehen.  Steht  nicht 
so  auch  ein  Verbum  sonere  (Attius  und  Ennius)  und  sonare  neben 
einander  nebst  tergere  und  tergüre  und  vielen  andern?  Vgl.  noch 
densus,  denseo,  densare;  fulgere  und  fulgeo,  und  vorzüglich  die 
theils  mit  dem  ableitenden  u ,  theils  mit  der  blossen  Endsilbe  us 
gebildeten  nomina:  tumultus,  quaestus,  sumtus,  wovon  der  Ge- 
nitiv auf  i  vielleicht  nicht  viel  seltener  ist  als  auf  us;  von  senatus 
sagt  ja  Quintilian  (inst.  1,  6.  p.  52)  ausdrücklich:  Senatus,  senatus, 
senatui,  an  senatus,  senati,  senato  faciat,  incertum  est.  —  S.  238 
sind  wir  mit  der  auch  von  Zumpt  beliebten  Ableitung  der  nomina 
auf  mentum  oder  men  nicht  einverstanden;  die  Ableitung  vom  Su- 
pinum  mit  Wegwerfung  des  — tum  —  sum ,  oder  die  Anfügung  an 
den  Stamm,  wie  die  Endung  des  Supinums  angefügt  wird,  ist 
wissenschaftlich  und  praktisch  haltbar.  Zumpt  und  Schulz  ziehen 
nomen  aus  novimen  zusammen,  wir  können  uns  keinen  Grund  dafür 
denken.  Auch  mit  dem  lucimen  und  fulgimen  unserer  Verff., 
woraus  lumen  und  fulmen  entstanden  sein  soll,  sind  wir  ebenso- 
wenig einverstanden,  als  mit  dem  acuimen  von  Krüger  und  dem 
arimentum  von  Schulz.  Stramentum,  incrementum,  caeraentum, 
detrimentum,  tormentum,  fragmentum,  segmentum,  examen  (exi- 
go!),  pigmentum  und  das  späte  geniraen  und  figmentum  liefern 
den  Beweis.  Selbst  semen  ist  nicht  gegen  uns,  da  sätum  für  se- 
tum  steht;  sero  nämlich  ist  von  seo,  daher  auch  seges,  wie  spero 
von  speo,  woher  spes,  und  res  von  reor.  Für  den  Ausfall  des 
K-Lautes  vor  men  oder  mentum  bürgt  examen.  Vergl.  instru- 
mentum,  fruraentura.  Dass  bisweilen  ein  Bindevocal  eingeschoben 
ist,  wie  tegimen  =::=  tegmen,  regimen,  speciraen,  documentum  für 
dogm.,  kann  nicht  befremden.  In  germen  ist  das  s  in  r  übergegan- 
gen, wie  sonst  häufig  (=  gesmen  von  gero),  jumentum  ist  von 
dem  Stamme  jug  ,  wovon  jungo  und  jugare,  armentum  vom  Stamme 
ar-,  wovon  arare,  culmen  oder  mit  dem  ßindevocale  und  dem 
Rückwechsel  des  Vocals  columen  vom  Stamme  cello,  wovon  z.  B. 
procul ;  subtemen  und  subtegmen  von  subteg-,  woraus  subtexoauch 
abgeleitet  ist.  Nur  legumen  und  farcimen  machen  uns  Schwierig- 
keit, und  wir  können  auf  dem  Tische  besser  mit  ihnen  fertig  wer- 
den, als  in  der  Grammatik.  Woher  die  Länge  des  Bindevocals, 
ist  uns  unbekannt,  wenigstens  bei  legumen.  S.  250  sehen  wir 
nicht,  wesshalb  eine  Ableitungsendung  auf  icus  und  nicht  auf  ester, 
estris  angenommen,  sondern  im  letzteren  Falle  der  Vocal  für  den 


400  Latein.  Sprache. 

Bindevocal  erklärt  wird,  S.  247  läsen  wir  gern  jucundus  bei  den 
Ableitinifjen  auf  -ciindus.  Wir  wissen  nicht,  ob  bei  der  Lehre 
Ton  der  Zusammensetzung  nicht  der  nach  griechischer  Weise  in 
der  neueren  Latinität  geformten  Wörter  ausdriickliclier  hätte  ge- 
dacht werden  sollen,  in  denen  der  erste  Thcii,  wenn  er  ein  No- 
men ist,  auf  0  endet;  s.  S.  253,  4.  So  sind  aus  dem  Griechischen 
ins  Latein  übergegangen  philologus  (-gia),  philograecus,  phiioso- 
phus  (phia),  thcologus  (-gia),  Gailograeci  (-cia) ,  graecostasis. 
Zumpt  billigt  solche  Compositioncn,  wenn  wirklich  ein  durch  Ver- 
mischung zweier  Elemente  entstandenes  Ganze  bezeichnet  werde. 
Das  älteste  Beispiel  einer  solchen  Verbindung  zweier  rein  latei- 
nischen Worte,  das  wir  ausser  sacrosanctus  wissen,  steht  in  den 
wohl  zu  Ende  des  2.  Jahrh.  n.  Chr.  herausgekommenen  recognitio- 
ncs  s.  Clementis  1.  3.  c.  10:  magnam  blasphemiam  Ingenito  inge- 
rentes,  raasculofcminam  eum  cxistimantes.  —  In  Bezug  auf  die 
Regel  über  die  Tempora  erlauben  wir  uns  wieder  eine  Bemerkung, 
die  nicht  allein  dieser  Grammatik,  sondern  allen  gilt,  welche  wir 
kennen,  denn  wir  wollen  zugleich  nach  Kräften  zum  Ausbau  und 
zur  Ordnung  des  grammatischen  Systems  unser  Scherflein  beitra- 
gen. 3Iau  ist  zunächst  darauf  hingewiesen,  in  der  latein.  Sprach- 
lehre gerade  die  Wendungen  und  Ausdrücke,  die  vom  Deutschen 
abweichen,  zur  Sprache  zu  bringen.  Nun  sagt  man  im  Deutschen: 
Die  Erde  ist  mit  Schnee  bedeckt;  der  Baum  ist  mit  Rinde  über- 
zogen etc.  Cicero  sagt  aber  de  nat.  d.  2,  47:  obducunturque 
libro  aut  cortice  trunci,  quo  sint  a  frigoribus  et  a  caloribus 
tutiorcs;  Cato  Maj.  15,51:  quae  (viriditas)  vaginis  jara  quasi 
pubcscens  includitur  ....  et  contra  avium  minorura  raorsus 
munitur  vallo  aristarum.  Im  Activ  sagen  wir  ebenfalls:  der 
Schnee  bedeckt  die  Erde;  ein  Wall  von  Aehren  schützt  etc. 
Vergl.  noch  Quint,  2,  16:  pleraque  (animalia)  contra  frigus  ex 
suo  corpore  vestiuntur;  11,  3.  p.  323  (ed.  Bipont):  manus  non 
irapleatur  annulis;  .  .  .  fascias,  quibus  crura  vestiuntur;  Coium. 
5,  6,  19:  quo  cclerius  ulmura  vestiant  (vites).  Id.  8,  17,6: 
ßcopulos,  qui  praecipue  herbis  algae  vestiuntur;  Plin.  h.  n. 
10,  51:  perdices  spina  et  frutice  sie  muniuut  receptaculum, 
ut  contra  feras  abunde  vallentur.  Aber  auch  Cic.  n.  d.  2,  57: 
Munitae  sunt  palpebrae  tanquam  vallo  pilorum ;  2,  47:  animan- 
tium  aliac  coriis  tectae  sunt,  aliae  villis  vestitae  ....  —  Auf 
einen  2.  Punkt  erlauben  wir  uns  noch  aufmerksam  zu  raaclien,  den 
wenigstens  Zumpt  und  die  älteren  Grammatiker,  so  viel  wir  wissen, 
übergehen,  es  ist  dies  das  sogenannte  Präsens  der  Anfi'ihrung: 
Plato  sagt,  schreibt,  im  Plato  steht,  dass  das,  was  etc.  .  .  Wir  sind 
überzeugt,  dass  auch  in  solchen  Fällen  das  Imperf.  und  Plusq.  des 
Conjunctirs  stehen  kann.  Vergl.  Cic.  off.  1,  25,  87;  3,  2,  10.  — 
S.  320  unserer  Grammatik  heisst  es:  Aristoteles:  Apud  Ilypanim 
flamen,  inquit,  und  S.  399:  Sturnus:  magnopere,  inquit  etc.  für 
apud  II.  Humen,  inquit  Ar,  und  magn,  inquit  Sturnus.  Stände 
beim  Subjecte  auch  nur  ein  Wort,  wie  etwa  tum,  illc,  so  wäre  die 


Middeiidorf  u.  Grüter :  Latein.  Schulgrammatik.  401 

Stellung  recht.     In  der  mit  sorgfältiger  Genauigkeit  und  wissen- 
schaftlicher Forschung  geschriebenen  Grammatik  von  F.  Schulz 
heisst  es  zwar,  das  Subject  könne  auch  unmittelbar  vor   inquit 
stehen,  doch  lese  ich  an  der  zum  Beweise  citirten  Stelle  ganz  an- 
ders.    S.  398  steht  Leo  etsi  hoc  promissum  irridens.     Freilich 
sagt  auch  Justin.  12,  1:  Agis,  rex  Lacedaeraoniornra,  etsi  a  multi- 
tudine  victus,  gloria  tamen  omnes  vicit,  doch  setzen  nur  spätere 
Schriftsteller  die  Partikeln  quanquam,  quamvis,  etsi  zum  Particip. 
S.  288  steht:  Häufig  wird  der  verneinte  Imperativ  durch  noli  etc. 
umschrieben;  wir  würden  statt  „häufig"  lieber  „häufiger"  sagen. 
Besonders  scheint  Cicero  bei  Deponentien  noch  wohl  den   Con- 
junctiv  zu  setzen.     Vergl.  Ätt.  14,  1,  2:  Tu,  quaeso,  quidquid 
novi  —  multa  autem  exspecto  —  scribere  ne  pigrere;  ad  famil. 
5, 12,3:  ne  aspernere;  ad  Q.  fratr.  3,  1,  6,  19:  Haec  inter  coenam 
Tironi  dictavi,  ne  mirere  alia  manu  esse.  S.  noch  or.  pro  Ciuent.  2, 6  : 
ne  repugnetis,  ne  subjiciatis;  de  off.  3,  2,  6:  neve  committas.     Oft 
steht  auch  ne  mit  dem  Perf.  Conj.  wie  C.  Äcad.  2,  40:  ne  asciveris 
neve  fueris;  div.  2,61:  nefeceris;  fam.  7,  25:  ne  .  .  .  dixeris.  Wir 
können  nach  Obigem  weder  mit  Krüger  übereinstimmen,  der  den 
Conj.  praes.  mit  ne  für  sehr  selten  hält,  noch  mit  Schulz,  der 
ne  mit  dem  Imperativ  in  guter  Prosa  nicht  zulässt.     S.  C.  \e^^. 
2,  18,  45:  ne  quis  consecrato,  freilich  in  einer  Uebersetzung  aus 
Plato.  —   In  Bezug  auf  einen  andern  Punkt  gestatten  wir  uns  eine 
Frage  anzuregen,  über  die  wir  beim  IVIangel  von  Vergl  eich  un«- 
der  Codices  unserer  besseren  latein.  Schriftsteller  keine  Auskunft 
zu  geben  im  Stande  sind.      Zumpt  behauptet,  die  Formen,  wo 
ein  doppeltes  i  in  der  4.  Conjugation  vorkomme,  seien  in  der  gu- 
ten und  Ciceronischen  Prosa  mit  Ausnahme  der  Composita  von  ire 
durchaus  ungewöhnlich  und  fänden  sich  nur  hie  und  da  bei  Dich- 
tern, z.  B.  bei  Virgil  audiit,  mugiit,  muniit,  hauptsächlich  wenn 
das  Wort  so  beschaffen  sei,  dass  es  nicht  anders  in  den  daktyli- 
schen Hexameter  gehe,  wie  oppetii,  impediit.     Unsere  Gramma- 
tik sagt  S.  153,  ii  werde  vor  s  regelmässig  in  i  contrahirt,  giebt 
aber  sonst  auch  petiit ,  desiit  ohne  nähere  Beschränkung.     Dürfen 
wir  von  dem  Orelli'schcn  Texte  der  Ciceronischen   VVerke  und 
ähnlichen  Texten  ausgehen,  so  halten  wir  es  gegen  Zumpt  mit 
der  uns  vorliegenden  Grammatik,  denn  ad  Herenn.  4,  43,  55  steht 
muniit;  Quint.  decl.  9,  2;  petii  (ed.  Bip.).  Krüger,  der  mit  uns 
stimmt,  führt  an  C.  Q.  Rose.  4,  12:  petiit;  11,  31:  erudiit;  Liv. 
21,  48:  communiit,  und  will  nur,  dass  die  Zusammenziehung  bei 
Cicero  vor  s  häufiger  sei;  Schulz  behauptet,  es  finde  sich  häufig 
petiit  und  noch  öfter  desiit.     S.  273  ist,  wie  in  den  andern  Gram- 
matiken, die  Behauptung  ausgesprochen,  dass  bei  Verwandlung 
des  activen  Satzes  in  einen  passiven  aus  dem  Subjectc  des  activen 
der  Ablativ  mit  Präposition  oder  ohne  dieselbe  werde,  je  nachdem 
es  Person  oder  Sache  sei.     Aber  wo  bleiben  dann  die  Thiere, 
die  doch  keine  Personen  sind,  aber  auch  nicht  zu  den  Sachen  ge- 

iV.  Juhrb.    f.  Phil,  u.    I'ihl.   od.  Krit.  liiltl.    tid.  LVUI.    Jlft.  4.  26 


402  Latein.  Sprache. 

rechnet  werden  dürfen,  wenigstens  hier  wohl  sicherlich  nicht,  da 
C  nat.  d.  2,  48,   124  schreibt:  Quin  etiam  anatiim   ova  gallinis 
gaepe  supponiraus,  e  qiiibiis  pulli  orti  primura  alunttir  ab  iis  ut  a 
mat/ibus^  a  quibus  exclusi  jfütique  sunt;  Phaedr.  1,  9:  oppres- 
8um  ab  aqiiila,  fletus  edentem  graves,  leporem  objurgabat  passer. 
Cfr.  1,4:  Aliamqiie  praedam  ab  alio  (cane)  deferri  putans,  wo 
freilich  der  Hund  als  Person  auftritt.      Doch  müssen  wir  hinzu- 
fügen,   dass  es   §.  401  unserer  Grammatik  heisst,  bei  Personen 
und   persönlich  gedachten   Wesen   stehe  auf  die  Frage: 
Wovon?  die  Präposition  a.      Wir  müssen  nach  diesen  Bemerkun- 
gen, die  sich,  wie  wir  schon  sagten,  nicht  immer  auf  die  vorlie- 
gende Grammatik  beschränken,    ausdrücklich  erklären,  dass  na- 
mentlich die  lateinischen  Uebungsstücke  (Einrichtung  der  Welt, 
Mittheilungen  aus  der  Naturbeschreibung  [de  elephanto,  de  ca- 
melo  etc.,  de  plantis,  de  raetallis  et  lapidibus],  Mittheilungen  aus 
der  Mythologie,  Fabeln,  ein  Gespräch,  Erzählungen)  unter  der 
bessernden  Hand  unserer  Verfasser  sehr  an  reiner  Latinität  ge- 
wonnen haben.  —    Was  nun  die  Art  und  Weise  angeht,  in  wel- 
cher der  grammatische  Stoff  geordnet  und  vertheilt  erscheint,  so 
ist  zuvörderst  entschiedener  Werth  darauf  zu  legen ,  dass  in  den 
vorhergehenden  Regeln  und  Sätzen  bis  fast  zu  Ende 
nie  etwas  anticipirt  ist  aus  dem    Folgenden,  sodann 
geheint  sich  die  Methode  schon  dadurch  zu  empfehlen,  dass  sie 
sich  an  den  deutschen   analytischen  Unterricht  der 
unteren  Classen  so  nahe  anschliesst,  ohne  sich  doch  ängstlich 
an  ein  System  anzulehnen  oder  zu  peinlich  den  Bau  der  Satzlehre 
nach  allen  Seiten  ausführen  zu  wollen.     Dass  die  Regeln  nicht  im 
abstracten  Tone  des  Docirens,  sondern  gemein  verständlich  vor- 
getragen  sind,   ist  schon  angegeben;   man   merkt  aber  noch  an 
manchen  Kleinigkeiten    und    Einzelheiten  die  erfahrenen  Schul- 
männer.    So  steht  bei  den  üebungsbeispielen  der  1.  Declination 
S.  17  femina  das  Weib,  regina  die  Königin,  alauda  eine  Nach- 
tigall, Silva  der  Wald,  damit  der  Artikel  zugleich  im  Deutschen 
in  allen  Wendungen  eingeübt  werde;  so  ist  S.  260  und  überall, 
wo  ein  Ausdruck  ausser  dem  Satze  vorkommt,  der  in  zwei  Casus 
stehen  kann,  gefordert,  dass  er  doppelt  übersetzt  werde,  um  den 
Schüler  auf  die  Gleichförmigkeit  der  deutschen  Casus  aufmerk- 
sam zu  machen  und  sein  Sprachgefühl   zu  schärfen;   so  werden 
häufige  Umwandlungen  der  passiven  Wendung  in  eine  active  und 
umgekehrt  verlangt;  so  ist  die    Eintheilung   des   sämmtli- 
chen  dem  Genitiv  und  dem  Ablativ  zufallenden  Ge- 
bietes in  bestimmte  mit  treffenden  Namen  bezeich- 
nete Grenzen  etwas,  was  sich  für  die  Praxis  eben  so 
sehr,   als   für  die   Wissenschaft    empfiehlt;  so  sind   die 
Wortsammlungen  mit  ausgezeichnetem  Geschick  in  Gruppen  von 
Wörtern  gebracht,  die  dem  Inhalte  nach  verwandt  sind  oder  sich 
doch  leicht  an  einander  schliessen ,  also  das  Gedächtniss  bedeu- 
tend erleichtern   und   Sinnigkeit  in  die  Memorirübung  bringen. 


Middendorf  u.  Griiter :  Latein.  Schulgrammatik.  403 

Sollen  wir  uns  endlich  darüber  aussprechen,  ob  das  in  Rede  ste- 
hende Buch   die  gehörige  Fülle  des  Materials  mittheile^  so 
bejahen  wir  dies  ohne  Bedenken   in  Bezug  auf  die  üebungsbei- 
spiele  und  die  grammatisch-syntaktischen  Hegeln.     Mit  der  For- 
menlehre sollen  in  der  Sexta  die  entsprechenden  Abschnitte  der 
Syntax  bis  §.  336,  d.  i.  bis  zu  den  Sätzen,  in  welchen  ein  Sub- 
stantiv durch  eine  Apposition  näher  bestimmt  ist,  eingeübt  wer- 
den „und  zwar  so,  dass  die  lateinischen  Sätze  mündlich  ins  Deut- 
sche, die  deutschen  schriftlich,  dann  aber  zur  Wiederholung  auch 
mündlich  ins  Latein  übersetzt  werden.''''     S.  X  der  Vorrede.    Von 
§.  33(3  bis  §.  379,  d.  i.  bis  zur  Erweiterung  der  Satzlehre  durch 
die  Rectionslehre  (s.  oben),  sollen  mit  den  schriftlich  ins  Latein 
zu  übersetzenden  und  mündlich  zu  wiederholenden  üebungsbei- 
spielen,  so  wie  mit  den  lateinischen  Stücken  bis  zu  den  Erzäh- 
lungen das  Pensum  der  Quinta  bilden.     Die  Rectionslehre  im  Zu- 
sammenhange mit  den  dazu  gehörigen  Uebungsbeispielen  sind  für 
das  1.  Semester  der  Quarta  bestimmt.     Im   2.  Semester  soll  eine 
kurze  Wiederholung  des  1.  Cursus  der  Syntax ,  so  wie  der  For- 
menlehre mit  besonderer  Hervorhebung  des  früher  üebergange- 
nen  und  das  Wichtigste  aus  der  Wortl)ildung>lehre  die  Schüler 
beschäftigen.     Zusammenhangende  deutsche  Üebungsstücke,  die, 
was  uns  besonders  freut,  geschichtliche  Darstellungen  ent- 
halten (von  den  sibyll.  Büchern;  das  Capitol  gerettet  durch  die 
Wachsamkeit  der  Gänse;  die  Gallier  aus  Rom  vertrieben;  Gabii 
durch  List  den  Römern  überliefert;  Kampf  der  Horatier  und  Cu- 
riatier;  Horatius  Codes;  Kriegszucht  des  T.  Manlius  Torquatus; 
LJneigennützigkeit  und  Redlichkeit  des  Fabricius ;  Pyrrhus  bietet 
durch  Cyneas  Frieden;  vom    1.  punischen   Kriege;  vom  2.  pun. 
Kr.;  von  Hannibal;  vom  jüngeren  Scipio;  von  J.  Cäsar;  von  Cäsar 
imd  Ariovist;  von  Cicero  und  Cäsar;  von  Cicero;  Tod  des  Cicero; 
von  Armin i US;  von  Alexander  dem  Grossen;  Alex.  Milde  gegen 
Porus;  Alex.  Milde  gegen  die  Mutter  u.  Gemahlin  des  Darius;  Ab- 
dolymus  König  durch  Alexander;  Periander;  Darius  und  Syloson; 
Krösus  und  Solon;   Harmodlus  und  Aristogiton;  Miitiades;  List 
des  Themistokles   beim  Aufbau  der  Mauern  von  Athen ;  von  Alci- 
biades;  Ehre  dem  Homer  und  Aeschylus  von  den  Athenern,  dem 
Tyrtäus  von  den  Lacedämoniern  bewiesen;  von  den  Scythen),  und 
die  lateinischen  Erzählungen,  ebenfalls  geschichtlich  denkwürdigen 
Inhalts,  dienen  in  Quarta  zum  üebersetzen.     Einzelne  in  Anmer- 
kungen an  den  untern  Rand  verwiesene  Vergleichungen  mit  dem 
Griechischen  können  auf  dieser  Stufe  für  die  nun  mit  dem  Grie- 
chischen schon  bekannten  Schüler  von  Nutzen  sein.     Was  ferner 
die  Formenlehre  angeht,  so  könnte  es  scheinen,  als  dürfe  Einiges 
weggelassen  werden.     So  wenn  S.  49  ziemlich  viele  Wörter  an- 
geführt werden,  die  bei  verschiedener  oder  gleicher  JNominativs- 
endung  nach  verschiedenen  Declinationen  gehen.     Lacertus  und 
luscinius  sind  noch  obendrein,  wie  auch  richtig  bemerkt  wird,  sel- 

26* 


404  Bibliographische  Berichte  u.  kurze  Anzeigen. 

ten.  Da  dürfte  caseiis,  caseiira;  baculus,  baculiim  ;  juguliis,  jii- 
guliira;  pileiis,  pileiira  etc.  auch  Aufnalime  finden,  zumal  da  bacu- 
luni  die  für  gute  Prosa  classische  Form  ist,  ja  tumuiti  (genit.  bei 
Ter.  Andr.  2,  2,  28;  Hec.  3,  2,  21;  PI.  Poen.  1,  1,  79;  Cas.  3,  5, 
22;  Sali.  Catil.  59;  Ätt.  (bis)  Afran.  Pomp.  Titin.  Turp.  Enn.) 
kommt  vielleicht  in  der  andern  Form  nicht  öfter  vor.  Aehnlich 
quaesti,  sumti.  —  Gestrichen  wünschen  wir  auch  bei  den  Wör- 
tern des  „Schätzens'*"  etc.  das  zweifelhafte  existimo.  Druckfehler 
kommen,  und  das  gereicht  einem  Schulbuclie  zur  grossen  Em- 
pfehlung ,  fast  gar  nicht  vor.  Wir  haben  nur  S.  294  Philopoemon 
für  -men  gefunden,  und  S.  399  ist  zwischen  inquit  und  sturnus 
das  Komma  zu  streichen.  Und  so  dürfen  wir  denn  den  Lehrern 
und  Schulvorständen  das  Buch  um  so  mehr  zur  Beachtung  em- 
pfehlen,  als  die  Verfasser  versichern  können,  dass  ihre  Methode 
60  meist  auf  dem  Boden  der  Erfahrung  und  praktischen  Thätig- 
keit  erwachsen  ist.  TeipeL 


Bibliographische  Berichte  u.  kurze  Anzeigen. 


Terenz-Liiteratur. 

1)  J.  Könighoff:  De  scholiastae  in  Terentium  arte  critica.  I8i0. 

Programm  des  Gymnasiums  in  Aachen. 

2)  J.   Brix:  De  Pluuti   et    Terentii  prosodia.     Vratislav.     1841. 

(Doct. -Dissertat.) 

3)  G.  Ihne:  Quaestiones    Terentianae.    Bonnae,  1843.    (Doct.-Dis- 

sertat.) 

4)  J.  Könighoff'.  De  raiione  quam  Terentius  in  fahulis   Graecis 

latine  convertendis  secutus  est.    Part.  I.     Coloniae   typis  descripsit 
J.  G.  Schmitz.    1843. 

5)  E.  Kärcher:  Beilrag  zur  lateinischen  Etymologie  u?id  Lexi- 

cographie.    1.  Heft.    Carlsrube  1844.    2.  Heft.  1846.    3.  H.  1847. 

6)  Maur.  Speck :  Observationum  criticarum  in  Terentii  Adelphos 

specimen.    Vratisl.  1846. 

Der  Grundsatz,  Dichter  und  Schriftsteller  derselben  Litteraturgat- 
tung  aus  ihren  eigenen  Werken,  aus  ihren  hieraus  sich  ergebenden  Cha- 
rakteren ,  aus  ihrer  Zeit  zu  erklären ,  und  nicht  mehr  die  verschiedenen 
Zeiten  angehörenden  Autoren  einer  Gattung  oder  Art  einen  aus  dem  an- 
dern zu  erklären,  den  einen  nach  dem  andern  zu  beurtheilen,  hat  mit 
Recht  immer  mehr  Geltung  gewonnen.  Auch  in  Bezug  auf  die  lateini- 
schen Komiker  hat  man  sich  nach  ihm  gerichtet  und  Plautus  und  Terenz 
wohl  von  einander  unterschieden.  Die  folgende  Anzeige  mehrerer  den 
letzten  Jahren  angehörender  Arbeiten  auf  dem  Gebiete  der  latein.  Komi- 
ker wird  zuvörderst  ebenfalls  nur  das,    was  Terenz  betrifft,  berücksich- 


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Bibliographische  Berichte  u.  kurze  Anzeigen.  405 

tigen  und  soviel  uns  von  der  Terenz-Litteratur  bekannt  geworden  — 
mit  Ausnahme  des  Allerneuesten  —  der  chronologischen  Folge  nach  in 
möglichster  Kürze  besprechen.  Die  erstgenannte  Schrift  von  Hrn.  Kö- 
nighoff geht  von  einer  Anmerkung  des  Donat  zu  Hecyra  III.  1,  33,  einem 
vielfach  besprochenen  Verse,  aus.  In  dieser  Note  heisst  es,  die  Alten 
hätten /erfasse  mit  dem  Infinitiv  verbunden.  Dass  es  sich  aber  bei  for- 
tasse  nicht  um  den  Infinitiv  handeln  kann,  leuchtet  ein.  Ob  dagegen  der 
Indicativ  oder  Conjunctiv  stehen  solle,  darüber  ist  gestritten  worden. 
Meist  findet  sich  der  Indicativ.  Hr.  K.  schliesst  daraus,  dass  bei  Terenz 
der  Conjunctiv  steht,  dass  Donat  uns  dies  als  Besonderheit  habe  anführen 
wollen ,  setzt  statt  infinitivo — conjunctivo  und  fügt  sehr  treffend  hinzu, 
dass  das  nachher  hinzugesetzte  legitur  et  conscivisse  nur  eine  orthogra- 
phische Bemerkung  enthalte,  in  welcher  man  sich  des  Infinitivs  statt  des 
Conjunctivs  bedient  habe;  dieser  Zusatz  aber,  glaubt  er,  gehöre  nicht 
Donat  an.  Nunmehr  folgt  das  eigentliche  Thema.  Hr.  K.  will  über  die 
Beschaffenheit  und  den  Werth  der  Varianten ,  welche  sich  in  den  unter 
Donat's  Namen  aufgeführten  Commentaren  zu  Terenz  finden,  sprechen  — 
jedenfalls  eine  ebenso  dankenswerthe  als  mühevolle  Arbeit.  „Mehrere 
Stücke  des  Terenz  ,  sagt  Hr.  K.,  sind  schon  bei  Lebzeiten  des  Dichters 
wiederholt  aufgeführt  worden.  Vielleicht  also  könnten  sich  in  den  Va- 
rianten im  Commentar  Spuren  von  Textveränderungen  finden,  die  von 
Terenz  selbst  ausgegangen ,  um  so  mehr,  als  sogar  das  Fehlen  ganzer 
Verse  in  manchen  Mss.  bemerkt  wird.  Letzteres  findet  nur  in  den  Adel- 
phi  statt,  von  welchen  Osann  behauptet,  dass  sich  sogar  aus  dem  Pro- 
loge ihre  zweimalige  Aufführung  bei  Lebzeiten  des  Dichters  ergebe. 
Dieser  Schluss  indess  ist  falsch,  weil  nova  Vers  12  proi.  Adelph.  eben 
so  wenig  wie  nova  Hec.  prol.  I.  2  und  pro  nova  Vs.  5  von  einer  zwei- 
ten Aufführung ,  als  vielmehr  davon  zu  verstehen  ist,  dass  das  Stück  zum 
ersten  Male  in  latein.  Sprache  erschienen  war.  An  einigen  Stellen,  wie 
Adelph.  III.  5,  1—6.  IV.  3,  10,  hat  Bentley  die  Aechtheit  der  Verse  be- 
wiesen. Auch  Ad.  IV.  5,  72  Hesse  sich  trotz  der  Bemerkung  des  Scho- 
liasten  nicht  beweisen ,  dass  der  Vers  überhaupt  nicht,  oder  wenigstens 
nicht  von  Anfang  an  von  Terenz  hergerührt.  Wie  aus  dem  Fehlen  gan- 
zer Verse  ,  so  lässt  sich  auch  nicht  aus  der  Verschiedenheit  einzelner 
Worte  eine  von  Terenz  ausgegangene  Aenderung  beweisen ;  zum  wenig- 
sten ist,  selbst  wenn  wir  die  an  sich  nicht  unwahrscheinliche  Aenderung 
von  Seiten  des  Terenz  zugeben,  nicht  mehr  zu  sagen,  was  der  ersten  Ge- 
stalt angehört  habe.  Attulit  Andr.  prol.  1  erscheint  nur  als  Randglosse 
eines  Abschreibers;  Varianten,  wie  sie  zu  Andr.  pr.  8,  II.  1,  7.  IV.  1,  22 
angegeben  sind,  enthalten  nichts  als  Paraphrase  oder  Erklärung.  Andere, 
wie  die  zu  Andr.  I.  1,  128.  I.  5,  1.  Hec.  III.  5,  3  u.  a.  O,,  enthalten  nur 
aus  Missverständniss  der  in  den  Mss.  gebrauchten  Abkürzungen  hervor- 
gegangene Irrthümer." 

P.  10  führt  der  Hr.  Verf.  wieder  andere  Stellen  an ,  wo  der  Scho- 
liast  die  falsche  Lesart  gebilligt,  die  richtige  als  Abweichung  aufgeführt 
hat.  So  Andr.  II.  2,  11.4,  20.  Eun.  II.  2,  34 ;  an  der  letztern  Stelle  hat 
der   Scholiast    den   bei  den   Komikern   ganz    gewöhnlichen  Indicativ   in 


406  Bibliograpliisclie  Berichte  u.  kurze  Anzeigen. 

indirecten  Fragen  verbessern  zu  müssen  geglaubt.  Dasselbe  behauptet 
K.  mit  Recht  von  illico  gegenüber  ei  loco  Phorm.  I.  2,  38,  ebenso  von 
der  zu  Hec.  IV.  4,  43  gegebenen  Variante  remissan  reductan;  die  Dop- 
pelfrage  durch  ne  —  ne  ausgedrückt,  ist  nicht  zu  verwerfen,  für  veri  aber, 
das  jetzt  im  Scholion  sich  findet,  vetusti  mit  Hrn.  K.  zu  setzen,  trage 
ich  kein  Bedenken. 

Die  Varianten,  die  sich  zu  den  vor  dem  letzten  Beispiel  angegebe- 
nen Beispielen  finden,  sind  dafür  Beweis,  dass  man  gerade  bei  Terenz 
gern  die  gewöhnlichen  Worte  verändern  zu  müssen  geglaubt  hat.  Die 
Gründe,  wesshalb  man  dies  gethan,  sind  nach  dem  Hrn.  Verf.  verschie- 
dene gewesen;  a)  man  findet  Ausdrücke,  die  zu  alt  oder  der  gewöhn- 
lichen Redeweise  zu  fremd  schienen,  b)  die  zu  wenig  den  Stempel  des 
Alterthums  zeigten,  c)  die  nach  Meinung  der  Kritiker  von  denen 
des  griechischen  Originals  abwichen.  Als  Beispiele  zu  a)  führt  Hr. 
Könighoff  an  die  Varianten  zu  Andr.  IH.  1,  1.  HI.  3,  40.  IV.  1,  l 
bis  4  (an  dieser  Stelle  erkennt  Hr.  Könighoff  richtig  verschiedene  Scho- 
Hasten ;  die  Nichtidentität  derselben  ist  an  vielen  Stellen  des  Commentars 
offenbar)  ,  Andr.  IV.  4,  6.  Eunuch.  V.  6,  21.  Andr.  IV.  ],  29.  Als 
Beispiele  zu  b)  die  Varianten  zu  Andr.  IV.  1,  32.  Phorm.  HI.  1,  5.  I.  4,  13. 
Zu  der  letzten  Stelle  will  ich  nur  bemerken,  dass  ich,  wenn  ich  auch  das 
durch  die  Codices  gesicherte  protinus  hier  nicht  aufheben  möchte,  doch 
dem  Hrn.  Verf.  darin  nicht  beistimme,  dass,  weil  man  conjiclam  aus 
Festus  nicht  aufnehmen  würde,  ebenso  wenig  protinam  von  ihm  entnom- 
men werden  könnte.  Denn  wir  werden,  ganz  abgesehen  davon,  ob  hier 
das  Citat  als  Reminiscenz  oder  als  zur  Zeit  aus  einem  Exemplar  des 
Dichters  genommen  betrachtet  wird ,  dem  Grammatiker  so  viel  Vertrauen 
schenken  müssen,  das  protinam  nicht  für  ganz  willkürlich  citirt  zu  halten, 
da  es  sich  gerade  um  ein  Beispiel  für  diese  Form  handelt,  während  es  für 
ihn  ohne  Bedeutung  war,  ob  hier  der  Conj.  Praesentis  oder  Imperfecti 
steht.  Weiterhin  folgen  p,  13  zu  Ende  und  folg.  Beispiele  zu  c).  Die 
Gelegenheit,  hier  den  Scholiasten  entgegenzutreten,  ergreift  Hr.  K.  mit 
um  so  grösserem  Vergnügen,  weil  er  die  strengere  Abhängigkeit  des  Te- 
renz von  seinen  griechischen  Vorbildern  zuzugeben  keineswegs  geneigt 
ist,  weil  er  die  Art,  mit  welcher  er  dieselben  nachgeahmt,  als  eine  durch- 
aus freie  betrachtet  und  den  Terenz  keineswegs  als  Uebersetzer,  sondern 
als  dichterisch  frei  mit  den  Originalen  schaltend  angesehen  wissen  will. 
Wir  werden  den  Eifer  des  Hrn.  Verf.  in  dieser  Beziehung  später  genauer 
zu  zeigen  Gelegenheit  finden.  Als  Beispiele  also  ,  wie  die  Commentato- 
ren  Varianten  angeführt  haben ,  die  aus  der  scheinbaren  oder  wirklichen 
Abweichung  des  Terenz  von  griechischen  Komikern  flössen  ,  citirt  Hr.  K. 
die  Varianten  zu  Andr.  TIT.  4,  13.  Hec.  1.  1,  1.  Eunuch.  I.  1,  1.  Hier 
hat  meiner  Meinung  nach  der  Verf.  das  Richtige  getroffen,  wenn  er  der 
Interpunction  des  Probus  folgt,  d.  h.  nach  eam  das  Fragezeigen  setzt. 
Dieselbe  Interpunction  findet  sich  auch  anderwärts,  wo  Eun.  I,  1,  l  ci- 
tirt wird,  z.  B.  in  den  alten  Ausgaben  des  Quinctilian  zu  P>ide  des 
XI.  Buches,  welche  Stelle  die  Bipontiner  citiren;  sie  findet  sich  in  den 
meisten    Ausgaben    des    Terenz ,    auch    bei   Westerhov.      Andere   haben 


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wenigstens  eam  durch  ein  Komma  vom  Folgenden  getrennt,  wie  Bentley. 
In  dieser  Uebereinstimmung  der  Herausgeber  liegt  mir  der  Hauptgrund 
für  das  auch  von  Hrn.  K.  Angenommene.  Und  man  muss  es  dem  Sinne 
nach  für  zweckmässiger  halten,  allen  jenen  zu  folgen,  weil  der  tief  in 
Gedanken  über  einen  das  ganze  Fühlen  und  Denken  einnehmenden  Ge- 
genstand Versunkene  sich  besonders  in  kurzen  Fragen  an  sich  selbst  zu 
bewegen  pflegt.  Den  Ausdruck  „inepie^^  möchte  ich  gleichwohl  nicht  für 
die  andere  Betrachtungsweise  für  passend  erachten,  welcher  z.  B.  Mei- 
neke  fragg.  comicorum  Graecor.  ed.  min.  tom.  H.  p.  903  folgt,  zumal  nach 
den  Zeugnissen  der  Alten  Menander  ihr  gefolgt  ist  und  Terenz  ihn  hier 
wörtlich  übersetzt.  Und  was  das  ,,parum  latine^^  angeht,  so  steht  sei- 
ner Berechtigung  die  von  Westerhov  citirte  Stelle:  Andr.  I.  2,  30.  Quid? 
hoc  intellextin?  an  nondum  etiam  ne  hoc  quidem?  entgegen. 

Zuweilen  hat  man  sogar,  indem  man  Varianten  zu  den  Worten  des 
Terenz  nach  dem  griechischen  Original  fügte ,  den  Terenz  des  Missver- 
ständnisses  der  griechischen  W^orte  bezüchtigt  (vergl.  p.  15).  Von  den 
hierzu  angeführten  Beispielen  wollen  wir  uns  eins  näher  ansehen;  das 
erste  ist  Hec.  IH.  4,  26,  wozu  der  Schol.  tadelnd  bemerkt,  dass  Terenz 
Unrecht  gethan ,  den  mit  Recht  von  Apollodor  kahlköpfig  genannten 
Mykonier  crispus  zu  nennen.  Dann  folgt  Eun.  IV.  4,  22 ,  dann  Fhorm. 
prol.  24  sqq.  Zu  dieser  Stelle,  deren  Vertheidigung  Hr.  K.  gegen  Bent- 
ley's  Conjectur  in  Vs.  26  mit  Recht  unternommen  und  gut  zu  Ende  ge- 
führt hat  (die  Vulgata ,  von  der  die  italienischen  Codd.  gar  nicht  abzu- 
weichen scheinen,  giebt  keinen  Anstoss),  fügt  der  Scholiast  hinzu,  Te- 
renz habe  sich  hier  geirrt,  denn  das  Stück,  das  er  zum  Phorraio  benutzt 
habe,  sei  des  Apollodor  'E7tidf>iDc^o^tvrj,  nicht  der  Enidfua^Ofisvos;  denn 
es  handle  sich  hier  um  ein  Mädchen.  Wir  wollen  kurz  angeben,  wie  hier 
der  lateinische  Komiker  vom  Hrn.  Verf.  gerechtfertigt  wird.  Zunächst 
knüpft  er  an  die  Worte  des  Schol.  die  Bentley'sche  Anmerkung ;  dem 
Schol.  stimmt  Bentley  darin  bei,  dass  das  von  Terenz  benutzte  Stück 
'EnidiHCi^ousvrj  gewesen,  der  Fehler  aber  nicht  von  Ter.  begangen  wor- 
den, sondern  Schuld  des  Exemplars  des  Dichters  sei,  welches  Donat  be- 
nutzt habe.  Dieser  Meinung  des  Kritikers  des  XVIII.  Jahrhunderts  sind 
Sluiter  zu  Andocides,  Meineke  Menandri  et  Philemonis  reliqq. ,  Ruhnken 
dictat.  ad  Ter.  beigetreten.  Diese  Umstände  rechtfertigen  um  so  mehr 
eine  genaue  Erörterung  der  Sache.  Dafür,  dass  'Eniöi-na^onsvos  {-ov) 
das  Richtige  sei,  spricht 

1)  die  Uebereinstimmung  der  Codd.  (bis  auf  einen  des  Westerhov), 
die  Didaskalia,  die  Worte  des  Donat  am  Anfang  der  Vorrede  zum  Phor- 
mio  (wonach  die  Schuld  aber  wieder  vom  Scholiasten  auf  den  Dichter 
zurückfallen  würde); 

2)  die  UnWahrscheinlichkeit  dessen,  dass  der  Dichter  den  Zuschauern 
einen  falschen  Namen  genannt  haben  solle; 

3)  dies,  dass  nach  den  Zeugnissen  der  Alten  ein  Mädchen,  wie  hier 
Phanium,  weder  'Enidiv.c(^o^ivri  noch  'EnidLHog,  sondern  ©rjoau  geheissen 
hat.  Der  Erklärung  von  Meineke,  welcher  das  Participium  als  Medium 
fasst  und  es  auf  den  Phormio  bezieht,  als  welcher  dem  Antiphon  Pha- 


408  Bibliographische  Berichte  u.  kurze  Anzeigen. 

nium  verschafft  habe,  stimmt  Hr.  K.  nicht  bei,  sondern  ihm  gilt  das  Part, 
mascul.  gen.  als  passive  Form  mit  Beziehung  auf  Antiphon,  welcher  durch 
das  Gesetz  zur  Verheirathung  mit  Phanium  gezwungen  würde.  Der 
Grund  für  diese  auch  uns  als  die  richtige  erscheinende  Auffassung  ist, 
dass ,  während  Terenz  das  Stück  desshalb,  weil  Phorraio  die  Hauptrolle 
hat,  nach  diesem  benennt  (cf.  proIog.  26 — 28),  Apollodor  ihm  desshalb 
nach  Antiphon  den  Namen  'EnidiKCi^oasvog  gegeben  haben  muss,  weil  ja 
sonst  keine  Abweichung  in  der  Benennung  Phormio  bei  Ter.  da  wäre. 
Uebrigens  spricht  für  die  Richtigkeit  des  Masculinums  auch  dies,  dass 
ausser  Apollodor  noch  Anaxipp,  Diphilus  und  Philemon  Stücke  dieses 
Namens  geschrieben  haben.  —  P.  25  folgt  endlich  noch  die  Bemerkung, 
dass  man  sogar  die  griechischen,  wie  die  lateinischen  Dichter  zum  Gegen- 
stande alberner  Kritik  gemacht,  Donat  aber  schon  solche  zurückgewie- 
sen habe. 

Die  Schrift  ]Vr.  2  von  Brix  war  jedenfalls  nach  der  Lingeschen 
Arbeit  über  den  Hiatus  bei  Plautus  die  erste  bedeutende  in  ihrem  F'ache. 
Der  Verfasser  geht  mit  lebendiger  Frische  und  äusserst  anerkennenswer- 
ther  Genauigkeit  und  Sorgfalt  zu  Werke.  Er  spricht  p.  7  den  Grund- 
satz, nach  welchem  er  in  der  Untersuchung  verfahren  habe,  aus,  indem 
er  sagt:  man  dürfe  nicht  an  die  Feststellung  von  Gattungen  prosodischer 
Licenzen  von  vornherein  denken  ;  das  römische  Volk  habe  sich  bei  der 
Aussprache  der  Worte  nicht  von  bestimmten  Regeln  leiten  lassen.  Man 
müsse  also  alle  einzelnen  Worte  an  allen  Stellen,  wo  sie  sich  finden,  be- 
trachten, sammeln,  zählen,  so  dass  sich  durch  bestimmte  Zahlen  das  Ue- 
berwiegen  des  einen  oder  andern  Gebrauchs  feststellen  lasse.  Dieses 
Verfahren,  welches  wir  bisher  auch  als  das  einzig  richtige  erkannt  hatten, 
weil  als  das  einzige,  durch  welches  man  aus  stetem  Schwanken  zu  einer 
endlichen  Sicherheit  gelangen  könnte,  möchten  wir  gleichwohl  jetzt  nicht 
mehr  als  unumgänglich  nöthig  betrachten.  Denn  abgesehen  davon,  dass 
wir  in  der  Verschiedenheit  des  Gebrauchs  z.  B.  derselben  Consonanten- 
Verbindungen,  wie  in  den  von  Hrn.  Brix  angeführten  Beispielen  ille  und 
villa,  schon  eine  ratio  erkennen,  dass  wir  dort  in  dem  vielgebrauchten, 
oft  nicht  viel  bedeutenden  Deraonstrativum  ille  die  Positionskraft  nicht 
ohne  Grund  geschwächt,  hier  im  Nomen  villa  die  Position  in  der  Stamm- 
silbe in  voller  Kraft  sehen,  sehen  wir  jetzt  jenes  Verfahren  als  zu  äus- 
serlich  und  zu  ermüdend  an  und  glauben  überdies,  dass  mit  Hülfe  theils 
eines  nach  den  besten  und  ältesten  Codd.  genau  revidirten  Textes  (die 
Varr.  sind  bisher  zu  zerstreut ,  nirgends  beisammen  gewesen) ,  theils 
der  Sprachvergleichung  (ich  mache  auf  die  Bergk'sche  Recension  des 
1.  Theils  von  Ritschl's  Plautus  in  Zeitschrift  für  Alterth.-Wiss.  1848. 
H.  12  aufmerksam)  gute  Resultate  für  Prosodie  und  Metrik  der  Komiker 
zu  erzielen  sind.  Wir  geben  jetzt  den  Gang  an,  welchen  Hr.  Br.  in  die- 
ser Arbeit  genommen  ,  und  wenden  uns  sodann  zu  dem ,  was  uns  als 
Hauptresultat  der  Schrift  hervorzuheben  zu  sein  scheint.  Der  Verf. 
geht  von  der  1.  Scene  der  Asinaria  des  Plautus  aus,  welche  unter  den 
112  Versen  ,  aus  denen  sie  besteht,  auch  nicht  einen  Vers  hat,  der 
ein  Wort  mit  schlechtem,   falschem    Accente  enthalte.      Was  in  dieser 


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Scene  aber  sonst  etwa  nicht  recht  beifallswerth  scheint  oder  ist,  nimmt 
er  p.  12  sqq.  durch.  Er  berührt  1)  die  in  dieser  Scene  vorkommenden 
6  Hiaten ,  2)  die  prosodischen  Licenzen.  An  Vs.  52  knüpft  er  die  Unter- 
suchung der  Quantität  von  quippe  bei  Plautus,  nach  welcher  das  Wort 
als  Trochaeus  erkannt  wird;  über  4  Verse,  wo  Zweifel  obwalten,  werden 
nähere  Aufschlüsse  gegeben  (wir  übergehen  dies ,  da  es  uns  mehr  um  das 
Allgemeine,  besonders  aber  um  das  den  Terenz  Betreffende  zu  thun  ist). 
Gegen  das  aus  Terenz  gewonnene  Resultat,  dass  quippe  bei  diesem 
Dichter  nie  anders  wie  als  Trochaeus  gebraucht  sei,  ist  nichts  zu  erin- 
nern. Daran  reiht  sich  die  Betrachtung  der  Quantität  von  nempe,  inde, 
unde,  hercle,  immo  p.  19 — 30,  deren  Resultat  ist,  dass  die  ersten  drei 
bei  Plautus  sehr  oft,  bei  Terenz  wenig  oder  gar  nicht  mit  kurzer  Penul- 
tima  sich  finden ,  in  hercle  dagegen  und  immo  tei  Plautus  die  Penultima 
s^ich  nie  kurz  finde,  während  sonderbarer  Weise  Terenz  sich  bei  immo 
die  Freiheit  der  Verkürzung  nehme.  Wir  finden  diese  allerdings  Hec. 
IV.  4,  104.  V.  4,  37.  Phorm.  V.  8,  43,  indessen  dadurch,  wie  ich  meine, 
entschuldigt,  dass  in  der  Verbindung  von  immo  mit  vero  die  Naturlänge 
in  vero  mit  der  Positionslänge  in  immo  concurrirt.  Was  die  4.  Stelle, 
Andr.  V.  2,  13  betrifft,  so  muss,  falls  Hr.  Br.  wegen  des  doppelten  Ictus 
auf  indignum  die  Verkürzung  von  immo  nicht  annehmen  zu  dürfen  glaubt 
(jenes  ist  übrigens  nicht  ungewöhnlich) ,  statt  Chreme  —  Chremes  ge- 
lesen werden,  so  dass  dann  ein  Schein-Bacchius  statt  eines  Anapäst  an  der 
vierten  Stelle  des  trochäischen  Tetrameter  stände.  Denn  der  Vocativ 
Chreme ,  der  sich  an  ungefähr  38  Stellen  bei  Terenz  zu  Ende  des  Verses 
findet,  in  der  Mitte  an  2  Stellen  (Andr.  V.  3,  24.  Phorraio  V.  5,  58) 
Elision  erleidet,  an  6  anderen  Stellen  (Andr.  IV.  4,  44.  V.  4,  42.  Eun. 
IV.  5,  4.  Heaut.  I.  1,  23.  III.  3,  24.  Phorm.  IV.  3,  4)  in  der  Mitte  lang 
ist,  dürfte  nicht  mit  Recht  hier  in  der  ultima  kurz  gebraucht  sein  ,  eben 
so  wenig  als  Phorm.  IV.  3,  4.  —  An  die  obigen  Wörter  schliesst  sich 
endlich  autem  an ,  wovon  Hr.  Br.  gegen  Weise  den  Beweis  führt,  dass  es 
nie  seine  Vorletzte  verkürzt  habe.  —  Weiter  wird  sodann  eine  weitere 
Untersuchung  der  Position  von  muta  c.  liquida  angestellt,  welche  sich  an 
die  p.  24  zu  Persa  IV.  3,  23  gemachte  Behauptung  der  nicht  statthaften 
Verlängerung  der  Penultima  von  lucrum  als  Beweis  anschliesst  (p.  33  bis 
44).  Dieser  Theil  der  Arbeit  von  Br.  scheint  uns  der  bedeutendste  zu 
sein,  da  damit  der  Anfang  gemacht  wird,  eine  Hauptschwierigkeit  in  der 
Prosodik  und  Metrik  der  Komiker,  die  Frage  über  die  Bedeutung  der 
Position  für  die  Quantität  der  Silben,  zu  beseitigen.  Das  Resultat  die- 
ser Untersuchung  ist,  dass  die  Consonanten-Verbindungen  br,  er,  pr,  gr, 
tr,  cl,  pl  weder  bei  Plautus  noch  bei  Terenz  Position  machen.  Indem 
wir  vor  der  Hand  dieses  Resultat  in  seinem  ganzen  Umfange  als  richtig 
annehmen,  fügen  wir  hinzu ,  dass,  wenn  das  Resultat  auch  vorerst  als 
ein  geringes  erscheinen  möchte,  doch  der  grosse  Werth  desselben  nicht 
zu  verkennen  ist,  und  zwar  liegt  er  besonders  darin,  dass  es  ein  sehr 
richtiger  Anfang  zu  sein  scheint.  Die  liquidae  sind  ihrer  Natur  nach 
durchgängig  mehr  so  gebraucht,  dass  sie  keine  Position  machen.  Von 
den  liquidis  aber  sind  wieder  r  und  l  ihrer  Natur  nach  die  flüssigsten,  so 


410  Bibliographische  Berichte  u.  kurze  Anzeigen. 

dass  das   oben    aufgefundene  Resultat   mit   der  Theorie   der  Laute   ganz 
übereinstimmt.      Eine  fortgesetzte  Untersuchung  der  Positionsfrage  A\ürde 
zunächst  die  Verbindung  der  mutae  mit  den  übrigen  liquiden  Buchstaben 
m  und  n,  dann  die  der  liquidae  unter  einander,  dann  die  Verbindung  von 
liquidis  mit  mutis ,  so  dass  diese  jenen  nachfolgen,  nicht  wie  oben  voran- 
gehen ,  ferner  ,  wie  sich  i  und  u  als  Consonanten  _;  und    v  in   Bezug  auf 
vorhergegangene  Vocale  verhalten,  zu  betrachten   haben;   dann   auf  die 
Verbindung  der  mutae  untereinander  und  endlich  noch  auf  die  Verbindung 
s  —  s  und  des  s   mit  anderen    Consonanten  eingehen  müssen,  in  welchem 
letzten  Theile  die  Verbindung,  wo  das  s  nach  andern  Consonanten  steht, 
den  Schluss  bilden  müi^ste.      Sollte  der  hier  einer  solchen  Untersuchung 
vorgezeichnete  VVeg,   der  mir   der   naturgemässe   zu  sein    scheint,   nicht 
zum  Ziele  führen,  so  bliebe  immer  noch  jener   äusserste   von  Br.   vorge- 
schlagene übrig.      Wir  haben  nun  noch  Einiges  in  Bezug  auf  obiges   Re- 
sultat mitzutheilen.        Gegen   die   durch    dasselbe  begründeten   Verände- 
rungen der  Bentley'schen  Accente  an  einigen  Stellen,  z.  B.  Andr.  1. 1,  32, 
Heaut.  11.  3,  45   mediocriter   statt  mediöcriter,    ist   nichts    zu  bemerken. 
Hr.  Br.  hat  sich  aber  an  einigen  Stellen  Veränderungen  erlauben  zu  müs- 
sen geglaubt.      Ob  und  in  wie  weit  diese  gerechtfertigt  sind  ,  wollen  wir 
in  Kurzem  angeben.      Gegen  die  aus   den  besten   und  meisten  Mss.  her- 
rührende Lesart  nullä  maläm  rem   esse   exp.   m.  Heaut.  H.  3,  48,   deren 
sich  Hr.  Br.    gegen    Bentley  annimmt,   ist  nichts    einzuwenden;    sie  ist 
richtig    und  um  so  passender,  als  so  die  Beschreibung  der  Kleidung  auf 
die  Angabe  der  Beschaffenheit  der  Gesichtsfarbe  folgt.    Auch  hat  Hr.  Br. 
Adelph.  IV.  2,  38  (cf.  p.  38)  richtig  Uli  statt  illic  gesetzt  und  so  die  erste 
in  caprificus  als  kurz  restituirt.      Zweifel  stiessen  uns  dagegen  gegen  des 
Verf.  Erklärung  bei  Heaut.  L  1,  11   auf,   wo  eo   beibehalten  und  agrum 
mit  kurzer  penultima  gelesen  werden  soll.      Beides  möchten  wir  gern  zu- 
geben, wenn  wir  nicht  Hrn.   Br.  folgend    die   metrische   Richtigkeit  und 
Eleganz  aufzuopfern  glaubten.      Wie  soll  conjicio  dreisilbig  gelesen  wer- 
den?   Soll  das  i  in  der  Endung    consonantisch  werden  und   die    vorher- 
gehende Silbe  lang  machen?      Es  scheint  so,  aber  das   möchte  gewagt 
sein.      Und  doch  wie  anders?    Bleibt   conjicio   viersilbig,  so  haben  wir 
einen  Proceleusmaticus  statt  Trochaeus  gegen  die  Regel: 

aut  I  plus  e[o,  üt  conjjicio;  agrum  in  |  his  regi|önibus. 
Hätte   man    statt    conjicio — concludo  ,  so  wäre  geholfen.      Das  Metrum 
würde  dann  ganz  gut  von  Statten  gehen: 

aut  j  pliis  e[o,  üt  con[clüdo;  agrum  in  |  his  regijönibus. 
Vor  der  Hand  wissen  wir  nicht  anders  zu  helfen.  —  Wegen  Heaut.  prol. 
6,  wozu  duplici  als  gegen  die  aufgestellte  Regel  verstossend  angemerkt 
und  diese  Lesart  verworfen  wird  ,  verweisen  wir  auf  Ritschi  Parerga 
p.  387  Anraerk.  —  Zu  dem  oben  bezeichneten  Wege  für  die  Positions- 
Behandlung  und  Aufstellung  von  Gesetzen  für  dieselbe  sei  noch  bemerkt, 
dass  sich  an  die  Untersuchung  der  Verbindung  von  muta  c.  liquida,  wie 
sie  Br.  angestellt  hat,  d.  h.  in  den  Fällen,  wo  muta  c.  liq.  zur  folgenden 
Silbe  gehört,  sich   noch  im  Besonderen  die   Betrachtung  der  Fälle  an- 


Schul-  und  Universitätsnachrichten  u.  s.  w.  411 

reihen  muss,  wo  Silben  oder  Worte  mit  mutis  schliessen  und  die  folgenden 
Silben  oder  Worte  mit  liquidis  beginnen.  In  welchen  Fällen  das  Ton 
Br.  aufgestellte  Gesetz  nicht  stichhaltig  sein  möchte.  Als  Schluss  knüpft 
sich  an  Obiges  p.  45  sqq.  die  Bemerkung,  dass  jam  in  der  Verbindung 
nunc  jam  stets  zweisilbig  —  iam  —  von  Plautus  wie  von  Terenz  ge- 
braucht werde. 

Liegnitz.  Dr.  A.  Liebig. 

[Fortsetzung  folgt.] 


Schul-   und   Universitätsnachrichten ^    Beförderungen 


und  Ehrenbezeigungen. 


Aus  dem  Grossherzogthum  Baden.  Nachdem  die  vorjährige  Mai- 
Revolution,  welche  so  viel  Unglück  und  so  grosses  Elend  über  unser 
vordem  so  schönes  und  glückliches  Land  gebracht  hat,  unterdrückt  war 
und  Gesetz  und  Ordnung  wieder  die  gebührende  Geltung  erlangt  hatten, 
wurden  auch  alsbald  von  den  hohen  Behörden  in  Beziehung  auf  die 
Schule  die  nöthigen  Anordnungen  und  Verfügungen  getroffen;  denn  auch 
auf  diesem  Gebiete  hatten  die  unheilvollen  Ereignisse  ihren  störenden  und 
verderblichen  Einfluss  mehr  oder  weniger  geübt.  Indem  nun  diese  An- 
ordnungen und  Verfügungen  der  hohen  Behörden  aufs  Neue  den  Beweis 
liefern,  wie  sehr  den  hochachtbaren  Männern,  welche  mit  der  Pflege  und 
Leitung  des  Schulwesens  in  unserm  Grossherzogthum  betraut  sind,  das 
wahre  Wohl  der  Schule  am  Herzen  liegt  und  wie  sehr  sie  bemüht  sind, 
dasselbe  nach  allen  Richtungen  hin  zu  fördern,  müssen  wir  aber  auch 
zugleich  berichten,  dass  im  Verhältniss  zu  der  grossen  Zahl  der  Lehrer 
an  den  höheren  Schulanstalten  nur  sehr  wenige  sich  an  den  revolutionären 
Bewegungen  betheiligt  haben.  Bei  weitem  der  grösste  Theil  derselben, 
von  der  hohen  Würde  und  Heiligkeit  ihres  Berufes  durchdrungen,  blieb 
ihnen  fern.  Auch  der  Unterricht  wurde  an  vielen  Schulen  gar  nicht,  und  an 
anderen,  mit  nur  wenigen  Ausnahmen,  nur  einige  Tage  während  dieser 
Schreckensperiode  unterbrochen.  Da  die  Erlasse,  welche  die  eben  erwähn- 
ten Anordnungen  der  hohen  Behörden  enthalten,  einennicht  uninteressanten 
Beitrag  zur  Geschichte  des  badischen  Schulwesens  im  Jahre  1849  ent- 
halten und  desshalb  auch  in  einem  grösseren  Kreise  bekannt  zu  werden 
verdienen,  so  glauben  wir  sie  auch  in  diesen  Blättern  niederlegen  zu 
müssen.  —    Der  Wortlaut  der  fraglichen  Erlasse  selbst  ist  folgender: 

Grossherzoglicher  Oberstudienrath.  Carlsruhe,  den  16.  Juli  1849. 
Nr.  1145.  Erlass  des  Grossherzogl.  Ministeriums  des  Innern  v.  13.  d.  M. 
Nr,  8948,  den  dermaligen  Zustand  der  höheren  Lehranstalten,  insbeson- 
dere die  Prüfungen  und  Visitationen  betreffend.  Beschluss.  Fiat.  Gene- 
rale an  sämmtliche  Lehranstalten  (Lyceen ,  Gymnasien,  Pädagogien  und 
höhere  Bürgerschulen). 


412  Schul-  und  Universitätsnachrichten 


In  Anbetracht,  dass  die  unheilvollen  Ereignisse  der  jüngsten  Zeit 
auch  auf  dem  Gebiete  der  Schule  ihren  störenden  und  verderblichen  Ein- 
fluss  geübt  haben ; 

und  in  Erwägung,  dass  an  den  meisten  Anstalten  des  Landes  der 
Unterricht  nicht  nur  kürzere  oder  längere  Zeit  unterbrochen  wurde,  son- 
dern dass  seine  Fruchtbarkeit  unter  dem  Einflüsse  so  ausserordentlicher 
Ereignisse  überhaupt  nur  gering  sein  konnte, 

sieht  man  sich  mit  Genehmigung  des  Grossherzoglichen  Ministeriums 
des  Innern  zu  folgenden  vorübergehenden  Anordnungen  für  das  gegen- 
wärtige Schuljahr  veranlasst: 

1)  Der  Unterricht  ist  an  sämmtlichen  Lehranstalten  vorerst  bis  zum 
1.  September  1.  J.  fortzuführen ,  sofern  nicht  bei  einzelnen  Anstalten  be- 
sondere Verfügung  ergehen  wird. 

2)  Die  Vorstände  der  Anstalten  haben  sofort  anher  zu  berichten, 
ob  und  wie  lange  der  Unterricht  im  Laufe  dieses  Sommers  an  der  be- 
treffenden Anstalt  ausgesetzt  worden  ist,  resp.  Ferien  stattfanden. 

3)  Feierliche  ölfentliche  Prüfungen  sollen  nicht  stattfinden.  Dage- 
gen sind  am  Schlüsse  des  Schuljahres  die  Classenprüfungen  in 
der  Weise,  wie  dies  für  das  Winterhalbjahr  vorgeschrieben  ist*),  durch 
die  Directoren  und  beziehungsweise  durch  die  Inspectoren  der  höheren 
Bürgerschulen,  unter  Zuziehung  der  Lehrer  vorzunehmen,  und  ist  über 
den  Befund  anher  Bericht  zu  erstatten. 

Die  Ephoren  und  kirchlichen  Commissarien  sind  zur  Theilnahme  an 
diesen  Prüfungen,  letztere  zu  den  Religionsprüfungen,  von  den  Vorstän- 
den besonders  einzuladen,  auch  die  Eltern,  Vormünder  und  F'ürsorger 
der  Schüler  **)  öffentlich  —  durch  die  auszugebenden  Programme  oder 
auf  sonstige  Weise  —  von  der  Zeit  der  Prüfung  zu  benachrichtigen  und 
zu  dieser  einzuladen. 

4)  Die  nach  den  bestehenden  Verordnungen  anher  zu  machenden 
Vorschläge  der  Lehrerconferenzen  hinsichtlich  der  Promotionen  der  Schü- 
ler sind  in  der  letzten  Woche  des  Schuljahres  vorzulegen.  Was  die 
Entlassung  der  Schüler  der  obersten  Lycealclasse  zur  Hochschule  betrifft, 
so  werden  die  Lehrerconferenzen ,  zu  deren  dessfallsigen  Berathungen  die 
Ephoren  einzuladen  sind,  am  Schlüsse  des  Schuljahres  unter  genauer 
Angabe    der  wissenschaftlichen  Befähigung    und    der  Charakterreife  der 


*)  In  jedem  Jahre  finden  zwei  Prüfungen  Statt,  die  eine  zur  Oster- 
zeit,  die  andere  am  Schlüsse  des  Schuljahres.  Die  Prüfung  zur  Oster- 
zeit  ist  nicht  öffentlich ;  sie  wird  von  dem  Director  der  Anstalt  ange- 
ordnet und  in  jeder  Classe  vorgenommen.  Zu  dieser  Prüfung  werden 
die  Hauptlehrer  und  Nebenlohrer  dieser,  so  wie  sämmtliche  Lehrer  der 
nächstfolgenden  höheren  Classe  zugezogen.  Der  Director  erstattet  über 
den  Befund  der  Prüfung  Bericht  an  die  Oberstudienbehörde  (Schulord- 
nung $.  11.  12.  Schulplan  §.  33). 

*♦)  Nach  den  im  Grossherzogthum  Baden  geltenden  Schulgesetzen 
muss  jeder  Schüler,  der  nicht  bei  seinen  Eltern  wohnt,  einen  geeig- 
neten Fürsorger  haben,  welcher  die  Pflicht  übernimmt,  über  den 
häuslichen  Fleiss  und  das  sittliche  Betragen  des  Schülers  zu  wachen. 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  413 

Schüler  ihre  Vorschläge  anher  machen,  >vorauf  nach  Prüfung  der  schrift- 
lichen Ausarbeitungen  der  Schüler  die  diesseitige  Entschliessung  erfolgen 
wird. 

5)  Es  wird  den  einzelnen  Anstalten  überlassen,  ob  sie  je  nach  den 
obwaltenden  V-erhältnissen  diesmal  eine  wissenschaftliche  Beigabe  zu  ihren 
Programmen  ausgeben  wollen  oder  nicht.  Ebenso  kann  die  Vertheilung 
von  Prämien  unterbleiben,  was  jedenfalls  an  solchen  Anstalten  zu  ge- 
schehen hat,  deren  finanzielle  Lage  dies  wünschenswerth  macht. 

Im  Uebrigeii  erwartet  man  von  der  Berufstreue  der  Lehrer,  dass 
sie  in  richtiger  Würdigung  der  durch  den  Ernst  dieser  Zeit  erhöhten  Auf- 
gabe der  Schule  mit  allen  ihren  Kräften  bestrebt  sein  werden,  alles  Un- 
geeignete von  jenem  Heiligthume  fern  zu  halten  ,  und  insbesondere  die 
ihnen  anvertrauten  Zöglinge  zu  reger  geistiger  Thätigkeit,  zu  ächter 
Religiosität  und  wahrer  Vaterlandsliebe  durch  Beispiel  und  Lehre  zu 
beleben. 

Böhme.  vdt.  Krauss. 

Grossherzoglicher  Oberstudienrath.  Carlsruhe  ,  den  18.  Juü  1849. 
Nr.  1168.  Erlass  des  Herrn  Präsidenten  des  Ministeriums  des  Innern 
vom  7.  d.  Mts.,  den  Vollzug  der  höchsten  Declaration  vom  '21.  Juni  d.  J. 
über  das  Verhalten  der  Staatsdiener  während  der  Dauer  der  Revolution 
betreffend. 

Beschluss. 

An  sämmtliche  Directionen  der  Lyceen ,  Gymnasien,  Pädagof^ien 
und  höheren  Bürgerschulen  des  Landes : 

Den  Directionen  der  höheren  Lehranstalten  wird  beiliegend  ein  Aus- 
zug aus  dem  oben  bezeichneten  Erlasse  zur  Nachricht  und  mit  dem  Bei- 
fügen mitgetheilt,  dass  die  anbefohlene  Entfernung  solcher  Diener,  welche 
gegen  ihre  rechtmässige  Regierung  sich  eines  pflichtvergessenen  Beneh- 
mens schuldig  gemacht  haben,  im  Lehrfache  vorzugsweise  beschleunigt 
werden  muss,  weil  nothwendig  die  Beibehaltung  eines  Lehrers,  welcher 
durch  sein  Verschulden  die  Achtung  der  besseren  Volksciasse  verloren 
bat,  das  Vertrauen  zu  der  Anstalt  untergräbt,  an  welcher  er  geduldet 
wird,  und  weil  insbesondere  von  dem  Lehrer,  der  auch  im  bürgerlichen 
Leben  seinen  Schülern  als  ein  nachahmungswerthes  Vorbild  erscheinen 
soll,  ein  pflichttreues  gesetzmässiges  Verhalten  und  tadelloser  Ruf  ge- 
fordert werden  muss. 

Die  Directionen  werden  aufgefordert,  das  Benehmen  der  bei  ihren 
Anstalten  angestellten  Lehrer,  welches  sie  während  der  Dauer  der  letzten 
Revolution  gezeigt  haben,  sorgfältig  zu  prüfen,  über  die  Vorfälle,  bei 
welchen  sie  sich  betheiligt  haben,  genaue  Erkundigungen  einzuziehen, 
und  über  Jeden  derselben,  dem  nach  dem  Inhalte  des  abschriftlich  bei- 
gefügten Erlasses  ein  Verschulden  zur  Last  fällt,  welches  nicht  unge- 
ahndet bleiben  kann,  unter  vollständiger  Angabe  der  betreffenden  Hand- 
lungen einen  besonderen  Bericht  zu  erstatten,  damit  ohne  Verzug  das 
erforderliche  dienstpolizeiliche  Verfahren  eingeleitet  und  gegen  die  Schul- 
digen die  verdiente  Strafe  verhängt  werden  kann. 


414  Schul-  und  Universitätsnachrichten, 

Man  erwartet ,  dass  diese  Berichterstattungen  möglichst  beschleu- 
nigt werden. 

Böhme,  vdt.  Krauss. 

Auszug  aus  dem  Erlasse  des  Herrn  Präsidenten  des  Grossherzog- 
iichen  Ministeriums  des  Innern  über  den  Vollzug  der  landesherrlichen 
Deciaration  vom  27.  Juni  1849. 

Während  der  Dauer  der  revolutionären  Gewalt  haben  ihr  gegen- 
über manche  Beamten  und  Angestellten  ein  Verhalten  gezeigt,  welches 
mit  ihren  dienstlichen  Beziehungen  zur  rechtmässigen  Regierung  unver- 
einbar ist.  Ich  rechne  dahin  nicht  das  Verhalten  jener  Beamten,  welche 
der  Gewalt,  die  factisch  im  Besitze  der  angemaassten  Herrschaft  war, 
den  Eid  des  Gehorsams  mit  Vorbehalt  ihrer  Verpflichtung  auf  die  Ver- 
fassung geleistet  und  zugleich  thatsächlich  diesem  Vorbehalte  nachgelebt 
und  nach  Kräften  Alles  gethan  haben ,  um  ihren  Dienstverpflichtungen 
treu  nachzukommen.  Ich  habe  das  Verhalten  derjenigen  im  Auge,  wel- 
che bei  der  diesjährigen  Mairevolution  als  Mitglieder  des  sogenannten 
Landesausschusses,  der  sog.  provisorischen  Regierung,  der  sog.  consti- 
tuirenden  Versammlung  oder  als  Civilcommissäre  dieser  revolutionären 
Behörden  in  Thätigkeit  waren  und  dadurch  offenkundig  die  Revolution 
hauptsächlich  geleitet  haben  ;  sodann  derjenigen,  welche  von  der  revo- 
lutionären Regierung  einen  von  der  rechtmässigen  Regierung  ihnen  nicht 
übertragenen  Dienst,  eine  Beförderung  oder  Versetzung  auf  eine  andere 
Stelle  angenommen  oder  in  anderer  Weise  innerhalb  oder  ausserhalb  ihres 
gewöhnlichen  Wirkungskreises  an  der  Empörung  sich  betheiligt  haben; 
endlich  auch  derjenigen,  welche  eine  Billigung  derselben  zur  Schau 
trugen,  welche  ihnen  das  Zutrauen  rauben  muss,  oder  dieselbe  mit  Ver- 
letzung ihrer  Würde  zu  persönlichen  Zwecken  und  Vortheilen  auszu- 
beuten suchten. 

Solche  Angestellten  können  in  ihrer  früheren  Stellung  zur  recht- 
mässigen Regierung  nicht  verbleiben,  wenn,  was  absolut  erforderlich 
ist,  ein  kräftiges,  vertrauensvolles  Zusammenwirken  aller  Behörden  zur 
Wiederherstellung  und  Erhaltung  der  Staatsordnung  gesichert  sein  soll. 

Carlsruhe.  In  dem  Schuljahre  1848 — 1849  haben  sich  in  dem 
Lehrerpersonale  des  hiesigen  Lyceums  einige  Veränderungen  ergeben. 
Dr.  Lamey ,  im  Schuljahre  1843  als  Lehrer  an  dem  hiesigen  Lyceum  an- 
gestellt, wurde  im  Herbste  1848,  unter  Ernennung  zum  Professor,  an  das 
Mannheimer  Lyceum  versetzt.  An  seine  Stelle  wurde  Prof.  Helfrick  vom 
Pforzheimer  Pädagogium  ,  wo  er  seine  Tüchtigkeit  bereits  erprobt  hat, 
als  Hauptlehrer  der  Prima  und  Lehrer  der  französischen  Sprache  in  eini- 
gen der  mittleren  Lycealclassen  hierher  berufen.  —  Den  mathematischen 
Unterricht  in  Unter- Sexta  trat  Hofrath  Eisenlohr  wegen  anderweitiger 
Geschäfte,  nach  seinem  eigenen  Wunsche,  welcher  durch  die  Lyceums- 
Direction  und  Lehrer-Conferenz  unterstützt  wurde,  mit  Genehmigung  der 
höheren  Behörde  an  Lehrer  Pfeiffer  ab,  so  dass  nun  der  ganze  stren- 
gere Unterricht  in  der   Mathematik  von  Unter-Quarta  bis  einschliesslich 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  415 

Unter-Sexta  in  Einer  Hand  liegt,  und  bei  den  schönen  Kenntnissen  und 
dem  regen  Eifer  dieses  Lehrers  lassen  sich  die  besten  Erfolge  von  dieser 
Einrichtung  erwarten.  —  Nach  dem  Tode  des  Professors  Karl  Kärcher, 
welcher  seit  mehreren  Jahren  die  unterste  Classe  der  Vorschule  des  Ly- 
ceums  besorgte,  wurde  der  Unterricht  an  derselben,  -vom  November  bis 
zum  Schlüsse  des  Wintersemesters,  von  Lehrer  Wagemann  gegeben, 
dessen  Gewissenhaftigkeit  und  liebevolle  Behandlung  der  ihm  anvertrau- 
ten Kleinen  gebührende  Anerkennung  verdient.  Mit  dem  Anfange  des 
Sommercursus  wurde  sodann  höheren  Orts  K.  Beck  zum  provisorischen 
Hauptlehrer  dieser  Classe  ernannt,  mit  der  Auflage,  auch  in  der  ersten 
Classe  des  Lyceums  einigen  Unterricht  zu  ertheilen.  —  Prof.  fVaag, 
Lehrer  an  der  hiesigen  Kriegsschule,  hat  in  sehr  bereitwilliger  und  un- 
eigennütziger Weise  während  mehrerer  Wochen  Aushülfe  an  der  Anstalt 
geleistet  und  sich,  wie  Prof.  JFeltzien,  welcher  auch  in  diesem  Jahre 
den  Schülern  der  Ober-Sexta  unentgeltlichen  Unterricht  in  der  Chemie 
ertheilte  (NJahrbb.  LX.  Heft  4.  S.  442),  dadurch  um  die  Anstalt  ver- 
dient gemacht  und  deren  Dank  erworben.  — •  Der  früher  provisorisch 
hierher  berufene  Religionslehrer  der  katholischen  Schüler,  Beneficiat  Kirn^ 
wurde  im  Laufe  dieses  Jahres  in  dieser  Eigenschaft  definitiv  angestellt. 
—  Wenn  übrigens  in  den  letzten  Monaten  des  Schuljahres  der  Unterricht 
an  der  Anstalt  nicht  überall  zu  einem  vollständig  genügenden  Ergebnisse 
führte,  so  mögen  die  damaligen  allbekannten  unseligen  Zeitverhältnisse 
wohl  eine  genügende  Entschuldigung  bieten.  Nicht  nur  wurden  gleich 
in  den  ersten  Tagen  des  Aufstandes  gegen  80  Zöglinge  der  Anstalt  iheils 
heimgerufen,  theils  von  ihren  Eltern  mit  fortgenommen,  oder,  um  nicht 
unter  das  erste  Aufgebot  treten  zu  müssen,  in  das  Ausland  geschickt  — 
so  dass  namentlich  aus  den  beiden  Classen  der  Sexta  während  jener  gan- 
zen Schreckenszeit  kaum  die  Hälfte  der  Schüler  anwesend  war  — ,  son- 
dern es  erlitt  auch  der  Unterricht  der  anwesenden  mancherlei,  wenn  auch 
schon  im  Ganzen  keine  bedeutende  Unterbrechung;  nicht  davon  zu  reden, 
dass  es  für  die  Lehrer  wie  für  die  Schüler  mitunter  nicht  gewöhnliche 
Anstrengung  erforderte,  um  bei  dem  äusseren  Sturme  die  für  einen  ge- 
deihlichen Unterricht  nÖthige  innere  Ruhe  und  Sammlung  zu  bewahren. 
Veranlasst  durch  diese  Verhältnisse,  stellte  die  Lyceumsdirection ,  im 
Einverständniss  mit  der  Lehrerconferenz,  beim  Grossherzogl.  Oberstudien- 
rathe  die  Bitte,  zu  genehmigen,  dass  am  Schlüsse  des  Schuljahres  die  ge- 
wöhnlichen öffentlichen  Prüfungen,  so  wie  der  feierliche  Schlussact  und 
die  Austheilung  von  Prämien  unterbleibe  und  die,  wiewohl  druckfertige 
wissenschaftliche  Beigabe  (verfasst  von  dem  Director  des  Lyceums  Geh. 
Hofrath  Dr.  E.  Kärcher)  für  das  nächste  Jahr  zurückgelegt  werde;  bei- 
des letztere  zugleich  aus  dem  durch  die  derraaligen  Zeitumstände  wohl 
gerechtfertigten  Wunsche,  möglichste  Schonung  des  ohnehin  etwas  er- 
schöpften Lyceurasfonds  eintreten  zu  lassen.  Diese  Anträge  wurden 
nicht  nur  von  der  Behörde  genehmigt,  sondern  sie  wurden  auch  in  Folge 
einer  Verfügung  des  Grossherzogl.  Ministeriums  des  Innern  vom  13.  Juli 
1849  von  dem  Grossherzogl.  Oberstudienrathe  durch  Erlass  vom  16.  Juli 
1849  durch  ein  Generale  den  sämmtlichen   Gelehrtenschulen  und  höheren 


416  Schul  -  und  Universitätsnachrichten, 

Bürgerschulen  mitgetheilt  und  auch  für  diese  maassgebend  *).  —     Was 
nun  noch  die  Prüfung  selbst  betrifft,  so  stand  es  im  Belieben  der  Eltern 
der  Schüler,  wie  eines  Jeden,    welcher  sich  um  die  Anstalt  und  ihre  Lei- 
stungen interessirt,  auch  dieser  anzuwohnen,  was  auch  von  dem  Director 
der  Anstalt  in  dem  ausgegebenen  Programme  ,  mit   der  Angabe   der  Zeit 
für  die  Prüfungen  in  den  einzelnen  Ciassen  und   Gegenständen,  ausdrück- 
lich bemerkt   wurde.  —    Besonders  verdient  ein  bedeutendes  Geschenk 
erwähnt  zu  werden  ,  w  elches  die  Anstalt  durch   Vermittelung   des   Münz- 
rathes  Kachel  von  hier,  während  dessen  Anwesenheit  in  Wien,  durch  die 
Liberalität  des  Directors  der  Kaiserlichen  Hof-  und  Staatsdruckerei,   Re- 
gierungsrathes  von  Aaer,  für  die  Bibliothek  desLyceums  erhielt.    Es  sind 
dieses  zwei  aus  der  eben   genannten  Druckerei  hervorgegangene  Werke 
in  Tafeln  vom  grössten  Folioformate.      Das  eine,  in  14  Blättern,  hat  den 
Titel:  ^^Typenschau  des  gesammten  Erdkreises''''^  das   andere  ,,Die  Spra- 
chenhalle''''   enthält   in    seiner  ersten   Abtheilung   und   auf  7  Blättern  das 
Vaterunser  in  608  Sprachen  und   Mundarten,  nämlich  den  ganzen  Ade- 
luiig'schen  Mithridates,  mit  86  vom  Director  ^aer  beigefügten  Vaterunser- 
Formeln.      Die  zweite  Abtheilung,   auf  4  Blättern  in  206  Sprachen    und 
Mundarten,  enthält  die  von  Director  Auer  neuerdings  gesammelten  ver- 
besserten Vaterunser    in  den    den    betreffenden  Völkern  eigenthümlichen 
Schriftzügen,    mit    der  jedesmaligen  Aussprache  und   wörtlichen   Ueber- 
setzung.    —    Zum  Besuche  einer   Universität  wurden  im  Herbste   1848 
32  Schüler  entlassen.      Von  diesen  widmen  sich   7  (evangel.  Confession) 
der  Theologie,  10  der  Jurisprudenz,  2  der  Medicin,    1  der  Naturwissen- 
schaft, 6  der  Camerahvissenschaft,  4  der  Philologie,   1  wollte  zum  Mili- 
tär und  1  zur  Erlernung  der  Kaufmannschaft  abgehen.     Ausserdem   war 
kurz  vor  dem  Schlüsse  des  Schuljahres  1  Schüler  mit  dem  Zeugnisse  der 
Reife  ausgetreten,  um  sich  dem   Militärdienste   zu  widmen.  —  Was  die 
Schülerzahl  betrifft,  so  zählte  das  Lyceum  mit  der  Vorschule  im  Schul- 
jahre 1848 — 1849  546  Schüler.      Davon  kommen  auf  das  eigentliche  Ly- 
ceum 345,  auf  die  Vorschule   201   Schüler.      Darunter   sind  281  evange- 
lischer, 186  katholischer  Confession  und   79  Israeliten.      Im  Schuljahre 
1847  — 1848  hatte  das  eigentliche  Lyceum  454,   die  Vorschule  200,  also 
im  Ganzen  654  Schüler  (vergl.  NJahrbb.  a.  a.   O,  S.  442.  443).      Somit 
hat  der  Besuch  des  eigentlichen  Lyceums  im  letzten  Jahre  um  109  Schü- 
ler ab-,  in  der  Vorschule  um  1  Schüler  zugenommen.     Der  gegen  frühere 
Jahre  bedeutend  geringere  Besuch    des  Lyceums   liegt  hauptsächlich  in 
den  Verhältnissen,  welche  das  Jahr  1848  theils  brachte,  theils   noch   in 
Aussicht  stellte.      Auch  die  Revolutionsperiode  verfehlte  nicht  ihren  Ein- 
fluss  auf  die  Anstalt  auszuüben,  wiewohl  der  grösste  Theil  der  während 
derselben  weggebliebenen  Schüler,  nach  wieder  hergestellter  Ordnung, 
sich  wieder  in  der  Schule  einfanden.  —    Wir   können  nicht  schliessen, 
ohne  aus  dem  dem  Programme  voranstehenden  ,, Vorworte"  des  um  die 
Anstalt  hochverdienten  Directors  derselben,  welcher  zugleich  auch  Mit- 
glied des  Grossherzogl.   Oberstudienrathes  ist,   Einiges  beizufügen.     Es 


♦) Vergl.  den  oben  mitgetheilten  Erlass  S.  411  fg. 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  417 

betrifft  eine  in  gegenwärtiger  Zeit  ganz  besonders  wichtige  Frage ,  näm- 
lich die  religiöse  und  sittliche  Erziehung  unserer  Jugend.  Beides  soll, 
sagt  der  würdige  Verfasser,  neben  dem  eigentlichen  wissenschaftlichen 
Unterrichte  an  unsern  Anstalten  gepflegt  werden,  und  jede  Schule,  in 
welcher  blos  Letzteres  und  nicht  zugleich  Jenes  beachtet  wird ,  mag  sie 
auch  —  was  jedoch  kaum  der  Fall  sein  dürfte  —  ein  noch  so  gesundes 
Aussehen  vor  sich  her  tragen ,  entbehrt  dennoch  des  innersten  Lebens- 
keimes. Zugleich  weist  er  aber  auch  darauf  hin,  dass  die  Öffentliche 
Erziehung  und  der  öffentliche  Unterricht  doch  nur  immer  das  eine  Mit- 
tel zur  harmonischen  Menschenbildung  ist,  und  dass  diese  öffentliche 
Erziehung  ihren  nothwendigen  Grund  und  Anker  zugleich  in  der  häus- 
lichen suchen  und  finden  muss.  Die  Schule  ist  die  linke  Hand  der 
Erziehung,  wie  das  Haus  die  rechte,  oder,  wie  Pestalozzi  sagt:  „der 
Segen  der  Schulstube  ist  bedingt  durch  den  Segen  der  Wohnstube''^.  Kehre 
nur  vorerst  in  alle  unsere  Familien  jenes  ehrenfeste  Verhältniss  zwischen 
Eltern  und  Kindern  wieder  ein ,  wie  es  zu  Zeiten  unserer  Väter  stattfand ; 
lasse  sich  der  Graubart  nur  nicht  mehr  von  dem  Milchbarte  meistern; 
kehre  man  nur  einmal  ernstlich  zu  der  frühern  Einfachheit  zurück  ;  präge 
sich  nur  die  wahre  Gottesfurcht,  die  bekanntlich  nicht  blos  in  Beten  und 
Singen  besteht  und  jedenfalls  mehr  im  Herzen  als  im  Kopfe  wohnen  muss, 
in  allem  unsern  Wirken  und  Handeln  aus:  gewöhne  sich  Vater  und  Mutter 
nur  überall,  die  moralische  Bildung  ihrer  Söhne  als  eine  der  wichtigsten 
Lebensaufgaben  zu  betrachten:  —  dann  wird  so  mancher  an  der  heran- 
reifenden Jugend  bisher  bemerkte  und  gerügte  Fehler  von  selbst  weg- 
fallen, oder  doch  im  Laufe  der  Zeit  getilgt  und  es  auch  der  öffentlichen 
Erziehung  möglich  werden,  nicht  blos  auf  Geist  und  Verstand,  sondern 
auch  auf  Herz  und  Gemüth  unserer  Jugend  nachhaltig  einzuwirken. 

[H.] 

DoNÄUESCHiNGEN.  Auch  im  verflossenen  Schuljahre  sind  an  dem 
hiesigen  Gymnasium  mehrere  Aenderungen  eingetreten.  An  die  Stelle 
des  von  hiesiger  Lehranstalt  abberufenen  Gymnasiallehrers  Schwab  (er 
wurde  zum  Vorstande  der  neu  organisirten  höheren  Bürgerschule  in  Brei- 
sach ernannt  (vergl.  NJahrbb.  Bd.  LV.  Hft.  4.  S.  447)  kam  durch  Be- 
schluss  des  Grossherzogl.  Staatsministeriums  vom  28.  September  1848 
Prof.  Schuck  vom  Gymnasium  zu  Bruchsal.  Durch  denselben  Beschluss 
wurde  der  seitherige  Gymnasiums -Director  Prof.  Fickler  zum  Professor 
an  dem  Lyceum  in  Rastatt  ernannt  und  die  hierdurch  erledigte  Stelle 
dem  Prof.  Donsbach ,  bis  dahin  Vorstand  der  höheren  Bürgerschule  in 
Ettenheim,  übertragen.  Lehramtspraktikant  Rapp  wurde  an  das  Gym- 
nasium zu  Tauberbischofsheim  versetzt  und  die  hierdurch  erledigte  Lehr- 
stelle dem  Priester  Leopold  Hoppensack  von  dem  Grossherzogl.  Ober- 
studienrathe  übertragen.  —  Als  Geschenk  erhielt  die  Anstalt  von  Prof. 
Schuck  dahier  41  Werke ,  grösstentheils  geschichtlichen  Inhalts.  —  Im 
verflossenen  Schuljahre  wurde  die  Anstalt  von  87  Schülern  besucht.  Unter 
diesen  waren  73  Katholiken  und  14  Protestanten.  [H.] 

DuRLACH.      Während  des  verflossenen  Schuljahres  hat  das   hiesige 
Pädagogium,  mit   welchem  die  höhere  Bürgerschule   verbunden  ist,   fol- 

n.  Jahrb.  f.  Phil.  u.  Päd.  od.  Krit.  Bibl.  Dd.  LVHI,  Hß.  4.  27 


418  Schul-  und  Universitätsnachrlchten, 

gende  Veränderungen  im  Lehrerpersonale  erfahren:  durch  Staatsrainiste- 
rial-Erlass  vom  16.  August  1848  Avurde  dem  Lehrer  Bauritiel  y  welcher 
bis  dahin  Vorstand  der  höheren  Bürgerschule  in  Sinsheim  gewesen  war, 
die  erledigte  dritte  Lehrerstelle  an  der  hiesigen  Anstalt  übertragen.  Er 
trat  seinen  neuen  Dienst  sogleich  mit  dem  Beginne  des  Schuljahres  an. 
Von  Ende  Decembers  an  versah  Lehramtspraktikant  Karl  Kappes  die  Stelle 
des  Praktikanten  Ochs,  welcher  an  dem  Lyceum  in  Carlsruhe  verwendet 
wurde,  aber  gegen  Ende  Februar  seinen  Dienst  an  unserer  Schule  wie- 
der antrat.  Als  er  gegen  Ende  des  Monats  Juni  Durlach  verliess,  kam 
durch  ßeschluss  des  Grossherzogl.  Oberstudienrathes  vom  2.  Juli  1849 
Lehramtspraktikant  Gustav  Kappes  an  seine  Stelle.  Im  vorigen  Schul- 
jahre zählte  die  Anstalt  62  Schüler  (NJahrbb.  Bd.  LV.  Hft.  3.  S.  341). 
Im  letzten  Jahre  betrug  die  Gesammtzahl  72  Schüler,  darunter  befinden 
sich  61  Evangelische  und  11  Katholiken.  l^-] 

EisENACH.      Zu  Ostern  d.  J,  erschien:  Programm  des  Grossh.  Carl- 
Friedrichs-Gymnasium  zu  Eisenach   als  Einladung  u.    s.  w.   Inhalt:   Quae- 
stiones  Platonicae.      Von   Prof.   Dr.   Schwanitz.    Schulnachrichten»      Vom 
Director.    13  S.  gr.  4.      Hr.  Schwanitz,  welcher  schon  in  einem  früheren 
Programm  einen  dankenswerthen  Beilrag  für   die  Erklärung   Plato's   ge- 
liefert hat,  referirt  in  diesen  quaest.  über  die  Versuche,    die  Lehren  der 
platonischen  Philosophie  mit  denen  des  Christenthuras  zu  vergleichen,  und 
kömmt  sodann  auf  die  neueste  Schrift  über  diesen  Gegenstand   von  J.  G. 
L.  Mehliss ,  comparat.  Piaton.  doctrinae  de   vero   rei  publ.  exemplo   cum 
christiana  de  regno  divino.      Comra.  a.  1845  praemio  regio  ornata  Gottin- 
gae.    Indem  Hr.    S.   erklärt,   nur  die  Ansichten   von    M.    einer  Prüfung 
unterwerfen  zu  wollen,  welche  auf  Erklärung   der  platonischen   Philoso- 
pheme  sich  beziehen,  nicht  aber  diejenigen,  welche  sich  mit  Erläuterung 
biblischer  Aussprüche  beschäftigen,  wendet  er  sich  zu  den  einzelnen  Ab- 
schnitten der  Preisschrift.      Schon  der  Anfang  derselben  giebt  ihm  Veran- 
lassung, sich  über  die  Tendenz  der  platonischen  Republik  auszusprechen, 
und  er  fügt  der  von  M.  geäusserten  Ansicht  noch  hinzu,   was  in  neuerer 
Zeit  von  Rettig    darüber    erwähnt    worden    war.      Länger    verweilt   der 
Verf.  bei  der  platonischen  Ideelehre,  wie  sie  von  M.  dargestellt  ist.   Ge- 
stützt auf  die  Gründe  von  K.  F.  Hermann  und   von  Stallbaum  bestreitet 
er  die  Meinung  von  M.,  nach  der  dieser  die  Gottheit  Plato's  für  identisch 
mit  der  Idee  des  Guten  erklärt.      Zugleich  giebt  die  bekannte  Streitfrage 
Hrn.  S.  Gelegenheit,  über  des  Philosophen  reine    und  erhabene  Vorstel- 
lungen von  dem  höchsten  Wesen  einige  wesentliche  Momente  beizubringen, 
zumal  M.'s  Behauptung  zu    bekämpfen  war,   dass  Plato   zu  einer  klaren 
Ansicht  von  Gott   durchaus  noch  nicht  gekommen  sei.      Einen    weiteren 
Streitpunkt  bot  die  Meinung  von  M.  über  Plato's  Verachtung  der  Dichter 
dar.      Hr.  S.  beweist,  dass  Plato,  wenn  er  auch  einen  Theil  der  Dichter 
aus  seinem  Staate  verwiesen  sehen   wollte,   doch  die  Heroen  der  Dicht- 
kunst auf  das  Höchste  verehrt  habe.      Ebenso  wird  von  ihm  der   Fatalis- 
mus zurückgewiesen  ,  welchen  M.  in  des  Philosophen  Schriften  findet,  und 
wenn  derselbe  meinte,  dass  der  platonischen  Philosophie  ein  Ideal  fehle, 
wie  es  die  christliche  Kirche  an  ihrem  göttlichen   Stifter  habe,   so  sucht 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  419 

der  Verf.  zu  zeigen ,  in    welcher  Hinsicht   Sokrates   seinem  Schüler  als 
Ideal  gelte.      Zuletzt  spricht  Hr.  S.  noch  über  das  ipsvöo$  bei  Plato ,  da 
M.  daher  einen  Grund  nahm,  über  das  sittliche   Element  in  der  platoni- 
schen Philosophie  überhaupt  ein  hartes  Urtheil   zu  fallen.      Es  wird  da- 
gegen mit  Hinweisung  auf  die  Beweisstellen  bei  Plato  gezeigt,  in  welcher 
Beziehung  der  Philosoph  die  Lüge  nicht  verwerflich  finde.     Am  Schlüsse 
wird  Plato's  Ansicht  über  Verehrung  der  Gottheit  erwähnt  und  nachdem 
Hr.  S.  sein  Urtheil  über  M.  zusammengefasst  hat ,  erinnert  er  ihn  an  des 
Theologen  Stäudlin  Worte  über  den  grossen  Philosophen :  ,,Tpsum  evan- 
gelium  multum  cum  eo   habebat  communia.      Itaque  accidit,    ut  una  do- 
ctrina  alteri  commendationi   esset   et   una  propagandae  et  conservandae 
alteri  inserviret.      Nee  nunc  aliter  fit;  si  ullura  est   philosophiae  systema, 
quod  vim  et  auctoritatem  suara  constanter  tuitum  est,    et  amissum  semper 
recuperat,  et  ex  quo  diversae    philosophorum  sectae  praesidia  veritatis 
petunt,  id  Platonicum  est,  et  si  rationes  veritatis  evangelii   philosophicas 
quaeris ,    eas    praecipue    in    philosophia   Piatonis   invenies."      Die  ganze 
ebenso  interessante  als  gelehrte  Schrift   beweist,  dass  der  Verf.  in  das 
Yerständniss  Plato's  nicht  oberflächlich  eingedrungen  ist,  wesshalb   ähn- 
liche Beiträge  stets  willkommen  sein  werden.  • —    Die  angehängten  Schul- 
nachrichten des  Dir.   Dr.  Funkhänel  enthalten   zuerst  einen  kurzen   Ab- 
riss  der  Lehrverfassung.     Die  Hauptänderungen  bestanden  darin,  dass  der 
Anfang  des  griechischen  Sprachunterrichts  von  V.  nach  IV.   verlegt  wor- 
den ist,  dass  die  französischen  Lectionen  in  I.  bis  HI.  auf  3  Stunden  wö- 
chentlich erhöht  wurden ,  und  dass  man  den  hebräischen  Unterricht   auf 
eine  Classe  mit  2  Stunden  wöchentlich  beschränkt  hat,  was  jedenfalls  sehr 
zweckmässig  ist  und  Nachahmung  verdient.      Dafür  erhielt  das  Deutsche 
in  II.  eine  Stunde  zugelegt.      Für  den  Geschichtsunterricht  i^ind  die  trotz 
kleiner  Mängel  sehr  zu    empfehlenden   Tabellen    von   Peter  in   die  vier 
oberen  Classen  eingeführt.    Sodann  folgen  Notizen  über  den  Lehrapparat, 
Unterstützung  einzelner  Schüler  und  die  wichtigsten    Verordnungen ,  von 
denen  eine  hervorzuheben  ist,  dass  von  dem   1.  April  d.  J.  an  das  Gym- 
nasium unmittelbar  unter  dem  Staatsministerium  II.  Depart.  stehen   soll. 
Die  Schülerzahl  betrug  im  Anfange  des  Schuljahres  86,  nämlich    14  in  I. 
14  in  IL,  13  in  HI.,  24  in  IV.,  21  in  V.      Zu  Michaelis  gingen  2,  zu  Ost.' 
5  Zöglinge  auf  die  Universität  über.      Auch  wurden  2  geprüft ,   welche 
auswärtige  Gymnasien  besucht  hatten.  [ — n.] 

Freiburg  im  Breisgau.     Im  Anfange  des   Schuljahres  1848 49 

fanden  in  Bezug  auf  das  Lehrer-Collegium  bedeutende  Veränderungen  an 
dem  hiesigen  Lyceum  statt.  Nicht  weniger  als  fünf  Mitglieder  schieden 
aus  demselben.  Es  wurde  nämlich  der  bisherige  Director  der  Anstalt, 
Geistlicher  Rath  Schmeisser ,  in  gleicher  Eigenschaft  nach  Constanz  ver- 
setzt; Prof.  Dr.  Eisengrein  trat  in  den  Ruhestand;  Prof.  Dr.  Baumstark, 
der  schon  früher  einen  Theil  seiner  Lehrthätigkeit  der  hiesigen  Univer- 
sität widmete,  ging  ganz  an  dieselbe  über;  Lehrer  Eckert  erhielt  an  dem 
Lyceum  in  Heidelberg  eine  Stelle  und  Praktikant  Heinemann  kam  an  das 
Gymnasium  in  Bruchsal.  —  Die  nunmehr  erledigte  Directorstelle  wurde 
dem    früheren  Vorstande    des    Gymnasiums    in   Bruchsal,    Hofrath  JSokkj 

27* 


420  Schul-  und  Universitätsuachrichten, 

ubertra'Ten.      Zu  gleicher  Zeit  wurde  von  dem  Lyceum  in  Constanz  Prof. 
Scherm  hierher  berufen,  und  zwar  mit  der  besonderen  Verpflichtung,  die 
Direction  in  Handliabung  der  Disciplin  zu  unterstützen.      Es  wurden   fer- 
ner berufen:  Pfarrer  Ncumaier  in  Ilvesheim  und  die  Lehramtspraktikanten 
Dr.  Jülg  und   Schlegel.       Da   aber  Pfarrer  JSeumaier  durch   Unwohlsein 
gehindert  war,  in  diesem  Jahre  sein  Lehramt  anzutreten,    so  übernahm 
dasselbe  vom  26.  Februar  dieses  Jahres   an  Lehraratspraktikant   KappeSj 
nachdem  vorher  die   Lehramtspraktikanten  Bauer  und   Büchler  Aushülfe 
geleistet  hatten.     Dem  Stadtvicar   Schellenberg   endlich  folgte  im   Amte 
eines  evangelischen  Religionslehrers,    als  jener  am  7.  October  1848  zum 
Pfarrer  an  der  Trinitatis-Kirche  in  Mannheim  befördert  worden  war,  Vi- 
car  Zeuner,  —    Im  Herbste  1848  wurden  34  Ober-Sextaner  auf  die  Uni- 
versität  entlassen.      Von    diesen    wählten    15   die    katholische    und  3  die 
evangelische  Theologie,  6  die  Jurisprudenz,  8  die  Medicin  und  2  die  Ca- 
meralwissenschaft  zum    Berufsfach.      Im   Schuljahre    1847 — 48  besuchten 
481  Schüler  das  hiesige  Lyceum  (NJahrbb.  Bd.  LV.  Hft.  4.   S.  450).      In 
diesem  Schuljahre  beträgt  die  Gesammtzahl  der  Schüler  455,  von  diesen 
waren  am  Schlüsse  des  Schuljahres  noch  402.      In   der  Gesammtzahl  der 
Schüler    waren  403   Katholiken,   48  Protestanten,  4  Israeliten.      Unter 
diesen  befanden  sich  247  Auswärtige,  d.  h.  Schüler,   deren    Eltern  nicht 

hier  wohnen.  [^-l 

Gent.     Durch  die  Trennung  Belgiens  von  Holland  haben  die  phi- 
lologischen Studien  in  dem  erstem  Lande  einen  bedeutenden   Stoss  erlit- 
ten und  sowohl  die  vorherrschend  materiellen  Bestrebungen  als   die  poli- 
tischen  Kämpfe  des   neuen   Königreichs  waren  den  philologischen  Fort- 
schritten sehr  abhold.      Um  so  mehr  ist  es  rühmlich  anzuerkennen,  wenn 
einzelne  Männer  trotz  der  ungünstigen  Verhältnisse  an  den  liebgewonne- 
nen Studien  festhalten  und  ihre   Liebe    zu  denselben  durch    tüchtige  Ar- 
beiten an  den  Tag  legen.      Unter  diesen  nimmt  als  thätiger  Repräsentant 
der  Philologie  in  Belgien  J.  E.  G.  Roulez,  ordentl.  Professor  der  Archäo- 
lie  in  Gent  und  Mitglied  der  kÖnigl.  Akademie  von  Brüssel,  ein  eben  so 
kenntnissreicher  und  scharfsinniger  als  geschmackvoller  und  äusserst  fleis- 
si^er  Arbeiter,  unstreitig  den  ersten  Platz  ein.      Seine  Bestrebungen  sind 
vorzugsweise  archäologischer,  antiquarischer  und  historischer  Art,  wahr- 
scheinlich weil  ihm  dieser  Weg  am  sichersten  zu  sein  scheint,  die  Theil- 
nahme  seiner  Landsleute   für  die  von  ihnen  wenig   beachtete  Alterthums- 
wissenschaft  zu  erwecken  und  zu  erhalten.    Mehrere  seiner  Abhandlungen 
sind  I.  in  Zeitschriften  niedergelegt,  z.  E.  sur  la  legende  de  Venlevement 
des  Sabines  in   dem  recueil   encyclop.    Beige.    Juillet   1834.      Hier  stellt 
der  Verf.  die  Verrauthung  auf,  dass  die  Sage  von  dem   Raube    der  Sabi- 
nerinnen erst  später  dadurch  entstanden  sei,  dass  die  Römer  ihre  Hoch- 
zeitt^ebräuche,  ebenso  wie  das  civilrechtliche  Institut  der  in  manum  con- 
ventio  von  den  Sabinern  entlehnt  hätten.    Aus  alten  Hochzeit-  und  Tafel- 
liedern sei  die  Sage  nach  und  nach  in  die  Geschichte  übergegangen.     Hr. 
R.  macht  Alles  geltend,  was  für  seine  Ansicht  sprechen  kann,  und  hat  nur 
den  bei  den  Hochzeiten  gewöhnlichen  Gebrauch  des  Wassers  und  Feuers, 
welcher  von  den  Sabinern  entlehnt  war,  übersehen,  s.  Dion.  II.  30.  Auch 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  421 

konnte  nicht  von  einer  sabinischen  in  roanum  conventio  im  Allgemeinen 
gesprochen  werden ,  da  dieses  Institut  ein  in  Italien  weit  verbreitetes 
war,  wohl  aber  von  der  confarreatio ,  welche  unzweifelhaft  sabinischen 
Ursprungs  ist  und  welche  ursprünglich  der  vornehmste  Weg  zur  Bewir- 
kung  der  in  m.  conv.  war.  Auf  die  p.  10  ausgesprochene  Meinung,  dass 
jus  Quiritium  ursprünglich  der  Inbegriff  der  Rechte  des  Quiriten  oder 
patricischen  Bürgers  gewesen  sei  (nämlich  connubium,  patria  pot.  etc.), 
wollen  wir  hier  nur  hindeuten.  Hierher  gehört  auch  der  Aufsatz:  notice 
sur  un  buste  antique  en  bronze  decouvert  dans  la  jirovince  de  Liege  in 
dem  messager  des  sciences  et  des  arts  de  Gand  1836  (Hr.  v.  Reiffenberg 
hatte  den  Kopf  für  einen  Nero  oder  Antlnous  gehalten ,  Hr.  R.  erkennt 
darin  mit  grösserer  Wahrscheinlichkeit  einen  Bacchus)  und  die  interessante 
Abhandlung  Lycurgue  farieux  in  den  annal.  dell'  inst,  di  corr.  arch.  Tom. 
XVII.  p.  111  — 131.  1846,  welche  durch  das  Gemälde  einer  1834  in  Ruvo 
gefundenen  und  im  Neapolitanischen  Museum  aufbewahrten  Vase  veran- 
lasst worden  ist. 

II.  Weit  zahlreicher  sind  die  Abhandlungen  von  R.,  weiche  durch 
die  königl.  Akademie  in  Brüssel  veröffentlicht  worden  sind.  Die  aus- 
führlicheren sind  in  den  memoires  abgedruckt,  z.  E.  obss.  sur  divers  points 
obscurs  de  VliisU  de  la  Constitution  de  Vancienne  Rome.  Bruxell.  1836  aus 
Tom.  X.  d.  memoir.  32  S.  4.  Cap.  1  handelt  von  dem  ältesten  Senat  bis 
zu  den  ersten  Coss.,  namentlich  in  Beziehung  auf  die  allmälige  Vermeh- 
rung des  Senats  und  auf  die  nach  Tarq.  Sup.  erfolgte  Reorganisation 
desselben.  Cap.  2  von  den  Rittern  der  Königszeit,  wo  die  300  celeres 
als  die  älteste  Rittercenturie  der  Ramnes  erklärt  werden.  Zu  ihnen  sei 
noch  eine  Cent.  Tit.  von  300  eq.  und  eine  Cent.  Luc.  von  300  eq.  ge- 
kommen,  zusammen  900  eq.,  säramtlich  unter  dem  Commando  des  tribu- 
nus  cel.,  welcher  alte  Name  von  dem  Anführer  der  cel.  auf  den  Anführer 
der  ganzen  Ritterschaar  übergegangen  sei.  Tarq.  Prise,  habe  die  Zahl 
verdoppelt  und  sonach  auf  1800  eq.  gebracht.  Sodann  spricht  Hr.  R. 
von  den  Rittern  des  Serv.  Tüll.,  von  den  VI  suffr.  und  von  dem  equus 
publicus.  Cap.  3.  Die  Servian.  Centurienverfassung  mit  besonderer 
Rücksicht  auf  Cic.  de  rep.  II.  22.  Es  finden  sich  in  der  Schrift  viele 
treffende  Gedanken,  wenn  man  auch  in  vielen  andern  nicht  beistimmen 
kann,  z.  E.  in  Bezug  auf  die  Ritterzahl,  auf  die  195  Centurien  des  Serv. 
Tull.  u.  A.  Auch  HuscTike,  Serv.  Tullius  p.  701  f.,  erkennt  die  tüchtigen 
Eigenschaften  des  Verf.  vollkommen  an.  —  Ein  wichtiger  Beitrag  für 
die  alte  Geographie  ist  im  XI.  Tom.  d.  mem.  nouvel  examen  de  quelques 
questions  de  geographie  ancienne  de  la  Belgique,  19  S.,  über  die  3  Lager 
der  Legionen  Cäsar's  in  Belgien,  unter  Q.  Cicero,  T.  Labienus  und  Sa- 
binus  mit  Cotta,  wobei  Hr.  R.  von  Aduatuca,  dem  Lagerplatze  der  bei- 
den Letztern,  ausgeht.  Die  zuletzt  erschienenen  sind  folgende:  mem.  sur 
les  magistrats  Romains  de  la  Belgique,  55  S.,  in  Tom.  XVII.  der  mem. 
(vorgelesen  1843).  Die  ersten  3  Capitel  umfassen  die  Zeit  von  Augustus 
bis  auf  Constantinus  und  enthalten  noch  Bemerkungen  über  die  Provinzial- 
verwaltung  im  Allgemeinen,  eine  Aufzählung  der  uns  durch  die  Schrift- 
steller  und   durch   Inschriften  erhaltenen    Statthalter   und    Procuratoren 


422  Schul-  und  Unlvemtätsnachrlchten, 

Belgiens  und  der  Germania  Inferior.  Das  4.  und  5.  Cap.  beschäftigt  sich 
mit  der  Zeit  nach  Constantin  und  behandelt  namentlich  die  praefecti  prae- 
tor. Gali.  Das  Ganze  ist  mit  sorgfältiger  Benutzung  der  zerstreuten 
Notizen  verfasst  und  ciebt  einen  sehr  schätzbaren  Beitran  fiir  die  Kennt- 
niss  der  röm.  Provinzialverwaltnng  und  der  Geschichte  überhaupt,  na- 
mentlich in  Beziehung  auf  die  Biographien  der  angesehensten  Männer  der 
Kaiserzeit.  In  Tom.  XTX.  der  mem.  ist  enthalten  :  notice  sur  un  has-re- 
Vff  funcraire  du  Miisee  d" Arezzo  (gelesen  1845).  Den  Mittelpunkt  des 
Basreliefs,  welches  Hr.  R.  in  das  4.  Jahrhundert  unserer  Zeitrechnung 
setzt,  bildet  eine  auf  einem  Stuhl  (und  zwar  auf  einer  cathedra  von  sehr 
seltener  Form  ,  indem  die  Rücklehne  mit  den  hinteren  Füssen  eine  senk- 
rechte Linie  ausmacht)  sitzende  Frau ,  welche  sich  von  einer  Dienerin 
die  ETaare  kämmen  lässt,  während  eine  andere  einen  Spiegel  vorhält  und 
eine  dritte  ein  offenes  Kästchen  trägt.  Andere  ancillac  stehen  zu  beiden 
Seiten ,  ohne  dass  man  deren  Bestimmung  genau  zu  erkennen  vermöchte, 
an  dem  linken  Ende  ein  Kind  mit  einer  Puppe.  Hr.  R.  erklärt  alle  Ein- 
zelheiten in  seiner  gewohnten  eleganten  und  gelehrten  Weise.  Auch  hat 
seine  Annahme,  dass  diese  Sculptur  dem  häuslichen  Leben  entnommen  ist 
und  eine  Toilettenscene  der  Verstorbenen  vergegenwärtige  ,  mehr  Wahr- 
scheinlichkeit, als  der  Gedanke,  dass  sie  die  Toilette  der  Helena  dar- 
stelle (bull,  deir  inst.  1843.  p.  73),  um  so  mehr,  da  auf  vielen  Sarko- 
phagen Scenen  aus  dem  gewöhnlichen  Leben  der  Verstorbenen  gefunden 
werden.  Hr.  R.  vergleicht  mehrere  ähnliche  Scenen  und  vorzüglich  zwei 
Monumente  aus  der  Provinz  Luxemburg  aus  dem  wenig  bekannten  Werke 
von  A.  TFiltheim,  Luciliburgensia   Luxemb.  1842. 

Eine  lange  Reihe  von  kürzeren  Abhandlungen  werden  in  den  bulle- 
iins  de  l'acad.  royale  de  Brux.  mitgetheilt.  Dieselben  sind  von  Hrn.  R, 
in  seinen  melanges  de  philologie,  d'hist.  et  d'^antiquites,  fascic.  I— V,  Brux. 
1838 — 1846  gesammelt  und  haben  auch  in  Deutschland  die  verdiente  An- 
erkennung und  Verbreitung  (vorzüglich  bei  den  Archäologen)  gefunden. 
Diese  Aufsätze  —  57  an  der  Zahl  —  sind  von  sehr  mannigfaltigem  Inhalt 
und  verschiedenem  Interesse.  Einige  berichten  über  gemachte  Ausgra- 
bungen und  die  gewonnenen  Funde,  andere  erklären  Inschriften,  nament- 
lich solche,  welche  für  Belgien  speciellen  W^erth  haben,  noch  andere  be- 
reichern die  Vasenkunde,  z.  E.  2  schöne  Arbeiten  über  die  fälschlich  sog. 
Lacrimatorien ,  über  die  Gefässe  mit  Inschriften,  die  meisten  aber  geben 
Erklärungen  von  Vasengemälden,  vorzüglich  aus  dem  Sagenkreis  des 
Herkules  u.  s.  w.  Auch  die  römischen  Staatsalterthümer  gehen  nicht 
leer  aus,  indem  Hr.  R.  über  die  politischen  Associationen  und  über  die 
Clienten  bei  den  Römern  handelt  (fasc.  II.  n.  4  und  5).  In  Beziehung 
auf  die  erste  Schrift  können  wir  mit  den  gewonnenen  Resultaten  nicht 
übereinstimmen.  Hr.  R.  glaubt  nämlich,  dass  die  Römer  seit  uralter 
Zeit  wohl  organisirte  politische  Gesellschaften  gehabt  hätten,  ja  er  geht 
zurück  bis  auf  die  Zeiten  des  letzten  Tarquinius.  Allein  er  legt  auf  die 
Ausdrücke  des  Dionysius  einen  viel  zu  hohen  Werth  (htalooL .  cpCXoi 
n.  s.  w.)  und  die  Meisten  der  von  ihm  als  politische  Clubisten  erkannten 
Freunde    und    Sodales   sind    Gentilen,    Clienten,   Freunde    oder  Sodales 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  423 

anderer  Art  (deren  es  so  viele  gab ,  weit  mehr  als  wir  wissen),  oder  sie 
fallen  in  die  Kategorie  von  politischen  Factionen,  welche  sich  einem 
Parteihaupte  angeschlossen  hatten  und  welche  einen  wandelbaren  Charak- 
ter an  sich  trugen,  so  dass  man  sie  mit  eigentlichen  stehenden  Sodalitä- 
ten  nicht  zusammenstellen  darf.  Auch  hat  Walter ,  welcher  in  der 
1.  Ausg.  seiner  Gesch.  des  rÖm.  Rechts  p.  20  derselben  Ansicht  wie  R. 
gewesen  war,  die  betreffenden  Sätze  in  der  2.  Ausgabe  stillschweigend 
weggelassen ,  jedenfalls  weil  er  sich  später  von  der  Unrichtigkeit  dieser 
Meinung  überzeugt  hatte.  Dagegen  hat  Hr.  R.  in  der  zweiten  Schrift 
vollkommen  Recht,  wo  er  den  überzeugenden  Beweis  führt,  dass  die 
Clienten  nicht  neben  den  Plebejern  standen,  sondern  mit  zur  Plebs  ge- 
horten. In  Becker's  Alterth.  II.  1.  p.  158  ff.  ist  der  Unterschied  zwischen 
Plebejern  und  Clienten  wiederum  angenommen  worden,  s.  dagegen  Pauly, 
Realencycl.  V.  p.  1246  f.  —  Auch  finden  sich  bei  den  Erklärungen  von 
Inschriften  mehrmals  staatsrechtliche  Erörterupgen,  z.  E.  über  die  Au- 
gustales u.  a.  Beiträge  zur  Texteskritik  der  alten  Schriftsteller  sind  nur 
wenige  in  den  mel.  enthalten,  nämlich  über  einige  Stellen  des  Dio  Chry- 
sost.,  Parthenius  und  Antonius  Liberalis  ,  sowie  über  Jul.  Cäsar  mit  Hülfe 
von  3  Florent.  Codd. 

Weniger  bekannt  sind  die  letzten  in  den  bullet,  erschienenen,  aber 
noch  nicht  in  die  melanges  aufgenommenen  Schriftchen  des  Hrn.  R. ,  auf 
welche  wir  die  deutschen  Leser  aufmerksam  machen  wollen.  Zuerst 
Tom.  XIV.  n.  12  d.  bull.:  sur  une  inscription  latine  de  la  Transylvanie, 
welche  Inschrift  in  der  Zeitschrift  f.  Alterthumsvv.  1847.  Nr.  38  zuerst 
mitgetheilt  wurde.  Sie  ist  dem  Q.  Axius  errichtet,  welcher  unter  an- 
deren Würden  auch  die  Stelle  eines  procurator  raiion.  privat,  provinciae 
Maurct.  Caesariensis ,  item  per  Belgiam  et  duds  Germanias  und  eines 
proc.  Daciae  Apulensis  bis  vice  praesidis  bekleidet  hatte.  Nachdem  Hr.  R. 
die  wenigen  bekannten  Notizen  über  gens  Axia  gesammelt  hat,  spricht  er 
von  der  Zeit,  welcher  die  Inschrift  angehört,  und  setzt  sie  mit  Recht 
unter  oder  bald  nach  Sept.  Severus.  Nicht  unwichtig  ist  die  Inschrift, 
weil  sie  bestätigt,  dass  die  Prov.  Dacien  in  m.^hrere  der  Verwaltung  nach 
getrennte  Theile  zerfiel,  indem  hier  Dac.  Apulensis  (sog.  von  Apulum, 
Carlsstadt)  als  besondere  Abtheilung  erscheint.  In  den  Geographien  und 
Atlanten  der  alten  Welt  ist  auf  Dac.  Apul.  noch  keine  Rücksicht  genom- 
men worden  (auch  nicht  in  dem  so  eben  erschienenen  atlas  antiq.  von 
Spruner),  obwohl  derselbe  Name  schon  bei  Orell.  inscr.  n.  3888  vorkommt. 
Auch  zeigt  die  Inschrift,  dass  unter  den  Antoninen  und  ihren  Nachfolgern 
die  Prov.  Belgia  und  Germ,  wenigstens  in  Bezug  auf  die  Finanzverwal- 
tung verbunden  waren. 

Bull.  Tom.  XVI.  n.  3  de  Vimpbt  d' Auguste  sur  les  successions.  Nach- 
dem Augustus  vom  Senat  wiederholt  eine  neue  Steuer  für  die  Erhaltung 
des  Heeres  gefordert  hatte,  machte  er  selbst  den  Vorschlag  der  sog. 
vicesima  hereditat.,  von  welcher  Erbschaftssteuer  nur  die  nächsten  Ver- 
wandten, so  wie  die  kleinen  Hinterlassenschaften  befreit  waren.  Dieser 
Vorschlag  erregte  grosse  Unzufriedenheit  und  nur  die  Behufs  einer  Grund- 
steuer  angedrohte   und    bereits    begonnene    Catastrirung    des  italischen 


424  Schul-  und  Unlversitätsnaclirlchten, 

Grundeigentliums  machte  der  Scheu  vor  der  neuen  Steuer  ein  Ende  und 
die  vjces.  \\urde  eingeführt.  Hr.  R.  betrachtet  dieselbe  von  der  politi- 
schen und  moralischen  Seite,  wo  er  auf  manchen  interessanten  Gesichts- 
punkt stösst.  Als  Hauptmotive  Äugust's  werden  erkannt:  1)  einen  Theil 
der  zu  militärischen  Zwecken  noth wendigen  Steuerlast,  welche  bisher 
nur  auf  den  Provinzen  ruhte,  auf  die  Bürger  zu  legen,  2)  durch  die 
Furcht  vor  dieser  Steuer  von  dem  übermässigen  Andränge  zur  römischen 
Civität  abzuschrecken ,  indem  nur  die  röm.  Bürger  dieser  Abgabe  unter- 
lagen ,  3)  die  Testatoren  abzuhalten ,  ihr  Vermögen  an  andere  Personen 
ausser  ihrer  Familie  zu  vermachen,  und  dadurch  ebenso  wohl  den  Familien 
ihr  Vermögen  zu  erhalten  als  die  Heiligkeit  des  Familienbandes  wieder 
herzustellen.  Auf  diese  Weise  erhält  die  lex  Julia  de  vices.  einen  bisher 
nicht  beachteten  Zusammenhang  mit  mehreren  anderen  Gesetzen  Äugust's, 
namentlich  mit  lex  Julia  et  Pap.  Poppaea.  In  neuester  Zeit  ist  eine  um- 
fassende Behandlung  der  Erbschaftssteuer,  ihrer  Geschichte  und  ihres 
Einflusses  auf  das  Privatrecht  erschienen  von  J.  J.  Bachofen,  in  seinen 
ausgewählten  Lehren  des  röm.  Civilrechts  ,  Bonn  1848.  p,  322 — 395, 
welche  Hrn.  R.  noch  nicht  bekannt  war. 

Bull.  Tom.  XVI.  n.  10.  Le  complot  de  Spurlus  Maelius,  iuge  ä  Vaide 
(Tun  fragment  recemment  decouvert ,  de  Devys  d''Halic.  Zuerst  erzählt 
Hr.  R.  die  Katastrophe  des  Sp.  Mael.  nach  Livius  und  vergleicht  damit 
den  Bericht  des  Dion.  aus  dem  XII.  Buche,  welches  Fragment  in  einem 
Msc.  des  Escurial  neuerlich  entdeckt  worden  ist  (fragra.  bist.  Graec,  coli. 
Müller.  Paris,  Didot,  p.  31 — 36).  Beide  Erzählungen  weichen  zwar  in 
einzelnen  Stücken  ab,  lassen  sich  aber  in  der  Hauptsache  vereinigen. 
Viel  v\ichtiger  ist  die  Notiz  des  Dion.,  dass  die  beiden  Historiker  Cincius 
Alimentns  und  Calpurnius  Piso  die  Begebenheit  ganz  anders  erzählt  hät- 
ten. Nach  diesen  beiden  ist  L.  Quinct.  Cincinnatus  in  jenem  Jahr  gar 
nicht  Dictator  gewesen ,  eben  so  wenig  als  Servil.  Ahala  sein  magister 
eq.,  sondern  sie  sagen,  die  Senatoren  hätten  nach  den  von  Minncins  ihnen 
gemachten  Enthüllungen  beschlossen,  den  Sp.  Maelins  ohne  Untersuchung 
und  Gericht  aus  dem  Wege  zu  schaffen,  und  hätten  dem  Serv.  Ahala  die- 
sen Auftrag  gegeben.  Demzufolge  hätte  sich  Serv.  Ahala  nach  dem  Fo- 
rum begeben  und  sich  in  dem  Augenblicke,  als  Sp.  Mael.  das  Forum  ver- 
liess,  demselben  genähert  und  ihn  unter  dem  Vorgeben  einer  Unterhal- 
tung mit  dem  Dolche  durchbohrt,  worauf  er  sich  in  die  Curie  geflüchtet 
hätte,  mit  dem  Ausrufe,  dass  er  auf  Befehl  des  Senats  gehandelt  habe, 
wesshalb  er  verschont  worden  sei.  —  Durch  diese  Erzählung,  welche 
sowohl  wegen  der  Autorität  der  Gewährsmänner,  als  aus  inneren  Grün- 
den glaubhafter  erscheint ,  als  die  Tradition  des  Livius,  verschwindet  die 
angebliche  dritte  Dictatur  des  Cincinnatus  und  zugleich  auch  der  auf 
dessen  Namen  haftende  Flecken,  so  dass  nun  der  Charakter  des  Cinc.  in 
peiner  ganzen  ungetrübten  Reinheit  erscheint.  Mit  grosser  Wahrschein- 
lichkeit zeigt  Hr.  R.,  dass  man  in  dem  Sp.  Maelius  nicht  sowohl  den 
Feind  des  Staates  und  den  nach  der  Herrschaft  Trachtenden,  als  vielmehr 
den  Eeind  der  Adelsaristokratie  und  den  muthmaasslichen  künftigen  ersten 
plebejischen  Consul  aus  dem  Wege  räumen  wollte,  ferner,  dass   Minucius 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  425 

durch  seine  früheren  Thaten  bei  dem  Volke  keineswegs  so  geachtet  und 
beliebt  sein  konnte,  um  vom  Volke  zum  ausserordentlichen  praefectus 
annonae  gewählt  zu  werden,  sondern  dass  er  von  der  Aristokratie  zu  die- 
ser Stelle  berufen  wurde  (nach  Dion.  durch  ein  Sconsultum)  und  dass  er 
nicht  die  zur  Abhülfe  der  Noth  geeigneten  Maassregeln  traf,  wahrschein- 
lich weil  er  den  JVIuth  des  Volkes  durch  die  Hungersnoth  beugen  wollte 
(worüber  sich  Maelius  nach  Dion.  vor  dem  Volke  beschwerte).  Auch 
zeigt  Hr.  R.,  dass  man  bei  Maelius  keineswegs  staatsgefährliche  Pläne 
voraussetzen  dürfe,  dass  derselbe,  da  er  noch  nicht  einmal  ein  öffentliches 
Amt  bekleidet  hätte,  keine  Hoffnung  auf  das  Gelingen  ausschweifender 
und  ehrgeiziger  Pläne  habe  hegen  können  und  dass  er  nur  in  seiner  Ei- 
genschaft als  beliebtes  plebejisches  Parteihaupt  habe  fallen  müssen.  End- 
lich beruft  sich  Hr.  R.,  um  die  Unschuld  des  Maelius  zu  beweisen ,  auf 
die  gegen  Minucius  und  Serv,  Ahala  später  erhobenen  Anklagen.  Wie 
interessant  dieses  Schriftchen  sei,  bedarf  nach  dem  Gesagten  keiner  be- 
sonderen Versicherung,  wir  bemerken  nur  noch,  dass  es  sich,  wie  alle 
Arbeiten  des  Verf.,  durch  eine  sehr  klare  und  geschmackvolle  Darstellung 
auszeichnet.  Auch  beurkundet  Hr.  R.  hier  wie  in  allen  früheren  Schrif- 
ten eine  sehr  genaue  Kenntniss  der  Litteratur,  namentlich  der  deutschen 
bis  in  die  neueste  Zeit. 

HI.  Durch  die  amtliche  Wirksamkeit  Hrn.  R.'s  als  Universitäts- 
lehrer ist  hervorgerufen:  programme  du  coui's  d^antiquites  Jlomaines,  con- 
siderees  sous  le  point  de  vue  de  Vetat ,  professe  ä  la  faculte  de  philos.  etc. 
1847.  23  S.  Dieser  Leitfaden  zerfällt  in  4  Hauptabtheilungen,  deren 
jede  aus  mehreren  Capiteln  besteht:  I.  Des  elemenis  constitutifs  de  Vetat 
(die  Bürger,  Ehe,  patria  pot.,  Sciaven,  Freigelassene,  dienten,  Patricier 
und  Plebejer,  Tribus ,  Curien  ,  Centurien,  Senatoren ,  Ritter ,  nobiles). 
JI.  Des  pouvoirs  et  de  V admivistr ation  de  Vetat  (Comitia,  Senatns ,  Magi- 
stratus).  HI.  De  Vcxistcnce  materielle  et  morale  de  Vetat  (Finanz-, 
Kriegs-,  Gerichtswesen  und  Religion).  IV.  De  Vetat  considere  dans 
ses  relations  exterieures  (Völkerrecht,  socii,  proviiiciae,  coloniae,  munici- 
pia).  Das  lediglich  für  die  akademischen  Vorlesungen  bestimmte  ,  in 
zweckmässiger  Ordnung  zusammengestellte  Programm  umfasst  nur  den 
gpeciellen  Theil  der  römischen  Staatsalterthüraer ,  welches,  vsie  wir  hö- 
ren, darin  seinen  Grund  hat,  dass  Hr.  R.  aus  Rücksicht  auf  die  be- 
schränkte Zeit  der  Vorlesungen  den  allgemeinen  Theil  mit  der  Entwicke- 
lungsgeschichte  der  römischen  Verfassung  weggelassen  und  wahrschein- 
lich auf  ein  anderes  Semester  versparen  musste. 

Dass  aber  die  akademische  Thätigkeit  Hrn.  R.'s  von  einem  glück- 
l!chen  Erfolge  begleitet  ist,  zeigen  zwei  Schriften  seiner  Schüler,  obwohl 
man  bei  ihnen  noch  eine  besondere  Mitwirkung  Hrn.  R.'s  annehmen  darf 
(wenigstens  bei  der  ersten),  indem  es  in  Belgien  Sitte  sein  soll ,  dass  die 
Lehrer  ihre  Schüler  bei  Ausarbeitung  der  Preisschriften  nicht  allein  mit 
gutem  Rath  unterstützen,  sondern  bei  den  schwierigen  Partien  selbst- 
thätig  mit  Hand  anlegen.  Die  eine  ist  die  bei  dem  allgemeinen  Concurs 
der  belgischen  Universitäten  von  1842 — 43  gekrönte  Preisschrift  von 
C  Dumont,  essai  sur  les  coionics  romaines.    Bruxell.  1844.    57  S.  gr.  8. 


426  Schul-  und  Unlversltätsnaclirlchten 


(aus  den  Annales  des  universites  de  Belgiqne  Tom.  IT.),  eine  mit  grossem 
Fleiss,  Umsicht  und  Urtheil  abgefasste  Abhandlung.  Cap,  1  behandelt 
die  Colonien  der  Alten  überhaupt  und  die  der  Römer  speciell ,  Cap.  2 
die  col.  civium  Rom.,  Cap.  3  die  col.  Latin.,  Cap.  -i  die  colon.  milit,, 
C  ipitel  5  die  bei  der  Coloniengründung  üblichen  Formalitäten,  Cap.  6 
die  innere  Organisation  der  Colonien.  Wir  haben  nur  wenige  Irrthümer 
bemerkt,  z.  E.  p.  18,  dass  die  Colonien  bis  zum  2.  pun.  Kriege  meistens 
patricisch  und  nur  wenig  plebejisch  gewesen  seien;  p.  19,  dass  das/ewus 
semunciarium  bei  Liv.  VII.  27  einen  Zinsfuss  von  50pCt.  bedeute  u.s.w. 
Die  zweite  Schrift  ist:  histoire  de  la  luite  entre  les  patriciens  et  les  ple- 
beiens  ä  Romc  depuis  Vabolition  de  la  royaute  jusqu'ä  la  nomination  du 
premier  consul  pich.  Ouvrage  posthume  d"" Arthur  Hennchert,  public  par 
Roulez.  Gand  1846.  VIII  u.  196  S.  Lex.-8.  Das  ganze  Buch  zeugt  von 
feinem  historischen  Takt,  guter  Kritik  und  schöner  Darstellungsgabe  des 
talentvollen  Verf.,  welcher  während  des  Preisconcurs  von  18-i-i  plötzlich 
starb,  so  dass  sein  Lehrer  Hr.  Roulez  die  Schrift  herausgab  und  mit 
einer  Vorrede  begleitete,  welche  ebenso  sehr  dem  Schüler  als  dem  Leh- 
rer zur  Ehre  gereicht.  Wohl  nur  der  erwähnte  Todesfall  war  die  Ur- 
sache ,  dass  der  Concurrent  Hennebert*s ,  H.  Schücrmans,  den  Preis  da- 
von trug.  Seine  Schrift:  bist,  de  la  lutte  etc.  Bruxell.  1845  (aus  den 
Annal.Tom.  III.)  247  S.  Lex. -8.  steht  trotzdem,  dass  sie  viel  voluminöser 
ist,  der  Henneberfschen  Arbeit  in  jeder  Beziehung  weit  nach.  —  Zum 
Schlüsse  sprechen  wir  noch  den  Wunsch  aus,  dass  es  Hrn.  R.  bei  seinen 
unausgesetzten  höchst  verdienstvollen  Bemühungen  gelingen  möge,  der 
Philologie  in  Belgien  immer  mehr  Verehrer  und  Schüler  zu  gewinnen, 
damit  Belgien  auch  in  der  Alterthumswissenschaft  hinter  seinem  früheren 
Bruderstaate  Holland  nicht  zurückbleibe.  [fF.  H.] 

GÖTTINGEX.      Der  gelehrte  und  wahrhaft  emsig-fleissige  Prof.  Dr. 
Tiermann  fährt  fort,  jede  Gelegenheit,    die    ihm    durch    seine    amtliche 
Stellung  geboten  wird,  zu  benutzen,  um  die  Alterthumswissenschaft  nach 
allen  Seiten  hin  anzubauen,  und  während  so  mancher  andere  Gelehrte  sei- 
ner Art  nur  dürftige,  magere,  abrupte,   wenig   interessirende  Dinge  lie- 
fert, giebt  er  immer  etwas  Ganzes,  Rundes,  Abgeschlossenes,   Ausge- 
führtes.     Man  darf  jedes  Mal  daraufrechnen,  durch  eine   neue  Disserta- 
tion des  Hrn.  H.  seine  Kenntnisse   erweitert  oder  fester  begründet   oder 
von  Irrthümern  gereinigt  zu   sehen.      Vier   Arbeiten    der  Art   liegen  uns 
vor.      Die  erste  ist  erschienen  zum  Prorectoratswechsel    Michaelis  1848 
und  enthält   eine  üisputatio    de  scriptoribus   illustribus,    quorum    tempora 
Hieronymus  ad  Eusebü  Chronica    annotavit.       Da   nämlich    der   Verf.   sah, 
dass  man  neuerdings  den   alten   Kirchenvater,  welcher  früherhin  so  ge- 
achtet worden ,    über    die    Achsel  pflegt  anzusehen    und    von   seinen   bio- 
graphisch-litterarischen Nachrichten  nicht  mehr  viel  hält,  so  wollte  er  ein 
besseres  und  verdienteres  Urtheil  begründen  und  omnia  illius  additamenta, 
quae  quidem  ad  litterarum  latinarum   historiam  pertinerent  ■ —  haec  enim 
et  numero  plurima  et  ad  usum  gravissima  et  ad  dijudicandi  facultatem  ap- 
tissima  sunt  —  ita  conjuncta  philologorum  subjicere,  ut  jam  ipsi  de  pon- 
dere  obtrectatorum  criminationibus  tribuendo  apud  se  statuere  possent. 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  427 

Der  Gegenstand  zerfällt  in  zwei  Theile:  ein  Mal,  dass  die  Wahrheit 
derjenigen  Angaben,  welche  Hieronymus  selbst  gesteht  zum  grössten 
Theile  aus  Sueton  genommen  zu  haben ,  mit  den  Zeugnissen  anderer 
Schriftsteller  zusammengehalten  und  darnach  bemessen  ,  sodann  dass  die 
Zeitbestimmungen,  nach  welchen  entweder  Hieronymus  oder  sein  Ab- 
schreiber die  einzelnen  Materien  vertheilt  haben ,  auf  sichere  Punkte  und 
in  Uebereinstimmung  mit  den  übrigen  Begebenheiten  gebracht  werden. 
Für  jetzt  hat  er  den  erstem  Theil  bearbeitet,  den  zweiten  dabei  nur  in 
soweit  berührt,  dass  er,  wenn  ein  Irrthum  in  jener  Art  begangen  schien, 
die  richtigen  Jahre  angiebt,  zugleich  jedoch  mittelst  Vergleichung  der 
beiden  gewichtigsten  Ausgaben  zeigt,  dass  die  Schuld  der  Irrthümer  nicht 
selten  allein  auf  die  Abschreiber  falle.  Im  Uebrisen  hat  er  sich  über 
Sueton  und  dessen  Glaubwürdigkeit  nicht  ausgelassen ,  weil  ihm  darin 
Ritschi  (Parerga  Plaut,  p.  609  sqq.)  vorgearbeitet,  wohl  aber  alles  ge- 
sammelt, quae  de  hominibus  ab  Hieronymo  memoratis  aliunde  constarent, 
und  zwar  eatenus ,  quatenus  ad  illius  testimonia  aut  explicanda  aut  ca- 
stiganda  necesse  esset,  librosve  unde  accuratior  eorum  notitia  petenda 
est,  commemoraret,  non  in  doctrinae  jactationem ,  quae  nuUa  esse  potest 
in  rebus  multorum  industria  passim  tractatis,  sed  ut  eis  gratificaretur,  qni 
haec  omnia  uno  obtutu  comprehendere  vellent.  Es  sind  gerade  hundert 
litterarisch  berühmte  oder  wenigstens  bemerkenswerthe  Römer,  welche 
der  Verf.  so  aufführt  und  durchnimmt,  und  wer  sich  der  Geschichte  der 
römischen  Litteratur  befleissigt,  wird  das  Programm  nicht  ohne  mannigfache 
Belehrung  aus  der  Hand  legen. 

Zur  Ankündigung  der  akademischen  Vorträge  für   das  Winterhalb- 
jahr 1848 — 49  schrieb  er:  De  Thrasymacho   Chalcedonio  sopJiista.      Weil 
er  nämlich  beabsichtigte  in  dem  Halbjahre  Plato's   Werk   vom  Staate  zu 
interpretiren ,  und  jener  Sophist  in  demselben  nächst  Sokrates  die  Haupt- 
rolle spielt,  so  hielt  er  es  für  nicht  unpassend,  eorum,  quae  iteratis  viro- 
rum  doctorum  curis  de  Thrasymachi   vita  studiisque   coUecta  sunt,  velut 
summam  aliquam  oculis   commilitonum  proposuisse,  praesertim  quum   per 
eandem  occasionera  aliae  quaestiones  tangi  possint,  quae  ad   ipsorum   he- 
rum iibrorum  chronologiam  et  oeconomiam  aditum  aperiant.      Er  sucht  zu 
dem  Ende  zuerst  die  Zeit  der   Geburt  des  Thrasymachus   zu  bestimmen 
und  äussert  sich  über  diesen  Punkt  p.  9  also:  Omnibus,  quae  de  Thrasy- 
machi vita  constant,  comprehensis  nihil  opinor   obstabit,   quominus  circi- 
ter  Ol.  LXXX.  4  natum  raatureque  ad  sophisticum  vivendi  disputandique 
genus  delatum   circa   Ol.   LXXXVH.     Athenas,  omnis  Graecorum  erudi- 
tionis  theatrum,   petiisse  statuamus  ;  ubi  quum   per  aliquot  annos  novae 
sapientiae  commenta  mercede  venditasset ,  oratoriam  artem   ex  Sicilia  ad- 
vectam  amplexus  et  scribendo  et  docendo   per  belli  Peloponnesiaci   aeta- 
tem  ad  eam  demum  famam  pervenit,   qua  inter  rhetores   graecos  ipsius 
nomen  celebratum  est.      Hr.  H.  geht  dann  (p.  10)  zu  den  Verdiensten  des 
Mannes  um  die  Beredtsamkeit  über    und   sucht   zuletzt  (p.  13  sqq.)   den 
Widerstreit  in  dem  zu  lösen:  quomodo  üeri  poterat,  ut  Plato  hominem 
tanta  tamque  merita  laude  inter  aequales  aeque  ac  posteros  florentem  in 
illo  libro  ita  describeret,  ut,  si  in  hoc  tantum  illius  memoria  servata  esset, 


428  Schul-  und  Unirersitatsnachrlcliten, 

et  moribns  et  doctrina  summopere  spernondus  videri  deberet?  Er  meint 
vornehraÜch,  dass  in  Hinsicht  der  vom  Plato  geäusserten  Grundsatze  des 
Thrasymachus  nichts  übertrieben  er;;cheine,  wenn  man  den  Geist  der 
damaligen  Zeit  überhaupt  berücksichtige,  und  knüpft  daran  folgende  An- 
sprache an  die  Göttinger  studirende  Jugend,  wie  sie  für  dieselbe  unter 
ähnlichen  Verhältnissen  gerade  passe  (p.  14  sq.):  Neqne  enim  litterae 
civiiates  evertunt,  sed  si  quid  in  litteris  prarum  existit,  morum  publicorum 
perversitas  vel  optima  ingcnia  contagione  sua  facillime  corrumpit,  ut ,  si 
raaxirae  pravitatem  temporum  sentiunt,  non  tarnen  remedia  idonea  inve- 
niant,  sed  falsa  specie  occaecati  haud  rare  id  ipsum ,  quod  morbi  caput 
est,  mordicus  retineant:  id  quod  nostra  quoque  aetate  usn  venit ,  qnae 
quum  hoc  potissimum  fato  paene  ad  extremum  salutis  discrimen  pervene- 
rit,  quod  per  triginta  annos  sanorum  hominum  consilia  ab  eis,  penes  quos 
summa  rerura  erat,  pertinaciter  et  süperbe  spreta  sunt,  ne  in  summa  qui- 
dera  rerum  omnium  conversione  eorum  numerus  imminutus  est,  qui  soll 
sapere  sibi  viri  alienorum  consiliorum  sanitatem  in  invidiam  et  contemtum 
adducere  conentur.  INIulii  hodie  sunt  Thrasymachi;  quibus  qui  Socratica 
constantia  occurrant,  admodum  pauci;  huic  igitur  pesti  ut  medela  iuve- 
niatur,  vestram  est  prospicere,  commiiitones  etc. 

Im  Jahre  1849  hat  derselbe  Gelehrte  bei  dem  Prorectoratswechsel 
eine  Abhandlung  geschrieben :  De  i^hilosophorum  lonicorum  aetatibus. 
Wie  unsicher  die  Lebenszeiten  der  altern  griechischen  Philosophen  sind, 
weiss  Jeder,  der  sich  einmal  gründlich  mit  der  Geschichte  der  griechi- 
schen Philosophie  beschäftigt  hat.  Selbst  nach  den  neuesten  Forschungen 
eines  Clinton  u.  Ä.  ist  noch  Manches  darin  dunkel  oder  schärfer  zu  be- 
stimmen. Weil  denn  tenebris  quidera  largaque  ambigendi  disceptandi- 
qae  materia  ne  illa  quidem  tempora  carent,  nee  leves  virorum  doctorum 
de  hoc  ip;o  argumento  controversiae  exstant ,  so  hofft  er  dennoch  has 
controversias  vel  sua  qualicunque  opera  aliquatenus  expediri  et  illustrari 
posse ,  und  weit  gefehlt,  ut  sententiarum  illa  varietate  ab  Institute  deter- 
reatur,  ut  propter  hanc  ipsam  causam  instauranda  hac  quaestione  non 
paucis  gratificatnrns  esse  sibi  videatur.  Die  Abhandlung  selbst  zerfällt 
in  IV  Abschnitte.  Im  ersten  setzt  der  Verf.  die  Grundsätze  fest,  nach 
welchen  er  den  Stoff  zu  bearbeiten  gedenkt,  nämlich:  ut  missa  ab  initio 
omni  succes-«ionum  ratione  id  solum  persequatur,  quod  ex  antiquis  testi- 
raoniis  historica  fide  aut  probabilitate  erui  possit.  Und  als  Grund  giebt 
er  an :  quippe  tum  demum  ad  eam  quoque  quaestionem  redilus  patebit, 
ecquos  philosophos  per  temporum  rationes  vel  coram  inter  se  committere 
vel  disciplinae  vinculo  jüngere  liceat;  ab  initio  vero  aut  per  se  quemque 
spectabimus  aut  ita  tantum  cum  altero  comparabimus,  si  mutua  eorum  ne- 
cassitudo  extra  omnem  dubitationem  posita  et  a  successionis  quaestione 
prorsus  aliena  et  separata  esse  videatur.  —  Um  einen  festen  Boden  zu 
gewinnen ,  zerstört  der  Verf.  erst  im  II.  Abschnitte  die  Angaben  der  frü- 
heren Chronologen,  namentlich  des  Apollodor,  und  leitet  mit  Karl  Muller 
(fragm.  historicor.  graecor.  Paris.  1848.  T.  II.)  die  Verschiedenheit  der- 
selben von  der  verschiedenen  Bestimmung  der  Epoche  des  trojanischen 
Krieges  her.     Denn  dieser  Gelehrte  omnera  hanc  discrepantiam   ad  ipsius 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  429 

epochae  Trojanae  diversitatem  revocavit  neque  Apollodori  majorem  in 
hac  causa  auctoritatem  esse  intellexit  quam  totius  con.puti  ab  eodem  ad 
Eratosthenis  exempium  instiluti ,  cui  et  Anaxagorae  et  Democriti  aetates 
praeposteie  accommodaverit.  Auf  Müller's  Vorarbeit  fussend,  unter- 
nimmt es  nun  Hr.  H.,  primum  Democriti,  deinde  etiara  ceterorum  philoso- 
phorum  tempora  ab  iniquo  Apollodori  dominatu  liberata  ad  genuinas  ratio- 
nes  redigere.  Im  III.  Abschnitte  fährt  er  dann  s  o  fort :  Nimii  um  varias 
exstare  apud  antiquos  belli  Trojani  epochas  nota  res  est,  quas  quum 
multi  etiam  ad  aliorum  temporum  definitionem  ita  usurparent,  ut  annorum 
intervalla  numerarent,  quibus  res  aliqua  a  Trojae  excidio  dirimeretur, 
facile  fieri  poterat,  ut  hoc  solo  numero  noto  alii,  qui  alia  epocha  Trojana 
uterentur,  calculis  subductis  in  longe  alium  alius  Olympiadis  annum  incL- 
derent,  ac  quem  primus  illius  nuraeri  auctor  designare  voluisset.  Diese 
für  die  Chronologen  der  griechischen  Geschichte  höchst  wichtige  Bemer- 
kung unterstützt  der  Verf.  mit  dem  Beispiele  der  verschiedenen  Angaben 
der  Gründung  von  Syrakus.  Aehnlich  ist  es  mit  der  Bestimmung  des 
Zeitalters  des  Democritus,  über  das  er  zuletzt  zu  folgendem  Ergebnisse 
kommt:  Quantum  equidem  video,  status  causae  jam  hie  est,  ut  Apollodori, 
Thrasylli,  Diodori  notationes  eadem  traditione  niti  certum  sit,  nee  nisi 
in  termino  differant,  quo  communiter  acceptum  annorum  intervallum  sin- 
guli  retulerint,  Diodori  autera  terminus  multis  aliis  rebus  confirmetur, 
quales  pro  duobus  reliquis  nuUae  afferri  possint;  quae  quum  ita  sint,  non 
modo  tutissime  sed  etiam  certissime  acturi  nobis  videmur ,  ubi  et  Demo- 
criti aetatem  ad  hujus  testimonium  constituerimus  et  reliquorum  temporum 
comparationem  ad  eandem  normam  direxerimus.  Unter  diesen  Voraus- 
setzungen kommt  Hr.  H.  im  IV.  Abschnitte  zu  den  Ergebnissen : 
Thaies  ist  geb.  Ol.  XXXV.  1=^640  v.  Chr.;  gest.  um  Ol.  L VII.  3  =  550 

V.  Chr. 
Anaximander  ist  geb.  Ol.  XLII.  3  =  610  v.  Chr. ;  gest.  um  Ol.  LIX.  1 

z=  544  V.  Chr. 
Anaxiraenes  ist  geb.  Ol.  LV.   1  =  560  v.  Chr.;  gest.  um  Ol.  LXX.  1 

z=  500  V.  Chr. 
Anaxagoras  ist  geb.  Ol.  LXI.  3  =  534  v.  Chr. ;  gest.  Ol.  LXXIX.  3  == 

462  v.  Chr. 
Heraclitus  ist  geb.  um    Ol.  LXVII  =  510  v.  Chr. ;  gest.   Ol.  LXXXII 

=  450  v.  Chr. 
Democritus  ist  geb.  Ol.  LXXI.  3  =  494  v.  Chr.;  gest.  um   Ol.  XCIV.  1 

=  404  v.  Chr. 

Zur  Ankündigung  der  akademischen  Vorträge  für  das  Winterhalb- 
jahr 1849 — 50  schrieb  Hr.  H.  die  Abhandlung:  De  Dracone  legumlaiore 
Attico.  Auch  hier  waren  manche  falsche  Ansichten  und  Behauptungen 
früherhin  aufgestellt  worden;  zur  Beseitigung  derselben  hat  der  Verf.  das 
Nöthige  beigebracht  und  zu  folgenden  Resultaten  das  Ganze  hingeführt: 
.^,Omnino  hoc  satis  demonstrasse  nobis  videmur,  pro  illius  aetatis  condi- 
cione  et  sententia  nihil  Draconis  leges  habuisse ,  quod  peculiarem  homi- 
num  in  illum  iram  concitaret;  tempora  ipsa  mutari  necesse  erat,  ut  huma- 
niorum  legum   desiderium  nasceretur,   idque   solum   Draconi  vitio  verti 


430  Schul-  und  Universitatsnachrichten, 

potest,  quod  non  ut  Solo  post  eum  princeps  exstitit  intelligendi ,  rerura 
publicarum  morbos  plerumque  rectius  diaeta  et  fomentis  quum  urendo  et 
secando  curari."  Diese  Verhältnisse  benutzt  Hr.  H.  hier  wieder  mit 
Geschick,  um  der  gegenwärtigen  atiademischen  Jugend  für  die  Jetztzeit 
folgende  Vermahnung  zu  geben:  ,,Et  nos  quidem,  Commilitones,  quantum 
in  nobis  fuit,  sedulo  curavimus,  ut  pro  pristino  rigore  liberalitate  potius 
et  dementia  regi  vos  sentiretis ;  eodem  igitur  exemplo  cavete,  ne  quae 
vobis  forte  displicuerint  statim  Draconia  acerbitate  daranetis,  sed  tem- 
pora  mutari  vos  quoque  cogitetis  seraperque  videatis ,  id  quod  illius  factio 
non  impune  neglexit,  ne  eorura,  quae  reprehendatis ,  aliqua  in  vobis  ipsis 
culpae  pars  lateat."  —  Die  tiefern  F'orscher  des  attischen  Gerichtswesens 
machen  wir  auf  die  Bemerkung  über  die  Epheben  aufmerksam. 

[Dr.  H] 

Heiligenstadt.  Das  Programm  des  hiesigen  kÖnigl.  Gymnasiums 
für  das  Jahr  I8i9  vom  Director  Martin  Rinke  wird  hauptsächlich  gebil- 
det durch  die  wissenschaftliche  Abhandlung  des  Oberlehrers  Kramarczik: 
Die  Kunsträubereien  des  Cajus  Verres,  Ein  Beitrag  zur  Erläuterung  des 
vierten  Buches  von  Cicero^s  Anklage  des  Ferres  (62  S.  4.).  Hr.  K.  hatte, 
von  der  Üeberzeugung  ausgehend ,  dass  das  vierte  Buch  von  Cicero's  An- 
klage des  V^erres  sich  durch  Reichhaltigkeit  und  sinnreiche  Anordnung  des 
Stoffes,  durch  Fülle  des  Ausdrucks  und  Gewandtheit  der  Darstellung 
nicht  minder  zur  Leetüre  auf  Gymnasien  empfehle,  als  die  meisten  Reden 
Cicero's,  welche  gelesen  zu  werden  pflegen,  und  des  belehrenden  und 
anziehenden  Stoffes  leicht  mehr  biete,  als  manche  andere,  diese  Rede 
im  Winterhalbjahre  1848 — 49  mit  den  Primanern  seiner  Lehranstalt  ge- 
lesen und  vor  Beendigung  der  Leetüre  zum  Behufe  der  Reproduction  den 
Stoff  so  unter  dieselben  vertheilt,  dass  sie  nach  dem  Abschlüsse  dersel- 
ben über  die  darin  erwähnten  Localitäten,  Besitzer,  Gegenstände,  Künst- 
ler und  Stoffe  der  Kunstwerke,  über  die  Verhältnisse  des  römischen  und 
sicilischen  Staats-  und  Privatlebens  nach  einander  geordnete  Uebersichten 
in  zusammenhängender  Darstellung  vorzutragen  hatten.  Durch  diese 
Sichtung  verschiedenen  und  Zusammenfassung  gleichartigen  Stoffes  war 
er  selbst  zu  möglichst  gründlicher  Durchdringung  des  Inhaltes  dieser 
Rede  und  zu  wiederholter  Lesung  der  übrigen  angeregt  worden.  Als 
ihm  nun  der  Auftrag  ward,  die  diesjährige  Einladungsschrift  zu  verfassen, 
so  entschloss  ersieh,  gerade  diesen  Gegenstand  zu  wählen,  und  so  will 
er  diesen  Beitrag  zur  Erläuterung  der  Ciceronischen  Rede,  von  der  keine 
besondere  Bearbeitung  erschienen  sei,  als  eine  Frucht  seiner  Amtsthätig- 
keit  angesehen  und  vorzüglich  von  diesem  Gesichtspunkte  aus  beurtheilt 
wissen.  Es  ist  die  Abhandlung  auch  ganz  geeignet,  sowohl  den  Zusam- 
menhang dieser  Rede  mit  den  übrigen  Verrinischen  Reden,  so  weit 
es  zum  Verständnisse  derselben  nöthig  ist,  darzulegen,  als  auch  das  Ver- 
ständniss  der  einzelnen  Reden  an  sich  für  den  jüngeren  Leser  zu  erleich- 
tern ,  obschon  die  dem  V  erf.  gesteckten  äusseren  Grenzen  es  ihm  nicht 
verstatteten,  den  Gegenstand  so  zu  erschöpfen,  dass  er  unter  Anderen 
hätte  auch  eine  Schilderung  des  Verlaufs,  den  der  Process  von  Anfang 
bis  zu  Ende  genommen  ,  an  die  Lebensbeschreibung  des  Verres  anknüpfen 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen,  431 

können,  A\ie  er  Anfangs  beabsichtigt  hatte.  Besonders  dankenswerth 
ist  uns  der  archäologische  Theil  der  Abhandlung  erschienen,  durch  wel- 
chen der  Hr.  Verf.  den  pädagogischen  und  methodischen  Zweck  erreichen 
wollte,  praktisch  darauf  hinzuweisen,  wie  der  philologische  Unterricht 
durch  Anschauung  von  Kunstformen  belebt  und  erweitert  werden  könne, 
zu  welchem  Zwecke  er  namentlich  Abbildungen,  meist  nach  K.  O.  Mül- 
ler*« Handbuch  der  Archäologie  der  Kunst  (Dritte  Aufl.  von  Fr.  G.  Wel- 
cker,  Breslau  1848),  nachzuweisen  bemüht  war,  was  ihm  um  so  weniger 
überflüssig  zu  sein  dünkte,  als  die  Ansicht,  dass  sprachliche  Durchdrin- 
gung der  classischen  Werke  in  Poesie  und  Prosa  ohne  Anschauung  und 
Kenntniss  der  alten  Kunst  Stückwerk  sei  und  jene  durch  diese  wesentlich 
gefördert  werde,  zwar  bereitwillig  anerkannt  werde,  aber  nicht  so  eifrig 
und  allgemein,  als  zu  wünschen  sei,  zur  Anwendung  komme.  Dass  übri- 
gens der  Titel  seiner  Abhandlung  zu  enge  bezeichnet  sei,  giebt  der  Hr. 
Verf.  im  Vorworte  selbst  zu.  In  dieser  Abhandlung  nun,  die  nicht  blos 
um  ihres  pädagogischen  und  methodischen  Zweckes  willen,  sondern  als 
ein  Schätzenswerther  Beitrag  zur  Erklärung  der  Verrinischen  Reden  über- 
haupt allgemeinere  Beachtung  in  hohem  Grade  verdient,  beginnt  der  Hr. 
Verf.  mit  einem  kurzen  Abrisse  des  früheren  Lebens  des  römischen  Prä- 
tors C.  Verres,  den  er  nach  der  gewöhnlichen  Annahme,  ohne  jedoch 
neue  Argumente  dafür  geltend  zu  machen,  zu  dem  Co  rneli  sehen  Ge- 
schlechte rechnet,  S.  1 — 5,  geht  dann  auf  dessen  V^erwaltung  der  Provinz 
Sicilien  ein  und  giebt  zuerst  eine  sehr  erschöpfende  Uebersicht  des  Ge- 
folges von  Verwandten,  Amtsgehülfen  und  Dienern,  welche  denselben 
in  die  Provinz  begleiteten,  von  den  beiden  Quästoren  an  bis  herab  zu 
dem  jüngsten  Helfershelfer  des  ungerechten  Statthalters,  S.  6  —  17.  Nach 
der  Angabe,  dass  Verres  schon  vor  seiner  Abreise  in  Rom  auf  unrecht- 
mässigen Gewinn  in  der  Provinz  bedacht  gewesen  sei,  S.  17  u.  18,  geht 
der  Hr.  Verf.  zunächst  ein  auf  die  Art  und  Weise ,  wie  sich  Verres  bei 
peinlichen  Rechtsfällen  auf  Sicilien  benommen,  S.  18 — 22,  und  schildert 
sodann  die  Betrügereien,  welche  derselbe  in  Bezug  auf  die  in  jener  Pro- 
vinz üblichen  Getreidelieferungen  und  Abgaben  an  Cerealien  vcigenom- 
men,  wodurch  der  Getreidebau  auf  jener  sonst  so  kornreichen,  so  über- 
aus fruchtbaren  Insel  beinahe  ganz  zerrüttet  worden  sei,  S.  22  —  26.  Erst 
dann  geht  Hr.  K.  auf  die  eigentlichen  Kunsträubereien  des  römischen 
Prätors  über ,  bespricht  ausführlicher  sein  Schalten  und  Walten  in 
solcher  Beziehung  auf  jener  Insel,  S.  29 — 56,  und  schildert  endlich  in  einer 
Art  Epilog  das  feigherzige,  dabei  aber  immerhin  wieder  grausame  Be- 
nehmen des  verabscheuungswürdigen  Statthalters,  S.  56 — 62.  Die  Dar- 
stellung des  Hrn.  Verf.  ist  in  stilistischer  Hinsicht  leicht  und  lebendig, 
hinsichtlich  des  Stoffes  reich  und  erschöpfend  zu  nennen  und  Ref.  erlaubt 
sich  nur  folgende  Bemerkungen  zu  machen.  Fürs  Erste  will  es  ihm 
bedünken ,  als  ob  Hr.  K.,  weil  die  Hauptquelle  über  C.  Verres'  Verwal- 
tung eben  nur  Cicero's  Anklagereden  bilden  ,  allzusehr  in  den  Geist  sei- 
nes Originals  eingegangen  und  mit  allzugrosser,  fast  accusatorischer  Ge- 
hässigkeit gegen  den  immerhin  ruchlosen  Statthalter  spreche,  dessen 
Vertheidiger,    wenn   sie   auch  im    Allgemeinen   an   seiner  Freisprechung 


432  Schul-  und  Universitätsnachrichten, 

verzweifeln  mussten ,  doch  im  Einzelnen  sicher  noch  Manches  w  ürden  in 
besserem  Lichte  haben  darstellen  können,   es  nicht  erwägend,   dass   der 
Redner  mit  der  Actio  prima  den   eigentlich  historischen  Boden  verlassen 
und  in  den  fünf  Büchern  der  eigentlichen  Anklage  eine  Art  von  Normal- 
anklage auszuarbeiten   begann ,   zu  deren   Vollendung   er  reicheren  Stoff 
herbeizog  und  denselben  in  weit  ausgesponnener  Darstellung  den   Lesern 
vorzuführen  bemüht  ist.      Fürs  Zweite   vermisst  der  Ref.  noch  die  Be- 
sprechung der  und  jener  allgemeineren  Frage  in  Hrn.   Kr. 's   Abhandlung, 
deren  Beantwortung  zur  Erläuterung  und  zum  richtigen  Verständnisse  der 
ganzen  Rede  beinahe  nothwendiger  gewesen   sein  möchte,    als    manches 
sonst  Beigebrachte.      Es  ist  dies  erstens  die  Frage,    über   welche  seit 
Winckelmann  die  Alterthumsforscher  nicht    einig  gewesen,  über  die 
Art  und  Weise,  wie  Cicero  seine  eigene  Kenntniss  der  griechischen  Kunst- 
werke und  sein  eigenes  Wohlgefallen  an  denselben  zu  verhehlen   Bedacht 
nimmt ,  vgl.  Q.  u  i  n  c  t  i  1  i  a  n  In:>t.  or.  9,  2,  61  sq.  M  e  y  e  r  zu  W  i  n  c  k  e  1- 
mann's  Werken  Bd.  6.  S.  271  und   dagegen  W.   A.  Becker  De  comicis 
Romanorum  fahulis  maxime  Plautinis  Quaestiones  p.  29,  welchem  letzteren 
achtbaren  Gelehrten  Ref.   aber   keinesweijs    beipflichten  kann,  wenn  er 
Cicero's  Bemühung,  seine  Kenntniss  in  einer,  wenn  auch  nicht  öffentlich 
gehaltenen,  doch  als  zur  öffentlichen  Abhaltung  geeignet   ausgearbeiteten 
Rede  zu  verläugnen,  in  Abrede  stellt;   die  Berufung  auf  Cicero's   Rede 
pro  Archia  poeta  passt  nicht,  weil  dort  Cicero  für  einen  gebildeten  Grie- 
chen vor  seinem  Bruder  Quintus  und  vor   einem   befreundeten  Richter- 
kreise spricht  und  weiter  keine  Rücksichten  nimmt  und  zu  nehmen  braucht. 
Eine  Erörterung  dieses  Punktes  hätte  der  Ref.  von  Hrn.  Kr.,  der  sich  über- 
all als   einen  besonnenen  und  wohl  unterrichteten  Gelehrten  zeigt,  gerne 
gesehen,  nicht  minder  eine  genauere  Erwägung,  ob  die  Hauptmotive  zu 
Verres'  Plünderungen  blosse  Habsucht,    oder  Kunstliebhaberei  gewesen. 
Das  Erstere  will  uns  freilich  sein  Ankläger  lieber   glauben  machen,    als 
das  Letztere,  er  freilich,    weil   so    die    Anklage    härter  und  gewichtiger 
erschien    und  keinem    Milderungsgrunde  Raum    ward.      Letzteres  macht 
jedoch  manches  Einzelne  wahrscheinlicher.      Damit   würde  nun  auch  die 
Frage,  ob  Verres  so  wenig  Kenntnisse  von  jenen  Kunstsachen  besessen, 
als  uns  der  Redner  glauben   machen  will,  oder   nicht,   zusammenhängen. 
Ref.  will  nicht   den    Sachwalter    des    verurtheilten  Statthalters    machen, 
allein  die  Wahrheit  liegt  gewiss  auch  hier  in  der  Mitte  und  er  hat  sich 
stets  bemüht,   seine   Zuhörer   bei    Erklärung  der  Reden   der  Allen  dar- 
auf aufmerksam  zu  machen ,  dass  wir  in  ihnen  nur  eine  einseitige  Darstel- 
lung besitzen,  damit  sie  auch  bei  der  Beurtheilung  der  Geschichtsquellen 
im  Allgemeinen  mit  Vorsicht  zu  Werke  zu  gehen  sich  gewöhnen,  ein  Um- 
stand, dessen  Nichtbeachtung  so  frühzeitig  die  geschichtliche  üeberliefe- 
run^T  lügenhaft  gemacht  hat.      Doch  wir  finden,   abgesehen  von  der  rein 
praktischen  und  methodischen   Seite,  so  viele   treffliche  Bemerkungen  in 
der  Abhandlung  des  Hrn.  Kr.,  dass   wir  von  diesen   Unterlassungssünden 
wohl  füglich  absehen  können,  zumal  wir  nicht  wissen,    ob  nicht  vielleicht 
der  gelehrte  Hr.  Verf.  selbst,  wäre  ihm  mehr  Raum  verstattet  gewesen, 
auch  jene  Punkte  auf  lehrreiche  Weise  mit  würde  besprochen  haben.  Wir 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  433 

bemerken  lieber  noch  einige  der  Stellen,  an  welchen  der  Hr.  Verf.  ein- 
zelne dunkle  oder  zweifelhafte  Punkte  der  Verrinischen  Reden  auf  lehr- 
reiche Weise  besprochen  hat,  deren  es  allerdings  eine  grosse  Zahl  giebt, 
wie  gleich  S.  4,  wo  der  Ausdruck  columnas  ad  perpendiculum  cxigere  in 
Bezug  auf  y/ccus.  1,  51,  133  sqq.  unter  Benutzung  der  Stelle  Cicero  ad 
Quint.  fratr.  3,  1,  2  Columnas  negue  rectas  neque  e  regione  Diphilus  collo- 
carat.  Eas  scUicet  demolietur.  Aliquando  perpendiculo  et  linea  discet  uti, 
dahin  erklärt  wird,  dass  die  Prüfung  habe  ermitteln  sollen,  ob  die  Axe 
lüthrecht  sei.  S.  13,  wo  in  der  Anmerkung  **)  mit  Recht  darauf  auf- 
merksam gemacht  wird,   dass  in  K.   O.   MüUer's   Handb.   der  Archäol. 

3.  Ausg.  S.  225  Hiero  fälschlich  als  Maler  statt  als  Wachsbossirer  aufge- 
führt worden  sei,  auf  Grund  der  falsch  verstandenen  Stelle  Accus.  4,  13, 30, 
die  er  richtig  nach  Accus.  3,  28,  69  deutet.  S.  27  fg.  Anm.  *),  wo  die 
Zurapt'sche  Auffassung  der  Stelle  Accus.  1,  20,  53  von  dem  aspendischen 
Citherspieler  neu  begründet  wird.  S.  29,  wo  in  Bezug  auf  die  Stelle 
Accus.  4,  1,  1  Hr.  Kr.  der  Ansicht  von  Klotz  beitritt,  dass  unter  pi- 
cturae  in  textili  unter  Berücksichtigung  der  Stelle  Accus.  4,  12,  27  und 
unter  Erinnerung  an  die  Raphael'schen  Tapeten  und  Gobelins  kunstvolle 
Tapeten  zu  verstehen  seien,  entgegen  der  Ansicht  K.  O.  Müller's  Hand- 
buch §.  319.  Anm.  6,  der  Gemälde  auf  Leinwand  darunter  versteht.  S.31, 
wo  er  mit  Recht  bemerkt,  dass  Zumpt  in  der  Stelle  Accus.  4,  3,  6  bei 
basilicae  mit  Unrecht  an  die  basilica  Porcia  und  Opimia  gedacht  habe, 
statt  der  letzteren,  die  zweifelhaft  sei,  habe  er  die  ^enn7/a  nennen  sollen; 
nach  W.  A.  Becker  Handb.  der  röm.  Alterth.  Bd.  1.  S.  301  fgg.  S.  32 
die  Besprechung  der  pcripetasmata  Attalica,  die  mit  dem  Uebersetzer  in 
Jahn's  Jahrbb.  Supplementb.  13.  S.  140  für  Thürvorhänge  erklärt  werden. 
S.  41,  wo  Accus.  4,  34,  75  die  Zumpt'sche  Erklärung  der  Worte:  Uli  vero 
dicere  ^  sibi  id  nefas  esse  etc.  mit  Recht  verworfen  und  die  Entscheidung 
der  Sache  der  ganzen  Gemeinde  vindicirt  wird.  S.  44,  wo  Hr.  K.  der 
Klotz'schen  Erklärung  in  Bezug  auf  die  Worte  Accus.  4,  40,  87  cum  esset 
vinctus  nudus  in  aere,  in  imbri,  in  frigore,  wonach  aere,  nicht  cere  zu 
lesen  und  von  dem  Luftzuge,  nicht  von  der  ehernen  Statue  zu  verstehen 
sei,  wegen  der  Parallelen  in  imbri ,  in  frigore  unbedenklich  beitritt. 
S.  44  fg. ,  wo  die  Stelle  Accus.  4,  43,  94  convolsis  repagulis  ecfra- 
ctisque  valvis  erklärt  wird :  sie  stemmen  mit  solcher  Gewaltund 
so  oft  gegen  dieThüre,  bis  der  Bolzen  (ßdkavog)  aus  der 
Höhlung  (ßccXciVocdoKr})  wich,  und  in  Bezug  Siuf  Sophocl.  Oed.  R.  1261 
eine  ähnliche  Erklärungsweise  gegen  Wunder  behauptet  wird.  S.  47,  wo 
in  Bezug  auf  Accus.  4,  48,  106  der  Ausdruck  inflammasse  mit  Recht  gegen 
Zumpt's  Bedenken  gerechtfertigt  wird.      S.  51,  wo  in  der  Stelle  Accus. 

4,  55,  123  die  Zumpt'sche  Lesart:  hie  etiam  illorum  (st.  deorum}  monu- 
mcnta  atque  ornamenta  sustulit  gerechtfertigt  wird.  S.  82,  wo  in  Be- 
zug auf  Accus.  4,  56,  124  Gorgonis  os  sehr  richtig  durch  Gorgomaske 
übersetzt  und  os  für  Gesicht  oder  Vorderhaupt  erklärt  wird,  unter  Be- 
rufung auf  K.  O.  Müller's  Handb.  der  Archäol.  §.  345,  u.  dergl.  m. — 
Dies  möge  hinreichen,  die  Freunde  der  Alterthumskunde  auf  die  an- 
spruchslose, aber  höchst  interessante  Gelegenheitsschrift  aufmerksam  zu 

iV.  Jahrb.  f.  Phil,  u.  Päd.  od.  Krit.  Bibl.   Bd.  LVIII.  Hft.  4.         28 


434  Schul-  und  UnivcrsitKtsnachricliten, 

machen  und  dem  Hrn.  Verf.  zu  beweisen ,  dass  Ref.  seiner  Darstellung  mit 
voller  Aufmerksamkeit  gefolgt  ist.  Vielleicht  findet  der  gelehrte  Herr 
Verf.  bald  wieder  Gelegenheit  einen  ähnlichen  Stoff  auf  gleich  lehrreiche 
>Veise  zu  bearbeiten.  —  Von  eigentlichen  Schulnachrichten  ist  dem  Pro- 
gramme blos  die  Ankündigung  der  öffentlichen  Prüfung  beigegeben ;  aus- 
führlichere Schulnachrichten  sollten  s^päter  ausgegeben  werden ,  sind  uns 
aber  zur  Zeit  noch  nicht  zugekommen.  \R.  JST.] 

HANNOVER. 

1)  Das  Programm  des  Llneburger  Johanneums  von  Ostern  1849 
enthält  eine  Abhandlung  des  Rectors  Junghanns:  De  Oedipi  Colonei  ora- 
cutis  et  exsecrationibus ,  ferner  eine  Abhandlung:  Die  Realschule  zu  Lüne- 
burg vom  Director  derselben  Dr.  Folger  und  Schulnachrichten  vom  Di- 
rector  Iloffmann.  Das  Johanneum  besteht  nämlich  aus  einem  Gymnasium 
und  davon  völlig  getrennter  Realschule  mit  3  Ciassen ,  deren  Special- 
director  Dr.  Volger  ist;  Director  der  gesaramten  Anstalt  ist  Dir.  Hoff- 
mann. Letzterer  wurde  zu  Anfang  des  Jahres  1849  für  den  inzwischen 
zum  Mitglied  des  Ober-Schulcollegiums  ernannten  Director  Dr.  Schmal- 
fuss  berufen;  ausserdem  war  Dr.  ZicZ  aus  dem  Lehrercollegium  geschieden, 
um  eine  Pfarrstelle  zu  übernehmen.  Die  Schülerzahl  der  gesammten  An- 
stalt betrug  am  1.  März  1849  345;  davon  kamen  auf  die  Realschule  95. 
Die  r.  Classe  des  Gymnas.  hatte  16,  H.  15,  HI.  36,  IV.  41,  V.  41,  VI.  50, 
VII.  51  Schüler;  die  I.  Realclasse  12,  II.  35,  III.  48.  Gestorben  waren 
im  Verlaufe  des  Jahres  3  Schüler. 

2)  Das  Programm  des  Gymnasiums  zu  Clausthal  von  Ostern  1848 
enthält  eine  Abhandlung  lieber  die  Errichtung  von  Parallel-Classen  in  den 
Gymnasien  und  Progymnasien  nebst  Schulnachrichten  vom  Director  Elster. 
Die  Abhandlung  beweist,  obwohl  dies  ihr  Zweck  keineswegs  ist,  dass 
halbe  Maassregeln  nichts  taugen  und  eine  völlige  Trennung  der  Studiren- 
den  und  Nichtstudirenden  für  beide  nothwendig  ist.  —  Für  den  Unter- 
richt in  den  neueren  Sprachen  wurde,  hauptsächlich  für  die  Parallelclas- 
sen ,  der  Cand.  theol.  Fromme  angestellt.  —  Die  Schülerzahl  findet 
sich  nicht  angegeben.  Zur  Universität  gingen  Ostern  1847  wie  Michae- 
lis 1847  4  Schüler  ab. 

3)  Das  Osterprogramm  des  Progymnasiums  zu  Otterndorf  ent- 
hält eine  Abhandlung  des  Conrectors  Baumeister:  Bemerkungen  über  das 
Verhältniss  von  Schule  und  Haus,  zunächst  veranlasst  durch  locale  Be- 
ziehungen. Diese  umfangreiche  Abhandlung ,  obwohl  ziemlich  planlos 
geschrieben  und  mit  Excerpten  aus  den  verschiedensten  Schriften  durch- 
webt, hat  viel  gute  und  beherzigenswerthe  Gedanken;  anzuerkennen  ist 
vor  Allem  die  consequente  Durchführung  der  streng  kirchlichen  Auffas- 
sung auf  dem  Gebiete  der  Schule.  ■ — ■  Schulnachrichten  vom  Rector 
Vennigerholz.  Darnach  betrug  die  Zahl  der  Schüler  in  4  Ciassen  85 
(I.  6,  II.  17,  III.  33,  IV.  29);  an  der  Errichtung  einer  5.  Classe  wird  ge- 
arbeitet, so  dass  dann  die  Anstalt  mit  Einschluss  der  jetzt  schon  beste- 
henden Vorbereitnngsclasse  aus  6  Ciassen  bestehen  wird. 

4)  Michaelis-Programm  von  1848  des  Gymnasiums  zu  Emden  enthält 
eine  Abhandlung  des  Oberlehrers  Bleske:  Zur  Grammatik  betitelt.      Der 


ßeförderangen  and  Ehrenbezeigungen.  435 

Titel  berechtigt  zu  anderen  Erwartungen,  als  die  Abhandlung  erfüllt; 
denn  nach  einigen  Bemerkungen  allgemeinerer  Art  giebt  der  Verf.  haupt- 
sächlich nur  Bemerkungen,  die  meistens  freilich  recht  praktisch  sind  und 
auf  dem  Boden  der  Schule  selbst  erwachsen ,  zu  Hertel's  französischer 
Grammatik.  Dann  folgen  Schuhiachrichten  vom  Director  Brandt.  Der 
Bestand  der  Schüler  in  6  Classen  war  folgender: 

I.      II.      iir.      IV.      V.      vr.      Sa. 

Im  Sommer  1847:    14         17  25  31         32  34        153 

„  „  1848:  19  19  26  39  37  41  181 
Aus  dem  Lehrercollegium  war  geschieden  der  Rector  Dr.  Krüger,  um  in 
Hannover  die  Redaction  der  Hannoverschen  Zeitung  zu  übernehmen.  Seine 
Stelle  war  noch  nicht  wieder  besetzt.  (Inzwischen  ist  derselbe  nach 
Niederlegung  der  Zeitungsredaction  wieder  in  seine  frühere  Stellung  zu- 
rückgetreten.) 

5)  Osterprogramm  des  Rathsgymnasiums  zu  Osnabrück  1848.  In- 
halt :  lieber  den  Unterricht  im  Deutschen  in  den  unteren  und  mittleren 
Gymnasialclassen  vom  Subconrector  G.  A.  Hartmann  und  Schulchronik 
für  das  Jahr  1848.  Darnach  bestand  die  Schülerzahl  aus  209;  in  I.  12, 
H.  12,  III,  32,  wovon  13  in  der  Realabtheilung,  in  IV.  59,  worunter  37 
Realisten,  in  V.  54,  VI.  40.  üeber  die  geringe  Betheiligung  der  Schüler,  na- 
mentlich der  älteren,  am  Turnunterrichc  wird  geklagt;  eine  Klage,  die  von 
fast  allen  Hannov.  Schulen  wiederholt  wird  u.  wahrscheinlich  ihren  vornehm- 
lichsten  Grund  in  der  Thatsache  findet,  dass  an  manchen  Orten  das  Tur- 
nen nach  1830  als  gefährlich  betrachtet  und  sogar  von  den  oberen  Be- 
hörden verboten  wurde,  wo  sich  Neigung  dazu  zeigte.  Nun  das  Turnen 
geboten  wird,  zeigt  sich  dagegen  eine  bedauerliche,  aber  natürliche 
Reaction.  —  Das  Lehrercollegium  besteht  ans  folgenden  Mitgliedern: 
Director  Abeken,  Rector  Stüve,  Conrector  Meyer,  Conrector  Feldhoff, 
Lehrer  der  Mathematik  und  Physik,  Subconrector  Tiemann^  Subconrec- 
tor Hartmann ,  Dr.  Klopp,  Nolte^  v.  Lucenay,  Lehrer  der  franz.  Sprache, 
JFellenkamp,  Schreiblehrer,  Eggemann  für  verschiedene  Fächer  (?),  Mey~ 
ert,  Lehrer  des  Franz.  und  Engl,,  Thorbeck,  Gesanglehrer* 

6)  Das  Programm  des  (kathol.)  Carolinums  zu  Osnabrtjck  vom  Di- 
rector Norsheider  enthält  nebst  dem  Lectionsplane  nur  einige  Schulnach- 
richten. Darnach  war  der  Oberlehrer  Lansing  von  seiner  einjährigen 
wissenschaftlichen  Reise  nach  Paris  und  London  zurückgekehrt  und  hatte 
das  Ordinariat  von  Quarta  wieder  übernommen.  Ausserdem  waren  die 
Herren  Meurer ,  Schmeisser ,  Peters  und  Sommer  als  Lehrer  angestellt. 
—  Für  Quarta  und  Tertia  waren  Real-  oder  Parallelstunden  eingerichtet. 
Die  Lehrerconferenzen  finden  allwöchentlich  Statt.  Die  Schüler  ver- 
theilten  sich  auf  die  verschiedeneu  Abtheilungen  so: 

I.  (super.).  I.(infer.).  II.    III.    lV.(Stud.).  IV.  (Nichst.).  V.   VI.  VIL  Sa. 
6  12  9     12  15  9  25    16    22    136 

7)  Programm  des  Gymnasiums  zu  GÖTTiNf4EN  1849.  Inhalt:  lie- 
ber die  rednerische  Kunst  in  der  ersten  Philippischen  Rede  des  Dcmosthe- 
nes  vom  Conrector  Schöning,  nebst  Schulnachrichten  vom  Director  Gef- 
fcrs.     Die  Abhandlung  beginnt  mit  einigen  einleitenden  Bemerkungen  über 

28* 


436  Schul-  und  Universitatsnaclirichten, 

die  Leetüre  des  Demosthenes  in  Prima  überhaupt ,  giebt  dann  einige  all- 
gemeine Bemerkungen  über  den  Bau  der  polit.  Reden  des  Demosthenes, 
erörtert  alsdann  die  geschichtlichen  Verhältnisse,  die  der  Rede  zum  Grunde 
liegen,  und  gelangt  so  zum  eigentlichen  Thema  der  Abhandlung,  das  in 
gründlicher  und  klarer  Weise  abgehandelt  wird  und  als  Beitrag  zur  rich- 
tigen Auffassung  antiker  Kunstbildung  recht  willkommen  zu  heissen  ist. 
—  Ins  LehrercoUegium  war  Dr.  Muhlcrt  neu  eingetreten,  hauptsächlich 
für  den  Parallelunterricht ;  die  Gesammtzahl  der  Schüler  belief  sich  auf 
222,  aus  der  Stadt  154,  Auswärtige  67.      Davon  waren  in 

I.      Gross  II.      Klein-II.      III.  IV.  V.  VI.  Sa. 

18  23  29  27  50         46  29  222 

An  Nichtstudirenden  waren  in  Grosssecunda  4,  in  Kleinsecunda  8,  in  Ter- 
tia 11,  in  Quarta  26,  im  Ganzen  49.  [JB^.] 

Heidelberg.  In  einer  Zeit,  in  welcher  auch  nicht  ein  Einzelner 
völlig  unberührt  blieb  von  den  Bewegungen,  die  den  Staat  erschütterten, 
wird  es  auch  nicht  leicht  eine  Schule  geben,  die  jeder  Berührung  sich 
hätte  entziehen  können.  Doch  an  unserer  Stadt  ist  die  drohende  Wolke 
des  Ungewitters  vorübergegangen,  ohne  sich  völlig  entladen  zu  haben, 
und  so  war  denn  auch  das  hiesige  Lyceum  von  dem  Geschicke  soweit  be- 
günstigt, dass  eine  völlige  Unterbrechung  des  Unterrichtes  nur  vier  Tage 
nach  einander  (vom  20.  bis  23.  Juni)  stattfand.  —  Wohl  hatte  die  Mehr- 
zahl der  Schüler  der  obersten  Jahrescurse  theils  unter  der  Obsorge  ihrer 
Eltern,  theils  durch  den  Zwang  der  äusseren  Verhältnisse  die  Schule  und 
die  Stadt  verlassen.  Doch  sind  bei  weitem  die  Meisten  sehr  zeitig  wie- 
der zurückgekehrt,  ohne  dass  wir  den  Verlust  eines  einzigen  Schülers  zu 
bedauern  hätten. 

In  dem  Lehrerpersonale  sind  mehrere  Veränderungen  eingetreten. 
Im  Anfange  des  Schuljahres  trat  an  die  Stelle  des  katholischen  Religions- 
lehrers (deren  Gehalt  verdoppelt  und  dadurch  gleichsam  neu  fundirt 
wurde,  wie  schon  das  Programm  des  vorigen  Jahres  berichtet,  vergl. 
NJahrbb.  Bd.  LIV.  Hft.  3.  S.  326)  Lehrer  Eckert  von  dem  Lyceum  in 
Freiburg  ein.  Der  früher  hier  angestellte  katholische  Religionslehrer 
Trost  ging  als  solcher  an  das  Lyceum  in  Mannheim  über.  Während  im 
vorigen  Jahre  Dr.  Jülg  vorübergehend  der  Anstalt  zur  Aushülfe  zuge- 
standen war,  wurde,  in  Anerkennung  des  Bedürfnisses,  die  Lehrkräfte 
der  hiesigen  Schule  zu  vermehren,  Lehramtspraktikant  Dr.  Habermehl  an 
der  Anstalt  angestellt.  —  Auf  das  früher  von  Prof.  Behaghel  schon  wie- 
derholt gestellte  Ansuchen,  ihn  des  naturhistorischen  Unterrichts,  den  er 
nur  aushülfsweise  übernommen  hatte ,  zu  entheben,  wurde  beim  Beginn 
des  Schuljahres  durch  den  Grossherzogl.  Oberstudienrath  dieser  Unter- 
richt theils  an  Lehrer  Riegel,  theils  an  Dr.  Habermehl  übertragen.  Spä- 
ter —  im  Anfange  Februars  —  trat  Lehrer  Riegel  auch  in  die  sämmt- 
lichen  Unterrichtsstunden  des  Lehrers  Reinbold  ein ,  als  dieser  eine  Be- 
förderung an  die  Knabenschule  in  Freiburg  erhielt.  Bei  der  Aufzählung 
der  Veränderungen  erwähnt  der  derzeitige  Director  der  Anstalt  *) ,  Hof- 


*)  Früher  bestand  in  Heidelberg  das  alte  reformirte  Gymnasium  und 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  437 

rath  Feldbausch,  in  dem  Programme,  welchem  wir  diese  Mittheilungen 
entnehmen,  mit  innigstem  Danke,  dass  ihm  durch  die  Gnade  Sr.  Königl. 
Hoheit  des  Grossherzogs  mittelst  8taatsministerialbeschlusses  vom  7.  Oct. 
1848  gestattet  wurde,  auf  seiner  hiesigen  Stelle  zu  verbleiben,  nachdem 
ihm  eine  Beförderung  an  eine  andere  Anstalt  des  Landes  zuerkannt  war. 
Das  hiesige  Lyceum  aber  kann  sich  nur  Glück  wünschen,  diesen  als  gründ- 
lichen Gelehrten  wie  als  tüchtigen  Lehrer  gleich  ausgezeichneten  Mann 
zu  behalten. 

Als  Eph  or US  wirkte,  wie  seit  einer  Reihe  von  Jahren,  so  auch 
in  dem  abgelaufenen  Schuljahre  Hr.  Geheime  Hofrath  und  Oberbibliothe- 
kar Dr.  Bahr  mit  anerkennensvverthem  Eifer  und  weiser  Umsicht  für  das 
fortdauernde  Wohl  und  Gedeihen  der  Anstalt,  welche  ihm  dafür  zum 
wärrasten  Danke  verpflichtet  ist. 

Im  Laufe  des  Schuljahres  erhielt  die  Lyceumsbibliothek  mehrere 
werthvoUe  Geschenke,  und  zwar  von  einem  ausgezeichneten  ehemaligen 
Schüler  der  Anstalt,  Dr.  Max.  Nägele,  Privatdocenten  an  der  Universi- 
tät Heidelberg ,  dessen  „Studien  über  Altitalisches  und  Römisches  Staats- 
und Rechtsleben,'-''  Schaffhausen,  Hurter.  18i9.  8.  Von  dem  ehrenwer- 
then  Veteranen  der  deutschen  Schulmänner,  Director  Georg  Friedrich 
Grotefend  in  Hannover,  dessen  „Rudimenta  linguae  Umbricae.^'^  8  Hefte 
in  4.  Hannover,  1835 — 1839,  nebst  der  Ehrenmedaille  des  Pastor  Bödeker 
in  Hannover,  in  Bronze.  Von  dem  Professor  an  dm  hiesigen  Lyceum, 
Leber,  die  von  ihm  ins  Deutsche  übersetzte  „Geschichte  des  Königreichs 
Neapel,  von  Coletta.'^     8  Theile.      Grimma,  1848.    8. 

Von  den  Stipendien,  welche  dieses  Jahr  an  Schüler  des  Lyceums 
vertheilt  wurden,  erhielten  8  katholische  Schüler  aus  den  landesherrlichen 
theologischen  Stipendien  zusammen  850  fl.,  9  protestantische  Schüler  er- 
hielten aus  den  Neckarschul-Stipendien  675  fl.,  1  Schüler  aus  dem  Rhein- 
bischofsheimer  Dispensationsgelder- Fonds  150  fl.  —  Die  Marianischen 
Stipendien  sind  bis  jetzt  (6.  August  1849)  noch  nicht  vertheilt.  —  Als 
Preis  der  Lauter'schen  Stiftung  (das  Ausführlichere  über  diese  Stiftung 
siehe  NJahrbb.  a.  a.  O.  S.  326)  wurde  die  „Lyrik  der  Deutschen  von  Hein- 
rich Friedrich  JFilhelmi^^  und  ^^Schiller^s  dreissigjähriger  Krieg ^'^  einem 


das  im  Jahre  1705  von  den  Jesuiten  hier  begründete  katholische  Gym- 
nasium. Unter  der  Regierung  des  Grossherzogs  Karl  Friedrich  wurden 
im  Jahre  1808  beide  Anstalten,  welche  den  bei  weitem  grössten  Theil 
ihrer  Einkünfte  aus  den  betreffenden  kirchlichen  Fonds  zofien,  zu  einem 
gemeinschaftlichen  Gymnasium  vereinigt.  Die  bisherigen  Einkünfte^  be- 
hielt die  vereinigte  Anstalt  nicht  nur,  sondern  sie  wurden  aus  den  kirch- 
lichen Mltte'n  beider  Confessionen  noch  erhöht,  dabei  aber  die  Bestim- 
mung getroffen ,  dass  die  Direction  der  Anstalt  zwischen  den  zwei  ersten 
Lehrern  dieser  Confessionen  abwechseln  solle.  —  Diese  Anordnung  be- 
steht noch,  und  in  Folge  derselben  wechselt  jetzt  alle  2  Jahre  die  Di- 
rection der  Anstalt  zwischen  Hofrath  Feldbausch  (katholischer  Seits) 
und  Professor  Hautz  (cvangel.  protest.  Seits.)  (Vgl.  NJahrbb.  Bd.  LIV. 
Heft  3.  S.  326.) 


43S  Schul-  und  Universitätsnachrichten, 

sehr  fleissigen  und  durchaus  wohlgesitteten  Schüler  der  Unter-Sexta  nach 
dem  einstimmigen  Beschluss  der  Lehrerconferenz  zuerkannt. 

Am  18.  October  1846  fand  in  feierlicher  und  erhebender  Weise  die 
Jubelfeier  der  300jährigen  Stiftung  des  hiesigen  Lyceums  *)  Statt.  Um 
nun  der  Feier  dieses  festlichen  Tages  ein  würdiges  und  bleibendes  Denk- 
mal zu  stiften,  haben  sich  bei  dem  Feste  selbst  viele  ehemalige  Schüler 
und  Freunde  der  Anstalt  dahin  vereinigt,  als  Ausdruck  ihres  Dankes 
durch  freiwillige  Beiträge  ein  „Jubiläums-  Stipendium^''  zu  begründen, 
welches  einem  durch  Sittlichkeit  und  Fleiss  ausgezeichneten,  dürftigen 
Schüler  des  Ljceums,  ohne  Rücksicht  auf  Glaubensbekenntniss ,  jährlich 
verabfolgt  werden  solle.  Das  Unternehmen  fand  die  lebhafteste  Theil- 
nahme.  Die  Unterzeichnung  der  Beiträge  begann  bei  dem  Festessen  und 
lieferte  das  erfreuliche  Resultat,  dass  gegen  500  fl,  sogleich  gezeichnet 
wurden.  Da  jedoch  diese  Summe  nicht  hinreichte,  um  mit  deren  Zinsen 
einen  dürftigen  Schüler  wesentlich  zu  unterstützen,  so  hat  das  zu  diesem 
Zwecke  zusammengetretene  Comite  beschlossen ,  erst  dann  den  Ertrag 
des  eingegangenen  Geldes  zu  einem  Stipendium  zu  verwenden,  wenn 
durch  Zinsgutschrift  und  vorzüglich  durch  fernere  Beiträge  das  Capital 
auf  „tausend  Guldcn^^  angewachsen  sein  würde.  Der  Beschluss  des  Co- 
mite's  fand  bei  ehemaligen  Schülern  und  Freunden  der  Anstalt  die  dan- 
kenswertheste  Unterstützung.  Neue  Beiträge  wurden  gezeichnet  und 
wir  können  die  erfreuliche  Mittheilung  machen,  dass  nach  einer  im  Laufe 
des  Monats  Juli  1849  von  der  Verwaltung  der  Grossherzogl.  Lyceums- 
kasse  abgegebenen  Notiz  der  gegenwärtige  Stand  der  für  diesen  Zweck 
bestimmten  Gelder  959  fl.  33  kr.  beträgt  und  somit  im  Laufe  des  nächsten 
Jahres  das  Stipendium  ins  Leben  treten  kann,  wenn  in  demselben  die 
versprochenen  oder  noch  rückständigen  Subscriptionen ,  welche  in  den 
schlimmen  Tagen  des  verflossenen  und  gegenwärtigen  Jahres  nicht  völlig 
abgetragen  werden  konnten,  an  die  Grossherzogl.  Lyceumskasse  ent- 
richtet werden. 

Am  Schlüsse  des  Schuljahres  1847 — 48  wurden  9  Schüler  zur  Uni- 
versität entlassen,  wovon  1  der  evangel.  Theologie  und  Philologie,  1  der 
evangel.  Theologie,  1  der  kathol.  Theologie,  1  der  Jurisprudenz,  2  der 
Medicin  und  3  dem  Cameralfache  sich  widmen.  An  Ostern  1849  gingen 
2  Schüler  zur  Universität  über,  der  Eine  zur  evangel.  Theologie  und  der 
Andere  zum  Cameralfache. 

Im  Laufe  dieses  Schuljahres  besuchten  205  Schüler  die  Anstalt. 
Unter  diesen  sind  132  Protestanten,  68  Katholiken,  5  Isrealiten.  Aus- 
länder sind  darunter  11;  Auswärtige,  deren  Eltern  nicht  in  hiesiger 
Stadt  wohnen,  76.  Im  Schuljahre  1847  —  48  betrug  die  Gesammtzahl  der 
Schüler  226  (NJahrbb.  a.  a.  O.  S.  325). 


*)  Vergl.  Jubelfeier  der  300jährigen  Stiftung  des  Grossherzogl.  Ly- 
ceums zu  Heidelberg.  Beschrieben  und  nebst  den  der  Anstalt  zugegan- 
genen Zuschriften  und  den  bei  der  P'eier  gehaltenen  Reden  herausgege- 
ben von  Johann  Friedrich  Hautz,  Professor  und  d.  Z.  Director  des 
Lvceums.  Heidelberg,  akademische  Verlagshandlung  von  J.  C.  B.Mohr. 
1847.    8. 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  439 

Als  wissenschaftliche  Beilage  ist  dem  Programme  eine  von  dem  alter- 
nirenden  Director,  Professor  llautz,  ausgearbeitete  Geschichte  der  vor- 
mals in  Heidelberg  bestandenen  Neckarschule  (schola  Nicrina)  beigege- 
ben. Schon  im  vorigen  Jahre  sollte  sie  als  Beigabe  zu  dem  Programme 
erscheinen  (NJahrbb.  Bd.  LIV.  Hfl.  1.  S.  327).  Allein  da  der  ge- 
schichtliche Stoff  aus  den  die  Neckarschule  betreffenden  Actenstücken  in 
reicherem  Mkasse,  als  der  Verfasser  erwartet  hatte,  sich  darbot,  so 
musste  die  sorgfältige  Durchsicht  dieser  Acten  die  Vollendung  der  Arbeit 
verzögern.  Die  Aufgabe ,  welche  sich  der  Verf.  bei  der  Ausarbeitung 
dieser  Schrift  gestellt  hat,  ist  nach  der  Vorrede  S.  IV  ,,eine  einfache, 
schlichte,  den  unmittelbarsten  Quellen  entnommene  Darstellung  dieser  An- 
stalt zu  geben,  welche  ihre  frühere  und  spätere  Vergangenheit  möglichst 
vollständig  und  zusammenhängend  schildern  soll,  besonders  in  der  be- 
wegten, unruhevollen,  für  Heidelberg  wie  für  die  ganze  Pfalz  theilweise 
so  verderblichen  und  dennoch  in  mancher,  besonders  litterarischer  Be- 
ziehung ,  wieder  auch  so  segensreichen  Zeit  der  letzten  zwei  Jahrhun- 
derte." Der  Titel  der  Schrift,  welche  auch  in  den  Buchhandel  gekom- 
men ist ,  heisst  vollständig :  „GescJiichte  der  Neckarschule  in  Heidelberg 
von  ihrem  Ursprünge  im  12.  Jahrhundert  bis  zu  ihrer  AufJiebung  im  An- 
fange des  19.  Jahrhunderts.  Bearbeitet  nach  handschriftlichen  ,  bis  jetzt 
noch  nicht  gedruckten  Quellen  und  nebst  den  wichtigsten  Urkunden  her- 
ausgegeben von  Johann  Friedrich  Hautz  u.  s.  w.  Heidelberg,  1849. 
Akademische  Verlagshandlung  von  J.  C.  B.  Mohr."  XH  und  200  S.  8. 
Die  Schrift  selbst  ist  bereits  in  diesen  Blättern  (Bd.  LVHT.  Hft.  1.  S.  75 
bis  79)  von  K.  Geib  angezeigt  und  besprochen  worden.  Wir  glauben 
daher  auf  diese  Anzeige  um  so  mehr  uns  beziehen  zu  dürfen,  als  deren 
Verfasser  ein  eben  so  ausgezeichneter  Kenner  des  classischen  Alterthums 
als  gelehrter  Forscher  der  pfälzischen  Geschichte  ist,  ,,zu  dessen  I^ieb- 
lingsstudien  die  Beschreitung  dieses  vaterländischen  P^eldes  gehört."  (Vgl. 
NJahrbb.  a.  a.  O.  S.  78.) 

Wir  dürfen  unsern  Bericht  über  das  hiesige  Lyceum  nicht  schliessen, 
ohne  noch  einer  besonderen  Feier  zu  gedenken ,  w  eiche  am  Schlüsse  des 
Schuljahres  stattgefunden  hat.  —  Obwohl  die  Zeitve^hältnisse  die  Nöthi- 
gung  auferlegten,  dieses  Schuljahr  ohne  öffentlichen  Schlussact  zu  beenden 
(s,  die  betr.  Verfügung  der  Grossh.  Oberstudienbehörde  in  NJahrbb.  Bd.  58. 
Hft.  1.  S.  79.  80),  so  wollte  doch  der  dermalige  Director,  Hofrath  Feld- 
bausch, die  Schüler,  namentlich  die  reiferen  unter  ihnen,  nicht  scheiden 
sehen,  ohne  einige  Worte  an  sie  gerichtet  zu  haben.  —  Er  that  dieses 
in  einer  schönen,  gehaltvollen  und  herzlichen  Rede,  welche  auch  in  wei- 
teren Kreisen  bekannt  zu  werden  verdient,  und  wir  können  nur  unsere 
Freude  darüber  aussprechen,  dass  sie  von  dem  würdigen  Verfasser  unter 
folgendem  Titel  in  den  Druck  gegeben  wurde :  ,,Jn  die  studirende  Ju- 
gend des  Vaterlandes.  Schulrede  bei  dem  Schlüsse  des  Sommercurses 
am  Lyceum  zu  Heidelberg.  Von  F.  S.  Feldbausch.  Heidelberg ,  1849. 
Druck  und  Verlag  von  Julius  Groos.  15  S.  gr.  8."  Der  Verf.  geht  in 
dieser  Rede  von  den  Begebenheiten  und  Erlebnissen  der  jüngsten  Tage 
aus,  welche  in  dem  erfahrenen  wohldenkenden   Manne   nur  den   tiefsten 


440  Schul  -  und  Univers'itätsnachrichten 


Schmerz  hervorrufen  können,  und  welche  über  unser  schönes  Vaterland, 
das  im  Stande  war  mit  jedem  andern  deutschen  Gaue  sich  zu  messen  in 
der  Fruchtbarkeit  und  Anmuth  des  Bodens,  in  der  Wohlhabenheit  seiner 
Bewohner,  in  der  Freiheit  seiner  Institutionen,  so  grosses  Unglück  ge- 
bracht haben.  Er  weist  darauf  hin,  wie  wir  nicht  nur  der  unsinnigen 
Willkur  von  Verführern  und  Verführten  aus  unserem  eigenen  Lande,  son- 
dern auch  von  einer  Menge  fremder  Abenteurer  anheim  gegeben  waren, 
die  —  wie  Raben  um  den  Galgen  —  von  West  und  Süd  und  Nord  zu- 
samraenflogen  in  das  schöne  Baden.  Dann  wird  ausgeführt,  dass,  sollen 
unsere  Verhältnisse  zum  Guten  sich  gestalten  ,  dies  auch  mit  auf  der  wah- 
ren Vaterlandsliebe  seiner  Bürger  und  auf  der  Vaterlandsliebe  der  Jugend 
beruhe,  welche  heranreife,  um  mit  höherer  Ausbildung  in  eine  erspriess- 
liche  Wirksamkeit  im  Staate  einzutreten,  und  an  dem  Beispiele  von  So- 
cratcs  gezeigt,  mit  welchen  Eigenschaften  die  rechte  Vaterlandsliebe  in 
dem  wahrhaft  edeln  ,  einsichtsvollen  Manne  sich  zu  vereinen  pflege,  und 
die  vielfach  bestätigte  Erfahrung  vor  die  Seele  geführt,  ,,fZass  die  ein- 
sichtsvollsten Männer  immer  die  bescheidensten  st/?rf";  zugleich  aber  auch 
dargethan,  wie  eng  mit  der  wahren  Bescheidenheit  heilige  Achtung  vor 
dem  Gesetze  und  vor  der  Religion  verbunden  sei.  —  Wir  schlicssen  un- 
sere Anzeige  mit  dem  lebhaften  Wunsche,  dass  diese  durch  Inhalt  und 
Form  ausgezeichnete  Rede  von  recht  vielen  Studirenden  unseres  theuern 
Vaterlandes  gelesen  und  beherzigt  werden  möge !  [f^-] 

Heidelberg.  Nach  dem  so  eben  ausgegebenen  Adressbuche  der 
hiesigen  Ruprecht-Karls-Universität  für  das  Winterhalbjahr  1849 — 1850 
beträgt  die  Anzahl  der  in  diesem  Semester  hier  Studirenden  : 

Ausländ.      Inland.      Summa. 

1)  Theologen,  immatriculirte  u.  Mitglieder  des 

evangel.-protest.  Predigerseminars        .8  44  52 

2)  Juristen 216  86  302 

3)  Mediciner,  Chirurgen  u.  Pharmaceuten  54  44  98 

4)  Cameralisten 9  25  34 

5)  Philosophen  und  Philologen        ...  15  16  31 

*                              Summa  302  2J5  öTt 
Ausserdem  besuchen   die  akademischen    Vor- 
lesungen noch  Personen  reiferen  Alters             3  4  7 
Conditionirende  Chirurgen  u.  Pharmaceuten        6  7  13 


Gesammtzahl 537 

Im  vorigen  Semester  betrug  die   Summe  der 

immatriculirten  Studirenden  1 — 5   .      .      .  449  174  623 

Die  Anzahl  hat  sich  daher  vermehrt  um    .      .  41 

und  vermindert  um 147  106 

Von  den  Vorlesungen  glauben  wir  folgende  als  für  den  Kreis  der 
Jahrbücher  geeignet  anführen  zu  müssen:  Bahr  (Geheimer  Hofrathund 
Oberbibliothekar):  Erklärung  von  Cicero  de  Republica  mit  einer  Anlei- 
tung zum  lateinischen  Stil  und  Uebungen  in  demselben.  Erklärung  von 
Plato's  Politeia.      Erklärung  eines  griechischen  Schriftstellers   in  lateini- 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  441 

scher  Sprache.  —  Zell  (Geheimer  Hofralh):  Gymnasialpädagogik,  lie- 
ber die  Religion  der  Griechen.  Erklärung  des  Octavius  von  Minucius 
Felix.  —  Kayser  (ausserord.  Professor) :  Interpretation  von  Hesiod's 
Theogonie.  Erklärung  von  Aeschylus'  Orestie,  d,  h.  Agamemnon,  Coe- 
phoren  und  Eumeniden.  Erklärung  von  Catull  ,  TibuU  und  Properz. 
Ueber  Cicero's  Rede  pro  Cluentio.  —  Umbreit  (^Geh.  Kirchenrath):  Hi- 
storisch-kritische Einleitung  in  das  alte  Testament.  Erklärung  des  Pro- 
pheten Jesaja.  Praktische  Auslegung  ausgewählter  Psalmen.  Uebungen 
im  Interpretiren  messianischer  Psalmen.  —  Dittenberger  (ordentl.  Prof.) : 
Pädagogik.  —  Holtzmann  (Stadtpfarrer)  :  Die  Lehre  vom  Volksschul- 
wesen. —  Hanno  (ausserord.  Prof.):  Erklärung  der  Sprüche  Salomo's, 
Tugend-  und  Religionslehre.      Unterricht  in  der  hebr.  und  arab.  Sprache. 

—  fFeil  (ausserord.  Prof.):  Arabische  Sprache.  Erklärung  des  Korans. 
Türkische  Sprache.  Privatissima  in  der  hebr.,  arab.,  pers,  und  türk. 
Sprache  und  Litteratur.  —  Schlosser  (Geh.  Rath):  Geschichte  der  Jahre 
1813 — 1848.  —  Kortüm  (ordenti.  Prof.):  Römische  Geschichte.  Neue- 
ste Geschichte  (1789 — 1823).  Teutsche  Geschichte  von  1806 — 1848. — 
//ausser  (ordentl.  Prof.):  Deutsche  Geschichte.  Geschichte  der  deut- 
schen Litteratur  und  Cultur.  —  Hetiner  (Privatdocent):  Geschichte  der 
deutschen  Cultur  von  Gotsched  bis  auf  die  Gegenwart.  Poetik.  —  Ruth 
(Privatdocent):  Erklärung  von  Dante's  Inferno.  Geschichte  der  italieni- 
schen Poesie  bis  zum  Ende  der  16.  Jahrhunderts,  ■ —  Freiherr  v.  Reich- 
lin-Mcldegg  (ordentl.  Prof.):  Logik  nebst  Einleitung  zur  Philosophie. 
Psychologie  mit  Einschluss  der  Somatologie  des  Menschen  und  der  Lehre 
von  den  Geisteskrankheiten.  Geschichte  und  Kritik  der  Philosophie. 
Ueber  die  Faust-  und  Wagnersage  und  Goethe's  Faust.  —  Roth  (ausser- 
ordentl.  Prof.) :  Psychologie.  Geschichte  der  Philosophie.  Sanskrit- 
graramatik.  —  Schweins  {Geh.  Hofrath) :  Reine  Mathematik.  Differen- 
tial- und  Integralrechnung.  Mechanik.  Ueber  die  neueren  Methoden  in 
der  Geometrie.  —  ^rwefÄ  (Lycealprofessor) :  Theorie  der  Gleichungen. 
Privatissima  über  alle  Theile  der  Mathematik.  —  von  Leonhard  (Geh. 
Rath):  Mineralogie,  Geognosie  und  Geologie,  oder  Naturgeschichte  des 
Steinreichs.  Oryktognosie  oder  specielle  Mineralogie.  Ueber  die  Erz- 
lagerstätten. Die  Lehre  vom  Bergbau.  —  Blum  (ausserordentl.  Prof.): 
Oryktognosie  oder  specielle  Mineralogie.  Praktische  Uebungen  im  Be- 
stimmen der  einfachen  Mineralien.  Examinatorium  über  Geognosie  und 
Geologie,  mit  praktischen  Uebungen  im  Bestimmen  der  Felsarten  verbun- 
den. Privatissima  über  Mineralogie  und  Geologie.  —  Leonhard  (Privat- 
docent): Physikalische  Geographie.  Mineralogie  und  Geologie  des  Gross- 
herzogthums  Baden.  Privatissima  über  Mineralogie  und  Geologie.  — 
Bronn  (Hofrath):  Geschichte  der  Natur.  Specielle  Petrefactenkunde. — 
BiscÄo^  (ordentl.  Prof.) :  Anatomie  und  Physiologie  der  Pflanzen.  Na- 
turgeschichte der  kryptogaraischen  Gewächse.  —  Jolly  (ordentl.  Prof.): 
Experimentalphysik.   Technologie.  Uebungen  im  physikal.  Laboratorium. 

—  Gmelin  (Geh.  Hofrath):  Organische  Chemie.  —  Praktische  Anleitung 
zur  Darstellung  pharmaceut.  und  anderer  chemischer  Präparate.  —  Delffs 
^ausserordentl.  Prof.)  :  Experimentalchcmie.     Pharraaceutische  Chemie. 


442  Schul-  und  Universitätsnacluichten, 

Das  philologische  Semin  arium,  welches  unter  der  Direction 
des  als  Lehrer  und  Schriftsteller  ausgezeichneten  Geheimen  Hofraths  und 
Oberbibliothekars  Dr.  Bahr  steht,  zählte  im  Somraersemester  1849,  un- 
geachtet der  grossen  Unruhen,  25  Mitglieder.  Die  Vorlesungen  wurden 
ohne  Unterbrechung  gehalten  und  mit  allem  Fleisse  besucht.  Im  gegen- 
wärtigen Wintercursus  1849  — 1850  beläuft  sich  die  Zahl  derjenigen  Mit- 
glieder auf  20,  welche  an  allen  Uebungen  Antheil  nehmen.  —  Prakti- 
sche Uebungen  der  älteren  und  befähigleren  Mitglieder  im  Unterrichten 
an  dem  hiesigen  Lyceum  sollen  demnächst  eingeführt  werden,  um  so  ne- 
ben der  wissenschaftlichen  Bildung  den  künftigen  Lehrern  auch  eine 
praktische  Befähigung  zu  geben.  [^-J 

Lahr.  Das  hiesige  Gymnasium  ist  mit  der  höheren  Bürgerschule 
vereinigt,  —  Durch  Erlass  des  Grossherzogl.  Oberstudienrathes  vom 
25.  September  1848  wurde  der  im  Schuljahre  1847 — 48  hier  beschäftigte 
Lehramtspraktikant  Degen  auf  Disponibilität  versetzt  und  an  seine  Stelle 
Lehramtspraktikant  Müller  aus  Heidelberg  hierherberufen.  Letzterer  hat 
seinen  Dienst  als  Hauptlehrer  von  Prima  am  \.  October  1848   angetreten. 

—  Die  wiederholte  Erkrankung  des  Lehrers  Selz  im  Winter-  und  Som- 
merhalbjahre hat  mehrfache  Versehung  seiner  Lehrstunden  zur  Folge  ge- 
habt, so  dass  zuerst  vom  24.  Januar  bis  zum  30.  März  1849  sämratliche 
Unterrichtsgegenstände  desselben  mit  einigen  Unterbrechungen ,  in  wel- 
chen Setz  wieder  eintrat,  von  dem  Reallehrer  Stöss  übernommen  wurden. 
Vom  31.  März  bis  zum  24.  Juli  hat  der  Director  der  Anstalt,  Hofrath 
Gebhard,  Prof.  FesenbeckJi ,  Diaconus  Fecht,  Reallehrer  Slöss  und  Lehrer 
Sleinmann  die  Stunden  des  Lehrers  Selz  versehen.  Am  24.  Juli  hat  Selz, 
nach  Wiederherstellung  seiner  Gesundheit,  seine  sämmtlichen  Lehrstun- 
den wieder  übernommen  und  bis  zum  Schlüsse  des  Schuljahres  fortgeführt. 

—  Den  Religionsunterricht  für  die  katholischen  Schüler  ertheilte  Pfarr- 
verweser Pfeiffer  vom  16.  März  bis  zum  Schlüsse  des  Schuljahres.  —  Im 
Laufe  des  Jahres  wurde  das  Gymnasium  und  die  damit  verbundene  höhere 
Bürgerschule  im  Ganzen  von  96  Schülern  (im  vorhergehenden  Jahre  be- 
trug die  Schülerzahl  118,  vergl.  NJahrbb.  Bd.  LV.  Hft.  3.  S.  344)  be- 
sucht. Darunter  befanden  sich  78  evangel.  und  18  kathol.  Zöglinge. 
Während  des  Schuljahres  sind  18  Schüler  ausgetreten,  so  dass  am  Schlüsse 
des  Schuljahres  noch  78  Schüler  gegenwärtig  waren ,  worunter  5  als 
Gäste  bezeichnet  sind.  —  Von  den  7  Schülern,  welche  im  vorigen  Spät- 
jahre Ober-Qiiinta  absolvirten,  sind  zur  P'ortsetzung  ihrer  Studien  3  auf 
das  Lyceum  in  Heidelberg  *),  1  ist  auf  das  Lyceum  in  Rastatt,  1  auf  das 


'•')  A's  Gelehrtenschulen  bestehen  im  Grossherzogthum  Baden  Ly- 
ceen,  Gymnasien  und  Pädagogien.  Die  Lyceen  haben  einen  neunjährigen 
Lehrcurs  und  sechs  Classen,  welche  von  unten  nach  oben  gezählt  wer- 
den. Nur  aus  den  Lyceen  werden  die  Schüler  auf  die  Universität  ent- 
lassen. Diejenigen  Schulen,  welche  den  Unterricht  bis  zum  siebenten 
Jahrescurse  einschliesslich  fortführen,  haben  die  Benennung  Gymnasien, 
die  übrigen  Pädagogien.  Sie  haben  in  der  Regel  fünf  Jahrescurse. 
(Schulordnung  §.   5.  6.) 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  443 

Lyceum  in  Freiburg  und   1  auf  das  polytechnische  Institut  in  Carlsruhe 
abgegangen.      Ein  Anderer  hat  sich  zum  Rechtspolizeifach  gewendet. 

m 

Mannheim.  Die  unheilvollen  Ereignisse  des  Jahres  1849,  welche 
unser  schönes,  blühendes  Vaterland  so  tief  und  jammervoll  erschüttert 
haben  ,  berührten  in  eben  so  trauriger  Weise  auch  das  hiesige  Lyceum 
und  hemmten  den  ruhigen  und  sicheren  Gang  des  Unterrichts.  Schon 
die  Bewegungen  des  Jahres  1848  waren  die  Veranlassung,  dass  sich  der 
Besuch  der  Anstalt  bedeutend  verminderte.  Zwar  wurde,  wie  der  der- 
zeitige Director  der  Anstalt,  Hofrath  Gräff,  in  dem  Vorworte  zu  dem 
Programme  sich  ausspricht,  mit  Eifer  und  Lust  von  den  anwesenden 
Schülern  dieses  Jahres  der  grössere  Theil  der  Unterrichtszeit  im  Winter 
wohl  benutzt  und  die  meisten  derselben  gaben  bei  den  Classenprüfungen 
an  Ostern  erfreuliche  Beweise  ihrer  Bestrebungen.  Später  aber  löste 
sich  ein  Glied  nach  dem  andern,  theils  durch  die  Entfernung  mancher 
auswärts  wohnenden  Schüler,  oder  weil  viele  Eltern  mit  ihren  Kindern 
die  Stadt  selbst  verlassen  zu  müssen  glaubten ,  theils  durch  die  befohlene 
Theilnahme  an  dem  ersten  Aufgebot*),  welchem  mehrere  Schüler  sich 
anzuschliessen  gezwungen  waren  oder  demselben  durch  die  Flucht  zu  ent- 
gehen suchten.  Am  10.  Juni  waren  daher  nur  noch  135  Schüler  (die  Ge- 
sammtzahl  der  Schüler  betrug  während  des  Schuljahres  266)  anwesend. 
Die  zwei  obersten  Classen  zählten  zusammen  geraume  Zeit  hindurch  nur 
7  Schüler.  Die  Lehrer  aber  hielten  sich  nicht  befugt,  den  Unterricht 
auszusetzen,  und  suchten  die  noch  Anwesenden  auf  der  Bahn  des  Rechtes 
und  der  gesetzlichen  Ordnung  zu  erhalten.  Am  15.  Juni  verscheuchte 
der  Donner  der  Kanonen  von  und  an  dem  nahe  gelegenen,  Mannheim  ge- 
genüber liegenden  Ludwigshafen  die  Schüler  nach  allen  Richtungen  der 
Stadt.  Er.st  am  27.  Juni,  als  durch  die  verbündeten  Truppen,  die  hoch- 
herzigen Befreier  der  Stadt  und  unseres  Landes,  der  gesetzliche  Zu- 
stand wieder  hergestellt  war,  wurde  der  Unterricht  wieder  eröffnet. 
—  Das  Lehrerpersonal  erlitt  im  verflossenen  Schuljahre  folgende  Verän- 
derungen:  Nach  EntSchliessung  aus  Grossherzogl.  Staatsministeriura  vom 
16.  August  1848  wurde  Prof.  Fartwängler  von  hiesigem  Lyceum  an  jenes 
in  Constanz  berufen.  Derselbe  war  an  hiesiger  Anstalt  seit  dem  Jahre 
1842  und  unterrichtete  in  mehreren  Lehrfächern,  besonders  in  der  Philo- 
sophie, im  Französischen ,  in  der  dritten  und  zuletzt  als  Hauptlehrer  in 
der  vierten  Classe.  An  dessen  Stelle  kam,  nach  derselben  hohen  Ent- 
schliessung,  Prof.  Dr.  Lamey  von  dem  Lyceum  in  Carlsruhe  und  ertheilte 
den  Unterricht  in  der  französischen  Sprache  von  der  vierten  oberen  Classe 
an  und  in  dem  Lateinischen  als  Classenführer  der  zweiten  Classe.  Prof. 
Behaghel  übernahm  die  Philosophie  in  der  sechsten  Classe  und  Rhetorik 
in  der  Unter-Sexta,  während  Geh.  Hofrath  Dr,  Nüsslin  Litteraturge- 
schichte  und  2  Stunden  Griechisch  ,  gemeinschaftlich  für  beide  Abthei- 
lungen, Prof.  Hertlein  den  lateinischen  Stil    und  noch   einige  lateinische 


*)  Dem  ersten  Aufgebote  mussten  alle  Jünglinge  folgen,  welche  das 
achtzehnte  Jahr  zurückgelegt  hatten. 


444  Schul-  und  Universltätsnachiichten, 

Stunden  in  der  Ober-Sexta  besorgte.    —     Durch  Verfügung  des   Grossh. 
Oberstudienrathes  vom  26.  Sept.  1848  erhielt  Lyceumslehrer   Trost ,   vor- 
her Religionslehrer  und  Hauptlehrer  der  zweiten  und    dritten  Classe  des 
Lyceums  in  Heidelberg,   die  durch  Beförderung   des  Pfarrers  Bauer  auf 
die  Pfarrei  Neckarhausen  erledigte  Religionslehrerstelle  (NJahrbb.  Bd.  56. 
Heft  1.  S.  77.  78),  welche  derselbe  bald   nach  dem  Anfange  des    Unter- 
richtes mit  der  Besorgung  des   kathol.   Lyceal- Gottesdienstes   angetreten 
hat  und  seither  mit  Segen  bekleidet.      iMusikdirector  Heisch  sah  sich  sei- 
ner vielen  Geschäfte  wegen  veranlasst,  als  Gesanglehrer  der  oberen  Ge- 
sanfTclassen  an  Ostern  wieder  auszutreten.      Von  da  an  bis  in  die  ersten 
Tage  des  Monats  Juli  wurde  dieser  Gegenstand   ausgesetzt,    worauf  Mii- 
siklehrer  Wlczek  die  Leitung  dieses    Unterrichts  übernahm   und   bemüht 
>var,  die  durch  die  damaligen  Verhältnisse  zu  entschuldigenden  Versäum- 
nisse   durch     gegenseitigen    Eifer    und    Lust    wieder    nachzuholen.      Der 
Turnunterricht  wurde  in  diesem  Jahre  auch  während   des  Winters  für  die 
4  unteren  Classen  in  3  wöchentlichen  Stunden  durch  Lyceumslehrer  Ileck- 
niann  betrieben  und  während  des  Sommers   auf  dem   Turnplatze  fortge- 
setzt.     Durch  Beschluss   vom  2.  Sept.    1848    hat  die  Hellenisch-  archäo- 
logische   Gesellschaft  in   Athen    den  alternirenden    Director  Hofrath  Dr. 
ISüsslin  zu  ihrem   Mitgliede  gewählt.      Ein   dem  Handelsstande  angehö- 
ri^^er,  ehemaliger  Schüler  des  Lyceums  hat  diesem  die  Summe  von  zwei- 
hundert   Gulden  mit   der  ihn   selbst  hochehrenden  Erklärung   geschenkt, 
dass  er  damit  seine  Dankbarkeit  für   die  an   dieser  Anstalt  erhaltene  Bil- 
dung und  Anregung  zum  Guten   und  Schönen   beurkunden   möchte.      Von 
dem  Geber  selbst  ausdrücklich  zur  freien  Verwendung  seiner  Gabe  auf- 
gefordert, hat  der  älteste  Lehrer  sie  als   Schenkung  eines   Ungenannten 
zu  demselben  Zwecke,  wie  die  Schenkung  der  Fräulein  Louise  von  Manger 
vom  Jahre  1842,   bestimmt.       So   werden   künftig   die   Zinsen   beider  für 
sich  bestehenden  Stiftungen  an  einen  Zögling  des  hiesigen  Lyceums,  wel- 
cher das  philologische  Lehrfach  zu  seinem  Lebensberufe  gewählt  hat,  wenn 
er  die  in  der  Stiftung.*urkunde  bedingten  Eigenschaften  besitzt,  während 
seiner  Universitätsstudien  jährlich  verabreicht  werden.      Eine  nicht  kleine 
Zahl  von  fleissigen  und  wohlgesitteten  Schülern  wurde   auch  in   diesem 
Jahre  theils  durch  Stipendien,  theils  von   einzelnen   Einwohnern  hiesiger 
Stadt  unterstützt.      52  Schüler  wurden   von   der  Entrichtung   des  Schul- 
geldes ganz  befreit,  8  Schüler  zur  Hälfte,    12  Schülern  wurde  dasselbe 
bis  jetzt  nachgelassen.      Die  Lyceumsbibliothek  wurde  theils  durch  zweck- 
mässige Anschaffungen  aus  den  etatsmässigen  Mitteln  ,  theils  durch  werth- 
volle  Geschenke  vermehrt.      Am  15.  Januar   1849  starb  Hofmusikus  Gott- 
fried yeher  ,  welcher  seit  dem  Jahre  1840  an  den  oberen  Classen  als  Ge- 
sanf^lehrer  thätig  war  (vergl.  NJahrbb.  a.  a.  O.  S.  77)    und   sich  eben  so 
durch  seine  gediegenen  Kenntnisse,  als  auch  durch  seine  Lust  und  seinen 
Eifer  für  diesen  Gegenstand  die  Achtung  der  Lehrer,   so  wie  die  Liebe 
seiner  Schüler  in  hohem  Grade  erworben  und  sich  um  das  Lyceura,  wel- 
ches seinen  frühen  Tod  beklagt,  wesentlich  verdient  gemacht  hat.    Einen 
sehr  empfindlichen  Verlust  erlitt  die  Anstalt   durch  den   Tod  des  landes- 
herrlichen Commissärs  bei  dem  Verwaltungsrathc  des  Lyceums,  des  Re- 


Beförderungen   und  Ehrenbezeigungen.  445 

gierungsrathes  und  Kammerherrn,  Freiherrn  von  Adelsheim.  Derselbe 
bekleidete  dieses  Ehrenamt  seit  dem  December  1840  und  war  jederzeit 
auf  das  sorgfälligste  bemüht,  die  ökonomischen  Verhältnisse  der  Anstalt 
zu  fördern  und  durch  thätige  und  wirksame  Fürsorge  ihr  Bestes  zu  wah- 
ren und  es  möglich  zu  machen,  dass  sie  sich,  um  ihre  Zwecke  zu  errei- 
chen, freier  zu  bewegen  im  Stande  war.  —  Am  Schlüsse  des  vorigen 
Schuljahres  wurden  13  Zöglinge  des  Lyceums  auf  die  Universität  entlassen. 
Von  diesen  widmeten  sich  angeblich  5  der  katholischen  Theologie,  3  der 
Jurisprudenz,  4  der  Medicin ,  1  der  Philologie.  Im  Laufe  des  Schul- 
jahres besuchten  266  Schüler,  wie  wir  schon  oben  gesagt  haben,  die  An- 
stalt, und  zwar  137  Katholiken,  113  Protestanten  und  16  Israeliten.  Am 
Ende  des  Schuljahres  waren  238  Schüler  anwesend.  Unter  den  sämmt- 
lichen  Schülern  befanden  sich  10  Ausländer  und  66  Auswärtige ,  d.  h. 
deren  Eltern  nicht  in  Mannheim  wohnen.  [HS\ 

Rastatt.  Im  Schuljahre  1848 — 49  ergaben  sich  folgende  Verän- 
derungen im  Lehrerpersonale  des  hiesigen  Lyceums :  Nach  einer  Staats- 
Ministerialentschliessung  vom  23.  Sept.  1848  wurde  dem  Prof.  Bilhars 
die  Pfarrei  Kirchzarten  verliehen  und  durch  gleichen  Erlass  vom  26.  dess. 
Monats  Prof.  Hoffmann  an  das  Lyceum  in  Constanz  berufen.  Dagegen 
wurden  durch  letzteren  Erlass  die  Prof.  Nicolai  von  Constanz  und  auf  sein 
Ansuchen  Dr.  Fickler  von  Donaueschingen  an  das  hiesige  Lyceum  versetzt. 
Ferner  wurde  durch  Erlass  des  Grossh.  Oberstudienrathes  vom  5,  Oct. 
1848  Reallehrer  Schildknecht  ^  durch  Erlass  vom  16.  Oct.  desselben  Jahres 
Lehramtspraktikant  Schlegel  hierher  versetzt,  und  der  Letztere,  nach- 
dem Prof.  Schneyder  seine  Gesundheit  wieder  erlangt  hatte,  von  hier  an 
das  Lyceum  in  Freiburg  abberufen.  Nach  einer  Staats- Ministerialent- 
schliessung  vom  3.  Febr.  1849  wurde  Prof.  Weissgerher  als  Director  an 
das  Gymnasium  in  Bruchsal-  Lehramtspraktikant  Heinemann  von  dort  an 
das  hiesige  Lyceum  berufen.  Den  Unterricht  in  der  englischen  Sprache 
übernahm  gegen  eine  Vergütung  nach  Erlass  des  Grossh.  Oberstudien- 
rathes vom  9.  Febr.  18^9  Sprachlehrer  Flint  und  den  Unterricht  im  Ita- 
lienischen nach  Erlass  derselben  hohen  Stelle  vom  5.  März  1849  Prof. 
Schneyder.  Musiklehrer  Prof.  Weher  wurde  nach  Erlass  Grossh.  Mini- 
steriums des  Innern  vom  6.  März  1849  in  den  Ruhestand  versetzt  und 
starb  am  24.  August  d.  J.  in  Baden.  Die  bekannten  bedauerlichen  Er- 
eignisse dieses  Jahres  riefen  vorzugsweise  an  der  hiesigen  Anstalt  manche 
Störung  und  Unterbrechung  des  Unterrichts  hervor.  Von  den  landes- 
herrlichen Stipendien  für  Schüler,  welche  sich  der  katholischen  Theologie 
widmen  wollen ,  wurden  für  das  Wintersemester  40  Stipendien  zu  25  fl. 
und  15  zu  50  fl.,  zusammen  1750  fl.,  aus  dem  Iberger  Pastoreifonds  2  Por- 
tionen zu  45  fl.  und  3  zu  30  fl.,  zusammen  180  fl.,  im  Ganzen  also  2930  fl. 
angewiesen ,  wobei  bemerkt  wird  ,  dass  die  Vertheilung  der  8  altbadi- 
schen,  der  2  Loreye'schen ,  des  Bruchsaler  Stipendiums  und  der  Portio- 
nen der  oben  erwähnten  theologischen  und  Iberger  Stipendien  für  das 
Sommersemester  bis  jetzt  (August  1849)  noch  nicht  erfolgt  ist.  Auch  in 
diesem  Jahre  (NJahrbb.  Bd.  LVL  Hft.  1.  S.  79)  hatten  Bibliothek  und 
Sammlungen   sich    mancher    werthvoUen   Geschenke    zu   erfreuen.      Das 


446  Schul-  und  Universitätsnachrichten 


Lyceum  besuchten  während  des  Schuljahres  im  Ganzen  190  Schüler.  Hie- 
von  waren  156  katholischer,  27  evangeli^cher  Confession  ,  7  Israeliten. 
Im  vorhergehenden  Schuljahre  (18i7 — l8i8;  machte  die  Gesammtschüler- 
zahl  207  (>fJahibb.  a.  a.  O.)  aus.  [//.] 

Torgau.  Der  wissenschaftliche  Theil  des  zu  Ostern  erschienenen 
Programms:  Quaestionum  de  attractione  quam  dicunt  particula  prima 
(15  S.  4. ),  hat  den  Collab.  A.  F.  Kleinschmidt  zum  Verfasser.  Derselbe 
will  für  die  in  Rede  stehende  gramraat.  Figur  weit  engere  Grenzen  ge- 
bogen und  namentlich  von  ihrem  Gebiete  ausgeschieden  wissen,  was  durch 
eine  freiere  Wortstellung  (transpositio)  erklärlich  sei  oder  zur  Apposition 
gehöre.  Um  dies  darzuthun,  stellt  er  die  früheren  und  gegenwärtigen 
Ansichten  über  das  Wesen  der  Attraction  zusammen  und  flicht  gelegent- 
lich die  Geschichte  ihrer  grammat.  Behandlung  ein.  Darnach  erwähnt 
nur  Quintil.  I.  4,  20  die  attrectatio  oder  attractio  (die  Lesart  schwankt), 
die  aber  von  der  Fassung  unserer  Grammatiker  gänzlich  differirt.  Sonst 
findet  sich  nichts  weiter.  Bei  den  Neueren  braucht  das  Wort  zuerst 
Sanctius  und  nach  ihm  der  Franzos  Lancelot  (Nouvelle  methods  pour  ap- 
prendre  facilement  et  en  peu  de  temps  la  langue  latine,  und  Nouvelle  me- 
thode  pour  apprendre  facilement  la  langue  grecque.  Paris,  1655),  doch 
dieser  erkannte  weder  den  Umfang,  noch  den  Urgrund  der  Attraction. 
Die  auf  sorgfältigen  Untersuchungen  beruhende  Lehre  davon  hat  Buttmann 
zuerst  in  die  Grammatik  eingeführt,  nach  ihm  hat  G.  Hermann  zuerst  das 
Material  von  neuem  gesichtet  und  seine  Anordnung  desselben  auf  die  lo- 
gische  Kategorie  der  Relation  gestützt.  Allein  darin  geht  H.  nach  Hrn. 
KI.'s  Dafürhalten  zu  weit,  wie  sich  ihm  aus  der  genaueren  Prüfung  eini- 
ger von  jenem  Gelehrten  herbeigezogener  Fälle  ergiebt,  die  nicht  mit 
Relativen  gebildet  sind.  So  erklärt  er  des  Aeschyl.  TtQog  cclXov  aXXov 
Tirjaovrj  nooaL^ävsL  für  sprüchwörtliche  Breviloquenz,  hält  in  Soph. 
El.  137  f.  Ttazso  für  einen  exegetisch.;n  Zusatz  zu  rov  y',  will  II.  XIX. 
287  UÜTQO-iiX  iaol  d.  für  FlcizoonXs  fiot  d.  lesen  und  sucht  bei  Eur.  Iph. 
Aul.  1415  (nicht  1445)  in  Tluvaui  us  ufj  hÜkl^s  für  uf  die  Transposition 
nachzuweisen.  Und  Hr.  Kl.  steht  mit  diesen  seinen  Bedenken  und  an- 
deren Ausstellungen  nicht  allein.  Namentlich  ist  es  aber  Cr.  T.  A.  Krü- 
ger (Untersuchungen  aus  dem  Gebiete  der  latein.  Sprachlehre.  Drittes 
Heft:  Die  Attraction  in  der  latein.  Sprache,  ein  Versuch,  dieselbe  in 
ihrem  ganzen  Umfange  darzustellen,  mit  beständiger  Rücksicht  auf  das 
Griechische,  Braunschweig,  1827)  ,  dessen  Verfahren  in  die  Lehre  von 
der  Attraction  Aufklärung  zu  bringen  ihm  zusagt.  Dasselbe  wird  daher 
in  der  zweiten  Hälfte  der  Abhandlung  genauer  beleuchtet  und  in  seinem 
Verhältnisse  zu  ßuttmann  und  Hermann  betrachtet.  Den  Schluss  macht 
die  wörtliche  Angabe  der  Attractionsclassen,  wie  sie  von  Kl.  aufgestellt 
werden,  —  Eine  Disputatio  de  nonnullis  Claudiani  locis  von  G.-L.  Her- 
tel  enthält  das  Programm  vom  Jahre  1848  (17  S.  4.).  Ihr  Inhalt  ist 
theils  exegetisch,  theils  kritisch.  Die  behandelten  Stellen  sind:  In  Prob, 
et  Olybr.  Cons.  Vs.  42—54.  124  sq.  In  Rufin.  I.  222—225.  De 
HL  Cons.  Honor.  Vs.  1 — 6.  105 — 110.  De  IV.  Cons.  Honor.  Vs.  171. 
184—188.     De  Mallii  Theod.  Cons.  Vs.  58—60.  320—324.  325  sq.    De 


Beförderungen  und  Ehrenbezeigungen.  447 

hello  Getico  Vs.  1  sq.  107—114.  213  —  217.  437  sq.  De  VI.  Cons.  Ho- 
nor.  Vs.  265 — 269.  386 — 395.  Laus  Serenae  Reginae  Vs.  146.  Epi~ 
thal.  Fall,  et  Celer.  Vs.  44—46.  In  Eutrop.  Lib.  I.  346—349.  De  Cons. 
Stilich.  III.  125—130.  231  —  236.  De  raptu  Pros.  I.  25—32.  111  sq. 
169  sq.  276.  II.  24—26.  41.  223—226.  237—246.  III.  137  sq.  211  bis 
214.  220—227.  357—362.  3Ö9— 391.  Gigantom.  Vs.  16—20.  Daran 
reihet  sich  endlich  noch  die  litterar-historische  Frage,  wann  und  unter 
•welchen  Umständen  die  epistola  ad  Hadrianum  geschrieben  worden  sei. 
Danach  iässt  sich  zwar  keines  von  beiden  genau  und  sicher  bestimmen, 
doch  gelangt  Hr.  H.  unter  Hinweisung  auf  das  Vaterland  des  Dichters 
und  des  Hadrianus  (es  war  Alexandria)  ,  auf  des  letzteren  einflussreiche 
Stellung  zu  Rom  (muthmaasslich  als  praefectus  Urbis) ,  auf  des  CI.  Ver- 
hältniss  zu  Stilicho  und  seinen  Aufenthalt  am  Hofe  zu  Mailand,  auf  die 
VeröfFentlichung  d.  Paneg.  de  III.  consul.  Honor.  im  J.  396  und  de  con- 
sul.  Stiiichonis  im  J.  400  zu  dem  nicht  unwahrscheinlichen  Resultate,  dass 
die  Abfassungszeit  des  Schreibens  vor  das  J.  395  falle :  über  den  Anlass 
dazu  lasse  sich  aber  aus  dem  Briefe  selbst  nichts  ermitteln.  —  Für  das 
Programm  des  Jahres  1849  schrieb  Dr.  G.  R.  Schmidt  die  Abhandlung: 
De  epitheti  in  periphrasi  substantivorum  trajectione  (11  S.  4.).  Was  G, 
Hermann  darüber  zu  Soph.  Phil.  1124  bemerkt  hat,  erscheint  ihm  unge- 
nügend. Seinen  Zweck  giebt  er  in  folgenden  Worten  an:  —  quum  aut 
poetas  novimus  aut  scriptores  cerlum  scribendi  genus  excoluisse  in  eoque 
excolendo  potissiraum  versatos  esse,  non  sufficit  perscrutari  quid  qualeve 
sit  illud  genus,  sed  unde  natum  et  quomodo  ad  alios  scriptores  translatum 
ejusque  fines  per  varia  dicendi  genera  sint  propagati.  Quod  ut  appareat, 
hujus  formulae  quasi  historiam  tradere  placet,  unde  per  quos  gradus  a 
lenibus  principiis  huc  usque  provecta  sit  transferendi  audacia  conspiciatur. 
Der  Plan,  nach  welchem  er  verfahren  will,  erhellt  aus  dem  Satze:  Eam 
—  placuit  viam  ingredi,  ut  primum  de  substantivorum  periphrasi  unam 
notionem  efficientium  disseram,  deinde  de  epithetis  nomini  principali  ad- 
dilis  pauca  addam.  Demnach  geht  Hr.  S.  von  der  Definition  der  tcsql- 
(fQaaig  aus,  die  sodann  wie  bei  Homer  und  den  Tragikern,  so  für  die 
Griechen  und  Römer  ausführlich  nachgewiesen  und  erörtert  wird.  Ein 
anschaulicher.  Alles  umfassender  Auszug  des  wohlgeordneten  Schriftchens 
ist  aber  wegen  der  Menge  der  aufgezählten  Einzelfälle  nicht  gut  ausführ- 
bar, ohne  dem  äusseren  Umfange  desselben  selbst  wiederum  nahe  zu 
kommen. 

Die  Zahl  der  Schüler  betrug  1846—47  im  Winterhalbjahr  217,  im 
Sommerhalbj.  235;  1847 — 48  im  Sommerhalbj.  241,  im  Winterhalbj.  267; 
1848  —  49  in  beiden  Semestern  262.  Sie  wurden  in  6  Classen  unter- 
richtet, von  denen  die  neu  errichtete  Sexta,  die  seither  als  Privatanstalt 
galt,  nunmehr  auf  Grund  der  unter  dem  20.  Febr.  1846  von  dem  Königl. 
Provinzial -Schulcollegium  mitgetheilten  Entscheidung  des  Ministeriums 
als  integrirender  Theil  des  Gymnasiums  betrachtet  werden  soll.  Auch 
das  Lehrerpersonal  hat  sich  in  den  letzten  Jahren  wieder  vermehrt.  Der 
Schulamtscandidat  Hertel  ist  Ostern  1846  definitiv  angestellt  worden.  Zu 
Ostern  1847  trat  der  Gymnasialamtscandidat  Dr.  Schmidt  als  provisori- 


448  Schul-  und  Unlversitätsnachrichten  u.  s.  w, 

scher  Ordinarius  von  Untertertia  ein,  da  die  Ueberfiillung  der  Tertia 
eine  Trennung  derselben  in  2  gesonderte  Abtheilungen  mit  je  Ijährigem 
Cursus  nothwendig  machte,  ein  Bedürfniss,  das  bis  jetzt  fortgedauert 
hat.  Gleichzeitig  trat  der  seitdem  an  der  Anstalt  thätig  gebliebene 
Schulamtscandidat  Carl  August  Gericke  aus  Torgau ,  der  sein  Probejahr 
am  Gymnasium  zu  Luckau  abgehalten  hatte,  zu  unentgeltlicher  Ueber- 
nahme  einiger  Lectionen  ein,  zunächst  zur  Vertretung  des  G.-L.  Hertel, 
welcher  von  Ostern  1847  an  in  der  Eiselen -Massmann'schen  Anstalt  in 
Berlin  einen  dreimonatlichen  gymnastischen  Cursus  machte.  Mit  Eröff- 
nung des  Schuljahres  1848  begann  der  Candidat  Dr.  Robert  Julius  Krause 
aus  Torgau,  mit  Neujahr  1849  der  Candidat  Carl  Franz  Giesel  ebendaher 
das  gesetzliche  Probejahr.  Das  LehrercoUegium  bestand  demnach  zu  Ost. 
1849  ausser  dem  Archidiak.  Bürger,  welcher  2  Stunden  Religionsunter- 
richt in  Cl.  III.  ertheilte,  aus  dem  Rector  Prof.  Dr.  Saujype,  Pror.  Prof. 
Müller,  Ord.  von  I.,  Conr.  Prof.  Dr.  Arndt,  Lehrer  der  Mathematik  und 
Physik,  Subr.  Prof.  Rothmann,  Ord.  von  II.,  Oberl.  Subconr.  Dr.  Han- 
drick, Ord.  von  III,  A.,  Oberl.  Dr.  Francke ,  Ord.  v.  IV.,  Cantor  Breyer, 
CoUab.  und  Pensionats-Inspector  Kleinschmidt,  Ord.  von  V,,  G.-L.  Hertel, 
Ord.  von  VI.,  GHülfsI.  Lehmann  und  den  Gymnasialamts -Candidaten  Dr. 
Schmidt^  provisor.  Ord.  von  III,  B.,  Gericke,  Dr.  Krause  und  Giesel.  In 
dem  zuletzt  abgelaufenen  Schuljahre  sind  von  dem  Königl.  Ministerium 
der  Unterrichtsangelegenheitcn  die  Oberlehrer  Arndt  und  Rothmann  zu 
Professoren,  die  ordentlichen  Lehrer  Handrick  und  Francke  zu  Oberleh- 
rern ernannt  worden.  Von  den  drei  letztgenannten  wurde  durch  Verfü- 
gung des  Ministeriums  vom  20.  Febr.  1846  jedem  eine  persönliche  Ge- 
haltszulage von  50  Thlrn.  aus  den  Ueberschüssen  der  Schulcasse  gewährt. 
Gratificationen  aus  derselben  Casse  erhielten  alljährlich  mehrere  Lehrer, 
ein  Theil  als  Ersatz  des  Gehaltes,  auch  Unterstützungen  zu  Badereisen 
der  Subr.  Rothmann  75  Thlr.  im  J.  1846,  50  Thir.  im  J.  1848,  ebenso 
viel  in  demselben  Jahre  der  Conr.  Arndt;  der  GHülfsl.  Lehmann  75  Thlr. 
im  J.  1846  zu  einer  wissenschaftlichen  Reise  in  die  Salzburger  Alpen.  — 
Mit  dem  Zeugnisse  der  Reife  bezogen  die  Universität  zu  Ostern  1846  6, 
Mich.  5;  Ost.  1847  5,  Mich.  2;  Ost.  1848  6,  Mich.  3  Schüler.  [Ä.] 


Neue 


JAHRBOGHER 


für 


Philologie  und  Pädagogik, 


oder 


Kritische  BibliotJmk 

für  das 

Schul-  und  ünterriclitsweseii. 


In  Verbindung  mit  einem  Vereine  von  Gelehrten 

begründet 
von 

Mt  Job.  Christ.  Jahn. 


Gegenwärtig  herausgegeben 

von 

Prof.  Reinhold  Klotz  zu  Leipzig 


und 


Prof.  Rudolph  Dietsch  zu  Grimma. 


Achtundfunfzigster   Band.     Viertes  Heft. 


Ausgegeben  am  11.  Mai  1850. 


Inhalt 

^on  des  achtundfmßigsten  Bandes  viertem  Hefte. 


Kritische  Beurtheilungen. 

^'''E/senafh^  Cooptation  der* Römer. '-Von  Prof.  Dr.  V.'ßem 'zu    ^^^~^^* 

Doherenz:  Ausgew'ähl'te  *Re*den  ^^es  bemo;th;ne*s. -L  Von  Pro*fes;or*  ^^^~^^^ 
Dr.  Ameis  zu  Mühlhausen.    .     .  -von  rrotessor 

Franz:  Des  Aeschylos  Oresteia,  Grie'cMsch  uid  Deutsch.' -*  Von  ^^^-^^^ 
Dr.  JoÄ.  Mtncfciüjtz  zu  Leipzig.  .von 

TiscÄer:  M.  TuUii  Cicer  i  Cato%Iajor' s.' de  senectule  dialogus '  ^^"^ 
sprachhch  und  sachlich  er  äutert.  —  Von  Dr    H^»\^  "'diogus, 

Middenrfor/  nn^Grüter:  Lateinische  S  Jul^rf^n.e"!"!^  ^on^V^ff  '''-''* 

Dr.  theol.  Teipel  zu  Coesfeld.    ...  qQ4_AnA 

Bibliographische  Berichte  und  kurze  Anzeigen. int     Ai  t 

Terenz- Literatur.  —  Von  Dr.  Liebe  zu  Liegnitz lo± 

Äomg-Äo^:  De  scholiastae  in  Terentium  arte%ritica;     '.     '.     [     [     '  m~-m 
Brix:  De  Plauti  et  Terentii  prosodia.       .  Inj     IV? 

Schul-  u.  Universitätsnachrichten    Beförderungen  u.  Ehrenbezeigungen'  411-448 
Aus  dem  Grossherzogthum  Baden.    .  ^^feunoen.  *ii     ij^ö 

Carlsruhe. \     \     \ aIIZ^  7 

DonauIschhi^J^^^"'*'^''"  ^^^  Erdkreises*  und  die'Sprachenhalle!     \       416^ 

2l""lach '     '     \    \  '.     \     \     \     \  '  '  4i7!l4ift 

Eisenach.—  Schwanitz :  Quaestiones  Platonicae  *     *     *     'Iiäliq 

Freiborg  im  Breisgau ...':::;;:    .419-420 

Roulez:  Sur  la  legende  de  l'enlevement*  de*s  Sabines.  '    ."  *     '  ^'loZlii 

Derselbe:  Notice  sur  un  buste  antique  en  bronce  d^couvert  dans* 

la  province  de  Liege 421 


Derselbe:  Lycurgue  farieux. *. aoi 

Derselbe:  Observations  sur  divers'points  obscurs  de  l'histoire'de' 

la  Constitution  de  l'ancienne  Rome.         .  40 1 

PerseZÄe :   Nouvel    examen    de   quelques   qiestions  de  g^oeraDh    ' 


ancienne  de  la  Belgique ^     b    y 

Derselbe:  Memoire  sur  les  magistrats  Romains  de' la*BeIfiique     *   421-422 
Derselbe:   Notice  sur  un  bas-relief  funeraire    du  Musee  d'Arezzo'       422 
Derselbe^:  Melanges  de  philologie,  d'histoire  et  d'antiquit^s.    Fase' 

_^         JV , ^22 ±no 

Derselbe:  Sur  une  inscription  Latine  de  Transylvanie    '     '     '     "     ^53 
Derselbe:   De  l'empöt  d'Auguste  sur  les  successions.  .     .     *     .*     .'  423—424 


Seite 
Derselbe :  Le  coroplot  de  Spurias  Maelius,  juge  ä  l'aide  d'un  frag- 

ment  recemment  decoovert,  de  Denys  d'Halic. 424 — 425 

Derselbe:  Programme  du  cours  d'antiquites  Romaines,  consider^es 

sous  le  point  de  vue  d'ötat. 425 

Dumonti  Essai  sur  les  colonies  romaines 425 — 426 

Hennebert:    Histoire  de   la  lutte   entre  les    patriciens  et  les  ple- 
beiens  ä  Rome  depnis  rabolition  de  la  royaute   jusqu'  ä   la 

nomination  du  premier  consul  pleb 426 

Schüersmans :  Histoire  de  la  lutte  entre  les  patriciens  et  les  ple- 

beiens  ä  Rome  etc 426 

Göttingen. 426—430 

Hermann :  Disputatio  de  scriptoribus  illustribus ,  quorum  tempora 

Hieronymus  ad  Eusebii  Chronica  annotavit 426 — 427 

Derselbe:  De  Thrasymacho  Chaicedonio  Sophista 427 — 428 

Derselbe:  De  philosophorum  lonicoram  aetatibus 428 — 429 

Derselbe:  De  Dracone  legumlatore  Attico 429 — 430 

Heiiigenstadt. 430—434 

Kramarczik :   Die  Kunsträubereien    des  C.  Verres.     Ein  Beitrag 
zur  Erläuterung    des  vierten  Buches    von  Cicero's  Anklage 

des  Verres 430—434 

Hannover 434—436 

Programm  des  Lüneburger  Johanneums 434 

Programm  des  Gymnasiums  zu  Clausthal 434 

Programm  des  Progymnasiums  zu  Otterndorf. 434 

Programm  des  Gymnasiums  zu  Emden 434—  435 

Programm  des  Rathsgymnasiums  zu  Osnabrück 435 

Programm  des  Carolinums  zu  Osnabrück         435 

Programm  des  Gymnasiums  zu  Göttingen 435—436 

Heidelberg.     Gymnasium 436—440 

Hautz:  Geschichte  der  Neckarschulc. 439 

Feldbausch:  An  die  studirende  Jugend  des  Vaterlandes.      .     .     .  439 — 440 

Heidelberg.     Universität 440—442 

Lahr 442—443 

Mannheim 443—445 

Rastatt 445-446 

Torgau 446—448 

Kleinschmidt:  Quaestionum  de  attractione  quam  dicunt  particala 

prima .*.♦••  446—447 

Schmidt:  De  epitheti  in  paraphrasi  substantivorum  trajectione.     .      447 


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fo) 


Leipzig, 

Druck  und  Verlag  von  B.   G.  Teubner. 


PA       Neue  Jahrbücher  für  Philologie 
3  und  Paedagogik 

N65 
Bd.  58 


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