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Neue
JAHRBÜCHER
für
Philologie und Pädagogik,
oder
' Kritische Bibliothek
für das
Schul- und UntciTichtsAveseii.
In Verbindung mit einem Vereine von Gelehrten
begründet von
M. Job. Christ. Jahn.
Gegenwart ig herausgegeben
von
Prof. Reinliold Klotz zu Leipzig
und
Prof. Rudolph Dietsch zu Grimma.
ZM AXZIGJSTER JAHRGAXO.
Achtundfun fzig6ter Band. Erstes Heft.
Leipzig^ 1850.
Drucli und Verlag von B. G. Teubner.
s d. Bibliothek ^-
-Gymnasiur?;
MofKhen,
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Kritische Beurtheilungen.
De Zenodoti carminum Hornericortim editione. Scripsit Gull.
Georg. Pluygers, Lugdiini Batavorum 184*2. 14 S. in 4.
Programma scholasiicum de carminum Homericorum veterum-
que in ea Scholiorum post nnperrimas Codicum Marciano-
rum collationes retractanda editione. Scripsit Guil. Georg.
Pluygers, Gymnasii Lugduno-Batavi Prorector. Lugduni Batavo-
rum 1S47 in 4.
• .*
Bei der Abfassung der Schrift: deZenl|doti studiis Homericis
war dem Unterzeichneten die erste der beiden obengenannten Ab-
handlungen, das Schulprogramm des Leydener Gymnasiums, ganz
unbekannt «geblieben; auch hat er bisher andierwärts keine Erwäh-
nung desselben von deutschen Gieiehrteng'efunden, so dass es in
Deutschland bisher unbeachtet gebifeben zu sein scheint. Der
Unterzeichnete glaubt desshalb den Lesern dieser Jahrbücher
durch die Anzeige dieser bereits vor sieben Jahren erschienenen
Abhandlung, welche durch freundliche Mittheilung des Herrn
Gymnasiallehrers Dr. de Vries in seine Hände gekommen ist, einen
willkommenen Dienst zu erweisen. Er verbindet damit die Be-
sprechung einer andern nicht unbedeutenden, ebenfalls auf die
Geschichte der homerischen Kritik bezüglichen Abhandlung des«
selben Gelehrten.
Das Ergebniss seiner Untersuchung fasst der Verfasser am
Schlusseseiner Abhandlung in den Worten zusammen: Vidimus
notavisse quidem Zenodotum obelis in editione appositis, qui ver->
sus spurii viderentur; verum neque quod in lectione constituenda,
neque in vcrsibus omittendis et improbandis secutus sit consiliuni,
memoriae prodidisse. Vidimus librariorum negligentia factum esse,
ut labentibus annis e Zenodoteae editionis exemplaribus non con-
staret, quid singulis ille locis censuisset. Vidimus Aristarchum
bis de causis singulas Zenodoteae editionis lectiones dignoscere
1*
4 Grleclnsclie LUteratur,
non potuisse; criticara autem eins rationcm, nisi forte incerta ca
^\c re fama in Zenodoteornm Gramrnaticonim scliolis tradita ev-,
taret, nihil fuissc, iinde inteiligere posset. Vidimus practerea
Aristonieum, qiiae de Zenodoto ab Aristarcbo annotata lepperisset,
non scfnper diligentissime tradidisse. His addc et eins, qui vete-
riun illonim Grammaticorum libros exccrpsit, errores, et epito-
matorum, quorum nos (andern opera in Scholiorum coliectionibus
utinuir^ ineptias; quibus enumerandis eoriim expectationem fallerc
iiolo, (jui hanc dispiitalionera ad llnem properare laetantur; et
Zenodoteae editionis imaginem valde obscuratam esse, rationis
vero, qua in editione instituenda usus sit Zenodotus, niemoriam
pcnitus interiisse unusquisque mecum sentiet. In diesem Haupt-
ergebnisse stimmt unsere Untersuchung mit Phiygers vollitommeu
überein; aber wir glauben in unserer Sclirift erwiesen zu haben,
dass an manclien Stellen die zenodotische Lesart richtiger, als es
bisher geschehen, dargestellt werden und durcli Vergleichung der
zenodotischen Lesarten von verschiedenen Stellen, so wie durch
Beachtung der uns in den Schollen überlieferten Gegenbemerkun-
gen der Grammatiker an den meisten Stellen der Grund, weshalb
Zenodot änderte oder sich für seine Lesart entschied, mit grosser
Wahrscheinlichkeit errathen werden kann.
Die Untersuchung beginnt mit der Beurtheilung der auf Ho-
mer bezüglichen kritischen Thätigkelt des Flerodian, Didyraos
imd Aristonikos, wobei zu bedauern, dass blos auf den Cod.
Yen. A. Rücksicht genommen und die scharfe Scheidung zwischen
den auf Didymos und Aristonikos zurückzuführenden Scliolien
nicht versucht worden ist. Dem Herodian wird zuerst das Schol.
II. ^. 378 zugeschrieben, ohne hinreichenden Grund; denn wenn
auch Herodian diese Stelle erwähnte, so folgt daraus doch niclit,
dass das Scholion nicht von Didymos oder Aristonikos sei, wofür
der Umstand spricht, dass hier nicht allein das zenodotische TtQo-
(pavBiöag^ sondern die verschiedene Lesart des ganzen Verses an-
geführt wird. Wenn PI. das Scholion dadurch eraendiren will,
dass er die Worte eön dl — tg5 Tcotrjty nach xEkevzcclav setzen
und vor nago^vtovog den Namen eines Grammatikers mit folgen-
dem 7iQ0(pavÜ6a einschieben will, so dürfte wohl leichter zu hel-
fen sein, wenn man vor naQO^vtovcoq ein ov einschöbe, \\\ dem
andern Scholion, welches PI. mit Recht auf Herodian zurückführt,
II. r, ^'jO, will er die Worte r^g ngo^EGicog streichen, aber selbst
wenn wir die Worte T^;g Trpo^föfwg tilgen, können wir bei xbv
Tovov nur an den Ton der vorhergenannten Präposition den-
ken, wesshalb wir auch hier vor q)vlcc(5ösi den Ausfall der Nega-
tion ov annehmen. Uebergangen ist das Scholion zu II. a, 5ö7,
wogegen wir keinen genügenden Grund sehen, wesshalb Schol.
II. I, 49-) und V, 114 aus Herodian geflossen sein sollen. Wenn
PI. bei Gelegenheit der beiden letzteren bemerkt, man dürfe dar-
aus nicht schliessen , dass Zenodot schon Accentzeichen gebraucht,
Pluygers: De Zenodoti carm. Homer, edilione. 5
die erst Aristoplianes erfunden habe, so können wir dies nicht un-
bedingt zugeben, vielmehr glauben wir, dass Zenodot an den
Stellen, wo durch die Bezeichnung des Accentes oder des Spiritus
eine Zweideutigkeit zu vermeiden war, oder seine Auffassung da-
durch angedeutet werden konnte, sich solcher Zeichen bereits
bedient habe. Hatte ja schon Hippias von Thasos nacl» Aristoteles
Poet. 23- die Schwierigkeit an zwei homerischen Stellen durch
Accent und Spiritus (xar« jcgoöcpölav) gehoben. Die Bezeich-
nung des Spiritus nimmt auch PI. S. 7 selbst an.
Von tlerodian geht PI. zum Aristonikos iiber, der sich blos
der Schriften des Aristarch bedient habe, ohne aber alle Schriften
desselben genau zu vergleichen. Wie nachlässig derselbe zuwei-
len verfahren sei, sucht PI. an mehreren Stellen nachzuweisen.
Zunächst will er den Aristonikos eines Irrthums zeihen, weil er
behauptet, Zenodot habe II. t, 26 — 28 ausgeworfen, was PI. für
unmöglich hält, da Agamemnon, wenn diese Worte ausfallen, gar
nichts sage, und die folgende Antwort des Diomedes ohne Bezie-
hung stehe. Freilich ist Zenodot's Auswerfung nicht zu billigen,
aber daraus folgt keineswegs, dass Zenodot dieselbe nicht gewagt
habe, üebrigens vergisst PI., dass dieser nicht t, 23 — 25, son-
dern t, 26 — 28 auswarf, wenn er gegen den Grund, welchen
Aristonikos anfiihrt, bemerkt, |3, 116 — 118 habe Zenodot nicht
gelesen; t, 26 — 28, um die es sich hier handelt, las Zenodot wirk-
lich /3, 139 — 141. üebrigens verweise ich auf meine Schrift
S. 147 f., 164 f. Ein anderes Beispiel von der Nachlässigkeit des
Aristonikos soll ^", 34 bieten, wo aber vale blos ein Schreibfehler
für vae ist. Auch ist der Grund, der zu 11. r, 172 angefiihrt wird
gegen daszenodotische ög va£, keineswegs so ganz unpassend, wie
PI. meint, da Aristonikos glaubte, die erste Silbe von väs müsse
lang sein. Vergl. meine Schrift S. 84. Oder sollte wirklich Ze-
nodot an beiden Stellen og vais^ was denn im Schol. v^ 172 her-
zustellen wäre, geschrieben und angenommen haben, die erste
Silbe von valca werde, wie zuweilen bei den Tragikern, verkiirzt'?
Zu II. 0, 470 stimmen Aristonikos und Didymos in der Beurthei-
lung der Lesarten nicht überein. Nach Didymos hatte Aristarch
beide für gleichbedeutend erklärt, während Aristonikos zwischen
ihnen unterscheidet, aber es ist möglich, dass Aristarch hier, wie
auch sonst, in verschiedenen Schriften verschieden urtheilte.
Dagegen bemerkt PI. mit vollem Rechte, dass in den Schol. II.
s, 734 und r, 387 Aristonikos den Ausdruck dd'etslv irrig von sol-
chen Stellen brauche, die in der Ausgabe des Zenodot ganz fehl-
ten. Gegen Aristonikos nimmt PI. den Zenodot mit Recht in
Schutz, wo dieser dem Zenodot aus Unkenntniss gemachte Ver-
änderungen beilegt. Hierher gehört IL /3, 634, wo ich zuerst
(S. 21 f. .'^O) die Lesart Zenodot's errathen zu haben glaube.
Wesslialb PI. in dem Schol. statt xara tö agösviKOif lesen will rot
ccQöevLzd^ sehen wir nicht ein ; den Fehler haben wir bereits früher
6 Griechische Litteratur.
in T« elg 6g gefunden, wofür es licissen miiss zd slg rj. Aristo-
nikos bemerkt, von den Namen auf tj finde sich zuteilen diemäun-
liclie Form auf ög. Wenn aber Aristonikos behauptet, Zenodot
liabe die Form ^(XQTvgog nicht gekannt, so sehe ich nicht, wie
man ihn hier eines Irrthums zeihen kann. Vergl. meine Schrift
S. 50. Eben so weni^ trifft der Tadel zu i/, 148, worüber man
daselbst S. 133 vergleiche. Dem Tadel gegen die Bemerkung des
Aristonikos zu 11. 0, 384 treten wir bei; nur können wir es nicht
für richtig halten, dass Zenodot in dem Scliilde des Achill keine
Aenderung sich erlaubt haben werde, weil er diesen als unhome-
risch betrachtet habe. Beispiele dieser Art sind Vs. 485. 492.
52** f. 565. 576. Richtig wird Aristonikos getadelt, dass er dem
Zenodot die Kenntiiiss des Gebrauchs des Infinitivs statt des Im-
perativs abgesprochen, was schon Heyne gerügt hat; dagegen hat
PI. sich ein seltsames Missverstäridniss des Schol. II. jr, 679 zu
Schulden kommen lassen; denn dass änoörgocpi] hier nicht die
Frage bedeute, lehrt der ganze Zusammenhang. Wie hätte Ari-
stonikos dem Zenodot ünkenntniss des Gebrauchs der Frage vor-
werfen können, da ja gerade in der zenodotischen Lesart die
Frage steht? Was ccTtoötgocp^ hier bedeute, zeigt das vorher-
gehende d7t86TQsq)£ tov Xöyov Ik xov nQog avzov fjrl rov nsgl
avTov. Wir stimmen im Wesentlichen mit PI. überein, wenn er nach
diesen Beispielen die Behauptung aufstellt: Zenodotus accuratae
singulorum vocabulorum tractationi non studens, in constituenda
lectione serraonis Homerici consuetudinera non curabat, nee tarnen
ita ignorasse putandus est, ut contra omnium, quibus uteretur, li-
brorum auctoritatem sola imperitia ductus mutatum iret, quod
probe Homericum nosset. Quae vero argumenta Aristarchus e
diligenti Homerici sermonis observatione petita attulerat, ut le-
ctionem firmaret, quam e pluribus eiusdem fortasse auctoritatis
elegerat, rationemque daret, quare a Zenodotea editione rece-
dendum esse censeret, ea Aristonicus, quae quodammodo adver-
sus Zenodotum proposita essent, örjatlov Aristarchi explicans ret-
tulit, et brevitati studens sollemni quasi formula ZrjvöÖozog ygu-
q)Bi .... dyvo7J6ag (oder dyvocjv) .... comprehendit. Nur ist
hierbei wohl zu bemerken, dass zur Zeit des Zenodot sich die
Grammatik noch in der Kindheit befand , so dass wir manche Irr-
thümer dem Zenodot zuschreiben können, welche uns beim ersten
Anblicke sehr auffallend scheinen Auch darin stimmen wir PI.
bei, dass nicht überall, wo wir bei Aristonikos finden: ZtjVüdotog
7ienoir]7C8^ fiBTanETioirjxB^ ^BzaybygacpB^ ÖitöHivwÄB (vergl. meine
Schrift S. 4S Note 69), anzunehmen ist, dass Zenodot sich gegen
alle Handschriften Aenderungen erlaubt habe. Hierfür wird mit
Recht Schol. II. %^ 128 angeführt, dagegen urtheilt PI. irrig über
Schol II. TT, 677. v, 273. x, 378, und die Stelle Schol. 11. ß, 727
gehört nicht hierher, da hier nur der von Aristonikos angeführte
Grund auf In thura beruht. Auffallend ist es uns, wie PI. am
Pluygers: De Zenodoti carni. Homer, editione. 7
Schlüsse des Abschnittes über Aristonikos noch behaupten konnte,
er habe keinen Unterschied im Gebrauche der dmlfj und der dc-
nlrj TtBQiEöTLy^evfj gefunden, da die Bedeutung derselben fest-
steht, wobei es nicht auffallend sein kann, wenn durch die Ab-
schreiber häufig beide Zeichen mit einander verwechselt worden
sind. Vergl. meine Schrift S. 6 fF. und die zweite Abhandhing
von PI. selbst.
Mit grösserem Lobe als Aristonikos wird mit Recht Didymos
erhoben, als dessen Quellen ausser Aristarch besonders Ptolemäos
'ETtc^BTTjg und Kallistratos genannt werden. In seinem Ergebnisse,
dass Didymos weder ein Exemplar der zenodotischen Ausgabe, noch
eine Schrift, in welcher Zenodot die Griinde seiner Athetesen an-
gegeben, benutzt habe, stimmt Fl. mit unserer Untersuchung
(S. 16 ff) ganz und gar überein. Auch darin trifft Fl. mit uns
zusammen, dass Aristarch an manchen Stellen selbst nicht ge-
wusst, was Zenodot eigentlich gelesen habe. Wenn er aber aus
Schol. 11. «, 567 und g, 329 schliesst, Zenodotum vocales ante
vocalem non cfferendas perspicuitatis causa nonnunquam ascri-
psisse, so beruht dies auf Irrthum. Vcrgl. meine Schrift S. 19 f.
Dass die Erklärungen homerischer Wörter, welche aus Zenodot
angefi'ihrt werden, aus den yXcoööai genommen seien, hat FI. mit
Recht bemerkt; aber die zum Beweise angeführten Schol. II. |3,
532 und y, 28 gehören nicht hierher und beim Schol. II, g?, 169
bleibt die Sache wenigstens zweifelhaft, da die Bedeutung, in
welcher Zenodot l^vKzicav genommen, aus der nach der Weise
der alten Grammatiker sehr willkürlichen Etymologie erschlossen
sein könnte. Noch weniger können wir beistimmen, wenn die
Schol. IL /3, 581. y, 99. d, 478. e, 31. x, 515. A, 27. 480. /m, 365.
V, 71. 0, 625. T, 26 auf die yXaööaL bezogen werden sollen , zu
welcher Annahme Fl. meist durch Glossen des Hesychios verleitet
worden ist. Die Schol. 11. ß, 336 und |, 117 will er auf Zenodot
beziehen, weil an letzterer Stelle die ÖLTtkij TCeQi^öTLyfiEvrj er-
wähnt werde, aber der Grammatiker hat diese, wie häufig, mit
der einfachen dinXij verwechselt. Ueber II. A, 27, wozu Fl. aus
Hesychios die Artikel fptdag und £QlöiC7]7Cta anführt, vgl. meine
Schrift S. 101. Am auffallendsten ist es, dass das Schol. 11. J, 37
hierher gezogen wird, obgleich dieses selbst besagt, man wisse
nicht, wie Zenodot 6'tl^atovteg gefasst habe. In der Glosse des
Hesychios i"Sl^ai,av ojttrjöav elxovist nicht ontiKcSg £t;;uov, son-
dern oTCTccölav eixov herzustellen. Die Vermuthung, bei dem-
selben Hesychios sei statt i&v htsccvov zu lesen l^vaticjv, ist sehr
unglücklich. Man schreibe l%vKTEavov und vgl. Schneider unter
Ttttlg und l^vTtxicov. Aus Schol. II. o, 626 schliesst Fl , Zenodot
habe ä^^^rj in anderer Bedeutung genommen, für irgend einen
Theil des Schiffes, wogegen wir auf die von uns S. 90 aufgestellte
Vermuthung verweisen. Dass in der Stelle des Hesychios v. äxvij
die Bemerkung: FgatpstaL dl xccll'^vj?, aus einem Missverständ-
g Griechische Litteratur.
nisse der Worte: rgacpstca kdc\ öia tov i hervorgegangen sei, ist
eine liöclist kühne Vermuthung, da wir gar nicht wissen, au?
welclie Stelle die Glosse sich eigentlich beziehe. Im Schol. 11. p,
263 ist statt Zrjvodorog Zip'ööcogoq die richtige Lesart.
Dass Aristarch kein Buch des Zenodot gesehen, in welchem
dieser die Gründe seiner Textkritik dargelegt habe, und dass über-
liaiipt ein solches nicht existirt habe, dass Aristarch, da er die
Gründe des Zenodot errathen musste, zuweilen hierbei fehlgegangen
sei, behauptet PI. mit vollstem Rechte, und wir freuen uns, auch
hierin mit ihm ganz übereinzustimmen. Bei dieser Gelegenheit
wird die Abweichung der Angaben über Zenodot's Lesart II. y, 21'^
gut ins Licht gesetzt. Als Grund, wesshalb Zenodot II. ß, 641 f.
ausgeworfen, vermuthet PI., den Widerspruch der Stelle mit den
späteren Dichtern, wonach Oeneus keinen andern Sohn ausser
IMeleagros gehabt habe ; aber die von Aristarch angeführten Gründe
haben viel mehr Wahrscheinlichkeit für sich. Auch möchten wir
bezweifeln, dass Zenodot x, rJ17 xaöiyvt^TOiöLV als vocabulum ge-
neris communis von den Schwestern verstanden habe; er behielt
wohl hier die überlieferte Lesart, mit welcher er auch t, 5S4 xa-
6iyv}]Z0L gelesen haben dürfte.
Ob die LötogrAcc vTtouvrjuara dem alten Zenodot oder einem
jüngeren Grammatiker dieses Namens angehören, lässt PI. unent-
schieden, obgleich die grösste Wahrscheinlichkeit für den späte-
ren Alexandriner spricht. Hierher zählt er auch die Stelle im
Schol. 11 y, '236, die viel wahrscheinlicher zu den kvöitg gehört,
und, obgleich nicht ohne Bedenken *), Strab. XII. p. 543, worüber
wir auf unsere Schrift S. 67 f. Note 6 verweisen. iMit grösserem
Hechte dürften die Erwähnungen des Deukalion (Tzetz in 11. or,
10. p. 73 Herm.) und der Mintha (Phot. v. Miv^a) hierher ge-
zogen sein. Auf die Anführung des Tatian. adv. Graec. 4S möch-
ten wir gar nichts geben **).
In (ier Stelle des Suid. v. Zr]v68orog ^Jks^avdgevg vermuthet
PI. die Erwähnung einer Schrift gegen die Athetesen des Aristarch
— wir haben die Stelle S. 23 durch Umstellung verbessert — ,
wohin er irrig Schol. U. tt, 141 zieht, verleitet durch das cprjöl des
Scholiasten. Vergl. meine Schrift S. 37 ff. Dass die Gründe des
Scholiasten für die zenodotische Verdächtigung gegen die Bezie-
hung auf den Zenodot von Ephesos angeführt werden, ist höchst
auffallend, da ja PI. selbst anerkennt, dass die dem Zenodot bci-
*) Quae tarnen Zeuodoti ApoUodorlne sint , dublto propter eundcm
Strabonem L.XIII. p. 555.
**) Ist die Anfühniiig des Zenodot unter denjenigen, die über Ho-
mer's Geschlecht, Zeit und Poesie geschrieben haben, nicht ganz irrig,
go könnte man an eine Verwechselung mit dem Zenodot von Mallos den-
ken - der den Homer einen Chaldäer (Schol. II. i/>, 79) genannt hatte.
Pluygers: De Zenodotl carm. Homer, editione. 9
gelegten Gründe nicht aus einer sicheren Quelle fliessen, sondern
nur erschlossen sind *).
Das llauptverdienst des Verfassers besteht in der Nachwei-
sung, dass Aristarch selbst die Griinde der zenodotischen Kritik
nicht historisch überliefert erhalten hat, sondern erst crrathen
musste, dass er selbst, was Zenodot an jeder einzelnen Stelle ge-
lesen, nicht genau wusste, und dass den Angaben des Aristonikos
nicht überall zu trauen ist. Diese Nachweisung, welche PI. be-
gonnen, habe ich in meiner Schrift, welche sich auf die genaueste
Kritik der Quellen stützt, vollständig zu liefern und die zum Theil
irrigen, zum Theil unvollständigen Angaben über Zenodot's Les-
arten wesentlich zu berichtigen gesucht, wonach eine wahre Be-
iirtheilung allein möglich ist. Freilich hat Hr. 0. Schneider im
„Philologus^'' Bd. III, 753 die Keckheit gehabt zu behaupten, ich
habe, indem ich die Autorität der von Aristarch, Aristonikos und
Didymos herrührenden, in den Schollen zur Ilias enthaltenen Be-
merkungen über Zenodot's Kritik anfechte, den sichern Boden
verlassen und sei in den Sumpf des Meinens und Glaubens gera-
then,aufdem sich gleich Irrlichtern die willkürlichsten Vermu-
thungen herumtummelten; aber was kann es mich kümmern, dass
O. Schneider, der überall von mangelnder Besonnenheit träumt,
während er sich selbst im Besitze gereifter Weisheit wähnt, dort
Irrlicliter tanzen sieht und sich vor einem Sumpfe fürchtet, wo
ein nüchterner Sinn den festen Boden historischer Kritik und die
Ergebnisse gesunder und umsichtiger Combinatlon entdeckt! Ich
würde auf diese Verurtheilung meiner Leistungen — denn warum
sollte ich Hrn. Schneider nicht den Spass lassen sich an seinen
Irrlichtern zu erfreuen und im eiteln Wahne seiner eigenen Un-
fehlbarkeit sich behaglich zu wiegen? — ich würde hierauf gar
nicht weiter eingehen, wollte derselbe nicht dem Publikum ein-
reden, in meiner Schrift sei das, was in derselben zur Evidenz
bewiesen ist, gar nicht zu finden, wodurch der ganze gegenwär-
tige Zustand der Untersuchung über Zenodot verrückt wird. Hr.
*) Die Stelle, welche neuerdings Schneidewin im „Philologus" IT.
764 aus den Schoi. Veron. Virg. Aen. XI. 738 beigebracht, hat auch
PI. nicht benutzt. Die Worte lauten: Zenodotus in eo , quem inscribit
naiciVLTjv (das Wort ist unsicher) .... riam sub nomine Naucratis facit
disserere Aristarchios , qui putant alium Paetona (Schneiderin richtig
Paeeona) esse, alium ApoHinem , ipse eundem, nee diversum docet. Für
60 ist wohl libro oder eo libro zu schreiben, Uccmi'i'rjv oder Uaitovi'rjv,
oder wie die Form sonst lautete, ist ^vohl aus Dittographie des folgenden
Paeeona entstanden. Den Titel des Werkes wage ich nicht zu errathen;
man könnte an den Namen eines Biestes, an welchem das Gastmahl ge-
balten worden , etwa an ^(xq^vrjcpoqia, denken und vermuthen: in eo,
quem inscribit Daphnephoria, libro.
XO Griechische Litteratur.
IT
Ö
PIlivgcrs ist in Betreff der Quellen, obgleich er die Untersucliiin
nicht In der umfassenden Weise g:eführt hat, wie es in meiner
Schrift geschehen, zu demselben Ergebnisse mit mir gekommen,
lind wer mit besonnenem Unheil dieüntersuchung anstellt, kann un-
möglich ein anderes gewinnen. Anders Hr. Sciineider, der über
eine mit der grössten Sorgfalt und Gründlichkeit gearbeitete
Schrift in einem unwi'irdigen Tone abspricht. Eine ausführlichere
sogenannte Ueurtheilung meines Buches hat derselbe in der Je-
naer Litteraturzcitung 1848. Nr. 217 fF. geliefert, auf die wir hier
der Sache wegen etwas näher eingehen wollen.
Zunächst wundert sich Sehn, über meine Verwunderung, dass
von den drei grossen alexandrinischen Kritikern Homers Zenodot
zuletzt eine selbstsläiidige Behandlung gefunden, da ja doch unser
Wissen von ihm vorzugsweise eben durch Aristarch vermittelt sei
— wahrlich ein wunderlicher Grund, als ob, weil wir meist auf
Zeugnisse des Aristarch uns stützen , desshalb Aristarch's ganze
Art der Kritik einer ins Einzelne gehenden Untersuchung unter-
worfen werden müsste, ehe man über Zenodot aburtheilen könne,
a's ob nicht, nachdem Wolf im Allgemeinen das Verfahren jener
drei Kritiker ins Licht gesetzt hatte, die Natur der Sache erfor-
dert hätte, dass man vom ersten homerischen Kritiker ausgegangen
und von ihm zu seineu Nachfolgern fortgeschritten wäre. Beson-
dere Verwunderung erregt dem Verfasser meine Ansicht, die ich
in den Worten ausspreche: über, qui Apionis et Herodori nomine
ferebatur, e schollis collectus et compilatus, wo er unbesonnen
genug ein est ergänzt, das meinen Worten fremd ist; aber er
würde sich nicht gewundert haben, hätte er eine richtigere, aus
genauerer Kcnntniss fliessende Ansicht über die Entstehung und
Zusammensetzung der homerischen Schollen in Cod. A. gehabt,
wie sie PI. in der zweiten der hier anzuzeigenden Schriften ange-
deutet hat (in codicem Ven. conflu.\isse, quae in pluribus codici-
bus antiquioribus servatae essent Aristonici aliorumque graramati-
corum reliquiae), noch weniger würde er die unbesonnene Mei-
nung geäussert haben, die Scholieu in Cod. B. und L. seien Auszüge
aus Apion und Herodor. Uebrigens scheint mir Seh. die ganz
falsche Ansicht unterzuschieben, dass die Schrift des Apion und
Herodor aus unseren gegen wärtigen Schollen entstanden sei,
woran ich natürlich nicht gedacht habe, wie meine Darstellung
deutlich zeigt. Sind schon die Schollen in Cod. A., wie PI. be-
merkt, wenigstens aus drei verschiedenen Handschriften zusam-
mengestellt *), so ist es gar nicht zu verwundern, dass eine äha-
*) PI. sagt S. 9: Tempore satis antiqno cen.sendus est aliquis ad
textum liiadis appinxisse ea signa (critica), quorum in scholiorum col-
lectione, quam u.-^iirparet, mentionem iiiveniret. Huius libri scholia alter
postea descripsit — scholia autem , quae in libro , unde textum petivit,
Pluygers: De Zenodoti carm. Homer, editione. 11
liehe Sammlung^ zur Zeit des Eustathios unter dem Titel des Äpion
und Ilerodor gin^. Sehn, meint, die Scholien in Cod. A. seien
unmittelbar aus den Sehriften des Aristonikos, Didymos, Herodian
und JNiiianor hervorgegangen, was sich thatsächh'ch widerlegen
lässt, das Buch aber, welches Eustathios unter dem Namen des
Apion und Herodor anführe, habe die Auszüge aus Aristonikos
und Didymos von Apion, aus Herodian und Nikanor von Herodor
enthalten. Wäre diese seltsame Meinung richtig, so müssten in
diesem Buche doch die Namen jener Grammatiker genannt gewe-
sen sein; dies aber wird, wie ich S. 2 bemerkt habe, durch Eu-
stathios widerlegt, der als Beleg seiner Bemerkungen den Apion
und Herodor selbst, nicht jene älteren Grammatiker anführt.
Nach Allem kann ich nur an der wohl begründeten, früher ge-
äusserten Ansicht über die sogenannte Schrift d^s Apion und He-
rodor festhalten , wie auch meine Beurtheilung von Cod. B. und
Lu durch die Bemerkungen Schneider's, der hier nur seine geringe
Kenntni^s jener Scholien verräth, nicht erschüttert ist.
Meiner Ansicht, dass an manchen Stellen des Etym. M. statt
Zrjvööotog der Name Zrjvoßiog herzustellen sei, pflichtet Sehn,
um so unbedenklicher bei, als er dieselbe bereits vor Jahren schon
an Grä'fenhan mitgetheilt habe, in dessen „Geschichte der Philo-
logie^ ich keine Spur derselben gefunden habe. Mag es immer
auf sich beruhen , wer zuerst von uns jene Entdeckung gemacht
hat, ich verdanke sie am wenigsten Hrn. Sehn., wie sie denn bei
irgend genauerer Vergleichung sich nothwendig darbietet. Ich
freue mich , dass hier einmal Hr. Sehn, gegen mich Recht hat,
wenn er mit Larcher annimmt, in der Stelle des Etym. p. 23 sei
statt Q)]z6v zu lesen QTj^aziKov und an einen Comraentar zum
Apoilonios Dyskolos zu denken; dagegen kann ich an den beiden
anderen Stellen p. 255 und p. 498 nur an meinen früher geäusser-
ten Vermuthungen gegen Schneider's unbesonnene Aenderungen
festhalten *j. Dass das Etym. M. von Zenobios ausser dem nur
inveniebat, cum scholiis alterius Hbri coniunxit: si eadem continebai utra-
que coUectio, bis eadem scripsit; quod innumeris in lo eis factum est, quam-
quam in edids rarius apparet, quura editoies aut iteratum schoüum semel
edi curaverunt, aut, quod peius est, duo scholia mutatis mutandis in unum
contraxerunt. Hunc autera librura tertius deinde descripsit , scholiaque
ex tertio libro adiecit: quo factum est, ut nonnunquam ter eadem in scho-
lüs reperiantur,
*) In der Stelle: Js^u Zrjvodotog naga ro ötco hccI ^eco ist unsere
Aenderung ^suu aal ^iua für jeden, der die Weise des Etymoiogicums
kennt, welches die Eltymologie voranstellt, so sicher, dass kein Zweifel
möglich scheint. Die Verbindung zweier Wörter durch Kcci ist unanstös-
Mg. Vergl. p. 3, 8. 25, 13. 65, 45. Sehn, will auf die gezwungenj^te
Weise: Zrixüiuij ncc^a x6 dico y,u\ ^ioi neos ov UyExcn. Das P^tymolo-
13 Griechische Litteratur.
einmal genannten Commenlar zum Qi^uatiKov des ApoIIonios keine
andere Schrift benutzt habe, scheint uns eine nicht zu billigende
Vermutlumg. Wie viele Scliriften benutzt das Etymologicum
nicht, z. B. von Philoxenos und Choeroboskos!
Meine Behauptung, dass Didyraos und Aristonikos die Re-
cension des Zenodot nicht gekannt, sondern ihre Notizen aus Ari-
starch und seinen Schillern geschöpft, bestreitet Hr. Sehn.; denn
sollten die Ausdrücke bolüb oder öoku j] Zi]voö6tov ygaq)}] £ti/«i,
q)aveQ6g köii ygäcpcji^ Z., ol 08 q)a6iv Zyjvodoteiov uvai tyjv
yQa^)}]v u. s. Nv. dies beweisen, so wiirdc man mit demselben
Kcchte aus Schol. II. ^, 295 schliessen, auch Aristarch habe die
recensio Zenodotea nicht gekannt; aus jenen Bemerkungen sei
nur ein Schluss fiir die jedesmalige homedsche Sielle zu ziehen.
]\Jit letzterem stimme ich vollkommen iiberein. Wir sehen, wie
auch PI. bemerkt hat, dass Aristarch nicht an allen Stellen die
zenodotischc Lesart kannte, dass ihm also die ursprüngliche ze-
iiodotische Kecension nicht vorlag; kannte aber Aristarch diese
nicht mehr ganz, sondern lag ihm, wie auch Sehn, annimmt, nur
eine recognitio der recensio Zenodotea vor, wie viel weniger
konnte dem Didymos und Aristonikos eine genaue recensio Zeno-
dotea vorliegen! Dass auch in den Zeiten nach Aristarch Ausga-
ben des zenodotischen Textes gemacht worden seien , ist eine
ganz haltlose Vermuthung Schneider's; denn die in den Schollen
genannten .Ausgaben al ZtjvoÖözov sind als ältere, voraristarchi-
8chc Ausgaben zu betrachten, deren Lesarten Didymos (denn bei
Aristonikos findet sie sich nicht) aus den Schriften des Aristarch
genommen hatte. Wie Sehn, gar das ot ntgl Zr]v6öotov von den-
jenigen verstehen will, die um Zenodot's Nachlass thätig gewe-
sen ('?), ist bei dem bekaimten Sprachgebrauche der Formel ol
ntQi kaum zu begreifen. Wenn Hr. Sehn, die Sache so darstellt,
als habe ich überhaupt die Angaben des Aristarch und die aus
diesen geflossenen des Aristonikos und Didymos über den zenodo-
lischen Text bezweifelt, so ist dies eine arge Entstellung; ich
habe nur behauptet, dass Aristarch, und um so mehr Aristonikos
imd Didymos, nicht den ursprünglichen Text des Zenodot vor
Augen halte, weil er sonst nicht hätte bei dieser oder jener Stelle
gicum braucht nach ^rjzELzcci immer s/; die Structur mit einem weit nach-
stehenden 7t(ög ist ihm frenid. P. 498, 25 i.st ihm das ovtco Zrjvoöozos
seiner falschen Annahme \vegen , dass im Etym. überall nur eine Schrift
des Znobios genannt werde, so anstössig , dass er das ovrco, obgleich
es ganz nach dem Sprachgebrauche des Etym. steht, verschiebt an eine
Stelle, wo es wenig passt , und Zrjvuöovog verändert in ^r]zSL f/g rd ov
idtv , obgleich ein eigener Artikel über ov adsv sich nicht findet, die Form
auch hier gehörig erklärt scheint. Eben so leichtsinnig urtheilt Sehn,
über p. 639, 31 und 194, 34 sq.
Pluygers: De Zenodoti carm. Homer, edltlone. 13
in Zweifel sein können. Wie alle dessfallsigen Bescliuldi^iing'en
Sclineider's aus der Luft gegriffen sind, wird Jeder erivennen, der
mei.i Buch näher vergleichen will. Wenn Sehn, nicht begreifen
will, wesshaib ich den Grund, den Aristonikos für Zenodot's Les-
art ;roAi;;rtö«xog II. jr, 233 anführt, nur für eine Verniulhung
desselben halte, so vergisst er, dass alle für Zenodot's Lesarten
angeführten Gründe, vielleicht mit ein paar Ausnalimen, blosse
Vermuthungen sind, wie Pi. und ich uuwidersprechlich nachge-
wiesen haben. Dass das Fragment des Antimachos niclit ganz
richtig sei, habe ich selbst angedeutet, und ich nehme gern Sehn. 's
^EkloTiii] statt EvQcoTtr] an ; dagegen muss ich die Emendation
^j4vrt^dxov statt KakXiaaxov als eine durchaus nothwendige im
Interesse des Aristonikos beibehalten, da dieser doch unmögllcli
annehmen konnte, Zenodot habe sich zur Begründung seiner Con-
jectur auf die Stelle des Kallimachos, eines Jüngern Zeitgenossen,
berufen. Hr. Seh. errieth freilich gar nicht den offenbar vorlie-
genden Grund, wesshaib ich 'Avxi^idxov schrieb, und spricht da-
her von mangelnder Besonnenheit, wofür er noch ein paar andere
Falle anführt, die gleichfalls nichts weniger als Dnbesonneuheit,
es sei denn von Schneider's Seite selbst, beweisen. Wenn ich
statt zovTOv og ygacpei schreibe rovtov özixov ov yga^pei, so will
Sehn, dafür zovzov ov ygoccpti', ich muss aber dagegen bemerken,
dass ich an jener Stelle das einfache zovzov ohne özi^ov für un-
wahrscheinlich halte. Im Schol. II. A, 696 (vergl. S. 28, Not. 12)
ist XQVörftg wegen des folgenden BgLör^tg sehr wahrscheinlich.
In Schol. II. ü, 557 habe ich S. 42 statt iv reo naXaia vermuthet
nach sonstigem Gebrauche ev zolg naXaiolg; Schneider's iv za
TCttKocKp ist höchst unwahrscheinlich, da es in den Schollen ohne
Analogie ist und das einzige Beispiel dieser Art sein würde. Ue-
brigens werden wir auf dieses Scholion weiter unten zurückkom-
men. Im Fragment des Antimachos will ich Schneider sein q)t)
ÖS yegcjv oloiv^ wenn er Freude daran hat und die Form olöiv
im Antimachos verantworten zu können glaubt, gern belassen, nur
hoffe er nicht auch Andere dafür zu gewinnen. Meine Vermu-
thung (prj y7]Qccvz86öiv scheint mir noch immer nicht misslungen.
Aus dem Artikel des Suidas Zrjvoöozog 'AXi^avÖQivg will
Sehn, auf seltsame Weise zwei Artikel machen, die durch einan-
der gekommen und verstümmelt seien; der eine betreffe einen in
Alexandria geborenen, der andere einen in einer Vorstadt Ale-
xandria's lehrenden Zenodot, und zwar sei dieser letztere identisch
mit dem in Mallos geborenen. Suidas schreibe nur die Schrift
ngog zd vn 'AQiQzaQiov d^ezovueva zov non^zov dem zu
Alexandria geborenen , die anderen Schriften dieses Artikels da-
gegen dem Malloten zu. Dieses alles, was von Sehn, mit grosser
Prätension vorgetragen wird, ist nichts als ein leeres Luftbild,
dem jede Wesenheit abgeht. Ich bemerke: Verba EyQailfe Ttgög
nxdzcjvaamte ngog zcc vn 'Jgiözccgxov d^STov^sva xov Tcotf^tov^
14 Griechische Litteratur.
ponenda videntur, ue scripta ad Ilomerum pertinentia male diriman-
tur. Desslialb behauptet Sehn., ich liabe bloss an der Reihenfolge
Anstoss genommen, nicht an der noch befremdlichem Nachsetzung
des Eygcc^s. Dies ist unwahr! Dass die Stelle des Suidas nicht
richtig sei, sondern das dem ersten Titel nachgesetzte t'ygail'S an-
derswo stehen miisse, ist unzweifelhaft; man könnte nun l'y^ai^g
gerade vor ngög tä vit ^A. «. z. it. setzen wollen, wogegen ich
mich aus dem Grunde erkläre, weil dadurch die auf Homer bezüg-
lichen Schriften von einander getrennt werden würden. Das ist
für jeden, der nicht so, wie Sehn., zum Missverständniss hinneigt,
so klar, dass ich es blos andeuten zu müssen glaubte. Nachdem
Sehn, auf seine Weise den Artikel des Suidas verfälscht hat, muss
die Schrift %a vtl ^A. d. t. tc. dem Alexandriner, die übrigen müs-
sen dem Malloten Zenodotos, dem Krateteer, zugeschrieben wer-
den, wie unwahrscheinlich die Sache auch an sich sein mag '^).
Die Bücher nsgl z^g 'OßrjQixrjg övvrj&siag schreibt Sehn, mit Sui-
das dem Zenodot zu, indem er gegen mich anführt, dass ich über-
sehen habe, die Schollen , in welchen Z7]v68c)Qog erwähnt werde,
seien aus Porphyrios genommen, wo statt ZyjvöÖagog Zrjvcöozog
stehe. Dagegen ist aber zu bemerken, dass Cod. A. und B. , in
welchen Zrjvoöagog steht, älter sind als die Handschriften des
Porphyrios, in weichen sich schon die Corruption des Namens fin-
det. Dass Eustathios II. o, 64 irrig dem Namen des Zenodot die
Bezeichnung 6 MaXlcoxrig beifüge, will Sehn, gegen mich in Ab-
rede stellen, da auch sonst der Mallote (vielmehr Zenodor) eine
Stelle desFIomer für unächt erklärt habe. Aber Sehn, scheint hier
einen Hauptumstand, auf den ich aufmerksam gemacht habe, ab-
sichtlich zu übersehen, nämlich dass Didymos sagt: Zrivodozog
ovb\ okag lygacpiv ^ was unwidersprechlich auf den Ephesier als
Herausgeber des Textes geht. Wenn Schneider ferner
die iözogi^d vjto^vrjuaza für dieselbe Schrift mit den etil-
zo^al hält, die emzo^al der iöTogiTiä vno^vrmata des Kal-
limachos gewesen seien, so ist dies eine falsche Combination.
Athenäos führt X. 2 einen Mythos aus dem zweiten Buche
der imzoiLai des Zenodot an, dagegen lesen wir III. 49:
Magzvgü KaKki^axog ij Zr]v6öozog ev iözogizoig vjto^vrj^aöL.
Dass Athenäos zweifle, ob die iözogiKa vjto^vr^^aza von Ze-
nodot oder von Kallimachos seien, zeigt das ^', wie sehr auch
Schneider widerstreben mag; dass aber derselbe Schriftsteller das-
selbe Buch an einer Stelle als tTCLTO^ial des Zenodot ohne weite-
*) Ein Krateteer soll also zu Alexandria gelehrt und mit demselben
Namen 'Ale^avögsvg, wie der zu Alexandria geborene, bezeichnet worden
sein, da doch der unterscheidende Name MaXloozrjs, den er auch wirklich
führt, oder EQUtrjzsios so nahe lag! 'Das alles ficht Herrn Schneider
nicht au!
Pluygers : De Zenodoti carm. Homer, editione. 15
res anführe, an der andern dagegen als tötoQixd vnofivrjfiaTa mit
Aeusserung des Zweifels, ob Kaliimachos oder Zenoilot der Ver-
fasser sei, ist ganz unglaublich. Nicht weniger seltsam hält Sehn,
die ylcoööav und die e&VLKCcl U^etg des Zenodot für Theile des-
selben Werkes, das unter gemeinsamem Titel nicht blos homeri-
sche, sondern auch dialektische Glossen behandelt, ja auch wohl
eine Abtheilung gehabt habe, in welcher mehr die reale Seite der
Lexikographie festgehalten worden , wofür der späte Tractat Ttsgl
(pcovcjv t^äcav unter dem Namen eines Zenodot angeführt wird;
diese Schrift aber soll dem Malloten gehören *). In dem Schol.
Od.y, 444, dessen Wichtigkeit Mützell, Lersch und Pluygers über-
sehen haben, wird angeführt Zfjvoöotog £v talg ocTto tovds (OfiTJ^
Qov) yXcoOöaig', hier haben wir also homerische Glossen;
dejin ganz falsch Ist Schneider's den Worten Gewalt anthuende
Erklärung: in ea glossarum parte^ quae ex hoc nostro poetasumptae
erant. Nun finden wir aber in den Scholien an mehreren Stelleu
Erklärungen unter Zenodot's Namen, die dem Ephesier zugehören
müssen, was selbst Sehn, nicht ganz leugnet (vergl. meine Schril't
S. 29 ff.); da diese nun offenbar einem glossographischen W^erke
entnommen sind , so spricht die höchste Wahrscheinlichkeit dafür,
dass wir in jenen im Schol. Od. y, 444 genannten yXcoööcci ein
Werk des Ephesiers haben **). Sehn, führt hiergegen Aristoni-
kos II. i, 404 an, wo Zenodot den yAcöööoy^cfgjot entgegengesetzt
werde; aber Zenodot wird dort nur als Kritiker des Textes ge-
nannt, woraus aber nicht folgt, dass er keine ykcjööat, geschrie-
ben haben könne. Ich habe schon früher darauf aufmerksam ge-
macht, dass, da sowohl vom Lehrer, als vom Schüler Zenodot's
yAojööat angeführt werden, es an sich wahrscheinlich ist, dass
dieser selbst solche geschrieben. Wenn Sehn, den Seleukos für
den Herausgeber der noXvötixog hält, so widerspricht dieser Ver-
muthung nicht blos die Stelle Schol. II. a, 381, wonach Seleukos
berichtet haben soll , welche Lesart in der kyprischen und kreti-
*) Wenn Sehn, sich über meine Behauptung, ein Buch wie die sQ^vi-
Hat Xi^siq dürfe kaum in die Zeit des Zenodot fallen, wundern will, so
übersieht er, dass eine Sammlung der li^sig der verschiedensten griechi-
schen Stämme und Völker schon eine weit ausgebreitete grammatische
Thätigkeit voraussetzt. Die Schrift des Zenodot hiess wohl yXaaüKi
'0[ir}QL-iiccl oder einfach yXaaGcci, Kaliimachos hatte ein Buch ni'va^ täv
drjiioviQitov yXcoGGav geschrieben.
*+) Man könnte etwa vermuthen , dass auch in der Stelle des Schol,
Apoll. Rhod. II. 1005 ein späterer Zenodot zu verstehen sei und vielleicht
der Alexandriner zugleich ylco6GCii und id^viuccl Xi^stg geschrieben habe,
obgleich der Ephesier sehr wohl die Bemerkung über ötvcpsXos bei Gele-;
genheit des Verbums GtvcpBXi^co machen konnte.
16 Griechische Litteratur.
sehen Reccnsion gestanden, sondern auch Schol. U. «, 258, wel-
ches Scliolion wegen der folgenden obh'quen Rede offenbar nach
dem erstem zu emendiren ist. Vielleicht ist der von Siiidas ge-
nannte Seleukos mit dem Beinamen 'Of/7;9tx6s zu verstehn, von
dem auch ykcjööai angeführt werden.
Hiermit schliesst Sehn, die Beurtheilung der zwei ersten Ka-
pitel, ohne über manche andere Fragen, wie über den Beweis, dass
die zenodotische Lesart eines Verses oft unvollständig überliefert
ist, und and. ein Wort zu verlieren; er schweigt wohl, weil
seine Weisheit gegen die wichtigen hier gewonnenen Äufschli'isse
nichts zu bemerken fand. Er verfolgt die Untersuchung nur noch
in das dritte Kapitel hinein. Meine Worte: Pauca Zenodotus in
formis grammalicis et dialecticis sibi permisisse, eoque tantum pec-
casse videtur, qnod falsas et ab Homero alienas non ubique sustu-
iit, die so deutlich sind, dass sie gar nicht missverstanden werden
können^ geben Herrn Sehn. Gelegenheit sich darüber zu forraali-
siren. Wenn derselbe die Keckheit hat zu behaupten, durch mein
milderndes eo tantum peccavit (es leugnet, dass Zenod. vielfach fal-
sche Formen in den Text gebracht habe) stelle ich mich in meiner
Urtheilsfähigkeit tief unter dieGraramatiker, die ich so gern tadle,
' weil sie den Zenodot aus diesem Grunde tadelten, so ist dies nur
ein neuer Beweis von Schneiders Unbesonnenheit; oder ist dies
etwa ein Lob eines Fehlers, wenn ich behaupte, jemand habe blos
diesen, nicht auch jenen ihm vorgeworfenen Fehler gemacht, und
wäre es nicht höchst unbillig, von Zenodot das zu verlangen, was
erst die weiter gebildete Kritik des Aristarch längere Zeit später
leisten konnte*? Unverständig ist es, wenn derselbe verlangt, ich
habe im Kapitel über die grammatischen Formen bemerken sollen,
Zenodot habe dei/^prachgebrauch Homer's nicht gekaimt, was ge-
rade in dieses Kapitel nicht gehört, sondern in das folgende und
das achte Kapitel. Auf vollstem Missverständnisse beruht, was
Sehn, über meine Bemerkung zu II. A, OS sagt ; denn von dieser
Stelle ist es zweifelhaft, ob Zenodot die Form 'JAaug gebraucht
liabe oder nicht, da hier nicht, wie in allen übrigen Stellen, vom
Vater des Ajas die Rede ist; es stimmt deshalb die darüber ge-
machte Bemerkung sehr w ohl mit dem überein , was ich über die
Form IXbvs an den übrigen Stellen bemerke. So leichtfertig und
obenhin hat Sehn, meine Schrift angesehen. In seiner unglückli-
chen Vermuthung, wie Zenodot zur Form ^Iktvq gekommen (näm-
lich aus falscher Abtheilung der seriptura continua /3, 527j, hat er
sich dadurch, dass der Vater des Ajas den Namen 'IXevg schon bei
Hesiod, Arktinos, Stesiehoros und Pindar hatte, nicht stören las-
sen. Ob Zenodot d, 478 ^genta in Handschriften fand oder es
aus Missverständniss hineinbrachte, was uns wahrscheinlich ist,
darüber wird man wohl immer streiten können; wenigstens hat
Sehn, nichts Entscheidendes beigebracht. Uebrigens lag uns der
Gedanke fern, d^E.Trovsei eineiNeubildungZenodot's, der dnedoKS
Pluygers: De carm. Homer, retractanda editione. 17
hier für reddidit, restituit nahm. In der Stelle des Scholions II. ^,
266 hat die Handschrift, wie ich aus Phiygers sehe, wirklich
dvLTivr]^ wonach denn Zenodot's Lesart avintr^öi gewesen sein
muss, was auch Herodian las. Zu guter Letzt giebt Sehn, noch
einen Beweis seiner Leichtfertigkeit, indem er meint, im Schol.
Harl. sei Jct»^£ör^/ eine blosse Corruption desScholiastenfiirxvd/örw.
Wie wäre das möglich*? Im Schol. Harl. steht: rgacpETai kvÖCötv^
6 ÖS Zi]v6öoTog xvöeötr]^ wo eine Corruption des KVÖEövr] in xu-
dlöTT] ^nz undenkbar ist. Wenn Sehn, für seine Ansicht anführt,
dass an den 10 Stellen der Ilias und den beiden anderen der Odys-
see, wo xvdiöTog vorkommt, von einem Zweifel des Zenodot an
dieser Form keine Rede sei, so übersieht er, wie bruchstückar-
tig unsere Nachrichten über Zenodot sind und dass nicht selten
eine abweichende Lesart bloss an einer Stelle als zenodotisch an-
geführt wird, ohne dass an den anderen gleichlautenden Stellen
davon eine Spur sich findet.
Mit S 55 unserer Schrift, welche ohne die Register 201 Sei-
ten zählt, bricht Herr Sehn, ab, ohne auch nur einen üeberblick
der übrigen Kapitel zu geben, und glaubt damit eine erschöpfende
Beurtheilung gegeben zu haben. Dass er die gründliche Erörte-
rung, welche die Schrift überall über den homerischen Sprachge-
brauch giebt, nicht eines Wortes würdigt, versteht sich ganz von
selbst, da er ja zum Loben einmal nicht aufgelegt war. Von In-
conscquenzen und Willkür, die er aufgezeigt haben will, fanden
wir keine Spur, dagegen hat der Beurtheiler selbst die Sache so
wenig gefördert, dass er sie ohne Einsicht in das iMaterial und An-
erkennung des wirklich Geleisteten wieder in Verwirrung gebracht
hat. Doch wenden wir uns von dieser unbesonnenen und unbilli-
gen Beurtheilung zur zweiten der oben angeführten Schriften des
Herrn Pluygers, so ward dieselbe veranlasst durch die Beschäfti-
gung mit der Vorbereitung zu der neuen Ausgabe der Scholien
zum Floraer, welche Cobet nach neuer Vergleichung von Cod. A.
und B. und Entdeckung einer neuen wichtigen Scholiensammlung
zur Odysse in einem Cod. Marcianus veranstaltet; er hatte nämlich
die Absicht hier nachzuweisen, wie sehr die Ausgaben der Scho-
lien von den Handschriften abweichen und welchen Vortheil eine
neue, nach den Handschriften gemachte Ausgabe derselben brin-
gen werde. Omnia huiiis generis conquirere, fährt er fort, et ex-
ponere longum est. üt ostendam, quae volo, nunc quidem animus
est seligere signa critica Aristarchea cum scholiis ad ea pertinen-
tibus, quorura ralionem satis obscuram esse, neminem latet, qui
Signa in editione Villoisoniana versibus appicta cum scholiis com-
paraverit. PI. beginnt mit der Angabe der Bestimmung der einzel-
nen kritischen Zeichen des Aristarch, welche Gelegenheit zu man-
chen nicht unerheblichen Bemerkungen bietet. So hören wir, dass
das Scholion II. p, 639 in der Handschrift schliesst: ULd^avcors-
Qov ÖS tov'Ektoqw k^Tceöslöd^at svösiaeiv^ wo vor kfiTtEoalö^ai
N. Jahrb. /'. Phil. u. Päd. od. Krit. Uibl. /id. LVIII. Hft. 1. 2
lg Griechische Litteratur.
ein dvtl tov ausgefallen sein miiss, wie auch das in den Ausgaben
fehlende Scholion zu II. ju, 126 zeigt: ort fjti Ta5v Tgcöav XfySL
dvTL TOV s^tcböbIv h>0Höai^ was PI. richtig herstellt: ""'Ort snl
T(üv Tgcjcov Xiyw avzl tov s^nsöslö^aL kvöBiCBiv. Im Schol. or,
477: 'H dvaq)OQa dno tijg ar]^Bic66Ba)g ngog zov täv tjuBQCJv
dgi&^ov^ wird djio getilgt. Von Zenodot sagt PI.: Huius editione
in emendandis Homeri carminibus taiiquam fundamento usus fuisse
videtur Aristarchus; sive quod a scribis Alexandriiiis multis exem-
plis propagata in plurirnorum manibus esset, sive aliis de»causis,
quas rectius aestimare possemus, si de Zenodoti et Aristophanis
editionibus pleniorera notitiam haberemus. Zenodot's Ausgabe
war die erste mit Vergleichung vieler zu Alexandria vorhandenen
Handschriften unternommene, welche aus diesem Grunde als Basis
der Kritik diente, bis die aristarchische Ausgabe an ihre Stelle
trat; die Bemerkungen des Aristophanes u. a. hatten jene noch
nicht zu verdrängen vermocht. Dass Aristarch den Vers II. -9^,183
für unächt erklärt habe, beweist, wie PI. bemerkt, der im Cod. A.
ihm vorgesetzte Obelos; aber die Herausgeber haben irrig dem
Anfang des Schollons: Ovöanov "0(ji7]gog die in der Handschrift
fehlenden Worte: 'H öitiIyi^ ort vorgesetzt, wie sie es leider an so
vielen Stellen gethan, wie II. y, 6. f, 746 f., 696. ^, 264. •9, 535.
Ueber die Athetese des Verses vergl. man auch Schol. ^, 191. t,
400. Unter den Gründen, wesshalb Aristarch jenen Vers für un-
ächt erklärte, war auch der, dass die homerischen Heroen sich nur
eines Zweigespanns, nicht eines Viergespanns bedienen. PI. wun-
dert sich mit Unrecht, dass Aristarch tt, 152 — 154. 466 — 475 ge-
duldet habe. Bigarum currus simplici temone erat, sagt er, per-
petuoque et quod utrique equo iniiceretur iugo; tali currui ex utra-
que parte equorum iugalium adiungi poterat equus funalis srapjjo-
Qog\ ab alterutra parte iunctus currum a directo cursu deflecteret
necesse erat. Eandem difficultatem offerre videntur 0^, 80 sqq.,
ob eandem causam non magis Homerici iudicandi, quam <&, 185 et
TT, 11. cc. Wesshalb aber hätte Aristarch an einem Seitenpferde
Anstoss nehmen sollen, da ja ein Dreigespann, wovon das dritte
Pferd ein Seitenpferd war, der Heroenzeit angehört, wie wir es
noch später bei den Römern finden. Vgl. Dion. Antiqu. Rom. VII.
73. Eur. Iph. Andr. 276. Zu Od. «, 97— 101 giebt PI. folgendes
von Cobet entdeckte Scholion: '/4^/3()o' öt a ;ijpi; ösr«: ngoYi^tB-
zovvTO v.0L% Bvia tcjv dvziygcKpcov ot0zixoi,xazd dh zi]v Maööu-
XicoziK^v ovö'fjöav Kalzalg dlrj^Biais iiccXkov dg^oöBLBTcVEg^ov'
IlÖlov yäg dyyBkc} zoLovzoig vnoörj^aöL jjpjjöü^at' nai rj zov öo-
Qog dvdkrjil)Lg ngog ovöbv dvayualov: — blXbzo d' dkKi^iov:
d^Bzovvzat ^Bza dözBgiGTiav <^ özi Iv zy E zrjg'IXLccöog Kcckcog^
welches zum Beweise diene, nova illa scholia Marciana ad Odys-
scam, quamquam ab imperito homine excerpta, eorundem librorum
praeclaras continere reliquias, e quibus profluxit, quidquid sani et
frugi Marcianis ad Iliadera inest. Wir haben hier zwei Schollen,
Pliiygers: De carm. Homer, retractanda editione. 19
von denen das eine, was schon früher bekannt war, aus Äristoni-
kos, das andere aus Didyraos geflossen ist. Das Antisigma und
die Stigme finden wir im Cod. A. nur an zwei Stellen, ^, 188 — 205
und 0", 535 — 541; denn wenn bei Villoison das erstere Zeichen
auch ß, 138. t;, lOi. t, 680 steht, hat hier Villoison irrig die Ab-
kürzung von 6fjfi£icoacci für ein Antisigma gehalten, wie er d'
535 — 537 das Antisigma mit der ömKri verwechselt und die ört-
y^al -9^, 539 — 541 ausgelassen hat. PI. bemerkt bei dieser Gele-
genheit, aus dem Schol. 0^, 535 erhelle, dass der Vers 0^, 540 erst
nach Aristarch's Ausgabe aus v^ 827 eingeschoben sei.
Nachdem PI. die Bestimmung der aristarchischen Zeichen an-
gegeben hat, wendet er sich zur Beantwortung der Frage , welche
Autorität die im Cod. A. erhaltenen Zeichen in Anspruch nehmen
dürfen. Er beweist uns zunächst, dass der Abschreiber des Cod.
Ven. A. die Zeichen aus einer Handschrift, welche einen andern
Text, als der von ihm gewählte war, an dem Rande der Verse be-
zeichnet, sich aber hierbei manche Versehen habe zu Schulden
kommen lassen. Jene Zeichen nun, welche in derjenigen Hand-
schrift, die für den Cod. A. Quelle war, sich vorfanden, hatte einer
nach den Auszügen aus Aristonikos, welche er vorfand, am Rande
des Textes bemerkt. Auf welche Weise sich PI. die Entstehung
der Scholiensamralung in dieser Handschrift erklärt, haben wir
oben gesehen. Dass im Cod. Ä. mehrfach eine Verwechslung der
Zeichen sich findet, welche dem Abschreiber zur Last fällt, wird
an mehreren Beispielen gezeigt. So ist das Zeichen des Abschnit-
tes (?J naQäyQc.(poq) II. «, 29ö mit dem Obelos, II |3, 478 mit dem
Zeichen der Länge des Vocals, der Obelos II. ß, 613. 631 mit dem
Zeichen des Abschnittes verwechselt. Die Worte des Scholions
«, 295, das irrig von den Herausgebern zu V. 296 gezogen wird:
Koivov xb £71 LtsXXeo xal 6 yccg negLöödg 6 s'^rjg dio ßT^gr^trat,
will PI. so herstellen, dass er nach nsgiööög Kolon setzt und die
Worte ovTCJ de yivstai nsQiööog einschiebt. Ich vermuthe: Kai
6 sBfjg ydg TtBQLööog' dio d^iTeltai,, nach der bekannten Verbin-
dung von xal ydg. Durch schlagende Beispiele beweist PI., dass
die Lemmata der Schollen aus einer andern von dem Texte des
Cod. A. verschiedenen Handschrift geflossen und dadurch mehrfache
Irrthümer und ungehörige Zusätze entstanden sind. So ist II. ß,
192 dem altern Lemma: olog voog ^Atgslcovog in der Handschr.
irrig das neue: olog voog 'ArgsLÖao vorgesetzt und 'Azgblcavog
nach iykyganxo eingeschoben, wie der Abschreiber sich ähnliche
EinschiebungeQ auch sonst erlaubte, wo das Lemma mit seiner
Lesart des Textes nicht übereinstimmte. So schob er «, 124 diu
t6 d und v ein (die neuern Herausgeber fügten noch gegen die
Handschr. nov dvvl tov na hinzu), weil er in seinem Texte na
Jas. Aehnlich ist a, 298 öid tov ij^ ov öid xov eö von dem Ab-
schreiber, (jiccxrjöoiJiaL und fia^sGöonat von den Herausgebern hin-
zugefügt, ß, 355 liest die Handschr.: ngiv tlvcc neg' ovra^
2*
2Q Griechische Litteratur.
*AQL(3taQXog 8lcc tov s xal tol vjiofivi^ßava^ wo wieder dtd tov i
Zusatz des Abschreibers ist, wie ovx OLVona «, 350. y^, 4U4 liest
die Handschr. : ßiy' ov Öloc tov r, ßlrjv^ 'AglOTaQxog^ wo PI.
statt ov ovtcjg setzt und die Worte ölo. tov v, ßti^v als Zusalz
des Abschreibers betrachtet, so dass das eigentliche Lemma ßlrjv
gewesen. Aber wahrscheinlich wollte der Abschreiber setzen :
ovTCog öi%a toi; r, /3t|?, ov dta toi) v, ßt't]V, 'Agiöiagiog. ß,
278 hat die Handschr. auf dem inneren Rande: OvTCog 'AgiöTaQ-
Xog TtToklnogQog'f ccXkd ds öid rou f, ovk og^cjg^ auf dem äus-
sern Rande das Scholion: 'JvtöTfj de — ävaKTog. PI. bemerkt
mit Recht, der Zusatz TtToUjtog^og beruhe auf Missverständniss,
'da Aristarch nicht TtToXenog^og^ sondern dvä d' 6 TiToUnog^og
gelesen habe, so dass das Scholion auf die Worte dvd d' 6 gehe,
woher er statt dlkd richtig äkkoL vermuthet. Das Schol. d, 142,
wo öi-^wg ein Zusatz der Herausgeber ist, ist ein Beispiel argen
Missverständnisses. Wenn ich nicht irre, so wollte der Abschrei-
ber: zJtxcög 'Agi6Tag%og^ aal injico (vgl. Schol. d, 171), dviKcög
xal Tckrj^vvTtxdg^ kv 6\ tfj xaTcc 'JgiöToqxxvt] ^ovag övCxag.
PI. glaubt, das vom Abschreiber raissverstandene Scholion habe
gelautet: '^Tättoi': iTincp xal LTtTccov^ bv Ob ttj xut 'Agi6to^)dvrj
LJtna^ wo wir nur vor dem ersten inTiG) den Namen des Aristarch
einschieben möchten. Mit Recht wird bemerkt, wie bedeutsam
die Lemmata für die Kritik seien, und desshalb die Nachlässigkeit
der Herausgeber getadelt, welche dieselben häufig ausgelassen oder
verändert haben, wofür mehrfache Beispiele angeführt werden.
So hat die Handschrift «, 585 im Lemma xtgöl^ nicht x^^Q^i '*»
598 avoxÖH^ nicht olvoxou^ J, 128 ovgavov^ nicht ovgavov^ ^,
248 aZöoi j;ö', nicht atdo/?;s; das Lemma fehlt«, 96. d, 273, welche
Schollen irrig auf a, 94. ö, 251 bezogen werden. Z, 479 enthält
das in den Ausgaben weggelassene Lemma xai tiots TLg gl'jrot die
richtige Lesart; dagegen ist i^, 47 von den Herausgebern irrig das
Lemma hinzugefügt worden, wo die Hdschr. liest: ovrwg 'AgiöTag-
Xog t6 (lies xd), öv'Cxcog. P, 334 ist gar ein ganzer Vers der
Lesart des Zenodot, den die Flerausgeber für ein Lemma hielten,
ausgefallen. Zeuodot las, wie wir jetzt sehen, nach V. 338 noch
den Vers:
*y4fL(pl d' dg C3y,oi6LV ßd?.Bt' dcnlda TBgtjLLOSööav.
Die Handschr. liest irrig T£göav6s66av^ woraus PI. nicht glücklich
^vöuvosööav^ das Beiwort der Aegis ist, statt des näher liegen-
den TigpLiOBööav (II. JE, 803) gemacht hat. Dieser Vers dürfte
als eine willkürliche Einschiebung zu betrachten sein, wie die
ganze Kritik der Stelle y, 334 ff. als willkürlich gelten muss. Zum
Beweise, dass die kritischen Zeichen ursprünglich einem andern
Texte als dem des Cod. A. beigeschrieben gewesen, wird 0, 535 —
541 angeführt, wo die öTLy^ij vor V. 538 — 540 steht, während
offenbar Aristarch, der V. 540 nicht kannte, die Verse 538, 539
und 541 damit bezeichnet hatte.
Pluygers: De carm. Homer, retractaiida editione. 21
Dass die Zeichen des Textes ans den in den Scholien enthal-
tenen Bemerkungen des Aristoiiikos genommen seien, wird da-
durch bewiesen, dass diese Zeichen auch da mit jenen Scholien
übereinstimmen , wo letztere etwas Falsches berichten. So hat
der Vers a, 177 den aör^giöxog^ übereinstimmend mit dem ver-
dorbenen Scholion: 'Jötegiöxog ^ ort tvravd^a og^cog HQTjtai^ kv
ÖS rfj 'Oövööeta ov; aber aus Schol. s, 891 ergiebt sich, dass Ari-
starch jenem Verse den Obelos mit dem ccözegiöKog gegeben
hatte. Das Scholion ist wohl herzustellen: 'AöTegiöxog^ otl av-
rav&a ovx dg&cjg ügritca. iv Ö8 tij E (oder zlio^rjöela) og^cog.
^, 424 hat im Cod. A. den Obelos, wozu das verdorbene Scholion
verleitet hat, welches in der Handschr. lautet: y^lt^ig 'AgiOxdg-
%ov. - 6x1 Tiv\g (ictfov de ist Zusatz der Herausgeber) ygacpovöL
HBt d , 6 a i ^ov ag dlXovg' öio d^stsltcci. Ebenso unglück-
lich als kühn will PI. schreiben :'^'Ort nvsg ygdcpovöt,' nerdlMB^uvo-
vag Al^LOTtfjag ^O^tjog sßrj ^erd öatr , dikoi dh &sol ot snovrac.
Die ersten Worte hat Bergk(vgl. meineSchrift S. 82) richtig herge-
stellt. V^or öio dd^aTBitai sind einigeWorte ausgefallen ; vermuthlich
sagte Aristonikos, aus Vs. 425 sei Vs. 423 i^lxts zu verstehn und Vs.
424 sei überflüssig. Vgl. Schol. «, 295. Eine höchst wichtige,
wenn auch für die Forscher, welche bisher auf die Treue der
Herausgebersich verlassen mussten, sehr bedauerliche Mittheilung
giebt uns PI. S. 7, wenn er bemerkt: Praeter signa eadem manu
versibus appicta, qua et textus et scholiorum maior pars scripta
sunt, alia haud exiguo numero in codice Ven. comparent diversis
recentibusque saepe exarata manibus , ab Äristarcheis signis probe
distinguenda Haec omnia cum antiquis illis signis in Villois.
editione (die bekanntlich allein die Zeichen am Rande hat) per-
mixta sunt, auxitque confusionem scholiorum editor nomina signo-
Tum, in quibus explicandis versetur scholium, ei praeponens, quae
in codice Ven. omitti solent:haud raro in istis additaraentis errans,
aliusque signi nomen scholio addens, quum aliud in codice ante
versura inveniatur, aut ad corruptum scholium signura referens, in-
terdum etiam cum scholio a recenti manu appicto, cui nulla in ex-
quirendis Aristarchi studiis Homericis auctoritas esse potest, scho-
lium coniungens , quod ad antiqua illa signa pertineat. Von den
vielfachen Versehen dieser Art, welche PI. anführt, heben wir
nur einige hervor. E, 906 steht am Rande von der ersten Haud
eine dinkrj^ von der zweiten ein dötägiöKog-, hieraus haben die
Herausgeber die wunderliche Bezeichnung ij ÖLnXrj övv dötegC-
ÖXG3 Tcagitöriy^eva gemacht und dem Scholion vorgesetzt, i^, 6
ist die ÖLTtlri von neuerer Hand; in den Ausgaben ist aber durch
die Worte ?j biTiXii ort das Scholion xai ta ^evco x. t. A. dem Ari-
stonikos zugeschrieben, T*, 447 ist am Rande ein Zeichen von der
zweiten Hand, welches anzeigen soll, dass das von derselben Hand
geschriebene Scholion: ^Ev «AActg o 6Ti%og ovtog ov xslxai^
zu jenem Verse gehören soll-, die Herausgeber aber haben aus
22 Griechische Litteratur.
jenem Zeichen eine dinXrj gemacht und das Scholion auf V. 451
bezogen. Mir ist es wahrscheinlich, dass das Zeichen und das
Scholion zu V. 446 gehören. Zu«, 5')8 hat eine neuere Hand bei-
geschrieben: OvTog 6 öTLXoc; ovx evQ^^r) Iv rq3 TraAatoj, was in den
Ausgaben zu V. 557 sich findet *). Da das Scholion sehr später
Zeit angehört, so bezweifle ich jetzt die Richtigkeit von hv tco
TtaXaLcp in keiner Weise. An vielen Stellen hat eine neuere Hand
an das Ende der Verse einen dötsgiöTcog gesetzt, weichen Villois.
ohne weiteres vor den V-'ers gebracht hat, als ob es ein achtes aristar-
chisches Zeichen wäre; so sind die dozBQLöxoi cc^ 80. 561. 576. ß,
87. 98. 147. 470. 475. 490. y, 3. 36. 414. d, 422 und an vielen
anderen Stellen entstanden. 0, 493 — 496 hatte Aristarch jedem
Verse die öinXij jr^ptEöriy^asi'?^ vorgesetzt , die im Cod. nur vor
V. 493 und vor V. 496 (an der letzteren Stelle hat eine neuere Hand
sie ausradirt) sich findet; die Herausgeber haben, da sie nur die
erstere dinki] beachteten, im Scholion in seltsamer Verkennung
at öinXal mQuöriy^ivai in >} öcnkrj TCBQLeötiy^svr] verwandelt.
ÜT, 388 hat der Cod. richtig, wie das Scholion zu V. 343 zeigt,
den döTSQiöKog mit dem Obelos; bei Villoison aber steht statt des
erstem eine ömkrj^ und dem Scholion sind von den Herausgebern
die Worte rj diTtkrj vorgesetzt.
Eine Anzahl von Schollen, welche in den Ausgaben ganz feh-
len, führt PI. S. 8 an, denen er mehrere Beispiele hinzufügt («,
26. 73. 194. 246. /3, 520), wo die Herausgeber am Anfange das
otL des Aristonikos ausgelassen haben. Vergl. meine Schrift S. 5.
5,8 Iiaben die Ausgaben vor ort irrig noch ein t'öraov, ß, 435 statt
des am Anfang ausgelassenen ort n^chZrjvoöorog ein öh eingefügt.
Zuweilen fehlt die Erklärung der ächten aristarchischen Zei-
chen, welche Villoison von den durch eine neuere Hand beige-
schriebenen nicht unterschieden hat, auch in der Handschr. , was
im ersten Buche der Ilias nach PI. an folgenden Stellen der Fall
ist: V. 52 (wo sich vom Scholion nur das Schlusswort hngcDöKS
erhalten hat). 58 (wo PI. mit Recht, wie ich bereits S. 7 gethan,
eine Verwechslung der öinXi] nBQiBöTiy^evr] mit der einfachen
ÖLTtki] annimmt). 200. 203 (wo er richtig statt ort ovvag schreibt,
80 dass das Scholion dem Didymos gehört). 305. 323. 338. 425.
459. 493. Dass der Obelos zu V. 493 von neuerer Hand ist, erse-
hen wir jetzt aus PI., wodurch, sollte diesen Zeichen von neuerer
Hand gar keine Autorität zuzuschreiben sein, alle Schwierigkeit
w egfällt , welche dieser Obelos bisher gemacht hat. Vgl. meine
Schrift S. 196. Zu Od. y , 453 theilt PI. gelegentlich das bisher
unbekannte Scholion mit: (AvsXovzsg:) tJ atsga tcjv 'AQiöxaQxov
dvlöxovteg dvtl xov fiizeaQLöavtag' ölo örj^aiovraL cog öta-
*) Sollte derjenige, der diese Bemerkung machte, etwa eine ältere
Handschrift, welcher auch die aristarchischen Zeichen beigeschrieben wa-
ren, verglichen haben?
Pluygers: De carm. Homer, retractanda editione. 23
q)OQn td tr^g LdQovQylag. Von Scliolien, welche zur Erklärung
der Zeichen dienen, haben die flerausgeber im ersten Buche der
Ih'as fiinf weggelassen, nämlich V. 39. 111. 222. 420. 523; an drei
anderen Stellen wird das ort des Aristonikos, welches die Hdschr.
bieten, in den Ausgaben vermisst, nämlich V. 8. 16. 219. Dass in
der Handschr. so viele Stellen sich finden, wo die kritischen Zei-
chen fehlen, aufweiche die Scholien sich beziehen, erklärt sich
nicht allein daraus, dass, wie PI. richtig bemerkt, sie in der älte-
sten Handschr., welcher die Zeichen beigeschrieben waren, durch
Versehen fehlten, vielmehr müssen wir einen grossen Theil der
Schuld auch dem Abschreiber zur Last legen, der viele Zeichen
übersah, wie er an anderen Orten verschiedene verwechselte.
Nur über einen Punkt hätten wir von PI. noch genauere
Auskunft gewünscht, nämlich über die von neuerer Hand beige-
fügten Zeichen. Diese können doch unmöglich ganz aufs Gera-
thewohl beigeschrieben sein *). Sind diese Zeichen nun aus den
Scholien erschlossen oder beruhen sie etwa auf der Vergleichung
mit eii»er andern , ebenfalls mit kritischen Zeichen versehenen
Handschrift*? Villoison selbst spricht ja noch von einem andern
mit kritischen Zeichen versehenen Codex (Prolegg. p. XIV.). Wäre
das Letztere der Fall, so würde auch jenen von neuerer Hand bei-
gefügten Zeicficn ein höherer Werth beizulegen sein. Hierüber
wünschten wir von Herrn PI. weitere Belehrung, wie sie nur aus
genauer Kenntniss der Stelleo, wo die neuere Hand solche Zeichen
beigefügt hat, gegeben werden kann.
Zum Schlüsse kommt PI. nochmal auf die Naclilässigkeit der
bisherigen Herausgeber der Scholien zu sprechen. Wir setzen
die betreffende Stelle, welche zu sehr traurigen Betrachtungen
veranlasst, wörtlich hieher: Ne virum , cuius merita in litteras
praedicari solent, cahimniari falsisque criminationibus insimulare
videar, utque simul appareat omuium, qui has litteras colunt, quam
plurimum Interesse, ut retractetur scholiorum Venetorum edi-
tio, paucis ostendere volo ex editione Imm. Bekkeri , non
tantum Aristoniceorum scholiorum accuratam notitiam compa-
rari non posse , quod allatis documentis mihi satis comprobasse
videor, sed in ceteris quoque scholiis tradendis ita saepe a
Cod. A. discedere eiiisdem recensionem^ ut ^ nisi ipse moneret
hiiius Hbri scholia a se edi^ alium ante oculos euin habuisse di-
ceres. Exempla non raalitiose conquiram, sed ut scse mihi scholia
percurrenti oblatura sunt, worauf denn ein unerfreuliches Sünden-
register folgt**). Im ersten Buche derllias allein hat Bekker mehr
als zehn Scholien dem Cod. A. zugeschrieben, die sich in ihm nicht
*) Auch das oben erwähnte Ausradiren eines Zeichens kann nicht auf
reiner Willkür beruhen.
**) Proben homev. Scholien aus Cod. Ven. B. in ihrer wahren Ge-
stalt hat ganz neuerdings E. Mehler gegeben im „Rhein. Museum" VII^ 145£F.
24 Griechische Litteratur.
finden, won:egen er an etwa zwanzig Stellen solche, die sicli im
Cod. A. finden, als aus anderen Handschriften genommen angiebt.
Dass bei einer solchen INachlässigkeit die LJntersucliung über die
verschiedenen Scholienhandschriften misslich sein muss, liegt nur
zu sehr auf der Hand. Häufig hat Bekker ein Scholion in mehrere
irrig zerlegt oder zwei oder mehrere Scholien zu einem verbun-
den. So hat er ß, 196 die Scholien des Äristonikos und Didymos
aneinander geschoben, indem er statt ort Zrjvodoxog bloss og
schrieb. B , 789 hat die Handschr. drei verschiedene Scholien,
welche von Bekker ineinander geschoben und in Verwirrung ge-
bracht worden sind; sie lauten in der Hdschr.: 'Og^yjv ovvcog^
cjg ZndQxyjv. iv r} Wiov. ''ÖQ&rjv^ cog Undgtrjv^ 'HkavTjv
ÖS, cog KOQCovrjV. AbvktJv ovtcjg o^vtovcDg' snL^stLxojg yäg
xkzaKxai. J, ^70 hat Bekker das zweite Scholion durch den Vor-
satz Koi Ott verdorben, wie er r]. 41 das Scholion des Äristonikos
durch sein schlechtes xal mit dem des Didymos verbunden hat.
In ähnlicher Weise hat er cp, 73 statt ygacpixai geschrieben
alKoi und das Scholion mit dem vorhergehenden verbunden.
Zusätze hat sich Bekker nicht selten erlaubt; dahin gehören a,
129 xQiövkkdßcog nach 'JgiöxaQxog^ a^ 304 cv 7j (.lairjöa^ievcD^ a,
324 elov^ccL ij, a, 434 Zijvööoxog vfpavxsg^ ß, 76 das nal nach
d/CTc6, ß, 163 dvxL xov ftST«, wo die Handschr. richtig liest: Ov-
Tcjg Kaxd k ad v öv^cpcövag ccnaöai sliov , ß, 717 ygcccpsi 'OAt-
Joji'a, ß, 808 die Worte aitpa da — ekvö\ ^, 59 xivtg da ygd-
q)0v<3i (jpgpg t , ?;, 16 ^ dmlr] oxl^ wo das Scholion ort kvvxo £t-
Tiov dvxl xov ekvxrrjöav, ganz fehlt rj^ 185 ygäfpazai Ttal dnrivr}-
vato ^ worüber PI. bemerkt : Vocabulum dTtrjvijvavxo in textii
macula ohscuratum erat; in margine rescriptum est djtrjvrjvavxo
tertio V satis evanido. Hinc natum ineptum scholium. Auch sind
einzelne Worte und ganze Scholien nicht selten ausgelassen. Wir
führen hiervon, um Grösseres zu übergehen, nur Folgendes an.
r", 326: T6 ij%i xoglg xov i o'AQLöxotQXog. E^ 89: 'AgiöraQXog
Bsg fjikvai^ was als Lesart des Aristarch noch nicht bekannt war.
E^ 227 : OvTCjg 'Aglöxagxog djtoß^öG (lai did xov d. E^ 259 :
Ovxag ii y ovv^id rov y 'Agiöxagxog' sl dr] sxsgog avxcov cpvyy.
Häufig hat Bekker die Scholien falsch bezogen, wie a, 572
(578). ö, 196 (206). ^, 123(128). Auch hat er zuweilen den Text
durch falsche Aenderungen entstellt. So hat die Handschr. a, 14
dvxl xov svLKcSg kkyaiv ^ of, 22 xov ^ogcoväcog ncxidog (nicht xov
^tog), a, 129 f/Lt£ yavsö&aL (statt gAsvöeö^ßt), a, 277 /7>;A£td^'-
^sA', a, 459 dnoßkeitcov ta (d. i. dnoßXaitovxa^ wo Bekker diio-
ßlaTtovxsg giebt), y, 150 aövvaXrjTCXcjg (d. i. döwakeiTCtcog ^ wo
Bekker dövvdnxog)^ ;«, 431 Ttegl rilimag (Bekker nagl KikiKiag^
was sehr irreführend ist). A , 567 lesen wir bei Bekker to z/io'g
(to öv'i'üov C?)), aber to 8v'iyibv steht wirklich in der Handschr.
z/, 2(9 giebt Bekker: 6vvri^cov (6vvrjai.Uvcov1)^ wo die Hand-
schrift richtig öw^ircov hat. Auch in den Stellen, welche die
Orelli et Ritter : C. Corn. Taciti opera etc. 25
Schollen aus anderen Schriftstellern anführen, ist Bekker nicht ge-
nau. So hat die Handschrift a, 6 im Bruchsti'icke der Kypria xov-
(piöai nafißcoroga yalrig ayd-ganav gmiöcci ts noXk^ov^ a, 98
im Bruchsti'ick des Kallimachos Jlörjnoi (lies y^lö^TioLo) ^ nicht
Jli6ri%ov^ ß, 2 in dem Verse des Simonides ^'dvfiov, nicht ridv-
/uog, /3, 496 im Verse des Hesiod BoLCJtiTjg^ wie bei Eusthatios.
Selbst die Lesarten der Grammatiker giebt Bekker nicht immer
richtig an. So giebt die Handschrift g, 132 trjv^ nicht rrjv y, t,
23 7tQ06Bq)r}^ nicht ^etscpr] ^ als Lesart des Zenodot, wodurch un-
ser S 147 f. gegen diese erhobener Einwand wegfällt. Aristarch
schrieb £, 104 der Handschrift zufolge avöxi^ösö'&aL, nicht äv
6x}]öeö^aL^ 7], Sb^ BKVtXseöifcci^ %v (die Handschr. hat tVa) aV,
nicht ly.xhXk^6%\ H, 198 lautet die Variante in der Handschr. ovbk
TS (nicht xi) IdQBLij, -&, 401 reTsksöfxsvov sötai, nicht tersleö^e-
vov eöTiV. iV, 363 hat Bekker bei der Angabe der argolischen
Handschr. zu 'Exdßrig v6&ov ohne weiteres vtov iovza hinzu-
gefügt.
Wir scheiden von Herrn PI. mit grossem Danke für die viel-
fache Belehrung, welche wir besonders aus der zweiten seiner
Abhandlungen geschöpft haben, und mit dem Wunsche, dass bald
die versprochene neue Ausgabe der Schollen zur Ilias uns eine
feste Grundlage der Kritik bieten möge, wie wir sie so lau'^e Zeit
über bei Viiloison und Bekker zu besitzen glaubten. Ohne Zwei-
fel werden in dieser auch die kritischen Zeichen berücksichti*rt
werden, und hoffen wir, dass wir auch die von neuerer Hand bei-
geschriebenen, natürlich in strenger Unterscheidung von den Zei-
chen der ersten Hand, hier überall angegeben finden werden.
H. Dünt^er,
C. Cornelii Tacili opera quae snpersunt ad fidem codicum Mediceorum
ab lo. G. Baitero denuo excussorum ceterorumque optimorum libro-
rum recensuit atque interpretatus est lo. Caspar OreUius, Vol. II.
Tiirici sumptibus Orellii, Fuesslini et sociorum. 1848.
Cornelii T'aciti operu. Ad Codices antiquos exacta et emendata com-
mentario critico et exegetico illustrata edidit Franciscus Ritter
Westfalus, Professor Bonnensis. Vol. HI. et IV. 1848. Cantabrigiae.
Z w e i t e 1^ A r t i 1c e l.
Mehrere der bisher behandelten Stellen hat Or. mit Kreuzen
bezeichnet, und es würde in der That um die Historien des Tac.
sehr gut stehen, wenn alle übrigen verdorbenen Stellen als mit
Sicherheit schon von Andern verbessert betrachtet werden dürf-
ten. Allein unter den nicht mit Kreuzen versehenen finden sich
nicht wenige, die eben so bedenklich, ja zum Theil noch unge-
wisser sind, als die von Or. als noch unverbessert bezeichneten.
Wir betracliten von der nicht unbedeutenden Zahl derselben
26 Lateinische Litteratur,
nur einige. So ist 1,2: optis adgredior opimtnn casibus^ alrox
proeliis von beiden Herausgebern beibehalten. Da aber im M. sich
findet: opibus casibus^ so fehlt dem opimiim der neueren codd.,
welches sich sonst schwerlich so gebraucht findet, eine sichere
Grundlage. Wie Ilorat. Carm. 2, 1, 6 periculosae plenum opus
aleac in einer ganz ähnlichen Situation sagt, so ist auch das ple-
7iuin des Guelf. nicht ganz zu verschmähen. Sollte die Silbe op
m opibus acht und nicht durch opus entstanden sein, so ist viel-
leicht oppletuui verdrängt worden. — 1, 7 lesen Beide: et inviso
setnel principe — facta premunt. Jain adferebaiU etc. Die treff-
liche, zum Theil auch von Ileinisch schon gefundene Verbesse-
rung Bezzenberger's: inviso s.p?incipi — porem invidiam adfe-
rebant. Venalia etc., durch welche alle Schwierigkeiten besei-
tigt werden, hat Hr. II. in der Anmerkung nur erwähnt. — 1, 31
lesen Beide: ut turbidis rebus evenit ^ forte magis et niillo adhuc
consilio parat signa ^ quam quod (R. ut) postea creditum est^
insidiis et simulatione. Ref. scheint die Zusetzung von quam
ebenso bedenklich als die Annahme, dass die Cohorte sich zu-
fallig sollte bewaffnet haben, wozu sie doch aufgefordert waren.
In dieser Beziehung ist Freinsheim's Conjectur more magis vor-
zuziehen, wenn nicht in eventi eine Andeutung liegt, dass die
Soldaten den Erfolg haben abwarten wollen, die Worte aber, die
Tac. gebraucht, verdunkelt sind. Statt der Zusetzung von quam
rieth Kiessling wo« statt vor ullo vor quod zu setzen, was sich
kaum rechtfertigen lässt, da doch auch nullo gelesen werden
müsste. Vielleicht ist quod allein ausreichend, wenn ergänzt
wird: factum esse, s. Döderlein's Prolegomena p. XXXVl. — 1,31
haben Beide: Illyrici exercitus electi Celsum ingestis pilis pro-
turbant. Allein auf diese Weise, sollte man glauben, müsste
Ceisus eher verwundet oder getödtet, als weggetrieben sein. Die
handschriftl. Lesart festumincestis scheint durch die Umstellung
einiger Buchstaben entstanden, und, wie schon Andere vorge-
schlagen haben, auf Cehwn injestis hinzudeuten. Bald darauf
hat M. spiratio, worin vielleicht st qua ratio liegt. — Die ver-
dorbene Stelle 1, 37 : plus rapuit Icelus , quam quod Polyciti et
yatini et Aegialii perierunt liest Or. nach Guelf. et — parave-
rtint^ aber Aegiali statt Aegialii; Hr. R., der seine frühere An-
sicht aufgegeben: et Helü perditum iverunt^ ohne dieses weiter
zu erklären. Auch Ref. war auf pcrdiderunt gekommen , glaubt
aber, dass corripuerunt dem Gedanken angemessener sei. — 1, 43
hat M.: a Galba custodiaeta PisJjuis additus. Beide Herausge-
ber schreiben : custodiae Pisonis. Vielleicht ist in den beiden
übergangenen Buchstaben ta eine Andeutung von causa (cä)
und zu lesen: custodiae causa Pisoui additus. 1, 58 liest Or.
noch partim simulatione. obgleich Jacob schon längst das richtige
raro hergestellt hat; auch Hr. R. hat dieses aufgenommen; nicht
so die treffende Conjectur Döderlein's, der statt statis vorschlägt
Orelli u. Ritter: C. Corn. Taciti opera etc. 27
sedatis. Die verdorbene Stelle 1,71 schreibt Or. : nee Otho
quasi ignosceret , sed ne hostes metueret concüiationis adhibens^
mit einem Kreuze vor hostes; Hr. R. nach seiner Conjectur: sed
ne hostis metiiui reconcüiationi adkiberet, der Sinn aber, den fr
in diese Worte legen will: ,,urn nicht Besorgniss vor einem Feinde
mit der Aussöhnung bestehen zu lassen**'' ist so dunkel und unver-
ständlich, und adhiberet geht so weit von den codd. ab, dass man
billig Bedenken trägt, das Verfahren des Herausgebers, der diese
Worte in den Text gesetzt hat, zu billigen. Ref. vermuthete,
dass, da a, b. A. hoslem bieten, za lesen sei: ne kostem se (Otho-
nem) metueret (Celsus) coticiliationis adhibens (s. Jacob S. 18),
glaubt jedoch, dass auch in den letzten Worten noch ein Feliler
liege. 1, 83 haben Beide: si, nbi iubeantur ; Stürenburg ver-
muthct: s/, siciibi iubeantur ; es könnte indess vor iubeantur auch
(jtiae ausgefallen sein. 1, 87 liest Or.: Oscus — comitatus^ was,
wie Jacob gezeigt hat, nicht als richtig betrachtet werden kann;
eben so wenig aber inditus^ die Conjectur des Hrn. R., da sie sich
zu weit von den codd. entfernt. 1, 89 haben die codd. multi af-
fiictaflde (oder fides) in pace ac si turbatis rebus alacres^ Beide
tilgen SI, während schon ^ um die Gleichheit der Glieder herzu-
stellen, zu afflicta fide in pace ein Prädicat gefordert wird, wei-
ches wahrscheinlich in ac si verdorben ist.
Ob 2, 1 prosperae Fespasiani res in a. b. sich finden, wäh-
rend diese Worte in den übrigen codd. fehlen, ist von Hrn. Baitcr
nicht bemerkt; sollten sie auch in diesen codd. nicht stehen, so
ht prosperae res ^ wie auch Pfitzner wollte, oder prosperae pa-
// 16 yes wahrscheinlicher. — 2, 8 ist, weil im M. multi steht,
eher: multi — erecti zu leseli, erectis entstand durch nominis.
2, 10 ist die von Or. unternommene Vertheidigung der Conjectur
des Rhenanus: id senatusconsultum varie iactatum^ et prout po-
iens vel inops reus inciderat^ infirmiim aut validiim. ad hoc ter-
roris, nicht ausreichend, denn was er gegen Walther geltend
macht, dass dessen Conjectur wegen inlirmura nicht statt haben
könnte, das gilt auch gegen die von ihm aufgenommene Lesart,
da ein senatusconsultum infirmum Niemand schrecken kann, wozu
noch kommt, ;dass retinebatur, so nackt liingestellt, überflüssig
erscheint. Ref. betrachtet die Verbesserung von Acidalius reti-
nebalur adhuc terrori^ wenn nicht retineba?it zu lesen ist, als die
angemessenste, indem so die Macht zu schrecken nicht dem Se-
natsbeschlusse, sondern den Senatoren, wenn sie durch denselben
schrecken wollten, beigelegt wird. Hr.R liest nach Beroaldus: or/
hoc terrore et proprio vi. — Dass 2, 18 die Worte providentiam
ducis laudari getilgt werden müssen, ist klar, die grammatischen
Schwierigkeiten zeigt Madvig Opp. II. p. 218. — 2, 31 hat M : Vi-
iellius ventre et gula sibi inhostus ; Or. und R. lesen nach Victo-
rius sibi inhonestus^ obgleich, wie auch Or. einräumt, dadurch
der Gegensatz zu exitiosior reipublicae verdunkelt wird. Ref.
28 Lateinische Litteratur.
vermutliete: sibimet hostis^ s. Ann. 1, 44; 4, 10; Hist. 2, 7; 2,98;
3, 73 etc. Sehr unwahrscheinlich ist 2, 32: senatumqae et po-
vnlum mtnquam obscura nomina^ etsi aliqiiando obumbrentur^
da im M. etf'am^ nicht etsi steht. Ref. verrauthet daher ut iam —
obscurentur, s. Hist. 2, 37; Hand Tursell. 3, 140 f. — 2, 86 hat
Hr. R. mit Recht die iirspriingiiche Lesart abrtiptis (Or. liest ab-
replis) hergestellt, da die Schiffe durch Balken an einander ge-
fügt, durch Baue befestigt waren und von den Germanen zurück-
gehalten wurden , so dass von einem raptim abducere nicht die
Rede sein konnte. 2, 41 ist in etastriclis mucrornbits vielleicht
ea destrictis ni. verdorben. 2. 43 schreibt Gr., obgleich der cod.
f'arenus Jlfenus hat, wie auch 2, 29; 3, 36. 55. 61; 4, 11, Alfe-
nins . indess ist zu bezweifeln, dass dieses Verfahren durch seine
Bemerkung zu Hör. Sat. 1, 3, 100 hinreichend begriindet ist. An
11. St. spricht schon das verdorbene Vareims dafür, dass auch Al-
fejius zu lesen sei. 2, 7ö hat M. spJendidior ; worin, da dieses
bedetitet splettdidioriis. vielleicht liegt splendidiore is origifie.
2, 80 schliessen sich Beide an Gron. an und lesen: tantae muta-
tionis. während zu caligo nichts angemessener zu sein scheint, als
tai2tae aUihtdijiis. — 3, 3 schreiben Beide: volgus et ceteri —
laudibiis fene7it^ allein im M. steht volgus et cetera und ceteri
neben volgus ist auch von Hru. R nicht genVigend erklärt; viel-
leicht ist volgus ceterinn^ s. 2, 45, zu lesen oder ein anderes At-
tribut (credulnm'?) verdorben. Was 3, 6 im M. steht: relictum
Altini praesidiinn adversiis classis Ravennatis deutet darauf hin,
dass ein Substantiv, etwa coepla^ ausgefallen sei, Or. und R. ha-
ben classem Ravennatem beibehalten. — 3, 10 ist vielleicht
procul inde visi^ indem inde auf adversa frons bezogen würde, zu
lesen. Eben so ist wohl 3, 21 in cui iuncta in a laevo eine Ver-
bindnngspartikel enthalten, die dem fol<renden mox, inde ent-
spricht. 3, 24 liegt die im cod. Ryckii gegebene Verbesserung
der Worte: currari sumpsissent ^ nämlich cur nam resumpsissent^
näher, als cur rursum sumpsissent^ wie beide Herausgeber bei-
behalten. Derselbe cod. hat 3, 47 das von Döderlein als Conjec-
tur aufgestellte vetustam civitatem^ was allerdings nicht unwaiir-
scheinlicli ist. Schwer ist es zu glauben, dass Tac. 3, 66: quin,,
ut censuram patris ^ ut tres cotisulatus^ ut tot egregiae domus
honores deceret , desperatione sattem in audaciam accingeretur^
was beide Herren beibehalten, geschrieben habe; denn der Ge-
danke könnte kein anderer sein, als der, es zieme sich für einen
Mann, der aus einer so vornehmen Familie stamme, sich durch
Verzweifelung bestimmen zu lassen, während nach der ganzen
Anlage der Stelle die edleren Motive in den Worten: ut censuram
etc. liegen müssen. Dazu liest M. nicht deceret^ sondern dege-
/"e^, was am einfachsten in neglegeret verbessert wird, was der
cod. des Ryckius hat und von diesem und Acidalius gebilligt
wird. Bczzenberger schlägt dedecoret vor. Dass kurz vorher
Orelli u. Ritter: C. Corn. Taciti opera etc. 29
eä9ibus duhiis eben so unsicher sei, als 1, 2 opimum casibus, geht
daraus hervor, dass im M. captis diebus gelesen wird. Ob ti, 8t»
pairia Uli Luceria , wie beide Herausgeber aufgenommen haben,
als richtig betrachtet werden könne, muss jedenfalls zweifelhaft
bleiben, da M. patrem Uli luceria bietet. Bis zu Oberlin wurde
nach den späteren codd. pater illi L. Vitellius gelesen, und weder
Victorius noch Ryckius haben etwas über eine Abweichung im JVJ.
bemerkt. Wenn man nun beachtet, dass fast überall in solchen
Epilogen neben dem Vaterlande auch der Vater des Besprochenen
erwähnt wird, s. 2, 50; 4, 5; 1, 48; 3, 75 u. a., so liegt die Ver-
muthung nahe, dass auch hier pater richtig und vielleicht etwas
ausgefallen sei: patrem .... habuit patriam Luceriam. — 4, 5
lesen Beide: non ^ ut plerique ^ ut nomine — velaret^ während im
M. das zweite ut fehlt und leichter durch qui oder quo ersetzt
wird. Auch sapientium ist bald darauf nicht ohne Wahrschein-
lichkeit von Döderlein hergestellt. — 4, 12 ist die Conjectur
Walch's: simulque insulam iuxta sitam von beiden Herausgebern
gebilligt, obgleich der wichtigste Grund, der für dieselbe ange-
führt wird, dass nur so die Lage der durch extrema Galliae ange-
deuteten Gegend erkannt werde, nicht stichhaltig ist, da an der-
selben die genaueren Bestimmungen : quam mare Oceanus a fronte^
Rhenus amnis tergum ac latera circumluit nicht zweifeln lässt.
Heinisch vermuthete inde vocitaiani , was sich jedoch mehr an
die neueren codd., als an die Lesart des M. insula iuuata sitan an-
schliesst. In der letzteren dürfte, wie es auch von früheren Kri-
tikern, s. Ryckius, angenommen wurde, eher der Name der hisel
selbst liegen. — 4, 25 steht im M. pleraeque civilates adversus
nos arma spe libertatis^ Or. u. R. schreiben nach der Vulgata: ar-
matae; vielleicht ist aber wegen spe das Verbum cepeie oder
sumpsere ausgefallen. Dass 4, 26 ductus Voculae exercitus nä-
her liegt als das von Beiden gebilligte a Vocula^ ist kaum zu ver-
kennen, wenn anders eine Veränderung nöthig ist, s. Fickert zu
Sen, Clem. 1, 24. — 4, 35 schreiben Beide: desertos se — que-
rebautur ^ während im M. desertosque sich findet, welches auch
den Ausfall eines zweiten Particips: desertos se proditosque an-
deuten könnte. — 4, 55 bietet M. Sabinus — gloria incendebut^
was, wenn man erwägt, wie oft im M. ä noch neben der Linie für
m steht, am einfachsten in Sabiuum — incendebut verbessert
wird. Or. und R. haben incendebatur beibehalten. — 4, CO hat
M. tutn pacti praedam casirorum dat custodes qui — reteuta-
rent at qui ipsos leves abeuntes prosequerentur. Or. und Hr. R.
schreiben /joc^ws, es könnte auch ;;ac^is gelesen werden: nachdem
siedle Bedingung, dass sie die Beute übergeben sollten, ange-
nommen hatten, s. Periz. zu Liv. 38, 9, 9. Fabri zu 21, 6, 11.
Ob ac qui (Or.) oder et qui, was nicht erst Hr. R., sondern schon
der cod. des Ryckius hat, oder atque zu lesen sei, ist schwer zu
entscheiden. Die gegen leves erhobenen Bedenken scheint Or.
30 Lateinische Litteratur.
nicht ^eniigend beseitigt zu haben, s. Heiniscli, der nicht unwaljr-
scheinh'ch Novaesititn vermuthet. — 4, 79, wo im M. integre que
ete cauchis gelesen wird, ist vielleicht integra^ fjiwe de Chaucis
zu schreiben, s. Hand. Turs. II. S. 200. — 5, 1 steht im M. atque
ipse ut siiperioriunam crederetur^ decorum se promptumque in
armis ostendebat^ comitate et adloquiis officia provocaus; Or.
und R. lesen super fortunam, aber jener erklärt: superior esse ea
fortuna, quam in solito rerum cursu exspectare poterat. Allein
wie dieser Sinn in jenen Worten liegen könne, ist eben so wenig
nachgewiesen, als wie, was schon Kyckius bemerkt, das, was Ti-
tus nach dem Folgenden thut, die Ansicht habe erwecken kön-
nen, dass er in dem angenommenen Sinne super fortunam sei.
Angemessener, aber auch nicht sicher, ist die Erklärung Hm. R.'s:
qui CO adiumento (fortuna) neque uti neque egere videretor. Ref.
vermuthete: stiper invidiain oder superior invidia: er zeigte sich
herablassend , stellte sich den Soldaten gleich und erschien da-
durch über allen Neid erhaben, s. Agr. 8: extra invidiara nee ex-
tra gloriam erat.
Es würde zu weit führen, wenn wir alle Stellen, an denen
die Bemühungen der Kritiker noch zu keinem genügenden Resul-
tate geführt haben, aufzählen wollten ; wir brechen daher ab, um
über die kritische Behandlung der drei lileineren Schriften Einiges
wenigstens hinzuzufügen. Was zunächst die Germania betrifft, so
konnte es keinem Zweifel unterliegen, dass, wie es von beiden
Herausgebern geschehen, der durch Tross bekannt gewordene
cod. des Perizonius, s. diese Jahrbb. 33. S. 57 ff., bei der Gestal-
tung des Textes zu Grunde gelegt werden müsse. Hr. R. hat
denselben nochmals genauer verglichen, und diese Collation, s.
Vol. II. p. XII, auch Or. benutzt, aber zuweilen die Lesarten des-
selben nicht genau genug angegeben. Die übrigen codd. sind nur
bisweilen, auch hier mehr von Hrn. R. angeführt, von den Aus-
gaben hat Or. nur die von Gerlach, Bekker, Grimm gewöhnlich
angeführt, Hr. R. keine besonders berücksichtigt. Dass beide
Herausgeber den P. gewissenhaft benutzt haben, lässt sich nicht
verkennen, wenn man auch an einzelnen Stellen ihrem Verfahren
nicht ganz beistimmen kann. So schreibt Or. c. 2: Tuisconem^
obgleich von c keine Spur im P. sich zeigt und, wenn einmal von
der handschriftl. Lesart abgegangen werden soll (Hr. R. hat nach
derselben Tristonem geschrieben), Tuitonem oder Tiutonem nä-
her lag, 8. Hattemer Ueber Ursprung des Wortes Teutsch S. 3.
Pott Etymol. Forschungen 2, 522. Grimm Gesch. der deutschen
Sprache S. 791, der aber die handschr. Lesart nicht genug beach-
tet hat. Mit Recht scheint dann von Or. Herminones geschrieben
zu sein, Hr. R. hat Hermiones aufgenommen. Warum bald dar-
auf Vandiiiüs von Or. vorgezogen wird, da P. Vandalios^ was
Hr. R. beibehält, darbietet, ist nicht abzusehen, s. Grimm a. a. 0.
OrelH u. Ritter: C. Com. Taciti opera etc. 31
S. 475 ff. Die vielbesprochene Stelle: ceterum Germaniae vo-
cabulum schreibt Or. nach den codd. und ändert nur ut nunc was
R. aufgenommen, in ac nunc. Für die Erklärung ist von Beiden
etwas Neues nicht mitgetheilt, Hr. Ritter scheint sich der frühe-
ren Ansicht J. Grimm's, s, Deutsche Grammatik 3. Ausg. I. p. 10 ff
zuzuneigen, welche dieser selbst jetzt aufgegeben hat, s. Gesch.
der deutsch. Sprache S. 785 ff. — C. '6 hat Ör. baritum beibehalten
Hr. R. den ganzen Satz quem — vocant als eine Glosse einge-
klammert, ohne jedoch zu erklären, wie dieselbe entstanden sei.
Derselbe liest c. 4 nullis aliarum nationum connubiis mfectos
und entfernt oliis^ was allerdings in der von Or. angenommenen
Weise: nullis omnino aliarum nicht vertheidigt werden kann. Da
die Germanen so viele verscliiedene Nationen zu ihren Nachbarn
hatten, soll vielleicht ausgedrückt werden, dass sie mit keiner
derselben in dem Verhältnisse des connubium standen, so dass zu
lesen und zu erklären wäre: nullis^ aliis aliarum^ connubiis^ mit
keinem Volke, so dass die Einen mit diesem, die Anderen mit
jenem das conn. gehabt hätten, waren sie in dieser Weise in Ver-
bindung. Dass Rudolfus Fuldensis aliis nicht hat, wie Hr. R. be-
merkt, kann hier nicht entscheiden, da er nicht genau die Worte
des Tac. wiedergiebt. — Cap. 6 hat Or. mit Recht in irnmensi/m
geschrieben ; dass Tac. auch bei der Angabe des Zieles in aus-
lasse, ist von Hrn. R. nicht nachgewiesen. Zweifelhaft kann es
sein, ob plura mit Recht statt pluraque geschrieben ist. Lieber
^ieframea ist jetzt zu vergleichen Grimm Gesch. der d. Sprache
S. 514 ff. — Cap. 7 schreibt Or.: unde feminarum ululatus au-
diri^ während Hr. R. audiri einklammert. So wenig sich dieses
jechtfertigen lässt, da Herr Ritter keinen Grund angegeben hat,
wie ein Glossem in dieser Form habe entstehen können, so wenig
ist Or.'s Vertheidigung der Lesart klar und entschieden. Hr. R.
erkennt im Agric. 34 den Infinitiv an, unter Verhältnissen, die
von den vorliegenden, da in beiden Fällen der Infin. im Neben-
satze stellt, nicht wesentlich verschieden sind, aber a. u. St. will
er denselben nicht gelten lassen, während Döderlein Proleg. p.
LIII., wo aber Dial. 30 entfernt werden muss, denselben in Schutz
nimmt; dasselbe geschieht von Haase zu Reisig S. 782. Da aber
die Fälle, wo der Infin. von Verhältnissen gebraucht wird, die in
der Gegenwart des Sprechenden noch dauern, sehr selten sind, so
dürfte es eben so gewagt sein, denselben unbedingt zu verwerfen,
als es unpassend ist, diesen Gebrauch als infin. historicus zu be-
zeichnen. — Cap. 9 schreibt Or. Herculem ac Martern concessis
animalibus placant ^ obgleich im P. sich findet: Martern c. a. p.
et Herculem. Hr. R. hat die beiden letzten Worte aus dem Texte
gestossen, was sich eher rechtfertigen Hesse, wenn fest stände,
welchen Gott oder Heros Tac. unter Hercules verstanden habe,
lind eine Veranlassung dieses Glossems angegeben werden könnte.
— Cap. 11 hat Or. mit Recht pertractentur aus P. beibehalten.
32 Lateinische Litteratur.
Hr. R. aus dem Farnes, das sonst ungebräuchliche praetracteniur
auf'^enommen , was auch aus dem Grunde niciit nothwendig scheint.,
weil es vorher heisst : quorum penes plebem arbitrium est, und
sich daraus von selbst ergiebt, dass die Berathung der principe«
vorausgehen müsse. — Cap. 15 hat Or. non multum beibehalten
und es genügend, wie es scheint, gerechtfertigt, Hr. R. 720/2 ge-
tilgt. Dass der Letztere sed et aus P. beibehält, während Or. et
entfernt, wird man nur billigen können. — Cap. 16 ist von Hrn.
Vi. qtiippe aufgenommen, obgleich die codd. quia bieten, allein
die Gründe, die er anführt, dürften schwerlich ausreichen, da
suffugium etc. nicht sowohl den Grund als den Zweck bezeichnen,
der erstere in dem Satze mit quia etc. hinzugefügt wird. — Cap. 18
hat Or. übersehen, dass im P. ac propinqiii^ niclit et prop. sich
findet, so wie umgekehrt, dass er c. ^7 nicht ac Papirio, sondern
et Papirio bietet. Die schwierige Stelle Cap. 19 : publicatae enini
pudicitiae iiulLa venia wird von Or. mit Stillschweigen übergangen,
Hr. R. hilft durch die Annahme einer Lücke. Dass aber die
schlechten Sitten der Römer, wie Döderlein und Andere bemerkt
Itaben. in den angeführten, wie in den folgenden Worten vergli-
chen werden, dürfte Hr. R. nicht mit ausreichenden Gründen ge-
läugnet haben , und dass Tac. Ann. 2, 85 wenigstens Vergleichungs-
punkte an die Hand gebe, wenn auch dort die Worte „actamen
raaritos inveniebant *'• nicht stehen, dürfte sich schwerlich in
Zweifel ziehen lassen. Dagegen hat Hr. R, nee anciUis aut nu^
iricibus aufgenommen, s. Hand Turs. L p, 543 ff., Or. ac nulri
beibehalten. In demselben Cap. hat Or. ohne Grund tatnquam
[iij geschrieben, da nach Hrn. R. im P. tanquam et l animnm ge-
lesen wird , was für tamqiiam etiam animuin stehen kann. Die
schwierigen Worte Cap. 21: viclus inter hospiles comis nimmt
Or. in Schutz, obgleich die Art, wie er dieselben vertheldigt,
etwas künstlich und der Gegensat« zum Folgenden, der stattfinden
soll, da mehrere Gedanken dazwischen stehen, nicht zulässig \s\.
Die Worte sind dem vorhergehenden monstrator hospitii et co-
mes zu ähnlich , als dass man nicht auf die Vermuthung kommen
sollte, sie ständen mit denselben in irgend einer Verbindung.
Dieses hat auch Bezzenberger erkannt, wenn auch die Art, wie
er die Stelle zu verbessern sucht: monstrator hospiti victus et co-
vies nicht als sicher betrachtet werden kann. — Cap. 25 schreibt
Gr. vielleicht durch Versehen impune statt impnne est. — Cap. 2<>
hat Or. agri — ab uniiersis in vices occnpantur ^ während P. in
viceni hat, was sich wohl vertheidigen lässt, s. diese Jahrbb.
Bd. 33. S. 70. Grimm Gesch. der deutschen Sprache S. 491 f.
Hr. R. hat seine Conjectur ifi vicos in den Text aufgenommen, aber
den Worten einen solchen Sinn untergelegt, dass die angeführten
Stellen keine Beweiskraft haben. — Cap. 27 liest derselbe richtig
obsetvant^ da observalur aus crementur entstanden scheint; eben
so ist summus auctor ^ wie Hr. R. schreibt, jedenfalls dem von
Orelli u. Ritter : C. Corn. Taciti opera etc. 33
Or. beibehaltenen s. autorum vorzuziehen. — Cap. 28 schreibt
Or. richtig: ab Osts Germanorum natione^ der Sinn sclieint durch
die Kürze der Darstellung etwas verdunkelt und die Worte-G'ey-
rnanoriim notione ^ die von utrura hätten abhängen sollen, in Ap-
position zu Osi gesetzt zu sein: es ist ungevviss, ob die Aravisker
vor den Ösen nach Pannonien gezogen und diese eine deutsche
Nation seien. Hr. R. , der dieselbe Ansicht zu theilen scheint,
hat dennoch nach seiner Conjectur Germanorum natio geschrieben.
Um nicht von den ganz verworrenen Wortstellung zu reden, wer-
den so die Aravisker, die in Pannonien wohnen, denn über den
Sitz dieser Völkerschaft ist Tac. nicht in Zweifel, zu einem deut-
schen Volke, wenn auch nach Hrn. R. nur muthraaasslich. Dass
Cap. 30 Romanae disciplinae von Or. anerkannt ist, wird man nur
billigen, da, wenn ratio ^ was auch Hr. R. beibehalten hat, das
Richtige wäre, alles Vorhergehende von der ratio disciplinae aus-
geschlossen sein raüsste. Warum Cap. 31 von Beiden gegen P.
Usipii geschrieben wird, ist nicht klar, eben so wenig dürfte durch
Hist. 2, 5 entschieden werden, dass c. 35 ac si statt et si zu lesen
sei, wie Or. anzunehmen scheint. — Cap. 37 war kein Grund
rursus pulst [inde] zu schreiben, wie es von Or. geschehen ist,
da P. nicht inde^ sondern J bietet, inde vor pulsus setzt, wie es
Hr. R. mit Kecht aufgenommen hat. — Cap. 38 ist über quam
von derselben Hand vis gesetzt, also kein Grund quainquam zu
schreiben, wie es Or. gethan. Bald darauf hat Hr. R. richtig: in
ipso vertice, Or. in ipso solo vertice^ obgleich gerade P. zeigt,
wie diese Tautologie entstanden sei. — Cap. 40 ist jetzt die schöne
Vermuthung Grimm's a. a. 0. S. 500 Juthones statt Nuithones
zu lesen, beachtenswerth. Hr. R. h^t Nurtones geschrieben.
Ob bald darauf mit demselben Ertham zu schreiben und so die
schwierige Stelle auf das leichteste aufzuklären sei, ist noch sehr
z>iveifelhaft. Die codd. sind dagegen und Hr. R. kann nicht ge-
nügend nachweisen, wie Ertham in Neithum oder Nerthura über-
gegangen sei. Es wäre dieser der einzige Göttername, den Tac.
in seiner deutschen Form genannt hätte, obgleich sich der ent-
sprechende römische Name von selbst darbot. Ob die Form selbst,
die er aufgenommen , als die älteste betrachtet werden könne,
werden Andere untersuchen, s. Diefenbach Vergleichendes Wör-»
terbuch der gothischen Sprache I. S. 22; aber unerklärlich ist es,
wie er Nerthum „infelicem J. Griinmii coniecturam ""^ nennen
kann. — Cap. 42 schreibt Hr. R, Varisti^ Or. Narisci^ obgleich
kein Grund daist, die handschr. Lesart Naristi zu verlassen, J.
Grimm a. a. 0. S. 505. — Cap. 43 ist iugumque mit Recht von
Beiden entfernt. Vorher war wohl Goiini zu schreiben, s. Grimm
S. 483. 439. Ob bald darauf IS ahanarvalos ^ was Or. aufgenom-
men, ein Schreibfehler oder der richtige Name sei, ist schwer
zu entscheiden. — Cap. 45 hat Or., ohne dieses genauer zu be-
gründen , emergentis ausgestossen , während es Hr. R. mit Recht
JS, Juhrb. f. Phil. u. Päd. od, Krit. ßibl. ßd, LVIH, Hft. 1. 3
34 Lateinische Litteratur.
in Schutz nimmt; es scheint sich einfach an in ortnm dural anzu-
schliessen und nicht sowohl darauf anzukommen , dass diese Ge-
benden in Osten, sondern dass sie im hohen Norden liegen, s.
Affr. c. 12. Eben so hat er sudant ^ was jedoch auf nemora iu-
cosque bezogen werden kann , mit Ueclit aus P. u. Farnes, auf-
genommen, Or. sudanlur behalten. — Cap. 46 schreibt Or. -pro-
cerum connubiis inixlis etc. ; Hr. R. nach P. procerum Cunmibiis
mixti. Indess sieht man nicht, warum zu procerum gesetzt sein
sollte omnium, und mistos^ die ursprüngliche Lesart im P., zeigt,
dass noch irgend ein Verderbniss in der Stelle liegen müsse.
Für keine Schrift des Tac. ist wohl in der neuesten Zeit so
viel geleistet worden, als für die vlta Agricolae. Für die kriti-
sche Behandlung des Textes ist das Bedeutendste von Wex ge-
schehen, an den sich Ilr. Or. anschliesst und einräumt, dass erst,
wenn der vollständige Apparat desselben mitgetheilt sei, eine mehr
genügende kritische Ausgabe geliefert werden könne ; FIr. R. geht
in einem wichtigen Punkte von Wex ab, indem er an der Ansicht
festhält, dass Puteolanus einen besonderen cod benutzt habe, für
die er jedoch nur zwei Stellen beibringt, die schwerlich entschei-
den können. Wir betrachten, um das V^erfahren der beiden Her-
ausgeber zu zeigen, nur einige Stellen. Die besonders in neuerer
Zeit, s. Herzog Observatt. partic. X. und XIII., Gernhard Epi-
Stola ad Herzogium, Vimariae 1838 u. a., vielbesprochene Stelle
Cap. 2 liest Or. nach den codd. quam iion peiissQin^ incusatu-
rus^ und dieses dürfte immer noch das einfachste und sicherste
sein, wie sich auch Bezzenberger und Hoegg dafür entschieden
haben, wenn auch die Erklärung, die sie geben, noch manchem
Zweifel unterliegen mag. Hr. R. schreibt: incursaturus^ aber
seine Deutung dieses Wortes : ,,non fuit animus talem veniam pe-
tere, quo ipso saevum Domitiani animum in me irritassem et ho-
minem virtutibus infestum graviter offendissem'- trägt so viel in
das Wort hinein, dass man schon desshalb an der Richtigkeit der
Lesart zweifeln muss. — Cap. 4 ist von Beiden JuUi mit Recht
entfernt worden. — Cap. 5 nimmt Or. intersepii in Schutz; da
aber in der That ein grosser Theil des Heeres in die Gewalt des
Feindes gekommen war, so ist intercepti.^ wie Hr. R. liest, wohl
vorzuziehen. Im folgenden Capitel schreiben Beide: idem prae-
iMAae /ewoA nach Rhenanus' Conjectur, allein die handschr. Les-
art certior dürfte schwerlich auf diese Weise richtig verbessert
sein, eben so wenig aber durch Bezzenberger's Vorschlag secre-
tum. Die folgenden Worte schreibt Or. nach Vat. A: Ludos et
inania honoris medio Talionis et abundanliae dujcil,^ ohne sich
auf eine genauere Vertheidigung der schwierigen Construction, s.
Herzog und Foss Altenburger Programm von 1837. S. 8 ff., einzu-
lassen. Und in der That wird medio nur durcli den folgenden
Zusatz: uli longe etc. empfohlen. Hr. R. schreibt: moderatioms
atque abundanliae wie Böttichcr; doch stehen sich so moderatio
Orelli u. Ritter: C. Corn. Taciti opera etc. 35
lind abuiidantia nicht passend entgegen , und Hr. R. will auch nur
an modus, qui e moderatione proficiscitur, gedacht wissen. Ref.
schien immer media das Angemessenste, s. Schneider Caes. b. g.
3, 34, 1. Vell. 2, 114, 3. Auf diese Weise würde auch am ein-
faclisten das ausgedruckt, was schon Cicero in solchen Dingen
fordert, die mediocritas, und es ist zu verwundern, dass man nocli
nicht versucht, statt mediorationis zu schreiben mediocrilalis.
Bald darauf schreibt Or. nach den codd. diligentissima conquisi-
tione fecil ne ciiius (dterius sacrilegium res publica quam Ne^
ronis sensisset^ und erklärt mit Weber: „er verhütete, dass von
dem Staate kein anderer Tempelraub als von Seiten INero's fühl-
bar geblieben , d. h. er wirkte, dass von der Vergangenheit her
auf Niemanden der Verdaclit des Terapelraubes lasten blieb."
Allein Ref. gesteht nicht einzusehen, wie diese beiden Erklärungen
dasselbe sagen sollen, wie die diligentissima conquisitio das Re-
sultat gehabt haben könne, dass sich gezeigt, es sei von Niemand
als von Nero ein Tempelraub begangen worden. AUerdirjgs ist
die Construction selten, indess finden sich doch einige ähnliche
Beispiele, s. Liv. 30, 10: tabulas instravit, ut perviura ordinem
fecisset; Plin. Paneg. 40, 4 fecisti ne malos principes habuissemus
(die von Döderl. angeführten Stellen dürften anderer Art sein),
von denen namentlich die letztere der unsrigen entspricht. Tac.
scheint, wie im Indicat., so hier auch im Conj., das Plusquamperf.
nur zu brauchen, um anzudeuten , dass der durch das Verbum be-
zeichnete Zustand gänzlich abgethan, vollständig beseitigt sei:
durch die sorgfältigste Nachsuchung bewirkte Agricola, dass man
durchaus nichts mehr vermisste, als was Nero geraubt hatte. Es
ist daher immer bedenklich, mit Hrn. R. statt sensisset zu schrei-
ben senserit^ da sich auch nicht erklären lässt, wie jenes statt des
letzteren habe gesetzt werden können. — Cap. 9 liest Or. : pro-
vinciae Aquitaniae praeposuit^ splendidae inprimis dig7iitatis
adminislratione ac spe cofisulafus ^ cui destijiarat^ ohne genauer
die Schwierigkeiten der Stelle, s. Pfitzner Krit. Bemerkungen zu
Tac. Agr., Halm Beiträge S. 25 , zu würdigen. Hr. R. schreibt
nach seiner Conjectur: dignitati^ welches auch zugleich das Subj.
zu desiinarat sein soll. So wenig sich das letztere grammatisch
und logisch rechtfertigen lässt, so auffallend bleibt es, wenn die
dignilas als Apposition der provincia selbst erscheint und wie
dieses von praeposuit abhängen soll. Dass bald darauf die tref-
fenden Gedanken: integritatem atque abstineiitiam in tanto virn
referre iniuria virtutum fuerit ein Glossem sei, wie Hr. R. glaubt,
davon dürfte er schwerlich durch die schwachen Gründe, die er
anführt, Viele überzeugen. Weit eher wird man ihm beistimmen,
wenn er bald darauf: egregiae iam spei statt e. tum sp. in den
Text aufnimmt. Die Stelle Cap. 10: dispecta est et Thule quam
hactenus iussum et hiems abdebat erklärt Or. für verdorben, ohne
einen Versuch zu machen, sie zu verbessern. Zwei Vorschläge
3*
36 Lateinische Litteratur.
stehen sich ziemlich gieicli , der ron Bezzenber^er: quum harte-
Tifis iussum, und von Hrn. K. : ?iaffi haclenus iusaiim; nur ist
schwer zu glauben, dass beim Äbsegehi der Flotte schon der Be-
fehl gegeben sei , nur so weit zu schiffen, dass man Thule er-
blicken könne. Ref. möchte daher vermuthen: natn haclenus
Visum ^ man hielt es fiir passend, nur so weit zu gehen, sich damit
zu begnügen, dass man Tliule gesehen hatte, weil auch der Win-
ter herannahte. Kurz vorher hat Hr. R. mit Recht in Universum
aufgenommen, wofür die codd. sprechen, Or. nach der Randbe-
merkung des Ä. uniiersis^ was kaum den Sinn haben kann .,uni-
versae insulae'", den er darin findet. — Cap. 11 schreibt Or. ha-
bitasse ^ Hr. R. occupasse; da im A. nur hitasse sich findet und
dieses Ä/ aus /y/6e/ OS entstanden sein dürfte, so ist es sehr un-
sicher, was Tac. eigentlich geschrieben habe. — Cap. 12 haben
die meisten Kritiker erkannt, dass bei patiens ein Begriff fehle,
besonders ist die Steigerung patie?is fiugum^ fecundum nicht aa
ihrem Platze, Hr. R. setzt arhorum vor patiens ein; Ref. vermu-
thete nach Germ. 5 patiens frugiferarum aiboruni^ fiugum fe-
cundum^ weil sich so leichter der Ausfall erklärt. — Cap. 13 be-
zeichnet Or. auctoritate operis mit einem Kreuze. Hr. R. schreibt
auctor op.^ schwerlich mit Recht, eine der beiden Conjectureii
iierati oder tanti verdiente jedenfalls Beachtung. — Cap. 15 hat
derselbe alterius centuriones alterius setvos im Texte und ent-
fernt ?nanus^ was, wenn auch in ma?ium verdorben, die codd. dar^
bieten. Wenn dieses eine passende Erklärung zulässt, wie Od.
Müller gezeigt hat, so wird es schwer halten, sich durch die pa-
läographischen Erörterungen, die Hr. R. hier wie so oft anstellt,
obgleich selten durch dieselben etwas entschieden werden kann,
zur Entfernung des Wortes bestimmen zu lassen. Dass Cap. 16
durch die von Or. aufgenommerje Conjectur von Wex : 7ii quaui-
quam der Stelle aufgeholfen sei, scheint sehr zweifelhaft, denn
was in Parenthese gesetzt ist, hängt so eng mit dem Uebrigen zu-
sammen, dass es kaum getrennt werden kann; dann ist auch der
Gedanke nicht klar, indem der Satz patientiae restituit auf zwei-
fache Weise, durch tenentibus etc., dann wieder durch ni — con-
suleret beschränkt wird. Da we, wie in den codd. steht, einen
passenden Sinn giebt, so ist, wie auch schon längst erkannt ist, der
Fehler in igitur zu suchen. Hr. R. hat die handschr. Lesart bei-
behalten, aber die gegen dieselbe erhobenen Bedenken nicht be-
seitigt. — Cap. 17 schreibt Or. nach seiner Conjectur obruisset^
sed sustinuit^ die sich zu weit von den codd. obruisset sustinuit-
que entfernt; Hr. R. erkennt eine Lücke an, was durch das que
wahrscheinlich wird; doch ist vielleicht nur ein Wort ausgefallen,
etwa: subiit sustinuitque molem etc. Indess kann que auch aus
famamque entstanden sein. — Cap. 18 nimmt Or. uieretur in
Schutz, ohne die Gründe, die für vei terentur ^ was Hr. R, mit
Recht billigt, sprechen , g. JNissen zu der St., genug zu würdigen.
Orelli u. Ritter: C. Corn. Taciti 0])era etc. 37
Dass bald darauf die Worte: ut in duhiis consitiis nicht so leicht
seien, wie es Or. erschienen ist (Hr. R. übergeht sie ganz mit
Stillschweigen), ist von Halm gezeigt worden, s. Zeitschr. f. Al-
terthnmsw. 1848. S. 725. Vielleicht sind dieselben so zu schi'iz-
zen , dass der allgemeine Gedanke: wie bei zweifelhaften Unter-
nehmungen nicht Alles vorher bestimmt wird, nicht alle Anord-
nungen getroffen werden, hinzugenommen wird. Noch weniger
genügt die künstliche Erklärung der Worte Cap. 19: iion slndiis
privatis nee ex cominendatione mit precibus ceniuriones juilites
nescire^ die Or. in folgenden Worten giebt: propter amirorum
coramendationem aut preces ipse nescire, quäle esset centurionum
vel militura Ingenium, quid reapse praestare possent, sed propter
illas aliorum iiitercessiones huic vel illi nirais tribuere, durch wel-
che dem Schriftsteller eine so gesuchte Ausdrucksweise aufge-
drungen wird, wie sie sich sonst schwerlich findet. Dazu kommt,
dass das sogleich folgende omnia scire sich nicht wohl mit jenem
nescire vereinigen lässt. Hr. R. hat mit Recht ascire aufgenom-
men. ISicht besser steht es um die Erklärung der Worte: ac lu'
dere preiio cogebant?/r: licitando inter se praeter nccessitatem
quasi per ludibrium fruraenti pretium augere, da das ludibrium,
wie es eben gesagt ist, jedenfalls auf Seiten der Römer war und
der Zwang gewiss das Spiel entfernt hielt Indess diirfte Hrn.
R.'s Versuch der Stelle zu helfen noch weniger gelungen sein ; er
Jiest nämlich nach seiner Conjectur: ac colludere preiio ^ was den
Sinn haben soll: colludere pretio coguntur eo, quod nonnulli dolo
malo pro frumento magnam summam licentur, ad id inducti, ut
ceteri idem pretium numerare cogantur, dem Wortsinne nach aber nur
heissen würde: die Britannier wurden gezwungen mit einander
gemeinschaftliche Sache zu machen, sich im Geheimen zu ver-
ständigen , um Andere zu i'ibervortheilen, oder sich selbst Vor-
theile zu verschaffen, wobei man immer noch sieht, was pretio
bedeuten solle. Durch beide Versuche ist vendere wenigstens
noch nicht iinnöthig geworden. Wie aber hier und im Folgenden
der Gedanke nur in Geirensätzen fortschreitet, so müssen auch die
Worte: donec qnod omnibus in promptu erat, paucis lucrosmn
ßeret in gegenseitiger Beziehung stehen; der Sinn scheint zu sein:
die Belästigungen wurden so weit getrieben, dass, was Jeder ohne
Schaden und Verlust mit Leichtigkeit hätte entrichten, leisten
können, iur Wenige vortheilhaft wurde. Or. hat die Schwierig-
keit der Stelle, die Halm a. a. O. S. 7*26 auf andere Weise aufge-
fasst hat, kaum angedeutet. Kurz vorher liest Hr. R. prodimae
statt pro.vimis^ wozu ein Grund gar nicht vorliegt, da proximis
hibernis schon heissen würde: obgleich das Winterlager in der
JNähe. Dass aber pro nach Halm und Bezzenberger zu lesen sei,
hat der Erstere a. a. 0. nachgewiesen. — Cap. 20 wird quo minus
mit Recht nach Roth, s. auch Haase zu Reisigs Vorlesungen
Anra, 490, erklärt, während Schneider im Coburger Programm von
38 Lateinische Litteratur.
1847 den Sinn in der Stelle findet: er hielt die Feinde immer
in besor;2:ter Spannung, um nicht durch plötzh'che Erhebungen zu
plötzlichen Streifzügen gezwungen zu werden; wobei jedoch über-
sehen ist. dass nihil qnietnm yati etwas anderes ist, als in Span-
nung halten, und von dem eingeschobenen immer bei Tac. sich
keine Spur findet. Am Ende des Cap. liest Or. nach der Conjec-
tur von Wex: et miUa ante Biilanniae nova pars. Inlacessita
traiisiit; eben so Hr. R., der nur vor ut das leicht entbehrliche
hahilae zusetzt. Sollte etwas fehlen, so möchte Ref. vorschlagen:
7it nidla — nova pars pariter iliacessita transierit. Sequens — .
Die schwierigen VVorte Cap. 22: crebrae ervptiones werden von
Or. mit Stillschweigen übergangen, auch Hr. R. geht rasch über
die Schwierigkeiten hinweg, s. Schneider a. a. O. S. 29. Bald
darauf hat üöderlein mit grosser Wahrscheinlichkeit secretum^ ut
silentium geschrieben; Or. und selbst Hr. R. haben et sil. beibe-
halten. — Cap. 24 erklärt Or. nave prima mit Walch und Roth,
ohne nachzuweisen, warum darauf, dass die Soldaten zu Schiffe
jetzt zum ersten Male übergesetzt werden (dass die Flotte erst
im folgenden Jahre an den Operationen Theii genommen, sehen
"wir aus Cap. 25), so grosse Bedeutung gelegt werde. Noch mehr
gilt dieses, wenn nach Hrn. R. nave prima bedeuten soll: in na-
vium agmine — primus ipse legatus fuit. Wenn nicht vere primo
zu lesen ist, so muss wenigstens, obgleich dieses Nissen als einen
zu poetischen Ausdruck verwirft, der Sinn in den Worten liegen:
sobald die Schifffahrt wieder möglich war. — Die höchst schwie-
rige Stelle Cap. 25: fama — oppugnasse uUro, castella adorti
erklärt Or. so, dass er, unbekümmert um die g^gQy\ diese Auffas-
sung geltend gemachten Gründe, oppugnasse von famam abhängig
macht und zu castella adorti bemerkt: cum castella quidem ad-
orti essent (berannt hatten), non tarnen cepissent, sed mox in
fines regressi essent, ohne zu beachten, dass, wenn die Caledonier
sich in ihre Heimath zurückgezogen hätten, das Folgende uner-
klärlich wäre. Alle Versuche, der Stelle aufzuhelfen (Hr. R. will
die Worte entfernen), namentlich die von Döderlein und Schnei-
der vorgenommene Versetzung vor regrediendumqiie^ so dass nach
des Letzteren Ansicht auch oppugnasse nitro von admonebant ab-
hinge, dadurch aber etwas sich von selbst Verstehendes mit be-
sonderem Gewichte vorangestellt würde, scheinen nicht alle Be-
denken beseitigt zu haben. Ref. vermisst einen Gedanken wie
opposila nitro castella adorti. — Cap. 27 wird at Britanni — arte
ducis rati von Or. für verdorben erklärt, Hr. R. schreibt at Brit.
— arte ducis superati ^ ein Gedanke, dem die Schilderung des
Kampfes in Cap. 26 widerspricht. Schneider S. 12 ff. will zu rali
nur id ergänzen, was sich dann auf den ganzen vorhergehenden
Gedanken: prospera omnes sibi vindicant, adversa uni imputantur
beziehen müsste, aber auch, nur auf den er^ten Gedanken bezogen,
Dicht bedeuten kann: prospera ils (Romanis) vindicanda, oder,
Orelli u. Ritter: C. Corn. Taciti opera etc. 39
wenn dieses in den Worten Iäg:e, den Caledoniern einen ihnen
fremden Gedanken unterschieben würde. Ref. glaubt noch immer,
dass durch eliidi se rati am einfachsten die Schwierigkeiten ent-
fernt werden. Auch Cap. 28 wird: mox ad aquam atque ul illa
raplis se cum von Or. mit einem Kreuze bezeichnet. Hr. R.
schreibt nach seiner Conjectur: ob aquam atque ulensüia separa-
tio cum etc., in der nicht nur utensilia^ sondern noch mehr sepa-
rati auffallen muss. Dass später ein Theil von Sueven, andere
von den Friesen gefangen werden, lässt sich leicht auf andere
Weise erklären, auch müsste Hr. R. annehmen, dass die Entflo-
henen immer wegen des Wassers und der utensilia getrennt ge-
wesen seien. Endlich sieht man nicht, wie sie wegen dieser Tren-
nung mit den Britanniern in Kampf gekommen sein sollen. I)e»n
Gedanken nach wenigstens scheinen die Conjecturen von Bezzen-
berger u. Heinisch näher zu liegen. — Cap. 30 wird die Erklärung von
famae als Dativ nicht durch neue Gründe von Or. unterstützt, die
Auffassung als Genitiv wird durch die Erörterung Nissen's empfoh-
len, nur hat man nicht an eine Personification der faraa zu deiiken.
Verfehlt ist jedenfalls die Yermuthung Seyffert's im Progr. von
Kreuznach 184r), dass sinus fani zu lesen sei. Um so wahr-
scheinlicher ijit Cap. 31 die auch von Ritter aufgenommene Con-
jectur desselben: ageret annus in fritmenium. Die Worte Cp. 80:
atque oiiine ignotum pro inagnißco est werden von Hrn. R. durch
Klammern beseitigt, während sie Or. und Döderlein als durch sich
selbst klar mit Stillschweigen übergehen. Nissen scheint die
Stelle richtig aufgefasst zu haben. — Cap. 32 hat auch Hr. R.
nicht mit Döderlein circum von spectantes getrennt, worauf schon
die codd. hinführen. — Auch Cap. 34 hat derselbe die treffliche
Conjectur Bezzenberger's, auf die zum Theil schon Heiiiisch,
Glazer Progr. 1840. S 9, gekommen war, keiner Beachtung wertli
gehalten, obgleich, weim man derselben folgt, uovissimi haesere
et edtremo metu ac torpore dejirere aciem liest, fast alle Schwie-
rigkeiten der Stelle gehoben werden. Für die Schilderung der
Schlacht und die Aufhellung mehrerer Schwierigkeiten in dersel-
ben ist von Or. wenig geschehen ; Hr. R. muss , wie fast immer
bei schwierigen Stellen, ein Glossem annehmen, indem er fugere
covinarii einklammert, dann mit grosser Confidenz die turmae
equitum iür römische Reiterei erklärt , obgleich Schneider, Pro-
gramm von Coburg 1848, mit grosser Klarheit nachweist, dass es
nur die Caledonische gewesen sein könne, da die Römische
erst später in das Gefecht kommt. Noch bedenklicher ist, dass
Hr. R. die covinarii für die pedites, clientes aurigarum hält, ohne
einen Beweis beizubringen, dass also von den Wagenkämpfern der
Caledonier in der ganzen Schilderung der Schlacht nicht die Rede
ist. Auch die Worte media canipi covinaviiis eques etc. hat Hr.
R. nicht genug erörtert, von deren Auffassung die Erklärung des
Folgenden zum grossen Theile abhängt. Er hat et zwischen co-
40 Lateinisobe LItteratur.
vin. und cques entfernt, aber dadurch nicht bewiesen, dass die
Britamiier keine Heiter geliabt haben. Nicht unwahrscheinlich
rermuihei 'Schneider eguesgue. Weiterhin schreibt Hr. R.: mi-
mnieqiie eqiiestris iom png/we facies erat^ wonach man gegen
die ganze Darstelhing annelimen rnüsste, dass vorher ein Reiter-
treffen beschrieben worden wäre, während nur die Fusstruppen
gekämpft und die Reiter sich unter sie gemischt hatten. Schnei-
der, der dieses erkannte, liest: iamque equestris ea nunc pu^nae
fcicies eiat^ was wegen des iam — 7iunc schon schwerlich richtig
ist. Eben so schwierig sind die Worte: recentem ierrorem intu-
lerant^ da es nicht mit Schneider auf den Schrecken, welchen
die römischen Cohorten verbreitet hatten, bezogen werden kann,
weil, wenn hostium im folgenden Satze, wie es kaum anders sein
kann, auf die Caledonier geht, im vorhergehenden nothwendii: ein
anderes Object da sein niuss Eher erwartet man einen Gedanken
wie: 1 epentinuni terrorem (Romanis) intulerant. Die schwie-
rigen Worte aegra diu mit stantes verbessert Hr. R. : e gradu
mtt «/o//^es und bezieht dieses auf die römischen Cohorten, die
Tac. vorher als siegreich den Hügel ersteigend geschildert hatte,
um dann die bedrängte Lage der Caledonier zu schildern, die, von
den Feinden geworfen, auch von ihren eigenen Wagenkämpfern
in Verwirrung gebracht werden. Auch dürften schon in paläo-
graphischer Beziehung andere Conjecturen vorzuziehen sein. —
Cap. 37 sieht man nicht, warum Or. collecti vor primos gestellt
hat, Hr. R. liest nach seiner Conjectur: inde primos sequentiiim
incautos collecti et locorum gnari^ circumveniehant ; gnari^ wo-
für Or. ignaros hat, gewiss mit Recht; aber inde ist wolil nur ein
Flickwort, und nicht unpassend vermuthet Halm: idenlidem. —
Cap. 41 ist et vor constantiam wohl eher weggefallen, als von
einem Abschreiber zugesetzt, aber von beiden Herausgebern ent-
fernt. Die Lücke nacli eorum ist von Riegler und Halm besser
auszufüllen gesucht worden als von früheren Kritikern, die Hr.
R. anführt. — Cap. 43 entscheidet Or. nicht, ob die Worte: nihil
nobis comperii etc. als unverdorben zu betrachten seien; Hr. R.
hat ^z/orfre zugesetzt. Jedenfalls ist etwas ausgefallen, und die
künstlichen Erklärungen der handschriftlichen Lesart, namentlich
die von Schneider S. 6, werden schwerlich Jemanden befriedigen.
Mit Recht weist dieser dagegen nach, dass Cap. 44: nam sicitti
diuare in hac beatissimi saeculi luce ac principem Traianum
videre qiiod augnrio votisque apud nostras aures ominabatur^
ita festinatae mortis gründe solutium tiilit etc. im ersten Satze
ein Gedanke wie der im cod. Ursin., den Or. hier nicht einmal
erwähnt, zugesetzte, entweder gedacht oder beigefügt werden
müsse. Wenn er aber zn solutium tulit ergänzen will nobis ^ so
steht dem schon entgegen, dass ominabatur und tulit gleiches
Subject haben muss , und dass im Folgenden: tu vero felix — op-
portunitate mortis gerade durch unsere Stelle begründet ist, die
I
OiellJ u. Ritter: C. Com. Taciti opera etc. 41
also bezeichnen muss, dass fi'ir Agricola selbst ein Trost bei sei-
nem friilien Tode stattgefunden habe. Hr. R. hat qiiod in quou-
riöm verwandelt, wozu, wenn der Hauptgedanke ergänzt wird,
nichts nötliigt. — Cap. 45 ist Or. und R. mit Unrecht von der
handschriftlichen Lesart: co77z;;/oro^?/s abgegangen, die wenigstens
um nichts schlechter ist als die Randlesart des A. composilus.
— Audi Cap. 46 ist schwer zu glauben, dass admiratione te po-
tiiis quam temporalibus laudibus den codd. näher stehe als po-
tius et immortalibus^ wofür Hr. R. te immortalibus setzt, ob-
gleich der Nachdruck schon nach der Wortstellung auf admiratione
liegt. Eben so wenig ist wohl ein schlagender Grund vorhanden,
decoremiis mit decorabimiis nach Hrn. R. zu vertauschen, da
jenes von dem handschriftlichen decoramiis nicht weiter als dieses
entfernt ist und in Rücksicht auf den Gedanken den Vorzug ver-
dient. Auch im Folgenden, wo Hr. R. faciemque ac ßguram
liest, während im M. famamque ac figiiram steht, wird man ihm
schwerlich beistimmen können. Die Stelle Ann. 14, 8 muss ganz
anders, als es Hr. R. annimmt, verbessert werden; dann ist faciem
weniger angemessen (s. Cic. OfF. 1, 5, 14: formam et ianqnam
faciem honesti vides), und formam^ was bis jetzt für richtig er-
kannt wurde, steht der handschr. Lesart famam gewiss näher als
das von Hrn. R. aufgenommen e/or/e/n.
Dass in dem Dialogiis de oratoribus der Codex des Perizo-
nius die sicherste Quelle des Textes sei, ist von beiden Heraus-
gebern anerkannt worden, nnd namentlich hat Or. sich in dieser
Schrift strenger an denselben gehalten, als in den beiden vorher-
gehenden Büchern an die besseren Handschriften, während Hr.
R. auch hier mancher Conjectur etwas voreilig eine Stelle ira
Texte gegeben hat. Der Neapol. hätte vielleicht mehr Rücksicht
verdient, als ihm zu Theil geworden ist. So ist Cap. 1 wenigstens
zweifelhaft, ob nicht cum besser fehle, s. diese Jahrbb. Bd. 33.
S. 47. Dass Or. bald darauf vel easdem als verdorben bezeichnet,
nicht sie, wie Hr. R., geradezu entfernt, wird man nur billigen
können. Eben so, dass er Cap. "3 ipsum quem beibehalten, nicht
wie Hr. R. ipsumque quem mit Haupt geschrieben hat, s. diese
Jahrbb. Bd. 33, 49. Liv. 2, 46 euntem — versautem. Nägels-
bach Anmerkung zur llias p. 280 ff. Bald darauf ist nicht sicher,
ob leges zu schreiben und tu ohne Weiteres zu entfernen sei. —
Cap, 5 liest Or. cognitionibus e.TCusei , scheint aber gegen se
nichts als den unangenehmen Klang geltend zu machen. Hr. R.
hat mit Recht se aufgenommen. Ueber die Worte opud vos ar-
gnam gehen Beide stillschwelgend weg, Hr. R. bemerkt nur, dass
vos Conjectur sei statt eos. Ref. verrauthete apud te coarguam.
Dass es Hrn. R. bald darauf gelungen sei /erws statt /er«^ als noth-
w endig darzustellen, möchten wir sehr bezweifeln, wenigstens
ist semper eben so wenig Viberflüssig als perpetua vor potentia.
— Cap. 6 schreiben Beide quod gaudium; in dem id^ welches die
42 Lateinische Litteratur. *
codd. haben, lieget vielleicht eine Verbindungspartikel. Bald dar-
auf lesen Beide: veteies et senes ^ wo aber die Conjectur Flaupt's
Observatt. critt. p. 21 : veleres et senalores Beachtung verdiente.
— Cap. 7 bezeiclinet Or. tum habere^ quod^ si non in alio orilur
als verdorben, hätte aber dann auch nicht abi're schreiben sollen.
Hr. R. liest nach seiner Conjectur: quoci si non i?i aliquo orilur^
was wir für zu unbestimmt und farblos halten, s. diese Jahrbb. 33,
64. Sillig vermuthet nicht unpassend: in numine aliqiio. Für
verdorben erklärt Or. auch das folgende: qui non illustres et in
urbe non solum ; Hr. R. hat seine Conjectur in den Text gesetzt:
qui illustres et in cetero ofbe terrariim et in urbe. Dass ein Zu-
satz nicht nöthig sei, sondern das dem et in urbe entsprechende
Glied in den Worten: advenae quoque liege, hat Ref. schon frü-
her, s. diese Jahrbb. 33. S.51, nachgewiesen. — Cap. 8 ist für die
Erklärung der Worte: nee hoc Ulis alterius ter millies sestertium
praestat wenig geschehen ; Hr. R. hat eine Lücke bezeichnet,
was nicht einmal nöthig ist, wenn man der Erklärung Nissen's
Zeitschr. für Alterthurasw. 1841. S. 863 folgt. — Cap. 9 hat Or.
das richtige ulilitates so vertheidigt, dass es Hrn. R. m()glich
wird, seine Conjectur: //ii7i7ö^e eos ahmt in Schutz zu nehmen.
— Cap. 10 schreibt Hr. R.: cui sali inserviunt et quod umim esse
prelium laboris sui fatentur ^ aeque poetas quam oratores sequi-
iui\ während P. und andere codd. serviunt und insequitur haben
und Hr. R. nur auf künstliche W eise diese Umstellung von in er-
klären kann. Mit Recht dagegen hat er, wie Fless, adeptus auf-
genommen , Or. die Conjectur von Acidalius adepturus. Im F'ol-
genden bezeichnet Or. die Worte: medilatus videiis aut elegisse
als verdorben und vermuthet ut statt aut^ was er nur durch die
untergeschobene Bedeutung: quasi dedita opera vertheidigen
kann; Hr. R. wie Nissen a. a. 0, nimmt die handschrifll. Lesart in
Schutz, ohne die Schwierigkeit, welche durch die Trennung des
zusammengehörenden: raeditatus — elcgisse entsteht, genügend
zu beseitigen; richtiger schlägt Halm etiam (oder adeo?) vor.
Die Worte: kinc ingefitis ejc his adsensus bezeichnet Or. als ver-
dorben; Hr. R. hat unbedenklich ingentes clamores in den Text
aufgenommen, obgleich die Ergänzung von consequi hart, der Aus-
fall des Wortes nicht motivirt ist. Ref. vermuthet noch immer,
dass eine Verbalform: existere die Lücke veranlasst habe. Hier-
auf erklärt Hr. R.: in quibus ejcpressis si quando necesse sit —
offendere^ wie nach den codd. Hess, Döderl., Or. u. A. geschrie-
ben haben, für unlateinisch und liest nach Lipsius: expressit si
quando^ ohne über die auffallende Wortstellung etwas zu bemer-
ken. Die schwierigen Worte Cap. 11: cum quidem in Neroneni
improbam — Vatinii potentiam fregih^htw in beiden Ausgaben
einen Excurs veranlasst. Or. sucht zu zeigen, dass das bespro-
chene Schauspiel nicht Domitius Nero geheissen haben könne, Hr.
U. sucht nicht allein dieses wahrscheinlich zu machen, sondern
Orelli u. Ritter : C. Corn. Taclti opera etc. 4
q
auch nachzuweisen, wie Vatiniiis sei gestürzt worden, ohne jedoch
hierin über Vermutluingen liinausziikonimen, da wir von dem gan-
zen Stücke nichts wissen. — Cap, 1*2 hat Hr. li. mit Recht iion
in strepitu aufgenommen, dasselbe hätte mit si videatur gesche-
hen können, s. Cap, 18 si rae interroges. — Cap. 13 ist Hr. R.
auf die Coiijectur VValther's: omni adulalione zurückgekommen,
nur sieht man nicht ein, was adulatio omnis generis bedeuten
solle. Im Folgenden bezeichnet Or. die Worte: quandoque enim
faialis als verdorben, Hr. R. hat enim ausgestossen; dadurch aber
der Stelle noch nicht aufgeholfen. Beide Herren schreiben Cap,
15 statt antiquis eo Credo nach Lipsius: atque ideo credo ^ was
sich von jenem zu weit entfernt. Ref. vermuthete: antiqtiis si-
milem ; noch einfacher glaubt Halm, prae sei vor antiquis ausge-
fallen. Bald darauf haben Beide concentu^ wie auch Ref., s. a.a.O.
S. 59, schon früher vermuthete. — Cap. 17 verändern Beide: et
qnidem Caesarem in idem Caesarem ; vielleicht ist aber is qiii-
dem Caesarem zu lesen. Im Folgenden muss, wie Halm gezeigt
hat, duravii^ ne dividaiis interpungirt werden. — Die sehr schwie-
rige Stelle Cap. 19: quem tisque ad Cassiurn etc. hat von keinem
der beiden Herausgeber eine Verbesserung erhallen. Or. folgt
der Puteol.; Hr. R. behalt nach Brotier: quem reuni fariunt bei
und erklärt diese Worte für eine Ironie, die hierbei der einfachen
Zeitbestimmung nicht an ihrem Orte sein würde. Auch zeigt er
nicht, wie Severum in den codd. ausgefallen sei, und überhaupt
dürfte dieser Zusatz, wenn man einmal den codd. folgt, wenig-
stens zweifelhaft erscheinen. Im Folgenden ist die Veränderunsr
von inserere in insereret nicht durchaus nothwendig, da auch
dieses wegen des folgenden erant enim haec nova et incognita von
videretur abhängen kann. Die Stelle Cap. 19: ?2ec unum de po-
piilo hat Or. als noch nicht hergestellt bezeichnet, Hr. R. schreibt
nach seiner Vermuthung: nee unum de populo j non Caiiutii aut
Aorii deformitatem memornbo ^ quique alii — probant; gesteht
jedoch selbst, dass er dieselbe nicht für sicher halte, was INie-
mand bezweifeln wird, da sie sich mehr als manche andere von
den codd. entfernt. Bald darauf bemerkt Or. über die Worte:
qiiotus er/im quisque Calvi in Aniistium — legit nichts, während
sie Hrn. R. so anstössig sind , dass er mit einigen früheren Kriti-
kern vor in eine Lücke annimmt und interrogationem ausgefallen
denkt. Wahrscheinlich stände dann interrogationem oder inter-
rogationes nach in Drusum, und der Umstand, dass sogleich zwei
solche interrogationes angenommen werden müssen, ist wenigstens
nicht geeignet die Vermuthung zu empfehlen. FJine ähnliche
Construction hat Cic. Or. 70, 233: sume de Gracchi apud Censores
illud etc. Dass bald darauf quid? ex Caelianis zn schreiben sei,
hat Halm bemerkt; schon Schulz liest ähnlich: quid*? ex Caelianis
orationibus? Bald darauf scheint Or. nicht mit Recht sordes au-
tem illae verborum für eine willkürliche Interpolation zu halten,
44 Lateinische Litteratur.
ila dieselbe in der Lesart des P. wenigstens ihren Grund hat. —
Cap. '23 schreiben lieide: non iiifirmilate^ sed ieiunio : da aber
P. infirraitateque bietet, so ist vielleicht inßitnitale quidem zu
schreiben. — Cap. 24 ist von Hrn. R. cur lantum — recesseri-
itius hergestellt, was an sich richtig ist, aber durch Cap. 82 in
ianlum etc. zweifelhaft wird. — Cap. 25 liest Ilr. R. : si cum om-
iiibus Jatetur ^ während P. coniinus hat, was Or. nur als falsch
bezeichnet. Statt cominus vermuthete Ref. si in commune. —
Cap. 26 schreibt Or. nach Rhen.: sed Inmen frequeiis quibusdam
ej;c/ß7nfl^20, bezeichnet jedoch diese Worte zugleich als verdor-
ben; Hr. R. hat seine Conjectur ://ey?/e//s sicut histrioni clamor
et ejcclamatio aufgenommen, so zweifelliaft dieselbe auch ist, tfieila
weil histriones sogleich folgt, theils weil es sehr wahrscheinlich
ist, dass in his dam ein Substantiv liegt, das aber dadurch, dass
der Abschreiber auf exciamatio abirrte, verdorben ist. Ein ähn-
licher Fehler findet sich Cap. 27, wo Ref. schon friiher, 8. a. a.
0. S. 66, minus iratus^ was jetzt auch Or. UFid Döderlein liest,
vermuthete, während Hr. R. das unwahrscheinliche non iiatus
beibehalten hat. Wenn derselbe bemerkt, dass minus iratus
wegen /;/«we 7/ii7/or nicht passe, so sollte man glauben, dass der
Comparativ einen ähnlichen Ausdruck im Folgenden fordere. Dass
aber durch memoi abas besser als durch diaisti die Lücke ausge-
füllt und die Härte der Stelle beseiti;jt werde, lässt sich schwer-
lich einräumen. — Cap. 29 ist von Hrn. R. mit Recht invenies
hergestellt, statt des von Or. beibehaltenen ijiieneris^ der, ob-
gleich er sehr oft iiec in ne verwandelt, doch Cap. 29 und 40 nee
— quidera unverändert lässt. Eben so ist nicht abzusehen, wa-
rum Or. 31 ipsa^ dann civilis^ wenn auch jenes in Klammern, bei-
behalten hat. — Cap. 81 schreibt Hr. R. nach der Randbemer-
kung im P.: Stoicorum civitatem\ in dieser seien keine Kedner
gesucht worden. Aber gerade dieser Grund scheint das Unpas-
sende dieser Lesart zu zeigen, da nur gesagt werden kann, dass
es sich hier nicht um das Ideal des Redners handele. Eben so
wenig wird man Hrn. R. unbedingt Recht geben, wenn er bald
darauf: grammalicae ^ musicae et geometriae arte liest; denn
wenn an einer Stelle der Schrift die lateinische Form des Genitivs
sich findet, so folgt daraus noch nicht, dass an einer anderen nicht
die damals gebräuchliche griechische Form in einem anderen Ca-
sus habe gebraucht werden können, s. Walther zu d. St. — Cap. 82
N^ird von Or. vis quoque quotidiani sermonis für falsch erklärt,
und das von ihm vermuthete virus dürfte schwerlich die Schwie-
rigkeit beseitigen. Hr. R. nimmt, wie Hess, die handschriftliche
Lesart in Schutz, ohne die von Döderlein erhobenen Bedenken zu
entfernen. Ref. vermathet, dass in visquoque ein zu actionibus
gesetztes Substantiv liege, quo aus dem folgenden Worte hierher
gekommen sei. Wahrscheinlicher ist neque enim tantum arte^
wo im P. dum steht und Döderl. und Orelli das fern liegende
Orelli u. Ritter: C. Com. Taciti opera. 45
dinniaxat empfehlen. — Cap. 34 hält es Hr. R. für unumstössh'ch
gewiss, dass mit Bekker: ita iit allei cationes quoque exciperet
et iurgiis interesset ^ ulque sie dixerim ^ pit^nare in proelio di-
scerel ; allein wenn es im Vorhergehenden tieisst: hnnc sectari,
)iunc prosequi — Interesse — adsucscebat, wo eben so gut hätte
stehen können : sectabatur etc , wenn ferner pugnare in proelio
wesentlich nichts anderes sagt als excipere — interesse und doch
von disceret abhängig gemacht wird , so sieht man in der That
keinen Grund, warum dieses nicht bei den eigentlichen Aus-
drücken, sondern nur bei dem bildlichen soll geschehen können.
Um so mehr war das discere an seinem Platze, als das altercatio-
nes excipere und iurgiis interesse nicht von Natur Jedermanns
Sache ist, sondern erst gelernt sein will. — Cap. 37 steht im P.:
num quo saepius steleiil tamquam in acie^ quoque mnior ad-
versa/ius et acrior qui pugnas sibi ipse desumpserit^ tanto aliior
et excelsior et Ulis nobilitatis (mit u über i) — agit; Or. schreibt
dafür: quoque maior adversarius et acriores pug//as siOi ipsa de-
sumpserit — nobitilata — agit', Hr. R. nacli seiner Conjectur:
quoque fnaiores adversarios acrioresque pugnas (eben so Rötli-
cher, der nur et statt qne hat) sibi ipsa — nobilitata — ugit. In
beiden Versuchen werden so viele Veränderungen der handschr.
Lesart vorgenommen, dass sie nicht als wahrscheinlich können
betrachtet werden. 'Sowohl ipse ?\s nobilitatus ^ ferner adversa-
rios desurapserit weist daraufhin, dass Tac. von der Beredtsam-
keit zu den Rednern übergegangen und vielleicht zu schreiben
ist: quoque inciior adversarius et acrior^ quem in pugna sibi ipse
desumpserit tanto aliior — nobilitatus — (^^it. Die bald dar-
auf folgende Lücke hat Hr. R. entdeckt, aber schwerlich glück-
lich ausgefüllt, wenn er lesen will: ut alios periclitari ^ alias pe-
riculis iactari^ sibi ut; da pericliteri neben ))ericuli$ iactari, in so
fern es verschiedenen Subjecten beigelegt wird, wohl schwerlich
von Tac. möchte geschrieben sein. Die Worte: tesdbns Silen-
tium patr onus Q>?i^.^^ suchen Beide zu verbessern; Or. vermu-
thet praetor^ Hr. R. hat iwpatiens in den Text gesetzt; beide
Versuche entfernen sich zu weit von den codd. Da im P. silen-
iiumpfonus steht, so vermuthete Ref.: importunus indicit ^ indem
Hr. R. mit Recht bemerkt, dass auch dieser Satz sich auf iudex
beziehen müsse. — Cap. 40 wird von Or. populi quoque et histiio-
nes auribus utereniur mit einem Kreuze bezeichnet, Hr. R. hat
quoque et ceterorum pronis (wie Död.) uterentur in den Text
genommen, was ebenso weit von dem cod. sich entfernt, als es
unglaublich ist, dass Tac. mit diesem unbestimmten Ausdrucke die
Ritter solle bezeichnet haben. Vielleicht ist populi q. et plebis
pronis a. u. zu lesen. Hierauf schlägt Or. vor: in Servitute con-
tumax ^ will aber dieses auf die Plebs, nicht, wie es der Zusam-
menliang verlangt, auf eloquentia beziehen. Hr. R. findet in der
handschr. Lesart den Sinn: neque servire imperantibus potest,
46 Lateinische Litteratur. _
was schwerlich hier, wo von der Plebs zur Zeit des Freistaates
die Uede ist, gesagt sein kann. Aiicl» im Folgenden wird man
immer an dem severissima disriplina et seveiissimae leges An-
stoss nehmen und glauben, das eine sei durcli das andere, wie so
olt, verdorben. — Cap. 41, wo Or. nicht unpassend sie id quoqiie
vermutliet, nimmt Hr. R. sie quoque in Schutz, findet aber in
den Worten den Sinn, der mehr in der Conjectur Bötticher's :
uunc quoque liegt. Zu rasch ist im Folgenden von Hrn. R. quo-
fuodo nach Entfernung von inde geschrieben. Mit Recht verrau-
thet Halm, dass quomodo enim zu lesen sei, eben so bald darauf
illas statt istas. — Cap. 42 hat P. Messala cü antiquariis; aber
Beide entfernen das cw, obgleich es wahrscheinlich ist, dass au-
tem oder ein Attribut zu Messala, etwa meus^ darin liege.
Wir fugen nur noch wenige Worte über die Coramentare
hinzu. Or.'s Verfahren ist hinreichend bekannt und anerkannt,
obgleich er nicht ohne Bitterkeit dieses in Rücksicht auf Deutsch-
land, s. S. VI, zu läugnen scheint. Er hat theils aus dem reichen
Materiale, welches von Anderen gesammelt ist, mit zweckmässi-
ger Auswahl das zusammengestellt, was für das Verständniss am
nothwendigsten war, theils selbst manche treffliche Bemerkung
hinzugefügt, z. B. 2, 39 über die Quellen Plutarch's; 2, 71 über
die Consuln des Jahres 823; 3, 31 über nomen atque imagines;
4, 70 ala Singularium; 4,81 statis diebus; 4, 86 über Domitian
11. a. Obgleich der Commentar im Ganzen den Charakter eines
commentarius perpetuus hat, so wird man doch nicht selten auch
bei schwierigeren Stellen eine Bemerkung vermissen oder eine
nicht ausreichende oder schwankende finden. Am wenigsten
dürften die grammatischen Erklärungen genügen, die oft bekannte
Dinge berühren, z. B. l, 79 praelongos; suis ducibus; oder nicht
genügen, z. B. 4, 52 dicitur mit dem acc. c. inf., s. Haase zu Rei-
sig; 4, 75 velit — mallet; oder die Schwierigkeiten nicht entfer-
nen, z. B. Germ. 7 audiri; ib. 28 conditoris sui u. a. Weit aus-
führlicher und genauer werden die historischen und antiquarischen
Verhältnisse erörtert und die Stellen aus den alten Schriftstellern
meist mitgetheilt, die zur Aufklärung der besprochenen Gegen-
stände und Thatsachen beitragen. Hr. R. hat mehr Einzelnes
behandelt, am ausführlichsten die kritisch verdächtigen Stellen,
an denen er Aenderungen vorgenommen hat, oft auch historische
Verhältnisse genauer erklärt; seltener den Sprachgebrauch des
Tac oder schwierige Stellen weitläuftiger besprochen; im Ganzen
mit Takt und Umsicht, zuweilen jedoch auch zu künstlich und ge-
sucht, z. B. 1. 51, wo er noch immer dedecus in Schutz nimmt;
1, 68, wo noscere arma bedeuten soll: sich auf Waff'en verstehen;
3, 16, wo fugae ullimus erklärt wird: is qui modum omnem in fu-
giendo excedit; 3, 4, wo er zu erweisen sucht, dass cunctatior
nicht lateinisch sei, s. Aischefski z.Liv. lib. trices. p. XCIV; 2,40,
wo er läugnet, dass non admitiere quo minus gesagt werden
Orelli u. Ritter: C. Com. Taciti opera etc. 47
dürfe, da doch der Sinn der betreffenden Steile sein Itann: der
Feind werde nicht einen solchen Fehler begehen, dass er nicht
gerüstet — die Zerstreuten angreifen sollte, s. Cic. Her.4, 12, 17.
llaase zu Reisig p. 572 u. a. Wir vergleichen nur einige Bemer-
kungen beider Herausgeber in der Einleitung zu den Flistorien.
Hier 1, 1 hält es Hr. R. für nöthig, die Ausdrucksweise: initium
mihi operis Serviiis Galba — Pinit/s consiiles erunt zu erklären,
die wohl jedem Leser der Ausgabe des Hrn. R. bekannt sein muss.
Rald darauf erklärt Or. res poptili Homani für veteris p. R., wäh-
rend Andere richtiger den Gegensatz des Volkes und der Kaiser
angedeutet finden. INicht ganz klar ist es, wie Hr. R. in diesen
Worten eine genauere Zeitbestimmung für pari eloquentia ac li-
bertale finden will. Diese Worte scheinen mehr in einem Ver-
hältniss der Folge mit dum — memorabantur zu stehen und diese
den Grund zu enthalten, s. Hand Turs. II. p. 310. Das Wort po-
tentia haben Beide auf gleiche Weise, Hr. R. wohl zu wortreich,
erklärt, da eine Verweisung auf Walther oder Rupert! genügt
hätte. Die Worte: veritas phtribtis modis infracla sucht Hr. R.
zu künstlich zu erläutern: verbum infracta apte respondet pluri-
bus modis: modi enim proprie sunt varietates vocura (Melodien)
etc., da schwerlich Tac. an diese Bedeutung gedacht, sondern im
Folgenden die verschiedenen modos angegeben hat. lieber iji-
scitia reipublicoe hsit Veiiier der Herausgeber etwas bemerkt, s.
Reisig Vorlesungen p. 117 und Haase zu d. St. Am Ende des
Cap. erklärt Hr. R. sect/riorem ?nateriatn dahin, dass er hier we-
niger von der Walirhelt sich habe entfernen können, ohne nach-
zuweisen, wie diese Bedeutung in dem Worte liegen könne, und
wie es sich dann mit der incorrupta fides verhalte, die Tac. auch
für die frühere Zeit verspricht. Die richtige Erklärung scheint
in den folgenden Worten: ubi sentire quae velis etc. gegeben zu
sein. Das ungewöhnliche opijnum casibus in Cap. 2 wird von Or.
nicht genügend erläutert, von Hrn. R. mit Stillschweigen über-
gangen. Die Worte: perdomila Britannia et statim missa er-
klärt Hr. Rr.: Britanniam h. I. intelligit non modo eam quae pro-
prie dicitur, sed etiam Caledoniam , und bemerkt dann, dass nur
auf Caledonien das missa d. h. mox omissa neque posthac imperio
reddita est zu beziehen sei, was zum wenigsten nicht klar und be-
stimmt ausgedrückt wäre. Anders erklärt Or. : man habe nach
den Siegen Agricola's keine Kriege mehr mit den Britanniern ge-
führt, sie nicht ganz überwunden, und allerdings kann dieses in
missa liegen: man verabsäumte Britannien, achtete es nicht weiter.
Die Verbindung: haiistae et obrutae urbes — ei urbs findet Hr.
U. auffallend und unzulässig; schon durch die Schreibung et Urbs^
s. Döderl., dürfte das Auffallende gemildert und die Gradation
sichtbarer werden. Die schwierigen Worte ageretit verierent
ctmcta hat Hr. R. fast übergangen, Or. erklärt: quaestus causa
odio in locupletes ac potentes impuisi et propterea his terrorem
48 Lateinische Litteratur.
iiiücientes primum eos agebant, de tranquillo statu deraoveI)aiit
— ileinde eosdeni vertebant i. e. evcrtebant, pervertebant; allein
die Beziehung auf die lociipletes ist nirgends angedeutet, cuncta
scheint einen weiteren Umfang der Thätigkeit der Emporkömiii-
linge anzuzeigen und in agebant vertebant nur die Folge oder
Umschreibung der interior polestas zu liegen: sie verrichteten
Alles, schlössen alle Anderen von den höchsten Staatsgeschäfien
aus und kehrten so Alles, alle Verhältnisse um. Wie die folgen-
den Worte: odio et terrore mit den vorhergehenden in Verbindung
stehen, ob sie nur die Verhältnisse bezeichnen, unter denen Bei-
des, das agere und vertere, stattfindet, oder den Grund beider
Thätigkeilen enthalten, oder ob sie nach Döderlein's Ansicht in
chiastischer Verbindung mit den Verben stehen, ist von keinem
der Herausgeber genügend erörtert; Hr. R. übersetzt nur: unter
Hass und Schrecken. Cap. 3 nimmt Or. die Worte: supremae
clarorutn virorum necessitates ; ipsa necessüas fortiter tolerata
in Schutz und sucht mit wenigen Worten die Schwierigkeiten der
Stelle zu beseitigen, während Hr. R. mit Recht behauptet, dass
das, was Or. u. R. in ipsa nccessitas suchen, schon in supremae
necessitates liege, wie dieses auch Ann. 15, 61, einer Stelle, die
Or. für sich anfülirt,der Fall ist. Dass es jedoch zu kühn sein
würde, die Worte ipsa — tolerata geradezu zu entfernen, wurde
schon oben bemerkt. Am Ende des Capitels nimmt Hr. R. Tac.
mit Recht in Schutz gegen die Vorwürfe von Lipsius, indem er
zeigt, dass die in den Worten: non esse curae deis securitatem
etc. angedeutete Strafe durch die Götter nur in Folge der
Schlechtigkeit der Römer eintrete. Or. hebt dieses nicht hervor.
Cap. 4 erklärt Or. casus fortuiti: ^\n^\\\\ quidem casus, ut victo-
riae, clades, raortes, successiones principum, plerumque fortuiti
sunt, neque ulla eorum certa causa afferri potest: at vero totus
rerura progressus alque universus vicissitudinum imperii tenor ad
certam rationem causasque revocari potest, was kaum in den W^or
ten liegen kann, da ratio causaeque nur die Gründe und Motive
bezeichnet, welche erkannt werden können, während die Erfolge,
mögen sie unglücklich (casus) oder glücklich (eventus) sein, nicht
von der Macht und Berechnung des Menschen abhängen; dass
dieses fortuitum sei, bemerkt mit Recht Hr. R., obgleich er sonst
den Gedanken nicht klar ausspricht. Dass keiner der Herausgeber
mit der Vertheidigung oder Widerlegung des verdorbenen laetius
usurpata sichbefasst hat, wird man nur billigen köimen. Unter juö/s
popuLi integra versteht Hr. R. die tribus nach seiner schon früher
entwickelten Ansicht, s. diese Jahrbb. 52. S. 49. Döderlein, was
wohl auf dasselbe hinaus kommt, denkt zu integra „opibus oder
fortunis'*" im Gegensatz zu qui adesis fortunis, was zu eng gefasst
scheint, da auch die plebs sordida dem populus in jenem Sitnie
entgegensteht. Diese Ansicht scheint dem Zusammenhange und
den Abstufungen, die Tac. sonst unterscheidet, angemessener als
Orelli u. Ritter: C. Com. Taciti opera etc. 49
die Erklärung von Lipsius, welcher Or. gefolgt ist. — Cap. 5
schwankt Or., ob er arte magis et impetu mit Roth für tv Öiä
övolv oder nach Waither beide Begriffe für sich nehmen soll, was
schon durch die Wortstellung empfohlen zu werden scheint. Eben
so stellt er die verschiedenen Erklärungen von agitottir neben
einander, ohne sich für eine zu entscheiden. Hr. R. erklärt agi-
tatur für gleichbedeutend mit agitatus est, was wenigstens in Rück-
sicht auf das praes. bist, nicht genau ausgedrückt ist. Eben so we-
nig wird man Hrn. R.'s Ansicht billigen, wenn er sagt: ipsi Galbae
anceps haec vox erat, quod pecuniam militibus haud concessam
aliis viis dissipari patiebatur, da nur angedeutet wird, dass die
Weigerung das donativum zu geben ihm Verderben gebracht habe.
Auch was er Cap. ö über die Worte: invalidum senem — destrue-
bant sagt, dass destruere bildlich gebraucht und von Gebäuden
hergenommen sei, reicht nicht aus, die Stelle zu erklären; eben
so wenig, was Or. von Dübner entlehnt hat. Ohne die verschie-
denen Ansichten, welche die Worte hervorgerufen haben, auf-
zuzählen, mag nur bemerkt werden, dass der Sinn des Tac. zu
sein scheine: sie verachteten Galba's Trägheit, oder indem sie Gal-
ba's Trägheit verachteten, wussten sie es, nachdem sie ihm (fremde)
Verbrechen aufgebürdet hatten, dahin zu bringen, dass er alles
Ansehen verlor. Bald darauf hätten die Worte: ut dux Neronis
— ^ä!/^^7/am innocentes Hrn. R. Gelegenheit gegeben, seine An-
sicht über ut und tanquam darzulegen, wie sie zu Cap. 7 ausge
sprochen ist, aber sich schwerlich überall durchführen lässt, was
er auch selbst anerkeimt, indem er in Rücksicht auf tamquam Aus-
nahmen zugiebt, s. Cap. 8 tanquam in tanta multitudine; ib. et
raetu tamquam alias partes favissent u. a., s. Reisig Vorlesungen
§. 243, Ausführlich handelt er dann über die legio prima (Adiu-
trix) und sucht die verschiedenen Nachrichten über dieselbe zu
ordnen , was genauer von Pfitzner geschehen ist. — Doch brechen
wir unsere Bemerkungen ab, die nur zeigen sollten, dass auch in
Rücksicht auf die Erklärung noch Manches zu wünschen ist. Hr.
R. ist sich in seinen Bemerkungen fast in allen Schriften gleich
geblieben; Or. hat Einzelnes genauer und ausführlicher erläutert,
z. B. den Theil des 5. Buches, der von den Juden handelt, wo er
aber, s. 5, 2, wenigstens Rupert! Unrecht thut , wenn er behaup-
tet, diese Stelle sei bisher von den Interpreten des Tac. vernach-
lässigt worden, und die Germania, in welcher er auf die neuesten
historischen und ethnographischen Schriften, so wie auf die Unter-
suchungen über die Verfassung der Deutschen in der frühesten
Zeit mehr als Hr. R. Rücksicht genommen hat. In Bezug auf den
Agricola ist der Commentar von Nissen Or. nicht zugänglich ge-
wesen und von Hrn. R. nicht beachtet worden. Einen Mangel
haben beide Commentare mit einander gemein, dass sie nämlich
auf die Coraposition und die eigenthümliche Darstellung des Tac.
äusserst selten aufmerksam machen. Je mehr von der Meister-
A. Jahrb. f. Phil, u. Päd. od. Krit. Bibl. Dd, LVIII. Hft, I. 4
50 Lateinische Litteratur.
Schaft des Tac. in der historischen Kunst geredet und je höher
sie raft Recht gestellt wird, um so mehr muss es die Aufgabe des
gewissenhaften Auslegers sein , über dein Einzelnen diese höhe-
ren Gesichtspunkte nicht ans dem Auge zu verlieren. Gerade die
Historien , so weit sie uns erhalten sind , bieten in dieser Bezie-
liung reichen Stoff dar, indem hier Tac, nicht genöthigt, einzelne,
abgerissene Ereignisse einzuschieben, grosse Gemälde römischer
und fremder Angelegenheiten entwirft und kunstvoll zu einem
schönen Ganzen verbindet. In Rücksicht auf den Ausdruck weist
Or. zuweilen auf das Mannigfaltige desselben, auf die Nachahmung
des Virgil hin , aber tiefer gehende Bemerkungen wie zu 1, 3 :
noii autem oblivisci per totam hanc Historiarum curam libentius
etiam Tacitum rhetoricis coloribus uti, quam in annalibus prove-
ctiore iam aetate compositis, stehen sehr vereinzelt und werden
nicht weiter verfolgt. Eben so steht es in dem Comraentare des
Hrn. R., der z. B. zu 4, 42 bemerkt: in scriptis recentioribus (7)
saepius Ciceronem Tacitus imitatur, in Annalibus non perinde;
dass er sehr kunstreich die Gegensätze geordnet habe, s. 1,21; er
zeigt hier und da, s. 1, 29 ; 13ö, das Angemessene der Reden, aber
ohne Consequenz und bestimmten Plan. Vieles dahin Gehörige
wurde früher in dem besonders von Ruperti sehr erweiterten index
Latinitatis berührt; aber beide Herausgeber haben diese Zugabe,
lind mit Recht, entfernt, da sie, wie Hr. R. IV. p. XIX bemerkt,
doch nicht ausreicht und durch ein besonderes lexicon Tacit. er-
setzt werden muss. Den index rerum oder historicus haben Beide
beibehalten und Or. denselben noch bereichert, Hr. R. Manches
entfernt, was nicht unmittelbar für die Geschichte von Bedeutung
ist. Manches der Art jedoch auch beibehalten und die Nachwei-
sung bei einzelnen Artikeln genauer gegeben. Den Beschluss
macht bei ihm ein index annotationis, in dem alle Punkte, die in
den Anmerkungen besprochen sind, angeführt werden. Bei Or.
fehlt ein solcher Index, dagegen ist zu bemerken, dass über
schwierige Punkte, besonders im 5. Buche der Historien, Excnrse
beigegeben sind , in welchen theils fremde Ansichten mitgetheilt,
theils vom Herausgeber die seinigen ausführlicher begründet
werden.
Eisenach. W, Weissenborn.
Cornelius Nepos. Erklärt von Dr. Karl Nipperdey. Leipzig, Weid-
mann'sche Buchhandlung. XXXVIII und 198 S.
Vorliegende Ausgabe des Cornelius Nepos gehört zu der
Sammlung von Ausgaben griechischer und lateinischer Schriftstel-
ler, die von Haupt und Sauppe unternommen und bereits in rüsti-
gen Fortschreiten begriffen ist. Mit Zweck und Plan dieser Aus-
Nipperdey : Cornelius Nepos. 51
gaben, den wir als durch die überall verbreitete „Ankündigung"
hinlänglich bekannt voraussetzen dürfen, erklärt sich der Unter-
zeichnete gewiss mit der Mehrzahl der Schulmänner, die die ge-
genwärtigen Bedürfnisse der Schule gehörig würdigen, im Ganzen
einverstanden, und er wendet sich daher sogleich zur Beantwor-
tung der Frage, wie weit Hr. Nipperdey jenem Plane entsprochen
und den Anforderungen, wie sie an eine praktische Schulausgabe
gestellt werden müssen, genügt hat. — Hier ist nun sogleich die
Bemerkung zu machen, dass, während in der „Ankündigung'*'" als
„einziges Ziel'*'' des Unternehmens ,,das unmittelbare Verständ-
niss des Schriftstellers^'' — und zwar, wie aus dem Zusammen-
hange erhellt, nur für Schüler — angegeben wird, der Heraus-
geber des Nepos jenes Ziel dahin erweitert, dass er seine Arbeit
nicht blos für „die Schüler der untersten Gymnasialclassen^' be-
stimmte, sondern auch für ,, Freunde des classischen Alterthums,
welche nicht Philologen sind."* Es ist allgemein anerkannt, dass
das Unzweckmässige und Unzureichende vieler Schulausgaben
seinen Grund darin hat, dass die Herausgeber bei ihrer Arbeit
mehrere Zwecke zugleich verfolgten. Man begnügte sich nicht,
dem Schüler „das zum jedesmaligen Verständniss Nolhwendige**'
zu bieten, sondern man wollte auch für den ,, Gelehrten", oft auch
noch für den „Freund der Classiker" das Erwünschte hinzufügen.
Eine so complicirte Aufgabe konnte nur selten glücklich gelöst
werden, und im glücklichsten Falle musste ihre Lösung den Schü-
ler, auf den es doch vor Allen abgesehen war, mit einer Masse
von Notizen überschütten , die er weder verstehen noch verarbei-
ten konnte. Meistens aber war in solchen Ausgaben weder der
Nutzen des Schülers, noch das Interesse des Gelehrten oder ir-
gend einer anderen Kategorie von Lesern gehörig wahrgenom-
men. Hat nun Hr. N. den ursprünglichen Plan der „Sammlung"
verlassen und ist er über das Bedürfniss des Schülers hinausge-
gangen, so konnte es nicht wohl ausbleiben, dass auch seine Aus-
gabe einer der eben geschilderten Mängel treffen musste. Wenn
hier vom Bedürfniss des Schülers die Rede ist, so versteht es sich
von selbst, dass nur die Schüler gemeint sein können, die den
Nepos in der Regel lesen. Was bedarf nun aber der Quartaner,
wenn er diesen Schriftsteller zuerst in die Hand nimmt? Ge-
wiss etwas ganz anderes, als ihm zum grössten Theile durch die
Ausgabe des Hrn. N. geboten wird. Dies wird sich aus Folgen-
dem ergeben.
Voraus geht eine Einleitung von XXVIII Seiten, in der aus-
führlich gehandelt wird von dem Leben des Autors, von seinem
Umgange, namentlich mit dem Atticus, von seiner Bildung, sei-
nem Charakter und seiner schriftstellerischen Thätigkeit. Die
Werke werden aufgezählt und ihr erwiesener oder vermuthlicher
Inhalt wird angegeben. Mit besonderer Ausführlichkeit wird das
Buch besprochen, dem das uns noch gebliebene als Theil ange-
4*
52 Lateinische Litteratur.
hörte, das Werk de viris illustribus. Dann folgt die Angabe der
Quellen , aus denen Nepos schöpfte oder schöpfen konnte. Thu-
cydides, Xenophon, Plato, Aeschines, Ephorus, Theopompus,
Dinon, Timaeus, Neanthes, Sosilus, Sllenus, Polybius werden
ihrem VVerihe nach charakterisirt, worauf dann eine Beurtheilung
gegeben wird, wie Nepos diese Quellen benutzt hat, wie weit er
in sittlicher und künstlerischer Hinsicht und überhaupt als Histo-
riker Anspruch auf Bedeutsamkeit zu machen hat und wie sein
Stil beschaffen ist. Die letzte und verhältnissmässig kürzeste
Stelle findet die Frage über Aemilius Probus und über sein und
des Nepos Verhältniss zu den Vitae. — Diese Prolegomena sind
in einer klaren , guten Form geschrieben , und man findet hier die
Resultate wissenschaftlicher Forschungen. Es leuchtet aber tou
selbst ein, dass sie für den Schüler nur in sofern einen Nutzen
haben , als er — was freilich nur sehr ausnahmsweise geschehen
mag — in den oberen Classen zum Nepos zurückkehren sollte. —
Kommen wir nun zu den Anmerkungen, so gilt von einem grossen
Theile derselben dasselbe, was von der Einleitung zu sagen war.
Die Bemerkungen zu dem Miltiades und den folgenden Feldherrn
zielen in grosser Mehrzahl dahin, den Leser zu belehren, dass
Nepos „Falsches" oder ,, Ungenaues"" berichte, und es herrscht
dieser Zweck so überwiegend vor, dass, weit abweichend von der
Bestimmung der ,,Ankündigung'"', dass ,, Alles in gedrängter Kürze
gegeben werden soll, um das äussere Verhältniss festhalten zu
können, dass die Noten nicht mehr als den vierten Theil jeder
Seite einnehmen*^', hier sehr oft das umgekehrte Verhältniss statt-
findet , indem nur der vierte Theil oder wenigstens überall weni-
ger als die Hälfte der Seite für den Text geblieben ist, den übri-
gen Raum aber der den Nepos berichtigende Commentar einge-
nommen hat Zu Milt. cap. 1. §. 1 wird zunächst ausgeführt, dass
Nepos den Milt. Cimons Sohn mit seinem Oheim Milt. Sohn des
Cypselus verwechselt, und dann die Veranlassung zur Absendung
der Colonie nach dem Chersones von Herodot (VI. 34) und den
übrigen Berichten, die wir darüber haben, sehr abweichend er-
zählt. Auf der nächsten Seite wird zu §. 4 erzählt, wie Herodot
das hier über Lemnus Berichtete ganz anders darstelle. Auf der-
selben Seite wird zu cap. 2. §. 1 — 4 wieder ein Itrthura des Nepos
ausführlich besprochen. Er verwechselt auch hier 3Iilt. den
Oheim mit dem Neffen, und die Besitzer des Chersones waren
nach Herodot nicht die barbari , sondern die Apsinthier; auch
habe Milt. die Alleinherrschaft nicht blos mit Zustimmung der
Athenischen Colonisten , sondern auch mit der der Dolonker inne
gehabt. Nachdem Milt. die Apsinthier vom Chersones durch die
Befestigung des nördlichen Theiles desselben ausgeschlossen
hatte, habe er Krieg mit den Lampsakencrn geführt, welche ihn
gefangen nahmen, aber auf des Croesus Verlangen frei gaben
u. 8. w. — Von Diensten, welche Milt. den Athenern (nach §. 3)
Nipperdey: Cornelius Nepos. 53
erwiesen j sei anderswo Nichts bekannt; vielleicht sei hier eine
wirkliche, auf den Sohn Cinions bezügliche Notiz unter die fälsch-
lich auf ihn bezogenen Nachrichten gerathen u. s. w. — Auf der
nächsten Seite folgt zu den Worten Lemnum revertitur et ex
pacto postulat eine lange Anmerkung über das Abweichendein der
Erzählung von der Besitznahme der Insel Lemnus bei Herodot und
Diodor. Ausserdem auf derselben Seite Nepos viermal wegen
falscher Angaben berichtigt. Auf der folgenden Seite wird zu
cap. 3. §. 6 bemerkt: Milt. verliess nicht damals den Chersones,
vielmehr war er mit einer Unterbrechung (als er vor den in den
Chersones einfallenden Scythen fliehen musste, Herodot \1. 40)
bis nach Unterdrückung des Aufstandes der asiatischen Griechen
als Herrscher daselbst. Erst Ol. 71, 4 =: 493, als die persische
Flotte nach dem Hellespont kam, floh er nach Athen (Herod. VI.
34. 40. VlI. 10). Ebenda heisst es zu den Worten: cum amici-
cior: Dass der Herrschaft des Milt. keine Gefahr durch den Un-
tergang des Darius drohte, zeigt der Umstand, dass, als er später
von den Scythen vertrieben war, ihn die Dolonker selbst zurück-
führten (Herodot VI. 40). Im Gegentheil durfte er dadurch Be-
freiung von der persischen Oberhoheit hoffen. — Auf diese
Weise wird Nepos in dieser und den folgenden Biographien auf
jeder Seite in der Regel mehrere Mal als „falsch'', „ungenau'^
oder „abweichend*' von andern Schriftstellern corrigirt. Wenn
Rec. über diese Art und Weise, den Schriftsteller in allen den
Punkten, die unrichtig zu sein scheinen oder auch als entschieden
unrichtig erwiesen sind , in den Anmerkungen zu widerlegen und
zu berichtigen, seinUrtheil ausspricht, so ist zu bcvorworten, dass
er sich dabei nur auf den pädagogischen Standpunkt stellt, da es
ihm darauf ankommt , den Werth zu ermitteln, den vorliegende
Ausgabe für die Schule haben kann. Die Ausgabe soll vor Allem
dem Schüler dienen, d. h. Knaben, die zuerst in die Leetüre eines
zusammenhängenden Schriftstellers eingeführt werden sollen.
Nimmt er den Nepos zuerst zur Hand, so hat er mit dem Ver-
ständniss der Form so viel zu thun, da^^s er schwerlich die Zeit
und die Kraft übrig behält, von solcher Masse historischer Anmer-
kungen Gebrauch zu machen. Ist er aber weiter vorgerückt, so
dass er den Text mit einiger Fertigkeit liest, dann müssen diese
fortlaufenden Berichtigungen des Autors auf ihn den Eindruck
machen, als sei es nicht der Mühe werth, einen Schriftsteller zu
lesen, der so viel „Falsches'"'', Irrthümliches" und „Ungenaues"
berichte. Nepos muss in seinen Augen in demsieiben Grade an
Autorität verlieren, als ihm die beredte Widerlegung des Com-
mentars imponiren wird. Was war nun zu thun*? Sollte der Her-
ausgeber die unrichtigen Angaben des Nepos unberücksichtigt las-
sen, auf die Gefahr hin, dass der Schüler seinem Gedä'chtniss
Falsches einpräge*? Hrn. N. erscheint diese Gefahr um so grös-
ser, als „die ersten Eindrücke von solcher Stärke und Dauer sind,
54 Lateinische Litteratnr.
dass ilie Kenntniss und Anschauung, welche man durch die erste
Lectüre in der Schule empfängt, sich mehr oder weniger im gan-
zen Lehen erhält und selbst nicht durch die spätere Erkenntniss
der Wahrheit ganz vertilgt werden kann." Um diesen Satz und
die sich daran knVipfcnde licliauptung, dass „Viele, welche
sich später genau mit dem Studium der alten Gcschiclite be-
schäftigt haben, sich dennoch auf 3Ieinungen und Ansichten er-
tappen , welche sie allein dem Nepos verdanken''*, zu erweisen,
fdhrt Hr. IN. als Beispiel an, dass die Schlacht bei Zama nur nach
^epos so benannt werde, während alle anderen Schriftsteller und
unter ihnen Polybins berichten, dass sie bei Noragarra geschlagen
wurde. Hr. N. erklärt diesen Punkt selbst für unbedeutend und
meint auch, INoragarra könne von Zama nicht weit entfernt gewe-
sen sein; und doch fiihrt er fiir seine Behauptung kein gewichti-
geres Beispiel an! Ref. ist der Ansicht, dass derjenige, der sich
später mit Geschichte eindringlich beschäftigt, etwaige Irrthümer,
die er aus Nepos gesogen und im Gedächtniss behalten hat, leicht
beseitigt, und dass der Vortrag über alte Geschichte schon inner-
lialb des Gymnasiums falsche Ansichten, die von Quarta her hän-
gen geblieben sein sollten — wie das die bisherige Erfahrung ge-
wiss bestätigt — zu heben vollständig geeignet ist. Sollte dies
aber auch nicht durchgängig der Fall sein, so kann dieser Um-
stand doch keines Falls dazu berechtigen, den etwa zwölfjährigen
Knaben, der fi'ir seinen Standpunkt viel wichtigere Dinge zu ler-
nen hat, ausführlich darüber belehren zu wollen, dass nach He-
rodot die Dolonker, ein thrazisches Volk, das den Chersones
besass, von einem andern thrazischen Volke, den Apsinthiern,
bedrängt, ihre Könige nach Delphi sandten, um das Orakel wegen
des Krieges zu befragen u. s, w. Ebenso scheint es für einen
Quartaner unwesentlich, auseinander zu setzen, dass, was Milt.
1, 4 von den Lemniern erzählt wird, nach Hcrodot lange vor Milt.
dem .Leitern und dem Jüngern geschah. Dasselbe gilt von allem
anderen, was über die Geschichte des Chersones und dann von
Lemnus aus llerodot berichtigend beigebracht wird. Auch die
Differenz, die zwischen Nepos und Herodot in der Erzählung der
Schlacht bei Marathon herrscht — nach Ersterem bewos; Milt.
die Athener, die unschlüssig waren, ob sie sich innerhalb der
Mauern verlheidigen, oder dem Feinde entgegen gehen sollten,
zu dem letzteren; nach Herodot gingen sie den Persern sogleich
entgegen, und, da nun unter den Feldherrn Meinungsverschieden-
heit war, ob sie angreifen sollten oder nicht, so rieth Milt. zum
Angriff — ist wohl nicht wichtig genug, um den Schüler an seinem
Autor als ,, ungenauem'^ Erzähler irre zu machen. Dasselbe lässt
sich darüber sagen, dass Nepos Milt. 5, 3 den Ort, wo die Athe-
ner lagerten, am Fusse von bewaldeten Bergen, mit dem eigent-
lichen Kampfplatze, der marathonischen Ebene, wie aus Herodot
VI. 221 und Justin. 11. 9, 11 hervorgeht, verwechselt zu haben
Nipperdey: Cornelius Nepos, 5t$
scheint. Iii der Regel wird man zufrieden sein, wenn der Scliii-
1er, nachdem er den Miltiades #jeiesen, erzählen kann, wie Milt.
den ersten Grund zu seinem Uuhme durch seine Herrschaft im
Chersones und die Eroberung von Lemnus gelegt habe, wie er,
während Darius gegen die Sc^then zog, auf dessen Vernichtung
bedacht war, dann die Schlacht bei Maralhon mit ihren Haupt-
umständen, wie ihn die Athener dafiir belohnten, die Belagerung
von Parus und ihren unglücklichen Ausgang; endlich den Prozess,
die Verurtheilung und den Tod des Milt. Passend mag es sein,
entschiedene Irrthümer, wie die Verwechselung des älteren mit
dem jüngeren Milt., zu berichtigen, und recht anregend, Einzelnes,
wie die Einnahme von Lemnus, die Schlacht bei Marathon und
die Belagerung von Parus , durch Benutzung anderer Quellen etwas
weiter auszuführen, so weit es dazu dienen kann, dem nach con-
creter Anschauung verlangenden Knaben zu Hülfe zu kommen,
um sich dann von geweckteren Schülern darüber eiu Referat geben
zu lassen; doch bedarf es dazu sicherlich nicht einer so massen*
liaften Anhäufung von historischen Auseinandersetzungen und einer
den Autor in den Augen des Schülers nothwendig herabsetzenden
Kritik. Dergleichen Vorwürfe hat der Herausgeber vorausgese-
sehen und er giebt daher den Rath, für den Anfang zunächst die-
jenigen Lebensbeschreibungen auszuwählen, „welche die wenig-
sten historischen Anmerkungen nöthig gemacht haben," Für den
Anfang empfiehlt er besonders Datames, dann sollen Epaminondas,
Alcibiades, Dion, Agesilaus und Eumenes folgen, zuletzt Atticus.
,,Die ersten Lebensbeschreibungen, fügt er hinzu, und den Han-
iiibal wird man gut thun in der Schule gar nicht zu lesen, indem
sie über die bedeutendsten Perioden der alten Geschichte falsche
Ansichten zu erzeugen geeignet sind und die Masse der für sie
vorliegenden Quellen den historischen Anmerkungen einen so
grossen Umfang gegeben haben.'' Wollte man dieser Anleitung
folgen, so würden also gerade die Biographien , in denen die gros-
sen Freiheitsschlachten bei Marathon , Salamis und Plataeae er-
zählt werden, ungelesen bleiben. War es nun aber nöthig, die
ersten VI Fcldherrn und den Hannibal durch einen solchen Com-
mentar unlesbar zu machen*? Ref. muss dies, wie er das Bedürf-
niss und den intellectuellen Standpunkt der den Nepos lesenden
Knaben aus Erfahrung kennt, entschieden verneinen. Ueber den
Miltiades ist bereits gesprochen und mit den folgenden Lebens-
beschreibungen verliält es sich nicht anders. Nehmen wir noch
den Themistocies, so finden wir die erste längere Note zu d. W.
exheredatus est (1, 2), in welcher von der Enterbung, wie sie
nach attiscliem und nach römischem Recht stattfinden konnte, die
Redeist. Hier wird citirt : Sen. contr. 1. p 127 Bip. luncus b.
Stob. 117, 9. Val. Max. VI. 9 ext. 2. Aelian. var. hist. II. 12.
Liban. IV. 374 — 401 Reisk. Zuletzt wird gesagt, eine Enter-
bung, wie sie nach attischem Rechte geschehen konnte {dnoKrj-
56 Lateinische Litteratur,
Qv^ig) 5 werde Ton Plutarch. Them. 2 mit Recht für erdichtet er-
klärt Wozu dies für einen Quartaner, zumal in einer Fraj2:e, die
auf das alleinige Zeugniss des Plutarch Iiin doch nicht entschieden
zum Nachtheil des Nepos erledigt werden kann? — Einen ent-
schiedenen Irrtluira enthält der Anfang von cap. 2. Hr. N. be-
merkt, die Athener hätten keinen Krieg mit den Corcyräern und
den Seeräubern geführt, sondern mit den Aegineten. Zum Be-
hufe dieses Kriegs hätte sie Them. beredet, Schiffe zu bauen;
auch sei nirgends überliefert, dass er damalsStrateg (praetor) war
wohl aber sei es wahrscheinlich, dass er es als Archont (Ol. 74,
3 = 482) oder vielleicht einige Zeit vorher that ii. s. w. Zuletzt
lieisst es: Diese (die Worte des §.3) zeigen vielmehr, dassN. das,
was Thuc. I. 33 aus viel früherer Zeit von den Corinthern erzähle,
irrthümlich auf die Athener bezogen hat (es folgen die Worte aus
Thuc). Für einen Primaner würden diese belehrenden Worte
recht nützlich sein; der Quartaner wird keinen rechten Gebrauch
davon machen können. Ihn mache man nur kurz darauf aufmerk-
sam, dass hier wahrscheinlich eine Verwechselung vorliege, und
bei der Repetition des Inhaltes verlange man nur die Thatsache:
Them. war der Gründer von der Grösse der athenischen See-
macht. ^ — Dass §2 durch den Ausdruck largitione magistratuum die
Sache nicht passend bezeichnet ist, ist unerheblich, und dass die Ver-
theilung der Gelder einegesetzliche war, ist kurz anzudeuten, wie es
auch von Hrn. N. geschehen ist, nur wird die Bemerkung ohne
Noth mit einem corrigirenden „Vielmehr*"' eingeleitet. — Zu §. 7
wird erörtert, dass ausser Herodot alle übrigen Schriftsteller mit
Nepos nicht erzählen, dass des Them. richtige Deutnng des Ora-
kels: „O göttliche Salamis, du wirst Kinder der Weiber verder-
ben'', zur Seeschlacht überredet habe. — Zu §, 8 wird bemerkt,
die Athener hätten nicht jetzt erst noch 100 Schiffe bauen kön-
nen, sie hätten vielmehr die an 200 noch fehlenden jetzt gebaut;
das von den Worten suaque omnia bis relinquunt Erzählte sei erst
nach dem, was in cap. 3 berichtet wird, geschehen; übrigens sei
ausser Salamis und Trözen auch Aegina zu erwähnen gewesen;
Priester wären nicht zurückgeblieben; den übrigen, armen Leuten
und Schatzmeistern der Athene sei die Burg nicht übergeben, son-
dern sie wären aus Altersschwäche zurückgeblieben u. s. w. —
Zu cap. 3, §. 1: Weder die Athener wären gegen den Widerstand
zu Lande, noch die anderen Staaten gegen den Widerstand zur
See gewesen. Jene hätten unter Anführung des Them. selbst mit
den Spartanern den Eingang Thessaliens besetzt, und als sie die-
sen aus Furcht vor Umgehung verlassen hatten, wären alle darin
einverstanden gewesen, mit dem Landheer Thermopylä zu besetzen
und mit der Flotte die nahe gelegene Einfahrt in die Meerenge
von Euboea zu schützen u. s w. Ferner zu omnes interierunt:
Nicht alle, sondern nur die Spartaner und Thespienser seien um-
gekommen, dieThebaner wären von den Persern verschont worden,
die übrigen Bundesgenossen hätte Leoaidas entlassen. Zu §. 2:
Nipperdey : Cornelius Nepos. 57
Bei Ärtemisiom wären während dreier Tage am ersten und dritten
2 Treffen geliefert worden, am zweiten hätten die Griechen durch
einen üeberfali cilicische Schiffe vernichtet u. s. w. Nach ande-
ren kiirzeren Anmerkungen folgt dann zu cap. 5, §. 1 eine lange
über die Flucht des Xerxes, in welcher ausgeführt wird, Xerxes
sei auf eigenen Antrieb und auf den Ralh des Mardonius nach dem
Hellespont zuriickgegangen; Them. habe ihm nicht gemeldet, dass
die Brücke zerstört werden, sondern vielmehr, dass sie durch
seine Bemi'ihung nicht zerstört werden würde. Mit Nepos stim-
me Diodor überein und in der Hauptsache auch Polyaen. Begnü-
gen wir uns mit dieser Uebersicht über den wesentlichen Inhalt
der historischen Anmerkungen zu den ersten 5 Capiteln, so wird
aus dem Mitgetheilten, auch ohne dass wir auf Einzelnes näher
eingehen — da dazu hier der Raum fehlt — , hinlänglich erhellen,
dass die Irrthümer, die sich in der Biographie des Them. vorfin-
den, keineswegs von solcher Bedeutung, zum Theil auch nicht
von solcher Evidenz sind , dass man darum seine Leetüre dem
Schüler ganz vorenthalten sollte. Wie weit der Schüler der un-
teren und meistens auch der mittleren Classen sich den Inhalt des
Gelesenen zum bleibenden Eigenthum machen soll, das liegt in
den meisten Fällen ganz in der Hand des Lehrers, nämlich darin,
wie er die Erklärung und wie er die Repetition einrichtet. Man
gehe über Etwas, was gelesen wird, ohne weitere Erörterung
hinweg und repetire es dann nicht, so wird in wenigen Wochen
Alles vergessen sein. Hierin liegt die praktische Lösung der
Frage, wie man den Schüler vor den Irrthümern zu schützen hat,
die er im Nepos vorfindet. Ist die Unrichtigkeit entschieden tind
erheblich, wie die Erwähnung des Krieges mit den Corcyräern
und den Seeräubern (cap. 2, §. 1 und 3), so deute man dies kurz
an und halte bei der Repetition des Inhaltes darauf, dass die Er-
wähnung solcher Nachrichten ganz wegbleibe. — Ist eine Angabe
ungenau , die Sache selbst aber (für einen Quartaner) nicht von
grosser Bedeutung, wie die über das Treffen bei Artemisium , so
ignorirt man dies am besten und lässt bei der Repetition die Sache
referiren , wie sie Nepos giebt. Betrifft aber das Versehen ein
Factum, das man nicht gern fallen lässt, wie die Meldung des
Them. an den Perserkönig über das Abbrechen der Brücke, so
wird man es berichtigen und es beim Repetiren berichtigt vortra-
gen lassen, wenn man es in diesem und in ähnlichen Fällen, wo
die Nachrichten der verschiedenen Schriftsteller mehrfach von
einander abweichen, nicht etwa vorzieht, ohne weitere Bemer-
kung die Erzählung des Nepos festhalten zu lassen. — Hr. N. hat
sich aber auf einen ganz anderen Standpunkt gestellt. Er unter-
wirft seiner Kritik Alles, was mit den Angaben des Herodot, Thu-
cydides, Plutarch u. s. w. nicht genau übereinstimmt, und wo
etwas ungenau oder unvollständig erzählt ist, da ergänzt er es
durch summarisclie oder wörtliche Anführung dessen , was die ge-
58 Lateinische Litteratur.
nannten Autoren darüber sa^en. Wenn man daher bisher man-
chen Schulausgaben von Classikern den Vorwurf gemacht hat, sie
schienen zum Zweck zn haben, alle Gymnasiasten zu Philologen
zu machen, so kann man mit demselben Recht von dieser Ausgabe
des ISepos sagen, sie scheine vorauszusetzen, dass alle Quartaner
Geschichtsforscher werdeu wollten oder schon wären. Ausser
Zweifel überschätzt wenigstens Hr. N. die Fassungskraft eines
Schülers der „unterster Classen'', für die doch zunächst seine
Ausgabe bestimmt ist, oder nach dem Plane der Herrn Haupt und
Sauppe wenigstens bestimmt sein sollte. Sonst hätte es ihm nicht
entcrehen können, dass ein solcher Schüler auch nicht mit Hülfe
des Lehrers im Stande ist, den hauptsächlichen Inhalt seiner An-
merkungen festzuhalten, dass ihn letztere vielmehr verwirren
müssen , und dass er am Ende unstet und rathlos zwischen Text
und xAumerkungen hin und her schwanken und damit die uner-
lä'ssliche Frucht jeder Leetüre, eine ungetrübte und sichere An-
schauung des Gelesenen, uuaushleiblich verlieren wird.
So wichtig es nun aber auch ist, den Grundsatz festzuhalten,
dass man schon in den untersten Classen über der Form den Inhalt
nicht aus den Augen verliere, so wird man doch bei gehöriger
Würdigung des parktischen Bedürfnisses nicht in Abrede stellen
können, dass die sprachliche Seite der Erklärung in einer Schul-
ausgabe des Nepos die sachliche eher überwiegen, als ihr nach-
stehen darf. Dass aber in der Ausgabe des Hrn. N. Letzteres und
zwar in hohem Grade der Fall ist, dürfte sich aus dem bisher
Gesagten schon von selbst ergeben. Er hat sich damit begnügt,
auf Ungewöhnliches aufmerksam zu machen, und dies oft in einer
Weise, die für den Anfänger nicht zweckmässig genannt werden
kann. Um dies Urtheil zu rechtfertigen, mögen hier sämmtliche
sprachliche Anmerkungen zu den ersten vier Capiteln des Miit.
folgen: Cap. 1. §. 1. Chersonesum. N. hat öfter (§. 4. b. c. 2, 4.
Paus. 2, 1. Dat. 4, 1. Ep 7, 3) griechische Ländernamen auf us
wie Städtenamen behandelt. Ebenso andere Schriftsteller. (Es
war zu bemerken, dass sich der Gebrauch auf Namen von Inseln
oder am Meere liegender Länder beschränkt.) §. 2. deliberare
bezeichnet hier und Them. 2, 6 ,,sich Rath erholen^*", um ,,Rath
fragen"-, für welchen Gebrauch sich keine anderen Beispiele an-
führen lassen. Die Worte qui consulerent Apollinem waren über-
flüssig. Eben so breit ist der Ausdruck Timoth. 3, 2 in consiliura
dantur — quorum consiliouteretur. (Da deliberare in der Bedeutung
von consulere sonst nirgends vorkommt, so kann man auch hier
nicht sagen, dass es ganz dasselbe bedeute, um so weniger, als
qui — consulerent gleich darauf folgt.) — cum quihus. N. setzt
cum stets vor das Relativ, was bei den besten Schriftstellern sel-
ten ist. — §. ."). adversum, das Entgegengesetzte, d. h. die entge-
gengesetzte Richtung. — Cap. 2. §. 3. Quamvis ist hier u. Att.
20,1 für quamquara, wie umgekehrt Att. 13, 6 quamquam für
NIpperdey: Cornelius Nepos. 59
quamTis gesetzt, indem sich der Schriftsteller der ursprünglichen
Bedeutung jener Wörter nicht bevvusst whv. Bei Cic. pro Rab.
Posth. 2, 4 ist an der Richtigkeit der Lesart quamvis patrera suurn
numquara viderat um so mehr zu zweifeln, da für jene Rede noch
keine Handschriften genau verglichen sind ; die Beispiele , welche
für quamqiiam mit dem Conjunctiv aus Cicero und Sallust ange-
führt werden, sind theils verderbt, theils hängt der Conj. nicht
von quaraquam ab. Sichere Beispiele ßnden sich ausser Nep. erst
hei Livius (II. 40, 7 non tibi, quamvis infesto animo et minaci
perveneras, ingredienti fines ira cecidit? XXXVI. 34, 6. quam-
quam raoveretur his vocibus, manu tamen abnuit) ; viele bei den
Späteren (wie weit diese Note, die einzige spracliliche in dem
ganzen Capitel, über den Horizont von Quarta hinausgeht, bedarf
keiner Erinnerung). — Cap. 3. §. 1 ipsarura urbium, „der Städte
selbst'', nämlich aus welchen sie waren (loniens und Aeoliens),
also „ihrer eigenen Städte."" (Wie ,,der Städte selbst^' so viel
sein kann als „ihrer eigenen Städte", ist nicht zu verstehen.) —
§. 2. Graeca — loquentes. Derselben Umschreibung bedient sich
N. Ale. 2, 1. Dion. 1, 5. — §. 5. quo, nämlich Dario. — Cap. 4,1
interserens. Das gewöhnliche ist interponens. Interserere von
serere „flechten'-'' ist ein seltenes Wort und sonst nur von Dichtern
und späteren Schriftstellern gebraucht. S. zu Iph, 1,4. — §-4,
defendere bezeichnet hier „abwehren*^ und aus dem Folgenden
ist hostes hinzuzudenken. — §. 5. earum. Beim acc. c. inf. kann
das Subject des den acc. c, inf. regierenden Verbums nie durch is
bezeichnet werden, ausser dem Falle, der hier stattfindet, wenn
nämlich jenes Verbum einem Nebensätze angehört und der Haupt-
satz ein anderes Subject hat (animum accessurum). Doch möchte
sich selbst hierfür kein zweites Beispiel finden. (Der abweichende
Gebrauch wäre für den Schüler verständlicher durch Zumpt's
Worte (§. 550 Anf. des zweiten Absatzes) erklärt worden und
durfte nicht blos auf den acc. c. inf. beschränkt werden.) — au-
dere: „sie*"', „die Athenienser'', welche hier verstanden werden
können , da Miltiades in ihrem Namen spricht. — Dies sind sämmt-
liche nicht historischen Anmerkungen zu den ersten vier Capiteln
des Milt. Wer nun weiss, mit welchen sprachlichen Kenntnissen
der Schüler gewöhnlich an die Leetüre des Nepos herantritt, der
wird sich selbst sagen, ob hier „dem Schüler das zum jedesmali-
gen Verständniss Nothw endige'^, wie es die ,, Ankündigung" ver-
spricht, geboten wird. Der Anfänger erfährt Cap. 1. §. 1 Nichts
über sui, wofür er eins erwarten muss; §. 3 Nichts über den üe-
bergang in die oratio obliqua ; §. 4 Nichts über das ausgelassene
ut bei dem noch dazu vor postulasset stehenden faceret; §. 5
Nichts über die Phrase adversum tenet. — Cap. 2. §. 2 bedurfte
der Ausdruck res constituit einer Erklärung; §. 3. das W^ort offi-
cia; §. 4 die Worte Chersoneso — constituta ; §. 5 non dicto —
capti ; Cap. 3. §. 2 (in den Worten : In hoc fuit tum numero Mil-
60 Lateinisclie Litteralur,
tiadcs, CHI illa custodia crederclur) der Conjiinctiv und die Bezie-
liuiis: von cui; §. ö idem — et; §. G noii dubitans mit folg. acc. c.
iiif , wo auf Praef § 1 zu verweisen war. — Cap. 4. §. 1 war zum
Vcrsläridniss des Zusamnicnliaiigs über den Gebrauch von autem
zu sprechen; § 2 über eins generis, qui — vocanlur; §. 4 über
die cousec. temp. in creant — qui — praeessent; §. 5 über die
Bedeutung von nitcbatur und den folg. acc. c. inf. und über primo
quoque tempore. — Für sehr nützlich hätte es Ref. auch erachtet,
wenn hier und da über den Gebrauch der tempora etwas gesagt
Märe, z B. über das mit dem Perfect abwechselnde Imperfect,
über den Coni. Plusquamp. in abhängigen Zeit- und Bedingungs-
sätzen, wo wir uns gewöhnlich des Imperfects bedienen, u. dergl.
In den Anmerkungen des Hrn. N. findet sich der Art selten etwas,
im ganzen Milt. blos zu 5, 5, wo von der Vorliebe des Nepos zum
Conjunctiv Perfecti in Folge- und Gegenstandsätzen die Rede ist.
Docli müssen diese Dinge vorzugsweise an der Leetüre geübt wer-
den. Sie giebt die beste Gelegenheit, an den verschiedenen
concreten Fällen die römische Vorstellung, die dem Gebrauch des
Imperfects u. s. w. zum Grunde liegt und deren Verständniss so
oft bis Tertia und Secunda hinauf mangelhaft bleibt, recht an-
schaulich zu machen. Derartige Andeutungen sind in einer Schul-
ausgabe recht zweckmässig und brauchen aus demselben Grunde
nicht der blos mündlichen Erklärung überlassen zu werden, aus
dem man andere sich nicht gerade auf Anomalien erstreckende
Bemerkungen aufnimmt. Manches Grammatische, was sich der
Scliüler oft nur mit Mühe und durch längere üebung aneignet,
prägt sich ihm schnell und sicher ein, wenn er die Regel (z. B.
die über den Unterschied von suus und eins, über Anwendung von
Participialconstriictionen statt deutsclier Substantiva n. a.) unter
dem gegebenen Falle im Text und zwar in recht präciser Form
gedruckt sieht und dann im Folgenden recht oft auf diese Stelle
zurückverwiesen wird. Doch solclie praktische Z\*ecke hat nun
einmal Mr. N. hier niclit verfolgen wollen, und es ist darüber auch
mit ihm niclit zu rechten. Ihm schien es hinreichend, das zu er-
klären, woran der Schüler Anstoss nehmen oder was ihm beson-
dere Schwierigkeiten bereiten kann. Dass er dabei den intellec-
tuellen Standpunkt des Schülers zu hoch angeschlagen hat, ist an
geinen Anmerkungen zu den ersten vier Capiteln des Milt. gezeigt
worden. Da er aber selbst erklärt, die ersten Lebensbeschrei-
bungen sollten in der Schule lieber gar nicht gelesen werden, so
wollen wir uns noch zum Datames wenden, mit dem nach seinem
Vorschlage die Leetüre des Nepos beginnen soll. Hier sind nun
die geschichtlichen Anmerkungen allerdings viel seltener und (mit
Ausnahme einer langen zu Cap. 6. §. 3) kürzer als in den voraus-
gehenden Biographien, doch sind sie immer noch von solcher
Ausdehnung, dass sie mit den hier häufiger angebrachten sprach-
lichen Erklärungen, mit Ausnahme von etwa zwei Seiten, einen
Nipperdey: Cornelius Nepos. 0J[
grösseren Raum einnehmen, als die „Ankündigung'' bestimmt *).
Die sprachlichen Noten zu den ersten vier Capitein haben folgen-
den Inhalt: Cap. 1. §. 1 wird wegen primum auf die Anm. zu
Thras. 1,3 verwiesen (wo primum erklärt wird: „zuerst" =:= was
das erste von ihm zu Berichtende betrifft. — Multis locis: „bei
vielen Gelegenheiten", wobei die Stellen Cic. ad fam. V. 17, 5.
VI. 13, 4. ad Att. II. 20, 1. Tusc. IV. in. wörtlich angeführt wer-
den. — §.2 über fungens mit dem Acc. als in guter Prosa veraltet.
— lieber die Stellung von ut wird auf Eum. 8. 2. Ilann. 7, 5 ver-
wiesen. — §. 3. Lieber regi dicto audiens auf Anm. zu Lys. 1, 2
verwiesen , wo aber wieder auf andere Stellen ohne Erklärung
verwiesen wird. — Zu ut nach experiri ist Cic. ad Att. IX. 10, 2
wörtlich angeführt mit dem Zusatz: Sonst gewöhnlich mitfolgender
Frage oder si. — Ueber quod vereretur wird auf Milt. 7, 5 ver-
wiesen, wo zu quoniam — posset gesagt wird: der Conjunctiv,
weil dies als Rede des Bruders referirt wird. Ebenso Dat. 2, 3,
wo wie hier uns der Indicativ natürlicher erscheinen würde; un-
statthaft war dieser Eum. 9, 6. — Deber die griech. Form Thuyn.
— Zu Cap. 3, §. 2 wird bemerkt: qua u. s. w. N. hat dies in ei-
nem Relativsatz hinzugefügt in der irrthümlichen Meinung, dass er
im Vorhergehenden (ipse u. s. w.) schon ein Verbum finitiim ge-
setzt habe. S. zu Paus. I. 3. — Zu §. 3: conspicerent, „erblick-
ten", d. h. „da er allen in die Augen fiel." So oft das Passivum
bei N. Att. 13, 5. — §, 4. Zu in primis: Das Besondere liegt in
inopinanti. Ueber dieses Wort s. z. Dion 6, 1 (wo bemerkt ist,
dass N. inopinatus und inopinans braucht, nie aber nee opinatus
oder necopinans, ebenso wie Caesar. — Cap. 4, §. 1 zu quae gens:
als stände vorher nicht der Name des Landes , sondern des Volks.
— §.2 zu portarentur: S. Zumpt. §. 558. Madvig. §. 364. Anm.
1. — §.4 zu eoque — venit: S. z. Timoth. 3, 4 (wo auf Dat. 4,
4. 5, 1. 6, 2 verwiesen wird, weil sich dort dieselbe Wendung fin-
det). — Zu haud: S. zu Pausan. 1,2 (hier wird bemerkt, dass sich
haud bei N. noch Dat. 4, 4. Ages. 4, 5 findet). — Zu quae dum
speculatur: während er das, was man ihm gesagt, (selbst) auskund-
schaftet. — §.5 zu ferens: ferens hat hier N. statt des fehlenden
Particip. des Passiv, gebraucht, wie sich öfters vehens (Timoth. 2,
1), exercens u. a. finden. Anders Ages. 4, 4, da das ganze verbum
vertere neutral gebraucht wird. — Diess wird hinreichen, um zu
zeigen, was die sprachliche Erklärung der Ausgabe da bietet, wo
die historischen Anmerkungen auf das kleinste Mass beschränkt
sind **). — Wir übergehen, was man hier etwa vermissen kann, da
*) Eine Bemerkung, die übrigens nicht sowohl dahin zielt, dem Her-
ausgeber daraus einen Vorwurf zu machen, als vielmehr das Missliche
einer derartigen Bestimmung anzudeuten.
**) Historische Bemerkungen, die alle nur aus wenigen Zeilen be-
Q2 Lateinische Litteratur.
der Massstab, den Ref. dabei anlegt, sich aus dem zu den Tier er-
sten Capiteln des iMüt. Bemerkten leicljt ergeben wird. Inhalt und
Form dieser Erklärungen sind; wie man sieht, fasslich und für das
Verständniss fördernd. Indem aber der Herausgeber es sich
vorzugsweise zur Aufgabe gemacht hat, die Sprache des Nepos in
ihrer Eigenthümlichkeit erkennen zu lassen. lässt ihn diess Bestre-
ben vielfach Dinge berühren, die wohl für den einen Werth haben,
der sich durch die Leetüre des Caesar, Cicero und Livius die Fä-
higkeit zu einer vergleichenden Beurtheilung des gesammten la-
teinischen Sprachschatzes bis zu einem gewissen Grad bereits er-
worben hat, nicht aber für den Schüler der ,, untersten Klassen.^'
In der Ordnung ist es natürlich, dass dem Quartaner gesagt werde,
non dubito (in der Bedeutung ,,ich zweifle nicht*") habe bei den
bessern Schriftstellern nicht den acc. c. inf., sondern quin bei sich
(wiewolü in der Note darüber zu Praef. l die Erwähnung des
Asinius Pollio.Trebonius,Cicero's Sohn und Hirtius nur den Schü-
lern oberer Classen interessiren kann), fungor mit dem accus, ge-
höre nur der veralteten Latinität an u. dergj.; aber es wird ihm
schwerlich etwas helfen, wenn er erfährt, dass sich Nepos in ge-
wissen Ausdrücken öfter wiederhole, wie mit der Phrase dicto
audiens (wie es grammatisch zu erklären, dass dabei noch ein Da-
tiv stehen kann, hätte übrigens zu Lys. I. 2, auf welche Stelle an
den übrigen Stellen nur hingewiesen wird, angedeutet werden
sollen), mit dem Ausdruck unus — floreret Milt. 1, 1 und Cim. 3,
1 u. a. , dass sich die Negation haud bei Nepos an drei Stellen
finde, dass er immer inopinans oder inopinatus, nicht aber nee opi-
nans oder nee opinatus brauche — diess und Anderes der Art ist
für ihn etwas sehr Gleichgültiges: er wird davon Nichts behalten,
weil ihm dafür jeder vergleichende Massstab fehlt. Während
dergleichen Erinnerungen aber wenigstens unschädlich sind, muss
man eine andere Kategorie von Bemerkungen geradezu für unpä-
dagogisch und nachtheilig erklären. Herr N. nimmt nämlich in
der bekannten Streitfrage über den Ursprung der Vitae eine eigen-
thüraliche Stellung ein. Ihm ist Cornelius Nepos, der Zeitgenosse
und Freund des Cicero und Atticus, der Verfasser des Buchs; doch
glaubt er, dass er den Ruhm, den er im Alterthura als Schriftstel-
ler genossen, keinesweges verdient hat; er sei vielmehr eben so
sehr ein nachlässiger und schlechter Stilist, als er sich offenbar als
unzuverlässigen und kritiklosen Historiker zeige. Dieses ürtheil
sucht er nun in den Anmerkungen zu begründen. Die erste be-
deutende Bemerkung, die dahin zielt, findet sich Paus. 1, 3 in den
Worten quod — posuisset. Sie lautet : quod. Es folgt kein Satz
stehen, finden sich zu Cap. 1 zwei, za Cap. 2 drei, zu Cap. 3 eine, za
Cap. 4 eine. Ausser dem Atticus sind aber alle anderen Biographien
weit reicher damit ausgestattet.
Nipperdey: Cornelius Nepos. 63
hierzu. N. wollte ursprünglich davon abhängig schreiben epi^ram-
ma scripsit oder scripsisset, hat aber dann das qnod vergessen und
epigraramate scripto gesetzt. Aehnliche grobe Nachlässigkeiten
finden sich Chabr. 1, 2. Dat. 3, 2. Ep. 9, 1. Pel. 2, 5. Ages. 8, 2
Att. 12, 4. Vergl. zu Them. 8, 2. Thras. 2, 3. Eum. 5, 4. 9, 2. ~
Roth hat hier allerdings mit den Handschriften quod cum — po-
suisset ; die allerneuesten kritischen Ausgaben von Benecke und
Klotz geben aber bei der schlechten Beschaffenheit der Codices
und bei der grossen Mangelhaftigkeit, mit der dieselben verglichen
sind — hier ist z. B. die Lesart des Danielianus (nach Benecke
eines der besten) und des Axenianus zweifelhaft — mit Boeder
quod ohne cum. Auf diese Stelle, wo Nepos ohne Noth einer gro-
ben Nachlässigkeit bezüchtigt wird, wird nun der Schüler an allen
folgenden Stellen verwiesen. Diess geschieht z. B. Chabr. 1, 2,
wo wieder mit Roth — auch mit Klotz, der aber hinter Agesilaum
eine Lücke annimmt — fidentem — Agesilaum geschrieben steht,
während Benecke mit Bremi statt der corrupten Accusative Lam-
bin's Emendation fidente — Agesilao aufgenommen liat. Auch
Att. 12, 4 ist das Anakoluth bei Bremi, Benecke und Klotz besei-
tigt, indem sie mit den edd. vett. quem nach eruditum gestrichen ha-
ben. Sollte es der Kritik nicht gestattet sein, einen Autor, der
den Umgang eines Cicero, Atticus und Catullus genoss, von sol-
chen Flecken — für die der Ausdruck grobe Nachlässigkeiten fast
noch ein Euphemismus ist — auch trotz der Codices, zumal sol-
cher und so verglichener Codices , zu reinigen , dann gehört diese
Leetüre gar nicht in die Schule und am allerwenigsten in die un-
tersten Classen. Was muss das auf den Schüler für einen Ein-
druck machen, wenn den Autor, von dem er sein erstes Latein ler-
nen soll, so oft der Tadel „grober Nachlässigkeit'''' trifft, wenn ihm
mehrfach eine ,,irrthümliche Meinung*''" darüber oder ein „Verges-
sen" dessen, was er eben gesagt hatte, u. dergl. vorgeworfen wird.
Es finden sich allerdings bei'Nepos eine Menge Ausdrücke und
Wendungen, die nicht blos auffallend sind, sondern auch Mangel
an Sorgfalt und Präcision verrathen. Sind sie von solcher Erheb-
lichkeit, so ist der Schüler darauf aufmerksam zu machen, und
man kann ihm sagen , wie die Worte besser oder richtiger lauten
würden, ohne das Ansehen des Schriftstellers in den Augen des
Lesers so tief herabzusetzen, wie es von Herrn N. geschehen ist.
Liegt nun das für eine Schulausgabe Unpassende des Tadels sehr
oft nur in der Form, in der es ausgesprochen wird, so sind doch
dem Ref. auch Stellen vorgekommen, wo der Herausg. dem Nepos
auch in der Sache selbst Unrecht zu thun scheint. So bemerkt
er Ages. 8, 2 zu cum suis: ,,Als N. diese Worte schrieb, dachte
er noch nicht die späteren eodemque comites u, s. w. hinzuzufü-
gen; hernach hat er sie zu tilgen unterlassen, weil er vergessen
hatte, dass er sie geschrieben.'''' Das Einfachste scheint hier,
eodem nicht als Adverbium, sondern als Ablativ zu nehmen und
'64 Lateinische Litteratar.
mit restitn Iiiimili atqiie obsoleto zu verbinden, was sich auch des-
halb empfiehlt, weil man bei dieser Auffassung zugleich Etwas
über die Kleidung des Agesilaiis selbst erfährt, worüber man eine
Bemerkung ungern verraisst. Dat. 3, 2 wird in der schon ange-
fnhrteii Bemerkung zu qua angenommen, N. Iiabe in der irrthiim-
lichen Meinung gestanden, dass er im Vorhergehenden sclion ein
Verbura iinitiim gesetzt habe, während man in circumdatus, bei
dem erat auf eine allerdings nicht zu billigende W eise ausgelassen
ist, das Verbum finitiim zu erkennen hat. Auch Epam. 9, 1 liess
sich der absolut stehende Nominativ cognitus dem Wesen des Ana-
koluths entsprechender (etwa mit Bremi) auffassen, als es von dem
Ilerausg. geschehen ist, der darüber sagt: „Der Satz wird begon-
nen, als wäre Ep. Subject, gleich darauf aber (universi u. s. w.)
hat N, dies vergessen und die Laced. zum Subject gemacht. ^^ Pe-
lop. II. 5 konnte hervorgelioben werden, wodurch das Auffallende
der Wiederholung exissent — exierunt gemildert wird. Exierunt
ist nämlich nur der äussere Träger des Prädicats, das dem Schrift-
steller als Hauptsache vorschwebte, das sich aber der äusseren
Form nach an exierunt anlehnt. Herr N. sagt darüber, Nepos
Ikabe anfangs den Satz qui cum — datus zum Nachsatz zu machen
beabsichtigt u. s. w., und fährt dann fort: ,,als er aber die Worte
cum canibus u. s. w. schrieb, glaubte er vorher statt cum — exis-
sent nur Athenis interdiu gesetzt zu haben.'"' An allen diesen
Stellen, namentlich auch in der schon angeführten Bemerk, zu Paus.
1, ."5, nach der der Schriftsteller nicht mehr wusste , was er in der
vorhergehenden Zeile geschrieben, spielt die Vergesslichkeit eine
solche Rolle, dass der vergessliche Schüler, der den Indicativ
schreibt, weil er vergessen, dass er eben ut gesetzt hat, sichnAiit
dem vergesslichen Nepos trösten kann. Man sieht, Herr N. hat
hierbei das Bednrfnlss der ,, untersten Classen^'' nicht gehörig be-
rücksiclitigt. Ihm kam es nach der Vorrede darauf an, den Leser
„sowohl zum Verständniss als zur Beurtheilung des Schriftstellers
zu befähigen,' und er versteht hier unter dem Leser nicht blos
den erwachsenen Freund der alten Classiker, sondern auch den
Schüler, denn er sagt: „Will man den Nepos in der Schule lesen,
so rauss man sich gefallen lassen, dass der Schüler dem Schriftstel-
ler gegenüber auf den Standpunkt gestellt werde, auf dem erstehen
rauss, und demjenigen Dank wissen, welche dem Lehrer die Mühe
und den Unterrichtsstunden die Zeit erspart, die zu diesem Zweck
erforderlich sind.*' Wie weit aber dies bei den Schülern der
„untersten Classen" zu erreichen möglich ist, bedarf keiner weite-
ren Erörterung. Wollte man wirklich den Versuch machen, den
Quartaner auf den Standpunkt der Kritik über Inhalt und Spraclie
des Autors zu stellen, so würde der Erfolg nicht zweifelhaft sein:
wir MÜrden schon die zwölfjährigen Knaben zu eitlen Scliwätzern
und zu aufgeblasenen — und doch nur das Wort des Lehrers ohne
Siüu und Verstand wiedergebenden — Tadlern erziehen.
Maurer u. Heiligstedt : Comment. in Vet. Test. 65
Fassen wir schliesslich unser ürtheil kurz zusammen, so lau-
tet es dahin, dass die Ausgabe für den Gebrauch in den unteren
Classen nicht geeignet ist, weil sie einerseits zu vieles enthält, was
über den geistigen Horizont dieser Classen weit hinausgeht und
was den Schüler verwirren und ihn an seinem Autor gänzlich irre
machen muss, und weil sie andererseits vieles nicht bietet, was
dem, der mit einer zusammenhängenden Leetüre den ersten An-
fang macht, zum Verständniss vor Allem noth thut, wozu wir unter
Anderem jedem Cap. vorausgehende kurze Inhaltsangaben rechnen.
— Diese Mängel hat die Ausgabe, wie schon angedeutet wurde,
dadurch bekommen, dass sie verschiedene Zwecke verfolgt, die
sich ihrer Natur nach nicht wohl vereinigen lassen. Hätte sich
Herr IN. , anstatt Zweien dienen zu wollen, sowohl „den Schüler
der untersten Classen" als auch „dem Freunde des classischen
Alterthums,'^ darauf beschränkt, eine praktische Schulausgabe zu
liefern — was ja der Zweck der „Sammlung'^ ist, zu dessen Er-
reichung aber nach dem verschiedenen Standpunkt oberer, mittle-
rer und unterer Klassen natiirlich auch verschiedene Mittel anzu-
wenden sind, — dann wäre wohl die Textes - Kritik anders und
mehr dem Schulzwecke entsprechend gehandhabt, die sachlichen
Anmerkungen wären auf ein kleineres Maass beschränkt, die sprachli-
chen vermehrt worden und beide hätten vielfach eine andere Form
oft aucb anderen Inhalt bekommen. — Ganz anders muss die Be-
urtheilung ausfallen, wenn man die Ausgabe insofern betrachtet, als
sie für erwachsene Leser bestimmt ist. Abgesehen davon, dass
auch er, wenn ersieh nicht sehr eingehend mit Geschichte be-
schäftigt, Manches finden wird, was er entbehren möchte, dass er
dagegen das kritische Material, wo es gilt, sich ein ürtheil über
die Sprache desNepos selbststandig zu bilden, nicht selten ungern
Termissen muss, wird ihm die auf umfassenden Quellenstudien und
tüchtiger Kenntniss des lateinischen Sprachschatzes beruhende
Arbeit des Herrn Nipperdey zu allseitigem Verständniss und gründ-
licher Beurtheilung der Vitae gewiss auf das Beste förderlich sein.
Indem sich Ref. mit dieser Andeutung begnügt, überlässt er es
Andern, diese Seite der Ausgabe nach Gebühr und wie es der
darauf verwendete Fleiss verdient, ausführlich zu würdigen.
^ ■' ' ' Dr. Breitenbach. -
Maureri Commentarius in veius testamentum. Vol. IV. Sect. U.
Commentarium in Ecclesiasten et canticum canticorum continenj.'.
Scripsit^M^. Heiligstedt. Lipsiae 1848. Renger. 1848. S. 289 — 484 8.
ii
Es ist erfreulich, dass Herr Heiligstedt nunmehr durch den
Commentar zum Prediger und dem Hohen Liede ein wichtiges
Werk, dessen unterbrochene Fortsetzung sehr bedauert worden
iV. Jahrb. f. Phil. u. Päd. od. Krit. Bibl, Bd, LVni. Hft. 1. 5
gß Hebräische Litteratnr.
ist, vollendet hat. Hoffentlich diirfte auch noch eine Ergänzung, ent-
haltend h^inleitung und Nachtrag zu den frühern, minder ausführ-
lich behandelten Schriften des heiligen Bundes dem Ganzen seine
Vollendung geben. Bis jetzt weiss wenigstens Ref. nicht, ob das
Werk wirklich abgeschlossen sei. — Was nun den Sinn und den
Geist anbetrifft, der in diesem Commentar herrscht, darüber hat
sich in seiner gewöhnlich scharfen Kritik Prof. Ewald ausgespro-
chen. (Cf. Ewald Jahrbücher für bibl. Wschft. , Erstes Jahrbuch.
Gott. 1849. 8.46.) Ungeachtet der a. a.O. erwähnten Ausstellun-
gen, hält dennoch Hr. Ew. „diesen kleinen Commentar für gründ-
licher und nützlicher, als die grossen Arbeiten^'' bedeutender Vor-
gäu'^er. Zunächst aber bemerken wir für unsern Zweck, dass das
Prooemium wie beim Hiob, zuerst für den Ecciesiastes, eine pas-
sende Einleitung enthält. Planmässig ist nachgewiesen, dass der
angenommene Name Salomo's — der Prediger— nur fingirt sei. Hl-
gtorisch und grammatisch, besonders durch Anführung nicht zeit-
gemässer Ausdrücke, wird der Schrift ihr hohes Alter abgespro-
chen und sie in die letzte Zeit der persischen Periode gesetzt.
(Herxheiraer Rabbiner etc. in seiner Bibel mit FJrklärung. Berlin
1848, ist ganz derselben Meinung.) Demnach aber ergebe sich
folgender Plan. Das Buch hat einen theoretischen Theil (Cap.
1_14. 16) und einen praktischen (Cap. 4, 17—12, 7.). Im theo-
retischen Theil wird die Nichtigkeit des menschlichen Lehens, das
erfolglose Streben nachgewiesen, weil der Mensch von Zeit und
Zufall abhängig sei. Im praktischen Theile finden wir die schön-
sten Lebensregeln, besonders aber wird die Gottesfurcht iiber Alles
gepriesen und auch die Unsterblichkeit des Geistes deutlich ange»-
nomraen. Das hedonischePrincip wird allmäligin einßtoisches ver,-
wandelt. Wir hören (gleichwie in der neuern Zeit in Tiedge's
Urania) zuerst die Sprache des Zweiflers und dann eine kräftige
Widerlegung. Ref. findet hier eine Fortsetzung eines im Hiob
bereits gegebenen Princips von der göttlichen Allmacht, die über
alle menschliche Kritik erhaben ist. In dieser Auffassung hat der
Prediger bei nur scheinbarem Widerspruch eine nicht zu verken-
nende Einheit. — Uebersetzungen und Erklärungen sind einfach
und verständlich. Im 2. Capitel ist der vielfach gedeutete Vs. 3
also übertragen: Investigavi in corde meo — trahere — ad vinam
carnem meara etc. Mit einem Worte: ich verschaffe mir mit wei-
ser Einsicht jeden Genuss. Der Verf. erklärt anb ^^ pna zzr= pii<
gemere aliquid und giebt den Ausdruck modificirt durch animum
meum sapientiae taedebat. Bleiben wir bei der Grundbedeutung
und wegen des Parallelismus zu ^n-)n, dann ist es ein: „Hinziehen,
ein Hinführen zu Etwas. Die Uebersetzung Herxheiraers wäre
daher angemessen : „mein Herz veranstaltete es mit Weisheit etc.''
Schöner noch van Ess: „dann wollte mein Herz recht weise ein-
lenken;" 3. Capitel. — Alles hat eine bestimmte Zeit — die
Rabbiner haben (bes. wegen Vs. 20) dieses Capitel, ja einige eben
Maurer u. Heiligstedt : Comment. in Vet. Test. 67
desshalb das ganze Buch unterdrucken wollen. Nach der oben ge-
gebenen Einleitung spricht hier nur der (später widerlegte) Zweif-
ler. Finden wir keine nähere Besprechung des Gegenstandes, so
entschädigt uns dagegen die Erläuterung des 4. Cap. V. 2 genaue
Erörterung des vielfach untersuchten naej^ ijn;. Hr. Heiligstedt
hält die Form für das particip. Piel mit fehl. "Q (vgl. Pual.). Ewald
a. a. O. nimmt hier ein Inf. pro temp. finito an. Warum soll
denn aber das beigesetzte •»sx nicht vielmehr für das particip. zeu-
gen*? (Vielleicht ist des Lippenlautes wegen und der folgenden
1. sibilans nattj^ati in nac3i contrahirt.) Gut ist V. 17 die Erklärung
*iad ^^^'^. Custodi pedes tuos, (quando is ad domum Dei) wobei
auch das f^i^?,^ durch ähnliche Belege aus der Schrift nunmehr
deutlich erklärt ist. — Cap. 5, 19 fi?"^?!) N^ ^3 etc. Quia non mul-
tum recordatus dierum vitae suae etc. abweichend von vielen Inter-
preten. Herxheimer scheint den richtigen Sinn gefunden zu ha-
ben: „dass nicht viele sind — bedenke er — die Tage seines Le-
bens etc." Um Einzelnes ganz besonders hervorzuheben, machen
wir noch aufmerksam auf Cap. 7. Vs. 7, wo besonders die Parano-
raasia d\ij und "j^iy (Gut Gerücht — gute Gerüche) hervorgehoben
ist; sowie im 8. Capitel Vs. 10 gediegen behandelt erscheint
(Ct-np). üebrigens ist das v. i<i2 eine genauere Bezeichnung des
futurum, wie im Französischen aller. Und die vulgata hat für
beide Ausdrücke nur den einen: sepultos. Im 10. Cap. Vs. 10 sind
die Worte *i^^2«7 )'^'^^'^.'} •^'s^ri dorch ,,emolumcntum prosperandi
praebet sapientia," deutsch etwa so: doch Vortheil des Gelingens
giebt Weisheit. Genauer van Ess: Darum hat Vorzug zur bessern
Einrichtung Weisheit. — Im 12. Capitel, worin der Prediger treff-
lich das mit vielen Uebeln verbundene Alter schildert, sind für die
Erklärungen hervorzuheben: dieVse. 1. 3. 4. 5. — Vom 9. Verse
an (Epilogus) ist Alles erschöpfend erläutert. Mit Becht wird Vs.
1 durch (das) ^-T^i dahin gedeutet, dass wir (im Hinblick auf den
Ewigen) zu keiner Zeit das Leben leichtsinnig geniessen sollen. —
Vs. 4 ist "i-T^n m32 übersetzt filiae cantus(cantus senum) depriraun-
tur; angemessener dürfte der Sinn folgender sein: der Gesang
der Vögel erscheint gedämpft (weil nämlich der Greis nicht gut
hört). Ges. thes. na p. 220, cantatrices (al. oscines). Im Epilog
ist das Endresultat ^la'i C]*ö übers, finem verbi, universitatem au-
diamus, Vsn als Parallelismus. Van Ess nimmt hier eine Hendya-
dys an:,, das Ende des Ganzen iasst uns hören." — Zuletzt sind die
Quellen gegen die ^ithentie des Epilogs angeführt. —
Canticuni Canticorum. Das Prooemium enthält I Inscriptio
et poeseos genus. II. Carminis materia , argumentum et finis.
111. Carminis dispositio, cohaerentia et forma. IV. De cantici Can-
ticorum auctore et aetate, et de loco, in quo hie liber scriptus est.
S. 391 — 400. Von der Geschichte der Erklärung des Gedichtes
hat der Verf. abstrahirt und nichts von der allegorischen Auffas-
sung erwähnt, wie sie in den ältesten Zeiten bei jüd. und christl.
5*
(j8 Hebräische Litteratur,
Exegetcn stattgefunden hat. Er folgt den neueren Auslegern, die
seit Michaelis, Herder und EicIit)orn die allegorische Auslegung
des Hohenliedes in Misscredit gebracht haben. Eine ziemlich
ausführliche Darstellung bespricht den Charakter dieses lyr.-ero-
lischen, dem Drama (wie ein Carmen amoebaeum) sich nähernden
Gesanges. Dass König Salomo nicht der Verfasser sei, sondern
ein, einige Dekaden nachher zu Thirza, der Residenzstadt Israelit.
Könige, lebender Sänger, wird umständlich nachgewiesen. — Es
wird ausser Zweifel gesetzt, dass gegenwärtiger Wechselgesang,
der sich mit Virgilschen und Theokritischen Gesängen dieser Art
gut vergleichen lässt, zwischen einem unschuldigen Landmädchen
und einem Jüngling, die sich aufrichtig und innig lieben, stattge-
funden habe. Die steten Versuche des Hofes, die Schöne für das
Serail zu gewinnen, scheitern an ihrer festen Liebe. Capitel 3 u.
4 sind als Phantasieenstücke erklärt, welche zwei Träume in Folge
lebhafter Sehnsucht hervorgerufen haben. Die Erklärungen, la-
teinisch gut und verständlich geschrieben, halten die Mitte zwi-
schen einer zu aphoristischen und einer zu makiologischen Her-
meneutik. Was Herr Ewald a. a. 0. (s. oben Eccies.) gegen die
Auffassung der Dichtung von Seiten unseres Verfassers bemerkt
hat, übergehen wir, da es nur weniges Einzelne betrifft. Ref.
hebt einiges Eigenthümlichc des Comm. hervor. Cap. 1. V. 3 die
schöne Paronomasie, die mit der bereits oben (Pred. 7,1) angeführ-
ten Stelle zu vergleichen ist. Der Sinn ist: der Geruch deiner
Salben ist köstlich. Herxheira.: dem Gerüche sind deine Salben
lieblich. Herr Heiligstedt bemerkt: n"»"^ odorem — neque unquam
odoratum, i. e. odorandi facultatem habet (cf. Ges.Thes. p. 1273).
Die Erklärung zu ^"}'p, ""^rjx quod solis ardori semper erant exposi-
ta, nigrescebant ist zu physisch. Eine mechanische Auffassung
führt dahin, dass die ganz schwarzen Zeltdecken der Araber aus
schwarzen Ziegenhaaren gewebt waren. — Im 2. Cap., das so lieblich
die Annäherung des Lenzes schildert (glücklich hat Tieck „Salomo-
nische Lieder* die Stelle versificirt und gereimt), wird f^^rnVs. 1
für Colchicum autumnale erklärt: wahrscheinlich ist dieNarcisse ge-
raeint, die auf der Ebene von Saron häufig gefunden wird (cf. Jes.
35, 1). Vs. 15 (vgl Ewald a. a. 0.) ist c^^^a durch vulpes, nicht
durch canesaurei übersetzt. Dass übrigens das Ganzeein Fragment
eines Winzerliedes sei, ist offenbar. In Cap. 3. Vs. 7.8 die (schein-
baren) grammatisclien Abweichungen. Wohl dürfte "n'J'S — ge-
flissentlich die ländliche Sprache ausdrücken. — 9. ')'i'''?SvX (n-.Q
Bahre) ferculum . Prachtstück; folglich ein Prachtbett. Die Tal-
raudisten verstehn (und vielleicht nicht mit unrecht) ein kostbares
Ehebett darunter. Nach Meier (die Bildung des Plural in den so-
mit, und indogerman. Sprachen, Mannheim 1846. vgl, S. Ö6 f.) ist
der Stamm mit b^'S zusammenfallend ^-Ausbreitung -^ Lager =
Bett, bes. Ehebett. — Vs. 10 "^äE"^ exornatum amore etc. So be-
reits Mendelssohn „gepolstert mit Liebe. ^* Gezwungen erscheint,
Maurer u. Heiligstedt : Comment. in Vet. Test. 69
dagegen gehalten, die Uebersetzung von van Ess: „die Mitte war
niedlich gepolstert der Töchter Jerusalems wegen." Aus Cap. 4
heben wir hervor D-isii Tj'??"'? oculi columbae, deine Augen Tauben.
Demnach entbehren wir die Erklärung, wie sie bei ähnlichen Stel-
len, «. B. mxrij D-tril^x (cf. Ges. Gramm. 1848. §. 114. S.) für —
'^^'^^. — stattfindet, und verzichten auf die Erklärung Q"»2i'' -i^s» 'r^^:'^5>
mit Recht. — Das 5. Capitel, einen zweiten sehr lebhaften Traum
enthaltend von der Erscheinung des Geliebten zur Nachtzeit, lässt
sich füglich als eineSceneimGjnaeceum betrachten. Das Mädchen
wird endlich daraus befreiet. Für die Erklärung ist besonders der
11. Vers hervorzuheben, wo auf die Begriffe des Orients über
morgenländische Schönheit aufmerksam gemacht wird. Besonders
aber ist Capitel 6 auf Hartmann's Ideale weiblicher Schönheit bei
den Morgenländern Rücksicht genommen worden. Die Ueber-
setzung von Vs. 12 lautet: Nescivi, anima raea posuit me inter cur-
rus populi mei nobilis (inopinato translatam me sensi); dieVulgata
hat hier den Eigennamen Aminadab. Castellio übersetzt unange-
messen ebenso, um hier nicht von der Vulgata abzuweichen. Offen-
bar ist aber hier nur die Rede von Wagen der Grossen = könig-
liche Wagen (vgl. auch Gesen. Thes. S. 853). — Im 7. Cap. wird
nachgewiesen, dass sich die Hoffrauen ungemein bemühen, die
Sulamith zurückzuhalten, die jedoch bescheiden fragt: fniri tn?3.
Der Verf. folgt im Erklären der mit den üppigsten Farben ausge-
mahlten Bilder orientalischer weiblicher Schönheit Rosenmüller
und Winer und lässt es nicht an interessanten Vergleichen mit dem
classischen Alterthum fehlen. (Auch Goethe hat bei der Schilde-
rung in der Walpurgisnacht im Faust Bilder aus diesem Capitel ent-
nommen.) — Vs. 3, T\^"}^ ist als Synecdoche für venter erklärt.
Aehnliches sehen wir bei Horatius, Ref. erinnert unter Andern an
crinis = capilli = caput. — Vs. 14 werden die d^s<f^i"i durch
Mandragorae übersetzt =: Liebesäpfel. Dieses entspricht freilich
der Etymologie von T'n. "i^i. Ref. fügt den angezogenen Stellen
zum Belege noch gern bei: Philippsohn, Israelitische Bibel, IMos.
30, 14. Anm. S. 152, woselbst die Abbildungen von Atropa Man-
dragora und der Musa paradisiaca zur Veranschaulichung dienen.
Nach neuern Ansichten ist im Hohenlicde wirklich letztere Pflanze
gemeint. In der Einleitung zum 8. Capitel wird der errungene
Sieg der Unschuld nachgewiesen, wodurch die Suiamith endlich
ihre Freiheit erhält. Dass dieses mit königlicher Bewilligung ge-
schehen sei, wird entnommen aus dem auf Salomo anspielenden
Ausdruck Dibb im Vs. 10. — Vs. 6 n^ n^nbui flamma Jehovae z^
T T V V ; -
vehementissima, folglich ein umschriebener Superlativ wie etwa
1 Mos. 10, 9. — Fänden wir hier nicht das Wort ^^. wir würden
Jehovah gleichwie in Esther ganz vermissen. — Zu Vs. 7 fugen
wir bei inta yn noch hinzu, dass hier offenbar auf Salomo selbst
hingezielt wird, dessen Reichthümcr eben so angestaunt wurden
als seine Weisheit. — Schliesslich müssen auch die Corrigenda
70 Bibliographische Berichte u. kurze Anzeigen.
bei der Lectiire nicht unbeachtet bleiben. Möge, wie bereits oben
bemerkt, eine baldige Ergänzung zum Commentar einen Abschlnss
des Ganzen herbeifüliren , um das nützliche Werk immer mehr
dem Bntzwecke entsprechender zu machen.
Mülilliausen. Mühlberg.
Bibliographische Berichte u. kurze Anzeigen.
1. Satzlehre. Zum Behufe eines gründlichen und fruchtbaren
Unterrichtes in der deutschen Sprache bearbeitet von M. Zeheier , er-
stem Lehrer und Präfekt am königl. Schullehrer-Serainar in Eichstätt.
Nördlingen, Verlag der C. H. Beck'schen Buchhandlung. 1849. XLIV
D. 263 S. 12.
2. Neuhochdeutsche Grammatik von K. A. Hahn. Erste ab-
teilung die lehre von den buchstaben und endungen. Frankfurt a. M.
Druck und Verlag von H. L. Brönner. 1849. XX u. 152 S. 8.
3. Der Vokal in den Wurzeln deutscher Wörter beleuchtet
von Eduard Olawski, Professor am Königl. Gymnasium zu Lissa. Trze-
messno. Verlag und Druck von Gustav Olawski. 1849. XXVI u. 260 S. 8.
Wenn der Unterzeichnete diese drei Werke hier zusammenfasst, so
hat dies darin seinen Grund, dass sie ihm von der verehrl. Redaction
zusammen zugeschickt worden sind , um sie „in einer kurzen Anzeige"
in den Jahrbb. zu besprechen. Der Unterzeichnete wird sich darum der
möglichsten Kürze befleissigen, dabei jedes der genannten Werke beson-
ders betrachten,
Herr Zeheter ist den Lehrern der deutschen Volksschule und der
Schullehrerseminarien durch verschiedene Werke bereits rühmlich be-
kannt; auch bekannt durch den sittlich-christlichen Geist, der sich viel-
fach in seinen Werken, auch in der vorliegenden ,, Satzlehre" ausspricht.
Sein Buch, für den Elementarunterricht in Knaben- und Mädchenschulen
bestimmt, zerfällt in 2 Abschnitte: im ersten werden die verschiedenen
Arten des einfachen, im zweiten die des zusammengesetzten Satzes klar
und einfach entwickelt und die gegebenen Regeln durch zahlreiche zweck-
mässig gewählte Beispiele erläutert. Der Verf. folgt besonders den
Lehrbüchern von Becker ^ Diesterweg, Honkamp, Kellner, ohne sie auszu-
schreiben oder ihnen sclavisch nachzutreten. Es wäre übrigens zu wün-
schen , dass der Verf. die Ergebnisse der historischen Grammatik mehr
beachtet hätte, denn mit Recht behauptet der Verf. von Nr. 3, dass die
rechte Schmiede einer auf historischer Grundlage aufzubauenden neuen
Orthographie (statt unserer willkürlichen Un- Orthographie) die Volks-
schule sei. Durch die Volks- und Gelehrtenschulen müssen die For-
schungen J. Grirnrn^s in das Volk eindringen und dasselbe belehren and
zu deutschem Sinne kräftigen. Sehr belehrend ist die Vorrede j deren
Bibliographische Berichte u. kurze Anzeigen. 71
Hauptgedanken hier mitgetheilt werden mögen, da sie auf den Sitz des
Uebels (des Nicht-Gedeihens) hinweisen und Mittel dagegen bieten. Der
Verf. handelt hier „über den Unterricht in der deutschen Sprache in
deutschen (Voiks-)Schulen" und sucht zunächst die Frage zu beantwor-
ten, „ob der dem Erlernen der deutschen Sprache gespendete Aufwand
von Zeit, Mühe, Regelwesen, überhaupt vom sprachlichen Treiben mallen
deutschen Schulen, oder auch nur in den meisten^ das gewünschte oder
wünschenswerthe Resultat geliefert." Der Verf. beantwortet die Frage
mit Nein] und findet die Ursache in den verschiedenen verkehrten Me-
thoden ^ deren er dann einige anführt und näher bespricht. Er fordert,
„dass der allseitige Unterricht in der Muttersprache den Schüler nach
Kopf und Herz ans sich heraus- und in sich hineinbilde, indem der Schü-
ler durch denselben sowohl seine eigene Geistes- und Herzensthätigkeit,
als auch die Objecto seines nothwendigen und nützlichen Wissens und
Könnens klar und möglichst umsichtig anschauen, begreifen, beurtheilen
und ordnen lernt. Durch die Lösung dieser formellen Aufgabe hat der
Sprachunterricht auch matenell zu wirken und den Schüler dahin zu
bringen , dass er sich der Sprache als mündliches und schriftliches Ver-
kehrsmittel (-mittels) richtige klar, fertig und wohl auch schön zu bedie-
nen im Stande ist." Um diese Aufgabe zu lösen, ,, bedarf es in objecti-
ver Hinsicht der Materialien , worüber , der Formen, nach denen gespro-
chen werden soll, und der schriftlichen und mündlichen Uebungen für
beides." — In Bezug auf die Lehrform verlangt der Verf., „dass die-
selbe einfach sei, the'ils entwickelnd (entweder vortragend oder kateche-
tisch), theils blos praktisch.^^ Der Slufengang „sei theils analytisch,
theils synthetisch , theils analytisch-synthetisch , theils synthetisch-analy-
tisch, je nachdem das Pensum beschaffen ist." — Den Schulkindern der
ersten Classe (bis zum 8. J.) weist der Verf. zu 1) Vorübungen: Be-
trachten, Benennen und Bezeichnen der Dinge im Schulzimmer etc. ; der
Theile, der Eigenschaften und Merkmale, der Thätigkeiten und des Ge-
brauchs, der Zahl und der Verhältnisse derselben; 2) Nebenübungen:
Kenntniss der Laute, Silben , der wichtigeren Wortarten, Bildung ein-
facher Sätze. In der 2. Classe (8 — 10 J.) soll der Sprachunterricht
mehr und mehr als Selbstzweck, mithin in seiner /ormeZZ-materiellen Seite
erscheinen. Hier kommen Wort-, Wortbildungs- und Wortbiegungslehre
in Betracht. In der 3. Classe tritt der Satzbau selbstständig und als
Hauptaufgabe hervor, jedoch mit beständiger Rücksichtnahme auf die
Wort- und Wortbiegungslehre. Zu dieser Satzbaulehre liefert nun der
Verf. im vorliegenden Buche eine Anleitung nach Form und Material, und
zwar eine recht brauchbare und empfehlenswerthe.
Die Verf. von Nr. 2 und 3 haben das miteinander gemein, dass sie
sich beide an die Forschungen von J. Grimm anlehnen , unterscheiden
sich aber, abgesehen von Inhalt und Form ihrer Bücher, wesentlich durch
den Ton, der in denselben herrscht. Hr. Hahn lässt durchweg einen
zuversichtlichen, gegen Andere vornehm absprechenden Ton hören, wäh-
rend Hr. Olawski den für sein deutsches Vaterland begeisterten und zu
begeistern suchenden Lehrer überall erkennen lässt.
72 Bibliographische Berichte u. kurze Anzeigen.
Hr. Hahn hat sich ,,eine historische Belebung der Grammatik" zur
Aufgabe gestellt. FJr findet in den bisherigen Lehrbüchern die Gramma-
tik der neuhöchd. Sprache aus zweierlei Gründen ungenügend: erstens
fehle denselben eine historische Grundlage, d. h. der jetzige Stand der
Sprache sei darin ohne alle Rücksicht auf den früheren dargestellt; ein
zweiter Fehler sei das summarische Verfahren in der Darstellung. Er
fordert bei grammatischen Arbeiten Ausführlichkeit, ja Vollständigkeit
als unerlässliche Bedingung ihres dauernden Werthes. Der Verf. hat
,, ausser Grimmas unschätzbarem und unentbehrlichem Werke alle gram-
matischen Schriften über die jetzige deutsche Sprache mit Fleiss ausge-
schlossen", um ,,das beneidenswerthere Bewusstsein der Selbstständigkeit
und Unbefangenheit" zu haben und ,,roit dem reinsten Bewusstsein be-
haupten zu können, dass sein Buch nicht zu denen gehöre, von denen es
heisst, dass aus zehn schon vorhandenen ein elftes zusammengestöppelt
■worden." Dieses vornehme Nichtbeachten hat, nach unserem Urtheil,
dem Buche keinen Vortheil gebracht, so sehr wir sonst die Selbststän-
digkeit anerkennen. Es ist seit mehreren Jahren in Zeitschriften (z. B,
in diesen Jahrbb., im Archiv von Viehoff und Herwig), in Programmen,
in besonderen Abhandlungen so manche Seite der historischen Gramma-
tik behandelt worden und mitunter auf so belehrende Weise , dass diese
Arbeiten wohl eine Berücksichtigung verdient hätten. Hr. Hahn, ein
tüchtiger Kenner des Mittelhochdeutschen und als bewährter Arbeiter
auf diesem Felde anerkannt, dringt mit Recht auf Benutzung der Quellen,
fordert mit eben so vielem Rechte, dass bei einer Grammatik der neu-
hochdeut. Sprache das 16. und 17. Jahrh. beachtet werden, — aber er
rouss auch wissen, dass, wenn ein Verf. seine Mitarbeiter auf dem Felde
der deutschen Grammatik so vornehm absprechend behandelt, man an ihn
desto grössere Forderungen zu stellen berechtigt ist. Und da muss Ref.
denn sogleich gestehen , dasa es hier nicht genügt, die (an sich trefflichen)
Lehrbücher von W. Wackernagel und Häusser y die Luise und die Ueber-
setzung der Ilias und Odyssee von FosSf Hermann und Dorothea von
Goethe und die Uebersetzung der Schauspiele Calderon's von Gries zu
benutzen. Hier dürfen, um nur einige zu nennen, Geiler von Kaisers-
berg, Luther, Fischart, G. Sachs ^ die Dichter der ersten und zweiten
schlesischen Schule nicht unbeachtet bleiben *) oder nur Stücke ihrer
"Werke in Lesebüchern benutzt werden , von neueren gar nicht zu reden.
Hr. Hahn behandelt S. 1 — 55 die Buchstabenlehre, S. 55 — 104 die
Declination, S, 105 bis zum Schluss die Conjugation, und zwar mit steter
Beachtung der früheren Sprache; er wandelt dabei ganz, und mit Recht,
auf Grimm's Weg. Was Ref. tadelt, ist das Pochen des Verf. auf (eine
vermeintliche) Neuheit und Vollständigkeit ; was Ref. gern lobt, ist die
*) Aus jedem Werke der genannten könnte Hr. Hahn Berelchernng
zu seiner Grammatik gewinnen. Ref. glaubt einiges Recht zu dieser Be-
hauptung zu haben, da er seit längerer Zeit mit dem Lesen der Schrift-
steller des 15. — 17, Jahrh. beschäftigt ist, um eine Grammatik jener Zeit
zu schreiben.
Bibliographische Berichte u. kurze Anzeigen. 73
Klarheit und Verständlichkeit seiner Entwickelung. Dieses Lob bedarf
keiner Begründung, das Buch selbst giebt sie; den Tadel will Ref. in
gedrängter Kürze zu begründen suchen. S. 12 sagt der Verf. Gebürge,
wüschen, Spitzfündigkeit, Sprüchwort, sprützen seien jetzt entweder ganz
beseitigt oder eine ganz seltene Ausnahme. Bei Gebürge, Sprüchwort
und sprützen ist dies nicht der Fall : Sprüchwort findet sich oft bei Goethe
u. A., Gebürg und sprützen bei Platen (z. B. Band 4. S. 5 nnd 169 der
Ausg. Stüttg. und Tüb. 18*8), Statt des unorganischen ergötzen steht
in Goethe's Werken (Stuttg. u. Tüb. 1827 f.) meistens (nicht immer) er^
geizen, bei welcher Form wir also nicht bis zu P. Gerhardt im 17. J. zu-
rückzugehen brauchen. — Den Diphthong e«, der sich aus früherem iu
entwickelt hat, schreibt Hr. Hahn S. 20 f. eit, zum Unterschied des Um-
lautes von au, der bald äu, bald eu geworden ist. Das Verzeichniss der
Wörter mit diesem eu Hesse sich noch um manches Wort vermehren (z. B.
meuchlings, keusch, Keule u. A.) Vergl. Grimm I. 189. 226. 3. A. • —
Die Präp. halben (S. 36) hat sich noch später als bei Fischart (im 16. J.)
erhalten, z. B. bei Goethe im R. Fuchs I. 14. Um die Form Thurn
(S. 37) statt der jetzt gebräuchlicheren Thurm zu finden , braucht man
nicht bis ins 17. J. zurückzugehen, Goethe gebraucht sie noch im Götz
V. B. (W. Bd. 8, 121). — S. 42 heisst es: ,,d geminiert wohl höchstens
in troddel." Hier ist Widder vergessen; Kladde ist mehr niederdeutsch.
— Die Zahl der Wörter, in denen t ein unorganischer Zusatz ist oder
für d steht (S. 44) lässt sich vermehren: und gehören dahin viele
Partie. Präter. : geflissentlich, gelegentlich u. a. und viele (als solche nicht
mehr gefühlte) Partie. V vis.: flehentlich , wissentlich u. a. Vergl. Grimm
II. 690 f. und meine Gramm. 1. 2, §. 254, wo auch auf die älteren Formen
des 15. — 17. J. hingewiesen ist. — Von Fastnacht geben Schmeller (I.
568 f.) und Weigand (syn. Wörterbuch Nr. 677 Nachtrag) die altern
Formen in reicher Fülle an. ■ — S. 48 wird gesagt , s sei am Ende ver-
schiedener Wörter unechter Zusatz , der sich bald früher, bald später
eingeschlichen habe , und dabei wird auch wärts in himmelwärts angeführt.
Wie der Satz da steht, kann er zum Irrthum verleiten, denn schon goth,
und nhd. findet sich (nebst andern) das genitivische Adverbium wärts x
jaindvairths, heimwartes. Vergl. Grimm III. 89 f. — S. 50 wird „als
ganz individuelle Liebhaberei" Gärtgen (aus J. Moser) und mogte ange-
führt. So individuell ist doch wohl diese Liebhaberei gerade nicht; denn
mogte statt möchte findet sich in vielen Büchern des 18. — 19. J., und
die Verkleinerungsform gen statt chen findet sich auch bei Opitz *) und
Goethe, z. B. Küssgen, bissgen, Mädgen in „Goethe's ältestes Lieder-
buch" Berlin 1844. S. 5 und 6. — Um die vollere Form Marschalk
(S. 51) zu finden, braucht man nicht ins 17. J. zurückzugehen, Goethe
gebraucht sie öfters im 2. Theile des Faust. Das Verzeichniss der Wör-
*) Nachgewiesen hat Ref. diese und andere Formen in einer be-
sondern Abhandlung über Opitzens Sprache im „Archiv für den Unter-
richt im Deutschen" 1844. II. 2. S. 31 f.
74 Bibliographische Berichte ü. kurze Anzeigen.
ter, deren h organisch ist (S. 54), lasst sich noch um manche vermehren,
z. B. Fehde, Gemahl, Bühl (ahd. fehida, kimahal, puhil) u. a.
Die Urform der schwachen Declination (S. 57) hat nun Grimm in
setner ,, Geschichte der deutschen Sprache'' S. 945 etwas anders darge-
stellt als in seiner Grammatik I. 817. 2. A. — S. 60 werden einige Bei-
spiele angeführt, die noch die vollen Flexionsvocale haben: meistere, na-
gele, vogelen. Schriftsteller des 16. — 17. Jahrh. bieten deren noch
viele, z. B. ackere, gütere , dienere, richtere, urteilsprcchere in Hug s
Rhetorik (Tiib. 1528). — Zu den im PI. nicht umlautenden Wörtern
wird S. 60 y4al gezählt, Goethe sagt im Götz v. B. (W. 8, 126) Aele. —
S. 61 waren die fremden Mtar und Pallast anzuführen, wie S. 65 Klo-
ster angeführt ist. Die S. 68 angeführten schwachen Pormen von Mai,
März (zu denen auch Lenz gehört) gebraucht Rückert noch sehr oft. —
S. 68 wird gesagt, Dichter hätten das schwache fem., wenn auch nur
spärlich, fortgepflanzt. Um von Opitz u. a. Schriftstellern des 17. J. zu
schweigen, mag nur bemerkt werden, dass Wieland, Goethe, Schiller,
Rackert im 18. — 19. J, das schwache fem. sehr oft gebrauchen. — Doch
Ref. bricht hier ab in Bezug auf die Declination der Subst. ; weitere ab-
weichende, von Hrn. Hahn ausgelassene Formen findet der Leser unter
Andern in einem Gymnasialprogr. von Gortzitza (Lyck) und im 7. und 8,
Suppl. dieser Jahrbb. (von dem fleissigen Teipel in Coesfeld). — Der
S. 95 aus A. Tschudi angeführte Acc. ihne ist im 16. J. nicht so ausser-
ordentlich selten , ich habe die Form öfters gefunden. S. 102 wird ieder
(gereimt auf ßrürfer) aus dem 17. J. angeführt; Zachariä (im Renommist 1)
reimt noch im 18. J. jeder und wieder.
Wie zu den Declinationen, so lässt sich auch zu den (starken) Con-
jngationen mancher Nachtrag aus Schriftstellern der früheren und späte-
ren Zeit geben. Ref. beschränkt sich zum Beweis nur auf einige Verba,
Bei der ersten Classe S. 107 und 113 fehlen schlinden, schrinden, hinken
und winken; das erste gebrauchen noch H. Sachs, der Verf. des Helden-
buches vom J. 1560, P. Abraham, Logau u. A.; das zweite P. Melissus
(f 1602) und Goethe: An der Finsterniss zusammeng-escÄrunrfen wird
dein Auge vom Licht entbunden ; hinken gebraucht noch Opitz (nachge-
hunken)^ winken Uhland (gewunken) stark. Bei der 5. Classe S. 108.
120 fehlen tragen^ schaben^ waten. Das starke Partie, geschahen zeigt
ein Beispiel bei Schmeller (b. Wörterb. 3, 304); von waten findet sich
bei H. Sachs und andern Schriftstellern des 16. J. häufig das starke
Prater. wut. Es sind dies allerdings seltene Formen , aber sie durften
hier nicht übergangen werden. — Möge der Verf. aus dem Gesagten erse-
hen , dass Ref. sein klar geschriebenes und belehrendes Buch genau
durchgelesen habe und das viele Gute in demselben gern anerkenne ;
möge er aber auch daraus entnehmen, dass er zu einer auch nur relati-
ven Vollständigkeit noch manches in seinem Buche nachzutragen habe.
In Nr. 3 ist dem Leser weit mehr geboten, als der kurze Titel an-
giebt. Der Verf. hat sich ,,die Lehre vom Vocal der Wurzel und sei-
nem theils unwesentlichen, theils bedeutsamen Wechsel" als Inhalt seines
Buches gewählt und handelt im 1. Theile: 1) vom dialektischen Vocal-
Bibliographische Berichte n. kurze Anzeigen. 75
Wechsel ohne Einfluss eines i in der Endung; 2) vom Umlaut in der De-
clination , Conjugation, Comparation und Derivation; im 2. Theile vom
Ablaut nach Form und Bedeutung, und prüft dabei die Lehren von Be-
cker, Graff, Schmitthennerund die „Anordnung der verschiedenen Sprach-
lehren in Rücksicht auf die Bildung der Worte" von Buttmann, Zumpt^
Grimm, Dobrowski^ Roth, Bopp, Pott, Rapp, — Es kam dem Verf. dar-
auf an , thatsächlich darzuthun : 1) dass die Lehre vom Vocalismus die
Grundlage des ganzen etymologischen Theiles der deutschen Grammatik
bilde; 2) dass der Vocal unserer heutigen Sprache vom einseitigen Stand-
punkt derselben nicht begriffen und erklärt, o) dass auch ein der Sache
ganz unkundiger Leser ohne alle gelehrte Zurüstung und schwierige Stu-
dien in die historische Grammatik eingeführt werden könne, und endlich
4) dass die Beschäftigung mit der Geschichte des Vocals nichts weniger
sei als trocken und anstrengend, sondern vielmehr von lebendigem, mäch-
tig anregendem Interesse. — Der Verf. geht von der gewiss richtigen
Ansicht aus, dass „ohne Mitwirkung der Schule Grimm's Hauptwerk ein
todtes Capital bleibe und unter der Masse der Gebildeten Deutschlands
nicht volksthümlich werde." Darum kam es ihm vor Allem darauf an,
„einige Punkte, in welchen Grimm's Grammatik sich von allen früheren
wesentlich unterscheidet, herauszufinden und das darüber an verschiede-
nen Orten Gesagte zusammenzustellen und übersichtlich zu ordnen." Zu
diesen Punkten gehört vor Allem die Lehre von dem Vocal der Wnrzel,
Ref. spricht es zuversichtlich aus, dass kein Leser, der einen klaren
Blick in diesen Theil der deutschen Grammatik zu gewinnen sucht, das
Buch unbefriedigt aus der Hand legen wird. Ob der Gebrauch dieses
Buches in den beiden obersten Classen den weiteren Unterricht in der
deutschen Grammatik entbehrlich machen kann, muss die Erfahrung leh-
ren. Hier wird wohl besonders zu beachten sein , wie der deutsche Un-
terricht in den unteren Classen gewesen. Ref. knüpft den prakt. Unter-
richt in der neuhochd. Grammatik in den unteren Classen an das Lesebuch,
nimmt in IV — lll neuhochd. Grammatik auf historischer Grundlage, in
II — I deutsche Litteraturgeschichte, und zwar, was auch Hr. Olawski
mit Recht fordert, mit sprachlicher Erklärung zahlreicher Proben aus
der älteren (goth., ahd., mhd.) Zeit unserer Litteratur. „Denn ohne
Schriftproben (sagt der Verf.) schweben Grammatik und vor Allem die
Geschichte der Litteratur in der Luft, sie haben keinen festen Grund und
Boden." — Ref. bedauert, auf Einzelnes in dem Buche des Hrn. Olawski
nicht näher eingehen zu können, besonders auf den Abschnitt über unsere
neuhochd. (Un-)Orthographie; er empfiehlt noch einmal Jedem, dem es
um Verständniss der deutschen Grammatik zu thun ist und ,,der nicht
vom Studium der Grimmischen Grammatik Profession macht", das Lesen
dieses Buches.
Hadamar. im Nov. 1849. /. Kehrein.
Geschichte der Neckarschule in Heidelberg von ihrem Ur-
sprünge im 12. Jahrh. bis zu ihrer Aufhebung im Anfange des 19. Jahrb.
76 Bibliographische Berichte n. kurze Anzeigen,
— Bearbeitet nach handschriftlichen, bisher noch nicht gedruckten Quel-
len, und nebst den wichtigsten Urkunden herausgegeben von Johann
Friedrich Uauiz, Prof. und alternirendera Director des Grossherzogl. Ly-
ceunis in Heidelberg. Heidelberg, 1849. Academische Verlagshandlung
von J. C. B. Mohr. XJI und 20Ö S. 8. — Als würdiges 8eitenstück
der trefflichen Schrift des Hrn. Directors Hautz: Lycei Heidelbergensis
Origines et Progressus etc., wovon wir bereits in diesen Jahrbb. (1846.
Bd. 48. Heft 2. S. 235 — 238) eine Darstellung gaben, verdient das vor-
liegende Werk desselben Verfassers die Anzeige in einer Zeitschrift, wel-
che, wie die gegenwärtige, der höhern Pädagogik und der geistigen Aus-
bildung durch classische Studien, so wie der Verbreitung alles dessen,
was zur wahren Förderung derselben und zur Erreichung ihrer Zwecke
beitragen kann, gewidmet ist. Jener verdienstvolle Mann, der sich als
Lehrer und Vorsteher einer der geschätztesten Gymnasial Anstalten und
zugleich als Schriftsteller in Erforschung der Quellen und in gediegener
Darstellung ihrer Geschichte, mit Angabe ihrer wissenschaftlichen Ten-
denz und des sie belebenden Geistes, durch Gelehrsamkeit, rastloses
"Wirken und weise Thätigkeit so rühmlich bewährt, hat hier einen Ge-
genstand behandelt, der, indem er eine Schilderung der wechselnden
Schicksale eines uralten pädagogischen Instituts enthält , auch in genauer
Verbindung mit der Geschichte des pfälzischen Landes, besonders der
kirchlichen , steht und zudem manche interessante Hinweisung auf die
der Stadt Heidelberg und ihrer für die dortigen Lehranstalten so wichti-
gen Universität ertheilt, welche letztere schon im J. 1386 gegründet wor-
den, also, wenn man die von Prag nicht hierher rechnen will, die älteste
Academie Deutschlands ist und jetzt in allen Zweigen der Wissenschaft
die herrlichsten Blüthen entfaltet.
Das gegenwärtige Buch zerfällt in sieben Abschnitte, worin die
verschiedenen Perioden, welche die Neckarschule von ihrem Ursprünge
bis zu ihrer Aufhebung erlebte, geschildert sind. Der Raum erlaubt uns
nicht, in das, was Hr. H. in umfassender, gründlicher und lichtvoller Dar-
stellung über die Zustände derselben raittheilt, näher einzugehen; wir
können darum den Leser nur auf einiges Historische aufmerksam machen.
Die genannte Schule ward in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts,
neben den bestehenden Mönchs-Lehranstalten, als Stadtschule Heidelbergs
gestiftet. Der damals herrschende Pfalzgraf, Konrad von Ilohenstaufenj
war nicht allein ,,der Gründer des pfälzischen Staates und der nachheri-
gen Hoheit und Macht der Pfalzgrafen bei Rhein", sondern sein Sinn war
auch „vorzüglich auf die höheren Interessen der Wissenschaft" gerichtet.
Die von ihm den Benedictiner- und Cisterzienser- Lehrinstituten zuge-
wandte Sorgfalt musste daher auch günstigen Einfluss auf diese neue
Schulanstalt haben. Der Verf. giebt interessante Nachrichten über den
in jener Zeit noch unvollkommenen Zustand des Unterrichtswesens und
dessen allmälige Verbesserung und Fortschritte im Laufe der folgenden
Jahrhunderte. Die Neckarschule erhielt, wie alle andern, erst eine feste
Organisation und tüchtige Lehrbücher nach Erfindung der Buchdrucker-
kunst, und zwar durch den edlen Reformator Philipp Melanchihon, wel-
Bibliographische Berichte n. kurze Anzeigen. 77
eher daher mit Recht „Lehrer Deutschlands" benannt wird. Zugleich
ward diese Schule ein Alumneum, in welchem fleissige und talentvolle
Kinder armer Eltern unentgeltlich erzogen und unterrichtet wurden. Auch
gingen sehr ausgezeichnete Zöglinge aus derselben hervor. Unter den
Kurfürsten Frierfr/cÄ /., dem Siegreichen, Philipp dem Aufrichtigen und
Ludwig dem Friedfertigen (von 1449 — 1544) war sie in blühendem Zu-
stande, besonders durch die Wirksamkeit des Rectors M. Johannes Benz
der sich eben so sehr als Gelehrter, denn als praktischer Pädagog Ruhm
erwarb. Aber nach seinem Abgange kam der Unterricht in Verfall, was
auch bei der Universität, da mehrere gelehrte Männer sie verliessen, ein-
trat. Kurfürst Friedrich IL, der Weise, Ludwig*s Nachfolger, dachte
darum auf Verbesserung des höheren und niederen Studien wesens, und
so ward unter ihm, auf den Vorschlag der philosophischen Facnllät, eine
Gelehrtenschule oder Pädagogium, das nachmalige Gymnasium, jetzt Lv-
ceum, in Heidelberg errichtet. Sein Nachfolger, der evangelische Kur-
fürst Otto Heinrich, wegen seiner herrlichen Eigenschaften der Grossmü-
thige genannt, vereinigte 1556 diese Anstalt mit der Neckarschule und
reforrairte die Universität, indem er sie „dem Kreise des mittelalterlichen
Scholasticisraus zu entrücken und sie ganz auf die Höhe der wissenschaft-
lichen und kirchlichen Bewegung seiner Zeit empor zu heben " bedacht
war. Nach ihm wandte Friedrich HI, (auch rühmlich bekannt durch die
Aufnahme der aus andern Ländern wegen ihrer Religion vertriebenen
Protestanten und die Begünstigung ihrer Existenz in der Pfalz) sein be-
sonderes Augenmerk eben so sehr auf die Wissenschaften, als auf Land-
wirthschaft, Handel und Industrie, wodurch er sein Land zur höchsten
Stufe des Wohlstandes erhob. Schon 1555 war auch ein Sapienz- Colle-
gium in Heidelberg errichtet, worin 60 — 80 talentvolle Jünglinge freie
Pflege und Unterricht erhielten. Hier konnten auch die Zöglinge der
Neckarschule den humanistischen Unterricht fortsetzen. Friedrich ver-
wandelte dieses Collegium in ein Prediger-Seminar und übergab die bisher
der Universität zustehende Oberaufsicht desselben dem Kirchenrathe. Das
Pädagogium bestand wieder für sich allein , und die Neckarschule ward
als Lehranstalt aufgehoben, mit der Verordnung, dass ihre Stipendiaten
den Unterricht jener vollständigen Gelehrtenschule unentgeltlich besuchen
sollten. So blieb sie als Alumneum, und ihre Einkünfte wurden von
Ludwig FL noch vermehrt. Aber wirksamer, als alle bisherigen Für-
sten, war für die Neckarschule der das Wohl des Landes auf so mancher-
lei Art bezweckende Pfalzgraf JoÄann Casimir, Administrator der Pfalz
während der Minderjährigkeit des Kurerben Friedrich, denn durch ihn
ward nicht nur ihr Stiftungsbrief erneuert und ihr eine bestimmtere Orga-
nisation verliehen , sondern sie auch sehr reichlich dotirt, so dass ihr
Bestehen für alle Zukunft gesichert sein sollte. Eine beklagenswerthe
Erscheinung war es jedoch, dass erst Ludwig gewaltsamer Weise alle re-
formirten Vorsteher und Zöglinge aus diesem Institut, wie aus dem Pä-
dagogium und Sapienz-Collegium, entfernen und ihre Plätze mit Luthe-
rischen besetzen Hess, und dann Casimir, gleichsam als Wiedervergeltung,
die nämliche harte Maassregel gegen Letztere zu Gunsten der Reformir-
78 Bibliographische Berichte u. kurze Anzeigen.
ten aasübte. Der bald darauf folgende SOjähr. Krieg brachte dieser
Schule, wie allen wissenschaftlichen Anstalten, grosse Störungen und Un-
heil. Nach Ab^chluäs des westphälischen t'riedens ward sie durch den
Kurfürsten Karl Ludwig y einen wahren Vater des Vaterlandes , der we-
gen seiner Weisheit, Thätigkeit, Kenntnisse und Humanität mit Recht der
deutsche Salomo hiess, in ihren pädagogischen und ökonomischen Verhält-
nissen wieder hergestellt. Aber die Greuel des Orleans'schen Krieges
schufen (1693) der ganzen Pfalz, und namentlich der Stadt Heidelberg,
durch Brand und Zerstörung neues Verderben. Auch die Gebäude der
Neckarschule und des Sapienz-Collegiums wurden ein Raub der E^Iammen,
das der letztem jedoch 1706 wieder aufgebaut. Wir übergehen die
Schicksale dieser Anstalt unter den folgenden Kurfürsten bis zur Regie-
rung Karl Theodor's, wo sie, da ihre Disciplin und ihr ökonomischer Zu-
stand in V^erfall gerathen war, wegen möglicher Verbesserung derselben
mit dem Sapienz-CoUegiura, dessen Mitglieder bisher in Privathäusern
untergebracht waren, in einem und demselben Gebäude vereint wurden.
Allein nach den Verlusten, welche die Neckarschule späterhin, namentlich
durch die Abtretung des linken Rheinufers, an ihrem Fond erlitt, und
durch das in Folge des Kriegs und anderer Missgeschicke herbeigeführte
Unvermögen der reformirten Kirchencasse, die bisher schuldigen Beiträge
zu leisten, sah sich die in Besitz des Landes gekommene Grossherzogl,
BadiscÄe Äeg-ierun^ genöthigt, diese Schule und das Sapienz - CoUegium
als Alumneen aufzuheben. Dies geschah im J. 1805. Was nun von dem
Neckarschul- und Sapienzfond gerettet war, wurde zu Stipendien für
Sfudirende, nachmals für die der vereinten evangelisch -protestantischen
Confessionen, verwandt. Bei den über diesen Gegenstand gepflogenen
Verhandlungen wird besonders die heilsame Wirksamkeit zweier ver-
dienstvoller Männer, des Vice -Präsidenten des grossh. evangelischen
Kirchen-Ministerialdepartements Thcod. Dan. Fuchs, und des als Refe-
rent in dieser Sache so thätigen Regierungs - und Kirchenraths Just.
Friedr. Wundt, gelobt. Das Vermögen beider Anstalten betrug am
Schlüsse des Jahres 1848 die Summe von 40,117 fl. Hiervon ward der
grösste Theil bei der Pflege Schönau in Heidelberg zu 4%, und der Rest
theils zu 4^^, theils zu 6% hypothekarisch auf dem Lande angelegt. Die
zwei vereinten Fonds sind nun, laut Ministerial Verfügung , der Admini-
stration eines besonderen Verwalters übertragen.
Diese historischen Nachrichten, wovon wir nur eine kurze Ueber-
fiicht geben konnten, hat der Hr. Verf. gründlich, treu und umständlich,
jedoch in gedrängter und anschaulicher Weise, mitgetheilt, auch das, was
sich hier auf die Geschichte der Pfalz im Allgemeinen bezieht, mit ge-
nauer Sachkenntniss dargelegt, wie Ref., zu dessen Lieblingsstudien die
Beschreitung dieses vaterländischen P^eldes gehört, bezeugen kann. Hier-
bei ist noch besondere Rücksicht auf die Kirchengeschichte des Landes
genommen. Nebst dem findet man hier eine genaue Erörterung der pä-
dagogischen Zustände der Neckarschule vom Ursprünge bis zur Aufhe-
bung derselben, so wie des wissenschaftlichen Elements, das auf ihr und
zugleich auf den höheren Lehranstalten Heidelbergs in den verschiedenen
I
Bibliographische Berichte u. kurze Anzeigen. 79
Epochen herrschte, die Erwähnung vorzuglicher, dabei betheiligter
Männer und die Mittheilung von Urkunden und Verordnungen, welche
den vorliegenden Gegenstand betreffen, wie auch die Citate mehrerer
ausgezeichneten Werke, die zur Benutzung dienten. Das Meiste jedoch,
was namentlich die Neckarschule angeht, rausste aus schriftlichen, bisher
noch ungebrauchten Quellen, welche in den Archiven von Karlsruhe und
Heidelberg bewahrt sind, entnommen werden. Der F^leiss, die Kenntnisse
und die Liebe zur Sache, ganz dem schönen, aus Ovid entnommenen Motto
auf dem Titel: Et pius est patriae scribere facta labor, entsprechend,
welche der Hr. Verf. hier offenbart, sind um so mehr zu loben, wenn
man die Schwierigkeiten erwägt, die er bei seiner Arbeit zu überwinden
hatte. So ist diese Schrift für jeden Pädagogen, der die Geschichte be-
deutender Schulanstalten Deutschlands näher kennen zu lernen wünscht,
höchst wichtig und empfehlenswerth; auch wird ßie dem übrigen gebil-
deten Publicum willkommene Belehrungen und durch Anführung des Cha-
rakteristischen, das dem oder jenem Zeitalter eigen ist, manche interes^
sante Unterhaltung gewähren. .
Referent kann nicht umhin, bei dieser Gelegenheit von einem andern
trefflichen, in das gegenwärtige Fach einschlagenden Werkchen des
Hrn. Directors Hautz, betitelt: Jubelfeier der dreihunderijährigen Stiftung
^es GrossherzogL Lyceums in Heidelberg etc. Erwähnung zu thun. Dieses
Gedächtnissfest ward am 19. October 1846 begangen. Der ausführlichen
und anziehenden Beschreibung desselben sind die hierbei gehaltenen Reden
der Studien- und Stadtbehörden, zwei Festgedichte und mehrere Zu-
schriften von Directionen verschiedener Gelehrtenschulen u. A. beigefügt,
wodurch dieser einer so rühmlich bekannten wissenschaftlichen Anstalt
geweihte Tag auf die schönste und würdigste Art verherrlicht wurde.
K. Geib,
Schul- und üniversitätsnachrichteiij Beförderungen
und Ehrenbezeigungen.
GROSSHERZOGTHUM BADEN. Der GrossherzogL Oberstu-
dienrath in Karlsruhe hat an sämmtliche Lyceen, Gymnasien, Pädagogien
und höhere Bürgerschulen folgenden Beschluss ergehen lassen: ,,ln Be-
tracht, dass die unheilvollen Ereignisse der jüngsten Zeit auch auf dem
Gebiete der Schule ihren störenden und verderblichen Einfluss geübt
haben; und in Erwägung, dass au den meisten Anstalten des Landes der
Unterricht nicht nur kürzere oder längere Zeit unterbrochen wurde, son-
dern dass seine Fruchtbarkeit unter dem Einflüsse so ausserordentlicher
Ereignisse überhaupt nur gering sein konnte; sieht man sich mit Geneh-
migung des Grossherzoglichen Ministeriums des Innern zu folgenden, vor-
übergehenden Anordnungen für das gegenwärtige Schuljahr veranlasst;
QQ Schul- und Uni versitatsnaclirichten, l
1) Der Unterricht ist an sämmtlichen Lehranstalten vorerst bis zum
1. September 1. J. fortzuführen , sofern nicht bei einzelnen Anstalten be-
sondere Verfugung ergehen wird.
2) Die Vorstände der Anstalten haben sofort anher zu berichten , ob
and >vie lange der Unterricht im Laufe dieses Sommers an der betreffen-
den Anstalt ausgesetzt worden ist, respective Ferien stattfanden.
3) Feierliche öffentliche Prüfungen sollen nicht stattfinden. Da-'
gegen sind am Schlüsse des Schuljahres die Classenprüfuhgen in der
Weise, wie dies für das Winterhalbjahr vorgeschrieben ist, durch die
Directoren, und beziehungsweise durch die Inspectoren der höheren Bür-
gerschulen, unter Zuziehung der Lehrer vorzunehmen, und ist über den
Befund anher Bericht zu erstatten. Die Ephoren und kirchlichen Com-
missarien sind zur Theilnahme an diesen Prüfungen , letztere zu den Re-
ligionsprüfungen, von den Vorständen besonders einzuladen, auch die El-
tern, Vormünder und Fürsorger der Schüler Öffentlich — durch die
auszugebenden Programme oder auch sonst geeignete Weise — von der
Zeit der Prüfung zu benachrichtigen und zu dieser einzuladen.
4) Die nach den bestehenden Verordnungen anher zu machenden
Vorschläge der Lehrerconferenzen hinsichtlich der Promotionen der Schü-
ler sind in der letzten Woche des Schuljahres vorzulegen. — Was die
Entlassung der Schüler der obersten Lycealclasse zur Hochschule be-
trifft, so werden die Lehrerconferenzen, zu deren desfallsigen Berathungen
die Ephoren einzuladen sind, am Schlüsse des Schuljahres unter genauer
Angabe der wissenschaftlichen Befähigung und der Charakterreife der
Schüler ihre Vorschläge anher machen, worauf nach Prüfung der schrift-
lichen Ausarbeitungen der Schüler die diesseitige Entschlicssung erfol-
gen wird.
5) Es wird den einzelnen Anstalten überlassen, ob sie je nach den
obwaltenden Verhältnissen diesmal eine wissenschaftliche Beigabe zu ih-
ren Programmen ausgeben wollen, oder nicht. Ebenso kann die Verthei-
lung von Prämien unterbleiben , was jedenfalls an solchen Anstalten zu
geschehen hat, deren finanzielle Lage dies wünschenswerth macht.
Im Uebrigen erwartet man von der Berufstreue der Lehrer, dass
sie in richtiger Würdigung der durch den Ernst dieser Zeit erhöhten Auf-
gabe der Schule mit allen ihren Kräften bestrebt sein werden, alles Un-
geeignete von jenem Heiligthume fern zu halten, und insbesondere die
ihnen anvertrauten Zöglinge zti reger geistiger Thätigkeit, zu echter
Religiosität und wahrer Vaterlandsliebe durch Beispiel und Lehre zu
beleben. (gez.) Böhme.^^
HERZOGTHUM BRAUNSCHWEIG. Die Nothwendigkeit einer
Reform des höheren Schulwesens erkennend, berief das Herzogliche Con-
sistorium eine Versammlung von Gymnasiallehrern nach Wolfenbüttel (29.
und 30. Jan. 1849). Die wichtigsten der dort gefassten Beschlüsse wa-
ren folgende: Weil die meisten Gymnasialschüler nicht studiren und nur
wenige bis in die erste Classe aufsteigen, so ist der Lehrplan so einza*
richten , dass der Gymnasialcursus der Nichtstadirenden in Secunda ab^
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 81
schliesse. Der Unterricht in den alten Sprachen ist desshalb in
den unteren und mittleren Classen in so weit zu beschränken, dass die
nöthige Zeit für and-^re Lehrgegenstände, namentlich für Mathematik,
Naturwissenschaften und neuere Sprachen gewonnen wird; die oberste
Classe dagegen hat vorzugsweise die Studien des classischen Alterthums
für Studirende zu berücksichtigen. Unter den fremden Sprachen ist
nicht, wie bisher, mit der lateinischen, sondern mit der französischen, oder,
nach dem örtlichen Bedürfnisse, mit der englischen der Anfang zu machen.
Die Erlernung der lateinischen Sprache bleibt für alle Zöglinge verbind-
lich, der Unterricht in der griechischen ist auf die oberen Classen zu be-
schränken. Der Unterricht in allen Lehrzweigen ist so zu ertheilen, dass
er, so viel thunlich, die formelle Bildung der Zöglinge vor Augen behalte.
Die beabsichtigten Veränderungen des Lehrplanes dürfen nicht plötzlich,
sondern erst dann ins Leben treten, wenn in einem Gymnasium die Lehr-
mittel dazu genügen. Es ist dem Ref. nicht bekannt geworden, in wie
weit diesen Beschlüssen gemäss Umgestaltungen in dem Gymnasiahvesen
vorgenommen worden sind; die Sache scheint auch in Braunschweig, wie
anderwärts, ins Stocken gerathen zu sein. Ueber die vier im Lande be-
stehenden Gymnasien geben wir nach den Programmen von Ostern 1849
folgende Notizen. Das Gymnasium zu Blanke>"BURG, welches ausser
Studirenden auch Zöglinge für den Schullehrerstand, sogenannte Präpa-
randen bildet, zählte zu dem genannten Zeitpunkt 75 Schüler (13 in L,
darunter 6 Präparanden, 19 in IL, 15 in III., 28 in IV.) ; zur Universität
gingen 3. Im Lehrercollegium waren keine Veränderungen vorgekom-
men; dasselbe bestand aus dem Dir. Prof. Müller, dem Conrector Wicde-
mann, den Oberlehrern Dr. Lange und Berkhan, den Collat)oratoren
Volkmar, Pastor Dr. Hoffmeisier , Dr. Hausdörffer und dem Organist
Sattler. Die Einladungsschrift zum Osterexamen enthält: Einige durch
die gegenwärtigen Verhältnisse des öffentlichen Lebens angeregte Ge-
danken pädagogischen Inhalts. Von dem Director Prof. C. //. Müller
(12 S. 4.). In einfacher, aber klarer und überzeugender Kürze führt
der Hr. Verf. den Satz aus: dass die religiös -sittliche Bildung des auf-
blühenden Geschlechts auch für die Zukunft eine Hauptaufgabe jeder
Schule, insbesondere der Volksschule sei und um so mehr, je mehr die
Staatsverfassung Reife und Ueberwindung der Selbstsucht fordert. Dann
nimmt er das Bestehen von Gymnasien in kleinen Städten in Schutz und
führt sodann weiter aus, dass die Studien des classischen Alterthums in
Ehren bleiben müssen, wenn nicht die sittliche und wissenschaftliche Bil-
dung unseres Volkes Rückschritte machen solle, welche das Gemeinwohl
bei jeder, auch der besten Staatsverfassung gefährden würden, wobei er
jedoch auf die Nothwendigkeit einer Verbesserung in dem Unterrichte
und die Ausscheidung alles dessen, was nur für den gelehrten Philologen
von Interesse sein könne, dringt. Die Worte des wackern Hrn. Verf.
werden in dem Kreise, für den sie bestimnt sind, gewiss nicht ohne Wir-
kung geblieben sein. — Das Obergymnasium zu Braunschweig verlor
am 9. April 1849 durch den Tod den Prof. Dr. Griepenkerl , welcher in
«1er letzten Zeit eines Theils seiner Amtsgeschäfte entbunden war, sich
/V. Jahrb. f. Phil, u. Päd. od. Krit, Bibl. Dd. LVIII, Hft. 1. 6
g2 Schul- und Universitätsnachrichten,
aber immer noch , besonders durch Leitung des Gesangunterrichtes, um
die Anstalt wesentliche Verdienste erwarb. Als Aushülfslehrer waren an
derselben beschäftigt: der Candidat Baumgarten von Ostern 1848 bis zum
December desselben Jahres und der Schuiamtscandidat Dr. Sack, Die
Schiiierzahl betrug :
Mich. 1848 in I.: 7, II.: 26, IIl.: 12, IV.: 30, Sa. 75.
Ost. 1849 „ „ 10, „ 18, „21, „ 28, „ 77.
Zur Universität gingen Mich. 1848 3, Ostern 1849 1. Die Abhandlung
des Dir. Prof. Dr. G. T. A. Krüger, in dem Ref. eine der Hauptzierden
des deutschen Lehrerstandes verehrt: Die Einrichtung der Schulausgaben
u. s. w., ist schon zweimal in dieser Zeitschrift besprochen worden, so
dass wir hier nur ihren Titel nennen. — Das Gymnasium zu Helmstedt
hatte bis Ostern 1849 in seinem Lehrercollegium keine Veränderung er-
litten. Theilweise Aushülfe leistete der Cand. philol. Heinrich Verdens.
Die Zahl der Schüler betrug in L: 9, in IL: 15 — 14, in III.: 22, in IV.:
36 — 35, in Sa. 82 — 80. Zur Universität wurden 3 entlassen. Die
wissenschaftliche Abhandlung: De Homero , tenerae aetatis amico (25 S. 4.)
schrieb der Conr. Dr. J. Chr. Elster. In gutem Latein geschrieben, giebt
dieselbe von einer sehr umfassenden Kenntniss nicht allein der griechi-
schen und römischen, sondern auch der neuen deutschen Litteratur und
einem richtigen ästhetischen Ürtheile Zeugniss und bringt nicht wenig bei,
den holien Werth der homerischen Gedichte in ein helleres Licht zu setzen.
Nachdem er in der Einleitung von der homerischen Poesie im Allgemei-
nen gehandelt, theilt er seinen Stoff in drei Theile , die Liebe der Eltern
zu den Kindern, die Anhänglichkeit der Kinder an die Eltern und die
Schilderung des kindlichen Charakters und Wesens. Er bespricht die
darauf bezüglichen Stellen des Homer ausführlich, indem er sie mit ande-
ren, aus späteren Dichtern genommenen, zusammenstellt. Von den Epi-
soden erwähnen wir die Erläuterung über die xvtQci, über die Sitte, das
Ohr zu zupfen, weil es als Sitz des Gedächtnisses galt, das Urtheil über
Ludwig Tiek's und Friedrich Müller's Genoveva. Dass die Formel &sccv
iv yovvuGi xfTrai hergenommen sei von Eltern, die ihre Kinder auf dem
Schoosse haben , sich also um sie bekümmern und für sie sorgen , davon
ist Ref. nicht überzeugt worden. W^enn auch Virgil. Aen. IX. 261 :
quaecunque mihi fortuna ferenda est, in vestris pono gremiis, durch Goss-
rau richtig erklärt ist: in vestra cura et fide pono, so beweist diö Stelle
doch durchaus nichts für jene Auffassung. Und ist, da HFi^adai von dem,
was aufbewahrt wird, also für die Gegenwart nicht zum Vorschein, zum
Gebrauch kommt, die natürlichste Erklärung: es ist im Schoosse der
Götter auftjewahrt, liegt unmittelbar in ihrer Gewalt, ist ganz und allein
von ihrem Willen abhängig. Auffällig ist ferner, dass der bekannte Her-
ausgeber des Propertius hier immer Hertzenberg geschrieben wird. Im
Allf^eraeinen hätte der geehrte Hr. Verf. wohl tiefer in die sittliche An-
schauuno- des Homer eingehen können, da diese, wesentlich auf die natür-
lichen Verhältnisse und ihre Erhaltung basirt, der Familie eine hohe Be-
deutung anweist; doch wollen wir nicht verlangen, dass derselbe hätte
geben sollen, was vielleicht nicht in seiner Absicht lag. — Am Gymna-
Johannis „
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Beförderungen und Ehrenbezeigungen. ' 83
sium zu WoLFENBLTTEL starb am 9. Sept 1848 der Collaborator Schreir-
her. Seine Stelle , anfänglich von den Candidaten R. Schreiber und
Scholz versehen, wurde am 6. Nov. des. Jahres dem Schulamtscandidaten
E. F. K. Rosenbaum übertragen. Das Lehrercollegiura bestand demnach
Ostern 1849 aus dem Dir. Jeep, Conrector Buchheister , den Oberlehrern
Dr. Jeepj Dr. Dressel und Cunze^ den Collaboratoren Knoch und Rosen-
baum, dem Rechen- und Schreiblehrer Brandes und dem Zeichenlehrer
Beyer, Die Schiilerzahl betrug:
Ostern 1848 in I.: 10, IL: 19, III. : 23, ^IV.: 39, V.: 37, Sa. 128.
37, „ 128.
30, „ 124.
30, „ 122.
Mich. 1848 ging 1, Ostern 1849 3 zur Universität. Den Schulnachrichten
geht voraus : Systematische Darstellung der im mittlem attischen Dialekte
vorkommenden unregelmässigen Verba vom Oberl. Dr. Dressel (32 S. 4.).
Das Sjstera des Hrn. Verf. wird sich erkennen lassen, wenn wir die Ein-
theilung desselben hier wiedergeben. I. Verba auf Sl. A. Pura. 1) Pura,
welche in allen Formen des Präsens den Stamm unverstärkt lassen (yrjocÖj
Ö8(o, ßico, 8v(o^ cpvco, oLOficct, ol^ai.), 2) Ein Purum, welches in einigen
Formen des Präsens den Stamm unverstärkt lässt, in anderen einfach
durch Dehnung des Charaktervocals verstärkt, KslfiuL*), 3) Pura, wel-
che in allen Formen des Präs. den Stamm einfach verstärken , indem sie
vorn die Reduplication in t, oder hinten s, v, vv, cv., tax ansetzen: rtr^tö,
«Hox'co (Stamm ci-AO-), cpd-avco, zivco, sXccvvco, yrjgccö'nco, rjßccOHCo , iXdo-KOnai,
cpaGHCo^ X^OHüJ, dgia-Hco, ßocKco, fisdvGuco, ccXiano}icii, dußlianco^ ävciXtayico.
4) Pura, welche in allen Formen des Präs. den Stamm doppelt verstäiken,
indem sie den Charaktervocal verlängern oder dehnen und hinten v, vs,
CFK oder vorn t und hinten v ansetzen: dvvco, ßatvco, ßvvco, ccvccßicöoKOiicci^
iiaQ-iatc(V(o. 5) Pura, welche in allen Formen des Präs. den Stamm drei-
fach verstärken, indem sie den Charaktervocal verlängern und theils vorn
die Reduplication in t, theils hinten ax ansetzen ; ßißqcoaHO), yiyvcoa-nco, 8i-
ÖQccOHco, fii^vria^o), ninQocOKoa, titqcüGuco, B) Muta. 1) Welche in allen
Formen des Präsens den Stamm unverstärkt lassen (^snco, sxco**), d^nsxof,
dcvEXo^iuL, ndxoaai, ovxoiiai, -nuQ^svdco, nszo^icct) ***). 2) Muta, welche in
allen Formen des Präs. den Stamm einfach verstärken, indem sie vor dem
Charakterconsonanten ein d einschieben, oder vorn t, oder hinten f, v t
Vi ansetzen: v.ci%L^(o, o^w, iGxoi, ^ohw, (oQ^co , dänvco , zvntcOf lyivov^oci.
3) Muta, welche in allen Formen des Präs. den Stamm doppelt verstär-
'*') Den Unterschied zwischen Verlängerung, wodurch ein einfacher
langer Vocal, und Dehnung, wodurch ein Diphthong entstehen soll, kann
Ref. nicht anerkennen, da r] ja auch aus &s entsteht.
'•'*) Da der Hr. Verf. hier den Stamm ZEIT und ZEX anerkennt,
demnach im Präsens eine Veränderung desselben vorgegangen ist, so
sollte wohl hier eine besondere Classe angenommen werden.
***) Der Hr. Verf. theilt die Formen 7csn6rri[icci , nsrrjGo^at, nxrj-
G0(.iCci, fTiTrjVy inTdfiriv , iTtro^rjv , EnftaG^riv vier verschiedenen Verbis
zu: Tiet eitlen j Trorcoftat, UntayLUij nho^ut.,
6*
g4 Schul- und Universitätsnachrichten,
ken indem sie den dem Charakterconsonanten vorhergehenden Vocal ver-
länfrern und unter Ausstossung des Charakter-Consonanten hinten ^
oder oa (rr), oder den angegebenen Vocal verlängern und hinten t, oder
vorn i und hinten vs, oder endlich v oder a vor dem Charakterconsonanten
einschieben und hinten ccv ansetzen: hocv^co, nkrjaoco ^ tiqücttco , nitiooco^
(pQ^GOCOf HVTtToa, QL7it(o, VTiLöxi'ovacci, Xcitißttjco, XiaTcixvoi) j d-iyydvo) , q)vy-
yavo) , Xayxcii^co, tvyx(^v(o^ Ao;vO"af vta , (.LKi^avco, nvvO'civopicii , i^ÜKO,
■i) Muta, denen das Präsens fehlt, (incc, oUa, Eicod-a. C) Liquida. 1) Wel-
cÄe in allen Formen des Präsens den Stamm unverstärkt lassen: ßovko-
fiai, i^sXco, /Uf'Aw, vsiico, iitvco. 2) Welche in allen Formen des Präsens
den Stamm einfach verstärken, indem sie den dem Charakterconsonanten
vorhergehenden Vocal dehnen, oder den Charakterconsonanten verdop-
peln oder vorn die Reduplication in t, oder hinten f, v, lan ansetzen:
6q>si'k(o, iysiQco, jK«'?», ßccXlco, fif'XXco, yiyvouai, kccXcS (nuXco Fut. ist nach
dem Hrn. Verf. eben so wenig aus HdXsGco entstanden, als ouovuui, ousl,
-ELTUL aus ouo'öouat, -077, -atrofj), yaaco, nccftvoj, tsfirco, svQLOTico, azsQtaHCO,
3) Ein Liquidum, welches in allen Formen des Präsens den Stamm dop-
pelt verstärkt, indem es den durch Buchstabenversetzung ans Ende ge-
kommenen Vocal verlängert und hinten ex ansetzt: ^pqanco. 4) Liquida,
denen das Präsens fehlt: si'otj-ncc, SQrjaoaai. D) Digammirte. 1) Mit in
allen Formen des Präsens unverstärktem Stamm : dtco^ vtco, nXsco, nvia^
Qtco, xibü. 2) Welche in allen Formen des Präsens den Stamm einfach
verstärken, indem sie den dem Charakterconsonanten vorhergehenden
Vocal dehnen oder verlängern: Halco , hXcuco. E) Mehrconsonantige:
1) mit im Präs. unverstärktem Stamm: cev'^co, eipco^ fQQco, ax^oaoci. 2) Die
in allen Formen des Präs. den Stamm einfach durch hinten angesetztes
av, aiv, iGnccv verstärken: av^ävco, cciodävufiat, auagtuvo}, ccnsx^ocvoficcij
ßlaötüvoi , daQddvaj, oXiödoci'vco, occpoaivofiai , ocpXiayinvco, F) Mehr-
stämmige: 1) welche im Präs. in allen Fällen den diesem Temp. zu Grunde
liegenden Stamm unverstärkt lassen: (vioco, ogä, r^co'yw, xq^xo), cpi^cOy
iQXOuai. 2) Welche in allen Fällen des Präs. den diesem Temp. zu
Grunde liegenden Stamm einfach verstärken, indem sie den dem Charak-
terconsonanten vorhergehenden Vocal dehnen oder 6 vor dem Charakter-
consonanten einschalten, oder vorn die Reduplication in i, oder hinten
an ansetzen: xsgSaLvay, nai^co, (yto^oo , nCnToa ^ Siduanco (ffir dieses Verb,
nimmt der Hr. Verf. einen doppelten Stamm JUA und zilJAX an, weil
sonst mit Thiersch SL8cixo-A,co als ursprüngliche Präsensform angenommen
werden musste), naaxco (nä&co^ nad^ayico). 3) Ein mehrst., welches in
allen Fällen des Präsens den diesem Temp. zu Grunde liegenden Stamm
doppelt verstärkt, indem es den Charaktervocal verlängert und hinten v
ansetzt: nivo). 4) Ein mehrst., dom das Präsens fehlt: kdi^doyia,
II. Verba in (ii. Mit vollem Rechte, wie es dem Ref. scheint, nimmt der
Hr. Verf. die Worte (prjUL, aya/xat, övva/xat, sniarafiaL und ähnl. für re-
gelmässige und verweist dagegen v.LX9W-i ^'(>r;jai, nifinXrnii^ TtLungrjfit^
ovivrjui, zL&riaif triutj didtoai anter die uaregelmässigen. Die Eintheilang
der Verba in fit ist folgende: A) Pura. 1) Welche in einigen Formen des
Präsens den Stamm unverstärkt lassen, in anderen ihn einfach verstärken,
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. . 85
indem sie den ihn bildenden Vocal dehnen, oder hinten s ansetzen; eifii^
slui. 2) Welche in allen Fällen des Präsens den Stamm einfach durch
hinten angesetztes vvv verstärken , ■HSQavwfii, nixccvvviii, 3) Welche in
einigen Fällen des Präsens den Stamm einfach, in anderen doppelt ver-
stärken: einfach, indem sie vorn die Reduplication in i oder blos t an-
setzen oder die erstere einschieben, doppelt, indem sie theils dieses thun,
theils den Charaktervocal verlängern. Dies sind die oben genannten
Verba. 4) Welche in allen F'ällen des Präsens den Stamm doppelt ver-
stärken, indem sie den Charaktervocal verlängern und hinten vvv an-
setzen: ^toWi\u/, ^wVrv/a , arocovvviii^ ;^9Cd'v^•yfl^ B) Muta. Sie ver-
stärken in allen Formen des Präsens den Stamm doppelt, indem sie den
dem Charakterconsonanten vorhergehenden Vocal verlängern oder dehnen
und hinten 1*1; ansetzen : 7r?5yi/uft/, QijyvviiL, ^svyw^t. C) Liquida. Sie
verstärken in allen Formen des Präsens den Stamm einfach , indem sie
hinten vv ansetzen: oXlvfii, oi-ivvfii. — Xqi] hält der Hr. Verf. (vergl.
Ahrens de crasi et aphaeresi, Ilfeld 1846. p. 6) für ein Substantivum in-
declinabile, aus dem durch Zusammenziehung mit den Formen //, su], sl-
rcii, 6V, ?Jv, earai die Formen XQVi XQ^^^t XQ^'^^h XQV^ oder ;^ofö}V, x^^l^
und XQV^^^'^ entstehen. In einer Einleitung weist übrigens der Hr. V^erf.
die wichtigsten Punkte nach, wodurch sich die unregelmässigen Verba
als solche kund geben, so wie er am Ende als Anhang ein Verzeichniss
der Stämme hinzufügt. Dass das von ihm aufgestellte System viel Neues
enthält und auf tüchtigem Forschen beruht, wird schon die gegebene
Uebersicht Jedem klar machen, und sollte der Hr. Verf. auf unser Urtheil
einiges Gewicht legen , so ermuntern wir ihn freudig zum Fortarbeiten,
fügen aber den Wunsch bei, dass für den Unterricht eine grössere Ueber-
sichtlichkeit möge erreicht werden. Die einzelnen Classen umfassen eine
solche Mannigfaltigkeit, dass dem Schüler das Behalten schwer werden
muss. So würden I. B, 3) dem Gedächtnisse durch Unterabtheilung zu
Hülfe kommen: 1) mit Verlängerung des dem Charakterconsonanten vor-
hergehenden Vocals und a) Ansetzung von § oder 66 hinten mit Ausstos-
sung des Charakterconsonanten: x^a'^oo u. s. w. b) Mit Einschiebung
eines r hinter dem Charaktercons. : kvtttöj u. s. w. 2) Mit Ansetzung
von L vorn und hinten vs: VTtiox'^ovnui. 3) Mit Einschiebung von v vor
dem Charaktercons. und Ansetzung von av: Xccvd^ocvco u. s. w. Auch
fragt es sich , ob die Scheidung in Muta und Liquida eine so unbedingt
nothwendige ist, dass nicht die Verba beider Classen, welche Gleiches
erleiden, zusammengestellt werden konnten. [^-J
Cassel. Am dasigen Lyceura Fridericianum arbeiteten Ostern
1849 folgende Lehrer : als ordentliche Lehrer Director Dr. C. F. Weber^
Dr. E. W. Grehe,J)r. G. W. Matthias, Dr. J. C. Flügel, Dr. ^. Riess
(seit Febr. 1849 zum ordentlichen Mitgliede der neu errichteten Ober-
schnlcommission bestellt) , Dr. G. Sifpell^ Dr. C. Schimmelpfep g, Dr. W,
Schwaab und Dr. J. fV. Fürstenau; die Hülfslehrer H. P. F. Matthei
(erhielt im Febr. 1849 eine Zulage von 100 Thlrn.) und L. fF. E. Cassel-
mann (erhielt Ostern 1848 eine Zulage von 50 Thlrn.); den beauftragten
86
Schul- und üniversitätsnachrichten,
Lehrern Dr. //. M. Stevenson^ C. Schorre, Dr. F. C. G. Gross und Dr.
Christ. Ostcrmann (von dem Gymn. zu Hersfeld mit Ende October 1848
an die Stelle des an das Progymnasium zu Schlüchtern abgegangenen Dr.
Dictcrich hierher versetzt); die ausserordentlichen Lehrer C. F. Geyer, Dr.
J. Jf'icgand und G. Koch (an die Stelle ^ppcls, welcher October 1848
sein Amt niederlegte, ernannt); endlich die Praktikanten Dr. C. E. He-
raus (früher am Gymnasium zu Hanau; H. Pelri verliess das Gymnasium
im Herbst 1848) und F. Becker. Die Schülerzahl betrug im
L Ha. Hb. llla.nib. IIIc. IVa. IVb. V. VI. Summa.
Sommer 1848 26 25 27 51 28 34 33 19 46 29 348
Winter 48—49 24 32 26 46 23 34 29 27 46 28 314
Zur Universität gingen nach Ostern 1848 nachträglich noch 1 , Mich. 48
7, Ostern 49 11. Ueber die beantragten Reformen des Gymnasialwesens
in Kurhessen ist zwar bereits in diesen Jahrbb. von einer kundigen Feder
berichtet worden; dennoch scheint es nicht uninteressant hier zu erwäh-
nen, dass schon in dem mit Ostern 1849 endenden Schuljahre am Lyceum
in I. dem Griechischen 1, dem Latein (hauptsächlich den Schreib- und
Sprechübungen) 3 wöchentl. Lehrstunden, in II. demselben 2, in HI a.,
V. und VI. je 1, dem Schönschreiben in IV. 1 St. entzogen, dagegen dem
Deutschen in I., IL, III a., V. und VI. je 1 Stunde zugelegt worden war.
Der befolgte Lehrplan war demnach folgender:
I.
IIa.
IIb.
III a.
Illb.
IIIc.
IVa.
IVb.
V.
VI.
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Die Mangel dieses Lehrplans werden im Programme selbst angedeutet,
indem für diejenigen, welche Philologie studiren wollen, zur gehörigen
Vorbereitung auf ihr Fach in Prima, in Secunda und Tertia für diejeni-
gen, welche sich im Französischen weiter bilden wollen, unentgeltlicher Pri-
Tatunterricht ertheilt worden ist, der letztere doch wohl nur solchen,
welche von der Schule zum bürgerlichen Leben übergehen. Rücksicht-
Hch der Disciplin heben wir die Notiz aus, dass den Primanern und Se-
cundanern Fechtübungen, jedoch unter Aufsicht eines Fechtlehrers an
einem von dem Director zu bestimmenden Orte, zugestanden , auch ihnen
während des Sommerhalbjahres der Besuch bestimmter öffentlicher Ver-
gnügungsorte auch ohne Begleitung ihrer Eltern oder Vorgesetzten ge-
stattet worden, jedoch unter der Bedingung, dass sie von dieser Erlaub-
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 87
niss nur massiger und anständiger Weise Gebrauch machen. Die erste
Erlaubniss scheint uns aus den Schülern etwas zu zeitig Studenten zu
machen, in Betreff der zweiten wird es darauf ankommen, welche Orte
bestimmt werden, ob sie von Gebildeten aliein besucht werden und ob
die Schüler dort eine solche Stellung einnehmen müssen, welche sie in
sich selbst nicht zu zeitig Freiherrn erblicken lässt. Der den Schulnach-
richten vorausgesetzten , von Scharfsinn und tiefen sprachlichen Kennt-
nissen zeugenden , unserer Ansicht nach die schwierige Stelle klar be-
leuchtenden Abhandlung des Gymnasiallehrers Dr. Cr. JV. Matthias: Exe-
getischer Versuch über Galat. III, 16 und 20, auf deren Inhalt einzugehen
der Zweck dieser Blätter uns verbietet, hat der Dlrector auf S. 20 — 31
manches Interessante, besonders aus Urkunden, bietende Zusätze und Be-
richtigungen zu seiner Geschichte der städtischen Gelehrtenschule zu
Cassel und das bekannte Wort Luther s zur Nutzanwendun g in der jetzi-
gen Zeit (Luther an die Rathherrn aller Städte deutsches Landes, S. 13)
beigefügt. [/>.]
Cottbus. An dem Gymnasium gingen im Schuljahr April 1848 — ■
49 zwei Veränderungen vor, indem der Religionslehrer Hofprediger Feld-
mann aus seinen Verhältnissen zur Anstalt trat und mit dem Schlüsse des
Schuljahres der bisherige Prorector Dr. Nauck zur Uebernahme des Di-
rectorats an das Gymnasium zu Königsberg in der Neumark überging.
Die erstere Stelle ward nicht vvieder besetzt, die letztere durch Aufrü-
cken der übrigen Lehrer und durch Anstellung des vorher an dem Päda-
gogium zu Puttbus beschäftigten Dr. Rotter ausgefüllt. Das Lehrercol-
legium bestand demnach aus dem Dir. Dr. Reuscher, Prorector Oberlehrer
Braune^ Conrector Mathemalicus Dr. Boltze , Subrector Dr. Klix, 5ten
Lehrer Dr. Rotter, 6ten Lehrer Cantor Stäber, dem Fachlehrer des Fran-
zösischen Dr. Koch, dem Schreiblehrer ScÄuZc, dem Zeichnenlehrer MüwcÄ
und dem Candidaten des höhern Schulamts Seitmann , welcher auch nach
vollendetem Probejahre noch einige Lcctionen an der Anstalt ertheilte.
Die Frequenz des Gymnasium belief sich zu Johannis 1848 auf 170 und ei-
nige Schüler, sank dann bis Ostern 1849 auf 140, hob sich aber nach die-
sem Termine durch neue Aufnahme wieder zu 164 (11 in I., 30 in II., 41
in III., 49 in IV., 33 in V.). Zur Universität wurden im Laufe des Schul-
jahrs mit Zeugnissen der Reife 7 entlassen. Die Schulnachrichten brin-
gen dringende Wünsche nach Errichtung einer 6ten Classe und einem
neuen Schulgebäude. Den Schluss derselben theilen wir hier mit, weil
wir bald eine andere Gelegenheit benutzen werden , um über die hier an-
geregte Frage zu sprechen. „Wie? wenn in die 6. Classe Knaben nach
zurückgelegtem 9. Lebensjahre aufgenommen, die 6. und 5. Classe aber
als reine Vorbereitungs-CIassen für das Gymnasium auf Grund einer tüch-
tigen Elementar- und Ausbildung in der Muttersprache, in der Formen-,
Zahl- und Maasslehre betrachtet und behandelt würden, so dass die übri-
gen 4 Classen von Quarta aufwärts, die eigentlichen Gymnasial-Classen,
fundamentirt auf alte Sprachen , Geschichte und Mathematik (nebst dem
Mittelgliede des Französischen) ausmachten und bildeten? Denn das ,,La-
teinzen" von Sexta auf ist „den Juden eine Thorheit und den Heiden ein
88 Schul- und Universitatsnachrichten,
Acrgerniss worden.** Und damit der hier nur angedeutete, keineswegs
aber moüvirte Organisalions-Vorschlag (die Motive würden einen hier
unstatthaften Raum füllen) ohne Rückhalt ausgesprochen werde, so müsste
\on Quarta an das bis dahin gegen das Lateinische aus jetzt nicht mehr
hallbaren Gründen zurückgedrängte Griechische in seine vollen Rechte
treten. Denn wenn die griechische Sprache und Litteratur die Supe-
riorität vor der römischen hat (in Ansehung der Originalität, der Man-
nigfaltigkeit, der Natur- und Kunstschönheit, des welthistorischen Ein-
flusses, der ihr inwohnenden Kraft der Jugendbegeisterung): warum soll
dieselbe nicht auch die Priorität auf den Lehrjjlänen der Gymnasien
haben? Wahrscheinlich, wenn nicht gewiss, weil nach aller Erfahrung,
■würde von der Kenntniss (Vorkenntniss) des Griechischen aus der Schritt
und Gang nach dem benachbarten und verwandten Latium schon aus dem
Grunde gerader, bemessener, sicherer und leichter sein, weil das Grie-
chische unter den Händen eines Lehrmeisters leichter gefasst und inniger
festgehalten wird, als das spröde Gestein des Tarpejischen Preisen und
das in die Formation desselben wunderbar eingesprengte Geäder der rö-
mischen Wort- und Satzstellung — : oder sollte nicht schon jeder Schüler
an sich und in seiner Versionen - Werkstatt die Erfahrung gemacht und
den Satz ausgesprochen haben : je deutscher, desto unlateinischer;
aber schreib griechisch, wie deutsch, und du wirst wenigstens nicht bar-
barisch schreiben — !V." Die den Schulnachrichten vorausgesetzte
wissenscliafiliche Abhandlung schrieb der jetzige Prorector, Oberlehrer
Braune, unter dem Titel: De Ovidii Metamorphoseon locis quibusdam dispw
talio critica (16 S. 4.). Dieselbe zeugt von vielem Scharfsinn und richti-
gem kritischen Tacte, sowie von einer genauen Bekanntschaft nicht allein
mit Ovid, sondern auch den übrigen lateinischen Dichtern. Der Hr. Verf.
führt zuerst den wohlbegründeten Satz atfs, dass Ovid's Metamorphosen
schon in sehr früher Zeit verdorben worden seien and demnach häufig die
richtige Lesart nicht aus den Handschriften , sondern aus Conjectur ent-
nommen werden müsse, sodann dass, wenn auch der Dichter an das Werk
nicht die letzte Hand gelegt, dennoch die Achtung vor seinem Genie und
seiner Eleganz verbiete, Ungereimtheiten und Verkehrtheiten ihm zuzu-
schreiben. Er bespricht daher zuerst mehrere Stellen, in denen die rich-
tige Lesart nur durch F'orschung nach dem Sinne und Zusammenhang ge-
funden werden könne. Wenn er XIII, 333 sich für die vom cod. Bersm.
gegebene Lesart: Te tarnen aggrediar, nee inultus, spero, relinquam ent-
scheidet, so muss Ref. gestehen, dass dieselbe ihm nicht ganz Genüge
thut. Das folgende: Tamque tuis potiar , faveat Fortuna^ sagillis, quam
cet. giebt sich durch que angeschlossen (vgl. Madv. Lat. Gr. §. 45*2; Krü-
ger. Lat. Gr. §. 533, 1) als eine Erweiterung und [Erläuterung des Vor-
hergehenden zu erkennen. Daraus folgt, dass der Sinn desselben sein
müsse: Ich werde meine Absicht erreichen. Diese konnte nur auf dop-
pelte W^eise erreicht werden , entweder indem Philoctet mit den Pfeilen
des Hercules nach Troja gebracht wurde, oder, wenn jenes nicht gelang,
man ihn in Leranosliess, aber diese ihm raubte. (Bezeichnend ist dafür
Vs. 401 : Fela dat, ut refcrat, Tirynthia tela, sagittas» Quae postquam ad
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. ^ 89
Graios , domino comitante, revexlt.} Da die Zuriickbringung der Pfeile
die Hauptsache war, so brauchte offenbar Ovid weder auf das Mitgehen,
noch auf das Zurückbleiben des Philoctetes Rücksicht zu nehmen, üess-
halb können wir die Lesarten: castrisque reducere nitar und mecumque
reducere nitar nur für eingeschobene Ausfüllsel halten. Besser wäre al-
lerdings das von dem Hrn. Verf. Empfohlene, wenn nur in dem inultus
wirklich das läge, was hier nothwendig erwartet wird: ,,ich werde dich
nicht in Lemnos lassen, ohne dir deine Pfeile genommen zu haben." We-
nigstens könnte Ovid hier nicht das Lob der Klarheit erhalten. An und
für sich ist auch Te tarnen aggrediar hinlänglich , ein zweiter Satz zwi-
schen diesem und dem folgenden Tam^rue durchaus nicht nothwendig. Da-
gegen wird ein Zusatz, der das Vertrauen des Ulixes auf seine Klugheit
ausdrückt, ganz gewiss am Orte sein, und so glauben wir, dass hinter
dem von 6 Handschriften gebotenen sollerti pectore ßdus das, was Ovid
entweder wirklich geschrieben oder doch im Sinne gehabt, versteckt liege.
Wollte man jene Worte selbst für acht halten (vielleicht mit der Correc-
tur fidens), so könnte man allerdings pectus vertheidigen, da dies nach
Virg. Aen. I, 661 den Dichtern auch als sedes constUorum gilt, doch immer
würde man in diesen Worten die Eleganz des Naso nicht wiedererkennen.
Wegen der Stelle XV, 230 bemerken wir, dass die von dem Hrn. Verf.
als unbedingt aufzunehmen bezeichnete Emendation von Baumgarten-Cru-
sius bereits in den Text gesetzt worden ist. XIH. 254 ist Köppen's Con-
jeciur fueritque henignior llecior gewiss nicht anzunehmen; aber wir hal-
tem fueritque benignior Aiax durch die Hinweisung auf des Letzteren
Worte Vs. 101 : Si semel isla datts meritis tarn vilibus arma, Dividite , et
maior pars sit üiomcdis in Ulis nicht für hinlänglich erklärt. Kann wohl
Ulixes seinen Gegner wegen jener bitteren Aeusserung für gütiger erklä-
ren, als die Richter, wenn sie ihm die Waffen verweigern würden? Wie
passend ist dagegen der Gedanke: Wohlan, weigert mir die Waffen des-
jenigen, dessen Pferde ich so glorreich vor Feindes Gewalt behütet habe,
und erklärt den Aiax für derselben würdiger. Desshalb entscheiden wir
uns für die nach den besten Handschriften vermuthete Ijesart: fueritque
his dignior Aiax. — Der Hr. Verf. bespricht dann solche Stellen, wo
ganze Verse fälschlich eingeschoben sind. VHI. 286 (nicht XHl., wie
irrthümlich gedruckt ist) macht er durch eine wahrhaft auf innere Noth-
wendigkeit begründete Beweisführung gewiss, dass horrido cervix die al-
lein richtige Lesart und die beiden folgenden Verse durch Interpolation
entstanden seien. Eben so weist er VH. 185 sehr scharfsinnig die Ver-
anlassung zu der schon von anderen Herausgebern erkannten Interpolation
nach. 1.545 halten wir die von Gierig empfohlene Lesart: Quanimium placui,
mutando perde figuram für das Richtigste; die Erklärung aber, dass die
ganze Interpolation aus einem beigesetzten Scholion : ait hisce: quae facit
utlaedar entstanden sei, zwar für äusserst scharfsinnig, doch etwas weither-
geholt. Uns genügt, für solche Interpolationen dieselbe Ursache anzuneh-
men, aus welcher bei Horat. ganze Strophen eingeschoben sind. Weni-
ger können wir in Betreff der Stelle VI. 280 f. beistimmen , in welcher
der Hr. Verf. den Vers: pascere^ ait, satiaque meo tua pectora luctu für
90 Schul- und Universitätsnacluichten,
einn-eschoben erklärt und die Stelle so für richtig hält: Pascere crudtlis
noi'tio Lalona dolore Corque fcrum satia^ dixit, perfunera septem Efferor,
S hr richtig hat hier derselbe die Vertheidigung des dixit nach ait, welche
Dach unternommen, zurückgewiesen. Einer von beiden Versen ist unächt.
Aber ist das per funera septem efferor wirklich so klar und des Ovidius
würdig, zumal da folgt: post tot quoque funer a vinco? Ist die Wiederho-
lung des pascere, mit zugesetztem ait, nicht dem Dichtergebrauche ange-
messen? Ist in dolore und luctu keine Steigerung? (Vgl. Döderlein Sy-
non. III. p. *237.) War es nicht möglich, dass ein Gelehrter zu dieser
Stelle die Parallele IX. 178: corque f er um satia , hinzuschrieb und dies in
den Text aufgenommen einen unglücklichen Abschreiber zu dem wirklich
saftlosen, gewissenhaft zählenden Ausfüllsel: per funer a septem veran-
lasste? Ganz einverstanden sind wir damit, dass VIII. 602 der Vers: ^ffer
opem mersaeque precor feritate paterna auszustossen, dagegen der andere:
Cui quondam tellus clausa est feritate paterna aufzunehmen sei, wobei die
Bemerkung gemacht wird, dass quondam ohne Rücksicht auf Entfernung,
öfters := modo ante sei. Die hier gegebene Auseinandersetzung über
die Wiederholungen scheint uns nicht erschöpfend, da nur nach Zusammen-
stellung aller Stellen des Dichters sich genau bestimmen lässt, welche
Grenzen er sich in Bezug auf dieselbe gesetzt habe. Der Heir Verf. be-
handelt dann noch drei Stellen, in welchen Theile von Versen corrupt
sind. In Betreff der letzten XIII. 66*2 (nicht 622) sind wir mit ihm ein-
verstanden; in der Auseinandersetzung über VI. 200 dagegen vermisst man
die rechte durchsichtige Klarheit, wie auch VI. 185 eine genügende Er-
klärung des allerdings anstössigen quoque in der empfohlenen Lesart von
Heinsius: Nescio quoque, audete satam cet. Ref. will mit diesen Bemer-
kungen nur beweisen, dass er die verdiente Aufmerksamkeit der Abhand-
lung geschenkt hat. [-^-J
Erla>'GEN, An der königlichen Studienanstalt gab der bisherige
Repetent Dr. H. Schmid wegen seiner Ernennung zum Prof. extr. theol.
an der Universität seine Stelle auf und wurde dieselbe dem Repetenten
am theologischen Ephorat und Privatdocenten L. Schöberlein übertragen.
Zur Universität wurden 14 entlassen, 13 mit dem vollen, 1 mit dem be^
schränkten Gymnasialabsolutorium. Die Schülerzahl betrug am 28. Aug.
1849 152 und zwar im Gymnasium 55, nämlich 14 in IV., 13 in III., 13 in
II., 15 in I.; in der lateinischen Schule 97, nämlich in IV. 28, in III. 22,
in II. 20, in 1.27. Die Einladungsschrift zur Preisvertheilung am 28. Aug.
1849 enthält von dem Studienrector Prof.Dr. L. Döderlein: Didactische Er-
fahrungen und Ziehungen (22 S. 4.), aphoristische Bemerkungen, nach den
einleitenden Worten zunächst für Schüler bestimmt, indem sie das enthal-
ten, was öfter in den Lectionen auseinandergesetzt, aber nicht immer
vollständig und scharf aufgefasst wird , hauptsächlich auf den classischen
Unterricht und zwar dessen sprachliche Seite sich beziehend. Jeder Leh-
rer wird aus derselben — einige sind geradezu nur für ihn bestimmt —
sehr Viel lernen. Möchten namentlich alle Lehrer der classischen Spra-
chen von dem Hrn. Verf. das Verfahrensich aneignen, welches den Schü-
ler erkennen lässt, wie ein rechter Sprachunterricht in die verschiedensten
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. Öl
Regionen des Wissens und Erkennens führt und durch ihn noch etwas
ganz anderes gewonnen wird , als die Kenntniss einer Sprache." Denn
dann wird man nicht mehr so oft über die Unlust , w eiche die Schüler
jetzt den alten Sprachen entgegenzubringen pflegten, klagen hören. So-
gleich die erste Bemerkung, welche den Vorschlag macht, man möge von
den wichtigsten der griechischen Verba anomala, wie im Lateinischen
schon länger geschehen, die 4 Haupttempora, Präsens, Futur, Aorist und
Perfectnm, auswendig lernen lassen, ist ein sehr beachtenswerther Wink,
Es giebt eine grosse Menge von Schulmännern, welche alles Memoriren
für mechanisch erklären und desshalb Alles nur von dem Schüler begriffen
oder rationell erfasst wissen wollen, ohne zu bedenken, dass das Gedächt-
niss die Handhabe des Denkens ist. Der Schüler, welcher aigsco, aiQiJGcOj
siXov, '^'QTj-Ace im steten Gedächtniss hat, wird dann gewiss auch wissen,
dass etüov von dem Stamm ^EA komme. Die zweite Bemerkung bezieht
sich auf die Eintheilung der Redetheile, von denen die philosophische
Sprachlehre die Interjectionen ausscheiden muss, weil sie nicht Producta
des Geistes, der Vernunft sind. Die von dem Herrn Verf. gegebene Ein-
theilung: I. Redetheile. 1) Substantivum. a. Nomen appellativum. b. N.
proprium. 2) Attribntivum. a. Adiectivum. b. Participium. fv. transitives
(activura und passivum). ß. intransitives, 3) Verbum. a. V. substantivum.
b. Verbum worr' £^o;^7jv d. h. Verbum substantivum sammt participium.
H. Redetheilchen oder Partikeln. 1) Präposition , d. h. Verhältnisswort
des Substantivs. 2) Adverbium, d. h. Verhältnisswort des Attributivs.
3) Conjunction , d. h. Verhältnisswort des Verbums, kann gewiss schon
dem ersten Unteirichte zu Grunde gelegt werden. Nur würden wir dann
doch dem Pronomen, obgleich wir in ihnen auch nur eine Unterart
theils der Substantiva, theils der Adiectiva erkennen, eine besondere
Stelle einräumen, weil sie auf eine ganz eigenthümliche Art die Begriffe
bezeichnen. Recht belehrend ist ferner die Zusammenstellung der Metrik,
Musik, Grammatik U.Logik (Mora, Ton, Laut — ; Fuss, Tact, Wort, Vor-
stellung; Vers, Satz, Untheil; Strophe, Stück , Periode, Schluss). Die
folgende Bemerkung beseitigt den allerdings jetzt wohl allgemein aufgege-
benen Irrthum, dass vapulare ein Activ mit passiver Bedeutung sei, bringt
aber die gewiss richtige Ableitung, dass es ursprünglich schreien be-
deutet (Mhd. werfen,, Wafel in einigen deutschen Dial. = Mund, rjnveiv
z= fanveiv. Aehnlich das Griech. oilko^si). Sodann wird bemerklich ge-
macht, dass die veiba intransitiva und neutra sich nicht dem Wesen nach,
sondern nur dadurch unterscheiden, dass jene den die activa und passiva
umfassenden transitivis, diese den getrennten activis und passivis entge-
gengestellt werden. Sehr scharfsinnig ist im Folgenden nachgewiesen,
dass die Comparationsformen keine Steigerung ausdrücken, da in Roma
prae ceteris urbibus magna fuit , Roma ceteris vrbibus maior fuit , Roma
omnium urbium maxima fuit kein verschiedener Grad der Grösse ausge-
drückt sei. Dabei wird der Unterschied zwischen longe maximus und
quam maximus dahin bestimmt, dass jenes eine Vergleichung mit anderen
Gegen.'tänden (wie valde magnns, multo maior), dieses eine Vergleichung
mit dem Begriff der Grösse selbst (wie satis magnus, etiam maior) enthält.
92 Schul- und Universltätsnachrichten,
In Bezug auf das Folgeride erkennen wir natürlich an, dass cor den alten
Römern der Sitz der mens, der Denkkraft gewesen sei (vgl. Miitzell zu
Curt. V. 9, 1), erlauben uns aber einen Zweifel dagegen, dass es nie das-
selbe, wie unser Herz i= Gemiith , Gefühl, sei , da doch schon bei Plaut.
Capt. II. 3, 60 corde inter se amare vorkommt. (Vgl. Trin. III. 2, 34;
Thiel zu Virg. Aen. Vlll. 265.) Die darauf kommende Bemerkung theilt
die lateinischen und griechischen Pronominaladverbia ein, wobei der ge-
ehrte Herr Verf. das von dem Ref. vorgebrachte Missverständniss , als
habe er tum wirklich etymologisch von is, tunc von ille abgeleitet, berich-
tigt. Sehr lehrreich ist die folgende Auseinandersetzung über die Idio-
tismen, so wie die durch das Beispiel von sors (,,von sero, z= Spruch;
Virg. Aen. VI. 431") belegte über älteste und gewöhnlichste Bedeutung
eines Wortes. Bei der Theiliing der vollständigen Interpretation in
sprachliche, historische, logische und ästhetische, welche übrigens der Hr.
Verf. nur als vier Seiten, nicht vier Theile eines Ganzen angesehen wis-
sen will, scheint uns der Begriff der historischen Erläuterung zu eng ge-
gefasst, da wir darunter nicht allein die Ergänzung aller Anspielungen
auf geschichtliche oder geographische Namen oder Thatsachen , deren
Kenntniss der Schriftsteller voraussetzt, sondern auch die Erörterung der
Beziehungen, in welchen das Schriftwerk zu seiner Zeit und zu seinem
Volke steht, begreifen. Die Forderungen, welche sodann als an jedes
Werk der redenden Kunst zu machen aufgestellt werden, geben eben so
dem Lehrer bei der Erklärung, wie dem Schüler bei der Leetüre
nicht zu vernachlässigende Fingerzeige. Recht gefreut hat sich Re-
ferent, dass der geehrte Herr Verfasser die Chrieen wieder zu Ehren
bringt, indem er durch eine selbstgefeitigte in deutscher Sprache und durch
eine Auseinandersetzung beweist, dass die in ihnen angenommenen Theile
ein recht wohl gegliedertes Ganzes geben. Ref. kann aus seiner eigenen
Erfahrung anführen, dass ihm einst ein trefflich begabter Schüler eine
Chrie in dialogischer Form übergab, in welcher die sämmtüchen Theile
in der vorgeschriebenen Ordnung ganz natürlich und angemessen verbun-
den waren. Diese Form als alleinige den Schülern aufzuzwängen wird
Niemandem einfallen, aber der Lehrer möge doch ja das Gute, was in dem
Alten enthalten ist, nicht unbenutzt liegen lassen. Die darnach aufgestellte
Bemerkung über De c la m ire n und gut Vortragen verdient um so
mehr Beachtung, als im deutschen Unterrichte gar nicht selten auf das
Erstere zu viel, auf das Letztere zu wenig Gewicht gelegt wird. Nach
einer ebenfalls durch zwei Beispiele erläuterten, das Verfahren beim Dis-
poniren betreffenden Bemerkung folgen noch zwei, eine über das grie-
chische Medium, dessen Gebrauch auf drei Arten: reflexiv (und zwar in-
dem das Subject a) alsAccusativ, b) als Dativ hinzuzudenken ist), cauj^ativ
und d(>ponential , die andere über den Unterschied zwischen Synonymen
und Homonymen und den Nutzen der Synonymik für Gelehrtenschulen.
Ref. glaubt nichts weiter beifügen zu müssen, um die Aufmerksamkeit sei-
ner Leser auf diese Schrift des gleich trefflichen Gelehrten , Schulmanns
und Menschen Döderlein hinzulenken. [/?.]
Eutin, Von der vereinigten Gelehrten- und Bürgerschule ging um
I
Beförderungen und Ehrenbezeigungen, 93
Joh. 1848 der Lehrer der Mathematik und Naturwissenschaften Dr. Vecht-
mann ab, um das Subrectorat an der Gelehrtenschule zu Meldorf zu über-
nehmen. Seine Stelle wurde an den Candidaten Heinrich Rottok aus
Meiningen übertragen. Nachdem der Zeichnenlehrer Zietz gestorben,
übernahm der seitherige Zeichnenlehrer Schütte den Unterricht allein.
Die 4 Classen der Gelehrtenschule zählten 73 Schüler (I. 8, ]I, 18, III,
22, IV. 26). Zur Universität gingen Mich. 1848 4, 3 nach überstandener
Maturitätsprüfung. Den Schulnachrichten geht voraus Uebersicht des pro-
testantisch-deutschen Unterrichts- und Erziehungswesens seit den sieb en-
ziger Jahren des vorigen Jahrhunderts (23 S. 4.), jedenfalls von dem Rec-
tor J. F. E. Meyer, Ref. empfiehlt mit vollster Ueberzeugung diese von
ganz gesunden pädagogischen Ansichten durchdrungene, jede Richtung
der Pädagogik deutlich charakterisirende, das Gute in ihr eben so freu-
dig anerkennende, wie das Falsche und Verkehrte daran scharf heraus-
stellende Schrift der allgemeinen Beachtung. Sie wird in jedem Gymna-
sial-Lehrer das Bewusstsein stärken, welches einen kräftigen Widerstand
gegen die falschen und übereilten Forderungen der Zeit zu leisten, zu-
gleich aber den gerechten gebührende Rechnung zu tragen vermag; sie
wird ihm die durch viele Zeiterscheinungen erschütterte Freudigkeit
wiedergeben und ihn mit mancher guten Waffe gegen die Feinde ver-
sehen. Ist Ref. auch nicht mit Allem und Jedem, was darin aufgestellt
wird , ganz einverstanden, so unterlässt er es doch, weiter ins Einzelne
einzugehen, zumal da die Schrift ja nicht alle Fragen fest entscheiden,
sondern nur das, was für und gegen die versuchten Lösungen und aufge-
stellten Ansichten spricht, hervorheben will, [-^J
Flensburg. Wir haben schon einmal Gelegenheit gehabt, den
Eifer, welchen die Herzogthüraer Schleswig und Holstein mitten unter
den Unruhen und Drangsalen des Krieges für die Gelehrtenschulen be-
weisen, zu rühmen und anderen Staaten als Muster aufzustellen. Nichts
giebt davon besser Zeugniss, als dass man dort selbst in den kleineren
Städten, trotz vielfacher Anträge, sie in Real- oder Bürgerschulen umzu-
wandeln, die Gymnasien bestehen gelassen und kein Antrag auf Entzie-
hung der denselben gewährten Mittel in der Landesversamralung die Ma-
jorität gefunden hat. Auch das, was das Programm des Gymnasiums zu
Flensburg von Ostern 1849 berichtet, bestätigt dies. Dasselbe hat in
der Zeit von Mich. 1847 bis Ostern 1849 sehr wesentliche Umgestaltun-
gen erlitten. Am 6. Mai 1848 wurde der Conrector Dr. G. K. Th,
Francke seines Amtes entlassen und am 15. Sept. dess. J. der Rector Dr.
H. Koster in das Rectorat der Gelehrtenschule zu Plön , der 5. Lehrer
Dr. F. J. Ottsen als Collaborator an die Gelehrtenschule in Rendsburg
versetzt. Die Einführung des neuen Regulativs vom 28. Jan. 1848 machte
ausserdem neue Anstellungen nothwendig. Das neue Lehrercollegium
ward demnach bis zum 18. Oct. 1848 folgendermaassen constituirt: Rect.
Dr. F. H. Christ. Lübker, vorher Conrector an der Domschule zu Schles-
wig, Conrector Dr. C. Th. Schumacher , vorher Subrector an derselben
Domschule, Subrector Dr. Mich, Dittmann, schon seit Ostern 1841 in
diesem Amte, Collabor. Dr. Chr, P. Jessen (seit 1841 fünfter Lehrer, seit
QA
Schul- und üniversitätsnachrichten,
Febr. 1846 Collaborator an der Anstalt), 5. Lehrer Dr. A. Mommsen,
6. Lehrer Dr. /i, fr. Gidionscn, 7. Lehrer C. F.H. Kühlbrandt, seit 1843
Hülfslehrer, interimistischer 8. Lehrer H. Chr. Abr. Schnack y vorher
Hülfslehrer an der Nicoiai-Haiiptschule. Die bei Vermehrung der Clas-
senzahi nothwendig gewordenen neuen Einrichtungen in den Localitäten
wurden von den städtischen Behörden in der liberalsten Weise beschafft.
Es konnte sogar dem Hedüifnisse dadurch besser entsprochen werden, '
dass Quarta in zwei Abtheilungen geschieden wurde. Um die innere
Umi^estaltung zu veranschaulichen, stellen wir dem früheren Lehrplone
den neuen entgegen.
Michaelis 1847—48.
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IVb.
V.
Wir bemerken dabei, dass in Prima die schriftlichen lateinischen Uebun-
gen nur in Exerciiien und Extemporalien bestehen. Wenigstens ist von
freien Aufsätzen in der Angabe der absolvirten Pensa keine Rede. Die
Anstalt hat denen, welche nicht studiren wollen, statt des Griechischen
in IV. und IIl. naturwissenschaftlichen, mathematischen und kalligraphi-
schen Unterricht ertheilt, indess bezeichnet das Lehrercollegiura eine
mehr organische Einheit der beiden Richtungen alswün-
ßchenswerth und zwar „in der Weise, dass den Schülern, die später vor-
zugsweise ihre Nahrung am classischen Alterthum finden, zuvor ein grös-
seres Maass von dem Bildungsstoffe, der in den neueren Sprachen und
den Naturwissenschaften gegeben werden möge, mithin die Trennung der
beiden Wege erst auf einer höheren Altersstufe erfolge, dann aber nach
gehöriger Vorbereitung durch Parallel-Lectionen etwa in der Tertia, zu
einer eigenen, dieser Seite (der sprachlich -realistischen Vorbildung für
das bürgerliche Leben) ausschliesslich dienenden , den oberen und eigcnt-
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 95
liehen Gymnasialclassen parallel laufenden Classe übergegangen werde.''
Ref. freut sich hier dasselbe zu finden, was er anderswo vorgeschlai^en.
Die Frequenz der Schule war folgende :
I.
11.
III.
IV a.
IV b.
V.
Sa.
Abit.
Mich. 1847
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16
18
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Ost. 1848
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Mich. 18-kS
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——
52
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Ost. 1849
6
15
12
14
13
8
72
Den Schulnachrichten gehen zwei wissenschaftliche Abhandlungen voraus
zuerst: lieber den religiösen Standpunkt des Eurlpides. Zweiter Ab-
schnitt. Vom Collaborator Dr. Jessen (14 S. 4.). Der erste Abschnitt,
welcher im Programm von 1843 erschien , ist uns leider nicht zur Hand ;
da indess der Hr. Verf. selbst erklärt, die gegebenen Bemerkungen könn-
ten nicht darauf Anspruch machen, einen zweiten Abschnitt eines syste-
matischen Ganzen zu bilden, so versucht Ref., ohne Rücksicht auf jene
nehmen zu können , einen Auszug. Der Hr. Verf. stellt zuerst den Salz
auf, dass bei keinem Dichter die Einwirkung philosophischer Speculation
und moderner Bildung auf die religiösen Vorstellunge'n mehr hei vortritt,
als bei Eurlpides, und führt dafür zunächst an, dass er nicht einmal die
von Dichtern bereits gestalteten Vorstellungen benutzt — die Eumeniden,
welche den Orestes peinigen , bei Aeschylus wirklich gestaltete Wesen,
sind bei ihm nadrj^Dcxa ipvxrjg — , auch nicht selbst neue Gestaltungen
versucht habe. Die Lyssa im Hercules furens ist nicht ganz neu (Ae.ch.
Xantr. fr. 155) und vernichtet sich selbst als Allegorie , indem sie ihre
Aufgabe nur aus Zwang und mit Unwillen erfüllen zu können erklärt,
während das von der Iris dem Chore zugerufene Gagchlts an den LÖwen
in Shakespear's Sommernachtstraum erinnert. Der Sccvarog in der Alce-
stis macht mehr einen heitern Eindruck und die Eirene (Cresph. fr. 4)
und Peitho (Antig. fr. 2) geben sich selbst als leere Abstractionen zu er-
kennen. Wenn also Eurlpides nicht selbst neue Gestaltungen bildete,
so konnte er sich nur in dem überlieferten Mythenstoffe bewegen, aber
eine objective Auffassung desselben ist von ihm, dem philosophus sceni-
cus (Hasse Eur. phil. q. et quäl. fucr. p. 7), nicht zu erwarten. Will
man sich die Frage beantworten, welches das eigentliche Uitheil des
Eurlpides über die Götter der Tradition und die Volksreligion gewesen,
so muss man zugleich mit untersuchen, wie und in welchem Grade hat
Eurlpides die verschiedenen Anschauungsweisen seiner Zeit benutzt.
Nachdem der Hr. Verf. kurz die so weit von einander verschiedenen An-
sichten Valckenaer's (diatr, p. 36) , Bouterweck's (d. ph. Eur. p. 9),
Schlegel's (Vorl. über dramat. Poesie I. p. 139), MüUer's (d. Eur. deor.
pop. contempt.), Hartung's (Eur. Iph. Aul. p. 6, bedeutend modificirt in
Eurip. rest, I, p. 98) aufgezählt, entscheidet er sich für Bernhardy's An-
sicht (Ersch und Gruber. Encycl. Eurip. p. 139), dass der Dichter in
seiner Religionsphilosophie ohne Consequenz und Methode verfahren sei.
Im Allgemeinen stellt er sodann auf, dass Eur. im Allgemeinen auf dem
Standpunkte des Socrates stehe, in sofern ihm, ohne dass er die alte
Mythologie und den Volksglauben umstossen wolle , die Hauptsache sei,
96 Schul- und Universitätsnachrichten,
dass die Gotter Alles wissen und in Allem gegenwärtig sind, über Alles
nach den Gesetzen des Guten walten und sich selbst genug, das höchste
geistige und sittliche Princip sind, dass er, uezsbjooXöycov OHokiocg andzccs
verschmähend (fr. ine. 158) erhabene Vorstellungen über das göttliche
Wesen und das Verhältniss zwischen Göttern und Menschen zu verbreiten
strebe, dass aber »ein allgemein menschlich -sittliches ürtheil über das
Wesen der Gottheit oft im Widerspruche stehe mit der Darstellung der-
selben im Einzelnen. Von den zaiilreichen Belegen für diese Ansicht
fuhren wir nur an, dass in den Bacchen, welche der Hr. Verf. gegen Lo-
beck Agiaoph. p. 6'23 und Müller Gesch. der griech. Litt. II. p. 176 nicht
für eine Palinodie, sondern nur für graduell von den übrigen Stücken ver-
schieden erklärt, die Mythe von der Geburt des Bacchus gedeutet wird,
wozu sich Hei. 18 und Herc. für. 1343 und 1349 gesellen, wobei der Hr.
Verf. bemerklich macht, dass diesen Deutungen und Veränderungen oder
Zweifeln gegen die Mythen ein ethisches Motiv zu Grunde liege, indem
es dem Dichter darauf ankomme, Mythen zu beseitigen, welche den from-
men Vorstellungen von dem göttlichen Wesen anstössig sein müssten.
Die Untersuchung über den zweiten Theil der oben aufgestellten Fragen
beginnt mit Diagoras und Critias, den Extremen der sowohl Religion als
Moral vernichtenden Sophistik , denen Aristophanes den Euripides zur
Seite setzt, wie er ihn Thesraoph. 451. Ran. 8Ö9 besonders wohl wegen
Hippel. 6l7 einen Eidesverächter nennt. Der Hr. Verf. bemerkt, dass
von einer äusseren Beziehung zu jenen Männern keine Spur sich finde,
und die auf eine Uebereinstimmuiig mit ihnen zu beziehenden Stellen im
Zusammenhange eine andere Bedeutung erhalten ; eine Aehnlichkeit mit
den Atomistikern könne man vielleicht in dem öfters vorkommenden Aus-
rufe, ob ein Gott sei oder der blosse Zufall regiere, finden, allein auch
dieser sei nicht ernste Ansicht des Dichters und der JCvog aidsgiog bei
Aristoph. Nub. 374 nicht mit Hermann auf Eur. zu beziehen. Mit Prota-
goras, der ausdrücklich als Lehrer des Euripides genannt wird, beweisen
dem Hrn. Verf. Geistesverwandtschaft die Stellen Herc. für. 1267. Or.
412. Hei. 709. 1154. Pirith. fr. 6, er findet aber darin doch nicht ganz
die zweifelnde Ungewissheit über die Existenz der Götter, sondern die
Anerkennung der Unbegreiflichkeit Gottes. Mit Vorliebe bringt Eur,
Freigeister auf die Bühne, gewöhnlich aber so, dass ihr Thun und Trei-
ben zu nichte wird; das schlimmste Beispiel der Art bietet Melanipp. fr. 1,
doch zeigen sich in den übrigen Fragm. (22 und 3) die philosophischen
Ansichten des Anaxagoras. Bei Bellerophon (fr. 25) scheint doch auch
ein ethisches Resultat zu Grunde zu liegen, namentlich nach der Combi-
nation Hartung's (Eur. rest. I. p. 397). Es werden ferner noch als hier-
her gehörig die Stellen Hec. 488, El. o87, Troad. 890 besprochen. Mit
Prodicus, der noch allgemeiner als Lehrer des Eur. bezeichnet wird, und
seiner mehr sittlich paränetischen und rhetorischen Denkweise (Weicker
Rhein. Mus. I. p. 634; Zeller Gesch. der Philos. I. p. 265) glaubt der
Hr. Verf. eine Aehnlichkeit finden zu können in Hei. 567 und den übrigen
Stellen, wo glückliche Ereignisse als -SfOi bezeichnet werden; indess ist
er der Ansicht, dass diese kaum bestimmt auf Prodicus zurückzuführen
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 97
seien, sondern vielmehr auf den allgemeinen leitenden Grundsatz, wonach
das Symbol der göttlichen Wohlthat mit der Gotteskraft selbst verwech-
selt wird (Krische Theol. Lehr. p. 443). Einen Einfluss des Heraclitus
(Diog. Laert. II. 22) findet er in der erhabenen Ansicht von der Allge-
genwart und dem Allesdurchdringen des Zeus, so wie ihm fr. ine. 162,
Troad. 890 und Cret. fr. 2 Vertrautheit mit der pythagoreischen Lehre
verrathen. Auf den damals schon aufkommenden Euhemerismus kann
man Beziehungen in Iph. T. 277. Hei. 498. Ion. 353. Bacch. 30 sehen,
muss aber auch zugeben, dass der Dichter denselben nicht gebilligt hat.
Dagegen wird nur nachgewiesen , dass der eigentliche Kern der Lehre
des Eur. auf den physikalischen Ideen der ionischen Schule beruhe, dass
aber der Dichter auf dem Grunde derselben ein reiches ethisches System
aufbaue. Der Hr. Verf. kann nicht einräumen, dass damit statt der festen
Weltordnung ein VVirbeltanz der Atome beginne, dass an die Stelle des
Zeus nur ^Ivog trete (Märker. Princ. d. Bösen p. 269) , vielmehr weist
'er nach, dass Zeus deutlich dem Euripides das höchste geistige Wesen,
d. h. — denn höher konnte das Älterthum nicht gelangen — das mög-
lichst von allen unreinen materiellen Berührungen freie Element sei, dass
der Dichter — weiter gehend als Anaxagoras, von der Natur zu den
Ordnungen der sittlichen Welt zurückkehre und desshalb hierin wieder
eine Anknüpfung an Sokrates (Krische a. a. O. p. 215) sich zeige. Den
dem Dichter geraachten Vorwurf des Atheismus erklärt er endlich als dar-
auf beruhend, dass derselbe das Bedürfniss einer Theodicee empfunden,
dies aber ihm zu darauf bezüglichen zweifelnden Aeusserungen Veranlas-
sung gegeben habe. Dies der hauptsächliche Inhalt der geistreichen, von
gründlichen philosophischen Studien und einer ungemeinen Vertiefung in
die Seele des Dichters zeugenden Abhandlung. Eine sehr willkommene
Einleitung und Ergänzung dazu bietet der zweite in dem Programm ent-
haltene Aufsatz: Zur Geschichte des religiösen Bewusstseins bei den Helle-
nen von dem Rector Dr. Friedr. Lübker (S. 15 — 28). Nachdem zuerst
der Hr. Verf. das Verhältniss der griechischen Bildung zu der des Orients
als einen Fortschritt, indem in ihr die Freiheit des Geistes errungen wird,
bezeichnet hat, sucht er den Ursprung des religiösen Bewusstseins bei
den Griechen auf und findet, ohne sich weiter in die Untersuchung über
den Einfluss des Orients zu vertiefen, denselben in der Verehrung der
Natur, wofür er als deutlichen Beweis die Erscheinung des religiösen Be-
wusstseins bei Homer anführt. Der ganze spätere homerische Götter-
staat giebt zu erkennen, dass eine Hinneigung zur natürlichen Seite ur-
sprünglich gewesen und erst späterhin die vorzugsweise ethische Macht
erwachsen ist, dergestalt, dass wir in einigen Gottheiten wesentlich das
Frühere, an anderen, wie an der Here, ausschliesslich das Spätere, da-
gegen an den meisten die Vereinigung beider gewahren. Wir finden in
der ältesten Erinnerung die Wehmuth um das hinschwindende und abster-
bende Leben der Natur, die um so schmerzlicher ist, als sie mit ihren
Reizen den Menschen fesselt, in der Form dem orientalischen Geiste nahe
verwandt (Linos, Adonis, Maneros, Bormos, Hylas, Narkissos, Thammus
bei Hesek. 8, 15; vergl. v. Gerlach A. Test. II. p. 2. Der Hr. Verf.
iV. Jahrh. f. Phil. u. Päd. od Krit. ßibl. Bd. LVIIl. f/ft. 1. 7
98 Schul- und Universitätsnachrichtcn,
kann darin nicht mit v. Lasaulx Ucber die Linoükl. p. 9 den sittlichen
Schmerz um die Sünde und das V^erderben des menschlichen Willens oder
auch um die Folgen derselben, die allgemeine Ohnmacht und Gebrechlich-
keit, sehen). Gleiche Aehnüchkeit bietet die Klage der Demeter um
Kora, wie denn auch Dionysos unverkennbar den LJebergang aus dem Cul-
tus des Orients bildet, und auch der Cult des dodonäischen Zeus weist
unverkennbar auf diese Richtung hin. Sodann charakterisirt der Hr.
Verf. Homer's religiöses Bewusstsein, fast ganz in Uebereinstimmung mit
Nägelöbach's trefflicher Auflassung; berührt kurz Hesiod, Herodot und
Pindar's reflectirenden Rationalismus mit einer durchsichtigen positiven
Grundlage (mehr Seebeck Rhein. Mus. III. p. 50-i, als Bippart Pind. Le-
ben, Weltansch. und Kunst p. '-26 ff. folgend) und wendet sich hierauf zu
Sophocles, bei dem er einen wesentlichen Fortschritt findet, indem bei
ihm die Wirksamkeit der Götter in unmittelbarem Zusammenhange mit
der menschlichen Thätigkeit stehe und dadurch rein und überwiegend
sittlich sei, wodurch auch die Mantik eine ganz andere Bedeutung ge-
winne. Während bei Homer der besondere Antheil des Einzelnen an
seinem Thun vorzugsweise dem natürlichen Wesen des Menschen, fällt er
bei Sophocles dem mit der Einsicht und der Rlrkenntniss eng zusammen-
hangenden freien Willen anheim; während bei Homer die Sünde als facti-
sche Zerstörung der sittlichen Weltordnung, als falsche Selbstbestimmung
nach eigenen Gesetzen und Maximen, als ein sich ungebührlich überhe-
bendes Selbst- und Ehrgefühl, daneben als etwas von Aussen her Em-
pfangenes und Eingeflösstes , das geradezu den Göttern zugeschrieben
wird, erscheint, bringen nach Soph. die Götter zwar auch den Menschen
in die Schuld hinein , aber diese Verführung hängt mehr oder weniger
von dem sittlichen Zustande des Individuums oder von der ganzen bishe-
rigen Führung und That des Geschlechtes ab; sie hat tiefere Wurzeln
innerhalb der Menschenwelt selbst und ist niemals allein da, ohne dass
jedoch der freie Wille seine Macht behält. Indem so ein Unterschied
zwischen der vorsätzlichen bewussten und freiwilligen und der unfrei-
willif^en oder gezwungenen Schuld gemacht wird, ist, so weit diese Vor-
stellung auch noch von der Idee der christlichen P"'reiheit entfernt bleibt, doch
der Fortschritt da, der sichere Rechtsboden wird betreten, wie sich dies
in dem Aufhören der Erscheinung der Blutrache, der Einsetzung des Areo-
pags und der Entwickelung der sittlichen Idee durch die Lehre des So-
krates kund giebt. Die ganze Abhandlung macht uns auf die verspro-
chene ausführlichere Arbeit über das ethisch-religiöse Element im Sopho-
cles begierig, da wir in jener theilweise ganz neue oder doch auf neue
Weise herausgestellte Ansichten über Sophocles finden. Möge den deut-
schen Stammesbrüdern in den Herzogthümern bald derGenuss der erstreb-
ten heiligen Güter werden; dann werden wir von den wackeren Gelehr-
ten in jenen Gegenden auch manche bedeutende wissenschaftliche Lei-
stung erhalten. [^-J
Freiberg. Zu den zwei für das Andenken edler Wohlthäter im
Gymnasium am 13. April zu haltenden Gedächtnissreden wurde durch
eine Schrift eingeladen, welche drei bei feierlichen Gelegenheiten gehauene
Schulreden von dem 5. Lehrer Dr. A. E. Prölss (18 S. 4.) enthält, näm-
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 99
lieh 1) bei der Vorfeier des Reformationsjubelfestes (30. Oct. 1839) , Lu-
ther's Glauben, seine Liebe und Menschenfreundlichkeit, sein Gottvertrauen
als Muster darstellend, 2) an Luther's Todestag (18. Febr. 1846); 3) Vor-
bereitungsrede auf die Feier des heiligen Abendmahls (27. Oct. 18i8).
Sämmtliche Reden zeichnen sich durch ihren Gedankeninhalt und die
kräftige, schöne Sprache vortheilhaft aus. Am wenigsten hat den Ref.
die letzte befriedigt, da sie zu wenig auf den eigentlichen Zweck Rück-
sicht nimmt. Als Rede zur Feier des westphälischen Friedens würden
wir sie ganz angemessen finden. [^-J
Frankfurt am Main. Am Gymnasium wurde am 28. März 1848
der Prof. Rödcr wegen andauernder Kränklichkeit mit Beibehaltung sei-
nes vollen Gehaltes in den Ruhestand versetzt. Zum Lehrer der hebräi-
schen Sprache wurde am 25. Juli desselben Jahres der Religionslehrer an
der israelitischen Realschule Dr. phil. Jacob /Auerbach bestellt. Der Ein-
ladung zum Osterexamen 1849 schickte der Dir. Dr. J. Th. Vömel vor-
aus : De modis coniunctivo et optativo verborum (xi secundum Codices De-
mo sihenicos scribendis, Specimen Prolegomenorum apparatus criiici
(9 S. 4.}, eine mühevolle, aber für die griechische Sprache wichtige Ab-
handlung. Erst wenn bei allen Schriftstellern derartige Untersuchungen
gemacht sein werden, können wir mit Sicherheit eine vollkommene grie-
chische Formenlehre erwarten. Die Resultate, welche der Hr. Verf. ge-
wonnen, sind folgende: 1) Der Coniunctivus activi von den Verben, deren
Wurzelvocal £ ist, wird in den Handschriften des Demosthenes immer mit
dem Circumflex geschrieben , auch bei den Compositis von Vrnii, wegen
deren Buttmann G. G. 1. p. 522 zweifelt und Schneider ad Plat. Civ. T.
p. 305. H. p. 38 den zurückgezogenen Accent beibehalten hat , obgleich
die Grammatiker (Et. M. p. 467, 42. Gud. p. 96, 46. Gramer Anecd. T.
p. 21) die Formen als durch Contraction entstanden bezeichnen. Merk-
würdig ist, dass der cod. 2. oft y-aQ^Catri darbietet, die Falschheit der
Lesart beweist sich aber aus dem Fehlen des i, 2) Der Optativus Act.
auf OL von den Verben mit der Wurzel £ findet sich nur einmal im 2.
Symra. §. 27 v-axoc^oits, doch ist die Vulgata beizubehalten, weil die Form
sonst ohne Beispiel ist (Buttm. I. p. 518; Krug, p, 131). Von den Com-
positis von l'riiiL findet sich die andere Form nur bei Pseud. Dem. Theoer.
§. 6, wo aber mit E, Vat. und Vulg. der Optativ beizubehalten ist (Klotz
ad Devar. II. p. 628). Merkwürdig und ganz einzig ist cctpiol bei Bekk.
Anecd, p. 471. Rücksichtlich der ¥ormQr\ 8 idoiriv und didcoriv zeigt sich
in den codd. , wie bei den alten Grammatikern, ein solches Schwanken,
dass die eine Form bei Uebereinstimmung der besten und meisten Hand-
schriften nicht mit der andern zu vertauschen ist. 3) Die Conjunctivi
Passivi xid^rJGQ's j Tcgod^rjad'S, ngocd'fJGd'S, (israO^rio^s , dLadrjtat, iTrtQrjtixt
sind als contrahirt zu circumflectiren, daher gegen die Handschriften auch
TtQorjrai', aber v.ad-iarr}T(Xi ist mit Z. Steph. I. §. 34 beizubehalten. 4) Die
Optativi Passivi von den Verbis auf s sind in ot und mit zurückgezoge-
nem Accent zu schreiben: TtQoaO'oixo (auch Phil. II. §. 12 gegen den 2^.),
TTooo^oiaQ'Sj svd'oiTO , TCQooivto , TtQooiads. Engelhardt Ann. ad Dem.
p. 44 hat nicht alle Stellen gesammelt und nach genauer Prüfung der
7*
100 Schul- und üiuversitätsnachrichten,
Handschriften beurtheilt, was früher auch den Hrn. Verf. zum Irrthum
verleitet. [D.]
GIESSEN. An die Stelle des verstorbenen Prof. Dr. Uartnagcl trat
am Gymnasium der Prof. theol. cath. an der Universität Dr. F'lack am
22. Juli I848 als Religionslehrer. Der Candidat Dr. L. Krämer über-
nahm nach Vollendung seines Probejahres (Herbit 18-i8) noch bis Weih-
nachten desselben Jahres die Stunden des wegen seiner Gesundheit
beurlaubten Gymnasiallehrers Dr. Diclil in der Vorbereitungsciasse. Im
Herbat 1848 trat der Cand. W. Crecelius sein Probejahr an. Im Som-
merhalbjahr 1848 betrug die Schülerzahl 217, im Winterhalbjahr 18 i8 bis
49: -206 (31 in I., 42 in II., 23 in III., 27 in IV., 36 in V., 24 in VI. und
23 in der Vorbereitungsciasse). Ostern 1848 wurden 6, Mich, desselbc'ii
Jahres zur Universität entlassen. Den Schulnachrichten voraus geht eine
Abhandlung: Krinagoras von Myülene von dem Dir. Dr. E. Geist (50S. 8.),
vortrelesen am 4. Febr. 18^8 in der Gesellschaft für Wissenschaft und
Kunst zu Giessen. Der Hr. Verf. hält, damit der Text der sogenannten
Orthologie auf eine sichrere Weise verbessert werden könne, mit Recht
eine Zusammenstellung der Gedichte nach den Dichtern, wie sie schon früher
Brunck und in neuester Zeit Meineke gegeben, für nothwendig, und giebt
als einen Versuch zu beweisen, wie viel dadurch für die Kritik und Er-
klärung gewonnen werde, eine Bearbeitung der Gedichte des Krinagoras,
einen Versuch, den Ref. als einen durchaus gelungenen bezeichnen muss.
Die Schrift beginnt mit einer Erörterung über die Lebensverhältnisse
des Dichters, welche mit ziemlicher Bestimmtheit aus den Gedichten
scharfsinnig herausgefunden werden. Die Vermuthung, dass sich derselbe
mit Bücherabschreiben beschäftigt, weil in den Epigrammen 14 und 16
Bücher als Geschenke vorkommen, die nur, wenn sie eigenhändig ge-
schrieben, grösseren und wahren Werth gehabt haben könnten, dürfte
wohl als etwas gewagt erscheinen, da einmal der eigene Besitz von Bü-
chern auch in der Zeit des Augustus bei den Vornehmen immer noch etwas
Ausserordentliches war, die zum Geschenke gemachten Bücher aber ge-
wiss zu den selteneren gehörten, also eine willkommene Vermehrung der
Bibliothek, auch wenn sie nicht von dem Schenker eigenhändig geschrie-
ben waren, bildeten. Dem Ep. 4 wird der Hr. Verf. selbst keine Be-
weiskraft beilegen. Ebenso möchte wohl zu der Vermuthung, dass Kr,
die Hinreise nach seiner Heimath vielleicht im Gefolge des Augustus ge-
macht, in Ep. 26 nicht hinreichende Veranlassung liegen, da der Umstand
einem sich zum Hofe Drängenden leicht bekannt werden und demselben
zu einem so schmeichelhaften Epigramme Veranlassung geben konnte.
Sehr richtig urtheilt der Hr. Verf. über den Werth des Dichters, indem
er gegen Bähr's Unheil (Pauly Realenc. s. v. Crinag.), dass seine Ge-
dichte zum Theil von wahrhaft poetischem Talente zeugten, auch Pas-
sow's Meinung (Jahrbb. für Phil, und Päd. 1827. I. 2), dass er ein ge-
rade nicht schlechter Dichter gewesen, nur in Vergleich mit so vielen
Anderen gelten lässt, da Schönheit der Sprache, Wohlklang der Verse
und treffender Witz ihm abgehen. Nur den einzigen Vorzug hebt er her-
vor, dass seine Epigramme nicht allgemeinen epideiktischen Inhalts, son-
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 101
dern zum grössten Theile wirkliche Gelegenheitsgedichte sind. Dieser
Einleitung lässt der Hr. Verf. die einzelnen Epigramme nach der Bruncki-
schen Anordnung folgen, wovon er jedoch 1, 36 u. 37 als unächt bezeich-
net. 5 Epigramme werden den von Brunck aufgenommenen zugefügt.
Die Kritik und Erklärung, welche er übt, beweisen eben so grossen
Scharfsinn, wie tüchtige Sprach- und Sachkenntnisse. Eine Menge all-
geni'in beachtenswerther Bemerkungen werden von ihm gemacht, z.B.
S. 9 if. über die Mimen und Pantomimen , über die Namen Proklos
S. 13 f. Simo, welches scharfsinnig in Libo verändert wird, S. 22, Polemo
S. 37 nach Hecker's Comm. crit. p. 300 evidenter Conjectur, UQOiTT},
Prima S. 45 f., über den Fiuss Casinus S. 20, über die Sitte des ersten
Rasirens S. 24, über den bekanntlich von D'Orville Vannus crit. p. 185
gegen Pauw so heftig geführten Streit wegen der Zahl der Bücher des
Anacreon, welcher hier, wenn nicht neue Beweise aufgefunden wer-
den, zum Abschlüsse gebracht ist, S, 26 ff., über den Sohn des Ge-
schichtschreibers Salustius (interessant wegen Horat. Od. II. 2) S. 30,
über die Reihenfolge, welche bei der Anordnung der Anthologie befolgt
ist, S. 31 ff., der vielen feinen sprachlichen Bemerkungen nicht zu geden-
ken. Darf Ref. einige Bemerkungen wagen, so kann er Ep. 2, 3 die
Conji^ctur vi'xro; d' vttsq ipEvGtr]g — nvocos in der Bedeutung: ,,die über
die Nacht, mehr als die Nacht täuschende Fackel" nicht billigen, hält
vielmehr die Emendation o ip^vorri^ d' vno vvhtk fest. Dass in der
Handschrift riTTf'^ steht, kann nicht hoch angeschlagen werden, da die
beiden Prä()ositionen an Stellen verwechselt er^^cheinen, wo man es durch-
aus für unmöglich halten sollte. Dass A. P. IX. 289, vs. 3: nvQCog ozs
ipEvaras ^&ovLrjg övocpsoateQa watög ij^s cs\a wesentlich von vvy.xa d'
rnsQ ipBVGtrjg verschieden sei, ist nicht zu verkennen. Ist aber das vno
rv-ATcc^ sub noctem, hier so falsch? Suchen die Schiffe nicht gerade am
Abend den sichern Hafen, um nicht in der Nacht zu scheitern? Wird
also nicht das in der Dämmerung angebrannte Leuchtfeuer am leichtesten
zum Betrüger? Eben so zweifelt Ref., ob in Betreff des Epigr. 6 des
Hrn. Verf. Vermuthung richtig sei. Dass Vs. 7 in der Handschrift
Uoiänct) statt des nothwendieen TTgiriTccp steht, kann um so weniger einen
Anhalt bieten, als auch an anderen Stellen die episch -ionischen Formen
vr'rN'vischt sind und gerade der Name in jener Form den Abschreibern ge-
läufiger gewesen zn sein scheint. Auch könnten wir, wenn wir in den zwei
letzten ^^ersen ein eigenes Epigramm sehen wollten, eine Bedeutung des-
selben höchstens in den Beiwörtern der beiden Götter finden. Dass in
den 6 ersten Versen der Nominativ steht, während man, wenn die darin
enthaltenen Substantiva zu uvTidstcxi bezogen werden sollen, den Acc,
wie lirrjv dahcc, erwarten sollte, scheint damit zu entschuldigen zu sein,
dass der Dichter erst gleichsam verwundernd ausrufend aufzählt, dann
aber erst die eigentliche Construction beginnt. Dem Ref. scheint die
Bedeutung des Epigramms gerade darin zu liegen, dass Philoxenides
Zwischenspeisen für die Weintrinker als ein vollständiges Mahl dem Pan
und Priapus auftischt. Was als solche reichlich, muss als Satg lirri er-
scheinen. Für ÖBiXai dccv.vBaQui' aiivySäKaL möchte Ref. ösival d, ver-
\Q'2 Schul - und Universltätsnacbrichten,
inuihen, sclnver zu zerbeissende Mandeln, nach einer zwar kühneren, aber
zu reclufeitij;enden Cunstruclion. Denkt man sich, dass Philoxenides bei
eineu) zu Ehren des Pan und Priapus veranstalteten Opferraahle den Gä-
sten nur zum Trinken reizende, aber den Magen nicht befriedigende mas-
sive Speisen aufgetischt, so wird das Epigramm als Gelegenheitsgedicht
eine leidliche Gestalt haben. Riicksichtlich ipidvog Ep. 22 hätte Ref.
{gewünscht, dass der Hr. Verf. seine von Döderlein Red. u. Aufs. II. p.
209 abweichende Meinung begründet, da nicht zu läugnen ist, dass der
Gegensatz : uaka-^ol fiakloC und das beigefügte ayQoriQcov tqtjxvtsqcxi xl-
^lÜQtov gerade die von dem Etymologiker angenommene Bedeutung em-
pfiehlt. Wünschenswerth wäre es allerdings, dass die beschriebene
Schaafart naturhistorisch bestimmt würde. Es giebt allerdings in den
Caucasusländern ein Schaaf von einer äusserst groben Wolle, die Haare
aber sind nicht spärlich , sondern dicht. [-^-j
Grimma. Die hiesige königl. Landesschule hat im Schuljahre Mich.
1848 — 49 weder im Lehrercollegium, noch im Lehrplane eine Verände-
rung erfahren. Die Schülerzahl war im Winterhalbj. 131 (21 in I., 30
in II., 37 in HI., 43 in IV.), im Sommerhalbj. 132 (23 in I., 28 in II., 36
in III., 45 in IV.), gegenwärtig beträgt sie 129 (117 Alumnen u. 12 Ex-
traneer; 22 in I., 26 in II., 34 in III., 47 in IV.). Zur Universität gin-
gen Mich. 1848 11, Ost. 1849 4, Mich. dess. J. 8. — Den Schulnachrich-
ten geht voraus: Series praeceptorum Illustris apud Grimam Moldani vom.
2. Prof. M. Lorenz (48 S. 4. und eine Tabelle). Der Hr. Verf. beab-
sichtigt, die im Jahre 1850 bevorstehende 300jähr. Jubelfeier der Anstalt,
welcher er einst als Schüler, dann seit 1831 als Lehrer angehört , durch
eine Geschichte derselben zu verherrlichen. Das hier veröffentlichte
Verzeichniss der Lehrer und Beamten bildet die Sammlung von einem
Theile des reichen Materials, welches in der Schulgeschichte zu einem
lebensvollen, die pädagogische und wissenschaftliche Thätigkeit der hier
aufgeführten Männer treu wiederspiegelnden Bilde verarbeitet werden
BoU. Wer weiss, welche Mühe es macht, die hier stehenden kurzen,
scheinbar so trockenen Notizen aus zum Theil nur Wenigen zugänglichen
Quellen zusammenzusuchen, die vielen Daten aus Urkunden und dergl.
zusammenzustellen, der wird der acht deutschen Ausdauer und der Umsicht
des Hrn. Verf. die gebührende Anerkennung nicht versagen. Für die
Gelehrten- und Litteraturgeschichte finden sich hier viele Nachweisungen,
die dem Forscher sehr brauchbar sind. Der Hr. Vf. beabsichtigt zunächst
in gleicher Weise ein Verzeichniss sämmtlicher auf der Landesschule zu
Grimma gebildeter Männer herauszugeben, welche, wie Ref. aus eigener
Ansicht zu bestätigen vermag, eine Menge der interessantesten Notizen
zur Familien- und Gelehrten-Geschichte bieten wird, wesshalb wir hier
Bibliotheken und alle sich für die genannten Fächer Interessirende auf
die so eben au'-gegebene Subscriptionsli.ste, welche bis Ende Januar ge-
schlossen werden wird, aufmerksam machen. [/?.]
Leipzig im October 1849. Der Jahresbericht der hiesigen Nicolai-
schule von Ostern 1848 bis dahin 18i9 von dem Rector der Anstalt, Pro-
fessor Dr. A'o6&c, welcher als Einladungsschrift zur feierlichen Einfüh-
Buförderungcii und Ehreiibezeigungen. 103
rung (lerDDr. Kreussler, FrUzscJic u. TiUmann in höhere Lehrstellen, zu-
gleich auch zur Erinnerung an die vor 25 Jahren erfolgte feierliche Be-
stallung des Conrector Dr. Albert Forhlger als ilires sechsten ordentlichen
Lehrers erst in diesem iMonate erschienen ist (Leipzig, gedruckt bei Willi.
Staritz 1849. 29 S. 8.), giebt uns erfreuliche Nachricht von den» fort\>äh
rend gedeihlichen Stande der geachteten Lehranstalt. Denn wenn schon
die Anstalt in ziemlich häufiger Aufeinanderfolge bewährte Lehrer, die zu
anderweitiger Thätigkeit ehrenvolle Rufe erhalten hatten, in welcher Be-
ziehung der Herr Verf. an Dr. Dietrich^ an die Professoren /JCü/ine zu Go-
tha und Falm zu Grimma, die Directoren oder Rectoren Frotscher,
FunkJiänel, Hülse erinnert, hatten müssen von sich scheiden sehen, so
war doch der Verlust so ausgezeichneter Lehrkräfte jedesmal bald wieder
grösstentheils durch tüchtige jüngere Männer, welche der Anstalt schon
vorher ihre Lehrkräfte gewidmet hatte, ersetzt worden. So auch jetzt.
Denn nachdem nach dem schnellen Abgang des Dr. Klee zur Uebernahme
des Rectorats an der Kreuzschule zu Dresden durch die Güte des in ange-
nehmer Müsse zu Leipzig privatisirenden Prof. Dr. Ricliter die entstandene
Lücke zeitweilig ausgefüllt worden war, rückten Dr. Kreussler in die V.,
Dr. Fritzsche in die VL ordentliche Lehrstelle auf, die erste Adjunctur
aber ward dem Dr. Tittmann übertragen , der bisher den naturwissen-
schaftlichen Unterricht an der Anstalt ertheilt hatte, in dessen Stelle da-
gegi n, nach einer interimistischen Aushülfe durch Dr. Schütz, Katecheten
zu St. Petri u. Observator an der Stadibibliothek, Dr. Kcrndt eintrat.
Als eine sehr erfreuliche Erscheinung haben wir noch hervorzuhebeUj dass
in neuester Zeit die Veranstaltung getroffen w orden ist, dass der Unterricht in
der engl, Sprache, der bisher nur privatim an der Anstalt gegeben wurde,
künftighin öffentlich ertheilt werden wird, und dass die Anstalt mit Wohl-
gefallen auf die 25jähr. Lehrthätigkeit des Conrectors Dr. Fo?6«g-er an dem
Tage der Einführung dreier Collegen in höhere Lehrämter zurückschauen
konnte, der vor 25 Jahren an demselben Tage die sechste ordentliche Lehr-
stelle übernommen hatte, im Jahre J828 aber in das Tertiat und im Jahre
1835 in das Conrectorat aufgerückt war. — Zur Universität wurden zu
IMichaelis 1848 entlassen 8, dagegen zu Ostern 1849 9. Erfreuliches war
auch über andere Verhältnisse der Anstalt, über Prämien, Freistellen und
Stipendien, W^ittwenkasse, so wie über die angemessene Vermehrung der
Schulbibliothek zu berichten. So möge denn die tüchtige Lehranstalt
fröhlich fortgedeihen! [Jf.]
Leipzig. An der Tä omassc^uZ e lud zur Feier des 31. Decera-
ber 1848 der Rector Dr. Stallbaum durch den Abdruck der von ihm am
31. December 1847 gehaltenen Rede: De bonarum Utterarum studio effica-
cissimo animi in rebus adversis tranquillandi praesidio et adiumento (20 S.
4.), an welcher das elegante Latein besonders rühmend anzuerkennen ist.
— Die Schule erlitt am Anfange des Schuljahres 1848 — 49 empfindlichen
Verlust durch den Tod des Sextus Dr. Joh. Heinrich Brenner (13. Mai) u.
des Quintus Dr. Carl Haltaus (31. Jul.). Die Wiederbesetzung der erle-
digten Stellen erfolgte in der Weise, dass der I. Adj. Dr. Jacobitz Quin-
tus, der IL Adj, Dr. Mühlmann Sextus, 1. Adj. Dr. Paul Möbius (Ostern
204 Schul- und Universitätsnaclirichten,
1848 als dritter Adjiinct angestellt), II. Scbnlarntscandidat //. R. Hilde-
brand (schon vorher von Mitte August als Hülfslehrer berufen), III. der
Schuiamtscandidat Max. Erler wurden. Der Letztere trat sein Amt erst
Ostern 1849 an. Die F^'requenz betrug am Schlüsse des Schuljahres 224,
von denen in I. 38, in II. 42, in III. 43, in IV. 40, in V. 40, in VI. 21
sassen. Zur Universität gingen Mich. 1848 16, Ostern 1849 ISSchüler über.
Als wissenschaftliche Abhandlung hat der Rector Prof. Dr. G. Stallbaum
beigegeben: Examen tcsiimonioruni de Phaedri Platonici tempore natali
ajitiquilus proditorum (25 S. 4.) den zweiten Thcil der im vorhergehen-
den Jahre erschienenen Abhandlung (s. N. Jahrbb. Bd. 54. S. 102 fgg.), zu
dessen Herausgabe sich der Verf. um so mehr entschloss, als Krische;
Ueber Platon's Phädrus ; Göttingen 1848, S. 133 ff. das Erscheinen jener
Platonischen Schrift in Ol. XCIII. 2 oder 3 oder einige Jahre früher setzt.
Die bisherige Meinung stützte sich als auf äussere Zeugnisse vorzüglich
auf Diogen. Laert. III. 8 und Olympiodor. vit. Plat. p. 78 Fisch,, p. 584
Menag. , der Herr Verf. macht aber gegen dieselben geltend: 1) Andere
schweigen geradezu von den hier erwähnten Dingen und dies Schweigen
erregt Bedenken. 2) Das ausdrückliche Zeugniss des Cic. Orat. 13, 41
widerspricht. 3) Den Mangel an Kritik bei Diogenes Laertius haben schon
Isaac Casaubon. Praef. p. 577 ed. Meib., Bayle Dictionn. s. v. p. 365 sq.,
Ross. Comm. Laert. p. 248 und Luzac. Lect. Att. p. 129 sq. bewiesen.
Auch Olympiodor, der nach Creuzer Praef. ad Init. Philos. et Theol. ex
Plat. fönt. duct. IL p. XIV. unter Justinian lebte, ist nicht weniger un-
kritisch; Cicero aber benutzte bessere Quellen, als Beide, z. B. Aristote-
les (Brut. 48). 4) Beide Stellen enthalten in sich Gründe genug, um ihr
Zeugniss ungültig erscheinen zu lassen. Die Stelle des Diogenes ist un-
klar und eilfertig zusammengeflickt. Es bleibt zweifelhaft, wer jene Mei-
nung vom Phädrus ausgesprochen habe. Die Worte: kocl yag t'x^'- jWf'^«-
mtöösg XI xo TrQÖßXrjua rühren offenbar von Diogenes her, sind aber plötz-
lich eingeschoben; es folgt unmittelbar das Zeugniss des Dicäarch , wel-
ches wiederum so unbestimmt ist , dass es auf den Stil des Plato ganz im
Allgemeinen gehen kann. FVagt man, von wem jene Meinung hi^rrührt,
so kann man auf Panaetius , Euphorion und Aristoxenus schliessen ; allein
Panaetius hat sich, so viel wir wissen, mit kritischen Studien des
Plato nicht beschäftigt, und auch Panaetius hat höchstens darnach ge-
forscht, was socratisch sei (Diogen. II. 64, coli. III. 37). Sollten sie die
Sache erwähnt haben , so ist es gewiss nur beiläufig geschehen und zu
Beider Zeiten waren schon P^abeln in Menge verbreitet. (Luzac. 1. c. p.
328 sq.) War Aristoxenus die Quelle, so ist sein Zeugniss noch weniger
gültig, da er auf Besonderheiten begierig (Luzac. 1. c. p. 164, 195, 232)
und besonders gegen Plato und Socrates malitiös war (Luzac. p. 111).
Selbst die Stelle des Diogenes giebt davon Zeugniss, da das in ihr ange-
führte Urtheil über die Republik ganz verkehrt ist. Weil nun aber für
loyov dl 71QCOT0V yQuipcci erwartet wird dialoyov , so vermuthet Herr St,
?.6yos öi 7tQ. ygäipai, was mit Diogenes' Sprachgebrauche, dem die Weg-
lassung des Verbum substantivum geläufig ist, wie mit des Olympiodor
cos ^iystccL übereinstimmt; dann hat das Zeugniss noch weniger Gültig-
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 105
keit, weil sie nicht einmal den genannten Schriftstellern bekannt war.
Endlich wird noch daraufhingewiesen, dass die beigefügte Erläuterung:
nal y<XQ KtA. ganz verkehrt ist. Der 1fr. Verf. vermuthet, die Verwech-
selung der Nachricht , dass der Phädrus Plato's erste Schrift nach der
Rückkehr aus Sicilien gewesen, damit, dass sie überhaupt seine erste
Schrift sei, habe zu der Nachricht Veranlassung gegeben. Noch weni-
ger Gewicht kann den Worten des Olympiodor: ort öl rovg dLdvgdaßovg
^'(jxrjTO, drjlov in xov ^klSqov zov öiaXoyov navv nviovzog zov did^vQcc^i-
ßcodovg %DCQDCv.TriQog ccts zov IJkdtcovog zovzov Ttoazov yqaipavzog Sidlo-
yov^ cog ?JystcxL, Gewicht beigelegt werden, da sie ohne Nennung eines
Gewährsmannes ein unbestimmtes Gerücht >geben , ausserdem aber die
Schrift nicht dithyrambischen, sondern nur lebhaften, poetischen Charak-
ter hat. Vielleicht hat zu jenem Urtheil Dionys. Halic. Ep. ad Pomp. p.
16'2 u. d. admir. vi Dem. p. 969. Reisk. Veranlassung gegeben; jedenfalls
aber hat Olympiodor zwei Erzählungen vermischt, die, dass des Plato
erste Schrift ein Dithyrambus (Diog. L. 111, 5), und die, dass der Phädrus
die erste Schrift gewesen sei. Das Erstere erzählt auch der Anonym, vit.
Plat. bei Westerm. Vitt. scr. II. p. 391; diese Stelle ist aber nicht im
Entferntesten ein Zeugniss über die Abfassungszeit des Phädrus. [/).]
LiEGNiTZ. Das Lehrercollegium der von dem Major Grafen von
Bethusy dirigirten Ritteracademie bestand in dem Schuljahre 1848 — 49
aus den Professoren Franke (Stellvertreter des Directors), Bibliothekar
Dr. Schnitze, Keil, Meyer (Custos des Naturaliencabinets , den grössten
Theil des Jahres als Abgeordneter bei der Nationalversammlung zu Frank-
furt a. M. abwesend), Dr. Sommerbrodt , den Inspectoren Hering, Gent
(Custos des physikalischen Cabinets) und Dr. Platen, Lehrer der engli-
schen Sprache Dr. Brüggemann, Lehrer der Reitkunst, Rittm. a. D. Hae-
nel, Zeichnenlehrer Dauiioux , Fecht- n. s. w. Lehrer Prem.-Lieut. a. D.
Scherpe, Gesang- und Elementarlehrer Reder, Hülfslehrer Dr. Floto (nach-
dem derselbe am 12. Febr. 1849 sein Probejahr vollendet) und Candidat
des höhern Schulamts Dr. Liehig. Als militärische Inspectoren waren an-
gestellt die Seconde-Lieutenants Thielmann und v. Steinäcker. Die Fre-
quenz sank von 82 auf 75 (37 Zöglinge und 38 Schüler, 9 in I., 17 in IL,
26 in 111., 19 in IV. und 4 in V.). Zur Universität gingen Ost. 1848 2.
Bemerkenswerth ist, dass die Zöglinge aus Secunda ohne anderweitige
Vorbereitung, als den öffentlichen Unterricht, das Portepee-Fähndrich-
Examen zu bestehen befähigt werden, indem sie, vom Griechischen dis-
pensirt, den sogenannten applicatorischen Unterricht in der Mathematik
erhalten. Den Schulnathrichten ist eine tabellarische Uebersicht des
Lehrplans für das bevorstehende Schuljahr angefügt. Derselbe empfiehlt
sich durch einen verständig und zweckmässig angeordneten Stufengang.
Dass das Hebräische nur in Secunda aufgeführt wird, erklärt sich wohl
daraus , dass bei der gewiss geringen Zahl von Theilnehmern nur eine
Classe für diesen Unterricht von Secunda an gebildet ist. Vorausgehen :
Bemerkungen über den Unterricht in den alten Sprachen auf Gymnasien.
Vom Inspector Dr, Platen (XVI S. 4.). Dieselben sind grösstentheils gut,
wenn auch nicht gerade neu und die Sache tief erschöpfend. Nachdem sich
IQQ Schul- und Univcrsitätsnachrichtcn,
dt;r Herr Vi>rfasser über die Notinvendigkeit , dass auf den Gymnasien'
das Kormale gegen das Reale, ohne jedoch dies auszuschliessen und zu
verdrängen, das Uebergewicht behalte , und über die Unentbehrlichkeit
des Studiums der alten Sprachen geäussert, theilt er über die Methode
des Unterrichts seine Ansichten mit. Mit Recht erklärt er sich gegen
da^ mechanische Auswendiglernen der Paradigmen, um so mehr, als er
das Gedächtniss keineswegs unberücksichtigt lassen will. Dem Ref. scheint
indess seiner Auseinandersetzung eine kleine Verwechselung zu Grunde
zu liegen. Ks ist nämlich etwas ganz Anderes, den Unterricht in der
Syntax und in der Formenlehre so mit einander zu verbinden, dass der
Schüler die Nothwendigkeit der einzelnen Formen und ihre Bedeutungen
kennen lerne, und die Formenbildung den Schüler selbst aus den Sätzen
entnehmen zu lassen, so dass das Paradigma nur als eine endliche Zusam-
menstellung derselben dem Gedächtniss eingeprägt wird. Das Einüben
der Casus am Satze schliesst das vorhergehende Lernen der Paradigmen
nicht aus, ja dies Letztere ist zu dem Ersteren sogar nothwendig. Setzen
wir z. B. bei dem Schüler die Kenntniss keiner fremden Sprache voraus,
so wird der Lehrer vor der lateinischen Declination zunächst am Deut-
schen die Bedeutung der Casus entwickeln, dann muss er die lateinische
Furmenbildung zeigen und nun an Beispielen den Gebrauch und die Bil-
dunf^ derselben einüben. So wird er schneller und sicherer zum Ziele
gelangen, als wenn er erst die Regeln der Flexion den Schüler selbst abs-
trahiren lassen wollte. Ref. glaubt, dass der Herr Verfasser nichts An-
deres gemeint habe, als was er ausgesprochen, indess könnte man leicht
aus seiner Darstellung es schliessen. Ganz und gar übergangen ist ein
Fehler , der am häufigsten von Lehrern , welche den Knaben die ersten
Elemente der alten Sprachen beibringen , begangen wird , wenn sie nicht
selbst tiefer in die Sprachwissenschaft eingedrungen sind (Ref. meint beson-
ders Hauslehrer u. dgl.), nämlich, dass sie Paradigmen lernen lassen, ohne
die Regeln der F'ormenbilduiig zu zeigen, ohne Stamm- und Flexionssilbe,
zu unterscheiden und die Zusaramenfügung beider deutlich zu machen, ein
Uebelstand, der bei nichts mehr sich zu zeigen pflegt als bei den griechi-
schen Verbis. Die meisten Schüler können die Paradigmen ganz richtig
hersagen, aber sind nicht im Stande nach ihnen jedes andere Verbum ab-
zuwandeln. Die Formenlehre darf nie anders gelehrt werden , als dass
den Schülern die Bildung jeder Form eine bewusste Anwendung einer
Regel ist. Dann ist auch sie eine gute Uebung des Denkens, dann wird
das Paradigma, dessen Einprägung immer unerlässlich bleibt, ein im Ge-
dächtniss stets vorhandenes Beispiel, um die Regel an demselben wieder
aufzufinden. Wenn sich der Herr Verf. ferner gegen das wörtliche Aus-
wendiglernen der Regeln erklärt, so muss Ref. dagegen seine von vielen
Lehrern getheilte Erfahrung geltend machen. INlit dem Behalten einer fe-
sten unwandelbaren Form wird auch der Inhalt klar und bestimmt be-
grenzt behalten, jede irrige Auffassung und Unbestimmtheit ausgeschlos-
sen, dem Denken ein fester, untrüglicher Anhalt geboten. Wie derjenige
Lehrer dem Schüler am meisten nützen wird, welcher Alles in scharf prä-
ciser Weise ihnen mittheilt, so wird auch dem Schüler die volle Auffassung
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 107
dieser Präclsion zur wesentlichsten Förderung gereichen. Wenn der Hr.
Verf. dabei die Gefahr eines leeren Mechanismus voraussieht, weil bei
dem Schüler der innere Zwang hinwegfalle, den Inhalt und'die Haupt-
moraenteder Regel sich klar und scharf zu vergegenwärtigen, so möchten wir
dagegen fragen, ob nicht bei einer wörtlich im Gedächtnisse behaltenen
Regel eben der Inhalt und die Hauptmomente gegeben sind. Den Lehrer
freilich, welcher nur auswendig lernen Hesse ohne vielfältige Anwendung
und Einübung, müssten wir für ganz unfähig oder ganz gewissenlos er-
klären. Die Hauptsache kommt darauf hinaus, den Schüler zu gewöhnen,
dass er das einmal Gelernte, wo er es braucht, auf sich zurückrufe; dann
aber wird ihm ein in festen Rahmen eingefasstes Gesetz mehr nützen, als
eine Regel, die ihm verschwimmt, für die er selbst erst die Form suchen
muss. Wer steht dafür, dass er sich ein Hauptmoment der Regel nicht
zurückrufe, wenn er nicht durch die Form, in der er sie gelernt, dazu ge-
nöthigt wird. Ueber die Ruthardtische iNIethode spricht sich der Herr
Verf. sehr richtig aus, indem er sie als einseitig verwirft, ohne jedoch das
Gute, was man aus ihr entnehmen kann, unbeachtet zu lassen. Ref. hat
jene Methode stets als ein durch ein anderes Extrem hervorgerufenes Ex-
trem betrachtet. Die Methode, welche Alles nur auf Reflexion gründen
und vom Gedächtnisse gar nichts wissen wollte, rief sie als Gegensatz
hervor. Es ist gewiss gut, wenn der Schüler zur Regel ein schlagendes
Beispiel im Gedächtnisse hat, solche aber ihn selbst auffinden zu lassen
bei der Leetüre hat seine Schwierigkeiten, da einen abgeschlossenen, auch
ausser dem Zusammenhange verständlichen Sinn gebende und durch ihren
Inhalt werthvolle Sätze gerade in Erzählungen, w^omit die Lesung beginnt,
nicht gar häufig sind. Es müssen auch ganze Stücke der Leetüre memo-
rirt werden, aber so, dass das Hersagen nicht ein gedankenloses Wieder-
geben, sondern eine bewusste augenblickliche Reproduction des Inhalts
und der Form ist. Ref. hat die Erfahrung gemacht, dass bei einer richti-
gen Erklärung die Schüler das in derselben Stunde gelesene lateinische
oder griechische Stück wörtlich auswendig wussten , ohne es memorirt zu
haben. Auch rücksichtlich der Leetüre bringt der Herr Verfasser am
Schlüsse recht gute Bemerkungen. Ref. halt auch für die unteren Classen
den Grundsatz fest, dass nur Vesständniss Zweck derselben sei. Wird die
Leetüre, wie nicht gerade selten geschieht, nur benutzt, um daran Gram-
matik und Worte zu lehren, so ist sie verfehlt; der Schüler behält dann
nichts von dem, was er gelesen, wie es denn dem Ref. nicht selten vorge-
kommen ist, dass Schüler nicht einmal die geschichtlichen Facta, die sie
im Nepos gelesen, mehr wussten. [/?.]
LÜNEBURG. Am dasigen Johanneum wurde der Director Schmal-
fuss am 13. Jan. 1849 als Rath in das Königl. Oberschul- Collegium zu
Hannover versetzt. An seine Stelle trat der bisherige Rector vom Gym-
nasium zu Celle, C. A. F. Hoffmanv. Ausserdem ging der Dr. Ziel in ein
Pfarramt über. Im Programm giebt der Rector Dr. Volger einen kurzen
Ueberblick über die Entstehung und Ausbildung der mit dem Johanneum
verknüpften Realschule. Die Frequenz war
108 Schul- und Universitätsnachrichten,
I. IT. ITT. IV. V. VI. VIT. real.I. real.II.real.UT. Sa.
aral.Miirz 1848. 21 19 19 30 52 41 61 19 34 48 344
am 1. März 1849. 16 15 36 41 41 50 51 12 35 48 345
Zur Universität gingen Ost. 1849:8. Die wissenschaftliche Abhandlung
vom Rector Junghans führt den Titel : Quaestionum SopJioclearum spcci-
inen II. De Oedipi Colonei oracuUs et cxsecrationibus (8 S. 4.). Das erste
specimen, in einem Briefe an G. Hermann, ist abgedruckt N. Jahrbb. Sup-
plementb. XIV. p, 408 ff . Der Herr Verf. beabsichtigte in diesem zweiten
Specimen über das Verhältniss des O. C. zu den Angelegenheiten des
Atheni.-chen und Thebanischen Staates und über die sowohl von G., als
C. Fr. Hermann Vs. 919, 929 und 937 angenommenen Interpolationen zu
schreiben, verschob aber dies wegen Unvoliständigkeit seines Apparats
und wählte nun die im Titel bezeichneten Gegenstände zum Stoffe. Es
werden in der Tragödie 3 Orakel erwähnt (Vs. 453 und 1330 beziehen
sich auf dieselben). Von diesen ist das letzte Vs. 387 gegeben, als Oed.
bereits aus Theben entfernt war, während der Zwietracht der beiden
Brüder, aber ehe noch Polynices vertrieben war. Das Letztere schlicsst
der Herr Verf. mit Recht aus der Äeusserung der Ismene, dass das O. bei-
den Brüdern wohl bekannt gewesen sei, da es nicht wahrscheinlich ist,
dass es P. in der Verbannung erfahren. In Betreff des zweiten Otakels
Vs. 353 wird Folgendes von ihm bemerkt: 1) i^Luov ciyovGc. kann an die-
ser Stelle nicht auf eine Reise ausserhalb Thebens sich beziehen, son-
dern muss bedeuten, dass Ismcne durch Hindernisse jeder Art hindurch
sich zum Vater den Weg gebahnt, um ihm Orakelsprüche zu verkünden.
Die folgenden Worte cpvXa^ 8s uov niatr] ■KursGvrjg, yrjg ox s^rjXavvuurjv
beweisen nämlich, dass Ismene dem Oed. Orakel hinterbracht, noch bevor
er aus Theben vertrieben war. 2) Aus Kaöasicov XädQoc folgt, dass der
Inhalt der Art gewesen sein müsse, dass, wenn das Orakel den Theba-
nern gegeben war, diesen daran liegen mnsste , es vor dem Oed. geheim
zu halten und umgekehrt, wenn es diesem verkündet war, es den Theba-
nern zu verbergen. 3) cc tovä' sxQijodrj acouccrog beweist, dass sich das
Orakel auf den Körper des Oed. nach seinem Tode bezog. Da nun auch
da.s Vs. 88 erwähnte Orakel sich auf Oedipus' Tod bezog, so stimmt der
Herr Verf. mit Scholl (Sopliocl. Theben u. Wirken p. 174) bei, dass das
zweite eine weitere Ausführung des ersteren gewesen sei [Wunder*s Änm.
zu Vs. 350 spricht allerdings nur aus, dass gegen den Scholiasten das
hier erwähnte Orakel nicht für identisch mit dem ersten zu halten sei],
aber nur von einem Theile, nicht von dem ganzen, weil die Worte Vs.355
nicht auch auf das Exil gedeutet werden können, die Worte Vs. 88 aber:
xcivTTjv l'lf^s na^'Xctv kv fiaxpw ;^9oi/fo beweisen, dass jenes Orakel vor
langer Zeit verkündigt war, während das andere kurz vor seiner Ver-
treibung aus Theben ihm zugekommen sein muss. In Bezug auf das erste
Orakel entscheidet er sich für die Meinung C. O. Müller's und C. Fr.
Hermann's (Quaestt. Oedipode.) , dass es dasselbe sei, auf welches die
Handlung im Oedip. Tyr. sich gründet, dass ein Theil dieses seine That
an Vater und Mutter vorhergesagt, der andere sich auf sein eigenes Ende
bezogen habe, und zwar hauptsächlich aus folgenden Gründen, Oed. ver-
Beförderungen und Ehrenbezeigungen» 109
möge seines Charakters hat kaum den ersten Theil des Orakels beachtet
viel leichter konnte er noch den zweiten vergessen ; aber daran konnte er
sich erinnern , als er, von allem Verkehre abgeschnitten, nachdem er sich
selbst gestraft , zur ruhigeren Ueberlegung zurückkehrte. Da nun aller-
dings der Ausdruck XadQcc Kccöfieiojv wahrscheinlicher macht, dass den
Thebanern gegebene Orakelsprüche dem Oed. heimlich hinterbracht wor-
den seien, so stimmt dies mit jener Ansicht am besten; denn dann, wenn
Oed. schon einen Götterspruch in Bezug aufsein Lebensende hatte, brauchte
er nur ruhig zuzuwarten, nicht das Orakel von Neuem zu befragen; die
Thebaner hatten aber Veranlassung dazu, weil der Gott, wie doch Kreon
am Ende des O. T. angekündigt hatte, noch nicht befragt w ar , sodann
wiederum, als sie den Oed. vertrieben und dadurch eine Schuld auf sich
geladen hatten; Hiergegen muss allerdings ein Bedenken eingewandt wer-
den. Wenn die Thebaner ein Orakel , das mit dem in früher Jugend dem
Oedipus ertheilten übereinstimmte, empfingen und dann diesen aus der
Stadt vertrieben, so glaubten sie entweder im Sinne desselben zu han-
deln, oder sie boten geradezu demselben Hohn. Im ersteren Falle kann
sie Oedipus höchstens wegen falschen Verständnisses tadeln, im zweiten
Falle würde er 765 ff. wohl anders zu Kreon gesprochen haben. Wenn
zwischen dem O. T. und O. C. ein Zusammenhang der Handlung ange-
nommen werden muss, so kann Ref. nicht anders glauben, als dass Kreon
dazu das nicht in Vollzug gesetzte Orakel O. T. 96 benutzte. Freilich
will dieser O. T. 1404 noch einmal den Gott befragen , allein dass er es
unterlassen, stimmt mit seinem Charakter. Nach allem diesen dürfte im
O.e. Vs. 353 nur von einem dem Oedipus ertheilten Orakel die Rede sein
können, und zwar des Inhaltes, dass es ihm das Verbleiben in Theben
nicht geradezu versagte; die Worte des Dichters stehen der Deutung, dass
Ismene ein Orakel für den abgesperrten Vater aus Delphi geholt, durchaus
nicht entgegen, ja das s^Uov fordert sogar die Voraussetzung einer grös-
seren Leistung als des blossen heimlichen Zubringens. Tovös ocdaciros
endlich braucht nicht auf den todten Oed., sondern kann nach dichterischer
Weise (vgl. Brunck z. O. T. 624) für 8{iov gedeutet werden. Beiläufig
bemerkt Ref., dass, wenn der Herr Verf. O. C. Vs. 453 die Lesart xd x
f| i^ov stehen lassen will, dem zwar nicht die Stellung des xi (vgl. Herrn,
zu Eur. Iph. Ä. 1221), wohl aber das mit Recht von Wunder als sprach-
widrig bezeichnete f^ kyi,Qv entgegensteht. Rücksichtlich des zweiten Ge-
genstandes, der gegen die Sühne angesprochenen Verwünschungen, stimmt
der Herr Verf. zuerst Wunder (Einleitung p. 17) bei, dass an die in
der cyclischen oder der kleinen Thebais oder bei Aesch. Sept. 705 — 11
u. 770 — 76 erwähnten Gründe zu den Verwünschungen nicht zu denken
sei, hauptsächlich aus dem Grunde, weil der Charakter des Oedipus vom
Sophocles ganz anders dargestellt werde, afs in der alten Sage, verwirft
dagegen die Ansicht, dass jene durch die Vertreibung ans Theben veran-
lasst worden seien, und verlegt sie in den Hain derEumeniden, bezieht sie
also doch wohl auf Vs. 421 folgende. Denn es wäre doch undenkbar,
dass der Dichter sich auf Etwas beziehen sollte, was im Stücke selbst nicht
vorgekommen. Aber dort ist kein eigentlicher Fluch ausgesprochen, son-
110 Schul- und Universitätsnachrichten,
dem Oed. findet nur in dem neuen Orakel ein Mittel mehr, den früheren
erfüllt zu sehen. Die gegen Wunder's Ansicht vorgebrachten Gründe
scheinen nicht schlagend genug. Denn ist eine Unterlassungssünde, wenn
es sich daruiu handelt, dem Vater ein herbes Loos abzuwehren, nicht
schwer und fluchwürdig ? Beweist sie nicht dasselbe unkindliche,
lieblose Herz, welches später über dem Zwiste der Herrschbegier des
Orakels in Betreff des Vaters vergisst? Wenn ausserdem auch der Zwist
eine Erfüllung des Fluches war, konnte sie Oed. von der Schuld freispre-
chen? Gerade dieser Umstand entspricht ganz der religiösen Ansicht des
Sophocles. Die Stelle 1294 reimt sich recht gut damit, und, soll sie auch
keinen directen Beweis für die VVunder'sche Ansicht enthalten, sie wider
spricht derselben nicht im Geringsten. [/>.]
Plauen. Das Gymnasium hatte Mich. 1848 drei Abiturienten zur
Universität entlassen, im Uebrigen aber während des verflossenen Schul-
lahres keine Veränderung erlitten. Die Schülerzahl betrug Ostern 1849
113, 15 in J., 22 in IL, 21 in HJ., 14 in IV., 20 in V., 21 in VI. Die vom
Prorector Pfretzschner den Schulnachrichten beigegebenen : Rückblicke
auf die Entwickelung des Schulwesens im Königreiche Sachsen (55 S. 8.)
enthalten eine meistentheils aus Actenstücken entnommene Darstellung
dessen, was in den letzten 30 Jahren für das Schulwesen in Sachsen ge-
schehen ist, zeigen aber auch, wie viel noch, namentlich in Bezug auf die
äussere Stellung der Schulen und die Vorbildung für künftige Berufsarten
zu thun sei, wobei sie sich jedoch auch meist an das Aeussere halten und
die tieferen Fragen nach dem Verhältnisse der Real- und Gelehrtenschu-
len nicht eingehend behandeln. Wenn wir freudig anerkennen, dass der
Hr. Verf. mit strengem Tadel Gerechtigkeit verbindet, so hat es uns nicht
angenehm berührt, dass er im Anfange nicht ohne eine gewisse Missgunst
von den Fürstenschulen spricht. Wenn die Lehrer an diesen — in wie-
fern ihre Arbeit geringer, als an anderen Schulen, wollen wir unerörtert
lassen — schon längst besser gestellt waren, so sollte man sich dessen
freuen, dass wenigstens an einigen Schulen das Nothwendige gesche-
hen. Uebrigens sind die Gehalte der Lehrer an den beiden Landesschulen
seit 1833, wo ihre Fixiruog erfolgte und zwar geringer, als die Stellen
vorher wirklich eintrugen , nicht erhöht, sondern zurückgebracht worden,
wie actenkundig feststeht, [•^•]
Rottweil, Das dasige mit einer Realschule verbundene Gymna-
sium zählte im Wintersem, von 1847 — 48 195 Zöglinge, von denen 92 dem
obern , 66 dem untern Gymnasium, 37 der Realschule angehörten. Im
Sommer 1848 sank die Zahl auf 179 (87 0berg., 59 Unterg., 33 Realsch.).
Die dem Herbstprogramme 1848 beigegebene Abhandlung des Professors
Fr. Lauchert: Das IFeidwerk der liömer ('22 S. 4.) ht eine sehr vollständige,
mit grösstem Fieisse aus den Quellen zusammengestellte Darstellung des
Gegenstandes und bietet eine sehr dankenswerthe Ergänzung für die Hand-
bücher der Antiquitäten. DieEinleitung weist nach, dass den Römern, wie
den Griechen, die Jagd Bildungs-, Abhärtungs-, Kräftigungsmittel war.
Der erste Abschnitt beschäftigt sich mit dem Jagdzeuge. Von den Hun-
den werden die Arten, Behandlung, Abrichtung, Krankheiten und deren
Beförderungen und Ehrenbezeigungen, 111
Heilungen aufs Sorgfältigste behandelt. "Wir heben hervor, dass nach
dem Herrn Verf. bei Varr. R. R. II. 9 nicht mit Schneider mellium^ son-
dern maelium zu schreiben ist, und dass das Halsband desshalb so hiess,
weil es mit dem Felle des raaeles, das für Mustela Erminea L. zu halten,
gefüttert war. Unter der cervina pellis bei Horat. Ep. I. 2, 66 ist ein
ausgestopfter Hirsch zu verstehen, auf den man zur Uebung die Hunde
hetzte. Zur Erläuterung des Sprichworts bei Petron. 57 : in alio pedi-
culuni vides, in te ricinum non vides ist zu bemerken, dass die Zecken sich
nicht selten bis zur Grösse einer Erbse mit Blut ansaufen. Aus der drit-
ten Abtheilung: Netze theilen wir die Bestimmung mit: retia sind das
leichte Mittelzeug, sehr lange, hohe und starke und dennoch leichte, trag-
bare Garne; lilagae sehr festes Gestrick aus Leinen von der Dicke eines
kleinen Fingers und sehr schwer, daher meist durch Maulthiere fortge-
schafft. Als Seltenheit erwähnt Plin. H. N. XIX. 1 sehr feine. Zuwei-
len steht das Wort uneigentlich für retia. Wahrscheinlich wurden sie,
wie die evodia der Griechen, vorzüglich in Engwegen gebraucht und wa-
ren desshalb wohl nicht sehr lang; wenigstens ergiebt sich aus der angef.
St, des Plinius, dass viele solcher Garne dazugehörten, um eine beträcht-
lichere Waldstrecke damit zu umstellen. Die casses endlich hatten in der
Mitte einen Sack, eine Bauchung, 40 Schritte lang und 10 Maschen hoch
nach Grat, de venat. 28 sqq. Unter 5. Blendzeug wird die Stelle bei
Lucan. Pharsal. IV. 437 dadurch erklärt, dass nach Grat. 85 häufig Geier-
federn wegen des widrigen Geruchs gebraucht wurden. Unter 6. Schlin-
gen wird Stern zu Grat. 90 widerlegt. Die Schlingen wurden von Hirsch-
sehnen wegen deren Zähheit gemacht. Die Stelle Manil. Astron. V.
203 wird von dem Herrn Verf. darauf bezogen, dass der Schaft des Fang-
eisens oder der Schweinsfeder nach Plin. H. N. XVI. 39 mit Buckeln ver-
sehen war. In dem zweiten Hauptabschnitte, welcher sich mit der Jagd-
zeit und Auszug beschäftigt, wird unter Anderem die fascia gegen Stern
ad Grat. 338 für identisch mit den cruralia und tibialia erklärt. Das pa-
narium ist wahrscheinlich dasselbe, was reiiculum panis bei Horat. Sat. I,
1, 47 (davon das französische ridicule), und die laguncula nach Juvenal.
Sat. Xn. 60 eine weitbauchige Flasche. Im dritten Hauptabschnitte wer-
den mit gleicher Sorgfalt die Thiere, welche gejagt wurden, die Jagdart
und Jagdzeit, ihre Arten und Lebensweisen und der Gebrauch , den man
von ihnen machte, behandelt. Dabei wird Orell. ad Horat. Sat. II. 4, 42
widerlegt. Catius' Ausspruch, das laurentische Schwein sei schlecht, ist
nicht dessen subjective Ansicht, sondern beruht darauf, dass in der Ge-
gend von Laurentum die Schweine sich von Wasserpflanzen nährten, wäh-
rend sie in anderen Gegenden Eichelmast hatten , durch welche bekannt-
lich der Speck derber und körniger wird. [-^-j
Speyer. Der Gymnasialprofessor Milster, welcher während der
provisorischen Regierung der Pfalz das Directorium des Gymnasiums ge-
führt hatte, ist von dem Zuchtpolizeigerichte am 21. Aug. zu einmonatli-
chem Gefängniss verurtheilt worden.
Zittau. Von den am Gymnasium erschienenen Gelegenheitsschrif-
ten erwähnen wir den 3., 4, und 5. Theil der Quacstiones Menippeae vom
112 Schul- und Universitätsnachrichten u. s, w.
Conrector //. M. Rackert, in welchen gründlich und vollständig über das
scribendi genus und die sectatores des Menippus, Meleager , über dessen
Leben die Notizen sorgfaltig zusammengestellt sind, Lucian, in Betreff des-
sen Casaubonus widerlegt wird, und Julianus Apostata gehandelt wird. —
Das Programm von Ostern 1849 weist nach, dass in dem Lehrer-Collegium
keine Veränderung eingetreten war, Mich. 1848 2 und Ostern 1849 5
Schüler die Universität bezogen, die Schülerzahl aber 101 betrug (I. 16,
II. 13, III. 15, IV. 25, V. 22, VI. 10). Ueber die Classencurse wird fol-
gende beachtenswerthe Aeusserung mitgetheilt: Das Lehrercollegium hält
den l^y^j. Cursus für Prima nicht für ausreichend und schlägt für alle
Classen einjährige, für Prima einen z we ij ä h ri gen Cursus vor.
Die wi^sentfchaftliche Abhandlung des Cantor IM. Scheibe: De satirae Ro-
munae origine atque progressu (12 S. 4.) ist eine recht gute und klare
Darstellung, wenn sie auch nicht gerade neue Resultate zu Tage fördert.
Nachdem aus Horat. Sat. I. 10, 64; Quint. X. 1, 93 und Diomed. III. p.
482 der römische Ursprung der Satire festgestellt und die Meinung, dass
dieselbe aus dem Griechichen Satyrdrama oder den Sillen entstanden sei,
dadurch widerlegt ist, dass die Römer, wenn sie ein griechisches Vorbild
in der Satire nachgeahmt hätten, sogleich in der Satire Grösseres gelei-
stet haben würden, so wie dass dem römischen Geiste Fruchtbarkeit genug
zugeschrieben werden müsse, um eine Gattung der Litteratur selbststän-
dig zu erfinden, geht der Herr Verfasser auf die vielbesprochene Stelle
des Horatius Sat. I. 10, 64, welche in Widerspruch mit II. 1, 62 — 70 zu
stehen scheint, über und entscheidet sich in derselben für die von C. Fr,
Hermann d. satirae Rom. auct. Marb. I84I, schon früher aber vonXvIan-
der in Q. Hör. Fl. poem. acc. castigat. Neostad. 1590, p. 146 aufgestellte
Erklärung, hauptsächlich mit aus dem Grunde, dass des Ennius Satire in
Theocrit, Chaeremons Centaiirus und der Technopägnia des Simmias von
Rhodus Vorbilder hatte, demnach ihn Horaz durchaus nicht Graecis intacti
carminis aiictorem benennen konnte. Ferner weist er darauf hin, dass
die Griechen nicht das Bedürfni.>^s einer solchen Dichtungsart hatten, weil
ihnen die Freiheit der alten Komödie offen stand, während den Römern
durch die Zwölftafel - Gesetze nach Augustin. d. civ. Dei II. 9 Schmähge-
dichte verboten waren. Lucilius ahmte die alte Komödie nach; seine
Dichtung hatte einen republikanischen Charakter und bewegte sich in
roherer Form. Des Horatius Satire ist höfisch , mehr fein versteckt tref-
fend , zugleich aber auf Besserung berechnet. Juvenalis zeigt die tiefe
Entrü.otung über die Schlechtigkeit seiner Zeit und bewegt sich nur in der
4. u. 11. Satire in eleganterer und heitrerer Weise. Persius trägt in sei-
ner Dunkelheit und Strenge den Charakter der stoischen Philosophie an
sich und zeigt sich mehr als der Laster, denn als der Menschen Feind.
[D.]
Neue
JAHRBOGHER
für
Philologie und Pädagogik,
oder
Kritische Bibliotliek
für das
Schul- and UiiterricMswesen.
In Verbindung mit einem Vereine von Gelehrten
begründet
von
M, Job. Christ. Jahn.
Gegenwärtig herausgegeben
von
Prof. Reinliold Klotz zu Leipzig
and
Prof. Rudolph Dietsch zu Grimma.
Achtundfunfzigster Band. Erstes Heft.
Ausgegeben am 31. Decemher 1849
Inhalt
ton des achtundfunfzigsten Bandes erstem Hefte.
Seite
25 — 50
Kritische ßeurtheilungen. . . ............. 3 — 70
Pluygers, de Zenodoti carm. Homericor. edit. \ Vom Bibliothekar
Desselb. Progr. d. carm. Hom. veteramque in ea > Dr. H, Düntzer 3 — 25
scholiarum. — retractanda editione. . . ) in Cöln.
^ ^ ..-m • • j r fy rk 11- \7 T IT ) Zweiter Artikel. Vom
C. CorneliiTaciuopera. ed. J. C. Oreü«. Vol. 11. f p - ^ IF^;«cp«
C.Cor.,emTacitiop.ed.f.fii«er. Vol.IIIeMV.} P^/; ^^-eZZZ ^
Cornelius Nepos. Erklärt von Dr. K. Nipperdey. Vom Gymnasial-
lehrer Dr. Breitenbach in "Wittenberg 50 — 65
Commentar. in Ecclesiasten et canticum canticorum. Scrips. A. Hei-
ligenstedt. Vom Conr. Dr. Mühlberg in Mühlhausen 65 — 70
Bibliographische Berichte und kurze Anzeigen 70 — 79
Zeheter, Satzlehre 1 Vom Prof.
Hahn , Neuhoch deutsche Grammatik > Kehrein 70 — 75
Olawski^ der Vocal in den Wurzeln deutscher Wörter )in Hadamar.
llaulZj Geschichte der Neckartchule in Heidelberg. Vom Haupt-
mann Gcib in Lambsheim 75 — 79
Schul- u.Universitätsnachrichten, Beförderungen u. Ehrenbezeigungen. 79 — 112
Grossherzogthum Baden. Verordnungen 79 — 80
Herzogthum Brauii«ch\veig.
Blankenburg. Müller: Einige Gedanken pädagogi- \
sehen Inhalts
Braunschweig. Krüger : Die Einrichtung der Schul- f y^^^
ausgaben . . > J)ieUch. ^^ — ^^
Helmstädt. Elster: De Homere tenerae aetatis amico.
Wollfenbüttel. Dressel : Systemat. Darstellung der
gricch. unregelm. Verba
Cassel, Lehrplan.
Matthias: üeber Galater HI, 16 u. 20. . . . ) y^^ Dcms. 85 — 87
fVeber: Nachträge . . . J
Cottbus. Bemerkung in den Schulnachrichten. . | y^^^ Dems. 87 — 90
Braune: De Ovidii Metara. 1. qbsd. disp. crit. 1
Erlancen. Doderlein : Didactische Erfahrungen und Uebungeo.
Von Dem.« 90-92
Eutin. 3iei/er; Uebersicht des Protest. Unterrichtswesens u. s.w.
Von Dems 92 — 93
Seite
Flensburg. Lehrplan der Gelehrtenschule. .
Jessen: Ueber den religiös. Standp. des Eoripi-
des. n. . . . . . . ._ ) Von Dems. 93—98
Lübker : Zar Gesch. des religiös. Bewusstseins
bei den Hellenen
Freiberg, Prolss : Schulreden. Von Dems 98 — 99
Frankfurt a/M. Vömel: De modis coni et optat. Von Dems. . 99 — 100
Giessen. Geist: Krinagoras von Mytilene. Von Dems. . . . 100—102
Grimma. Lorenz: Series praeceptor. ill. Moldani. Von Dems. . 102
Leipzig. Nicolaischule. Programm. Von K. ...... . 102-103
Thomasschule. Stallbaum: orat. d. bonar. litter. i
studio etc f Von in^— 10'
Stallbaum : Examen testimonior. d. Piaton. Phaedr. ( Dietseh.
anno natali *
Liegnitz. Ritterakademie. Plaien : Bemerkungen über den Un-
terricht in den alten Sprachen. Von Dems 105 — 107
Lüneburg. Junghanns : Quaestionum SophocI. spec.ll. Von Dems. 107— 110
Plauen. Pfretzschner : Rückblicke. Von Dems 110
Rottweil. Lauchert: Das Waidwerk der Römer. Von Dems. . 150-111
Speyer. Notiz 111
Zittau. Äücfcer« : Quaestiones Menipp. IIL IV. V. J Von Dems. 111- U2
Scheibe: De satirae Rom. orig. atque progr. . )
Leipzig,
Ornek und Verlag von B. G. 'Feubner.
1849.
Neue
JAHRBÜCHER
für
Philologie und Pädagogik,
oder
Kritische Bibliothek
für (las
Schul- und Uiiterrichtswesen.
In Verbindung mit einem Vereine von Gelehrten
begründet von
M« Job. Christ. Jahn.
Gegenwärtig- herausgegeben
von
Prof. Reinhold Klotz zu Leipzig
und
Prof. Rudolph Dietsch zu Grimma.
Achtundfunfzig'eter Band. Zweites Heft.
Leipzig; 1850.
Druck und Verlag von B. G. Teubner.
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Kritische Beurtheifüngen.
Sophokles* Aniigone. Griechisch mit Anmerkungen, nebst einer Ent-
wickelung des Grundgedanken und der Charaktere in der Antigene.
Herausgegeben von August Jacob. Berlin, Ferd. Düramler's Buch-
handlung. (In Commission.) 1849. VI u. 152 S. 8. t^
Rec. bekennt, dass Zweck und Anlage der vorliegenden Aus-
gabe von Sophokles' Antigone, vv eiche vorzugsweise für Schüler
der obersten Gyinnasialclasse, die eine griechische Tragödie für
sich lesen wollen, und für solche Leser bestimmt ist, die auch
nach ihrem Abgange von dem Gymnasium und der Universität ihre
Neigung noch dem Griechischen zuwenden, ganz in seinem Sinne
sind, und dass er mit den Grundsätzen, nach welchen der hochr
geehrte Hr. Verf. bei dieser Arbeit verfahren ist, im Allgemeinen
vollkommen einverstanden ist. Seine Leser sollen in der S. 1 bis
32 vorausgeschickten Entwickelung der Hauptgedanken und der
Charaktere in der Antigone sowohl, wie in den unter dem Texte
stehenden Anmerkungen die Aufklärung finden, welche sie ausser
dem, was ihnen Wörterbuch und Sprachlehre bieten, etwa noch
wünschen dürften; der letzte Zweck aber dieser Leser sei wohl
ein genaueres Verständniss der Antigone als eines Kunstwerkes
der griechischen Dichtung, und desshalb suche seine Ausgabe be-
sonders dieses Verständniss zu vermitteln. Dabei glaubte aber
der Hr. Verf. catiirlich auch den Änstoss an Spracheigenthümlichr
keiten des griechischen Originals theils durch die Nachweisungen
der ihnen zu Grunde liegenden Regeln, theils durch die AnfiihJ-
rung ähnlicher Stellen, soviel als möglich, beseitigen zu müssen.
Diese Stellen hat er absichtlich, wie dies an sich nur gut zu heis-
sen ist, grösstentheils aus Sophokles und aus Homer, zuweilen
auch aus den übrigen griechischen Dramatikern, selten aber au^i
anderen, immer jedoch ungefähr mit Sophokles gleichzeitigen
griechischen Schriftstellern entlehnt.; ,|Pa indess diese Sprachr
116 Griechische Litteratiir.
cigcnthümlicbkeitcn durch die Rc^el, sog^ar wenn ihr ähnliclie
Stellen aus griecliisclieii Seliriftslelleni zur Seite stellen, nicht
gfleiciunäsisig tur Alle hinreichend aufgeklärt werden , sondern für
Viele dies erst geschehe, wenn sie dieselben Erscheinungen auch
in anderen Sprachen wiederfänden, so fand es der Hr. Verf. für
rathsam, zuweilen auch Beispiele, besonders aus dem Lateinischen
und Französischen und aus unserer Spraclie beizufiigen. — Wir
sind auch hier ganz einer Ansicht mit dem Hrn. llerausg., bemer-
ken auch, dass wir an einzelnen Stellen sogar noch liäufiger, als
es jetzt von ihm geschehen ist, lateinische Beispiele zu Hülfe ge-
nommen haben würden, nur bekennen wir, dass es uns sonderbar
vorkommt, dass der Hr. Verf., welcher zum Verständnisse des
griechischen Originals Stellen aus der lateinischen, französischen
und aus unserer Sprache herbeizog, so gar behutsam im Griechi-
schen selbst die Zeit nachSophokles gemieden hat, da dasGriechi-
sche dem Griechischen doch immer am ähnlichsten ist und selbst
bei den Schriftstellern der späteren Zeit nicht selten sehr Homo-
genes und das Frühere trefflich Erläuterndes zu finden ist. —
Doch damit wollen wir es keineswegs ausgesprochen haben, dass
die Vergleichung der neueren Sprachen hätte gemieden oder aucli
nur beschränkt werden sollen. Auch wir glauben mit dem Hrn.
Verf , dass es die Aufgabe unserer Zeit vorzugsweise sei, in der
Alterthumswissenschaft eine möglichst lebendige Verbindung mit
der Gegenwart, wo und wie weit dies zulässig ist, herzustellen,
und wollen es in dieser Hinsicht auch keineswegs tadeln, dass der-
selbe sehr häufig üebersetzungen, zum Theil sogar längerer Stel-
len, mitgethcilt hat, wiewohl wir hie und da glauben bemerkt zu
haben, dass das wahre Verständniss mancher schwierigeren Stelle
für jenen Leserkreis, den sich der Hr. Herausg. dachte, durch
eine einfache Darlegung des Ausdrucks des Dichters oder des Zu-
sammenhanges der Stelle sicherer hätte erreicht werden können,
als durch die mitgetheilte, immerhin anregende und an sich tadel-
lose deutsche Uebersetzung.
Was den Text selbst anlangt, so hat der Herausgeber zwar
die B r u n c k'sche Ausgabe bei der Verszählung zu Grunde gelegt,
ist aber iu den lyrischen Stellen der Böckh'schen Anordnung ge-
folgt, so wie er sich überhaupt an die Ausgabe dieses Gelehrten
fast ganz angeschlossen hat, indem er grössere, von diesem Ge-
lehrten nach eigener Vermuthung aufgenommene Veränderungen
mit gesperrter Schrift drucken liess, um den Leser wenigstens
durch ein äusseres Merkmal darauf aufmerksam zu machen, dass
er Ergänzung vor sich habe. Eigene Wortkritik, meint der FIr,
Herausg., müsse von einer Ausgabe dieser Art ausgeschlossen sein.
Wir sind in dieser Beziehung nicht ganz mit dem Hrn. Verf. ein-
verstanden. Gerne erkennen wir es an, dass der Böckh'sche
Te\t mit grosser Sorgfalt von jenem ausgezeichneten Gelehrten
hergestellt worden ist, doch wüuschten wir, Hr. J. hätte dasselbe
Jacob: Sophokles' Äntigone. 117
Verfahren, wie in den Dialogen, so auch in den lyrischen Stellen
beobRchtet und den überlieferten Text nach den Handschriften,
nicht nach den Ergänzungen der Neueren, gegeben; eine Ergän-
zung, zumal eine längere, läuft immer Gefahr etwas nicht Sopho-
kleisches in den Text zu bringen , und da Hr. J. sonst sich nicht
scheute, die Leiden des Textes offen zur Schau zu legen, warum
glaubte er in den lyrischen Stellen dieselben vertuschen zu müs-
sen'? Wir glauben, dass gerade in solchen Stellen einige Verän-
derungen der Böckh'schen Ausgabe nicht besonders gelungen sind,
ja dass in einigen sogar, was in den Handschriften steht, beibehal-
ten werden könne und miisse, wovon späterhin die Rede sein wird.
Was die Wortkritik im engeren Sinne anlangt, so glaubt auch Rec.
nicht, dass eine solche Ausgabe, wie sie hier von Hrn. J. abgefasst
worden ist, ein eigentlicher Tummelplatz für dieselbe sein dürfe;
allein an einigen Stellen zu zeigen, wie Unrecht es sei, die Wort-
kritik ganz zu verachten, wie durch dieselbe, bisweilen unter Ver-
änderung weniger Schriftzüge, Vieles gewonnen und selbst das
Verständniss des Ganzen gefördert, die plastische Schönheit der
Darstelhmg erhöht werde, wäre selbst für eine Ausgabe für den
Leserkreis, den Hr. J. vor Augen hatte, nach des Rec. Ueber-
zeugung in einzelnen, sparsam gewählten Fällen sehr zweckmässig
gewesen und würde vielleicht die philolog. Kritik, die nur in ihrer
Entartung das Missfallen des grösseren Publicums auf sich gezo-
gen hat, in den Augen jener, nicht eigentlich philologischen Leser
gerechtfertigt, ihnen ein wärmeres Interesse an der Alterthums-
wissenschaft selbst eingeflösst haben. Wir gedenken später einige
solche Stellen Beispiels halber hervorzuheben und rechnen gerade
in diesen besonders auf Hrn. Jacob's Zustimmung. Und zugegeben
auch, dass die eigentliche Wortkritik in den Anmerkungen durch-
gängijir ohne Erwähnung hätte bleiben sollen, was hinderte äeii
Ilrn. Herausgeber, stillschweigend seinen Text in einzelnen Fällen
etwas schärfer und genauer nach den Anforderungen der äusseren
wie inneren Kritik zu gestalten*? Doch auch darüber wollen wir
vor der Hand nicht weiter mit dem Hrn. Herausg. rechten; wir
werden später ohnedies wieder einiges hierher Einsclilagende mit
berühren müssen.
So sehr nun der Hr. Herausgeber auf der einen Seite die
eigentliche Wortkritik aus seiner Ausgabe ausschliessen zu müs-
sen glaubte, so hat er dagegen seine Kritik vorzugsweise auf sol-
che Stellen gerichtet, wo er grössere Interpolationen in der Änti-
gone des Sophokles zu finden glaubte, und mit aller Macht einer
gewandten Dialektik seine Ansichten verfochten. Demungeachtet
bekennen wir unverhohlen, obschon der Hr. Verf. nach dem, was
er S. V unj VI der Vorrede zu seiner Rechtfertigung sagt, einen
grösseren Wcrlh auf diesen Theil seiner Kritik zu legen scheint,
dass uns gerade diese Partieen die schwächste Seite seiner Kri-
tik zu sein scheinen. Denn die Gründe, mit welchen Hr. J. seine
118 Griechische Litterat iir.'-'-
Ansichten von der Unächtheit mehrerer längerer Stellen der So-
phokleischen Antigonc zu unterstützen bemüht gewesen ist, sind
für den Rec. in keinem Punkte überzeugend gewesen, und er
reüsste seine innerste üeberzeugung verläugnen, wollte er zuge-
ben, dass melir als der äussere Schein in diesen Fällen für Hrn.
Jacobs Ansichten spreche. Rec. gedenkt auch hierüber später
noch etwas ausfiihrlicher sich zu erklären. Denn so sehr er auch
im Ganzen Zweck und Anlage dieser Ausgabe gut heisst, so hat
er doch im Einzelnen viele Stellen gefunden, wo er mit dem Hrn.
Herausg. sich durchaus nicht einverstanden erklären kann, und
diese Stellen hier noch etwas ausfiihrlicher zu besprechen und
seine in einzelnen Punkten von denen des Hrn. Verf. abweichen-
den Ansichten etwas tiefer zu begriinden, drängt es ihn eben um
desswillen, da ihn die ganze Anlage der Ausgabe sehr angespro-
chen hat, und da er voraussieht und von Herzen wünscht, dass
diese Ausgabe recht viele Leser ßnden und dem Hrn. Heraus'g.
bald Veranlassung gegeben sein werde, in einer neuen Auflage die
Winke zu benutzen, die ihm der Unterzeichnete hier noch zu ge-
ben beabsichtigt. In einigen Fällen hofft Rec. auch ganz beson-
ders des Hrn. Herausg. Zustimmung zu erhalten, da er sieht, dass
derselbe in ähnlichen Fällen ganz unabhängig auf die Ansichten
gekommen ist, die längst schon die des Unterzeichneten waren.
Was zuvörderst die Entwickelung der Hauptgedanken
undderCharaktere in der Antigone anlangt , so kann der
Rec, welcher gegen die Auffassung des Charakters der Antigone
selbst nichts einzuwenden hat, in zwei Punkten sich mit Hrn. J.
nicht einverstanden erklären; es ist dies die Beurtheilung des Kreon
und die Charakteristik, welche von dem Chore gegeben wird. Bei-
den Personen, so kommt es ihm vor, thut der Hr. Herausg. Un-
recht. Er stellt zunächst den Kreon nur als Willkürherrscher
dar, der fast allein sich und seine Persönlichkeit im Äuge habe
und sich keineswegs scheue Unrecht zu thun und Frevel zu be-
gehen, wenn es sein persönliches Interesse zu erfordern scheine.
S. 8 sagt er: ,, Allein wie konnte sie (die Antigone) gegen Kreon
nicht erbittert sein, da er, sonst als gut gepriesen und ihr und Po-
lynikes so nahe verwandt, gegen das Gesetz, nur aus Willkür, jetzt
über den Todten die härteste Schmach verhängt?**' Und S. 10:
„Denn indem diese CAntigone) mit frommer Treue sich ihrer
Pflicht fast ohne einen Gedanken an sich selbst opfert, Iiat Kreon
überall, zwar nach seiner Meinung seine Herrscherpflicht und
das Wohl der Stadt, in der Wirklichkeit aber fast allein sich und
seine Persönlichkeit im Auge, wie er auch dieser gegenüber immer
nur Persönlichkeiten sieht. Denn ausgegangen von dem im All-
gemeinen richtigen Grundsatze, die Bürger können nicht Freunde
der Feinde ihres Landes sein, hat er übereilt ein Verbot erlassen,
durch welches er die Feindseligkeit ^e^en einen einzelnen und
zwar einen todten Feind so weit ausdehnt, dass er dadurch menscli-
Jacob .'Sophokles' Aiitigone. IX^
liclies iitid göttliches Recht verletzt. Aus seinem UnheilvoileÄ
Irrthiime aber kann er sich nicht erheben, weil jede Aeiisserim^
gegen sein Verbot ihm nur ein Angriff auf seine Person und sein
Herrscheransehen scheint u. s. w.*"^ Und ähnlich S. 13 : „Auch
in dieser völlig unbegründeten Verurtheilung Ismene's, so wie in
der Art, wie er dieselbe zuriicknimmt, zöigt Kreon die Beschiänktii
heit und Flachheit seines ürtheils und Gefühls und seine ganzJ
liehe Unfähigkeit zum Herrscher^*" So urtheilt Hr J. von KreoiV?
Der Chor dagegen erscheint ihm als eine ziemlich alterschwachd,»
ja beinahe thörichte Person, als eine blindlings dem Kreoii erge-^
bene Gesellschaft. S. 3 heisst es: „Der Chor besteht ans Grei-'
sen, welche Kreon sich als treubewährte, alte Anhänger des Herr^
scherlrauses zum Beistand berufen hat und welche daher auch sein'
Verbot als ein Gesetz für die Bürger anerkennen, üeberdies
spricht unser Chor die Unzulänglichkeit seines Urtheiis, seines
hohen Alters wegen, selbst aus (681 fg.). Endlich aber weicht er
einer Aeusserung über den vorliegenden F^all aas, indem er ihn auf
Kreons Macht im Allgemeinen zurückführt. Dieser aber setzt
er gar keine Schranken, so dass bei den urtheilsfähigen Zuschauern
sogleich anfangs Zweifel an der Unbefangenheit und Gültigkeit
seiner Aeusserungen überhaupt entstehen mussten^^ In Betreff
beider Personen können wir uns mit Hrn. J.'s Charakteristik nicht
einverstanden erklären.
Wir finden in Kreon zunächst mit den Meisten das Prin-
cip der äusseren Staatsgewalt, den Vertreter der
menschlichen Satzung, die an sich zu achten und so
lange aufrecht zu erhalten scheint, so lange sie nicht mit den hö-
heren Geboten der Menschlichkeit und den ungeschriebenen,
göttlichen Gej^etzen in Widerspruch geräth, und desshalb auch in
diesem Stücke nicht ohne Weiteres von Seiten des Chores ver-
worfen wird, Ihm gegenüber erscheint Antigone als die Schirm-
herrin reiner Menschlichkeit und Vertreterin des göttlichen Ge-
setzes, das auf höheren, ewig gültigen und durch keine Macht zu
beugenden Principien beruht, und daher, wenn auch für den Aif-
genblick verkannt und missachtet, doch ewige Gültigkeit hat und
haben muss und nicht ohne harte Ahndung von den Sterblichen
vernachlässigt werden kann. Der Dichter führt uns einen Con-
flict menschlicher Satzung und des ewig gültigen göttlichen
Gesetzes in seinem Stücke vor. Kreon's Satzung hat einen gros-
sen Schein des äusseren Hechtes für sich, so wie es auch mit
ziemlich plausiblen Gründen von ihm selbst unterstützt wird , und
desshalb trägt auch der Chor einiges Bedenken, sich sofort gegen
dasselbe zu erklären; reiner und heiliger, unantastbarer und un-
umstösslicher dagegen ist das ewige Gesetz der Gottheit, das ver-
kannt, aber nicht umgangen werden kann und zuletzt als allgemein
gültig von Allen anerkannt werden muss, und zu dieser allgemeinen
Anerkennung gelangt dasselbe auch im Verlaufe unseres Stückes.
\20 Griechische Litteratur.
Antigene erscheint als Märtyrin für das göttliche Gesetz, Kreon
dat^cgen geht in den Kampf fiir die äussere Staatsgewalt, deren
Wahrung sogar seine Regentenpflicht war, die aber nur dann walir
und haltbar ist, wenn sie mit dem göttlichen Gebot, dem,
gleich allen übrigen Gewalten, auch sie sich beugen muss, nicht
in Widerspruch geräth. Antigone nun, die Vertreterin des gött-
lichen Gesetzes, erscheint nati'irlich als reines, ätherisches Wesen,
obschon auch ihr rein menschliche Gefühle nicht abgehen. Kreon
dagegen erscheint vermöge der Rolle, die er vertritt, unbeugsam
und hart, aber er ist nicht roh, nicht tyrannisch an sich zu nennen.
Er ist in seiner Ansicht befangen, vielleicht ein Thor, ein Tyrann
aber, ein Bösewicht ist er nicht. Sein Gebot stiUzt sich auf die
Staatsmaxime, die den Freund geliebt, den Feind gehasst sehen
wollte — Antigone giebt dies gewissermaassen selbst za Vs. 523
— und um desswillen die gefallenen Brüder, von denen der eine
im Kampfe fiirs Vaterland, der andere im Kampfe gegen dasselbe
umgekommen war, nicht gleich behandelt sehen will. Ja Kreon
beruft sich in seinem Vortrage zu Gunsten der Staatsgewalt, der
an sich ganz vernünftige Sätze behandelt, Vs. 163 fgg. sogar auch
auf den Umstand, dass Polynikes sich ^^^^n die Götter selbst,
durch seinen Angriff auf das Vaterland, vergangen habe, und ist
bemüht, dadurch seine Maassregel über das Nicht-Begraben seines
Leichnams zu rechtfertigen. Dass diese Ansicht, wenn auch nach
dem ersten Scheine nicht so gar verwerflich, doch dem höheren
göttlichen Gesetze gegenüber, was diesen von Staatswegen ange-
nommenen Unterschied nichtzulässigfindet. sondern wenigstens den
Verwandten dieBestattungderTodten überlässt, unhaitbarsei, zeigt
sich bei derallmäligenEntwickelung der gegenüberstehenden Grund-
sätze, sobald grössere Klarheit in die Sache kommt, immer deut-
licher, und Antigone, deren einfältiger, kindlicher Sinn, deren rei-
nes Gemüth das Richtige und Wahre sogleich gefunden hatte, legt
dies Verhältniss, besonders Vs. 450 fgg., selbst trefflich dar. Dass
Kreon, der einmal das Wahre verkannt und sich in seinen Mitteln,
den Feind des Vaterlandes zu entehren, vergriffen hat, noch nicht
so bald von der Unhaltbarkeit seiner Ansicht überzeugt wird, viel-
mehr durch den Widerspruch, der ihm seine Herrschergewalt zu
kränken scheint, die ihn aufrecht za erhalten keineswegs Selbst-
sucht, vielmehr Pflicht der Selbsterhaltung und Regentenpflicht
gegen das Land, das er beherrscht, zu treiben scheint, immer wei-
ter hinreissen lässt, kann ihn in unsern Augen noch nicht als einen
Willkürherrscher oder gar als einen egoistischen Bösewicht, wie
es z. B. Franz in Schiller's Räubern ist, erscheinen lassen, nur für
einen Befangenen und Bethörten, der in blindem Eifer nicht sieht,
was er sehen könnte, und von seiner Ansicht, die er aus innerer
Ueberzeugung für die richtige hält, nicht weichen will. Wir fin-
den ihn in heftiger Bewegung, in Zorn und Leidenschaft, die ihn
bestrickt und verblendet hat, aber ungerecht im gewöhnlichen
Jacob: Sophokles^ Äntigone. 121
Sinne des Wortes finden wir ihn keineswegs. Er lässt den Boten
Vs. 444 fg. sogleich abtreten, nachdem Äntigone die That bekannt,
aber auch niclit eher, um ihn zu strafen, falls seine Anklage eine
falsche wäre. Er ist auch anfangs nicht hart gegen Äntigone;
hätte sie wahrscheinlich, wie der Hr. Verf. selbst S. 5 und 7 sa^t,
milder behandelt, hätte sie sich seiner Herrschergcwalt, die er
nun einmal glaubte wahren zu müssen, nicht so schrofF entgegen
gestellt. Auch ge^en Ismene ist er nicht ungerecht. Sie hat
zwar gegen Kreon's Gebot nicht selbst gehandelt, will aber doch
jetzt Antigone's That mit vollbracht haben, heisst sie wenigstens
gut und spricht so der Staatsgewalt wenigstens indirekt Hohn;
desshalb erscheint auch sie ihm mit verdächtig , s. Vs. 48!* fgg.
561. 577 f g , allein die üebertreibung und die iMaasslosigkeit sei-
ner Hede Vs. 7(19, in welcher er die Ismene ebenfalls mit zum
Tode verurtheilt, nimmt er trotz seiner grossen Hitze, in welcher
er das Wort gesprochen, sofort auf des Chores Mahnung V. 771
wieder zuriick und giebt so, nach unserer innersten üeberzeugung,
keineswegs zu dem Tadel Veranlassung, den Hr. J. S. 13 über
diese seine Handlungsweise ausspricht. Denn einen Irrthum auf
frischer That offen zu bekennen, zeigt uns vielmehr Tugend und
Kraft des Mannes, als BeschränkÜieit und Flachheit seines Ur-
theils. Wenn Kreon ferner seine Ansicht trotz des Widerspruches
der Äntigone, des Hämon, des Chores, ja trotz der Mahnung des
Tiresias aufrecht erhält, ja durch seine Leidenschaft sogar so weit
fortgerissen wird, offenbar ungerecht zu handeln, in dem Glauben
recht zu thun, und erst die thatsächlichen Beweise von dem Zorne
der Götter den Verblendeten, als es schon zu spät ist, auf den
Weg der Erkenntniss fiihren, so nimmt er zwar niclit unser Mitleid
in dem Sifine, wie Äntigone, in Anspruch, weil er uns als die äus-
sere Ursache der Gräuel erscheint, er wird aber auch kein Gegen-
stand unseres Hasses, wir müssen ihn vielmehr beklagen wegen
seines Wahnes und seiner Verblendung, dass er im Eifer, die Staats-
gewalt aufrecht zu erhalten, den Zorn der Götter auf sich ladet
und sich und dem eigenen Hause verderblich wird, und zürnen,
um mit Sokrates zu reden, weniger ihm, als seinem Irrthume. Ist
diese unsere Ansicht von dem Charakter Kreon's richtig, so wird
uns nun auch der Chor in etwas anderem Lichte erscheinen müs-
sen, als er von Hrn. J. aufgefasst worden ist. Der Chor stimmt
eigentlich nie mit ganzer Seele in die Ansicht Kreon's ein. Er
rauss als Staatsbürger und guter ünterthan zuvörderst die Gewalt
Kreon's, als rechtmässigen Herrschers von Theben, anerkennen
und kann dies anfangs um so mehr, als Kreon seine Ansichten we-
gen des Nithtbegrabens von Polynikes mit vernünftigen Gründen
zu unterstützen scheint, und das ganze Verhältniss noch nicht so
ganz klar vorliegt. Aber auch da, wo er die äussere Herrscher-
gcwalt des Kreon unbedingt anerkennt, spricht er nicht mit einer
Silbe direkt gegen das göttliche Gebot, Vs. 211—214.
122 Griechische Litteratur.
Z!oi TCiVT cigeöxBi^ TCai MevoLxiayg Kqecoi',
rov tijös öv6}>ovv x«l rdv svuev^ noXec.
vo^icp de xgiiö^av nccvzi itov z sveOtl öol
ocui Tcov ^ai'6vTG)if ^^fOTroöot t,coaev negi.
Ucbcrliaupt ist hier die Rückhaltmig, mit der der Chor spiiclit'/
mit grO!>ser Kirnst von dem Dichter auch diircli die äussere, walir-
haft geschraubte Kedc, die gerade in eine solche und keine andere
Form gegossen worden ist , ausgedrückt worden. • Audi die Art
und Weise, wie der Chor sogleich Vs. 216 fgg, die Bewachung des
unhegrabenen Leichnams ablehnt, zeigt, dass er die Saclie nicht
fi'ir unbedenklicii liält. Schon Vs. 278 fg. spriciit er das, was er
anfangs kaum anzudeuten wagt, etwas deutlicher aus:
'Ava^^ s^oi TOt, (.ijj XL xal ^srjlarov
tovQyoi' t6Ö\ }] ^vvvoicc ßovksvsL naXai.
und der Dichter rechtfertigt den Chor besonders rait den Worten:
?5 Lvvvoia ßnvkBVBt näXai^ zugleich gegen eine falsche Bi*-
urtheilung, dass er nicht efier das Richtige erkannt, wie sie gleich-
wohl von Hrn. J. noch gemacht worden ist. Riicksicht auf den
rechtmässigen Herrscher iässt ihn nicht vorschnell mit seinem
L'rlheile liervortreten, und auch hier spriclit er seine Ansicht nur
als Vermutliung aus, so wie er auch Vs. 471 fg., da ihm Antigone
dem Herrscher zu hart begegnet zu haben scheint, ohne das Ver-
liältniss selbst zu berühren, versöhnlich sicli äussert. Nicht min-
der bescheiden spricht er Vs. 724 fg. , wo er zur Nacligiebigk^it
Vater und Sohn ermahnt. Vs. 770 giebt er dem Kreon durcli die
Frage :
"Au.(f)Ci yag avtä ocui xataxtElvat voEig',
seine Uebereilung äusserlich bescheiden zwar, doch entscfiieden
zu verstehen. Vs. Bol fgg. beklagt er laut das Loos der Antigone^
doch immer bleibt er Unterthan Kreon's; auch noch Vs. 873 fgg.,
und das muss er, so lange die Stadt nicht in offenen Aufruhr ge-
gen Kreon kommt, ein Umstand, der die Entwickelung der ganzen
Handlung sofort gestört haben wi'irde. Auch da noch, wo Tiresias
im Zorne gegangen ist, Vs. 1(91 fgg., verletzt der Chor die Biir-
gerpfliclit dem Kreon gegenüber nicht, obschon er ihn ernst zur
L'eberlegung malmt. Kreon schwankt, bekennt seinen Irr-
thum und ermächtigt den Chor ihm Rath zu ertheilen. Alles gö^
schiebt auf eine angemessene und anständige Weise, Alles, wie es
das Verbältniss, was zwischen dem Chore und Kreon stattfindet,
mit sich bringt. Selbst auch Vs. 1259 spricht der Chor, wenn
auch Kreon's eigene Schuld anerkennend, mit Anstand, mit den
Worten: h %euig ÜTttiv^ nicht anders Vs. 1270, sogar noch
zum Schlüsse Vs. 1348 fgg. gieht der Chor nur zu, dass die Men-
schen häufig irren und meist zu spät die Wahrheit erkennen. Wir
finden nirgends einen Widersprucli in den Aeusserungen des Cho-
res. Er verletzt seine Bi'irgerpfliclit zwar nicht, spielt aber auch
nicht den rückhaltslos und blindlings beipflichtenden Diener gegen
Jacob : Sophokles' Antigene. 123
den Fürsten, ihn besticht nicht das Ansehen des Füt'steif in dem
Maasse, dass er kein Mitgefühl ge^en Antiffone liätte, obwohl Ihm
ihr Auftreten einige Mal zu schroff erscheint. Alterschwach er-
scheint er nirgends; denn Vs. 216 spricht er nur von den äusse-
ren Körperkräften, und in den Worten Vs. 681 fg. ^
'" ' ^ ' Hixlv ^£r, d 1X7] T(p XQovcp Kcy.lh^^B^a^
X^ynv (pQOVovvTog qjv Xky^Lg doKÜq nigi.^
worauf Ilr. J. sich vorzugsweise bezieht, möchten wir kein Zeng-
niss für die Alterschwäche des Chores finden. Es lässt der Dich-
ter dort offenbar mit den Worten: £t ^iq ra XQOvcp x8x?,£{Xind^c(y
die lii'ickhaltung des Chores durchblicken, der, so wie die Worte
von Kreon gesprochen sind, nichts gegen sie glaubt einwenden zn
können, aber doch sich selbst nicht recht traut, ob denn nicht noch
eine andere Ansicht vielleicht geltend gemaclit werden könne'.
Sind wir so allerdings in Bezug auf die Charakteristik zweier Per-
sonen mit Hrn. J. nicht einverstanden gewesen, so bekennen wir
doch, dass wir demselben in Bezug auf das, was er sonst in der
Einleitung gesagt hat, aus voller üeberzeugung beitreten, zumal
da er am Schlüsse S. 30 i'iber die Tendenz des Ganzen sich, abire-
sehen von 6en beiden Personen, ganz in demselben Sinne aus-
spricht, wie wir ebenfalls den Hauptgedanken aufgestellt haben:
„Gegen das alte menschliche Recht und die Gebote
der Götter solle der Mensch nicht freveln. Dies
thut Kreon, indem er die Bestattung des Polynikes
untersagt und Antigone lebendig einmauern lässt,
und desshalb geht er u n d s e i n H a u s z u G r u n d e. Kreon
gegen Vi her steht, als die Vertreterin des von ihm ver-
li ö h n t e n g ö 1 1 1 i c h e n u n d ra e n s c h li c h e n 11 e c h t e s , A li,^
tigone.*''
Noch hätten wir gewünscht, Hr J. hätte hier noch etwas über den
allerdings untergeordneten Charakter des Wächters gesagt. Denn
so tief er mit vollem Rechte unter den eigentlich tragischen Per-
sonen steht, so beschäftigt er doch zu Anfang des Siüekes diö
Zuschauer nicht blos ziemlich lange Zeit, sondern lässt aucli seine
eigenen Lebensansichten so entschieden durchblicken, dass ei^
nicht ganz als Nebenperson angesehen werden kann. Und da nun
noch dazu seine Reden bisweilen beinahe ans Komische streifen^
z. B. 817, so wäre es vielleicht nicht unpassend gewesen, die ju-
gendlicheFi Leser auf die Art und W^eise, wie auch diesen Charak-
ter Sophokles getreu der griechischen Volkssitte gehalten, auf-
merksam zu machen. ^'^ *
Wenden wir uns nun dem Texte und den diesen begleitenden
Anmerkungen selbst zu, so können wir es zuvörderst nur gut heis-
sen, dass der Hr, Herausg. die Textesworte im Dialoge wenigstens
fast lediglich nach den Handschriften gegeben und nur ih den
Anmerkungen gehörigen Orts bemerkt hat, wo der Text gelitten
zn haben scheine, wogegen wir es aber weniger gut heissen nnd
124 Griechische Litteratur.
minrlestcns es inconsequent finden, dass der Hr. Fleraiisg. niclit auch
in den lyrischen Stellen, wie wir bereits oben bemerkt haben,
gleicherweise verfaliren ist. Denn was hier recht war, war dort
biih'g, und vielleicht wäre es auch besser gewesen, auch in jenen
Stellen die Leiden des Textes einfach anzuzeigen, als sie corrigirt
zu geben, zumal grössere und kVihnere Veränderungen gerade in
solchen Stellen in der Böckh'schen Ausgabe vorgenommen worden
waren. Docli dariiber wollen wir jetzt nicht weiter rechten. Wir
bekennen lieber, dass wir die zur Erklärung der Sprache und Er-
läuterung des Iniialtes beigegebenen Anmerkungen nicht nur nacli
ihrem äusseren Umfange richtig bemessen, sondern auch ihrer
Form und ihrem Inhalte nach meistens sehr angemessen gefunden
haben. Dass im Einzelnen auch liier noch Manches hätte anders
aufgefasst, öfters auch wohl nur anders ausgedrückt werden kön-
nen, thut dem Ganzen weniger Abbruch.
Gleich in der Anm. zu Vs. 1. S. 35, wo Hr. J. sagt: „xapa
gebrauchen die Tragiker öfters so, besonders in der Anrede, zur
Bezeichnung der Person. Danach sagen aucli unsere Dichter z. B.
Des redlicheJi Diego greises Haupl.''^^ scheint uns die Deduction
mit danach minder passend. Wir hätten lieber nach yiccga vor
gebrauchen eingesetzt gesehen: in sofern es den vorzüglichsten
Theil des menschlichen Körpers bezeichnet.^ und später Auf glei-
che Weise statt Danach geschrieben gesehen.
Vs. 29 wi'irden wir zu den Worten: hav ö' a^cAwvrov, «ra-
tpov Tcze. einestheils unsere jugendlichen Les^r darauf hingewiesen
haben, unter welcher Bedingung und mit welcher Verschiedenheit
des Sinnes hier tav ds gesagt werde, wo man in der gewöhnli-
chen Rede dkk' Idv^ wie so oft in Gesetzen und Verordnungen in
Prosa gesagt wird, erwartet haben wVirde, vergl. unten 204 fgg.
xovxov TioKii t)}d' kKXSKrJQVKtaL xätpcp ^^ze. ktbqi^blv ^r^re xcd-
TiVöaiTLva^ läv ö* axfantov xat TtQoq olcovav dmag xal Ttgog
Tivväv IdsöTOV al'ULöxtkvz Idsiv. und s. meine Bemerkung zu
Devar. vol. II. p. 360 sq., andererseits abcrauch mit einem Worte
daran erinnert haben, dass die Verbindung von äxlavzog, azacpog
oder cid'aTCzog.) und zwar in dieser Wortstellung, eine altherge-
brachte sei, s, Iliad. XXII. 386. Kiltai nag vrjsööi vsKvg äyikav-
Tog, a\f anzog. Odyss. XI. 72. /ijj y! aalavzov axfanzov lav öiti-
%tv 'AazakiiTiHV.^ wodurch zugleich die Lesart ccKkavtov azacpov
gegenüber der Wortstellung des Laurra. Laur. b. Rice. cet. äza-
(jpov «KAatTOv gesichert wird, in welcher Hinsicht, so wie zur
Veranschaulichung der ganzen Rede noch zu vergleichen war Eu-
ripides Phoen. 1645 fgg. KrjQv^szai de näöi Ka8y.üoig zaÖB' og
äv viKQOV zovö' rj x(cza6ziq)cov akco ij yfj KakvTtzcjv^ ^dvazov
d* dvzaXkd^ezat^ eäv d' dxkavzov dzacpov olcovoig ßoguv.
Zu Vs. 42 bemerkt Hr. J. „ttoi} yvcoyrjg noz' at; wo bist du
mit den Gedanken^ Unser: wo denkst du hin*? So ftöl nov yiig
(K. 0. 108); ubi terrarurn.*"^ Das ist Alles recht schön, allein die
Jacob : Sophokles' Antigene. 125
handschriftlich beglaubigte Lesart des Schal. Laur. a. Laur. b.
Hicc. Diesd. a. cet. ist nol yvcj^rjg tiox ft; Es war demnach
unser: „ ^^o bist du mit deinen Gedanken hin?^^ zu vergleichen,
oder desEnniu^: Quo vobis mentes rectae qnae siaresolebant cet.
Zu dem folg. 43. Verse bemerkt Hr. J : „|i)v rijöe heisst, wie
Sprechende im Griechischen oft durch das Pronomen demonstra-
tivum sich selbst bezeichnen: mit mir. Damit ;^£pl zu verbinden,
würde theils die Bezeichnung der Person unangemessen beschrän-
ken, theils bedarf i(ovq)ieig zur Belebung seines Begriffes, nach
Art der Alten, des Zusatzes xegt. So sagt Ajas: i| ov xsigl zovt
ede^dfirjv öüjgrjfxa (Aj. 661). Endlich sollte wohl auch Ismene's
thätigeTheilnahme durch ^^qI bezeichnet werden {et ^Vfinovi^öeig
aal ^wsgyccöBL^ öxotisl).''' Hr. J. ist hier im Irrthume. Das Zer-
reissen der Rede, wenn man ^vv tijös und ^^gi getrennt fasst,
würde hier unangenehm auffallen. Der Einwand, den Hr. Jacob
macht, dass , wollte man |i)v t|]Ö£ %fpl verbinden, die Bezeich-
nung der Person unangemessen beschränkt würde, ist nichtig.
Denn die Tragiker haben nicht blos den vorzüglichsten Theil
einer Person für sie selbst gebraucht, wie er selbst zu Vs. 1 '/ö^w-
vr^g Tidga bemerkt hat, sondern auch bisweilen, wenn die Thätig-
keit eines Körpertheiles bei einer Vornahme vorzugsweise in An-
spruch genommen wurde, mit einer feinen Zeichnung der Hand-
lung diesen genannt, wo auch hätte die ganze Person genannt w er-
den. Wie hier sonach Sophokles ganz richtig seine Antigone
sagen liess: ti tov viyigov h^vv tyÖe }iovq)LElg x^gi^ ffenn du den
Todlen in Gemeinschaft mit dieser Hand aufheben willst ,^ eben
so heisst es bei Euripides Hippol. 661 ^tdöoyiai öl 6vv Ttatgog
fiokav noöi^ statt 6vv TtcxTgi ^okcjv. Was dann der Hr. Herausg.
noch darüber philosophirt, dass xovcpi^tiv noch x^Q^ nothwendig
habe und dass die thätige Theilnahme der Ismene, w eiche Antigone
anspreche, durch ;^fpt bezeichnet werde, bedarf keiner weitern
Widerlegung. Denn eincstheils würde auch, wenn man ^vv xyda
X^gi verbindet, doch die Vollziehung von novcpl^eiv durch die
Hand deutlich genug angegeben, anderntheils erfordert das Heben
an sich schon Handthätigkeit, gleichviel ob x^g't dabei steht oder
nicht. Auch finden wir die vorausgeschickte Bemerkung: „xou-
g)it,8iv wird allgemein erklärt durch Ismene's ^cxTttELv; doch liegt
darin wohl zugleich der Begriff der Erleichterung des Todten da-
durch, dass er nicht in der Schmach liegen blieb''^, zu über-
schwänglich. Kovcpl^siv vsKgovg war gewiss im Griechischen
eben so gut stehende Redensart wie im Latein, tollere cadavera^
im Deutschen einen Leichnam aufheben^ indem man mit der ersten
Handlung., womit die Bestattung eines aufgefundenen Leichnams
beginnt, die Vornahme der ganzen Bestattung andeutet. Hier zeich-
net Antigone, welche sich ihr Vorliaben bis aufs Einzelne geistig ver-
gegenwärtigt, den Beginn der Handlung, die sie sich vorgenoinmeu,
126 Gnechische Litteratur.
genau mit jener Rede. Die Befreiung von der Schmach liegt im
Ganzen, nicht in dem einen Worte.
.n'ii: Vs. 4,'S schreibt Ilr. J. mit den Handschriften: dXX* ovdly
avTcp rüjv tucDv ugyeLV ^eza statt der aus Conjwctur entstander
iien Vulgata: tcov l^cov y! ffpj^fn^. Wir haben dagegen nichts
einzuwenden. Denn es ist mehr Tiefe in dem Gedanken ohne fii.
Allein die Erklärung, die er giebt: ^^ovötv y&TSöTLV ama tcjv
kficjv: er hat kein Ueclit an den Meinigen (dj'ßrf) BiQyHV avzovg
tov ^äTttsö'^at,. Der Infinitiv steht als Ausdruck der unmittel-
baren Folge aus oiiöai' ntTBötiv avia.'"'' können wir niclit gut heis-
seii. Das erste Scholion hat das Verhältniss richtig aufgefasst:
'ylkk' ovölv avTcp Tcov t^<äv: Ov fiarsörtv avxco Hgyscv ye aTCO
TCüv BLicDV. Es ist ju Gedanken zu erklären: «AA' ov yevsöTLV
avTcp HfjysLV tg5v b^cjv^ dr]kov6TL Bfia rj ölag xovg avzovg tcij-
davtLV ßovkoyhovg.
Zw \s. i}b cog (Ua^oyaL Tßöa, vergleicht Hr. J. den latein.
Sprachgebrauch. Das ist ganz gut. Allein warum stellt er die
Stelle her: Cogebal id militum voluntas.^ wo nur ein Accusativ
steht*? Warum nicht lieber Cicero de re pvbl. 1, 2: cives qui id
cogit o?iines cet. oder noch entsprechender Livius 4, 26: Si qui-
dem cogi aliquid p?'o potesLate ab iribuno coiisules — possent ?
Mit Uebergehung anderer Stellen wenden wir uns jetzt einer
Stelle zu, wo es vielleicht nicht nur nicht unpassend, sondern gar
nützlich gewesen wäre, wenn Hr. J, seine jugendlichen Leser sicl^
hätte einmal auch mit der blossen Wortkritik befassen lassen. Es
heisst Vs. 93 fg. zwar in seiner Ausgabe:
,El ravza Xe^Big^ sx^agao ^ilv eJ Sfxov^
Allein handschriftlich steht die Lesart Bx^c/.QBi keineswegs fest.
Die meisten und bessern Handschrr., unter diesen Laur. a., dieser
mit yg. Bx^aQ]]^ Kicc, Membr. Paris. A. u. a. m. haben sx^Qccv^
oder Bx^(javBl und Porson's Behauptung zu Euripides Med. 555,
dass die Form ixxfaioa iiberall bei den Tragikern herzustellen,
dagegen die Form BX^Q^i.t'VCi ganz bei ihnen zu verwerfen sei, ist^i
wie so viele ähnliche, gänzlich aus der Luft gegriffen, oder nur aus
einer rein empirischen Stelienzählung hervorgegangen, die bis-?
weilen etwas Wahres an die Hand giebt, in unzähligen Fällen aber
durchaus trügt. Dass ByßgaivBiv eine an sich aus der Sprache
derAttiker nicht auszuschliessende Form sei, beweist derQebrauch
des Wortes bei Xenophon und die Bemerkung bei Photius p. 45.
'E%%QuivBL : jutösi., so wie auch der, wenn sclion gemässigte, jedoch
durch die Handschriften gesicherte Gebrauch, den Sophokles
selbst von der Wortform macht, die sehr leicht von Abschreibern
und Kritikern, welche an die seit Homer gewöhnlichere Form 1%-
%aiQa gewöhnt waren, mit der liäufiger vorkommenden Form
verwechselt werden konnte. Hier, so wie an einer andern
Stelle des Sophokles, über die sogleich gesprochen werden soll,
>4
I
Jacob: Sophokles' AntJgone. £27
spricht aber ein innerer Grund zu deutlich für die seltene Form,
als dass ein besonnener Kritil^er sie ungepriift verwerfen sollte.
Es ist dies das Gesetz der Ällitteration, was mit Recht von unse-
rem Herausgeber in anderen Stellen anerkannt worden ist. Offen-
bar legt der Dichter hier entschiedenen Nachdruck auf das Wort,
was zweimal an der Spitze des Satzgliedes erscheint und i'iber-
haupt die Pointe in seiner ganzen Rede bildet, vergl. Hrn. J.'s Be-
merkung zu Vs. 86. Da dies nun offenbar auf alle Weise theils
durch die Wiederliolung, theils durch die Wortstellung hervorge-
hoben werden soll, warum hätte der Dichter sich die dritte Hülfe,
dem Worte Nachdruck zu verleihen, welche in der äusseren Äl-
litteration besteht, entgehen lassen sollen*? Wir zweifeln dessf
halb keinen Augenblick, dass unser Dichter geschrieben habe: ,
El xavxa U^BLg, 8%^ gavsl yag e^ fftoi),
li'jijiiJ aih sxd'ga Öh t(p &av6vri, tiqoöxslösl ölny. .^?,
Wie hier, so gebietet auch in einer andern Stelle unseres Tragi-
kers, im i\j ax \s. 679 fgg., die nur von sehr wenigen Handschrif-
ten gebotene Form g^^^ß^rsog in die in den meisten ;Und besten
Handschriften befindiiche Form £;^^^ß:i^T£og, welche auch Suidas
janfliitrt, umzuwandeln und die ganze Stelle also zu lesen;
'' * "y 'J'XO t' g^f^^Og ij^rv^tg fOÖOl'Ö' EXd-QCiVttOg^ ■,^,j jii.jJu
.V •'.cüg nal (piA'^öcov ttvQ'ig sYg xs zov cpiXov r- .
•^ xo6av^^ VTiovQyuv iO(:pelHv ßovKriOo^ai'iizs.
Hingegen schützt schon dasselbe Gesetz der Ällitteration die
Form £;^O^a/^£a bei unserem Dichter im Philoct. b9 sx&og 1%^
%i^Q ag {.leya. und in der Mectra\B. 1023 ovo' av xoCovxov Ex'
&og8x^cciQG)6' lyco., ja selbst in Aqv Eleclra Vs. 172 ^jj-ö^'
olg ex^^ i'Q^ig viiiQax^^o y^rix Inild^ov., während in an-
deren Fällen es gleichgültig war, welche Form der Dichter wählte,
In solchem Falle hätte Hr. J., wenn auch nur ausnahmsweise, auch
seinem Leserkreise einmal eine Frage aus der reinen Wortkriti^
vorführen und etwa die von ihm zu wählende Wortform tx^Qa-^
VH mit folgender Anmerkung begleiten sollen: „Die Form
Ix^QocvH von der auch anderwärts (bei Xenophon) vorkommen-
den Wortform Ix^Qc^l^vc) war hier nach den besseren Handschrif-
ten der Vulgata ijt'^a^fr vorzuziehen, weil hier die äussere
Wortform (Ällitteration) den inneren Redenachdruck fördern
soll : hx^gavEi ^ev e^ifiov, £;^'9^^ « ds tc5 %av6vzL TtgoöKBiösi
diarj. Eben so im Aias Vs. 679 o t' ex^gog tj^lIv üg xoöovb'
€;(jd'9ßvr£0g." Denn so würde sich der jugendliche Leser über-
zeugt haben, dass es die Wortkritik, die viel verrufene, häufig
mehr mit der Sache selbst zu thun hat, als man wohl häufig
glaubt. Aehniiche AUitterationen , von dem Dichter zwar nicht
einzeln aufgesudit, aber doch bei Iiöherer Gesangsbegeisterung
günstig erfasst, finden sich ao unzähligen Stellen bei unserem Tra-
giker. So gleich im folgenden Chorgcsange Vs. 99 fgg.
128 Griechische Lilteratur.
^AKzig dekiov^ to xdX-
kiöTov hntanvXcp (pavtv
0ijßcc tcDv TCQorefjcov qp« o g,
8(pdv^r]g jtOT\ d xQvösag xtL
Vs. HO fgg. schreibt Ilr. J. nach Böckh:
ov hcp dfiEzegcc ya nokvvtiX7]g
dg^elg veLx^av e^ d{iq)LX6ycov^
dyaycüv ^ovQiog ö^sa xkdlcov
alezog eg yäv <Sg vnknza xzs.
Wir haben uns bereits oben gegen die Aufnahme so willkürlicher
Aenderiin^en erklärt und können diese Stelle um so mehr als Be-
leg zu unserer aujigesprochenen Beliauptung aufstellen, da uns
die Stelle keineswegs verdorben zu sein scheint, wenn man nur,
wie bereits vor uns B o t h e , das Wort vTisgenza in prägnanter Be-
deutung nimmt, und sich mit Wunder erinnert, dass die Gleich-
lieit der Anapäste kein notl» wendiges Erforderniss sei, vergl. des
llec, Epistola crilica ad G. Hermann. (Lips. 1840) p. 5 sqq.
Die Worte: o^f« xld^cov ahzog ig yäv cog, fasst übrigens der Hr.
Ilerausg. ganz wie wir, wenn er, sie zusammenfassend, also über-
setzt: hell kreischend^ wie ein Adler^ g(^gen das Land^ vergl. d.
Rec. a. a. 0. p. 7. Dabei hätten wir aber gewünscht, er hätte
nicht blos bemerkt, wie S. 49 geschieht: ,,o5g wird öfter so nach-
gestellt, z. B. nalg dzsg cjg cpUccg zi,&i]V(xg (Phil. TOS)."", weil dies
nur todtes Wissen ist, sondern lieber das Wesen der Sprache auch
hier tiefer erfasst und gezeigt, wie das nachgesetzte (d\? hier das
in der Vergleichung Zusammengehörige auch durch die äussere
Rede zusammenhalte , indem es die Vergleichspunkte enger
zusammenschiebt; eben so in der Stelle aus dem Philoctet, wo
dadurch, dass dztg vor cog steht, natürlich auch cpikag XL&rjvag^
das von der Präposition nicht zu trennen ist, mit hinangezogen
wird ; ähnlich bei Aeschylos Sieben gegen Theben 393 'Cnnog ya-
T^ivdv tdg xazaQ%\ia[vGiv. so wie bei Euripides Phoen. 1170 Pors.
'cv(f>dg nvkuLöLv äg zig i^n^öcov. Denn ohne diese enge Ver-
bindung könnte wg nicht nach jenen Worten erst folgen.
Zu Vs. 119 bemerkt Hr. J. ^^BitzdnvXov öro'fia für hTtzdnv-
lov oder ejczdözofxov noliv. Auch Euripides hat snzaözo^ovg
Tcvkag (Suppl. 401) neben knzdnvka rslxi] und sTtzdözo^ov nvg-
yco^a x^ovog. Das Streben nach Neuheit des Ausdruckes hat
auch die tragischen Dichter zuweilen über die Linie hinausgeführt,
da die nvkai der Stadt eben ihre özo^iaza sind." Hr. J. thut hier
den Tragikern Unrecht. Zwischen özofiaza und rcvkai ist immer
noch ein ziemlicher Unterschied. Höchstens hätte er sagen kön-
nen, dass die nvlat der Stadt eben ihre özo^aza bilden, nicht
sind. Es liegt liier, wie oft anderwärts, nur das Streben nach ge-
nauer Zeichnung des Einzelnen zu Grunde, özojxa ist, wie beim
Menschen die Mund-, so die Thor Öffnung der Stadt. Und
wie Li vi US In genauerer Darlegung ilinera portarum sagt, wo
Jacob: Sophokles' Antigene. 129
auch das einfache poriae ausgereicht haben würde, in gleichem
Sinne sagte nun auch der Tragiker snTanvXov örö^or, die sieben-
thorige OefFnung, d. h. die durch sieben Thore gebildeten Stadt-
eingänge.
Vs. 130 hat Hr. J. mit vollem Rechte die Lesart vTtSQO-
uttBiag^ welche alle Chancen in diplomatischer Hinsicht für sich hat,
wenn man die Sache genauer erwägt, in den Text genommen; doch
mit Unrecht giebt er die Worte nicht nur ohne Interpunction also:
XQvOov xavaxrjg VTiEQonzetag.^
sondern bemerkt dazu ausdrücklich: „die letzten Worte bedeuten,
nach den hier angenommenen Lesarten, in einer allerdings harten
Wortfügung: indem er sie herankommen sieht in vollem, mächti-
gem Strome des üebermuths wegen des Geklirres des Goldes:
voll Trotz auf das Goldgeschirr.'^ Er hält also noch immer an
der Böckh'schen Auffassungsweise der Worte fest, welche dieser
Gelehrte wohl schon selbst aufgegeben hat. Ein Blick in des
Rec. Epistola critica cet. p. 9 sq. würde ihn wohl überzeugt
haben, dass alle drei Begriffe xqvOov xavax^S VTisgoTttetag paral-
lel neben einander stehen und dass zu interpungiren war xQvöov^
aavccx^g^ VTisQOJirsiag oder wenigstens die Stelle so aufzufassen
war, dass ein Begriff unabhängig von dem andern stehe. Es ist
demnach nicht die Rede von einem vollen, mächtigen Strome des
üebermuths wegen des Geklirres des Goldes, sondern vielmehr
von einem Strome von Gold, Geprassel und üebermuth, indem
das erste auf den äusseren Glanz des Heeres, das zweite auf die
Prahlerei mit Worten, das dritte auf das überhobene Wesen geht.
Damit Niemand die Verbindung Q^v^ia XQ'^^ov auffällig finden
möchte, wiewohl gar nichts Auffälliges in ihr an sich liegt, verglich
Rec. a. a. O. Euripides' Troad. vs. 987 t?}v 0Qvyav nokiv %qv-
0(p geovöav ^kniöag naxaKXvöHV öanavaiöL.
Vs. 228 fgg. lautet das Selbstgespräch, was der Bote unter-
wegs angestellt haben will, bei Hrn. J. also:
Tdkag^ xL xciQS^gol ^oXav dcoöeig dluriv;
rkrj^cov^ ^svslg av; Ticcl rccd' s'lösxccl Kqsov
äXkov TiQog ccvÖQog ; Jtag <3v örjt ova dXyvvsl',
Die Mehrzahl der Handschriften bietet jedoch }id raö' eXöstat,^
Kqscov 'Ute. und da leichter tiü in 'nai als umgekehrt x«l in 'kü
verderbt werden konnte, war wohl diese Lesart herzustellen , je-
doch das Fragezeichen nach dvÖQog zu lassen und also wiederzu-
geben : „ Und wenn Kreon dies von einem andern Mann erfährt ?
Wie wird dir's da nicht schlecht ergehen?''
In der wegen ihrer Interpunction von jeher streitigen Stelle
Vs. 233 fg. , wo Hr. J. öol zu ^okslv zieht , würden wir lieber
schreiben :
N.Jahrb, f. Phil. u. Päd. od. Krit. Dibl. lid. LVHI, Hft. X 9
J30 Griechische Litteratur.
Ttkog ye ^htoi devQ kviTct^öev fioksiv.
2Joi K£i to ^jjÖEv f^fpcS, q)Qa6(o d' o^cog.
Tr]g ekniöog yciQ sy^^oftca ötögay^evog
TO ^i] ncc^tiv äv äklo icXrjv to ^oqöl^ov.
Der Sinn ist mit den Worten: Tskog ys fiBvtOL ösvq' avtKi^öBv /lo-
Xslv abgeschlossen, und die Worte: 2Jol xh ro ^^]ölv t^tgcj^
wQccöG) Ö' o^cog. iniissen schon um desswiilen als ein selbstständi-
gerer Redetheil angesehen werden, weil der mit yag eingeführte
Causalsatz sich weniger auf das Hierherkommen , als vielmehr auf
das Sprechen vor dem Herrscher bezieht. So haben auch die
alten Erklärer die Stelle aufgefasst: ZoIkeI t6 ^r]8ev 8^bqc5: Kai
H ^riÖSV ÖOi TBQJCVÖV ks^OJ* 7] OVTCO' il X«t TO ^fjöev ÖOL ^skXcO
ksysiv Kui yccQ sk tov ditBiv xat öLyijöai ovÖsv ccXXo kBiittTai
t] ^avKTcp fi£ xok7]ö^^vaL. 'Axokovbov öh Kai TO e^rjg öiavorj-
fta ■ IkTti^cj yag ort ovölv äkko nccd^OL^i, rj rö ^oqöl^ov, aözs
ovdh' ^Oi ^stpov ccTtoßrjöBTai 8k tov eljiHv.
Vs. 327 erklärt Ilr. J. die Worte: 'Akk' avQa^Bir] ^bv ^dki6T\
nicht ganz entsprechend: „ach, fand' er sich doch gleich."' Mehr
entspricht das lateinische: Sed maxime iriveniatiir. Aehnlich im
Philoct. 617 OXoLTO fxBv ^dkiöd^ exovöiov kaßav. Eher könnte
man im Deutschen sagen: ^^Aber möge er immerhin gefunden
werden}'' ,
Vs. 341 schreibt Hr. J. nokavinv statt des handschriftlich
allein beglaubigten nokBvov. Er will natürlich von dem voraus-
gehenden toOto ganz abgesehen wissen und nach den Gedanken
av%QCiTiog ergänzt haben. Wir glauben, mit Unrecht. Die Mög-
lichkeit, dass von der begonnenen Construction abgegangen werden
konnte, ermächtigt uns noch nicht zu der Annahme, dass der Dich-
ter von derselben habe abgehen müssen. Da nun aber sämmtliche
Handschriften nokivov^ nicht nokBv^v^ lesen und noch dazu der
mit rovro eingeführte Satz erst mit Ablauf der ersten Strophe
seine Vollendung gewinnt, so ist es offenbar eine Schlimmbessc-
rung , die den Sinn der Stelle gewaltsam zerreisst und das Ver-
ständnis« des Zusammengehörigen ohne Noth stört, wenn man
nokBvav schreibt, in der Gegenstrophe hat der Dichter bei den
Worten d^cpißakcov äyBi offenbar schon negicpQad^g dvijg im
Sinne und das Verhältniss ist dort ein ganz anderes.
Doch wir wollen nicht die einzelnen Stellen, wo uns noch das
und jenes auszusetzen zu sein scheint, mit unseren Bemerkungen
begleiten, sondern heben nur noch einzelne Punkte hervor, um
unser oben gegebenes Versprechen zu erfüllen. In dieser Be-
ziehung erwähnen wir noch einer Stelle, wo es vielleicht nicht un-
passend gewesen wäre, wenn sich Herr J. mit einer kurzen
Erörterung auf die Wortkritik eingelassen hätte. Sie steht Vs.
504 fg., wo der Hr. Herausg. nach der Vulgata liest:
Tovrotg rouro tcccölv dvödvBLV
kByoLT «V, sl fiij ykcjööav Bynkalöoi q)6ßog.
Jacob: Sophokles' Antigene. 131
Da nun aber fast alle genauer verglichenen Handschriften, Laur.a.,
Laur. b., Laur. c, Aug., Paris., Dresd. dvöavei lesen , zum Theil
mit dem Glosseme agköKU^ was doch ebenfalls den Indicativ
schützt, so ist es wohl keinem Zweifel unterworfen, dass hier zu
schreiben sei :
tovroig tovTo näöiv avdctvev '
Xkyoit ßV, 86 ^Yj ylcoööav syxXsLüoi, q)ößog.
Denn nicht blos das handschriftliche Zeugniss, mehr noch der
Sinn selbst verlangt die Aufnahme dieser Lesart. Zwar erklärt
Hr. J. in der Anmerkung: „toi5rotg U^oiz äv: vno tovtcjv näv-
Twv liyoix äv {kelsKTai (xoi) rovzo avddvuv (nämlich ihnen
allen)." Doch wie verworren so die ganze Construction sein
würde, sieht er gewiss selbst ein. Dazu kommt, dass der Gedanke
selbst erlahmt, wenn gesagt wird: ,,Von allen diesen würde es
ausgesprochen werden, dass (ihnen allen) dies gefalle, wenn nicht
Furcht die Zunge lähmte." Wie viel schöner zeigt sich der Ge-
danke, wie weit zuversichtlicher und der inneren Ueberzeugung
der Antigone entsprechender, wenn diese sagt: „Allen diesen ge-
fällt dies. Man würde sprechen, wenn nicht Furcht die Zunge
lähmte." Mit vollem Rechte hat ja Hr. J. selbst Vs. 473 dieselbe
Sprachform hergestellt:
'Ak}\! %6%L rot, T« 6}th]Q äyctv (pQovri^ata
WO man früher mit dem Infinitiv nlTttSLV das Verhäitniss gleicher-
weise minder kräftig darlegen liess.
Wir haben bisher ganz absichtlich die schwierigsten Stellen
von Sophokles' Antigone vermieden, in denen im Grossen die Frage
entschieden werden muss, ob die historische Kritik ihr Feld vor
der reinen Willkür der Conjecturalkritik einst einmal werde schüt-
zen können, oder ob fort und fort die willkürlichsten Luftgebilde
sich in den streitigen Stellen werden festsetzen und im unbestrit-
tenen Besitze, wenn schon im steten Wechsel, werden fortliausen
können, eine Frage, zu deren endlicher Lösung Rec. in der er-
wähnten Epistola cj'itica ad G. Hermann. (Lipsiae, E. B. Schwi-
ckert 1840. 8.) zu seinem Theile glaubt mit gesprochen zu haben.
Wir wollen jetzt wenigstens eine Stelle hier mit berühren, die
olFenbar zu den schwierigsten dieser Tragödie gehört, aber gleich-
wohl nicht von der Art ist, dass man für alle Zeiten an ihrer Lö-
sung verzweifeln müsste. Es ist die Stelle, welche Hr. J. Vs. 604
bis Öl7 also, wohl meist nach der Böckh'schen Ausgabe, geschrie-
ben giebt:
Tsav, Zfii;, dvvaöiv xig dvdQcov vjtsgßaßla xatdöxoh
rdv ovV vTivog cclqel tco^' 6 navroyiJQCog,
aKd^atoL &SCOV ov
^fjvag ' dytJQG) ös XQova dvvdovag
Karex^ig 'O^vfinov (xccgnaQoeööav a'iyXav.
z6 X Bneiza xal rd ^ekkov
9*
J^32 Griechische Litteratur,
ro^og od\ ovölv ^^qtccjv
^vazcjv ßLOTG) Ttd^noXig iKTog ccrag.^
Worte, welche, wenigstens nach dem Schliisse der Stroplic hin,
weder der handschriftlichen Uebcriicferiing entsprechen, noch
überhaupt von dem Hrn. Heraus^, selbst für unverdorben gehal-
ten werden. Wir haben die Worte, getreu der handschriftlichen
Uebcrlieferung, in der erwähnten Epistola c/itica p. 12 sqq. also
wiedergeben zu müssen geglaubt:
jffav, Zsu, övvaöiv zig dvÖQCJV
VTtBQßaöla xazdö^OL',
tciv ovd^ vjtvog (xtgsl Ttod'' 6 Tcavtoyi^QCjg
ovz ccKcc^atOL ^£c5v
fii]VBg^ dyrjQcp öh XQ^''^^ dvvdötag
Tiazix^Lg 'OXv^nov
^aQuagoaööav aYyXav'
z6 z sjtELZtt Kai z6 ftsAAcv
aal ro Jtglv BTtaQKeöst'
vöfiog üö ' ovdlv SQTieL
d^vazav ßiota ndiinoXig kxzog azug.
und glauben auch, weit entfernt übrigens von dem Wahne, be-
haupten zu wollen, dass jede Silbeso von Sophokles, wie die Hand-
schriften überliefert haben, geschrieben worden sei, dass die Stelle
so einen guten Sinn gebe. Betrachten wir nun das Einzelne, so
sehen wir, dassllr. J über die Worte bis zu xcczdöxoi mit uns über-
einstimmt, indem er sowohl den Dativ vjisgßaöla^ wofür Andere
VTtegßaOia lasen, als auch den Optativ xazäöxoi aufnahm, wofür
Einige mit geringer handschriftlicher Auctorität und offenbar ge-
gen den Sinn, wie llec. a. a. 0. p. iu sq. ausführlicher gezeigt hat,
xazä6x\] schreiben wollten. Er setzt sodann nach xaraöjijot ein
blosses Komma, wodurch er, wie der Sinn es verlangt, das Folgende
näher heranziehen will. Reo. setzt nach KazdöxoL das Frage-
zeichen, nicht aber in der Absicht, um das Folgende von dem Vor-
hergehenden abzutrennen — denn auch Rec. nimmt eine engere
Verbindung zwischen beiden Satzgliedern an — , sondern nur, um
das längere Anhängsel an jenes Frageglied sodann nicht unpassend
zu zerreissen, setzte er das Fragezeichen hier ein und lässt nun
als erläuternden Zusatz zu jener Frage die Worte folgen: zdv
oiJO"' VTivog algsl — aiykav. In diesen Worten glaubte aber Rec.
nach ^ijieg nur mit einem Komma interpungiren zu dürfen, da die
darauf folgenden Worte, wenn sie auch scheinbar aus der Relativ-
construction heraustreten, doch im Grunde nur als ein Theil des
Relativsatzes angesehen werden köntien, indem sie affirmativ das
geben, was der erste Theil nur negativ aussprach. Nach aiykav
aber dürfte, wenn wir die vorausgehenden Worte so fassen, wie
der Sinn der Stelle es erfordert, nicht voll interpungirt werden, da
nun mit den folgenden Worten die Antwort auf die mit den Worten
Jacob: Sophokles' Antigone. 133
Teccv^ Zsv^ dvvaöLV xlg dvdgcov vTtBQßaöca xatdöxoi', g:e\visser-
niaassen erst gegeben wird :
T6 X snELxa Tcal x6 fisklov
•naX x6 ngXv eTtccQKEöei^
die sodann aber von den folgenden Worten ro^og oö'oiJ6^i^ hxe. ab-
zutrennenwaren, und, wie schon der Glossograph im Cod. Livineii V.
gezeigt hat, wenn er zu tTtaQXSßti schrieb : rjyovv ÖLafjLBvsi 7} 6ij
övTa^ig^ ihr Subject aus dem vorausgegangenen dvvaöLi' zu ent-
lehnen haben. Fassen wir so die Worte auf, so gewinnen wir nun
ferner für den letzten Theii der Strophe eine, ihr sowohl in
äusserer grammatischer Hinsicht als auch nach ihrem Sinne noth-
wendige Selbstständigkeit. Denn wir können nun die handsclirift*
lieh allein beglaubigte und auch den Sinn der Stelle selbst allein
rettende Lesart beibehalten:
voiiog öd* ovdlv eqtch
^vavcDV ßioTG) TKx^TioXig gxTog axag.
Denn egnov^ wie der Hr. Herausg. schrieb, ist diplomatisch nicht
beglaubigt, wie Rec. a. a. 0. p. 15 gezeigt hat, und TtCiixnoXig^ so
wie alle einzelnen Wörter, werden von allen Handschriften, so wie
von den alten Erklärern einmüthig geschützt. Alle alten Erklärer
nehmen auch so, wie wir, diese letzten Worte für sich , und stim-
men in der Erklärung überein , indem sie in die Worte folgenden
Sinn legen: Dieses Gesetz, was dem Zeus gilt, ist
n i c h t a n z u w e n d e n a u f d i e M e n s c h e n , i n keinem S t a a-
te,sodasssie ohne Unheil blieben. So der Scholiast:
Nö^og od' ovdlv egmc: Ovöslg^ cprjötv, böxl vo^uog Iv Ttd-
Caig xcdg tzoXsölv^ cdötb cpBvyBLV xovg dvd^gcoTCovg x6 övfxßrjöo-
^Bvor. ^'H ovTCog' ovöiig bötl v6[iog, og övvaxaL xcov ijör] t£-
Ablcj&bvtcov TcaKcöv jzQOöäyBLV ßo^QEiav. ^'H ovxag' 6 8b vofiog
6 Ttdvxcov xcov di^QCüTtcJV KOLvög xovxo B%Bi^ ^rjdeva ^rjv olvbv
XvTirjg. — Und das Ganze zusammenfassend: "^0 Aoyog' 6v (jibv^
c3 Zsu, dyrJQcog xe xal övvdöXTjg Big dnavxa xov %q6vov bl' ?}
ÖB xc5v dv^QcoTicov nolixiia ovöbtcoxb xcoQ\g Ttaxcov sOtlv. Und
sehr richtig auch Triclinius: To vo^og od' ovölv BQTtBi ovxo
vosi. ^'08b 6 vöfiog, 6V snl xrjg dgx^g xov ^log B(paptBv^ ovÖbv
•aal ovda^cQg bqtibl hol (psgBxai nd^LTtoXig Kai nayKoö^Log
Toj ßlcp xcov ^VT^xav dxBQ zal xoglg dxrjg' xovxbötlv^ o jibqi
xc5v Q^BCQV B(pay.Bv i ovk böxi nBQi dvd'QcoTicjv bItcblv. ßAA' ol ^Iv
dna^Big aal dcpd'agxoi , ot dh dv^ganoL ^vTqxoX xal na^rjxiKoi.
Wir bemerken nur noch, dass Hr. J. gewiss ohne Grund an der Be-
zeichnung der Gegenwart, als XQ^^'^S BVBöxcSg^ durch rö btiblxu
gezweifelt hat; der sonstige Sprachgebrauch der Griechen, den
schon die von den Herausgebern beigebrachte Stelle aus Euripides
Iphig. Taur. 1263 xd xb ngäxa xd x hiBi%\ d x bixbIXb xvxbIv.
hinlänglich erweiset, hätte ihn von diesem Argwohne zurückhalten
sollen. Zur Vergegenwärtigung des Sinnes und Zusammenhanges
der ganzen Stelle geben wir nun noch die Uebersetzung der
134 Griechische Litteratur.
ganzen Stelle, wie wir sie in der Eyistola crilica a. a. 0. ver-
sucht: Tiiam^ Juppiter ^ potentiarn quis hominum insolentid suci
cocrceat ? quam iieque somnus capit unquam^ qiii omnia ad se-
iiium ducit^ neque deorum meiises non faiigati^ quaque non
seiiescente aevo rex tenes Olympi micaiitem splendorem : adprae-
seris [itistafis)^ ad futurum, ad praelerilum tempus valebit (po-
ientia tua). Haec lex non valet in hominum vita per cunctas
civitates sine calamitate.
Es würde uns zu weit fiihren, wollten wir den Herrn Verf.
noch weiter bei der. wir wiederholen es, in so vielen Stellen treff-
lich gelungenen , Erklärung des Sophokleischen Stückes begleiten
und hier und da unsere abweichenden Ansichten geltend machen.
Wir haben uns ohnediess von der Liebe zum Gegenstande selbst
weiter mit fortreissen lassen, als wir uns anfänglich vorgenommen,
und aus dem Grunde wollen wir. vor der Hand wenigstens, auch
unserem Vorsatze, in Bezug auf einige von dem Hrn. Herausgeber
als unächt bezeichnete Stellen der Antigone unsere entgegenge-
setzten Ansichten geltend zu machen, untreu werden, da der Ge-
genstand selbst und die Wichtigkeit der Sache eine tiefere Be-
gründung erfordert, und ein näheres Eingehen auf diese Streitfragen
uns wahrscheinlich dieGrenzen einer Recension überschreiten lassen
würde. Wir werden aber gewiss den Gegenstand bei nächster Ge-
legenheit wieder aufnehmen und unsere Ansichten ausführlicher
zu begründen suchen. Schliesslich bemerken wir noch, dass der
Herr Verf. allerdings, so wie wir oben andeuteten, die Person des
Wächters in einer Anmerkung zu V. 221 charakterisirt hat, dass
wir also das, was wir bei der allgemeinen Personencharakteristik
vermisst, dort ergänzt finden und in solcher Beziehung wenigstens
unseren Tadel zurücknehmen müssen. Die äussere Ausstattung
des Buches ist sehr gut, der Druck bis auf nicht seltene Accent-
fehler ziemlich correct, und also auch in dieser Hinsicht die
Ausgabe sehr empfehlenswerth.
Xeiiophons Anahasis. Erklärt von Dr. F. K. Hertlein. Leipzig,
Weidmann'sche Buchhandlung. 1849.
„Es kann sehr gewagt scheinen, mit einer neuen Schulausgabe
der Anabasis neben der anerkannt vortrefflichen Arbeit Krügers
hervorzutreten, und ich habe mir das Bedenkliche dieses Unter-
nehmens nicht verhehlt.^' Mit diesen Worten beginnt das Vorwort
des Herausgebers, und er glaubt sein Unternehmen erstens dadurch
gerechtfertigt, dass in einer Sammlung von Ausgaben der alten
Classiker für den Gebrauch der Schüler schon der Vollständigkeit
wegen Xenophons Anabasis nicht fehlen dürfe , ferner dadurch,
Heitlein: Xenophons Anabasis. 135
dass dieser Sammlung ein in mehrfacher Beziehung anderer Plan
zu Grunde liege als der Arbeit von Krüger, und endlich dadurch,
dass die Krüger'sche Ausgabe nur auf solchen Anstalten gebraucht
werden könne, an welchen die griechische Grammatik dieses Ge-
lehrten eingeführt sei. Die beiden letzten Gründe erkennt Ref.
vollkommen an. Bei aller Vortrefflichkeit der Krüger'schen Aus-
gabe, die sich eben so durch den reichen und gediegenen Inhalt
der Anmerkungen vor allen anderen Bearbeitungen der Anabasia
auszeichnet, wie sie durch die zweckmässige Methode in der Er-
klärung tonangebend geworden ist, wird docli der Nutzen ihres
Gebrauchs für Viele dadurch bedeutend geschmälert, dass die
sprachliche Erklärung zum grössten Theile in blosser Verweisung
auf die Krüger'sche Grammatik besteht, deren Einführung in die
Schule, namentlich in die mittleren Classen, durch ihre bekannte
Einrichtung und den oft nicht leicht verständlichen Ausdruck sehr
erschwert ist. Dann aber beruht auch seine Arbeit auf einer we-
sentlich anderen Voraussetzung und sie verfolgt theilweise ein an-
deres Ziel, als es bei der „Sammlung,*^*" von der H. 's Ausgabe einen
Theil bildet, der Fall ist. Worin diese Voraussetzung besteht und
welches dieses Ziel ist, wird sich weiter unten ergeben. Hier möge
im Voraus nur die Bemerkung Platz finden, dass Ref. die Ausgabe
von H. für nicht weniger berechtigt und in ihrer Art für nicht we-
niger mustergültig hält als die von Krüger. Den Nachweis dafür
glaubt er am besten zu liefern, wenn er die Beurtheilung der er-
steren aus einem Vergleich mit der letzteren, deren Werth bereits
feststeht, hervorgehen lässt.
Zuerst hat vorliegende Ausgabe vor der von Kr. eine recht
zweckmässige Einleitung voraus, die die Lebensverhältnisse Xeno-
phons bespricht, dann nach einer bündigen Schilderung seines Cha-
raliters seine Schriften aufzählt und mit einigen auch ins Ein-
zelne gehenden Zügen des Schriftstellers Sprache und Darstellung
schildert. Darauf werden die Hellenica und die Anabasis nach
Inhalt und Werth einer kurzen Beurtheilung unterworfen und zu-
letzt geschieht einiger Quellen Erwähnung, die bei Abfassung der
Anabasis benutzt sein können. Alles dies wird auf zwölf Seiten
gegeben, natürlich mit vorzugsweiser Benutzung der beiden Krü-
ger'schen Schriften de Xenophontis vita und de authentia et inte-
gritate Anabaseos Xenophonteae, doch in einer der Fassungskraft
des Schülers durchaus angemessenen Form und mit richtiger Be-
schränkung bei der Breite des Stoifes, Nach beendigter Leetüre
wird diese Einleitung sehr geeignet sein, den Verfasser der Ana-
basis nach seinen Erlebnissen, seinem sittlichen Werth und seiner
Bildung dem Leser in einem lebendigen Gesammtbilde noch ein-
mal vor die Seele zu führen.
Gehen wir zur Beschaffenheit des Textes über, so bemerkt
darüber H., er sei im Ganzen derselbe wie in der Stereotypausgabe
von L. Dindorf ; doch habe er sich hier und da Veränderungen er-
1^36 Griechische Litteratur.
laiibt, wie er sie für eine Schulausgabe, bei welcher es hauptsäch-
lich auf eiuen lesbaren Text ankomme, zweckmässig erachtete;
hoffcntlicli werde man ihm aber nicht vorwerfen, er sei darin zum
Nachtheile der handschriftlichen Beglaubigung zu weit gegangen.
Der Herausgeber ist vom Dindorf'schen Texte weit öfter abgewi-
chen , als es seine Aeusserung darüber verrouthen lässt. Er hat
dies aber mit solcher Umsicht gethan und mit so richtiger Wür-
digung des vorhandenen kritischen Apparats, dass in der Bildung
des Textes — wie es bei der gründlichen Kenntniss desXcnophon-
teischen Sprachgebrauchs und der besonnenen Kritik, wie er sie in
seinen Observationes criticae in Xenophontis Historiam Graecam
und anderswo documentirt hat, von ihm nicht anders zu erwarten
stand — durch ihn sogar ein nicht unerheblicher Fortschritt ge-
schehen ist. Die Wichtigkeit der Sache veranlasst uns daher um
so mehr zu näherer Besprechung des Textes , als die Behandlung
desselben auch für den Werth einer Schulausgabe von grosser Be-
deutung ist.
Die Ansichten der Kritiker über den Werth der Codices, wel-
che die Anabasis enthalten, stimmen im Ganzen darin überein, dass
sie den Vatic. 987 (H.) und den Paris. 1641 (F.) am liöchste»
stellen, rait dem sie die Pariss. 2535 (D.) und 1640 (E.) zu einer
Familie rechnen; ebenso darin, dass sie den Guelferb., die Pariss.
1950 (B.) und 1635 (C.) und die Vaticc. 1335 (A), 143 (K.), 96
(L.) und 990 (J.) eine zweite Familie bilden lassen, die von weit
geringerem Werthe ist als die erstere. Nur über den Etonensis,
die Varianten des Brodaeus, Stephanus und Yilloison und die we-
nigen Lesarten, die Gail aus einem cod. Y. giebt, lautet das Ur-
tlieil verschieden. Während Dindorf (in der grösseren Ausgabe)
den Eton. zwischen beiden Familien in die Mitte stellt und diesem
Platz entsprechend auch seinen Werth bestimmt, setzen ihn Bor-
nemann und Krüger den besten Handschriften gleich, ja Letzterer
sogar an ihre Spitze. Brod., Steph., Vill. und cod. Y. zählt Kr.
zur ersten Familie, Dind. zur zweiten. Hiernach hat sich nun bei
den verschiedenen Herausgebern der Text auch verschieden ge-
staltet, und zwar in der Weise, dass Dind. fast durchgehend die
Autorität von H. und F. über die aller übrigen Handschriften stellt,
Kr. aber daneben den letzteren, besonders denen, die er zur ersten
Familie rechnet, bedeutende Geltung einräumt, worin ihm Born.
und Poppo, obwohl sie in den meisten Fällen rait Dind. überein-
stimmen, vielfach vorangegangen, resp. gefolgt sind. Es handelt
sich hier, um eben so wohl Kr. als Dind. gerecht zu werden, um
zwei Fragen: erstens, ob die codd. H. F. (mit denen D. E. fast
durchaus übereinstimmen und von denen übrigens der letztere
sehr unvollständig verglichen ist) wirklich von solcher Güte sind,
dass ihre Lesart — ceteris paribus — der aller übrigen Hand-
schriften vorzuziehen ist; zweitens, ob sich nicht auch in den codd.
H. F. Lesarten finden, die man für willkürliche Aenderungen der
Hertlein: Xenophons Anabasis. • 137
Abschreiber halten raiiss. — Ref. weiss nicht, ob diese Fragen,
die in den erwähnten Ausgaben wenigstens unerörtert geblieben
sind, irgendwo schon genügend beantwortet wurden; er, für seinen
Tlieil, glaubt sie beide bejahen zu müssen. Was den ersten Punct
anlangt, so finden sich in sieben Capiteln unter sechzig Stellen, an
denen der Text bei Dind., Kr. und Hertlein differirt, 39, wo F.
H. für sich allein, oder nur mit cod. Eton., 45, an denen sie mit
noch andern codd, das geben, was sich aus kritischen Gründen
mehr empfiehlt, oder was wenigstens nicht schlechter ist als die
Lesart der übrigen Handschriften: ein Verhaltniss, das gewiss
sehr zu Gunsten der beiden codd. spricht. Das JNähere darüber
wird sich im Folgenden ergeben. Die andere Frage erledigt sich
schon bei einer Prüfung weniger Capitel :
III. 3, 15 ist die Vulgata: ötav öh avtovg ölcohco^bv^ noXv
fiav ov% otov T£ i&qLov dno xov özQaxsv^atog öicjueiv^ oklyov
08' ev&a ovo' d ra^vg dr] Jtf^og izat^ov av öicoxcov TcaraXdßoc Ik
TO^ov Qv^axog, eine Stelle, in der man an oXiyov öe Anstoss neh-
men kann , wenn man diese pleonastische Redeweise nicht kennt,
oder sie hier für ungehörig hält, und wo man gWa, das den Sinn:
SV oXlyG) hat, nicht recht verständlich finden kann. Beides ist
aber entschieden nicht gegen den Sprachgebrauch, und namentlich
ist jener Pleonasmus als auch den Prosaikern nicht fremd von Kr.
nachgewiesen. Die Lesart Ölcokcov^ bv 6Xiy(p dl ovd\ die sich
ausser in D. Eton. Steph. raarg. auch in H. F. findet, ist daher um
so gewisser als eine spätere Aenderung anzusehen, die durch ein
zur Erklärung von sv^cc an den Rand geschriebenes ev oXiycp ent-
standen ist, als man schwer begreift, wie aus ev oliyco — okiyov
entstehen, und noch schwerer, wie ein nicht ursprüngliches Bv^a
in den Text kommen konnte. Born, sucht dies dadurch wahr-
scheinlich zu machen, dass er ein nach der vorhergehenden Silbe
sehr mögliches Ausfallen der Präp. Iv annimmt, worauf dann 6X1-
yov nöthig geworden und nach dieser Aenderung das Einschieben
von Bv^a veranlasst worden sei. Diese Erklärung scheint aber
ganz unzulänglich, da es doch weit näher lag, das etwa ausgefallene
hv vor okiycp wiederherzustellen (zumal da es wegen der vorher-
gehenden Silbe augenblicklich als ausgefallen erkannt werden
musste), als eine so umständliche Aenderung vorzunehmen.
IV. 4, 1. Die Wortstelhing: 'Etih 8b ddßtjöav, d^Kpl ^böov
fj^egag övvxa^ä^BVOL STtoQBv^i^öav öid tilg 'JQfiBvlag Ttedlov ist
in H. F. dahin geändert, dass övvta^d^BvoL vor a^g?t steht, offen-
bar, well man die Zeitbestimmung neben dem verb. finit. haben
wollte, zu dem sie gehört. Durch die gewähltere Wortstellung
der Vulg. wird övvxa^. als dem Wesen nach mit i7toQBv&r]6av
eng zusammengehörend bezeichnet.
IV. 4, 11. xal xd vno^vyia övvBJiBÖrjöBv jJ xicjv. Das Wort
övvBnBÖfjöB bezeichnet die Sache ganz richtig; doch wird der
Ausdruck nocli gegenständlicher und bildlicher durch övvbtioöiöb,
138 Griechische LitteiaUir.
das cod. 11. bietet und durch Corr. cod. J. Darum ist es undenk-
bar, dass övvBTtoötöB^ wenn es dasUrsprünglicIie war, durch övv-
ensÖJjös verdrängt werden konnte. Dass aber ein Zufall das Letz-
tere entstellen Hess, ist ebenso unwahrsctieinlich als die Absicht-
lichkeit der \ crbcsserung in ersterera evident ist.
IV^. 4. 22. BTCH df BnvdovTO tavzcc — •, ooxei aurotg vcTtiS-
vai — ^fiTLS ejtl^BöLg yevoLTO rolg xarakeXsLUfiBvoig. Das Prä-
sens doxBi ist gerechtfertigt durch I. 1, 3 und die dort von Kr.
angefülirten Stellen. Doch lag es nahe, dafür bÖokbl zu schreiben,
und dies findet sich in II. F. D.
V. 1, 8. Hier lassen \l. F. in den Worten nal ßoT]^fj6ai rt-
öiv av xaiQog y — äv weg und haben xav für xal und bringen so
die Conjunction äv an die Stelle, wo man sie zunächst erwartet.
Wäre xäv wirklich von Xen. geschrieben, so wiirde man, naclidem
es in xcd verwandelt war, die Conj. äv willkiirlich gewiss nicht hin-
ter TiöLV gesetzt haben.
V. 1, 9 hat F. TjTTOv äv övvciLvro ijuag ^tjqccv ol nolBßioi
sfatt der vulg. Wortstellung ^rrov övvaivz äv tj. %. ol it. Wenn
die Stellung von äv hinter i]tzov die echte ist, so begreift man
nicht, wie die Part, in den anderen codd. hinter bvvaivzo kommen
konnte. Am einfachsten ist die Annahme, der Schreiber von cod.
F. oder ein früherer Abschreiber fand äv nicht vor, wie es auch
wirklich in 11. fehlt, und setzte es so, wie es die gewöhnliche Wort-
stellung mit sich bringt.
VlI. 5, 2 geben II. F. bkbXbvs statt bub^bvös^ weil im Folgen-
den das Imperf. vorkommt und der Stelle angemessener zu sein
scheint.
VII. 5, 5 lassen H. F. Y. in den Worten bl f^iij y akXog b8v-
va die Part, yl weg, die schwerlich in den Text eingeschwärzt
worden ht.
VII. 5, 11. 'Evtbv^bv 6 ZBv^rjg IkoidogBL tov 'HQaxlBidrjv^
vTL ov TcagaKaXal nal ^Bvoq)covTi. In IL F. findet sich itags-
TcäkBt.
Diese aus nur vier Capiteln entlehnten Beispiele werden zur
Genüge darthun, dass auch die besten codd. der Anabasis von
Spuren einer willkürlich bessernden Hand keineswegs frei sind.
Steht dies nun einerseits fest, so wie es doch andererseits auch
N\ieder ausgemacht ist, dass die codd. H. F. weit vorzüglicher sind
als alle übrigen, so ergeben sich als nothwendige Grundsätze für die
Behandlung des Textes folgende: Die codd. IL F. - so lange sich
nicht etwa erweisen lässt. dass sie die übrigen Handschriften an
Alter erheblich übertreffen — haben auf absolute Bevorzugung
nur da Anspruch, wo sich die beiderseitigen Lesarten in gleichem
Maasse empfehlen; in allen übrigen Fällen hat man sich für die
Lesart zu entscheiden, die am meisten das Gepräge der ürsprüng-
lichkeit trägt, mag sie sich in IL F. oder in A. B. Eton. Guelf. J.
K. L. Y. finden. Ist dies die Richtschnur, nach der man beiCou-
Hertlein: Xenophons Anabasis, 139
stituiriing des Textes za Terfahren hat _, dann kann man in vielen
Fällen Dind. nicht beistimmen, wo er den codd. H. F. den Vorzug;
giebt, obwohl die Lesart der anderen Handschriften-Familie sich
als die ursprünglichere darstellt; Kr. aber rauss man den Vorwurf
machen, dass er noch öfter den entgegengesetzten Fehler began-
gen hat, dass er nämlich dte Lesart der besten codd. verschmähte,
wo diese sich ebenso sehr, oder noch mehr als die der übrigen
mss. empfiehlt.
Koramen wir nun, nachdem wir über die Schätzung der Hand-
schriften das Nöthige vorausgeschickt haben, zu der Frage, wie
sich in dieser Beziehung H. bei Behandlung des Textes verhalten
hat, so sieht man zunächst nicht recht ein, warum er sagt, er habe
den Text von Dind.'s Stereotypausgabe zu Grunde gelegt. Denn
wenn dies auch von Hause aus geschehen ist, so hat er doch so
viel aus der kritischen Ausgabe dieses Gelehrten aufgenommen,
dass sein Text vielmehr mit letzterer übereinstimmt als mit erste-
rer. Auch hat er daran ganz recht gethan , da jene eine im Gan-
zen mit richtiger Consequenz durchgeführte Kritik voraus hat,
ohne dass sich diese etwa durch eine besonders bemerkbare Be-
rücksichtigung des Schulbedürfnisses dem Zwecke des Flerausge-
bers vor jener empfahl. Die Grundsätze, die wir als solche be-
zeichneten, die bei einer Revision des Textes die maassgebenden
sein mussten, finden wir bei ihm in noch riclitigerem Maasse ange-
wendet als bei seinen Vorgängern. Namentlich unterscheidet sich
sein Text in dieser Beziehung am meisten von dem Kr.'s, der sich
bei Abfassung der Schulausgabe nur sehr selten bewogen gefunden
hat, von dem abzugehen, was er in seiner grösseren Ausgabe fest-
gestellt hatte. Zum Belege des Gesagten möge hier eine Reihe
von Stellen folgen, an denen wir H., Kr. gegenüber, Recht
geben:
L 1, 1. H. schreibt eßovlsTo — TtuQUvai mit den codd. —
Kr. IßovXsTO OL — Ttagslvat nur mit Aristides (der aber an einer
andern Stelle auch eßovketo avra anführt) und Born.
I. 1,5. H. schreibt oörig d' dcpLKVsiTO mit H.F. D.E. Poppo,
Born. Dind. L II. (so bezeichnen wir Dind.'s Stereotyp- nnd seine
grössere Ausgabe) — Kr. mit Eton. A. B. J. K. dq)iKvoLto. Wel-
ches das Urspriinglichere sein mag, lässt sich nicht bestimmen;
daher müssen die guten codd. entscheiden. Das Gleiche gilt von
allen anderen Fällen der Art.
I. 1, (). H. cc(p8ör7j7i80av mit H. F. E. D. Y. Vill. Steph.
Poppo, Born. Dind. I. II. — Kr. dneöTrjöav mit den übrigen codd.
l. 1, 8. H. ot mit Dind. I. II., was der Gegensatz zu TiCöa-
(pSQvrjv verlangt — Kr. mit Poppo, Born. oL Gr. Gr. §. 51. 2,
Anm. 4 sagt er, nicht ot, sondern öo^i]vaL sei zu betonen; aus
dem einfachen Zusammenhange ergiebt sich das Gegentheil.
i. 1, 9. H. KUaQxog Aaxsdat;u6viog cpvydg yjv mit H, F. E.
140 Griechische Litteiütur.
Poppo, Born. Dintl. I. II. — Kr. setzt mit Vill Aid. und Aristid.
gjr, das in den i'ibrigen codd. ganz fehlt, hinter KkeuQXog.
Ebend. H. vnfQ 'EKh']6noviov olkovöl mit den codd. und
edd. — Kr. VTIBQ "^EkkrjöTtövxov.
II. 1, 4. H. täv yaQ ßo^x]] riynovrav xal xo äg^iLV lözi mit
II. Eton. J. K. Dind. I. II. (F. A. B. Guelf. Born, ^dx^jv vlkcjvzov^
was eben daliin fiilirt) — Kr. mit Y. Vill. Poppo (der tr^v ein-
klammert) zrjif fji(xxr]v vlk. Der Artii^ei hat gar nichts für sich;
denn er ist diplomatisch nicht hinreichend beglaubigt und ent-
spricht auch nicht dem Zusammenhange , der einen allgemeinen
Gedanken verlangt. Dass ^ccx^v ohne Artikel nicht statthaben
könne, ist von Kr. zwar wohl nicht mit Recht behauptet, da man
zwar nicht fiäxtp' jUß'^föitat oder vixrjv vixäv^ wohl aber ^dxrjv
VLTCoiv ohne nähere Bestimmung des Accus, sagen kann, weil die-
ser Accus, schon an sich die in vlxccv liegende Tliätigkeit indi-
vidualisirt; da uns aber zur Bestätigung, dass diese ratio im
Sprachgebrauch zur Anwendung gekommen ist , kein zweites
Beispiel zu Gebote steht und die guten und schlechteren Hand-
schriften in gleicher Hälfte zwischen ficcxv nnd (xccx^jv getheilt
sind, so scheint es am meisten gerechtfertigt, sich für ^ccx]] zu
erklären.
II. 1, 10. H. schreibt ^av^d^co Ttotega (og ugatcov ßccöilfvg
altsl zd OTika rj oSg Ötd cpiXiav dcjga mit H. D. Guelf. J. K. L.
Ji;nt. Poppo, Born. Dind. I. II. — Kr. hat xcu vor öcDga. das schon
Zeune entfernte, aus den übrigen codd, wieder aufgenommen, ob-
wohl der Ausdruck aizEL zd OTtka — ötd cpikiav xat i^ötd) doSo«,
wie Kr. die Worte versteht, unerträglich ist. üebrigens scheint
es ausser Zweifel, dass öcö^a nur ein Glossem zu cog 6id q)L-
liav ist.
II. 1, 12. H. mit 11. F. D. Eton. Y. Vill. Poppo, Dind. I. 11.
GeoTtounog — Kr. Sbvoq)djv. Jenes ist gewiss das Richtige, da
die Stelle III. 1,4, wo Xen. als ein bis dahin Unbekannter zuerst
liandelnd und redend eingeführt wird, ein so bedeutendes Hervor-
treten und eine F>wähnung desselben an dieser Stelle als unmög-
lich erscheinen lässt, und da es überdiess noch Memand erklärlich
gemacht hat, wie §14 eine Berufung auf den Bericht Anderer
enthalten kann, wenn Xen. bei der Verhandlung mit Phalinus zu-
gegen und selbst Redner war.
II. 1, 14. IL £i T8 äkko ZI %hkoi mit F. (n.Qiku) D. Eton.
Vill. und den edd. — Kr. ßovki.zaL mit den übrigen codd.
III. 8, 2. H. kb^azB ovv ngog /i£ zi tv vo} tx^ze aq cplkov
mit F. H. D. Eton. Dind. I. II — Kr. lässt mit der vulg. 1<^yi hin-
ter ovv und jrooc hinter cjg stehen.
IV. 4, 13. H. jroAi) ydg ivzcLv%a £vqiökszo xoiö^ia^ cp
lXQc5vzo d.vz Ikaiov^ övtiov xal örjöd^Lvov mit F. H. I). Eton.
Poppo, Born. Dind. I. II. — Kr. ivgiöKov z6 ygiöiia. Durch den
beigefügten Relativsatz wird der Art, z6 unhaltbar. Denn das
Hertleln: Xenophons Anabasis. 141
XQLö^ci, das hier ausdrücklich als von dem gevvohnh'ch gebrauchten
fAatov verschieden bezeichnet wird, lässt sich nicht als ein be-
kanntes voraussetzen.
V. 1, 4. H. v^tlg de BLTtsg tiXhv ßovXsods, n^gifievsts söt
av lycb ll^o mit F. H Eton, Poppo, Born. Dind. I. II. Kr.
BTCBLTiEQ mit den übrigen codd. und edd. Das Vorhergehende
macht es wahrscheinlicher, dass ein Abschreiber indnEQ in il'jifo,
als dass er dieses in jenes veränderte.
V. 1, 14. H. 68onoLHv mit F. H. Eton. Poppo, Born. Dind.
J. II. — Kr. Ttoieiv rag odovs mit den anderen codd.
V. 1, 15. II. dfjiElrjöag tov ^vkUyeiv nlola mit F. H.
Poppo, Born. Dind. I. II. — Kr. ^vXXaßslv^ das wohl nur eine
Erklärung von ^vX^Byaiv ist, die mit Bezugnahme auf narayoiev
in §. 11 gebildet wurde. Wenigstens ist der Fall zweifelhaft, da-
her an H. F. festzuhalten.
VI. 2, 5. H. «AAog de üjce fii^ bXccttov -^ ^vgiovg (nämlich
av^Lxr]vixovg) mit H. F. D. Eton. (der Letzte lässt freilich die
ganze Stelle weg) und Dind. I. II. — Kr. behält vor ^tj die Worte
^rjvog fiLödöv bei, die bei Poppo und Born, eingeklammert sind.
Die Worte sind, wie schon ihre Stellung andeutet, ohne Zweiftl
eine Interpolation, die ihren Ursprung den Worten des Timasion
V. 6, 23 verdankt.
VI. 2, 8. IL ßovXevösöd'aL f.cpaöav mit Poppo, Born. Dind.
I. II. — Kr. ßovXsvBö&ai mit F. H. Hier gerade, wo sich der
inf. praes. wohl nicht rechtfertigen lässt, hält sich Letzterer an F.
H., deren gute Lesarten er sonst so oft verschmäht. Alle übrigen
codd. haben ßovXevöaO^ai^ was offenbar aus ßovXtvOBG^ai cor-
rumpirt ist.
VI. 2, 10. H. schreibt mit F. Poppo, Born. Dind. I. II.
VJiBQ TJfjiiöv TOV oXov öTQaxBv^atog — Kr. mit den übrigen codd.
ausser H., der das Wort ganz weglässt, aXkov. Wenn ^övog rcjv
aXXcov gesagt wird, worauf sich Kr. beruft, so erklärt sich dies
doch leichter aus der Natur von ^ovog. üebrigens hält Ref. auch
oAot» mit Born, für interpolirt.
VII. 5, 3. IL lässt rdda weg vor bItib mit H. F. Dind. I. U,;
ebenso II. 1, 16 ovzol hinter ndvzBg und II. 1, 18 cüda hinter blub,
• — Kr. behält diese Worte mit den übrigen codd. bei.
Fast eben so viel Fälle sind uns vorgekommen, wo der Her-
ausgeber nicht blos von Kr., sondern auch von Dind 's Stereotyp-
ausgabe, mitunter von dessen beiden Ausgaben mit Recht abgewi-
chen ist:
I. 1, 6. H. mit fast allen codd. mit Poppo, Born. Dind. II,
ccTcaQaQyiBvoxaxov — Kr. mit Eton. Gaelf. u. Dind. I. dnaga-
öKBvaöTCTaxov. Es finden sich bei Xen. beide Formen; Eton. u.
Guelf. können also nicht den Ausschlag geben.
II. 1, 4. H. xavxa daovöavxBg ot öXQaxrjyol xr^l ot äXXoi
'''EXX'qvBg jtvv&avouBvoc ßagBcog BcpBQOv mit F. H. D. Eton. Y.
142 Griechische Litteratur.
Stcpli. Vill. Diiid. II. — Kr. lässt wie Born. nw^avc^BVOL weg
mit den übrigen codd. Das Partie, kann interpolirt sein; es ist
aber aiicli möglicli, dass es in den minder guten codd. als überüiis'
sig weggelassen wurde.
II. 1, 6. II. OL iilv (pxovto.) 6 öl KkEaQxos e^evs. — Mit
Eton. hat nur Dind. I. f.fi£Li>s.
IL 1, 13. H. mit F. H. Dind. II. ol'et — nsQLyBvtö&ai av. —
Kr. mit Poppo, Born. Dind. I. u. den übrigen codd. ol'ft av — nt-
Qiyivtö'dai. Die gewöhnlichere Stellung hat die Part, äv wahr-
scheinlich erst in Folge einer hinter der Silbe öO^wt leicht mögli-
chen Auslassung derselben eingenommen.
III. 8, 12. II. mit F. H. D. Eton. Poppe, Dind. II. avtinoL-
slv ÖE ov dvva^iEvovS' — Kr. mit den übrigen codd. Born. Dind. I.
Ö£ OVÖEV.
IV. 4, 3. II. xaXog ^£v, (jiEyag ö' ov mit den codd. ii. edd.
bis auf Hutchinson, der auf Murets Vorschlag aus Demetr. Phaler.
^syag ^Iv ov., KaXog öi aufnahm, was dann in die folg. edd., aus-
ser Poppo und Born., übergegangen ist.
IV. 4, 17. H. hat in den Worten EgoTäpiEvog öl x6 noda-
jiog eXy] den Art. x6 fest gehalten, während ihn Poppo u. Kr. ein
klammern, Born. Dind. I. 11. mit Suidas, H. Eton. weglassen. Dass
To gegen den Sprachgebrauch sei, lässt sich ebenso wenig behaup-
ten, als in solchen Dingen auf das Zeugniss des Suidas sowie an-
derswo auf das des Aristides oder Demetr. Phaler. (I. 1, 1. I. 1,9.
IV. 4, 3) etwas zu geben ist. Uebrigens begreift man viel leich-
ter, wie rd aus dem Texte, als wie es, wenn es ursprünglich nicht
darin war, liineinkommen konnte.
IV. 4, 14. H. dia6xr]vr]TEov ilvai Elg tag Ttcofiag^ slg (jxhyag *
mit Guelf. (a rec. manu), Suid. Dind. II. — Kr. ilvai xazd rag
xcjfiag elg 6z. mit Hutchins. Poppo, Born. Dind. I. nach den
ähnlichen Stellen §. 8 u. Cap. 5, 23. Diese Stellen können hier
nichts entscheiden , während flg xag xco^ag wenigstens Etwas für
sich hat. Da aber alle codd. (ausser der spät. Hand in Guelf.)
eine Präposition vor Kco^ag gar nicht haben, so ist wohl mit Sicher-
heit anzunehmen, dass xäg näfiag nichts weiter als ein Glossem
zu xag öTEyag ist , welches nach den angeführten Stellen gebildet
wurde.
IV. 4, 21. H. xal Lnnoi i^laCav Elg eIlkoöl mit F. H. Eton.
A. B. J. K. Poppo, Born, Dind. II. — Kr. ag E'Uoöiy als ob elg
nicht ebenso diplomatisch als sprachlich (s. III. 4, 5) sicher
stände.
V. 1, 6. H. ovxE yccQ dyogd eöxlv ixavjj ovxe oxov vjvi]-
öo^E^a EVTtogia mit II. F. D. Eton. Steph, Poppo, Dind, II. —
Kr. nÜQEöxt für EVTCogla, ein offenbares Glossem.
V. I, 17. H. Ekäiißcivov mit F. H. D. Eton. Poppo, Dind. II.
— Kr. mit Born. Dind. I. IvEzvyiavov.
VI. 2, 16. IL lässt in den Worten dfi<pl zEttaQdaovxa In-
HertJein: Xenophons Aiiabasis. 143
jcsag <len Artikel vor dem Zahlwort weg mit F. H. Eton. Dind. II. ;
Kr. behält ihn mit Poppe u. Born. Der bei so ungefälirer Angabe
vor dem Zahlwort so gewöhnliche Artikel kann eben so gut inter-
polirt als ausgefallen sein.
VII. 5, 13, H. f'Af^ov, tiqIv OQiöaodat^ agTCa^ovrag noX-
Xovg vTi dXX^kcov dTCodvr'jöxtiv mit F. H. D. E. Poppo, Dind, II.
— Kr. tXeyovTO — dgTtd^ovTEg nokXol mit Born. Dind. 1. Doch
mag Born. Recht haben, der hXiyeTO agna^ovrag nolkovg ver-
rauthet, wie auch Steph. marg. hkiyovto — ägTtd^ovxag no^kovg
bietet und in Eton. sich hinter oQiöaö^at — tö findet, das wohl
zu sAfyov gehören sollte.
Doch hat H. auch oft den Text der Dindorfschen Stereolyp-
ausgabe geändert, indem er mit Kr. übereinstimmt:
II. 1, 6. H. OL ^ev (ßxovto^ KUaQxog 61 TtSQiafxire mit den
codd. u. edd. — Dind. I. nur mit Eton. nsQLE^eLvs.
III. 3, 18. H. 7]v ovv avTcSv eTtiöKsi^co^e^cc tivsg nknavtüL
öcpBvdovag^ xal xovxco ^Iv öco^sv avxcöv dQyvQLov, reo Öl
dXlag TilhTiiLV i\fhXovTL alko ccQyvQLov zekdo^Bv mit F. II. D.
Eton. Dind. II. — Dind. I. tovrav ra ^Iv avtcov dgyvgiov^ tcj
Öl — . Der Zusammenhang verlangt' TOfro) ^Iv ^ da Xen. offen-
bar die Schleudern von jedem, der welche hat, nicht blos von ei-
nigen, zu kaufen rathet; auch konnte gar zu leicht das folgende
TcJ de ein tcj }ilv hervorrufen,
IV. 4, 14. H. giebt yeaav. — Nur Dind. I. sehr, dafür mit
Eton. e&Bov^ indem er wahrscheinlich ijsöav aus dem folgenden
aTcyiöccv entstanden glaubte.
V. 1, 3. H. ektys mit den codd. u. edd. — Dind. I. kiyst.
VII. 5, 5. H. ei ^j} dkkcog lövra^ tcoa aTtodo^evog xd eav~
Tov i^dxta mit F. (A. B.?) J. K. L. Guelf. edd. vett, Steph. Poppo,
Born. Kr. — Dind. I. II, öavxov für savxov,
VII. 5 , 8. H. X8LX7J TcagaÖLÖävaL dvögl dvvafjiLV exovxt mit
den codd. u. edd, — Dind, I. mit cod. H. to xeixog, ohne Zweifel
ein aus dem Vorhergehenden entnommenes Glossem zu xalxt].
VII. 5, 14. II. ßißkoL ysyga^^svai mit F. II. D. E. Brod.
Dind. II. Kr. — Dind. I. lässt ysygcc^ifxevac weg, das Poppo und
Born, einklammern. Die Sache hat nichts Unwahrscheinliches,
wesshalb man den bessern Handschriften folgen muss.
Sind wir an allen den bis hierher besprochenen Steilen mit
der Kritik des Herausgebers einverstanden, indem er nach unserer
Ansicht den Werth der Codices und der Lesarten richtiger erwog
als Kr, oder als die Ausgabe, deren Text er der seinigen zu Grunde
legte, so ist uns doch auch eine ziemliche Zahl von Stellen vorge-
kommen , wo man sich wundern muss, dass er sich nicht Kr. ange-
schlossen, oder dass er die Lesart von Dind. I. aufgegeben hat. In
den meisten dieser Fälle hat er es mit der kritischen Ausgabe von
Dind. gehalten, wo Letzterer gerade in der Stereotypausgabe eine
besonnenere, auf einer richtigeren Würdigung der verschiedenen
144 Griechische Litteratur.
codd. beruhende Kritik geübt hat als in der grösseren Ausgabe,
An nicht wenig Steilen scheint uns nämlich II, den Wcrtli der gu-
ten Codices zu hoch angeschlagen zu haben. Dies ist der Fall:
I. 1, 5. II. TidvTag ovtcj öiatid'Blg dmniyiniTO cjöts avza
(xälkoi' cpUovg üvai rj ßaöLXslimt 1). H. {deravzov giebt),Poppo,
Dind. II. — Kr. mit den übrigen codd. Aristid. Born. Dind. I, eav-
Tc5. In paläographischer Beziehung ist die eine Lesart so wahr-
scheinlich als die andere. Von den vier besten codd. sind zwei
für auTCj, zwei für Eavta und für letzteres alle übrigen. Also
wird dieses den Vorzug verdienen, zumal da ein Anstoss an Eavta
eher möglich war als an avtcß.
II. 1, 4. H. ort Tj^tlg vlucj^sv xb ßa(jiXea , ;««/, Cüg ogäze
ovds'ig BtL rjalv ^äxszaL mit F. II. Btoo. Vill. Dind. II. — Kr. mit
Born. Dind. I. rjuelg ys VLKa{.iBv ßaö. Poppo i^^ug {ys) vlkcj^ev
re ßaö. ye konnte wohl leichter weggelassen als eingeschoben
werden. — Auch II. 1, 14 ist kein Grund, ys mit H. F. u. Dind,
U, zu entfernen; Kr. hat es auch dort beibehalten.
III. 3, 15. H. ev oXiya ös mit II. F. D. Eton. Poppo, Born.
Dind. II. — Kr. mit Dind. I. oUyov öe ' hda. S, oben.
III. 3, 17. H. OL öa 'PoÖLOL mit H. F. — Kr. mit Poppo, Born.
Dind. LH. OL dsye'P.
IV. 4, 1. H. setzt övvza^d^evoi vor dfjLCpl ^eöov rj^kgag
mit F. IL Poppo, Born. Kr. Dind. IL — Dind. I. setzt Cvvz. hinter
r^HBQccg. S. oben.
IV. 4, 11. IL 6vv£7c6di6ev mit H. (in J. corr.) Poppo (der es
w enigstens vorzieht), Born. Dind. IL — Kr. Dind. I. CwsTiBÖrjöev.
S. oben.
IV. 4, 22. IL sTtel dl btiv&ovzo — söokel mit H. F. D.
Poppo, Born. Dind. I. II. Kr. ed. mai. — Kr. öokbI. S. oben.
V. 1, 8. H. KCiv ßor]^fj6aL ziöl Kccigog y mit H. (F. hat xat
und lässt dv weg) u. Dind. IL — Kr. mit den übrigen codd. Poppo,
Born. Dind. I. Kai ßorj^fjöal zlöl dv naigog rj. S. oben.
V. 1, 9. H. Bav ovv xazd (xegog fXBQiöd^avzBg cpvXdtzco^Bv
aal özoTtcöfiBv mit den codd. u. edd. — Kr. lässt ^BQi0xtBVZ£g weg,
das Poppo einklammert. Darauf, dass L. xazd^Bgog ^isgog giebt
und Eton. — lisgiö^ä^Bv^ ist allerdings wenig zu geben; Tcazd
^Bgog ^tgl^BLv kann aber ebenso wenig gesagt werden als im
Deutschen : theilweise oder nach Theilen eintheilen. Das Partie.
^Bgiö^EvzBg verräth sich deutlich als Glossem von Tiazd ^sgog.
PJbendas. H, i^zzov dv dvvaivzo mit F. (H._ lässt «V weg)
und Dind. IL — Kr. mit den übrigen codd. u. edd. ijzzov övvaivz
dv. S. oben.
VII. 5,2. H. mit H. F. Born. Dind. L IL MXeve. — Kr. mit
den übrigen codd. u. edd. ekbIevöe. S, oben.
VII. 5, 5. H. eI liiq dkkcog Idvvco mit F. H. Y. Kr. Dind. IL
— Dind. I. Born. bI ^i] y «AA. S. oben.
VII. 5, 11. IL kKoiöogEL x6v'tIgaK\Ei8riv, ou ov nctgEmlEi
Hertlein: Xenophons Anabasis. 145
xßt iHjbv. mit H. F. Born. Diiid. I. 11. — Kr. wie Poppo mit den
übrigen codd. nagccxalel.
Zu wenig Werth auf die Autorität der guten Handschriften
scheint uns H. an folgenden Steilen gelegt zu haben:
II. 1, 3. H. schreibt o^ev trj ngovegalcc coQ^r^vto mit Kr. —
Die codd. und edd. (auch Kr. ed. mai.) cjq^cdvto. Das Imperf.
rechtfertigt sich hier ebenso gut wie 1. 1, 6. 8. II. 1, 6. Dass in
der ähnlichen Stelle I. 10, 1 Sq^yjvto sieht, kann hier nichts
ändern.
III. 3, 3. H. rjv ^8v tig m mit Poppo und den meisten codd.
— Kr. d fjiev mit H. F. D. Born. Dind. I. II. Es ist klar, dass
das folgende rjv da rtg — ccTioxoXvy die Aenderung des d hervor-
gerufen hat.
IV. 4, 16. H. otdv7i£Q al ^A^atpvzg mit den meisten codd.
u. Dind. II. — Kr. mit F. H. (in denen «t fehlt), Eton. Born.
Dind. I. haben kui vor ai. — 7ia\ konnte ebenso leicht ausfallen
wie at.
V. 1, 16. H. sehr, "jcal tä dydyL^bc^ iX ti rjyov^ stetig ovfievot
q)vXaHag %a%iQza6aVy önaq 6c5a eXr] , rotg ds nkotoig Bxgrj(3Ccvto
alg Ttagaycjytjv mit Born. Dind. I. II. — Kr. mit F. H. D. Eton.
Poppo %g^<5aivT0. Es lässt sich allerdings ebenso gut behaupten,
Bxgi]OavTO sei der scheinbaren Concinnität wegen, da eYr] vorher-
geht, hl den Optat. verändert worden, als dass igriöaiVTO dem In-
dic. gewichen sei, damit das zweite Glied des Satzes dem ersten
xä ^8v dycjyi^a — na^iötaöav entspräche ; doch müssen in sol-
chem Falle die guten codd. den Ausschlag geben.
VI. 2, 6. H. döl ö' dl mit den codd. ausser H. F. — Kr. mit
H.F. (dieser hat g'rt), Poppo, Born. Dind. I. II. gört d' ot. FürXen.
steht t<3xn> ot fest durch Cyrop. II. 3, 18.
VII. 5, 9. H. mit Poppo, Dind. I. II. v7ti6%vuzo. — Kr. und
Boni. mit H. F. v7iL6%vHtaL^ das, weil Imperfecta vorausgehen und
folgen, geändert wurde.
An allen diesen Stellen, an denen Ref. die Kritik des Heraus-
gebers nicht billigen kann, glaubt er kaum, dass die Rücksicht auf
das Bedürfniss der Schule leitend gewesen ist. Denn diese hätte
ihn viel eher veranlassen können, II. 1, 10 daga^ IV. 4, 14 tig r«s
jewftag, V. 1, 9 yLigtö^evxhg wegzulassen, als IV. 4, 22 das Prä-
sens öoKHzvx verwerfen, oder einen Anstoss des Schülers an einem
so leichten Anakolulh wie V. 1, 16 zu befürchten. Vielmehr ist
wohl anzunehmen , dass er es nur versäumt hat , das richtig er-
kannte Princip überall mit Consequenz durchzuführen. Gleich-
wohl kann er das oben schon bezeichnete Verdienst in Anspruch
nehmen, der Wissenschaft und der Schule einen Text der Anaba-
sis geliefert zu haben, der auf richtigeren und sicheren Grund-
sätzen ruht, als es in den früheren Ausgaben der Fall war. Vor
der Krüger'schen müssen wir der Ausgabe H.'s in dieser Beziehung
entschieden den Vorzug geben. Unter den 60 besprochenen Stel-
iV. Jahrb. f. Phil. u. Päd. od. Krit. Bibl. Dd, LVIII. Hft. 2. 10
146 Griechische Litteratur.
len, zu deren näherer Betrachtung Ref. bei Durchlesung je eines
Capitels aus jedem Buche durch die DilTerenz des Textes beiDind.,
Kr. und II. veranlasst wurde, waren es nur 22, an denen er mit
Kr., aber 41, an denen er mit II. Vibereinstimmen konnte. Dies
wird hinreichen, um das oben über den Text der vorliegenden
Ausgabe ausgesprochene Urtheil zu begründen.
Wir kommen nun zur Erklärung. H. verfolgt dasselbe Ziel
als Kr., nämlich den Schüler zu einer richtigen und guten üeber-
setzung ins Deutsche anzuleiten, indem er alles Andere, was die-
sem Zwecke nicht dient, entfernt hält. Zu einer guten üeber-
setzuug gehört aber: Verständniss der grammatischen Beziehun-
gen, Kenntniss der Sachverhältnisse, Erfassen des Zusammen-
hanges im Einzelnen und im Ganzen und ein dem griechischen
entsprechender und zugleich gewählter Ausdruck, Diese vier
Punkte geben FI. wie Kr. den Maassstab, nach welchem er das
Bedi'irfniss zu einer Anmerkung ermisst. Auch befleissigt er sich
der Kürze ebenso wie sein Vorgänger, dem er auch darin folgt,
dass er oft eine treffende Uebersetzung giebt, die zugleich eine
grammatische Erklärung involvirt. — Ist dies nun das Gemeinsame
in der Einrichtung der beiden Ausgaben, was uns bei der Verglei-
chung derselben sogleich entgegentritt, so unterscheiden sie sich
doch auch wiederum in vier w esentlichen Punkten, Erstens giebt
n. weit weniger sprachliche Bemerkungen als Kr. , zweitens citirt
jener gar keine Grammatik, während dieser fortlaufend auf seine
Grammatik verweist, drittens berücksichtigt H. mehr das Sachli-
che als Kr., viertens versieht Ersterer sämmtliche sieben Bücher
ziemlich gleichmässig mit Anmerkungen, während bei Letzterem
die zweite Hälfte des Buchs deren weit weniger enthält als
die erste.
1. H. macht I. 1, 1 nur auf den bei teXbvti^v fehlenden Ar-
tikel aufmerksam; Kr. ausserdem auf das histor. praes. yiyvovzaL^
auf den vor a'juqporfpcö nöthigen Artikel, den damit nothwcndig
verbundenen Dual nalö^ und auf den Dativ oi neben Ttagsivat.
§ 2 berührt H. nur avzov ^ das den üebergang aus einem relativen
in einen selbstständigen Satz bildet, den Artikel tcov yor'EKkrjvav
und die Wiederholung ava^alvei — dveßr]', Kr. ausser diesen
Punkten noch den Gebrauch von xvyiävHv in nciQCOV IzvyiavB^
die Bedeutung des Medii in ^staTte^Tisö^aL^ die aorr. eTiolrjös
ccTtiÖBL^E (gemacht, eingesetzt hatte), xal — Ö£, und auch, dg cpi-
Xov, den er für einen Freund hielt. Zu §. 3 hat H. gar keine
Anraerk., Kr. zu: Tcateötr] elg rijv ßaöilelav .^ zur königlichen
Würde gelangt war, ngog gegen ^ vor; die Bedeut. von cjg und
über den Optat. in dg eTCLßovXevot; dg mit d. part. fut. (dTtoycTS-
vcDv); über die Bedeut. des Med. und das nur einmal gesetzte av-
töv. §. 4. H. Ini xcp in der Gewalt des; vn^Q^s begünstigte;
Kr. ausser diesen Bem. giebt noch: dg ^ als, ut; oTtcag eigentlich
relativ: wie; zu ^tJtcots über ^irj in finalen Sätzen auch beim Indi-
Hertleln : Xenophons Anabasis. 147
cativ. §. 5. H. beschränkt sich auf: rcov naga ßa6d£cjgi Attrac-
tion st. Tcjv Ttagd ßaöLlBi nagd ßaöikEcog und ßccöLlevg ohne Ar-
tikel; ndvtag bezieht sich auf oörtg, weil dies CoUectiv ist; rav
ßagßdgcov eTCE^eXslvG = enE^sXBiro 6g ot ßdgßagoi , eine be-
sonders bei ffft^fjlatö^at gewöhnliche Änticipation (A-ttraction) ;
tXriöav Bi. bUv, Kr. fijgt hinzu: dcpr/ivolto^ iterativer Optativ;
öiaiLdelg stimmend; aTiSTiE^TtSTo entliess von sich; ^dXXov (pilog
st. des Comparativ; üvai^ Infin. nach Sörs; tav nag eccvtcp der
unter ihm Stehenden; über die Form evvoiKcag; 1%olbv mit dem
Adverb. — II. 1, 1. Bei H. und Kr. hX%6vxEg zurückgekehrt; Kr.
ausserdem: zd ndvxa (bei vLxdv) ist wohl Subjects-Accus.: das
ganze Heer, auch die Asiaten desKyros. Andere erklären: auf alle»
Punkten. §. 2. H. nur: öv^^l^siccv ist intransitiv; Kr. sagt darü-
ber: der Opt. als Gedanke der Strategen. Activ in der Bedeut.
des Medii; ausserdem über aaa rfj rj^ega und über das part. fut.
in dlkov nspinoi 6r]^avovvxtt. §.3. H. über ijAi'oj ohne Art., über
Indic. und Opt. neben einander t£^i'?^xe — al'i;, über das pleona-
stische (pairi nach Asyoi; Kr., der über tidr^^xs — hy} nichts sagt,
bemerkt noch: og^rj Aufbruch, Abmarsch, über oVrwv sc. av-
rc5v; aViö;^?fci' aufgehen , dgiov Fürst; ysyovcog entstammt; tov
des Bekannten; ö&8V wie evha bezieht sich auf ein vorausgehen-
des Substantiv; trj ngoxigaia^ zu ergänzen i^fisga; über den Ac-
cus. Tfjv Tjuegav Ttegi^evsLv; über ijti in enl 'IcDilag. §. 4. Hier
findet sich bei H. gar keine Anm.; bei Kr. zu nw^dvo^ai^ das
Präs. in der Bedeut. des Präter. ; äcptXs ^rjv^ utinam viveret ; ijX-
^iX8, gekommen wäret; S7iayysk?y6^i^a, die Bedeut. des Medii;
edv — ek^T] gekommen sein wird ; xrjv ^dx^jv vlkcovxojv^ über den
Accus, (wo H. fidxr] schreibt). §. 5. H. bemerkt nur, dass dico-
6x8?,k£öQ-ai zu eßovXBxo zu ergänzen ; Kr. ausserdem zu accl ya^,
etenim, nam etiam §. 8.
Man sieht, dass die beiden Herausgeber im Maasse der sprach-
lichen Erklärung bedeutend auseinandergehen, so dass man zu-
nächst glauben könnte , sie hätten für Leser auf ganz verschiede-
ner Unterrichtsstufe gearbeitet, Kr. für den Anfänger der nur die
ersten Elemente der griechischen Syntax kennt und ausserdem
durch die bereits erworbene Kenntniss des Lateinischen unter-
stützt wird, H, für den Vorgerückteren, der nur auf von dem Ge-
wöhnlichen Abweichendes oder auf das, worüber er vielleicht ohne
grammatisches Bewusstsein hinweg liest, aufmerksam zu machen
ist. Da aber beide Ausgaben für die Schule bestimmt sind , und in
der Classc, wo die Anabasis gelesen wird, die Kenntniss des Grie-
chischen wohl überall gleich ist, und da sich auch, bei näherer
Ansicht, bei H. Dinge, die nur geringe Kenntniss der Sprache und
noch wenig gebildetes Urtheil voraussetzen , ebenso oft erwähnt
finden, als bei Kr. Entlegeneres und über den Gesichtskreis der
mittleren Classe Hinausgehendes, so muss wohl der Grund zu
der Verschiedenheit der beiden Ausgaben in etwas Anderem zu
1(V*
148 Griechische T^itteratur.
suchen sein. Offenbar macht der eine nerausg:ebcr andere Än-
spriiche an die Präparation des Schillers als der andere. Kr. will,
dass er die richtige Uebersctznng aus einem ganz genauen ins
Einzchiste gebenden grammatischen Verständniss gewinne und dass
er auch mit dem bereits vertraut in die Ciasse komme, worüber er
leicht hin wegliest, indem er sich mit dem Erfassen des Sinnes im
Allgemeinen begnVigt. So ist die Kriiger'sche Anabasis ein Buch,
das geeigneter ist als irgend ein anderes, den Schüler durch die
Leetüre in der griechischen Syntax heimisch und fest werden zu
lassen, und es ist ausser Zweifel, dass derjenige, der die Energie
besitzt, dieses Buch, oder auch nur die Hälfte davon, mit gewissen-
liafter Benutzung der Anmerkungen durchzulesen, für eine tüch-
tige Kenntniss der griecliischen Sprache die gediegenste Grund-
lage gelegt hat. Anderes verlangte der Plan, nach welchem vor-
liegende Ausgabe gearbeitet ist. Sie „setzt das Aligemeine vor-
aus und überlässt dessen Erörterung systematischen Werken.
Nur wo eine der Stelle eigenthümliche Schwierigkeit vorliegt
oder eine Eigenheit des Schriftstellers zum Vorschein kommt,
tritt eine sprachliche Bemerkung ein." H. setzt demnach mit den
Uedacteuren der „Sammlung''^ das Allgemeine, d h. die Kennt-
niss der gewöhnlichen Syntax in dem Sinne voraus, dass er es nicht
für die Aufgabe einer Schulausgabe hält, zur Aneignung dieser
Kenntniss, die dem angehenden Tertianer noch nicht geläufig sein
kann, mitzuwirken, und dass er es dem Unterrichte überlässt, diese
Geläufigkeit vor, neben und bei der Lectüre zu erzielen. Es be-
darf keiner Erörterung, w ie diese Ansicht für sich keine geringere
Berechtigung in Anspruch nimmt, als, die, worauf sich Kr.'s Ver-
fahren gründet. Obwohl man darin im Allgemeinen übereinstim-
men dürfte, dass in der mittleren Classe, die für eine fertige Lec-
türe in den oberen Classen den Grund legen soll, eine genaue Con-
trolle des grammatischen Verständnisses und die Erklärung des
Sprachlichen vor der Rücksicht, möglichst viel zu lesen, mehr
noch als in den folgenden Classen vorherrsch n muss, so sind doch
die Ansichten und Wünsche in Bezug auf das Maass, bis zu wel-
chem, und in Bezug auf die Form, in welcher die Schulausgabe
Grammatisches enthalten soll, sehr getheilt. Namentlich werden
viele Lehrer H.'s Arbeit darum vorziehen , weil sie nicht eine so
energische Thätigkeit voraussetzt, wie sie die Mehrzahl der Schü-
ler, wenn sie nicht durch die Controlle des Lehrers dazu angehal-
ten werden , nicht entwickeln , und weil sie daher in den meisten
Fällen auf eine consequentere Benutzung rechnen darf als die von
Kr. H. beschränkt sich also, mit Uebergehung des ,, Allgemeinen,"
auf Anmerkungen zu den Stellen, ,, wo eine eigenthürpliche Schwie-
rigkeit, vorliegt." Hier ist es nun anzuerkennen, dass er bei Er-
wägung dessen, was für einen Tertianer schwierig sein kann, das
rechte Maass getroffen hat. Denn es leuchtet ein, dass von einem
abstracten Standpunkt aus die sprachliche Erklärung, die nur da
HerÜem; Xenophons Anabasis. 149
eintreten soll, wo eine der Stelle eigenthüraliche Schwierigkeit
vorliegt, in einem so leicht und fliessend geschriebenen Buche, wie
die Anabasis ist, leicht sehr dürftig ausfallen dürfte. FI. schlägt
die Kenntniss des Lesers nicht zu hoch an und er ermisst es rich-
tig, woran ein Schüler der mittleren Classe Anstoss nehmen, was
er vielleicht raissverstehen oder ganz übersehen kann. Belege da-
zu enthalten schon die bereits mitgetheilten Anmerkungen zu den
5 ersten Paragraphen des J. und II. Buchs. liier mögen einige
Stellen erwähnt werden, wo Ref. eine Bemerkung vermisst oder die
vorgefundene für ungenügend hält.
I. 1, 1 wird bemerkt ; xekivxriv ohne Artikel wie Comment. I.
5, 2 Ini TElevvr] tov ßlov. Was soll die Parallelstelle helfen,
wenn der Fall nicht auf ein allgemeines Gesetz zurückgeführt
wird 7
I. 1, 8 ist die Attraction adBXq)6g cov — öo^^vccl ol st. ddsX-
q)(ß ovzi unerwähnt geblieben und zu cov bloss bemerkt: für ag^
Assimilation (Attraction).
I. 1, 10 war über av in den Worten o5g ovro TtSQiyevo^evog
ccv etwas zu sagen, ebenso über tiqIv av avxa Cv^ßovXevörjtaL
in der oratio obliqua.
II. 1, i fragt H. zu xd Ttdvxa VLxav: ob Subject oder Ob-
jecto Dadurch wird nichts erklärt.
II. 1.3 ist nichts gesagt über das absolute ovxov ohne av-
Tcjv. Eben da wird zu akeyov oxl — xBd^vrjxev — scr] auf IL 2,
15 verwiesen und hier wieder auf III. 3, 13, wo man nichts weiter
findet als: xgeqjovxaL neben 'i%oi2v wie beide Modi auch II, 2, 15.
IV. 5, 10. 20. VI. 3, 11. VII. 1, 34.
II. 1, 6. ot inv c6%ovxo'. zu I. 2, 25, wo wiederum steht: of
li\v: zu II. 1, 6. Das reicht um so weniger aus, als der Schüler
das Asyndeton wahrscheinlich gar nicht bemerkt. Eben da wird
zu aonxovtig gesagt: bezieht sich auf öxQÜxBv^a nach dem ö;^^-
fia %axä x6 ö?]^aLv6^bVov. Warum nicht deutsch und ver-
ständlich?
II. 1, 19 ist zu öco^rjvai nach llnidov auf I. 2, 2 verwiesen,
wo aber nur mehrere Stellen citirt werden.
III. 3, 4 war niöxicog evsxa zu erklären, während das über
die Stellung von tlg in den Worten xc5v TtööcccpSQvovg rtg olxeiov
Gesagte eher wegbleiben konnte; ersteres versteht der Schüler
vielleicht nicht, an letzterem nimmt er wenigstens keinen An-
stoss.
III. 5, 14 war die Anticipation zu erwähnen in TJXsyx^^ '^U^
üVKkG) näöav %coQav xig sxdöxrj eir].
IV. 4, 18 liest man nichts über Ivxav^a , das sich auf fjueg
zurückbezieht wie xovxov auf öV II. 2, 20.
V. 1, 2. Die Construction von ditÜQriKa mit dem Particip.
konnte angedeutet werden.
VII. 5, 10 wird über äv iisXh]^ ötQaxBVöatprjv «Vauf V. l/J
150 Griechische Litteratur.
verwiesen, wo aber nur gleiche Beispiele angefiilirt werden. In
solchen Fällen wird sich der Anfänger aus Parallelstelleu schwer-
lich eine Hegel abstrahiren; sie können ihn höchstens bei der Re-
pctition an die vom Lehrer geraachte Bemerkung erinnern.
Vermisst man aber so manches in der sprachlichen Erklärung,
so fällt es um so mehr auf, wenn man mitunter auf Bemerkungen
stösst, die füglich wegbleiben konnten, oder doch in anderer Form
zu geben waren.
So ist I. 1, 8 zu ovdsv ijx^Eto auf IH. 3, 20 verwiesen, wo
2U rovto ccx^BöitB bemerkt wird: vgl. I, 1,8. Hell. II. 3, 12: oi;-
Ö8V rji^BTO. Wozu dies, noch dazu dasselbe Beispiel?
II. 1, 12 g5s öl) ogäg: das Pron. steht hier wie auch sonst zu-
weilen in relativen Sätzen ohne sonderlichen Nachdruck. Dadurch
gewinnt der Schiller schwerlich etwas fiir das Verständniss der
Sache.
II. 1, 13 qpiAoödqp«: mit Geringschätzung. Das ergiebt sich
aus den Worten von selbst.
IL 1, 22. rjv ^sif ^kvanBv^ öTtovdal^ uthovöl de — Trole^og.
Dazu: Concinner wäre ^svovöi ^ev ^ wie Eur. Helen. 1393 na-
QOVöDC TS — tJv TB fX7] naQijg. Xen. Hell. I. 4, 4 tavz' ovv cckov-
ovtBQ — xal BTtBLÖi^ KvQov blöov. Dergleichen scheint uns in der
Ausgabe H 's überflüssig. Wenigstens würde es Ref. zweckmäs-
siger finden, wenn statt solcher Parallelstellen (durch die man dem
Schüler nicht erst zu zeigen hat, dass derselbe Mangel an Concin-
nität, wenn man es so nennen will, sich auch anderswo findet, da
er doch gar nichts Aulfallendes hat) manches Andere der Art, wie
wir es bereits andeuteten, Raum gefunden hätte.
2. Auf die Grammatik verweist IT. nirgends, auch da nicht,
wo es die ,, Ankündigung'^ gestattet, nämlich da, ,,wo sich die
Schwierigkeit einer Stfelle durch die nicht leicht bemerkbare Un-
terordnung unter eine grammatische Regel heben lässt/*" Er zieht
es vielmehr überall vor, die sprachliche Erscheinung selbst entwe-
der anzugeben, oder durch üebersetzung zu erklären, oder durch
Parallelstellen bemerkbar zu machen. Da der Plan der „Samm-
lung"-* die gewöhnliche Syntax voraussetzt, so hätte sich das Citi-
ren der Grammatik freilich nur auf Abweichendes erstrecken kön-
nen. Warum aber der Herausgeber die Grammatik auch da nicht
erwähnt, das gesteht Ref. nicht recht einzusehen. Seine sprach-
lichen Bemerkungen sind immer nur kurz, z. B. I. 1, 2 zu avrovi
Uebergang aus einem relativen in einen selbstständigen Satz; 1. 1,
.0 zu xcöv naoä ßuöLkecog: st. täv itagä ßaöikil nagd ßaötAttog;
eben da zu täv ßugßugcov btcbiieXbIto: ■-=■ B71B^b?Mto cog ol ßdg-
ßagoi^ eine besonders bei BmuBlBiö^ai, gewöhnliche Anticipation
(Attraction). Sollte es in solchen Fällen nicht sehr nützlich sein,
den Schüler zu weiterer Belehrung, und um ihn daran zu gewöh-
nen, die einzelne Erscheinung in ihrem Zusammenhang mit der
Hei tlein : Xenophons AnaLasis. 151
allgemeinen Rcg^el zu erfassen, auf die Grammatik zu verweisen*?
Dadurch, dass dies ganz unterlassen worden ist, scheint uns H.'s
i^usgabe in einen entschiedenen Nachtheil gegen die von Kr. zu
treten. Hätte Letzterer nur den Gebrauch seines Buches dadurch
erleichtern wollen, dass er neben dem Citat, das sehr oft nackt da-
steht, mit zwei Worten den Inhalt des citirten Paragraphen der
Grammatik andeutete. Dadurch würde er dem Schüler in vielen
Fällen, wo er in der Grammatik findet, was er sclion gewusst, das
ermüdende Aufschlagen erspart haben. Geschieht das Citiren in
der angegebenen Weise, so wird dem geholfen, der die Sache noch
nicht hinlänglich kennt, ohne dem weiter Fortgeschrittenen eine
unnöthige Mühe zu machen. An solchen Stellen, wie die eben
angeführten, hätte dies gev\iss zu grossem Nutzen auch H. thun
können, ohne dadurch von dem Plane der ,, Sammlung" abzuwei-
chen. Ganz besonders nothwendig war es aber da, auf die Gram-
matik zu verweisen, wo sich der Herausgeber mit blosser Anfüh-
rung von Parallelstellen begnügt hat, z. B. I. 1 , 1 , wo zeXavxtjv
ohne Artikel steht, II. 1, 3, wo von Eleyov ort zwei verschiedene
Modi abhängen, II. 1 , 6, wo et fxlv cpxovro ohne Verbindung mit
dem Vorhergehenden steht, und an sehr vielen anderen Stellen.
Dadurch, dass dieselbe Eigenthümlichkeit an zwei oder mehr Orten
vorgeführt wird, wird sie dem Schüler nicht klarer, als wenn er
sie nur an einer Stelle findet; denn er ersieht daraus z. B. nicht,
dass xiXivxtjv den Artikel nicht braucht als superlativer Begriff,
der die Individualisirung schon in sich hat, oder dass ekeyov ort
zuerst den Indic. te&vtjksv nach sich hat und dann den Optat. frvy,
weil der Schriftsteller den Tod des Cyrus objectiv als Thatsache,
die Flucht des Ariaeus aber als Inhalt der Meldung derovrot hin-
stellen wollte. Hätte aber H. durch Verweisung auf die Gramma-
tik den Werth seiner Ausgabe gewiss für Viele bedeutend erhöht,
so durfte ihn auch nicht etwa die Rücksicht auf Raumersparniss
davon abhalten. Werden die drei oder vier gangbarsten Schul-
grammatiken mit dem Anfangsbuchstaben bezeichnet, so wird ver-
hältnissmässig ein geringer Raum zu dem genannten Zwecke aus-
reichen, und hätte H. hier und da die Parallelstellen , wo sie dem
Schüler nichts helfen, weggelassen, so konnte dieser Raum dadurch
wieder gewonnen werden.
3. Während sich Kr. fast nur auf sprachliche Erklärung be-
schränkt und Sachliches nur dann berührt, wenn es das Verständ-
niss der Stelle nothwendig verlangt, lässt sich H. öfter auch über
Historisches, Geographisches, Antiquarischesaus, wo es dazu die-
nen kann, die Sache anschaulicher zu machen. Z. B. I. 1, 10:
Die Truppen selbst warb Aristlppus wahrscheinlich erst in Thes-
salien , wie sich aus ihren 1.2,6 angegebenen Bestandtheilen
schliessen lässt. I. 1, 11: Die Pisidier waren ein kriegerisches
Volk, welches von den Persern nie völlig unterworfen wurde. II.
1,9: l^yQVf^ha: ausgenommen; denn aus den Eingeweiden, be-
152 Griechische Litteratur.
sonders der Leber, glaubte man die Zukunft erforschen zn können.
IV. 4, 2: TVQöSLg^ vermuthlich um sich bei den räuberisclicn CJe-
berfiillen der Karduchen in denselben zu vcrtheidigen. lyA^-iiccvi-
ßcck?iBV~=dv£ßißat,8V. Es war dies persische Sitte. Vgl. de re eq.6,
12 : dyaxtov de tov iTtnoKOfiov xal ccvc(ßdX?i8iv Iniötaö^ai tov Tleg-
öLKOV rpojrov, wo Kr. auf diese Steile verweist, ohne die Worte
anzuführen. Eben da : vjiagxog scheint --^ öazgccTcrjg zu sein wie
Herod. 9, 113, so dass Orontes, der III. 5, 17 im Allgemeinen Sa-
trap von Armenien genannt wird, dies nur vom östlichen Theile gewe-
sen wäre. IV. 4, 16: at'Aacct,6vsg£x^vöiv: nämlich auf Bildwerken,
deren KenntnissXen. bei dem Leser voraussetzt. VI. 2, 17 : trjg&ga-
xi]g : Bithyniens, denn die Bithynier waren ein thrakischer Stamm.
VII. 5, 12 2aX^vör](566g: Scymnus Chius 724: slt (vom Bospo-
rus aus) cityiaXog rig Z^aXixvörjöödg Xsyopisi'og ecp' iTiraKoöia
ötdÖLa tsvayadtjg äyccv Kai övöngoöogiiog dXißSvog rs Tcavts-
Acög TtagattTCCTat^ talg vavölv sxd'görazog rojrog, eine das Ver-
ständniss der Steile recht fördernde Beschreibung.
4. Ein Vorzug in der äusseren Einrichtung der Hertlein'-
schen Ausgabe ist es, dass in ihr die Anmerkungen ziemlich
gleichmässig durch das ganze Buch vertheilt sind, während sie sich
bei Kr. vorzugsweise in der ersten Hälfte zusammengedrängt fin-
den und nach dem Ende zu immer weniger werden. Durch letz-
teres Verfahren werden diejenigen Schüler benachtheiligt, die in
die Classe versetzt werden, während die zweite Hälfte der Ana-
basis gelesen wird. Dieser Nachtheil konnte vermieden werden,
wenn in den späteren Büchern auf frühere Bemerkungen mit Con-
scquenz zurückverwiesen wäre. Auch dies ist von H. mehr be-
obachtet worden als von Kr., obwohl wir auch bei jenem in dieser
Beziehung nicht selten etwas verraisst haben.
Dies sind die vier Punkte, in denen sich die vorliegende
Ausgabe von der Krüger'schen hauptsächlich unterscheidet. Sind
sie wesentlich genug, um das Erscheinen einer neuen Bearbeitung
neben letzterer durchaus gerechtfertigt zu finden, so darf man auch
daran keinen Anstoss nehmen , dass die sprachliche Erklärung bei
H. in der Hauptsache nur eine dem Zwecke der Sammlung ent-
sprechende Auswahl aus dem Reichthum bei Kr. bildet. Die Voll-
ständigkeit des Krüger'schen Commentars ist so exact, dass sein
Nachfolger nur sehr selten Veranlassung zu einer Bemerkung oder
einem Winke finden konnte, wo sein Vorgänger nicht bereits das
Nöthige gesagt hatte. Auch in der Wahl der passendsten Paral-
lelstellen, in der Ueberselzung und selbst in der Form der Anmer-
kungen rausste er bei dem ihm mit Kr. gemeinsamen Streben nach
Kürze und Präclsion im Ausdruck sehr oft unvermeidlich mit die-
sem zusammentreffen. Zuweilen ist es uns so vorgekommen, als
habe der Verfasser, nur um mit Kr. nicht übereinzustimmen, et-
was mehr Worte gemacht als nöthig war, z. B. 1, 1, 7, wo zu äno-
Hertlein: Xenophons Anabasis. 153
CTfjvai Tigog Kvgov sIslÜ der Worte: ist erklärend zu ccvtd tavta
(welcher Plural in Beziehung auf die verschiedenen Momente des
aTtoötrjvai steht, wie ähnlich Tat;ra\1.2, 6) s^efiigt (Epexegese),
das eine Wort nämlich dasselbe gesagt hätte. I. 1, 11 zu Kai
Tovtovg war das Wort gleichfalls gerade genug; die Worte:
wie Äristippus und Aristoxenus, konnten wegbleiben. Auch III. 3,
11 reichte hin: tccg xw^wg, die 2,34 erwähnten; es war überflüs-
sig hinzuzufügen: daher der Artikel. I. 1, 10 veranlasste wohl
nur Kr.'s Bemerkung, der elg durch: gegen übersetzt, Folgendes
zu schreiben: slg öi6xiliovg ^evovg gehört ebensowohl wie
XQK^v ^7]vcov zu ^Lö^ov ^ SO dass elg für bedeutet wie I. 3, 3. 2,
27. Oecon. 4, 5: tsraxB tco agiovri SKaötcp , dg onoöovg dal öl-
dovaL tQO(priv. Ganz ebenso Thuc. 6,8: lg e^yjKovta vavg ^rj-
rog ^Lö&öv. Die ganze Anmerkung brauchte nur aus dem einen
Worte für zu bestehen. Solche scheinbare Kleinigkeiten, deren
noch viele erwähnt werden könnten, übergehen wir darum nicht,
weil der Herausgeber, der durch die Bestimmung, nicht mehr als
den vierten Theil jeder Seite den Anmerkungen einzuräumen, im
Räume beschränkt war, durch strengeres Halten auf Kürze für an-
dere zweckmässige Andentungen Platz übrig behalten haben
würde.
Fassen wir zuletzt unser Urtheil zusammen, so sind die Vor-
züge zwischen Kr.'s und H.'s Ausgabe getheilt. Diejenigen, wel-
che als Zweck einer Schulausgabe eine consequente Anleitung zu
vollständigem grammatischen Verständniss betrachten und in sach-
licher Beziehung nur durchaus nothwendige Andeutungen wün-
schen , werden nach wie vor an der Krüger'schen Ausgabe volle
Genüge finden, vorausgesetzt, dass sie die Krüger'sche Grammatik
eingeführt haben. Ref. würde letztere ganz befriedigen, wenn
Kr. ausser seiner Grammatik auch die von Buttmann, Rost und
Kühner berücksichtigt, den Inhalt des citirten Paragraphen der
Grammatik, wo es aus dem oben angegebenen Grunde nöthig war,
kurz angedeutet und die sprachlichen Anmerkungen durch das
ganze Buch gleichmässig vertheilt hätte. Für Anmerkungen hi-
storischen, geographischen und antiquarischen Inhalts, die für das
Verständniss der Stelle nicht ganz nothwendig sind, wie sie H. vor
Kr. voraus hat, würde er lieber Bemerkungen eintauschen, die die
gewöhnliche Syntax betreffen, wie sie Kr. bietet. Denn wenn dem
Tertianer, der die Syntax sich erst aneignen soll, von den gram-
matischen Beziehungen etwas entgeht, wenn er z.B. übersieht,
dass I. 1, 6 (og kmßovXevovxog TcööcccpeQvovg heisst: indem er
vorgab, dass ihm Tissaphernes nachstelle, oder wenn ihm I. 1, 10
in den Worten cog ovtco neQiyavo^avog av zcov dvtLöxaöLoxav
die Bedeutung des Particip. aor. mit äv fremd ist, so erfasst er
den Sinn der Stelle nicht und kommt mangelhaft präparirt in den
Unterricht, während es seiner Vorbereitung keinen Abbruch thut,
wenn er erst vom Lehrer oder auch gar nicht hört, wo Äristippus
J54 Lateinische Litteratur.
seine Truppen wahrscheinlich geworben hat, oder dass die Pisi-
dier ein kriegerisches Volk gewesen, das von den Persern niemals
unterworfen wurde. II. hat offenbar nicht blos fiir die Schule,
sondern auch zugleich für andere Leser sorgen wollen; daher so
manche Bemerkung, die — unbeschadet einer guten Präparation
— dem Lehrer iibcrlassen werden kann; daher viele Parallelstel-
len oder Andeutungen, die einen Sprachgebrauch als dem Xen. ei-
genthümlich oder als ihm mit anderen Schriftstellern gemeinsam
nachweisen sollen , wofür der Tertianer noch nicht das Ver-
ständniss hat; daher auch wohl das Wegbleiben jedes grammati-
schen Citats. lief, ist der Ansicht, dass die Ausgabe an Zweck-
mässigkeit in ihrer Einrichtung noch gewonnen haben würde,
wenn H. den einen Zweck: der Schule zu dienen, ausschliesslich
verfolgt hätte. Gleichwohl können wir, was wir über den VVerth
des Buchs bereits ausgesprochen haben, schliesslich nur wiederho-
len: Ilr. llertlein hat durch seine tüchtige und praktische Arbeit
alle diejenigen, die von einer Schulausgabe der Anabasis verlangen
dass sie einen diplomatisch richtigen Text liefere, dass sie den
Schüler die in der Sprache und in der Sache liegenden Schwierig-
keiten lösen und eine gute Uebersetzung finden helfe, und dass sie
ihn auf das dem Autor Eigenthümliche aufmerksam mache, zu
grossem Danke verpflichtet.
Wittenberg. Dr. Breit enbacJu
em
Horatiana Prosopographeia. Scripsit J. G. F. Estre. Amstelo-
dami, apud Fredericuiu Müller. MDCCCXLVl. VllI u. 599 S. in 8.
Wenn wir dieses nützliche Buch jetzt erst zur Anzeige brin-
gen, so liegt der Grund der Verspätung in dem alleinigen Umstände,
da>8 wir wegen unsrer Entfernung vom litterarischen Markte erst
vor Kurzem zur Kenntniss des gelehrten Werkes gelangt sind. So
\iel wir wissen, hat der Verfasser, welcher seit sieben Jahren der
horazischen Prosopographie seine Aufmerksamkeit zugewendet zu
haben versichert, bereits im Jahre 1M4: seinen ersten derartigen
Versuch unter dem Titel: Horatianae Prosopographeiae cap. duo.
Amstelod. bekannt gemacht. Es sind Studien in Absicht auf die
im Uoraz vorkommenden Persönlichkeiten, durch das Beispiel eines
Acron, als ersten Prosopographen (s. p. 3), wo nicht veranlasst,
doch gehoben und getragen. Und wir sind Herrn Estre, dem
würdigen Schüler Peerlkarap's, das Zeugniss schuldig, dass er das
vorhandene Material mit Benutzung der neuern Forschungen,
hauptsächlich der deutschen Gelehrten, zu einem übersichtlichen
Ganzen verarbeitet und dabei ein freies, selbstständiges Urtheil
sich bewahrt habe, wenn man auch hier und da den Wunsch nicht
unterdrücken kann, dass der gelehrte Verfasser gleicher gearbei-
Estre : Prosopographia Horatiana. 155
tet und von der conservativen Richtung sich entfernter gelialten
haben möchte. Mag auch die Anordnung manches Unbequeme
mit sich führen, das Register wird den Suchenden leicht zurecht-
weisen. Hinsichtlich der erstem hat der Verfasser folgenden
Weg eingeschlagen: „Initio facto ab iis qui ingenio censentur:
Poetis, Philosophis, Oratoribus et Jureconsultis, Rhetoribns, Cri-
ticis, Medicis, post de iis agemus qui rebus gestis in Repubh'ca in-
claruerunt; tum de Artiiicibus , qui operibus suis; hinc pergemus
ad Familiäres, inde ad Amores Horatii; in finem relegabimus pri-
mum viros humilis conditionis: gladiatores, mimos, histriones,
deinde infames: avaros et prodigos, fures et delatores, heredipe-
tas, gulosos, id genus reliquos.'^ Der Eingang ist den Scholiasten
gewidmet, über welche Suringar in seiner Historia critica Scholia-
starumLatinorum Vol. III. ein weitläufiges Material gespendet hat.
Es darf für genügend gelten, was der Verfasser von Seite 1 bis 8
über selbige sagt ; nur hätte er dem Fabricius nicht nachsprechen
sollen, dass Charisius des Terentius Scaurus zehntes Buch in llo-
rat. Art. Poetic. anführe. In einer Anmerkung wird nämlich von
dem Verfasser ausdrücklich behauptet: Charisius bis laudat,,librum
decimum Terentii Scauri in Artem Poeticam"* Institutt. Gramm,
p. 182 et 188. Putschii. Erat Scaurus Grammaticus nobilissimus,
vixit riadriani temporibus. Vid. Gellius Libr. XI. c. l'\ Aliein
hier hat sich der Verf. von einem höclist unkritischen Verfahren
hinreissen lassen , welches längst von mehrern deutschen Gelehr-
ten, als von Bernhardy und Düntzer, aufgedeckt worden ist.
Die Ars Poetica ist ja nicht die horazische, sondern die des Scau-
rus selbst, \^ie aus der zweiten Stelle deutlich hervorgeht. Wir
theilen dieselbe hier mit, um jedem Irrthum in Betreff dieses ver-
meinten Ilorazscholiasten der Ars poetica vorzubeugen. P. 188
werden von Charisius Virgil und Scaurus in Verbindung gebracht:
Primus pro imprimis, ut Maro: Trojae qui primus ab oris; ubi Q.
Terentius Scaurus coramentariis in Artem Poeticam libro decimo
etc. Uebrigens wird mit Recht bemerkt, dass von den von Fa-
bricius genannten Schoüasten, als Caius Aemilius, Julius Mode-
stus und Terentius Scaurus, nichts mehr vorhanden sei, ausser et-
wa in der vom Scholiastes Cruq. zu Sat. 2, 5, 9:^ angeführten
Stelle: ^^Sles capite obstipo: Fixo, immobil!, tristi, vel, ut Scau-
rus dicit, inclinato in alterum humerum,"' wo Porphyrion in ähnli-
cher Weise commentirt : „Tristi ac severo. Secus inclinato dicit. ^'•
Für jenes unerklärliche secus wird Scaurus vorgeschlagen , was
wir als eine der glücklichsten Conjecturen hinnehmen, üeber den
C. Aemilius y,\iA künftig Ferdinand Hau tha l's ürtheil im rh.
Museum V. S. 516 ff. zu berücksichtigen sein, welcher jene Na-
men auf den Mäccnas zu Od. 1,1,1 bezieht: ad C. Aemilium
Maecenatem. Vgl. Th eod. Ob bariu s Einleitung zur Odenaus-
gäbe S. XXXIV. Anm. 5. Das Verhältniss der noch vorhandenen
Scholiasten wird mit Ausnahme des Sthol Cruq. dermaassen fest-
156 Lateinische Litteratur.
gestellt, dass Acron älter als Porpliyrioii ist, beide aber älter als
Charisius sind, letzterer aber wieder älter als Priscianus, wesshalb
das Berufen des Acron auf den Priscianus zu Epist. 2, 1, 228 für
iiiiäcbt mit Heusde (Studia critica in Lucilium p. 154) gehalten
wird. Ist diese Altersfol^e ricliti^, so reicht das Zeitalter der
Scholiasten weit hinter Priscianus Zeit zurück , das man zeither
meist nach demselben zu stellen pflegte. Indess dürfte Acrons
Erwähnung desTheotiscus (Sat. 1, 5, 97), welcher der Lehrer des
Priscian gewesen sein soll, die Sache ziemlich zweifelhaft machen.
Wie dem auch sei, der Kern der Schollen geht unstreitig auf eine
frühe Zeit zurück, wie schon die von Jani angezogenen Stellen
beweisen, zu denen Herr Estre noch Acron zu Od. 4, 6, i und
Porphyrion zu Epist. 1, 1, 54 hinzufüget. Wir bieten noch Od.
4, 12, 18, wo die beiden Scholiasten ein merkwürdiges Zeugniss
ihrer Zeit ablegen, das bereits Vanderbourg gebührend gewürdigt
hat. Der Herr Verf. hat zu den Sulpicia horrea daselbst eine rei-
che litterarisch -historische Nach Weisung S. 456. Nr. 1 gegeben,
ohne jedoch hier den rechten Gebrauch davon zu machen. Lieber
Acrons Verhältniss zum Terenz und zu dem Commentar des Do-
iiatus hat Paldaraus im Greifswalder Programm 1847 („Horatia-
na-*-) p. 13 und 14 sehr gründlich gesprochen. Vgl. auch Dillen-
burger im Aachner Schulprogramm 1843, „Horatiana^^ p. 1 — 8.
Gehen wir jetzt zu dem ersten Capitel über, dessen erster Theil
die griechischen, von Horaz namhaft gemachten Dichter erwähnt!
Zuersttritt uns Home rentgegen. EsliegtdieFragcnahe,vviehatder
Dichter Horaz von dem VaterderDichtkunst, demHomer, gedacht;
welches Bild hat er sich von demselben entworfen? Zwar werden
uns die bezüglichen Stellen unter und mit allgemeinen Gesichts-
punkten vorgeführt, aber bei Epist. 1, 2, 3 sq. Qui, quid sit pul-
chrum, quid turpe, quid utile, quid non, PLanius ac melius CJiry-
sippo et Crantore dicit, war hauptsächlich der von Bentley ver-
worfnen Lesung Plenius zu gedenken, welche zu der gegebnen
Erklärung: ,,Quem locum si conferamus cum vs. 6 sqq. et 17 sqq.,
Horatium haud alienum fuisse apparet ab illa, Stoicorum imprimis,
sententia, doctrinam cgregiam latere sub Homeri fabulis; vitae
praecepta peti posse ex iis certe ostendit," viel besser als die
aufgenommene passt. Denn „von einer grössern Anschau-
lichkeit und V er stand li chkeit der Schilderungen,"
wie noch neulich das Planius gefasst ward , kann hier nicht die
Hede sein, da Homer mit zwei bewährten Philosophen in Verglei-
chung gestellt wird. Horaz theilt die Ansicht, welche das Alter-
thum über Homer als den Quell alles Wahren und Guten gefasst
hat. Vgl. Plat. Rep. X. p. 598 E. und Xenoph. Sympos. 4, 6.
Wenn in demselben Capitel S, 11 die Worte: Nee sie incipies ut
scriptor Cyclius olim: Fortunam Priami cantabo et nobile bellum
(A. P. 136 sqq.) von einem gleichzeitigen Dichter verstanden wer-
den, so müssen wir alle unsre Vernunft gefangen nehmen unter den
Estrt?: Prosopographia Horatiana. 157
Geliorsara des Glaubens, so sehr auch der Verfasser bemüht ist,
dem olim durch Vergleichung des quondam Sat. 1, 2, 55. 2, 3, 60
eine mildere Deutung zu geben. Auch scheint uns die ganze Be-
weisführung nicht stichhaltig: „Non ab antiquo poeta exempla pe-
titurus erat Horatius quae reprehenderet. üocet Romanos in hac
Epistoia quoraodo Pisones et Romani facere possint bonum carmen
Epicum, bonum Dramaticura. Exempla ostendit bona, quae se-
quantur, mala, quae fugiant. Bona sunt Graecorum, mala Latino-
rum,*' Dagegen verdient alle Anerkennung die reichhaltige Er-
örterung über Lucilius von S. 71 bis 96, wenn man auch an der
Erklärung von Sat. 1, 10, 64 sqq. Fuerit Lucih'us, inquam, Comis
et urbanus, fuerit limatior idem Quam rudis et Graecis intacti
carminis auctor Quamque etc. Anstoss nehmen sollte, und wir wa-
gen hinzuzusetzen: mit Recht; denn Herr Estre', einerseits durch
die lehrreiche Beweisführung C. F. Hermann's, dass aus histo-
rischen Gründen an Ennius als Satirendichter nicht gedacht wer-
den könne, zu vollkommener Üeberzeugung gebraclit, andrerseits
durch grammatische Gründe genöthigt, Hermann 's Erklärung
der Worte : Quam rudis auctor entgegen zu treten , wird
nolens volens in Döring's Lager gedrängt, weicher den Vers auf
Ennius' Annales Romanorum bezieht, jedoch mit demünterschiede,
dass Estre die Worte: sed ille etc. von Lucilius, hingegen Döring
ebenfalls von Ennius versteht. Die grammatische Bedenklichkeit,
welche der Verfasser gegen Herroann's Interpretation: „fuerit
Lucilius limatior quam pro ea conditione, in qua auctorem rudis
Graecisque intacti carminis versari consentaneum fuerit,''' nicht
ohne zureichenden Grund erhebt, wird in folgender, des allgemei-
nen Interesses wegen hier mitzutheilender, Fassung vorgetragen:
„recepta illa Hermanni interpretatione instituitur apud Horatiura
comparatio inter rem singularem et concretara , Lvcilium^ cum re
universali et abstracta, auctore^ conjuncta vero cum re concreta,
p. s. turba. Manc autem , in altero comparationis membro, con-
junctionera inter rem abstractara et rem concretam, vereor ut pro-
bari possit. Recte coraparamus rem concretam cum re abstracta,
v. c. recte dicimus : Cicero plus valebat in dicendo quam fere Lati-
nus Orator; minime vero, nisi egregie fallor: Cicero plus valebat
in dicendo quam fere Latinus orator, quamque Hortensius. Sub-
stituamus vocibus: „Latinus orator,^' quae rem exprimunt univer-
salem, aliud vocabulum, singularem quandam rem designans, v. c.
dicamus: Cicero plus valebat in dicendo quam Hortensius, quam-
que ceterorum oratorum Latinorum turba ; omnia recte se habe-
bunt. Ita quoque apud Horatium voce auctor certum quendam
poetam designari censeo etc.^'' Wenn hier Herr E. von einem rich-
tigen interpretatorischen Gefühle geleitet wird, so verläugnet er
dasselbe hinwiederum durch den Glauben an Ennius' ganz ausser
dem Wege liegende Annalen. Jedenfalls hatte Quintilianus unsrc
Stelle vor Augen, als er 10, 1, 93 schrieb: „Satira quidam tota
158 Lateinische Litteratur.
nostra est etc.'"' f nd wir hoffen, dass der Verf. von diesem Irr-
tliumc ziiriickkehrcn wird, wenn er mit dem trefflichen Programme
Ilcrmann's (Marburg 1841) auch Petermann's (De Satirae
Kornanac auctore ejusque inventore, Ilirscliberg 1846) und Pal-
damus' (Floratiana. Greifswahler Scliulprogr. 1847 p. 15) Ent-
gegnungen zu vergleiclien Gelegenheit nimmt. Mit diesen drei
Schriften halten wir die Acten über jene oft ventilirte Stelle für
geschlossen. So verlässlich auch der Verfasser in den historischen
Forschungen und in seinem Saramlerfleisse ist, so behutsam rauss
man seinen Schritten folgen, wenn er den schlüpfrigen Boden der
Interpretation betritt. So weiss er unter Andern keinen schickli-
chen Zeitpunkt zu finden, in welchen Od. 1, 2 zu setzen sei (p.
277), worüber wir jedoch mit ihm nicht rechten wollen. Wenn
er aber zu Vs. 44 patiens vocari Caesaris ultor lieber Crassi ultor
mit Hinsicht auf Dio Cass. 51, 8 lesen möchte, so müssen wir die
Motivirung seiner Ansicht als unpoctisch abweisen. Er sagt näm-
lich: ,,Laudare potuit Augustum Crassi ultorem , Dacorum Ae-
tliiopumque victorem, raorum legumque restitutorem . nunquam
recte laudare potuit ultorem Caesaris. Hocsifecit, ut alii sta-
tuunt, paulo post reditum in patriam, tum profecto inconstantiae,
inffeniique servilis cgregium nobis documentura reliquit; sin decen-
nio post vel amplius, ut alii, tum non modo adulator turpissimus,
verum etiam ineptissimus est habendus, qui, quum tot interea bella
externa atque interna, suis quoque prodigiis comitata, tot Caesaris
victoriae argumenta Carminis conscribendi praebuissent, id potissi-
mum sibi sumserit argumentum, quod recte celebrare non posset
etc." Allein Iloraz steht bei jenem gebrauchten Ausdrucke ganz
auf dem Boden der Thatsachen, wenn wir Sueton. Octav. 29. Ae-
dem Martis hello Philippensi pro uUi'one palerjia suscepto voverat,
mit seiner Aeusserung bei Dio Cassius 58, 4 zusammenhalten.
Vercl. auch Ovid. Fast. 5, 569 sqq. Der Vorwurf einer Schmei-
chelei, deren sich Horaz schuldig gemacht, prallt an dem Pflicht-
gebote ab, als Dichter der Träger seiner Zeit zu sein und somit die
Gesinnung derer auszusprechen, d. h. der Besseren, die in der po-
litischen Neugestaltung des Vaterlandes die endliche Ruhe von
den unseligen Bürgerkriegen gewahrten und erstrebten. Der
Dichter hatte längst die Ueberzeugung gewonnen, dass die republi-
kanische Verfassung sich überlebt habe und der nothwendigen Re-
form der Alleinherrschaft weichen müsse. Wir halten demnach
die Ode in dem Zeiträume von 725 bis 727 geschrieben, wo Cäsar
Octavianus das Heft der Herrschaft aus den Händen zu geben sich
anschickte. Eben so wenig sind wir mit der Erklärung von Od. 3,
29, 5 sqq. eripe te morae: Ne semper udum Tibur et Aesulae De-
clive contempleris arvum etc. einverstanden, wo statt wemitCap-
martin deChanpy, Hardinge und Andern z^/ zu lesen vor-
geschlagen wird. Wir wollen auch hier, um uns keiner subjectl-
ven Deutung schuldig zu machen, den Verfasser selbst reden las-
Estr^: Prosopographia Horatlana. 159
sen (p. 387): ,,Simt Tibiir et Tusculum in conspectu Romae, teste
Strabone (Lib. V.p.2S8)^ sed tarnen cumCfi\)maYiuuo(/)ccouver/e
de la Maisoji de Campagne d'Hoiace, T. U. p. 227. Tatius in
Prol. suae Horatii Edit. p. XXIX. eaiidem conjecturam Nie. Har-
dingio tribiiit) vs. 6 pro: Ne leg^endiim esse censeo: Ul semper
iidum etc. Non in villara suara, prope Tibiir sitam, Maecenatcm in-
vitaturus erat Horatius, ?ie adspiceret Tibiir semper udum, sed
?/^, pro furao urbis, Tibur, Aesulam, non longe a Tibure remotam
(de situ Aesulae vid. Valckenariiis, Histoire d'Horace^ T. II. p.
i^8 sq ), et Tusculum ibi contempiaretur. Quamvis aÜter ipseCap-
martinius suum ut interpretatus est, quasi Horatius Maecenati sua-
deret, uti seu Tibur, seu Aesulam , seu Tusculum, urbe relicta, se
conferret.'' In Capmartin's Erklärung liegt unsers Erachtens
immer noch ein ansprechender Sinn, aber in der des Verf.'s können
wir nur Spitzsinn finden. Dagegen müssen wir die gute Erklärung
von caupo zu Sat. 1, 1, 4 sqq. p. 96 rühmend anerkennen. Bei
Od. 2, 20, 6 que?n vocas^ folgte der Verf. seinem Lehrer Peerl-
kamp mit Berufung auf Virg. Aen, 4, 460 sqq. Von Letzterm
wird uns auch eine bis jetzt unbekannte Lesart zu Epist. 1, 1, 57
(p. 258) mitgetheilt: Eslo animus tibi, sint mores, sint lingua fi-
desque: Sed quadringentis sex Septem raillia desint ; Plebs eris.
Wir können jedoch nicht läugnen, dass die Vulgate: Est animus
tibi etc. uns kerniger und kraftvoller scheint. Eben so wenig wird
die Conjectur des Verfassers zu Sat. 1, 2, 32 (p. 255) auf allge-
meinen Beifall rechnen können, für sententia dia Catonis zu lesen:
sapientia dia Catonis Denn, setzt derselbe hinzu: Sententia non
totum Catonem ostendit , ut fach sapie?2tia, sed est pars totius.
Recte quidem Lucilius dixit : ., Valeri sententia dia,"- teste Porphy-
rione ad Libr. I. Sat. 6, Vs. 12, sed alio modo, cum yvcj^r^v Va-
lerii significaret. In solchen Fällen, wo ein Ausdruck bereits gäng
und gebe geworden, wird der feinfühlende Dichter sich hüten, den-
selben durch Substituirung eines mundrechtern Wortes die Spitze
abzubrechen; denn auch Lucretius, dem Horaz, wie bekannt, so
manche Wendung entlehnt hat, sagt 5, 521 : Democriti quod sancta
viri sententia dixit. Doch wir kehren nach diesen Parerga zu den
historischen Forschungen zurück, in welchen Herr Estre zu Hause
ist. Im Allgemeinen war wohl die Untersuchung anzustellen, wel-
che Personennamen auf dem realen Boden der Geschichte und
welche auf dem idealen der Fiction oder der Accommodation basirt
sind. So wählt der Dichter aus guten Gründen den Namen Scaeva
(Sat. 2, 1, 53) für einen Giftmischer, von welchem er sagt: Scae-
vae vivacem crede nepoti Matrem; nil faciet sceleris pia dextera,
und die Bemerkung eines solchen Witzspiels würde dem Verfasser
die dürre Beantwortung erspart haben (p. 572): „Ignorantur hodle
Scaeva etc." Eben so ist es mit dem Hitzkopf Bolanus Sat. 1, 9,
11, wo Herr Estre p. 443 uns sagt, wer es nicht sein könne, auf
die bekannten Personen, den M. Bolanus bei Cicero in den Epist.
160 Lateinische Litteratur.
ad Div. 13, 77 und den VcctiusBolaniis, den schon wegen der Zeit
hier unmöglich gemeinten Präfecten von Britannien , verweisend
mit Berufung auf Tac. Ann. 1 '), 3. Ilist. 2, 65. 97. Agric. 16. Stat.
Sylv. 5.2, 41 sqq. hl dieselbe Kategorie stellen wir den Redner
Mutus Epist. 1, 0, 22, den der Verfasser ganz übersehen zu haben
scheint, ferner den Kutrapelus Epist. 1, 18, 31, nicht zu gedenken
der Namensdichtungen, wieThaliarchus, Lycus (Isegrimm) Alphius,
(dkcpaivcü)^ Lalage, Lydia, Leuconoe, Neobule, Chloe, über welche
Nauck im Archiv für Philol. und Pädag. 1848. XIV. 4. S. 557
den wahrsten Gesichtspunkt aufgestellt hat. Der Eutrapelus am
obigen Orte ist nichts anders als was sein Name besagt, ein
Schwankmacher, der bei dem Schaden Andrer sich ins Fäustchen
lacht, wie auch Aristoteles llhet. 2, 12 darauf hinzielt: „ o£ vbol
(piÄoyfkatBg' öio xctl evTQCi7i8XoL' ij yag evroanskia JceTtaiöev-
(jisvT] vßgig eöTL. Herr Estre sucht hin und her, bis er bei Plu-
tarcli in der Vita Bruti 45 einen Mimen findet, auf den der hier
erzählte Zug passen könnte: ^^Hv öe tig BokovfxvLog fil^og xal
2^aytovkLCJV yekcjtOTtOLog T^kaxorsg TitL"' Die Alten gaben auf
die Namensbedeutung oft weit mehr als man zu glauben geneigt
sein möchte. Wir verweisen dieserhalb auf unsre Bemerkung zu
Kpist. 1, 13, 9 und 10, 49. Und so durfte sich wohl unser Dich-
ter die Freiheit herausnehmen, seinen Mann Eutrapelus zu nen-
nen, unbekümmert, wer diesen Namen geführt liabe oder noch
führe. Anderwärts war der Name nach einem andern Principe zu
beurtheilen, z. B. Od. 4, 12, wo der Dichter seinen Freund Virgi-
lius zu einem fröhlichen Mahle einladet. Herr Estre läugnet mit
Recht, dass der Dichter Virgil gemeint sei; allein die Argumen-
tation aus der Ode selbst, namentlich aus dem Studium lucri, zu
führen, scheint uns allzu engherzig. Uns genügt der historische
Grund, dass das vierte Odenbuch nach Virgilius Tode (735) ge-
schrieben worden ist. Denn annehmen wollen, die Ode habe sich
aus einer frühem Zeit unter die Spätfrüchte des letzten Odenbuchs
verloren, heisst eine petitio principii zu einem Princip erheben.
Gehen wir jetzt zu einigen Persönlichkeiten über, an die der Dich-
ter seine Briefe gerichtet! Der erste so wie der neunzehnte ist
dem Maecenas gewidmet. Lieber diesen spricht sich der Herr
Verf. von S. 372 bis 406 auf eine löbliche Weise aus , wobei wir
vorzüglich die in den Anmerkungen niedergelegten classischen
Stellen als die Frucht eines grossen Sammlerfleisses hoch anschla-
gen: Frandsen's bekanntes Werk gab theilweise einen guten
Führer ab. Dabei tritt der Verf. auf die Seite derjenigen, welche
die Schilderung des Maecenas unter dem Namen Malchinus oder
Malthinus nicht gelten lassen wollen; auch kann er Od. 2, 12, 13
unter der Licymnia die Terentia nicht finden, sondern eine Ge-
liebte des floraz selbst, wie Teuf fei in der Zeitschrift für die
Altertlmmstoissensch. 1845 S. 608 darzuthun gesucht hat. Indess
feind wir von seiner Beweisführung keinesweges überzeugt worden,
Estre : Prosopographia Horatiana. 161
zumal wenn man die Aehiilichkeit der Namen Licymnia und Lici-
nia in Anschlag bringt, worauf Baraberger im Philologus I. S.
322 mit Recht aufmerksam gemacht hat. üebrigens finden sich die
Stimmfuhrer der einen oder der andern Meinung in Theodor
Obbarius Commentar S. 142 fF. weit genauer angegeben. Zu
dem zweiten, dem Loliius gewidmeten Briefe wird das Nöthige
nicht blos beigebracht, sondern auch die Meinung festgehalten,
dass der hier genannte Loliius ein Sohn des berühmten Consuls
im J. 733 gewesen sei. Der freie Sinn des jungen Mannes wird
durch die achtzehnte F^pistel ausser allen Zweifel gesetzt,
aber das Epitheton : maxime , als unerklärbar bezeichnet. Wir
glauben, dass, da Loliius wenigstens noch einen Bruder hatte, ein
Unterscheidungswort ganz im antiken Geiste sei. Und sollte man
Anstoss an dem Superlativ wegen der Zweizahl nehmen , so wür-
den wir auf analoge Fälle wie Cic. pr. Süll. 4, 13 und de Offic.
3, 1, 1. Lael, 26, 100 verweisen. Das fehlende natu werden die
Nachweisungen bei Lambin zu Od. 4, 14, 14. For biger zu Virg.
Ecl. 5, 4 und Fabri zu Liv. 23, 30, 11 rechtfertigen. Wenn wir
den von Torrentius geltend gemachten Zunamen Palikanus mit
Paullinus in unserm Commentare zu vertauschen wagten, so stimmt
Herr Estre uns bei, indem er S. 499 noch eine Stelle beibringt,
wofür wir ihm zu grossem Danke verpflichtet sind. Es ist Sextus
Rufus Breviarum c. 11, wo im cod.Burm. also gelesen wird: „Eam
(Galatiam) primus M. Lolius paulinus administravif"^ statt der ge-
wöhnlichen Lesung: „Loliius pro praetore" (vid. Verheykii Edit.
Eulropii). Der Verfasser bemerkt dabei mit Fug und Recht:
,,quae lectio profecto orta non est ex errore librariorum." In dem
d ritten Briefe an Julius Florus wird Vs. 15 — 20 der dichterischen
Leistungen eines gewissen Celsus nicht eben zu dessen Ruhme ge-
dacht. Herr Estre identificirt denselben p. 486 mit dem Celsus
Albinovanus der achten Epistel, wie dies die meisten Ausleger
Ihun. Dabei ist es aufl'allend, warum diejenige Meinung gänzlich
mit Stillschweigen übergangen ist, welche diesen Celsus mit dem
bekannten Arzte für eine Person hält. Seit Bianconi's berühmter
Schrift: Lettere sopra A. C. Celso ad celebre Abate Girolamo Ti-
raboschi. Roma 1779 oder dessen ,, Sendschreiben aus
dem Italienischen übersetzt von L ***. Nebst einer Zuschrift an
Dr. C. Chr. Krause." Leipz. beiGleditsch 1781. S. 131 ff. hat diese
Meinung namentlich unter den deutschen Gelehrten vielen Beifall
gefunden. Ihr stimmen unter andern bei Sprengel in seinem
„Versuch einer pragm. Geschichte der Arzneikunde''' II. S 35
(2. Ausg. Halle l^^OO), M. G. S chil ling in der Quaest. de Cor-
nelii Celsi vita. Part, prior. Lips. 1824. p. 19—82 und in „All-
gem. Encyclopäd."" XVI. S. 24, auch Pal daraus im Progr. Gry-
phisw. 1842 de Cornelio Celso p. 11. Hinsichtlich des Julius Flo-
rus wird mit gutem Glück die Meinung derjenigen bestritten,
welche denselben nach Porphyrions ausdrücklichem Zeugnisse:
/V, Ja/irh. f, Itliil. u. Pml. od, Krit. '^Uibl. IM. LVIH. Hft. 2. J]
162 Lateinische Litleratnr.
„Hic Flonis fnit Salirarum scriplor, cujus sunt EIcctae ex Eniiio,
Luciiio, Varroiic, cet,," zu einem Satireiidichtcr machen. Der
Verfasser findet für seine Meinung einen liichli^en Halt an Iloraz
selbst Kpist. '2, 2, .')9 flF. Carmine tu gaudes: hie delectatur iam-
bis: Flic Bioneis serraonibiis et sale nigro. Beachtenssverth ist
die Vermuthung, dass der in Gesellschaft des Celsus, Titins ge-
nannte Munatius ein Sohn des Consuls Plauens (im J. 71*2) gewe-
sen und auch Od. 1, 7 gemeint sein könne. Bereits hat van Om-
meren gezeigt, wie die Worte: seu te fulgentia signis Castra te-
nent auf den berühmten Consularen nicht recht passen wollen,
man mag nun die Abfassung jener Ode in das J. 734 mit Für-
stenau oder 729 mit Grotefend oder 722 mit Masson setzen.
TreflTend wird bemerkt: „Plauens profecto, qui triumphaverat a.
711, consuique fuerat a. 712, aut non amplius militabat, aut inter
belli duces, neque ejus nomen tacituri fuissent historiarum scripto-
res. Sed alium nos Plancum cogitamus, hujus fllium fortasse,
consulem a. 76*), ab Iloratio Libr. I. Epist 3. Vs. 30 designatum
nomine Munatii etc." An den jungen Munatius Plancus denkt
auch jetzt Grotefend und setzt die Ode in das Jahr 733. Lie-
ber den Titius, welchen Weichert zu einem Titius Septimius
machen wollte, waren die Entgegnungen in Seebode's Archiv
1825. S. 456 ff. nebst Welcker im Rhein. Mus. 1841. 11. Suppl.
3. S. 1434 zu vergleichen. — Bei Tibull,an welchen der vierte
Brief gerichtet ist, nimmt es uns Wunder, die Worte: ,,Albi,
nostroram Sermonum candide judex, cet.'^ S. 359 auf die Episteln
bezogen zu sehen. Diese Stelle wird nämlich mit Epist 2, 1, 2'^0.
„Nee Sermones ego mallem cet " in Vergleichung gesetzt und die
letztere von der Epistolographle erklärt, um darzuthun, dass in
der Vita des Horaz von Sueton des Augustus Aeusserung: „ post
Sermones lectos quosdam" ebenfalls auf die Episteln zu beziehen
sei. Herr Estre setzt hinzu: „Satiras enim suas non subjecit Ho-
ratius Tibulli judicio, peradolescentuli, cum eas scriberet, sed Epi-
stolas diu postea subjecit. Schon das judicio subjicere lässt eine
falsche Auffassung der Stelle zu , als hätte Horaz seine sermones
der Kritik des Dichterfreundes Tibull unterworfen, gegen welche
Erklärung die neuesten Erklärer Verwahrung eingelegt haben;
aber noch mehr wird der wahre Gesichtspunkt verrückt, wenn man
die Briefe der obigen Stelle unterlegt. Der Irrthum entsprang
aus dem Nichtbeachten der chronologischen Auffassung derlloraz-
Werke. Es ist dies die schwache Seite des trefflichen Baches,
welche den Verf. auch anderwärts in unangenehme Verwickelun-
gen führt. Mag man den in Hede stehenden Brief mit Kirch-
ner in das J. 729 oder mit Grotefend in das J. 733 verlegen
(vgl. ^^Schriftstellerische Laufbahn des Horatius.'"'' Hannover
l!**49. S. 25. 30), immer wird man nur an die bekannt gewordenen
Satiren zudenken haben. Wir halten denselben bald nach Bekannt-
werdung der Satiren geschrieben, welcherMeinung auch 0 r e 1 1 i bei-
Estre : Prosopographia Horatiana. 16-^
gepflichtet ist. — Mit Recht verwirft der Verf. zu Brief 5 den L.
Manliiis Torquatus , Consui im J. 689 (p. 495 ff.) , sowie dessen
Sotui und Enkel, von denen man den einen oder andern hier hat
finden wollen. Auch der von Marcilius und Weich er t beliebte
C. Nonius Asprenas Torquatus wird als eine nur von denselben er-
fundene Aushülfe abgewiesen. Und wenn wir in unserm Commen-
tar uns für keinen der angeführten Torquati entscheiden konnten
und unsre Verwunderung aussprachen (I. p. 249), dass nocii Nie-
mand sein Augenmerk auf die Familie des T. oder A. Manlius
Torquatus gerichtet habe: so sehen wir uns auf einmal unserm
Wunsche durch Herrn Estre nahe gebracht. Derselbe sagt näm-
lich (p. 497): ,,Equidem semper miratus sum, Interpretes non co-
gitasse Aulum Torquatum, de quo Nepos in Vita Attici c. 11 : ,,At-
ticus etiam post proelium Philippense interitumque C.CassiietM.
Bruti — Aulum Torquatum ceterosque pari fortuna perculsos in-
stituit tueri: atque ex Epiro his omnia Samothraciam supportari
jussit,^' qui, quam opportune suum locum cum Horatio obtineat,
nemo non videbit. Innotuerat ille Horatio in castris Bruti Cassii-
que; potuit Attici interventu veniam redeundi Romam ab Augusto
impetravisse, ibique facundia, quam laudat Horatius Libr. IV. Carm.
7. Vs. 2S, innotuisse, etiamsi eo nomine apud posteros notus non
fuerit.*' Die Berühmtheit des Geschlechts, welche der Dichter in
jener Ode preist, ist demnach ausser Zweifel; aber wenn Vs. 4
der Epistel: diffusa palustris luter Minturnas Sinuessanumque Pe-
trinum deswegen die vina erwähnt sein sollen, um dem Torquatus
eine angenehme Erinnerung an jene Oertlichkeit, wo einer seiner
Vorfahren im J. 415 nach Liv. 8, 11 die Latiner besiegt habe, zu
gewähren: so scheint uns doch dieser Gedanke zu weit hergeholt.
Die in jener Ode erwähnte pietas wird als eine kindliche Tugend
gegen den Vater A. Torquatus gedeutet, der ein Freund des Cicero
und 702 Prätor gewesen sei, aber nach Porapejus' Sturz zu Athen
im Exil gelebt habe. Auf diesen werden die Stellen bezogen: As-
conius zu Cic. Or. pr. Mil. c. 35, Cicero ad Attic. 5, 4 und 21. 6,
1. 7, 14. 9, 8, ad Divers. 6, 1 — 4, de Fin. 2, 22, „e quo loco
clare apparet,**- so heisst es N. 1. p. 498, „A. Torquatum non
fuisse fratrem L. Torquati illius, quocum profectus est ad Pompe-
jum, id quod Ernestius statuerat, uti bene ostendit Orelliu s.
Hie vero sine causa A. Torquatum , qui memoratur in Epistola ad
Atticura Libr. IX. 8, sejungit ab altero, qui ceteris in locis, vid.
Madvigius ad Ciceronis Libr. II. de Finibus c. 22.'' Wir wollen
diesen letztern Umstand ganz auf sich beruhen lassen und nur so
viel bemerken, dass A. Torquatus, der sich im Bürgerkriege für
Cäsar offenbar nicht erklärt hatte, vielleicht noch im J. 709 in
Athen gestorben ist. Vergl. Cic. ad Div. 6, 1—4, ad Attic. 12, 17.
13, 20 und 21. So freudig wir jene von Herrn E. gemachte Ent-
deckung begrüssten , so schwand uns doch allgemach die Freude,
als wir das Verhältniss des Sohnes zum Vater durch keine der
11*
164 Lateinische Littcratur.
Stellen constatirt sahen; ja es will uns sogar bedünken, als ob der
von JNepos genannte mit Vergleicliiing von c. 15, 3 kein anderer
sei, als der gemeinschaftliclie Freund des Cicero und Atticus.
Denn die erstere Stelle, wo A. Torquatus, L. Julius Mocilla, Vater
und Solin^ nebüt Andern die Ili'ilfe des menschenfreundlichen Atti-
cus erfahren, steht so vereinzelt da, dass auf sie ein wirkliches
Endergebniss sich nicht bauen lässt. Eher könnte T. Torquatus,
der im J. 711 Quaestor des C. Pansa war, fiir einen Sohn des A.
Torquatus gelten, s. Brut. Epist. 1, 6. Diese Verranthung hat be-
reits Orelli im Onomasticon Tüll. p. 379 ausgesprochen. Viel-
leicht tragen unsre Zweifel dazu bei, dass andre Gelehrte den Ge-
genstand tiefer erforschen, als wir zu thun im Stande sind. Lieber
den Numicius, an welchen Epistel 6, und über den BuUatius, an
welchen Epistel 11 gerichtet ist, erfahren wir p. 500 f. die be-
kannte Klage, dass von diesen Männern nichts Zuverlässiges hat
aufgefunden werden können. Von Iccius (Epist. 12, 12 ff.) wird
behauptet (p. 472), dass er der academischen Schule angehört
habe und der Zweck des Briefes in die Empfehlung des Pompejus
Grosphus zu setzen sei. Die Zeit der Abfassung ist nach aus-
driicklicher Versicherung das Jahr 735, wogegen die anderweitigen
historischen Zeugnisse streiten , w eiche die Unterwerfung Arme-
niens und des Königs Phraates in das Jahr 734 verlegen. Nur Dio
Cassius macht hinsichtlich der Cantabri 54, 11 eine Ausnahme,
welche jedoch Sanadon und Düntzer mit den übrigen Angaben
in Einklang zu bringen gesucht haben. Herr Estre begründet seine
Meinung durch die Annahme (p. 410), dass die Nachricht von der
Unterwerfung Spaniens mit der Benachrichtigung dessen, was sich
im Jahre 734 in dem entfernten Asien begeben, so ziemlich zu-
sammenfalle. „Nuntius ejus victoriae Roraam venit haiid ita
diu CV.) postquam resciverant, quae in ultima Asia a Tiberio fue-
rant gesta a. 734.*'' Bei Epist. 1, 15 wirds für möglich befunden,
dass der daselbst genannte Numonius Vala derselbe sei, welchen
eine zu Phliae in dem Tempel der Isis gefundene Inschrift nennt.
Es ist dieselbe Inschrift, welche bei Orelli Inscr. 4931 steht und
welche Letronne im Journal des Savants 1843, p. 466, auf den
Herr E. verweiset, einer Erörterung unterworfen hat. Uebrigens
ist diese Ansicht keineswegs neu, wenn man sich die Mühe neh-
men will, unsern Commentar p. 242 nachzulesen. Der in derselben
Epistel Vs. 26 erwähnte Maenius wird auf die Nachricht, welche
Acron und der Scholiast des Cruquius über ihn hier geben, mit
dem Pantolabus Sat. 1, 8, 10. 2, 1, 21 f. identißcirt und der walire
Name Mallius Verna ihm vindicirt. ,,ColIegit Doct. Ileusdius
(Studia critica in C. Lucilium p. 230) ex scholiis allatis, Maenium
Libr. 1. Epist. 15. Vs. 26 diversum non esse a Pantolabo, adeoque
CO in loco pro: Maenio^ Mallium esse legendum.'* Bei Heusde
finden wir aber nicht Mae/zius, sondern Maenius geschrieben. —
Ueber den Quintius Epist. 16 spricht sich Herr E. weniger be-
Estre: Prosopographia Horatiana. 165
stimm* aus, doch sclieint er ihn nicht mit dem Quiiitius Hirpinns
Od. 2, 11 fi'ir eine Person, gleich wie auch wir, zu halten (p. 493).
Wenn er aber zu der Ode bemerkt, dass Fulvius ürsinus, welcher
den Zunamen Hirpinus in Crispinas hätte verwandeln wollen und
den T. Quintius Crispinus Sulpicianus es. a. 745 gemeint habe,
welcher als Buhle der Julia Augusta im J. 752 gebrandmarkt wor-
den, unmöglich der Zeitgenosse des Horaz sein könne, zu dem der-
selbe sage: „Cur non sub alta vel platano — Potamus uncti*?''Mind
die Anmerkung hinzufügt: „Hoc si cogitasset Obbarius V. Cl.,
non dubitasset, utrum Crispinus Sulpicianus diversus esset necne a
T. Crispino Valeriano, qui consul fuit a. demum 760 cum P. Len-
tulo Scipione. Vid. Panvin. Fast. p. 186 u. s. w. , so nehmen wir
diese Zurechtw eisung dankbar hin , bemerken jedoch , dass w ir
längst von unserm im Archiv 1832 I. 4. p. 576 fF. ausgesprochnen
Zweifei zurückgekommen waren und desshalb dieses Verhältniss in
unserm Commentar p. 295 mit Stillschweigen iibergingcn. — Hin-
sichtlich der Ars poetica folgt der Vf, seinem berühmten Lands-
mann J. H. van Reenen (Disput, de Epistola ad Pisones. Amst
1806), der bekanntlich an den von Tacitus Ann. 3, 16 bezeichneten
Piso denkt, welcher im Jahre 731 mit dem Augustus das Consulat
bekleidet und zwei Söhne, Cnaeus und Lucius, gehabt habe. Da-
bei erfahren wir, dass van Reenen seiner Ansicht bis an sein Le-
bensende treu geblieben sei und dieselbe mit Abfertigung alier
entgegenstehenden Meinungen in zwei Disputationen 1841 und
1843 vertheidigt habe. Dieselben scheinen jedoch nur in dem kö-
nigl. Neerländischen Institute gehalten und nicht zum Drucke be-
fördert worden zu sein. Wenn der Verfasser p. 294 auch der
sonderbaren Meinung des Hieronyraus de Bosch, den Eichstädt
widerlegt habe, gedenkt und dabei sein Bedauern ausspricht, des
Letztern Schrift nirgends gefunden zu haben , so möge hier die
Nachricht Platz finden, dass die Censura novissimarum observatio-
nura etc. als Programm zum Prorectoratswechscl zu Jena 1810
erschienen und in Ernesti's Parerga Horatiana. Halae ad Salam
1818 p. LI ff. abgedruckt ist. Ebendaselbst p. LX[ ff. finden sich
auch des Hieronymus de Bosch Curae secundae etc. mit Eich-
städt's Erläuterungen. Doch wir brechen hier von der Anzeige
eines Werkes ab, das auch, trotz seiner theilw eisen ünvollstä'n-
digkeit , dem deutschen Gelehrten genügsame Gelegenheit zu tie-
fern Forschungen bietet. Die lateinische Darstellung hat zwar
nicht die Reinheit u. Eleganz eines Ruhnken oder Eichstädt,
fliesst jedoch in leichtem Redeflusse dahin. Dabei können wir
den Wunsch nicht unterdrücken, dass die fleissige Arbeit des hol-
ländischen Gelehrten durch einen niedrigem Preis dem deutschen
Schulmanne zugänglicher gemacht werden möge.
Dem obigen Werke setzen wir gleichsam als Ergänzung die
kleine, aber auf jahrelangen Studien ruhende Schrift des um den
166 Lateinische Litteratur.
Iloraz liocliverdienten Veteranen Grotefend zur Seite. Sie
fiilirt den Titel:
Schriftstellerische Laufbahn des Horatius^ vom Schulrathe Dr.
Georg Friedrich Groicfend, Ritter des Königlich Preussischen
rothen Adlerordens. Hannover, Hahn'sche Hofbuchhandlung 1849.
31 S. gr. 8.
Gleich Anfangs müssen wir des erfreulichen ümstandes ge-
denken, dass die kleine Schrift ,,den Schülern der heiden obern
Classen des Lyceums zu Hannover in dankbarer Anerkennung ihrer
fortwährend bewiesenen Liebe zu fernerem Andenken gewidmet'''
ist. Oeffentlichen Blättern zufolge hat der eben so lilterarisch-thä-
tigc als in dem Kreise der Schule praktisch wirkende Verfasser
sein oOjähriges Amtsjubiläum festlich begangen, bei welcher Ge-
legenheit sicli die Liebe und Verehrung sowohl der alten als der
jungen Schüler auf allerlei Weise ausgesprochen hat. Dieser
durch Wort und Tiiat sich kundgegebenen Liebe scheint diese
Schrift als ein Gegengeschenk bestimmt zu sein; und wir haben
daher eine doppelte Ursache der l\litfreude, indem wir einmal den
Mann glücklich preisen, dem die Vorsehung eine so lange Zeit ge-
deihlichen Wirkens verliehen hat, und indem wir zweitens den
dankbaren Sinn der Verehrer des Jubelgreises als ein schönes Zei-
chen der Zeit in der unerquicklichen Gegenwart froh begrüssen
und auch unsrer Seits — wenn auch post festum — dem hoch-
verdienten Jubilar zurufen: Macte virtute esto! Diese Schrift vom
25. September 1849 lässt eben so wenig das Greisenalter spüren,
als die Erstlingsschrift zu Heyne 's Geburtstag 1799 de pasigra-
phia sive scriptura universali das Jünglingsalter. Daher wird jeder
Leser gern in die Huldigung einstimmen, mit der wir den verehr-
ten Mann als einen ter quatercjue beatus willkommen heissen und
ihm den Glückwunsch zu dem heilern Lebensabende eines Nesto-
rischen Lebensalters darbringen. JNach diesem Vorworte, das uns
die mitfühlende Freude abnöthigte, zur Sache! Der gelehrte Ver-
fasser geht von der Ansicht aus, dass bei den meisten Gedichten
des Horaz eine ungefähre Zeitbestimmung zu deren richtigem
Verständnisse hinreiche, bei andern es völlig gleichgültig sei, wann
man sie verfasst glaube. Habe man also nur diejenigen Gedichte,
deren Verfassungszeit sich genau bestimmen oder mit mehr oder
weniger Wahrscheinlichkeit vermuthen lässt, chronologisch geord-
net; 80 genüge es, diesen die übrigen also anzureihen, wie eines
das andere am besten erläutert. Auf diese Weise werde es mög-
lich, mit des Dichters schriftstellerischer Laufbahn seinen Ideen-
gang während seines ganzen Lebens zu verfolgen, von welchem er
nach des Lucilius Weise das Wisseuswürdigste selbst so umständ-
lich angeführt habe, dass wir zur Schilderung seiner Individualität
eines andern Führers selten bedürften, üeberhaupt lässt sich im
Allgemeinen die Schönheit des praktischen Gehaltes wohl erfüll-
Grotefend: Schriftstellerische Laufbahn des Horatius. 167
leii, aber ohne historische Basis niclit durchfühlen und zum all-
seitigen tiefern Verständniss bringen. Im Ganzen ist der Verfas-
ser der von ihm schon früher (Allgem, Encyclopädie der Künste
imd Wissenschaften von Ersch und Grub er Sect. 2. ThI. 10.
S. 457—476 u. Zeitschrift für die Alterthumsw. 1845. Nr. 116—
117) aufgestellten Chronologie treu geblieben. Wir billigen es
vollkommen, dass, wenn wir uns auch über den Anfang der lyrischen
Dichtungen nicht mit ihm einverstanden erklären können, er deren
Ende bis zum Jahre 736 mit Kirchner fortführt; denn die
Fr a nkisch e Theorie, weicherauch Düntzer, Dillen bur-
ger, Weber, Theodor Obbarius u. A. folgen, schliesst
schon mit dem Jahr 730 oder 731 ab, wodurch in der Productivi-
tät des Dichters eine lyrische Pause von sechs Jahren eintritt, was
schon a priori für unwahrscheinlich sich ergeben dürfte. So viel
steht fest, dass der Dichter seine lyrische Laufbahn vor dem Car-
men Saeculare (737) abgeschlossen und die drei ersten Oden Bü-
cher herausgegeben hat. Diejenigen nun, welche dies vor Augustus'
Abreise in den Orient (732) geschehen lassen, gerathen wegen Od.
1, 3 und 2, 9. 3, 5 in allerhand Verwicklungen. Dagegen finden
wir es unnatürlich., dass Horaz erst zehn Jahre nach Beginn seiner
Schriftsteller-Laufbahn^ nämlich 724, die erste Ode: 1, 28, ver-
fertigt haben soll. Auch will sich mit dem Geiste eines hervortre-
tenden Dichters nicht recht vertragen , dass er zum Beispiel im J.
714 nur zwei Stück, als Epod. 5 und Sat. 1, 8, im J. 71') nur drei
Stück, als Epod. 17. 12. 8., im J. 716 nur fünf Stück , als Epod.
10. 6. 4. 15, Sat. 1,7 zu Stande gebracht habe. Wir glauben
vielmehr, dass in den Zeitraum vom J. 713 bis 724 schon ein gros-
ser Theil Oden des ersten Buches, hauptsächlich die griechisch -
artigen, auf ISachahmung beruhenden, falle, obgleich wir nur Od.
2, 7 als eine der ersten aus nicht unzweifelhaften Anzeichen zu
bezeichnen im Stande sind, Gegen die Behauptung, dass die drei-
zehnte und neunte Epode als schon gedichtete Oden der Epoden-
sammluMg (723) beigegeben worden seien, während später ver-
fasste Epodcn, wie Od. 1, 2^, unter die Oden hätten gereiht wer-
den müssen, hat Teuffei ein trelTendes Wort gesprochen (Zeit-
schrift f. d. Alterthumsw. 1*^45. N. 77. S. 616), das wir mit voller
Ueberzeugung zu dem unsrigen machen, nicht zu gedenken, dass
auch Od. 4, 7 ein epodisches Versmaass hat. Auffallender Weise
lässt Grotefend die Briefsaramlung da anfangen (J. 733), wo
Andre sie schlievsen möchten. Vergl. den Epilogus zu unserm
Epistel Commentar Tom. II. p. 558. üeber diesen Umstand schwei-
gen wir jedoch billig, da in solchen Untersuchungen, deren End-
ergebniss zu apodiktischer Gewissheit sich nicht bringen lässt,
das subjective Gefühl eine grössre Rolle spielt, als wir selbst zu
glauben geneigt sind; überdies haben wir bereits im Jahre 1835
(JN. Jahrbb. XV. 1. S. 54 ff.) unsre desfallsige Meinung in diesen
Blällern niedergelegt. Die chronologische Folge der Horaz-Ge
168 Alte Geschichte,
dichte stellt sich demnach auf folgende Weise nach Grotefeiid
lieraiis: Das erste Bnch der Sa tiren ward in dem Zeiträume v.
J. 713 bis 719 geschrieben und in dem letzten Jahre in einer
Sammlung ans Licht gestellt. Die Zeitfolge der einzelnen Stücke
wäre demnach folgende: Sat. 2 (J. 718). 8 (J. 714). 7 (J. 716).
5 (J. 717). 9. 6 ebenso; 3 (J. 718). 4. 10 ebenso, 1 im J. 719. —
Das Epodenbuch fällt in die Jahre 714 bis 723 nach diesem
Zeitverhältniss; Epod. 5 (J. 714). 17. 12. 8 (J. 715). 10. 6. 4.
15 (J. 716). 2 (J. 719). 3. 14. 11 (J. 720). 7. 16 (J. 722). 1. 9.
13 (J. 723). — Das zweite Buch der Satiren umfasst den
Zeitraum vom J. 719 bis 724 und zwar in der Einzelfolge also:
Sat. 2, '2 (J. 719). 3 (J. 721). 4. 8 (J. 722). 5.6.7 ( J. 723). 1 ( J. 724).
— Die Oden beginnen im J. 724 und enden mit dem 3. Buche
im J. 736. Auf das J. 724 kommen Od. 1, 28. 27. 37. 2, 7. 1, 18.
11; auf das Jahr 725: Od. 1, 9. 4. 17. 3, 13. 1, 14. 3, 18. 1, 38.
3, 23; auf das Jahr 726: 2, 14. 3. 31. 2, 15. 3, 6. 2. 1,34. 3, 17;
auf das Jahr 727: 1, 2. 3, 24. 1, 29. 35. 21. 2, 12. 1. 1, 6 ; auf
das Jahr 728: 3, 25. 2, 19. 1, 15. 32. 3, 11. 27. 1, 23. 3, 15; auf
das Jahr 729: 1, 16. 2, 5. 3, 20. 10. 1, 25. 2, 8. 3, 26. 2, 4; auf
das Jahr 730: 1, 24. 2, 11. 1, 26. 36. 3, 14. 1, 19. 30. 3, 19; auf
das Jahr 731: 1, 33. 12. 2, 18. 3, 1. 16. 2, 2. 16. 10; auf das Jahr
732: 1, 22. 5. 8. 3, 7. 12. 1, 13. 3, 9. 28. 21; auf das Jahr 733:
2, 13. 3, 22. 1, 7; auf das Jahr 734: 3, 8. 1, 20. 2, 17. 6; auf
das Jahr 735: 1, 3. 3, 29. 3. 5; auf das Jahr 736: 2, 9. 1, 10. 3,
4. 2, 20._^3, 30. 1, 1. — Das erste Epistelbuch fällt in die Jahre
733 bis 737 und zwar in das Jahr 733: Epist. 1, 2. 3. 4; in das
Jahr 734: 5. 6. 7; in das Jahr 735: 8. 9. 10. 11. 12; in das Jahr
736: 13. 14. 15; in das Jahr 737: 16. 17. 18. 19. 20. 1. Das
vierte Buch der Oden nebst dem C. S. fällt in den Zeitraum
der Jahre 737 bis 745 und zwar in das Jahr 737: Od. 4, 6 und C.
S.; in das Jahr 738: 3. 7. 1. 10. 13; in das Jahr 739: 12. 11. 9.
8; in das Jahr 740: 2. 5; in das Jahr 741: 4. 14; in das Jahr 745:
15. Das zweite Epistelbuch ward im Jahre 742 bis 744 ge-
schrieben und zwar im Jahre 742: 2; im Jahre 743: 3; im Jahre
744: 1. Hiermit empfehlen wir die kleine Broschüre der Be-
achtung des gelehrten Publicums.
Obbarius.
A history of Greece. I. Legefidary Greece. liy Georfre Grote, Esq.
London, John Murray, 1846.
Zweiter Artikel.
Das folgende Capitel handelt von dem Argonautenzuge.
Die Argonauten sind ohne Zweifel schon vor Homer im Volksglau-
ben und im Munde der Sänger gefeiert gewesen. Homer kennt
Grote : A history of Greece. I. 169
den Liebling der Here lason und die allgefeierte Ärgo; er weiss
von der Landung der Argonauten auf Leranos, wo zur Zeit des
troischen Kriegs Euneos, der Sohn des lason und der Hypsipyle,
herrscht; er weiss auch von den Plankton, welche die Argo auf der
Heimkehr passirte. Dann haben die alten Dichter vielfach diesen
Zug beriihrt: Hesiod im Katalog der Weiber, das alte Epos von
Aegimios, Kinäthon in seiner Heraklea, die Naupaktien, und wohl
mehr als gelegentlich, Euraelos, Epimenides in einem grossen Epos
von dem Baue der Argo und dem Zug des lason ins Kolcherland;
ingleichen die Logographen Pherekydes und Hekatäos, denen dies
der willkommenste Stoff war, bis endlich derselbe in die Hände
des Rhodiers ApoUonios und der übrigen Argonautikendichter fiel,
die ihn des letzten Lebensrestes beraubten. Natiirlich zog dieser
mehr als andre dehnsame Sagenkreis, sowie der Orient u.derOcci-
dent sich aufschlössen, immer neue Elemente an sich, jede neue
Pilanzstadt am Pontos leitete den Strom ihrer Erinnerungen bis
in die Zeit lasons hinauf; andererseits sachte jede Landschaft
Griechenlands ihre Helden unter die Begleiter lasons zu bringen.
Nur die Alles überragende Gestalt des Herakles machte hier
Schwierigkeit; daher die Einen ihn vor den eigentlichen Kämpfen
aus der Zahl der Argonauten ausscheiden lassen, die Andern aber
geradezu ausschliesscn als einen , der wegen seiner Grösse den
Uebrigen missfällig gewesen. Ob die Sage von Athamas und Phri-
xos schon bei Homer mit dem Zuge der Argonauten verknüpft ge-
wesen, ist zweifelhaft, aber wenigstens glaubhaft. Wir möchten,
wenn es der Raum gestattete, dem Verf. gern zu den einzelneu
Abenteuern folgen, und bei deren jedem die Schwankungen der
Sage so w ie ihr respectives Wachsthum bemerklich machen. Auch
hier tritt die Art und Weise auf das Klarste hervor, wie der grie-
chische Geist, bewusstlos oder mit Bewusstsein schaffend, combi-
nirend, ausgleichend gearbeitet hat, bis eine glaubenslose Zeit an
den entseelten Stoffen ihre Künstelei versuchte. Schliesslich bie-
tet uns der Verf. (S. 332 ff.) eine Reihe von Betrachtungen über
die Argonautensage im Allgemeinen, in welche wir uns nicht
versagen können ihm zu folgen. Schon Heyne äusserte adApollod.
1. 9, 16: mirum in modum fallitur, qui in his commentis certum
fundum historicum vel geographicum aut exquirere studet, aut se
reperisse, atque historicam vel geographicam aiiquam doctrinam
(systema nos dicimus) inde procudi posse putat. Und gewiss, es
fehlt uns an allen Mitteln, selbst die Frage zu beantworten, ob der
Zug ein irgendwie entstelltes Factum zur Grundlage hat, oder
von vorn herein nichts als eine Sage ist. Es ist ganz umsonst,
dass man durch Ausscheiden des Liebernatürlichen und Romanti-
schen ein Residuum von geschichtlicher Wirklichkeit zu gewinnen
sucht. Gerade das Wunderbare ist das Wesentliche und Reale in
der Erzählung. Der griechische Seemann nahm diese Sagen mit
sich zu Schiffe und iocalisirtc sie, oft mit Zusätzen, die ihm seine
170 A.Ite Geschichte.
eigenen Erlebnisse oder die Scenen der Natur eingaben. So naiiin
er, gleich den WelUirasegiern, von dem Platze Possess, nicht je-
duch einen politischen, sondern einen religiös -poetischen, und
diese Besitznahme wurde, zumal wenn sie durch einen Tempel
oder Altar eine Beglaubigung erhielt, von Allen, die später dessel-
ben VV^egs gefahren kamen, anerkannt. Die epischen Dichter ha«
ben nicht bloss eine mythische Chronologie geschaffen, sondern
eben so wohl eine mylhiche Geographie. Der Unterschied lag
nur darin, dass die letztere durch immer neue Entdeckungen berich-
tigt werden konnte, während keine Argo in die verhüllten Räume
der Vorzeit drang. Aber in jener mythischen Geographie gab es
ausser den Oertlichkeiten, welche einen Schein geographischer
Wirklichkeit hatten, auch solche, zu denen man nicht zu Wasser
noch zu Lande, sondern allein mit den Schwingen des Dichters
hätte gelangen können. Diese Oertlichkeiten gehörten in der
Phantasie des Dichters zu Hause, und gleichwohl suchte der
fromme Glaube sie an eine bestimmte Stelle zu fixiren. So ver-
legte man die Sirenen an die Küste von Neapel, die Kyklopen und
die Lästrygonen nach Sicilien, die Fhäaken nach Corcyra, die
Kirke nach dem von ihr benannten Vorgebirge. Namen. Tempel,
Culte dienten dazu, den Glauben festzuhalten, der sie hervorgeru-
fen hatte. Selbst ernste und strenge Historiker haben nicht ver-
mocht oder nicht gewagt, sich von diesem Glauben loszureissen,
wie Thukydides lehrt. Der Verf. macht mit Recht darauf auf-
merksam, dass der VV e^ und das Ziel des Argonautenzuges durch-
aus keine höhere Realität an sich trage, als der Bau des Schitfes
und seine halbgöttliche Bemannung. In der Odyssee seien Kirke
und Aeetes Geschwister, das ääische Eiland der Wohnsitz beider,
Odysseus nimmt von da aus denselben Weg, den die Argo genom-
men hat. Noch iMimnermos denkt sich Aea, von wo lason das
goldene Vliess holt, in Verbindung mit dem Ocean und als Wohn-
sitz des Helios. Der erste, welcher Aeetes und Kolchis zusammen-
stellte, war Eumelos; es kann das erst geschehen sein, als die
Griechen bereits in das Innere des Pontos vorgedrungen waren
und den Kaukasus kennen gelernt hatten. Der thracische Bospo-
ros erinnerte unwillkürlich an die Symplegaden ; am Phasis war
das Haus der Eos; der Zug der Argonauten galt als vorbereitend
für den Zug der Colonisation, welcher den Pontus mit den schön-
sten griechischen Städten schmückte. Liragekehrt wurden die
Fahrten des Odysseus im Westen fixirt und so die Insel der Kirke
von dem Lande des Aeetes getrennt und Bruder und Schwester
an die entgegengesetzten Seiten des griechischen Horizonts ver-
legt. Das Dritte, was nun noch übrig blieb, war, die Argonauten
vom Osten auf der Heimfahrt zu dem Westen zu geleiten, und es
ist bekannt, wie sehr die Dnbekanntschaft mit dem nördlichen Eu-
ropa dies erleichterte. In all diesen Entwickclungen ist der Verf.
höchst lehrreich und nur eins zu bedauern, dass seine (Jcbcrzeu-
Grote : A history of Greece. I. 171
giing von der Unmöglichkeit jedes Erklärungsversuches ihn ge-
hemmt hat, seiner Darstellung den höchsten Grad von Evidenz zu
geben. Unserer Ansicht nach sind in dem Mythus von lason und
dem goldenen Vliesse überhaupt und ursprünglich agrarische
Verhältnisse dargestellt gewesen (lasion und der goldene
Erntesegen); darnach hat der Mythus erst die Gestalt jenes ro-
mantiiichen und abenteuerlichen Zuges ins Goldland erhalten —
eine Umbildung, welche demjenigen nicht bedenklich sein wird,
der in der deutschen Heldensage sich gewöhnt hat, durch die glän-
zende Heroendichtung hindurch einen dunkeln Urgrund mythischer
Gestalten zu erkennen.
Im Cap. 14 folgen die Sagen von Theben. In der Odyssee
sindAmphion und Zethos die Gründer Thebens. Apollodor
und vermiuhlich auch die älteren Logographen setzten Kadmos
an die Spitze; es hat auch nicht an Versuchen gefehlt, beide An-
sichten zu vermitteln. Der Verf. verfolgt nun, an der Hand des
Apollodor, das Geschlecht des Kadmos. Die Argiverin I o hat einen
SohnEpaphos. Dieser zeugt mit der Libya zwei Söhne: Belos
und Agenor. Von Agenor stammen: Kadmos, Phönix, Kilix, Euro-
pa, — die letztere bei Homer noch eine Tochter des Phönix — ;
Kadmos gründet Theben. Er dient, Theben sowohl mit Phönicien
zu vermitteln als mit Aegypten. Dann hinterlässt er, mit Ilarmo-
nia vermählt, vier Töchter: Ino, Semele, Autonoe und Agaue, und
einen Sohn Polydor. Diesem folgen Labdakos, Laios, Oedipus,
des Laios Regierung durch das Auftreten des Amphion und des
Zethos unterbrochen, und endlich die wunder\oIle Sage von der
Schuld und Busse des Oedipus und dem Falle Thebens. Das für
uns W ichtigste wäre nun ohne Zweifel, das Werden und Wachsen
der Oedipussage zu sehen Leider ist uns dies nur zum Theil
möglich. Homer kennt den Oedipus und seine Mutter Epi-
kaste; er kennt die Kämpfe vor Theben, Tydeus und Polyneikes,
Amphiaraos und die gierige Eriphyle, Adrast und das Wunderross
Arion, das ihn rettet. Aber bei alle dem muss die Sage ganz an-
ders gestaltet gewesen sein, als bei den Tragikern. Sofort, wie
Oedipus die Epikaste geheirathet hat, lassen es die Götter vordem
Auge der Menschen verschwinden. Sie erhängt sich, er herrscht
in Theben fort, allerdings beladen mit dem Fluche der Erinnyen,
aber keineswegs geblendet. In der Oedipodie vermählt er
sich mit der Euryganeia, und sie ist es, die ihm jenes Doppelpaar
von Söhnen und Töchtern gebiert. Pherekydes fügte selbst noch
eine dritte Vermählung hinzu, mit der Astymedusa. Von einem
Exil des Oedipus nach Attika ist keine Rede. Karapfspiele schmü-
cken und ehren seine Bestattung. Hieran schliesst sich das alte
Epos der Thebais und der Epigonen. Von der ersteren, die
unser Verf für ein Gedicht Argos zu Ehren hält, ist Amphiaraos
der eigentliche Held. Wir dürfen uns um so eher des Eingehens
auf diesen Gegenstand enthalten, da Welcker im 2. Theile sei-
172 Alte Geschichte.
lies episclien Cyclus diesem Stoffe eine jener abscliliessenden Be-
handlungen hat zu Theil werden lassen und auch auf Grote Rück-
sicht nimmt. Welcker's Äbhandl. von 1832 (Schulzeitung) ist dem
Herrn Verf. unbekannt geblieben.
Es folgt Cap. 15 die troische Sage ^ deren wesentlicher und
recipirter Inhalt so vorgeführt wird, dass die Anmerkungen die
variirenden Fassungen geben. Es ist ein Boden, auf dem die Sage
in unerraesslicher Fiille gewuchert hat^ ohne dass man immer
Ursprüngliches und spätere Erweiterung zu scheiden vermöchte.
Hier ist es, wo man vor allen Dingen einer so strengen Analyse
bedarf, wie uns VVelck er im zweiten Theile seines epischen Cy-
clus darbietet, obwohl selbst durch die genaueste Prüfung nicht im-
mer klar sich herausstellt, was in dem urspriinglichen Pia» der
Sage gelegen und was später hinzugekommen ist. N^ch schwan-
kender wird diese Entscheidung, wenn sich immer klarer die De-
berzeugung begründete, dass Uias und Odyssee nicht als ursprüng-
lich fertige Gedichte zu betrachten wären, wenn in ihnen vielmehr
der lebendige Strom von Liedern erkannt würde, in denen Vorstel-
lungen wie Sprache sich noch als im Fluss befindliche sich erwie-
sen. Wie zweifelhaft ist es selbst, ob man dem Dichter der Ilias
das Urt heil des Paris als bekannt voraussetzen darf. Wie viel
zweifelhafter alles, was dem Kriege vorausliegt, des Paris verhäng-
nissvolle Geburt, seine FJrziehung unter den Flirten des Gebirgs,
seine Wiedereinführung in die königliche Familie u. s. w. Wie
nach vorn, so dürfen wir auch gegen denSchluss und in der Mitte
nicht an unermesslichen Flinzudichtungen zweifeln, die der einfa-
chen Heldensage von Troja''s Fall ganz und gar fern gelegen ha-
ben. Die Ilias weist in zahllosen Stellen über sich hinaus auf Ge-
genstände, die in der Sage gelebt liaben, wenn sie auch noch nicht
in die Form der Epopöe gebracht waren; die Odyssee eben so auf
Dinge zurück, die in den Raum zwischen Ilias und Odyssee fallen.
Der frühe Tod, in den Achill dem Ilektor nachfolgt, zieht durcli
die ganze Ilias sich Iiindurch und wird dem Achilles auf das Be-
stimmteste geweissagt. Er folgt, nachdem der glänzende Sohn
der Eos den Antilochos er>chlagen hat. Um den Leichnam des
Achilles erhebt sich ein heisser Kampf. Dann folgt der Streit um
die Waffen des Achilles und der Tod des Aias durch seine eigene
Hand. Am Hellespont stehen die Gräber des Achilles und des
Aias. Dann wird vom hölzernen Ross, das Epeios gefertigt, bei
den Phäaken gesungen; von der Zerstörung der Stadt, von dem
Kampf beim Hause des Deiphobos. Auf Aeneas, als einen, der dem
Tode entrinnt, wird vielfach hingedeutet. Es hat offenbar ein rei-
cher Stoff vorgelegen, den der Dichter der Ilias und der der Odys-
see kannte. Die zahlreichen Beziehungen auf diesen Stoff nöthi-
gcn uns, mehr vorauszusetzen, als ausdrücklich erwähnt wird. Aber
wie viel da gewesen, wie viel hinzugedichtet sei, ist fast unmöglich
zu sagen. So werden die Amazonen erwähnt in der Ilias, über
Grote : A history of Greece. I, 173
nicht so, dass vermiithet werden könnte, der Dichter habe sie ge-
kannt als solche^ die an dem Kampfe wider die Griechen Theil ge-
nommen haben. So lange Geist und erfinderische Kraft die Ho-
meriden erfüllte, strömte aus unsichtbaren Quellen die Sage fort,
und es ist interessant zu bemerken, wie in dem letzten Gedichte
dieses Sagenkreises auch die letzte Lebensader desselben versiegte.
Der Verf. hat dies Werden und Wachsen der Sage auch hier zu
einer guten Anschauung gebracht. Die nächste Frage, welche er
sich vorlegt, ist nun natürlich die, ob nicht wirklich unter den
Mauern Troja's ein Krieg stattgefunden habe, der, abgesehen von
den Göttern und Heroen, von Helena, den Amazonen und den Ae-
thiopen, von dem hölzernen Pferde und all dem weiteren bunten
Farbenspiel der Poesie, in rein mensclilicher Weise geführt sei
und den historischen Kern zu all jenen Krystallisationen der Sage
bilde. Der Verf. antwortet hierauf consequent: die Möglich-
keit eines solchen Krieges sei nicht zu leugnen, aber eben so die
Wirklichkeit desselben nicht zu beweisen. Die Griechen
glaubten an die Wirklichkeit des Krieges. Thukydides knüpft an
Homer seine tief eindringende Betrachtung der alten Zeit, und
nicht blos derjenigen, in welcher Homer gesungen hat, son-
dern auch derjenigen, welche er besungen hat; Neu-Ilion, obwohl
erst unter der letzten Dynastie der lydischen Könige gegründet,
zeigte die durch Homer geweihten Stellen auf und galt als iden-
tisch mit dem der Sage; Xerxes, Mindaros, Alexander, die Römer
gewährten dieser Identität ihre Anerkennung. Auch die Zweifel,
welche sich hiergegen erhoben, von Hestiäa, aus Alexandria
Troas gebürtig, und dem Skepsier Demetrios, griffen nicht die
Realität des Krieges noch die Autorität des Homer an , sondern,
vielleicht durch nachbarliche Eifersucht eingegeben, den An-
spruch der Ilienser , im Besitz der alten heiligen Stadt zu
sein, Sie fanden z. Beisp. nicht Raum genug zwischen Neu-
Ilium und dem Schiffslager der Griechen für alle die Kämpfe,
deren Homer gedenkt, und verlegten daher die wirkliche Stelle
weiter landeinwärts, nach der sogenannten xco^r^ xc5v 'IXUcov.
Aber auch mit diesen Zweifeln selbst blieben sie vereinzelt und
gewannen erst nach Jahrhunderten die Zustimmung des starren
Homerikers S trabo. Wollen wir uns aber, statt durch die Sage,
durch die Geschichte belehren lassen, so finden wir in historischer
Zeit die ganze Halbinsel, mit Ausnahme einiger Küstenstädte, die
ionischen Stammes sind, im Besitze der Aeoler. Vor diesen ist
nur ein Volk, das aber bei Homer gar nicht vorkommt, in diesen
Gegenden nachzuweisen, das der Teukrer, welches sich ver-
muthlich weiter gegen Süden erstreckte, bis es durch die vordrän-
genden Aeoler auf einige Orte, unter denen Gergis, beschränkt
wurde. Diese Teukrer sind eine Kolonie aus Kreta und daher
den Griechen stammverwandt, dagegen in der Poesie das Volk des
Priamos ein den Griechen absolut fremdes ist. Nach diesen Erör-
174 Alte Gescluclite.
tcrunifcn wird es für die Leser interessant sein, das neueste, die-
sen Gegenstand beliandclnde VVerii, Wclcker's epischen Cycliis,
namentlich die Einleitung, zn vergleichen, welche sicli auf den et-
waigen historischen Kern der troischcn Sage bezieht und aller-
dings zu positiveren llesuUatcn iuhrt.
Die bisherigen Capitel haben eine Skizze jener Stoffe der Er-
zählung gegeben, aus denen die Urgeschichte und Cfironologie
Griechenlands extrahirt ist. Aus unbekannten Quellen strömten sie
hervor und lebten zuerst als luftige Erzähliuigen im Volke, bis sie
zum grossen Theile in den Gesang der Dichter i'ibergingen, welche
sie auf tausend verschiedenen Wegen vervielfachten, umbildeten
und ausschmi'ickten. Es war die erste Schöpfung des griechischen
Geistes, der gemeinschaftliche Kern, welcher ihre historische,
geographische, theologische, moralische Bildung in sich umschloss,
zugleich sich an die nächste sie umgebende Wirklichkeit an-
schloss und dem Hang nach dem Wunderbaren vollauf Nahrung
bot. Um sie zu verstehen, muss der Betrachtende sich auf die
Kindheitsstufe eines Volkes zurVickversetzen, welches sehend, hö-
rend, erzählend imfrohen Genuss der Gegenwart sich erging, arg-
los und harmlos den Bildern seiner Phantasie, den Personificatio-
nen . die es sich von den Erzeugnissen der Natur und seines Gei-
stes bildete, Glauben schenkte, seine Götterwclt sich als ein Ab-
bild der eigenen gestaltete und mit diesen Phantasiebildern als
mit Wirklichkeiten verkehrte. Dieser Geist erhielt sich auch
noch in späterer Zeit in entlegenen Ortschaften, wohin der Geist
eines Anaxagoras und Thukydides nicht gedrungen war; in frühe-
rer Zeit war er der alleinige und die griechischen Gölter- und
Heroensagen sein nothwendiges Erzeugniss. In ihnen lebte die
Erinnerung an eine Zeit fort, in welcher „den unsterblichen Göt-
tern und den sterblichen Menschen gemeinsame Mahle und ge-
raeinsame Sitze waren, '■• und zu welcher das spätere Geschlecht
immer wieder zurückkehrte , um sich des kindlichen Verstandes,
der jugendlichen Einbildungskraft und des vollen Herzens der Vor-
zeit wieder zu erfreuen. Man nahm noch keinen Anstoss daran,
den Göttern menschliche Leidenschaften ins Herz zu legen ; man
hegte noch keine Scrupel, an die Wirklichkeit jener Bilder zu
glauben. Der Dichter erschien gleich dem Propheten als inspirirt
von höherem Geiste; seine Dichtung als eine rerum divinarum et
humanarum scientia. In seiner vollen Kraft und Geltung sehen wir
diesen Standpunkt des Glaubens in Homer; obwohl er noch in den
cyclischen und hesiodeischen Dichtern sich erhielt, bis in das er-
ste Jahrhundert der Olympiadenrechnong. Von da ab sehen wir
einen andern Geist, den der Wissenschaft und der Kritik, heran-
wachsen, und mit ihm die alte Götterwelt in Trümmer fallen.
Die erste Ursache zu dieser Umwandlung ist das Wachsen der
griechischen Intelligenz. Wie die Griechen vor allen andern Völ-
kern den Mythen ihrer Kindheit jenen unsterblichen Beiz und
Grote: Ä history of Greece. I. 175
jenes allgemeine Tnteresse verlielien hatten, so waren sie es, wel-
che, aus der Schärfe der Beobachtung und Combination heraus, die
wahre Wissenschaft produciren sollten. Schon in den hesiodei-
sehen Gedichten tritt die Gegenwart an die Stelle der Vorzeit; die
Gegrnwart, verlassen von Göttern und Heroen, in ihrem physi-
schen BedVirfniss, in ihrer sittlichen Entartung. Gegeniiber dem
Homer heisst Flesiod der Flelotendichter. Es folgt dieselbe Rich-
tung in Archil ochos. Der Wechsel des Rhythmus, bemerkt der
Verf. mit sehr gutem Recht, bildet in Zeiten, wo der lebendige
Gesang waltet, eine Epoche. Dichter und Zuhörer miissen andere
geworden sein. So ist es in der That. Im fioraerischen Gesang
ist der Dichter das namenlose Organ der historischen Muse, die
Zuhörer wollen nur hören, glauben, fiihien die Ereignisse der
Vorzeit, die Erzählung gehört nicht einer Zeit oder einer Oert-
lichkeit an. Jetzt tritt das persönliche Gefühl des Dichters, die
Specialitäten der Gegenwart in den Vordergrund. Archilochos
schlug mit seinen lamben tödtliche Wunden. Simonides von
Amorgos brauchte dasselbe Metrum mit weniger Bitterkeit, aber
mit derselben antiheroischen Tendenz, wie sein Vorgänger. Dem
Geist nach ist er ein Fortsetzer von den Werken und Tacen. Bei
Alka OS u. Sappho ist es gleichfalls das persönliche PiVblen und
Leiden, das persönliche Verhaltniss zu ihren Zeigeiiossen, w elches
die Seele ihrer Lyrik bildet. In Kallinos, Mimnermos, Tyr-
täos ist es eben so; bei So Ion, Theognis und Phokylides
kommt ein tief sittliches Gefühl hinzu , welches der homerischen
Poesie ganz fehlt. Am Gebrauch der Mythen fehlte es auch bei
diesen Dichtern nicht; aber sie sind der Gegenwart zugekehrt.
Die epische Poesie des 7. und 6. Jahrh. trug noch den alten epi-
schen Charakter ohne den alten epischen Genius.
Um 660 wurde Aegypten den Griechen aufgeschlossen; es
war wie eine neu entdeckte Welt für die Hellenen. Eine uralte Bil-
dung, Wunderwerke der Architektur, Kenntnisse der Astronomie
und der Geometrie; mehr noch, sie brachten ein Interesse an dem,
was das eigene Land aus der Vergangenheit an Denkmalen darbot,
heim! Der geschichtliche Sinn erwacht. Es unterstützten
ihn die Feste, zu denen alle Hellenen zusammenströmten, die geo-
graphische Ausbreitung des griechischen Volkes nach Osten und
Westen; die alten Mährchen wurden lächelnd widerlegt; man fing
schon an, geologische Speculation zu üben. Welch ein Unterschied,
der Anfang der Olympiaden und das Zeitalter des Hero<lot! Man
fing schon an, sich der neugewonnenen Civilisation zu freuen, das
Piratenwesen des Homer als einen Zustand der Rohheit zu be-
trachten, die Unsittlichkeiten der alten Poesie mit Xenophanes
schwer zu rügen. Dann kam das Studium der Natur mit der ioni-
schen Philosophie. Diese Natur ist nicht mehr die persönlich-vor-
gestellte. Selbst die Worte (pvöig und xoö^og treten in dieser
Bedeutung erst jetzt auf. Hiermit beginnt nun die Scheidung zwi-
176 Alte Gcscliicl)te.
seilen der wisscnscliaftliclien und der volksthümlicli gläubigen Be-
trachtung der Dinge, in allerdings verschiedenen Formen. Hier
hält der Eine noch für alle Erscheinungen der Natur und des
]>Ienschenlebens die wissenschaftliche und die fromme Auffassung
in ihrer Unterschiedlosigkeit fest (Ilippokrates), ein Anderer
lässt für eine gewisse Classe von Phänomenen die erstere, für eine
andere die zweite Betrachtungsweise gelten (S o kr at es), während
ein Dritter (Anaxagoras) die Götter geradezu zu allegorischen
Personen herabsetzte. Hier haben wir unter den Forschern selbst
die verschiedenen Standpunkte. Tiefer und unheilbar war der
Bruch zwischen der Wissenschaft und dem Volksglauben, welcher
durch jene, wenn auch nicht plötzlich zerstört, doch allmählig
aufgelöst, umgebildet, und selbst wieder den neuen Ideen angepasst
wurde. Die Mythen werden von einem Standpunkte aus betrach-
tet, welcher der ehrfurchtsvollen Wissbegierde und dem phantasie-
vollen Glauben der homerischen Welt durchaus fremd war. Der
Verf. unterscheidet hier die Auffassungsweise der Dichter, der Lo-
gographen, der Philosophen und der Historiker.
Den Dichtern und Logographen sind die mythischen Personen
reale Vorgänger, aber es ist eine göttliche, niclit eine menschliche
Realität; die Gegenwart ist, mit dem Dichter zu reden, nur ein
Halbbruder der Vergangenheit; die alten Gefühle, der alte bewusst-
lose Glaube bleiben noch in der Seele; aber neue Gefühle sind
emporgewachsen, welche sie nöthigen, manche der alten Erzählun-
gen fallen zu lassen oder zu ändern. Pindar protestirt gegen die
Erzählung, wie Pelops von seinem Vater den Göttern vorgesetzt
sei, gegen die Gefrässigkeit der Götter. Die Liebschaften des
Zeus und Apollo lässt er bestehen, aber er unterdrückt einzelne
Details, wie den Raben, der Apollo von der Untreue der Koronis
unterrichtet. Der Charakter des Odysseus widerstrebt ihm, da-
gegen fühlt er mit Aias die tiefste Sympathie. Er hat es kein
Hehl, dass die alten Geschichten zuweilen falsch sind. Das Wunder
an sich stört ihn nicht, er rückt es selbst der Gegenwart näher,
indem er von Phalaris und Krösos wie von lason und Bellerophon
singt. Bei Aeschylos und Sophokles ist derselbe Glaube an
das sagenhafte Alterthum als ein Ganzes; aber sie erlauben sich
grössere Freiheit im Einzelnen. Für den Erfolg der tragischen
Poesie war es eben so nöthig, den alten Stamm zu erhalten, wie
durch neue Gruppirung und (Komposition Interesse zu erwecken.
Aeschylos und Sophokles haben die Würde der mythischen Welt
eher erhöht als vermindert. Der Prometheus des Aeschylos ist
eine ganz andere Person als der des Hesiod, der Sophokleische
Oedipus ein anderer als der der Sage. Allerdings wirkt der De-
mokratismus Athens auf Aeschylos' Dichtungen ein; der Gegensatz
zwischen dem alten und dem neuen Geiste ist von bedeutendem
Einfluss auf die äschyleische Tragödie; aber in diesem Gegensatze,
an dem die Götter selbst Theil nehmen, erscheinen Götter und
Grote: A history of Greece. I. 177
Menschen in einer Erhabenheit, zu der die gewöhnliche mensch-
liche Natur nicht hinaufreicht; es ist als schwebten vor den Augen
des Zuschauers jene
ot ^8c5v dyiiöTCOQOi
Ol Zrjvog syyvg, olg 8v 'Idalco Ttaya
z/tög TtatQCJov ßc3}i6g eöv ev al^egi^
xovTto 6q)iv B^itrjXov al^cc dctLuovcov.
Von dieser Höhe steigt Euripides jählings herab, indem er die al-
ten Mythen zum Spiel werk seiner Willkiir macht, Götter und
Menschen dem geschwätzigen, subtilen und klugdünklichen Volke
der athenischen Agora gleichbiidet, seine Helden mit allen Künsten
moderner Wissenschaft und Sophistik ausstaffirt, schauerliche und
zugleich gemeine Verbrechen auf die Bühne bringt und hiermit
den Volksglauben wesentlich auflöst.
Die Logographen treten ebenfalls mit zweifellosem Glau-
ben und ehrfurcliisvoller Achtung an die mythische Welt. Ihre
grosse Aufgabe aber ist, die Mythen in zusammenhängende Rei-
lien zu bringen; sie mussten daher nothwendig zwischen widerspre-
chenden Erzählungen eine Auswahl treffen, einige als falsch ver-
werfen, andere als wahr recipiren. Sie wurden dabei mehr durcli
ihre Gefühle als durch einen etwaigen historischen Takt geleitet.
Pherckydes, Akusilaos, Hellanikos suchten nicht die
Wunder aus der Geschichte zu beseitigen; sie wollten nur W'ider-
sprüche entfernen und glaubten übrigens an die geschichtliche
Natur dieser Erzählungen. Hellanikos bestimmte Jahr und Tag
der Einnahme Troja's. Hekatäos ist iler Erste, welcher mit
Zweifel an diese Stoffe herantrat und sie in die Schranken histo-
rischer Glaubhaftigkeit zu zwängen suchte. So suchte er mythi-
sche Gestalten der Wirklichkeit näher zu bringen: Cerberus ist
ihm eine Schlange in einer Höhle am Vorgebirge Tänaron, Ge-
ryones ein heerdenreicher König von Epirus. Und doch führte er
sein eigenes Geschlecht durch eine Reihe von 15 Ahnherrn auf
einen Gott zurück. Dieser innere Widerspruch ist auch in He-
rodot und Thukydides. Sie haben beide den vollen ver-
dachtlosen Glauben an die allgemeine Realität des mythischen Al-
terthums; aber sie treten an dasselbe mit historischem Sinn, sie
wollen die historische Glaubhaftigkeit aus inneren Gründen prüfen;
sie wollen die Details nicht ohne Weiteres so annehmen, wie sie
ihnen von den Dichtern und Logographen überliefert sind. Jeder
von ihnen macht nun den Process auf seine eigene Weise durch.
H erod ot ist ein Mann von tiefem und ängstlichem religiösen
Gefühle; die Götter entscheiden die historischen Ereignisse; er
spricht daher von ihnen mit Ehrerbietung , mit Rückhalt ; er ver-
schweigt, um ihre Geheimnisse nicht zu verletzen, heilige Legen-
den, die er gehört liat; er verschweigt oft selbst ihren Namen; es
ist, als ob das Gehei.mniss eben von der Zunge springen wollte; er
iS, Jahrb. f. Phil.u. Päd. od. Krit. Bill. ßii. LVUI. Hfl.X 12
17S '^'te Gcscluclitc.
hält CS i^lcicliwolil zunick. Die Personen, die Ereignisse ilcr Vor-
zeit hält er für vollsländi^ real; selbst in die Kponymen der einzel-
nen Sliidle oder Landschaften setzt er keinen Zweifel; er verfolgt
die Geschichte an der Leiter der Genealogieen anfwärts bis zu
ihrem göttlichen Ursprung. Darum aber lässt er für einzelne Er-
eignisse doch die nothwendige Kritik gelten. Wie soll, fragt er,
Jemand glauben, dass Herakles allein viele M;yriaden getödtet
habe*? So beginnt er auch die alten Erzählungen acht rationali-
stisch zu deuten. In Dodona ist das Orakel und die Firzäiilung
von den Tauben. Er zieht ihr die Mittheiluug der Priester des
ägyptischen Thebens vor, weil er nicht über das Wunder hinweg-
kommen kann, dass Tauben sollten mit menschlicher Stimme ge-
redet haben. Melampus hat seine Seherkunstsich erworben, das
Thal von Tempe ist durch ein Erdbeben entstanden u.s. w. Auch
Thukydides glaubt an die mythische Vorzeit; aber er glaubt
daran , wie an eine wirklich historische Zeit; Ilerodot unterschei-
det zwischen Polykrates und Minos; dem Thukydides sind Ke-
krops, Pelops, Hellen Personen gerade so gut wie Miltiades und
Themistokles ,* er nimmt keine Wunder an, er glaubt auch an kein
Geschlecht , das mit besonderen wunderbaren Kräften von den
Göttern ausgestattet gewesen wäre. Den troischen Krieg behan-
delt er ganz als historische Unternehmung und berechnet aus der
Zahl der Schiffe selbst die Zahl der Personen, welche daran Theil
genommen haben. So spricht er von den Phäaken als Urbewoh-
nern Corcyra's, vonTereus und Prokne, von Kyklopen und Lästry-
gonen. Eryx und Egcsta sind wirklich von flüchtigen Troern, das
amphilochische Argos von Amphilochos dem Sohn des Amphiaraos
gegründet. Noch weiter gehen die folgenden Historiker. Anaxi-
menes von Lampsakos beginnt seine Geschichte mit derTheogo-
nie, Ephoros geht wenigstens nicht über die Rückkehr der He-
rakliden hinaus, obwohl er seinem Plane in dieser Beziehung nicht
treu geblieben ist. Sie haben alle das mit einander gemein, die
Gölter- und Heroenvorzeit in einfach menschliche Geschichten
umzudeuten, bis endlich in Euhemeros und seinen Nachfolgern
dies System der Scheingeschichte zur Karrikatur wurde.
Entschiedenere Gegner fanden noch die alten Mythen beiden
Philosophen. Auf einem sittlichen Grunde ruhte die strenge Kri-
tik des Kolophoniers Xenophaues Solchen Angriffen zu be-
gegnen, statuirte Thcagenes von Rhegion einen doppelten Sinn
in den homerischen und hesiodeischen Erzählungen und allegori-
sirte nach diesem Princip den Kampf der Götter in der Illade.
Anaxagoras und Metrodor bildeten diese allegorische Er-
zählung noch systematischer aus, der erstere mehr nacli der ethi-
schen, der zweite mehr nach der physischen Seite hin. Zeus,
Hera und Athene wurden ihm so zu Naturkräften, die ihnen zuge-
schriebenen Abenteuer zu Naturerscheinungen. Empedokles,
Prodikos, Antistheneg, Parmenides, der Pontiker Hc-
Grote: A history of Greece. I. 179
raki cides folgten mehr oder weniger demselben Principe, und
die Eiklärer des Flomer nahmen eben dazu ilirc Zuflucht. Zu
Plato's und Xenophons Zeit war diese allegorische Interpretation
die recipirte ; Plato selbst hielt diesen Ausweg für ungenügend,
weil die jugendliche F'assungskraft der Vorfahren unmöglich hätte
den tieferen Sinn der Allegoriesich aneignen können. Immer po-
pulärer wurde jedoch diese Methode nach Christi Geburt, wo die
Neu-Platoniker und Andere sich ihrer als eines Schildes gegan die
Angriffe der Christen bedienten. So war bei den heroischen My-
then die historisircnde, bei den Göttermythen die allegorisirende
Methode zur Herrschaft gelangt. Metrodor hatte wenig Erfolg,
als er die allegorische Methode auf die Heroen, und Euhemeros
wurde als verrucht verschrieen, als er die historisirende Älethodc
auf die Götter anwandte. Ja selbst für die Götter beschränkte
man die Allegorie doch mehr auf die unteren Götter; kaum dass
die Stoiker alle persönlichen Göttergestalten mit hineinzogen; die
Frömmigkeit sah in dieser unbeschränkten Allgemeinheit jenes
Verfahrens , in der Aufhebung aller göttlichen Persönlichkeiten
eine zu grosse Gefahr für die Religion überhaupt. Die ünterschei-
dui»g zwischen Göttern und Dämonen, welche seit Empedokles im-
mer mehr ausgebildet wurde, wurde gleichfalls benutzt, den Glau-
ben an die alten Sagen und die Würde der Götter zu schützen.
Nachdem der Verf. so dargelegt hat, wie das Verhältniss des
Glaubens zu den alten Götter- und Heroengeschichten sich umge-
staltet habe, bekämpft er noch einmal die Anwendung der histori-
schen Methode auf die alte Sagenzeit als eine völlig unzuverläs-
sige, und eben so die der Allegorie auf die Behandlung der eigent-
lichen Mythen. Er erklärt sich hierbei namentlich auf das Be-
stimmteste gegen das Verfahren Creuzer's und führt immer,
der supponilrten hohen Weisheit, welche sich in symbolische For-
men verkleidete, gegenüber, zurück auf die Kindesnatur des Vol-
kes, bei dem Geschichte und Religion, Glauben und Schauen,
Göttliches und Menschliches zu unmittelbarer Einheit zusammen-
flössen.
Nach diesen Erörterungen, welche den Inhalt des 16. Cap.
bilden, giebt Cap. 17 tke Grecian mythicaL vein compared witli
that of modern Europe. Das Vorhandensein einer Sage, in
grösserer oder geringerer Ausbildung, ist ein Phänomen , dem wir
überall wieder begegnen. Es ist der natürliche xAusdruck des un-
gelelirten phantasic- und glaabensvoUen Menschen; das Maximum
desselben gehört einer frühern Culturstufe an; so wie die histori-
sche Erinnerung, die Verbreitung positiver Kenntnisse, Prüfung
mit Hülfe der Kritik wachsen, verliert die Sage ihr inneres Leben.
Sie bietet dem Dichter den positiven Stoff, den er dichterisch ge-
staltet, und ebenso die Anregung zu eigenen Schöpfungen, zu einer
Zeit, wo der Dichter der Lehrer der Religion, der Historiker und
der Philosoph eines Volkes ist. Solche Volkssagen finden wir bei
12*
180
Alte Geschichte.
tlen cleutsiclicn und cellisclicii Stämmen. Die Sa^en der Gotlie i
siiul bereits hei Jornandcs in Zusammenliau^ ^ebraclit, von Thui-
sto, Maiinus uiul dessen Söhnen ist schon bei Tacitus der Anfang
eines genealogischen Systems. Die "[rossen Analogieen zwischen
der germanisch-scandinavisclien und der griechischen Vorzeit sind
unzweifelhaft und oft genug in heiles Liciit gesetzt. Aber die
früheste Poesie der Griechen hat den Vorzug der Fülle, der
Scliönheit; sodann ist der üebergang aus dieser sa*renhaft poeti-
schen in die spätere Zelt ein innerliclier, nicht ein Werk von Aus-
sen Es ist freilich ein grosser Schritt von Homer zu Thukydi-
des oder Aristoteles; aber es ist der naturgemässe Üebergang von
der Jugend zum Mannesalter. Bei den Germanen ist diese Um-
gestaltung melir eine äusserliclie und gewaltsame Die römische
Welt, das Christentlium zerrissen gewaltsam das Band, das sie an
die alten Götter knüpfte; eine neue Sprache mit einer Litteratnr,
die Gewohnheit des Schreibens, Geschichte, mit einem Worte
eine fertige Civilisation kam zu ihnen, und diese Civilisation war,
wenn auch Karl der Grosse die alten Lieder zu sammeln befalil,
der früheren feindlich. Von Ludwig dem Frommen heisst es: poe-
tica carmina gentilia, quae in juventute didicerat, respuit, nee le-
gere nee audire nee docere voluit. Da wurden auch die Königs-
reihen, welche bis auf Odin zurückführten, zerbroclien , und man
suchte jetzt an biblische Personen anzuknüpfen. Die alten Götter
selbst sanken in die Reihe der Dämonen oder euhemeristischer Per-
sonen hinab. Das Interesse an mythischer Erzählang wurde durch
Ileiligensagen und ritterliche Dichtungen befriedigt, und nament-
lich die letzteren wurden das, was die Sagen von Theben und Tro-
ja, von Oedipus und Theseus den Griechen gewesen waren. Diese
Sagen, von Siegfried, von Karl, von Artus haben auch noch ein an-
derweitiges Interesse: sie zeigen, wie absolut unmöglich es ist,
aus ihnen einen etwaigen lüstorisclien Kern zu gewinnen. Der
Karl der Grosse, den die Romanzen schildern, ist, wie vor Allen
Taiiriel gelehrt hat, gar nicht der historische. Es wäre mehr
als lächerlich zu untersuchen, ob nicht wirklich ein Zug Karls ins
gelobte Land Statt gehabt, wie bei den Thaten der Ritter von der
runden Tafel die Wahrheit von ihren dichterischen Uebertreibun-
g:eu zu sondern sei. Eben so lehrreich ist es, mit dem Nibelungen-
liede die Volsunga Saga zu vergleichen, und, wenn man den tie-
fen mythischen Hintergrund und die göttliche Natur so vieler da-
rin erscheinender Personen erkannt hat, sich zu fragen, ob man es
noch wagen solle, von der Realität des Achilles, des Oedipus n.
8. w. zu reden. Wir müssen uns mit diesen Andeutungen begnü-
gen, aus denen hoffefitlich erhellt, dass und wie der Verf. seine
Aufgabe erfasst hat.
Das 18. Capitel enthält die closirfg evenfs of legendary
Greece^ und unter diesen a) die Rückkehr der llerakliden. Der
Verf. giebt die Sage, indem er Apollodors Darstellung zum Grunde
Grote: A history of Greece. I. 181
legt. Es I'ässt sich nicht leugnen , dass sicli frühzeitig eine Art
Typus bildete, Grundziige für die PJrzähiung, welche als unhezwei-
feit festgehalten wurden. König Aegimios und seine Verbindung
mit Herakles im Lapithenkriege, Oxylos , der IJebergang bei Nau-
paktos, die Dreithcilung der dorischen Eroberungen und einige an-
dere Züge standen fest, theils weil sie in bestehenden Verhältnis-
sen der späteren Zeit eine Art Bürgschaft fanden, tlieils vermuth-
lich, weil sie durch ein anerkanntes Epos, ich denke den Aegi-
mios, fixirt waren. Es ist in der griecliischen Sage wie später in
der Kunst; als einmal das Zeus-, Apoll-, Dionysosideal festgestellt
war, wagte kein folgender Künstler diesem sich entgegenzustellen.
Innerhalb jener Schranken aber gab es manche Variationen. Hät-
ten wir Eph Gros vollständig, ich glaube, wir würden ein wesent-
lich modificirtes Bild jener Zeit erhalten; auch Plato hat sich
die Besilzergreifung der Dorier anders gedacht und nur in den
beiden Grundzügen eine Uebereinstimniung mit der recipirten
Sage: dass er gleiclifalls die Dorier von den Hcrakliden ursprüng-
lich geschieden denkt, und dass er von der Eroberung spricht mit
Anerkennung eines guten Rechtes der Eroberer. Um einige jener
Variationen zu erwähnen, so ist nach Diodor, der hier mit Apollo-
dor vermuthlich aus einer Quelle geschöpft hat, Aegimios König
der Dorier, welche Hestiäotis inne haben , nach Ephoros dagegen
der am Oeta wohnenden Dorier. Tisamenos fällt nach dem Apol-
lodor beim ZusammentreiTen mit den Doriern, nach einer an-
dern Sage im Kampfe mit den loniern. Die Einen lassen, nach-
dem Hyllos dem Echemos unterlegen ist, die Herakliden 100 Jahre
lang Frieden halten, die Andern lassen auch Kleodäos und Aristo-
machos den Angriff erneuern und beide mit dem Leben büssen.
Die Dichter Hessen den Aristodem vor dem üebergang sterben,
die Lakedämonier aber, oixoKoytovtsg ovöev\ nonqxi}, sagen, Ari-
stodemos habe selber als König sie in ihr Land eingeführt und
nicht die Söhne desselben. Oxylos ist eine eanz sairenhafte Ge-
stalt. Es stellt nur eins fest: dass die Dorier in der Peloponnes
sind und dass sie in einer früheren Zeit nicht darin gewesen sind.
Wer mehr als das aus der Sage entnehmen will, hat wenigstens
keine Sicherheit dafür, dass er das Wahre treffe.
b) Die Wanderung der Tliessaler und der Böoter. Hier ist
die Aiictorität des Thukydides entscheidend geworden, welcher
lehrt, 60 Jahre nach Ilions Zerstörung seien, verdrängt durch die
Thessaler, die Böoter aus Arne nach dem Kadmeerlande gezogen.
Die Tliessaler selbst sind aus dem Thesproterlande in das von ih-
nen benannte Land eingewandert. Allerdings ist es zweifellos,
dass der Stamm der Thessaler nicht von je in jenem Lnnde ansässig
gewesen ist, dass er sich von den benachbarten griechischen Stäm-
men durch Sitte und Art unterscheidet, dass analoge Verhältnisse
sich bildeten wie die der Periöken und Heloten in Sparta, dass zwi-
schen Thessalien und Böotien in ältester Zeit eine specielle Bezie-
1^2 Alte Geschichte.
hnni; statlfanil; — aber bei alle dem ist auch liier noch nicht im
Kntferntcsten eine historische Wahrscheinlichkeit. In der Skizze,
welche Pansanias von der Zeit vom Sturz Troja's bis zur Ui'ickkehr
der Ilerakliden giebt, findet sich keine Stelle fiir die Einwande-
rung der Böoter, sondern diese würde in die dem troischen Krie-
ge vorhergehende Zeit fallen. Ep hör os betrachtet die Böoter
als Nachkommen der aus Böotien zur Zeit der Epigonen nach Thes-
salien Gefliichteten, welche verbunden mit den Bewohnern Arne's
in ibr Land ziiriick kommen. Auch bei Homer werden im Schiffs-
katalog die Böoter erwähnt, und es scheintkein Unterschied zwischen
Böotern und Kadmeionen in seinen Augen bestanden zu haben. Es
war, mit einem Worte, die Ansicht des Thukydides eine von den
vielen, welche hier obwalteten, und das Urtheil des grossen Histo-
rikers kann, nach den obigen Erörterungen, keine höhere Geltung
fiir sich prälendiren, als der historisirenden Auffassung der He-
roenzeit iiberliaupt einzuräumen ist.
c) Die JVanderungen nach Kleinasien ^ und zwar zuerst die
Ho li sehen Colonieen. Auch hier ist noch vollständig sagenhafte
Erzählung. Orestes selber galt, und dies ist vermuthlich die
älteste Fassung, der Fiihrer der Colonisation. Dann Jässt die Sage
den 0 res t es selbst in Arkadien sterben, seinen Sohn Penthi-
Jos bis Thracien gelangen, dessen Sohn Archelaos nach Asien hin-
übersetzen, aber erst Gras in Lesbos zum Besitz gelangen. Ein
anderer Zug, der lange in Lokris verweilt, setzt, wie es scheint,
direct nach Kleinasien hinüber und griindet Kyme. Auch die
ionischen Colonieen sind schwerlich als in einer Zeit gegrVindet
zu denken. Die wichtigsten gehen von Athen aus, und ihre Oeki-
sten sind Neliden, wie Penthiliden die von Lesbos. Daneben
aber ist von Phokis Phokäa colonisirt, von Epidauros Samos.
Mehr noch ist die Ausführung der dorischen Pflanzstädte
sa'^enhaft, so dass z. B. in Betreff der Dorisirung Kreta's der ur-
alte Zusammenhang mit den Doriern der Peloponnes einer unmit-
telbaren Anknüpfung an Tektaphos den Sohn des Doros hat wei-
chen müssen, üeberhaupt ist die Richtung sichtbar, die eigene
Ver'^an'^enheit in eine weitere Vorzeit hinaufzurncken, und diesem
Umstände der scheinbar so leere Kaum zuzuschreiben, welcher
zwischen der Rückkehr der Herakliden und der ersten Olympiade
liegt. Was allmählig im Verlauf von Jahrhunderten entstanden
ist, wurde in den Strom einer einzigen Bewegung zusammenge-
drängt, und die Einheit, welche sich erst allmählig bildete, als
eine ursprüngliche gesetzt.
Das Cap. 20 handelt von der Unanwendbarkeit der Chrono-
logie auf die sagenhafte Zeit nnd wendet sich besonders gegen
Clinton. Wir gehen weiter zu
Cap. 21, das die Culiurznsiände^ wie sie in der griechischen
Sage erscheinen, zum Gegenstand hat. Wenn der Inhalt der Sa-
gen nicht für Geschichte gelten kann, so enthalten sie gleichwohl
Giote : A Iifstory of Greece, I. 183
ein Bild des Lebens und der Sitte der Zeiten, welche den Dicli-
tern nnd Verbreitern jener Sagen gegenwärtige waren. Mit der-
selben Unbefangenheit, mit welcher sie an der historisclien Reali-
tät ilirer Traditionen hingen, trugen sie die Zustände, von denen
sie umgeben waren, in die von ihnen geschilderte Vergangenlieit
hinüber. Freilich liegt aller Ursprung jenseits unserer nur Ent-
wickelung iMid Fortgang fassenden Begriffe; diesem Grundsatze
folgend, hält sich der Verf. unfruchtbaren Spcculationen über die
etwaigen Urzustände fern und bespricht, mit vollster Objectivität,
zuerst die politischen, dann die moralisclien, endlich die socialen
Zustände jener Zeit, worauf er im 22. Cap. sich insbesondere der
griechischen Epik und vorzüglich den homerischcu Gedichten
zuwendet.
Die homerischen Gedichte (im weitern Sinn) tragen einen
Charakter, der von der hesiodeisclicn Epik sehr verschieden ist.
Jene ersteren beschränken sich auf eins der grossen Ereignisse,
eine der grossen Persönlichkeiten der sagenhaften Vorzeit, umfas-
sen nur eine beschränkte Zahl gleichzeitiger Charaktere und nä-
liern sich einer gewissen poetischen Einheit; die letzteren brin-
gen mehr verschiedene Ereignisse ohne ein Streben nach einer
Concentration von Interesse zusammen. Zwischen beiden stehen
die biographischen Gedichte, die Ilerakleis und Theseis, nähern
sich aber mehr den hesiodeischen. Nach dieser Oistinction zählt
nun der Verf. die uns bekannten epischen Gedichte auf, deren
Zahl sich auf etwa 30 belaufen mochte. Aus diesen bildeten gleich
die ersten Logographen sich eine zusammenhängende chronologi-
sche Geschichte. In ähnlichem Sinne ordneten die alexandrinisclien
Gelehrten diese Gedichte, nach einem Zusammenhang des Stoffs,
zu einem Corpus, welches den Namen des epischen Cyclus erhielt.
Der Verf. bezweifelt mit Recht, dass Zenodot derjenige sei, wel-
cher diesen Cyclus gebildet habe. Dieser Cyclus umfasste nach
seiner Ansicht alle epischen Gedichte, welche älter waren als
die Theogonie und sich für eine zusammenhängende Erzäh-
lung eigneten. Es Avaren davon also nur zwei Classen ausgeschlos-
sen: 1) die neueren epischen Dichter, wie Panyasis, Antimachos;
2) die genealogischen und desultorischen Gedichte, wie der Kata-
log der Weiber, die Eöen. Dass der Cyclus sich bloss auf die ho-
merischen Gedichte beschränkt habe und keins der hesiodeischen
darin aufgenommen sei, wie W elck er behauptet hatte, bezweifelt
der Verf. Die Theogonie und der Aegimios können nicht darin
gefehlt haben. Eine Umarbeitung der alten Gedichte zu dem Be-
hufc, eine wirkliche aKoXov%ia rav Tigayiiäiav zu erreichen,
weist der Verf. ebenfalls zurück. Dass eine lilterarhislorische Zu-
sammenstellung in Prosa, als eine Art von Compendium, existirt hat,
lässt der Verf. unberücksichtigt. Er wendet sich nun (S. 171) zu
Homer.
Die Zahl der homerischen Gedichte ging in aller Zeit ohne
1S4 Alte Gesclüchte.
Zweifel weit liinaus über Ilias nnd Odyssee. Alte Kritiker bezeicli-
iieten den ganzen epischen Cyclus als homerisch. Die cyclisrhe
Thobais und die Epiiionen , die Kypria, die Einnahme Oeclialia's,
die kleine Ilias, die Phokais, die Amazonia werden alle homcriscli
genannt. DIcThcbais schrieb schon Kallinos dem Homer zu.
Eben darauf führt die merkwürdige Erzählung des Ilerodot, wie
und warum Kleisthenes die Rhapsoden aus Sikyon trieb; die Of.t/j~
gsicc 8Jtr], um derentwillen dies geschah, können keine andern als die
Tliebais und die Epigonen gewesen sein. In diesem weiteren
Sinneist auch allein zu verstehen, dass Homer und Ilesiod den
Griechen sollen ihre Götter gemacht haben. Dieser weite Um-
fang der homerischen dichterischen Production führt den Verf.
auf die Frage nach der Person des Homer. War dieser Homer
ein Dichter wie andere Dichter, oder war er eine jener halbgött-
lichen Personen , welche als Eponymen an die Spitze eines Ge-
schlechts gestellt wurden, mit nicht grösserem Anspruch auf histo-
rische llealität, als dieselbe z. B. dem Herakles zugestanden wer-
den hann*? und ist dem Geschlecht der Ilomeriden allein sowohl
diese Realität, als die Abfassung so umfangreicher Gedichte zuzu-
schreiben'? Es kann nicht zweifelhaft sein, wie bei unserm Histo-
riker sich diese Fragen beantworten. Hiervon ist ganz getrennt
die Frage, ob Ilias und Odyssee ursprünglich ganze Gedichte wa-
ren, und ob beide von einem Autor herrühren. Für uns bezeicli-
iiet Flomer eben diese beiden Gedichte; von ihnen wünschen wir
das Datum, die ursprüngliche Composition, die Art und Weise, wie
sie dem Publicum mitgetheilt wurden, zu erfahren. Die Angaben
über das Datum variiren sehr. Krates lässt diese Gedichte ent-
stehen vor der Rückkehr der Herakliden ; Eratosthenes setzt sie
100 Jahr nach Troja's Untergang; Aristoteles, Aristarch und Ka-
stor setzen Homers Geburl gleichzeitig mit der ionischen Wande-
rung, Apollodor 100 Jahr später. Theopomp und Euphorion rü-
cken sein Alter hinab bis in die Zeit des Königs Gyges. Herodot,
der älteste und sicherste Zeuge, sagt, Homer sei 400 Jahre älter
als er; wir würden so 850 — 800 für die Composition dieser Ge-
dichte erhalten. Demnächst ist eins der wenigen unbestrittenen
Facten , dass diese Gedichte nicht von einzelnen Lesern gelesen,
sondern bei Festen vor grösseren Versammlungen gesungen oder
recitirt wurden. Dies gestehen selbst die zu, welche den Homer
schriftlich aufbewahrt werden lassen. Es ist kein Zweifel, dass
selbst lyrische und chorisciie Dichter in dieser Weise ihre Dich-
tungen mitthcilten, und noch zu einer Zeit, wo unter den Gelehr-
ten das Lesen längst gebräuchlich geworden war. Unter diesen
Umständen war das Amt eines Rhapsoden von unendlicher
Wichtigkeit, und wenn Philosophen wie Plato und Xcnophon mit
Geringschätzung von ihnen sprechen, so hat das theils seinen Grund
in dem grossen Unterschied, der zwischen Rhapsoden und Rhapso-
den stattfand, theils in der Verachtung, welche sie gegen jede der-
Grote: A history of Greece. I. 185
artige gewerbsartige und auf Erwerb berechuete Thätigkeit hegen.
Der Unterschied des Rhapsoden von dem alten Barden mag darin
gelegen liaben, dass bei jenem die musil<alische Begleitung weg-
fiel, er vielmehr allein auf seinen declamatorisclien Vortrag ange-
wiesen war. In dem homerischen Hymnus auf den deiischen Apoll
sehen wir noch ganz den alten Barden vor uns und die Gemein-
schaft von xi^agig^ doLÖr] und 6QXt]x^(.i6g, dagegen Hesiod bereits
von der Muse den Lorbeerzweig empfängt, welclien der Rha-
psode trägt. Der Verf. nähert sich jetzt den wichtigen Fragen,
welche seit Fr. A. Wolf eine so verschiedenartige Beantwortung
erhalten fiaben. Er hält die Ansicht W olf s fiir nicht zulässig,
dass Peisistratos und seine Genossen die Composition der beiden
betreffenden Werke vollfiihrt hätten; er hält aber für eben so un-
wahrscheinlich, dass im 9. Jahrhundert sollten lange Gedichte nie-
dergeschrieben sein. Die älteste griechische Inschrift, welche wir
kennen, reicht nicht über Olymp. 40 hinaus, und sie zeigt noch
einen grossen Mangel anUebung im Schreiben; es ist nicht zu be-
weisen, dass die ersten elegischen und lyrischen Dichter ihre Lie-
der niedergeschrieben haben. Die erste positive Nachricht von
einer Handschrift Homers haben wir aus der Zeit Solons; wie
lange friiher schon dergleichen existirt haben, vermögen wir nicht
zu sagen. Diejenigen, welche den Homer urpriinglich als geschrie-
ben denken, berufen sich auch nicht auf positive Beweise, sondern
auf die supponirte Nothwendigkeit des Schreibens zur Erhaltung
der Gedichte. Indess dies ist ein sehr misslicher Beweis. Das
ausserordentliche Gedächtniss von Barden ist weit weniger befremd-
lich , als das Vorhandensein von Handschriften in einer nicht le-
senden und nicht schreibenden und von passendem Schreibmate-
rial entblössten Zeit. Ueberdies wurden die Dichter blind ge-
dacht: Demodokos, der blinde Sänger von Chios im deiischen Hym-
nus; jedenfalls glaubte man die Sänger nicht bedürftig der Nach-
hülfe des Gedächtnisses. Dass mit denselben Mitteln die Gedichte
pich im Grossen und Ganzen 200 Jahre lang erhalten konnten
(denn vielfache Abweichungen im Einzelnen sind nicht zweifel-
haft), ist eben so glaublich. Die Grundlinien der Dichtungen, die
Ordnung der Theile, der homerische Geist und Ausdruck erhiel-
ten sich und sie. Das Di gamma ist vor allem ein unwiderlegli-
cher Beweis dessen, dass diese Gedichte in einer andern Zeit ent-
standen sind, als in der sie niedergeschrieben wurden. Die erste
schriftliche Aufzeichnung setzt der Verf. in die Mitte des 7. Jahr-
jjunderts. — Die nächste Frage ist nun, wie wir uns die Beschaf-
fenheit der homerischen Gedichte zu denken haben , in der sie
Peisistratos vorfand. Hat er Dichtungen, die nie zusammengeholt
hatten, kunstvoll zu einem Ganzen verbunden*? oder hat er Zusam-
mengehöriges, was im Verlauf der Zeit getrennt war, wieder zu-
sammengefügt *? Die Zeugnisse des Alterthums sprechen nur für
das Letztere ; Wolf, W. Müller, Lachmann dringen auf das Erstere,
186 Alte GescUichtc. Grote: A history of Greccc. I.
ol)Nvolil ilies llieils der ErzSIiluiig: von Soloiis die llhapsoden re-
gelnder Sor^e, Iheils dem strengen Sinn der Zeugnisse der Alten
widerstreitet und überdies wohl erklärlich ist, wie Peisistratos
es fiir eine würdige Aufgabe lialten konnte, den alten bekannten
Homer zu erhalten, nicht aber, wie er dieselbe Sorge der Zusam-
menfügimg fremder Stücke widmen sollte. Es widerstreitet dem
aber auch das frühere Vorhandensein grosser episclier Gedichte,
wie der Aethiopis des Arktinos und anderer Gediclitc, die llieil-
weis selbst den iSamen horaerisclier tragen, welche bereits Ilias und
Odyssee als Ganze, ja als hellstrahlende Vorbilder voraussetzen.
Was mehr ist, der Schiffskatalog geliört offenbar zu denjenigen
Stücken, die am ersten einen spätem und fremdartigen Ursprimg
andeuten; aber selbst dieser Theil galt sclion zu Solons Zeit aLs
ein untrennbares Glied des Ganzen. So wird man, unbcscliadet der
Composition zu Peisistratos' Zeit, befugt sein, eine früliere Com-
position anzunehmen. Die Gedichte selbst geben aber auch, durch
den Mangel an modernen Elementen, Zeugniss für ihr höheres
Alter. Es ist nirgends eine Anspielung auf die im Verlauf zweier
Jahrhunderte geschehenen Veränderungen des griechischen Le-
bens zu finden: auf geprägte Münzen, Lesen und Schreiben, die
neuen politischen Gestaltungen, den Fortschritt im Schiffsbau, die
Amphiktyonen, die grossen Festversammlungen, die neuen Ideen,
welche aus dem Orient oder Aegypten gekommen waren. Sowohl
an Inhalt als an Ausdruck gehören Ilias und Odyssee einer viel
früljeren Zeit an. Dm aber die Frage, ob Einheit oder Vielheit
hier das Ursprüngliche gewesen , recht eindringend zu erörtern,
wendet sich der Verf. zu den einzelnen Gedichten, und zwar zu-
nächst zur Odyssee, als demjenigen, bei welchem die Frage so viel
leichter zu beantworten ist. Es ist nicht meine Absicht, dem Vf.
hier ins Einzelne zu folgen; es ist derselbe Cyclus von Erörterun-
gen, dem wir in Deutschland überall begegnen. Es ist bekannt,
dass, je mehr man sich für die Einheit enVscIieidet, um so mehr
von den Interpolationen wird Gebrauch gemacht werden, und die-
ser Nothwendigkeit ist auch der Verf. besonders für die lliade ge-
folgt. Schliesslicli entscheidet sich der Verfasser dafür, flass Ilias
und Odyssee allerdin":s nicht Werke eines und desselben Dichters
sind, obgleich er ihr FJntstehen nicht in verschiedene Zeiten setzt.
— Dass bei diesen Erörterungen, von denen ich ein getreues Hild
zu geben versucht habe, \iele wichtige Fragen ungelöst bleiben,
ist nicht zu leugnen. Denn wenn auch die Composition des Peisi-
stratos nicht als die ursprüngliche gelten kann, sondern auf eine
frühere zurückgegangen werden muss, so ist damit die Frage nicht
abgelehnt, ob nicht derjenige, in dessen Seele damals der Gedanke
einer grossen Epopöe sich bildete. Bruchstücke, Lieder vor sich
liattc, welche er zu einer solchen Einheit verband, und wir unse-
rerseits müssen offen gestehen, dass uns hier Uitschl bereits
scheint die richtige üahn vorgezeichnet zu haben, wie das Wider-
Bibliograpliische Berichte u. kurze Anzeigen, 187
sprechende zii einer harmonischen und wahrhaften x\nscliaming zu
bringen ist.
Hiermit schh'esst der erste Theil von Grote's history of
Greece. Ein fol«jender Artikel wird in ähnliclier, docli gedrängterer
Weise von dem 2.Theilc, historical Greece, ein Bild zu geben ver-
suchen. Camjje.
Bibliographische Berichte u. kurze Anzeigen.
Das höhere und niedere Studiefiwesen im Grossherzogthum
ßaden^ dargestellt in einer Sammlung der über Volks-, Gewerbe-, hö-
here Bürgerschulen, die polytechnische Anstalt, Gelehrtenschulen (Lyceen,
Gymnasien, Pädagogien) und die beiden Landes -Universitäten (Heidel-
berg und Freiburg) erschienenen Gesetze und Verordnungen. Constanz.
Buchhandlung von W. Meck. 1846. VII und 274 S. 8. — Die Gesetz-
gebung über das gesammte Unterrichtswesen im Grossherzogthum Baden
>\urde vom Jahre 1834 an wesentlich umgestaltet. Sie ist sehr umfas-
send nnd durch dieselbe wurde das Badische Schulwesen, das darf man
mit Recht behaupten, gut und zweckmässig geordnet. Allein die Ge-
setze und Verordnungen sind unterdessen so angewachsen , dass eben so-
wohl von den Schulmännern als auch den verschiedenen Behörden, wel-
che das Schul- und höhere Studienfach zu beaufsichtigen haben, mehr-
fach der Wunsch ausgesprochen wurde, die einzeln erschienenen Gesetze
und Verordnungen übersichtlich zusammengestellt zu erhalten.' Diesem
Wunsche wurde in vollständiger und sehr dankenswerther Weise durch
die Herausgabe der oben genannten Schrift entsprochen und so einem
längst gefühlten Bedürfnisse abgeholfen.
Da nun diese Zusammenstellung wohl auch Schulmännern und Legis-
latoren des Auslandes nicht unwillkommen und förderlich sein möchte , so
sehen wir uns dadurch veranlasst, diese Schrift auch in weitere Kreise
einzuführen, zumal dieselbe, obgleich schon vor mehreren Jahren erschie-
nen, in dem Auslande bis jetzt wenig oder gar nicht bekannt ist.
Um den reichen Inhalt der Schrift selbst genau kennen zu lernen,
theilen wir die Ueberschriften der einzelnen Gesetze und Verordnungen
vollständig mit. I. lieber Volksschulen, a) Ueber Einrichtung der Volks-
schulen im Allgemeinen und die Aufsichtsbehörden S. 1 — 15. Insbesondere
über Schulordnung und Schulplan S. 15. 97. 101. b) Ueber den Auf-
wand für Volksschulen und die Rechtsverhältnisse der Schullehrer S. 25
bis 62. Vollzugsverordnung hierzu vom 4. December 1835 S. 62. Vom
allgemeinen Schullehrer- Witwen- und Waisenfond S. 76. 79. 94. 10^.
101. 105, 113. Ueber das Verfahren bei Besetzung der Schullehrerstellen
S. 87. Ueber Anschaffung der Schulgeräthschaften , des Brennmaterials
u, s. w. S. 88. Ueber Erhöhung des Schulgeldes S. 116. c) Von In-
15'8 Bibliographische Berichte u. kurze Anzeigen.
dastrieschulen S. 90 — 98. d) Von den öiTentllchen Schulen der Israeli-
ten S. 58. 98 — 108. üeber Errichtung eines israelitischen Schullehrer-
AVitwen- und VVaisenfonds S, 108 — 110. e) UeberScliullehrer-Convente
und Lesezirkel S. 103 — 105. f) Ueber den Schulunterricht der in Fa-
briken beschäftigten Kinder S. 111 — 114. Ueber Privatlehranstalten
S. 114 — 117.
II. Ucbcr Gewerbeschulen. Ueber ihre Errichtung und Aufsichts-
behörden S, 117 — 125. Vollzugsverordnung hierzu S. 125 — 127. Ueber
den Besuch der Gewerbeschulen S. 127 — 129.
III. Ueber höhere Bürgerschulen. Ueber ihre Einrichtung S. 129
bis 134. Lehrplan und Schulordnung S. 134 — 144, Ueber den Reli-
gionsunterricht bei denselben S. 144 — 145.
IV. Ueber die polytechnische Schule. Ueber die Einrichtung im
Allgemeinen, Schulordnung und Lehrplan S. 145 — 200.
V. Ueber Gelehrt cnschulen (Lyceen, Gymnasien, Pädagogien). Ue-
ber Errichtung des Oberstudienrathes als Aufsichtsbehörde des Gelehr-
tenschulwesens S. 201 — 203. Ueber Einrichtung der Gelehrtenschulen
u. s. w. S. 203 — 212. Lehrplan und Schulordnung S. 212 — 237. Vom
Uebergange der Lyceaischüler auf die Universität S. 237. 238. Ueber
die Anstellung der Lehrer S. 238. Ueber die dienstlichen Verhältnisse
des Lehrerpersonals S. 238.
VI. Ueber die Universitäten, a) Universität Freiburg S. 241 bis
243. b) Universität Heidelberg S. 243. c) Akademische Gesetze für
beide Universitäten S. 243 — 271. Ueber Befreiung von Zahlung der
Collegiengelder S. 271 — 274.
Die lateinische Wortstellimg .^ nach logischen und phonetischen
Grundsätzen erläutert; auch zum Gebrauch für gereiftere und denkende
Schüler der oberen Gymnasialclassen. Von M. J, Wocher, Rector und
Professor am Gymnasium zu Ehingen. Ulm, 1849. VVohler'sche Buch-
handlung (F. Lindemann). — Der durch seine Phonologie, d. h. durch
den ersten wissenschaftlichen Versuch, die durch die Sprachwerkzeugc
bedingte Weise beim Sprechen in Bezug auf die Grnppirung und Moditi-
cirung der Laute, auf bestimmte, klare Regeln zurückzuführen und den
Sprachforschern zur bewusstvollen Anerkenntniss zu bringen, den den-
kenden Freunden der Sprachwissenschaft von einer gar vortheilhaften
Seite bekannte Hr. V^erfasser fährt fort in diesen seinen Studien und Auf-
klärungen. Dies Mal hat er sich zum speciellen Gegenstande ,, die Wort-
stellung der lateinischen Sprache" erkoren, bekanntlich eine IVlaterie, die,
trotz der mehrfachen Bearbeitungen durch Grammatiker der neuesten
Zeit, noch sehr im Dunkeln liegt oder viele schwankende, unsichere Par-
tieen darbietet. Sodann schien es, laut der Vorrede, dem Verfasser, ,,dass
gerade die lateinische Wortstellung auch zur Verständigung über die
mannigfaltige praktische Anwendung der phonologischen Methode beson-
ders dienlich sein und dass auch für gereiftere, denkende Schüler so eine
specielle Abhandlung über den sehr eingreifenden Gegenstand nützlich
Bibliographische Berichte u. kurze Anzeigen. 189
und anregend werden könnte." Dies bewog den Hrn. W. zur Anferti-
gung der Schrift, die zwar nur „der besondere Abdruck eines Schulpro-
gramras" ist, die aber verdient auch in weiteren Kreisen bekannt zu wer-
den. Zwar ,,in Folge eigener amtlicher Verhältnisse, die nur wenig
freie Müsse übrig iiessen, und wohl auch in Folge der politischen Un-
ruhen, die noch im Laufe des Jahres zu irgend einer litterarii^ciien Be-
schäftigung alle Aufgelegtheit benahmen, hatte sich die Ausarbeitung des
übernommenen Programms ganz verspätet, und es musste dann Alles in
rascher Eile ausgeführt werden; bei mehr Ruhe und Müsse hätte er, na-
mentlich auf diese oder jene abweichenden Ansichten, mehr noch, als es
hat geschehen können^ erörternd eingehen mögen" ; allein selbst so wird
sie manchen neuen Aufschluss und manche Anregung bieten für Jeden, der
offenen Sinn für die Sache hat. Denn das Aufmerken auf das Mund-
sprachgefühl ,,in allen Sprachgebieten kommt sowohl für das lebendige
praktische F^rlernen, als auch für eine tiefere Betrachtungsweise überall
nicht wenig zu Statten" und ,,das natürliche Streben, alle Sprache be-
quem und mundrecht zu machen, beruht auf bestimmten ,, aligemeinen Laut-
gesetzen'', man muss nur, wie der Verf., oder nach dem Beispiele und
Vorgänge desselben, verstehen die Regungen jenes Gefühls und die des-
fallsigen sprachlichen Thätigkeiten zu erfassen mit dem Verstände und auf
Begriffe, Gedanken, Worte, Regeln zu bringen. Auch im vorliegenden
Falle wird man davon sattsam ,,sich überzeugen können, da.'>s eine ange-
messene (resp. subsidiäre) Anwendung der phonologischen Methode der
logischen Betrachtung der Sprache sehr zu Statten kommen kann, um gar
manche Fragen und Räthsel aufs einfuchste zu lösen." Zwar bemerkt
irgendwo Nägelsbach: ,,dass es ein nicht lehrbares Element der Sprache
gebe und also nicht All und Jedes in starre Regeln zu bannen sei, viel-
mehr ein gewisser Takt und", was Hr. W. hinzufügt (S. 24), ,,ein ge-
wisses Sprachgefühl gar Vieles ergänzen und entscheiden müsse"; indes-
sen was heisst das anders als: es giebt in der Sprache nicht wenige Fein-
heiten, Regeln, die schwer durch Reflexion in Begriffe und Worte ge-
fasst werden können, aber die in Begriffe und Worte zu fassen eben die
Aufgabe des Forschers, des Grammatikers ist?
Hr. W. übersieht hier keineswegs das logische Element; im Gegen-
theil, er stellt solches, wie schon früher in der eigentlichen Phonologie,
an die Spitze (S. 5. 37 u. a.); nicht minder lässt er dem Wohllaute, dem
Gehör, den Gesetzen des Ohres volle Berechtigung, auch im vorliegenden
F'alle (S. 56 ff.); aber mit Recht macht er darauf aufmerksam, dass man
sich im Gewöhnlichen nicht davor hütet, Wohllaut und Bequemsprechen
mit einander zu vermengen und dem ersteren zuzuschreiben, was dem letz-
teren gebührt (S. 57 ff.)- J^^it Recht bemerkt ferner der fein aufmer-
kende Verf. a. a. O., wie „das Ohr sehr vieles ertragen kann, was doch
für das Sprachorgan ziemlich hart und unbequem sein könnte; unwill-
kürlich folgt aber die Sprache (weit mehr als dem Zuge des Wohlklangs)
dem noch stärkeren Zuge des Bequem lautes; das Sprachgefühl sucht
auch unbewusst diejenige Ordnung und Stellung der Laute und Wörter,
die sich für eine bequeme , leicht fügsame und geschmeidige Aussprache
190 Bibliographische Berichte u. kurze Anzeigen,
im lebeniligcn Contcxt der Rede am besten schicken mag. Es ist die
sehr fühlbare und objective Natur des Sprachorgans, die sich hier nach
bestimmten Gesetzen geltend macht." Zur näheren Bestimmung des
Wesens dieser Lehre vom Bequemlaute wird dann trelTend (S.58) hinzu-
gefügt: ,,Ks versteht sich , dass dieses euphonische Princip viel-
fältig mehr in negativer Weise zur Wahrnehmung kommt, indem die fühl-
bar werdende Abweichung von den Lautgesetzen mehr oder weniger
Härte und Unbequemlichkeit im Aussprechen bemerken lässt: nicht um
pedantische, absolute Vollendung des Wohllautes in jedem Satze kann es
überhaupt sich handeln, sondern nur um ungekünstelte, leichte Ver-
meidung von merklichen Härten und minder fiigsamen Wendungen." ,, Aus-
ser einem ungefügen Zusammentreffen der Consonanten wird auch ein
misstöniges oder doch unbequemes Aufeinanderfolgen der Vocale vermie-
den" (S. 60). Wobei z. B. freilich ,,wohl zu unterscheiden ist zwischen
dem blos scheinbaren, oft sehr gefälligen Hiatus und dem eigentlichen,
widrig klaffenden Hiatus", d. h. zwischen dem, bei welchem die Sprach-
werkzeuge leicht oder schwer von einem V^ocala zum andern hinüberkom-
men können. Denn eben darin besteht die Natur des Bequemsprechens,
dass die betreffenden articulirten Laute, selbst von mannigfacher Tönung,
bei ihrer Gruppirung sich leicht hinter einander von den betreffenden
Sprachwerkzeugen aussprechen lassen, indem die Verwandtschaft, die
Aehnliclikeit, die Gleichheit , das Nebeneinanderliegen der Sprachvverk-
zeuge eben gestattete, dass sie leicht hinter einander und mit einander ge-
braucht werden können.
Im Allgemeinen wird also mit unserem Verf. bei der Frage über die lat.
Wortfolge derGrundsatz aufgestellt u. festgehalten werden müssen, dass,
wenn auch ,,das logische Princip, soweit es dem Geiste der Sprache angemes-
sen, obenan steht u. selbst in all den feinen Unterschieden derauf- und ab-
steigenden Satzgliederung sich mannigfach geltend macht, doch der EinHuss
der Euphonie nicht so gar gering anzuschlagen sein wird, vielmehr weit tiefer
greift, als es beim ersten Anblick scheint (vgl. S, 61). So hat „die usuelle
Wortstellung" im Lateinischen ,,in vielen Punkten ihre logischen Gründe";
allein ,,eine genauere Belauschung des Wohllautes und Bequemlau- |
tes lässt in mancher Hinsicht auch dessen Einfluss auf das Usuelle der
latein. Wortfolge erkennen" (S. 62). Als Beispiele fuhrt der Verfasser
(S. 63 ff.) an die Nachstellung von enim, autem, quidem, quoque. Die-
selbe ,, erscheint, >venn man unzählige Fälle mit phonetischer Abwägung
belauscht, ganz überwiegend bequem und wohlfügsam", und ,, natürlich
war es, dass, wenn in neunzig Fällen von hundert im Sprachgebrauch
die Na c h 8t eil u ng entschieden als das Bequemere stetig wurde, bald
dann auch in den wenigen seltenern P'ällen, wo die Wahl schwankte, die
gleiche Ordnung üblich werden mochte, weil ein gewisses gleichförmiges
Verfahren wohl dem logischen Sinne zusagt." ,, Bequem ist der euphoni-
sche Wechsel in der Anfügung der Partikeln que und ve bei Präpositio-
nen, ob ich z. B. sage : deque tot rebus oder de totqiie rebus. Merklich
besser fügt das Erstere" (S. 64). „Sehr beweglich und zur Vermitte-
lung d<;s Wohllautes dien§am sind die Pronominalicn." ,jUeberaus mannig-
Bibliographische Berichte u. liurze Anzeigen. 191
faltig kann im Zusammentreffen besonders mit hie, ille, omnis, totus, tan-
tiis das Possessiv die Stellung wechseln. '' „Sehr handgreiflich sind Ein-
flüsse des Bequemlautes in der Stellung von enim, igitur, autem im Falle
des Hinzutretens von est, welches überhaupt sehr beweglich die Stellung
wechselt" (S. 65) u. s. w.
Von diesen Gesichtspunkten aus ist der Verf. mehreren Behauptun-
gen Raspe's, Heinichen's, Hand's entgegengetreten oder hat sie zu be-
richtigen gesucht. Finden wir nun auch, gemäss dem geringen Umfange
der Schrift, den schwierigen und umfangreichen Gegenstand keineswegs
erschöpft, so treffen wir doch auf mehrere gewichtige einzelne Bemer-
kungen und Anregungen zu weiterem Forschen, die manchem denkenden
Grammatiker von grossem Nutz und Froramen und sehr willkommen
sein werden. Das Ganze ist wieder ein schätzenswerther Beitrag, um
endlich die Wissenschaft der Phonologie beim gelehrten Publikum zu
Ehren und zu Geltung zu bringen. Dr. Heffter.
Schul- und Universitätsnachrichten ^ Beförderungen
' und Ehrenbezeigungen.
Aus dem GROSSHERZOGTHUM BADEN, den 27. October 1849.
Ansprachen der aliernirenden DirecioreTL, des Grossherzoglich- Badischen
Obcrstudienrathes in Karlsruhe an die Lehrer der Lyceen^ Gymnasien und
Pädagogien , so wie auch an die Lehrer der höheren Bürgerschulen des
Landes. Die bisherigen alternirenden Directoren des Grossherzoglichen
Obcrstudienrathes in Karlsruhe waren die Herren Böhme, Director des
Grossherzog!, evangelischen Ober-Kirchenrathes, und Sigel, Director des
Grossherzogl. katholischen Ober-Kirchenrathes. Der Erste wurde zum
Grossherzogl. Regierungsdirector des Unterrheinkreises in Mannheim er-
nannt und hat schon seit mehreren Wochen das ihm übertragene Amt an-
getreten; dem Zweiten wurde, unter Anerkennung seiner vieljährigen, dem
Staate und der Kirche treu geleisteten Dienste, die gebetene Versetzung
in den Ruhestand zu Theil. An die Stelle des Hrn. Böhme wurde nun
Hr. Hofgerichtsrath von Wöllwarth von Mannheim und an Hrn. SigeVs
Stelle Hr. INIinisterial-Dir^ctor Staatsrath Brunner berufen. Beide wir-
ken bereits als Directoren der obersten Kirchenbehörden, und da ihnen
diese ihre Stellung an der Spitze der beiden hohen kirchlichen Collegien
auch die Leitung der Geschäfte der obersten Studienbehörde des Landes
abwechselnd zur Pflicht macht, so haben sie auch bereits dieses Amt an-
getreten (in dem laufenden Jahre hat Hr. Staatsrath Brunner die Direc-
tion) und zugleich unter dem 19. dies. Mts. einige freundliche, wohlge-
meinte und ernste Worte an die Lehrer der Lyceen, Gymnasien und Pä
dagogien, so wie auch an die Lehrer der höheren Bürgerschulen des
Landes gerichtet. Sie thaten dieses gemeinschaftlich und um so lieber,
192 Schul- und Universitätsnaclulchten,
da es, wie es mit Recht in der Ansprache heisst, den Lehrern nur erfreu-
lich sein kann, zu erfahren, dass die Grundsätze, von welchen beide Män-
ner ausgehen , mit dem von Jahr zu Jahr eintretenden Wechsel in der
Direction keine Aenderungen erleiden werden *). Bei der Wichtigkeit
des Gegenstandes und bei der Theilnahme, welche unsere Zeit demselben
zu widmen allen Grund hat, mag es nicht ohne Interesse sein, diese An-
sprachen auch in weiteren Kreisen zu vernehmen. Es zeigen dieselben,
von welchem Geiste diese durch wissenschaftliche und humane Bildung
ausgezeichneten Männer beseelt sind, und wie das gelehrte Schulwesen im
Grossherzogthum Baden unter ihrer Leitung, so wie es unter der ihrer
würdigen Vorgänger immer der Fall gewesen, nur gedeihen kann. Wird
dem Geiste, der aus den Worten der Ansprachen leuchtet, Folge gegeben,
dann wird die öffentliche Erziehung nie in die Gefahr kommen, auf Ab-
wege zu gerathen, es wird vielmehr ein charakterfestes Geschlecht aus
den Schulen hervorgehen, welches an Zucht, Ordnung und Gehorsam ge-
wöhnt und in dem wahre Gottesfurcht geweckt und Achtung vor Ge-
setz und Obrigkeit eingepflanzt ist. — Der Wortlaut der beiden An-
sprachen ist Folgender:
I.
Die alternirenden Directoren des Oherstudknrathes an die Herren
Lehrer der Lyeeen, Gymnasien und Pädagogien des Landes,
Nachdem wir unser neues Amt, das uns die Leitung der Geschäfte
der obersten Studienbehörde des Landes abwechselnd zur Pflicht macht,
angetreten haben, glauben wir in Hinblick auf die wichtigen Interessen,
die uns zu wahren obliegt^ einige freundliche, wohlgemeinte und ernste
W^orte an die Männer richten zu müssen, welche bei den Anstalten, deren
Pflege uns nunmehr anvertraut ist, zu wirken berufen sind.
Wir ergreifen die Gelegenheit, dieses gemeinschaftlich zu thun, um
so lieber, als es denselben nur erfreulich sein kann, zu erfahren, dass die
Grundsätze, von welchen wir ausgehen, mit dem jeweils eintretenden
W^echsel in der Direction keine Aenderung erleiden werden. — Wenn
die höhere \^issenschaftliche Bildung zu allen Zeiten, durch Veredlung des
Geistes und Herzens, auch edle Sitten und reinen Wandel zu befördern
geeignet ist, so erscheint sie in dem gegenwärtigen Zeitpunkte mehr als in
jedem andern als eine Noth wendigkeit , um der Verwilderung, die nach
den Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit über uns herein zu brechen
droht, entgegen zu wirken. Es ist darum die J^ufgahe Derjenigen , wel-
chen der Unterricht an unseren höheren Lehranstalten übertragen ist, in
den jetzigen Augenblicken eine um so wichtigere, weil nicht allein die
Zukunft der Einzelnen, sondern auch das Schicksal unseres Vaterlandes
*) Für Solche, welche mit den Anordnungen und Einrichtungen des
gelehrten Schulwesens im Grossherzogthum Baden weniger bekannt .sind,
die Bemerkung, dass auch der jeweilige nicht fungirende Director den
Sitzuniren des Oberstudienraths beiwohnt und in demselben, so wie die
anderen Mitglieder des Collegiums, stimmberechtigt ist.
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 193
durch den Geist und die Richtung bedingt ist, der den Gebildeten im
Volke durch ihre wissenschaftliche Erziehung gegeben wird.
Wir hegen das Vertrauen zu den Lehrern unserer höheren Schulan-
stalten, dass sie mit uns diese unsere hier ausgesprochene Ueberzeugung
theilen und pflicht- und berufstreu dahin wirken werden, die heranwach-
sende Jugend nur in dem Geiste zu unterrichten, der sie, indem er sie auf
die Stufe wahrer Bildung führt, zugleich zu edeln Menschen und braven
Bürgern erzieht, welche vor allem Gesetz und Ordnung achten und die
sich frühe daran gewöhnen, den Ungebildeten im Volke durch ein gutes
Beispiel in Sitte und Wandel und in der Achtung vor göttlichem und
weltlichem Gesetz voran zu leuchten. — Das Studium des classischen
Alterthums, welches stets ein vorzüglicher Gegenstand der höheren Lehr-
anstalten bleiben rouss, kann nur von wohlthatigem Eintluss auf die jungen
Geraüther sein, wenn man in diesen mit der Liebe zu demselben das Ge-
fühl für das Grosse und Schöne zu wecken weiss , welches die unerreich
baren Classiker der Griechen und Römer enthalten und entwickeln.
Wir können daher dieses und das Studium der Geschichte, welche
gleichfalls eine reiche Quelle für die Bildung der Jugend darbietet, der
Sorge der Herren Lehrer nur besonders anempfehlen, ohne dass darum
die übrigen Lehrgegenstände vernachlässigt werden dürfen, welche der
gebildete Mann nicht entbehren kann.
Wir fühlen uns aber auch weiter verpflichtet, aufmerksam zu machen
auf das, was auch bei der wissenschaftlichen Erziehung jetzt mehr als je
Noth thut, auf die Pflege des religiösen und sittlichen Elementes, welches
allein der höheren Bildung die wahre Weihe zu geben vermag, und ohne
die jedes Bestreben nach Besserung unserer socialen Zustände vereitelt
wird. < — Die wahre Gottesfurcht, die einem christlich gebildeten Volke
nicht fehlen darf, wenn es der Wohlthaten theilhaftig werden will , die
edle Sitte und Bildung ihm gewähren, muss in den Herzen der Jugend
von allen Lehrern auch bei dem wissenschaftlichen Unterrichte geweckt
und gepflegt werden , und es können unsere höheren Lehranstalten nur
dann den Standpunkt, der ihnen zukommt, mit vollem Erfolge ausfüllen,
wenn sie mit kräftigem Willen der irreligiösen Richtung entgegentreten,
welche ein mächtiger Hebel derjenigen Partei war , die unser Vaterland
an den Rand des Verderbens zu bringen drohte.
Indem es uns hierbei nur erfreulich sein kann, die Herren Lehrer
der verschiedenen Religionsbekenntnisse in dieser Richtung gleichen
Schritt halten und ein gemeinschaftliches Ziel verfolgen zu sehen, dürfen
sie überzeugt sein, dass derselbe Geist uns selbst stets beseelen und dass
es auch unser Bestreben sein wird, ohne Rücksicht auf confessionelle Ver-
schiedenheit, die Wissenschaft und die wahre Religiosität zu fördern.
Das lohnende Bewusstsein, Ihrem Vaterlande gute Dienste geleistet
und Ihre jungen Mitbürger von den Irrwegen abgeleitet zu haben, auf
welche sie zu gerathen bedroht sind und waren, wird Ihnen das schwere
Amt, welches Sie au verwalten haben, erleichtern und der Dank aller
Edlen und Besseren die Mühe vergelten, welche Sie im Dienste der Er-
ziehung zu bestehen haben. Bei uns selbst werden Sie, dessen dürfen
i\. Jahrb. f. Phil. u. Päd. od. Krit. ftibl. Bd. LVIll. Hft. 2. 13
J^94 Schul- und Univcrsitätsnachriclitcn,
Sie sich versichert halten, in Ihren redlichen Bestrebunnen stets diejenige
Unterstiitzun«; finden, die >\ir Ihnen von unserem Standpunkte aus angc-
dcilicn 7.n lassen berufen sind.
Karlsruhe, den 19. October I8i9.
Brunner. von JFöllwarth,
II.
Die altcrnircndcn Dlrcctorcn des Obcrstudienrathcs an die Herren
Lehrer der höheren Bürgerschule,
Nachdem wir durch unser neues Amt zu der abwechselnden Leitung
der obersten Studienbehörde des Landes berufen sind , glauben wir im
Hinblick auf die wichtigen Interessen, die uns hierbei zu wahren obliegt,
einige freundliche, wohlgemeinte und ernste Worte an die Männer richten
zu müssen, welche bei den Anstalten, deren Pflege uns anvertraut ist, zu
wirken haben.
Wir ergreifen die Gelegenheit, dieses gemeinschaftlich zu thun, um
so lieber, als es denselben nur erfreulich sein kann, zu erfahren, dass die
Grundsätze, von welchen wir ausgehen, mit dem jeweils eintretenden
Wechsel der Direction keine Aenderung erleiden werden.
Wenn die Bildung der Jugend durch nützliche Kenntnisse zu allen
Zeiten ein Bedürfniss war, welches die W^ohlfahrt eines Volkes mehr
oder weniger bedingte, und wenn man daher durch Errichtung der höhe-
ren Bürgerschulen in unserem Lande auch für diejenigen , welche sich
einem gelehrten Berufe nicht widmen wollen , die Mittel zu bereiten
suchte, sich die allgemein nöthigen wissenschaftlichen Kenntnisse zu ver-
schaffen, die sie auch bei den bürgerlichen Gewerben auf eine den Fort-
schritten der Zeit entsprechende höhere Bildungsstufe stellen konnten, so
sind es gerade diese Anstalten, welchen in dem gegenwärtigen Zeitpunkte
eine höchst wichtige Aufgabe zukömmt.
}> Sie sollen den Kern des Mittelstandes heranbilden, der durch seine
Tüchtigkeit einen grossen Einfluss auf das Wohl des Staates auszuüben
angewiesen ist.
Zur Erreichung dieses Zweckes thut es aber jetzt mehr als je Noth,
den Unterricht in dem Geiste und in der Richtung zu leiten , dass aus
demselben nicht allein kenntnissreiche Männer, sondern auch redliche und
gewissenhafte Staatsbürger hervorgehen, welche in der Achtung vor dem
Gesetze und der Staatsordnung denjenigen mit gutem Beispiel vorangehen,
unter denen sie im Leben wirken sollen.
Es ist darum die Aufgabe der Lehrer der höheren Bürgerschulen,
bei Ertheilung des Unterrichtes das religiöse und sittliche Element, ohne
welches dieser Zweck nie erreicht werden kann, stets vorzüglich im Auge
zu behalten und jene irreligiöse und sittenverderbende Tendenz zu be-
kämpfen, durch welche eine frevelhafte Partei unser Vaterland an den
Rand des Verderbens gebracht hat.
Wir hegen das Vertrauen zu allen wackeren Lehrern dieser Anstal-
ten, dass sie diese unsere Ueberzeugung theilen und mit uns anerkennen
werden, dass, wenn weiteres Unheil von demselben abgewendet werden
soll, die wahre Gottesfurcht in den jugendlichen Gemüthern mehr, als es
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 195
in der neueren Zeit geschah, geweckt, Achtung vor Gesetz und Obrig-
keit denselben frühzeitig eingepflanzt werden muss, damit sie diese mit
den erworbenen Kenntnissen in das bürgerliche Leben mitbringen und
den Verlockungen derjenigen zu widerstehen vermögen, welche, indem
sie dieselben bei ihnen zu untergraben suchen , die Wohlfahrt der Fa-
milien und des Staates erschüttern.
An der Wiederbefestigung dieses erschütterten Zustandes redlich
und thätig zu arbeiten, möge daher unsere erste Pflicht sein, und wir
werden mit allem Ernste diejenigen unterstützen, welche sich dieselbe
zu erfüllen mit Eifer angelegen sein lassen.
Möge unser redliches Streben nicht ohne Erfolg bleiben.
Karlsruhe, den 19. October 1849.
Brunner, von JFöllivarih,
CoNSTANz. Zu Anfang des Schuljahres 1848 — 49 fand in dem
Lehrerpersonale des hiesigen, mit der höheren Bürgerschule vereinigten
Lyceums ein bedeutender Wechsel statt. Prof. Nicolaij welcher seit
dem Jahre 1832 an dem hiesigen Lyceum eine Lehrstelle verwaltet und
nach dem Abgange des Directors Lender auch die Direction geführt hatte
(NJahrbb. Bd. LV. Heft 4. S. 444), wurde an das Lyceum in Rastatt,
Prof. Scherm, der im Jahre 1840 in die hiesige Anstalt als Lehrer einge-
treten war, an das Lyceum in Freiburg, Lehrer Steuer an die höhere
Bürgerschule in Mahlberg und Lehramtspraktikant Kappes an das Gym-
nasium in Bruchsal berufen. Zur Wiederergänzung des Lehrerpersonals
der hiesigen Anstalt traten hierauf für die abgegangenen Lehrer in das
Lyceum ein : Prof. Furtwängler^ bis dahin an dem Lyceum in Mannheim
in gleicher Eigenschaft angestellt, Prof. Iloffmann, welcher durch Staats-
ministerial-Erlass vom 26. September 1848 (im Sinne des §. 40 der all-
gemeinen Schulordnung vom 31. Decbr. 1836) dem Director zur Unter-
stützung, insbesondere in Handhabung der Disciplin , beigegeben wurde,
von dem Lyceum in Rastatt, und der geistliche Rath Schmeisser (bis dahin
Vorstand des Lyceums in Freiburg), welchem die Direction des Lyceums
und der höheren Bürgerschule übertragen wurde. Einige Wochen nach
dem Beginne des Schuljahres wurde auch Vicar Linder von Mannheim
hierher berufen und in die erste Classe des Lyceums als Hauptlehrer ein-
gewiesen, — Leider wurde in dem Sommersemester der Unterricht
einigermaassen gestört, wiewohl er niemals eine gänzliche Unterbrechung
erlitten hat. Ein Theil der Lehrer und der Schüler musste nämlich an
den Waffenübungen, die allenthalben in unserra engeren Vaterlande ange-
ordnet waren , Theil nehmen. Dieses und die Aufregung , welche wegen
der bekannten Vorgänge, die auch unsere Stadt zu bedrohen schienen,
die Gemüther von Jung und Alt in fortwährender Spannung erhielt, hatte
zur Folge, dass die Studien nicht mit jener Hingebung und Ruhe , die zu
ihrem Gedeihen nothvvendig erforderlich sind, betrieben werden konnten.
Als hierauf im Monat Juni das erste Aufgebot der Bürgerwehr von hier
auszog, war nicht nur ein Theil der Schüler der obersten Classen, son-
dern auch ein Lehrer der Anstalt, Lehramtspraktikant Eble, genÖthigt,
13*
196 Schul- und Universitatsnachrichten,
diesen Zug mit zu machen. Der Letztere würde zwar auf Verwendung
der Lehrercoiiferenz seinem Berufe nach kurzer Zelt wieder zurückgege-
ben, allein die Schüler waren mehrere Wochen von hier abwesend. Doch
auch diese sind, bis auf wenige, sobald es ihnen möglich war, wieder in
das Lyceum zurückgekehrt. Dieser temporäre Abgang hatte nun, nebst
dem, dass der Studiengang dieser Schüler unterbrochen wurde, für die
Anstalt noch einen doppelten Nachtheil. Einmal waren unter denselben
die besten Turner, denen auf den Antrag der Lehrerconferenz der Gross-
herzogliche Oberstudienrath die Ertheilung des Turnunterrichtes über-
tragen hatte; und dann musste der Unterricht in der englischen Sprache,
den im Wintersemester Lehraratspraktikant Eblc in ausserordentlichen
Stunden zu ertheilen begonnen hatte, auj^gesetzt werden. — Nach einem
Erlasse des katholischen Oberkirchenrathes vom 31. März I8i9 wurden
von der für (katholische) theologische Stipendien bestimmten Summe von
18,000 fl. dem hiesigen Lyceum für das Winterseraester 425 fl. zuerkannt,
nämlich: 3 Stipendien zu je 25 fl., 3 zu je 50 und 1 zu 75 fl. In Bezug
auf die Vertheilung der erwähnten Stipendien für das Sommersemesler
ist bis jetzt (August 1849) keine Verfügung der oberen Behörde einge-
troffen. — Am Schlüsse des Schuljahres 1847 — 48 wurden 15 Schüler
zur Universität entlassen. Von diesen widmen sich 9 der katholischen
Theologie, 3 der Jurisprudenz, 3 dem Cameralfache. — In dem laufenden
Schuljahre besuchten die höhere Bürgerschule 63 Schüler. Von diesen
sind im Laufe des Schuljahres wieder ausgetreten im Ganzen 13 und einer
ist gestorben. — Das Lyceum wurde im Ganzen von 174 Schülern besucht.
Darunter sind 24 Ausländer. Katholiken besuchten das Lyceum 163 und
Protestanten 11. Ausgetreten sind aus dem Lyceum im Ganzen 18 Schü-
ler. Am Ende des vorhergehenden Schuljahres (1846 — -1847) betrug die
Gesammtzahl der Schüler des Lyceums 180 und die der höheren Bürger-
schule 74 (NJahrbb. a. a. O. S. 445;. • — Die Lyceumsbibliothek wurde
sowohl durch Anschaffungen aus den Mitteln der Anstalt als auch durc'i
Geschenke vermehrt.
Die wissenschaftliche Beilage, mit welcher das Programm *) ausge-
stattet ist, bat den Professor Furtwängler zum Verfasserund ist betitelt:
*) Nach §. 34 der allgemeinen Schulordnung vom 31. Decbr. 1836
sollen in der Regel die Programme der Lyceen eine kurze wissenschaft-
liche Abhandlung enthalten, welche in der Regel und wo die Natur des
Gegenstandes nicht den Gebrauch der deutschen Sprache räthlich macht,
in lateinischer Sprache abgefasst sein soll. Dasselbe kann auch bei Gym-
nasien geschehen. Sie wird vom Director oder von einem der Lehrer
geschrieben und von dem Verfasser dem Director vor dem Drucke vor-
gelegt. — Für das Schuljahr 1848 — 49 wurde es, nach einer Verfügung
der obersten Studienbehörde, den einzelnen Anstalten überlassen, ob sie
bei den obwaltenden Zeitverhältnissen diesmal eine wissenschaftliche Bei-
gabe zu ihren Programmen ausgeben wollten oder n'cht. — Wissen-
schaftliche Beigaben haben in dem Schuljahre 1848 — 49 den Programmen
beigefügt: die Lyceen zu Constan?. , Hei'lelberg und W^ertheira. — Von
den Gymnasien zu Bruchsal und Tauberbischofsheim ist uns weder ein
Programm noch eine wissenschaftliche Beilage zu Gesicht gekommen.
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 197
„Der reitende Charon j eine mythologische Abhandlung. Constanz, 1849.
Druck von J. Stadier. 38 S. 8." Mit Vergnügen ergreifen wir die uns
hier gebotene Gelegenheit, auf diese, für die mythologischen Forschungen
nicht unwichtige Schrift aufmerksam zu machen. Von seinem früheren
Vorhaben, sie lateinisch zu schreiben, ist der Verf. aus dem Grunde ab-
gegangen, weil er es jetzt nach den jüngsten Vorgängen in Deutschland
für geeigneter hielt, dieses in deutscher Sprache zu thun.
Im Volksglauben der heutigen Griechen findet sich eine grosse An-
zahl von Sagen vor, welche offenbar auf das Alterthum zurückgehen.
Wenn wir nun auch nicht die Ansicht haben, dass man in jedem Zuge,
der einige Aehnlichkeit mit Altem aufweist, sogleich einen Rest des Hel-
lenenthums erblicken müsse, so konnten wir uns doch niemals überzeugen,
dass man namentlich in solchen Sagen blos eine Art von Merkwürdig-
keiten zu suchen habe, die wohl dem Müssigen Unterhaltung bieten, der
Wissenschaft aber keine wahre Ausbeute gewähren. Zu der letzten An-
sicht, die sich nicht selten findet, mag wohl vorzüglich der Umstand Ver-
anlassung gegeben haben, dass diejenigen, welche sich mit der Sache be-
fassten, etwas zu leicht mit derselben umgingen. Uns scheint, dass die
Wissenschaft nur dann eines Gewinnes sicher sein kann , wenn dieser
auch auf wissenschaftlichem Wege gesucht wird. Die hierüber erschie-
nenen Schriften sind einmal von sehr geringer Zahl und die vorhandenen
enthalten in der Regel in Bezug auf das, was die Wissenschaft angeht,
nur Notizen. Bis jetzt ist, unseres Wissens, keine Arbeit erschienen,
welche darauf ausgegangen wäre, die Neugriechischen Sagen in ihrem
Entwickelungsgange zu verfolgen, den Zusammenhang derselben nicht blos
mit Althellenischen Vorstellungen, sondern auch mit denen anderer Völ-
ker, welche mit den Hellenen durch die Bande der Cultur verknüpft
waren, nachzuweisen und den Standpunkt, den sie im grossen Ganzen ein-
nehmen, ins Licht zu setzen. Dass dieses aber durchaus geschehen
müsse, wenn den Forderungen, welche heut zu Tage die Wissenschaft
stellen darf, entsprochen werden soll, unterliegt wohl keinem Zweifel.
Von dieser eben dargelegten Ansicht geleitet, arbeitete der Verfasser die
vor uns liegende Schrift aus.
Schon vor mehreren Jahren wurde ein längerer Aufenthalt in Grie-
chenland (Vorwort S. I) ihm Veranlassung, in den ^Erscheinungen, welche
gegenwärtig dieses Land darbietet, Züge des Alterthums aufzusuchen und
dem Gange der Entwickelung, welchen sie genommen, nachzuforschen.
Er ging dabei von dem Gedanken aus, dass zu zahlreichen Bildern, wel-
che uns die schriftlichen Denkmäler des Alterthums nur mangelhaft dar-
stellen, in solchen Zügen eine Ergänzung gefunden werden könne. Bei
der Fülle des Stoffes scheinen ihm die religiösen Vorstellungen von beson-
derer Wichtigkeit zu sein, welche unverkennbar in Bezug auf ihre alte
Quelle durch spätere Einflüsse nur modificirt, vorzüglich in Volkssagen
niedergelegt sind. Dieser Sphäre gehört auch der Inhalt der vorliegen-
den Schrift an. Sie behandelt die im Volksglauben der Neugriechen
fortlebende Sage des j,reitenden Charon^'' und setzt sich insbesondere
zum Zwecke, die Vorstellung desselben auch im Alterthume, zunächst bei
198 Schul- und Unlversitatsnachrichten,
den Giiechen, aber auch bei anderen Völkern, mit welchen diese durch
die oben angegebenen Bande verknüpft waren , nachzuweisen. Dabei
hat sich der Verfasser, wie die Arbeit selbst auf das Deutlichste dem auf-
merksamen Leser überall zeigt, bemüht, nirgends einen Schritt weiter
zuthun, ohne vorher einen sicheren Standpunkt gewonnen zu haben;
denn auf dem Gebiete des ^Mythus und der Sage muss man sich vor Allem
hüten, der Phantasie ungezügelten Spielraum zu lassen, weil man hier
gar zu leicht auf Unkosten gründlicher Forschung sich von ihr gefangen
nehmen lässt. Er hat daher auch überall den historischen Momenten
nachgeforscht und, was diese lückenhaft Hessen, auf philosophischem
Wege zu ergänzen gesucht. Lange war der Verf. der Ansicht, es möchte
vielleicht der reitende Tod im Mittelalter durch germanische Völker, bei
welchen er sich ebenfalls vorfindet, nach Griechenland verpflanzt worden
sein; später aber überzeugte er sich, indem er auf die ersten Quellen zu-
rückging, dass schon in den ältesten Zeiten, ja vor Homer, die Vorstel-
lung desselben in Griechenland müsste bestanden haben. Bei Homer (11.
V. 664. XL 443 fF. XVL 625) findet er sich bestimmt gezeichnet in dem
"Äidt x/lvro.TtöAfo und es unterliegt wohl keinem Zweifel, dass die Erklä-
rung, welche der Verfasser von diesem Typus, so wie von dem Wesen
und der Entwickelung des Hades überhaupt (S. 15 — 20) gegeben hat,
unter diejenigen Momente in der Abhandlung zu zählen sei, worauf es
hauptsächlich ankommt. Dabei begnügt sich aber der Verfasser nicht,
sondern hat, mit anerkennenswerther Gründlichkeit, den reitenden Tod
in den alten Mythen der Griechen weiter verfolgt , der Verbindung des
Pferdes mit dem Tode und zugleich mit dem Wasser (da in Griechenland
Poseidon als Schöpfer des Pferdes gilt) nachgeforscht und die griechi-
schen Vorstellungen in ihrem Zusammenhange mit denjenigen, welche sich
bei anderen Völkern, namentlich bei den Indern und Germanen, über
diese Verbindung vorfinden, zu beleuchten gesucht (S. 21 ff.). Hierbei
sah der Verfasser aber auch öfter zu einer (wie wir glauben glucklichen)
neuen Deutung einzelner Mythen sich veranlasst. Wir nennen in dieser
Beziehung insbesondere den Pegasus und Narcissus (S. 36 — 38).
So viel über diese mit eben so grossem Scharfsinne als gründlicher
Gelehrsamkeit ausgearbeitete Schrift. Mit stets wachsendem Interesse
ist Referent den in derselben niedergelegten Forschungen gefolgt und
kann es nur sehr bedauern, dass in Folge unverhofft eingetretener Hin-
dernisse, wie der Verfasser selbst in einem Nachworte S. 38 angiebt (um
die Casse zu schonen), der Druck der im Manuscripte vollendeten Ab-
handlung mit dem ersten Theile abgebrochen werden musste. Der
zweite Theil wird nun in diesem Jahre (1850) mit dem Programme ge-
druckt und ausgegeben werden. Wir sehen ihm um so freudiger entge-
gen, als in demselben der Verf. die mit so schönem Erfolge begonnene
Untersuchung zunächst weiter verfolgt, dann übergeht auf den schiffenden
Charon, um dessen Verhältniss zu dem reitenden ins Licht zu setzen, und
die Entwickelung, welche beide gewonnen haben , nachweist. Insbeson-
dere hat der Verfasser in Bezug auf den Reiter die Verhältnisse dort zu
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 199
zeichnen gesucht, unter welchen derselbe sich bis auf den heutigen Tag
in Griechenland erhalten konnte.
Hamburg. Das Programm der Gelehrtenschule des Johanneums ent-
hält Bemerkungen über Reform der Gelehrtenschulen , von dem Director
Dr. Kraft (60 S. 4.), zu dem Zwecke geschrieben, um bei der auch in
Hamburg in Folge der grossartigen Bewegung des Jahres 1848 wieder in
Anregung gekommenen Umgestaltung des Schulwesens vor Ueberstürznng
und Uebereilung zu warnen. Machen sie auch auf keine vollständige Er-
schöpfung des Gegenstandes Anspruch, so verbreiten sie sich doch über
fast alle Fragen, welche in neuerer Zeit auf dem Gebiete des Gymnasial-
wesens zur Erörterung gekommen sind, und obgleich sie nicht überall in
die Tiefe gehen, so enthalten sie doch viel Beachtens- und Beherzigens-
werthes. Ref. will nur einige Punkte herausheben, um daran eine wei-
tere Besprechung zu knüpfen. Wenn S. 4 der Zweck der Gymnasien
so bezeichnet wird: ,,Den Lernenden durch zweckmässige Anleitung und
vielfache Uebungen, insbesondere durch altclassische Bildung, diejenige
Befähigung zu geben, durch welche dieselben zum erfolgreichen Besuche
der Universität, zum selbstständigen Studium der Wissenschaften vorbe-
reitet werden, und zwar eben so wohl in sittlicher (ethischer) als wissen-
schaftlicher (intellectueller) Beziehung", so fürchten wir, dass diese De-
finition den Gegnern der bisherigen Gymnasialbildung manche Seite zum
Angriff darbiete. Sie behaupten ja eben, dass zum selbstständigen Stu-
dium der einzelnen Wissenschaften, mit Ausnahme höchstens der Theolo-
gie und Philologie, die Kenntniss der alten Sprachen nicht mehr nöthig
sei, und haben, wenn auf die praktische Betreibung eines solchen Berufs
allein Gewicht gelegt wird, sehr triftige Gründe für sich. Es muss dess-
halb ihnen eine Definition entgegengehalten werden, die den Zweck der
Gymnasien als eine unleugbare Forderung hinstellt; eine solche aber, die
Keiner, welcher über das Wesen des Menschen richtig urtheilt, hin weg-
zuwerfen vermag, ist die, dass die Jugend befähigt werde, die Welt des
Geistes zu erfassen und in ihr zu wirken. Weil die Erfüllung derselben
unmöglich ist, wenn nicht der Lernende den Entwickelungsgang, welchen
der menschliche Geist durchgemacht, selbst kennen gelernt hat, weil fer-
ner unmöglich ist, das Geistige ganz zu erfassen ohne die Form, in wel-
cher es sich ausgeprägt hat, so folgt aus ihr mit unumstösslicher Conse-
quenz, dass die Bildung, welche das Gymnasium geben will und soll, ohne
das Studium der Sprachen von jenen beiden Völkern des Alterthums,
deren Werk es war, die Grundlage zu aller menschlichen Bildung zu le-
gen, nicht bestehen kann. Indem der Hr. Verf. die Disciplin als noth-
wendig zur Erreichung des Zweckes der Gymnasien bespricht, berührt er
eine Sache, die bei den vielfachen Erörterungen über dieselbe leider zu
sehr aus den Augen verloren worden ist. Je mehr Haus und Schule da-
bei in Conflict gerathen, um so nothwendiger ist es, dass der Staat der
letzteren eine Stütze verleihe. Ref. meint nicht eine Einmischung des
Staates in die innersten Angelegenheiten der Schule damit, sondern der
Staat muss der Schule das gewährleisten, was zur Aufrechterhaltung des
200 Scliul- und Universitätsnachrichten,
in ihr geltenden Gesetzes unumgänglich nothwendig. Viele Lehrer wer-
den ans ihrer eigenen Erfahrung bestätigen, und selbst aus den Schul-
nachrichten mancher Programme können Beweise dafür beigebracht wer-
den, wie oft das Gesetz der Schule durch die Art und Weise, wie die
Eltern sich gegen dasselbe verhalten, gehöhnt wird , und wie wenig oft
nicht einzelne Lehrer, nein ganze Collegien, dagegen auszurichten ver-
mögen. Soll die Schule Staatsanstalt werden, so wird für den Staat um
so höher die Pflicht, weil dann in der Schule ihm selbst der Gehorsam
versagt wird. Das, was der Hr. Verf. S. 13 — 18 über den Religions-
unterricht sagt, enthält zwar viel Gutes, hat aber im Ganzen dem Ref.
nicht Genüge gethan. Der Religionsunterricht muss confessionell sein,
weil so wenig eine Wissenschaft ohne Principien, so wenig eine Religion
ohne Glaubenssätze bestehen kann. Ein unentschiedenes Darüberhin-
gehen über die Verschiedenheiten muss bei dem Schüler Zweifel und
Gleichgültigkeit erzeugen. Um so nothwendiger ist aber dies für unsere
Tage, weder Zweifel schon in tausenderlei Gestalt an den Jüngling
herangetreten ist. Wird hier der Lehrer seine Pflicht thun, wenn er
nicht dasjenige mittheilt, war zur Beseitigung jenes und zur Bezeugung
der Wahrheit dient? Und wenn tiefere Einsicht in die Religionswahr-
heiten, Avie für das eigene Herz des Gebildeten, so zu einem segensrei-
chen Wirken für und auf Andere ein nolhwendiges Erforderniss, so muss,
da für die Nichttheologen mit der Schule der Religionsunterricht ab-
schliesst, derselbe in den oberen Classen eine solche Gestalt annehmen,
dass dem Bedürfnisse, welches im Leben hervortritt, Befriedigung gebo-
ten würde. Man spricht so Viel von der Erweckung und Erwärmung
des Gemüths und vergisst dabei, dass eine solche ohne festen Glauben
zur Schwärmerei, zur Mystik, oder zur Irreligiosität führt. Erbaulich
muss freilich der Unterricht sein , aber die beste Erbauung bringt die
freudige Verkündigung der Wahrheit. Desshalb ist Ref. mit dem Herrn
Verf. darüber einverstanden, dass der Religionsunterricht nicht durch
Geistliche ertheilt werde; der Lehrer der Religion gehöre ganz der Schule
an. Aber wenn für jede andere Wissenschaft gefordert wird, dass der
Lehrer dieselbe ganz beherrsche, soll bei dem Religionsunterrichte, dem
wichtigsten von allen, nicht dasselbe gelten? Desshalb fordert Ref. Leh-
rer, deren Hauptgeschäft Religionsunterricht ist. Die übrigen Lehrer
werden auch ihrerseits genug Gelegenheit finden, auf die religiöse Bil-
dung ihrer Schüler einzuwirken, und damit dies geschehe , damit nicht,
was der Eine baut, der Andere niederreisse, muss die ganze Schule einen
confessionellen Charakter haben. Sie kann Schüler aufnehmen, die einer
andern Kirche, einem andern Glauben angehören, aber der Gesammtunter-
richt muss gleichwohl von einem Geiste getragen, die Erziehung von
ein e r religiösen Ueberzeugung geleitet sein, die Lehrer einer Schule
müssen eine r Kirche angehören. Bei der Besprechung des Unterrichts
in den alten Sprachen nimmt der Hr. Verf. das Lateinsprechen und schrei-
ben in Schutz. Der mit so grosser Leidenschaftlichkeit geführte Streit
darüber ist ein rein methodischer. Der oft gehörte Satz, dass eine Be-
schränkung in den alten Sprachen nothwei>dig sei, um für Anderes Raum
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 201
zu gewinnen, sollte gar nicht ausgesprochen werden , weil in der Päda-
gogik der Grundsatz gelten muss: Was nothwendig ist, muss möglich
gemacht werden. Der ganze Streit würde nach des Ref. Meinung leicht
entschieden werden , wenn man sich über folgende Fragen verständigt
hätte: 1) Welches ist der Zweck des lateinischen Unterrichts in den
Gymnasien? Ist es der, dass der Schüler zu jeder Zeit seine Gedanken
lateinisch ausdrücken könne, oder ist es Kenntniss der Sprache, um durch
dieselbe vom Geiste des römischen Volkes die rechte Anschauung zu ge-
winnen? 2) In wie weit ist zum Verständniss einer Sprache schriftliche
und mündliche Fertigkeit nothwendig? Darum handelt es sich nicht,
dass jene Uebungen Nutzen bringen, sondern lediglich, ob dieser Nutzen
nothwendig erzielt werden müsse, weil es eben so ein Grundsatz der Pä-
dagogik ist: Nicht alles Nützliche kann von dem Unterrichte umfasst
werden; was nicht nothwendig ist, muss ausgeschieden bleiben. Wer
sich jene Fragen richtig beantwortet, der wird wohl darüber mit sich ins
Reine kommen, dass schriftliche und mündliche Uebungen, so weit sie zum
Verständnisse der Sprache dienen, nie unterlassen, dass aber ebenso
auch Alles, was über den Kreis und Geist der lateinischen Sprache hin-
ausliegt, davon ausgeschieden, dass, um den Schüler zu einer genügenden
Kenntniss der römischen Litteratur zu fördern , Viel gelesen und, um das
Gelesene klar zu machen und allseitig zu beleuchten und die Leetüre
nicht unnÖthiger Weise aufzuhalten. Deutsch interpretirt werden müsse,
endlich dass durch genaue und vielseitige Leetüre mit auf dieselbe be-
züglichen Uebungen der Schüler von selbst dahin gelange, die Spreche
auch mündlich handhaben zu können, dass nur durch die Alten selbst man
sich in ihr Leben hineinleben, mit ihnen denken und sprechen lerne, der
Nutzen für die deutsche Sprache aber mehr durch zur genauen Verglei-
chung zwingendes Uebersetzen, als durch freies Schreiben und Sprechen
der fremden erreicht werde. Prüfung der Productionsfahigkeit wird in
deutschen Aufsätzen genügender veranstaltet werden, weil hier der Schü-
ler weniger mit der Form zu ringen hat; dass er über Gegenstände, die
ausserhalb des Kreises des Alterthums liegen , sich lateinisch ausdrücke,
dies fordern, heisst verlangen, dass er die Sprache über die von den Rö-
mern hinterlassenen Grenzen hinaus weiter bilde. Die Lust an den clas-
sischen Studien wird nicht gemindert werden, wenn die Leetüre den nach
Kenntniss strebenden Geist befriedigt, und die Krone der Gymnasialbil-
dung darf nicht in einer ohnehin bei den Meisten sehr zweifelhaften Fer-
tigkeit gesehen werden, die für das Leben keinen praktischen Nutzen
mehr hat, sondern in der Klarheit des Geistes, der Gründlichkeit des
Wissens, der sittlichen Energie und dem regen Gefühle für das Gute,
Wahre und Schöne. Gefreut hat sich Ref. , dass dem Griechischen von
dem Hrn. Verf. ein grösseres Recht eingeräumt wird; dagegen vermissen
wir hinsichtlich des Deutschen ein tieferes Eingehen. Die Methode die-
ses Unterrichts ist unstreitig diejenige Aufgabe , von deren glücklicher
Lösung die Zukunft der Gymnasien abhängt. Bei den neueren Sprachen
entscheidet sich der Hr. Verf. dafür, dass mit dem Lateinischen und
Französischen zu gleicher Zeit begonnen werde, eine Ansicht, der wir
202 Schul- und ünlversitätsnachrichtcn,
unter keiner Bedingung uns anschliessen können, weil, wenn auch einzehic
ausgezeichnete Köpfe in früher Jugend den ihnen so auf einmal zugeführten
Sprach- und Lernstoff überwältigen können , die Mehrzahl dazu unfähig
ist. Wie der durch die Erlernung der alten Sprachen erzielte Nutzen
sich vor vielen Augen verbirgt, so treten auch die durch eine so frühe
Ueberfüllung bewirkten Nachtheile oft nicht handgreiflich hervor, aber
die auf die Psychologie gegründete Pädagogik muss dieselben verhüten.
Was das Parallel- und Classensystem betrifft, so entscheiden wir uns mit
dem Hrn. Verf. unbedingt für das letztere, halten aber die von demsel-
ben angeführten Gründe nicht für überzeugend genug. Denn dagegen,
dass das Classensystem zu einer grösseren Anstrengung in allen Fächern
nölhige, wird man einwenden, dass eine solche Anstrengung, gegen Lust
und Neigung gefordert, nur Nachtheil habe, und gegen die Schwierigkeit
der Lectionsvertheilung unter die Lehrer einhalten, dass sich die bei der
Anstellung zu befolgenden Grundsätze nach der Organisation der Schule,
nicht diese nach den Zufälligkeiten von Anstellungen richten müssen. Das
entscheidende Moment für diese Frage liegt darin, ob man die einzelnen
Unterrichtszweige des Gymnasiums nicht allein als unerlässlich für Alle,
sondern auch sich gegenseitig bedingend und unterstützend ansieht, oder
mit anderen Worten : ob man jeder einzelnen Classe ein einiges Bildungs-
ziel zuschreibt. Dies Letztere muss der Fall sein. Das zugleich zu
Lernende muss im innigsten Zusammenhange unter sich stehen , weil nur
so eine wirkliche Erstarkung des Geistes auf die einfachste und natürlich-
ste Weise erreicht werden kann. Schwieriger ist die Durchführung des
Classensystems , es erfordert harmonisches Zusammenwirken der Lehrer
und eine grössere Umsicht bei Versetzungen; aber diese Schwierigkeiten
lassen sich überwinden, sobald nur alle Lehrer das Ganze des Unterrichts
überschauen und im Auge behalten, nicht ihr Fach allein, und sobald man
nur dem Grundsatze, dass nicht von Allen das Gleiche, sondern nur das
Nothwendige gefordert werden müsse, gehörige Berücksichtigung schenkt.
Trägheit und Abneigung der Schüler zu überwinden, ist eine würdige
Aufgrabe. Verschiedenheit der Anlagen ist nicht zu läugnen; wer aber
für ein Fach des Unterrichts gar keine zu haben behauptet, der erklärt
sich für überhaupt einer höheren allseitigen Bildung unfähig. Ref. be-
merkt hier sogleich, dass er zu zweckmässiger Durchführung des Classen-
systeras und zu richtiger Wirksamkeit des Classenordinariats eine grös-
sere Concentration des Unterrichts, als sie in der Hamburger Gelehrten-
schule in Bezug auf die lateinische Sprache stattfindet, für nothwendig
hält. In Prima ertheilen diesen Unterricht 3, in Secunda 4, in Tertia
und Quarta je 3 Lehrer. Ohne denselben nahe treten zu wollen, glaubt
Ref. dennoch, dass eine volle Uebereinstimraung, ein allseitiges Ineinan-
dergreifen dabei nicht möglich ist. Zum Schlüsse geben wir eine Zu-
sammenstellung des Lectionsplanes, wie er nach den Ansichten des Hrn.
Verf. gestaltet werden soll und wie er bis Ostern 1849 bestanden. Der
letztere stellt sich so heraus:
Beförderungen und Ehrenbezeigungen.
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Dass der letztere Lectionsplan in vieler Hinsicht zweckmässiger ist als
der erstere, darüber wird wohl Jeder mit dem Ref. einverstanden sein,
obgleich im Einzelnen manche Einwendungen sich machen Hessen. Ihm
genähert konnte der von Ostern 1849 an beginnende nur in so fern wer-
den , als um in Prima 2 Stunden für die Physik und 2 für das Englische
zu gewinnen, den lateinischen Disputirübungen und der alten Litteratur-
geschichte je eine Stunde gekürzt und indem in IV. 2 Stunden für den
naturhistorischen Unterricht angesetzt wurden. Möge des Hrn. Verf.
Schrift, in welcher wir viel Treffliches anerkennen, zu einer besseren Or-
ganisation des Jobanneüms beitragen , möge namentlich die Klage wegen
der zu geringen Besoldung der Lehrer von dem reichen Hamburg, das
doch sogar an die Gründung einer Universität denken konnte, abgestellt
werden. Die Schülerzahl war folgende :
Ost. 1848: I.: 20; IL: 33; IIL : 26; IV.: 17; V.: 15; VL : 15; Sa.: 126 ,
Mich.l848:„ 17; „ 35; „ 24; „ 17; „ 18; „ 16; „ 127
Zur Universität gingen nach Ostern 1849 7 mit und 7 ohne Maturitäts-
prüfung, da in Hamburg es in das Belieben gestellt ist, ob Jemand einer
solchen sich unterwerfen will oder nicht. Das LehrercoUegium bestand
aus dem Director Dr. th. Kraft, den Professoren Dr. th. Müller, Lic. th.
Dr. Calmberg, Dr. Ullrich, Dr. Hinrichs und Bubendey, den Collaboratoren
Dr. Meyer, Dr. Laurent, Dr. Fischer, den Lectoren der neueren Sprachen
Tassart, Gallois und Glover, dem Zeichnenlehrer Hardorff, Schreiblehrer
Elton, Rechenlehrer Möller und Gesanglehrer Klapproth. [D.]
GROSSHERZOGTHUM HESSEN. Von den 6 Gymnasien des
Grossherogthums erschien in dieser Zeitschrift bis jetzt noch niemals
204 Schal- und Univers'itätsnaclirichten
ein allgemeiner Bericht; nur manchmal wird das eine oder das andere er-
>vähnt, einige sind wohl eine ganze Reihe von Jahren keiner Beachtung
»erth gefunden worden *). Indem wir die Ursachen hiervon nicht auf-
suchen wollen — da dies uns zu weit führen durfte — , wünschten wir
schon längst, dass unser Ländchen in dieser geachteten und weitverbrei-
teten Zeitschrift nicht so ganz unberücksichtigt bleibe, und wollen daher
einen kurzen Bericht über das jetzt abgelaufene Jahr abstatten, in der
HülTnung , dass unsere Lücken vielleicht an jedem unserer Gymnasien
einen Collegen veranlassen werden, über das eigene Gymnasium einen
Jahresbericht selber hier einzuliefern. Da unter den Gymnasien kein
Unterschied des Ranges besteht — wiewohl drei, zu Darmstadt, Giessen
und INIainz, gewöhnlich grosse oder vollständige, die drei andern, zu Bens-
heim, Büdingen und Worms, kleine heissen , weil erstere 7 — 8 getrennte
Classen und ein grosses Lehrerpersonal, letztere nur 4 — 6 gesonderte
Classen und nur wenige Lehrer besitzen, wiewohl alle, da sie durch Ab-
theilnngen in den Classen die Schüler 8 Jahre zu beschäftigen wissen,
jährlich oder auch jedes Semester ihre oberste Classe ganz oder theilweise
auf die Universität entlassen, — • wollen wir diejenigen zuerst aufführen,
welche ein Programm während des Jahres veröffentlichten. In Darm-
stadt edirte Oberstudienrath Dr. Dilthey zu Ostern 1849 ein Programm
unter dem Titel : „Zur Gymnasialrcform, Zweites Heft.^^ 52 S. 4. Im
vorigen Herbst erschien das erste Heft, 35 S. und 11 S. Schulnachrich-
ten. 4. Beide Programme, die ihr Erscheinen der neuen Zeit zu ver-
danken haben (dem seit 1834 ist in Darmstadt kein Programm veröffent-
licht worden), enthalten einen reichen Schatz von Erfahrungen, einen
scharfen Blick in das Gymnasial- und Schulwesen überhaupt und eine
würdevolle Beurtheilung heimathlicher, namentlich localer Verhältnisse,
wie sich das vom Verf. erwarten lässt, der, wie in der gelehrten Welt
wegen seiner ausgebreiteten Kenntnisse, so im Schulwesen wegen seiner
pädagogischen An- und Einsichten eines allgemein anerkannten Rufes ge-
niesst. Daher bedauerte man vielfach, dass so viele Jahre kein Programm
von ihm erschienen ist, und wenn man schon das Wiedererscheinen eines
solchen mit Freuden begrüsste, so zog der Inhalt desselben noch mehr an.
Da über den Inhalt des ersten Programms bereits in diesen Jahrbb. LVII,
2. S. 213 — 16 berichtet ist, so verweisen wir hier nur wiederholt Jeden,
dem die Gymnasialangelegenheiten überhaupt und die unseres Landes
insbesondere interessiren, auf die frische und lebensvolle Schrift, wobei
wir ihn versichern können, dass er dieselbe nicht ohne vielfache Beleh-
rung und nicht ohne neue Hochachtung gegen den Verf. zu empfinden,
lesen wird, wenden uns zum 2. Programm, bemerken aber im Vor-
aus, dass dieses, wiewohl nicht minder inhaltsreich , ja sogar noch viel-
seitiger als das erstere, sich nicht ebenso zu einem kurzen Auszuge eig-
net; es verdient eine ganz eigene Betrachtung, namentlich liefert es einen
nicht unwesentlichen Beitrag zur Geschichte des Gymnasialwesens, insbe-
*) Nicht Missachtung, sondern der Mangel an Unterlagen war die
Ursache. ' Die Red.
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 205
sondere in unserem Lande, indem der Verf. über sein Wirken und seine
Stellung in Darmstadt seit 27 Jahren und über viele damit verbundene
Verhältnisse offene und wahre Worte vorbringt. Wenn wir hierbei nur
loben können, dass wir hiermit über höchst wichtige Dinge, die Vielen im
eigenen Lande und selbst in der Residenz ein Räthsel blieben, jetzt man-
che Aufschlüsse erhalten , so müssen wir doch bemerken, dass noch Vieles
unerörtert geblieben ist; der Verf. hat nach seiner bekannten Ehrenhaftig-
keit nur die Dinge berührt, die jetzt nicht mehr zu verschweigen waren,
dagegen Manches, was nicht minder wichtig und einflussreich war, über-
gangen; wir wollen hier nicht aufzählen, was hätte angefügt werden
können — es wäre sehr Vieles — , wünschen aber, dass der Verf. eine
Geschichte des Gymnasialwesens in unserem Lande während der letzten
5 Lustra liefern möge. Wenn wir aber diese Berücksichtigung früherer
Verhältnisse und Zustände nur loben können, so stimmen wir dagegen
dem Verf. nicht bei, dass er auf mehrere öffentliche Angrüfe, die das
Gymnasium von Darmstadt im letzten Jahre erfahren hat, hier antwortet;
solche ephemere Vorwürfe in der Tageslitteratur verdienen nur augen-
blickliche Beachtung und, wenn man will, Ervsiderung und Rechtfertigung
in demselben Blatte, sie sind aber nicht werth in den officiellen Organen
der Gymnasien, die als ein Denkmal der Nachwelt überliefert werden,
eine Besprechung zu finden. Etwas Anderes ist es, wenn der Verfasser
Ideen und Vorschläge, die er im ersten Programm vorgebracht hat und
welche eine Entgegnung irgendwo gefunden haben, jetzt näher zu be-
gründen sucht, und in so fern nun wollen wir ihm, wenn er S. 11 sagt:
„der einzige Zweck dieser Programme ist, eine Verständigung mit unse-
rem Publicum ( — was man aber nicht zu weit ausdehnen wolle — ) her-
beizuführen", nicht gerade widersprechen, wiewohl wir in dem vorliegen-
den Programme einen höheren Zweck finden. Wir können nun, wie
schon gesagt, die einzelnen Punkte dieses zweiten Programms nicht durch-
gehen, indem es uns an Raum hierzu fehlt; nur zwei Punkte dürfen wir
nicht mit Stillschweigen übergehen. Der Turnunterricht nämlich ist
nach der bekannten Methode des Turnlehrers Spiess am Gymnasium zu
Darmstadt eingerichtet und unter seiner Leitung weiter geführt worden.
Indem wir dieses nur billigen und wünschen, dass an allen Schulanstalten,
höheren wie niederen, die einfache „nur massige Anstrengung des Leibes
erfordernde" Turnweise des erwähnten Meisters Eingang finden möchte,
können wir doch nicht beistimmen, wenn dem Turnwesen eine zu grosse
Bedeutung und Wichtigkeit untergelegt wird ; wir wollen es als einen Ver-
such hingehen lassen, ,,da!?s die Unterrichtszeiten für das Turnen innerhalb
der regelmässigen Schulzeiten je auf die Dauer nur einer Stunde gesetzt
werden"; nur dürfen sie nicht zwischen die andern Unterrichtsfächer ein-
geschoben werden, auch eine Stunde jedesmal scheint besonders, wenn
die Ciassen stark sind, nicht hinreichend; die freien Nachmittage müssen
während 2 — 3 Stunden für das Turnen verwendet werden ; die jüngeren
Schüler mögen allerdings öfter, jedoch nur am Schlüsse der Nachmittags-
stunden, sich in den massigen Leibesübungen versuchen. Man möge aber
nicht das Turnen den Gymnasialdisciplinen gleichstellen, dass man z. B.,
206 Schul- und Uiüversitätsnachrichten,
wie es S. 33 heisst, bei der Versetzung der Schüler in andere Classen
darauf Rücksicht nehme, während man doch bekanntlich das Zeichnen^
das Schönschreiben dabei nicht beachtet; oder soll auch das Tanzen,
Fechten und Schwimmen (letzteres ist in Mainz eingeführt, was wir zur
Nachahmung anmerken) auf den Rang der Schüler Eintluss haben?!
Wenn es weiter heisst: ,,Die Besoldung für den Turnunterricht wird nach
denselben Rücksichten betrachtet, wie die Besoldung für anderen Unter-
richt'', so kehren wir den Satz um und wünschen, dass in unserem Lande,
wo das Princip der Anciennitat vorherrscht, die Besoldung des voriges
Jahr angestellten Turnlehrers als Norm für die älteren und neu anzu-
stellenden Lehrer in den Hauptfächern des Gymnasiums angesehen werden
möge. Eine andere Bemerkung trifft den dem Programm angefügten
Plan, den Dr. Külz, Director an der Realschule in Darmstadt, zur Ver-
einigung, Vereinfachung und Reforrairung des gesammten Unterrichtswe-
sens im Kurfürstenth. Hessen, Grossherzogth, Hessen, Herzogth. Nassau
und der Stadt Frankfurt entworfen hat. Da die Zeit vorüber ist, wo
man eine Vereinigung oder Verschmelzung mehrerer deutschen Länder
auch nur im Schulfache erwarten dürfte, also der Plan wohl nie verwirk-
licht wird, auch in praktischer Hinsicht hier und da nicht genügt (z. B,
eine Handelsschule ist zu wenig; je zwei der alten Facultäten an ver-
schiedene Orte zu legen, ist ganz unrathsam u. s. w.), würden wir die-
sen Plan mit Stillschweigen übergangen haben, wenn wir nicht glaubten,
unsere Verwunderung aussprechen zu müssen, dass bei der Vertheilung
der einzelnen Schulanstalten in die Provinzen und Städte gar keine Rück-
sicht auf die hessische Rheinprovinz und Mainz genommen ist. Oder
hat man damals in Darmstadt das linke Rheinufer aufgeben wollen? In-
dem wir abbrechen, hoffen wir bald ein drittes Programm des geehrten
Verfassers begrüssen zu können, und wünschen, dass auch Directoren an-
derer Gymnasien über sich und ihre Anstalten auf ähnliche Weise offene
Geständnisse und Schilderungen vorlegen möchten. — Ausser dem Dir.
Dilthey lehren am Gymnasium ßaur, Bender, Bossler, Haas (für das Franz.,
Engl, und Itab), Hüffell, Kayser, Lauteschläger (für Mathematik), Nodna-
gel, Palmer, Pistor, Wagner I. und II., ferner Müller, Rauch u. Slauih
für Schönschreiben, Zeichnen und Gesang; Accessisten sind Maurer und
Büchner, Die Schülerzahl beträgt im Ganzen 270; auf die Universität
wurden Ostern 25, im Herbst 22 entlassen.
In GIESSEN hat Director Dr. Geist als Programm eine Abhandlung
y,Kr{nagoras von Mytilene^^ edu't (bO S. 8. 1849, auch im Buchhandel).
Zuerst werden die Nachrichten , die wir über denselben haben, gesam-
melt und gezeigt, dass derselbe unter August in Rom gelebt, zwar wohl
nicht mit ihm und seinen Stiefsöhnen, doch aber mit mehreren Frauen und
Kindern der kaiserlichen Familie in Berührung gestanden und wohl nicht
bis zu Tiberius' Regierung sein Leben gebracht habe , denn mit Recht
meint der Verf. S. 5, dass im Epig. 28 (Anth. IX. 283) nicht der jüngere
Germanicus, sondern dessen Vater Drusus zu verstehen sei, was, wie wir
beifügen, noch dadurch bestätigt wird, dass es im vs, 1 heisst; „die Py-
renäen sind Zeugen von Germanicus' Glänze", was doch wohl nicht auf
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 207
den Adoptivsohn des Tiberlus gehen kann. Unter den Kelten vs, 4 ver-
stehen v>ir die Rätier uiTd denken an die Unterwerfung derselben im J.
738 V. C. Hierauf wird kurz dessen dichterischer Werth besprochen und
gezeigt, dass er nicht so hoch zu steilen sei, wie ihn z. B. Bahr in Pau-
ly's Realenc, setzt; dagegen seien seine meisten Epigr. Gelegenheitsge-
dichte, was als ein Vorzug von ähnlichen Dichtern seiner Zeit anzusehen
sei. Zuletzt werden sämmtliche Epigr., im Ganzen 51, nach dem Texte
von Jacobs mitgetheilt und zu vielen derselben kritische, antiquarische,
historische u, a. Bemerkungen beigefügt, welche grösstentheils ein hüb-
scher Beitrag zu einer tieferen Erklärung dieser Gedichte sind. Aus den
Schulnachrichten entnehmen wir, dass eigentlich keine Veränderungen im
Lehrerpersonale vorgefallen sind. Die Lehrer sind Director Geist j die
Classenführer : Soldan, Schauer, Lanz, Rumj)f, Hainebach und Diehl^ aus-
serdem die Fachlehrer Otto (seit Kurzem Professor an der Universität)
(im Latein); Koch für Religion, Mathematik U.A.; Drescher für Religion
und Naturwissenschaften; Köhler und Uhrig in verschiedenen Gegenstän-
den; Prof. Flück für den katholischen Religionsunterricht; Hanstein für
englische Sprache; Hofmann für Gesang; v. Ritgen im Zeichnen; endlich
Accessist Krämer und Candidat Crecalius.
Das Programm von Worms enthält einen Beitrag ,,cMr Methode des
Unterrichts in der deutschen Sprache''^ von Dir, Wicgand (5 S., Schul-
nachrichten 10 S. 4. 1849). Was hier mitgetheilt wird , sind eigent-
lich — falls keine Mystification obwaltet, wozu wir keine Ursache sehen
— nicht Ansichten des Directors, sondern besteht aus „einem sehr eng
beschriebenen Bogen", den der Herausgeber 1846 bei der Reallehrer-Ver-
sammlung in Mainz zufällig gefunden und der S. P. aus D. unterschrie-
ben war. Schlagen wir das Verzeichniss jener Versammlung nach , so
passen jene Buchstaben nur auf den Reallehrer Petry oder Lehrer Pulch
aus Dietz. In dem Aufsatze nun sind mehrere Ansichten, die in damali-
ger Versammlung vorgetragen wurden, wiederholt und besprochen — was
wir für etwas verspätet halten , daher wir hier davon Umgang nehmen
wollen. — Dagegen können wir uns nicht enthalten, den eigentlichen
„Rath" des S. P. aus D. in Bezug auf deutsche Sprache hier mitzutheilen,
,, Wollen die Lehrer der Volks- und zum Theii auch der Realschule, heisst
es S. 17, es nicht erleben, dass nach langjährigem Abhaspeln der Satz-
lehre ihre Schüler selbst den einfachsten Gedanken noch hölzern nieder-
schreiben, so müssen sie die Gedanken derselben wecken und bereichern
durch eine entsprechende Leetüre. Wollen wir dagegen in den höheren
Schulen nicht mehr die Erfahrung machen, das» nach ebenfalls Jahre lan-
ger Bereicherung aus der deutschen, aus der fremden Litteratur der alten
und neuen Welt die Schüler keinen ordentlichen Brief zu schreiben und
den einfachsten Gedankenausdruck nicht mit den üblichen Satzzeichen
darstellen können" (was sich nur selten und bei ganz Talentlosen finden
dürfte), „so dürfen wir hierauch die Satzlehre, das Studium der deut-
schen Wortstämme (denn dadurch wird unsere Muttersprache uns erst
eine lebendige) nicht vernachlässigen. — Wollen die Gymnasien über-
haupt mit den Realschulen einen Wettkampf beginnen, das Deutsche zur
20S Schul- und Universitätsnachrichten
Grundlage des Unterrichts zu machen" ( — das werden sie, meint der
Unterzeichnete, nie thun, auch nicht nöthig haben ; auch lassen wir uns
mit einem ungleichen, ganz jungen Gegner in keinen Wettkampf ein, denn
der Sieg ist zwar gewiss, erhöht aber nur bei Unverständigen unsern
Werth), ,,d. h. Natiunalbildungsanstalten zu werden ( — was wir dennoch u.
in einem höheren Grade sind, entgegnet Ref.), so haben sie bei aller
bisherigen Verspätung (?) noch einen grossen Vorsprung durch das Hal-
ten auf eine sorgfältige und geschmackvolle Uebersetzung der exempla-
ria graeca und der chartae Socraticae (?) u. s. w." Um nichts weiter
zu sagen, wundern wir uns nur, wie Director Wiegand, der sonst Besse-
res zu geben wusste, diesmal das Programm mit einem Fragment aus-
füllte, das ganz Gewöhnliches enthält und das Einer zufällig weggeworfen
oder verloren hatte. — An der Anstalt fungiren ausser dem Director die
Classenführer /7ü6e/, Schödlerj Zimmermann, Pf off, Seipp , Eich, dann
Rostmann, Vicar Klein (für Mathem.), Hoffmann und Gauss für das Zeich-
nen, Pfarr. Markel und Pfarr. Reuss für die protest. u. kathol. Religion.
Die Schülerzahl beträgt im Ganzen 195, von denen 36 den beiden Real-
abtheilungen angehören; Abiturienten 9. — Die übrigen Gymnasien des
hessischen Landes gaben keine wissenschaftlichen Abhandlungen heraus.
Zunächst steht aber das Gymnasium zu Mainz, wo doch jedes Jahr eine
gedruckte Einladung zu den Öffentlichen Prüfungen edirt wird, in welcher
die Lehrgegenstände nebst Angabe der Stundenzahl und der betreffenden
Lehrer angegeben sind. Im letzten Jahre fungirten Director Steinmetz,
die Classenführer Klein, Becker, Vogel^ Schollen, Gredy, Munier und Ac-
cessist Killian, als Fachlehrer Baur (in der deutschen Sprache), Griesen
in der Mathematik, Hennes für Geschichte, Schilling in der französischen
und italienischen Sprache, Gergens in den Naturwissenschaften (wobei
wir bemerken müssen , dass schon über 30 Jahre Chemie und zwar in
einem eigenen Laboratorium gelehrt wird, wiewohl Dilthey im 2. Progr.
S. 30 sagt: ,,Von den inländischen Gymnasien ist das zu Worms das ein-
zige, in welchem Chemie gelehrt wird'', ein Versehen, das wir uns gar
nicht erklären können), Lindenschmit für Zeichnen, yi. Klein für Schön-
schreiben, Ilorn für Gesang, Mousang und Nonweiler für die kathol. und
evangel. Religion, endlich provis. Albrecht für das Französische. Die
Lehrstunden des am 1. März verstorbenen Prof. Baur übernahmen pro-
visorisch Gredy und Hennes. Accessisten sind Kiefer und Noire. Wei-
tere Nachrichten über Schülerzahl oder sonstige Schulangelegenheiten
enthält jene Einladung niemals.
Die zwei übrigen Gymnasien geben, so viel wir wissen, auch nicht
einmal solche Einladungen heraus, und so ist Ref. nicht einmal gewiss,
ob die folgende Liste der Lehrer vollständig ist. In Bensheim fungiren
Director Helm, als Lehrer JVeycr, Herrmann^ Helm jun., Blümmer , Kun-
kel; in BÜDINGEN Director Thudichum, als Lehrer Haupt, Zimmermann,
Gambs, Bausch u. A.
So wie wir uns enthalten, über die früheren Verhältnisse der Gym-
nasialangelegenheiten unseres Landes zu berichten — wiewohl nament-
lich die oben kurz besprochenen Programme von Dilthey Veranlassung
Beförderungen und Ehrenbezeigungen, 209
genug boten, die Klagen, die er selbst anhebt, zu vermehren, oder andere
Zustände zu schildern, — ebenso wollen wir über die Reformbestrebun-
gen der Gymnasiallehrer, die, wie in andern Gegenden, so auch bei uns im
vorigen Jahre wegen Aenderung und Besserung ihrer Verhältnisse und
der Gymnasialzustände überhaupt sich einigemal versammelten und be-
riethen, weiter nichts mittheilen, theils weil wir es jetzt für verspätet
halten und auf Früheres nicht gern zurückkommen, theils weil die Wün-
sche der Gymnasiallehrer bis jetzt keine Berücksichtigung gefunden ha-
ben. Dagegen die Veränderung im höheren Studienwesen, die vor kur-
zer Zeit stattfand, müssen wir schliesslich noch anfügen. Bis jetzt stan-
den seit 1832 die 6 Gymnasien unter einem Oberstudienrath, der zuletzt
aus 5 Mitgliedern bestand, wovon nur zwei in der Residenz, dem Sitze
ihres Collegiums, wohnten (wodurch eben manche Langsamkeit u. s. w.
veranlasst wurde). Die Real- und Elementarschulen beaufsichtigte ein
Oberschulrath, dessen Mitglieder jedoch sämmtlich in Darmstadt residir-
ten. Unter dem 14. Sept. nun sind beide Behörden unter dem Titel :
jjOberstudiendirection" vereinigt worden; Director ist der seitherige
pensionirte Ministerialrath Dr. jur. Breidcnbach, Mitglieder sind: der bis-
herige Oberstudienrath Dr. Diltkey , die bisherigen überschulräthe Dr.
jur. Schödler^ Dr. theol. Luft und Kümmich (von den beiden Letzteren
ist der erstere katholischer, der andere evangelischer Pfarrer), endlich hat
Turnlehrer Spiess als Assessor Stimme in den das Turnwesen berühren-
den Angelegenheiten, Die vier anderen Mitglieder des bisherigen Ober-
studienrathes, Ministerialrath Dr. jur. Lindelof ^ seither Director, dann
die Räthe Prof. Hillebrand in Giessen, Director Steinmetz in Mainz und
Director Thudichum in Büdingen, wurden dieses ihres Amtes entbunden.
Hoffen wir Neues, Gutes von der neuen Einrichtung!
M— z. Kl.
MiJHLHAUSEN. Das Gymnasium hat im Schuljahre Ostern 1848 bis
1849 in seinem LehrercoUegium keine Veränderung erlitten. Die Fre-
quenz war:
I. IL m. IV. V. Sa.
Ostern 1848: 8 26 18 38 27 . 117
Ostern 1849: 8 16 29 37 30 120
Abiturienten waren Ostern 1848: 3, Mich. 1849: 2. Die wissenschaft-
liche Abhandlung schrieb der Lehrer der französischen Sprache , Dr. G,
Weigand: De la versißcation frangaise (40 S. 4.). Dieselbe ist ein auf
gründlichen Studien beruhender, mit sorgfältig gewählten Belegen ver-
sehener Abriss der französischen Metrik, welcher — für den Schüler
etwas zu gelehrt gehalten — jedem Lehrer eine sehr willkommene Er-
gänzung der französischen Grammatik bietet, um so dankenswerther, als
diese Seite bei der Leetüre der Dichter nicht beachtet zu werden pflegt,
während doch ihre Kenntniss zur rechten Würdigung der französischen
Litteratnr unumgänglich nöthig ist. [2?.]
Posen. Das königliche FriedricTi-TFilhelms- Gymnasium
erfuhr in dem vorjährigen März eine längere Störung, wesshalb auch da-
iV. Jahrb. f. Phil. u. Päd. od. Krit. Bibl. Bd. LMU.Hft. 2. 14
210 Schul- und Universitätsnachrichten,
mals kein Programm ausgegeben worden ist. Aus dem Berichte über die
beiden Schuljahre Ostern 18-47 — 49 heben wir folgende Notizen aus.
Oütern 1847 wurde der vorher an den bVanke'schen Stiftungen zu Halle
beschäftigt gewesene Schulamtscaudidat Dr. Krahner als ausserordent-
licher Hülfslehrer angestellt. Der israelitische Religionsunterricht , wel-
chen seit Ostern 1847 der Dr. Sachs ertheilte, wurde im Wintersemester
von 1848 — 49 wieder eingestellt, weil bei dem mangelnden Zwange sich
zu wenige Schüler an demselben betheiligten. Der Prof. Low war wäh-
rend des ganzen letzten Schuljahres anfangs als Beauftragter, dann als
Abgeordneter in Frankfurt a. M. abwesend. Dr. Kock 1. war ebenfalls
längere Zeit von seinem Berufe entfernt, um seiner Landwehrpflicht Ge-
nüge zu leisten. Nach den Sommerferien 1848 trat der Schulamtscau-
didat Dr. Löwenthal, israelitischer Confession, sein Probejahr an ; dagegen
schieden Mich. dess. Jahres die Schulamtscandidaten Dr. Mings, an das
Gymnasium zu Trzemeszno versetzt, und Dr. Gcssncr, um eine Reise nach
Paris anzutreten. Der zu derselben Zeit zur Abhaltung des Probejahres
eintretende Schularats-Candidat Dr. Kock IL wurde bald darauf zum zwei-
ten Male zum Landwehrdienst aufgeboten. Mit dem 1. Januar 1849
wurde der Gymnasiallehrer Dr. Rymarkiewicz an das Mariengymnasium,
dagegen von diesem der Gymnasiallehrer Dr. Ilepke an das Fr.- W. -Gym-
nasium ver.^etzt. Das Lehrercollegium bestand demnach Ostern 1849 aus
dem Director, Consistorial- und Schulrath Dr. Kiessling, den Proff. Mar-
tin, Dr. Müller, Low und Schünborn, dem Oberlehrer Müller, den Gym-
nasiallehrern Ritschi, Dr. Kock L, Dr. Ilejike und Dr. Tieder (vorher
Hülfslehrer, seit dem 12. Februar 1849 als wirklicher ordentlicher Lehrer
ancestellt), Präbendarius Grandke, den Lehrern Brüllow und Hüppe, Divi-
sionsprediger Bork, den Hülfslehrern Dr. Krahner, Iloffmann und JVendt,
den Schulamtscandidaten Dr. Löwenthal und A'ocfc //. und dem Lehrer
llielscher. Die Frequenz, welche im März 1848 in Folge der Zeitereig-
nisse sehr vermindert wurde, betrug:
L II. III a. Illb. IV a. IV b. V. Vorb.-Cl. Sa.
75 71 79 95 428
87 84 67 111 443
66 55 56 76 366
78 59 47 81 369
-wobei zu bemerken, dass IV a. in zwei Cötus geschieden ist. Zur Uni-
versität gingen Ostern 1848 2, Ostern 1849 5. Von Ostern 1848 an
wurde auf Antrag des Collegiums der Beginn des griechischen Unterrichts
nach Untertertia, der des französischen nach Oberquarta verlegt. Da
bei dem Mangel eines Realgymnasiums in der Stadt häufige Gesuche um
Dispensation vom Griechischen vorkamen, so hat das Provinzial -Schul-
Collegium angeordnet, dass ihm darauf gerichtete Gesuche zur Kntschei-
dung in den einzelnen Fällen vorzulegen seien. — Den Schulnachrichten
vorausgeschickt sind Beiträge zur Geographie Kleinasiens. Vom Prof.
Schönborn (27 S. 4.). Die Geographie des südlichen Klelnasiens hat in
neuester Zeit durch Kiepert'» Karte (Berlin, 1844), hauptsächlich aber
durch die Engländer Daniell, Spratt und Forbes (Travels in Lycia , Mi-
Sommer 1847 9
25
29
45
Wint. 47-— 48 8
23
24
39
Sommer 1848 11
25
27
51
Wint 48—49 12
25
27
40
I
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 211
lyas and the Cibyratis in Company with Daniell by Lieut. Spratt and Prof.
Forbes, in two volumes. London, 1847) sehr Viel gewonnen; dennoch
bleibt noch immer Einiges unerforscht, Anderes noch zweifelhaft. Nie-
mand ist wohl über solche Punkte Aufklärung zu geben befähigter, als
der Hr. Verf. der erwähnten Abhandhing, welcher mit der Autopsie das
gründlichste Studium der Alten und einen tief eindringenden Scharfsinn
verbindet. Die Bedeutung seiner Schrift vor Augen zu legen, versucht
Ref. einen möglichst gedrängten Auszug zu geben. Dieselbe ist zwar in
zwei Theile getrennt, diese aber stehen in so engem Zusammenhange und
Richtung auf dasselbe Ziel, den Marsch Alexander's des Grossen durch
Lycien festzustellen, dass wir sie nicht auseinander zu halten brauchen.
Der Hr. Verf. geht davon aus, dass der Zug Alexander's durch Lycien,
obenhin angesehen, dem ihm von Arrian. L24, 3 (wir geben mehrere kleine
Fehler in den Citaten berichtigt) zugeschriebenen Zwecke nicht zu ent-
sprechen scheine, da Alexander nur an zwei Punkten, bei Patara und im
Osten, die Küste berührt habe. Die am angef. O. 4 erwähnten 30 klei-
neren Städte sind nicht Seestädte gewesen, die Gesandten dieser erschei
nen erst in der Milyas bei ihm. Der Grund für das Verlassen der See-
küste ergiebt sich leicht daraus, dass ein Marsch von Patara an der
Küste weiter nicht nur nutzlos, sondern auch gefährlich gewesen wäre,
zumal da Alexander Eile hatte. Wenn nun Alex, die Seeküste bei Patara
vcrliess und nordwärts durch das Thal des Xanthus und die Pässe und
Hochebenen der Milyas gegen Osten zog, so rauss man sich wundern,
warum er sich noch einmal der Küste zugewandt, wozu ihm der einzige
Weg durch das Arycanda-Thal offen stand. Gegen Plutarch (Alex. 17),
welcher einen romantischen Schmuck, und Droysen (Gesch. Alex. d. Gr.
p. 137), welcher in einer Einladung die Ursache sieht, haben die engli-
schen Reisenden (I. p. 198) gewiss gemacht, dass Alex, den Umweg über
Phaselus wählte, um Termessus von der Seite, von welcher es allein an-
greifbar war, einzunehmen. Die Lage von Termessus (an dem südw.
Ende der Milyas, Isinda oder Isionda gegenüber , den aus der pamphyli-
sehen Ebene nach der Milyas und Cibyratis führenden Pass beherrschend)
war schon aus Strab. XIII. 4 und XIV. 3, 9. p. 606 Gas. bekannt, aber
erst die Wiederauffiiidung der Ruinen, von welchen der Hr. Verf. eine
ausführliche Beschreibung giebt, machte deutlich, wie schwierig der An-
griff auf sie gewesen. Rücksichtlich der Schreibung des Namens ver-
weist derselbe auf Wesseling zu Diod. XVIII. 45 und die Erklärer zu
Dionys. Perieg. 859 und Steph. Byz. s. v. TsQ^uGGÖg^ die Inschriften und
Münzen bezeugen TsQurjGGos, Strabo a. a. O. sagt ausdrücklich, dass
Alex. Termessus eingenommen. Der Hr. Verf. verrauthet, dass bei Arr.
L 26, 1 und 2 für Tlsgyrig zu schreiben sei TsQfirjacov , und zwar mit
folgenden überzeugenden Gründen: Perge lag am Nordsaume der pam-
phylischen Ebene, etwas westlich vom Flusse Cestrus bei dem jetzigen
Mürtana, folglich dem Alex, auf dem Marsche nach Side ganz aus dem
Wege; sie konnte auch, da sie nicht fest und unbedeutend war, bei der
Eile, welche er hatte, seine Aufmerksamkeit nicht auf sich ziehen. Wich-
tiger ist, dass der Zug der Truppen durch die Berge, wenn man WQyrjg
14*
212 Schul- und Universitätsnachrichten,
festhalt, weil weder dem Alex, an der Besetzung der Pässe in den hohen
Bef^en etwas liegen konnte, noch bedeutende Städte einzunehmen waren,
ganz unnütz erscheint, zumal da ein AngrilT von den Bergen aus auf
Perge niemals in der Absicht eines Heerführers liegen konnte, weil man
von den Bergen an immer noch bis zur Sladt einen stundenlangen Marsch
durch die Ebene hat. Hätte Alex, durch die Truppen, welche durch die
Berge marschirten, einen bedeutenden Platz einnehmen wollen, so hätte
dies nur die an dem nördlichen Ende der INlilyas gelegene Stadt sein
können, die er später nicht eingenommen hat, schwerlich also zweimal
»ird angegriffen haben. Das Entscheidendste aber ist, dass ein Marsch
von Phaseiis aus gegen Norden durch die Berge in der Richtung von
Perge wegen der Beschaffenheit des Terräns, dem selbst Fusssteige
fehlen, geradezu unmöglich ist. Als Veranlassung zu der Corrnption
nimmt der Hr. Verf. mit grosser Wahrscheinlichkeit an, dass, weil 1.27,5
ein erfolgloser Angriff auf eine Stadt Namens Termessus erwähnt werde,
die Abschreiber, diese für dieselbe Stadt mit jener haltend, Perge än-
derten. Da Arrian noch andere geographische Irrthümer begangen hat,
>\ie I. 24, 4 rücksichtlich der Lage von Pinara, so könnte man nach des
Ref. Meinung vielleicht auch dem Schriftsteller selbst die Aenderung des
in seinen Quellen gefundenen Namens zuschreiben. Der Hr. Verf. fügt
übrigens der Begründung seiner Ansicht bei, dass die Worte Arrian's
ganz genau mit der aus der Oertlichkeit zu erschliessenden Art, wie
die Stadt allein eingenommen werden konnte, übereinstimmen, und dass
der Weg schwierig war, obgleich er die Hauptschwierigkeit nur in dem
Schnee finden zu müssen glaubt. Daran knüpft derselbe sodann einen
Gef^enstand, rücksichtlich dessen er ganz entschieden von den englischen
Reisenden abweicht. Dass der bei Diod. XVII. 28 erwähnte, auf dem
Zuge durch das Gebirge der Solymer vorgekommene Vorfall mit der
Stadt Marmara dasselbe Ereigniss mit dem von Arrian I. 24, 6 berichte-
ten sei, darüber sind fast Alle einig, aber die Lage der Stadt steht nicht
fest. Die englischen Reisenden I. p. 199 ff. haben die Thracier bei Ar-
rian I. 26, 1 nicht für Truppen des Alexander, sondern für in jenen Ge-
genden ansässige, welche nur als Wegweiser dienten, angenommen und
aufgestellt, dass sie am Ende des Tschandir-Thales, wo sie Ruinen ge-
funden, gewohnt hätten. Der Stadt, deren Ruinen sie fanden, gaben sie
nach einer aufgefundenen Inschrift, welche aber nur die Buchstaben All
enthält, den Namen Apollonia und bezogen auf dieselbe auch eine Münze
bei Arundel mit der Inschrift ATlOA. COA. AVK. Wegen der Lage von
Marmara wagten sie keine Bestimmung, doch nahmen sie es in der Nähe
von jener an. Daniell hat seine neue abweichende Ansicht (II. p. 12 ff.)
nicht begründet. Der Hr. Verf. dagegen hält die am Bergkamme des
Kestepdagh gefundenen Ruinen für Marmara und verwirft die Ansicht
jener Reisenden mit folgenden Gründen: 1) Die Thracier werden von
Arrian nicht bei dieser Gelegenheit erwähnt, sondern bei einer ganz an-
deren, und zwar nicht als Wegweiser, sondern als Wegbahner, zu wel-
chem Geschäfte sie bei dem Terrän ihres Heimathlandes ganz geeignet
waren; ohnehin fällt das Bedürfniss von Wegweisern ganz hinweg, da
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 213
nach Arrlan die doch zweifellos mit dem Wege bekannten Phaseliten den
Zug mitmachten. 2) Die im Tschandirthale Wohnhaften waren nicht
Nachbarn der Phaseliten, wohl aber die am Kcstep-dagh. Jene hätten,
um die Aeck'er der Phaseliten zu plündern, erst durch das Gebiet von dem
angenommenen Apollonia ziehen müssen und ihrer Raubsucht hätte die
nähere pamphyli^jche Ebene eine viel günstigere Gelegenheit geboten.
3) Die zwei Buchstaben können keine Beweiskraft haben, zumal da sonst
nirgends eine Stadt Apollonia in Lycien erwähnt wird. Eine Insel dieses
Namens führt Steph. Byz. an und auf diese sind die Münzen mit dem
Namen bezogen worden und ist wahrscheinlich auch die oben erwähnte
bei Arundel zu beziehen. 4) Die Lage des Tschandirthales passt nicht
zu dem, was Diodor erzählt. Der Hr. Verf. nimmt weiter an , dass der
Zweck des Zuges für Alex, die Recognoscirung der Gebirgsgegenden
war, und dass er ihn mit dem Theile der Truppen unternahm, welcher
dann weiter durch das Gebirge ziehen sollte. Da der Name Marmara
sonst nicht w eiter vorkommt, so glaubt er, dass vielleicht in den Concilien-
unterschriften o Mugtuvqov , 6 Mccovccvqcov (Codin. ed. Goar. p. 337.
368 und 381) ein Anklang daran zu finden sei. Ehe wir uns zum zwei-
ten Theile wenden, durch welchen Mehreres im ersten Theile festere Be-
gründung erhält, theilen wir die von dem Hrn. Verf. in einer Anm. S. 21
bis 23 gegebene Untersuchung über die Grenzen der Milyas und Ciby-
ratis mit, über welche die Geographen, Mannert Klein-As. H. p. 146,
Gramer descr. of As. min. II. p. 267, Forbiger Alte Geogr. II. p. 249.
258. 330. 324 Anm. 17, sehr in Unklarem sind. Hr. Prof. Schönborn
bemerkt, dass die Klage des Strabo über Unklarheit sich auf etwas An-
deres beziehe, als was man gewöhnlich glaube. Aus den Stellen XIV.
3, 9 und XIII. 4, 17 ergeben sich die Grenzen von Termes^us bis Saga-
lassus und Apamea, duichweg feste Naturgrenzen, wie auch das Land,
als von mehreren Bergketten durchzogene Hochebene, mit Recht von dem
Schriftsteller oobivi] genannt wird. Damit stimmen eben so Strab. XII,
7, 1, als Arr. I. 24, 5 überein. Die Cibyratis dehnt sich nach den ihr zu-
getheilten Städten und deren Ruinen gegen W. bis auf die Karajukebene
und d n Caibis (Gerenistschai) , gegen S. bis Oenoanda, dem Akdagh
und dem Almalü- oder Susus-dagli, gegen O. bis zur INIilyas, gegen N. je-
denfalls bis an den Rahatdagh und das Flussgebiet des Gebremtschai aus.
Damit stimmt Strabo's Angabe XIII. 4, 17, da die Berührung mit der
rhodi^^chen Peraa am Caibis stattfand. Ausdrücklich berichtet derselbe
Schrifisteller, dass die Landschaft früher Cabalis geheissen, welcher Name
sich daher bei Herodot, der III, 90 über die Lage offenbar mit Strabo
übereinstimmt, allein findet. Mit der abnehmenden Macht Cibyra's kam
theils der alte Name wieder zur Geltung, theils von anderen Städten her-
genommene. Daher ist nicht zu verwundern, dass Ptolemäus und Plinius
Cibyratis und Cabalia als verschiedene Landschaften aufführen. Wenn
bei dem Ersteren die Milyas weiter gegen Süden gerückt erscheint, so
ist anzunehmen, dass sie ihren früheren Haupttheil an die Cabalia ver-
loren. Es kann kein Anstoss genommen werden an Plin. H. N. V. 32, 42,
indem Ptolemäus die Lande sowohl Lycien, als auch Pamphylien zuweist,
214 Schul- und Universitätsnachrichten,
und da die Lycischen Hochebenen durch einen einzigen Pass von Ary-
canda getrennt sind, so wird auch die Stelle V. 27, 25 verständlich. Die
bei Ptülom. genannte Stadt Milyas ist wohl in der Nähe des jetzigen
Milly, Cabalis beim jetzigen Kolnien zu suchen. In dem zweiten Theile,
in den die so eben ausgezogene, für die Geographie wichtige Bemerkung
eingeschaltet ist, geht der Hr. Verf. davon aus, dass der Zugang zur Mi-
Jyas in der Gewalt zweier Städte lag, von W. her von Termessus, von
der Küstenebene gegen Norden hin in den Händen der Stadt, deren (aus-
führlich in der Abhandlung beschriebenen) Ruinen bei Padam aghatsch an
der Westseite der ersten Hochebene über dem pamphylischen Küsten-
lande eine Tagereise von Adalia entfernt liegen. Den Namen dieser
Stadt bezeichnet Kiepert auf seiner Karte Kretopolis?, die Engländer
Termessus minor. Aus Polyb. V. 72 wird zur Gewissheit, dass die Stadt
Cretopolis und der Pass, wie sich schon aus seiner physischen Beschaf-
fenheit erklärt, Klimax hiess, da alles dort Erzählte mit der Oertlichkeit
auf das Allergenauste übereinstimmt. Damit stimmt auch Alles das, vsas
Diodor XVHI. 44 berichtet, zumal -wenn man annimmt, dass das Lager
des Alcetas sich an der Südseite des Berges oder im Passe selbst befand.
Arrian I. 27, 5 endlich beweist, dass die Stadt früher Termessus geheis-
sen. An das andere früher beschriebene Termessus zu denken, verbietet
dessen westliche Lage, so wie die Beschaffenheit des Passes, welcher
nicht so schmal ist und nicht von den Bergen zur Seite vertheidigt wer-
den kann, endlich die Umstände, dass dort der Weg nicht in die Nähe
der Stadt führt, ein Raum aber, um vor der Stadt ein Lager zu schlagen,
gar nicht vorhanden ist, während alles Erzählte auf Cretopolis trefllich
passt. Wenn nun auf Münzen und Inschriften der vsestlichen Stadt sich
TsQu-qacscov ^sl^ovoov findet, so macht dies die Existenz einer zweiten
desselben Namens, im Gegensatze davon minor genannt, nothwendig und
Dionys. Perieg. 859 bezeugt dies ausdrücklich. War aber das zweite
Termessus eine Colonie des ersteren, so erklärt sich auch die grosse Be-
deutung, welche von den Alten dem letzteren beigelegt wird. Der
W^echsel der Namen kann in Lycien durchaus nicht auffallen und fällt in
Betreff derselben Stadt noch einmal vor, indem Cretopolis im Mittelalter
Sozopolis und Susopolis (Susus bei Paul Lucas) heisst. Es fallen dem-
nach die Ansichten der Engländer I. p. 231 über die Stelle des Arrian
und Droysen's (p. 141) Meinung, dass Perge den Schlüssel zum Ueber-
gange über die Berge hält. Der Marsch Alexander's des Grossen wird
demnach durch den Hrn. Verf. also bestimmt: Er erobert, von W. kom-
ment, das Xar.thuithal bis zur Küste, kehrt dann durch dasselbe gegen
Norden zurück , wendet sich bei der Annäherung an die Tcrmessischen
Engpässe (oder Isinda) über die Almalüebene und das Arycandathal aber-
mals zur Südküßte, geht von Phaseiis aus an der Ostküste Lyciens nach
Termessus maior und zerstört es, rückt dann gegen Ost nahe an der Küste
bis Side vor und zieht von da über Perge nach Termessus minor, kann
aber diese Stadt nicht erobern und begnügt sich daher mit der Gewin-
nung des Weges. Ein sehr grosses Verdienst würde sich der Hr. Verf.
erworben haben, wenn er seiner ausgezeichneten Abhandlung eine Karte
Beförderungen nnd Ehrenbezeigungen. 215
zugegeben hatte. Die von Kiepert der Sintenis'schen Aui;gabe des Arrian
beigegebene genügt nicht, um die Sachen sich deutlich zu machen.
[D.]
Wertheim. Nach einem Erlasse des Grossherzoglichen Oberstu-
dienrathes vom 12. März 1849 ist der seit dem 3. Novbr. 1845 am hiesi-
gen Lyceum angestellte Lehramtspraktikant Ferdinand Gaspari definitiv
zum Lyceallehrer ernannt worden, unter Zusicherung der damit verbun-
denen Rechte *). — Durch die Uebertragung der evangelischen dritten
Pfarrei zu Wertheim an den nach dem Abgange des Prof. Tlcrtlein an das
Lyceum zu Mannheim (NJahrbb. Bd. LV. Heft 3. S. 349) provisorisch
angestellten Lyceallehrer, Vicar MühUiäusser , wurden die Lehrstunden
desselben an dem Lyceum wöchentlich auf 14 Stunden beschränkt, näm-
lich 8 Stunden Unterricht in der Religion für Protestanten und 6 Stunden
im Hebräischen in 3 für Protestanten und Katholiken gemeinschaftlichen
Abtheilungen. Dagegen wurde durch Erlass des Grossherzogl. Ober-
studienrathes vom 2. April 1849 der bisherige Lehramtspraktikant an der
höheren Bürgerschule zu Buchen, G cor ^ Arnold aus Karlsruhe, als sol-
cher am hiesigen Lycenm angestellt. Nach dem Abgange des Turn- und
Schwimmlehrers JVilhclmi, Anfangs October 1848, wurde der Turnunter-
richt in 3 Abtheilungen ertheilt, und zwar während des Wintersemesters
durch die Classenlehrer, seit Ostern aber unterrichtete Professor Föhlisch
(Sohn des Directors der Anstalt) alle Schüler corabinirt und die Vortur-
ner besonders.
Durch Erlass des Grossh.kathol. Oberkirchenrathes v. 31. März 1849
sind an 8 vorzügliche kathol. Lyceisten und zwar an 2 aus Qnarta jedem
25 fl., an 4 aus Untersexta jedem 50 fl. u. 2 ans Obersexta jedem 75 fl., also im
Ganzen 400 fl. als Stipendium für das Schuljahr 1848 — 49 zu dem Zwecke
ihres Studiums der katholischen Theologie ertheilt worden.
Im Laufe des Schuljahres besuchten 139 Schüler die Anstalt, und
zwar 92 Protestanten, 42 Katholiken und 5 Israeliten. Bei dem Schlüsse
des Schuljahres waren 111 anwesend. Im Schuljahre 1847 — 48 betrug
die Gesammtzahi der Schüler 153 und bei dem Schlüsse des Schuljahres
waren noch 134 anwesend (NJahrbb. a. a. O. S. 350).
Die wissenschaftliche Beilage, welche mit dem Programme ausgege-
ben wurde, ist von dem Director des Lyceums, Geheimen Hofrathe Dr.
,/. G. E. FuhliscJi, verfasst und gJebt eine : ,, Erklärung zweier Oden des
Iloraz (/. 4; 1. 11) von Friedrich August Wolf, mit Vorerinnerungen,
Wertheim, Druck der Nie. Müller'schen Buchdruckerei. 1849. 43 S. gr. 8."
'•') Durch das Grossherzogl. Badische Staats- und Rejsierungsblatt
vom 29. August 1840, Nr. 27 wird ausgesprochen , dass das Staatsdiener-
Edict von 18l9 auf die Vorstände und Hauptlehrer an der polytechni-
schen Schule , den Lyceen , Gymnasien , Pädagogien , höheren Bürger-
schulen, Schullehrerseminarien , am Blindeninstitute und der Veterinär-
schule, welche mit landesherrlichem Anstellungspatent versehen sind,
Anwendung finde. Nur die Vors<ände der gedachten Anstalten und die
Hauptlehrer in wissenschaftlichen B\ächern erhalten Anstellungspatente
(vergl. §. 1 dieses Gesetzes).
216 Schul- und Universltätsnachrichten,
Den grössten Theil der Schrift (S. 1 — 32) nehmen „Vorcrinncrun-
gcn aus der Vergangenheit für die Schule der Gcgenwart'^^ ein, welchen
als Motto die Stelle aus Persius vorgesetzt ist:'
O curas hominum ! o quantum est in rebus inane 1 —
Quis leget haec? —
Die Schrift selbst widmet der ehrwürdige Verfasser, welcher jetzt über
40 Jahre *) mit segensreichem Erfolge an der Gelehrtenschule in Wert-
heim wirkt, den IVlanen Friedrich August Wolfs, welchen er als seinen
Lehrer in der Alterthumswissenschaft verehrt, um der Jugend den Weg
anzudeuten, auf welchem dieser verdienstvolle Mann seine Schüler in die
Kunsthallen des Alterthums einzuführen suchte. Wie so viele junge
iNlänner, welche sich zu Halle der Theologie widmeten, verdanktauch der
Verfasser, welcher an Ostern 1798 die Hochschule zu Halle bezog (S. 5),
den Vorträgen Wolfs seine spätere Richtung in die Alterthumswissen-
schaft, so wie dem Vorstande der Franke''schen Stiftungen, A. Niemeyer,
seine pädagogische Schulbildung (S. 6). Wolf widmete, in der Ueber-
zeugung, dass gründliche Reformen der Schulen wie des Staates und der
Kirche weniger von neuen Formen ihrer Verfassung abhängen, als von
dem guten Geist der Lehrer und Beamten, welche sie beseelen, seine be-
sten Kräfte zunächst der Bildung von Schulmännern, indem er in seinem
Seminar eine Pflanzschule derselben zu begründen suchte (S. 11). Er
unterhielt sich mit seinen jungen Freunden von der einfachen Sprach-
regel bis zu den Gesetzen der höheren Kritik unter Scherz und Ernst im
lebhaften Wechselgespräche und begeisterte sie für ihren künftigen Be-
ruf. Es fehlte nur noch an pädagogischen Vorschulen für Lehrer, wel-
*) Es sei uns gestattet, Einiges ans dem L»ben dieses Mannes, wel-
cher zu den ältesten und verdienstvollsten Schulmännern Badens gehört,
hier mitzutheilen. Wir entnehmen unsere Mittheilung aus dem , was er
selbst S. 5 der vorliegenden Schrift in einer Note giebt. Geboren den
19. Febr. 1778 zu Bärge bei Sagan in Niederschlesicn, verlebte er in
der Nähe, zu IMallmitz , wohin seine Eltern bald nachher übersiedelten,
im freundlichen Boberthale, das der kunstsinnige Graf Fabian zu Dohna
noch durch geschmackvolle Anlagen verschönert hatte, ein frohes Kna-
benalter. Das Leben in der Natur, die Bibel und Friedrichs IL
W^erke erweckten schon in früher Jugend Liebe zu Gott, Fürst und
Vaterland. iSach dem Besuche der Dorfschule (1783 — 1792) ging er
1792 in das W^aisenhaus zu Bunzlau über, zugleich eine Gelehrtenschule,
welche Maurermeister Zahn 1757 im Vertrauen auf Gott mit sehr ge-
ringen Mitteln begründete und nach dem Vorbilde des Halle'schen Wai-
senhauses zu gleichem Zwecke einrichtete. Zu Ostern 1798 bezog der
Verfasser die Hochschule zu Halle, um sich auf der Grundlage der Phi-
losophie der Theologie und Philologie zu widmen. Im Jahre 1802 wurde
er, nachdem er einige Zeit an einer höheren Privatschule der Stadt für
Knaben und Mädchen unterrichtet und zugleich einem angehenden Came-
ralisten auf der Hochschule zum Führer gedient hatte, an dem Königl.
Pädagogium zu Halle als Lehrer angestellt. Im Jahre 1809 wurde er als
Conrector an das Cdamalige) Gymnasium in Wertheim berufen, wo er
fortzuwirken gedenkt, bis er in die höhere Schule jenseits abgerufen
wird.
I
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 217
che er durch seine Consilia scholastica einzuleiten suchte (S. 12). Dar-
auf verbreitet sich Hr. Fühlisch ausführlich über die Nothwendigkeit einer
tüchtigen pädagogischen Vorbildung der Lehrer, denn, sagt er, den er-
fahrenen und ausgezeichneten Pädagogen Greife als Gewährsmann anfüh-
rend, in unserer Zeit würden weniger gute Fachlehrer, Philologen, Ma-
thematiker, Geschichtslehrer, Naturkundige, Theologen vermisst, als gute
Pädagogen, welche in einer naturgemässen Menschenbildung und in der
Kenntniss ihrer Entwickelungsgeschichte, wozu schon der schöne Name
einer Schule für Humaniiät einlade, ihren Hauptberuf fänden. Darauf
dringt 'er auf die Hebung des Lehrerstandes. Man befreie , heisst es
S. 13, den Lehrer von drückenden Nahrungssorgen und gönne ihm eine
der Würde und Wichtigkeit seines Berufes angemessene Stellung im
Staate. Den Unterricht selbst soll der Geist des Christenthums durch-
dringen; die Liebe zu Gott und göttlichen Dingen, welche dem Staate zu
wahren, der Kirche zu leiten obliegt, soll in der Schule genährt und ge-
pflegt und der Streit über das Verhältniss zwischen Staat, Kirche und
Schule sich in einen liebevollen Wettstreit verwandeln in der Ausbildung
göttlicher Geisteskräfte zu Einem erhabenen Zwecke, vollkommen zu
werden, ine der Vater im Himmel vollkommen ist. Mit der Leitung und
Verwaltung der Schulen sollen aber auch nur sach- und fachkundige Män-
ner betraut werden, die, aus Erfahrung als wissenschaftliche Pädagogen
und Schulmänner bewährt, sich selbstständig bewegen und, bis in die
obersten Schulbehörden vertreten , endgültig im Bereiche ihres Berufes
entscheiden können ; der lange Weg vom Papiere ins Leben soll ver-
kürzt, die todte schriftliche Verhandlung durch das lebendige Wort in
der Nähe belebt und dadurch der wissenschaftliche Schulmann und Pä-
dagog von den ihm fremden und unfruchtbaren Actenstudien zu den Ge-
schäften seines Berufes zurückgeführt werden. — Doch wir brechen
liier die interessanten und gehaltvollen Bemerkungen des Verfassers ab,
welche aus dem reichen Schatze seiner vieljährigen Lehrererfahrung
geschöpft sind, und gehen zu dessen Mittheilung der Erklärung der oben
genannten Oden des Horaz über.
Ehe der Verfasser diese Erklärung selbst mittheilt, glebt er in le-
bendigen Zügen ein Dild der Zeit, in welcher /^o// diese Vorlesungen hielt
(S. 28 — 32). Die Universität Halle war damals von etwa 1200 Studen-
ten besucht. Ausser fVolf waren Nüsselt, Knapp, Eberhard, Fichte, Tief'
trunk, von Jacob u. a. Zierden jener Hochschule. In der Nähe von Wei-
mar und Jena, wo unter dem Schirme eines kunstsinnigen Fürstenhauses
die Koryphäen der deutschen Poesie und Kunst, wie Schiller, Goethe,
Herder, Wieland, die Gebrüder Schlegel, A, von Humboldt u. a, den Mu-
sen ewig blühende Kränze flochten , wurde auch die academische Jugend
in Halle von der allgemeinen Bewegung dieser grossen Männer lebhaft
ergriffen und begeistert. Diese allgemeine Anregung zu einem Leben in
Wissenschaft und Kunst blieb auch für die Schüler Wolfs nicht ohne
Einfluss. Mit Vorliebe wandten sich Viele den Hörsälen der Philologie
zu, um unter Wolfs (der S. 4 praeceptor Germaniae genannt wird) Lei-
tung die Grundlage der höheren Menschenbildung und die Quellen jeder
218 Schul- und Universitätsnachrichten,
Wissenschaft und Kunst kennen zu lernen. Aber ihre Vorbildung war
sehr verschieden. Von der scheinbaren grammatischen Kleinigkeit und
der einfachen Wort- und Sacherklärung erhob sich JFolf daher bis zur
Ahnungsgabe (Divination) der höheren Kritik. Er bemühte sich durch
Kntwickelung der Einheit des Gedankens und der Form, durch genetische
Ableitung der Gliederung des Kunstwerkes aus der Idee des Ganzen den
Geist des Schriftstellers darzustellen und daraus eine gründliche Bildung
aller seiner Zuhörer zu schöpfen. Weniger bezweckte er die Fülle ge-
lehrter Kenntnisse, als allgemeine Anregung von Ideen und Begeisterung
für Wissenschaft und Beruf. Er wollte die /rcic Thätigkeit aller Seelen-
kräfte durch die /rcj'en Künste wecken und stärken und zu einem acht
menschlichen und höheren Geistesleben nach dem Vorbilde des jugend-
frischen Alterthums erheben. — Wiewohl bei seinem freien, geistvollen
Vortrage manche Perle desselben wahrscheinlich verloren worden ist, so
wird doch auch der folgende ,,Schattenriss" davon , wie es der Verfasser
bezeichnet, bei seinen Verehrern noch eine liebe Erinnerung an ihn her-
vorruf n. Daran knüpft der Verfasser zugleich den Wunsch, welchen
gewiss viele, recht viele Freunde und Kenner des classischen Alterthums
theilen, da>s es di.;r Königl. Preussischf^n Regierung bald gefallen möge,
eine Auswahl aus dem handschriftlichen Nachlasse fFolfsj den sie über-
nommen, zu veröffentlichen.
Wolfs Erklärung der oben angegebenen beiden Oden (im Winter-
semester 1801) werden (S. 33 — 43) ohne alle Zusätze mitgetheilt; ein
Verfahren, welches nur lobend anerkannt werden muss. Vor jeder Ode
steht eine Einleitung. So heisst es unter Anderm S. 33: „Die vierte Ode
des ersten Buches ist ein Aufruf zum Genüsse des Lebens, wozu der
P^'rühling veranlasst. Die Beschreibung desselben ist ein Uebergang zu
dem Satze: ^^^^Genicssc des Lehens und zwar besser als sonst; denn nichts
üt schneller und gewisser als der Tod.'-'- " Iloraz behandelt diese Mate-
rie oft, aber immer neu," Von der elften Ode desselben Buches wird
bemerkt: ,,Sie ist ein kleines poetisches Billet an eine Dame, die Iloraz
besser gekannt haben wird, als wir. Der Name ist griechisch , weil er
besser klingt, als der ihrige vielleicht geklungen haben mag. Die In-
schrift ,,meretrix" ist erbärmlich, denn der Inhalt kann jeder Dame gelten.'*
Auf die Einleitung folgt eine eben so geistreiche als belehrende Erklärung
der einzelnen Verse. — Der Raum gestattet uns nicht näher auf dieselbe ein-
zugehen. Wir verweisen desshalb auf die Schrift selbst, welche kein Leser
ohne Befriedigung u.Dank gegen den Herausgeber aus der Hand legen wird.
Wittenberg. Am dasigen Gymnasium arbeiteten im Schuljahre
Ostern 1848 — 49 folgende Lehrer : Director Dr. Schmidt, Prof. Görlitz,
Conr. Ifensch, Dr. Breilcnhach, Dr. Bernhardt, Dr. Becker (bedurfte we-
gen Kränklichkeit eines langen Urlaubs), Hülfsichrer Lomnitzer, Zeich-
iienlehrer Schreckenherger, Gesanglehrer Musikdirector Kloss. Für den
erkrankten Dr. Becker leisteten der Diaconus JFalter und der Predigtamts-
Candidat JFichmavn Aushülfe. Die Schülerzahl betrug Ostern 1848:
150, zu derselben Zeit 1849: 153 (19 in 1., 31 in IL, 38 in 111 , 30 in IV.
und 35 in V.). Abiturienten waren Ostern 1849 8. — In der Lehrvcr-
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 219
fassung war in dem genannten Schuljahre eine wichtige Veränderung ver-
suchsweise gemacht worden. Auf die unter dem 9. Nov. 1846 von dem
Provinzial-Schulcollegium an die Lehrercollegien ergangene Aufforderung,
Vorschläge zu thun, wie den durch das Vielerlei der Unterrichtsgegen-
stände entstehenden Uebelständen der Zerstreuung, Erschlaffung und
Gleichgültigkeit abzuhelfen sei, hatte das Lehrercollegium ausgesprochen,
dass ihm der zvveckmässigste Weg in dem schon im Programme Ostern
1844 angedeuteten Vorschlage zu liegen scheine, darin nämlich, dass die
beiden alten Sprachen, an deren energischer Betreibung einmal das Ge-
deihen und das Leben der Gymnasien hange, entschiedener, als dies bisher
der Fall gewesen, als Hauptgegenstände in den Vordergrund träten und,
um Raum für sie zu gewinnen, einige der übrigen, namentlich die Ge-
schichte und die Naturwissenschaften, nicht, wie bisher, ununterbrochen
neben ihnen, sondern in dann und wann eintretenden halbjährigen Zwi-
schenräumen vorgetragen und die dadurch gewonnenen Stunden dem
Sprachunterricht zugelegt würden. Es wurde demselben gestattet, einen
Versuch damit zu machen, und ist dieser in folgendem Maasse bewerk-
stelligt worden: Im l. Sem. wurden in II. und III. die historischen Stun-
den zur cursorischen Leetüre des Salust und Nepos, in V. die naturhisto-
rischen Stunden ebenfalls zur lateinischen Leetüre, im 2. Sem. in II,, III.
und IV. die physikalischen und naturhistorischen Stunden zur Leetüre von
Homer, dem Abschnitte in Schmidt's und Wensch's Griech. Elementar-
buche über Griechenlands Geographie und Eutrop verwendet, und ist das
Lehrercollegium durch den Versuch in seiner Ueberzeugung nur noch
mehr bestärkt worden. Ref. macht auf diesen Versuch, eine so viel be-
sprochene und in der That einen Angelpunkt des Gymnasialwesens bil-
dende Frage zu lösen, um so mehr aufmerksam, als er einige Bedenken dabei
nicht unterdrücken kann. Nicht zu verkennen ist, dass nach einer längeren
Unterbrechung des Unterrichts der Schüler mit frischer Lust zu demselben
zurückkehrt, nicht zu läugnen, dass die Leetüre eines alten Historikers
zur geschichtlichen Kenntniss von selbst führen muss und dass an dieselbe
bald mehr, bald weniger leicht die ganze Geschichte des Volkes ange-
knüpft werden kann; allein die Frage wird sein: Werden in der Ge-
schichte und der Naturwissenschaft die Leistungen den Anforderungen
der Zeit entsprechen? Wer das weite Feld jener beiden Wissenschaften
überschaut und dabei mit der sorgfältigsten Auswahl des für die Schule
geeigneten und nothwendigen Stoffes verfährt, der wird die demselben
bei der halbjährigen Unterbrechung zugemessene Zeit zwar zum Vor-
trage ausreichend finden, schwerlich aber zur Befestigung und Einübung
des Stoffes. Etwas Anderes wäre es, wenn die der Geschichte ausge-
setzten Stunden ein Halbjahr lang dem naturhistorischen Unterrichte und
dann zum Ersätze die diesem gegebenen im nächsten Halbjahr jener zu-
gewiesen würden. Obgleich Ref. auch gegen eine solche Einrichtung
manches Bedenken hegen würde, eine Vereinfachung wäre dadurch er-
zielt, Dass der classische Unterricht den Hauptmittelpunkt der Gymna-
sien bilden müsse, daran hält auch Ref. fest, allein er gesteht daneben
auch den Realien eine volle Berechtigung zu und stellt für diese ein Ziel
220 Schul- und Uiüversitätsnachrichten,
auf, Jas, wenn es auch nicht zu hoch ist, doch zu seiner Erreichung der
vollen, ihnen jetzt eingeräumten Zeit bedarf, um so nothwendiger aber
erscheint ihm die Erreichung jenes Zieles, als auf der Universität neben
dem eigentlichen Fachstudium jenen Wissenschaften wenig Zeit bleibt
und eine wahrhafte und volle Benutzung der academischen Vorträge ohne
eine tüchtige Vorbereitung und Vorbildung nicht möglich ist. Sodann
kann Ref. auch das Bedenken nicht beseitigen, dass der Schüler durch die
zeitweilige Unterbrechung veranlasst werde , jene Wissenschaften für
minder wichtig zu achten, dass viel von dem Erlernten vergessen werde,
zumal da sich im übrigen Unterrichte nicht immer Gelegenheit finden
>\ird, dasselbe aufzufrischen und zu befestigen, und in P'olge davon schon
zur Wiederanknüpfung viele Zeit erforderlich sei. Weniger dürfte dies
für die Naturwissenschaften der Fall sein, da die Geographie ohne innige
Beziehung auf sie nicht mehr gelehrt werden kann, demnach hier eine Rc-
petitlon und Erweiterung der Kenntnisse von selbst Raum findet; aber
soll di ' Geschichte im Zusammenhange erkannt werden, so muss zu der
folgenden Periode stets eine lebendige Anschauung nicht blos einer, son-
dern aller vorhergehenden Perioden hinzugebracht werden, eine solche
aber kann nur in der Unmittelbarkeit erhalten werden. EJs ist bereits
von vielen tüchtigen Pädagogen (Ref. nennt nur Dilthey; s. NJahrbb.
LVII. 2. S. 216) ausgesprochen worden, dass sich das multa von dem
Gymnasialunterrichte nicht mehr abwehren lasse, aber auf der andern
Seite muss auch das multum festgehalten und eine gründliche Be-
schäftifTunfT den Realien vindicirt werden. Kann diese nicht stattfinden,
dann lieber hinweg damit! Zwei Mittel gegen die Ueberfüllung sind da-
bei dem Ref. als die sich am unmittelbarsten darbietenden erschienen:
1) Die innige Beziehung, in welche die einzelnen Unterrichtsfächer zu
einander gesetzt werden. Kein Fach darf^als ein vereinzeltes gelehrt,
die in jedem gewonnenen Kentnisse müssen für jedes andere benutzt wer-
den. 2) Der häusliche Fleiss bleibe vorzugsweise den alten Sprachen
und der Tbätigkeit gewidmet, welche das Productions- und Rcproductions-
verraöcen weckt und fördert. In den Realien mögen sich die Lehrer be-
mühen, in den Lectionen selbst den Schülern das Nöthige beizubringen,
nur äusserst wenig den Fleiss ausserhalb derselben in Anspruch nehmen.
Damit sie dies können, damit sie für die dazu nöthige Beleuchtung der
Sachen für die Uebung der Kräfte der Schüler an ihnen, für die Wieder-
holung Raum gewinnen, darf man gegen sie nicht zu karg in Zumessung
der Zeit sein. Eine Stunde öffentlicher Lection mehr wird den Schülern
viel mehr Zeit ausser derselben ersparen und die dadurch gewonnene auf
das Vortheilhafteste für die des Geistes Kraft viel mehr anregende selbst-
thatige Beschäftigung mit der altclassischen Littcratur verwandt werden.
Uebrif^ens ist Ref. weit davon entfernt, durch die Aufstellung seiner Be-
denken dem Lehrercollegium des Wittenberger Gymnasiums einen Vor-
wurf machen zu wollen. Eine glückliche Vereinigung begabter Persön-
lichkeiten überwindet Schwierigkeiten , die anderwärts unüberwindlich,
und bringt Leistungen hervor, die anderswo unmöglich sind. Nur das
beabsichtigte Ref. mit seinen Bemerkungen, vor einer zu schnellen Nach-
Beförderungen und Ehrenbezeigungen.
221
ahmung dessen, was unter anderen Verhältnissen leicht misslich wird,
vor genauer Kenntniss des Erfolgs, welche allein durch längere Erfahrung
erreicht werden kann, und ohne allseitige Verständigung über das Ziel
des Unterrichts nicht allein im Ganzen, sondern auch in den einzelnen
Gegenständen zu warnen. — Die den Schulnachrichten vorausgehende
wissenschaftliche Abhandlung: lieber den Entwickelungsgang der GoetJie*-
schen Poesie bis zur Italienischen Reise (22 S. 4.) hat den Dr. Breitenbach
zum Verfasser und ist eine recht gute und lichtvolle Behandlung des
Stoffes. Rosenkran z's Werk : Goethe und seine fVerke hat zwar den
Anhalt dazu geboten, doch ist dem Hrn. Verf. in vielen Punkten die Selbst-
ständigkeit, wenigstens der Darstellung, nicht abzustreiten. [^«j
Worms. Das dasige Gymnasium zählte im Herbst 1848 in Prima
6, in Secunda 21, in Tertia 11 studirende und 8 nichtstudirende, in
Quarta 16 studirende und 24 nichtstudirende , in Quinta 31 und in Sexta
42 Schüler. Abiturienten waren im Herbst 1847 7. Seit Neujahr 1848
übernahm der Pfarrer Reuss den katholischen Religionsunterricht. Der
von den Lehrern im Anfang 18i7 festgesetzte Lehrplan ergiebt folgende
Stundenvertheilung, bei der uns das Griechische, so wie die Mathematik,
doch zu sehr verkürzt erscheinen :
Prima.
Secunda.
Tertia.
Quarta.
Quinta.
Sexta.
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Die neben Tertia und Quarta bestehenden Parallelclassen haben 3 Stun-
den besonderen lateinischen Unterricht, die übrigen lateinischen und
griechischen Stunden werden auf Naturkunde, Rechnen und Zeichnen ver-
wandt. In dem Programme theilt der verdienstvolle Rector Dr. ffie-
gand die Schulgesetze von JVorms vom 26. Sept. 1726, ein für die Ge-
schichte der Pädagogik interessantes Actenstück, mit. Im Programm der
Stadtschule giebt derselbe unter der Ueberschrift : Ein Philosoph und das
heutige Volksschulwesen eine sehr treffende Abfertigung der Aeusserungen
\on Heinrich Vogel: Die Philosophie des Lebens der Natur. Braunschw.
1845. S. 7. Eben so weist derselbe unter dem Titel : Das offene Ge-
heimniss des Wormser Schulwesens und dessen Kritik und Die Schwierig-
keiten des Wormser Schulwesens missliebige und unverständige Urtheile
über die Einrichtung der Schulen derb und kernig, aber doch immer hu-
man zurück. [-Ö-]
222 Schul- und Universltätsnachricbtcn,
E r k 1 a r u n g.
Der um den Livius so hoch verdiente Prof. Joh. Gottl. Kreyssig in
Meissen hat ungeachtet seiner vorgerückten Jahre die Litteratur des
Livius schon wieder durcli eine sehr bedeutende Schrift vermehrt, in wel-
cher er eine Reihe schätzbarer Bemerkungen zu der letzten uns übrig ge-
bliebenen halben Decade nebst den vollständigen Lesarten der alten Lors-
heimer Handschrift veröffentlicht. Bei dieser Gele"enheit kommt er denn
unter Andern auch auf mich, und erzählt, dass er sich gewundert habe,
in meiner im Jahre 1839 erschienenen Separatausgabe des dreissigsten
Buches einige Abweichungen von ihm und von GÖllern zu finden, und dass
er desshalb den leider zu früh uns entrissenen Fabri gebeten habe, die
Sache durch eine nochmalige Vergleichung der ihm so leicht zugänglichen
Bamberger Handschrift aufs Reine zu bringen. Da habe ihm denn da-
mals sein Freund sogleich zurückgeschrieben, dass seine, nämlich Kreys-
sig's, Angaben über einige Capilel des 30. Buches, wie sie in seiner Aus-
gabe des 33. Buches vom Jahre 1839 her in der Vorrede S. 6 und 7 an-
geführt ständen, durchaus nichts zu wünschen übrig Hessen, und dass,
was zwischen mir und ihm sich Abweichendes finde, lediglich auf der Un-
genauigkeit meiner Collation beruhe. Und um dies auch durch eine an-
dere, als die von Kreyssig angeführten Stellen zu beweisen, verweise er
nur auf das von mir im 26. Cap. jenes 30. Buches angeblich auch aus der
Bamberger Handschrift aufgenommene ,,cunctat2or", während doch in der
Handschrift selbst auf das Deutlichste ,,cunctator" stände. Hätte unser
Kreyssig über meine Benutzungsweise alter handschriftlicher Ueberliefe-
rungen und über meine kritischen Grundsätze gesprochen, so würde ich
ihm nichts zu entgegnen haben. Keiner schätzt mehr die Verdienste des
würdigen INlannes als ich, aber in der Kritik würde ich mich eben so we-
nig mit ihm als mit irgend wem verständigen können, der über Ansichten
des gleichwohl so grossen Joh. Friedr. Gronov und Drakenborch's nicht
eben hinauszugehen gesonnen ist. Die Wissenschaft i>t im Fortschreiten
und muss gefördert werden, und sie wird auch gefördert werden trotz
allen Hin- und Herredens dieser oder jener noch befangenen Seite. Aber
so spricht Kreyssig über meine Gewissenhaftigkeit beim Vergleichen und
in der IMittheilung des handschriftlichen Apparates, und da man sehr
leicht, wenn ich hier schweige, über den Weith und die W^ahrheit meiner
Collationen überhaupt irre werden könnte, so bin ich nicht sowohl mir
als vielmehr der Sache eine rechtfertigende Erklärung schuldig.
Als ich im Jahre 1836 unser königl. Ministerium darum ersuchte,
mir durch seine Vermittelung den bekannten Bamberger Codex des Livius
auf eine Zeit lang zu verschaffen, war mein Augenmerk allein auf die in
jenem Buche zum grössten Theil enthaltene vierte Decade gerichtet ge-
wesen, deren Collation ich mich denn auch, nachdem ich das Buch er-
halten hatte, mit ganzer Aufmerksamkeit iintcrzog. Als ich hiermit fer-
tig geworden war, sah ich mir natürlich auch die in demselben Bande
enthaltene Abschrift eines grossen Theiles der dritten Decade an und war
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 223
bald nicht wenig erstaunt, eine Handschrift zu finden, die das gering-
schätzende Urtheil Göller's nicht nur nicht verdiente, sondern die mir da-
mals, wo ich den Puteanus noch nicht aus eigenem Studium kannte, zu
den vorzüglichsten Abschriften der dritten Decade zu gehören schien.
Aber die zur Benutzung des Buches erbetene Zeit war fast vorüber, und
so konnte ich mir also bei dieser Handschrift nur noch eine Vergleichung
in wesentlicheren Verhältnissen erlauben. Da die Abschrift in mancher
Hinsicht, besonders in den Eigennamen, mit ziemlicher Nachlässigkeit
gemacht ist, so überging ich die nomina propria fast ganz, und also natür-
lich auch alles das, was nur auf orthographische Verschiedenheiten hinaus-
lief, wie wenn hec statt haec, preter statt praeter geschrieben stand;
merkte mir aber wohl die abweichende Stellung der Worte und überall
da die Lesart an, wo dieselbe bemerkenswerthe Aufschlüsse für die Ge-
winnung des ursprünglichen Textes zu bieten schien. Als ich daher 1838
den Entschluss fasste, das 30. noch so sehr verunstaltete Buch des Livius
in einer verbesserten Gestalt herauszugeben, liess ich mir für meine Ko-
sten nicht nur eine sorgfältige Abschrift der ersten 30 Capitel aus dem
Puteanus, und des übrigen Theiles des Buches aus dem besten Colbertiner
Manuscript in Paris, sondern, da ich meiner CoUation die nöthige Voll-
ständigkeit absprechen musste, auch eine dergleichen vom Bamberger Bu-
che in Bamberg machen, auf deren Genauigkeit ich um so mehr glaubte
bauen zu können, da mir der Bibliothekar Jäck einen von ihm besonders
geschätzten Baierschen Gelehrten dazu empfahl. Indess, so wie ich nach-
mals in Paris sah, dass an nicht wenigen Stellen die mir gemachte Ab-
schrift den Originalen nicht entsprach, so mag es auch mit der Bamber-
ger Abschrift geschehen sein , und ich will gern zugeben , dass an den
beiden wesentlicheren Stellen, wo meine Angaben von denen Kreyssig's
abweichen, der Ehrenkranz allein unserem Kreyssig gebühre. Es sind
dies im 44. Cap. die auch von GöUer angeführte Lesart „CR" für das
Kreyssig'sche ,,Cn." in dem Namen Cn. Cornelio , und nach Kreyss.
,,finiret" d. h. finiretur, wo meine Abschrift das gewiss von Livius ge-
setzte ^rjir et bietet, wie auch in dem schönen Colbertiner Buche steht.
An der dritten abweichenden Stelle habe ich mit Absicht im Cap. 43
,,fetialibus dari'* schreiben lassen, obgleich in der mir angefertigten Ab-
schrift wie bei Kreyssig ,,fecialibus dari" steht. Wenn ich dagegen
nicht Affricam, sondern Africam, nicht hec und preter, sondern haec und
praeter an Stellen, wo es sich um etwas Wichtigeres handelte , aus dem
Bamberger ßuche anführte, so wird Kreyssig so gut wie Fabri gesehen
haben , dass eine solche diplomatische Genauigkeit in der Angabe der
Lesarten des ganzen Buches von mir unterlassen ist, und zwar, weil ich
nur dann auch dazu mich konnte verstehen wollen, wenn ich nicht blos
die eine, sondern alle benutzte Handschriften mit eigenen Augen colla-
tionirt hätte. Was aber die von Fabri aus dem 26. Cap. gerügte Lesart
„cunctatior" betrifft, so bin ich überzeugt, dass Fabri — der wohl über-
haupt nicht durch meine Bemerkungen auf den Werth auch dieses Theiles
der Bamberger Handschrift hingewiesen ward, da er in seiner Ausgabe
224 Schul- und Universitätsnachrichten u. s. w,
des 24. Buches zwar öfter als in der Ausgabe des 21. und 22. Buches
von Drakeuborch abweicht, aber des ihm so nahe gewesenen Bamb. Cod.
gar nicht erwähnt — ungenau gelesen hat, da ich mir jenes ,,cunctattor'*
selbst und zwar mit den Worten angemerkt habe, dass so ursprün glich
in der Handschrift gestanden: so dass ich recht gern zugeben >\ill , dass
Fabri d e u tlich nur noch ,,cunctator" an der veränderten Stelle ge-
funden habe, und zwar zweifle ich an meiner Angabe um so weniger, als
ich auch in dem alten, mit dem Bamb. so vielfach übereinstimmenden Col-
bcrtiner Buche dasselbe ,,cunctatior" wiederfand. Da aber im Puteanus
nur „cunctator" steht, so habe ich in der Textesrecension der dritten
Decade von 1844 ebenfalls so wieder schreiben lassen. Möge daher ein
Gelehrter sich die Mühe nicht verdriessen lassen, die angeführte Stelle
im Bamberger Codex nachzusehen, und öffentlich mitzutheilen , was zu-
erst gestanden und was emcndirt worden : da wird es sich ja dann zei-
gen, wer Recht hat. Ob sich in den von mir selbst in Paris, Florenz und
Wien veranstalteten Collationen Irrthümer vorfinden möchten , lasse ich
dahin gestellt sein; ich habe mit Aufbietung aller nur möglichen Aufmerk-
samkeit die alten Bücher erst studirt und dann collationirt, was mir bei
dem in mehreren Partieen so schwer zu entziffernden Puteanus fast das
rechte Auge gekostet hat; mögen Kenner meine Angaben prüfen und
sich frei und offen darüber erklären: ich glaube mit gutem Gewissen meine
handschriftlichen Mittheilungen vertreten zu können. Dass übrigens
Kreyssigdas, was er in der Vorrede seiner Ausgabe des 33. Buches
S. LXI aus einem Briefe Jäck's an ihn über die für mich angefertigte
,, diplomatisch genaue Abschrift" des 30. Buches erzählt, jetzt
wieder vergessen zu haben scheint , befremdet mich keineswegs. Und
so möge denn der treffliche Mann auch davon überzeugt sein , dass ich
seinen Bemerkungen nicht die Absicht einer Verdächtigung unterlege ; aber
es mir auch nicht verargen, dass ich dem Ernst der Sache die vorste-
hende Rechtfertigung schuldig zu sein glaubte. Wie Manches übrigens
in der sonst im Ganzen mit grosser Aufmerksamkeit von Kopitar ange-
fertigten Collation des Lcrsheimer oder Wiener Buches, die uns von
Kreyssig jetzt vorgelegt ist, übersehen worden, wird der spätere Heraus-
geber nachzuweisen haben.
C. F. S. Aischefski.
Inhalt
i^on des achtundfnnfzigsfen Bandes zweitem Hefte.
Seite
britische ßeurtheilungen. , 2^5 jgT
Jacob: Sophokles' Antigene. Griechisch mit Anmerkungen u. s. w
Von Professor R. Klotz zu Leipzig 115 134
Hertlein: Xenophons Anabasis. Vom Gymnasiallehrer Dr. Breiten-
bach zu Wittenberg 23^ I54
Estre: Horatiana Prosopographeia. Von Professor Dr. i. Obbarius
zu Rudolstadt. ' \' ' ' '- • .154-168
Cifrote: A history of Greece. I. Legendary Greece. Zweiter Artikel.
Von Professor Dr. Campe zu Neuruppin \ Igg igy
Jibliographische Berichte und kurze Anzeigen ! .* ! 187 191
Das höhere und niedere Studienwesen im Grossh' rzogthum Baden *
dargestellt in einer Sammlung der hierüber erschienenen Gesetze
und Verordnungen ^ Igj igg
Wocher: Die lateinische Wortstellung. Von Prorector Dr. Heffter
zu Brandenburg Igg igt
chul- u. Universitätsnachrichten, Beförderungen u. Ehrenbezeigungen. 191 '221
Grossherzogthum Baden. Ansprachen °. . . 191 195
Constanz 295 ]99
Furtwängler: Der reitende Chäron, eine mythologische Ab-
handlung 197—199
Hamburg 199-203
Kraft: Bemerkungen über Reform der Gelehrtenschulen. Von
Professor Dr. Dietsch zu Grimma. . . . • . . . . . . 199 203
Grossherzogthum Hessen 203 209
Dariiistadt 204 206
, DUihcy : Zur Gyranasialreform. Zweites Heft. Von KL zu M— z. 204—206
Giessen 206—207
Geist: Krinagoras von Mytilene. Von Dems 206 207
Worms 207
Wiegand: Zur Methode des Unterrichts in der deutschen
Sprache. Von Dems 207 208
Benzheim und Büdingen 208
Mühlhausen 209
Weigand: De la versification fran^aise. Von Professor
Dr. Dietsch zu Grimma. . 209
Posen-.. . . 209-215
Schönborn: Beiträge zur Geographie Kleinasiens. Von Dems. 210—215
■' Wertheim 215 — 218
Fiihlisch: Erklärung zweier Oden desHoraz \on Fr. Aug. IVolf. 215 — 218
Wittenberg 218 — 221
Breitenbach : Ueber den Entwickelungsgang der Goethe'schen
Poesie bis zur italienischen Reise. Von Prof. Dr. Dietsch
zu Grimma , 221
Worms. Programme von Wiegand. Von Dems 221
Erklärung von Professor Dr. C. /. Ä. Aischefski zu Berlin. . . 222—224
Leipzig,
Druck und Verlag von B. G. Teiibner.
1950.
4
AonD
Neue
JAHRBOGHER
für
Philologie und Pädagogik,
oder
Kritische Bibliothek
für das
Schul- und Uiiterriclitswesen.
In Verbindung mit einem Vereine von Gelehrten
begründet von
Mi Job. Christ. Jahn.
Gegenwärtig herausgegeben
von
Prof. Reinhold Klotz zu Leipzig
und
Prof. Rudolph Dietsch zu Grimma.
ZTTAXZIGSTER JAHRGAXG.
A c h t 11 n d f 11 n f z i g s t e r Band. Drittes H e f f.
Leipzig; 1850.
Druck und Verlag von B. G. Teubner.
Kritische Beurtheilungen.
1) Forschungen auf dem Gebiete der röm. Verfassu?igs ge-
schickte von Dr. fF. Jhne.
2) Der römische Senat zur Zeit der Republik von Dr. Fr. Hofmann.
3) De legibus iudiciisque repetund. in republica Rom. comni.
lectae a C. Tli. Zumptio.
4) Die Cooptation der Römer von Dr. L. Mercklin.
Zweiter Artikel.
Der Verfasser der zweiten Schrift hat sich eine engere Auf-
gabe gestellt, nämlich zu untersuchen, wie der Senat in der Blü-
thezeit der römischen Republik zusammengesetzt war und in wie-
fern sich die einzelnen Classen seiner Mitglieder rücksichtlich
ihrer Berechtigung von einander unterschieden. Zu diesem Be-
hufe musste er auf den Anfangspunkt dieser Periode zurückgehen,
als welche die lex Ovinia mit Recht bezeichnet wird, bei welcher
Gelegenheit Hr. H. die Hypothese des geistreichen Rubino billigt,
dass es gänzlich in der gesetzlich unbeschränkten Willkür der Kö-
nige gestanden habe, wen sie in den Senat aufnehmen wollten,
und hinzufügt, dass eine nach Rücksicht der Gunst und Missgunst
erfolgende, lediglich von der Willkür des Wählenden abhängende
Auswahl der Senatoren auch noch lange nach der Vertreibung der
Könige fortgedauert habe. Zwar hängt diese Theorie mit der
anderen von der ursprünglich unbeschränkten Machtvollkommen-
heit des Königs zusammen, allein diese ist schon oft als mit dem
Geiste des römischen Alterthums überhaupt und mit den Quellen
unverträglich zurückgewiesen worden, so dass ich mich hier auf
die lectio senatus beschränke. Ich bin weit davon entfernt, die
Ansicht zu billigen, dass der Senat als eine Vertretung der Curien
und Geschlechter von diesen selbst gewählt worden sei, aber eben
so wenig kann ich die unbedingte Wahlfreiheit des Königs zuge-
ben. Die Wahrheit liegt vielmehr in der Mitte und die Wahl er-
15*
228 Römische Staatsalterthümer.
folgte walirscliclnlicli durch den Köni^ und die Curien gemeinsam,
entweder indem die Curien das Vorsclilagsrecht hatten oder, durch
eine Art von Cooptation, worüber ich mich in Pauly's Realencykl.
VI. p. 998 ausgesprochen habe. Dion. 11, 12 leidet zwar an vie-
len Unrichtigkeiten, allein so viel sieht man doch daraus, dass
eine gewisse Theihiahrae der Curien bei der lectio senatus statt-
fand; Mercklin, die Cooptation p. 30, glaubt sogar, dass bis auf
Tarquinius Priscus der Senat aus rein patricischer Cooptation her-
vorgegangen sei, worin er zu weit geht. Wollte man aber aus der
grösseren Freiheit , welche sich die letzten Könige nahmen, etwas
fiir die Macht der früheren Könige herleiten, so würde man irren,
denn Serv. Tullius nahm bei seiner neuen Verfassung ausseror-
dentlicher Weise mehrere Senatoren ex plebe auf, indem er
Stützen seiner Einrichtungen suchte und die Majorität des Volkes
für sich hatte; und was den letzten Tarquinius betrifft, so zeigte
sich dieser in allen Stücken so willkürlich, dass daraus für die ge-
setzliche Königsgewalt nichts zu folgern ist.
Um so unbedingter muss man Hrn. II. in Beziehung auf die
Behandlung der lex Ovinia beistimmen, z E. dass er in der be-
kannten Stelle des Festus v. praeteriti die Conjectur Meier's iu
rati^ welche übrigens schon vorher von Peter in der Neuen Jen.
Litter. -Zeitg. 1842. Nr. 55 aufgestellt worden war, adoptirt.
Auch die Worte ex omni ordine sind treffend erklärt: aus allen
ordinibus, welche Anrecht auf die Aufnahme in den Senat hatten.
Zu demselben Resultate ist auch Hr. Mercklin (Nr. 4. p. 32 f.)
gleichzeitig mit Hrn. H. gelangt. Die Vermuthung, dass das Ge-
setz unmittelbar nach den Licinischen Gesetzen gegeben worden,
ist auf scharfsinnige Weise begründet. Sodann verfolgt Hr. H.
die einzelnen Classcn der Senatsmitglieder, und zwar zunächst
2) die senatores pedarii p. 19 — 34 und zeigt, dass unter die-
sem Namen die Senatoren zu verstehen sind, welche aus den Rit-
tern in den Senat gewählt worden waren, ohne ein Amt bekleidet
zu haben, wie V^arro bei Gell, andeutet. Das Wahre sahen schon
früher Beaufort, Reiz und Puchta, Hr. H aber hat das Verdienst,
die Sache fest begründet und ausser allen Zweifel gesetzt zu haben.
3) Die stimmberechtigten Beisitzer im Senat (quibus in se-
natu senteniiam dicere Licet) p. 35 — 77. Diese Classe umfasste
nach Hrn. H. sowohl die Magistraten, welche das Recht hatten
an den Sitzungen Theil zu nehmen, ohne wirkliche Senatoren zu
sein, als die Exmagistraten, welche noch nicht in den Senat auf-
genommen waren. Die widersprechenden Berichte des Fest., Val.
Max., Varro und Gell, über die Exmagistraten vereinigt Hr. H.
auf das Ueberzeugcudste. Von der ältesten Zeit gilt die Notiz
des Val. Max. II, 2, 1: nicht das Amt mache zum Senator, son-
dern nur die Aufnahme, und mit der Amtsniederlegung höre auch
der Sitz im Senat auf, jedoch mit der Beschränkung, dass die
iiichtcurulischen sofort austreten mussten, während die curulischeu
Hofmann: Der rÖm. Senat zur Zeit der Republik. 229
im Senat bis zur näclisten lectio verweilen durften, wo es sich
entschied 5 ob sie auf immer darin blieben oder nicht, Gell. 111.18.
Seit Sulla behielten alle Exmag^istraten, curulische wie nichtcuru-
lische, Sitz im Senat, und auf diese Zeit bezieht sich Fest,
p. 339 M., also von dieser Zeit begreift die Classe: quibtis etc.
alle Magistraten u. FJxraagistraten von einem Lustrum zum andern.
Auch diesen Gedanken sprach schon Beaufort aus, allein bewiesen
ist er erst durch Hrn. II. Dass Sulla diese Veränderung schuf,
wird durch innere imd äussere Gründe höchst wahrscheinlich ge-
macht. Es musste ihm daran liegen, zum Schutze seiner Verfas-
sung und seiner im Senate sitzenden Freunde die Macht der Cen-
soren zu beschränken. Ob aber Sulla die Censur ganz anfbob
(Schol. Gronov. p. 384 Orell.) oder nur die Wahl der Censoren
verhinderte, ist schwer zu entscheiden. Nach ITjährlger Unter-
brechung wurden zwar wieder Censoren gewählt, behufs einer
strengen lectio, aber die Aufnahme in den Senat wurde immer
mehr eine blosse Form und die senatorischen Rechte wurden un-
mittelbar mit der Erlangung eines senatorischen Amtes erworben.
So musste der Unterschied zwischen wirklichen Senatoren und
denen quibus licet etc. ganz verschwinden.
4) Die Magistrate im Senat p. 78—106. Auch dieser Ab-
schnitt ist reich an neuen und sicheren Resultaten. Aus der Un-
tersuchung iiber die Bedeutung des itis sententiam diceudi^ wel-
ches Hr. H. im engern Sinne als das Recht nachweist, einen Vor-
schlag zu machen, welcher von dem Referenten zur Abstimmung
gebracht wird, folgt, dass die höheren Magistrate dieses Recht
in dem Jahre ihrer Amtsfiihrung entbehrten (obgleich sie dasselbe
in der Regel schon vorher besessen hatten), desgleichen die Tri-
bunen und niederen Magistrate. Eben so wenig nahmen sie an
der discessio Theil. Allerdings ist es auffallend, dass gerade die-
jenige Classe, welche mit den Worten bezeichnet wird qiiibtis
licet seilt, dic.^ dieses Recht nicht gehabt hätte , allein in dieser
Formel haben diese Worte einen weiteren Sinn (s. v. a. referre)^
was Hr. H. noch mehr hätte hervorheben sollen. Auch hatten
die höheren Magistrate dieses Recht im e. S. nicht nöthig, da sie
das ins referendi und interccdendi besassen, abgesehen davon,
dass es unpassend gewesen wäre mitzustiraraen, nachdem sie selbst
referirt hatten. Den Hauptbeweis für diese Behauptung fiihrt
Hr. H. aus vielen Stellen, in denen der Hergang bei den Senats-
sitzungen erzählt wird. Nirgends findet sich eine Erwähnung von
Magistraten, welche gestimmt hätten, während die Stimmen der
Exmagistrate und der designirten Magistrate so oft vorkommen.
Ja es ist nicht einmal ein Platz zu ermitteln , an welchem die Ma-
gistrate ihre sententia hätten abgeben können. Eine einzige
Stelle scheint gegen Hrn. H. zu sprechen: Cic. p. Sest. 32 (Piso
et Gabin. coss.) cum in senatii privati (nicht privatim, wie noch
Hr. H. hat) vi de me sententias dicerent flagitabantur ^ legem
230 Romische Staatsalterthümer.
Uli se Clodiam timere dicehant. Allein schon Ernesti erkannte
den waliren Sinn dieser Worte, welchem sich anch Ilr. 11. an-
schliesst (in ähnlicher Weise der von FI. nicht angeführte Madvi^,
s, Halms Ansg. p. 199). Demnach hat Hr. II. volles Kecht, die
Thätigkeit der Magistrate im Senat mit der der Minister in den
heutigen Ständcversammlungen zu vergleichen, obwohl auch viele
Verscliiedenheiten statthnden.
5) Die Tribunen im Senat ^ p. 106 — 16'). Bei der ünter-
sucliung^ über diesen sehr wichtigen und noch nicht ins Klare ge-
brachten Gegenstand legt Hr. H. eine Stelle des Zon. VII. 15 zu
Grunde, welcher hier wie in einigen andern Punkten (z. E. über
die Quästoren) unter allen Schriftstellern allein das Richtige be-
wahrt hat. Zon. unterscheidet 4 Perioden der tribunicischen
Theilnahrae am Senat, nämlich 1) die Zeit, wo die Tribunen vor
den Thüren der Curie sassen und gegen missfällige Beschlüsse In-
tercession einlegten; 2) die Gegenwart der Tribunen im Innern
der Curie; 3) Aufnahme der Extribunen in den Senat; 4) Bewer-
bung der nicht patricischen Senatoren um das Tribunat. Hr. H.
stimmt im Ganzen damit überein, nur dass er vor der ersten Pe-
riode des Zon. noch eine frühere einschiebt, so dass die erste Zeit
des Zon. bei Ilrn H. die zweite bildet. Er sagt nämlich, die
Volkstribunen hätten in der ersten Zeit das ins intercedendi we-
der rechtlich gehabt noch sich angemaasst, und hätten in dieser
Zeit an den Senatssitzungen regelmässig nicht Theii genommen.
Nur in zwei Fällen wären sie unter Vermittelung der Consuln zu-
gelassen worden, wenn ein aussergewöhnlicher Umstand es
dem Senat oder den Coss. wünschenswerth gemacht habe, das
Gutachten der Tribunen zu vernehmen oder sie Zeugen der Ver-
Jiandlungen sein zu lassen, 2) wenn die Tribunen im Interesse
ihres Standes eine Anzeige, Bitte oder Beschwerde an den Senat
zu bringen Iiatten.
Es ist gewiss ganz riclitig, wenn Hr. H. die Intercessionsbe-
fugniss der Tribunen für die älteste Zeit verwirft; was aber den
andern Satz betrifft, dass die Anwesenheit der Tribunen vor dem
Senatssaal einer neuen Periode angehöre, so werden Wenige bei-
stimmen, indem beide Momente nicht zusammenzugeliören schei-
nen. Die Tribunen hatten Grund genug, als Hörer zugegen zu
sein, wenn ihnen auch noch keine Intercession zustand, da es ihnen
viel daran liegen musste, von allen Beschlüssen und Verhandlun-
gen des Senats zeitig unterrichtet zu sein, was ohne persönliche
Gegenwart unmöglich war. Dazu kommt, dass sie vermöge ihrer
Unverletzlichkeit von der Thüre nicht entfernt werden konnten,
wenn sie Lust hatten, daselbst Platz zu nehmen. INatürlich durf-
ten sie nicht verlangen eingeladen zu werden wie die andern Se-
natoren — ausgenommen wenn ihre Gegenwart von dem Senat ge-
wünscht wurde — , sondern sie kamen nach Belieben von selbst,
60 dass wenigstens einer aus ihrer Mitte anwesend ^^ar, ausser
Hofmann : Der rÖni. Senat zur Zeit der Republik. 231
wenn der Gegenstand der Verhandlung für die Volkstribunen gar
kein Interesse hatte, z. K. bei sakralrecfitlichen Discussionen.
Die regelmässigen Sitzungen waren ilinen bekannt und die ausser-
ordentlichen werden ihnen wohl auch selten verborgen geblieben
sein. Nöthigenfalis konnten sie dann sogleich von der Thiir in
das Innere gerufen werden, um Auskunft zu geben u. s. w. —
Dass diese Anmaassung — denn als solche rauss die Anwesenheit
der Tribunen gelten — keineswegs zu gross war, als dass wir sie
nicht schon den Tribunen der frühesten Zeit zutrauen dürften,
ergiebt sich aus anderen ähnlichen Thatsachen, vorzüglich aber
aus der kurz nach der Errichtung des Tribunats von den Tribunen
erhobenen Anklage gegen Coriolan, was doch eine ungleich grös-
sere Kühnheit war, als vor den Thüren der Curie ruhig zuzuhö-
ren, zumal da auch andere Bi'irger hier standen (Liv. III. 41).
Zwar glaubt Hr. IL aus einigen Stellen des Dionysius, wo es
heisst: (Coss.) skccXovv tovg drj^dQXOvg oder TtaQaxXr^^evrcJv
Twv dr]U. schliessen zu dürfen, dass die Tribunen nur auf erlas-
sene Einladung in den Senat gekommen wären, allein diese Stel-
len sind entweder so zu erklären, dass die an der Thür sitzenden
Tribunen in den Saal gerufen wurden, oder dass eine förmliche
Einladung ergangen war, welche fi'ir solche Fälle, wo die Gegen-
wart der Tribunen dringend verlangt wurde, erfolgen musste, da
es auch zufällig geschehen konnte, dass gerade an diesem Tage
kein Tribun oder nur einer gekommen wäre, welcher, hereinge-
rufen, nicht für seine Collegen hätte sprechen können. Auch
sind Stellen anzuführen, wo die Tribunen zugegen waren, ohne
dass eine Berufung durch die Coss. erwähnt wird. So z. E. ist
Liv. III. 9 eine Einladung der Tribunen durch den praefectus urbi
nicht wahrscheinlich. Es Iieisst auch öfter bei Dion. nagovrcov
X. d. oder ol ds örjßagxoL TtQoek^ovreg xtI., z. E. X. 2,34, und da
könnte man folgern , wenn man die Worte eben so stricte nimmt,
dass die Tribunen auch ohne Einladung da waren. Am schla-
gendsten ist Dion. VII. 49, welche Stelle nur durch Umänderung
des Textes zu beseitigen ist. Allein ftt; r^v ßovXrjv ist diploma-
tisch gesicherter als e. x. noXiv. Endlich rauss ich noch bemer-
ken , dass, wenn die Gegenwart der Tribunen vor der Thür als eine
denselben geraachte Concession und als ein Fortschritt der zweiten
Periode erscheinen soll, dieses ein schlechter, nicht ehrenvoller
und mit der sonstigen raschen Entwickelung des Tribunats nicht
zu vereinigender Fortschritt zu sein scheint. Darum verbinde
ich beide Perioden des Hrn. H. und halte den Platz vor der Thür
und die jeweilige Einladung zur Versammlung für gleichzeitig.
Während dieser Zeit wurde allmählig die Intercession errungen,
wie Hr. H, schön entwickelt (indem er das ins interced. aus dem
ins auxiliandi ableitet), bis dieses Recht endlich vollkommen aner-
kannt wurde (nach Hrn. H. nach dem Sturze der Xviri). Damit
verbindet Hr. H. die Aufstellung der Sconsulta und leges in dem
232 Römische Staatsalterthumer.
Tempel der Ceres. Wenn er aber sagt, dass man diese Einrich-
tung nur desshalb getroffen habe, um kein Scons. ^egen Willen
und Wissen der Tribunen zu Stande kommen zu lassen, so ist da-
gegen zu bemerken, dass die Tendenz dieser Einrichtung eine
viel weitere war, theils nämlich um Fälschungen in den gefassteii
Beschliissen zu verhindern , theils um neben dem allgemeinen
Staatsarchiv ein rein plebejisches Arthiv gleichsam zur fortlaufen-
den Controle der pleb. Magistrate unter den Augen und in dem
Besitz derselben zu gründen. Ohnehin würde der von Hrn. H.
geltend gemachte Grund nur auf die Scons., aber nicht auf die
leges Anwendung finden.
Die dritte Periode (nach Hrn. H.) oder die zweite nach Zon.
beginnt mit dem Sifz der Tribunen im Senate selbst. Dieses
identificirt Hr. H. sehr richtig mit dem Rechte der Tribunen, den
Senat zu berufen und zu referiren (indem die regelmässige Auf-
nahme der Trib. in den Senat kaum unter einem andern Titel ge-
schehen konnte), und behauptet, dass die Tribunen diese Rechte
mit den Licinischen Gesetzen oder bald darauf erhalten hätten.
Zu diesem Resultate gelangt Ilr. H. durch folgendes Raisonne-
ment. Nach dem Sturze der Xviri wäre die Stellung der Plebejer
gegenViber den Patriciern sehr stark gewesen, denn durch die !n-
tercessionsbefugniss der Tribunen sei die patricische Macht sehr
beschränkt worden, und seitdem die Plebiscite durch lex Valeria
allgemein verbindlich gewesen wären (ohne einer Senatus aucto-
Fitas zu bediirfen), wäre die ganze Gesetzgebung immer mehr den
Tribunen und den Tributcomitien anheim gefallen. Dazu sei der
grosse Uebelstand gekommen, dass die wichtigsten Gesetze ohne
vorausgegangene gründliche Prüfung beantragt und angenommen
worden wären. Darum sei die Wiederherstellung der alten Sitte,
nur gründlich geprüfte Gesetzvorschläge an das Volk zu bringen,
sehr wünsclienswerth gewesen und darum hätten die Patricier den
Tribunen gern das ins referendi gestattet. Dieses sei aber erst
dann möglich gewesen, als die Stellung der Parteien gegen ein-
ander nicht mehr so schroff wie früher gewesen sei (denn damals
wäre keine der beiden Parteien darauf eingegangen), also erst
nach den Licinischen Gesetzen, als die Plebejer den Zutritt zu dem
Consulat und den andern curulischen Würden erlangt hätten. Auch
noch ein anderer Umstand hätte den Senat zu der Bewilligung des
Relationsrechts veranlasst, der Wunsch nämlich, durch die Tri-
bunen ein von den Coss. unterdrücktes Gutachten eines Senators
zur Geltung oder einen von den Coss. absichtlich unbeachtet ge-
bliebenen Gegenstand zur Sprache bringen zu lassen. Aber auch
dieses habe erst dann geschehen können, als die Tribunen aus
Vertretern der Plebs Vertreter der ganzen Nation geworden wären.
Wenn auch in dieser Schlussfolge mehrere sehr richtige Ge-
danken enthalten sind, z. E der letzte, dass der Senat die Tri-
bunen oft benutzt habe, unterdrückte Gutachten zur Geltung zu
Hofmann: Der rÖm. Senat zur Zeit der Republik. 233
bringen, dass eine gründliche Pri'ifung der Plebiscite von dem Se-
nat sehr gewünscht worden sei u. A., so ist doch der Hanptschluss,
dass die Tribunen das Relationsreclit erst nacli den leg. Licin. er-
halten liätten, unritlitig, indem der Schwerpunkt des ganzen Ge-
bäudes auf zwei falschen Sätzen beruht, nämlich 1) dass die Stel-
lung der Plebs nach den XU Tafeln so stark gewesen und dass die
Plebiscite seit lex Yaleria allgemein verbindliche Kraft gehabt
hätten; 2) dass die Vermittelung mit den Tribunen erst erfolgt
sei nach ausgeglichener Differenz und geschlossenem Frieden
zwischen beiden Parteien, d. h. nach den leg. Licin. Die Stellung
der Parteien war zwar nach diesen Gesetzen weniger schroff,
allein der Kampf war noch nicht erloschen und der Gegensatz noch
keineswegs aufgehoben, denn die Klagen der Plebs über harten
Schulddruck hörten noch nicht auf, die den Plebejern von den
Patriciern eingeräumten Rechte wurden noch immer oft verletzt,
z. E. durch die ungesetzliche Wahl zweier patricischenCoss. u. s.w.
Daher waren und blieben die Tribunen noch immer das negirende
Princip des ganzen Staatsorganismus, im ewigen Kampfe gegen die
Unterdrücker des zweiten Standes. Wenn also die Tribunen das
Recht der Relation erst nach gesclilossenera Frieden erhalten
hätten, so würde es noch später geschehen sein, als unmittelbar
nach den leg. Licin. Es hängt aber dieses Recht mit der angeb-
lichen Versöhnung gar nicht zusammen und war viel früher, wahr-
scheinlich bald nach lex Valeria, den Tribunen eingeräumt wor-
den, wie wir sogleich sehen werden, indem wir Hrn. H.'s paradoxe
Hypothese näher betrachten, dass die Stellung der Plebs nach den
Xll Tafeln so stark gewesen sei (also trotz des verbotenen Coimu-
bium und trotz der ihnen versagten Theilnahme an den curulischen
Würden ?) und dass lex Val. den Plebisciten volle Gültigkeit ge-
geben habe. Diese Episode ist die schwächste, oder richtiger, die
einzig schwache Partie des ganzen Buches. Hr. H. sagt: ,, die Ple-
biscite hätten eines Probuleuma des Senats nicht bedurft '•' und
„dass sie dennoch seit lex Val. für alle Bürger verbindlich waren
oder es sein sollten.'"'' Wenn dieses heissen soll, was unstreitig
damit gemeint ist, dass die Plebiscite ohne alle Bestätigung voll-
kommen gültig gewesen seien, so ist dies entschieden falsch.
Hätte Hr. H. gesagt, das Probuleuma sei principiell nicht noth-
wendig gewesen, die senatus auctoritas hätte eben so gut nachfol-
gen können , so wäre das richtig gewesen, denn eine auctoritas
war nothwendig, sie mochte nun vor der Annahme des Plebiscits
erfolgen oder nachher. Doch wir wollen zuerst die von Hrn.
H. angeführten Beweisstellen prüfen (S. 133 ff.). Er behauptet,
a) dass keine Stelle die Nothwendigkeit der senat. auct, darthue,
b) es gäbe Beispiele von Plebisciten, welche der sen. auctor. ent-
behrten, ohne darum von ihrer Gültigkeit zu verlieren, und kämpft
gegen Peter (Epochen p. 102 f.), welcher die Nothwendigkeit der
sen. auct. aus einigen Stellen herleitet Die Stelle Plut. Mar. 4
234 Römische Staatsalterthüraer.
verwirft Ilr. 11. g;änzlich und begreift nicht, wie sie für Peter
sprechen solle. Gleicliwohl ist die Sache ausser allem Zweifel.
IVlariiis schlug als Tribun ein Gesetz de suffragiis ferendis vor, der
Senat versagte seine Einwilligung und beschloss tco ^ev voyno
(.idx^ö^ai^ xov ÖS Magiov y,aküv koyov vcpe^ovza. Da erscheint
3Iariiis und yntikrjös tov Küzzav (Cos.) dnä^uv slg t6 dtöijiG)-
TtJQLOv^ ii ^t] ÖiayQd^l-'iu t6 doy^a (d. h. wenn das gefasste hin-
dernde ScoHs. nicht zuriickgenommen würde). Durch diese Dro-
hung wird der Senat eingeschüclitert, kein Tribun will interce-
dircn und so lieisst es endlich: tJ Ö£ övyxlrjTog H^aöa TiQotJKazo
t6 öoy^a. Der Senat gab also nach, indem er seinen Bescliluss
zuriicknahm, und die lex Maria ging durch. Wenn das Gesetz die
Bestätigung des Senats nicht bedurft hätte, würde der Tribun den
Cos. wohl mit Gefängniss bedroht haben, um den Senat zur
Nachgiebigkeit zu zwingen*? Es wäre ganz sinnlos von Marius
gewesen, wenn wir niclit die Nothwendigkeit des Scons. voraus-
setzen wollten. Eben so zeigt die von Hrn. H. gänzlich verwor-
fene Erzählung des Liv. XXXVIII. 36, wenn wir sie unbefangen
lesen, dass es gewisse Dinge gab, bei denen eine Bestätigung des
Senats unbedingt nothwendig war. Vier Tribunen intercediren
gegen ein Piebiscit, welches den Formianern das Stimmrecht ver-
leihen sollte, qiiia non ex auctorilate senatus ferretar^ aber dann
treten sie zurück edocli populi esse^ non senatus ii/s^ si/ff/aghim
qiiibus velit impartiri. Für diesen Fall war nämlich eine senat.
auct. entbehrlich; nicht aber für viele andere, wie der Zusammen-
hang zeigt. In den von Liv. XXI. 63 und Cic. de sen. 4 erzählten
Fällen gingen die Plebiscite allerdings ohne sen. auct. durch,
aber es geschah nicht gesetzlich, sondern gewaltsamer Weise und
>vurde heftig getadelt, was nicht geschehen sein würde, wenn die
Plebiscite der sen. auct. nicht bedurft hätten. Nachdem Hr. H.
die von Peter angeführten Stellen zurückgewiesen zu haben glaubt,
führt er andere auf, welche die unbedingte Gültigkeit der Ple-
biscite beweisen sollen. Zuerst Dion. IX. 41 iirizh TiQoßovXev-
fiazog yivo^Bi ov %zh.^ allein diese Worte beziehen sich auf die
älteste Zeit der Tributcomitien, wo sie nur speciell plebejische
Angelegenheiten ordneten (\or lex Val.) und damals natürlich
noch keiner sen. auct. bedurften. Dann folgen die Beispiele meh-
rerer ohne sen. auct. durchgegangenen Plebiscite, doch sie be-
weisen in so fern nichts für Hrn. H., als die einen Plebiscite ver-
möge ihrer Natur mit vollem Kechte ohne sen, auct. beschlossen
werden konnten, z. E. die lex Duilia, Liv. \TI.i6, deim hier waren
die Tribus in ilirem Rechte, und die andern ungesetzlich durch-
gingen, indem sich die Tribus Dinge anmaassten, die nicht in ihr
Kessort gehörten, z. E. Liv. III. 63 lum primum sine anctoritcUe
palrum ^ populi iussu triumphalum est. Dass diese Bestimmung
den Tribus gesetzlich zugestanden habe, wird nirgends gesagt.
Ebenso war das Plebisc. über die Auswanderung nach Vcii Liv.
Hofmann : Der röm. Senat zur Zeit der Republik. 235
V. 30 nicijts als Anmaassiiiig, wie auch ans Liv. in dem vorigen
Cap. hervorgeht. Endlich Liv. IV. 48, wo die Tribiitcoraitien eine
AciiervertheiUing beschliessen, fällt in dieselbe Kategorie der un-
gesetzlichen Beschlüsse. Hr. H. behauptet sogar, die berühmten
imd wichtigen leges Liciniae seien ohne sen. auct. gegeben wor-
den , was rein unmöglich ist. Die Worte bei Liv. VI. 42 per in-
^enlia certamina dictator senatiisque victiis heissen doch nichts
anderes, als sie wurden zum Nachgeben gezwungen und gaben
widerstrebend die Bestätigung, so wie Liv. IV. 6 bei der lex Ca-
nuleia ausführlicher spricht: vidi tandem patres^ ut de connubio
ferretur^ consensere. Auch würden die leg. Lic. ohne Senatsbe-
stätigung gar keine Wirkung gehabt haben, indem die Coss., wel-
che die Wahlcomitien leiteten, nur zu erklären brauchten, sie
würden auf plebejische Candidaten keine Rücksicht nehmen. Was
halfen dann alle Tributbeschlüsse *? Hatte der Senat aber einge-
willigt, dann konnte von einer solchen Weigerung der Coss. keine
Rede sein.
Man kann demnach nicht sagen, dass Hr. H. seinen Beweis
geführt habe. Noch wichtiger sind die gegen ihn sprechenden
inneren Gründe. W^enn nämlich lex Val. die Legislation den Tri-
bus auf einmal und unbedingt übertragen liätte, so wäre Rom seit
dieser Zeit eine Demokratie, ja vielmehr eine Ochlokratie gewe-
sen, während sich doch die röm. Verfassung nur langsam in dieser
Weise entwickelte und erst spät den Sieg des demokratischen
Princips anerkannte. Wenn Hr. H. Recht hätte, so wäre die Lob-
rede des Polybius über die zweckmässige Theilung der Gewalt in
dem röm. Staate eher eine Satire zu nennen, denn die Theilung
wäre ein Unding, wenn die Gesetzgebung in den Händen des einen
der Factoren gelegen hätte. Ohnehin konnte ein Theil des Volkes
unmöglich Beschlüsse fassen, welche ohne Zustimmung der ande-
ren Theile für das Ganze bindend gewesen wären. Die Plebs war
von den Patriciern staatsrechtlich gesondert und mit ihnen nur
durch foedera gleichsam wie mit einem fremden Volke verbunden
(s. z. E. Liv. IV, 6), so dass der eine Theil kein Recht hatte, dem
andern Gesetze aufzulegen. Diese staatsrechtlichen Ansichten
der Römer entwickelt Dion. X. 4 auf das Klarste. Er sagt, die
Gesetze des Volkes müssten durch Scons. bestätigt sein, denn die
Gesetze seien Cvv^TJxaL — Tiocval tvoIecov — ovxl ^SQOvg tcjv
Iv Talg noktöiv oIkovvtcöv. Wie will Hr. H. annehmen, dass die
Tributcomitien ein viel umfassenderes, ja fast dictatorisches Recht
gehabt hätten, als die eigentliche Nationalversammlung der Cen-
turiatcomitien, deren Beschlüsse ohne ein Scons. niemals Gültig-
keit hatten*? Der wahren Bedeutung der lex Valcria zufolge er-
hielten die Tributcomitien dieselbe Befagniss, wie die Centiiriat-
comitien, mussten also auch denselben Beschränkungen unterworfen
sein, wie diese. Dass aber lex Yal. den Tributccm. nicht mehr
einräumte, als den Centuriatcom . sagt Dion. XI. 41 ausdrücklich.
236 Römische Staatsaltertlmmer.
wo er von der lex Val. handelt: tjJv avxrjv dvva^LV £;^ot'rßg
(nämlich die Trihutbeschliisse) tolg iv xaig Xoxltlölv SKxky]6icas
TBy^i^öoi.iBi'ovg. Endlich müssen wir bemerken, dass die späteren
Kampfe über die Plebiscite, z. E. die leges agrariae, ganz wunder-
bar und unerklärbar wären, wenn die Entscheidung lediglich in
den Händen der Tribus gelegen hätte. Nicht weniger auffallend
wären die zahllosen und fast regelmässigen Erwälinungen der sen.
auct. bei Plebisciten, wenn man dieselbe für ganz entbehrlich
halten dürfte.
Damit soll aber keineswegs gesagt sein, als ob bei allen Tri-
butbeschlüssen eine sen. auct. nothw endig gewesen sei, man muss
vielmehr unter denselben sorgfältig unterscheiden. Wenn die
Tribus specielle und iocale Interessen der Gemeinde beriethen,
war eine Senatsbestätigung niemals noth wendig, weder vor lex
Val. (wo alle Tributbeschlüsse diesen engen Charakter an sich
trugen), noch nach derselben. Alle Ilohciisrechte des Volkes,
Verleihung der Civilät und des Suffragium, Wahlen plebejischer
IMagistrate, Anklagen gegen die Widersacher der Gemeinde und
dcrgl., gehörten unbedingt zum Ressort der Tribus, ohne dass der
Senat ein Probuleuma oder eine nachfolgende Bestätigung zu er-
theilen hatte. Seitdem aber nach lex Val. den Tribus auch ali-
gcraeine Angelegenheiten (für die Plebs und die Patricier gleich
wichtig) vorgelegt werden durften, z. E. Aenderungen der Ver-
fassung, Verfügungen über Staatsvermögen und über die Verwal-
timg überhaupt, Verleihungen des Imperium in ausserordentlichen
Aufträgen u. A , war ein Scons. unerlässlich, welches in der Re^el
vorher eingeholt wurde, und zu diesem Behufe mussten die Tri-
bunen das ins rcferendi im Senate erhalten haben. Selten wichen
die Tribunen von der Regel, des Senats Genehmigung einzuholen,
ab, denn das Gefühl für Recht und Gesetz war zu stark, als dass
sie gesucht hätten, gesetzliche Erfordernisse zu umgehen, und da-
her gehören Tributbeschlüsse, ohne sen. auct. gefasst (z. E. die
leges Scmproniae) , zu den grössten Seltenheiten in der ganzen
römischen Verfassungsgeschichte, abgesehen davon, dass schon
der Ausführung des Beschlusses wegen die senat. auct. sehr wün-
schenswerth und in den meisten Fällen unerlässlich war, z. E. bei
Verleihungen des Imperium (wegen der von dem Senat abhängen-
den finanziellen Ausstattung), Ländervertheilung (s. Pauly Real-
encykl. II. p. 513) u. s. w. Vergl Peter a a. 0., Pauly Realenc.
II. p. ^A^. VI. p. 102) und die treffliche Fortsetzung der Becker'-
gchen Alterth. v. IMarquardt II. 3. p. 117 fF. 161 ff. Ging aus-
nahmsweise ein Plebiscit ohne sen. auct. durch, so hoffte man
diese Bestätigung nachher zu erlangen oder zu ertrotzen, indem
der Senat , wenn der Gesaramtwille des Volkes sich entschieden
aussprach, seine Bestätigung nicht versagte, entweder alsbald
formell oder im schlimmsten Falle stillschweigend. Nur in den
dringendsten Fällen hob der Senat die ungesetzlich durchgegan-
Hofmann: Der rom. Senat zur Zeit der Republik. 237
g:enen Plebiscite auf, s. Marquardt a. a. O. p. 115. Paiily VI.
p. 1020.
Wenn man aus dem Gesagten die Nothwendi^kcit der senat.
auct. für die Tributbeschlüsse nach lex Val. anerkennt, so liegt
auch der Grund sehr nahe, warum man den Tribunen unmittelbar
darauf das Ilelationsrecht und dem zufolge auch den Sitz in der
Curie gab, zumal da bei dieser Einrichtung beide Parteien be-
theiligt waren. Das erste Beispiel der tribunicischen Relation
kommt zwar erst Liv. XXII. 61 vor, aliein da die zweite Dekade des
Livius nicht erhalten ist, so können frühere Erwähnungen verloren
gegangen sein. Hätten die Tribuiien dieses Recht erst dann er-
halten, als die Tribus schon längst, wie Hr. H. sagt, die unbe-
dingte Gesetzgebung erlangt hatten, so wäre dieses in keiner
Weise zu motiviren.
Die 3. Periode der Theilnahme der Tribunen am Senat, wel-
che nach Zon. die censorische Aufnahme der Extribunen (^ör^fiaQ-
X^öavtsg) in den Senat umfasst, verbindet Hr. H. mit der vorigen
und hält diese Aufnahme für eine Folge der Licinischen Gesetze,
was von Hrn. H.'s Standpunkte nicht unwahrscheinlich ist, obwohl
sich auch anderer Seits Manches für eine frühere Erlangung dieses
Anrechts anführen lässt. In den Quellen findet sich keine frühere
Erwähnung als Liv. XXIII. 23.
Die 4. und letzte Periode knüpft Hr. H. an das plebisc.
Atinium, indem er die von dem grossen Lipsius aufgestellte, im
Wesentlichen auch von Reiz angenommene Ansicht vertheidigt,
dass nach diesem Gesetz nur Senatoren zum Tribunat wählbar
seien, dass also die Tribunen vorher Quästoren gewesen sein
müssten, während Beaufort, Rubino und Mercklin behaupten, dass
diese lex den Tribunen während ihres Amtes und nach demselben
bis zur nächsten lectio das ins sententiae dicendae gegeben habe.
Die Letzten versetzen dieses Plebiscit in die Zeit des jüngeren
Gracchus , Hr. H. aber kurz vor das erste Consulat Sulla's und es
ist nicht zu verkennen, dass die Theorie des Hrn. H. Manches für
sich hat. Da wir aber schon zu lange von den Tribunen im Ver-
hältniss zum Senat gesprochen haben , wollen wir nicht näher dar-
auf eingehen und wenden uns zum letzten und kürzesten Abschnitt.
6) Die ordentlichen Mitglieder des Senats^ p. 165 — 177.
Hier wird der Census und das Alter der Senatoren in einer Weise
behandelt, dass nichts Bedeutendes dagegen einzuwenden ist.
]\ur ist die Behauptung, dass das Vermögen gar keine nothw en-
dige Bedingung der Senatorwürde gewesen sei, zu allgemein ge-
stellt und gilt nur von denen, welche durch Führung von Aem-
tern in den Senat gelangten. Bei den andern war bis auf Augustus
der census equester erforderlich. Eine Prüfung der von Hrn. H.
angeführten Stellen findet sich in Pauly's Realenc^kl. VI. p. 1001.
Auch konnte Hr. H. nicht sagen , dass in neuerer Zeit Alle das
30. Lebensjahr als das für die Quästur und den Senat erforderliche
238 Römische Staatsaltertliüraer.
angcselicn hätten, der Unterzeichnete hat stets eben so wie Ilr.
II. nur das '21 . Jalir anerkannt, s. Pauiy's Realenc. IV. p. 1434.
VI. p. 1002.
Zum Schluss bemerke ich noch, dass die Forscliungen des
Verfassers sich ebenso durch Klarheit, als durch Besonnenheit
und Sicherheit der Combiuation auszeichnen. Er beschränkt sich
nicht auf den jedesmal vorliegenden Moment, sondern beriicksich-
tigt zugleich die Gesammtverfassung der damaligen Zeit und be-
leuchtet mit deren Hülfe das Einzelne, und so sind auf diese
Weise mehrere sehr bestrittene oder noch gar nicht angeregte
Punkte des grossartigsten und ehrwiirdigsten römischen Instituts
entweder ganz befriedigend zur Erledigung gekommen oder der-
selben doch wenigstens bedeutend näher gebracht worden, wie
sich aus der obigen Lebersicht ergiebt. Eine Schattenseite des
Buches ist die nicht selten crmiidende Weitschweifigkeit, welche
die ganzen geistigen Operationen des Verfassers vergegenwärtigt
und welche namentlich bei Uebergängen , Recapitulationen, Ge-
genbeweisen den Leser etwas belästigt, z. E. p. 42 fF. o3. 58. 66 f.
l.')3 f. etc. Wollte Ilr. H. die ganze Verfassungsgeschichte des
Senats in derselben Weise behandeln, so würden kaum ein paar
starke Quartbände hinreichen.
Nicht ohne schmerzliche Bewegung wende ich mich zu Nr. 3,
welche Schrift nebst der neuen Bearbeitung des Curtius zu den
letzten Gaben gehört, mit denen der scharfsinnige, geschmackvolle
und unermüdlich thätige Zumpt die philologische Litteratur be-
reichert hat. Eine Reihe von Schriften, welche für die römischen
Antiquitäten grossen Werth haben, wird durch diese gediegene
und interessante Abhandlung geschlossen, welche nicht blos einen
trcftlichen Beitrag zur Kenntiiiss des römischen Strafrechts liefert,
sondern manche andere Partien des röm. Staatslebens beleuclitet.
Zumpt beschränkte sich nämlich nicht auf die geschichtliche Dar-
stellung des Repetundenverbrechens, sondern hat die leges iudi-
ciarias und die gleichzeitigen Veränderungen des ganzen Gerichts-
wesens mit eingeflochten, an mehreren Stellen sogar allzuvorwie-
gend , so dass man den Hauptgegenstand der Untersuchung darüber
ganz aus den Augen verliert.
iNach der in dem 1. §. gegebenen Definition des crimen re-
petund. folgen Bemerkungen über das Vorrecht der römischen
Magistraten , während ihres Amtsjahres weder criminell angeklagt,
noch auf dem Civilwege belangt werden zu dürfen, und über den
Schutz der röm. Bürger ^o^en Ungerechtigkeiten der Obrigkeit.
Fiir die Bürger war von jeher gesorgt, aber um so hülfioser er-
scheint §. 4 die Lage der Unterthanen, namentlich seitdem unter
den Provinzialbearaten Habsucht und Sittenverderbniss allgemein
eingerissen war. Endlich erschien lex Calpurnia, von welcher
Zumpt in folgenden Hauptpunkten handelt: 1) dieselbe habe nur
Zumpt: De legibus judiciisque repetundarnm etc. 239
gegen die Provinzialmagistrate Iliilfe verschaffen sollen, 2) sei
nur für die socii gegeben worden *), 3) die socii hätten persönlich
oder unter Beistand eines römischen Patroniis auftreten können,
stets aber 4) vor dem Praetor peregrinus, bis dieser nacli und nach
um die Richter geioost, das Gericht selbst aber einem andern
Prätor überlassen habe. In allen diesen Punkten stimmt Z. mit
dem von mir in dem röm. Crim. -Recht Gesagten überein, im
5. Punkte aber weicht er ab, indem er sagt, das durch lex Calp.
angeordnete iudicium sei privatum gewesen, aus folgenden Grün-
den: a) weil die legis actio sacramenti dabei üblich gewesen sei
nach dem Fragment der s. g. lex Servilia (Calpur);z«ö aiit le^e
lunia sacramento actum stet. (Doch daraus folgt nicht noth-
wendig, dass sich dieses auf alle Prozesse bezogen habe, wenn
ich auch jetzt zugeben will, dass vermittelst der fingirten Civität
ein Peregriner mit dieser römischen Prozessform hätte klagen
können.) b) Der Beweis, dass das iudicium legis Calp. desshalb
ein publicum nicht gewesen sei, weil keine infaraia folgte, ist ganz
irrig, denn ursprünglich war infamia nicht mit jeder Conderana-
lion verbunden, wie wir daraus ersehen, dass manche criminell
Verurtheilte später zu 3Iagistraten gewählt wurden, was bei in-
famia unmöglich gewesen wäre. So z. E. lesen wir bei Liv. XXVII.
34, dass M. Livius Consul wurde, inuUis ante amiis ea; consulatu
populi iiidicio damnatus, s. XXIX. 37. So wurde L. Corn. Sci-
pio als Legat nach Asien geschickt post damnniionem et bona
vendila, Liv. XXXIX. 22, vergl. XXII. 35. Val. Max. II. 9, 6.
*) Wenn Z. p. 11 glaubt, dass ich mir in dem röm. Crim.- Recht
(welches er übrigens auf das freundlichste beurtheilt) widerspräche, in-
dem ich S. 602 f. gesagt hätte, dass der Prätor L. Hostilius Tubu-
lus desshalb vor ein iudicium extraordinarium gestellt worden sei, weil
in der lex Calpurnia Bestechlichkeit noch nicht enthalten gewesen, und
doch S. 613 zugäbe, dass Bürger nach lex Calp. nicht klagen konnten
(welches nach Z. der wahre Grund ist, warum Tubulus extra ord. ge-
richtet wurde) , so liegt darin kein Widerspruch. Tubulus konnte nach
lex Calp. nicht angeklagt werden , weil Bestechlichkeit der magistr, ur-
bani darin gar nicht verpönt war ; denn dass meine Meinung nicht etwa
die war, wie Z. glaubt, dass Bestechlichkeit (nämlich der Statthalter)
nicht in lex Calp. enthalten gewesen sei, ergiebt sich auch S. 613, wo ich
sagte; .,Von Missbrauch der Amtsgewalt in Rom, z. B. von Bestechung,
war in dieser lex noch nicht die Rede." Bestechlichkeit derProvinzialmagi-
strate bildete vielmehr einen Hauptbestandtheil des crim. repet. Ein
städtischer praetor wie Tubulus konnte also nach lex Calp. nicht belangt
werden, die Kläger mochten nun dem Stande der röm. Bürger oder der
Peregrinen angehören. Darum bezog ich das Hinderniss, wesshalb Tu-
bulus nicht nach lex Calp. angeklagt werden konnte, nur auf die Person
des Angeklagten, während Z. ausschliesslich die Ankläger ins Auge fasste.
240 Römische Staatsalterthümer.
VI. 9, 10. Erst nach und nach wnrde infamia gesetzlich als Folge
der Condemnation für einzelne Verbrechen angeordnet, oder auch
nur gewisse Arten von Ehrenschmäierungen, wie z. E. durch lex
Cassia in Bezug auf die Tlieilnahme am Senat, Cic. in Corn. und
Asc. p. 77 f. Or. Endlich wurde infamia für alle Verbrechen be-
stimmt, und auf diese Zeit , nicht auf die fri'ihere, bezieht sich die
von Z. angezogene Digestenstelle XLVIII. 1, 7. Endlich c) sagt
Z., sei das iud. legis Calp. desshalb nicht publicum gewesen, weil
die Richter nur Recuperatoren gewesen wären. Wenn wir dieses
auch zugeben, so würde das Gericht doch mehr einen völker-
rechtlichen als einen privaten Charakter an sich tragen. Die Pro-
zessformen sind uns nicht bekannt und mögen, je nachdem die Be-
schwerde crimineller oder rein privatrcchtlicJier Natur war, sich
bald an denCriminal-, bald an den Civilprozess angeschlossen haben.
Ueber die fast unbekannte lea: lunia äussert sich Z. §. 7 mit
grosser Vorsicht und wendet sich sodann zu den Gesetzen des jün-
geren Gracchus, welche eine Verbesserung der Gerechtigkeits-
pflege bezweckten, vorzüglich zu dem bekannten: ne qiiis iudicio
circiimveniretur^ welches später in die lex Cornelia de sicariis
überging. Darauf folgen wichtige §§. über die lex Acilia und
lex Servilia Glauciae de repet. Ich war bisher der 3Ieinung,
dass lex Servilia die ältere sei, bin aber vor Kurzem von dem Ge-
gentheil überzeugt worden, nicht durch die von Zumpt u. A. vor-
gebrachten Gründe, sondern durch ein Factum, welches meines
Wissens noch nicht geltend gemacht worden ist. M. Aemil.
Scaurus wurde 92 v. C. von seinem Feinde Q. Servil. Caepio repet.
angeklagt und zwar lege Servilia, wie Cic. p. Scaur. 1 bei Ascon.
sagt, p. 21 Or. Ist diese Angabe richtig, woran man wohl kaum
zu zweifeln Ursache hat, so ist lex Servilia jünger als lex Acilia,
denn wenn lex Servil, noch 92 v. C. in Geltung war, so kann lex
Acilia unmöglich später gegeben worden sein, da sie von dem
Vater des Acilius Glabrio herrührte, welcher in dem Verrinischen
Prozesse Präsident des Repetundengerichts war. Nehmen wir
an, dass der Sohn 70 v. C. zwischen 40 und 50 Jahr alt war, so
ist er in der Zeit 120 — 110 v. C. geboren worden, und in dersel-
ben Zeit wird auch sein Vater als Volkstribun die lex Acilia gege-
ben haben. Aber auch angenommen, dass er sie einige Jahre
später gab, so muss es doch vor 104 v. C. geschehen sein, wo
Servilius Volkstribun war und die lex Servil, repet. promulgirte,
unmöglich nach dem J. 92 v. C, s. Z. p. 19 f.
Wichtig ist die von Z. aufgestellte Behauptung, dass die
unter dem Namen der lex Servilia bekannten und von Klenze treff-
lich bearbeiteten Gesetzesfragmente Ueberreste der lex Acilia^
nicht der lex Serv. seien. Der Hauptgrund für diese Vermulhung
ist, dass in den gen. Fragmenten die ampliatio erwähnt sei, was
in der lex Servilia unmöglich gewesen , da diese die ampliatio
aufgehoben und die coraperendinatio eingeführt habe. Namentlich
Zumpt: De legibus judicUsqiie repetundarum etc. 241
soll die Stelle der Fragmm.: ubi duae partes mdiciim qui aderunt
die Erwähnung beweisen, indem Z. die folgende Lücke
supplirt: rem sese nosse dixerufit^ d. h. wenn zwei Drittheile der
anwesenden Richter erklären, rem sibi liquere, solle zum Urtlieil
geschritten werden, wo nicht, müsse ampliatio eintreten. Das
ist allerdings nicht unwahrscheinlich, allein dieser Sinn ergiebt
sich nicht nothwendig aus den Worten, namentlich fehlt die An-
deutung der ampliatio gänzlich. Der Sinn der Stelle kann ebenso
gut gewesen sein: „wenn zwei Drittheil der Richter erklären, rem
sibi liquere, so könne das Urtheil gefällt werden, wo nicht, so
müsse die Untersuchung fortgesetzt werden, sei es in demselben
Termine (welcher Tage lang ausgedehnt werden konnte), sei es in
einer anzuberaumenden comperendinatio. '^ Bei der grossen
Lückenhaftigkeit des Textes an diesem Orte ist mit Sicherheit
nichts zu ermitteln. Wenn Z. ferner sagt, dass die Bestimmung
der lex Servilia: ad quos pecunia yervenit in den Erztafeln fehle
und dass diese desshalb der lex Serv. nicht angehören könnte, so
ist dagegen zu sagen, dass wir nicht wissen, ob diese Bestimmung
wirklich gefehlt hat, und dass dieselbe in dem lückenhaften 18. Ca-
pitel wohl gestanden haben kann. Für den Namen der lex Serr.
lässt sich dagegen anführen, dass die Fragmm. Cap. 23 die prae-
mia accusatorura bestimmten, was Cic. p. Balb. 24 von der lex
Serv. angiebt. Z. sagt zwar, diese Bestimmung sei aus der lex
Acilia in die lex Serv. aufgenommen worden und darum sei die
üebereinstimmung ganz natürlich; allein es ist kein Beweis dafür
beizubringen und man darf wohl annehmen , dass Cicero die lex
Acilia genannt haben würde, wenn diese die praemia accusat. vor
der lex Servilia angeordnet hätte. Demnach ist es noch keines-
wegs entschieden, ob die Fragmente der lex Äc. oder Serv. ange-
hören. Ein sicherer Beweis liegt weder für das Eine noch für das
Andere vor.
§. 12. Bei den Repetundenprozessen nach lex Acilia bemerkt
Z. über C. Porcius Cato mit Recht, dass er nicht wegen Repe-
tunden exilirt wurde, sondern nacii lexMamilia; aber daraus, dass
er nach seiner früheren Condemnation wegen repet. Mitglied des
Senats blieb, folgt nicht, wie Z. glaubt, dass er auf dem Civilwege
belangt worden wäre und desshalb keine infamia erlitten. Die
infamia erfolgte damals überhaupt noch nicht, wie bereits oben
bemerkt wurde, sondern Cato blieb im Senat trotz der criminellen
Verurtheilung.
Im 13. § f. behauptet Z, , dass der Volkstribun C. Servil.
Glaucia 104 v.C. zwei Gesetze gegeben habe: a) lex Serv. iiidicia-
ria^ welche die Ritter wieder zu den Gerichten berufen, b) lex
Serv. rep. Die erste Annahme ist wahrscheinlich, wenigstens
steht so viel fest, dass die lex Serv. rep. nicht etwa eine beson-
dere Abtheilung mit allgemeinem judiciarischen Inhalt in sich
fasste, wie Klenze vermuthete, aber Mommsen treffend beseitigt
£k\ Jahrb. f. Phil. u. Päd. od. Krit. Dibl. lid. LVIII. Hft. 3. iß
242 Römisclic Staatsalterthünipr.
Iiat in Zeitsclir. für Alterthumsw. 1843. Nr. 103, welchen Auf-
satz Z. leider nicht ijekannt liat. Bei der Darstellung der hx
Serv. rep. beij^c^nen wir wiederum der Strafbestimmung, dass alle
Condemnirten mit infamia belegt worden wären, was aber erst
durch lex Julia geschah, s. unten 8.244 fg. Unter den Uepetunden-
prozessen ist aucli der des L. Luculius aufgenommen, indem Z. den
Ausdruck bei Plut. Luc. 1. TcXonijg nicht in dem gewöhnlichen
Sinne als pcculatus, sondern als rep. nimmt, da ein Proprätor
keine Gelegenheit zu pecul. gehabt habe. Docli Luculius hatte
als Feldherr gegen die aufrVihrerischen Sklaven Gelegenheit genug,
die ihm für den Krieg anvertrauten Staatsgelder u. s. w. anzugreifen.
Darauf werden wieder iegcs iudiciariae besproclien, zuerst
Ipjc ridiitia^ welche die Zahl der Kichter sehr reducirte. Wäli-
rend lex Serv. oder Acilia ii'ir den Kepetundengerichtshof allein
450 Kichter bestimmte , wurden durch lex Plautia für alle Quä-
stionen zusammen nur 'rl'^ Uichter angeordnet. Auch hier ist zu
beklagen, dass Z. IVIommsen's oben erwähnte Abhandlung nicht
kannte. Lex Cornelia iudiciaria gab bekanntlich die Gerichte
an die Senatoren zuriick und verordnete (nach Z.), dass das Album
der Senator. Richter 3 Abtheilungen oder Decurien enthalten
sollte, in der ersten decuria die Consularen, in der zweiten die
praetorios, in der dritten die anderen Exmagistrate und dazu noch
einige andere Senatoren in jeder dec. Bei dieser Ziimptschen
Eintheilung der dec. ist nicht zu loben, dass die dec. nach dem
Range bestimmt worden wären , da es aus vielen Griinden zweck-
mässiger war, die dec. iud. aus allen Arten von Senatoren ge-
mischter Weise zusammen zu setzen. Auch fragt es sich sehr, ob
lex Corn. besondere neue dec. iud. einführte, oder ob sie nicht
vielmehr die alte Eintheilung des Senats in decurias Behufs der
Gerichte annahm und benutzte, wofür wenigstens die Schol. spre-
chen, Gronov. ad Verr. p. 892. Ps. Asc. p. 131 Or. Die einzigen
Stellen Cic. Verr. I. öl. V. 32. p. Clu. 37 sind zu kurz, als dass
sie ein näheres Erkenntniss des Instituts gestatteten.
§ 18. In Beziehung auf die lex Cornelia repel. ist nichts
zu bemerken, ausser über die Strafen. Eine schöne Vermulhung
Z.s ist, dass dieses Gesetz 27ofachen Ersatz des verursachten
Schadens bestimmt habe, weil Cicero in dem Verrinischen Pro-
zess diese Forderung machte. Mit dieser Geldstrafe sei infamia
verbiinden gewesen (s. oben) und aus Furcht vor diesen beiden
Strafen seien Viele der Angeklagten in das Exil gegangen *). Das
Exil sei nämlich iion poena^ sed fuga poe?iae gewesen und nur
*) Z. sagt, dass er nicht wisse, wie ich (Crim. -Recht p. 622 f.) die
Strafe des Exils mit einer ge\>issen infamia minor verbinden könne, was
jedoch ganz gut angeht. Das Kxil traf nur die wirklichen Capilal-
verbrecher, welche sich ausser Erpressung Grausamkeit n. s, w. hatten
Zumpt: De legibus judiciisque repetundarum etc. 243
gegen die vor der Condemnation Geflohenen sei aquae et ignis in-
terdictio ausgesprochen worden, nebst Confiscation. Ich will liier
nicht wiederholen, was ich mehrmals über diese falsche Auffas-
sung des exiliura gesprochen habe, und nur die Hauptmomente be-
merken. Wäre das Exil, wie Z. und viele Ändere glauben, keine
Strafe, sondern nur eine Maassregel gewesen, welche die Riick-
kehr des flüchtigen Angeklagten hindern sollte, so wäre die in
vielen Gesetzen (namentlich in dem Cornelischen u. Julischen)
vorkommende Strafformel: „dass den Verbrecher aquae et ignis
interdictio treff'en sollte'"' eine höchstwunderbare, denn wie konnte
das Gesetz im voraus wissen, ob jeder Angeklagte freiwillig in das
Exil gehen würde? Was wäre geschehen, wenn es dem Ange-
klagten nicht beliebte, sich zu entfernen und in welchem Falle
der Bann nicht hätte ausgesprochen werden können*? Wir haben
aber genug Beispiele von Männern, welche mit aquae et ign. in-
terd. nicht etwa erst nach ihrer Flucht von Rom belegt wurden,
sondern bei ihrer Anwesenheit, indem sie den ürtheilsspruch ab-
warteten und auf Freisprechung hofl'ten. Nach Z.'s Theorie
würde es aber unmöglich gewesen sein, dass ein in Rom Anwesen-
der mit dem Banne belegt worden wäre. Beispiele von Anwesenden
sind: P. Rutilius Rufus und T. Albucius, beide wegen Repetunden
anwesend mit dem Exil belegt. M"" Aquilius wäre nicht dem Exil
entgangen , wenn er nicht absolvirt worden wäre, s. Cic. de or.
II. 47 quinn mihi JSVAq. in civitate retinendiis esset. Auch
wegen anderer Verbrechen wie ambitus und maiestas wurden man-
che Anwesende mit dem Banne belegt, z. E. L. Memmius, A. Ga-
binius, T. Annius Milo, T. Munatius Plauens Bursa, M. Aemilius
Scaurus u. A., über welche die Belegstellen in meinem Criminal-
recht und in Orelli's clavis Cic, zu finden sind. Demnach müssen
wir nothwendiger Weise eine doppelte Anwendung der aq. et i. i.
unterscheiden: a) als Bann gegen den Abwesenden, um dessen
Rückkehr zu verhindern, b) als eine in förmlichem ürtheil aus-
gesprochene Strafe gegen einen Anwesenden, durch welche der-
selbe zur Abreise gezwungen wurde. In diesem letzteren Sinne
begegnen wir der aq, et i. i. so häufig In den Strafgesetzen der
späteren republikanischen Zeit, wo eine andere Auslegung unmög-
lich ist. — Ein anderer Irrthum Z,'s ist, dass mit der aquae et
i. i. stets Vermögensconfiscation verbunden gewesen sei. Der
Exulirte (sowohl der freiwillige als der gezwungene) behielt sein
ganzes Vermögen, ausser bei den Verbrechen, welche Schaden-
ersatz nach sich zogen. Hier nämlich trat , wenn das Vermögen
zur Bezahlung der gerichtlich verhängten Geldstrafe nicht aus-
zii Schulden kommen lassen, die infamia minor bezog sich nur auf die,
welche wegen einfacher Erpressung blos litis aestimatio erfuhren, also
nicht capital verurtheilt worden waren.
16*
244 Römische Slaatsaltorthiinior.
reit litc, Vcrmöijcnsconfiscation ein. Sichere Beweise fiir diese
yehaiiptuii'; sind or. p. dorn. 17 nt ne pocnci capitis cum pecunia
conimi^aiui , Suet. Caes. 4:i pocnas faciuoriun aiixit et quum
locupletes eo facilius scelere se obli^arent quod iniegris putii-
inoiiiis ejculubant^ parricidas — boiiis omnibus^ reliquos dinii-
dia parte j/iultavit^ endlich Jiiv. 1. 47 ff.
— et hie damnatiis inani
Jndicio (f/uid eiiim salvis infamia Jitunrnis ?)
Jbixsul ab octava Marias bibit et frititur Dis
Iratis : at tu victrijo proviiicia ploras.
7t. durfte um so weniger diese Annalwne aulstellen, da er das K\il
als fnga poenae bezeichnete. Was hätte dem Condemnirten die
Entrernung geholten , wenn in Folge derselben Confiscation ein-
getreten wäre*? Dann liätte er besser gethan, in Rom zu bleiben,
die Geldstrafe zu bezahlen und auf diese Weise wenigstens einen
Theil seines V ermögens zu retten.
Nach einer lebendigen und schönen Schilderung des Verrini-
sclien Prozesses (in welcher die Abh von Zeyss über die abwei-
chende Streitsumnie hei Plutarch nicht beriicksichtigt ist) folgen
die andern nach lex Corn. angestellten Anklagen; darunter auch
die ^Q^^w P. Septimius Scaevola, ein Mitglied des beri'ichtigten
iudiciura lunianura, wo Z. bemerkt, dass ich die Conderanation der
iudices luniani auf die lex Cornelia bezogen hätte. Dieses ist
jedoch ein 3Iissvers(ändniss, denn ich habe zwar der vollständigen
üebersicht wegen die sämmtlichen Mitglieder dieses Richtercol-
legiums zusammengestellt, aber bei eiiiera Jeden das Verbrechen
genannt, dessen er speciell condemnirt war. An lex Corn. l»abe
ich nicht gedacht, noch etwas Derartiges gesagt.
Die //. Abtheiluug beginnt mit einer langen Digression iiber
die leges iudiciariae Aiirel. und ratin. Die erstere, 70 v. C,
schuf ganz neue Richterdecnrien, eine der Senatoren, eine der
Ritter , eine der tribuni aerarii, wo Z. richtig bemerkt, dass im
gemeinen Leben die Aerartribunen mit zu den Rittern gerechnet
worden wären und dass desshalb hei einigen Schriftstellern nur
von 2 ordines iud., Senatoren und Equites, die Rede ist. Neu
und ansprechend ist die Ansicht, wie sich nach diesem Gesetz die
Zahl der Richter für jeden Prozess vermehrt liabe, nämlich ver-
fünffacht. So wären nach lex Corn. 1') Richter bei jeder Repe-
tundensache gewesen, nach lex Aurelia 7 J , nach lex Corn. maist.
14, nach lex Aur. 7U u s. w. Lex Vatinia \. 51) v. C. wiid mit
Recht nicht ausschliesslich auf die iudicia repet. bezogen.
§. 24. Jje.v Jutia repet. zeichnete sich vorziiglich durch sorg-
fältige Aufzählung aller als Repetunden anzusehenden Handlungen
aus, welche Z. genau erörtert. Was die Strafen betrifft, so be-
stand sie in vierfachem Schadenersatz und Exil, obgleich dieses
Z. in Abrede stellt. Da aber aquae et i. i. nicht eine eventuelle
Androhung gewesen sein kann, so müssen wir hier sowohl wie bei
Zumpt: De legibus judiciisque repetundarum etc. 245
lex Com. die Exilstrafe festlialten. Vgl. auch die oben erwähnte
Stelle bei Juv. , welche sich auf die Zeit nach lex Julia bezieht.
Was die von Z. schon früher ang^enommene infamia betrifft, so
hat sich diese erst durch lex Julia bestimmter entwickelt, indem
diese für diejenigen, welche nicht exilirt wurden, besondere
Ehrensclimälerungen aufstellte, s. mein Crirainalrecht p. 630.
§. 26. Hier wird der gute Gedanke ausgesprochen, dass die
durch lex Pompeia de vi und de ambitu gemachten prozessuali-
schen schärferen Bestimmungen später auch auf die anderen Pro-
zesse ausgedehnt wurden, was nach Dion. XL. 52 nicht in Abrede
zu stellen ist.
Die ///. Abtheilnjig wird mit den von August in seinen legi-
bus public omni et privatorum iudicioruni gemachten Verände-
rungen des Gerichtswesens eröffnet. 1) Indicurn lectio^ welche
der Kaiser selbst übernahm und in dessen Abwesenheit die Präto-
rcs. 2) Aetas iiidicuin war früher das 30. Jahr (nicht zugleich
das Jahr der Quästur, wie Z. irriger Weise glaubt, s. oben bei
]\r. 2), und doch sagt Suet. Aug. 32 iiidices a XXX. aelatis anno
(dlegü i. e. quinquennio maturius quam solebant. Die dadurch
bewirkte Differenz will Z. beseitigen und zugleich die Lesart bei
Suet. festhalten, indem er sagt: in lex Aurelia sei für die senato-
rischen Uichter das 30., für die andern Richter das 35. Jahr be-
stimmt worden, August liabe den Terrain um 5 Jahr verkürzt,
als für Senatoren das 25. und für die andern das 30. Jahr ange-
ordnet. Doch dieser Ausw eg, einen Unterschied der Richter nach
ihrem Stande zu maclien, ist nicht glücklich zu nennen, indem die
Römer wohl schwerlich den Grundsatz anwandten: quo quis no-
bilior est^ eo citius sape/e existitnatur. Viel leichter ist der
Vorschlag von Geib (s. Pauly Realencycl. IV. p. 359), bei Suet.
statt XXX zu lesen XXV, so dass bei allen Richtern das 25. Jahr
galt, welches auch in der Kaiserzeit oft als das regelmässige wie-
derkehrt, 3) Decuriae indicum^ mit einer trefflichen Erklärung
der Ilauptstelle bei Plin. h. n. XXXIII. 7 f. Es waren 4 decuriae:
1) senatorum, 2) equitum, 3) centurionum (nach der von August
wieder hergestellten Einrichtung des Antonius, wenn sie auch
nicht cent. genannt wurden, sondern noch oft trib. aer. hiessen),
4) ducenariorum. Die selecti bei Plin. sind die equites, die
schlechtweg genannten iudices die ducenarii. Die 3 ersten Dc-
curien entschieden über die wichtigen Criminal- und Civilsachen,
die 4. Decurie über die minder wichtigen Angelegenheiten, So-
dann bespricht Z. die Gerichtsferien und erklärt die Worte Suet,,
dass Singulis decuriis per vices annua vacatio esset^ treffend da-
liin, dass von jeder dccuria ein gewisser Theil (einige ünterdecu-
rien) ein ganzes Jahr pausiren sollten und dass demnach decuria
einen doppelten Sinn, einen engeren und weiteren, gehabt habe.
Unmöglich wäre anzunehmen, dass immer eine ganze Decurie ein
ganzes Jahr Ferien gehabt hätte.
240 Römische Staatsalterthümcr.
§. 31. Leber die Vorsteher der Gerichte^ die Practoren
iijid P/aefectus urbi. Um zu erklären, wie die prätorisclien Gc-
riclite oder quaestiones perpetuae allmälig durch die Praef. urbi
verdrängt worden wären, behauptet Z., der praef. urbi Iiabe ur-
sprüniilicli die Sachen nur voruntcrsuclit oder instruirt nnd die
Sache dann dem betreffenden Prätor überwiesen, blos die inalc-
ficia manil'esta habe er alsbald selbst bestraft. Doch nur das
Letzte ist wahrscheinlich, das FJrste ist aus mehreren Gründen zu
verwerfen. Vorzüglich muss man bedenken, dass die praef. urb.
ihre Gewalt erst nach und nach ausdehnten, dass also in der ersten
Zeit eine solche Unterordnung der Praet. unter den Praef. nicht
gut zu denken ist. Ueberhaupt steht dieser §. so wie die zunächst
folgenden an Gründlichkeit den andern weit nach, Mas zum Theil
davon seinen Grund hat, dass die Sache zu schwierig, der Stoff so
reich und die Quellen nicht selten so widerstreitend sind, dass es
eines grösseren Raumes bedarf. Es wäre besser gewesen, wenn
der Verf. mit wenigen Zeilen über diese A^erhältnisse weggegan-
gen wäre, da sie nicht unmittelbar in den zu behandelnden Kreis
gehören.
§. 32 f. Der Kaiser als Richter und Appellationsinstanz,
Hier unterscheidet Z. die Appellation gegen die Decrete der Ma-
gistrate in iure von der gegen die in iudicio gefällten ürtheils-
sprüclie und legt einen zu hohen Werth darauf (indem er glaubt,
dass die zweite Art der Appellation an den Kaiser später aufge-
kommen sei als die erste), denn es fragt sich sehr, ob die liömer
der Kaiserzeit in praxi wirklich an diesen Unterschied dachten.
Dass die Quelle dieser kaiserlichen Befugniss die potestas tribu-
nicia war, erkannte Z. richtig, nur hätte er auf den grossen Un-
terschied der alten potestas trib. und derjenigen, wie sie der Kaiser
übte, eingehen sollen, z. E. dass die alten Tribunen ihr Amt nur
ein Jalir, die Kaiser aber lebenslänglich bekleideten, dass demnach
das auxilium der Tribunen bei eingelegter Appellation nur vorüber-
gehend war (wenn nicht die Nachfolger denselben Schutz ange-
deihen Hessen), während ein kaiserlicher Spruch die Sache ein
für allemal abmachte. Dazu kommt, dass die Kaiser nicht blos
die pot. trib., sondern auch das höchste Imperium hatten, dem-
nach also die an sie gebrachten Urtheile nicht blos cassiren, son-
dern auch reformiren konnten , und so waren sie die Schöpfer des
Instanzenzugs, welcher der republikanischen Zeit ganz fremd war.
Alles dieses hat Z. nicht berücksichtigt.
§. 34-. ])ie Appellation ans den Provinzen ging bei den kai-
serlichen Provinzen an die kaiserlichen Statthalter, bei den Volks-
oder Senat.'iprovinzcn eigentlich an den Senat und erst nach und
nach an den Kaiser. Dieses entwickelt Z. vollkommen befriedi-
gend , nur durfte er
§. 35 die Appellationen an den Senat ^ welche durch ganz
allgemeineStelleubestätigtwerdeii(Suet.rSer.l7.Tac. Ann.XIV. 2?^.
Zumpt: De legibus judiciisque repctundaruin etc. 247
Vop. Prob 13), nicht blos auf die Appellationen aus den Volks-
provinzen beschränken. Die Quellen der späteren Zeit schweigen
allerdings von der Äppellationsbefugniss des Senats, allein dieses
hat darin seinen Grund, dass das Appellationswesen immer sorg-
fältiger geordnet wurde, während friiher die Trennung der Fora
keineswegs so scliarf war, und dass der Senat überhaupt immer
tiefer sank, also aucfi dieses Recht einbüsste.
§. 36, Nach dieser langen Digression kehrt Z. zu dem Re-
petundenvcrgehen zurück und berichtigt die Hauptnachträge zu
der früheren Gesetzgebung, z. E. über die Begleitung der Frauen
in den Provinzen, die Vergehungen der Begleiter und mehrere
Verwaltungsraaassregeln. Recht gut behandelt §. 37 dieThcilung
der Provinzen in kaiserliche und Senatsprovinzen, wo die Lage
der ersteren als weit vorzüglicher dargestellt wird. Zu den sehr
nützlichen Neuerungen gehörte die Fixirung der salaria, welcher
Gegenstand durch Z. wesentlich gefördert worden ist (§. 38).
Nach der Schlussbehauptung, dass die Lage der Provinzen unter
den Kaisern weit glücklicher gewesen als in den Zeiten der Re-
publik (§ 39) werden die Repetiindeiigerichte geschildert und
zwar zunächst die Gerichte des Senats (§. 40 f.). Von vor-
züglicher Wichtigkeit war die Freiheit, welche der Senat in Be-
ziehung auf die Ertheilung der Strafe erhielt, so dass er die ge-
setzlichen Strafen et mitigare et intendere (Plin. ep, IV. 9)
durfte. Neben der Criminalstrafc stand nocli immer der in der
litis aestimatio zu ermittelnde Schadenersatz (§. 43). In den bei
Tac. Ann. L 74 erwähnten Recuperatoren erkennt Z. mit Recht
Senatoren, welche mit dieser Untersuchung beauftragt wurden.
In §. 44 wird das Verhältniss der kaiserlichen Jurisdiction über die
Senatoren neben der des Senats beleuchtet. Die Senatoren wur-
den nur von ihres Gleichen gerichtet, bis dieses mit der steigen-
den Macht der Kaiser und dem sinkenden Einfluss des Senats
anders wurde. Dass aber der Kaiser schon im Anfang dieser Pe-
riode über angeklagte Senatoren eine Voruntersuchung mit seinem
Consistorium gehalten liabe, darf man nicht mit Z, aus Spart.
Hadr. 8 folgern, denn diese Notiz rührt schon aus der Zeit her,
in welcher der gesetzliche Geschäftskreis des Senats nicht mehr
so genau beobachtet wurde.
Der 46. §. giebt eine schöne, obwohl nichts Neues enthal-
tende Darstellung der in der Kaiserzeit üblichen Strafarten und
der 47. §. eine Üebersicht der unter den Kaisern vorkommenden
Repetundenprozesse, welche durch mein Criminalrecht S. 667 ff.
noch einige Ergänzungen erhalten konnte. — So haben wir die —
wenigstens auf dem antiquarischen Gebiet — letzte Gabe des
verewigten Z. bis zum Ende begleitet und haben bei manchen
einzelnen Irrthümern und weniger befriedigenden Partien doch
viel des Neuen und Lehrreichen gefunden, welches theils einen
248 Griechische Littcratur.
festen Platz in tler Eiitwickehing der "Wissenschaft behaupten;
zter Forscluuij
(Schliiss folgt.)
llieils Andere zu fortgesetzter Forscluing anregen wird
W, Rein.
J)e Polilia^ Timneo^ Critia., ullimo Platonico temione^ libfo-
7 um de Legibus praeciptia habila ralione: dissemit et in
Caesarea Litterarum Universitate Kasaiicnsi publice def. Clcotildus
Falcrianus Tchorzcwski. Kasani, 1847. 188 S. 8.
Der Verfasser bietet in dieser sehr interessanten und mit
Scliarfsinn und Gelehrsamkeit abgefassten Schrift einerseits mehr,
andererseits aber auch weniger dar, als man dem Titel zufolge
von ihm erwarten dürfte. Denn gewiss erwartet Jeder zunächst
nur eine Abhandlung über Zweck, Inhalt und Abfassungszeit der
genannten Platonischen Schriften. Allein bei dieser Aufgabe ist
der Verf. keineswegs stehen geblieben, Tielraehr hat er sich in
einer mehr als ein Drittheil des Werkes einnehmenden Abhand-
lung im Allgemeinen auch über die verschiedenen Wege verbrei-
tet, welche man von jeher zur Ermittelung und Feststellung einer
bestimmten Reihenfolge der Platonischen Schriften betreten hat.
Auf der andern Seite hat er aber die verlieissene Berücksichtigung
des Werkes von den Gesetzen so gut wie gänzlich fallenlassen;
ja selbst das, was über den Timäus und Critias mitgetheilt
wird , beschränkt sich wesentlich nur auf chronologische Bestim-
mungen, wahrend von einem inncrn Zusammenhange dieser Werke
mit der Politie nirgends gehandelt wird. Ja die Schrift be-
schäftigt sicli auch mit der Politie nur in Bezug auf die Frage
nach ihrer Abfassungszeit, ohne auf ihren philosophischen Inhalt
oder ihre künstlerische Construction tiefer einzugehen , und so
möchte man wohl auch von diesem Standpunkte aus zu der Be-
hauptung berechtigt sein , dass nicht Alles das in Erfüllung ge-
setzt worden , was die Aufschrift des Werkes verheisst. Indessen
bleiben die von dem Verf. gebotenen Untersuchungen immerhin
wichtig und interessant. Denn die darin behandelten Gegenstände
sind, wie jeder mit Piaton auch nur einigermaassen Vertraute
leicht zugestehen wird, für die richtige Würdigung der Platoni-
schen Schriften überhaupt so wie fiir ihr volleres Verständniss
von höchster Bedeutsamkeit, indem sie namentlich auch ein Licht
auf den Bildungsgang des Philosophen zu werfen geeignet sind,
ohne dessen Berücksichtigung auch keine sichere Gruppirung sei-
ner verschiedenen Schriftwerke jemals möglich werden wird.
rSehmen wir daher das vom Verf. Gebotene dankbar auf und wür-
digen dasselbe nach seinem Inhalte, um so den Gewinn kennen zu
lernen, welchen die Platonische Lilteratur dadurch erhalten hat.
Tchorze^vsk^ : De Piatonis Polltia, Timaeo, Critia. 249
Schon oben haben wir angedeutet, dass die Schrift des Hrn.
Tch. von selbst in zwei Haiipttheile zerfällt, indem der besondern
Untersuchung über die Politie und ihre Abfassungszeit eine
Abhandlung allgemeineren Inhaltes vorangeht, welche sich mit
den verschiedenen Versuchen beschäftigt, welche zur Feststel-
lung einer Anordnung und Reihenfolge der Platonischen Werke
gemacht worden sind. Unsere Aufgabe kann denn auch demge-
mäss keine andere als die sein, dem Hrn. Verf. auf diesem von ihm
betretenen Wege seiner Untersuchung zu folgen, und wir werden
daher beide Abhandlungen, obschon dieselben mit einander in
einer gewissen Verbindung stehen, im Ganzen auseinander zu Iial-
tcn und besonders zu betrachten haben.
Fassen wir also zunächst den ersten Theil der Schrift ins
Auge, so muss Rec. gestehen, dass derselbe ihn fast überall voll-
kommen befriedigt hat und dass die darin niedergelegten oder
damit gewonnenen Ansichten ganz auch die seinigen sind. Bei
der Seltenheit der Schrift, die jedenfalls unter uns nur Wenigen
zugänglich sein dürfte, wird es indessen nicht unzweckmässig
sein, nichts desto weniger dasjenige, was der Verfasser in diesem
Theile derselben behandelt hat, in der Kürze mitzutheilen, be-
sonders da Einzelnes davon auch geeignet scheint, zu weiterer
Verfolgung der begonnenen Untersuchungen anzureizen. Das
Wesentliche der Untersuchung läuft aber auf Folgendes hinaus.
Der Verf. beginnt mit Bestreitung der bekannten Schlei er-
mach er'schen Ansicht, dass Piaton schon beim Beginn seiner
schriftstellerischen Laufbahn eine Gesammtanschauung seiner
Lehre im Geiste aufgenommen und die Keime des Einzelnen und
Ganzen derselben bereits damals in sich getragen habe, so dass
seine Schriften gleichsam ein Abbild der allmäligen organischen
Fortbildung und Entwickelung derselben darstellen und dem-
gemäss unter sich zu verbinden und anzuordnen seien. Der Ver-
fasser weist nach, wie dies bereits auch vom Rec. und von K. F.
Hermann geschehen ist, dass dies weder an sich wahrschein-
lich sei, noch auch mit den über Platon's Leben und Bildungs-
gang auf uns gekommenen ISachrichten irgendwie in Uebereinstim-
mung gebracht werden könne. Was er hierüber sagt, enthält
indessen eben nichts Neues. Dagegen ist die Bemerkung und
deren Durchführung etwas Verdienstliches von ihm, dass jene
Schleierraacher'sche Ansicht auch jeder sonstigen historischen
Bestätigung ermangele. Der Verfasser stellt nämlich die sehr
richtige Behauptung auf, dass dieselbe sich auch desshalb nicht
als wahrscheinlich bewähre, weil über eine bestimmte Rei-
henfolge d er Platonischen Schriften im gesamraten Al-
terthume durchaus nichts verlaute, während sich doch mit Zuver-
lässigkeit annehmen lasse, dass, wenn eine solche ursprünglich
vorhanden gewesen, die ersten Nachfolger und Schüler des gros-
sen Mannes davon Kunde gehabt haben würden. Gewiss eine sehr
250 Griechische Litteratur.
einlenclitcnde Behauptung, die um so zuverlässin:er sclieiut, da
selbst Speii sipp US, Sctiwestersoliii und Nachfolger des Pia-
ton, in seinen Coinmcntaren über Pliitons Leben und Scliriften
nichts davon berichtet haben kann. Denn wäre dies der Fall sc-
wcsen , so würden Spätere nicht so un^ewiss über die Saclie ge-
blieben sein, zumal da auch noch A pul ejus das Werk des
Speusip|)us benutzt zu haben scheint. Dieser Satz nun führt
den Verf. w eitcr zu einer Beleuchtung der verschiedenen Kinthei-
lungen und Anordnungen der Platonischen Schriften, welcfie in
der späteren Zeit sich hervorthun, und veranlasst ihn genauer
nachzuweisen, dass dieselben keineswegs aus alter Zeit abstam-
men. sondern erst spätem Ursprungs sind. Vorzüglich handelt
er (S. 3(1 ir) über die von Manchen für uralt gehaltene Einthei-
lung nach Trilogien und Tetralogien. Die Trilogieii
anlangend^ so zeigt er aus Diogen. Laert. III. 61, dass zuerst
Ari s tophan e s von By zanz die danach gebildete Eintheilung
der Platonischen Schriften erfunden habe, eine Ansicht, welche
so überzeugend begründet wird, dass wir nichts Wesentliches hin-
zuzufügen wüssten. Einleuchtend wird auch die Veranlassung
dargestellt , welche den berühmten Grammatiker zu seinen Anord-
nungsversuchen führen konnte. Der Umstand nämlich, dass in
der That einige Platonische Schriften vorhanden sind, welche sich
von selbst trilogisch verbinden, namentlich der Sophist, Po-
litikus und Parmenides,so wie die Politie, der Timäus
und der unvollendet gebliebene Critias, brachte ohne Zweifel
deii Kritiker auf den Gedanken, die trilogische Eintheilung voll-
ständig durchzuführen, und so versuchte er denn von einem äus-
serlichen Standpunkte aus, was zu versuchen die nähere Betrach-
tung des Inhaltes der übrigen Platonischen Schriften ihn wohl
Iiäüe abhalten können. Aber freilich das tiefere B^indringen in
Platonische Weisheit war nun einmal nicht die Aufgabe, welche
die damaligen Kritiker sich gestellt hatten , und so konnte es leicht
geschehen, dass aus blos äusserlichen Gründen eine solche Ein-
theilung versucht wurde und Aufnahme fand. — Das Beispiel des
Aristophanes nun reizte später zu andern ähnlichen Versu-
chen an, besonders da die ünzweckmässigkeit seines Verfahrens
doch nicht für alle Zeit verborgen bleiben konnte. Daher ver-
buchten denn Dercyllides und nach ihm Thrasyllus eine
Eintheilung der Platonischen Schriften nach Tetralogien,
worüber der Verf. von S. 48 an handelt. Mit Recht wird hier
bemerkt, dass auch hierbei Platon's Beispiel vor Augen schweben
mochte. Denn die Trias der R e p u b lik, des Timäus und des
Cri tias sollte ja noch den verheissenen Ilermogencs in sich
aufnehmen, wodurch sich dieselbe von selbst zur Tetralogie
würde fiestaUet haben, und eben dieses gilt auch vom Sophist,
Politikus und Pa r menid es, zu welchen noch der Ph iloso|) h
verheissen zu sein schien. Dazu kam noch die Bedeutung der
TchorzGwskI : De PJatonis Politia, Timaeo, Critia. 251
Tetractys, wclclie auch in der Platonischen Pliilosopliie ihre
Rolle spielt. Somit hatte allerdings die tetralogische Ein-
theihnig mindestens eine äiinliche Unterlage, wie die nach Tri-
logien, und selir begreiflich ist es, wie man, da jene erste wollt
nicht Aller Beifall haben mochte, auf dieselbe fallen konnte. Unge-
wiss ist indessen das Zeltalter ihrer Entstehung, obschon so viel
feststeht, dass dieselbe erst durch Thrasyllus weitere Ver-
breitungerhielt. Wäre die Stelle bei Varro De Lingua Latina
p. SS. T. I. ed. Bip., worin der Phädon als das vierte Gespräch
der ersten thrasyllischen Tetralogie bezeichnet wird — (PUilo in
quarto de flaminibiis^ heisst es, ajmd iiiferos quae sitit^ in his
unum Tartaium appellat) — wäre, sagen wir, diese Stelle acht
und unverdorben, so würde allerdings jener Eintheilung ein sehr
hohes Alter beizulegen sein. Allein die Worte: in quarto^ sind
jedenfalls verfälscht, und die Stelle ist mit Scioppius zu
schreiben: in quatuor fluminibus etc., wie auch Ottfr.
Müller edirt hat. Demnach kann dieses Zeugniss des Alters
keineswegs als giltig betrachtet werden, und ein zweites dafür fin-
det sich nirgends vor. Auch lebte Dercyllides jedenfalls erst
später, obschon sein Zeitalter sich nicht mit Gewissheit bestimmen
lässt, und wie er bei seiner Eintheilung nach Tetralogien verfah-
ren sei, lässt sich auch nicht erralhen, indem weder Diogenes
noch Albinus Isag. c. 6 etwas darüber berichten. Nur so viel
scheint sicher, dass die tetralogische Eintheilung des Thrasyl-
lus von jener muss verschieden gewesen sein, weil eben sie den
Namen des Letzteren besonders berühmt gemacht hat. Diese
Eintheilung- des Thrasyllus nun kennen wir genau aus Diog.
Laert. liL56 — 61 und Suidas in Illaxcov und Tatgaloyla.
Auch ist bekanntlich in der Aldini sehen Ausgabe des Piaton
die Reihenfolge der Schriften danach geordnet. Allein keinem
sorgfältigen Betrachter derselben kann es entgehen , dass dieselbe
eine höchst willkürliche und grundlose ist, so dass sie ihren späte-
ren Ursprung — Thrasyll lebte, wie neulich erwiesen worden,
unter Tiber ins — deutlich genug verräth. Demnach ergiebt
sich aus Allem , dass man im Alterthume irgend eine sichere Nach-
richt über die Ordnung der Platonischen Schriften durchaus nicht
gehabt hat, und wenn einige der Werke des Philosophen rück-
sichtlich ihres Inhaltes zu drei oder vier einheitlich zusammenge-
hen, so giebt dies durchaus keine Berechtigung, dem Piaton über-
haupt solche Eintheilung und Anordnung seiner sämmtlichen Werke
zuzuschreiben. Ja, es lässt sich sogar bezweifeln, ob Piaton selbst
bei jenen zu drei oder zu vier zusammenhängenden Werken an
Tetralogien oder Trilogien gedacht habe. Wenigstens hat
er selbst mit keiner Silbe darauf hingedeutet; und so kann es
recht wohl auch reiner Zufall sein, wenn sich gerade drei oder
vier seiner Bücher zu einer Einheit zusammenfügen. In keinem
Falle aber ruht die Meinung von Fr. Ast (Leben und Schriften
252 Griechische Llttcratur.
Plat. S. 48 f.) und von Winckelmann Prolcgg. ad Eiithydem,
p XLIV auf lialtbarem Grunde, welclje beide annehmen, Piaton
habe wirklich seine Gespräche selbst nach Tetralogien zusammen-
gestellt, aber die wahre Ordiiun^^ sei durch untergeschobene, viel-
leicht auch durch verloren gegangene Gespräche gestört worden.
Das Altertlium berichtet wenigstens davon gar nichts, sondern
schreibt vielmehr ausdrücklich die Erfindung der trilodschen und
tetralogischen Anordnung den oben genannten Grammatikern und
Kritikern zu. — Nach diesen Auseinandersetzungen, zu denen
wir uns hie und da kleine Ergänzungen erlaubt haben, nimmt dar-
auf der Verf. mit Recht das Resultat für sich in Anspruch, dass im
Alterthume durchaus keine Spur von einer von Piaton selbst her-
rührenden plaumässigen Ordnung seiner Schriften vorhanden sei,
wie doch bei S ch leier m acher's Tlvpothese vorausgesetzt wer-
den dürfe. Und so wendet er sich denn wieder zur Beurtheilung
der letzteren zurück, und verbindet dann S. 55 — 60 damit die
Priifung der Ast'schen Ansicht, gegen welche er ähnliche Gründe,
wie gegen jene, geltend macht. Und jetzt schreitet er endlich
zur Darlegung seiner eigenen Ansicht der Sache, welche er indes-
sen nur in Kurzem (S. 61 ff) mittheilt. Entschieden schliesst er
sich nämlich der Ansicht vom Rec. und C. Fr. Hermann an, dass
weder das Ergreifen einzelner Iiistorischer Notizen, noch das ein-
seitige willkürliche Verbinden einzelner Gespräche nach ihrem
Inhalte, zu einer Gewissheit über die Zeitfolge und den innern Zu-
sammenhang der Platonischen Werke hinführen könne, sondern dass
vielmehr vor Allem der durch sichere historische Zeugnisse beglau-
bigte Bildungs- und Entwickelungsgang des Piaton selbst ins Auge
zu fassen und demgemäss die Nothwendigkeit einer geschichtlichen
Abstufung seiner schriftstellerischen Thätigkeit, als durch jenen
bildungs- and Entwickelungsgang bedingt, anzuerkennen sei, wo-
mit sich dann andererseits die Betrachtung der einzelnen Werke
nach ihrem Inhalte und nach ihrer künstlerischen Gestaltung
verbinden müsse. Was der Verf. hierüber von S. 60 — 67 vor-
trägt, wollen wir indessen nicht ausführlicher mittheilen. Es
genüge die Versicherung, dass wir auch hier eine Veranlassung zu
abweichenden Urtheilen im Ganzen nicht gefunden haben.
Ilaben wir uns nun bis hierher mit den Ansichten des Herrn
Tch. fast durchgängig einverstanden erklären können, so ist dies
leider bei weitem weniger mit dem zweiten Theile seiner Schrift
der Fall, welcher von der Abfassungszeit der auf dem Titel ge-
nannten Schriften, insbesondere der Politia, handelt. Hier
scheint uns derselbe %iclmehr dessen nicht genug eingedenk ge-
wesen zu sein, was er selbst in der ersten Abhandlung als leiten-
den Grundsatz bei solchen Untersuchungen anerkannt hat, indem
er allerdings einzelne, zum Theil ganz raissverstandene oder
verdrehte, historische Notizen ergriffen hat, um der Politia eine
frühere Abfassungszeit zu vindiciren, während Anderes, was in
Tchorzewskl : De Piatonis Politia , Timaeo, Criüa. 253
Aiiscl»Iag[ zu bringen war, nicht gehörige berücksichtigt und ge-
vviirdigt zu sein scheint. Dieser Umstand , so wie eine gewisse
Willkür bei Behandlung der benutzten Zeugnisse, hat denn zu
einem Resultate der Untersuchung geführt, das wir keineswegs
für ein richtiges und wahres anerkennen können. Eine genauere
Betrachtung und Würdigung dessen, was der Verf. mit grosser
Ausführlichkeit über den in Untersuchung gezogenen Gegenstand
auseinander gesetzt hat , wird dies hoffentlich überzeugend dar-
thun. Folgen wir ihm daher auch liier auf dem W^ege, welchen
er bei seiner Untersuchung eingeschlagen hat, Schritt vor Schritt,
um so an jeder Stelle sofort dasjenige zu bemerken, was als Ab-
irrung vom Richtigen zu bezeichnen sein wird.
Der Verf. geht, um vorerst einen Stützpunkt für seine Un-
tersuchung zu gewinnen, S. 68 ff. von dem Zeugnisse Plutarch's
im Leben des Solon c. 32 aus, dass Piaton den Xoyog 'AxlavTiKog^
also den Critias, denn dieser wird ohne Zweifel verstanden, un-
vollendet gelassen habe, weil er vor Vollendung des Werkes vom
Tode ereilt worden sei. Das sagen allerdings auch die W^orte
Plutarch's klar und deutlich aus, mit der ausdrücklichen Bemer-
kung, dass Piaton die Abfassung des Critias erst spät {oipi)
begonnen habe, vergl. unsere Prolegg. ad Crit. p. 377. Daraus
folgert aber der Verf. gewiss zu rasch, dass der Critias ganz an
das Lebensende des Piaton zu rücken sei. Denn einmal steht
dieser Ansicht schon der Umstand entgegen, dass das Werk viel
zu enge mit dem Tim aus und der Republik verbunden ist, als
dass es viel später als diese sollte begonnen worden sein. Sodann
fasste Piaton bekanntlich im spätem Lebensalter mehr die W irk-
lichkeit des politischen Lebens ins Auge, wie denn auch Aristo-
teles Politic. II. 6 ausdrücklicli bezeugt, dass er die Gesetze
erst 72ßcÄ der Republik oder Politia geschrieben habe. Es
ist also nicht recht wahrscheinlich, dass er sich da noch mit dem
Critias beschäftigt haben sollte, der jedenfalls ein Idealbild vor
Augen zu führen bestimmt war. Dies Alles lässt daher vermuthen,
dass das o'i|'6(spät) des Plutarchus nicht in so strengem Sinne,
wie der Verf. will, aufgefasst werden dürfe, und vielmehr dabei
überhaupt an die spätere Lebenszeit des Philosophen, von seiner
zweiten Reise nach Syracus an gerechnet, gedacht werden müsse.
Wahrscheinlich wurde gerade auch der Plan, das Werk über
die Gesetze vorzunehmen, Veranlassung zum Aufschub des
Critias, dessen Vollendung dann später aus leicht begreiflichen
Gründen gänzlich unterblieb. Somit stellt sich denn schon hier
eine minder haltbare Ansicht des Verf. heraus, indem er Plu-
tarch's W^orte wegen unterlassener Berücksichtigung des Verhält-
nisses der vorhandenen Piaton. Schriften zu einander in allzube-
engendem Sinne aufgefasst hat. Allein merkwürdig, bei dieser
Auffassung hat derselbe auch gewissermaassen sich selbst entge-
gengearbeitet. Folgerecht erwartet man nämlich, dass der Verf.,
254 Griechische Litteratur.
nacluiera er die Zeit der späteren Abfassung des Critias er-
mittelt zu haben glaubte, daraus schliessen werde, dass auch die
Abfassung der mit diesem Werke zusammenhängenden Schriften,
des Tim aus und der Politia, in die spätere Lebenszeit Pla-
ton's fallen müsse. Allein davon tliut er gerade das Gegentheil.
Denn S. IS erklärt er, dass der Zusammenhang der Politia mit
Tim aus und Critias keineswegs hindere, eine weit frühere
Abfassung der Ersteren anzunehmen. Quid enim obstat^ heisst es
dann weiter, ^/?/ow?/^?/5 eitm (Critiam) /joi/ea assutiun fuisse di~
com praestantissimis Ulis operibus^ mulio forte anterius in lucem
editis? Und von S. 90 an beginnt er dann nach Morgenstern
den Beweis zu führen, dass Piaton die Politia schon vor seiner
ersten Reise nach Syracus zwischen Olymp. 95, 1 — 97 oder im
30. — 40. Lebensjahre geschrieben haben müsse. Allein es leuch-
tet ein, dass der Zusammenhang zwischen Cri tias, Timäu s und
der Republik keineswegs ein so lockerer ist, dass die Abfas-
sungszeit dieser Schriften ohne Weiteres so weit auseinander ge-
rückt werden darf, als es der Verf. zu thun beliebt hat ; vielmehr
weist ihr Inhalt auch auf eine nähere Verbindung derselben in der
Zeit hin. Je weiter deranacli der Verf. den Critias dem Lebens-
ende des Piaton zuschiebt, desto mehr tritt er der natürlichen
Betrachtungsweise der Sache feindselig entgegen und desto mehr
geräth er mit sich selbst in offenbaren Widerspruch.
Doch sehen wir, wie der Verf. verfährt, um der Politia
eine frühere Abfassungszeit zu vindiciren , indem er im Ganzen
Mor genstern''s Ansicht in Schutz nimmt. Das Erste, was er
in dieser Flinsicht unternimmt, ist der Versuch des Beweises^ dass
die für eine spätere Abfassung des Werkes angeführten i n n e r n
Gründe nicht stichhaltig seien. Das Urtheil über künstlerische
Gestaltung der Politia, meint er, so wie über sprachliche Dar-
stellung, wissenschaftlichen Geist u. s. w. , sei doch immer ein
subjectives und mithin schwankendes. Der philosophische hihalt
davon ferner sei jedenfalls ein solcher, den Piaton in einem Alter
von 30 — 40 Jahren recht wohl habe bewältigen können, wie ja
auch Newton bereits im 30. Jahre seine spätere Grösse und Be-
deutsamkeit beurkundet liabe. Zurückbeziehungen auf andere
Platonische Werke, welche man habe finden wollen, seien dunkel
und unsicher. Die Schilderung des Tyrannen im 8. Buche sei
keineswegs eine solche, die nothwendig auf Dionysius zu be-
ziehen sei, fj?/?/m id beslianim genus iibiqtie eundem suboleat
odorem. Das Pythagoreische und Aegyptische endlich, was hie
und da vorkomme, könne füglich auch aus Hörensagen hergelei-
tet werden (S. 101). Wir gestehen indessen, dass diese Nega-
tive uns keineswegs befriedigt. Denn was den ersten Punkt be-
trifft, so ist der Unterschied zwischen einer Republik und den
früheren sokratischen Dialogen, Euthyphron, Charmides,
Lach es, Lysis u. a. doch wahrlich ein so gewaltiger, dass
Tchorzewski : De PlatonJs Politla, Timaeo, Critia. 255
seine Erkenntniss sicherlich nicht auf blossem iinsichern Gefühle
beruht. Der philosophische Inhalt des Werkes ferner kann zwar
an sich allerdings einem Manne von 30 bis 40 Jahren recht wohl
zuffeschrieben werden: allein sieht man auf die Lebensumstände
des Piaton und auf den Fortschritt seiner wissenschaftlichen Bil-
dung, so ist es keineswegs wahrsclieinlich , dass unser Philosoph
ihn auf diese Weise schon als reiner Sokratiker behandelt habe.
Auch sind die Riickblick« auf den Gorgias, Phädo und Phi-
lebus nicht so unerkenntlich und Iiätten jedenfalls eine nähere
Würdigung verdient. Was ferner die Zeichnung des Tyrannen
im 8. Buche angeht, so gesteht der Verf. S. 98 im Widerspruche
mit sich selbst freiwillig zu, dass vieles darin ganz besonders auf
den Dionysius passe; auch hatte Piaton einen solchen Tyrannen,
wie er hier schildert, wohl kaum sonst noch kennen gelernt. Das
Pythagoreische endlich betreffend, so ist zu bemerken, dass aus-
drückliche Zeugnisse der Alten, worüber Rec. in s. Prolegg. zum
Politic. p. 35 ff. handelt, dem Piaton eine genaue Kenntiiiss des-
selben erst seit seiner ersten Reise nach Italien und Sicilien zu-
schreiben, woraus von selbst hervorgeht, dass er dieselbe früher-
hin nach dem Urtheile des Alterthums nicht besessen haben kanr'.
Des Verf. Urtheile über diese Gegenstände erweisen sich daher
als wenig begründet und sind wenigstens nicht geeignet, die be-
sprochenen Beweise für eine spätere Abfassung der Republik
irgendwie zu erschüttern und wankend zu machen.
Doch liören wir weiter, was er nach dieser Negative (von S.
109 an) beibringt, um auf directem Wege die früher e Abfassungs-
zeit des Werkes zu beweisen. Zuerst weist er hier die Ansicht
derer zurück, welche, gestützt auf die Mittheilung des Gellius
N. Att. XIV. 3, dass Xenophon den beiden zuerst erschienenen
Büchern der Republik seine Cyropädie entgegengesetzt habe , die
Meinung vertheidigen, dass die Republik des Piaton nur nach und
nach in verschiedenen Zeiten ans Licht getreten sei. Wenigstens
will er dies (S. 114) nicht von den ersten sieben Büchern nach der
vorhandenen Eintheilung verstanden wissen, und so mag er denn
auch seine Untersuchung mindestens auf diesen grösseren Theil
des W^erkes bezogen sehen. Wir können indessen dem hier Ge-
sagten nicht ohne Weiteres beitreten. Nur so viel halten wir für
wahr, dass ein so unübertreffliches philosophisches Kunstwerk,
wie die Politia, wohl nur in einem Gusse geformt worden
sein kann und deshalb auch schwerlich stückweise in längern In-
tervallen ans Licht getreten ist. Handelt es sich daher um die Ur-
sprungszeit der Republik, so denken wir dabei an die Zeit ihrer
geistigen Schöpfung und lassen vor der Hand die Nachricht des
Gellius, die sich auf die Herausgabe der Schrift bezieht,
ganz auf sich beruhen.
Der erste Beweis nun, welchen der Verfasser beibringt, um
seine Meinung von dem früheren Entstehen der Politia zu be-
256 Griechische Litteratur.
griindeii, ist aus einer Stelle des si e beuten Piaton. Briefes
entlehnt, welchen derselbe unbedingt fi'ir acht anerkennt. Dort
erzählt nämlich Piaton selbst S. 326 IF., wie er schon friihzeitig,
und namentlich nach dem Tode des Sokrates, die Ueberzeugung
gewonnen Iiabe, dass der Zustand der Staaten und des Staatslebens
ein durch und durch morscher und fauler sei, der nur durch Phi-
losophie sich werde heben lassen, und wie er sclion damals sich zu
dem Urtheile gedrungen gefühlt habe (ksyeiv i^vayxccO^rjv): xa-
7iäl> OV k}]^BLV TCC CCV^QCüJtLVCi yBVl]^ TCqIv äv 7] T 6 T CO V CplXoÖO-
(povvtav oQ^cjg xal dXrj^ögysvog Elgdg^oLSt^^y].
rag TtoXtrixäg rj z 6 t c5v övvaötevövrcov av x alg
nökiöLV £x TH'og ^olgag d^Siagovzcx}gcpLlo6oq)}]6y.
IMit solcher Gesinnung (Maxime) {rcLvxtjv xi]v diuvoiav excov)-,
heist es dann weiter, sei er, als er zum ersten Male dorthin abge-
gangen {öxB TtgcjTOv (xcpiy.6^n]v)^ nach Italien und Sicilien gereist
(326. B.), wo er leider ebenfalls die grösste Verderbtheit der Sit-
ten ffewahrt habe. In Svrakus habe er indessen den Dion kennen
gelernt, und zu seiner Freude erkannt, dass dieser seinen philoso-
phischen Ansichten über die politischen Zustände der Zeit den
grössten Beifall zolle. Dion habe dann später auch Alles aufge-
boten, auch den Jüngern Dionysius dafür zu gewinnen, und diesen
gogar vermocht, den Piaton zur Theilnahme an den politischen
Angelegenheiten von Syrakus lierbeizurufen. Vom Dionysius
habe derselbe nämlich damals die schönsten Hoffnungen gehegt
und deshalb an den Pia ton geschrieben: xaxaXiyav xi^v (xqx^v
Ttjg 'Ixaklag v.aX ZiiKskiug aal xrjv avxov Övva^iv Iv avxf] x«l
T}]V VBotTjxa xai xrjv Inixfv^lav rijv zliowötov xrjg (piloöocpLag
T£ xal TiciLÖtLag cog E^ot öq)6dQia — , Söxs, s'iTtSQ noxe^ xat vvv
iA^ig Ttäöa xov avxovg (piXoöocpovg xe Kcd tioIeov ägxovxag fis-
ydkav ^vjjißyjvaL ytyvousvovg. Er selbst, Piaton, habe sich
dann entschlossen, diesem Rufe zu folgen, und so sei er abermals
nach Sicilien abgegangen, um zu versuchen, wie es S. 30S. B. ed.
Steph. heisst, el noxk xig xd ÖLavoTj^svxa mgl vofiav xs vm\ no-
hxELag t7iLXBiQt](50L. Aus diesen Stellen nun folgert der Verf. S.
119 ff., dass die Politia nothwendig vor Platon's erster Zusam-
menkunft mit dem Jüngern Dionys, welche in das 2. Jahr der
103. Olymp. ^^ 367 v. Chr. fällt, müsse geschrieben worden sein.
Eine sehr merkwürdige Folgerung, die offenbar auf grosser ün-
acht«iamkeit beruht. Denn dass das berühmte Werk vor Olymp 103
abgefasst i?it, leugnen ja selbst aucfi diejenigen nicht, deren Mei-
nung der Verf. zu bekämpfen wähnt; vieiraehr ist es fast herr-
schende Ansicht der Neuem, dass sein Ursprung in der Zeit zwi-
schen Olymp. 98. in., wo Piaton in der Akademie zu lehren be-
gann, und Olymp. 103. 2., also jedenfalls vor dem zuletzt genann-
ten Zeitpunkte, zu suchen sei. Herr Tchorzcwski hat daher
mit dieser Beweisführung durchaus nichts Neues dargethan. Al-
lein wir glauben vermuthen zu dürfen, dass er eigentlich etwas
Tchorzewski: De Platoiiis Politia, TIraaeo, Ciitia. 257
Anderes beabsichtigt habe, was er aber aus Unachtsamkeit unter-
lassen hat. Er hat nämlich übersehen, dass in dem genannten
Platonischen B riefe erst von P. 327. B. ed. Steph. an von
t\em jÜ7igere?i Dionys und Platon's Verhältnissen zu ihm die
Rede ist, während das Vorhergellende P. 326. A. B. sich offenbar
auf Platon's frühere Reise nach Sicilien, von der er, wie auch
der Verf. S. 139 annimmt, bereits Olymp. 97. 4. =3 388 v. Chr.
in sein Vaterland zurückkehrte, und auf seine damaligen Verhält-
nisse zu Dion und zudem altern Dionys bezieht. Demnach
musste er aus P. 32ö A. B. vielmehr nach seiner Argumentations-
weise den Schluss ziehen, dass die Politia vor Olymp. 97, 4
geschrieben sei, indem dort jener berühmte Satz, welcher De
Rep. V. p. 473 C. coli. VI. p. 499. B. VII. p. 540. D. vorkommt,
dem Piaton bereits für die damalige Zeit zugeschrieben wird.
Wir wissen nun zwar nicht, ob dies wirklich so im Sinne des Verf.
gelegen habe. Aliein setzen wir voraus, dass es sich so verhält,
so entsteht billig die Frage, ob der Verf. damit Recht habe. Offen
gestehen wir indessen, dass wir auch so der Ansicht desselben
nicht beitreten können. Offenbar ist nämlich in jener Stelle nicht
von Schriften und schriftlichen Mittheilungen, sondern nur von
Ansichten, Meinungen, Maximen die Rede, welche sich
der Philosoph damals bereits angeeignet hatte. Dies bestätigt
nicht nur der Zusammenhang, welcher uns zeigt, welche Ansicht
des Lebens Piaton durch die seit früher Jugend gemachten Er-
fahrungen bis dahin allmählig gewonnen hatte, sondern auch die
Ausdrücke didvoia und ötavoatöO'ai, welche durchaus nicht de
scriptis e ditisqiie Piatonis voluininibus verstanden werden
können, wie S. 121 behauptet wird. Die ganze Stelle beweist
daher nicht mehr und nicht weniger, als dass Piaton schon vor
seinem vierzigsten Lebensjahre, in welchem er zum ersten Male
Sicilien besuchte, zu der tJeberzeugung gelangt war, dass alles
Heil der Staaten nur von der Philosophie zu erwarten sei, und
dass er auch bereits damals den berühmten Ausspruch gethan, dass
entweder Philosophen regieren oder Regierende Philosophen sein
raüssten, ein Ausspruch, den er später in seiner Republik be-
kanntlich schriftlich wiederholt hat. Demnach glauben wir denn
mit Recht behaupten zu dürfen, dass des Verf. erster Beweis für
eine frühere Abfassungszeit der Politia durch und durch ver-
unglückt ist.
Nicht besser aber steht es mit einem zweiten, welchen er
S. 127 zu führen versucht. Dort erwähnt er nämlich der be-
kannten Erzählung des Aelian. Varr. Hist. II. 42 und Diogen.
Laert. III, 23, dass Piaton von den Thebanern und Arcadiern
wegen der Gesetzgebung für Megalopolis sei zu Rathe gezogen
worden. Dies erklärt er jedoch für unmöglich, wenn der Philo-
soph nicht bereits durch sein Werk vom Staate grössere Berühmt-
heit des Namens erlangt gehabt hätte. Nun wurde aber Megalo-
iV. Julirb, f. Phil. u. Päd. od. Krit. Dibl. Dd. LVIII. Hft. 3. YJ
258 Griechische Litteratur.
polis bekaniillich nach der Sclilaclit von Leuctra Olymp. 102. 2 =^
371 V. Chr. gegrünilet. Hieraus schiiesst denn der Verf., dass
die Platonisclie Politia vor Olymp. 102, 2 müsse bekannt gewesen
sein. Allein abgesehen von der ünsiclierheit jener Erzäliiung selbst,
welche Meiners, Ritter u. A. nicht ohne Grund verdächtigt
haben, so müssen wir wieder bemerken, dass der Verf. abermals
mit seiner Beweisführung eine frühere Abfassungszeit des Wer-
kes nicht dargethan hat. Höchstens geht daraus hervor, dass
dasselbe vor Olymp. 102, 2 geschrieben ist, was aber kaum von
Jemandem ist bestritten worden. Allein auch selbst dieses er-
giebt sich nicht mit Sicherheit, indem offenbar die Prämisse
falsch ist. Denn Piaton konnte ja wegen politischer Einsicht auch
auf andere Weise Berühmtheit erlangt haben als durch Abfassung
seines Idealwerkes vom Staate, was gewiss auch in Mcgalopolis
nicht realisirt werden sollte; und Aelian und Diogenes geben
noch dazu ausdrücklich einen andern Grund an, warum man seinen
Rath bei Einrichtung der neuen Verfassung von Megalopolis sich
erbeten habe. Somit ruht denn auch dieser Beweis auf keinem
sichern Grunde, und hat weder formell noch materiell betrachtet
irgend eine Bedeutsamkeit. Sind aber diese eben behandelten
Beweisführungen, wie wir gezeigt zu haben glauben, nicht stich-
haltig, so ist auch alles das, was der Verf. in weiterer Erörterung
bis S. 132 seiner Schrift zur Unterstützung derselben beibringt,
geradezu überflüssig, und füglich können wir daher dasselbe mit
Stillschweigen übergehen.
Nach solchen Auseinandersetzungen wendet sich darauf der
Verf. von S. 133 an zur Widerlegung des Einwandes, dass Piaton
während der Zeit vom Tode des Sokrates an bis zum ersten Be-
suche von Sicilien seiner fortgesetzten Reisen wegen zur Abfas-
sung eines so umfassenden Werkes nicht Müsse genug gehabt ha-
ben dürfte; eine Widerlegung, die um so mehr überrascht, da ja
vorher gar nicht bewiesen ist, dass die Politia jener Zeit zuzu-
schreiben sei. Es scheint also auch hieraus hervorzugehen, dass
der Verf. sich über die chronologischen Verhältnisse im Leben
des Piaton nicht gehörig orientirt und seine erste Ankunft
auf Sicilien mit der ersten Zusam menkunft mit dem
jüngerfi Dionys, welche weit später fällt, irrthümlich verwech-
selt hat. Denn sonst würde es kaum begreiflich sein, wie er jetzt
zu solcher Untersuchung habe fort!«chreiten können, indem ja gar
kein Zweifel obwaltet, dass der Philosoph nach seiner ersten Rück-
kehr aus Sicilien Olymp. 98. 1 in Athen lebte ond seitdem Müsse
und Zeit genug hatte, sich der Schriftstellerei zu widmen. Aber
der Verf. denkt, wie gesagt, offenbar daran, dass die Republik
vor Olymp. 98. 1 geschrieben sei, und desshalb sucht er während
der Periode von Socrates Tode an bis zu eben dieser Zeit im Le-
ben des Piaton einen Ruhepunkt aufzufinden, in welchem dem
Philosophen es möglich gewesen, ein so umfassendes Werk aus-
Tcliorzewski: De Piatonis Politia, Tiinaeo, Critia. 259
zuarbeiten. Er thut dies aber S. 133 — 148 dermaassen, dass er
die verschiedenen Berichte über die Aufeinanderfolge der Reise-
touren, welche Piaton gewählt, unter sich vergleicht und zusam-
menstellt. Hierbei findet er denn in den glaubwürdigsten Be-
richten, dass Piaton auf seiner ersten Heise zuerst nach Gross-
griecheniand, Cyrene, Aegypten und Vorderasien, und dann erst,
nach wiederholtem Besuche von Grossgriechenland, nach Sicilieri
abgegangen sei, eine Darstellung der Sache, welche aoch Rec. in
seinen Prolegoimn. ad Plat. Opera Vol. I. P. I. p. XIX sqq. für
die richtige anerkannt hat. Allein wie benutzt nun unser Verf.
diese Erzählung*? Aus Vorderasien lässt er den Piaton sofort
wieder nach Athen wandern, und dort bis zur zweiten Reise nach
Grossgriechenland und zur ersten nach Syrakus nicht weniger als
sechs Jahre hindurch verweilen, annehmend, dass während
dieser Zeit zwischen Olymp. 96. 4 — Olymp. 97. 4 die Politia
geschrieben sein müsse. In dieser Ansiclit der Sache vermischt
er aber jedenfalls wieder Wahres mit Falschem. Für richtig
nämlich erkennen auch wir die Annahme, dass Piaton, von seinen
Reisen nach Aegypten und Vorderasien zurückgekehrt, eine Zeit
lang wieder in Athen lebte, ehe er abermals nach Grossgriechcn-
land und Sicilien abging; auch mag er damals einige Gespräche,
namentlich socratische, abgefasst und bekannt gemacht haben.
Aber wenn der Verf. behauptet, Piaton. habe damals im korinthi-
schen Kriege, wie Diog. Laert. III. 8 nach Aristoxenus und
Aelian. Varr. Hist. VlI. 14 erzählen, Kriegsdienste gethan, und
in kleinen, sonst unbekannten Schlachten bei Korinth, Tana-
gra und Deliura mitgekämpft, und dann demselben eine Aufent-
haltszeit in Athen von sechs Jahren zuschreibt, so ist Ersteres
jedenfalls zweifelhaft, und Letzteres willkürlich angenommen.
Denn die damaligen Feldziige des Piaton — seinen regelmässigen
Dienst hatte der Philosoph jedenfalls schon früherhin verrichtet
— sind offenbar erdichtet und durch irrthümliche Verwechse-
lungen mit den Schlachten , welchen Sokrates beigewohnt hatte,
in die Geschichte gekommen, wie schon Perizonius zu Aelian.
a. O., Morgenstern im Leben des Piaton S. 13 u. A. gezeigt
haben, deren Urtheil indessen auch Clinton Chrono], zu Olymp.
96. 2, dem der Verf. zu vertrauungsvoll gefolgt ist, unbeachtet ge-
lassen hat. Was aber die sechsjährige Aufenthaltszeit des
Piaton in Athen betrifft, welche der Verf. statuirt, so entbehrt die
Annahme derselben aller und jeder historischen Unterlage. Ja
sie widerspricht geradezu den vorhandenen historischen Zeug-
nissen, welche sammt und sonders die Reise nach Syrakus mit den
übrigen in engste Verbindung setzen, so dass sie von denselben
nicht durch eine längere Zwischenzeit kann geschieden gewesen
sein. Dazu kommt, dass vom Tode des Sokrates an (v. Chr. 399)
bis zur ersten Rückkehr des Piaton von Syrakus (v. Chr. 388) nur
ein Zeitraum von 11 Jahren in der Mitte liegt. Ist es wohl wahr-
17*
260 Griechische Litteratur.
sclieiiilicli, tlass Piaton zu jenen ersten Ueisen nur fünf oder scrlis
Jalire sollte verwendet haben*? Wir unseres Tlieils glauben dies
nicht und glauben es um so weniger, da Piaton bekanntlich nach
des Sükrates Tode auch länß:ere Zeit in Megara zubrachte, ehe er
jene Ueisen unternahm, so dass der fünfjährige Zeitraum dadurch
wieder um ein Bedeutendes verkürzt wird. Auch scheint der be-
gonnene Gang seiner Studien und die dabei gewonnene praktische
Richtung ihn zum möglichst schleunigen Wiederbesuche Italiens
angetrieben zu haben. Glaublich also ist es nicht, dass er nach
seiner Rückkehr aus Aegypten und Asien in Athen länger sollte
verweilt haben, und schwerlich würde dies auch von den Biogra-
phen ganz unbemerkt gelassen worden sein. Dass übrigens Piaton
noch Olymp. 96. 3 in Aegypten war, erkennt der Verf. S. 135
selbst an, da dies aus Plutarcirs u. A. Mittheilungen klar ersicht-
lich ist.
Doch lassen wir jetzt die ganze Frage über den damaligen
Aufenthalt Piaton's in Athen und über seine Dauer auf sich be-
ruhen, und sehen vielmehr, wie der Verf. den begonnenen Be-
weis einer früheren Abfassungszeit der Politia im Folgenden
weiter fortführt. Er thut dies von S. 149 an. Hier stellt er näm-
lich nach Morgenstern u. A. die Behauptung auf, dass die
Ekklesiazusen des Aristoplianes gegen Piaton's Ideal-
staat (Politia) gerichtet seien. Nun sind aber die Ekklesia-
zusen, wie sich aus den Sc hol. zu Vers 193 verglichen mit
Diodor. XIV. ^2 ergiebt, Olymp. 96, 4 =z^ 393 v. Chr. zur Auf-
führung gekommen. Mithin musste Piaton's Politia schon vor-
her geschrieben gewesen sein. Allein der Verf. hat selbst zuge-
stehen müssen, dass Piaton Olymp. 96, 3 = 394 v. Chr., also
ein Jahr vorher, noch in Aegypten war. Dies setzt ihn denn
freilich in eine nicht geringe Verlegenheit. Doch verzweifelt er
desslialb nicht an seiner Sache. Vielmehr wird er desto kühner.
Er stellt nämlich S. 151, wahrscheinlich von Schiciermacher's
Aeusserung Einleit. zu Gorgias Bd. II. Abth. I. p. 20 sqq.
verleitet, plötzlich die Behauptung auf, dass die Ekklesiazu-
sen Olymp. 97, 3 -— 389 v. Chr. aufgeführt worden seien, und
verspricht anderwärts davon den Beweis zu geben. Cuimnissa
eslfabula^ sagt er, secundiim noslrani quidem computationem^
qua de re erit übt agemus (sie!), Dinnysiis urbanis anni Demo-
stratei Olymp. 97, 3 -= 389 a. Chr. und damit sind die Leser ab-
gefertigt. Allein wir fragen, ob denn der Beweis, der hier auf
unbestimmte Zeit verschoben wird, bei einer so wichtigen Streit-
frage nicht gleich hätte gegeben oder wenigstens angedeutet wer-
den sollen'? Wir wenigstens zweifeln durchaas an seiner Mög-
lichkeit und werden dies so lange thun, bis uns der Ilr. Verf. eines
Besseren belehrt hat. — Doch räumen wir dem Verf. einmal ein,
was wir indessen nicht wirklich zugestehen mögen, dass Aristo-
phanes seine Ekklesiazusen erst in dem genannten Jahre
Tchorzewski: De Platoiiis Politia, Tiinaeo, Critia. 261
aufgeführt habe, so fragen wir billig zunächst nach den Beweisen,
welche er vorbringt, um überzeugender als seine Vorgänger dar-
zuthun , dass der Komiker wirklich die Politia des Piaton zur
Zielscheibe seines Witzes gemacht habe. Wir lassen indessen
hierbei die Hemerkung, welche der Verf. S. 151 ff. macht, dass
Piaton damals berühmt genug gewesen sei, um Gegenstand des
öffentlichen Spottes werden zu können, füglich auf sich beruhen;
denn sie beweist, wie jeder sieht, in der fraglichen Sache ganz
und gar nichts. Vielmehr fragen wir einzig nach den positiveu
Gründen, welche für jene Ansicht beigebracht werden.
Hiervon nun ist der erste, S. 153 ff. behandelte der, dass
in den Ekklesiazusen ein A r i s t y 1 1 u s durchgehechelt werde ;
imd da meint denn der Verf. mit Bergk Comoed. Attic. Reliq.
p. 404 und Meine ke Histor. Comoed. Gr. T. I. p. 287, dass
dieser Aristyllos kein anderer sei als Pia to n selbst, der eigent-
lich geheissen habe Aristocles, wovon Aristyllus bekannt-
lich hypokoristisch gebildet wird. Fragen wir demnach weiter
nach diesem Aristyllus, um zu sehen, ob derselbe mit Pla-
ton dieselbe Person sein könne. Es wird aber derselbe in den
Ekklesiazusen Vers 647 bei Gelegenheit der Darstellung der
Weiber- und Kindergemeinschaft bespöttelt, indem hier gesagt
wird, es müsse dann recht appetitlich sein, wenn einer vom Ari-
styll als vermeintlicher Vater ambrassirt und abgeküsst werde.
Damit sollen, wie der Verf. urtheilt, die nach Athenaeus' Zeug-
iiiss oft bespöttelten Liebesverhältnisse des Piaton gemeint sein
und der Philosoph selbst als ekelhafter Wollüstling bezeichnet
werden. Allein gewisss ist das eine grundfalsche Voraussetzung,
wie deutlich aus Aristoph. Plut. v. 313 erhellt. Hier wird
nämlich derselbe Aristyil mit den Worten ausgespottet: fiivd^ci-
Co^ev -O"' SöTtSQ tgayov xt^v Qiva' 6v d' '/^QLözvXkog vnoxccöxcov
fQslg' eiieö^s ^rjZQl x^^QOi'-t wozu der Schol. bemerkt: ovtog
(jia^ccKog ijv, "Kai reo özo^axL xdöxav ^ cog rolg oqcjöi HLvelv ys-
Xcata. Wie nun? passt dies auf Piaton? Hatte dieser in der
That einen gaffenden und klaffenden Mund, so dass sein Anblick
Lachen erregte? Wir erfahren davon gerade das volle Gegen-
theil ! — Und wie? hätte wohl Aristophanes den Piaton selbst
noch im Plutus so darstellen mögen? und hätte es ihm Piaton
jemals vergeben können, wenn er von ihm auf solche Weise als
der geilste und weggeworfenste Wüstling gebrandmarkt worden
wäre, oder hätte er denselben gar in dem nach Olymp. 98 ge-
schriebenen Symposium unter solchen Umständen als geistreichen
Mitunterredner aufzuführen sich entschliessen können? Wir
sagen Iiierauf entschieden: Nein! Denn offenbar hätte der Komi-
ker des Philosophen sittliche Würde auf allzu gemeine und nie-
drige Weise verletzt gehabt. Auch derSpott der Komödie hatte hier
sicherlich seine Grenzen ! üebrigens ist es auch mehr als zwei-
felhaft, ob Platoti wirklich durch Ausschweifungen in der Liebe
262
Griechische Litteratur.
dem Arlstopliancs Gelegenheit zu solcliem Spotte dargeboten
liabe, worüber sclion Teiiiiemanii Gesch. d. Plat. Phil. Bd. 1.
p. 11 ff. selir bcsoiiiieii geiirtheilt hat. Erwägt man also das Ge-
sagte genauer, so ergiebt sicli, glauben wir, von selbst, dass die-
ser erste Beweis von einer Beziehung des Aristophanischen Sti'i-
ckes auf die Plat. Politie in der That ein erschlicliener ist, indem
dabei ohne Grund ein Wiistling mit Piaton identificirt wird, der
nach allen Bezeichnungen des Komikers selbst von demselben
gänzlich verschieden war, wie denn auch sonst in dem ganzen
Stiicke eine Ilinweisung auf Piaton oder auch üherliaupt auf phi-
losophische Ansichten und Meinungen desselben nirgends zu lin-
den ist.
Doch der Verf. geht von S. 1.57 an noch weiter. Hier sucht
er nämlich auch zu erweisen, um uns seiner eigenen Worte zn
bedienen, Comicum luisquam alii/fide^ qiiom ex eodem ipso Phi-
losophi libro ea accipere potuisse^ quae ad deridenda isla com-
mejila perlinenl. Wäre es ihm nun wirklich gelungen, diese
Behauptung durchzuführen und zu rechtfertigen, dann müssten
wir freilich gestehen , dass er doch am Ende Recht Itabe, wenn
er der Plat. Republik eine frühere Entstehungszeit zuweist. In-
dessen mag freilich schon der Umstand einen leisen Zweifel da-
gegen aufkommen lassen, dass man von jeher in den Ekklesiazusen
nur Aehnliches von Platonischen Dogmen gefunden, aber kei-
neswegs Identisches entdeckt hat. Der Verf. müsste daher
ganz Weues, was zeither übersehen worden, aufgefunden haben,
wenn er seine Behauptung wirklich begründen könnte. Doch wir
werden sehen, dass dies eben nicht der Fall ist, und dass es nur
durch eigene Reflexion gebildete Ansichten sind, welche ihn zur
Aufstellung derselben vermocht haben.
Um aber seinen eben erwähnten Satz durchzuführen, wider-
legt der Verf. zuerst S. lo7 — 165 die Meinung Sclileierma-
ch ers, dass Aristophanes mündliche Mittheilungen aus Platon's
Lehrvorträgen benutzt und komisch verspottet habe. Was indes-
sen liierüber gesagt wird, können wir, so scharfsinnig es auch ist,
füglich mit Stillschweigen übergelien, falls sich ergeben sollte,
dass in den Ekklesiazusen von besondern Ansichten undLefiren Pla-
ton's gar nicht die Rede ist. Und wir glauben mit Zuversicht,
dass Letzteres der Fall sein werde. Denn wenn der Verf. von
S. 165 an darzuthun versucht, dass nur Platon's Republik die
Quelle des komischen Zerrbildes beim Aristophanes sein könne,
so gestehen \*ir, dies für eine grundlose Behauptung zu halten.
Vielmehr sind wir der Uebcrzeugung , dass Aristophanes nicht
Platonische, sondern allgemeiner unter den Atheniensern herr-
schende und von dorisirenden Staatsmännern und Kannegiessern
aufgenommene Ansichten und Meinungen, die freilich mit den
Platonischen grosse Verwandtschaft haben, persiflirt hat. Es
wird sich dieses schon dadurch ergeben, dass wir dasjenige, was
Tchoizewski: De Piatonis Politia, Tiiuaeo, Critia. 263
der Verf. als eigenthümlich Piatonisch bezeichnet, einer näheren
Betrachtung unterwerfen; noch deutlicher aber wird es sich zei-
gen, wenn wir darauf den Inhalt und die Tendenz der Aristoplia-
nischen Dichtung schärfer ins Auge fassen und genauer prüfen,
was doch das eigenth'che Ziel sei, worauf sich Alles am Ende be-
zieht. Betrachten wir demnach vor Allem dasjenige, was der Verf.
vorbringt, um Platon's Staat als die allein mögliche Quelle der
Aristophanischen Darstellungen eines communistischen Staates zu
bezeichnen.
Zuerst also behauptet derselbe S. 168 ff. , dass die Aristo-
phanische Gütergemeinschaft ganz die Platonische,
nicht aber die Spartanische sei. Denn Praxagora hebe ja,
\iie auch bei Piaton geschehe, allen und jeden Besitz auf, was
doch in Sparta nicht stattgefunden habe, indem sich dort die
Gütergemeinschaft mehr auf gleiche Vertheilung des Grundbe-
sitzes und riicksichtlich der fahrenden Habe nur auf eine Gemein-
schaftlichkeit des Gebrauchs von Geräthschaften , Hausthieren,
Früchten, und im Nothfalle wohl auch von Sclaven des Andern
beschränkt habe, so dass der Privatbesitz gewisserraaassen zu einem
mehrfachen geworden sei. Letzteres ist allerdings sehr richtig.
Dagegen muss aber auch bemerkt werden, dass die Gemeinschaft
des Besitzes bei Aristophanes noch sehr weit verschieden ist
von der Platonischen. Denn letztere dehnt sich keineswegs, wie
die des Komikers, über den ganzen Staat aus, sondern betrifft
lediglich den Stand der Krieger, während der Stand der
Herrschenden und Arbeitenden davon nicht berührt wird,
wie sich sonnenklar aus Polit. III. p. 416. C. sqq. 417. A. coli. IV.
p. 419. A. sqq. ergiebt. Die Idee eines allgemeinen Commu-
nismus bei Ar is top han es ist daher durchaus nicht platonisch,
sondern unstreitig neu und vom Dichter selbst durch komische
Umbildung dorischer Institutionen, die damals auch in Athen An-
klang fanden, selbstständig geschaffen, ohne irgendwie aus Piaton
entlehnt zu sein. — Ferner will der Verf. S. 171 sqq. auch in
Betreff der Syssitien, oder, wie man sie in Sparta nannte, der
P h i d 1 1 i e n , darthun, dass die Aristophanische Dichtung weit ver-
wandter mit der Platonischen als mit der Spartanischen Einrich-
tung sei. Bei den Spartanern musste nämlich ein Jeder für sich
zu den Phiditien beisteuern, während die Platonischen Krieger
Alles von den andern Ständen erhalten, was zu ihrem Unterhalte
erforderlich ist, wie beim Aristophanes. Allein wer erkennt nicht
dennoch beim ersten Anblick auch hier eine grosse Verschieden-
heit zwischen Letzterem und Piaton 7 Beim Piaton nämlich erhält
eben nur der Kriegerstand öffentliche Speisung. Ganz anders
beim Aristophanes! Da geht es eben darin ganz toll her, dass
Alle ohne Ausnahme umsonst schmaussen, ohne dass man sieht,
wer denn eigentlich der erwerbende und fürsorgende Theil des
Staates ist. Gewiss hat also der Komiker wieder dorische Insti-
264 Griechische Litteratiir.
tiitionen vor Augen gehabt und ihre atheniensischen Anhänger
persiflirend selbstständig eine Carricatiir derselben geschaffen. g
Auch ist um so weniger nöthig anzunehmen , Platon's Ideulstaat
sei die Quelle dieses Witzes, als allgemeinere Beköstigung auf
öffentliche Kosten auch in manclien dorischen Staaten, wie z. B.
in Creta. üblich war. — Ein dritter Gegenstand, durch den der
Verf. seine IMeinung zu bekräftigen gesucht hat, betrifft die Ge-
meinschaft der Weiber und Kinder. Derselbe glaubt
S. 173 ff. auch hierin beim Aristophanes sichere Anzeigen Plato-
nischer Dogmen zu entdecken. Wir können ihm indessen auch hi
diesem Punkte nicht beistimmen. Denn gerade hierbei entfernt
sich Aristophanes so weit von Platon's Einrichtungen , dass er
letztere unmöglich vor Augen gehabt haben kann. Denn erstens
gilt das, was Piaton hieriiber festgestellt hat, wieder einzig und
allein vom Kriegerstande, während beim Aristophanes der ganze
Staat in Weiber- und Kindergemeinschaft leben soll. Zweitens
besitzen beim Piaton die Krieger keine eigentlichen Frauen , son-
dern Alle leben für Alle und mit Allen, während bei Aristophanes
die Frauen wirklich Frauen einzelner Männer sind, aber dabei un-
beschränkte Befriedigung ihrer Wollust gesetzlich festgestellt ha-
ben wollen, um so ihre Rechnung zu finden. Dies ähnelt aber
jedenfalls den Einrichtungen der Spartaner. Denn aus P oly b i u s
Excerptt. in Mail Scriptor. Vett. e codd. Vatic. T. II. p. 884 sq.
wissen wir bestimmt, dass es in Sparta herkömmlich war, dass ein
Mann mit mehreren Frauen leben konnte, so wie es umgekehrt
auch vorkam, dass mehrere Männer eine Frau hatten, und dabei
die Ehen bestanden; man s. auch Becker im ChariklesII.
p. 439 ff. Dass aber Aristophanes sicherlich Lacedäraonische Ge-
bräuche vor Augen hatte, dergleichen bei Piaton sich nicht vor-
finden, lehren mehrere Stellen, z. B. Vs. 688, wo derjenige, der
Andern Unrecht zufügt, bei den gemeinschaftlichen Mahlzeiten
cariren soll, wie es nach Athenäen s IV. 141 in Sparta wirklich
der Fall war. — Endlich bespricht der Verf. S. 177 ff. auch die vom
Aristophanes dargestellte Weiberh errschaft, um nachzuwei-
sen, dass nur Piatons Politia dem Komiker vor Augen geschwebt
habe. Allein das Unrichtige des hier Gesagten ist so augenfällig,
dass es in der That kaum eine Widerlegung verdient. Denn von
einer Weiberherrschaft, wie sie Aristophanes entwirft, ist beim
Piaton nirgends die Rede. Alles beschränkt sich bei ihm vielmehr
darauf, dass die Weiber auch an öffentlichen Uebungen, Festen
und Dienstleistungen Antheil haben sollen, und das Herrische und
Ungebundene der dorischen Frauen war dem Philosophen, wie
mehrere Stellen seiner Schrift darthun, geradezu ein Greuel. Der
Dichter hat also hier wieder spartan. Sitte vor Augen gehabt, von der
Aristotel. Pol. II. 9 ausdrücklich also berichtet: nokkci dLcoKBito
(bei den Spartanern) vno tav yvvaixav Inl trjg dgxrjg avrcJv,
und er fand vielleicht um so mehr Veranlassung, sie carricatirt
Tchorzewski: De Piatonis Politia, TImaeo, Critia. 265
darzustellen, als bei der Viberhand nehmenden Laconenwuth und
Sittenentartung in Athen auch die Athenienserinnen und ihre com-
munistischen Verehrernach endlicher Emancipation der Frauenwelt
strebten. — Dieses sind also die Punkte, welche der Vf. in dieser An-
gelegenheit zur Sprache gebracht hat. Fragen wir nun, ob er damit
auch wahrscheinlich gemacht habe, dass nur allein die Republik des
Piaton die Quelle gewesen sei, aus welcher Aristoplianes seine
Staatseinrichtungen entlehnt habe, so müssen wir dies schlechthin
in Abrede stellen. Vielmehr findet sich in den ganzen Ekklesia-
zusen nicht das Geringste, was der Dichter nicht auch ohne das
Vorhandensein des Platonischen Werkes hätte so darstellen kön-
nen, wie es von ihm geschehen ist. Der Spott und Witz des Ko-
mikers ist daher nicht gegen Piaton, sondern vielmehr gegen den
in Athen unter Vielen herrschenden Dorismus und gegen die Ver-
derbtheit des atheniensischcn Staates selbst gerichtet. Denn dass es
in Athen eine lächerliche Lacomanie u. s. w. gab, ist allbekannt,
und wir erfahren dies nicht nur vom Pia ton Gorg p. 515 D. und
Protagor. p. 312 B., sondern auch von Aristophanes Avv. v.
1280. Vesp. 473 ff, wie denn auch in den Ekklesiazusen die Er-
wähnung der Laconischen Schuhe Vs. 74. 269. 508 u. s. w., der
Stöcke und Barte, welche die Weiber tragen, unverkennbar dar-
aufhinweist, und die Weiber überhaupt mit laconischer Frech-
heit und laconischem üeberrauthe ausgerüstet erscheinen, wel-
chen Piaton , wie schon erinnert, in seinen politischen Schriften
an mehr als einer Stelle scharf rügt und für verwerflich erklärt.
Auch fanden sich sonst in Athen gewiss nicht Wenige, welche das
Heil des Staates von dorischen Institutionen erwarteten, und unser
Dichter erwähnt in den Ekklesiazusen selbst Vs. 408 des coramu-
iiistischen Redners Euäon.
Doch dass der allgemeine Zustand des atheniensischen Staa-
tes und nicht die Republik des Piaton es ist, womit es Aristopha-
nes in den Ekklesiazusen zu thun hat, das lehrt auch eine unbe-
fangene Betrachtung des ganzen Stückes des Komikers so über-
zeugend, dass es uns fast Wunder nimmt, wie man beim Spotte
desselben allein an das Platonische Werk hat denken mögen. Denn
erstlich geschieht in den Ekklesiazusen nicht nur des Piaton, son-
dern auch der Philosophie und der Philosophen nirgends auch nur
mit einer Sylbe Erwähnung, wenn man nicht die Stelle Vs. 569 sqq.
hierher rechnen will, wo der Chor die Praxagora auffordert,
jetzt ihren Philosophensinn zu wecken, um Neues zur gemeinsamen
Beglückung vorzubringen; was indessen dem Zusammenhange ge-
mäss in allgemeinerem Sinne aufzufassen ist. Wie wäre dies aber
in aller Welt denkbar, wenn der Komiker die Pfeile seines Witzes
gegen einen Philosophen gerichtet hätte*? W^er andere Stücke
desselben von ähnlicher Tendenz, wie z. B. die Frösche und
die Wolken, vergleicht, wird leicht erkennen, dass dieses Ver-
fahren mindestens als nicht Aristophanisch müsste bezeichnet
3
266 Griechische Ijitteratur.
werden Dazu kommt aber noch ein zweiter L^mstand. Nimmt
man iiämlicl» an, dass die Tendenz der Eivkiesiazusen Persiflage
des Platonischen Staates sei, so mnss das Stiick geradezu als eine
iini\iinstlerische Missgeburt angesehen werden, indem weder An-
fang noch FCnde mit der Flaupttendenz desselben zusammenstimmte
und namentlich die letzte Scene langweilig und ungebi'ihrlich aus-
gedefint, ja ganz überfli'issig sein würde. Ganz anders stellt sich
aber die Sache dar, wenn wir den Zweck des Stiickes als einen
allgemeineren betrachten, wie allerdings seine ganzeAnlage u. sein
Inhalt erheischt, und es vielmehr als eine Enthüllung der traurigen
Zustände Athens seit dem unheilvollen Ausgange des pcloponne-
sischen Krieges ansehen. Wohl war nämlich mit Euklid's Ar-
chontat 403 V. Chr. die Solonische Verfassung wieder eingeführt
und eine Commission ernannt worden, um zeitgemässe Abände-
rungen derselben zu beantragen, deren Bestätigung man dem Areo-
pag übcrliess. Allein die sittliche Entartung der Zeit hatte be-
reits Volk und Führer zu tief ergriff'en , als dass eine Verjüngung
des Staates noch möglich gewesen wäre. Wie es nun jetzt bei
uns gellt, so ging es auch damals in Athen; man suchte den Grund
des üebels in der äusseren Lage und namentlich in der Mangel-
haftigkeit der Gesetze und der Staatsverfassungen, während man
ihn in der moralischen Zerflossenheit des Volkes hätte suchen
sollen. Und so erging man sich denn in den mannigfaltigsten po-
liiisclien Theorien, und gerade wie man jetzt in Deutschland das
Heil der Staaten in dem im nachbarlichen Frankreich ausgebrü-
teten Socialismus und Communismus finden will, so erblickte man
damals in Athen das Rettungsmittel von dem Unglück der Zeit in
Aufnahme ähnlicher dorischer Institutionen, deren Ansehen sich
um so mehr geltend machte, je mehr seit dem Ende des pelopon-
iieslsciien Krieges Sparta's Macht und Einfluss gestiegen war, und
die Vielen um so mehr gefallen mussten, je mehr sie dabei hoffen
durften zu gewinnen oder auch sich aus Zuständen der Bedräng-
niss zu retten, in welche sie gerathen waren. Diese Zustände des
Staatesaiso sind es, welche Aristophanes in einer grossartigen
Carricatur vor Augen führt, zu deren Entwerfung er sich um so
mehr veranlasst finden konnte . als kurz vorher ein schuftiger De-
ma^og, Namens A gyrrhiu s, es durchgesetzt hatte, dass der
Sold der komischen Dichter geschmälert , der Sold der Volksde-
putirten dagegen von einem Obolen auf drei erhöht werden
sollte; vergl Vs. 102 und dazu die Ausleger. Und aus diesem
Gesichtspunkte betrachtet, erkennen wir auch, wie gesagt, in dem
Stücke erst künstlerische Einheit und Zusammenhang, wie schon ein
flüchtiger Ueberblick seines Inhaltes zeigen wird, welcher auf
Folgendes hinausläuft. Schon am frühen Morgen kommt Pra-
xagora, die den Plan einer neuen Staatsordnung und einer Wei-
berherrschaft entworfen hat, mit den Vertrauten ihrer Pläne zu
einer sog<"nannten Volksversammlung (Weibervcrsammlung) zu-
Tchorzewski: De Piatonis PoHtia , Timaeo, Critia. 267
sammen. Nach mehreren vergeblichen Anläufen zum Reden von
einzelnen Weibspersonen offenbart sie endlich Vs. 170 ff. ihre
Ansichten und Absichten. Die Sorge fiir den Staat, sagt sie, liegt
uns nicht minder ob als unsern Herren. Es kränkt mich bitter
das ganze Thun und Treiben unserer Stadt, da sie leider immer
schlechte Lenker und Führer hat. Ist Einer auch einmal einen
Tag gut, zehn andere Tage ist er schlecht. Dazu kommt dann ein
Anderer, der es noch viel ärger treibt. — So stellt sie denn also
vorerst die Schlechtifikeit und Unfähigkeit der atheniensischen
Staatsmänner dar. Nachdem sie darauf auch des in den Volks-
versammlungen herrschenden Unfugs gedacht, heisst es fernerhin
weiter: Als das VVaffenbündniss zur Sprache kam, da meinten
Alle, es sei zur Rettung unseres Staates abgeschlossen. Allein kaum
war es zu Stande gekommen, als dieselben Redner, welche dafür
gesprochen , die Flucht ergriffen und sich als feile Demagogen
zeigten. Dazu wird dann noch insbesondere auch der schmählige
Eigennutz des Demos erwähnt, welcher den öffentlichen Schatz
ausleere, da Jeder nur auf seinen Gewinn denke. Bedeutsam
ruft die Rednerin daher aus: Du aber, Volk, bist selbst an Allem
Schuld! Den öffentlichen Schatz erschöpfest Du, weil Jeder nur
für sich nach Solde hascht und nur des eigenen Gewinnes gern
gedenkt. Das Gemeinwohl dagegen, es schleppt sich nur elend
und jämmerlich weiter. — Nach diesen Schilderungen, die offenbar
die Schlechtigkeit des atheniensischen Volkes und seiner Führer
darstellen, beantragt darauf Praxagora, dass endlich einmal
an die Stelle der nichtswürdigen Männer, die den Staat zu Grunde
richten, die Franen treten und statt des beschränkten Egoismus
ein durchgreifender Coramunismus walten solle. So persiflirt
also der Dichter offenbar vor Allem die Staatsmänner und den De-
mos selbst. Dann aber schreitet er zur Darstellung des commu-
nistischen Staates fort, der an die Stelle des alten treten soll.
Indem er aber dieses thut, verspottet er nicht blos die Anhänger
des Dorismus, die in Socialismus und Communismus die Wohl-
fahrt des Staates zu finden vermeinten, indem er ein frappantes
Zerrbild ihres Staates vor Augen führt , sondern wendet vielmehr
die Geissei seines Witzes doppelt an, indem er gleichzeitig auch
ein wahrhaft erschreckendes Gemälde von der herrschend gewor-
denen Sittenlosigkeit und Verderbtheit der Frauenwelt aufstellt.
Denn nachdem die Weiber die Zügel der Regierung erlangt und
ihren Staat gegründet haben, so tritt auch ihre Keckheit, Scham-
losigkeit, Wollust und Geilheit in der ekelhaftesten Gestalt her-
vor, und somit zeigt denn der Dichter auf eine zwar höchst ko-
mische, aber in der That sehr ernste Weise, wie auch der weib-
Jiche Theil der atheniensischen Welt in die ärgste Verderbniss
der Sitten gerathen sei. Hierauf bezieht sich denn eben auch die
letzte Scene des Stückes, deren Länge nur hieraus allein erklär-
lich wird. Ueberblicken wir also den Inhalt des ganzen Stückes
2ß8 Grieclnschc LiUeratur.
und <lei) Oaiig und Fortschritt der Handlung, so kann es auch in
dieser Beziehung niclit zweifelhaft scheinen, worauf die Tendenz
des Ganzen gerichtet ist. Nicht philosophische Ansichten, nicht
Lehren des Piaton sind es nämlich, gegen die der Dichter zu
Felde zieht. Nein, es sind die allgemeinen Zustände des atheniensi-
ßcheu Staates und die daraus hervorgegangenen und unter dem Ein-
flüsse der spartanischen Obmacht kühner hervorgetretenen com-
munistischeu Geliistc, welche er zur Zielscheibe seines geistvollen
Witzes gemacht hat. Führt nun aber auch die allgemeine Be-
trachtung des Stückes von selbst zu dieser Ansicht hin , so dürfte
auch damit die Frage vollkommen entschieden sein, ob die Ek-
klesiazusen das frühere Vorhandensein des Platonischen Wer-
kes über den idealen Staat nothwendig voraussetzen lassen, und
ist dies nicht der Fall, so wird auch jeder Versuch, aus den-
selben die Abfassungszeit der Platonischen Republik näher zu be-
stimmen , durchaus als ein eitler und erfolgloser betrachtet wer-
den müssen.
Fassen wir nun endlich das Resultat unserer Auseinander-
setzungen zusammen, so können wir nicht umhin zu bekennen,
dass uns die Abhandlung des Verfassers keineswegs in der üebcr-
zeugung wankend gemacht hat , dass Piaton seine Republik erst
nach seinem ersten Aufenthalte in Syrakus und zwar in der Zwi-
schenzeit zwischen seiner ersten und zweiten Reise geschrieben
habe, wie denn auch die für diese Ansicht aufgestellten Gründe
durch dieselbe nicht widerlegt sind. Allein demohngeachtet dür-
fen wir dem Verf. auch das Zeugniss nicht versagen, dass er in
seiner Schrift des Interessanten und Belehrenden viel zur Sprache
gebracht hat, wofür ihm die Freunde des Piaton immer zu Danke
verpflichtet sein werden.
G* Stallbaum*
1) Lateinische Lehr- und LesestücJce für den Anfangsunterricht von
Gebh. flu. Högg. I. u. II. Buch. 83 S. Ladenpr. 18 kr. od. 5 Ngr.
2) Aufgaben über die lateinischen Lehr- und Lesestücke für den An-
fanosunterricht von demselben. I. und II. Buch. Mit der eramma-
tischen Uebersicht über das II. Buch der latein. Lehr- u. Lesestücke.
59 S. Ladenpr. 12 kr. oder 3% Ngr.
3) Andeutungen zum Gebrauche der latein. Lehr- und Lesestücke.
Von demselben. 46 S. Ladenpr. 12 kr. oder 3^ Ngr. Stuttgart
bei Carl Erhard. 1845. kl. 8.
Drei Schriftchen, die schon vor fünf Jahren erschienen sind,
und jetzt erst eine Anzeige davon *f Um so besser, wenn sie nacli
dieser Zeit noch der Beachtung werth sind. Es hängt ja zuweilen
von gar verschiedenen Zufällen ab, ob ein Buch bald die Auf-
Högg: Latein. Lehr- und Lesestucke u. s. w. 269
nierksamkeit auf sich ziehe oder nicht. Ref. hatte immer gehofft,
es würde von anderer Seite her eine nähere Bcsiprechung obiger
Schriften erfolgen. Da es bisher unterblieben ist, so glaubt er
im Interesse des Unterrichtswesens auf dieselben hinweisen zu
müssen, und zwar umso mehr, als der Zweck einer früheren
ähnlichen Schrift: ,, Lateinische Lesestücke für die Jugend, zu-
gleich eine Andeutung eines einfachen, dem Knabenalter ange-
messenen Anfangsunterrichts. Stuttgart, Buchhandlung von Paul
Neff. 1838'''', und eine Abhandlung des Hrn. Verfassers: „Lieber
die Nolhvvendigkeit, den latein. Elementar-Ünterricht zweckmäs-
siger einzurichten, nebst erläuternden Bemerkungen zu einem
dahin zielenden Versuche. EUvvang., 1838" mehrfach missverstan-
den worden sind, woraus dann vielleicht ein Vorurtheil entstand, wel-
ches die Aufmerksamkeit von den späteren, in derselben Richtung
von ihm ausgearbeiteten, Schriften ablenken mochte *). Unge-
achtet seine Grundsätze und die hiernach geforderte Methode
nicht neu zu nennen sind , wie Hr. Högg in den Andeutungen
(S. 7) selbst erklärt; so ist doch die irrthümliche Auffassung sei-
ner Ansichten und Absichten leicht erklärbar. Denn theils wei-
chen sie von den am allgemeinsten umlaufenden um Vieles ab,
theils hatte er sich, ehe die ,, Andeutungen''* erschienen, zu kurz
darüber ausgesprochen, namentlich solchen gegenüber, die mit
der durch K. F. Becker für systematische Darstellung der Sprach-
lehre gebrochenen Bahn nicht vertraut waren. Diese Grund-
sätze und der Plan nun, deren Durchführung im Unterrichte durch
seine Lehr- und Uebungsbücher unterstützt oder überhaupt er-
möglicht werden soll, sind, wie bei jedem derartigen Buche, we-
nigstens eben so wichtig, wo nicht wichtiger, als der Inhalt an und
für sich betrachtet. Manches Buch enthält sehr viel Gutes, ja
möglicherweise lauter Gutes, wenn man jedes Einzelne für sich be-
trachtet; und doch kann es ein sehr unzweckmässiges Schulbuch
sein. Die methodische Seite ist wesentlich. Der Plan des Hrn.
Verf. unterscheidet sich nach dem Dafürhalten des Ref. haupt-
sächlich dadurch von anderen , dass er die verschiedenen Princi-
pien, aus denen mancherlei einseitige Methoden entwickelt wor-
den sind, soweit in sich zu vereinigen und zur Anerkennung zu
bringen strebt , als sie Wahrheit enthalten. Denn unverkennbar
liegt jedem der vielerlei gemachten Versuche ein richtiger Ge-
danke zu Grunde, dem die Berechtigung, auf den Unterrichtsgang
einzuwirken , nicht abgesprochen M^erden darf. Die Einwendung,
*) Indessen Dr. E. Ruthardt (in seinem bekannten Buche S. 17),
wiewohl er in Hrn. Högg's Vorschlägen nur rein formale Aenderungen
findet, erkennt an, dass der Verf., „das Bedürfniss der Gegenwart ins
Auge fassend, einer praktischeren, lebendigeren, vornehmlich mündlichen
Behandlung des Sprachstoffes vorzuarbeiten suche."
270 Latein. Lesebucher. *i|
eine Einigung verschiedener Prineipien sei uncrrciclibar, weil ein
Princip seinem Wesen nach entweder allein bestehen oder einem
andern den Platz einräumen mi'isse, wäre nur dann begri'indct,
wenn jene Prineipien wahre Prineipien, d. h. oberste und nicht
abgeleitete Grundsätze wären. Der oberste Grundsatz fiir den
Unterricht liegt in dem Zwecke, und zwar in dem: dass der
Schiller den Gegenstand, mit dem er sich befasst,
gründlich und auf eine natu r gemäss e, d. h. g ei st bil-
dende Weise lerne. Daraus entspringen erst gewisse Grund-
sätze für die Mittel, die man zur Erreichung des Zweckes er-
greifen, für den Weg, den man einschlagen will. Und hier gehen
dann die Ansichten weit auseinander. Jenen obersten Grundsatz
aber wird ohne Zweifel Jeder als den seinigen gelten lassen, dass
seine Schüler etwas Gründliches lernen sollen , und mag auch Je-
mand noch so mechanisch verfahren, so wird er doch nie zuge-
stehen ., seine Lehrweise sei nicht geistbildend oder sie sei gar
geisttödtend. Ein Schulbuch macht freilich noch keine Methode;
aber ohne auf Das einzugehen , was hierüber schon gestritten wor-
den ist, nimmt Ref. doch als sicher an, dass ein zweckmässig ein-
gerichtetes Buch den Unterricht um Vieles fördern und dem Leh-
rer die Mühe um ein Grosses erleichtern müsse.
Hr. Högg, welcher in der am meisten gangbaren Unterrichts-
weise der natürlichen Entwickelung des jugendlichen Seelenlebens
zu wenig Rechnung getragen glaubt, stellt in den „Andeutungen''*
(S. 9 ff.) vor Allem nachstehende allgemeine Sätze auf:
,,1) Wenn man den Unterricht des Lateinischen, wie jeder
fremden Sprache überhaupt, beginnt, muss bei dem Schüler eine
gewisse Befähigung zur Aufnahme desselben als unerlässliche
Bedingung vorausgesetzt werden, eine Befähigung, welche er
durch Schule und Leben gewonnen hat. Jene hat durch Verglei-
chen und Unterscheiden sein Wahrnehmungs- und Erkenntniss-
vermögen geübt, und durch Sprachunterricht das Mittheilen und
Verstehen erleichtert, u. s. f.; dieses — das Leben — hat ihm
bereits eine Menge von Begriffen zugeführt. Letzteres ist für
unsern Zweck hauptsächlich darum wichtig, weil davon das Ver-
ständniss dessen abhängt, was die fremde Sprache zum Gegen-
stande ihrer Mittheilungen hat.
2) Jene Befähigung wird selten vor dem achten, bei den
meisten wohl erst mit dem zehnten Jahre vorhanden sein. Und
wenn man dennoch den Unterricht in einer fremden Sprache mit
einer Schaar achtjähriger Kinder beginnt*) (man kann es, aber
zum Schaden für das Seelenleben derjenigen unter ihnen, deren
*) Da dies in Württemberg vorschriftsmässig geschehen soll, so
mosste der Hr. Verf. in der Anlage seines Buches gegen seine Grundsätze
darauf Rücksicht nehmen. Anra. des Ref.
Högg : Latein. Lehr- und Lesestiicke u. s. w. 271
Eiitwickeliing noch nicht zu dem erforderlichen Grade erfolgt ist),
so miiss die lateinische Schule auch noch jenen Unterricht auf-
nehmen und fortsetzen , welcher jene Befähigung nachzuholen und
fortzusetzen geeignet ist, nämlich den Anschauungsunter-
richt, und muss dem deutschen Sprachunterrichte mehr
Zeit einräumen, als es im anderen Falle nöthig wäre.
8) Der deutsche Sprachunterricht besteht nicht blos in gram-
matischem Unterrichte, sondern auch im Sprechen, im Beschrei-
ben und Aufschreiben, in Lese- und Gedächtnissübungen u. s. w.
4) Der grammatische Unterricht im Deutschen aber muss
dem der fremden Sprache wenigstens in den allgemeinsten Grund-
zügen vorangehen. Die Uebereinstimmung zweier Sprachen stellt
sich so dem Schüler zuerst dar, und dann auch ihre Verschie-
denheit, je nach dem Grade seines geistigen und sprachlichen
Fortschreitens. Sehr wichtig ist, dass die Terminologie für
beide Sprachen dieselbe sei.
5) Unsere Lehrweise setzt bei dem Schüler keine
Kenntniss irgend einer lateinischen Form voraus.
Die Lehr- und Lesestücke sind das einzige lateinische Buch, wei-
ches er anfänglich gebraucht.
6) Der Lehrer lehre; er kann also nicht §. für §. dem Schü-
ler zur selbstlhätigen Vorbereitung aufgeben. Der Lehrer selbst
aber bereite sich desto sorgfältiger vor, was auch schon desshalb
nöthig sein dürfte, um zu sehen, wo er naturhistorische und and.
Erläuterungen, beziehungsweise Berichtigungen zu geben habe.
An dem Lehrer liegt es, die Schule für das Leben fruchtbar zu
machen. Das Buch bietet nur Stoff und Form ; auf den Lehrer
kommt es an, ob sie Leben erhalten, oder Wortkram bleiben, ob
sie dem Schüler Freude bereiten oder lange Weile; des Lehrers
Sache ist es, dem ganzen Unterrichte Interesse zu geben, ohne wel-
ches keine Methode gut und kein Lehrbuch brauchbar erscheint."
Diese Voraussetzungen leiteten den Hrn. Verfasser bei Wahl
und Anordnung des Lesestoffes, sowie bei der ganzen Einrichtung
seiner Uebungsbücher.
Das l. Buch der Lehr- und Lesestücke (66 §§. auf 17 Seiten)
ist zur Einübung des Wichtigsten aus der Formenlehre bestimmt.
Die Formen treten selten vereinzelt, gewöhnlich in Satzverhält-
nissen auf, aber unter strenger Anordnung sowohl nach ihrer
äusseren Erscheinung, als nach ihrer Anwendung. Z. B. §. 1 — 11
Prädicatives Satzverhältniss mit Substantiv und Verb. Nominativ
Sing, und Plur. §. 1 und 2. Substantiv nach der ersten Declina-
tion. §. 3. Nach der zweiten Declination. §. 4. Beide Declin,
gemischt. §. 5. Dritte Declin. §. 6. Die drei ersten Declinatio-
nen gemischt u. s. w. §. 1. Verben der ersten Conjugation. §. 2.
Verben der zweiten Conjug. §. 3. Beide gemischt. §. 4. Dritte
Conjug. u. s. w. — §. 12. Infinitiv. §. 13. Prädicatives Satzver-
hältniss mitzMei Substantiven und esse. §. 14 — 17. Objectivcs
272 Latein. Lesebücher.
Satzverhältniss (Äccusativ). §. 18 — 25. Attributives Satzverliält-
iiiss lind zwar §. 18 — '21 attributiver Genitiv, §. 22 — 25 attribu-
tives Adjectiv. §. 26. Prädicatives Satzverhältniss, Prädicat —
ein Adjectiv u. s. w. u. s. w. — Sonacli möchte es scheinen, es
handle sich schon im I. Buche mehr um Syntax, als um Formen-
lehre. Dennoch bleibt letztere die Hauptsache. Von jener wird
nur so viel zu Hülfe genommen, als nöthig ist, um der psycholo-
gischen Forderung zu geniigen, dass der Schüler die wichtigsten
Formen in lebendigem Zusammenhange angewendet anschaue, sie
durch selbstlhätige Beobachtung (versteht sich, vom Lehrer durch
Fragen angeregt) unterscheiden lerne und erst nachher im Schema,
das er vor seinen Augen entstehen sieht , zusammengestellt über-
blicke. Hieran wird man kaum Anstoss nehmen, wenn die Vor-
aussetzung erfüllt ist, dass dem Schüler die wichtigsten Satzver-
hältnisse schon aus dem vorangegangenen deutschen Sprachunter-
richte bekannt sind. Die erste Einprägung der Formen erfolgt
theils durch wiederholte mannigfaltige Benutzimg der Lesestücke,
wozu in den „Aufgaben'"' (Nr. 2) und in den „Andeutungen"
(Nr. 8) Winke gegeben sind, zumTheil durch die übersichtliche Zu-
fiammensteliung in Tabellen *). Alle Formen zuerst in Sätzen
vorzuführen, wäre weder möglich, noch lag es im Bestreben des
Hrn. Verfassers. Allein schon das Unternehmen, auch nur mit
den hauptsächlichsten den Schüler auf diese Weise bekannt zu
machen, hat Bedenken erregt. Sollte wirklich ein Lehrer die
vom Schüler selbst geübte Beobachtung zu gering anschlagen und
sollte er es vorziehen, z. B. die Endungen einer Declination vor-
her nach einer Tabelle auswendig lernen zu lassen, so wird dies
der Brauchbarkeit der Lehr- und Lesestücke keinen Eintrag thun.
Es ist nicht zu iäugnen: auf den ersten Blick kann die An-
ordnung darin zufällig, willkürlich scheinen; bei näherer Betrach-
tung übrigens wird sie sich als durchaus absichtlich und berechnet
erweisen. Aber das ist allerdings zu einem erfolgreichen Unter-
richt auf dem Wege, wie er in dem Buche vorgezeichnet ist, un-
erlässlich, dass der Lehrer völlig mit dem Wege vertraut sei, ihn
überschaue und (wie oben die 6. Forderung lautet) lehre, wor-
unter namentlich auch das zu verstehen ist, dass er beim ersten
Anfang nur einen sehr geringen Theil seiner Aufgabe im soge-
nannten „Aufgeben'"'' suche. Es ist das eine Forderung von der
grössten Wichtigkeit auch für den Unterricht in höheren Classen,
und da sie vielfältig nicht anerkannt wird, so wird es keiner Recht-
fertigung bedürfen, wenn bei dieser Gelegenheit die schlimmen
Folgen jener Missachtung in Erinnerung gebracht werden. Be-
*) Damit der Schüler diese Zusammenstellung selbst vornehmen
könne, ist ein lithographirtes Formular für die Declination und Conjuga-
tion beigegeben.
Högg: Latein. Lehr- und Lesestücke u. s, w. 273
zeichnet man nämlich, wie es nur noch zu häufig geschieht, dem
Schüler blos einen Abschnitt in seinem Buche mit dem Verlangen,
in der nächsten Stunde müsse er das „präparirt^'', d. i. er müsse
die Bedeutung aller vorkommenden Wörter mit Hülfe des Lexi-
kons aufgesucht haben und anzugeben wissen, und die Sätze in
die Muttersprache übersetzen können; so entspringt daraus als
beklagenswerihestes üebel — Missmuth, Abneigung ^^S^n
das Lernen. Es ist zum Erstaunen, wie man trotz ausführlicher
und gründlicher Widerlegungen einen Vortheil für die geistige
Entwickelung eines jungen Menschen darin erblicken kann, wenn
dieser, beinahe ein Wort ums andere mühselig in einem Buche nach-
schlagend, die Bedeutung oder Bedeutungen derselben herauszu-
schreiben genöthigt wird. Ist es nicht viel vernünftiger, der Lehrer
giebt dem Kleinen sogleich an die Hand, was dieser doch niemals »
aus seinem eigenen Kopfe herauszufinden vermag, und leitet ihn
durch Fragen allmälig an, das zu entdecken, was er wirklich selbst
entdecken kann*? In zahlreichen Büchern ist dem Lernenden die
Arbeit dadurch erleichtert, dass vor oder hinter jedem Abschnitte
die nöthigen Wörter aufgeführt sind. Diese Einrichtung erspart
zwar für den Augenblick manche Mühe, zieht aber den Uebel-
stand nach sich , dass sie den Schüler immer wieder verleitet, nach
diesen Verzeichnissen hinzublicken. Die Wörter und deren Be-
deutung sich fest einzuprägen, dazu wird er offenbar am sicher-
sten bewogen, wenn er im Anfange weder ein Wörterbuch, noch
sonst ein Wörterverzeichniss hat. Der Lehrer sei das erste
Wörterbuch, wieerauch von vorn herein dieGram-
matik sein soll. Dnrch fleissige Wiederholung und verschie-
denartige Anwendung des Lesestoffes wird ein sicherer und rei-
cherer Wörtervorrath gewonnen, als auf irgend eine andere Weise.
— Eine weitere, sehr traurige Folge der falschen Präparations-
roethode ist diese: Erkennt der Schüler, dass er die an ihn ge-
raachten Forderungen mit eigenen Kräften nicht lösen kann, so
wird er sich, sofern seine Vermögensumstände es gestatten, zum
Besuche von Privatstunden entschliessen, und um so eher, wenn
ihn das Bestreben, dem Lehrer Genüge zu thun, oder wenigstens
die Furcht vor dessen Strafen erfüllt. Findet er einen tüchtigen
Unterricht, was nur dann der Fall ist, wenn dieser so behandelt
wird, wie er in der Schule selbst behandelt werden sollte, so muss
er doch immerhin überflüssig Geld und Zeit aufwenden. Wird
aber der Unterricht verkehrt ertheilt , wie es wohl nicht selten
geschehen mag, wenn etwas reifere Schüler die ijlnstructoren'^
sind, so ist der Schaden noch grösser. Gar gerne ereignet sich
dann das gerade Gegentheil von der beabsichtigten Selbstthätig-
keit des Anfängers , indem der Aeltere ihm sogleich Alles ganz
zubereitet vorlegt, statt dass er nur so viel mittheilte, als der
Kleine nicht durch eigenes Naclidenken ausfindig machen kann.
Dass auf diesem W'^ege nie eine Selbstständigkeit erreicht werde,
iV. Jahrlt. f. Phil, u. Päd. od. Krit. liiöt. Bd. LVIII. Hft. 3. Jg
274 Latein. Lesebücher.
lict am Ta^e. Tritt aber vollenils in der Noth an die Stelle der
l'rivHt st linden das Uiihepolster der gedruckten oder ererbten g;e-
schiiebenen Debersetzung, nun so weiss jeder Schulmann, dass
es niclit leicht wieder verlassen wird. Allgemein ist das Bedauern
darüber, wie so viele Schüler dieses bequeme Lager suchen, und
doch — wie wenig geschieht, um es zu verhindern! Verbote hel-
fen nichts, Vorstellungen über die Verderblichkeit nicht viel, dies
weiss Jedermann; mehr, glauben Einige, richte man aus, wenn
mit Strenge vorgefahren wird, sobald ein Schüler bei der münd-
lichen üebersetzung nicht gehörig Ilechenschaft geben kann und
über gar zu sorglosem Gebrauch seines llülfsmittels sich ertappen
lässt. Dies möchte aber einige Äehnlichkeit haben mit der Hand-
lungsweise einer Wärterin, welche ein Kind, das noch nicht ge-
hen kann, auf ein Kissen niedersetzt und nachher züchtigt, weil
es nicht aufstehe. — Der sicherste, ja einzige Weg zu helfen
ist: man unterstütze den Kleinen bei seinen Versuchen das Gehen
zu lernen , aber jedesmal nur in dem Maasse, als er der Unter-
stützung bedarf. So wird er allmälig zu gehen lernen, und wenn
er es kann, so wird es seine Freude sein, wirklich davon Gebrauch
zu machen. — Solche iNachhülfe wird auch in höheren Classen
häufig noch recht am Platze sein, so oft eine Schriftgattung zur
Hand genommen wird, die mit den früher gelesenen weniger Ver-
wandtschaft hat. Schon die Eigenthümlichkeit des Schriftstellers,
noch mehr der von ihm behandelte Stoff und die hierzu gewählte
Form, müssen dem Schüler eine Menge von Schwierigkeiten ent-
gegenführen, die ihm eine Zeit lang vom Lehrer weggeräumt wer-
den sollten. Wie kann gefordert werden, dass ein Knabe, der
bisher seine Kräfte nur an Geschichtschreibern, jedenfalls nur an
Prosaisten versucht hat, ausschliesslich an der Hand seines ge-
treuen Wörterbuches ohne Weiteres den Virgil richtig übersetze,
oder dass er, wenn unter den griechischen Dialekten mit ihm nur
der attische eingeübt ist, den Homer „analysire"*? Wird da
nicht der fleissigste Schüler gezwungen, nach dem nächsten besten
Mittel zu greifen, wenn es ihn nur aus seiner Qual errettet?
Doch zurück zu unserm Anfänger! „Nun ja, er soll die Bedeu-
tuuff der Wörter allein aus dem Munde des allersetzenden Lehrers
vernehmen. Wie dann, wenn er sie vergisst und kein Mittel ihm
zu Gebote steht, sie wieder ins Gedächtniss zu rufen'?*' — Eine
sehr natürliche Frage. Doch dürfte die Antwort eben so einfach
lauten. Einmal wird bei der Behandlung, welche Ref. bisher
auseinandergesetzt hat und mit Hrn. Högg fordert, lange nicht so
viel vergessen werden, als sonst; und dann, wenn etwas entweicht,
dann — sagt es eben der Lehrer noch einmal. „Welche Ver
wöhnung des Knaben! Also wiederum soll er aller Mühe über-
hoben werden*!-* — Dagegen lässt sich fragen, was denn der Ge-
winn davon gewesen sei , wenn nicht gerade unfähige Schüler auf
Högg; Latein. Lehr- und Lesestücke u. s. \v. 275
drei und mehr Seiten hintereinander jedesmal dasselbe Wort in
ihrem „Präparationsheft"" oder in ihrer „Analyse'' aufzeichneten'^
Wie das I. Buch der Lehr- und Lesestücke die Grundlage für
die Einübung der gewöhnlichsten Formen und zugleich für Ge-
winnung eines auf dieser Stufe hinreichenden Wörterschatzes bil-
den soll; so hat das II. Buch den Zweck, dem Schüler die ganze
Sy Utax i n ih ren Grundzügen vorzuführen. Den dabei
befolgten Plan hat der Hr. Verf. in der , ^grammatischen Lieber-
sicht'- auf sieben Seiten für jeden, dem Becker's Sprachsystem
nicht fremd ist, verständlich genug dargelegt. Ref., der das Büch-
lein schon beim unterrichte benutzte, hat die üeberzeugung ge-
wonnen, dass die Spracherscheinungen durch die gewählte Be-
handlung und Anordnung nicht gewaltsam in einen ihr widerstre-
benden Rahmen eingezwängt worden seien, und fand zugleich,
dass sich mit dieser, in der Hauptsache an eine wissenschaftliche
Form sich anlehnenden Ordnung ganz wohl eine gemeinfassliche,
dem jugendlichen Älter entsprechende Lehrweise verbinden lasse.
Daher betrachtet Ref. die Lesestücke auch in dieser Hinsicht als
ein erwünschtes Beförderungsmittel einer Lehrweise, wie sie an-
gestrebt werden muss, nämlich einer solchen, die, ohne sich in
eine dem Knaben unverständliche Abstraction zu verirren, doch
die F]rgebnisse der wissenschaftlichen Forschung auf angemessene
Weise in die Schule einführt.
Vielleicht könnte die Frage erhoben werden, warum der Hr.
Verf. nicht statt der grammatischen Uebersicht geradezu vollstän-
dige Regeln seinem Buche einverleibt habe. Dieses haben aller-
dings bisher die Meisten gethan; sie haben Grammatik und üe-
bungsstücke (entweder zur Exposition oder zur Composition oder
auch beide) in Einem Buche vereinigt. Viele Lehrer erkennen
hierin einen grossen Vorzug. Denn so erscheine dem Anfänger
dieses Eine Buch als der Inbegriff alles dessen, womit er sich für
jetzt zu beschäftigen habe. Dessenungeachtet muss es Ref. bil-
ligen, dass Hr. Högg sich begnügt hat, durch die uebersicht dem
Lehrer seinen Plan deutlich zu machen und dem Schüler die Auf-
fassung des Ganzen zu erleichtern. Die abgesonderte Aufstellung
des Regelwerkes einerseits und der üebungsstücke *) anderer-
seits bietet mancherlei Vortheile. Die Grammatik gewinnt an
üebersichtlichkeit, indem sie sich auf einen kleineren Raum zu-
sammenzieht. Damit wird auch die Möglichkeit einer passenden
einzigen Schulgrammatik für's ganze Gymnasium angebahnt. Fer-
ner wird der Blick nicht fortwährend zwischen Regel und Beispiel
hin und herschweifen, sondern der Schüler wird sich genöthigt
*) Hierunter sind natürlich nicht die einzelnen Beispiele zu verste-
hen , die jeder Grammatik als Belege für die Regeln beigefügt werden
müs-sen.
18*
276 Latein. Lesebücher.
seilen, je(1cs für sich zu seinem vollen Eigentluim zu maclien.
Ilauptsiichlicli ^ilt das für die Composition. Endlich erwärhst
dem Schüler daraus i^eiii grösserer Aufwand, wie es den Anschein
haben möciite, sondern es hat die gegentheilige woliilhälige Folge.
Lmfangsrcicher wird das Ganze nicht; denn die einzelnen Theile
sind nur anders geordnet. Höchstens könnte der Buchbinder
eine grössere Ausgabe verursachen, weil nun drei Bücher ent-
stehen: Uebungsstücke zur Exposition, zur Composition, Gram-
matik. Hingegen ist nur noch Eine Grammatik erforderiicli *).
Zieht man in Betracht, ob die Lesestücke für den ersten
Unterricht in grammatischer Hinsicht erschöpfend genug seien, so
werden notlnvendig die Ansichten abweichend ausfallen, weil der
Eine jetzt schon dieses für unentbehrlich erachtet, ein Anderer
jenes. Ref. hüt in diesem Stücke die 31 einung, dass die Schüler
sehr oft nutzlos viel zu früh mit schwierigen Spracherscheinungen
oder haarspaltendcn Unterscheidungen geplagt werden. Schwer-
lich wird man es tadeln wollen, dass die Lesestücke z. B. nicht
in den ersten Paragraphen des II. Buches alle die vielerlei mög-
lichen Fälle enthalten, wo das Prädicat bald im Singular, bald im
Plural, im Masculinum, Femininum oder Neutrum steht, wenn
es sich auf mehrere Subjecte zugleich bezieht. Doch hätte lief.
neben dem Beispiel (II. 3): Visurgis, Albis, Vistula sunt naviga-
biles amnes — noch eines oder das andere gewünscht, wo die
Subjecte Personen bezeichnen. Besonders aber vermisst er,
dass nicht den Zahlwörtern, die nur gelegentlich eingemischt
sind (wie II. 5. 23. 3S. o7. 58. 65. 66) eigene §§. gewidmet sind.
Auch ist die Construction bei accusare^ damnare u. dergl. völlig
übergangen. Bei II. 65 konnten vielleicht ausser quantum^ nihil^
plus auch niultum^ ntiquid^ quid^ satis ^ aß'alim u. s. f. berück-
sichtigt und nebenbei eine Vergleichung anderer Ausdrucksweisen
statt des Genitivs (ej7, «V/, de)^ besonders wegen des Superlativs
und wegen uiius^ angestellt werden. Neben decet^pudet u. s. w,
(IL 1.2« ff.) hätte wohl licet eine Steile verdient. In IL 160 soll-
ten facüis^ difficilis^ jucundus mit ad und dem gcrund. nicht feh-
len, da sie beim Supinum (IL 156) gehörig vertreten sind. — So
Hesse sich noch Manches beibringen, dessen Aufnahme Hr. Högg
um so unbedenklicher finden wird, da er Mehreres nicht zurück-
gewiesen hat, was er beim erstmaligen Lesen ausgelassen und erst
später bei der Wiederholung beachtet wünscht. Desswegen sind
einige §§. mit Sternchen bezeichnet, z. B. II. 21 (von den Städte-
namen). Dass aber über die s. g. Consecutio temporum keine be-
sonderen §§. gegeben sind, darf kaum Anstoss erregen, da zur
Nachweisung des Leichteren sich in dem Buche hinreichend Stoff
*j Für die erste Zeit ist sie ganz entbehrlich, indem sie, wie oben
bemerkt, durch den Lehrer ersetzt wird.
Högg : Latein. L«hr- und Lesesliicke u. s. w. 277
findet, die Erklärung des Schwierigeren aber, wie jeder Lehrer
weiss, selbst in den mittleren Ciassen noch Miilic genug erfordert.
Was dann die Auswahl der Sätze anlangt, so gehört ihr
Inhalt theils der äusseren, theils der inneren Welt an. Das
I. Buch giebt (auf 17 Seiten) fast ausschliesslich Naturgcschicht-
liches, und auch im II. ist dieses und das geographische Gebiet
stark vertreten, sowie überhaupt diejenigen Kreise des mensch-
lichen Wissens, welche sich vorzugsweise auf die unmittelbare
Sinneswahrnehmung gründen. Da die Lesestücke für sehr
junge Schüler bestimmt sind, so wird diese Wahl um so mehr
Beifall verdienen, als sich in dieser Zeitschrift erst kürzlich die
gewichtige Stimme eines Mannes der Wissenschaft in ähnlichem
Sinne erhoben hat (s. Bd. 57. Ilft. 2. S. 178), wodurch Referent
einer grösseren Ausführlichkeit über diesen Punkt überhoben ist.
üebrigeos wurde das geistige Gebiet, namentlich in sittlich bil-
denden Aussprüchen nicht zu karg behandelt. — Ob auch der
Geschichte ihr gebührender Beitrag abgefordert worden^ Zwar
lässt sich nicht läugnen , dass es, so lange der Schüler noch nicht
so weit vorgerückt ist, um zusammenhängende Stücke zu lesen,
mit einigen Schwierigkeiten verknüpft ist, einzelne Sätze ausfindig
zu machen , die für den kleinen Anfänger anziehend und verständ-
lich genug sind. Es fehlt solcfien Beispielen häufig an der nöthi-
gen Anschaulichkeit. Lange Erläuterungen aus der Geschichte
sind gewiss in den ersten paar Jahren, wo der Knabe eine fremde
Sprache zu lernen beginnt, nicht am Orte, wie denn überhaupt der
Stoff, ohne in Leerheit und Gehaltlosigkeit zu verfallen, von der
Art sein muss, dass zum Vcrständniss selten mehr als eine Zeich-
nung oder eine Landkarte erforderlich ist. Die Aufmerksamkeit
wird sonst zu sehr getheilt. Bei alle Dem will es dem Ref. schei-
nen , die Geschichte hätte noch eine reichere Ausbeute gewähren
können.
Mit Vergnügen bemerkt man in der Anordnung, dass dem
Stoffe nach Verwandtes in einzelnen §§. zusammengestellt ist,
soweit es andere nicht zu beseitigende Rücksichten erlaubten. Es
ist dies ohne Zweifel nicht ohne Einfiuss auf den Geschmack des
Schülers. Ref. macht auf diesen Umstand aufmerksam, weil er
zwar schon in manchen älteren Lehrbüchern beachtet worden ist,
aber in neuerer Zeit der lobensvverthe Vorgang oft nicht die ver-
diente Nachahmung gefunden hat. Wen sollte es niclit unange-
nehm berühren , z. B. folgende Sätze unmittelbar hintereinander
zu lesen:,, Alle gute Männer lieben die Billigkeit. Die Bewohner
Aegyptens verehrten den Apis, einen schwarzen Ochsen. Die
Hunde werfen blinde Junge. Die Wiederkunft der Störche kün-
digt den Frühling an. Archelaus schenkte dem Euripides einen
goldenen Becher*"*-'? Es versteht sich, dass Abwechselung vor-
handen sein müsse, nur nicht in solcher Weise. — Als eine an-
dere zweckmässige Einrichtung hebt Ref. hervor, dass in späteren
278 Latein. Lesebücher.
Absclinitten häufiir auf Früheres Bezug genommen ist. So kehrt
der Satz I, 48 Diei noctisque vicissitudo conservat animantes —
bei IL 143 wieder mit der Erweiterung: tribuens aliud agendi
Icmpus, aliud quiescendi. Vergi. II, 61 und 161; 20 u. 149.
Ks ist nun noch iibrig, etwas Viber die Sätze in sprachli-
cher Hinsicht zu sagen. Mühevoll musste die Anlage des Bu-
ches in der bisher angedeuteten Weise darum sein, weil die
Beispiele im I. Buche, so weit möglich, im IL durchgehends
aus Werken alter Schriftsteller entnommen und zwar
unmittelbar aus diesen gesammelt sind, was auch daraus zu er-
kennen ist, dass viele aufgenommene Beispiele sich in den frühe-
ren Lesebüchern nicht finden. Gerade diese Gewissenhaftigkeit
verleiht den Lesestücken einen besonderen Vorzjig. Zwar sind
auch solche Autoren benutzt, die von den ekeln Latinisten scheel
angesehen werden. Wenn aber andere Schulmänner sich nicht
scheuten, ihr eigenes Latein den Anfängern als Muster aufzustel-
len, so wird auch ein Seneca oder Plinius die Ehre haben
dürfen, in unseren Elemeiitarbüchern mit kurzen Sätzen zu er-
scheinen, wo ja an Bildung des Stil s noch wenig gedacht werden
kann, zumal wenn es sich findet, dass der Gegenstand, über den
sie sich vernehmen lassen, einem gewissen Alter mehr entspricht,
als einer des Cicero. Dabei ist aber freilich festzuhalten , dass in
der Auswahl und Benutzung Umsicht geübt werden solle, weniger
in Betreff eines einzelnen Ausdrucks (wiewohl I. 28 Scorpio ve-
nenatus für Sc. venenosus zu wünschen wäre), als der Ausdrucks-
weise. In keinem der Sätze, die sich desto tiefer einprägen, je
früher sie dem Lernenden vorgeführt werden , sollte eine Abwei-
chung von den Flauptlehren der Grammatik, wie sie nach dem
Sprachgebrauche der besten Schriftsteller festgestellt sind, vor-
kommen. Dieser Forderung dürfte Hr. Wögg nicht überall Ge-
nüge gethan haben. So steht II. 21 Hure juventam egi, — wäh-
rend bekanntlich zur Bezeichnung der Ruhe an einem Orte in der
Regel die Form auf i gebraucht wird. Es wäre dies um so besser
vermieden worden, als für das Regelmässige kein Beispiel geboten
ist, und darauf folgt: Rure in urbem redibas. — 68 üt prae lae-
titia lacrumaetibi praesiliunt (Plaut. Stich, lll. 2, 13, wo übrigens
Schm ieder: praesiliunt mihi hat) — bezeichnet prae einen Grund,
der nicht als Hinderniss erscheint. Wollte man auch sagen, es
liege ein negativer Sinn darin, etwa: lacrumas teuere non potes
(vergl. Fabri zu Liv. 22, 3, 13), so wäre dies doch bei Anfängern
nicht gut angebracht. — 71 Apud Pythagorara discipulis quinque
annis tacendum erat — könnte der Ablativ einen Schüler auf der
angenommenen Stufe irre leiten. — So wie die Sätze 80 An tu
haec non credis^ und 123 An nc hoc quidera intelligimus cet. da-
stehen, scheint es, an sei in einfacher Frage gesetzt. Vergl.
Zumpt§. 3r)l. Dagegen 91 Cogiia tecum^ an^ quibuscunque
dcbuisti gratiam , retuleris — lässt sich wohl nach Zumpt §.352
Högg : Latein. Lehr- und Lesestücke u. s. w, 279
erklären. Aber das Comma würde Ref. lieber vor gratiam stellen.
— Wegen 105 Solls defectus nonnisi novissima primave fiiint
luna: lunae autem defectus nonnisi plena — s. Ziimpt §. 796
der 6. Ausgabe und Krebs Antibarbarus unter iion nisi. — Der
Indicativ lUG Sunt, qui .... non audent dlcere — und die alter-
thüraliche Nominativform 113 lade (Plaut. Menaech. V. 9, 29 ss.)
möchten, obschon die gewöhnliche Form aus I. 32 (lac dulce) be-
kannt sein muss, in diesem Buche bedenklich sein. — 114 Vi-
des, quanto vocaliora sunt vacua, quam plena (Sen. Nat. qu. 11,29)
möchte Ref. abweichend von den Ausgaben aus gewissen Rück-
sichten interpungiren: Vides*? quanto .... plena*? — 117 üt
quacque fliimina sunt altissima, ita minori sono labuntur — ent-
hält ohne Zweifel einen Schreib- oder Druckfehler; so auch 55
Megarensium insula Athe?iiensibus fiebat. — 118 Omnia prius
experiri, quam armis , sapientera decet ist nach experiri wahr-
scheinlich verbis ausgefallen, wie 141 Sunt divitiae certae, in
quacunque sortis humanae permansurae (Sen. de Benef. VI. 3)
nach humanae das Wort levitate. — 158 wäre dem: Cupidus te
audiendi, obschon es von Cicero (de Or. II. 4, 16) herrührt, ein
Beispiel mit der gebräuchlicheren Gerundiv -Construction vorzu-
ziehen. Vergl. Krüger, Gramm, d. latein. Spr. §. 489, Anm. 6.
— Einiges ist unnöthig oder unpassend verändert. 162 Exercenda
est memoria ediscendis ad verbum quam plurimis et Cicerom's
scriptis et aliorum nach Cic. de Or. I. 34, 157, wo es heisst: quam
plurimis et nostris scriptis et alienis. — 99 erscheint in dem
Satze: Cum quiescere volunt, fremitum murmurantis maris non
audiunt — nach Cic. Tusc. V. 40, 116 der Mangel des Subjects
surdi^ das in der Urschrift aus dem Zusammenhange ergänzt wird,
unbequem, wenn gleich der Sinn im üebrigen absichtlich geändert
sein mag. — 91 giebt das Ul am Anfange des aus Cic, Tusc. I.
28, 67 einzeln ausgehobenen Satzes keinen Sinn, ist also zu tilgen;
ebendaselbst ist deinde statt dein zu schreiben. — 115 die Worte:
Huc postero die quam frequentissimi convenirent — sind als
selbstständiger Satz hingestellt, wodurch das Imperf. Conj. noth-
wendig eine ganz andere Bedeutung erhält, als im Zusammen-
hange bei Caes. b. g. IV. 11. — 121 bei: BiSt Gallicae consuetu-
dlnis, uti — hat Cäsar (b. g. IV. 5): Est hoc Gallicae. — 157 ist
aus Versehen sinnstörend: danda vero opera, ut et animos statt
amicos (Cic. ofF. I. 34, 123) geschrieben. — Ferner muss 126
Aristaeus statt Aristeus (Cic. Verr. IV. 57, 128)*) und Zoroa-
stres statt Zoroaster gesetzt werden; so auch 150 carissimi (aus
Quintil. in. or. II. 9) statt charissimi. — 80 wäre besser Tui be-
nevolentis statt bene volenlis (Plaut. Trin. I. 2, 8), well benevo-
lens, wie öfters bei diesem Dichter (s. bes. Trin. V. 2, 24. 53 und
*) Ernesti hat zwar an dieser Stelle: Aristeus, aber in der
Clavis und Cic. Nat. DD. III. 18, 45 Aristaeus, wie Andere.
280 Latein. Lesebücher.
Pcrs. IV. 4, 9S), hier als Substantiv gebraucht ist. — 142. Der
Name des Augurs (Cic. Divin. I. 17) wird jetzt gewöluilich Na-
riits ^ nicht Aaevius geschrieben. — Wiewohl im Allgemeinen
der Grundsatz festgehalten ist, dass jeder Satz für sich einen
vollen Sinn gebe, so ist doch einigemal dagegen Verstössen, wie
in der oben beri'ihrten Stelle aus Caes. b. g. IV. 11, und 142 kann
inde in dem Satze: Philocrates jam inde usque amicus fiiit mihi a
pucro puer — auf nichts Vorhergehendes bezogen werden. Vgl.
144 Id odeo mctuens vos celavi , quod nunc dicam — und 158
J)ata facultate itineris faciundi. — um nichts zu übergehen,
wird noch erwähnt, dass die Druckfehler, deren Zahl übrigens
nicht sehr gross ist , am Schlüsse der „Andeutungen'' nicht voll-
ständig aufgeführt sind. lief, hat ausser den oben genannten wahr-
genommen: II. 49 ephipiis; 97 His-pania; lllvoveant st. foveant.
ISr. 2. Die Aufgaben über die lateinischen Lehr-
und Lesestücke sollten zeigen, zu wie mannigfaltigen üebun-
gen die letzteren benutzt werden können. Sie sind nach der
itnmer mehr Eingang findenden Ansicht ausgearbeitet, dass die
Uebersetzungen aus der Muttersprache in eine fremde sich mög-
lichst an den in der letzteren behandelten Stoff anlehnen müssen.
Denn die fremde Sprache wird an und aus ihr selbst erlernt.
Das Uebertragen in dieselbe hat den Zweck, den Blick für die
Auffassung der Sprachgesetze beim Exponircn zu schärfen und
das Erlernte zum unverlierbaren geistigen Besitz zu machen. Die
Compositionsübungen können , da lüer Componere nicht den Sinn
des selbstständigen Schaffens, sondern nur des Zusamraenfügens
nach einem Vorbilde oder der Nachahmung haben kann, in
keiner Weise ihren eigenen Weg gehen. Nicht nur soll bei ihnen
die Anwendung keiner Regel verlangt werden, die nicht schon
durch Exposition völlig klar gemacht und eingeprägt ist*), son-
dern es sollen dabei auch keine einzelnen Ausdrücke und Redens-
arten vorkommen, die nicht bereits aus der früheren Leetüre be-
kannt sind. Lässt sich dies nicht gänzlich vermeiden, so gebe
man dem Schüler das Unbekannte. Das deutsch- lateinische
Lexicon wird hiermit überflüssig. Ilr. llögg sagt in den ,, Andeu-
tungen*"' Seite 44: ,,Es i.st ein eben so zeitraubendes, als auch in
anderer Hinsicht unpraktisches und tadelnswerthes Verfahren,
Deutsches in das Latein, übersetzen zu lassen, wobei der Schüler
ein deutsch-latein. Laxicon gebrauchen soll oder darf; denn erst-
lich wird er einen recht ungeschickten Gebrauch von diesem Buche
machen, che er die oben erwähnte Anweisung erhalten hat; zwei-
tens verliert er nutzlos viele Zeit, endlich — und das ist bei wei-
tem der grösste Nachtlieil — hindert es ihn nachzudenken und
dasjenige aus dem Gedächtnisse zu schöpfen, was er aus seinem
*) Man sollte meinen, das verstehe sich von selbst, allein man wolle
nur gewisse Compositiousbücher nachsehen !
Högg : Latein. Lehr- und Lesestücke u. s. \v. 281
Lesebuche wissen kann. Niclit viel weniger unpraktiscli ist es
aber auch, dem Schüler zu jenen Aufgaben viele Wörter und Re-
densarten^ die er bereits wissen könnte und sollte, anzugeben."
Diese Grundsätze, denen Ref. vollkommen beitritt, sollten auch
in höheren Classen mehr zur Anwendung gebracht werden, als
gar häufig geschieht. Man fiihrt gerne an, es sei für die Bildung
der Urtheilskraft förderlich, wenn der Schüler in dem Wörter-
buche zwischen mehreren Wörtern oder Redensarten wählen
müsse. Diese Einwendung wird durch die Erfahrung widerlegt.
Denn entweder hat er sie bereits gelesen — dann soll er sie, wie
schon gesagt, aus dem Schatze seines Gedächtnisses hervorlangen,
oder sie sind ihm fremd — dann sind wieder zwei Fälle möglich.
Hat Einer nur ein dürftiges Wörterbuch, so ist es reiner Zufall,
wenn er das Rechte getroifen hat, er hat es errathen; besitzt
Einer ein umfangsreicheres mit vielen Unterscheidungen, so wird
er öfter das Rechte wählen und vor dem Ersteren einen Vorsprung
haben. Wer wird gewöhnlich dieser Glückliche sein*? Der Rei-
chere, der sich ein theureres Buch kaufen kann. Aber mehr
weiss und kann er darum nicht, als jener, sondern nur sein Buch.
— Wird es einmal so weit kommen , dass in der Schule kein
deutsch-latein. Wörterbuch mehr zu sehen ist — was freilich nur
dann wird durchgeführt werden, wenn auch bei Prüfungen für den
Eintritt in höhere Lehr- und Erziehungsanstalten und für Zulas-
sung zum üniversitätsstudium keines mehr gestattet wird *) — ,
dann werden die Schüler ihre Classiker mit anderer Aufmerksam-
keit lesen. Und wenn die Exposition von Anfang an auf die oben
verlangte Art behandelt wird und sich die Coraposition in entspre-
chender Weise anreiht, so werden auch die so häufig vorkommen-
den, bald ärgerlichen, bald komischen Verwechselungen immer
mehr verschwinden. Wie kommt es, dass ein Gymnasiast, der
Bchon sechs Jahre Latein lernt, pecuiiiam erigere schreibt, wenn
er „Geld erheben"' übersetzen soll*? Er ist nicht genug gewöhnt
worden, die fremden Ausdrücke im Zusammenhange anzuschauen
und zu begreifen , und daher übersetzt er Wörter statt Worte.
Allerdings wird Mancher in seiner Arbeit Lücken haben, wenn er
sie nicht mehr durch Nachschlagen ausfüllen darf; aber was scha-
det dies'? Es wird um so leichter zu unterscheiden sein, wie viel
Jeder behalten hat. Und sollte es nicht auch für einen Vorzug
gelten, wenn Einer einen reicheren Vorrath von Wörtern und Re-
densarten im Gedächtniss aufbewahrt, als ein Anderer*? Sie sind
ein sehr wichtiges Erforderniss zur Kenntniss einer Sprache. Das
Material darf nicht fehlen.
Sind diese Ansichten richtig, so kann ein Uebungsbuch zum
Componireu für untere und wohl auch für mittlere Classen nur
*) Dann muss aber auch das zu übersetzende Thema mit der gröss-
ten Sorgfalt gewählt werden.
282 Latein. Lesebücher.
zu einem bestimmten Lesestoffe ausgearbeitet werden , wie es bei
den in llede stellenden Büchern der Fall ist. Fiir mittlere Classen,
wo einmal das Lesen einer Chrestomathie oder leichter Schrift-
steller begonnen hat, wird sich ein ganz zweckmässiges üebungs-
buch mit längeren Sl'ückcn zusammenhängenden Inhalts kaum zu
Stande bringen lassen. Die W ahl, oder wenigstens die Aneinander-
reihung des Lesestoffes in der Zeit, hängt vom einzelnen Lehrer
ab. Dieser wird daher, wenn er die Üebungen unter Ilereinzie-
hung und Verarbeitung des Gelesenen genau dem jeweiligen Stande
der Kenntnisse seiner Schüler anpassen will , am besten die The-
raate jedesmal selbst entwerfen. Dazu gehört freilich auch Zeit,
welche aber dem Lehrer zum Besten des Unterrichts zu gönnen
wäre.
Die aufgestellten Forderungen enthalten niclit Einräumungen
an den sog. Zeitgeist. Sie müssen an eine naturgemässe Einfüh-
rung in fremde Sprachen zu jeder Zeit gemacht werden , weil sie
aus dem Wesen der Sache selbst hervorgehen. Eben aus diesem
Grunde wird die Erfüllung derselben nur dazu mitwirken, den
Bestand und die Fortdauer des Unterrichts in fremden und insbe-
sondere in den alten Sprachen zu sichern; sie wird einen Umstand
entfernen , der den Gegnern einen willkommenen Angriffspunkt
darbietet. Die Composition soll nicht aufhören, aber
sie soll auf die erspriesslichste Weise ausgeübt wer-
d en. Wie das auf der Anfangsstufe erzielt werden könne, dafür
hat Hr. Högg in seinen „Aufgaben^'' ein Beispiel zu geben ver-
sucht.— Im Einzelnen fügt Ref. darüber noch an, dass er bei
II. 118 astrologus statt astronomus^ 120 pergrandis statt proe-
grandis und quod est nomen statt quid est nomen — lieber dar-
geboten sehen nürde.
Der Inhalt der ., A n d eu t un g en"" (INr. 3) bedarf keiner
weiteren Auseinandersetzung, da das Nöthige daraus, zum Theil
wörtlich, in die Anzeige von Nr. 1 und 2 eingestreut ist.
Schliesslich erlaubt sich Ref , weil die angezeigten Schriften
in seinen Augen ein beachtenswerther Beitrag zur Verbesserung
der Methodik im Sprachunterrichte sind, dieselben der sorgfälti-
gen Prüfung der Schulmänner zu empfehlen. Wer die Nothwen-
digkeit von Verbesserungen einsieht und ernstlich wünscht zu
deren Einführung etwas beizutragen, wird gewiss viel Anregendes
darin finden.
Ellwangen , im Januar 1850.
Dr. Alb, Vogelmann.
Gödeke: Deutschlands Dichter von 1813 — 1843. 283
Anthologien aus Deutschlands Dichtern.
I. Deutschlands Dichter von 1813 bis 1843. Eine Auswahl von
872 charakteristischen Gedichten aus 131 Dichtern, mit biographisch-
litterarischen Bemerkungen und einer einleitenden Abhandlung über
die technische Bildung poetischer Formen. Von Karl Gödeke.
Hannover, im Verlage der Hahn'schen Hofbuchhandlung. Breit 8.
LXVIII und 406 S.
Es sind im letzten Jahrzehnt eine solche Men^e Bhimenlesen
aus deutschen Dichtern, theils für den allgemeinen Gebrauch, theils
für Schulen jeder Art bestimmt, von den verschiedensten Sammlern
nach den verschiedensten Grundansichten herausgegeben worden,
dass eine Auswahl aus diesen Auswahlen wiederum selir schwierig
wird und eine kurze Kritik derselben gerechtfertigt scheint. Bei
dem mäctitigeii Einflüsse, welchen die deutsche Litteratur in neue-
ster Zeit auf die Bildung der Jugend sowohl als des Volkes über-
haupt gewonnen hat, ist es keineswegs gleichgültig, durch welche
Hülfsmittel und welche Pforten wir dieses Gebiet des Geistes be-
treten. Alle Dichter sind nicht gleich gut und bildend, während
sie doch alle, wenn auch verschieden, auf verschiedene Indivi-
dualitäten wirken. Abgesehen von den ersten Einflüssen, die
nicht selten für das junge Gemüth wie der Frühling für die Ernte
entscheidend sind , muss die gesammte Bahn, welche zur Kennt-
niss der Dichtkunst führt, so weit es immer möglich ist, über-
schaut und auf die zweckmässigste Weise, selbst nicht ohne Vor-
sicht beschritten werden. Der eine Weg fördert auch hierin mehr
als der andere. Wie wichtig die Sache sei, erhellt alsbald, wenn
wir bedenken, dass die Dichtkunst auf alle Menschen, welche
nicht, wie Goethe sagt, von Haus aus barbarisch sind, bestimmend
einwirkt in Hinsicht der Sittlichkeit, der Schärfung der Denkkraft,
der Ausbildung des Charakters u. im Allgemeinen des Geschmackes,
der, wenn wir ihn im weitesten Sinne nehmen, die Gestaltung des
ganzen Lebens , Meinungen und Handlungen bedingt. Denn die
Zeiten , wo man die Dichtkunst für ein leichtes Spielwerk ansah,
das allenfalls einzelne Minuten des Alltagslebens verschöne und
das man deswegen ohne besondere Einbusse auch auf die Seite
werfen könne, sind für Deutschland hoffentlich auf immer vorüber.
Wenigstens glaubt Ref. nicht, dass die Leser dieser Blätter
geneigt sind, die Poesie als blosses Mittel zur geselligen Unter-
haltung zu benutzen und also dieselbe der Instrumentalmusik an
die Seite zu stellen, deren Hauptaufgabe gemeiniglich dahin geht,
dem Hörer eine angenehme Zerstreuung zu bereiten oder allge-
meine Seelenstimmungen hervorzurufen. Das hiesse nämlich die
Dichtkunst herabziehen und mindestens um die Hälfte erniedrigen.
Denn was die Musik unvollkommen leistet, was sie dunkel und in
unbestimmten Umrissen zeichnet, das führt der Geist des Ge-
dichtes vollendet , klar und entschieden aus ; jene bereitet gleich-
2S-i Deutsche Litteratiir.
sajii ilic Seele blos vor, die Poesie öffnet das AUerlieiligste; jene
lässt iiielir ahnen, diese mehr begreifen. Dazu kommt, dass die
Diihlkunst, sobald sie in gebundener Rede auftritt, mit der Musik
ausgerüstet ist, die Musik zur Grundlage genommen hat und in
sich schliesst, woraus die untergeordnete Stellung der letztern
hervorleuchtet. Denn ein Theil, wenn aucli ein wesentlicher,
wird niemals dem Ganzen gleich gestellt werden diirfen.
Duss aber diese Verbindung wirklich stattfinde, geht daraus
liervor, dass ein walnes Gedicht niemals für das Auge, für das
Lesen geschrieben ist, sondern stets für das Ohr, für den leben-
digen \ ortrag. Es soll nicht blos schöne Gedanken enthalten,
welche der Geist ruhig aufnimmt, gesättigt durch die dargebotene
Speise, sondern die Gedanken sollen durcli das Mittel der Sprache,
welche sie ausspricht, dem aufmerksamen Geiste lautkräflig vor-
geführt werden auf diejenige Weise, wodurch der Mensch dem
Menschen seine Gedanken zunächst zu erkennen giebt, am leichte-
sten und natürlichsten vorführt. Denn sonst genügte es, die dich-
terischen Gedanken zu malen, das Geschäft des Malers würde die
Poesie ersetzen können. Offenbar müssen also die Dichter darauf
bedacht sein, mit der Musik der Sprache auf das Gründlichste
sich bekannt zu machen.
Aus dieser Rücksicht, scheint es, hat Herr Gödeke der oben
angezeigten Sammlung, die eine höchst interessante Epoche deut-
scher Dichtung umfasst und die wir weiter unten näher beleuch-
ten wollen, eine sehr gediegene und äusserst lobcnswerthe Ein-
leitung über die technische Bildimg poetischer Formen, also mit
anderen Worten über die Hervorbringung und Ausführung sprach-
licher Melodien (was man kurzweg „ Metrik'' genannt hat), ob-
schon mit üebergehung der Prosodie, vorausgeschickt. Ref. rühmt
vorzüglich die Vollständigkeit dieser Gödeke'schen Darstellung,
welche auf Beispiele aus alten und neuen Sprachen sich stützt,
sodann die g-eschickte Anordnung der einzelnen Formen, ihreEin-
theilung und Aufeinanderfolge, ferner die Gründlichkeit, mit
welcher anscheinende Kleinigkeiten berührt und geprüft werden,
ganz vorzüglich endlich die historische Erörterung, womit Herr
Gödeke die geschilderten Maasse begleitet. Er weist nicht
nur den gesammten Schatz der Formen, soweit sie die Grundlagen
einer besonderen Gattung bilden, in besonderen Abschnitten nach,
indem er alle aufführt, welche wirklich in Deutschland gebraucht
worden sind, sondern erzeigt auch, welche mehr, welche weniger,
welche mit Glück, welche erfolglos und bis zu welchen Grenzen
manche angebaut wurden, von welchen ein fernerer Anbau zu
lioilen steht, welche veraltet und mit Recht oder Unrecht wieder
aufgefrischt worden sind und seit welcher Zeit endlich die ersten
Versuche mit den einzelnen dieser Versarten stattgefunden haben.
Gödeke hat, so zu sagen, durch diese Abhandlung ein helles Licht
in den fast w irren und unübersehbaren Wald der Formen gebracht,
Gödeke: Deutschlands Dichter von I8l3 — 1843. 285
die bei uns heimisch oder möglicli sind. Er bietet für Denjenigen,
der sicli schon einige Kenntniss von den leicliteren Maassen ver-
schafft hat, viel Lehrreiches und Anregendes; indem er gegen die
Unkunst schonungslos, aber ruhig sicli erklärt, räumt er zugleicli
manches Vorurtheil weg, das gegen künstlerisclie Vollendung seit
längerer Zeit aufgeschossen war, wie gross aucli die Autorität sein
mag, die den falsclien Samen ausgestreut hatte. Dagegen für
Anfänger oder vielmehr für solche, die noch keine umfangreichen
Sprachkenntnisse sich erworben haben und ihre Aufmerksamkeit
auf die ersten Elemente der Metrik richten müssen, erscheint
seine Abhandlung zu schwierig und unverständlich, nicht sowohl
wegen ihres gelehrten Vortrages, als wegen ihrer gehaltreichen
Kürze, welche zu viele Vorkenntniss der Sache, selbst einzelner
künstlerischer Ausdrücke voraussetzt. Wenn dies auch der Lei-
stung keinen Abbruch thut, scheint diese wissenschaftliche Dar-
legung doch niclit ganz an der rechten Stelle zu stehen, da anzu-
nehmen ist, dass die Mehrzahl der Leser, in deren Hände diese
Auswahl kommt, von seinen Winken schwerlich den gehörigen
Gebrauch zu machen wissen werde. Man müsste daher wün-
schen, dass die Abhandlung als ein besonderes Werk herausge-
kommen wäre, wofern Hr. Gödeke nicht etwa die wohlmeinende
Absicht hatte, die gute Gelegenheit zu benutzen, um den Poeten
derNeuzeit eine nützliche Anweisung zu grösserer Formvollendung
in die Hände zu spielen und ihnen gleichsam einen Spiegel vorzu-
halten, woraus sie abnehmen könnten, wie geringe Sorgfalt seither
gerade im letzten Menschenalter auf die Ausbildung der Mutter-
sprache verwendet worden. Denn rechnen wir zwei Dichter die-
ser Sammlung, ilückert und Platen, ab, so ergiebt sich das uner-
freuliche Resultat, dass die übrigen fast ohne Ausnahme in den
allergewöhnlichsten hergebrachten Formen sich bewegt haben
und dass die Gödeke'sche Abhandlung am wenigsten dazu be-
stimmt sein kann, die Künstlichkeit der Maasse zu schildern und
darzustellen, welche etwa in den letzten dreissig Jahren benutzt
und gepflegt wurden. Und gleichwohl sind aus diesem Zeiträume
die Proben von mehr als hundert Poeten aufgeführt!
Dürfen wir bei dieser Gelegenheit einen Tadel über die Ein-
leitung Hrn. Gödeke's aussprechen, so würde derselbe in der Be-
merkung bestehen, dass antike und deutsche Form, welche durch
dieEigenthümlichkeit des Sprachmaterials bedingt ist, nicht scharf
genug geschieden worden. Gödeke sagt nichts davon, dass die
antiken Maasse, wenn sie der deutschen Sprache angemessen sein
sollen, vielfache Aenderungen erleiden müssen und unter der
Hand bereits, wo sie gut behandelt worden sind, erlitten haben.
Einige Andeutungen über ein Paar Formen, worüber unsere Mei-
ster sich entschieden ausgesprochen, sind ungenügend, da der
Grund nicht angeführt ist, welcher diese Veränderungen hervor-
gerufen hat und nicht blos berechtigt, sondern noth wendig er-
286 Deutsche Litteratur.
sclieincn lässt. Wir lesen blos von etlichen äiisserliclien Ab-
welcliurig^en und Verschiedenheiten, von welchen man glauben
kötiiite, dass sie blos zufälli"; eingetreten seien. Allein das
ist keineswegs der Fall, vielmehr linden wir, wenn wir tiefer
nachfragen, die Gründe heraus, warum die antiken Formen, we-
nigstens theilweis, in unserer Sprache nicht blos anders klingen,
sondern wesentlich verschieden gebaut werden müssen: letzte-
res sowohl desswegen, damit sie die Schönheit der antiken Vor-
bilder, wenn auch in anderer Weise, möglichst erreichen, als auch
desswegen, damit sie, über die Klippe falscher Nachbildung hin-
weggehoben, wirklich deutsch ausfallen, das heisst der deutschen
Sprache natürlich und angemessen. Schlechterdings muss der
oftgehörte Vorwurf entfernt werden , dass der Deutsche aus blin-
der Nachahmungssucht, aus philologischer Schulgelehrsamkeit und
aus Mangel an eigener Schöpferkraft, wo nicht gar unter Verken-
nung der vaterländischen Vorzüge, die Kunst der Griechen und
Römer auf unvolksthiimliche Weise einzubürgern strebe, wie in
anderen Stücken, so auch hier der germanischen Selbstständigkeit
entsagend. Es muss überzeugungsvoll, praktisch sowohl als theo-
retisch nachgewiesen werden, dass die Muttersprache keine frem-
den Fesseln auf sich lade, wenn sie das Kunstgewand der Alten
anziehe, dass sie vielmehr zum eigentlichen und wahren Glanz,
dessen sie fähig sei, durch jene unübertrefflichen Forramuster ge-
lange, ohne irgend einem gerechten Vorwurfe sich auszusetzen.
Damit dies gelinge, ist es nöthig, dass man darthut, eine blinde
Nachahmung der Allen sei nicht beabsichtigt, im Gegentheil
strebe man dahin, die vorgefundenen Maasse der antiken Poeten
selbstständig auszubilden. Und stellt man diesen Grundsatz auf,
so folgt, dass es durchaus fehlerhaft sein würde, wenn Jemand ein
antikes Maass, trotz des natürlichen Widerstrebens der Sprache,
einzig und allein desswegen gerade so, wie es die Griechen und
Römer aufweisen, mit Hartnäckigkeit nachzirkeln wollte, um sagen
zu können, dass sein Vers dem antiken, natürlich blos äusserlich,
vollkommen entspreche.
Ref. maasst sich das Verdienst an (wenn es anders eine Än-
maassung ist , eine neue Erfahrung zur Anerkennung zu bringen),
zuerst in seinem ,, Lehrbuche der deutschen Prosodie und Metrik*'
auf diese Unterscheidung zwischen antiker und moderner Vers-
baukunst hingewiesen und die selbstständige Ausbildung der deut-
gehen Sprache gefördert zu haben. Er glaubt mit diesem Grund-
satze allen Vorwürfen , wie sie noch in den letzten Jafirzehnten
sich geltend machten, wenigstens in den Augen der Sachverstän-
digen und der nachwachsenden Jugend, welche die Dichtkunst mit
Ernst zu pflegen gesonnen ist, begegnet zu sein. Hr. Gödeke
wird gewiss der Erste sein, der einer solchen Einführung antiker
Kunstform seinen Beifall nicht versagt. Indem daher Ref. sich
begnügt, nochmals auf diesen, für die deutsche Sprache so wich-
Gödeke: Deutschlands Dichter von 1813—1843. 287
tigen Umstand aufmerksam gemacht zu haben, übergelit er einzelne
Ausstellungen an der trefflichen Abliandlung dieses Buches, die
ohnehin nur unbedeutende Dinge aufstechen würden, und wendet
sich zur vorliegenden Gedichtauswahl selbst, welche uns mit der
gegenwärtigen Blüthe der deutschen Dichtkunst näher bekannt zu
machen die Aufgabe sich gesetzt hat.
Ks braucht kaum gesagt zu werden, dass dieses Buch seinem
Zwecke Genüge leiste und Jedem zu empfehlen sei, der eine
Liebersicht der poetischen Kräfte, welche seit Deutschlands Be-
freiung aus französischer Oberherrschaft thätig gewesen sind, und
des gesammten Zustandes, worin sich dermalen die deutsche Poe-
sie befindet, mit möglichst geringem Zeitaufwande sich verschaf-
fen wolle. Hr. Gödeke ist planmässig zu Werke gegangen , und
wir werden seinen Plan nicht anders als billigen können. Lassen
wir ihn selbst darüber sprechen. Die Anordnung des gesammel-
ten Soff es , sagt er in einer Zueignung an Gustav Schwab, folgt
den (wie mir scheinen will) einfachsten Grundsätzen. „Die Dich-
ter desselben Landes stehen gruppenweis zusammen; diejenigen,
welche vorzugsweis politischen Charakters sind, wurden in einem
besonderen Abschnitte nach der Reihenfolge ihres Auftretens ver-
einigt. Dass ich häufig die Dichtungen politischen Inhalts von den
übrigen desselben Autors trennen musste, dünkt mich kein so
grosser üebelstand, als wenn ich durch andere Anordnung den
leichten und klaren Ueberblick gestört hätte. Eine durchgreifende
Zusammenstellung nach den Winken der Chronologie brächte Ver-
wirrung; die schwankenden und unzulänglichen Begriffe von poe-
tischen Schulen konnten nicht binden, zumal alle Dichter unseres
Zeitraumes nur einer und derselben Schule angeliören; am wenig-
sten mochte ich mich durch Rücksichten auf metrische und stro-
phische Fügungen leiten lassen (Ref. meint, dass dies schon wegen
dermaliger Armuth an Material unthunlich gewesen wäre); die
lyrischen Gattungen endlich, die sich in der Theorie prächtig
ausnehmen, flechten sich in der lebendigen Vegetation so durch-
einander, dass man einzelne Zweige nicht ohne Einbusse heraus-
reissen kann. Die Vortheile meiner Anordnung, die besonders
bei den Elsässern deutlich und selbstredend hervortreten, möchte
ich mit keiner anderen vertauschen."
Für diesen Zeitraum wenigstens hält Ref. Hrn. Gödeke's An-
sicht für die allein richtige und zweckmässige; sie wird überdies
vom Herausgeber in der Einleitung noch näher begründet. Im
Allgemeinen sagt er dort , dass er , so lange er sich mit der genaue-
ren Kenntniss von Deutschlands Dichtern beschäftigt habe, immer
sein Augenmerk darauf gerichtet, die charakteristischen
Merkmale der Einzelnen aufzusuchen. Die Abspannung und
der Ueberdruss, welche gar leicht entstünden, wenn man aus poe-
tischen Werken immer nur die Glanzstellen heraussuche und im
Genuss derselben schwelge, würde durch eine solche Aufführung^
2S8 Deutsche LItteratur.
am siclicrsten vermieden; die Beschäftigung mit den Erzeugnissen
der Poesie sei dann nicht ein blosses passives Aufnehmen, bei wel-
chem der Verstand nichts und oft nur das Ohr etwas zu thun liabe,
sondern ein wirkliches Studium, das alle Geisteskräfte gieich-
raiissig. das heisst stärkend und erkräftigend anspanne. Und solch
ein Studium fromme am meisten. Wenn es aber blos darauf an-
komme, schöne gelungene meisterhafte Gediclite zu sammeln, so
sei die Aufgabe bequem; denn es bediirfe da weder einer Be-
schränkung auf ein Land noch auf eine Zeit, sondern nur eines
llerausgreifens dessen, was sich von selbst darbiete, und das Re-
sultat, welches die Betrachtung einer solchen Schatzkammer un-
ordentlich zusammengestellter Kleinode ergebe, sei eben kein an-
deres als die von vornherein zu erwerbende Gewissheit, dass der
dichtende Geist von Homer bis auf die heutige Stunde viel Schö-
nes, Gelungenes und Musterhaftes hervorgebracht. Ein Aufmerken
auf die Eigenart und die Besonderheit der Dichter und ihrer
Werke lehre aber mehr kennen, als blosse Schönheiten, und gebe
ein Bild, das mehr enthalte als blossen Stoff zum Amüsement.
Mit Recht bemerkt der Hr. Verf. weiter, dass esfi'ir eine ge-
wöhnliche Anthologie, dergleichen wir bereits genug besitzen,
genügt haben würde, blos einige nach Willkür gesammelte Lieder
und Romanzen drucken zu lassen; ihm jedoch kam es vor allem
auf die Eigenthümlichkeit der hier verzeichneten Poeten an, um
ein richtiges Bild sowohl der Gesammtheit der Dichter als jedes
einzelnen zu liefern. Er versichert, und die Leserwerden es be-
stätigt finden, dass er durchgängig aus den Quellen selbst ge-
schöpft hat, aus den ursprünglichen, zum Theil handschriftlichen
Texten, nicht selten auch unter Vergleichung mehrerer Ausgaben,
kurz, man erblickt überall philologische Strenge, Sorgfalt und
Gewissenhaftigkeit neben möglichster Berücksichtigung der ge-
scliichtlichcn Seite. Dabei bietet seine Auswahl nicht zu viele
Proben, eher bisweilen zu wenige; und da sich überall eine ord-
nende Hand, Nachdenken, ürtheil, Absicht und Geschmack offen-
baren, unterscheidet sich diese Sammlung vorthcilhaft von so
manchen andern, und wir können dem Verf. zugestehen, dass das
Buch, wie es vorliegt, von Anfang bis zu Ende seine Arbeit,
seine Schöpf u ng ist. in der That, keine geringe Empfehlung
für ein derartiges Werk!
Herr Gödeke hat also, wie oben bemerkt, die Dichter die-
ses Zeitraums nach ihren Geburtsorten und nach Ländern zusam-
mengestellt, ohne sich jedoch mit Aengstlichkeit an die eigent-
lichen, oft zufälligen Geburts&tätten zu binden, da manche auch
ausserhalb Deutschlands Grenzen gelegen waren, und ohne bei
der Bezeichnung der Länder mit pedantischer Strenge die politi-
schen Grenzen der Gegenwart zu beobachten. Er zog mit richti-
gem Takt die ältere auf Volks- und Stammeigenheiten gegründete
Einthcilung vor. Auf diese Weise linden wir folgende Haupt-
Gödeke: Deutschlands Dichter von 1813—1843. 289
gruppen der 131 Dichter: eine westpliälische , rheinische (elsäs-
sisclie^ hessische, badische, bairische, schweizerische, so weit diese
Ländchen den Rhein umsäiimen, zur eigentlich rheinischen hinzn-
gerechnet), schwäbische, bairische, österreichisclie, schlesisclie,
sächsische, preussische, niedersächsische; an welche neun Haupt-
gruppen eine zehnte, welche ohne Rücksicht auf Land und Ge-
burt Zeitgedichte oder politische Gesänge umfasst, ange-
schlossen worden ist. Ueberall trug Hr. Gödeke Sorge, an die
Spitze der einzelnen Abschnitte bezeichn en de Gedichte zu
stellen; selbst bei den einzelnen Dichtern verwendete er ein be-
sonderes Augenmerk darauf, die Beziehung zwischen Heiraath
und Gedicht hervorzuheben; auch sei, bemerkt er, allen Dichtern
desselben Erdstrichesein gewisses Element gemeinsam, wie den
Westphalen z. B. der Hang zur poetischen Malerei. Natürlich
sind Dichter, die zu unbedeutend waren oder doch noch keine
abgerundete poetische Persönlichkeit zeigten, übergangen wor-
den; seine Unpartheilichkeit sowohl als seine Umsicht und Bele-
senheit in diesem Punkte verdient hohes Lob. Am ergiebigsten,
sagt er in der Einleitung, wo er sein ürtheil über die einzelnen
Gruppen zusammenfasst, sei der Rhein gewesen; er spiegele in
seinem ausgedehnten Laufe alle Gestaltungen, welche die lyri-
sche Poesie im besprochenen Zeiträume angenommen habe, von
der dunkeln finstern Miene Schenk's bis zu der ewig lachenden
Heine's. Auf beiden Ufern wohne ein Volk von Dichtern, denen
nur Eines fehle, der vereinende Mittelpunkt, und fast keine Stadt
liege am Rheine oder in seinem nahen Bereiche, die nicht einen
Dichter eigenthümlicher Bildung aufzuweisen habe.
Mit Verwunderung lesen wir dagegen, wenn er sagt, dass
nur bei Sachsen, d. h. den gesammten sächsischen Landen, eine
sichtbare Armuth hervortrete, die ihren Grund zum Theil darin
habe, dass die Litteratur nirgends mehr aus äusseren Rücksichten
betrieben werde als gerade hier, wo der zusammengedrängte Jour-
nalismus und Buchhandel die stillere, bescheidene und genügsame
poetische Thätigkeit zurückdrängten oder irre leiteten. Es hät-
ten freilich auch viele Sachsen Verse und Lieder drucken lassen,
aber wenige würden sich oben erhalten; und von diesen werde er
seiner Zeit gehörig Rechenscliaft zu geben wissen. Ob Hr. Gö-
deke recht urtheilen niagl Er fuhrt aus sächsischem Landesbe-
zirk, da wir Namen wie Karl Barth, der berühmte Kupferstecher
aus Eisleben, und Prinz Albert (Gemahl der Königin Viktoria)
und Erbprinz Ernst von Sachsen-Koburg-Gotha nicht füglich rech-
nenkönnen, nicht mehr als sechs Poeten auf, Julius Mosen aus
dem Voigtlande, Adolf Peters angeblich aus Dresden, Wilhelm
Müller aus Dessau , Adolf Bube aus Gotha, L. Bechstein aus dem
Meiningischen und P. H. Welcker aus Gotha; von welchen Adolf
Peters, geboren in Hamburg, nicht unter diese Abtheilung gehört,
während an seine Stelle der ganz sächsische, blos durch einen
A'. Jahrb. f. Phil. u. Tüd. od. Krit. liibl. Bd. LVHI I/ff. 3. 1^
290 Deutsche Littcratiir.
Irrthum unter Preiisscn aufgcnoramene Karl Förster aus Nauni-
bur«' gesetzt werden musste. Diese weiten Landstriche, in wel-
chen doch fast jeder zehnte Mann ein Dichter ist oder zu sein
«»laubt, ohne die vielen Frauen, welche schril'tstellern und Verse
wenigstens fürs Haus machen, boten kaum ein halbes Dutzend
solcher Poeten, welche dem Verf. nennenswerth erschienen! Ilr.
(iödeke mag vollkommen Recht haben, doch hätte er wohl die
Masse der sächsischen Dichter, besonders in Dresden, am schö-
nen Strande der Elbe, in Rücksicht auf andere deutsche Gebiets-
theile nicht unterschätzen sollen. Wie gross diese Masse sei,
kann man aus folgender Anekdote sehen Ein gelehrter Fremder,
der einstmals nach dem deutschen Florenz verschlagen worden
war, speiste an der königl. Tafel zu Pillnitz; das Gespräch war
auf Litteratur gefallen und der Fremdling sah sich veranlasst, sei-
nen Nachbar, einen bekannten Dichter, um den Namen desjeni-
gen, der ihm zur Linken sass, zu befragen. „Das ist der Dichter
Herr von X., den Sie wohl kennen!"" Aber wer sitzt mir gegen-
Viber*? erkundigte sich der Gast weiter. „Das ist der Baron von
M., der bekannte Dichter.'^ Und die Nachbarin desselben*? „Das
ist die gefeierte Dichterin Gräfin von S." Erstaunt über diesen
Reichthum an sächsischen Musen, stellte der Gelehrte seine Fra-
gen ein und dachte dariiber nach, wie es kommen möge, dass
selbst der beste Dichterin Deutschland grosse Mühe habe, bekannt
zu werden oder einen berühmten Namen zu gewinnen.
Doch lassen wir das dahingestellt. Sind Sachsens Gefilde
wirklich an Poeten so arm, wie es den Anschein hat, wenn blos
wahres Talent und Eigenthümlichkeit in Frage kommen, so kön-
nen sie sich mit Oesterreichs Völkern trösten. Denn diesen lässt
Hr. Gödeke kein grösseres Heil widerfahren. Oesterreichs
zahllose Poeten, sagt er, in genauerer Repräsentation einzuführen,
habe ihm nicht rathsam geschienen. Die meisten führten nur ein
Leben in den Wiener Buchhändlergewölben; von den wenigen, die
mit knapper Noth über die Grenzen des Kaiserstaates heraus-
dringen, werde man hinreichende Portraitskizzen finden, von den
bedeutenden aber keinen vermissen. Baiern ferner mit einem
Theil von Franken erscheine numerisch sparsam bedacht, da es
nur vier Namen aufführe ; intensiv sei es dagegen durch Rückert
und Platen desto stärker vertreten. Zunächst haben ihm dann
Schwaben, von welchem man eine Zeitlang geglaubt, als zeuge
nur dieser Landstrich noch wirkliche Poeten, und die sogenannte
niedersächsische Flur den reichsten Stoff zur Auswahl ge-
liefert: Schwaben 17, letzteres Gebiet 15 Dichter.
Jedem einzelnen Dichter schickt Hr. Gödeke eine kurze Bio-
graphie sammt einer bald ausführlicheren, bald gedrängteren
Beurtheilung sämmtlicher seitheriger Leistungen voraus. Sieht
man sich auch veranlasst, ihm nicht in allen Punkten seiner Ab-
schätzung beizustimmen , so wird man doch zugestehen müssen,
}
I
Richter: Lehrbuch der Planimetrie. 291
dass seiner Darstellung ein redliches Streben nach Wahrheit zu
Grunde liege, und dass er hierin den modernen Kritikern, die
nach Koterien urtheilen, nicht ähnele. Wir schiiesscn diese An-
zeige mit der festen üeberzeugung, dass ein Werk dieser Art
grossen Nutzen stiften müsse und tiefer einzudringen geeignet sei,
als eine kahle Litteraturgeschichte, welche des lebendigen Inter-
esses einerseits häufig ermangelt, andererseits nicht selten aus
hidividuellen parteiischen, wo nicht pedantischen 3Ieinungen zu-
sammengebaut ist. Denn aus dem Gödeke'schen Buche kann sich
im Nothfall jeder Leser, dem die Natur das ürtheil nicht versagt
hat, über Persönlichkeit sowohl als Leistung und Verdienst des
Einzelnen, der hier besprochen und aufgeführt ist, ein eigenes
selbstständiges Urtheil bilden.
Johannes Minckieif^.
Lehrbuch der Planimetrie für die mittleren Classen höherer Lehran-
stalten. Von August Richter. IVlit 2 Tafeln Figuren. Zweite Aus-
gabe. Elbing , Verlag von Neumann - Hartmann. 1848. VIII und
84 S. kl.-8.
Der Zweck, welchen der Verf. bei Abfassung dieser Schrift
verfolgte, war nicht, ein vollständig ausgearbeitetes Lehrbuch,
sondern einen Leitfaden zu geben, welcher unter Anleitung des
Lehrers bei mehr oder weniger ausgeführten Andeutungen die
Thätigkeit des Schülers wecken und beleben, sein Nachdenken
schärfen und ihn so allmälig zum Selbstfinden heranbilden sollte.
Demnach ist der auf dem Titel stehende Ausdruck: Lehrbuch
selbst nach des Hrn. Verf. Ansicht nicht passend gewählt; wir
möchten aber die vorliegende Schrift nicht einmal für einen eigent-
lichen Leitfaden erklären; sie führt in dieser Beziehung hier und
da zu viel ins Einzelne aus und berücksichtigt andererseits den
Innern systematischen Zusammenhang der geometrischen Wahr-
heiten nicht genug. Ein Leitfaden soll unserer Ansicht nach nur
eine Anzahl fester Hauptpunkte bieten, an welche der Unterricht
sich anlehnen kann ; aber diese Hauptpunkte müssen nicht isolirt
daliegen und dem Anfänger auch nicht wegen der mathematisclien
Zeichensprache, in der sie gegeben sind, als sterile Höhen er-
scheinen, sondern sie müssen durch sicher vorgezeichnete Linien
unter sich verbunden sein, und die überzeugende Kraft der freien
Rede muss dann dahin wirken, dass sie vor Allem in der Seele
des Schülers Leben und Existenz gewinne, so dass mit ihnen zu-
gleicli die Haltpunkte gewonnen sind für das unendliche Detail
der geometrischen Gebilde und Gesetze. Wir leugnen nicht, dass
Hr. li. in Stoff und Form manches für der Schüler sehr
19*
292 Mathematik.
Brau eil bare bi etet, dass aber sein Buch die streu <;e Disposi-
tion und Gedrängtheit, namentlich die Ucbersichtlichkeit eines
Leitfadens vermissen lässt, wird aus unseren folgenden Bemerkun-
gen sich mittelbar leicht folgern lassen.
Der erste Abschnitt des ,, Lehrbuches" soll der Ueberschrift
nach Erklärungen geben. Sieht man genauer zu, so findet man
die in den sogenannten Einleitungen mathematischer Lehrbi'icher,
welche statt der festen Fundamente eines consequenten Systems
oft nur einzelne Grundsteine mit andern aus dem Gebäude selbst
herausgefallenen vermengt enthalten^ gewöhnlich hingestellten
Axiome, eine Anzalil Lehrsätze, viele Aufgaben und nur eine
etwas bedeutendere jMenge von Erklärungen, als den anderen Ab-
schnitten des Werkes eingefi'igt ist. Die Geometrie wird hier die
Lehre vom Räume genannt; es scheint uns genauer, sie die Wis-
senschaft von den llaumgrössen, von ihrer Entstehung und ihren
Gesetzen etc. zu nennen. Gleich nachher ist von Constructionen
die Rede, ohne dass dieses Wort erklärt worden wäre. Von Par-
allellinien wird gesagt, dass sie von einer dritten Linie gleiche
A b weich ung hätten, während erst später bei der Betrachtung
des Winkels die Abweichung erklärt und somit gegen den syste-
matischen Fortschritt Verstössen wird. Der Verf. fügt noch zu,
dass die Parallelen einander nie treffen, so weit man sie auch ver-
längert. Wir wissen wohl, dass in der ebenen Geometrie, soweit
sie dieses Lehrbuch betrachtet, wenig Anlass gegeben wird, die
Vorstellung von dem unendlich entfernten Punkte weiter zu ver-
folgen; aber sie ist, sobald man nur versucht, die einfachsten
Raumsebilde aus einander zu entwickeln und nicht in starrer Ruhe
aufzufassen, der Consequenz wegen kaum entbehrlich, in der Be-
trachtung der Kegelschnitte (z, B. bei der Parabel mit ihrem im-
endlich fernen Brennpunkte), sowie der stereometrischen Gebilde
ist sie aber längst vollkommen gerechtfertigt. — Den Winkel er-
klärt der Verf. als die gegenseitige Abweichung zweier von einem
Punkte auslaufenden Linien. Abgesehen davon, dass der sehr
unbestimmte Ausdruck ,, Abweichung" selbst wieder einer Erklä-
rung bedarf, so ist durch das FJpitheton ,, gegenseitig" die Unter-
scheidung des positiven und negativen Winkels ganz verwischt.
Der Winkel erscheint uns als die Grösse der Drehung, welche aus
einer Richtung in eine andere überführt; dabei ist es allerdings
an sich gleich, ob man von dem Schenkel a zu dem Schenkel h
oder von b zu a übergeht; hat man aber einmal einen Uebcrgang
gewählt, so ist keine Gegenseitigkeit mehr denkbar, jedes Zurück-
drehen führt zur Negativ itat. — Die Winkeleintheilung (p, 7) ist
nicht vollstärjdig durchgefiilirt, ferner ist fp. 8) die (ebene) Figur
als eine allseitig: begrenzte PJbene erklärt. Demgemäss wären
viele der auf den Tafeln gegebenen Figuren gar nicht als die Ab-
bilder ebener P'iguren anzusehen. VV as der Verf. Figur nennt,
würden wir ungefähr einfache Figur nennen, obgleich auch bei
Richter: Lehrbuch der Planimetrie. 293
Oieser der Begriff der vollkommenen Begrenzung: nicht der we-
sentliche ist. — In §. 28 fiel es auf, dass in einem reclitwinkligen
Dreieck die Hypotenuse gewöhnlich als Basis betrachtet werden
solle. In der praktischen Geometrie, wo die geschickte Wahl so-
wohl der Dreiecke selbst als ihrer Grundlinien allerdings oft sehr
wichtig ist, würde ein solcher Usus schwerlich nachzuweisen sein.
Die im folgenden §. erklärten äusseren Winkel sind seltsamer
Weise nur am Dreieck einer besonderen Betrachtung gewürdigt,
üeberhaupt wird in der Disposition des ganzen Buches eine scharfe
Consequenz vermisst. So z. B. ist der zweite Abschnitt ,, Linien
und Winkel'"'' überschrieben, und es ist doch nachzuweisen, dass
bereits der erste hierunter gehörenden Lehrstoff — nicht etwa
blosse Erklärungen — geboten hat. Umgekehrt giebt der zweite
Abschnitt, z. B. gleich der erste §., Beweise, welche zu viel vor-
aussetzen. So wird in dem angeführten Paragraphen die Kennt-
niss der Winkel-Theilung, so wie ihrer Addition und Subtraction,
stillschweigend vorausgesetzt. Doch nicht blos die Anordnung
des ganzen Buches, sondern auch die Form der Darstellung ist
öfters, wie uns scheint, ganz verfehlt. Es ist ein grosser Vorzug
fast aller mathematischen Werke der Franzosen, dass sie selbst in
dem gedrängten, fragmentarischen Vortrage kurzer Compendien
eine gewisse Eleganz und Sicherheit des Ausdrucks, jedenfalls
eine grosse Klarheit und Reinheit der Sprache zu entfalten wissen.
Man vergleiche nun , ohne irgend grosse Anforderungen stellen zu
wollen, Sätze wie folgende: „p. 9, 30. Ein Parallelogramm ist ein
Viereck, dessen jede zwei Gegenseiten parallel sind, — p. 12, 47.
Aufgabe. An einer gegebenen geraden Linie in einem gegeb.
Punkte einen gegeb. Winkel anzutragen. — Auflösung. 1) der
Transporteur. 2) vermittelst gleicher Kreisbogen etc. — p. 28, 113.
5, Die Parallelogramme . . stehen auf derselben Grundlinie . . .:
so wird behauptet, — '* und letztere Construction sehr häufig; —
„ein Kreisabschnitt, der eines gegebenen Winkels x fähig ist.**^
Nachdem die Paralleltheorie nur skizzirt worden, geht der
Verfasser im dritten Abschnitt zu den Eigenschaften des Dreiecks
über. Hier findet man Erklärungen und Constructionen, welche
gar nicht in dies Capitel aufzunehmen waren. Oder soll man in
den abgegrenzten, schon Vibcrreichen Lehrstoff eines solchen Ab-
schnittes noch eine bedeutende Menge praktischer und unprakti-
scher Folgerungen aufnehmen'? Der Verf. erlaubt sich dies ohne
viele Bedenken. Er spricht sogar §. 72, 6 von dem Halbkreise,
§. 66 von gleichen Figuren , ohne dass die Gleichheit vorher er-
wähnt worden wäre. Die geometrische Gleichheit kommt über-
haupt in dem ganzen Lehrbuche zu keiner rechten Würdigung. —
Bei dem Ablesen der Linien behandelt der Verf. die Stellung der
Buchstaben sehr gleichgültig; er sagt: man verlängere BC um BD,
worunter Ref. versteht, dass BD an C in der Richtung BC ange-
setzt werde. — Der vierte sehr kurze Abschnitt verspricht danach
294
Mathematik.
die Eiffenscliaftcn des Vierecks zu geben. Das Wichtigste aher,
was Ilicr gelelirt wird, sind Parallciilälssätzc. Der ganze Stoff
ist sehr lose aneinander gefiig:t, ohne dass auf die Grundidee des
Vierecks und Vierscits irgend Rücksicht genommen wäre. Die
Ergänzungen an der Diagonale eines Parellelogramms nennt der
Verf. kurzweg Ergänzungen des Parallelogramms (§. 99), Im
§. 102 stellt er den Lehrsatz auf, dass, wenn in einem Viereck
li Gegenseiten gleich und parallel sind, dasselbe ein Parallelo-
gramm sei. Dieser Satz ist eben so wenig allgemein richtig, als
der oft aufgestellte Kreissatz, dass 2 gleiche Kreisbogen abschnei-
dende Sehnen einander parallel sein müssten. Auffallend er-
schien uns auch die vom Verf. gewählte Bezeichnung des Recht-
ecks: OAU . BC oder Q AB x BC, da sie arithmetische und geo-
metrische Symbole mit einander vermischt. — Die im §. 106
gegebene Aufgabe: Eine gegebene Linie in n gleiche Theile zu
theilen, gehört gar nicht in die Vierecksätze. — Der fünfte Ab-
schnitt geht oder springt zur Gleichheit der Parallelogramme und
Dreiecke über. Auch hier könnte man an der Fassung mehrerer
Paragraphen, besonders vom pädagogischen Standpunkte aus, Man-
ches geändert zu sehen wünschen, z. B. wenn §. 118 ein Lehr-
satz wegen seiner Wichtigkeit für die gesammte Mathe-
matik der pythagoreische genannt worden sein soll. In den
Aufgaben am Ende vermissen wir strenge Ordnung. Einigemale
werden auch Aufgaben gestellt, welche geradezu den Stoff eines
kurz vorher gegebenen Lehrsatzes in kaum veränderten Worten
wiederholen. Vergl. z. B. 217 und 219. — Es folgen im sechsten
Abschnitt die Eigenschaften des Kreises. Gehört wohl die Frage:
„Wenn Ungleiches von Gleichem weggenommen wird, wo bleibt
der grössere Rest^*' in die Kreissätze eines Lehrbuches oder in
den mündlichen Vortrag des Lehrers*? Es ist gewiss im münd-
lichen, heuretischen Vortrage sehr passend, dass jede Gelegen-
heit, auf frühere, oft scheinbar fernliegende Sätze Bezug zu
nehmen und stets auf die Abhängigkeit der Theoreme hinzuwei-
sen, ergriffen werde; unpassend aber ist es, jede nur irgend zu
benutzende Andeutung dieser .'\rt sogleich in das gedruckte Lehr-
buch aufzunehmen. Dass das regelmässige Vieleck (warum „das
reguläre Polygon*?'*) erst in den Kreissätzen eine F]rklärung findet,
erscheint uns ebenfalls unpassend. Es wird erklärt als eine Figur,
welche gleiche Seiten und Winkel hat. Dieser Erklärung gemäss
kann man z. B. in das regelmässige Fünfeck oder in die 2 durch
5 in dem Kreisumfange regelmässig liegende Punkte gegebenen
Fünfecke 2 Kreise einschreiben (§. 165 ist nur von einem die
Rede). — Ergänzungen zu allen früheren Abschnitten sind da-
nach für berechtigt gehalten worden, einen eigenen Abschnitt zu
bilden. Wenn es der Platz erlaubte, auf viele P^inzelnheiten ein-
zugehen, so könnte man erstens leicht rjachweisen, dass der Stoif
dieser Ergänzungen wohl füglich in den früheren Abschnitten
Richter: Lehrbuch der Planimetrie. 295
seine Stellen finden konnte und dass er hier sehr fragmentarisch
zusammengehäuft ist. § 171 heisst es: „Wenn 2 gleiche Winkel
einander am Scheitelpunkt entgegengesetzt liegen und das eine
Paar der Schenkel eine gerade Linie bildet: so liegt auch das an-
dere Schenkelpaar in gerader Linie.*"^ Eine entgegengesetzte Lage
der Winkel scheint dem Ref. nur aus einer entgegengesetzten
Drehung hervorgehen zu können. Er kann sich also der Voraus-
setzung nach nur zwei gleiche aneinander stossende Winkel den-
ken, welche nur im Falle, dass sie rechte sind, der Behauptung
entsprechen.
Der achte, die Aelinlichkeit der Figuren beliandelnde Ab-
schnitt, zieht eine Menge von Sätzen über Proportionalität, Gleich-
heit, sogar Maassverhältnisse und Kreissätze herbei, welche die
Aehnlichkeitssätze nur vorbereiten oder sonst lose mit ihnen zu-
sammenhängen. Auf die Aehnlichkeitstheorie wird dagegen fast
kein Bezug genommen. Das Verhältniss der gleiche Höhen, aber
verschiedene Grundlinien besitzenden Figuren lässt sich an dem
Parallelogramm einfacher zeigen als an dem Dreieck. — Der
neunte Abschnitt giebt ein sehr kurzes Fragment über reguläre
Figuren, eigentlich nur einige constructionelle Aufgaben. End-
lich im zehnten Abschnitt folgt die dem Schüler vor Allem an-
schauliche Ausmessung, in welche manche von den früheren Sätzen
gehört hätten. In der Kreismessung wird der Werth von % ge-
radezu hingestellt und erst nachher eine nicht eben elegante Be-
rechnung dafür gegeben. Bei der Berechnung des dem Kreise
eingeschriebenen regelmässigen Zehnecks, wo bekanntlich die
Zehnecksseite (für r= 1)= — ^ gefunden wird, beraubt
der Verf. die streng richtige Formel ihrer Allgemeinheit und ver-
bannt ohne ürtheil und Recht den negativen Wurzelwerth,- als
ob die Zehnecksseite nicht in ihrem absoluten Werthe grösser sein
könnte als der Radius! Bildet denn, wenn man die 10 in dem
Kreisumfange regelmässig liegenden Punkte mit den Ziffern 1 bis
10 bezeichnet, der Zug: 1—2—3—4— . . .—10—1 allein e\\\
Zehneck *? Was ist denn 1_4— 7 — 10— . . . —8—1? Und ist
hier die zu einem Mittelpunktswinkcl von 108^ gehörende Sehne
nicht etwa genau ^=1 )L — IL — ? Ist endlich ausser diesem Zehn-
2
eck noch irgend ein drittes möglich*? Warum soll also, wenn ein-
mal die Gleichung zwei Werthe giebt, der Schüler nicht auf die
Bedeutung derselben aufmerksam gemacht werden, wenn auch der
zweite Werth den gewöhnlichen mathematischen Lehrcursen nach
Euklidischer Methode mitunter etwas unbequem sein sollte*? Es
wäre überhaupt sehr zweckmässig gewesen, wenn viel früher auf
die so wichtige, die Vorzeichen bedingende Lage der Linien,
Dreiecke 11. s, w. aufmerksam gemacht worden wäre, von welcher
296
Schul - und Universitätsnachrichten,
wir selbst in dem kurzen Abrisse der alp^ebraischen Geometrie,
welclier das Lelirbiich beschlicsst, erst nachträglich und nebenbei
eine unvollständige iNotiz crlialten.
Unter den auf 2 Tafeln sehr eng und klein lithographirten
Figuren sind viele ganz geeignet, den Anfänger an ein flüchtiges
Zeichnen zu gewöhnen. Fig. 9 ist ganz unverständlich, die wich-
tige Figur zum Pythagoreischen Satz höchst ungenau. Auch die
Zaiil der Druckfehler wächst zu einiger Bedeutung Iieran , wenn
man das liäufige Auslassen der Klammern, z. B. in p . p— 2a . p —
2b . p — 2c, wie billig, hierher rechnet.
Rudolstadt. O. Böttger.
Schul - und Universitätsnachrichten ^ Beförderungen
und Ehrenbezeigungen.
KÄISERTHUM OESTERREICH. Bei den vielfachen Neuge-
staltungen im österreichischen Staate durfte und konnte natürlich das
Unterrichtswesen , die Grundbedingung jeder gedeihlichen Entwickelung
des Volkes, nicht ausser Acht gelassen werden, und um so weniger, als
sich auch dort schon länger das ßedürfniss von Reformen geltend gemacht
hatte. Dies Letztere entnehmen wir aus der bereits 1838 geschriebenen,
aber erst 1849 erschienenen Schrift von J. Arneth (Generaldirector der
Gymnasialstudien im Lande o. d. E.): „Bemerkungen über die Mängel
der österreichischen Gymnasialeinrichtung und Vorschläge zur Verbesse-
rung derselben, Linz, 8., in welcher mit Klarheit, aber besonnener Wür-
digung das an der gesammten Einrichtung, wie an der angenommenen und
fast allgemein gewordenen Unterrichtsmethode zu Rügende herausgestellt
und mancher beherzigenswerthe Fingerzeig zur Organisation gegeben
■wird. Zur Vergleichung mit dem von der Regierung aufgestellten, aus-
führlich zu besprechenden Entwürfe theilen wir hier nur den von ihm
S. 37 aufgestellten Lectionsplan mit:
I. Vorbereitungsciasse.
Relig. Geogr. u. Gesch. Arithm. Deutsch. Rechtschr. Schönschr. Lat. Sa.
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II. Gymnasium.
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Beförderungen und Ehrenbezeigungen,
297
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Bewundernde Anerkennung verdient, dass die Regierung mitten unter
den furchtbaren Stürmen des Kriegs und bei der schnellen , die gewaltig-
sten Anstrengungen erfordernden Umwandlung in allen Theilen der Ver-
waltung und des Staatswesens bereits so Viel für jenen Zweig thun konnte,
wie gegenwärtig uns vor Augen liegt. Zwar waren durch die Bestre-
bungen des übrigen, namentlich des nördlichen Deutschlands eine IMenge
von Unterlagen gegeben, deren Benutzung das Geschäft wesentlich zu
erleichtern vermochte; allein bleiben schon an und für sich die Aussichtung
des Wahren vom Falschen, des Gediegenen vom Schlackigen, des Aus-
führbaren vom Unmöglichen, die Anpassung des Neuen an gegebene be-
sondere Verhältnisse und die schonungsvolle Berücksichtigung des Einge-
lebten und Festgewurzelten schwierige Aufgaben, so gestalteten sich
dieselben für Oesterreich noch schwerer, indem es hier galt, den mannig-
faltigsten und verschiedenartigsten Interessen und Verhältnissen Rech-
nung zu tragen , ohne sich von ihnen beherrschen zu lassen , Einheit in
der Vielfältigkeit zu schaffen und auch durch das Unterrichtswesen eine
engere Einigung der getrennten Nationalitäten anzubahnen, ohne sie
selbst in ihrem Bestehen zu kränken. Aus diesem Gesichtspunkte ist der
Entwurf der Organisation der Gymnasien und Realschulen in Oesterreich
zu beurtheilen, welcher, nachdem über einen vorher mitgetheilten Plan
die Gutachten der Gymnasialdirectionen eingeholt und ausführliche Be-
rathungen gepflogen waren, von dem Ministerium des Cultus und Unter-
richts (Wien, 4. 260 S.) veröffentlicht worden ist. Indem Ref. den-
selben einer ausführlichen Besprechung unterwirft, will er nicht die Ver-
fasser meistern, sondern durch seine Bemerkungen nur die Theilnahme
beweisen, welche er ihm geschenkt. Zuerst muss er im Allgemeinen
anerkennen, dass das Ganze, aus so mannigfaltigen Bestandtheilen auch
es zusammengesetzt ist, dennoch von einem selbstständigen. Alles ord-
nenden und beherrschenden Geiste zeugt und dass zwar den allgemeinen
Wünschen und Ansichten möglichst Beachtung geschenkt, aber auch con-
sequent alles dem angenommenen Principe Widersprechende ausgeschie-
den ist.
Der Entwurf zerfällt in zwei Haupttheile , den Gymnasialplan (S. I
bis 216) und den Realschulplan (S. 217 — 258), wobei zu bemerken, dass
in dem letzteren vielfach an das im ersteren Gegebene angeknüpft und
daraus die verhältnissmässig viel kürzere Behandlung erklärlich ist. Der
Gymnasialplan enthält zuerst den eigentlichen Organisationsentwurf in
298 Schul- und Univcrsitätsuachiichten,
kurz gefa-<stoii Paragraphen, sodann in einem Anhange sechzehn ausführ-
liche Instructionen und F>örterungen über einzehie besonders wichtige
Punkte.
Derselbe beginnt, wie natürlich, mit den allgemeinen Bestimmungen.
,^. 1 giebt den Zweck der Ciymnasien dahin an, dass sie 1) eine höhere
aligemeine Hildung unter wesentlicher Benutzung der alten classischen
Sprachen und ihrer Litteratur gewähren und 2) hierdurch zugleich für
das Universitätjistudium vorbereiten sollen. Da die Realschulen eine all-
gemeine Bildung ohne wesentliche Benützung der alten classischen Spra-
chen gewähren sollen, so erkennt man die mit dem Ausdrucke ,, wesent-
lich" verbundene Bedeutung; es soll nämlich dadurch das Studium der clas-
sischen S[»rachen als das charakteristische Merkmal der Gymnasien aufge-
stellt werden. An dem Ausdruck ,,eine allgemeine höhere Bildung" hat
Ref. allerdings auch Anstoss genommen, nicht weil er mit Hrn. Mützell
Zeitschrift f. d. Gymnasialwesen IV. 1. S. 3 *) dem Gymnasium nur die
Vorbereitung und Anbahnung einer höheren allgemeinen Bildung zuge-
schrieben wissen will — denn das Gymnasium muss, wie jede andere
Schule, einen bestimmten Abschluss haben — , sondern weil derselbe zu
unbestimmt erscheint, da darunter überhaupt jede sich nur etwas über
das gewöhnliche INlaass der Volksbildung erhebende Bildung verstanden
werden kann. Jedenfalls sollte dadurch den Gymnasien der Charakter
allgemeiner höherer Bildungs-, nicht specieller Fachvorbereitungsanstalten
vindicirt und der Zweck, um dessen willen alle Gegenstände, die alten
Sprachen mit eingeschlossen, auf denselben gelehrt werden, bezeichnet
werden. Da in den später folgenden Einzelbestimmungen das IVIaass der
Bildung fest begrenzt erscheint, so kann man um so leichter dabei Be-
ruhigung fassen, wenn man bedenkt, wie schwierig die Auffindung kurzer,
das Wesen einer einzelnen Bildungsanstalt scharf bezeichnender, Jeder-
mann verständlicher Ausdrücke ist **).
Die Gymnasien zerfallen nach den §§. 8 — 16: 1) in öffentliche, d. h.
solche, welche staatsgiltige Zeugnisse ausstellen und Maturitätsprüfungen
vornehmen können, und zwar a) eigentliche Staatsgymnasien, welche
ganz aus Staatsfonds unterhalten werden, und b) diejenigen bischöflichen
Gymnasien und Gymnasien geistlicher und weltlicher Corporationen,
deren Zeugnisse bisher öfTentliche Geltung hatten; 2) Privatgymnasien.
Durch §. 3 wird Jedem das Recht ertheilt, ein Privatgymnasium zu er-
richten , doch wird dazu die Genehmigung des Unterrichtsministers erfor-
dert und die Gewährung derselben an die Bedingungen geknüpft, dass
einmal die Kinrichtung den Vorschriften des Unterrichtsgesetzes entspre-
che , sodann aber die Subsistenzmittol auf eine Reihe von Jahren voraus-
sichtlich gedeckt seien. Ausserdem bedarf nach den Bestimmungen des
*) Unser geehrter Freund, dem wir für vielfache Anregung und Be-
lehrung dankbar sind, wird uns verzeihen, wenn wir im Folgenden nicht
überall mit Nennung des Namens auf die Punkte aufmerksam machen,
in denen wir mit ihm übereinstimmen cder von ihm abweichen.
♦*) Die Ursache liegt darin, dass alle einen gleichen Zweck haben
und sich nur graduell unterscheiden.
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 299
4. Abschnittes die Anstellung der ordentlichen Lehrer an denselben der
vorgängigen Bestätigung des Landesschulraths. Ref. kann darnach die
Befürchtungen theilen, welche Hr. Mützell a. a. O. S. 3 ausspricht, am
wenigsten aber den österreichischen Entwurf übereinstimmend finden mit
dem der preussischeu Nationalversammlung §. 22: ,, Unterricht zu erthei-
len und Unterrichtsanstalten zu gründen steht Jedem frei. Vorbeu-
gende, beengende Maassregeln sind untersagt." Denn ist
nicht dem Missbrauche vorgebeugt, wenn sogar die Anstellung der
Lehrer an den Privatgymnasien der Bestätigung durch eine Staatsbehörde
bedarf und wenn der Unterrichtsminister erst die Genehmigung ertheilen
muss, demnach dieselbe auch wieder zurück nehmen kann? Ist dem aber
so, sind die Gefahren des Missbrauchs hinlänglich beseitigt, so erkennt
Ref. die Weisheit der Regierung an, welche der Bevölkerung Oesterreichs
durch Gewährung jenes Rechts eine ungemeine VVohlthat gewähi t hat.
Denn schwerlich wird wohl so bald der Staat in allen Reichstheilen so
viele Gymnasien errichten können, dass den Bedürfnissen der verschiede-
nen durch einander wohnenden Confessionen — darauf legen wir ein be-
sonderes Gewicht • — und Nationalitäten vollständig genügt werde, ja es
werden selbst nicht alle volkreichen Städte damit versehen werden kön-
nen , so dass den Einwohnern nur die Wahl bleibt zwischen Entsendung
ihrer Söhne nach entfernten Orten, oder Privatunterricht und Privat-
gymnasium.
Bisher bestanden in Oesterreich ein Gjähriger Gymnasial- und ein
5jähriger Universitätscursus. Die beiden ersten Jahre des letzteren waren
die sogenannten obligaten philosophischen Curse, nach denen erst das
sogenannte Fachstudium begann. Die Vorbereitung zu diesem war dem-
nach zwischen dem Gymnasium und der Universität getheilt. Wenn wir
nun aus Arneth S. 13 — 19 ersehen, dass diese Einrichtung schon lange
bei Manchem Bedenken erregt hatte, so können wir aus der Rechtferti-
gung, zu welcher sich die Verfasser des Entwurfs in den Vorbemerkungen
5. 2 und 3 wegen ihrer Abänderung gedrungen gefühlt haben, entneh-
men, dass sich doch auch viele Stimmen für ihre Beibehaltung erhoben
haben. Ganz richtig sind die Obligatcurse als unvereinbar mit der den
Universitäten durch die Grundrechte zuerkannten Lehr- und Lernfreiheit
erkannt worden. Um die dann mangelnde Vorbereitung zum Fachstu-
dium zu ergänzen, mussten die für dieselben bestimmten Jahre zu dem
Gymnasialcursus geschlagen werden , obgleich nicht alle in dieselben bis-
her gehörigen Lehrfächer mit herüber genommen werden konnten.
Nach §.4 besteht demnach das Gymnasium aus 8 Classen, deren
jede einen Jahrescursus bildet, und zerfällt in das Unter- und Obergym-
nasium von je 4 Classen. Ref. freut sich, dass der Entwurf die Ein-
richtung jährlicher Curse, welche auch in Sachsen von der Mehrzahl der
Lehrer für zweckmässig anerkannt worden ist und jetzt ins Leben geführt
werden soll, angenommen hat. Die Scheidung in Ober- und Untergym-
nasien entspricht der in Baiern bestehenden Eintheilung der Studienan-
stalten in Gymnasien und lateinische Schulen , womit jedoch nicht die
österreichischen Untergymnasien als dem Wesen nach mit den baierischen
300 Schul- und Universitätsnachiichten
lateinischen Schulen identisch bezeichnet werden sollen. Es ist an und
für sich gleichgültig , ob eine Schule in zwei oder drei oder noch mehr
Abtheiliingen zerfällt wird, da eine strenge Absonderung nach den Stu-
fen des Alters eine Sache der Unmöglichkeit ist; es kommt Alles auf die
Bestimmung des Zieles an , welches jede Abtheiliing zu erreichen hat.
Demnach wird sich aus dem Folgenden erkennen lassen , ob die in dem
Entwürfe angenommene Scheidung eine zweckmässige sei, eine P^rage,
die Ref. um so weniger verneinen kann , als dabei offenbar im österrei-
chischen Volksleben enthaltene Bedingungen Einfluss gehabt haben.
§. 5 sagt: ,,Das Untergymnasiura bereitet auf das Obergymnasium
vor, es hat aber, indem es jeden seiner Lehrgegenstände zu einem rela-
tiven Abschlüsse führt und mehrere davon in vorherrschend populärer
Weise und praktischer Richtung behandelt, ein in sich abgeschlossenes
Ganzes von allgemeiner Bildung zu ertheilen, welches für eine grössere
Zahl von Lebensverhältnissen erwünscht und ausreichend ist und zugleich
auch als Vorbereitung für die Ober Realschulen und weiter für die tech-
nischen Institute zu dienen vermag. Das Obergymnasium setzt diesen
Unterricht in mehr wissenschaftlicher Weise fort und ist die specielle
Vorbereituugsschule der Universität." Als zu dieser §. bestimmende
IMotive werden in den Vorbemerkungen S. 4 und 5 aufgeführt, wie es
sehr wünschenswerth sei, dass diejenigen Knaben, welche nach der in
der Volksschule erlangten Bildung eine höhere erstrebten, ohne sich
jedoch noch für die Realschule oder für das Gymnasium entschieden zu
haben , mit genügendem Erfolge für ihre Bildung noch einige Jahre in
derselben Anstalt könnten zusammengehalten werden; das Untergymna-
sium könne nun die alten classischen Sprachen nicht aus seinem Kreise
ausschliessen, weil ohne eine genügende Vorbereitung in denselben ein
befriedigendes Resultat in dem Obergymnasium nicht zu erreichen sei;
andererseits aber sei es unmöglich — wenigstens in einem Theile der
österreichischen Kronländer, alle Knaben, welche eine über die Sphäre
der Volksbildung hinausreichende Bildung suchten, zu einem, wenn auch
nur dreijährigen Studium der lateinischen Sprache zu verpflichten; dem-
nach habe man, um für den angegebenen Zweck das Mögliche zu errei-
chen, den bezeichneten Weg einschlagen müssen; es könne nach ihm Jeder,
wenn er in das Untergymnasium eingetreten sei, sich die Freiheit der
Wahl noch für spätere Jahre seiner Studienzeit bewahren , weil er zu-
gleich eine Vorbereitung für die Oberrealschule finde; weil jedoch die
Bürger- oder niederen Realschulen nicht das Gleiche für das Obergym-
nasium leisten könnten, so sei durch die Bestimmungen über die Aufnahme
in die Gymnasien der Uebergang zu diesen wenigstens nicht unmöglich
zu machen gewesen für solche Realschüler, welche ausnahmsweise durch
unge\AÖhnliche Anstrengungen oder besonders aufgewendete Zeit die ver-
säumten classischen Studien nachgeholt haben möchten. — Ref. erkennt
in diesen Worten freudig die besonnene Würdigung des Zeitbedürfnisses
an. Es ist klar, dass für die Gymnasialbildung, welche in den Sprachen
das Haupimittel ihrer Erreichung hat, die Grundlage zeitig gelegt wer-
den müsse, demnach der classische Unterricht der Regel nach nicht erst
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 301
jenseit des Knabenalters beginnen dürfe*), aber eben so gewiss auch,
dass in den unteren Classen der für das bürgerliche Leben erforderlichen
realen Bildung eine ausgedehntere Berücksichtigung zu Theil werden
müsse, als bisher ihr zugewandt, nicht allein um den Knaben die spä-
tere Wahl eines anderen Berufes möglich zu machen , sondern auch damit
später ohne Nachtheil für die durch das Leben erforderte allgemeine
Bildung eine grössere Concentration der geistigen Thätigkeit auf die
sprachlichen und historischen Studien stattfinden könne. Betrachten wir
das Einzelne, so ergiebt sich aus dem Lehrplane, dass unter den meh-
reren Gegenständen, welchen vorzugsweise eine populäre und praktische
Behandlung zugedacht ist , hauptsächlich die Mathematik und Natur^^is-
senschaften zu verstehen sind, obgleich dieselbe auch für die übrigen
Gegenstände eine nur weniger ausgedehnte Anwendung findet. Der
Ausdruck ,,in populärer Weise" erklärt sich leicht; es sollen weder wis-
senschaftliche Kenntnisse vorausgesetzt, noch überliefert werden; allein
bezweifeln lässt sich , ob eine solche Behandlungsweise, namentlich die
praktische Richtung, für diese Stufe des Unterrichts überhaupt ralhsam
sei. Es ist ja gewiss, dass die rechte Praxis ohne die Theorie nicht
möglich und der jugendliche Geist derjenigen Praxis, welche man im ge-
wöhnlichen Leben mit diesem Namen bezeichnet, abgewandter ist. Für
den deutschen Sprachunterricht kann die Richtung auf jene Praxis nur in der
Aufnahme der Geschäftsaufsätze hervortreten, welche dann auch wirklich
gefordert wird. Aber die Instruction S. 133 bemerkt darüber sehr rich-
tig, dass die Formen derselben sich sehr leicht und fast von selbst finden,
und erkennt dieselben also für ein sehr geringes Nebending an. Und
mindestens kann daraus nur für die ein wirklicher Nutzen hervorgehen,
welche sofort die Gelegenheit zu praktischer Fortübung erhalten. Das-
selbe gilt sogar von den technologischen Anwendungen der Naturkennt-
nisse. Sollen sie einem wirklichen Bedürfnisse genügen , so müssen sie
entweder für dieses Alter und für die übrigen Zwecke der Bildung zu
weit ausgedehnt werden, oder sie werden nur nebenbei laufen. Ja selbst
in der Mathematik ist eine unmittelbar praktische Richtung doch nicht
eigentlich eingeschlagen , wie die spätere Besprechung zeigen wird. Die
praktischen Anwendungen, welche S. 3 der Vorbemerkungen bezeichnet
werden, sind für den reinen Gymnasialzweck eben so nothwendig, wie
zur Vorbereitung für die Realschule , und höchstens ihre etwas grössere
Ausdehnung kann eine besondere Hervorhebung in der allgemeinen Be-
stimmung des Wesens der Anstalt rechtfertigen. W^as wir überhaupt bei
jenen W' orten denken können , beschränkt sich auf einige Kenntnisse,
welche für unmittelbar von dem Untergymnasium ins bürgerliche prakti-
sche Leben übergehende Schüler einige Wichtigkeit besitzen. Für die
Oberrealschule haben sie in sofern keinen höheren Werth , als auch diese
nur die Praxis an die Theorie knüpfen kann , und eine mannigfaltigere
und vielseitigere Uebung in dem , was sie voraussetzt , bei den anderen
*) Wir verweisen auf Beneke's treffliche Schrift: Ueber die Re-
form und die Stellung unserer Schulen; s. NJahrbb, LV. S. 325.
302 Schul- und Universitätsnachrichten
Zwecken, welche das Untergymnasium verfolgt, doch nicht stattfinden
kann. Es will dem Ref. scheinen, als hätten die Verff. des Entwurfs
den materiellen Forderungen an die höheren Erziehungsanstalten eine
Concession gemacht , die im Grunde doch wieder von selbst zu nichte
wird. Nach seiner Ansicht verträgt es sich recht wohl, dass das Unter-
gymnasium nicht als Vorbereitungsanstalt für das Obergymnasium allein
betrachtet und dennoch eine unmittelbare Rücksicht auf andere Zwecke
nicht genommen, eine streng wissenschaftliche Betreibung der Gegen-
stände, welche zu jenem Zwecke dienen, nicht ausgeschlossen werde.
Man muss nur den von der Pädagogik aufgestellten Grundsatz nicht aus
den Augen verlieren, dass für jedes Fachstudium die Erstarkung der Gei-
steskraft eine bessere Vorbereitung ist , als positives Wissen. Wird in
dem Untergymnasium den Realien eine solche Aufmerksamkeit geschenkt,
dass eine feste elementare Grundlage in denselben gewonnen, der Geist
in den von ihnen vorausgesetzten Anschauungen geübt ist, werden die
Sprachen, namentlich die lateinische, so betrieben, dass das formale
Denken und das Sprachgefühl diejenige Ausbildung, welche der Alters-
stufe, für die dasselbe bestimmt ist, möglich ist, erreicht hat, so %vird
der Schüler eben so zum Besuche des Obergymnasiums, wie der Ober-
realschule befähigt sein. Besitzt er für diese einen geringeren Schatz
positiven Wissens, so wird er dagegen im geistigen Können so viel vor-
aus haben , dass er mit leichter IMühe die vorhandenen Lücken auszufüllen
vermag. Für die Materialisten, welche jeder wahren Schätzung der
Sprachbildnng und des durch sie gewährten Nutzens unfähig sind, ist
jedes Entgegenkommen ohnehin verloren.
Durch §. 6 werden die vollständigen Gymnasien für einheitliche,
unter gemeinsamer Leitung stehende Ganze erklärt und einer Spaltung
des Gyranasiallehrerstandes in Lehrer für das Ober- und für das Unter-
Gymnasium durch die Bestimmung entgegen getreten, dass jeder Lehrer
sowohl im Ober- als auch im Untergymnasium beschäftigt sein könne,
d. h., wenn wir es recht verstehen , dass kein Lehrer sich weigern dürfe,
zugleich im Ober- und Untergymnasium Unterricht zu ertheilen , eine
Bestimmung, welche den vollsten Beifall verdient.
Was §. 7 bestimmt, dass, wo die Errichtung eines vollständigen
Gymnasiums aus Mangel an Mitteln nicht möglich oder ein Obergymna-
gium nicht noth wendig sei, auch das Untergymnas. ohne das Obergymnas.
bestehen könne, ist eine wohl in den meisten Ländern bereits bestehende
Einrichtung. Der dritte Fall, auf den Hr. Mützell a. a. O. S.9 aufmerksam
macht, dass in manchen Orten die zu grosse Schülermenge die Errichtung
eines oder mehrerer selbstsländiger Untergymn. neben dem Obergymn. noth-
wendig machen könne, scheint uns in dem Vorhergehenden schon mit er-
ledigt. Wenn derselbe Gelehrte in einem solchen F'alle die P'rrichtung
von Parallelclassen der eines selbstständigen Untergymnasiums vorzieht,
so kann Ref. damit sich nicht einverstanden erklären. Denn abgesehen
von dem Falle, dass in einer weitläufigen Stadt für einen Bezirk schon
wegen der bei Kindern jüngeren Alters nicht gering anzuschlagenden zu
grossen Entfernung des einen Gymnasialgebäudes die Errichtung eines
ßeförderuiigen und Ehrenbezeigungen. 303
Unter-, nicht aber eines vollständigen Gymnasiums zum Bedürfniss ma-
chen kann, dem durch Parallelclassen nicht abgeholfen wird, haben die
letzteren immer eine gewisse Schwierigkeit, Dass durch sie für das
Obergyranasium mehr gewonnen werde, kann nicht zugegeben werden,
da ein selbstständiges Untergymnasiura, gut eingerichtet und geleitet*)
und mit tüchtigen Lehrern besetzt, seine Schüler gewiss zu dem gleichen
Ziele führen wird, wie das dem Obergymnasium verbundene Untergym-
nasium. Eine Gleichheit Aller, eine durchaus vollständige Vorbereitung
für alle Zwecke des Obergymnasiums ist auch bei dem letzteren nicht
möglich und Parallelclassen derselben Anstalt werden gewiss keine gerin-
gere Verschiedenheit aufzeigen, als die sich entsprechenden Classen zweier
selbstständiger Schulen. Was in demselben §. hinzugefügt ist: ,, Hier-
gegen soll ein Obergymnasiura nie getrennt von einem Untergymnasiura
bestehen, weil nicht nur die Schüler überall dieses vor jenem besuchen
müssen, sondern weil auch nur, wenn beide Theile des Gymnasiums ver-
einigt sind, die richtige Durchführung eines für den Zweck der ganzen
Lehranstalt berechneten Lehr- und Erziehungsplanes möglich ist **)'*,
hat des Ref. vollsten Beifall und kann er den Einwendungen, welche Hr.
Mützell a. a. O. dagegen macht, nicht beipflichten. Die Anstalten, auf
welche sich jener beruft, die evangelischen Seminarien in Württemberg,
Schulpforta und die beiden sächsischen Fürstenschulen, sind Stiftungen
einer vergangenen Zeit. Die ihnen gegebenen Bedingungen machen eine
Veränderung unmöglich, aber an und für sich kann aus ihrem Bestehen
nicht gefolgert werden , dass man jetzt noch gleiche Anstalten mit dem-
selben Rechte gründen könne, wie damals. Die evangelischen Seminarien
Württembergs haben in ihrer geringeren Schülerzahl und in dem gleich-
massigen Fortführen Aller durch alle Stufen ganz eigenthümliche, eine
Vergleichung mit anderen Anstalten nicht zulassende Verhältnisse. Von
den Fürstenschulen aber kann Ref. versichern, dass der Mangel eines mit
ihnen verknüpften Untergymnasiums in vieler Hinsicht sich empfindlich
macht. Für Pforta wird, wie für Rossleben, die Klosterschule zu Donn-
dorf als Progymnasium betrachtet und in Meissen ist unter Mitwirkung
der Lehrer der Fürstenschule ein Progymnasium errichtet worden. Durch
das Fehlen eines solchen ist den Lehrern jedes Mittel benommen, Knaben,
welche sie als nicht genügend vorbereitet zurückweisen müssen , sofort
einen richtigen Unterricht zu verschaffen , was oft für die Eltern ein em-
pfindlicher Schlag ist, und wer in der untersten Classe einer Fürsten-
schule gearbeitet hat, wird die Schwierigkeiten kennen, welche daraus
hervorgehen , dass die Mehrzahl der neu aufgenommenen Schüler aus den
verschiedensten x\nstalten und Unterrichtsweisen hervorgegangen sind.
Gleichwohl haben die Fürstenschulen in den Alumnatsverhältnissen Mittel,
*) Ein Zusammenhang mit der Leitung des vollständigen Gymna-
siums kann wenigstens in derselben Stadt hergestellt werden.
**) Dass das Letztere nicht von einem selbstständigen Untergym-
nasium ohne Obergymnasium gilt , bedarf keiner weiteren Auseinander-
setzung.
304 Schul- und Universltatsnachrichten,
die Verschiedenheit schneller auszugleichen, wie sie sich bei anderen
Gymnasien nicht finden. INlindestens bietet es geringere Inconvenienz,
wenn für ein Obergymnasiuin an demselben Orte zwei getrennte Unter-
gvmnasien bestehen, als wenn jenes eines Untergymnasiums gänzlich er-
mangelt. Die österreichische Regierung verdient also nur Dank, wenn
sie für sich jene Regel als bindend aufstellt, zumal da aus ihrer Befolgung
für den Staat keine Ersparniss hervorgeht.
Der zweite Abschnitt enthalt den Lehrplan, unstreitig das schwie-
rigste, aber auch wichtigste Werk des Entwurfs. Wenn in neuerer Zeit
von vielen Seiten die Behauptung aufgestellt worden ist, es sei gar nicht
gerathen einen allgemeinen Lehrplan für ein ganzes Land aufzustellen,
der Staat habe sich damit zu begnügen, dass er seine Forderungen be-
stimmt hinstelle, den LchrercoUegien aber die Wahl des dazu führenden
Weges und der zweckmässigsten Einrichtung zu überlassen ; er solle sich
nur beaufsichtigend und Missbräuche verhütend betheiligen: so kann diese
Ansicht, so gewichtige Gründe sich auch für sie anführen lassen, doch
nicht im Allgemeinen gebilligt werden. Denn da der Staat die Pflicht
hat zu verhüten , dass nicht die anvertraute Jugend der subjectiven Will-
kür Einzelner, wie ganzer Corporationen preisgegeben werde, so folgt
daraus das Recht und die Nothwendigkeit, allgemein bindende Normen für
seine Anstalten aufzustellen. Aber er darf auch nicht aus den Augen
lassen, dass der Geist sich nicht binden und uniformiren lässt, dass er,
werden ihm zu enge Fesseln angelegt, erlahmt und in Folge davon das
best Gemeinte in das Gegentheil umschlägt, dass endlich eine Menge in-
dividueller und localer Verhältnisse vorwalten, welche durch eine allge-
meine Regel nicht beseitigt werden können. Die Kunst des Schulgesetz-
gebers besteht desshalb darin, seine Regeln so aufzustellen, dass sie heil-
sam bindend und dennoch nicht beengend sind, dem Gesetze eine solche
Dehnbarkeit zu geben, dass es, ohne selbst aufgehoben zu werden und
ohne dass der durch dasselbe beabsichtigte Nutzen verloren geht, den-
noch bestehenden und unabänderlichen Verhältnissen sich accommodiren
lässt, die individuelle F"'reiheit mit dem Zwange zu versöhnen. Wenn
irgend einer Regierung, so war der österreichischen die Nothwendigkeit
auferlegt, einen detaillirten Lehrplan für alle Gymnasien als bindende
Norm aufzustellen, weil einmal ohne denselben eine durchgreifende Re-
form unausführbar , zweitens aber die von dem Staatsprincip geforderte
Einheit unmöglich gewesen wäre. Im Allgemeinen kann man dem Stre-
ben , diese unabweisbaren Forderungen mit möglichster Gewährung in-
dividueller Freiheit zu erfüllen, und der Art, wie dies zu erreichen gesucht
ist, die Anerkennung nicht versagen , ja man muss dem Muthe und der
Besonnenheit, mit welchen das schwierige Werk ausgeführt worden ist,
Bewunderung zollen. Dies allgemeine Urtheil musste Ref. um so mehr
vorausschicken, als das Einzelne ihm zu manchen Gegenbemerkungen An-
lass giebt.
Zur richtigen Würdigung des Lehrplanes ist es nöthig, das zu
wissen, was vorausnesetzt wird. Für die Aufnahme in die unterste
Gvmnasialclasse wird nach dem 3. Abschnitte erfordert: in der Religion
H
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 305
jenes Maass von Kenntnissen, welches in der Volksschule ertheilt wird,
Fertigkeit im Lesen und Schreiben der Schrift der Muttersprache, der
lateinischen Schrift , und wo sie in der Volksschule gelehrt wird, auch der
deutschen, Kenntniss der Elemente aus der Formenlehre der Mutterspra-
che, P^ertigkeit im Analysiren einfacher bekleideter Sätze, Fertigkeit im
Dictandoschreiben nebst Setzen der Interpunctionen, Uebung in den vier
Species in ganzen , unbenannten und benannten , gebrochenen und ge-
mischten Zahlen und in den einfachsten Proportionsexempeln. üeber
das Maass dieser Forderung lässt sich nicht rechten, wenn aber das
9. Lebensjahr als dasjenige bezeichnet wird , in welchem der Gymnasial-
unterricht beginne, so kann Ref. nicht anders glauben, als dass die Ver-
fasser des Entwurfs damit nur den Termin , vor welchem eine Aufnahme
in das Gymnasium nicht stattfinden dürfe, haben bestimmen wollen. Denn
können wir einerseits das 17. Jahr nicht als dasjenige betrachten, in wel-
chem die Mehrzahl die zur Freiheit des akademischen Studiums *) erfor-
derliche Geistes- und Charakterreife erreicht , müssen wir vielmehr als
das ungefähre Jahr dafür das 19. und 20. halten, so scheint es uns an-
dererseits unmöglich, dass die Mehrzahl der Knaben des Volkes, die
trefflichsten Leistungen der Volksschule vorausgesetzt, mit dem 9. Jahre
die Forderungen, welche für die Receptionsfähigkeit aufgestellt sind, er-
füllen werde. Wohl wird dies Knaben von guter Begabung aus gebil-
deten Familien, zumal wenn sie für sich oder mit Wenigen durch tüchtige
Lehrer unterrichtet sind , nicht schwer sein , aber in der Volksschule ist
durch eine Menge vorhandener Bedingungen ein viel langsamerer Gang
nothwendig. Auch würde, wenn jene Annahme nicht gegründet sein
sollte, eine ziemliche Menge nicht leicht fasslicher Unterricht^gegenstände
in ein Alter verlegt sein, das zur Bewältigung derselben in der Regel
nicht für fähig gehalten werden kann. Es ist ja auch dies eine unum-
stössliche pädagogische Erfahrung, dass, wenn die Kraft zu früh und für
zu Schwieriges in Anspruch genommen wird, nicht blos der Geist, son-
dern auch das Gemüthsleben Störung und Schaden leidet.
Wenden wir uns zu dem Lectionsplane selbst. Nachdem durch die
Verfassung den mannigfaltigen Nationen des Kaiserreiches der rechtliche
Bestand ihrer Nationalität gewährleistet war, ergaben sich daraus natür-
lich gewisse Grundsätze für die Wahl der Unterrichtssprache.
Diese sind nach dem Entwürfe: 1) Die Wahl derselben richtet sich nach
den Bedürfnissen der Bevölkerung, die an einem Gymnasium beiheiligt
ist. 2) Wo die letzteren in zwei Nationalitäten so ziemlich gleich ge-
theilt ist, können zwei Unterrichtssprachen für verschiedene Abtheilungen
oder Unterrichtsgegenstände zur Anwendung kommen. 3) Der etwaige
Streit über die Wahl wird bei den Staatsgymnasien durch die Kreisver-
tretung, bei den übrigen durch diejenigen, welchen die Fonds der An-
stalt zugehören , entschieden. Gegen die Ausführbarkeit oder Zuträg-
lichkeit des zweiten hegt Ref. manche Bedenken. Bestehen die beiden
♦) Man erinnere sich , dass auch in Oesterreich den Universitäten
Lehr- und Lernfreiheit zugestanden ist.
N. Jahrb. f. Phil. u. Päd. od. Krit. Bibl. Dd. LVHI. Hft. 3. 20
300
Schul- un«l Uiuversitätsiiacliriclitcn,
Volksi^pracheii so neben einander, dass jedes Kind von Klein auf beide
erlernt, so ist die Sache leicht; aber wo dies nicht der Fall ist, ergeben
^ich solche Schwierigk eilen — ob wohl dadurch der leider', nicht abzu-
läu'^nende Hai^s der Nationen versöhnt oder heftiger erregt werden wirdV
— dass die Errichtung zweier Anstalten fiir die beiden Nationalitäten,
wäre sie auch noch so kostspielig, zur Pflicht werden möchte. Indess
Ref. bescheidet sich. Die derartigen Verhältnisse sind ihm zu fremd, als
dass er sich ein sicheres Urtheil darüber zutraute. Mit lebhafter Freude
begrüsste er dagegen die Bestimmung der §. 20, nach welcher neben der
Landessprache, die ausser der Muttersprache im Kronlande gangbar ist,
die deutsche Sprache an allen Gymnasien des Reichs gelehrt werden muss,
obiileich die Theilnahme der Schüler daran nur facultativ ist, eben so
sehr aber auch über die Ansichten , durch w eiche diese Bestimmung in
den Vorbemerkungen S. 6 flgde. gerechtfertigt wird; da es das Interesse
des Reiches sei, dass die Gebildeten aller Theile eine Sprache kennten,
die ihnen das Mittel zum unmittelbaren Verkehre werde, die deutsche
dazu sich am besten eigene, nicht nur, weil bie bereits unter jenen die
am weitesten verbreitete sei, sondern auch, weil sie zu einer durch Reich-
thum und \Verth ausgezeichneten Litteratur führe. Dadurch scheint ihm
Üesterreich , seines deutschen Ursprungs eingedenk, ausgesprochen zu
haben , dass es vorzugsweise deutsch bleiben und um seinen deutschen
Kern die vielen fremden Nationen, welche sein Scepter beherrscht, zu-
sammenrelhen will. INlöge ihm diese Absicht gelingen, möge es sich
durch keine Hindernisse und Widersprüche davon abbringen lassen.
Durch §. 18 und 19 werden folgende Gegenstände des Unterrichts
als obligatorisch eingeführt: Religion, Latein, Griechisch, die
Muttersprache, Geographie und Geschichte, Mathema-
tik, Naturgeschichte, Physik, philosophische Propä-
deutik, als facultative ausser der schon erwähnten neben der Mutter-
sprache ira Kronlande gangbaren Landessprache und der deut-
schen Sprache: eine oder mehrere lebende Sprachen (Reichs-
sprachen, Englisch, Französisch u. s. w.), Kalligraphie, Zeich-
nen, Gesang und Gymnastik. Wenn bestimmt ist, dass im Unter-
gymnasium diejenigen Schüler, welche nicht in das Obergymnasium über-
gehen wollen, durch den Landesschulrath vom Griechischen dispensirt
werden können , so führt uns dies auf unsere schon oben aufgestellte Be-
merkung, dass es mit den beiden anderen Zwecken, welchen ausser der
Vorbereitung für das Obergymnasium das Untergymnasium dienen soll,
nicht so ernstlich gemeint sein könne. Denn werden jene wirklich als
berechtigt angesehen, so sieht man durchaus keinen Grund, warum die
Entbindun«: vom Griechischen erschwert wird, indem sie von der über
das Gymnasium gesetzten Behörde abhängig gemacht ist. Erinnern wir
uns zumal an das, was wir schon oben aus den Vorbemerkungen anführ-
ten, dass kaum ein nichtstudirender Knabe zu einem, wenn auch nur
dreijährigen Studium der lateinischen Sprache verpflichtet werden könne,
so gewinnt dieselbe an Bestimmtheit. Was die für facultativ erklärten
Unterrichtsgegenstände betrilTt, so liegt rücksichtlich der Sprachen in der
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 307
Nothwendigkeit, die Landessprachen zu berücksichtigen , ein so durch-
schlagender Grund, dass Niemand ein Wort dagegen (z. ß. über die noth-
wendige Herbeiziehung der französischen und englischen Litteratur) ver-
lieren wird. Die Bestimmungen der §§. 33 — 36, wonach die zweite
lebende Sprache, wo sie als ein für die Schüler ganz neuer Gegenstand
eintritt, erst in der zweiten Classe des Untergymnasiums, und nur da,
wo der Unterricht in Fortbildung bereits vorhandener Sprachkenntnisse
besteht, in der ersten beginnen soll, das Ziel des Unterrichts in derselben
für das Untergyranasium Fähigkeit des Sprechens und Verstehens , für
das Obergymnasium Richtigkeit des schriftlichen und mündlichen Aus-
drucks und einige Kenntniss der Litteratur ist, das Minimum der wö-
chentlichen Stundenzahl auf 2 , das der Muttersprache und der zweiten
lebenden Sprache zusammen zustehende Maximum auf 6 wöchentliche
Stunden festgesetzt, der Eintritt einer dritten lebenden Sprache endlieh
auf die erste Classe des Obergymnasiums verschoben und als Ziel gram-
matisch richtiges Verstehen aufgestellt wird , verdienen sowohl im Ver-
bältnisse zu dem Ganzen des Planes, wie in pädagogischer Hinsicht nur
allgemeine Billigung. In Betreff der anderen facultativen Gegenstände
müssen wir auf §. 21 aufmerksam machen, woselbst es heisst: ,, Nicht
obligate Gegenstände sind für jetzt — , weil es nicht möglich ist, sie
schon jetzt an jedem Gymnasium lehren zu lassen und auch für sie keines-
wegs überall das gleiche Bedürfniss besteht, jedoch können sie künftig,
wenn es sich allmälig als zweckmässig und ausführbar herausstellt, für
obligat erklärt werden", und rücksichtlich der Kalligraphie: ,, Einem jeden
Schüler kann , so lange er im Untergymnasium ist, zu jeder Zeit vom
Lehrkörper auferlegt werden, durch einen bestimmten Zeitraum an dem
Unterrichte im Schönschreiben Theil zu nehmen." Auch müssen wir mit
Hrn. Mützell a. a. O. S. 15 darauf hinweisen, dass nach dem bisher in
Oesterreich geltenden Leclionsplane die Gymnasien nur 18 wöchentliche
obligate Stunden gehabt haben und die Furcht, es möchte, da ohnehin
eine Steigerung der Zahl erforderlich war, eine noch grössere Vermeh-
rung das Publicum gegen den Entwurf noch mehr einnehmen, auch
hier (n. S. 5) Einfluss geübt hat, obgleich wir mit demselben p. 22 auch
den Wunsch theilen, man wäre um der Sache willen dem Vorurtheile
kräftiger entgegengetreten und hätte demselben mindestens da nichts ein-
geräumt, wo unabweisbare Bedürfnisse nicht ausreichend befriedigt wer-
den können *). Es verdient ohnehin Erwägung, ob nicht die spätere
Erhebung eines vorher nur als facultativ betrachteten Gegenstandes zu
einem allgemein verbindlichen schwieriger sei , als das umgekehrte Ver-
hältniss. Was die Gegenstände selbst anbetrifft, so ist, abgesehen von
anderen Gründen, der Besitz einer lesbaren und sicheren Handschrift
ein zu wesentliches — übrigens auch von den Verfassern des Entwurfs
anerkanntes Bedürfniss, als dass die Nothwendigkeit des kalligraphischen
Unterrichts für die Jugend auch nur einen Augenblick in Zweifel gestellt
werden könnte. Ist vorauszusetzen, dass die Mehrzahl der Schüler jene
=*') Wir werden darauf bald zurückkommen.
20*
308
Schul- und Universitätsnachrichten,
schon In das Gymnasium mitbringen, so wäre es falsch, ihn für obligat
zu erklären; sehen wir aber, welche Stellung Arneth demselben in seinem
Lectionsplane eingeräumt hat, so scheint uns die Erfahrung wenigstens
in einem Theile des Staates dagegen zu sprechen. Es hätte sich übri-
gens eine Möglichkeit gefunden , ihm ohne grössere Belästigung für
das Ganze mindestens in der untersten Classe eine Stelle einzuräumen,
wovon zu reden beim deutschen Unterrichte Gelegenheit sich bieten wird.
Das Zeichnen, obgleich es für viele Lehrfächer , Geographie, Naturge-
schichte , Mathematik, wesentlichen Vortheil bietet , obgleich es den Sinn
und die Anschauung für Gegenstände der Natur u. der Kunst schärft, ob-
gleich es das wichtigste Werkzeug des menschlichen Körpers, die Hand,
geschickter macht und veredelt, ist nach des Ref. Ansicht überall nur fa-
cuUativ einzuführen, weil gezwungene Betreibung einer Kunstübung in
vielen Fällen das Gegentheil von dem, was beabsichtigt wird, bewirkt
und die übiigen durch dasselbe zu erreichenden Vortheile auch auf an-
dere Weise erzielt werden können. Der Allgemeinheit des Gesangunter-
richts setzt schon die Natur gewisse Schranken. Seine bildende und
veredelnde Kraft macht ihn wünschenswerth und darum muss jede Schule
zu ihm Gelegenheit bieten ; es genügt aber, wenn alle Lehrer es sich zur
PHicht machen, den Sinn dafür zu wecken, ja es wird dadurch mehr er-
reicht werden, als durch Zwang. Die Gymnastik dagegen wünschte
Ref. überall für alle Schüler, bei welchen nicht leibliche Hindernisse ent-
gegenstehen, verbindlich, weil durch sie die bei dem Studirenden unserer
Tageso leicht gefährdete Gesundheit des Körpers, die Bedingung des
frischen geistigen Lebens, wie durch nichts Anderes, befördert wird, weil
sie eine Herrschaft über die Glieder und Kräfte des Leibes verleiht, wie
sie keine andere Uebung zu geben vermag, weil sie, auf rechte Weise
betrieben, die jugendlichen Herzen enger an einander kettet und an Ord-
nung und Pünktlichkeit gewöhnt. Gerade je öfter sie in halsbrechende
Kunststücke ausartet, je häufiger sich mit der Turncrei falsche politische
Absichten verbinden, um so grösser wird die Verpflichtung des Staats,
die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Ref. giebt sich dem Vertrauen
hin, dass dieser Theil des Unterrichts oder vielmehr der Erziehung in
Oesterreich bald zu einem obligaten erhoben werden wird.
Ueber die allgemeinen bei der Entwerfung des Lehrplanes leiten-
den Grundsätze sprechen sich die Vorbemerkungen S. 7 also aus: „Die
schwierigste pädagogische Forderung, welche man an den Unterricht stel-
len kann, aber auch stellen muss , ist ein solches Zusammenwirken aller
Theile desselben bei der Mannigfaltigkeit der Lehrgegenstände, dass er
die eine Frucht zur Reife bringt, welche das letzte Ziel der Jugendbii-
dung ist, einen gebildeten edlen Charakter. Dies Zusammenwirken ist
schwieriger beim öffentlichen Unterrichte mit seinen zahlreich besuchten
Classen und seiner Vielheit der Lehrer, als beim häuslichen. Zur Er-
leichterung substituirt man gern dem idealen Mittelpunkte einen physi-
schen, indem man einem gewissen Lehrgegenstande, dem man eine be-
sondere bildende Kraft zutraut, durch Menge des Lehrstoffes und der ihm
gewidmeten Stunden ein entschiedenes Uebergewicht über alle anderen
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 309
verschafft und diese fast nur nebenher und zu seiner Unterstützung be-
handelt. Als den Gegenstand, in welchem an Gymnasien gJeichsam der
Schwerpunkt des ganzen Unterrichts zu ruhen habe, hat man bekannt-
lich die classischen Sprachen angesehen; die Durchführung jenes Gedan-
kens wurde aber alierwärts immer schwieriger , je mehr Raum und selbst-
ständige Geltung die sogenannten Realien forderten und sich zu erobern
verstanden, und sie ist gegenwärtig unmöglich. Mathematik und
Naturwissenschaften lassen sich nicht ignoriren; sie gestatten auch nicht,
dass man die Kraft ihres Lebens zum leeren Schatten irgend einer andern
von ihnen wesentlich verschiedenen Disciplin mache. Der vorliegende
Lehrplan verschmäht in dieser Beziehung jeden falschen Schein. Sein
Schwerpunkt liegt nicht in der classischen Litteratur, noch in dieser zu-
sammen mit der vaterländischen, obwohl diesen ungefähr die Hälfte der
gesammten Unterrichtszeit zugetheilt ist, sondern in der wechselseitigen
Beziehung aller Unterrichtsgegenstände auf einander. Dieser nach allen
Seiten nachzugehen und dabei die humanistischen Elemente , welche auch
in den Naturwissenschaften in reicher Fülle vorhanden sind, überall mit
Sorgfalt zu benutzen, scheint gegenwärtig die Aufgabe zu sein. Wenn
sich hierdurch die Schwierigkeiten gesteigert haben, so giebt es keine
andere Beruhigung, als welche in dem Gedanken Hegt, dass sie nicht
willkürlich erzeugt, sondern durch wohlbegründete Bedürfnisse der Zeit
aufgenöthigt und dass sie nicht unüberwindlich sind." Man wird in die-
sen Worten die klare Erkenntniss des von der Zeit und Wissenschaft ge-
forderten Princ'ps und die energische Festhaltung desselben mit Freuden
anerkennen, man kann es nur billigen, dass jedem Lehrgegenstande seine
selbstständige Berechtigung zuerkannt, dass sämmtliche in Beziehung auf
den gleichen Zweck der Erziehung gesetzt, dass die sittliche Charakter-
bildung als das Endziel derselben anerkannt wird; allein die Darstellung
giebt doch zu einer Gegenbemerkung Anlass. Wenn nämlich die hohe
Bedeutung der classischen Litteratur dadurch anerkannt ist , dass man ihr
in Verbindung mit der vaterländischen allein die Hälfte der Unterrichts-
stunden eingeräumt, so scheint es, als hätte man auch klar und deutlich
hier aussprechen sollen, warum dem so sein müsse. Ist die ideale Bil-
dung *) der Hauptzweck des Gymnasiums — dies haben die Verfasser
des Entwurfs dadurch anerkannt , dass sie überall die sorgfältige Be-
nutzung der humanistischen Elemente fordern — , ist man sich dessen klar
bewusst, dass zu diesem das Studium der Sprachen und Litteraturen das
wirksamste Mittel ist — und wer wollte bestreiten , dass diejenigen,
welche dereinst vorzugsweise in den Gebieten des Geisteslebens zu wir-
ken berufen sind, vor allem Andern dasjenige kennen lernen müssen, wo-
rin sich der Geist der Menschheit in seinem edelsten Wesen manifestirt
hat, dass sie selbst den Gang durchmachen müssen, durch welchen das
Geistesleben geworden ist, was es ist? — so kann man ein Ueberwiegen
dieser Bildungselemente vor den übrigen zugestehen , ohne einen falschen
*) Wir verweisen auf Bäumlein's treffliche Schrift: Die Bedeutung
der classischen Studien für eine ideale Bildung. Heilbronn, 1849. 8.
310
Schul- und Unlvers'itätsnachrichten,
Schein zu erwecken. Oder werden etwa diese herabgewürdigt, wenn
sie jenen nicht untergeordnet, aber nebengeordnet werden, hören sie auf
wesentliclie Bestandtheile zu bleiben , wenn man jene für die Hauptbe-
standtheile erklärt? Wenn man auf der einen Seite mit der grössten
Entschiedenheit aussprechen muss, dass die alten Sprachen auf den Gym-
nasien nicht um Ihrer selbst, sondern um der durch sie zu erreichenden
Bildung willen gelehrt werden, wenn also die einseitige Ueberschätzung be-
kämpft und die Ausschliesslichkeit zurückgewiesen, wenn anerkannt wer-
den muss, dass ohne die übrigen Lehrfächer die allgemeine J3ildung des
Geistes, wie sie von Zeit und Wissenschaft gefordert wird, nicht zu er-
reichen ist, so ist wiederum auch denen gegenüber, welche das Studium
des Alterthums für überflüssig erklären, seine Bedeutung und seine Be-
rechtigung aufrecht zu erhalten. Ref. fürchtet, dass die oben angeführ-
ten W^orte in dieser Hinsicht zu IMissdeutungen Anlass geben können.
Wir theilen zuerst eine Uebersicht der für die Obligatlehrgegen-
stände aufgestellten wöchentlichen Stundenzahlen mit, wobei wir be-
merken dass die Classen , wie in Bayern, von unten auf gezählt werden.
•
1
o
•
3
•
c
o
2
•
3
•
1
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24
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2
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3
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3
24
V.
2
6
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2
4
4
2
24
VI.
2
6
4
3
3
3
3
24
VII.
2
5
0
3
3
3
3
24
VIII.
2
5
6
3
3
2
3
24
Da sich ein Lehrplan in kurzgefassten Paragraphen nicht vollständig
darlegen lässt, so ist es besonders dankenswerth, dass derselbe für die
einzelnen Fächer in den Anhängen ausführlich erläutert ist. Dem Ver-
nehmen nach hat an der Abfassung, namentlich des für die alten Sprachen,
der Prof. der Philologie an der Universität zu Wien, Dr. Herrn, Bonitz,
als scharfer Denker und tiefer Kenner der griechischen Philosophie rühm-
lichst bekannt, den hauptsächlichsten Antheil. Es zeugen diese Instruc-
tionen wie von tüchtiger pädagogischer Fähigkeit und Erfahrung, so von
umsichtiger Benutzung der neueren Leistungen auf den einzelnen Gebie-
ten und sind um so mehr der allgemeinen Beachtung zu empfehlen, als sie
manches Eigenthümliche enthalten. Für den Religionsunterricht ist die
Aufstellung eines Lehrplanes für die Zukunft noch vorbehalten.
Ueber die alten Sprachen äussern sich die Vorbemerkungen 8.5:
,,Als Hauptzweck der Erlernung der alten Sprachen ist, obwohl die durch
grammatische Studien zu erwerbende formelle Bildung nicht ausser Rech-
nung bleibt, doch die Lesung der alten Schriftsteller angenommen, der
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 311
unerschöpften Quelle wahrhaft humaner Bildung. Das Gymnasium soll
diese Lesung nicht blos möglich machen, sondern in reichem Maasse und
guter Auswahl wirklich vornehmen." Mit der Sache ist Ref. ganz ein-
verstanden; er hätte aber über das Maass und die Auswahl eine festere
Bestimmung gewünscht. Eine solche bietet sich leicht dar. Der Unter-
richt kann nicht eher für abgeschlossen gelten, als bis die Schüler eine
lebendige und allseitige Anschauung des Lebens der alten Völker in sei-
nen bedeutsamsten und hervorstechendsten Momenten und Richtungen
gewonnen haben. Rücksichtlich der Stundenzahl finden wir folgende
Erklärung ebendaselbst: ,,Der griechischen Sprache musste desshalb eine
grössere Stundenzahl, als bisher üblich gewesen, zugewendet werden.
Die rechte Oekonomie besteht in diesem Falle darin, so viele Zeit dem
Gegenstande zu widmen, als nöthig, um P^rüchte der gehabten Mühe zu
erndten, oder ihn ganz aufzugeben. Uebrigens ist die für beide classi-
sche Sprachen bestimmte Stundenzahl kleiner, als es vielleicht von vielen
competenten Beurtheilern der Gymnasialeinrichtung gewünscht wird; die
Erfahrung wird entscheiden, ob eine Vermehrung derselben nothwendig
ist. Der Plan baut auf die Wirkungen einer verbesserten Unterrichts-
methode, er nimmt Rücksicht auf den Widerwillen, den eine weit über
die gewohnte Zahl hinausgehende Menge wöchentlicher Unterrichtsstun-
den finden würde, so wie auf die den österreichischen Gymnasien eigen-
thümliche Aufgabe, eine Mehrheit im Reiche gangbarer und häufig den
Schülern nothwendiger Landessprachen zu lehren." Obgleich Ref. die
Verpflichtung vollkommen anerkennt, den einzelnen Unterrichtsgegen-
ständen bei ihrer so grossen Menge ein möglichst geringes Maass von
Stunden zuzutheilen , obgleich er eine Verringerung der bisher oder doch
früher den alten Sprachen zugewiesenen Lehrstunden nicht allein ohne
Nachtheil für dieselben für möglich, sondern in Rücksicht auf die in den
Realien zu stellenden Forderungen sogar für nothwendig hält, wobei er^
jedoch die der griechischen Sprache vielmehr vergrössert wünscht, so
gesteht er doch, dass er nicht ohne Bedenken den Entwurf betrachten
kann. Wohl ist anzuerkennen, dass eine gute Unterrichtsmethode eines
geringeren Zeitmaasses bedarf, aber sie kann unmöglich den Mangel daran
ersetzen. Sie darf sich ja der allseitigen Beleuchtung und Veranschau-
lichung des gegebenen Stoffes, der Wiederholung zur Befestigung, der
Ueberführung von dem Bekannten zum Unbekannten und Neuen nicht;
entschlagen. Auch ist die Methode, welche die kürzeste Zeit braucht,
nicht die pädagogisch beste. Wie jede Pflanze bei der sorgfältigsten
Pflege und der Darbietung aller ihr Wachsthum befördernden Bedin-
gungen dennoch zu ihrer gesunden vollen Entwickelung eine bestimmte
Zeit braucht, zu schnell und gleichsam ruckweise getriebene nie die
Kraft und die Dauer der natürlich entwickelten erreichen , so ist noch in
viel höherem Grade für die Entwickelung des jugendlichen Geistes ein
richtiges Zeitmaass erforderlich. Wohl fasst er auf, wenn er auch schnell
von dem Einen zum Andern fortgeführt wird , aber er empfindet später
den Nachtheil davon. Zum richtigen Erfassen, zum sicheren Behalten,
zum Ordnen und Gestalten bedarf er einer gewissen Ruhe — man be-
312 Schul- und Universitätsnachrichten,
zeichnet dies häufig ganz passend durch: Verdauung — , eines längeren
Vervveilcns bei dem Kinzelnen. Ganz besonders ist dies für die Spra-
chen erforderlich , weil es hier der Auffassung des Inhaltes durch die
Erkenntr.iss der Form , also dem Bewusstwerdcn des Einen durch das
Andere gilt, weil nirgends eine so grosse Mannigfaltigkeit einzelner unter
ein Gemeinsames zu subsundrender Fälle sich fnidet. Ist demnach aus
theoretischen Gründen eine das bisher von der Erfahrung festgehaltene
IMaass so bedeutend verringernde Verkürzung der Zeit bedenklich , so
treten auch noch praktische Rücksichten hinzu. Jeder erfahrene Lehrer
wird wissen , wie oft ihn die sorgfältigste Vorherberechnung über die
Verwendung der Zeit getäuscht hat, wie oft ihm die Individualitätseiner
Schüler gegen alle Erwartung ein längeres Verweilen und Stillstehen, ein
öfteres und umfänglicheres Wiederholen , eine gründlichere Besprechung
gebot, als er beabsichtigt hatte. Welche Verlegenheit entsteht für ihn,
wenn ihm dann nicht Zeit genug für das Uebrige bleibt? Wohl mag
man namentlich in der späteren Zeit dem Privatfleiss Etwas überlassen,
ja derselbe ist noch viel mehr in Anspruch zu nehmen, als es gegenwärtig
an vielen Schulen geschieht; jedoch um ihn zu controliren und ihn für
den Schüler recht fruchtbar zu machen, wird immer ein nicht unbedeu-
tender Theil der Lectionen in Anspruch genommen, abgesehen davon,
dass der öffentliche Unterricht, die Anleitung dazu, desshalb nicht ver-
kürzt werden darf. Der Entwurf stellt nun zwar eine Vermehrung, wenn
die Erfahrung dafür sprechen werde, in Aussicht, allein es wird dadurch
die Gefahr nicht beseitigt, dass eine Zeit lang die gewünschte Leistung
nicht erzielt werde, und eine Verringerung der einem Gegenstande ge-
widmeten Stundenzahl bringt immer in dem Lehrgange eine geringere
Störung hervor, als eine Steigerung derselben. Dem Vorurtheile hätte
die Regierung kräftiger entgegentreten sollen. Der Widerwille wird
schwinden , wenn der Nutzen eingesehen wird. Uebrigens hat auch
Arneth sich nicht gescheut, eine grössere Stundenzahl in Vorschlag zu
bringen. In wie fern die Bedenken des Ref. begründet sind, wird sich
bei der Besprechung der einzelnen zeigen.
Von dem lateinischen Unterricht handeln die §§. 23 — 26 und der
Anhang S. 101 — 116. Wir heben daraus Folgendes hervor. Ziel
d e s U ntergy mnasiums ist (§. 23): Grammatische Kenntniss der la-
teinischen Sprache, Fertigkeit und Uebung im Uebersetzen eines leichten
lateinischen Schriftstellers (Cornelius Nepos und Cäsar). Der Weg dazu
ist nach §. 24 folgender: 1. Cl. 8 St. Formenlehre der wichtigsten regel-
mässigen Flexionen und die einfachsten syntaktischen Formen, eingeübt
in beiderseitigen Uebersetzungen aus der Chrestomathie; Memorlren,
später häusliches Aufschreiben von Uebersetzungen. II. Cl. 6 St. For-
menlehre der selteneren und unregelmässigen F'lexionen, und die schwie-
rigeren syntaktischen F'ormen, unter anderen des accusatlvus cum infinitivo
und der ablativi absoluti, eingeübt wie in Cl. I., Memoriren, später auch
häusliches Prapariren , alle 14 Tage ein Pensum. ITI. Cl. 5 St. 2 St.
Grammatik, Casuslehre; 3 St. Cornelius Nepos; im 1. Sem. alle Wochen,
im 2. alle 14 Tage ein Pensum; Präparation. IV. Cl. 6 St. 3—2 St.
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 313
Grammatik: Modus- und Tempuslehre; 3 — 4 St. Cäsar's bellum Galli-
cum; alle Wochen ein Pensum; Präparation. Gegen den Schluss sollen
2 Stunden der Leetüre zur Bekanntschaft mit Hexametern und Distichen
verwandt werden. Empfohlen werden für den Schüler die Uebungs-
bücher von Ellendt und Dünnebier und 0. Scliulz Tirocinium, die Ueber-
setzungsbücher von J. v. Gruber und Siipße, die Schnlgrammatiken von
Kühner und Putsche, für die Lehrer die Grammatiken von Ferd. Schulz,
IVehsenborn und Zumpt. Ziel des Obergymnasiums ist (§. 25):
Kenntniss der lateinischen Litteratur in ihren bedeutendsten Erscheinun-
gen und in ihr des römischen Staatslebens, Erwerbung des Sinnes
für stilistische Form der lateinischen Sprache und dadurch mittelbar für
Schönheit der Rede überhaupt. §. 26 vertheilt den Stoff also: V. Cl.
6. St. 5 St. Livius. Ovid. Metamorph. 1 St. grammatisch - stilistische
Uebungen. Präparation. Alle 14 Tage ein Pensum. VI. Cl. 6 St.
5 St. Salust. Cic. in Cat. T. Caes. bell, civ., einige die Zeitverhältnisse
charakterisirende Briefe Cicero's. Virgil. Eclog. und Bncol. Auswahl
und der Anfang der Aeneis. 1 St. grammatisch - stilistische Uebungen.
Präparation. Alle 14 Tage ein Pensum. VIT. Cl. 5 St. 4 St. Cicero*s
rhetorisch ausgezeichnetste und politisch bedeutendste Reden. Virgil's
Aeneis. 1 St. grammatisch - stilistische Uebungen. Präpaiation. Alle
14 Tage ein Pensum. VIII. Cl. 5 St. 4 St. Tacitus Agricola oder Ger-
mania und in sich möglichst abgeschlossene Gruppen aus einem oder den
beiden anderen Geschichtswerken desselben. Horatius Oden und Aus-
wahl aus den Epoden, Episteln und Satiren. 1 St. grammatisch-stilisti-
sche Uebungen. Präparation. Alle 14 Tage ein Pensum; statt dessen
zuweilen ein lateinischer Aufsatz in Beziehung auf die Leetüre. Em-
pfohlen werden Sevfferi Palaestra Ciceroniana und Nägelsbach*s lateini-
sche Stilübungen, dessen Stilistik für die Lehrer, aber nur zum Gebrauch,
nicht um darnach vorzutragen. In den untersten Classen sollen Gram-
matik und Leetüre so wenig als möglich getrennt sein, damit die Formen
und Regeln sogleich in ihrer Anwendung angeschaut werden. Erst in
der dritten und vierten Classe sollen eigene grammatische Stunden ein-
treten, in denen das Bilden selbstständiger, aber einen aus der Ge-
schichte oder der Leetüre entlehnten Gedankeninhalt enthaltender Sätze
durch den Schüler empfohlen wird. Bei der Leetüre wird vor einer zu
weit gehenden Erklärung gewarnt, sie soll sich auf das Bedürfniss zum
Verständnisse beschränken und ihr Ergebniss eine freie und geschmack-
volle Uebersetznng sein.
Die auf die Feststellung des Zieles im Obergymnasium einwirken-
den Motive dürfen wir wohl in den S. 102 angegebenen Punkten, wess-
halb die lateinische Sprache für die höhere Jugendbildung einen dauern-
den Werth habe, erkennen. Es wird aufgestellt: ,,1) ist für alle auf
wissenschaftlicher Bildung ruhenden Beruf^wege die Kenntniss der latei-
nischen Sprache insofern erforderlich, als durch sie entweder die leichtere
Aneignung (Medicin) , oder die gründliche Betreibung der speciellen Be-
rufswissenschaft (Theologie , Jurisprudenz) ermöglicht wird. 2) ist die
Erlernung der lateinischen Sprache, durch die strenge Gesetzmässigkeit
314 Schul- und Uiuversitätsnachrichten,
einerseits, wie durch die merl<Iiche Entfernung von moderner Denk- und
Sprechweise andererseits, vorzüglich geeignet, das Sprachbewusstsein zu
entwickeln, die selbst, abgesehen von der darin liegenden Erleichterung
beim Erlernen der meisten neueren Sprachen, als ein wesentliches Bil-
diingselement wird anerkannt werden. Endlich 3) ist die Lectüre der
besten Clas^iker der lateinischen Sprache fähig, den Jüngling in das
Leben eines Volkes und eines Staates zu versetzen, der durch einfachere
Verhältnisse ihm verständlicher, durch seine Grossartigkeit erhebend ist,
und sie kann hierdurch, bei der innigen Vereinigimg des Gedankeninhal-
tes mit der Kunstfcrm, einen tieferen , selbst sittlich bildenden Einfluss
gewinnen , den in solchem Maasse die blosse Erzäiiiung oder Ueber-
setzung zu erreichen nicht vermag." Ref. ist mit Hrn. Mützell (a. a. O.
S. 23 f.) einverstanden, dass der Wcrth des lateinischen Sprachstudiums
hier nicht genug bezeichnet sei. Er vermisst die Bedeutung, welche das
römische Volk für die gesammte Bildung des Mittelalters und der neueren
Zeit gehabt hat. Durch dasselbe sind die Elemente und Grundlagen gege-
ben worden , auf und aus welchen sich durch das hinzutretende Christen-
thum unser gegenwärtiges Leben entwickelt hat. Diese Grundlagen
muss jeder kennen, welcher auf höhere Bildung Anspruch machen will,
weil ohne ihre Kenntniss ein tieferes Verständniss der Gegenwart unmög-
lich ist. Jene Grundlagen aber hat das römische Volk nicht allein durch
seine Schöpfungen im Staate und seine weltumstürzenden Thaten gege-
ben , sondern durch seinen ganzen Charakter, seine Kenntnisse, seine
Denk- und Anschauungsweise. Weil diese aber nur dann vollständig u.
lebendig erkannt werden können, wenn man sich in die Erzeugnisse sei-
ner Litteratur selbst hineingearbeitet, wenn man die durch nichts ganz
wiederzugebende Eigenthümlichkeit seines Wesens selbst angeschaut hat,
so muss die lateinische Sprache selbst erlernt werden. Betrachten wir
darnach die Be.>^timmung des Zieles in materieller Hinsicht, so können wir
damit einverstanden sein, wenn wir in den Worten ,,uiid in ihr des rö-
mischen Staatslebens" nur das Wichtigste hervorgehoben sehen — denn
allerdings ist der Staat bei den Römern der Alles beherrschende und be-
dingende Mittelpunkt — , müssen sie aber zu eng finden, wenn wir damit
Anderes ausgeschlossen denken. Die Wahl der Schriftsteller scheint
allerdings das Letztere zu bestätigen; doch davon unten. In formeller
Hinsicht scheinen dem Ref. die Worte: ,, Erwerbung des Sinnes für sti-
listische Form der lateinischen Sprache und dadurch mittelbar für Schön-
heit der Rede" zu wenig Positives und Messbares zu enthalten. Der
Sinn muss geweckt und aufgeschlossen sein , aber man muss in einer Thä-
tigkeit ihn finden. Verlangen wir von dem das Gymnasium Verlassenden,
dass er im Stande sei selbst schwerere lateinische Schriftstellen nicht
allein richtig, sondern auch möglich getreu, aber in gutem Deutsch zu
übersetzen*), also die Fertigkeit in dem, was der Entwurf als Ergeb-
*) Wir meinen natürlich damit nicht, dass der Abiturient jede be-
liebige ihm vorgelegte Stelle sofort geläufig übersetzen könne, aber es
muss ihm das oben Verlangte ohne vorausgegangene Erklärung mög-
lich sein.
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 315
niss der Erklärung fordert, „einer freien und geschmackvollen Ueber-
setzung", so ist ein solcher Maassstab gegeben, >\eil dazu nicht nur voll-
ständiges grammatisches Verständniss der Sprache, sondern auch richtige
Auffassung und Würdigung der stilistischen Form gehört.
Wenn nach den allgemeinen Bestimmungen das Untergymnasium
nicht allein für das Obergymnasium , sondern auch für die Oberrealschule
■vorbereiten und ein in sich abgeschlossenes Bildungs- Ganzes gewähren
soll, das Lateinische aber für Alle obligat ist, so musste das in demsel-
ben zu erreichende Ziel dahin bestimmt werden, dass die für das Studium
jeder anderen Sprache, namentlich der Muttersprache, erforderliche all-
gemeine logisch-grammatische Bildung erreicht werde, also ein vollstän-
diger grammatischer Cursus beendet werden. Ist nun die Erreichung
dieses Zieles bei der dem Unterrichte zugemessenen Zeit möglich? Ref.
glaubt diese Frage bejahen zu können in Bezug auf diejenigen, welche
aus dem Untergyranasium in eine andere Laufbahn treten. Sie werden
eine hinreichende Vocabelkenntniss besitzen, um sich bei Erlernung einer
romanischen Sprache erleichtert zu fühlen, und da bei ihnen es nicht so-
wohl auf das Festhalten des Gelernten, als darauf ankommt, dass das
Sprachbcwusstsein geübt worden sei , so ist auch dieser Zweck gewiss
erreichbar. Anders aber stellt sich das Verhältniss in Bezug auf die-
jenigen , welche in das Obergymnasium übergehen. Sollen sie schwe-
rere Schriftsteller mit Nutzen lesen, so muss eine grössere Sicherheit und
eine umfänglichere Kenntniss der Grammatik vorausgesetzt werden , ja
selbst die Fertigkeit im Uebersetzen wird kaum als hinlänglich geübt er-
scheinen. Man wird einwenden , dass ja für diese die Fortsetzung des
Unterrichts die Gelegenheit zur Auffrischung, Befestigung, Ergänzung
und Erweiterung biete. Allein einmal werden wir die im Obergymna-
sium dem Latein zugewiesene Zeit selbst sehr gering finden, sodann aber
lehrt ja die Erfahrung, dass die Sicherheit in den Elementen, einmal
versäumt, später nur durch den energischsten Willen nachgeholt werden
kann. Diejenige Sicherheit, welche ein fast unbewusstes stetes Gegen-
wärtighaben des Erlernten und der richtige Tact in Anwendung der
Regel und Unterordnung der einzelnen Fälle unter dieselbe ist, kann in
den unteren Classen nicht durch Privatfleiss neben dem Unterrichte, son-
dern nur durch mannigfaltige und allseitige Uebungen und durch häufige
aber mehrere Jahre fortgesetzte Repetitionen unter Leitung des Lehrers
erworben werden, und darum darf gerade ihnen am wenigsten die Zeit
karg zugemessen werden. Für die erste Classe werden 8 Stunden voll-
kommen ausreichend gefunden werden, am wenigsten aber wird die Zeit
für Cl. IV., da in ihr die Metrik hinzutritt, ausreichend erscheinen.
Musste die wöchentliche Stundenzahl festgehalten werden , so konnte
allerdings die Zahl der lateinischen Stunden nicht vermehrt werden (wir
erinnern, dass in Cl. II. die zweite lebende Sprache, wenn auch nur fa-
cultativ, in Cl. IIL das Griechische hinzutritt). Wenn daher diesem
Uebelstande abgeholfen werden soll , so bleibt nichts übrig als der Vor-
schlag Hrn. xMützeirs (a. a. O. S. 27), die Zahl der Jahrescurse um einen
zu vermehren. Im Uebrigen billigt Ref. es vollkommen, dass nur in den
316 Schul- und Universitätsnachrichten,
beiden untersten Classen Grammatik und Lectüre, so weit es möj;Hch,
verschmolzen sind, dagegen in Cl. III. dem grammatischen Unterrichte
getrennte Stunden zugewiesen werden, in Anerkennung des Grundsatzes,
dass auch schon auf dieser Stufe Kenntniss des Inhaltes Zweck der Lec-
türe sei. Eben so ist die Forderung, dass bei dem Bilden von Sätzen
durch den Schüler auf einen reellen Gedankeninhalt zu sehen sei , durch-
aus lobenswerth , indess hält Ref. diese Operation für den lateinischen
Sprachunterricht für nicht ganz angemessen, weil der Schüler noch nicht
diejenige Kenntniss des Ausdruckes besitzt, um sich frei zu bewegen,
demnach entweder Gedanken, zu denen ein Wort ihm fehlt, fallen lassen,
oder zu ganz unlateinischen Wendungen greifen wird , deren Verbesse-
rung dem Lehrer Mühe ohne Frucht verursacht, deren Nichtbeachtung
aber dem Schüler eine später nur sehr schwer zu beseitigende falsche
Gewohnheit anbildet. Das Zweckmässigste ist, wenn der Schüler deut-
sche Sätze bildet, auf welche die Regel anwendbar, und sie dann mit
Hülfe des Lehrers überträgt, oder wenn der Lehrer eine gehörige Zahl
solcher selbst in Bereitschaft hat, um die Schüler daran zu üben. Ferner
ist für den Ref. erfreulich gewesen, dass der Entwurf entgegen den An-
sichten Mancher *) bald eigene Präparation von dem Schüler fordert.
Der Missbrauch , der damit getrieben worden, hebt den Nutzen nicht auf,
der ein wissenschaftlicher und sittlicher ist. Denn die Vocabelkenntniss
wird sicherer, wenn der Schüler die Bedeutung des Wortes selbst suchen
muss , die Kräfte werden mehr geweckt, indem er in Unbekanntes ein-
zudringen gennthigt ist, und selbst der Charakter wird gestärkt, da er
sich an Schwierigkeiten zu versuchen gezwungen sieht. Dem Lehrer
wird es obliegen, die Sache vor Ausartung und Gedankenlosigkeit zu be-
wahren. Für die schriftlichen Uebungen dagegen scheint zu wenig ge-
sorgt zu sein. Es ist wichtig, dass der Schüler die gelernte Regel
selbstständig in Anwendung bringe, und ein vierzehntägiger Zwischen-
raum erscheint dafür zu gross. Eine grössere Ausdehninig dessen, was
im 1. Sem. der Cl. III. und in Cl. IV. zweckmässig befunden worden,
dürfte dem Ganzen nicht nachtheilig, sondern eher förderlich sein.
Bei der Wahl der im Obergymnasium zu lesenden Schriftsteller hat
offenbar die Rücksicht gewirkt, dass das römische Staatsleben kennen
gelernt werden soll. Wenn nun damit auch andere Eigenthümlichkeiten
der Römer zur Anschauung kommen werden, so erscheint dennoch die so
erworbene Kenntniss der Litteratur zu unvollständig. Die Römer haben
auch auf den Gebieten der Rhetorik und Philosophie Leistungen vollbracht.
Stehen sie auch darin auf den Schultern der Griechen, so haben doch
ihre Bearbeitungen einen eig?nthümlichen Charakter, ergänzen vielfach
die uns erhaltene griechische I^itteratur, sind in historischer Hinsicht der
Beachtung würdig, weil in ihnen die Cultur des Aiterthums auf das Mittel-
alter überging; ja wenn man darauf Rücksicht nimmt, wie der Entwurf
thut, dass neuere wissenschaftliche Werke in lateinischer Sprache zu stu-
♦j Vergl. Högg in der Pädagogischen Vierteljahrsschrift v. Schnitzer
VI. 1. S. 81 ff.
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 317
diren sind , so ist ihre Kenntniss zu deren Verstandniss nothwendig. Für
ein vollständiges Gymnasium halten wir demzufolge die Lesung einer
rhetorischen und einer philosophischen Schrift des Cicero für nothwendig.
Statt der ersteren kann auch Quinclilian's X. Buch dienen. Ueberhaupt
aber ist Cicero so sehr der Normalschriftsteller der lateinischen Littera-
tur, es kann aus ihm der römische Geist in seiner edelsten Form so voll-
ständig und klar angeschaut werden *) , dass er wohl eine ausgedehntere
Beachtung verdient, als ihm in dem Entwürfe zu Theil geworden ist.
Auch unter den Dichtern vermissen wir ungern wenigstens ein Stück des
Terentius, da durch denselben eine sonst nirgendsher zu erkennende
Seite des antiken Lebens aufgeschlossen wird und er der einzige vollstän-
dige Repräsentant einer Litteraturgattung ist, die, von den Alten ausge-
bildet, nicht ohne bedeutenden Einfluss auf die Neueren geblieben, min-
destens durch Vergleichung mit diesen zu förderlichen Betrachtungen Ver-
anlassung bietet. Die Ordnung, in welcher die Prosaiker zur Lesung
kommen sollen, beruht, wie in die Augen fällt, darauf, dass die Haupt-
momente der Entwickelung des römischen Staatslebens in ihrer chronolo-
gischen Folge zur Anschauung kommen sollen. Es entsteht aber die
Frage, ob das historische Princip sich mit dem andern pädagogischen,
welches zur Erlernung der Sprache ein stetes Fortschreiten vom Leich-
teren zum Schwereren fordert , vertrage , und welches wohl ein Ueber-
wiegen verdiene, Ref. hält das Letztere für das Berechtigtere, weil
Kenntniss der Geschichte doch immer nur ein Zweck, nicht der allei-
nige ist, und weil der mangelnde chronologische Zusammenhang durch
anderen Unterricht unschädlich gemacht wird , während das verletzte
pädagogische Princip grösseren Nachtheil bringt. Kaum scheint es ihm
möglich, dass nach dem im Untergymnasium empfangenen Unterricht der
Schüler den Livius recht zu verstehen befähigt sei. Man täuscht sich
über diesen Schriftsteller eben so häufig, wie über Salust. Die Rede
erscheint so einfach und leicht verständlich und doch erfordert ein tiefe-
res Eindringen bereits umfänglichere Kenntnisse der Sprache und ein ge-
übteres Urtheil. Die Lesung hat aber doch nicht allein die Kenntniss
der vom Schriftsteller überlieferten Sachen , sondern auch die Anschauung
seines Charakters und die richtige Würdigung seiner Darstellung zum
Zwecke. Die erste catilinarische Rede des Cicero hält Ref. unbedingt
für leichter, als einen längeren Abschnitt aus Livius' ersten Büchern oder
eines von Salust's Geschichtswerken. Durchaus Feind einer über das
zum Verständnisse des Schriftstellers unumgänglich Erforderliche hinaus-
gehenden Erklärung, hält Ref. doch ein häufiges Besprechen des Gelese-
nen, schon damit das Ganze in seinem Zusammenhange überblickt werde,
für nöthig; durchaus Gegner jenes Strebens, welches dem Schüler Alles
und Jedes am Schriftsteller durch Reflexion zum Bewusstsein zu bringen
sucht und nichts der unmittelbaren Auffassung überlässt, muss er doch
*) Wir verweisen, um nicht weiter eingehen zu müssen, auf Bar-
telmann, Bemerkungen über den Unterricht in den alten Sprachen.
Oldenburg, 1849.
318 .Schul- und Universitätsnachrichten,
Fingerzeige, um des Schülers Aufmerksamkeit auf die Uebereiiistimmung
von Inhalt und Form, auf die Oekonomie der Schrift, auf die ästhetische
Beurtheilung, auf des Schriftstellers V^erwandtschaft mit und seine Ver-
schiedenheit von Anderen für unentbehrlich erklären; überzeugt, dass so-
bald als möglich der Privatlectüre des Schülers Etwas zugemuthet wer-
den müsse, kann er doch nur dann einen rechten Nutzen von ihr erwarten,
wenn dem Gelesenen mindestens eine Besprechung in der Classe ge-
widmet wird , ja die nothwendige Controle wird den Lehrer meist noch
weiter zu gehen zwingen. Halten wir Alles dies fest, so scheint wohl
das Bedenken gerechtfertigt, ob der lateinischen Leetüre hinlängliche
Zeit im Obergymnasium gewidmet worden sei. Um den Umfang dersel-
ben zu erweitern und sie selbst fruchtbarer zu machen, scheinen dem
Ref. 5 wöchentliche Stunden erforderlich.
Für grammatisch-stilistische Uebungen ist in jeder Classe 1 Stunde
■wöchentlich angesetzt. Hegten wir nun oben Bedenken, dass der gram-
matische Unterricht im Untergymnasium den nothwendigen Abschluss er-
reichen werde, so müssen sie hier stärker erwachen. Soll bei der Lee-
türe die grammatische Kenntniss befestigt und erweitert werden , so wird
deren Umfänglichkeit noch mehr verkürzt. Das fortgeschrittene Alter,
die Vergleichung mit anderen in den Kreis des Uterrichts eingetretenen
Sprachen, die durch die Lesung der Schriftsteller sich aufdrängenden
Fragen , Alles begründet die Forderung einer tieferen Auffassung und
einer zusammenhängenderen Begründung der Grammatik, als sie in den
unteren Classen möglich ist, abgesehen davon, wie viele Erleichterung
die Leetüre und Erklärung dadurch gewinnen werden. Ref. kann sich
demnach für eine so frühe Aufgebung jeden besonderen grammatischen
Unterrichts nicht erklären, und um so weniger, als sich die lateinische
Grammatik als ein bestimmtes systematisches Ganzes zeigt. Allerdings
ist eine Vereinigung desselben mit den schriftlichen Uebungen nicht allein
möglich , sondern auch wünschenswerth *) , allein diesen müsste dann
mindestens in den beiden untersten Classen des Obergymnasiums mehr
Zeit eingeräumt sein. Ja um der schriftlichen Uebungen selbst willen
scheint eine Vermehrung der Stundenzahl nothwendig. Ref. ist ganz
damit einverstanden, dass der Entwurf freie Arbeiten nur in der höchsten
Classe zugelassen und auf Reproductionen **) beschränkt hat — wie er
denn auch die S. 116 ausgesprochene Ansicht theilt, dass die Uebung im
*) Bartelmann in der angeführten Schrift giebt darüber sehr
Beachtensw erthes.
**) Als Beis[)iel wird angeführt, wenn nach der Leetüre der Rede
d. imp. Cn. Pompeii aufgegeben wird, ob Cicero durch diese Rede die |
Gegner des Gesetzantrages wirklich widerlegt habe. Eine solche Arbeit '
ist freilich nicht rein reproductiv , wie Hr. Mützell a. a. O. S. 29 be-
merkt, aber sie ist in der Hauptsache roprodnctiv, indem einmal ein ge-
gebener Inhalt nur unter anderem Gesichtspunkte betrachtet wird, dann
aber auch die Form an ein vorhandenes Muster sich anzuschliessen hat.
Wer will überhaupt scharf die Grenzen zwischen Production und Repro-
duction bestimmen?
I
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 319
Gebrauche der lateinischen Sprache zum Ausdrucke eigener Gedanken
ihren Werth als allgemeines Bildungsmittel verloren habe, — er hält
unverrückbar fest , dass die schriftlichen Uebungen in der lateinischen
Sprache nicht die Anbildung lateinischen Stils, sondern nur die Einfüh-
rung in das Verständniss der Sprache zum Zwecke haben dürfen ; aber
eben damit dieses ein tieferes werde, damit der durch solche Uebungen
zu erzielende Nutzen vollständig erreicht werde — es genügt dies an
einer der alten Sprachen, und die lateinische ist durch ihren Charakter
die geeignetere*), — verlangt er eine grössere Ausdehnung derselben,
als der Entwurf zulässt. Und, was ein äusserliches Verhältniss anbe-
trifft, nur dann können wir einen genügenden Erfolg erwarten, \venn die
Correctur eine genaue, die Besprechung eine gründliche und eingehende
sein wird. Diese aber erfordert um so mehr Zeit, je zahlreicher die
Classen und je mannigfaltiger in Folge davon die Bedürfnisse sind. Um
dieses Alles zu erfüllen, um in den beiden unteren Classen des Ober-
gymnasiums einen höheren grammatischen Cursus einzurichten, um in den
oberen Classen eine tiefere und gründlichere Besprechung der gelieferten
Arbeiten zu ermöglichen, um zugleich der Leetüre einen hinlänglicheren
Zeitraum zu sichern , scheint dem Ref. die Vermehrung der Stundenzahl,
welche der Entwurf für den lateinischen Unterricht ausgesetzt hat, noth-
wendig. Für einen 8jähr. Cursus in dieser Sprache gelten ihm 7 wö-
chentliche Stunden als Minimum. Die Erfahrung wird zeigen, ob er
sich geirrt.
Der Lehrplan für das Griechische ist folgendermaassen angeordnet.
Ziel des Untergymnasiums ist nach §.27: Grammatische Kennt-
niss der Formenlehre des attischen Dialekts nebst den nothwendigsten u.
wesentlichsten Punkten der Syntax. Cl. IIL 5 St.: Regelmässige For-
menlehre mit Ausschluss der Verba in fit. Uebersetzung aus dem Lese-
buche. Memoriren. Präpariren. Im 2. Sem. alle 14 Tage ein Pensum.
Cl. IV. 4 St. Verba in ul; das Wichtigste der unregelmässigen Flexio-
nen. Uebersetzung aus dem Lesebuche. Memoriren. Präpariren. Alle
14 Tage ein Pensum. Empfohlen werden Kühneres Elementargramraatik,
welche dem grammatischen Bedürfnisse auch für das Obergymnasium ge-
nügen soll, und Krüger'' s griechische Sprachlehre für Anfänger, Feld-
bausch^s und Süpfle's griechische Chrestomathie, Jacobs'' griechisches Ele-
mentarbuch und Halmes Lesebuch. Ziel des Obergymnasinms ist:
Gründliche Leetüre des Bedeutendsten aus der griechischen Litteratur, so
weit es die dem Gegenstande gestattete kurze Zeit zulässt. Cl. V. 4 St.:
Etwa vier Gesänge von Homer's Ilias. Alle 14 Tage 1 St. Grammatik.
Präparation mit Memoriren der Vocabeln. Alle 4 Wochen ein Pensum.
Cl. VI. 4 St.: 1. Sem. ungefähr 6 Gesänge von Homer's Ilias. 2. Sem.
aus Herodot die Hauptpunkte aus der Geschichte der Perserkriege. Das
Uebrige wie in Cl. V. Cl. VIL 5 St.: 1. Sem. eine Tragödie des So-
*) Um weiterer Auseinandersetzung überhoben zu sein, beziehen
wir uns auf die Darlegung unseres FVeundes und Collegen Palm : Ueber
Zweck, Umfang und Methode u. s. w.
320
Schul- und Universitätsnachrichten,
phokles, nachher Homer's Odyssee. 2. Sem. Deraosthenes' kleine Staats-
reden und, wenn Zeit ist, de Corona. Das Uebrige wie in der vorher-
gehenden Classe, aber nur „zuweilen ein an das Gelesene sich anschlies-
sendes Pensum." Cl. VIII. 6 St.: 1. Sem. Plato's Apologie, dann einer
der bedeutenderen Dialoge, Protagoras, Gorgias, Phädon. 2. Sem. eine
Tragödie des Sophokles. Das Uebrige ganz wie in Cl. VII.
Wenn unabänderliche Verhältnisse dem Griechischen nur eine ge-
ringe Zeit gestatteten , so konnte w ohl die Frage aufgeworfen werden,
ob es nicht zweckmässiger sei, sich mit einer alten Sprache zu begnü-
gen und eine grössere Einheit in die bunte Mannigfaltigkeit der Unter-
richtsgegenstände zu bringen. Ref. freut sich aufrichtig, dass der Ent-
wurf diese Frage verneinend entschieden. Die völlige Unbekanntschaft
mit dem Griechischen wäre jedenfalls von unberechenbarem Nachtheil für
die Gymnasialbildung , ja geradezu eine Aufhebung dieser gewesen und
es lässt sich in der gegebenen Zeit doch immer etwas Erfreuliches leisten.
Bei den vorhandenen Verhältnissen können die Bemerkungen des Ref. kei-
nen andern Zweck haben, als seine Ansichten über den griechischen Un-
terricht zu entwickeln und das Verhältniss derselben zu den von den Ver-
fassern des Entwurfs angenommenen darzulegen. Mit Recht hat zuerst
derselbe den Beginn des Griechischen erst, nachdem im Lateinischen ein
tüchtiger Grund gelegt, angenommen. Viele verlangen jetzt das Umge-
kehrte, aber wenn gewiss ist, dass im Unterrichte das fest Bestimmte
und Fixirte dem Mannigfaltigen, das Objectivere dem Individuellen vor-
ausgehen rauss, so kann man nicht im Zweifel sein, dass die lateinische
Grammatik dem jugendlichen Alter angemessener sei als die griechische,
und hält man die vorher aufgestellte Ansicht, dass die formelle Bildung
an einer Sprache und zwar an der lateinischen zu erreichen sei, für
wahr, so wird man dieser einen längeren Unterricht ohne Bedenken ein-
räumen und um so mehr, als der Geist, durch die lateinische Sprache be-
reits der antiken Sprach- und Denkweise näher gerückt, leichter die
griechische erfassen wird. Die Grundsätze, welche für den ersten Un-
terricht aufgestellt werden, sind durchaus richtig. Auch die Bestimmung
des durch den grammatischen Unterricht zu erreichenden Zieles (S. 117),
dass das Uebersetzen niemals auf einem unsicheren Rathen, sondern auf
einem gründlichen grammatischen Verständnisse beruhe, kann Ref. nur
billigen und desshalb gegen die Ansetzung weniger grammatischer Stunden
um so weniger Etwas einwenden, als er überhaupt überzeugt ist, dass die
griechische Syntax sich auf eine verhältnissmässig nicht gar zu grosse
Menge einfacher, freilich aber zu ihrem Erfassen ein bereits gebildetes
Sprachbewusstsein und logisches Denken voraussetzender Regeln zurück-
führen lässt; dagegen muss er darauf aufmerksam machen, dass bei der
griechischen Leetüre, wenn nur ein einigermaassen tieferes Verständniss
des Verhältnisses zwischen Inhalt und Form erzielt werden soll, ein häu-
figeres Zurückgehen auf die Grammatik nothwendig wird , als bei der la-
teinischen. Da nämlich das freiere Walten der Individualität einen we-
sentlichen Zug des griechischen Charakters bildet, so ist es weniger an-
gemessen, in der Grammatik alle die freieren, aus der Individualität
Beförderungen und Ehrenbezeigungen, 321
hervorgehenden Gestaltungen unter die Regel zu subsumiren und dadurch
diese über der Fülle der Ausnahmen und Einzelheiten selbst vergessen
zu machen — ein Fehler, der viele sonst ganz treffliche Grammatiken für
den Schulgebrauch weniger zweckmässig erscheinen lässt — , als bei dem
Vorkommen eines einzelnen Falles auf diesen aufmerksam zu machen und
die Berechtigung des Ausdrucks im Verhältnisse zu dem Sprachgesetze
nachzuweisen. Darausfolgt aber, dass, wenn für den grammatischen
Unterricht und die Schreibübungen im Griechischen weniger Zeit erfor-
dert wird als im Lateinischen , umgekehrt wieder die Leetüre eine ver-
hältnissmässig grössere fordert,
Kücksichtlich des Umfanges der Leetüre geht Ref. von der Forde-
rung aus, dass eben so, wie im Lateinischen, das Ziel sei die Erkennt-
niss des griechischen Lebens, namentlich des geistigen in seinen bedeut-
samsten Momenten , dadurch aber die Aneignung der Grundlagen rein
menschlicher Bildung, welche das griechische Volk gelegt hat, und die
richtige Würdigung seiner historischen Bedeutsamkeit. Darin , in der
Verfolgung des gleichen Zieles, nicht in der Anwendung gleicher Mittel
findet er für sich die Frage über die sogenannte Parität beider Sprachen
entschieden. Zur Erreichung von jenem aber hält er Folgendes für
nothwendig: zuerst die vollständige Leetüre beider homerischen Epen —
auf den Privatfleiss rechnet er mindestens die Hälfte — , weil aus ihnen,
uud zwar nicht nur aus dem einen oder dem andern allein, die Grundlage,
worauf die gesammte religiöse, sittliche, politische, ja ästhetische Bil-
dung der Hellenen beruht, geschöpft werden muss. Das hohe Ansehen,
welches Homer zu allen Zeiten beim Volke derselben genoss , die Stel-
lung, welche er in ihrem Jugendunterrichte zu allen Zeiten behauptete,
die stete Rücksichtsnahme auf ihn , welche sich bei fast allen Schriftstel-
lern wiederfindet, machen die Berechtigung dieser Forderung klar. Hin-
zu tritt aber noch die Mustergültigkeit, welche seine Gesänge für die
Nationalepen aller Zeiten und aller Völker besitzen. An Homer reiht
sich Herodot. Seine Darstellung der Perserkriege ist allerdings das
Werthvollste in seinem Werke, aber auch Anderes dürfte nicht zu über-
gehen sein, einmal als Quelle für die Kenntniss anderer Länder und ihrer
Geschichte, sodann aber, weil daraus die Art und Weise, wie die Grie
chen fremdes Wesen auffassten und beurtheilten, vor Augen tritt. Ueber-
haupt ist Herodot der Repräsentant eines Bewusstseins , welches in der
Gesammtentwickelung des Volkes eine hohe Bedeutung hat. Die Blüthe-
zeit des athenischen Staates unter Perikles, die Erkenntniss seines inner-
sten Wesens mit seinen Licht- und Schattenseiten und des grossen
Auflösungsprocesses, den das gesammte griechische Volk im peloponne-
sischen Kriege durchmachte, macht wenigstens einige Bekanntschaft mit
Thucydides nothwendig. Ref. weist nur auf die berühmte Leichenrede
des Perikles hin. Woraus kann der Geist des attischen Volkes besser
erkannt werden *) ? Für die Zeit des Sinkens bietet Xenophon ein zu
*) Es soll hier natürlich nicht zugleich die Reihenfolge, in welcher
die Schriftsteller gelesen werden sollen, festgestellt werden.
IS,Jahrb^f, Phil.u. Päd. od, Krit, Bibl. /?d. LVIII. Hft.d, 21
322
Schul- und UniversitStsnachnchten,
anschauliches Bild, als dass er ganz ausgeschlossen werden könnte. Seine
Anabasis ist eine Jugendschrift, wie nur wenige. Soll die Geschichte
/Alexanders des Grossen aus einer Quelle studirt werden — und wegen
ihrer weltunigestaltendcMi Folgen ist dies gewiss wünschenbwerth — , so
bietet Arrian , der jetzt erst einer gerechteren Würdigung theilhaftig ge-
worden ist, sich dar. Plutarch kann zur Krgänzung der Geschichts-
quellen zugezogen werden, auf die Nothwendigkeit seiner Leetüre ver-
maii Ref. nicht zu bestehen. Als Muster der Beredtsamkeit für alle Zei-
ten, zugleich als Hauptquelle der Anschauung des an unheilbarer Krank-
heit hinsterbenden Volkes, muss Demosthenes aufgenommen werden. Nur
die philippischen Reden und die vom Kranze eignen sich zur Leetüre in
der Schule. Um auch andere Gattungen zur Kenntniss zu bringen, dürf-
ten statt der letzteren einige kleinere Reden des Lysias (z. B. nach Rau-
chenstein's Auswahl) und vielleicht Isokrates Panegyricus oder Panathe-
naVcus zweck mäj^sig sein. Das letzte Stadium der Prosa mag eine oder
einiiie der kleineren Schriften des Pluton bilden. Wäre auf der einen
Seite zu bedauern, wenn der Schüler gar nichts davon kennen lernte, da
doch die Philosophie die höchste Schöpfung des griechischen Geistes ist
und die Leetüre als eine sehr zweckmässige Einführung in das philoso-
phische Studium betrachtet werden muss, so daif auf der andern nicht
unberücksichtigt bleiben, dass das wahre und volle Verständniss sehr
schwierig zu erreichen ist. Wenden wir uns zu den Dichtern , so bedarf
es über Sophokles keines Wortes; es will aber dem Ref. nicht genügen,
wenn Euripides ganz übergangen werden soll, da derselbe anerkannter-
maassen auf die Gestaltung des Drama's der Neueren einen bedeutenden
Einfluss gehabt hat und von den das griechische Wesen in sich auflösen-
den Elementen und Richtungen bedeutsame Zeugnisse ablegt. Ob Äe-
schylus (Prometheus) in den Kreis zu ziehen sei, ob als Beispiel der Ly-
rik ein Gesang des Pindar, eine oder mehrere Idyllen des Theokrit ge-
lesen werden können, macht Ref. von den obwaltenden Verhältnissen
abhängig. Dass die Schüler durch Vorträge über die Litteratur — mag
man sie zur Geschichte weisen, welcher dann ein grösserer Zeitraum zu
lassen ist, oder sie als Einleitungen zu den Schriftstellern aufstellen — in
das rege und mannigfaltige geistige Leben der Griechen eingeführt wer-
den und wenigstens einige Kenntniss von den hier nicht berührten Gat-
tungen (namentlich der alten Komödie) erlangen, scheint ebenfalls eine
berechtigte, von Niemandem mit anderen Gründen, als mit dem Mangel
an Zeit bestrittene Forderung.
Einen solchen Umfang der Leetüre zu geben , war dem Entwürfe
natürlich unmöglich, da die auf diesen Unterricht verwendete Zeit nur
eine geringe sein konnte. Um das Mögliche zu erreichen, stellten seine
Verfasser eine Auswahl de>>jenigen aus der griechischen Litteratur zusam-
men, was dem Charakter des Jugendalters vorzugsweise angemessen und
ihm eine edle Nahrung zu geben fähig sei, dass die Hauptgebiete der
Litteratur durch je einen Repräsentanten vertreten wären. Die meisten
der vorgeschriebenen Pensa lassen sich bei einer verständigen Methode in
der dafür bestimmten Zeit allenfalls vollenden ; nur in BetrelF des Plato
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 323
erlaubt sich Ref. mit Hrn. Mützell a. a. O. S. 33 Zweifel zu hegen. Mit
demselben Gelehrten kann er aber nicht den Anstoss theilen , den ihm die
Bestimmung der Lectüre für Cl. V. und VI. gegeben hat. Dieselbe wird
in dem Anhange S. 118 dadurch gerechtfertigt, dass , da bei dem gerin-
gen Umfange, auf den der griechische Unterricht zu beschränken gewe-
sen, nur eine der homerischen Dichtungen in einiger Ausdehnung gelesen
werden könne, die llias als die im Ganzen bedeutendere und dem Cha-
rakter des jugendlichen Alters mehr entsprechende, der Odyssee vorge-
zogen worden sei. Es steht dies dem bisher wohl fast überall beobach-
teten Verfahren, nach welchem die Odyssee vor der llias gelesen wird
und eine bedeutsamere Stelle im Unterrichte einnimmt, entgegen, allein
dem Ref. scheint doch mancherlei dafür zu sprechen. Es ist wohl als
unzweifelhaft anzusehen, dass die Odyssee späteren Ursprungs ist als die
llias. Wenigstens trägt sie den Charakter eines fortgeschrittenen Be-
wusstseins , einer in mancher Hinsicht bereits veränderten und die Keime
zu neuen Gestaltungen in sich enthaltenden Zeit an sich*). Und abge-
sehen davon, es knüpft sich Alles, was in ihr erzählt wird, an das grosse
Drama vor Troia an , setzt also dieses voraus. Spricht also schon ein
historischer Grund für die Umkehrung des bisher befolgten Weges, so
kommt hinzu, dass die llias äusserlich eine geringere Mannigfaltigkeit des
Inhaltes und der Form zeigt, und ausserdem das Ganze viel leichter über-
schaulich ist, als die Odyssee. Wir wollen hier nicht die Frage erörtern
über die Einheit der Odyssee **), aber wie das Ganze uns vorliegt, ist es
aus viel mehr einzelnen und getrennten, durch einen künstlichen Faden
zusammengehaltenen Theilen zusammengesetzt, als die llias. Sind ein-
mal die ersten Schwierigkeiten überwunden, so kann in der letzteren viel
rascher gelesen und demnach ein tieferer Eindruck gewonnen werden.
Auch lässt sie eine fiagmentarische Lectüre viel leichter zu als die Odys-
see, weil in dieser die Spannung auf den Ausgang eine viel höhere ist.
Was endlich die Angemessenheit für den jugendlichen Charakter betrifft,
so ist zuzugestehen, dass die Odyssee eine buntere Mährchenwelt bietet;
aber wir fragen, ob kräftig leidenschaftlich handelnde, in kühnen Kriegs-
thaten sich überbietende Helden das Interesse der Jugend mehr fesseln,
oder der im Harren und Dulden sich bewährende Held. Wenn nach die-
sem Ref. die von den Verfassern des Entwurfs unter den gegebenen Um-
ständen getroffene Wahl nicht missbilligen kann, so ist doch nach dem
früher Bemerkten die fast gänzliche Ausschliessung der Odyssee zu be-
klagen. Da die vollständige Anschauung einer geistigen Schöpfung in
seiner Totalität für die Geistesbildung einen höheren und bleibenderen
Werth hat, als die doch nur auf Einzelnes beschränkte Kenntniss mehre-
rer, so kann wohl die F"'rage aufgeworfen werden, ob es nicht zweckmäs-
siger gewesen wäre, eine kleinere Zahl von Schriftstellern, als eine
*) Vergl. Ulrici Gesch. der hellen. Dichtkunst, I. S. 304. Anm. 271.
^*} Nitzsch's Auseinandersetzungen sind Jedem bekannt. Man vergl.
auch Bäumlein's Abhandlung de compositione Iliadis et Odysseae, Stutt-
gart 1847.
21*
324 Schul- und Uulversitätsnacluicliten,
grossere Menge von Gebieten der Litteratur für die Lecture auszuwählen,
die vollständige Lesung weniger an die Steile der fragmentarischen vie-
ler zu stellen. Ref. würde, wenn er einen Entwurf hätte ausarbeiten
sollen, die Leetüre für das Obergymnasium so geordnet haben, dass nach
der Leetüre eines leichteren attischen Prosaikers in Cl. V. durch die
sänimllichen 3 folgenden Classen die möglichste vollständige Lesung des
Homer und neben diesem nur von Herodot und Demosthenes folgte. Ob
dadurch nicht ein im Verhältnisse erfreulicheres Ziel erreicht werden
>vürde, darüber mögen competente Richter entscheiden; die Absichten,
welche die Verfasser des Entwurfs hegten, bleiben jedenfalls anerken-
nenswerth.
Wir wenden uns zu dem Unterrichte in der Mutterspra-
che, und da wir über die anderen Sprachen (es werden folgende aufge-
zählt: Böhmisch , Polnisch, Ruthenisch, Slo venisch, Illyrisch , Serbis^ch,
Slowackisch; das Magyarische und Italienische sind wohl desshaib über-
gangen , weil die Verhältnisse Ungarns und der Lombardei zum Kaiser-
reiche , als der Entwurf gefertigt wurde, noch nicht entschieden waren)
kein Unheil haben , so betrachten wir nur den Lehrplan für diejenigen
Schulen , in welchen die deutsche Sprache Muttersprache ist. Als Ziel
d e s U n t e r g y mnas i u m s wird in §. 31 festgesetzt: Richtiges Lesen
und Sprechen ; Sicherheit im schriftlichen Gebrauche der Sprache ohne
Fehler gegen Grammatik und Orthographie, nebst Kenntniss der
Formen der gewöhnlichen Geschäftsaufsätze. Anfänge zur Bildung des
Geschmacks durch Auswendiglernen von poetischen und prosaischen Rede-
stücken bleibenden Werthes, welche den Schülern erklärt sind. Cl. I.
4 St.: Grammatik: Zusammengesetzter Satz, Formenlehre des Vcrbums,
1 St. Orthographische Uebungen 1 St. Lesen, Sprechen, Vortragen
1 St. Aufsätze 1 St. Im 2. Semester ein Aufsatz jede Woche oder alle
zwei Wochen als häusliche Arbeit. Cl. II. 4 St.: Grammatik: Satzver-
bindungen, Verkürzungen u, s. w. Formenlehre des Nomen 1 St. Sonst
wie Cl. I. Ein Aufsatz wenigstens alle zwei Wochen als häusliche Ar-
beit. Cl. III. 3 St.: 2 St. Lesen und Vortragen von raemorirten Ge-
dichten und prosaischen Aufsätzen. 1 St. Aufsätze. Alle 14 Tage ein
Aufsatz als häusliche Arbeit. Cl. IV\ 3 St., ganz wie in Cl. III. Das
Grammatische soll in den beiden letzteren Classen nur nebenbei in Er-
innerung gebracht, dagegen die Schüler in die Hauptpunkte der Stilistik-
so weit sie diesen Classen zugänglich sind, eingeführt und namentlich
auf den Einfluss, welchen der poetische oder rhetorische Charakter der
Sprache auf Wortstellung, Satzfügung, Wahl von Bildern und Figuren
hat, aufmerksam gemacht werden. In Cl. IV. sind im Anschlüsse an die
Leetüre die Hauptpunkte der deutschen Metrik zu verdeutlichen und hier
ist auch die Bekanntschaft mit den wichtigsten F"'ormen der gewöhnlichen
Geschäftsaufsätze zu bewirken. Das Ziel des O b ergy m nasiura s
ist nach derselben Paragraphe: Gewandtheit und stilistische Correctheit
im schriftlichen und mündlichen Gebrauche der Sprache zum Ausdrucke
des allmälig sich erweiternden eigenen Gedankenkreises; historisch er-
weiterte Kenntniss der Sprache; historische und ästhetische Kenntniss
I
I
I
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 325
des Bedeutendsten aus der Nationallitteratur ; daraus sich entwickehide
Charakteristik der Hauptgattungen der prosaischen und poetischen Kunst-
formen. CI. V, 2 St. : 1 St. Leetüre einer Auswahl aus dem Mittelhoch-
deutschen. 1 St. Aufsätze. Alle 14 Tage ein Aufsatz als häusliche Ar-
beit. Cl. VI. 3 St.: 2 St. Litteraturgeschichte mit Leetüre und Erklärung
einer Auswahl aus dem Bedeutendsten seit Opitz. 1 St. Aufsätze. Alle
14 Tage ein Aufsatz als häusliche Arbeit. Ci, VIT. 3 St. : 2 St. Littera-
turgeschichte. Fortsetzung und Schluss des in Cl. \I, Begonnenen.
1 St. Aufsätze. Alle 1-4 Tage ein Aufsatz als häusliche Arbeit. Cl. VIII.
3 St.: 1 St. analytische Aesthetik. 1 St. Redeübung. 1 St. Aufsätze.
Alle 14 Tage oder 3 Wochen ein Aufsatz als häusliche Arbeit.
Zu seiner grossen Frende findet Ref. die Bedeutsamkeit des Unter-
richts in der Muttersprache in dem Entwürfe vollständig und richtig ge-
würdigt. Was man auch dagegen sagen mag , er muss als der Mittel-
punkt der gesammten Gymnasialbildung anerkannt werden, eben so wohl,
weil jeder andere Unterricht an die Muttersprache als das schon vorhan-
dene verständlichste Medium der Mittheilung anknüpfen muss, wie dess-
halb, weil die Ergebnisse des Unterrichts in allen anderen Fächern sich
nur nach der Fähigkeit des Schülers, das Erkannte in der Muttersprache
wiederzugeben, richtig messen lassen*), weil endlich, da sämratliche
Schüler doch zunächst als zur Wirksamkeit in ihrem Volke berufen an-
gesehen werden können, die Vorbereitung dazu als der erste und haupt-
sächlichste Zweck gelten muss **). Desshalb fordert der Entwurf mit
vollstem Rechte, dass die Lehrer der übrigen Fächer für die Ausbildung
in der Muttersprache, namentlich in Bezug auf Sprechen und Vortragen,
durch die Methode ihres Unterrichts direct mitwirken, und wiederum, dass
der Stoff, an welchem die Fertigkeit in jener geübt und bethätigt wer-
den soll, den übrigen Lehrfächern entnommen sei.
Das Ziel des Untergymnasiums stimmt mit dem Zwecke dieses Thei-
les der Gymnasialanstalten , ein abgeschlossenes Bildungsganzes zu ge-
währen und ebenso für das Obergymnasium, wie für die Oberrealschule
*) Dass, wer seine Gedanken in fremder Sprache auszudrücken ver-
mag, einen gewissen Grad der Bildung besitzt, wird nicht geleugnet.
Weil aber die Muttersprache die ureigenste , von der Natur dem Men-
schen eingebildete Form des Geistes ist, so kann nur das als sein vol-
les Eigenthum angesehen werden, was er in dieser Form klar mitzu-
theilen vermag.
**) Man hat mit nationaler Eildung vielfach ganz verkehrte Ideen
verbunden und Viele sind um derentwillen ihr feindlich aufgetreten. Weit
entfernt, das Fremde, namentlich die alten Sprachen und Litteraturon,
auszuschliessen, verlangt sie deren Kenntniss, weil sie selbst aus ihnen
Anregung und Gestaltung empfangen hat und durch sie vor Einseitigkeit
bewahrt wird. Nach der gegenwärtigen Gestaltung der Welt kann sie
selbst nichts anderes sein , als die Läuteruno; des nationalen Wesens durch
die Aneignung des Edelsten und Besten aller Zeiten und Völker. Wer
wollte aber den Umschwung der Zeit, wer die veränderte Stellung der
Gelehrten und Gebildeten zum Volke leugnen? Wer kann sich der For-
derung entziehen, welche die Gegenwart stellt?
326 Schul- und Universitätsnachrichten,
vorzubereiten , überein. Grammatische Sicherheit und diejenige Kennt-
niss und Fähigkeit, welche zu einer nützlichen Leetüre von Schriftstel-
lern in der Muttersprache erforderlich sind, können und müssen von dieser
Stufe verlangt werden. In Bezug auf den Weg zur Erlangung gramma-
tischer Sicherheit stehen sich zwei Ansichten schroff einander gegenüber.
"Während die Einen grammatischen Unterricht ganz ausschliessen und nur
Erläuterung an der Leetüre und mündliche und schriftliche Uebungen
fordern, legen die Andern das grösste Gewicht auf denselben. W'ährend
jene vor dem Nachtheile, den eine zu frühe Gewöhnung an die Reflexion
bringen muss, warnen*), stellen diese geradezu als Ziel auf, dass der
Schüler Alles mit dem Bewusstsein der Regel schreibe und spreche. Die
Wahrheit liegt hier offenbar in der Mitte. Der deutsche Unterricht darf
sich des grammatischen Unterrichts nicht entschlagen, er muss Einsicht
in den Organismus der Sprache bieten , welche Einsicht zwar an umfäng-
licher Leetüre, aber nicht ohne zusammenfassenden und ordnenden Unter-
richt gewonnen werden kann ; auf der andern Seite aber muss er sich
hüten, die Sprache selbst wie ein dem Schüler fremdes Object zu be-
trachten. Der vorliegende Entwurf, wie er überhaupt sehr viele tref-
fende und in den weitesten Kreisen beachtungswerthe Bemerkungen ent-
hält, stellt daher mit Recht den Grundsatz voran, dass die Muttersprache
nicht erst erlernt, sondern an der bekannten das Sprachbewusstsein ent-
wickelt werden solle, und eben so mit Recht fordert er, dass durch den
grammatischen Unterricht in ihr die Stelle einer allgemeinen Grammatik
vertreten und dadurch die nöthige Grundlage, auf welcher der Unterricht
in den fremden Sprachen zu bauen habe, gelegt werde. Dem entspre-
chend tritt die Satzlehre in den Vordergrund und es werden für diesen
Unterricht Wurst's Sprachdenklehre und Beclcer's Leitfaden empfohlen.
Es zeigt sich indess, dass der Entwurf eine verkehrte und einseitige An-
wendung der in jenen vorgezeichneten Methode **) vermieden wissen will.
Den vollsten Beifall verdient auch die Vorschrift, dass bei der Formen-
lehre, für welche dem Lehrer die Benutzung von Hoffmanns neuhoch-
deutscher Elementargrammatik angerathen wird, diejenigen Gesetze am
nachdrücklichsten hervorgehoben werden sollen , gegen welche gewöhnlich
am meisten gefehlt wird. Gegen die Anordnung, dass erst die Lehre
vom zusammengesetzten Satze, dann die Flexion des Verbums, hierauf
die Lehre von den Satzverbindungen u. s. w, und nach ihr die Flexion
*) Treffliche Bemerkungen darüber bietet das Programm von Hüls-
raann: Ueber den Unterricht in der deutschen Sprache und Litteratur.
Duisburg, 1842. Vergl. auch Herder's Werke XIL Bd. 286 und Deut-
sche Vierteljahrsschrift 1848. I. S. 75.
**) Wir verweisen auf G. W. Hopff: Ueber Methode der deutschen
Stilübungen, Nürnberg, 1848. S. 6 und die von diesem angeführten
W^orte eines erfahrenen Schulmannes : , .Selbst bei glänzenden Fortschrit-
ten im Erkennen und Bilden der Sätze nach gegebenen Kategorien, in
Kenntniss der Wortarten und ihrer Biegung blieb der mühsam ausge-
streute Same stets ohne Frucht, sobald es sich um freie Anwendung
handelte."
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 327
des Nomen durchgenommen werden sollen, sprechen allerdings \iele
Gründe. Soll der Weg eingehalten werden, nach welchem die Formen-
bildung da gelehrt wird, wo die Bedeutung der Formen aus dem Satz-
verhältnisse erläutert ist, so muss sich die Lehre von der Flexion des
Verbi an die Lehre vom einfachen, die von der Flexion des Nomen an
die Lehre vom bekleideten Satze anschliessen , beide also an das, was für
den Unterricht im Untergymnasium vorausgesetzt ist, und man würde
dann die ganze Formenlehre am Anfange des Cursus erwarten. Abge-
sehen davon, sieht man keinen rechten Grund ein, warum die Formen-
lehre und die Satzlehre in je zwei getrennte Hälften getheilt sind , nicht
zusammenhängende Ganze bilden. Obgleich Ref. der Ansicht ist, dass
der grammatische Unterricht eine sehr grosse Vereinfachung erfahren
kann und rauss, so sieht er doch, da für denselben in den beiden unter-
sten Classen nur je eine Wochenstunde angesetzt ist und derselbe später
nur nebenbei in Erinnerung gebracht werden soll, dem Lehrer eine sehr
schwierige Aufgabe gestellt, zumal wenn er berücksichtigt, dass auf der
Altersstufe, in welche dieser Unterricht fällt, eine dialogische Entwicke-
lung der Regeln nothwendig ist, viele Lehren aber, wie z. B. die von
den Prunominibus und den Präpositionen , welche ebenso wegen ihrer
Bedeutung für den Gebrauch der Muttersprache, wie wegen der Ver-
gleichung mit anderen Sprachen unmöglich übergangen werden können,
einer sehr mannigfaltigen und umfänglichen Einübung an vielen Beispielen
schon um desswillen bedürfen, weil gegen sie im gewöhnlichen Leben sehr
häufig gefehlt wird. Wenn für die Orthographie S. 125 — 27 der Grund-
satz aufgestellt wird , dass zwar das Gymnasium zur Verbreitung einer
einfachen, in der Sprache selbst begründeten Orthographie mit zu wirken
habe, aber dabei die grösste Mässigung zu beobachten sei, so giebt dies
dem Ref. Veranlassung, über die in der Orthographie herrschende Un-
sicherheit zu klagen. Möchten die Männer der Wissenschaft, möchten
die gelehrten Gesellschaften sich dem allerdings nicht leichten Geschäfte
unterziehen , unter Berücksichtigung der Sprachelemente, aber auch mit
gehöriger Beachtung des historisch durch den Gebrauch Berechtigten, die
Gesetze derselben aufzustellen, möchten dann dieselben eine allgemeine
Beobachtung finden ! Der Lehrer befindet sich oft in grosser Verlegen-
heit. Will er das durch die Wissenschaft Herausgestellte seinen Schülern
lehren, so tritt er damit in Widerspruch gegen das, was diese in den
meisten Büchern vor Augen bekommen, und läuft Gefahr Verwirrung zu
erzeugen, zumal die Erfassung der wissenschaftlichen Gründe den Schü-
lern meist unmöglich ist. Hält er sich an den Schreibgebrauch, so stösst
er auf viele Zweifel, die er den Schülern nicht lösen kann. Sollen dem-
nach die Gymnasien zur Verbreitung einer einfachen rationellen Ortho-
graphie mit wirken, so ist vorher die wissenschaftliche Begründung einer
solchen und die Einführung derselben in die Schulbücher nothwendig.
Das Dictandoschreiben , welches für die orthographischen Uebnngen durch
den Entwurf beibehalten ist — obgleich durch den Inhalt der Dictate und
durch die Weise des Vorsprechens (jedes Wort nur einmal) noch andere
wichtige didaktische Zwecke (schnelle Auffassung, rasches Besinnen, nütz-
328 Schul- und Universitälsnachricliten,
liehe Kenntnisse u. s. \v.) verfolgt werden sollen — , bedarf von Seiten
des Lehrers eine sehr hohe Aufmerksamkeit, weil leicht entweder die
Aufmerksamkeit der Schüler zu sehr angespannt wird, indem neben der
Sorge für die Züge der Buclistaben das Besinnen auf die Orthographie
und Interpunction und die Achtsamkeit auf den Sinn und Inhalt der Worte
hergehen müssen, oder der Schüler an ein zerstreutes und kopfloses me-
chanisches Hören und Schreiben sich gewöhnt. Diese Gefahren lassen
sich allerdings durch gute Methode beseitigen, gleichwohl freut sich
Ref., dai>s der Entwurf das Dictiren nicht über die unterste Classe aus-
dehnt. Die Sache selbst aber führt ihn auf einen schon oben berührten
Gegenstand zurück, den Mangel des obligaten Schreibunterrichts. Wenn
der Zweck desselben, wie ja wohl nicht in Abrede gestellt werden kann,
nicht allein die Anbildung einer schönen, sondern auch einer sicheren und
leichten Handschrift ist, so kann und darf er nicht allein im Nachmalen
vorgelegter INlusterschriften bestehen, er muss das Dictandoschreiben in
sich aufnehmen; dann aber führt die Natur der Sache dahin, mit ihm die
orthographischen Uebungen zu verbinden, welche Verbindung von be-
deutenden Pädagogen für die Volksschule längst beantragt und in meh-
reren Schulgesetzgebungen bereits eingeführt ist. Das Dictandoschreiben
ist fast unmöglich , wenn die Schüler noch keine geübten Hände besitzen.
Fassen wir die daraus für den in Cl. I. angesetzten Unterricht erwach-
sende Schwierigkeit ins Auge, so wird sich der aus dem Mangel des ob-
ligaten Schreibunterrichts hervorgehende Nachtheil deutlicher heraus-
i^tellen , aus dem vorher Gesagten aber sich ergeben , dass demselben
leichter eine Stelle verschafft werden könnte, als es vielleicht den Ver-
fassern des Entwurfs erscheinen mochte. — Wenn wir das Pensum für
Cl. ni. und IV. richtig beurtheilen wollen, so dürfen wir die Ausdrücke:
,, Einführung in die Hauptpunkte der Stilistik" nicht in ihrer strengen wis-
senschaftlichen Bedeutung nehmen; die Instruction giebt zur Abwehr et-
waiger unrichtiger Auffassungen genügenden Aufschluss. Da ausserdem
das Grammatische nach dem vorhergegangenen Cursus immer zu seiner
Befestigung und Ergänzung eine umfänglichere Berücksichtigung erfordern
und nicht ganz nebenbei hergehen können wird, so wird schon die Zeit
ein Ausschweifen in zu Tiefes und zu Umfangreiches unmöglich machen.
Auch rücksichtlich der in Cl. IV. an dem Lesebuche zu erläuternden
Hauptpunkte der deutschen Metrik wird die Zeit selbst die nöthigen
Schranken setzen. Eine Erleichterung dafür bietet der gleichzeitige
Eintritt der Bekanntschaft mit den Hexametern und Distichen. — Ueb ^r
die schriftlichen Uebungen sind sehr zweckmässige Vorschriften gegeben.
Sie sollen in Cl. I. mit dem Wiedergeben von kurzen durch den Lehrer
vorgetragenen Erzählungen und Beschreibungen beginnen, in den folgen-
den Classen durch den Geschichtsunterricht eine Erweiterung finden und
allmälie auch zur eigenen Production übergehen, diese freilich nur in sehr
beschränktem Maasse. Dass in Cl. IV. nebenbei die Bekanntschaft mit
den Formen der Geschäftsaufsätze gefordert wird, ist in dem Stand-
punkte, von welchem die Zielbestimmung des Untergymnasiuras festgesetzt
wurde, begründet. Der Schreibunterricht, auf dessen Benutzung Hr.
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 329
Mützell a. a. O. S. 35 hinweist, konnte schon darum nicht für diesen
Zweck herbeigezogen werden , weil er überhaupt gar nicht als obligater
Gegenstand aufgenommen ist. Wir haben indess schon oben gesehen,
dass der Entwurf selbst auf diesen Theil des Unterrichts einen zu ge-
ringen Werth legt, als dass wir die Forderung für eine unumgängliche an-
sehen müssten.
Die in der Bestimmung des Zieles für das Obergymnasium aufge-
stellte Forderung: ,, Gewandtheit im schriftlichen und mündlichen Ge-
brauche der Sprache zum Ausdruck des allmälig sich erweiternden eignen
Gedankenkreises" stimmt mit den Forderungen der Meisten, welche über
den deutschen Unterricht geschrieben haben, überein, sie stimmt auch
überein mit dem, was Ref. mit seinen Collegen in dem Berichte über
Nationalitätsbildung (NJbb. Snpplementbd. XV. S. 4 f. §. 7) aufgestellt
hat: ,, freie Beherrschung der Muttersprache im schriftlichen und münd-
lichen Gebrauche." Es hat diese Bestimmung von manchen Seiten als
zu weit gehend Widerspruch erfahren; allein verlange man nun, was der
österreichische Entwurf fordert, oder was Wedewer und Hüppe (Der
deutsche Sprachunterricht. Cösfeld 1842 , S. 19) begehren: „Fertigkeit
in mündlicher und schriftlicher Darstellung mit logischer und stilistischer
Richtigkeit", es wird immer Herrschaft über die Sprache dazu erfordert.
Oder kann Jemand in einem Geschäfte gewandt sein oder in ihm eine
Fertigkeit besitzen , der nicht über die dazu gehörigen Mittel frei ge-
bietet? Kann Jemandem Gewandtheit im Ausdruck zugeschrieben wer-
den, wenn ihm für das, was er denkt und empfindet, was er angeschaut
hat und vorstellt, die angemessenen Worte und Wendungen nicht zu Ge-
bote stehen? Der Ausdruck: ,, freie Beherrschung der Sprache" schliesst
ein vorausgegangenes Nachdenken nicht aus, er fordert nur die Fähig-
keit, aus sich selbst ohne fremde Beihülfe für jeden erfassten Gedanken
und jede gewonnene Anschauung den richtigen, klaren, deutlichen, der
Sache angemessenen Ausdruck (vergl. den Anfang der §.) finden zu
können. Viel weiter ging Spilleke, indem er als Ziel des deutschen Un-
terrichts ,, diejenige Geistesgegenwart" bezeichnete, ,, welcher nie das
rechte Wort fehlt." Das Hauptmittel zur Erreichung des besprochenen
Zieles sind die schriftlichen Arbeiten, über deren Methode in dem Anhang
sehr treffliche Instructionen ertheilt werden. Besonders lobenswerth ist,
dass die Klarheit des Denkens, die Grundbedingung eines guten Aus-
drucks, als das Erste und Hauptsächlichste der Beachtung empfohlen
wird, dass die Wahl der Aufgaben an den in den anderen Lehrobjecten
gewonnenen Stoff *) verwiesen und selbst die auf der letzten Stufe ein-
tretenden Aufsätze reflectirenden Inhalts hauptsächlich an einzelne gele-
sene oder leicht zugängliche Stellen angeknüpft werden, so wie dass in
Betreff der letzteren vor zu unbestimmt allgemeinen Thematen und vor
dem Ueberwiegen solcher, die den poetischen Sinn und die Phantasie
"^^ Dadurch ibt eine Abstufung von selbst gegeben, indem ja mit
jeder Classe eine Erweiterung des Gesichtskreises eintritt, und es er-
ledigt sich demnach das Bedenken Hrn. Mü^zelPs S. 36.
330 Schul- und Universitätsnachrichten,
vorzugsweise in Anspruch nehmen, gewarnt wird. Ref. freut sich auch
darüber, dass die Aufsätze häufig genug gefordert werden, um eine man-
nigfaltige und stetige Uebung zu gewähren, ja für die oberen Classen
dürfte von Manchem eine geringere Zahl aus doppelter Rücksicht ge-
wünscht werden, einmal um den Schülern zu umfänglicheren Arbeiten
Gelegenheit zu gewähren , sodann um für die Correctur einen grösseren
Zeitraum zu gewinnen. Ref. will das Letztere etwas weiter erörtern. Er
weiss wohl, dass bei der Correctur nicht alle Classen von Fehlern ver-
bessert werden dürfen, sondern immer nur diejenigen, welche der Stufe
des Unterrichts entsprechen. Ist man von dem Schüler Vollkommenes zu
fordern nicht berechtigt, so entsteht durch Hinlenkung seiner Aufmerk-
samkeit auf zu Vieles auf einmal nur Verwirrung in ihm und es wird zum
wenigsten das, was für ihn gerade die Hauptsache i.st , nicht genügend
herausgestellt. Auch verlangt Ref. keineswegs, dass der Schüler über
den Grund jeder Correctur zum Bewusstsein gebracht werde. Vieles
beruht auf dem Gefühle und in sehr vielen Fällen nützt die blosse Ueber-
setzung des Richtigen mehr, weil sie den Schüler zum Denken anregt.
Erleichtert wird ferner die Correctur, wenn der Gegenstand vor der
Ausarbeitung mit dem Schüler besprochen worden ist — und aus diesem
Grunde hat wohl auch die Instruction S. 137 dies als allgemeine Norm '")
aufgestellt. Zeitersparniss beim Durchgehen der Arbeiten wird endlich
dadurch ermöglicht, dass allgemeine Fehler nur einmal besprochen wer-
den. Allein trotzdem bleibt des Individuellen und Besonderen genug
und mehrt sich, je mehr die Arbeiten eigene Prodnctionen werden, je
mehr die Entwickelung Selbstständigkeit erreicht, so dass der Lehrer
zumal bei stark besuchten Classen immer eine längere Zeit zum Durch-
gehen der Arbeiten bedürfen wird **). Da alle 14 Tage 2 Stunden zn
den Aufsätzen bestimmt sind , so wird höchstens 1^2 Stunde zu diesem
Zwecke bleiben und es dürfte demnach, für die oberen Classen wenig-
stens, eine Modification der Vorschrift nicht ganz unräthlich sein. Münd-
liche Uebungen sind, wie nicht anders zu erwarten war, durch alle Clas-
*) Ohne das Gewicht der von Hrn, Mützell a. a. O. S. 36 gemach-
ten Bemerkungen zu verkennen, sind wir doch der Ueberzeugung , dass
in den allermeisten Fällen vorherige Besprechung nützlich sei, weil der
Schüler, je weniger Schwierigkeiten ihm die Auffindung des Stoffes macht,
desto grössere Aufmerksamkeit der Form zuwenden kann. Nur darf der
Lehrer zweierlei nicht aus den Augen verlieren, einmal dass die Bespre-
chung den Schüler auf acht sokratische Weise zum Selbstfinden und Er-
innern leite, sodann dass ihm zur Einschlagung frei gewählter Wege und
zur Aeusserung eigener Gedanken genug S|)ielraum bleibe. Damit der
Schüler nur solches gebe, was ganz zu seinem geistigen Eigenthum ge-
worden , untersage man ihm jedes Nachschreiben während der Bespre-
chung.
**) Der von Manchen aufgestellten Ansicht, dass es genüge, wenn
der Schüler nur wisse, seine Arbeit werde controlirt , kann man gewiss
nicht das Wort reden, da sie im Grunde nichts Anderes besagt, als man
müsse den Schüler auf Fehler und Mängel aufmerksam machen, dürfe
ihn aber rathlos lassen über die Mittel zu ihrer Verbesserung.
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 331
sen vorgeschrieben, eigentliche Redeübungen, d. h. ,,das Vortragen
selbstverfasster Reden von den Schülern vor ihrer Classe" nur für die
letzte Classe zugelassen. Ob nicht schon in den vorhergehenden Classen
einen vorbereitenden Anfang damit zu machen rathsam sei , indem man
dem Schüler zumuthet, nach gehöriger Vorbereitung Gegenstände von
grösserem Umfange, z. B. geschichtliche Begebenheiten *), im Zusam-
menhange frei vorzutragen oder über die Gegenstände, über welche vor-
her Arbeiten gefertigt sind, mit Benutzung der Correctur und der dabei
gemachten Bemerkungen aus dem Gedächtnisse zu sprechen, will Ref.
unerÖrtert lassen, eigentliche Redeübungen können nur ganz zuletzt statt-
finden; aber diesen dürfen nicht allein förmlich abgefasste Reden zu
Grunde gelegt werden, es ist vielmehr die Forderung zu stellen , dass der
Schüler über einen leichten Gegenstand , über den er bereits einmal
nachgedacht haben oder der ihm gegenwärtig sein muss, nach einigem
Nachdenken frei spreche, eine Uebung, die allerdings, verkehrt betrieben,
grosse Gefahren hat, aber sorgfältig und besonnen geleitet, den doppelten
Nutzen gewährt, die Schüler an rasche Sammlung ihrer Gedanken zu ge-
wöhnen und ihnen Anleitung zu geben, wie sie im gewöhnlichen Leben,
namentlich im wissenschaftlichen Verkehr, ihre Ansichten klar und bün-
dig vortragen und abweichende richtig bekämpfen. Sehr wohl begrün-
det ist die in dem Entwürfe in Betreff der Redeübungen gegebene War-
nung, dass sie nie zu einem leeren Spiele der Unterhaltung, aber auch
nie zu eitler Phrasenmacherei ausarten dürfen. Gerade um desswillen
aber scheint es dem Ref. nothwendig, dass nicht immer die Schüler selbst
die Themata wählen und dem Lehrer zur Billigung vorlegen, sondern
dass sie auch genöthigt werden , Gegenstände zu behandeln , die ihnen
gleichsam aufgedrungen sind , und dadurch sich selbst überwinden lernen.
Was den Unterricht in der Nationallitteratur betrifft, so wird der-
selbe fast ganz auf Leetüre basirt, so dass den Schülern kein litterar-
historisches Hilfsbuch **), sondern nur eine Chrestomathie in die Hände
gegeben werden soll. Durch die LecLÜre soll auch die historisch erwei-
terte Kenntniss der Sprache, welche in dem Ziele mit enthalten ist, ge-
wonnen werden. Ref. kann nicht unterlassen hier auf die Frage einzu-
gehen , ob und wie weit eine solche von dem Gymnasium zu fordern sei.
Suchen wir zuerst die Gründe, welche von denen angeführt werden, die
das Studium des Altdeutschen — wir wählen mit Absicht diesen Collectiv^
namen — als einen nothwendigen Theil der Gymnasialbildung betrachten,
so sind es hauptsächlich folgende: Eine gediegene Kenntniss der deut-
schen Sprache kann der nicht besitzen, welcher nur die gegenwärtigen
''') In dem Geschichtsunterrichte sind solche Uebungen auch nöthig,
aber das Materielle überwiegt hier , das Formelle fällt dem deutschen
Unterrichte zu.
'•'*) Dem Vernehmen nach ist der Professor der deutschen Litteratur
an der Universität zu Pesth, Schröer, mit der Ausarbeitung eines
Compendiums der deutschen Litteraturgeschichte für die höheren Lehr-
amtalten Oesterreichs beschäftigt.
332 Schul- und Universitätsnachrichten,
Formen der Sprache kennt, nicht wie sie historisch entwickelt und sich
gestaltet haben ; treten doch die Geltungen der einzelnen Formen, die
Gesetze der Flexion, die Stammverwandtschaften der Wörter und ihre
Bedeutungen erst dann klar vor Augen, wenn man auf die älteste Gestal-
tung der Sprache zurückgeht. Da ferner die Sprache der Ausdruck des
Geistes, der objectivirte Geist ist, so muss derjenige, welcher die Gei-
stesentwickelung seines Volkes recht anschauen will — und dies wird doch
von Jedem, der auf höhere Bildung Anspruch macht, gefordert — , auch
die Entwickelung jener kennen. Und wird Bekanntschaft mit der Na-
tionallitteratur gefordert, so ist doch die Kenntniss des sprachlichen Ge-
wandes, in das sie in den verschiedenen Zeitaltern gekleidet war, unaus-
schliessbar, da ja nur Form und Inhalt in ihrer gegenseitigen Durch-
dringung eine volle Anschauung der Kunstwerke geben. Ja, was ist im
Allgemeinen bildender, als den Gang zu verfolgen, den der Geist eines
^'olkes in der Gestaltung seiner Form eingeschlagen und zurückgelegt
hat, welches Volk aber läge uns näher, um an ihm dies zu thun , als das
eigene? Den Mangel an geeigneten Hülfsmitteln hoffen sie bald beseitigt
zu sehen und in der That ist dafür auch bereits nicht Unerhebliches ge-
leistet worden (wir erinnern nur an die auch im vorliegenden Entwürfe
mit vollem Rechte empfohlene deutsche Grammatik von Vilmar). Allein
das erste entgegenstehende Hinderniss bildet immer die Schwierigkeit
der Sache; diese aber besteht nicht allein darin, dass die gothischen, alt-
und mittelhochdeutschen Texte keineswegs eine so sichere Gestalt haben,
um auf ihnen als auf verlässlicher Grundlage die Grammatik vollständig
auf- und auszubauen — dagegen würde man einwenden, dass des Fest-
stehenden genug sei — , sondern vielmehr in der Mannigfaltigkeit der
Lautwandelungen, in der Unbestimmtheit so vieler syntaktischer Regeln,
in dem Mangel so vieler, das Gewordene an das Gewesene knüpfenden
und den Veränderungsprocess genügend aufhellenden Mittelglieder. Soll
hierin von dem Schüler etwas geleistet werden , so bedarf es grosser An-
strengung, durch welche nothwendig die übrigen Bildungselemente beein-
trächtigt werden müssen, und kann das Studium nicht zu einem gewissen
Abschluss gebracht werden, so ist die Mühe meist vergeblich aufgewendet,
da ja die grössere Mehrzahl der Schüler zur Fortsetzung auf der Univer-
sität vseder Zeit noch Neigung besitzt. Ref. meint, die Stimmen solcher
Forscher und Kenner des deutschen Alterlhums, wie Jacob Grimm u. A.,
welche sich auf das Entschiedenste gegen die Aufnahme jenes Studiums
in den Kreis der Gymnasien erklärt haben, müssten wenigstens davon
abhalten, einen Versuch damit zu machen. Nützlich und schön wäre es,
könnten wir es dahin bringen, dass das gesammte deutsche Wesen Gegen-
stand des Jugendunterrichts wäre; aber nicht Alles, was wünschens- und
erstrebenswerth erscheint, ist desshalb auch nothwendig und möglich.
Wäre zu erweisen, dass Niemand ohne Kenntniss des Altdeutschen die
neuhochdeutsche Sprache in ihrem Organismus aufzufassen oder sich in
derselben richtig und schön auszudrücken im Stande sei, so würde die
Frage entschieden sein. V^ir müssten es möglich machen, jenes Studium
aufzunehmen. Aber es spricht ja eine so unendliche Menge von That-
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 333
Sachen dagegen , dass wohl Niemand jene Behauptung im Ernste wird
thun wollen. Will man um der Einsicht in die Gesetze der Sprachent-
wickelung im Allgemeinen willen dasselbe eingeführt NAissen, so ist wie-
derum zu entgegen, dass jene weder in dem Zwecke der Gymnasialbil-
dung enthalten ist — denn man will ja nicht gelehrte Sprachkenner und
Sprachphilosophen bilden — noch erreicht werden kann , da , was Män-
nern erst nach jahrelangen Bemühungen sich erschliesst, unmöglich der
Jugend schon zugänglich ist. Freilich, will man die Geschichte der Na-
tionallitteratur lehien, so wird man auch den Schülern wenigstens eine
Anschauung von der Form geben müssen, deren sich die älteren Sänger
und Schriftsteller bedient haben. Dazu genügt aber die Vorlegung eini-
ger Proben und die Vergleichung derselben mit dem Neuhochdeutschen.
Betrachtet man, dass die altdeutschen Gedichte in neuhochdeutscher Be-
arbeitung verhältnissmässig viel weniger verlieren , als die alten Classiker
in Uebersetzungen — wir unterlassen es Auctoritäten anzuführen — , so
wird man kaum mehr verlangen. Wenn nun der vorliegende Entwurf die
Leetüre einer Auswahl aus dem Mittelhochdeutschen in der Chrestoma-
thie — die Forderung wird durch das als ungefähres Muster aufgestellte
Henneberger'sche Lesebuch *) anschaulicher — und das Durchgehen eini-
ger die auf einander folgenden Stufen der Sprachentwickelung zusammen-
stellenden Paradigmen fordert, so ist Ref. damit im Allgemeinen ganz
einverstanden ; dagegen stimmt er darin Hrn. Mützell bei , dass der Un-
terricht darin zu früh angesetzt sei, welche Ansicht im Folgenden weitere
Beleuchtung erhalten wird. In Betreff der Nationallitteratur nämlich
muss diejenige Periode und Entwickelungsstufe , welche auf die Bildung
der Gegenwart den wichtigsten Einfluss gehabt hat, also, um es bestimmt
zu bezeichnen, für jetzt die Blütheperiode, die mit der Mitte des vorigen
Jahrhunderts beginnt, am genausten und vollständigsten gekannt werden.
Desshalb wäre an und für sich gegen die Bestimmung des Entwurfs, dass
die Zeit vom Sinken des Mittelalters bis zu Opitz nur ganz kurz über-
sichtlich behandelt werden solle , nichts einzuwenden , wenn dabei nicht
der ungeheure Einfluss, den das Zeitalter der Reformation und nament-
lich die Lutherische Bibelübersetzung auf die Litteratur gehabt hat,
welcher Einfluss auch von den Katholiken anerkannt werden muss und
ohne Verläugnung ihres kirchlichen Dogma anerkannt werden kann, zu
sehr in den Hintergrund träte. Um aber sich auf die Höhe der Bildung
der Gegenwart zu erheben, genügt es nicht, dass man nur mit einzelnen,
wenn auch immer den bedeutendsten Werken der Dichter und Schrift-
steller, deren Einfluss noch immer im Volke wirksam lebt, Bekanntschaft
habe , man muss in das ganze Wesen derselben eingedrungen sein. Frei-
lich wird hier die Privatlectüre den grössten Theil zu übernehmen haben,
freilich wird nach Zurücklegung des Schulcurses eine fortdauernde Be-
schäftigung vorausgesetzt werden; aber die Schule muss die tüchtige
Vorbereitung und Anleitung dazu geben , schon um falsche Auffassungen
*) Wir werden nächstens über dasselbe einen Bericht bringen.
334 Schul- und Universitätsnachrichten,
zu verhüten *). Mit Recht hat daher schon Hr. Mützell a. a. O. S. 43
darauf aufmerksam gemacht , dass zur Erreichung des Zieles eine umfäng-
lichere Leetüre nothwendig sei. Betrachten >\ir ferner, was in dem
üntergymnasium im Deutschen und in den übrigen Sprachstunden be-
reits erreicht sein kann, so wird man darin nur die ersten Anfänge zu
einer richtigen Würdigung von Kunstwerken finden. Es sollen nun die
Schüler mit einem Male in die mittelalterliche Litteratur eingeführt wer-
den, deren richtige "Würdigung doch schon ein geübtes ästhetisches Ur-
theil und die Fähigkeit ^ den eigenthümlichen Charakter des Zeitalters
aufzufassen, voraussetzt. Eine nur einigermaassen dazu genügende
Kenntniss der Geschichte ist nach dem Lehrplane gewiss auch nicht vor-
handen. Es kann an und für sich nichts dagegen eingewendet werden,
wenn schon frühzeitig durch Leetüre Kenntniss der mittelalterlichen Lit-
teratur gewonnen werden soll, aber es muss dann später noch einmal dar-
auf zurückgekommen werden, und um so mehr, je weniger vollständig jene
Leclüre gewesen. Dies vermisst Ref. in dem Entwürfe. Endlich wird
in der Litteraturgeschichte, deren Aufgabe es ist, die litterarischen Er-
scheinungen in historischen Zusammenhang zu setzen, demnach die Be-
deutung, welche jede für ihre und die folgende Zeit gehabt, herauszu-
stellen, leichter ein erfreuliches Ziel erreicht werden, wenn der Schüler
mit einer durch Anschauung gewonnenen Kenntniss der Kunstgattungen
und mit geübtem Urtheile zu ihr hinzutritt. Um des doppelten Zweckes
willen also, einmal damit mit dem wichtigsten Theile der Litteratur eine
umfänglichere Bekanntschaft erreicht werde, sodann damit der Schüler
gereifter sei, den historischen Zusammenhang tiefer zu erfassen, hält Ref.
den in dem Berichte für Nationalitätsbildung vorgeschlagenen W^eg (vgl.
das. §. 13 — 15, 38—40, 42 und 43, 46) fest. Nachdem durch Leetüre
und Anschauung eine genauere Kenntniss der Kunstgattungen und eine
reichere Bekanntschaft mit der Litteratur der neueren Zeit gewonnen
ist, soll der Unterricht in der Litteraturgeschichte das Erlernte in hi-
storischen Zusammenhang unter sich und mit der Vergangenheit setzen.
Für diesen Unterricht wird dann eine geringere Zeit genügen und ausser-
dem der Vortheil erzielt werden, dass, indem bei der Leetüre nicht so
viele andere Punkte berücksichtigt zu werden brauchen, die Aufmerksam-
keit sich mehr auf den historischen Zusammenhang concentriren kann.
Daran wird sich dann als Abschluss der in dem Entwürfe für Cl. VJII. an-
gesetzte Unterricht, gewissermaassen die theoretische Beleuchtung des
vorher praktisch und historisch Betrachteten zweckmässig anschliessen.
Die analyti.sche Aesthetik, darin bestehend, dass die aus der Leetüre der
altclassischen Schriftsteller und der Nationallitteratur den Schülern be-
kannt gewordenen Erscheinungen prosaischer und poetischer Rede zu
Gruppen vereinigt und als Ergebni.ss aus der Kenntniss des Einzelnen
eine der Systematik sich nähernde Charakteristik der Hauptgattungen ge-
wonnen wird (es wird dafür die dritte Abtheilung von Kurz's Litteratur-
♦) Hülsmann in dem oben angeführten Programme weist dies sehr
treffend an Lessing's Nathan dem Weisen nach.
Beförderungen und Ehrenbezeigungen, 335
geschichte empfohlen), verdient in allen Gymnasien auf der letzten Stufe
aufgenommen zu werden. Durch die Bemerkungen des Ref. wird übrigens
nichts dem Lobe genommen, welches die Verfasser des Entwurfs, indem
sie, an gegebene enge Grenzen gebunden, mit grösster Besonnenheit und
Einsicht das Möglichste zu erreichen suchten, in vollem Maassc verdienen.
(Die Fortsetzung dieses Artikels folgt in den Supplement-Bänden.)
Coesfeld. Das dortige Gymnasium zählte im Schuljahre 1848
gerade 170 Schüler, im folgenden Jahre 167. Das Lehrercollegium be-
steht aus dem Director Prof. Dr. Schlüter, dem Prof. Rump , den Ober-
lehrern Dr. Marx, Hüppe, Dr. th. Teipel, den Gymnasiallehrern Dr. Grü-
ter , Bachoven von Echt, Löbker , dem Hülfslehrer Weierstrass, zu denen
der Gesanglehrer Fölmer und der Zeichnenlehrer Marschall kommen. Der
Oberlehrer Dr. Middendorf ist 1848 um Ostern nach Münster versetzt
und Löbker statt seiner eingetreten. Die wissenschaftliche Abhandlung
schrieb fürs Schuljahr 1848 Dr. Telpel: De scriptis Joannis apostoli etc,
24 S. 4. Fürs Jahr 1849 geht den Schulnachrichten eine Schulrede vom
Director voraus , gehalten zur feierlichen Entlassung der Abiturienten
am 30. August 1848. Der zur Spendung der h. Firmung im Sommer 1849
in Coesfeld anwesende Bischof von Münster wurde von der Anstalt bei
seinem Besuche mit Ueberreichung eines deutschen und eines griechischen
Gedichtes begrüsst, die der Oberlehrer Teipel verfasst hatte,
Jena , im Dec. 1849. Die Zahl der hier Studirenden beträgt im
Laufe dieses Semesters 370, also 38 weniger als im vergangenen Sommer-
halbjahre, weiche Abnahme indess darum weniger befremden darf, weil
die meisten thüringischen Gymnasien nur zu Ostern ihre Abiturienten
entlassen, so dass der neue Zuwachs zu Michaelis fast nur aus solchen
besteht, welche von andern Universitäten kommen, oder von Schulen
benachbarter Staaten abgegangen sind , während die Zahl der von Jena
Abgehenden sich ziemlich gleich bleibt. Wie von anderen Universitäten
(z. B. Giessen) über den schwachen Besuch der Vorlesungen über allge-
meine Wissenschaften in öffentlichen Blättern berichtet v>ird (v\as man
als nächste Folge und als Missbrauch der ertheilten Lernfreiheit ansehen
zu müssen glaubt) , so wird auch hier über den nur schwachen Besuch
der meisten Vorlesungen über Geschichte, selbst Politik, und Philosophie,
ja selbst über allgemeinere theologische Disciplinen, geklagt und von Ein-
zelnen dem Ministerium ein Vorwurf daraus gemacht, dass es den Colle-
gienzwang aufgehoben habe, ohne zugleich an die Stelle desselben stren-
gere Bestimmungen über Examina zu setzen, über welche letzteren aller-
dings von dem Senat schon vor Jahresfrist gutachtliche Vorschläge ein-
gefordert worden waren. Allein man darf nicht vergessen, dass bei einer
fortdauernden Betheiligung aller herzogl. sächsischen Ministerien (welche
ja seit dem März 1848 durch die politischen Verhältnisse, namentlich
durch ihre Karamerverhandlungen , so vielfach in Anspruch genommen
wurden) an der Oberleitung der akadenäschen Angelegenhf iten eine jede
Reform vielfach verzögert und erschwert bleiben uird, und es ist desshalb
336 Schill- und Universitätsnachrichten u. g. w.
um so mehr zu beklagen, dass durch die vielbesprochenen und vielfach
gepflogenen Unterhandlungen über die Einigung der thüringischen Staaten
nicht wenigstens eine Vereinbarung über eine einheitliche Oberbehörde
für die allen gemeinsame Landesuniversität herbeigeführt worden ist.
Ausserdem aber ist daran zu erinnern, dass unter den Hunderten von Zu-
hörern, welche einst alle Vorlesungen des verewigten Luden besuchten,
sehr Viele waren, welche durch keinen CoUegienzwang dazu getrieben
wurden, dass derselbe noch jetzt sehr rüstige Philosoph Reinhold, der
im vorigen Jahrzehend vor mehr als hundert Zuhörern Geschichte der
Philosophie las, jetzt oft nicht mehr als zwanzig hat, obgleich die Zahl
der Studircnden seit 1833 nur um 200 abgenommen hat. Daneben sind aucli
noch jetzt die publice gehaltenen Vorlesungen von VVolff über deutsche
Litteratur des achtzehnten Jahrhunderts , von Schieiden über Anthropo-
logie stark besucht; auch die Vorträge von Dr. Beruh. Stark über Ra-
phael finden Theilnahme. Es liegt also, selbst abgesehen von den be-
schränkten Mitteln der Mehrzahl unsrer Studirenden, tiefer, als Manche
zu glauben geneigt sind ; es ist als ein Symptom der allgemeinen Rich-
tung unserer Jugend auf das unmittelbar Nothwendige anzusehen, welches
auch von den Lehrern an Gymnasien wohl beachtet werden rauss, damit
sie demselben entgegenarbeiten. Als äusserlich fördernde Momente dieser
Richtung sind die Fortschritte des Gymnasialunterrichts in den ver-
schiedenen Gegenständen anzusehen , welche dem Abiturienten eine fer-
nere Beschäftigung mit denen, die ihm nicht näher liegen, als unnöthig
erscheinen lassen, und die Vermehrung der zu den speciellen Fachstudien
gehörigen Vorlesungen, so wie die Ausdehnung derselben, welche ihm
wenig Zeit zu anderen Collegien übrig lassen. [^^«J
Inhalt
von des achtundfunfzigsten Bandes drittem Hefte.
Seite
Kritische Beurtheilungen. ... 227 — 296
Hofmann: Der römische Senat zur Zeit der Re- ) Von Prof.
publik SDt.W. Rein 227—24 <
Zumpt: De legibus judiciisque repetund. .... ) zu Eisenach.
Tchorzewski : De Politia, Timaeo, Critia, ultimo Piatonis ternione.
Von Prof. Dr. G. Stallbaum ^ Rector der Thomasschule u. s. \v.
zu Leipzig. 248—268
Hogg : Lateinische Lehr- und Lesestücke j Von Dr. Mb.
Derselbe: Aufgaben über die lat. Lehr- und Lesestücke, t Vogelmann ^cq^^q*}
Derselbe: Andeutungen zum Gebrauche der lateinischen f zu Ellwan-
Lehr- und Lesestücke \ gen.
Gödeke : Deutschlands Dichter von 1813 bis 1843. — Von Dr. J. Minck-
witz zu Leipzig 282-291
Richter: Lehrbuch der Planimetrie. — Von Dr. C. Bottger zu Rudol-
stadt. , 291—296
Schul- u. Universitätsnachrichten, Beförderungen u. Ehrenbezeigungen. 296 — 336
Kaiserthum Oesterreich 296 — 335
Coesfeld 335
Jena 335 — 336
Leipzig,
Droek uDd Verlag von B. G. Teuboer.
1950.
Neue
JAHRBOGHER
für
Philologie und Pädagogik,
oder
Kritische Bibliothek
für das
Schul- und UnterricIltSAvesen.
In Verbindung mit einem Vereine von Gelehrten
begründet von
M. Job. Christ. Jahn.
Gegenwärtig herausgegeben
von
Prof. Reinhold Klotz zu Leipzig
und
Prof. Rudolpli Dietscli zu Grimma.
zu AXZIGISTER JAHROAIKO.
Aclitundfunfzigster Band. Viertes Heft.
Leipzig; 1850.
Druck und Verlag von B. G. Teubner.
Kritische Beurtheilungen.
Die Cooptation der Römer von Dr. L. MercM'm.
(Bescliluss der Kecension über Ihne, Hoffmann und ZumiA.)
Ein sehr scliätzbarer Beitrag zur Kenntniss des in den letzten
Decennien von Kiibino, Hiischke und vorzüglich von Arabroscli
angebauten römischen Sacraircchts ist Nr. 4, eine Schrift, welche
ebenso sehr von dem bekannten Scharfsinn des Verf. ein neues
günstiges Zeugniss ablegt , als von dessen fleissigem Studium . in-
dem Hr. M. nicht allein die Quellen gewissenhaft durchforscht,
sondern auch die gesammtc Litteratur des In- und Auslandes sorg-
fältig benutzt Iiat, so dass in Beziehung auf das gesammelte Ma-
terial sehr wenig nachzutragen sein diirfte. Auch die gewonne-
nen Resultate stehen der Hauptsache nach fest und gewähren
eine wirkliche Bereicherung der Wissenschaft, obwohl Hr. M. in
einzelnen Partieen die Sphäre der Cooptation etwas zu weit aus-
dehnt und aus einzelnen Aeusserungen oder Nebenmomenten auf
die Existenz einer Cooptation schliessen will, welche auf die sa-
cralen und eigentlich collegialen Verhältnisse strenger zu begren-
zen war.
Bei dem ersten Anblick könnte es zwar scheinen, als ob die
Frage nach der Ergänzung und Fortpflanzung der priesterlichen
Corporationen eine äusserliche und von untergeordneter Art sei,
allein dem ist nicht so und Hr. J\J. hat sehr richtig gerade damit
begonnen, denn um zur tieferen Kenntniss der römischen Reh'gion
zu gelangen, muss man bei den Priesterschaften anfangen und von
da zu dem Cultus übergehen. Die Priesterschaften aber müssen
zuerst erforscht werden und zwar theils in ihrer sacralen Bedeu-
tung, theils in ihrem Verhältnisse zum Staate. In dieser letzte-
ren Beziehung tritt die Lehre von der Cooptation der Priester,
welche mit der der weltlichen Collegien mehrfach übereinstimmt,
hauptsächlich hervor, so dass die allgemeine Cooptation mit in
22*
340 Römische Staaisaltertluimer.
den Kreis der Untersuchung gezogen werden muss, was Ilr. M.
auch gethan hat. Er beginunt mit einer Einlei tung üb er d eii
IJegrif f d er Coop tati 0 n, wo die verschiedenen Worte, wel-
che die Römer fiir Wahl gehrauchten, von einander unterschieden
werden. Cieare wird aufgefasst als das Schallen von etwas
Neuem, noch nicht Vorhandenem, etwa wie facere; cooptare ist
das corporative Wählen mit der Idee der zukünftigen durch die
Wahl beabsichtigten Gemeinschaft des W^ählers und des Gewälil-
ten. Adoptare bezeichnet ebenfalls die Vermehrung von etwas
Bestehendem durch Hinzutreten eines fremden Bestandtheiles, aber
ohne Andeutung des collegialen Verhältnisses, und adlegere ist
ganz älinlich , nämlich addere iegendo, während jenes für addere
optando steht. Sublegere und siifflcere bedeuten das Ausfüllen
einer Lücke durch einen Ersatzmann. Sonach wird sich Coopt.
bei allen Corporationswahlen finden und zwar zuerst bei den pa-
tricischen Geschlechtern, als den ältesten Innungen. Von diesen
liaudelt Abschnitt I. S. 11 — 25, wo 4 Arten verschiedener Auf-
nahmen in das röm. Patriciat getrennt werden: 1) von einzelnen
Fremden, 2) fremder gentes , 3) plebejischer gentes, 4) einzelner
Plebejer. Die Coopt. wurde durch den König und die Curien ge-
meinsam bewirkt, wie sich aus den einzelnen von Hrn. M, sehr
sorgfältig erörterten Fällen ergiebt. Bei dieser Gelegenheit sagt
Hr. M. S. 20, der Beweis für meine Behauptung, jjdass die unter
Brutus und Valerius aufgenommenen absolut minores hiessen"", sei
noch zu erwarten, wozu ich wenige Worte bemerke. Dass die
Geschlechter des Brutus und Valerius minores hiesscn, ist nicht
zu bezweifeln und ich fügte das Wort „absolut" hinzu, weil ich
den Gegensatz zu den gent. des Tarq. Priscus im Auge hatte.
Diese nämlich scheinen malores und minores genannt worden zu
sein, je nachdem man sie im Gegensatze zu den neuen gentes des
Brutus oder zu den alten des llomulus bezeichnen wollte. Sie
h. minores Aur. Vict. 6 u, s. w., was nicht nachgewiesen zu wer-
den braucht, allein von Tac. Ann. XI. 25 wurden sie zu den maio-
res gerechnet, indem er nur 2 Classen annimmt: Romiilus fnaio-
rum , Brutus minorum g. Eine solche relative Bezeichnung ist
bei den Geschlechtern des Brut, und Valer. nicht möglich und ich
glaubte desshalb dieselben als die absolut minores Genannten be-
zeichnen zu dürfen. — Zum Schlüsse wird des Gegensatzes der
coopt., nämlich des Ausscheidens aus den patric. Geschlechtern,
gedacht und damit die detestatio sacrorum verbunden, wie zuerst
Savigny erkannt hatte.
II. Abschnitt. Die Cooptalion des Senats^ S. 26 — 44.
Hier unterscheidet Hr. M. die Zeit der 4 ersten Könige, welche
Periode durch die patricische Coopt. mit vorwiegender Theilnahrae
der Curien charakterisirt werde, von der Zeit der drei letzten als
Uebergangsperiode, indem unter diesen das republikanische Prin-
cip der lettio durch den Magistrat schon einwirke. Man findet
Mercklhi : Die Cooptation der Uömer. 341
Jiier manches Treffliche, obwohl Ilr. M. in der Theihiahme der
Curieii unter den ersten König^en etwas zu weit zu gehen scheint.
Sehr überzeugend ist die Untersuchung über lexOvinia, wie schon
bei Nr. 2 bemerkt worden ist. Auch darf man die eingewebten
Forschungen über das Institut der interreges nicht übersehen.
III. A b schnitt. Die Cooptation der Ritter und des Hee-
res^ S. 45 — 57. Auch bei der Stiftung der equites erkennt Hr.
M. eine Theilnahme der Curien unter Leitung des Königs, was für
die älteste Zeit nicht in Abrede zu steilen ist. Die weitere Fort-
bildung erfolgte nur durch die Könige. Genau genommen kann
aber von einer eigentlichen Cooptation der Ritter keine Rede sein,
indem bei der ersten Stiftung der Kern noch nicht da war, zu
welchem hinzugewählt werden sollte. Bei den Ersatzwahlen
wurde ebenso wenig cooptirt, sondern der König wählte selbst-
ständig. Nur in der republikanischen Zeit könnte man von einer
coopt. eq sprechen, wenn wir annehmen dürften, dass der Cen-
sor «tets zugleich Ritter gewesen wäre, was kaum glaublich ist.
Uebcrhaupt trat das ursprüngliche collegiale Element der Ritter
frübzeitig in den Hintergrund und das politische, so wie das mili-
tarisclie Element überwog bei weitem, und auch in diesem Sinne
liegt der Gedanke an eine coopt. fern. Dieses scheint auch Hr.
M. selbst zu fühlen, indem er sagt, dass die coopt. der Ritter-
schaft in der Kaiserzeit bei der Wahl des princeps iuventutis deut-
licher durchleuchte. Die Ritter hätten nämlich die ersten princ.
luv. selbst gewählt (die beiden Enkel August's) oder cooptirt. Es
fragt sich aber sehr, ob man coopt. im eigentlichen Sinne von einer
Wahl sagen könne, welche nicht auf den alten Rechten dieses
Standes beruhte, sondern nur durch die damit beabsichtigte
Schmeichelei gegen den Kaiser zu entschuldigen war und als ganz
singulärer Act dasteht. Das monum. Ancyr. 111. 4 f. spricht auch
nicht von coopt., sondern es heisst: eq. iiniversi — appellaverunt.
Nur einmal wird coopt. gebraucht: Lamp. Commod. 2. Aber auch
angenommen, dass man von einer solchen Wahl coopt. habe sagen
können, so war doch nur die erste Wahl als coopt. zu nennen, in-
dem die Wahl der nachfolgenden princ. iuv. nur passiv war und
ganz von dem Verlangen des Kaisers abhing. Abgesehen von die-
ser allzuweiten Anwendung der coopt. muss man Hrn. M. in den
meisten Einzelheiten beistimmen. Noch ist zu erwähnen, dass er
die Ansicht Rubino's (gebilligt von Gerlach und Haltaus), dass die
sex suffragia nur die Ersatzmänner der eigentlichen in den zwölf
Centurien beßndlichen Ritter enthalten hätten, angenommen und
weiter ausgeführt hat.
Was endlich das Heer betrifft, so bemerkt Hr. M. mit Recht,
dass dasselbe nach alter Anschauung eine geschlossene Körper-
schaft gebildet und dass bei mehreren Völkern Italiens nach den
alten leg. sacrat. bei der Werbung eine coopt. stattgefunden habe.
Den neueren delectus der Römer nennt Hr. M. eine abgekürzte
342 Römische Staatsaltcrthümer.
Cooptation, indem die Coss. die Ausliebiing durch vorher gewählte
oder cooptirte Tribunen vollziehen liessen. Es ist jedoch nicht
zu erweisen, dass diese Einrichtuni; ein üeberrest der uralten
('oopt. gewesen sei, da sie sich durch ihre Leichtigkeit u. Zweck-
mässigkeit von selbst aufdrängen musste. Eirie Spur der Coopt.
der Anfiilirer suclit Hr. M. in dem Namen optio^ doch ist in Ab-
rede zu stellen, dass dieses Wort sowohl zur Bezeichnung der
Officicre, welclie den dccurio unterstützten, als der Ersatzmänner
gedient habe, und dass demnach zwei Arten von Optionen gewe-
sen seien. Der Name accensus ist wahrscheinlich die Quelle die-
ses Irrthums gewesen, s. Pauly Realencycl. V. p. 959 f.
Den Kern der ganzen Sclirift bildet der IV. Absclinitt, die
Cooptation der Priester^ S. 58 — 174. An der Spitze stehen die
allgemeinen Bctracljtungcn, dass in Rom Staat und Cultusaus dem
gemeinsamen Coden der Familie erwachsen sei, und dass die po-
litische Verfassung eben so wie die Priestertliümer in dem Keime
der gentes wurzelten. Der Staatscultus bildete sich aus dem Son-
dergottesdienst der Gesclilecliter hervor, indem er die Gentilsacra
zu öffentlichen erhob und die gens zur Priesterschaft machte, wie
zuerst Mommsen nachgewiesen hat, indem er auf eine Reihe von
Familien hinwies, welche sicli im Besitze einzelner Culte befan-
«ien. Ja soirar in dtr Kaiserzeit wurde bei der Bildung einzehier
l^riesterthiimer die Ri'icksicht auf die gens nicht vernachlässigt.
Neben den gentilen PriestercoUegien stehen andere ebenso alte
Priesterlhiimer, welche der collegialen Form entbehren und dess-
lialb von Hrn IM. Einzelpriester genannt werden, nämlich die Cu-
rionen, Flamines, Opferkönig und die Vestalinnen. Alle diese
entbehrten der Cooptation, während sie bei den andern stattfand.
Was 1) die Curionen betrifft, so lässt sie Hr. M. aus und durcli
die Curien erwählt werden und findet bei Dion. II. 22 vno tcjv
cpQaTQiCüv und 21 f^ e>cd6T7]g (pgatgocg keinen Widerspruch, wel-
chen Rubino und nach ihm Marqnardt in seiner vortrefflichen Fort-
setzung der Becker'schen Alterth. II. 3. S. 140 riigen. Die Er-
klärung Hrn. M.'s befriedigt aber mehr, denn c. 21 wird nur der
Kreis angegeben, aus welchem gewählt wird, und c. 22 wird
das Wahlverfahren hinzugefügt, so dass die zweite Stelle die erste
gleichsam vervollständigt. Auch widerspricht Dion. II, 73 keines-
wegs, denn hier spricht er nur von der Ergänzung, nicht von der
Stiftung der Priester, und zwar mit Ausnahme der Curionen, wel-
che er schon hinlänglich besprochen hatte. Die Ergänzung der
erledigten Stellen wird ebenfalls, wie die erste Stiftung, von Hrn.
M. aaf die Curien zuriick^eführt , also ohne Coopt., eine Erschei-
nung, die nicht bei allen Collegien wiederkehrt, indem bei meh-
reren die Art ihrer Stiftung und Regeneration sehr verschieden
ist. Dessgleichen macht Hr. M. sehr wahrscheinlich, dass der
Curio maximus auf dieselbe Weise durch die Curien gewählt
wurde ; nur in einem Punkte kann ich nicht beij;t!mmen , nämlich
Mercklhi: Die Cooptation der Römer. 343
in der Behauptung, dass die Plebejer auch In den Curien gewesen
wären und desshalb auf die Stelle des curio maxiraus hätten An-
spruch machen dürfen. Es lässt sich fi'ir die Aufnahme der Ple-
bejer in die patric. Curien weder eine scliickiiche Veranlassung
und passende Zeit, noch eine leise Andeutung dieser Veränderung
ausfindig machen und es drängen sich vielmehr gewichtige Gründe
dagegen auf. Man muss sich daher mit der Erklärung befriedi-
gen, dass die Curien immer mehr ihre alle Bedeutung verloren
hatten (man denke nur an die spätere Vertretung der Curien durch
die Lictoren!) und dass sich daher das Amt des curio max. nacli
und nach zu einem allgemeinen Priesterthum umgestaltete, wess-
halb auch Plebejer den Zutritt dazu erlangten.
2) Die Flamines bildeten kein Collegium, waren also aucli
ohne Cooptation. In der ältesten Zeit wurden sie von dem Könige
und später von dem pontifex max. gewählt. Dasselbe gilt 3) von
^QW Vestalinnen^ deren Wahlrecht ebenso von dem rex auf den
pont. max. überging. Das Gesetz, dass die Eltern der zu wählen-
den Vestalinnen beide noch am Leben sein müssten, erklärt Ilr.
M. dadurch, dass man für die Würdigkeit der Priester an der Ab-
kunft, Lebenswandel und Erziehung ihrer Eltern sicli eine Bürg-
schaft habe verschaffen wollen. Die citirten Stellen beweisen we-
nigstens nichts für diese Vermutlumg. Auch die Rücksicht, dass
man das Haus der zu wählenden Priesterin so beschaffen wünschte,
um den gehabten Verlust wieder ersetzen zu können, lag wenig-
stens der älteren Zeit ganz fern. Es war diese Bestimmung we-
der durch moralische noch durch politische Motive veranlasst, son-
dern die alten Ritualgesetze verlangten, dass den Göttern nur
Vollständiges und Glückliches geweiht und dass der göttliclie
Dienst möglichst nur von Glücklichen verrichtet werden dürfe.
Darum gehörten zu vielen Solennitäten palrimi tnatrimi^ sicher-
lich aber nicht wegen der in dem Leben der Eltern enthaltenen
moralisclien Garantie, deren man bei diesen Kindern nicht be-
durfte, s. Pauly Realencycl. V. p. 1242 f. Auch von den Saliern
wurde in der ältesten Zeit dasselbe gefordert, Dion. II. 22. Gell.
1. 12, 4. Rex sacrorum wurde, wie schon Rubino erkainit hatte,
durch den pontifex max. gewählt und war demselben überhaupt
untergeordnet.
INach diesen Einzelpriestern folgen die Priestercollegien^
welche sich selbst ergänzen und überhaupt viel selbstständigcr
sind, was, wie Hr. M. vermuthet, schon unter den Königen der
Fall war. 1) Die Poutifices, S. 87—95. Nach Hrn. M. waren
ursprünglich 4 pontif., denen sich der König als fünfter, nämlich
als pontifex raaximus anschloss. Nach der Könige Vertreibung
sei die fünfte erledigte Stelle niclit wieder besetzt worden, son-
dern man habe einen der 4 pontif. zum pont. max. gemacht und
erst lex Ogulnia habe durch Hinzufügung von 4 pontif. die Ge-
sarnmtzahl bis auf 8 erhoben. Gegen diese Ansichten erheben
344 Romische Staatsaltertluimer.
sich aber in doppelter Hinsicht Zweifel, sowohl was das Pontifikat
des Königs, als die Achtzahl der Pontifices betrifft. Zwar sagen
Pliit. Nnm. 4 und Zos. IV. 36, dass die Könige zugleich ponlif.
ma\. gewesen seien, allein das Zeiigniss wird durch die Aensse-
rungen des Cicero, Livius und Dionysins ebenso sehr als durch
andere Griinde beseitigt. Auch ist leicht zu erkennen, wie Plut.
und Zos. zu der erwähnten Aeusserung kamen; sie schlössen näm-
lich von ihrer Zeit, wo der Kaiser pont. max. war, rückwärts auf
die alten Könige und wollten das Kecht der Kaiser an das der
Könige ankniipt'en, wie Zos. klar ausspricht. Dion. und Liv. spre-
chen dagegen von dem allgemeinen sacralen Aufsichtsrecht des
Königs, ohne seines Pontifikats zu erwähnen, was sie gewiss ge-
than hätten, wenn es in ihren Quellen enthalten gewesen wäre.
Dass aber Cicero nicht daran dachte, sehen wir aus de rep. I!. 14
sarn's e principutn mnupro qiiiiiqiie pracfecit ^ welche Worte sich
mit dem Pontifikat des Königs unmöglich vereinigen lassen. So-
dann machen wir darauf aufmerksam, dass man, wenn der König
pont. max. gewesen wäre, nach der Vertreibung der Könige eines
besonderen rex sacrorum nicht bedurft hätte, sondern dem nun-
mehrigen pont. max. alle sacralen Besorgungen des Königs über-
lassen haben würde, sowie sie vorher in einer Person vereinigt
gewesen sein sollen. Ferner glauben wir mit Niebuhr, Iluschke,
Göttling und Hüllmann, dass es bis auf lex Ogulnia 5 pontif. wa-
ren, welche durch dieses Gesetz auf 9 gebracht wurden. Als
Hauptzeugniss stützen wir uns auf die citirte Stelle Cic. de rep.
II. 14, welche keine andere Auslegung zulässt, als dass es unter
den Königen 3 pont. waren. Es raüsste demnach ihre Zahl später
um eine verringert worden sein, was sehr auffallend wäre. Zwar
spricht Liv. X, fj allerdings nur von 4 pontif, allein er zählte den
\ orstand oder den pont. max. nicht mit. Dass man bei der An-
gabe priesterlicher Collegien den Vorsteher nicht mit zu zählen
brauchte, würde sich durch eine überraschende Analogie der vc-
stalischen Jungfrauen ergeben, deren nur 6 angegeben werden,
obwohl es noch eine 7., die virgo maxima gab, allein es ist sehr
ungewiss, in welcher Zeit diese Siebente zu der alten Sechszahl
In'nzugefügt wurde. S. Gothofr. ad Cod. Th. XIII. 3, 8. Tom. V.
p. 42. Endlich lässt sich für die j\eunzahl der pont. noch anfüh-
ren, dass Sulla Augurn und Pontifices beide auf 15 brachte, dass
also beide Collegien vorher aller Wahrscheinlichkeit nacli gleich
viele Mitglieder hatten. — Vortrefflich handelt Ilr. M. von der
Wahl des pont max.; nur glaube ich niclit, dass die Zahl der 17
Wahltribus erst seit der Erfüllung der 3.') Tribus (513) bestanden
Jiabe, sondern vermuthe, dass diese Zahl der 17 Tribus aus der
ältesten Zeit herrührt, wo es 21 Tribus gab (17 rust., 4 urb.), in
welcher die 17 tribus rusticae allein zur Wahl berufen worden
waren. Zwar kann Ilr. M, Cicero'« Worte für sich anführen , de
leg. agr. II. 7 ul quod per populum creari faa non erat propier
Mercklin: Die Cooptation der Römer, 345
religionem cett. ut minor pars populi vocaretur cslt.^ allein da
gar kein Grund denkbar ist, warum die Römer ihre pontif. seit
alter Zeit durch die Minorität der Tribus gewählt hätten, ist viel-
mehr anzunehmen, dass Cicero seinem Zwecke gemäss so sprach,
lim das Gesetz des Rullus herabzusetzen und die für den darin
enthaltenen Wahlmodus in der lex Domitia zu findende Entschul-
digung im voraus zu entkräften. Dazu kommt, dass Cicero nur
von der lex Domitia spricht und dass sich aus seinen Worten auf
IMinoritätswahlen der ältesten Zeit keineswegs schliessen lässt.
Darum glaube ich die bereits von Huschke (Serv. TuU. S. 640)
aufgestellte Ansicht vcrtheidigen zu müssen, dass die Zahl der
17 Tribus nur des uralten, bei religiösen Instituten um so hei-
liger bewahrten Herkommens wegen beibehalten wurde. So wie
die Cooptation bei den pontif. bis zur lex Domitia feststeht, so ist
dieses auch 2) bei den Jugurn der Fall, S. 95 if. Grosse und
unbesiegbare Schwierigkeiten bietet die Einrichtung und die ur-
sprüngliche Zahl dieses Collegiuras unter Roraulus oder Numa
dar. Hr. M. glaubt , auch bei diesen sei der König der dritte oder
fünfte gewesen, je nachdem man 2 oder 4 augures annehme, mit
der Gründung der Republik sei diese Stelle ausgefallen.
3) Die Qtiindecimvin\ S. 99 ff. Hier bekämpft Hr. M. Gött-
ling's Ansicht, dass dieselben nach Tarq Sup. von den Centuriat-
comitien gewählt worden seien, und nimmt dafür die comitia calata
an, bis sie durch lex Licinia, welche die Zahl auf 10 erhob, als
Collegium die Cooptation erhalten hätten. Das Letztere ist gewiss
ganz richtig, ebenso, dass Sulla es war, welcher die Zahl auf 15
brachte; aber nicht so gewiss ist, ob die Com. calata überhaupt
zur Wahl dienten, denn der auf eine Inschrift gestützte Beweis ist
ganz ungenügend, da die Hauptsache erst durch eine Ergänzung
des Norisius hineingetragen ist, s. Grut. 228, 5. Mercklin S. 157.
Auch zerfällt der gegen Göttling geltend gemachte Grund, dass
die Plebejer die Cooptation nicht zugegeben haben würden, wenn
sie die Wahl vorher in den Com. cent. gehabt hätten, indem die
Cooptation doch nur von der collegialen Verfassung abhängen
konnte. W^urde diese einer Priesterschaft gegeben, so trat Coopt.
ein und die frühere Wahlart hörte auf, sie mochte vor die Curiat-
oder vor die Centuriatcomitien gehört haben. Desshalb ist die
Wahl der Duuraviri in den Centcom. wenigstens nicht so unbedingt
zu verwerfen. 4) Bei den Septemviri nimmt Hr. M. zuerst Wahl
in den Tributcoraitien und später Coopt. an , obwohl nichts hin-
dert, die Coopt. schon gleich anfangs vorauszusetzen. Die Ver-
mehrung auf 7 Männer, statt der früheren 3 durch Sulla oder Cä-
sar wird zweifelhaft gelassen. Bei den folgenden Collegien ist
die Coopt. ebenfalls mit Recht angenommen worden, wenn auch
ausdrückliche Zeugnisse fehlen, nämlich 5) Salii^ welche die auf-
fallende Erscheinung eines Doppelcollegiums darbieten, 6) Lu-
346 Romische Staatsalterthumer.
perci; 7) Fratres Arvales ^ 8) Feliales ^ welche an der Grenze
der priesterlichen und politischen Collegien stehen.
Von den Kreisen, in denen die Coopt. stattfand, geht Hr. M.
zu der Coopt. als sacralrechtlichem Act selbst über, S. 115 bis
131, und beginnt auch hier mit der Beobachtung, dass das genti-
licische Princip in der Zusammensetzung der Priesterthümer das
lierrschende gewesen sei und dass die ganze Coopt. auf diesem
Princip beruhe. Da in der ältesten Zeit gens und Priesterthum
zusammenfiel, so konnte über den Kreis, aus welchem zu coopti-
ren war, kein Zweifel stattfinden; aber auch später wählte man
vorzugsweise die Ilinterlassenen, gleichsam als Erben der väter-
lichen Würde und Kenntnisse. Was die Handlung der Coopt. selbst
betriff"!, so bildete sie nur einen Act in der Kette von mehreren
Gliedern, nämlich 1) fiojjiinatio , das Vorschlagen des Candidaten
mit der eidlichen Versicherung seiner Tüchtigkeit und zwar in
der Versammlung des Collegiums; 2) coopt. in einer uns unbe-
kannten Form, bewirkt durch den Vorstand des Coli, und das
Coli, selbst; S) inaii^iiratio ^ die Ertheilung der priesterlichen
Weihe unter Beistand der Augurn, welche aber nicht selbst die
W^eihe gaben, wie Hr. M, gut zeigt. Auch bemerkt er, dass die
Pontif, nicht bei allen Inaugurationen zugegen waren, und wenn sie
es waren, so vollzogen sie die Handlung nicht selbst, sondern
wohnten als Zeugen bei. Endlich wird Zeit und Ort der Coopt.
besprochen, und bewiesen, dass die sämmtlichen Coopt. nicht z«
einer bestimmten Zeit des Jahres erfolgten, sondern so wie sie
durch die Todesfälle veranlasst wurden. Livius erwähnt sie frei-
lich immer zusammen am Ende des Consularjahres. Ueber die
Locale siud die Angaben höchst spärlich. Daran schliesst sich
Die Geschichte der priesterlichen Coopt. ^ S. 131 — 174, 1) seit
der lex Domilia ; 2) unter deu Kaisern. Die alte gentilicische
Coopt. wurde nach und nach von dem entgegengesetzten Princip
der Comitienwahlen besiegt. Zuerst wurde der pont. max. in den
Tributcomitien ernannt, was Hr. M. sehr gut motivirt, und als die
Plebejer allmälig Aufnahme in die Priesterthümer erlangt hatten,
griff'en sie auch die Coopt. an. Zuerst beantragte C. Licin. Cras-
sus die Volkswahl der Priester, aber erst Domitius drang damit
durch*), so dass von nun an die priesterlichen Collegien überhaupt
*) Wunderbarer Weise spricht Liv. XXXIX. 46 bekanntlich schon
vor der lex Domitia von einer Volkswalil : Extremo prioris anni comitia
habita erant in demorlui Cn. Cornclii locum au^uris sujficiendi. Ciealus
Sp. Posiumius Alb. Hr. M. beseitigt die verschiedenen Erklärungsver-
suche mit Recht, allein auch sein Vorsclila^, nach habita erant zu inter-
pungiren und mit d^n VV^orten In dem. loc. einen neuen Satz anzufangen,
ist nicht zu billigen , zumal da dieses ohne Textesänderung unmöglich ist,
denn jedenfalls muss Hr. M. die Worte auguris sulf. (mit Drakenborch)
Mercklin : Die Cooptation der Römer. 347
(Cic. de 1. agr. II. 7 de ceteris sacerdotüs ^ also ohne Beschrän-
kung auf die höheren Coli.) von den Tribus gewählt werden soll-
ten. Das Collegium pflegte 8 Männer vorzuschlagen, so dass
auch die Priester an der Wahl nicht ohne Theilnahme waren. Die
Entscheidung gehörte dem Volke an und die priesterliche Coopt.
sank zu einer leeren Formalität herab. Aber auch in der Nomi-
nation deutet Hr. M. Veränderungen an, denn wenn die alte No-
inhiation geblieben wäre, liätte man den Domitius nicht in Folge
seiner lex zum pont. raax. wählen können. Er glaubt nicht ohne
Grund, dass die Nomin. nicht mehr von den Collegien, sondern
von einzelnen Collegienmitgliedern vorgenommen wurde, so dass
jetzt mehrere nominirt wurden als frViher, und dass man nur zwei
Freunde im Collegium haben rausste, um die Norain. zu erhalten.
Das wechselvolle Schwanken nach lex Dom. durch Sulla, lex Atia
und lex Julia wird vollständig dargestellt. Nur als Ausnahme ist
es anzusehen (in confiisione rerinn ac iumullu^ Liv. cp. CXVIl),
dass Lepidus nicht von dem Volke, sondern durch die pontif. als
pont. raax. gewählt wurde, was auf des Antonius Veranlassung
geschah.
In diese Verhältnisse kam durch den Kaiser wieder einige
Stetigkeit. Das Priesterthum wurde frei von dem Einflüsse des
Volkes, erlangte aber die frühere Unabhängigkeit nicht wieder,
indem die wiedereingeführte Coopt. dem Einflüsse des Kaisers
vielfach ausgesetzt war und dadurch in eine ungleichartige von der
Individualität des Flerrschers abhängige Bewegung gerieth. Heber
alles dieses giebt Hr. M. die klarste Einsicht nach einigen Ilaupt-
gesichtspunkten. Zuerst werden die Einflüsse des Kaisers als
regelmässigen pont. raax. erörtert. August wurde noch in ge-
wöhnlicher Weise zum pont. raax. gewählt und das Amt blieb erb-
lich bei den Kaisern, indem diese Würde seit Tiberius vom Senat
iedem Kaiser gegeben wurde. Das Collegium war dabei nach
llrn. M. ex Scons. thätig. Zugleich waren die Kaiser Theilnehmer
an raehreren anderen Priesterthümern und übten ein allgemeines
Ernennungsrecht aus, wobei sich der Kaiser des Senats als Durch-
herauswerfen (obwohl er nichts davon sagt) , da diese Worte nur dann
einen Sinn geben, wenn sie mit comitia verbunden werden können, und
ganz in der Luft schweben würden, wenn Hr. M. lesen wollte: In dem.
Joe. aug. suff. crecit. cett. Zwar fehlen diese Worte in der ed. Mogunt.,
Avelche hier bekanntlich die erste Autorität hat, allein dafür hat sie:
comitia auguris creandi hahita erant cett. , wesshalb jene Worte um so
weniger verdächtig sind. Darum müssen wir entweder annehmen, dass
in den Worten com. aug. creandi ein alter Fehler verborgen ist (Heusin-
ger suchte cooptatio darin), oder glauben, dass Livius einen Irrthum be-
gangen hat, was mir das Wahrscheinlichste ist, da sich mehrere Fälle
von augenscheinlichen Irrthümern dieser Art bei Livius nachweisen lassen.
348 Römische Staatsalterthümer.
gangspunktes des kaiserlichen Willens bediente oder die Empfeli-
liingen der Candidaten auf eijirene Hand an «las Collegium gelangen
liess. Was die alten republikanischen Priesterschaften betrifft,
so war bei den bisher vom Volke gewählten Collegien die Coopt.
wieder eingeführt, wenn nicht die Kaiser eingriffen, was z. E. bei
den Pontifices ziemlich regelmässig war. Dagegen bei den Au-
giirn, Fetiaien u. s w. fand der Regel nach Coopt. statt. Die
bisher von dem pont. raax. ernannten Priester wurden nun natiir-
lich von dem Kaiser ernannt. Sodann behandelt Hr. M. noch die
neugebildeten Priesterschaften, die Äugustale u. s. w., aufweiche
wir nicht eingehen wollen.
V. Abschnitt. Die Coopt aiion der Magistrate^ S. 175
bis 203. Bevor das Resultat gezogen wird , dass die Coopt. sich
am meisten bei den Aemtern finde, weiche am wenigsten beiden
Ständen angehörten (Dictatur und Trlbunat), ohne desshalb von
den übrigen ausgeschlossen zu sein, geht eine sehr interessante
Untersuchung über die Verwandtschaft und den Unterschied zwi-
schen Magistratur und Priesterthum voraus. Die sacrale und po-
litische Verfassung war in der Urzeit identisch, da sie beide in den
gentes enthalten waren, allein beide schlugen verschiedene Bah-
nen ein , als der ursprüngliche Staat fremde Elemente in sich auf-
genommen hatte (die plebs), welche er von den Priesterthiiraern
ausschloss. Wenn sie sich aber in Beziehung auf ihren Zweck
vollständig trennten, so stimmten sie doch in der collegialen Form
ihrer Verfassung überein. Die Priester bildeten continuirliche
Collegien, die Aemter temporäre, welche in jedem Jahre neu ge-
stiftet wurden. Daher konnte die Coopt., das herrschende Er-
gänzungsmittel der Priester, bei den Magistraten nur ausnahms-
weise im Laufe des Jahres zur Ausfüllung von Lücken eintreten,
aber durch die entgegengesetzte Walilart, die Creation, beeinträch-
tigt und verändert. Als wahre Cooptalion fasst Hr. M. die Wahl
des tribun. celerura durch den König, des magister eq. durch den
Dictator, des praef. praetorio durch den Kaiser auf und nennt das
Verhältniss dieser Aemter ein collegiales. Auch bei dem Consulat
glaubt Hr. M, Spuren von Coopt. gefunden zu haben, nämlicli
Liv. VII. 24 collegam — diiit ; da aber dieselben Worte XXXVil.
47 unzweifelhaft von der Leitung der Wahlcomltien gebraucht
werden, so können wir dasselbe auch an der ersten Stelle anneh-
men. Den Schluss bildet die Coopt. der Volkstribunen.
So schön auch diese Darstellung ist und anziehend durch
neue Gedanken und überraschende Blicke, so kann man doch we-
der die Magistraten als eigentliche Collegien bezeichnen, noch
die Coopt. in einem so weiten Umfange zugeben. Das Wesent-
liche der Collegien, die Einheit der moralischen und juristischen
Person, das ideale Ganze, welches auch unter dem Wechsel
der verschiedensten Mitglieder fortbesteht, ist mit der so kurzen
Dauer dieser angeblichen Collegien ebenso wenig zu vereinigen.
Doberenz: Ausgewälilte Reden des Demosthenes. 349
als mit der allzulvleinen Anzahl derselben — denn wie könnte man
2 Personen ein Collegium nennen*? Der Ausdruck collega lässt
keineswegs auf ein Collegium schliessen, da collega auch in einem
uneigentlichen Sinne gebraucht wird, und wenn die Amtsgenossen
auch immer collegae lieissen, so wird man sie doch nie sodales
genannt finden. Wenn aber die Amtsgenossen kein eigentliches
Collegium bilden, so brauchen wir auch die Coopt. nicht nolh-
wendig anzunehmen, wie wir dieselbe unzweifelhaft auch nur bei
einem Amte finden, dem der Volkstribunen, die die Coopt. erst
bei weiterer Ausbildung nach der Analogie anderer Collegien er-
hielten. Bei dem Consulat ist an Coopt. nicht zu denken. Was
aber die Coopt. des trib. cel. und mag. eq. betrifft, so dürfen wir
— abgesehen von anderen Bedenken — nicht übersehen, dass
diese Wahl schon desshalb keine coopt. war, w eil die wahre coopt.
nicht zur Stiftung der Collegien, sondern zu deren Ergänzung
diente. Bei diesen Magistraten wurde aber die coopt. nicht zur
Ergänzung angewandt, sondern zur jedesmaligen neuen Consti-
tuirung.
VI. Abschnitt. Die Coopt. ausserhalb Roms , S. 204 bis
212, nämlich bei der Wahl der Municipal- und Collegialpatrone
und bei der Wahl der Provinzialdecurionen. Die Coopt. der Pri-
vatcollegien lag leider ausser dem Plane dieser Schrift, was um
so mehr zu beklagen ist, da sich dieselben zum Theil nach dem
Muster der geistlichen Collegien gebildet haben, so dass von man-
chen Einrichtungen der weltlichen Coli, rückwärts auf die der
geistlichen geschlossen werden konnte. — Der Anhang enthält
einen Abdruck der römischen Sacerdotalfasten (nach Cardinali,
ßorghese, Marini), sämmtlich aus der Kaiserzeit, mit Ausnahme
eines einzigen aus der republikan. Periode herrührenden Frag-
ments der Auguralfasten.
VF. Rein.
Ausgeipählte Reden des Demosthenes zum Schulgebrauch heraus-
gegeben von Dr. Albert Doberenz, Professor am Herzog!, Gymna-
sium zu Hildburghausen. (Erstes Heft: die drei Olynthischen
Reden. 1848.) Zweites Heft. Halle, Verlag der Buchhand-
lung des Waisenhauses. 1849. Auch mit dem Specialtitel: Die
erste und zweite PhiUppiscJie Rede des Demosthenes u. s. w. 72 S. kl. 8.
Das erste Heft dieser Ausgabe ist bereits in diesen NJahrbb.
Bd. 54. S. 200 ff. von Hrn. Dietsch gewürdigt worden. Alles,
was dort in objectiver Hinsicht zum Lobe gesagt, aber auch was
als Erinnerung hinzugefügt ist, wird Jeder begründet finden, der
die Schrift des Hrn. Dob. mit pädagogischem Auge gelesen hat.
350 Griechische Litteratur.
Ich will jetzt bei der gegenwärtigen Benrtheilung auf das Einzelne
eingehen und, wie es das eifrige Streben des Herausgebers ver-
dient, mit grösster Offenheit anführen, was ich nach dem Ge-
brauche des Buches zu loben und was ich zu erinnern habe.
Herr Doberenz hat seit dem Erscheinen seiner Observ. De-
mosth. 1836 (die mir indess nur aus der Anzeige in dies. INJahrbh.
19, 360 und aus der Benutzung Anderer bekannt sind) sich viel-
fach mit Demosthenes beschäftigt, so dass zu erwarten stand , er
werde auch fiir die Schule etwas Brauchbares und Empfchlens-
werthes liefern. Und diese Erwartung ist nicht unerfi'illt geblie-
ben, indem man der Wahrheit gemäss anführen rauss, dass ausser
geinen eigenen Gaben, die beachtenswerth sind, zugleich das
Werthvollste und für die Schule Geeignetste in dieser Ausgabe aus
den Bearbeitungen von Vö me 1, Franke und Sauppe entlehnt
ist. Dies wird angeführt, nicht um es zu tadeln: tadeln müsste
jeder das Gegentheil, sondern nur um zu sagen, dass Hr. Dob. in
dieser Beziehung des Aeschylus bescheidenes Wort von den t£-
Haxri t(DV 'O^rjQOv ^fyulcov öüiivcov „mit aufrichtigem Danke''^
im Gedächtniss hatte. Indess hätte er in der Vorrede des ersten
Heftes p. IX nicht schreiben sollen, seine Ausgabe habe ,, ledig-
lich ihren Grund darin, theils weil jene mehr enthalten,
als der Schüler braucht, theils weil sie die Selbstthätigkeit
desselben zu wenig in Anspruch nehmen.'^ Denn abgesehen vom
zweiten Grunde , worin seine Bearbeitung nicht höher steht als
die genannten, enthält auch der erste Grund in dieser Form einen
Tadel, den Hr. Dob. gar nicht beabsichtigt hat. Es sollte daher
nur gesagt sein, dass jene Gelehrten lateinisch und mehr für den
philologischen, er dagegen deutsch und für den rein pädagogischen
Standpunkt gearbeitet habe. Dieser letztere Standpunkt soll hier
vorzugsweise zur Sprache kommen.
Dass die Ausgabe brauchbar und für Schüler empfehlungs-
werth sei, ist schon oben erwähnt worden. Auch hat das zweite
Heft vor dem ersten den Vorzug, dass jede Anmerkung beson-
ders abgesetzt und so für grössere üebersichtlichkeit des Einzel-
nen gesorgt worden ist. Da nun das Gute und Brauchbare beson-
ders hervorzuheben etwas Nutzloses wäre und zuviel Raum bean-
spruchen würde, so möge nur dasjenige berührt werden, was dem
Verf. bei einer zweiten Ausgabe nützlich sein könnte. Ich will,
was ich zu bemerken gedenke, der üebersicht wegen auf einzelne
Punkte zurückführen.
Erstens ^c\\(ih\i mir die Ausgabe zu stark an Subjecti-
vismus zu leiden. Statt dass die Ausgabe nur das wohler-
wogene Resultat des Unterrichts in objectivster Sprachform dar-
stellen sollte, hört man hier nicht selten den unterrichtenden
Lehrer, wie er mit seinen Schülern , ich möchte sagen, auf fami-
liäre und bisweilen naive Weise verkehrt. Dahin gehört gleich
die erste Anmerkung zu Philipp. 1. 1. jjMan lese den ganzen ersten
Doberenz: Ausgewählte Reden des Demosthenes. 35i
§., so sielit man, dass dem sl [ikv entspricht?'* wo jeder Andere
kurz und objectiv sagen würde : was entspricht dem u (jlsv im Fol-
genden? Denselben Charakter tragen Noten, wie ebendaselbst
„x«t TtQCDTogi übersieh nicht xßt.'* Eben so §. 6. 7. 8. 23. 25.
38. II. 9. 10. 13. 19. 31 „8txor(ög äv: übersieh nicht ofv." §. 2
„es heisst ovd\ nicht oux." Eben so §. 9. II. 17. Aber solche
Dinge sieht der Schüler selbst und muss sie sehen, oder man darf
mit ihm noch nicht den Demosthenes lesen. Denn für einzelne
Schwache, bei denen ein Lehrer wohl mündlich einmal solche
Dinge zu erinnern hat, darf eine Ausgabe nicht berechnet sein.
Und doch finden sich solche Noten häufig, z. B. §. 10. 11. 25. 29.
34. 38. II. 10. 12. 24. Mit dieser familiären Erklärungsweise
hängt es zusammen, dass der Verf. sehr oft die Anrede mit
der zweiten Person gebraucht. In einfachen Imperativen,
wie er ganze, siehe, vergleiche ist die Sache minder auf-
fällig; aber wenn gesagt wird wie §. 3 „xßAöJg suche die passende
Uebcrsetzung.*' §. 4 „betone kräftig er/^ofisv und rj^ng. §. 5
,,sxr?^öaTo: dazu ziehe auch «V.'' §.6 ,, beachte auch das ans
Ende gesetzte vvv.''' und wenn derartiges §. 8. 19. 21. 22. 25. 26.
28.30 u. s. w. in verschiedenen Wendungen zurückkehrt, so er-
regt dies den Eindruck einer Naivetät, die nicht Jedem gegeben
ist und Primanern gegenüber auch mancherlei Bedenken erweckt.
Wenigstens wird derjenige Lehrer, den Mutter Natur in eine
strengere Charakterform gegossen hat, einen solchen Subjectivis-
mus als einen seiner Individualität widerstrebenden Ton nicht ge-
brauchen können; wobei natürlich nicht geleugnet werden soll,
dass die familiäre Zutraulichkeit, von der geeigneten Persönlich-
keit getragen, dieselben Früchte erzeugen kann, als die mit Ge-
rechtigkeit verbundene Strenge. Aber eben weil die geeignete
Persönlichkeit naturgemäss nothwendig ist, kann eine Ausgabe,
die diesen Ton anschlägt, nicht überall objectiv giltig sein.
Ich komme zu einer zweiten Erinnerung, die zum Theil in
dem eben Bemerkten ihren Grund haben mag, nämlich zu den
sprachwidrigen Fragen, welche nicht selten in dieser Aus-
gabe gefunden werden. Von dieser Art sind §. 1 „so sieht man,
dass dem ü ^ihv entspricht?'' §. 2 ^^TCQarzovxav'. Subject ist?^*"
§, 3 „rourov: damit ist off'enbar gemeint?" §. 12 „die Worte
heissen eigentlich?'"' §. 16 „öfrv: dazu ist Subject? avzovg ist
entgegengesetzt? aviolg'. dazu ist der Gegensatz?" Aehnlich
§. 24. 27. 29. 41. 49. 50 und anderwärts. Schon der praktische
Dinter hat in seinem Büchlein: ,,t)ie vorzüglichsten Regeln der
Pädagogik, Methodik und Schulmeisterklugheit" die Seminaristen
vor dergleichen Fragen gewarnt . und alle Pädagogen und Kate-
cheten haben später dasselbe gethan: ein Tca&r^yrjttjg (im neu-
griechischen Sinne) unter den Gymnasiallehrern darf sich daher
weder mündlich, noch viel weniger schriftlich solche Fragen er-
lauben. Aber Hr. D. hat überhaupt, weil die Subjectivitat seines
352 Griechische Litteratur.
mündlichen Unterrichts zu scharf in der Ausgabe ausgeprägt ist,
bisweilen im sprachlichen Ausdruck sich gehen lassen. So steht
in der Einleitung zur ersten Philippischen Rede : „Araphipolis fiel
von Athen ab, welches später Macedonisches Eigenthum wurde^*",
statt: und wurde später Mac. Eig. In §. 17 liest man: ,, er
sagt qpaötV, weil dieser Feldzug vor des Redners Zeit statt-
fand"", wo die Schriftsprache verlangt: der Redner sagt, weil
— vorseiner Zeit etc. Bei §. 27 z. E. : „warum also soll das
verlangte Heer aus Bürgern bestehen und diesen Verpflegungs-
gelder gegeben werden?" wo genauere Objectivität ein und wa-
rum sollen diesen gesetzt haben würde. Auch in Redeweisen
wie §. 34: „Gerästus war ein Vorgebirge und Stadt auf der In-
sel Euböa"" würde dieselbe und eine Stadt oder ein V o r g e -
birge mit gleich n amig er Stadt u. s.w. geschrieben haben.
Verbindungen, wie in der Einleitung zur zweiten Philippika: „Als
er nach glücklichen Eroberungen daselbst von da zurückge-
kehrt" etc., sind wenigstens nicht empfehlungswerth. Das eben-
daselbst am Ende stehende: „es trat D. abermals auf, um das Volk
zu warnen, . . . den Krieg kräftigst gegen ihn zu erneuern", hat
wohl ermahnen heissen sollen. Ich muss nebenbei gestehen,
dass die früheren Philologen im Dialekt ihres Neulateins sich nicht
leicht solche Dinge zu Schulden kommen Hessen. Es sollten da-
her die deutsch schreibenden Commentatoren, die nach dem Sinne
der Zeit so manche Frucht jener mühsamen Saaten mit Leichtig-
keit einerndten, im deutschen Stile behutsam und vorsichtig sein.
Dies nur als allgemeine Nebenbemerkung.
Eine dritte Erinnerung, die wieder speciell auf Hrn. Dob.
Bezug hat, betriff"! dessen VVortreichthum und üeberfluss
an Erklärungen. Hierher gehören Dinge wie §. 4: „in wel-
chem Verhältnisse iXtij^BQa. und avvovo^ov^Evcc steht, ergiebt
sich leicht." §. 5. „Das Verhältniss zwischen novtlv und xlvöv-
vsvBLV ist klar." §.9 ,,0! döeXystccgi diese Construction ist aus der
Casuslehre bekannt." §. 13 „(ög mit dem Particip ist eine sehr
häufig vorkommende und bekannte Verbindung, so wie auch das
Verhältniss zwischen kyvcoKozcov und Titnuö^h'cov klar ist."
§. 14. „Warum der Redner dem jcgokaiißccvets noch ausdrücklich
ngotegov hinzufügt, ist klar." §. 19 ^.nelöszaL aal ccxoXovd^rj-
68ii das Verhältniss beider Worte ist klar.^' §. 25 „7r«p«xara-
Cz^öavTttS- die Beziehung des nagd ist leicht zu finden." §. 31
„jcat XoyiöaLö^s: das Verhältniss dieses Gedankens zum vorher-
gehenden ist klar"; ^^ngola^ßdvcjv: die Beziehung des jigo ist
leicht zu finden." §. 45 ^^CvvanoGtalrj: die Beziehung von 6vv
ist leicht zu finden." §. 51 ,,oi;r£ — t£ ist nicht selten." So auch
in der zweiten Rede. Bei allen solchen Noten entsteht dem Pä-
dagogen die Alternative: entweder ist für den Schüler wahr, w«<s die
Noten besagen, dann sind sie überflüssig; oder es ist nicht wahr,
dann sind sie nutzlos, weil sie keine Belehrung geben. Sollen sie
Doberenz: Ausgewählte Reden des Demosthenes. 353
aber, was offenbar der Zweck zu sein scheint, blos anregen und
aufmerksam macheu, so mussten sie in bestimmte sprachrichtige
Fragen eingekleidet werden. Auch Wendungen, wie Phil. I. 23:
„ttJv jiQCJZijv: dergleichen absolute Accusative erklärt die Casus-
lehre'-'', oder 11. 5 „Sinn und Uebersetzung von Xav^dvcLV mit dem
Particip muss bekannt sein"' sind Luxus aus der Elementargram-
matik. Und wenn man gar liest, wie I. 27 „ZV rjv: die Bedeu-
tung des Imperf. in Absichtssätzen ist einem Primaner be-
kannt^''; so gesteht eine anders organisirte Natur ganz offen, dass
ihr diese Form ans Platte und Fade zu streifen scheint. ;
Zu dem üeberflüssigen gehören auch manche üebersetzuii-
gen, welche das Selbstlinden des Schülers und die Selbstthätigkeit
beeinträchtigt haben, z. B. §. 7 ^^Ttgcczreiv handeln.'*- §. 8 ^^i]drj
gleich jetzt.'' §. 9 „xiJxAw ringsum." §. II „Tror^öirg: schaf-
fen." §. 13 „xat dtj^^ijöt] sogleich." §. 15 ,,toi; Xoinov: in
Zukunft'^ u. s. w. Diese würden besser übergangen werden. Aus
allem möchte hervorleuchten , dass wenigstens Hr. Dob. nicht ganz
berechtigt war, von seinen Vorgängern zu sagen, dass ,,sie die
Selbstthätigkeit des Schülers zu wenig in Ansprucli nehmen." Am
entschiedensten aberiindet sich das Zuviel, wovon hier die Uede
ist, bei manchen sachlichen Erläuterungen. So §. 26 über noß'
nai. §. 31 über die Etesicn. §. 35 über die Panathenäen, welche
]\ote beinahe eine Seite einnimmt. §. 36 über Leiturgien, beson-
ders über Trierarchie und die OlvxlÖoöh^. II. 14 über Elatea.
§. 29 über die Gesandtschaften an Philipp. Dies Alles lässt sich
auf viel kürzeren Ausdruck bringen. Denn viele Einzelnheiteii
sind für Sciiüler entbelirlich, die erst lernen sollen sich in den
Demosthenes hincinzulesen. Dazu braucht man noch niclit das viele
Detail, weil Schüler jede Einzelnheit des Redners noch nicht bis
zu dem Punkte zu verfolgen brauchen, wie es ein Philolog oder
Historiker thun muss. Sonst wird der Hauptzweck, die rasche
Leetüre und der Zusammenhang des Ganzen, zu oft unterbrochen
und am Ende verfehlt. Mir scheint daher Hr. Dob. in diesem
Punkte zu viel gegeben zu haben, wiewohl jeder hinzusetzen wird,
dass über das Z u V iei und Zuwenig bei der Durchfülirung an
Beispielen die Ansichten stets getheilt bleiben werden. Lieber
das Zuwenig hätte ich aus eigener Erfahrung nur ein paar
Stellen zu erwähnen, wo Schüler, die blosse Texte gebrauchten,
in der Regel anstiesseu und in vorliegender Ausgabe keine Hülfe
finden würden, nämlich §. 3 ovz\ äv ohycjQijts^ xoiovtov^
olov äv v^iBig ßovXoLö^e. §. 40 rcc öv^ßdvta öiioxsiv. 11.29
TÜVT03V dcpaötr^xova. Auch könnte I. 29 zu ulö^ov ivtelrj die
kurze Angabe hinzukommen, wie viel der vollständige Sold
eines Atheners betj-agen habe, und I. 19 wo der Redner vor der
Rüstung gegen plötzliche Kcldzüge Philipps von den Athenern
noch eine Macht verlangt >y öL»i'f;^c5tj jroÄ£.u?J(?«fc ycaX Tcaxcog
tKtivov noL^öSL, hätte dieser Gebrauch des Futur! (dcnSauppe
y. Jahrh /. r/iil. 11. Päd. od. Kril. Hihi. Bd. LVIII. Hfl 4. 23
354 Griechische Litteratur.
hier nicht berührt) fi'ir den Schüler eines Winkes bednrft. Es
haben darüber bekanntlich Mätzner zu Lycurg. p. 81 und 144,
Franke zu Olynth. I. 2 [wo Hr. Dob. ebenfalls schweigt], K. W.
Krüger Gr. §. 53, 7. Anm. 7 und 8*) und Andere gesprochen.
Dies Wenige ausgenommen, hat sonst Hr. Dob. nach meiner üe-
berzeugung im Zuviel gefehlt.
Als eine Nebensache, die blos äusserlicher Natur ist, möge
viertens hinzukommen eine Inconsequenz in der Anfüh-
rung von A uct ori tä t en. Es werden nämlich öfters Regeln
aus Krüge r''s Grammatik mit dessen Namen entlehnt. Eben so
wird Jacobs citirt, besonders bei Uebersetzungsforraeln. Und
dasselbe geschieht bei verschiedenen Dingen mit Böckh, K. F.
Hermann , Wach smuth, einmal mit V ömel und einmal mit
Sauppe in einer Bemerkung zu I. 30 [wo, nebenbei gesagt, die
einzige kritische Note dieser Ausgabe als ein verirrter Fremdling
erscheint]. Wenn nun aber diese Gelehrten citirt werden, so
haben alle übrigen Commentatoren, aus denen Hr. Dob. geschöpft
liat, ein gleiches Recht, überall mit Namen genannt zu werden.
Ich kann hierin keinen Vorzug des zweiten Bändchens vor dem er-
sten finden, worin Niemand ausser Krüger namentlich citirt wird.
Entweder nenne man jeden, nach der Gewissenhaftigkeit, die unter
Andern Krüger im Thukydides beobachtet hat, oder keinen: jedes
andere Verfahren ist Inconsequenz eines subjectiven Beliebens.
Die Entsclieidung in obigem Dilemma dürfte kaum zweifelhaft
sein. Da nämlich für Schüler nicht w er etwas sagt, sondern was
man sagt, in Betrachtung kommt: so wird es in Schülerausgaben,
wie die vorliegende ist, das gerathenste sein, die Nennung eines
jeden Namens zu übergehen und nur in der Vorrede zu erN\ ahnen,
aus welchen Quellen man dankbar geschöpft habe. Etwas ande-
res ist es natürlich mit Ausgaben, die über den Gesichtskreis des
Schülers hinausgehen.
Doch das sind Aeusserlichkeiten. Wichtiger möchte eine
fünfte Erinnerung sein, nach welcher die Ausgabe nicht überall
eingedenk bleibt, dass sie einen Redner zu erläutern
habe. Es ist eine wichtige Lehre von G. Hermann (Opusc. VII.
p. 100): ,,aliara historicus, aliam philosophus. aliam orator, aliam
poeta sibi interpretationem poscit^' : eine Lehre, die auch pädago-
gische Bedeutung für die Schule hat. Dies vollständig zu zeigen,
würde eine ausführliche Abhandlung nöthig sein: hier kann nur
von Andeutungen die Rede sein. Hr. Dob. hat öfters sehr gut
bemerkt, dass man dieses oder jenes Wort betonen solle, lässt
die Steigerung oder Aufeinanderfolge verbundener Begriffe be-
achten, erläutert Redefiguren, wie I. 10 die Ep anale psis, nur
diese etwas zu weitläuftig, da schon die blosse Erwähnung des
♦) In Rost's Schulgr. §. 151 finde ich derartige Sätze mit dem Re-
lativ, die häufig vorkommen, nicht berührt.
Doberenz : Ausgewählte Reden des Demosthenes. 355
Namens ausgereicht hätte , und zerlegt jede Rede in ihre einzel-
nen Theüe. Aber er hätte docli einen Schritt weiter gehen sollen:
es wären näralich hier und da Winke über die rhetorische Gliede-
rung und über den Periodenbau an ihrer Stelle gewesen. Frei-
lich sind dazu, ausser Dissen zur Rede de corona, noch wenig
Vorarbeiten vorhanden, da erst manches andere zur Entscheidunir
gebracht werden musste, und da wir leider die Prolegomena von
Sauppe noch nicht besitzen. Indess hätte Hr. Doberenz —
diesen Wunsch erweckt die Lectüre seiner Leistung — schon jetzt
hier und da den Versuch machen sollen.
Dagegen müht er sich ab, wie manche seiner Vorgänger, mit
Erklärungen Ton Sachen und Begriffen , die bei einem Redner
entweder nicht nöthig oder mit grösserer Vorsicht zu behandeln
sind. Ich will mich auf drei Dinge beschränken. Erstens wird
gleich Anfangs die Anrede c3 avögsg 'A^}]vaioi erläutert, und
auch §. 3. 4. 8. 10. 13. 31 u. s. w. auf dieselbe mit specieller Aus-
deutung hingewiesen. Fast noch häufiger geschieht es im ersten
Bändchen, Wenn nun gesagt wird, es enthalte diese Anrede
„theils Aufforderung zur Aufmerksamkeit (wie namentlich im An-
fange der Rede), theils Lob, theils Tadel, theils mehreres zu-
gleich. Suche also stets nach dem Grund , warum sie gesetzt isf"^;
so heisst das den Schüler unnöthig aufhalten und von ihm ver-
langen, was ein Ding der Unmöglichkeit ist. Denn Hr. Dob. hat
theils in die Anrede hineingelegt, was nur in der jedesmaligen
Umgebung des Satzes, in welchem sie vorkommt, liegen kann;
theils hervorgehoben, wovon weder Demosthenes noch irgend ein
Athener beim Hören dieser Anrede ein klares Bewusstsein hatte.
3Ian frage doch bei uns einen Prediger, ob er auf der Kanzel, oder
einen politischen Redner, ob er auf der Rednerbühne beim Ge-
brauche solcher Anreden dieses Bewusstsein habe, und man kann
der verneinenden Antwort so sicher sein, wie es der Hörer von
sich selbst weiss. Man lese daher mit dem dazu vorbereiteten
Schüler rascher eine Reihe von Reden, und er wird schon fühlen,
dass die Anreden passend eingesetzt seien ; aber man wolle nicht
erklären , was theils unrichtig, theils unnöthig ist. Eine gleiche
Bcwandtniss hat es mit dem Begriffe xä ngay^aza^ wovon es in
beiden Heften §. 2 heisst: „muss auf mancherlei Weise übertra-
gen werden: öffentliche Angelegenheiten, Umstände, Lage, Vor-
fälle, Macht, Reich, Staat, Staatsinteressen u. s. w, Suche also
jedesmal die passendste Bedeutung"*, auf welche Note dann sehr
oft zurückgewiesen wird. Abgesehen von dieser Ordnung in lexi-
kalischer Hinsicht, kann man das Auffinden des entsprechenden
Ausdrucks dem Nachdenken des Schülers um so mehr überlassen,
als ja bei einem Redner von der jedesmaligen Sachlage und von
den spcciellen Verhältnissen genauer gesprochen wird, und dem-
nach gerade beim Redner solche Bemerkungen der Lexikographie
entbehrlich sind.
23*
356 Griechische Lltteratur,
Noch weiter erstreckt sich der zweite Punkt, über den ich
jetzt sprechen will. Die Redner pflegen bekanntlich öfters einen
Begriff durcli Synonyma auszudrücken, blos um ihn recht stark
hervorzuheben und dem Hörer zu Geraüthe zu führen. Da haben
nun die Erklärer nicht selten mit ängstlicher Genauigkeit den Un-
terschied der Synonyma entwickelt, als wenn sie einen Philosophen
zu erläutern hätten. Das ist hier ungehörig, weil weder der Red-
ner noch die Zuhörer an so scharfe Unterscheidung gedacht ha-
ben. Ich will Beispiele aus dem ersten Hefte wählen , weil sie
dort zahlreicher sind. So wird Olynth. I. 25, wo Demosthenes
Macedonien und Attica gegenüberstellend den Athenern zuruft:
Tj]V BXBLVOV ^axcog noL7]68TB^ trjv vTCccQxovöav xal xrjv olKSiav
tavtr^v dÖBCjg TcaQjtovutvof in den Comracntaren wie hier be-
merkt: ^^vnccQxovöav das, was ihr habt, und olxeLav das von den
Vätern Ererbte." Aber daran hat schwerlich ein Grieche ge-
dacht, sondern es war für ihn sicherlich nur der Begriff Eures
eigenen Landes mit besonderem Nachdruck hervorgehoben.
In dieselbe Kategorie gehört Ol. I. 12 ^oyl^ezaL xai- ^tcogsl er-
wägt und betrachtet. §. 14 tva yvcoze xal aXö^tjör^s da-
mit i hr k lar ei ns eh et. §.21 Bv^v^rj^rjvaL xal Xoyiöaö&ai
sorgfältig erwägen (wo wieder nutzlos distinguirt wird). Ol.
II. 1 daL(iOVLCc ZLVL xal %eia evegysöLcc einer überaus gött-
lichen Wohlthdt. §. 6 &8C3QCDV xal öxoTtcJv bei genauer
Ueb e rleg"ung. § 9 öVfiTTOvHv xal (psgaiv tag GvyicpOQÜg (wo
Hr. Dob. unrichtig sagt: „xat übersetze durch und überhaupt,
wodurch das Verhältniss der beiden Verba klar wird'"'') ist einfach:
die Mühe mit übernehmen und die Unglücksfälle er-
tragen, welche Sprechweise bei keiner Nation einer Erläuterung
bedarf. Ebendas. äv&%aixL6s xal dieXvös. §. 12 ^ätaL6v xi xal
xsvov. §. 13 ^etdöiaöLV xal fisxaßoX'^v (wo Hr. D. richtig ur-
theilt). Ebend. aQxrjg xal övvdi.i8Cüg. §. 15 xolg TCoXEaoig xal
zaig özQaztiaig. §. 18 s^Tteigog nols^ov xal dycovcov. Ebend.
jtagscoö^aL xal Iv ciJösfOi? ilvai ^BgsL. §. 29 Boi^Siv xal Öls-
özdvai. Ol. III. 3 TCoKlrig (pgovzlöog xal ßovX^g ÖBlzai. §. 6
Ttavxl ö^BVBi xazd x6 övvarov. §. 21 tg5 bübl xal xa xgoTKo
xrjg TCokiZBiag xgijö^ai,. §. 27 ojjLoiag xal 7iaga7tXr]6icog^ wo Hr.
D. theils den Begriff schwächt, indem er xaC und nur übersetzt,
theils nutzlos hinzufügt: „Die Verbindung dieser Worte liebt vor-
züglich Demosthenes'", da dieser auch viele andere Begriffe, wo es
uöthig ist, eben so zu verbinden liebt, und da überhaupt kein Le-
ser irgend einer Nation einen Anstoss nelmieii kann, wenn ein
Rednerdie Begriffe gleich und ahn lieh verbindet, um den
Begriff von ganz gleich hervorzuheben. Auch im zweiten
Hefte findet sich Derartig^es mehrmals, z. B. Phil. I. 22: ^.(pgaöco
xal Öti^co; öti^co hi de uliich zeigen.'"'' Gewiss nicht! dBi^a
ist blos zeigen; erst beide Verba zusammen geben den Begriff
des deutlichen Zeigens und geliören mit §. 19 TtBLöBzai xal
Doberenz : Ausgewählte Reden des Demostlieiies. 357
ttKoXov^rjöet und allem übrigen, was berührt wurde, in dieselbe
Kategorie.
Schon aus diesen wenigen Andeutung^cn möchte erhellen, dass
man theils den Redner vergisst, indem man an allen solchen Stel-
len eine haarspaltende Unterscheidung der Begriffe übt, als wenn
man einen philosophischen Schriftsteller vor sich hätte, theils
überhaupt diesen Sprachgebrauch in zu enge Grenzen einschliesst,
indem man ihn, wie Hr. Dob. nach dem Vorgange Anderer zu Ol.
I. 12 und anderwärts gethan hat, auf Worte von bestimmter Be-
deutung einschränken will. Die in den Commentaren stehenden
Beispiele, welche Hrn. Dob. zu solchen Bemerkungen Veranlas-
sung gaben, könne» durch extensiv und intensiv zahlreiche Bei-
spiele vo n jed em Begriffs Worte aufgewogten werden. Wer
aber mit Schülern tief darauf eingeht, der pflegt deren Aufmerk-
samkeit für Er fassun g der ganzen Rede zu stören und zu
schwächen.
Ich komme zum dritten Punkte, der mir bei einem Redner
schon für die Schullectüre beaclitungswerth scheint. Ein politi-
scher Redner nämlich stellt immer ,,auf der Zinne der Partei.'-'
INun ist es eine gleichsam geheiligte üeberlieferung, den Demosthe-
nes und seine Partei zu erheben , den Aeschines und Philipp mit
ihrem Anhange möglichst tief zu stellen. Und wenn man auch
nicht mehr mit Reisk e übersetzen wird ,,der verfluchte Racker
Philipp'*-, so ist docli der Standpunkt für die Beleuchtung jener
politischen Verhältnisse niclit selten derselbe geblieben. Aber ein
Gymnasiallehrer, dem die Politik in praktischer Hinsiclit nichts
angeht und der nur die ewig wahren Ideen der Humanität zur
Geltung zu bringen hat, muss in seinen Ürtheilen über politische
Zustände des Alterthums parteilos sein. Er darf für die Zeiten
des Philipp niemals vergessen, was z. B. der edle Fr. Jacobs
(Demosthenes' Staatsreden S. 206) bei Gelegenheit sagt: ,,man
kann den Theopompus so wenig als den Demosthenes fiir
einen vollgültigen Zeugen ansehen^*; und muss eingedenk
bleiben, was derselbe Jacobs besonders für die Gegenwart passend
S. 457 geschrieben hat: ,,Ein sicherer Maassstab der Wahrheit
mangelt, und wir sehen uns, nicht ohne Beschämung, zu dem Ge-
ständnisse genöthigt, dass die Ocfl'entlichkeit der Verhandlungen
in der alten Welt so wenig als in der neuern der Lüge den VVeg
versperrt, und dass die Dreistigkeit der Redner und die Vergess-
lichkeit leichtgläubiger Zuhörer sich auch in der Stadt der Minerva
vereinigt hat, um durch Verunstaltung der Wahrheit gegen alle
historische Gcwisslieit misstrauisch zu machen." Dazu die trefl-
liclie Anmerkung: ,,Wenn man die Macht erwägt, die in bewegten
Zeiten der Parteigeist ausübt, so ist es gar nicht ungereimt, anzu-
nehmen, dass in den Reden erhitzter Gegner dieselben That-
sachen , ohne den bestimmten Vorsatz lügenhafter Entstellung, auf
eine ganz abweichende Weise erzählt und dargestellt werden
358 Griechische Litteratur.
konnten. Jener unreine Geist ist seiner ganzen Natnr nach der
Wahrheit ungünstig und einem trüben Medium vergleichbar, das
keinen Gegenstand auffassen und wiedergeben kann, ohne Farbe
und Form an ihm zu ändern. Von den mannigfaltigen Aussagen,
die sich, auch ohne seine Einmischung, durch die blosse münd-
liche FortpflanzuFig bilden, greift Jeder auf, was ihm und seiner
Partei am meisten zusagt, und Wunsch und Neigung muss über
die Wahrheit entscheiden. Da. wo einmal Parteien einander ge-
genüber stehen, drängt sich auch nur allzuleicht die Begierde ein,
dem Gegner anfalle Weise zu schaden, erst durch wahre Berichte,
wo aber diese nicht genügen, durch Verleumdung und vergiftete
Waffen. Der Gipfel der Kunst ist dann, dem Unwahren den
Schein des Wahren zu geben." Hätten wir Maccdonische Be-
riclitc, und wäre nicht zugleich manches andere verloren gegan-
gen, wir würden sicherlich über Manches mit grösserer Bestimmt-
heit urtheilen können. Die Athener des Demoslhenes waren
nicht mehr die alten M«^a^w7'o^uc^';tO''' sondern ein vielfach ent-
artetes Geschlecht, das sein Schicksal verdient hatte. Und De-
mosthenes hat uns unter Anderra in seinem ngog irö tsXevtaLov
txßdv äxciöTOV Tc5v vitaglccvtcov xgcvstai (Ol. I. 11) einen Maass-
stab in die Hand gegeben, den wir nach Recht und Billigkeit auch
in Beziehung auf Philipp anwenden müssen. Da man wahrschein-
lich die Redner des Alterthums, besonders den Demosthenes. künf-
tig in den Schulen weit mehr, als früher, des sachlichen Interesses
wegen lesen wird, so ist sehr zu wünschen, dass nicht etwa das
politische Leben jener Zeit zu einseitigen Parteizwecken der Ge-
genwart gemissbraucht werde, sondern dass die besonnenste V^or-
sicht und objective Parteilosigkeit gewahrt bleibe. Hr. Doberenz
nun ist zu loben, dass er sich in seinen Einleitungen und hier und
da in der Erläuterung fast durchweg nur an das sicher Ausge-
machte und historisch Erwiesene gehalten hat, ohne zweifelhafte
Dinge und parteivolle Ansichten der Snbjectivität mit aufzunehmen.
Aber Einzelnheiten vom Gegentheil sind dennoch zu finden. So
erwähnt er in der Einleitung zu den Olynthischen Reden ,,die von
Philipp erkaufte Partei, an deren Spitze vorzüglich der ver-
derbliche und feile Äeschines stand." Welcher Historiker
hat überliefert, dass Philipp eine „ganze Partei erkauft^'
habe*? Sollte es damals keine Athener gegeben haben, welche
aus reinster üeberzeugung nur im Anschluss an Philipp das
Heil für die Stadt erblickten*? oder welche die Unmöglichkeit
eines siegreichen Widerslandes voraussalien*? Dazu die Gemäch-
lichen, die um jeden Preis Ruhe haben wollten. Klingt doch des
Polybius Ausspruch (XVII. 14, 13), Athen habe durch hartnäckiges
Streben gegen Philipp die grössten Unfälle und die Niederlage
bei Chäronea sich zugezogen, wie ein übcrzeugungsvoller Nach-
hall jener Macedonischen Partei. Ferner heisst Äeschines oben
ganz allgemein „verderblich." Für wen'? Wohl für die Athener.
Doberenz: Ausgewählte Reden des Demosthenes. 359
Aber wer aus Äeschiues' Rede ge^en Timarcliiis, aus Demosthenes
und andern Zeugnissen die gesunkene Sitliichkeit Athens in der
damaligen Zeit sich vor Augen stellt, der wird bei ruliigera dr-
Iheil Bedenken tragen , die Schuld des Verderbens einer ein-
zigen Persönlichkeit in solcher Ällgeraeinlieit aufzubürden. Ob
dann blos die Geschenke des schlauen Königs den Aeschines um-
gestimmt haben, und nicht auch die Achtung vor Philipps Persön-
lichkeit und unermüdlichem Charakter von Einfluss gewesen seien,
das kann nicht entschieden werden. Man muss den Demosthenes
bewundern und seine Politik dem innersten Wesen nach
für die bessere halten, aber man darf nicht die ganze Gegen-
partei und deren Führer in solcher Allgemeinheit mit schmähen-
den Epithetis belegen. Die ruhige Besonnenheit und Vorsicht
würde daher für den obigen Satz in einem Schul buche genannt
liaben „die Makedonische Partei , an deren Spitze der zweite
Hcdner Athens, der von Philipp gewonnene Aescliines stand. '■'^
Auch für den Ausdruck, der in der Einleitung zur ersten Philippi-
schen Rede über Amphipolis und Pydna gebraucht ist, nämlich
für,, diese mit Lug und T rüg vollbrachte Eroberung'"'', hätte die
objective Parteilosigkeit sich begnügt ,,mit Lisf"' zu setzen.
Und in der Einleitung zur zweiten Philippika würde statt des Aus-
drucks: „es wurde 346 v. Ch. Friede geschlossen, wobei sich der
König abermals höchst treulos zeigte''^ eine unbestochene
Mahrheitsliebe wenigstens beigefügt Iiaben „nach Demosthenes'
Rede'"'', da wir sonst für diesen dunkeln Zeitraum keine Nachricht
Iiaben; oder weil Libanius über die Atliener das Gegentheil sagt:
TtQog de tov (PthnTiov ÖLi^^ccQtijxaöt (xev cov T^lniöav ^ ov ^rjv
vii SKslvov ys avtov ö okovö lv s^rjTt atijöd^ a i. ovts
ydg zaig kmöTokals Iveygaxl'sv 6 ^ilinnog ejtccyyeXlav ovös-
^ lav ovTE öid Tcov löiov TtQBößecov In otrj ö ato riva vno-
6%b6lv^ dXXä 'A&rjvaicjvziveg ^6 av oi tov drj^ov et g
kknlöaxaraötr^öavtsg^ cog Olkinnog ^axeag öcoöel Kai
TTjv &rjßaLa)v vßgiv TcatcckvöSL ^ und weil mit dieser Angabe die
Stelle in der Rede für Flalonnesos §. 18 übereinstimmt, so würde
ruhige Vorsicht geradezu sagen: ,, wobei Philipp abermals seine
bisherige Klugheit zeigte.'^ Hierher gehören auch manche par-
teiische üebersetzungen, wie z. B. Phil. II. 8 das über Philipp
gesagte ovölv dv kv ö ei^aixo toöoitov xtA. ohne Weiteres ge-
deutet wird „ vorprahlen.^'' Aber Demosthenes sagt mit dem
griechischen Worte nur einfach: ,,er möchte nicht an sich oder
von sich aufzeigen können."" Auch die einzige Bemerkung
dieser Art, die man U. 3 zu den Worten liest: v^ilg ot xa&rj^tvoi^
cog filv dv EXitottB ÖLuaiovg Xoyovg xccl Keyovtog
aKkov 6vv£Cr]TB^ d^airov 0lXl7C71 ov ti a q s 6 yi s v a 6 d^ s^
cog ÖS nalvöaiz' dv luelvov Ttgärttiv tavta^ fqp' wv fort [muss
fori heissen] vvv, 7tcivvsXc5g dgycog txete. „Diese Worte
enthalten Lob. Aber eben darum ist der grosse Redner so
360 Griechische Litteratur.
achtunn:swerlli und liebenswürdig, dass er iinvcrliohlen und frci-
ra Vi thig tadelt, aber auch lobt, wo er es ohne die Wahrheit zu
verletzen kann"; — auch diese Be?Tierkung ist von Parteilichkeit
nicht frei zu sprechen. Denn dass Philipp eben so klug war, als
die Athener, kiyovzog alXov övvelvat. das hat er praktisch
durch seine Thaten bewiesen. Sodann wird das yerraeintliche
,,Lob^' durch den ganzen Zusammenhang und durch den Ton der
Stelle nicht bestätigt. Dies zeigt schon das an die Spitze gestellte
vfXBig OL yM^rjuBVOL. was freilich Franke zu vag durch ein ,,i. q,
OL dxovovtsg'''' mit Parallelen abfertigt, Hr. Dob. mit Stillschwei-
gen übergeht, aber durch Erinnerung an seine eigene IN'ote zu Ol.
II. 23 mit dem Hinweis versehen sollte, dass darin die Apathie der
Athener gegen Thaten ausgedrückt sei. Ferner deutet Hr. Dob.
,,ihr besitzt mehr als Philipp dieFähigkeit und Fertigkeit,
wodurch (cog) ihr" u. s. w., also naQBöxEväödaL durch Fähig-
keit und Fertigkeit besitzen, während der Redner blos
sagt: ,,ihr seid besser als Philipp gerüstet. Reden zu halten und
solche zu verstehen, aber nicht zu handeln.''*' Endlich ist auch
der letzte Anhalt, den man für das ,,Lob''^ anführen könnte, das
ÖLzatovg Xoyovg^ schwerlich in dem Sinne zu verstehen , dem Hr.
Dob. nach den Comraentatoren gefolgt ist: ,,orationes, qwlhws Jura
.^thefiiensium adversus Philippura defenduntur." Sollte man
dann nicht tovg dixaiovg Xoyovq erwartend Wer ohne Com-
raentar den Zusammenhang liest, der findet darin, wie ich glaube,
nur tüchtige Reden, so dass auch an dieser Stelle die Zungen-
fertigkeit der Athener, im Gegensatze zu ihrer Schlaffheit und
Thatenlosigkeit oder zum Mangel des ÖLKalcjg ngäzzuv^ geta-
delt wird , an ein Lob also gar nicht zu denken ist. Wohl aber
liätte Hr. Dob. an mancher andern Stelle, wo er schweigt, die
,,achtungswerthe und liebenswürdige" Seite des ,, grossen Red-
ners" hervorheben können.
Durch die drei Punkte, die ich jetzt andeutungsweise be-
sprochen habe, glaube ich die Wichtigkeit der Hermann'schen
Lehre, von welcher ich ausging, für die Praxis der Schule we-
nigstens von einigen Selten gezeigt und damit der pädagogischen
Pflicht genügt zu haben. Es bleibt nur noch eine sechste Be-
merkung übrig, die als Anhang hinzukommen möge, nämlich an
einige Unrichtigkeiten im Einzelnen oder auch an
ein paar Stellen zu erinnern, wo e i n e a n d e r e Ansicht
d ie ri cht i gere seh ei nt. Ich will mir erlauben, zugleich auf
andere treffliche Commcntare, die gerade neben mir liegen, bei
ein paar Kleinigkeiten Rücksicht zu nehmen.
Allgemeinerer Natur ist das häufig zurückkehrende ergänze,
worein sich das beliebte scilicet der lateinischen Commentatoren
verwandelt hat. Ich entsinne mich nicht, in den Vorlesungen G.
Hermann's solche scilicet gehört zu haben. Und in derThat sind
dieselben geeignet, die richtige Auffassung sprachlicher Verhält-
Doberenz : Ausgewählte Reden des Demosthenes. 361
iiisse mehr zu verrücken als zu befördern. Ich will die Beispiele
durchgehen. Phil. I. 3 z. E. weist der Redner auf Philipp's vßgig
hin, ÖL 7]V tagatTOiiE&a ek tov ^i^öev cpQovzit.uv dv sxQrjV.
Dazu wird bemerkt: ^^^XQrjV' dazu ergänze den Inf.^^ Aber das
wäre ein elendes Griechisch und ein elendes Deutsch, wenn Je-
mand sagen wollte: „weil wir nichts von dem, was nöthig war zu
bedenken, bedenken." Wer in aller Welt denkt, wenn er diese
deutschen Worte ohne den Infinitiv hört, an eine Ergänzung
desselben! Gerade so haben die Griechen beim Hören der Worte
gedacht. Und doch finden sich solche Noten in gleichen Stellen
nicht selten, wie §. 32 u. s. w.
Im §. 17 zu den Worten: ösl yccQ Itiüvco tovto Iv tij yvcjßu
TcagaörijöaL,^ cjg vfislg Ix. TTJg cc^sXsiag ravtrjg rijg äyav , cjqtceq
ilg Evßotav aal jiqovsqov nors (paöiv eig 'AXlchqxov kccl za xs-
kevrala Ttgcpr^v sig IlvXrjv^ I'öcds äv ogfirjöairs. wird bemerkt:
^^nagccöT^öai: dazu ergänze das Subj.*'' Es soll offenbar (wie bei
Franke) vnag ergänzt werden. Das würde Dem. haben dazu setzen
müssen, wenn er es hätte gedacht wissen wollen. So aber würde
hier wohl jeder, der aufmerksam liest, sogleich TiagaözrjvaL er-
warten, das Sauppe und Vömel mit Recht unverändert lassen.
Auch die Parallelstelle, die Franke für sich anführt, spricht für
den zweiten Aorist. Ferner sagt Ilr. Dob. nach dem Vorgange
Anderer: .^ägntg-, dazu ergänze das Prädicat aus cog^rjöcizs.
Auch zu (paölv ist ein Infin. zu ergänzen." Wenn aber ein
Deutscher sagt: „dass ihr, gerade wie nach Euböa und früher
einmal nach Haliartus — , wohl gegen ihn aufbrechen werdef"^, so
wird dieses Satzverhältniss doch sicherlich ein Quintaner verste-
hen, ohne an Ergänzung zu denken. Eben so §. 26. II. 8. Und
einem Primaner will solche Dinge erklären, wer G. Hermann's
Worte: „Est recte legere scriptorem, ita legere, ut eum sie intel-
ligamus, uti ipse intelligi voluit'-*' für einen Griechen erwogen hat.
Ich gestehe, wer sich mit solchen Dingen in der Prima aufhält,
der kann nicht vorwärts kommen, und kann schwerlich seine Schü-
ler dahin bringen, dass sie sich in einen Autor hineinlesen und mit
Genuss vorwärts dringen. Oder der deutsche Unterricht muss
nicht ordentlich vorgearbeitet haben. Auch bei dem obigen cpcc-
6iV scheint mir die Einfachheit und Lebendigkeit des grie-
chischen Geistes nichts anderes gedacht zu haben, als was wir durch
ein mitten in den Satz eingeschobenes „sagt man" andeuten wol-
len. — §. 45 „^aV ^rj näöa: dazu ergänze aus den vorherg.
[Worten das] Verb. ccTtoörah)}' Das gäbe eine vom Redner
nicht beabsichtigte Emphase. So aber war zu sagen, dass das
Yerbum zu beiden Sätzen gehöre, welche Sprechweise wir nach-
ahmen. §. 46 ^.Tvxrjre erg. '4}r](pLt,6fi8voL.'''' Es braucht nicht
ergänzt zu werden, was für den Gedanken des Griechen nicht
nöthig war. §. 50 6<5cc — xa^' rjpicov svgijtai. Dazu „ergänze ein
Particip.'"' Der Grieche hat sicherlich nur gedacht: wie viel
362 Griechische Litteratur.
gegen euch erfuiulen ist. Sonst liätte er das Particip hinzu-
gesetzt und es nicht einer andern Nation zur vermeintlichen „Er-
gänzung'' Vlberlassen. — §. 51 eßovXourjv ö' «V, agTreg ort öv^-
(psQSL rä ßekTLöTu dxovBiv otd«, ovtcog dÖevca övi'Oiöov aaX
rc3 tä ßsktiöta ilnovxi. liest man die iNote: .^övvolöov ergänze
TO td ßklxiöxa elntiv." wie bei Vörael, Franke und Sauppe. Aber
wenn ein Athener beim Hören dieser Stelle daran hätte denken
sollen, so würde der Redner die vermeintliche ,, Ergänzung^*" hin-
zugesetzt haben. Wie die Worte des Demosthenes dastehen,
werden seine Zuhörer nur gedacht haben: ,,dass es auch dem
nützt, der den besten llath giebt.'^ Und das es kann schwerlich
etwas anderes sein , als was er eben gesagt, nämlich dass ihr
den besten Rath anhört. Denn nutzlos will ein Demosthe-
nes nicht sprechen, und eine so egoistische Furcht, wie die ,, Er-
gänzung" hier andeuten würde, hat der Redner niemals geäussert.
Phil. II. 4: „TTpa^aig — Xoyoc: dazu erg. das Prädicat.'*" Es ist
nichts zu ,, ergänzen'"", sondern beide Substantiva stehen ap posi-
tiv zu dem vorhergehenden ravta. Im Griechischen wie im
Deutschen machte jede „Ergänzung^' nur schleppend. §. 5: „6
avTog ZQOTtog erg. aözl vvv"' wie bei Franke. Aber das vvv ist
ungehörig, weil die Periode nicht mit einer Zeitpartikel, sondern
mit der Bedingungspartikel si beginnt. §. 6 ^^TtQOogäv : erg. als
Obj. die Zukunft*' wie beim Vorgänger „sc. zd jLisAAovra." Das
ist jedoch nicht zu ergänzen, sondern liegt schon in der Prä-
position jr^d, so dass das Verbum unserm ,,in die Zukunft
blicken" entspricht. §. 8 ,,a TtoogrJKBH dazu erg. den Infin.":
eine Note, die öfters in beiden Bändchen zurückkehrt. Es ist
jede Ergänzung unnöthig und störend, da die Worte für den Grie-
chen einfach bedeuten: was sich ziemt, also im Sinne von ta
7tQog7]KOVTa gesetzt sind, wozu kein Mensch eine Ergänzung
braucht. §. 9 „ravra vneilrjcpcög: erg. tibqI aviaiv^ cctieq nsgl
Tcov 0t;ßaicov.'''' So matt und schleppend spricht kein griechi-
scher Redner. Wenn etwas bemerkt werden sollte, so war aus-
reichend zu sagen, dass es in demselben Sinne stehe wie das fol-
gende Tavz' SLKOTGjg jcal negl v^cov ovrag vTidlricps. §. 16 „«v
Zig ^eagi]: als Obj, ergänze: es, die Sache, die Lage der
Dinge." Davon hat ein Grieche schwerlich ein Bewusstsein ge-
habt, sondern er hat beim Anhören der Worte dv zig OQxfäg
l&BCOorj nichts anderes in seiner Seele gedacht, als was w ir sagen :
,,wenn einer ordentlich Umschau hält" (ähnlich steht
Phil. lll. 2: avTieg eiezd^rjrs og^cjg)^ so dass das substantielle
IMoment des Verbi dichter und inhaltsreicher geworden ist: ein
Gebrauch, den nach meiner Ueberzeugung Rumpel in seiner
„Casuslehre" S. 116 ff. gut erläutert hat. — §. 22 „rt ö' ol 08t-
TttAot; erg. ngogBÖOKCOV.'-'' Aber ein Grieche wird hier blos ge-
dacht haben , was wir sagen: wie aber die The ssal er? oder:
was war's mit den Thessalern*? — §, 29 ^^higovg Ttakslv:
Dobercnz: Ausgewählte Reden des Dcmosthenes. 363
erg. dUaiov ^v.'' Ist wenigstens ein zum Missverständniss füh-
render Ausdruck. Es war mit praktischer Richtigkeit zu sagen,
dass auch hierauf noch das obige ?}v öinaLOv eingewirkt habe und
aus diesem Grunde an die Spitze des Satzes getreten sei. Dies
sind Beispiele von verraeintliclier Ergänzung, wodurch die rich-
tige Auffassung der Stellen nur beeinträchtigt wird.
Von sonstigen Einzelnheiten will ich noch folgende erwälnien.
Phil. I. 5 steht im Texte, wie bei Andern. dX?! slöbjk Das in
Sauppe's Ausgabe stehende oldev ist wohl nur Druckfehler, da in
dessen Anmerkung „primum vidil"- und in der grösseren Ausgabe
ebenfalls tldev gelesen wird. §. 6 macht Hr. Dob. mit Recht auf
„das an's Ende des Gedankens gesetzte vvv''^ aufmerksam. Aber
da man hieran Anstoss genommen hat, so wäre es wohl gerathen
gewesen, die Sache etwas allgemeiner zu fassen und auf dieselbe
Betonung hinzuweisen durch ähnlichen Abschluss des Gedankens,
wie z. B. mit vvv (wie hier) 8, 44. Ol. I. 6, 14, mit ^'ör; Ph. I. 8,
mit äyav 17, mit ÖLXccLog 10. Ol. II. 5, mit oq^c^q Ph. I. U, x^^^'
nc5g Ol. II. 17, mit dt]7iov Ol. III. 9, 17, ngo^v^ag Ol. III. 5, mit
TÖ HUT dgxag Ol. II. 6 u. s. w. — §. 7 hat Ilr. Dob. mit Andern
VTtSQ avTov gesetzt. Ich glaube, dass Bekker und Vömel das
avTOV mit Recht unverändert lassen, theils weil in solchen Stellen
aus dem objectiven Gesichtspunkte des Redners gesprochen wird,
theils weil hier zugleich der Doppelsinn vermieden werden soll,
dass man amov nicht etwa auf tov nh]6iov beziehe. — §.8 wird
erklärt: „jrarr« zavxa: die mit dem vorhergehenden xig ange-
deuteten Völker."" Dann wiirde das Masculloum stehen. Es
sollen aber nicht die concreten Völker, sondern deren Ge-
danken und heimliche Pläne , das |Ltt(?£ti', q}doi'f tv xtA. angedeutet
werden. Dies hätte Hr. Dob. schon aus Sauppe's allgemeiner ge-
haltenen Note entlehnen können. Statt § 9 ngogmQißdkUtav
durch „erobern^^ zu erklären, war das entsprechende „immer wei-
ter um sich greifen'' ausreichend. — §. 11 würde die Auflösung
von ^^Iniözdvtig -— knKjzaiijTS äv Ttal'' wohl besser nach dem
Gedanken condicionell zu geben sein. — Zu der Inhaltsan-
gabe von §. 8 — 12 will ich mir nur die allgemeine Bemerkung er-
lauben, dass mir ein Theil der Fragen, die in beiden Bändchen
stehen, theils zu zerstückelt erscheint und dem Begriffe der
Aufgaben zu fern liegt, theils am Schlüsse für die jedesmal be-
liandelte Rede zu allgemein gehalten ist, abgesehen von eini-
gem Subjectivismus des Tones. Vielleicht komme ich bei einem
npälern Bändchen auf diesen Gegenstand zurück , um ihn vollstän-
dig im Zusammenhange zu besprechen und Positives als Ergeb-
nibs der eigenen Praxis in anderer Form gegenüber zu stellen.
Dies sollte nur eine vorläufige Andeutung sein, da ich diesmal den
gestatteten Raum für andere Punkte benutzen wollte. — §. 14
wird dg deov zu vag „zu eurem Vortheile''' gedeutet statt nach
Gebühr, auf gebührende Weise. Eben so §. 40, wo hier-
364 Griechische Litteratiir,
her verwiesen wird. — Die Beraerkun": in §.16 zu „EaV ti dei/^
war unnöthig, da dies dem Griechen einfacli bedeutet: ,,wenn es
etwa nöthig ist.**' Die Steile in »jij. 33. wo hierher verwiesen wird,
ist von etwas anderer Bescliaffenlieit. In §. 18 zu H7]d6vdg ovzog
k^TtodcDv'''' heisst es wie bei Franke und Sauppe: ^^u7]Ö8v6g ist Gen,
neutr," Das scheint mir nicht so ausgemacht zu sein, weil das
persönliche tvÖcp folgt, wie Ol. III, 8 persönliche Beziehung vor-
iiergeht. Vömel in der Uebersetzung der Pariser Ausgabe wech-
selt bei dieser Formel, was noch weniger annehmbar ist. — In
§. 19 soll Tfjg nokecog eivai nach Sauppe's Vorgange sein: ,,das
Interesse des Staates im Auge haben, im Interesse des Staates
handeln. ^'^ Das wird sich sprachlich wohl nicht rechtfertigen las-
sen. Wenigstens sind die zwei von Sauppe erwähnten Stellen
nicht entscheidend, weil dort die einfachste Bedeutung ausreicht,
wie hier: eine Macht der Stadt wird es sein, im Gegensatz
zu den ^svovg. Daher haben auch Franke und Vömel, wie ich
glaube, das «AA' ^' mit Recht unverändert gelassen, weil die Ne-
gation in ^7] lioi l^unrjQ) liegt. — §. 20 hat Hr. Dob. ebenfalls
oricsg uiq TtCLijöEzs von Bekker beibehalten. Ich erwähne dies nur,
um nebenbei anzufi'ihren, dass Vömel auch in diesem Punkte sich
nicht consequent bleibt, indem er z. B. hier die Lesart der Bücher
ytoirjörjTB unverändert lässt, anderwärts dagegen, wie Ol. 1. 2 oTtcog
ßoJ]%i]6BTe, ^e^en die Mss. das Futurum aufnimmt. — §. 22 soll
man in xat noklzag TOi)g öZQCiZBVofiBvovg das jioXizag betonen.
Aber man rauss auch das aal mit explicativer Emphase verstehen :
und zwar, und auch, wodurcli erst eine künstlichere Deutung
unnöthig zu werden scheint. — In Beziehung auf ilg filv Arj^vov
§. 27 sagt Hr. Dob.: ,,Es ist wahrscheinlich, dass dieser Zug um
dieselbe Zeit stattfand, zu welcher die Rede gehalten wurde.
Darauf scheint das Präsens öbI hinzuführen " Aber dann würde
\\o\\\ vvv oder etwas ähnliches dabeistehen; in dieser Nacktheit
dagegen kann man das Präsens nur auf die feststehende Ge-
wohnheit der Festfeier beziehen. In allen solchen sprachli-
chen und sachlichen Dingen herrscht bei Sauppe eine so wohler-
wogene Besonnenheit und Tiefe, wie man sie nur in wenig Com-
inentaren antrifft. Es ist daher in der Regel gefährlich, über
Sauppe's Schlussfolgerungen hinauszugehen. Indess hätte ich die
folr^ende Bemerkung: ,.MBVBkaov: dieser war ein Macedonier'"'
doch nicht in dieser apodiktischen Form aufgenommen. Denn Ja-
cobs^ F^inwaud S 115 scheint mir noch nicht ganz widerlegt zu
sein, Ich will mein kleines Bedenken lieifügen. Wenn Sauppe
bemerkt: ,,Menelaum fi07i ab Athenieusibus ipsis creotiim ?iec
ejcercilui 7i?iiverso praefeclii?n ftiisse en ostendunt quae sequun-
tur''^ etc ; so scheint mir das im Widerspruch zu stehen mit dem,
was im Folgenden bemerkt wird: ,,Demosthenes vituperat, quod
vnuin tantum impcratorem creme ejusque arbitrio omnia peunit-
iere solebant^'\ wenn hier das ^^creare''^ nicht etwa inittere heissen
Doberenz: Ausgewählte Reden des Demosthenes. 365
soll, um sich auf das obige ;rA^v avog ccvSqos, ov äv eansn-
il^T^ts ZU beziehen. Sodann würde, wie mich dünkt, wenn der
Sinn sein sollte ^^tinum tantum iraperatorem creare*"^, bei Msvk-
Xaov ein y,6vov oder ava nicht wohl fehlen können. Ich würde
daher in einer Schulausgabe mit vorsichtiger Einfachheit bios be-
merkt haben: „Menelaus war ohne Zweifel ein Fremder/'' Wei-
ter ist für Schüler zum Verständniss der Stelle nichts nöthig.
§. 28 muss bei aal noch „vor Tt^gaivo'''' hinzukommen. Statt
überall, wie Hr. Dob. gethan hat, die angeführten Summen auf
Thaler und Gulden genau zu reduciren , w ar es ausreichend an
einer Stelle zu erwähnen, wie viel Ein Talent betragen habe,
höchstens noch mit dem Zusätze, dass ein Talent -^ 60 Minen
und eine 3iine = 100 Drachmen sei. In § 30: STteidav ö' liti-
XSLQOtovrjxa rag yvco^aq^ a dv [oder nach der richtigeren Form
mit Vömel av] vfxlv ägsöxi] , xeigoTov^este., Iva — 7CO?L8^rJTS
0LXtJi7icp — rolg egyoig^ hat sich Hr. Dob. ganz an Sauppe an-
gelehnt, das ä getilgt und nun äv für edv genommen. Aber da
vermisst der Leser, der ohne Commentar den Text betrachtet, das
Object. Denn was man erklärt: „si vobis sententia mea placue-
rit*"' oder bei Hrn. Dob. ,,wenn euch mein Vorschlag gefällt'^,
das müsste wohl ausdrücklich dabeistehen. Auch ist hier niclit
vom ,,cohortari*'' und ,,monere^'' die Rede, indem man lUQOTori^-
ösrs in imperativischem Sinne fasst, sondern auf acht rheto-
rische Weise sagt Demosthenes nach der Vulgata dasselbe, was
man ihn durch Aenderung gegen die Mss. zu stark und, wie mir
scheint, weniger rhetorisch sagen iässt. Er spricht nämlich nach
der Vulgata nur in leiser Andeutung und mit grösserer
Bescheide n h eit, in dem er de mUrt heile in bestimm-
terer Rede form nicht vorgreifen will, folgendes: „Wenn
ihr aber über die Meinungen abstimmt, so werdet ihr den Gegen-
stand eurer Abstimmung i^dv vfilv agsöxy) in der Absicht wählen,
dass ihr einmal thatsächlich mit dem Philipp den Krieg be-
ginnt." Die Hauptpointe des Gedankens liegt daher in iva ^yj —
Tolg agyoig. — Zu §. 3-i liest man: „In ovx Söneg pflegte man
die Con'struction dem Söneg statt dem ov anzufügen**^ nach Krü-
ger, aber mit dem vagen Zusätze: ,,Das eine Glied einer Ver-
gleichung lassen die Griechen oft weg.'' Nicht \om „W'eg-
lassen*^ kann die Rede sein, sondern nur davon, dass ein zu
Haupt- und Nebensatz gehöriges Prädicat blos in die Sprachform
des Nebensatzes eingefügt wird. Ich wage zwar noch nicht, über
die Grenzen des Atticismus zu entscheiden, aber so viel scheint
festzustehen, dass sich dieser Gebrauch nicht blos auf eigent-
liche Vergleichungen mit ovx coöTiag erstreckt. Ich habe mir
wenigstens schon eine ziemliche Reihe verschiedenartiger Bei-
spiele, die aber alle unter denselben Gesichtspunkt fallen, zu mei-
ner Note in Theoer. V. 28 beigeschrieben. Auch oben §. 12 wird
gelesen: td vfjg tvx^Si ^^tsg del ßäXzLOV rj r^^elg i^^cov amcov
366 Griechische Litteratur.
eTtL^sXov ^s&a, TCtX. — In §. 36 wird gelehrt: „ov'öav «V-
e^etciötov ovo' aogiötov sind proleptisch hinzugefügt.''^ Aber
oi;Ö£v ist jedenfalls Subject , und die beiden Adjectiva wird mau
richtiger prädicativ zu erklären haben, weil TJ^ilrjTai nur als
bezeichnenderes Wort für den Begriff t^v gilt. — In §. 37 wird
das tov fi£r«^v xqovov^ nach dem Vorgange Anderer, erklärt „die
Zwischenzeit, während eine grössere Macht zusammengebracht
wird*"', und ovölv olaL te ovöat noulv: „eben weil die ausge-
schickte Macht zu gering ist.'*" Aber in diesem Sinne würde
Deraosthenes zu övi^ß^ftg wohl noch ein TtE^cp^elöag oder Aehn-
iiches hinzugesetzt haben. Daher wird man richtiger die Zwi-
schenzeit zwischen der Ausrüstung und Abfahrt zu ver-
stehen haben, also während der Streitigkeiten und des
Wortgezänkes. Oder man deutet mit Jacobs S. 118 and
R a u c h e n s t e i n (in iMager's Pädag. Revue 1^46. B. XIII. S. 341).
— §. 39 ,,oi;;c vor ccKokov^elv ist mit öbl zu verbinden; es ist
getrennt, um es hervorzuheben.'*' Gewiss nicht, sondern
weil öel zu beiden Sätzen gehört, ist es naturgemäss vorangestellt.
— §. 41 ^^ycal v^elgso auch.*"' Dann müsste oprco dabeistehen:
so aber heisst es einfach: auch ihr, mit Emphase. — §. 42 wird
(XTtoxQfjv EvloLg VUC3V äv ^Oi öoxft, £| dv aiöivvTqv — oqpA^JCo-
Tfg av ri^EV drjuoöLaj wie bei seinen Vorgängern erklärt: „er-
gänze tavta: so würden sich, glaub** ich, manche von euch da-
bei beruhigen. f| cjv d. i. wenn wir keinen Unwillen über das
von Philipp Vollbrachte empfände n.'''' Aber tavta ist nicht zu
„ergänzen"", sondern liegt schon in e^ av. Daher ist das erste
nicht „dabei" und das zweite nicht adverbiell „ej- qua re*"' und
mit 8K tovtov in §. 46 zu vergleichen , sondern die Stelle heisst:
„so würden sich, glaub' ich, manche von Euch bei dem beruhi-
gen, woraus wir den Vorwurf der Schmach etc. dem Staate zu-
ziehen würden, nämlich weil wir keinen Unwillen — empfin-
den.*"' Das ,,wenn wir^' u. s. w. liegt schon in aJCOxQrjv äv.
Es geht also auf die wirkliche Schlaffheit und Thatenlosigkeit
der Athener, insofern sie schon jetzt das Gegentheil von Phi-
lipps cpiloTiQayiioGvvYi gezeigt hatten. — In §. 43 werden die
tQiYiQEig KBvdg allgemein verstanden „leer von Bürgersoldaten.'''
Sollte das hier nicht solche bedeuten , die blos versprochen,
aber nicht ausgeführt werden*? — In §. 45 „gv'asi'gg: ist
Prädicat^' u. s. w. ist ein offenbares Versehen, da es Subject
ist und die Stelle bedeutet: ,,die Gunst der Götter und der
Glücksstern kämpft mit uns.''' Ebendaselbst wäre statt ,,T£di/a(jt
t(p Ö£EL -= fidla ÖEÖlaöLv''' wegen der Stärke des Ausdruckes
^dkiöta zu setzen. — §46: ^^djto^iö^cjv enthält die Ursache
von aO"Aic3v", also i. q. dts aTConiö^ojv ovtav. Aber d^klav hat
einen weiteren Begriff, sonst wäre es nicht beigefügt. Und wer
braucht bei „elenden und sold losen Fremdlingen" über-
haupt eine Erklärung*? Zu §. 47 lautet nach Franke's Vorgang
Doberenz: Ausgewählte Reden des Demoslhcncs. 367
die Note: „man erwartete nicht v^äg bei gleichem Subj. in den
beiden Sätzen; indessen unter den hier mit v^äg be-
zeichneten Atheniensern denkt sich der Redner an-
dere, als unter dem obig:en v ^slg.'"'' Daran hat Demosthe-
nes schwerlich gedacht. Doch es hat diesen Gedanken schon
Sauppe nach seiner humanen Gewohnheit stillschweigend ge-
missbilligt und dafür den Nachdruck 4er Wortstellung hervor-
gehoben. Man kann wohl die Deutlichkeit beifi'igen, insofern
wegen des folgenden Ttagovrag leicht ein Doppelsinn entstehen
könnte. — §. 48 „£^ 'IXlvQioig^ also rebellirten sie jetzt wahr-
scheinlich.^'' Konnte aber ebenfalls blosses Gerücht sein. Ueber
die Abhängigkeit des Infin. öiaöTCccv schweigt Hr. Dob. Man lässt
ihn gewöhnlich von ngdztuv abhängen. Aber das scheint zu ge-
sucht. Die unmittelbare Verbindung mit q)a6LV ist einfacher und
giebt der Steile eine grössere Concinnität, weil man sonst wohl
entweder vor rrjv &rjßaLOV ein kul oder vor tag JioXixüag ein z6
erwarten dürfte. Auch das folgende koyovg nXäzxovTsg scheint
für unmittelbare Verbindung mit cpaölv zu sprechen. In §. 51 hat
der Text: ßsKtLöza aKovsLv und ßkkziöza ünovzi. Da aber Hr.
Dob. sonst überall, so weit ich darauf geachtet habe, der Iliatus-
theorie gefolgt ist, so hätte dies auch hier und Phil. If. 23 bei
dmv%B6%B il^ nach Vömel's Vorgang, geschehen können. — Am
Ende der Rede lehrt auch Ilr. Dob., man solle construiren: algov-
^au XiyBiv iTcXzco 7t£7t slö^aL xcivza övvoiöslVj edv ngcc^i^ze.
Aber dem widerstreitet offenbar die Wortstellung des Redners,
nach welcher enl zcp öwotösiv eng zusammengehört. Das ns-
nelö^at bezieht sich nicht auf die Athener, sondern auf Demo-
sthenes, und dieConstruction ist atgovfica K^ysLV zavza TtSTCtlö^at
inl tgJ övvoLöeiv v^lv [was ich aus pädagogischem Grunde nicht
getilgt haben würde], kdv ngd^7]zs^ wörtlich: ,,so ziehe ich doch
vor zu sagen davon überzeugt zu sein in Beziehung auf euren
Nutzen , wenn ihr es thut'-'', d. h. dem Sinne nach so viel als (um
mit vorhergehenden Worten zu reden) o zl dv övvoiöuv niitu-
Cyiivog co.
Aus Philipp. II. noch Einiges. Gleich Anfangs wäre statt
,, betone Xiyziv'''' wohl besser ein Fingerzeig gegeben worden, dass
ndvzcig mit zovg xazrjyogovvzag zu verbinden sei. Für zd diov-
T«, wenn etwas bemerkt werden sollte, reichte einfach aus: „das
Erforderliche.'"'' In §. 5 meint Hr. Dob., mit Franke, zu ^^kniözi]-
Cszai: Subj. ist Philipp.^'* Natürlicher erscheint mir als Subject
das dabeistehende ^Lsyedog^ weil das Medium gesetzt ist, so dass
der Sinn sei: ,,und nicht eine Grösse der Gefahr sich erhebe." —
Schon aus pädagogischem Grunde hätte ich, um das Verständniss
ohne Note zu erleichtern, nicht ausgeworfen §. 5 öcoöovz' dvzi^
§ (3 ßäKzLov z(Dv dXlov^ §. 15 iiilXsi xat ^sXkrjöSL ys (was in
dieser Verbindung schvverlich ein Abschreiber hinzugesetzt hat),
und hätte §. 27 coöza und A^;0£ß^^ §. 32 statt Kaivrjv das xal vvv
368 Griechische Litteratur.
in den Text gesetzt ; dies alles nach dem Beispiele Vömel's. —
In §. 9 ,,xaö' v^uav: in diesem lobenden Sinne ist xarä selten, in
der Regel steht es bei tadelnden Aeusserungen." Ich
denke auch hier, insofern das xarcc absichtlich, vom Standpunkte
des Philipp aus gesagt zu sein scheint, wodurch auch zugleich das
Ttal molivirt ist. — §. 12 ist eine Note: „dia tavz\ d. i. diä xo
TJyHöd^ai.'''' Aber mit Recht hat Franke ein atX. hinzugefi'igt.
Denn es bezieht sich nicht auf dies Wort allein, sondern auf den
ganzen vorhergehenden Gedanken, wie auch der Plural beweist.
In §. 13 erklärt Hr. Dob. mit F'ranke: „a5g ndvta xavz ü^chqi
ob schon er dies alles wusste, so that er dies doch nicht seines
Vortheils halber'^ ii. s. w. Aber da bitte ich um sichere Beleg-
stellen, in denen ag mit dem Particip, ohne dass ein ausdrück-
liches o/L(a)g folgt, obschon ((/uamvis) bedeute. So lange dies
nicht geschieht, bleibe ich bei der andern luterpunction und Deu-
tung, und glaube, dass die Worte hinzugefiigt seien, um das be-
stimmte und directe eirga^Bv zu motiviren. Zu §. 14 soll xal
Tiagd yvcj^iTjv heissen „und desshalb wider seinen Willen."
Aber dann würde did xovro oder etwas Aehnliches dazugesetzt sein :
das Hai steht explicativ und zwar. Statt zu sagen ^^vtcotitcos
exBLv -— vTtoTitevsLv^'' wärc jedenfalls deutlicher: Misstrauen
fassen gegen. §. 15 ist bei xovg nhv ovxag ,,die wirklichen'''
zu tilgen und nur zu sagen: ,,die noch vorhandenen'', weil es im
Gegensatze zu ovg d' aTtcjXtöav steht. In §. 16 liest man über-
all: „öüvrarrcöv enthält den Begriff des Listigen, Verschmitzten."
Ich sehe nicht ein, wie dies in der blossen Präposition 6vv liegen
könne: es liegt vielmehr im Bau des ganzen Satzes, besonders in
nüvxa Ttfjayuaxevsxai^ welches nävxa überdies den Gebrauch
von %iCöQfi^ wovon schon oben die Rede war, stützen hilft. Zu
§. 19 w ird dem xQonog zugeschrieben , was nur der Plural ent-
hält. In §. 20 wird gelehrt: ,,yap ziehe zu tq)rjv''^ was durch
die Wortstellung widerlegt wird, und nebenbei deutsch, aber nicht
griechisch gedacht ist. Ein Grieche hat ncog ydg in der Frage
eng verbunden. Auch das ^^EKßdXkcov =^ tcdcI e^eßaXXt" ist nicht
griechisch gedacht und desshalb nicht erleichternd. Hier wäre
das bojoarische Königsparticipium ganz an seiner Stelle. — §. 22
„«AA« ^}]v aber dennoch." Das wäre, wie der Anfang von
§. 21, ßAA' o^cjg. — §. 23 „ß7rfi;;^£09^£ ist wohl Imperativ." Aber
darauf verfällt nicht leicht ein Leser, der den Text ohne Commen-
tar betrachtet. Hätte der Redner dies gewollt, so würde er wohl
«AA' dnevxeö^'^ v^elg lÖslv oder ähnlich seine Worte gestellt ha-
ben. In §. 25 wird auch hier bei jcal rdg ngoörjyoQiccg gesagt:
„xat bezieht sich auf den vorschwebenden Gedanken nicht nur
Gesinnungen." Ich denke, der Zusammenhang verlange:
„sogar die Benennungen, geschweige seine T baten."
Bei der Inhaltsangabe von §. 20 — 25 ist nur die letzte Frage pas-
send, das üebrige steht nicht in diesen Paragraphen, sondern im
Franz: Des Aeschylos Oresteia, 369
Vorliergehciirlen. In §. 32 t« vvv wird der Artikel wohl der
Symmetrie wegen durch a tiolü veranlasst sein. Bei der Bemer-
kung §. 34: „Toi^s vno xzigag: die sie in der Gewalt haben, die
sie bekommen könuen"" wird ein Schüler nicht leicht den waliren
Sinn durchschauen; darum wäre deutlicher zu sagen: „die ihnen
zunächst sind, die ihnen in den Weg kommen", was die Griechen
bekanntlich, wie Herodot 111. 79, auch durch zgv Iv noölv yi-
vö^evov und ähnlich ausdrücken.
Hiermit will ich schliessen , da ich schon zu viel Raum bean-
sprucht habe, als dass ich noch zu den Olynthischen Reden den
mehrfachen Stoff in einzelnen Bemerkungen vortragen könnte.
Auch wird das Angeführte ausreichen, um den Verf. auf alle Sei-
ten aufmerksam zumachen, die bei einer wahren Schulausgabe
eines griechischen Redners in Betrachtung kommen. Möge Hr.
Dobercnz auf seinen gegenwärtigen Beurtheiler das Demostheni-
sche « yiyvcoöKCD jtccv^^ äickcog Ttccggr^öLccö^uaL mit freundlichem
Sinne in Anwendung bringen. Er bemerkt noch in der Vorrede,
wo er übrigens die namentliche Anführung seiner früheren
Recensenten mit Unrecht übergeht, „er habe nach seiner Ausgabe
die Olynthischen Reden in der Classe gelesen, und müsse der
Wahrheit gemäss bekennen, dass er weit schneller, ohne der
Gründlichkeit Eintrag zu thun, lesen konnte, als es ohne jene
Hülfe geschehen sein würde." Das wird ihm Jedermann glau-
ben, aber das höchste Ziel ist damit noch nicht erreicht. Denn
jede Ausgabe mit Noten bleibt mehr oder weniger eine Krücke,
die bei Seite legt, wer allmälig auf eigenen Füssen stehen und
gehen lernt. Dass aber Primaner eine Reihe Demosthenischer
Reden, nicht mit philologischer Akribie, sondern mit pädagogi-
scher Gewandtheit rasch hinter einander lesen und verstehen ler-
nen, das kann und muss erstreben wer nicht Gefahr laufen will,
im nächsten Jahrzehnt mit den ganzen altclassischen Studien in
deutschen Gymnasien Schiffbruch zu leiden.
Mühlhausen. Ämeis.
Des aeschylos Oresteia^ Griechisch und Deutsch herausgegeben von
Johannes Franz. Leipzig, in der Hahn'schen Verlagsbuchhandlung,
1846. gr. 8. XXXI und 426 S.
Der griechische Text bildet den wichtigen Theil dieses Wer-
kes, der deutsche dagegen, oder die Uebersetzung, ist unbedeu-
tend und für den Äeschylus unwichtig. Was den ersteren nämlich
anbelangt, so gründet sich die kritische Bearbeitung auf eine noch-
malige genaue Untersuchung des vorzüglichsten handschriftlichen
Materials, eine Untersuchung, welche durch die fördernde Theil-
Df. Jahrb. f. Pliil. u. Päd. od. Krit. Bibl, Dd. LVlIi. H[t. 4. 24
370 Griechische Litteratur.
nähme Sr. Majestät des Königs Friedrich Willielm des Vierten
dem Ilrn. Herausgeber ermöglicht wurde, der denn aucli die Aus-
beute in einem besondern Anhange, welcher „Lesearten und Kri-
tik*' überschrieben ist, mit strengster philologischer Sorgfalt und
selbst die geringste Kleinigkeit niclit verachtender Genauigkeit zu-
sammengestellt hat. Wie viel oder wie wenig Hr. Prof. Franz
für die Heilung des durch den Zeitenzahn tief und nur allzuoft
unheilbar verwundeten Originals ausgerichtet, mag Ref. hier nicht
in Erwägung ziehen. Es genügt die Bemerkung , dass derjenige,
welcher die Oresteia griechisch lesen will, den vorliegenden
Text nicht entbehren kann, wenn er gründlich zu lesen gedenkt;
lind eine neue Ausgabe, welche die Franz'sche Arbeit ausschöpfte
und überflüssig machte, steht in diesen Zeiten nicht so bald zu
erwarten. Das Buch wird also sein Publicum finden und wenig-
stens unter den Philologen eine Zeitlang behaupten.
Schon aus diesem Grunde und weil es unter den heutigen
Philologen immer noch eine kleine Anzahl blinde Verehrer des
Antiken giebt, welche nicht nur die kunstreiche Nachbildung der
Alten entweder für überflüssig oder für unmöglich halten, sondern
auch die deutsche Sprache überhaupt mit Geringschätzung be-
trachten, müssen wir den zweiten Thcil des Werkes, die dem
Urtexte gegenüberstehende Verdeutschung, einer kurzen Kritik
unterwerfen. Denn sonst könnte es leicht kommen, dass jene
Gegner, welche auf ihre, oft jedoch sehr zweifelhafte Kenntniss
der alten Sprachen so stolz sind, dass sie jede Verdeutschung für
eine Entweihung ansehen, in dieser neuesten Yerdolmetschung
der Oresteia einen entschiedenen Beleg für ihre gutgemeinte, aber
kurzsichtige Ansicht suchen und finden möchten. Dies wäre um
so leichter möglich, als die Franz'sche Verdeutschung kurz nach
ihrem Erscheinen von Berliner Kritikern für ein wahres Wunder-
werk ausposaunt und selbst von Gottfried Hermann, der sich hier-
über ein besseres ürtheil hätte bilden sollen, für gut ausgegeben
wurde. Ist aber das gespendete Lob ungegründet und gewahren
jene selbstgenügsamen Philologen, trotz des vielen Rühmens, in
der neuen Arbeit nichts Besonderes, wenn sie genauer zusehen,
sondern im Gegentheile etwas, das der althergebrachten Unge-
schicklichkeit sehr ähnlich sieht, und gewahren sie in der jüngsten
vielgepriesenen Vorlage keinen Versuch, der sie zur Bewunderung
nöthigt, im Gegentheil einen abermaligen Versuch, der ihre Ken-
nerschaft nicht einmal nothdürftig befriedigt, so werden diese
Herren Gelehrten nicht blos den neuen Versuch schlechthin ver-
werfen, sondern auf ihrer alten festgewurzelten Meinung, dass
alle dergleichen Verdolmetschungen nutzlos, vergeblich und
schädlich seien und bleiben, mit um so grösserer Flartnäckigkeit
verharren. Weil also Ref. die Sache von ernster Seite nimmt und
der Unkunst sowohl als der Verkennung der Kunst entgegenzu-
wirken beabsichtigt, wird er über die vorliegende Arbeit sprechen
Franz : Des Aeschylos Oresteia. 371
und ein gerechtes und durchaus unparteiisches ürtheil fällen. Dass
man vom Ref. Gerechtigkeit und Unparteilichkeit voraussetzt,
darf er erwarten; sollte er sich jedoch bei einigen Lesern hierin
irren, so kann er sie glücklicherweise thatsächlich überführen,
indem er schlagende Beispiele, die ihm als Uebersetzer der Attiker
in reicher Fülle zu Gebote stehen, für alle seine Üehauptungeu
beibringt, dass Niemand im Stande sein wird, an üirer Wahrheit
zu zweifeln. Und in so fern wird meine Kritik nicht blos negativ,
sondern zugleich positiv sein.
Die deutsche üebersetzung der Oresteia des Hrn. Prof. Franz
erhebt sich keineswegs über das gewöhnliche Niveau, auf welchem
seit geraumer Zeit die Verdolmetschungen hellenischer Dicht-
werke stehen gebh'eben sind , trotz des vorgezeichneten Planes,
den der Verf. in seinem Vorworte mit Bewusstsein geschildert hat
und trotz der ziemlichen Mühe, die er bei der Ausführung des-
selben aufgewendet zu haben scheint. Wir dürfen es daher
schwerlich sehr bedauern, dass seine Verdeutschung, welche
eigentlich für eine theatralische Aufführung zu Berlin bestimmt
war, nicht das Glück hatte, auf der Bühne zu erscheinen und vor
das grössere Publicum zu treten, welches mit dem Original keine
Bekanntschaft, also auch vor demselben keine sonderliche Ehr-
furcht hat. Denn wie die sehr mittelmässige Donner'sche üeber-
traguDg der Sophokleischen Antigone leider nicht eben geeignet
war, ein glänzendes Bild der antiken Tragödie vorzuführen und
gehässige Meinungen zurückzuschrecken , so w ürde in gleicher
Weise die Franz'sche Verdeutschung der Oresteia zu schwach
und unvollkommen gewesen sein, um die Herrlichkeit des Origi-
nals zu zeigen und die Nation einen Blick in das harmonische Reich
der Griechen thun zu lassen, der mit Bewunderung an der Kunst
des Alterthums gehaftet hätte. Denn jene wie diese lassen uns
kaum die überwältigende Schönheit ahnen, welche im attischen
Drama lebt und webt; sie bieten uns kaum den Reichthum des
Sinnes und der Gedanken, womit die Originale ausgeschmückt
sind, da Sinn und Gedanke, auch wo sie richtig übersetzt haben
gleichsam entblösst dastehen, indem der eigenthümliche Zauber
mangelt, welchen die vollendete Form um sich verbreitet. Denn
diese führt den Stempel, welcher über das Gewöhnliche hinweg-
hebt und dem Gedanken den wahren Charakter aufdrückt, Nach-
druck, Leben und dauernde Gestalt verleiht. Mit Recht sagt
Friedrich Rückert darüber:
Gebet ihr aus euren Schachten
Edelsteine mir und Gold,
Wenn ihr's roh mir geben wollt,
Werd* ich's nur als Stoff betrachten.
Gebt's in Form, so werd' ich's achten;
Denn das muss ich gelten lassen,
Was ich nicht kann besser fassen.
24*
372 Griechische Litteratur.
Ohne eine wirklich gediegene Form , welche das Antike so repro-
ducirt. dass es gleichsam durch alle Adern deutsch pulsirt, er-
halten wir nichts als äusserliche Knochen und Hippen, welche uns
fleischlos und nicht sehr anrauthig entgegenslarren und die mei-
sten Leser und Hörer gespensterhaft zurückscheuchen. Im glück-
lichsten Falle gewähren uns solche Verdolmetschungen allge-
meine Umrisse der hellenischen Kunstwerke, welche noch ein ge-
wisses Lehen behaupten, weil es unmöglich ist, eine geniale
Schöpfung durch die ärgste Stümperei ganz und gar todtzuschlagen.
Wie kommt es aber, dass Hr. Prof. Franz den gerechten An-
sprüchen, welche heutzutage an eine derartige üebertragung, zu-
mal behufs theatralischer Aufführung, zu stellen sind, nicht besser
Genüge geleistet hat*? An Uebersetzungstalent scheint es ihm
weniger gemangelt zu haben als an rechtzeitig erw orbener Einsicht
in die Kunst des Uebersetzens. an Fertigkeit und Gewandtheit,
an Fleiss und Feile und an hinlänglicher Kenntniss des deutschen
Idioms, das mit dem griechischen Idiome vermittelt werden soll:
eine Aufgabe, die nur demjenigen gelingen kann, der beide Idiome
gleich gut bemeistert. Die Wahrheit des letzteren Satzes liegt
so zu Tage, dass wohl Niemand bezweifeln wird, man könne auch
nur zehn Verse vollendet übersetzen, ohne dass man das Grie-
chische so gut zu handhaben wisse als das Deutsche. Hören wir
aber zunächst, wie Hr. Franz sich in seinem Vorworte selbst über
sein Vorhaben ausgesprochen hat.
Nachdem er die Darstellungsweise des Aeschylus , welche
der Ausdruck einer mächtigen Individualität sei, S. VIII mit leid-
lichen Zügen dargelegt, glaubt er sich auf dem Standpunkte zu
befinden, auf welchem der üebersetzer seiner Praxis genügen
solle. Um die Priesterschaft der Muse des Aeschylos werde er
sich nur dann bewerben, fährt Hr. Franz fort, wenn dem Üeber-
setzer, abgesehen von einem für Poesie empfänglichen Sinn, die
errungene Herrschaft über die alte Sprache und eine lang ge-
pflegte Bekanntschaft mit den litterarischen Grössen des Alter-
thums Berechtigung dazu gäben. Des Bedenklichen bliebe dann
doch genug auf seinem Wege. Denn so leicht es ihm auch wer-
den möge, mit dem Fluge der Phantasie des Dichters gleichen
Schritt zu halten , so sei der Kampf mit dem widerstrebenden
Material seiner Sprache doch zu gross, als dass er hoffen könnte,
eine vollkommene Verdeutschung zu liefern. Er werde sich
daher nächst der möglichst treuen Üebertragung der charakteri-
stischen Eigenthümlichkeiten des Dichters mit einer erträg-
lichen Nachbildung der Form begnügen müssen, deren Geheim-
niss immer noch auf einem glücklichen Maass von Freiheit in der
Treue beruhe, zu dem selbst ihn nur Liebe und Begeisterung er-
heben könne. Eine solche Uebersetzung werde den allgemeinen
Charakter der Sprache des Dichters möglichst wiedergeben, den
Ton heben und senken, wie es das Original vorschreibe, und die
Franz : Des Aesch^Ios Orestela. 373
Mittel bereit halten, die nothwendi^ einbrechende Dissonanz der
Fremdheit durch eine geschickte Wendung- wieder aufzulösen.
Auf diese Weise werde sie im Stande sein, in dem gebildeten deut-
schen Hörer ein igerm aas s en den Eindruck hervorzubringen,
den der alte Dichter mit seiner Schöpfung auf seine Zeitgenossen
gemacht. Bei einer solchen G r u n d a n s c h a u u n ^ , schliesst er,
Ton den Voraussetzungen einer leidlichen Verdeutschung
liesse es sich übrigens nicht leugnen, dass dem üebersetzer des
Aeschylus heutzutage zwei Umstände zu Statten kämen , die er
dankbar anzuerkennen habe, einmal der Fortschritt unserer Spra-
che in Aneignung und Pflege der griechischen Metrik, dann der
Rückhalt an einer nicht unerheblichen Anzahl von Uebersetzungs-
versuchen, in welchen für ihn viele Momente sowohl der Beieh-
rung als der Warnung sich vorfänden. Nachdem Hr. Franz diese
Uebersetzungsversuche (von der gesammten Oresteia indessen
waren blos vier vorhanden) aufgezählt und zum Theil kritisch
abgeschätzt, fährt er weiter unten S. XII fort: wer einer solchen
Menge von Vorgängern nachwandle, könne sich allerdings der
Einsicht in die Stufen des Misslungenen erfreuen. AVicderum
aber könne es nicht fehlen, dass er bemerke, wie dieser oder
jener das Hechte glücklich getrofl'en habe. Um dem alten Mei-
sterwerke ein volleres Heiraathsrecht in der deutschen
Sprache zu erringen, wäre es nothwendig gewesen, die früheren
Leistungen mit seiner üebertragung aufmerksam zu vergleichen
lind das etwa besser Wiedergegebene nicht gedankenlos, sondern
nach sorgfältiger Prüfung aufzunehmen und an die Stelle des
Selbstgefnndenen zu setzen. Ref. hatte sich gegen dieses Ver-
fahren entschieden erklärt und dasselbe für ein Zusammenflicken
aus verschiedenen Dolmetschungen angesehen, woraus nichts Ge-
diegenes, Harmonisches und Gleichmässiges entspringen könne.
Ich stellte die Behauptung auf, dass August Bötkh, von welchem
dieser Vorschlag einer Auswahl gelegentlich hingeworfen worden
w ar , die Sache nicht recht überlegt habe ; man wollte nämlich
nicht blos einzelne Verse, sondern ganze „Partien", je nachdem
sie von diesem oder jenem üebersetzer am besten getroff"en seien,
reit überbessernder Hand zusammenstellen. Nichts schien leich-
ter und bequemer als dies, und ich glaubte, dass dadurch der
heutigen Uebersetzungswuth vollends Thor und Thür geöffnet
werde, ohne dass irgend etwas Gutes zu Tage komme, weil, nach
meiner Ansicht, die attischen Dichter überhaupt weder im Einzel-
nen, noch in umfangreicheren Scenen von den seitherigen Ueber-
setzern auf zufriedenstellende Weise verdeutscht worden. Die
Gegengründe, womit ich ein solches unbedachtsames Verfahren
bekämpfte, vorzüglich als es mehrseitigen Beifall zu finden schien,
habe ich anderwärts ausführlich entwickelt. Hr. Prof. Franz
rechtfertigt den geraissdeuteten Vorschlag S. XIII mit einigen
Sätzen, ohne jedoch in die Sache selbst einzugehen; seine Grimdc
374 Griechische Litteratur.
sind nicht stichhaltig und beschränken sich auf die allgemeine Be-
hauptung, dass ein üebersetzer, der fähig sei und Beruf habe zu
übersetzen, nichts Fremdes sich aneignen werde, was in den Ton
des Originals nicht passe, in denjenigen Ton, der überall wieder-
gegeben werden solle. Aber diese Rechtfertigung war i'iberhaupt
unnöthig, da FIr. Franz blos von einzelnen ,, Ausdrücken^'' spricht,
die er Ton seinen Vorgängern aufgenommen habe; von dieser
Freiheit, fügt er überdies hinzu, glaube er eben nicht Missbrauch
gemacht zu haben , und auf diese Weise beschränkt er das ganze
Verfahren. Vorarbeiten zu benutzen, ist in der Ordnung, und
Ref. sieht sich nicht veranlasst, näher zu untersuchen, ob Fran-
zens Glaube richtig sei, dass er sich der Freiheit, mit dem Kalbe
der Vorgänger zu pflügen , glücklich and mit Maass bedient habe.
Es kommt, nachdem seirie üebersetzung fertig ist, sehr wenig
darauf an, wie er dieselbe zu Stande gebracht; es handelt sich
lediglich darum, ob sie gelungen ist, und darüber wollen wir den
Lesern dieser Bläüer Aufscliluss verschaffen.
Wir begegnen zunächst, wenn wir die oben mitgetheilten
Winke seiner Vorrede überschauen und zusammenfassen, dem
merkwürdigen Ergebniss, dass Hr. Prof. Franz, als er seine Reise
in das Land der Uebersetzungskunst antrat, sich keineswegs das
wahre Id e a 1 einer Verdeutschung vorgesteckt habe. Es man-
gelten ihm allerdings nicht einige geographische Vorstellungen von
dem Boden, auf den er werde treten müssen; aber sei es dass er
sich seiner Schwäche bewusst war und fühlte , dass er einem Vo-
gel gliche, der noch nicht ganz flügge geworden, oder sei es dass
er irgend eine Ahnung hatte von der unabweisbaren Kritik eines
Sachverständigen, genug, er malt sich den Himmelsstrich, der vor
seinen Blicken lag, nicht eben rosenfarbig aus, überall gewahrt er
Dornen, die ihn stechen, Disteln, die ihn verwirren könnten, und
sieht überhaupt eine Landstrasse vor sich, welche so viele Steine
des Anstosses biete, dass es unmöglich sei über sie mit deutschen
Füssen hinwegzukommen, ohne ifn ungleichen Kampfe mit dem
leichtbeschuhteren Griechen den Kürzeren zu ziehen. Daher be-
gnügt sich Hr. Franz, wenn seine üebersetzung im Stande sei, in
dem gebildeten deutschen Hörer einigermaassen den Ein-
druck, welchen das Original auf den Griechen ausgeübt habe, her-
vorzurufen; daher begnügt er sich, bei seiner Grundanschauung
von den Schrecknissen der holpricliten Pfade, die er zu wandeln
gezwungen sei, eine leidliche Verdeutschung zu machen ; daher
entsagt er, bei dem widerstrebenden Material seiner Sprache, frei-
willig und mit Vorbedacht der schönen Hoff'nung, den Griechen
siegreich einzuholen und eine vollkommene Verdeutschung zu
liefern. Einen einzigen Compass nur, der ihn tröstet, wenn aucfi
des Bedenklichen genug auf seinem Wege bleibe, hält der rei-
sende Üebersetzer unter allen Umständen fest, und dieser Com-
pass ist: die errungene Herrschaft über die alte Sprache und eine
Franz: Des Aesch^Ios Oresteia. 375
lang gepflegte Bckaimtscliaft mit den litterarisclien Grössen des
Alterthums. Vermittelst dieses Compasses hofft er wenigstens,
dass es ihm leicht fallen werde, mit dem Fluge der Phantasie des
Dichters gleichen Schritt zu halten; aber Ref. besorgt nur, dass
dieses Instrument, dessen gelehrte Handhabung dem geehrten
üebersetzer nicht bestritten werden soll, auf dem labyrinthischen
und steinigten Pfade nicht ausreichen dürfte; denn sobald der
Reisende zu fliegen gedenkt und die schwerfälligen nordischen
Füsse im wirren Bodengestrüpp sicli verfangen sollten , was hilft
ihm dann der gelehrte, aus griechischem Stoffe verfertigte Com-
pass'? Wird er im Stande sein sich flott zu machen, wenn er niclit
anderweitige Hülfe herbeizuschaffen weiss und deutsche Segel
an die Füsse spannt'? Wird er nicht, selbst im glücklichsten
Falle, dass es ihm durcli eine geschickte Wendung gelingen sollte,
aus der Wirrsal des fremden Bodens sich loszumachen, zerrissene
Sandalen und dornen verwundete Zehenspitzen davontragen'?
Es erwächst aber hieraus die Frage , ob der Hr. Prof. Franz
Recht gethan habe, seine Aufgabe von allem Anfang an so niedrig
zu stellen, wie erwähnt worden, und so bescheidene Anforderun-
gen an seine üebersetzung zu machen, dass er sogar kein Beden-
ken hat, mit einer erträglichen Nachbildung der Form sich
zu begnügen, und höchstens von dem Wunsche durchdrungen ist,
dem alten Meisterwerke ein volleres Heimalhsrecht in der
deutschen Sprache zu erringen, nicht aber ein volles*? In der
That erstaunt man einerseits, in unsern Tagen, wo man emsig dar-
nach strebt, die Dichtungen fremder Völker in unsere Litteratur
einzubürgern, aus dem Munde eines Gelehrten zu hören, dass er
nach diesem Ziele nicht mit ganzem Herzen zu trachten wage,
gleichsam als ob die Uebersetzungskunst eine Kunst sei, die man
im Nothfall auch als halbe Pfuscherei betreiben dürfe! Nichts
Jiat der Nachbildung antiker Schönheit in der Gunst des Publicums
mehr geschadet als die üeberschwemmung des litterarischen
Marktes mit oberflächlichen Machwerken, welche dergleichen Vor-
aussetzungen und begnügsamen Meinungen ihren Ursprung ver-
dankten und die besten Leistungen wie wucherndes Unkraut um-
dämmten. Ludwig Tieck nannte dies freilich Uebersetzungseifer,
welchen er durch die geglückte Aufführung der Antigone in
Deutschland angefacht habe! Andererseits braucht Ref. keinen
langen Beweis dafür aufzustellen, dass derjenige, welclier dem
eigentlichen höchsten Ideal, sei es aus der vollen Ueberzeugung
es nicht erreichen zu können, oder aus Furcht im Hintertreffen zu
bleiben, oder aus allzubescheideuer Ergebung, von freien Stücken
und von Haus aus entsagt hat, schwerlich jemals etwas Tüchtiges
und wahrliaft Künstlerisches hervorbringen werde. Das Streben
nach dem höchsten Ideal vielmehr ist so unerlässlich, dass selbst
der grösste Meister, wenn er einmal so thöricht sein sollte, dieses
Streben ausser Acht zu lassen, nicht im Stande sein würde, über
376 Griechische Litteratur.
die breite Fläche der Mittelmässigkeit hinausziigelangen. Wel-
chem Bildhauer wird es je beig:efallen sein, wenn er eine antike
Bildsäule nachraeisselt, lediglich daraufhinzuarbeiten, dass er ein
erträgliches und leidliches Abbild verfertige, in der Voraussetzung,
dass der alte Meister unerreichlich sei? Dieser Gedanke müssle
ihn niederschlagen und schon vor dem Beginne des Werkes seine
Kraft brechen. Die Wichtigkeit des Ideals erstreckt sich so weit,
dass auch der raittelmässige Kopf, wofern er das Ringen nach dem,
was ihm unersteiglich ist, von ganzer Seele festhält, eine höhere
Stufe, als er selbst bescheiden zu hoffen gewagt, nicht selten er-
klimmt. Wäre es also auch eine Anmaassung, wenn Jemand, wie
Ref., eine vollkommene Verdeatschung hervorzubringen und mit
dem Griechen gleichsam um die Palme zu streiten sich erkühnt,
so würde diese Anmaassung doch zum Heile fi'ihrcn; sie wiirde
jedenfalls den Fortschritt beabsichtigen und etwas Schöneres be-
wirken, als wenn er von vornherein sich vorgenommen hätte zu
stümpern, wie die Vorfahren gestümpert haben, in der traurigen
Meinung, dass es doch vielleicht nicht anders ginge und das wahre
Ziel wie ein Stern hinter Gewölk verschwämme. Ref. hat andere
Erfahrungen gewonnen und für den etwaigen Gegner folgende
Zeilen verfasst:
Wisse, dem Stümper aliein sind strengere Maasse verderblich,
Schwache verklagen allein, wo sie gestümpert, die Kunst:
Aber die Zügel gelind anfassend und leicht wie der Vogel
Ueber Gefahr und Beschwer spielt sich der Meister hinweg.
Nach dieser Auseinandersetzung, welche keinen andern Zweck
hat als darzuthun, dass Hr. Prof. Franz der strengen Kritik ver-
muthlich ein Schnippchen zu schlagen versucht hat, lässt sich
nicht erwarten, dass seine Uebersetzung so gelungen sei, dass sie
den Namen einer guten verdiene. Der Verf. selbst hat alles Mög-
liche gethan , die allenfallsigen Erwartungen im Voraus herabzu-
stiramen. Wir würden desshalb seine Leistung milder beurtheilen
müssen , wenn nicht der aussergewölinliche Umstand hinzuträte,
dass Hr. Franz sich demungeachtet die Aufgabe gesetzt hat, etwas
Gediegneres und Vollendeteres zu liefern als alle seine Vorgänger.
Dass dies wirklich in seinem Plane lag, erkennt man nicht allein
daraus, dass er das Brauchbare, was die früheren üebertragungen
der drei Tragödien darbieten sollten, zu dem Seinigen zu machen
gedachte, sondern auch aus der Abschätzung der sämmtlichen Vor-
arbeiten , die er in seinem Vorwort Uebersetzungsversuche nennt.
Und erklären rausste er allerdings, dass er wenigstens nach die-
sem Ziele, etwas Besseres zu schaffen, mit Bewusstsein ringe,
denn sonst würde man die berechtigte Frage gestellt haben, warum
er zu so zahlreichen bisherigen Versuchen einen neuen Versuch
geselle, und den kurzen Ausspruch thun, es sei wohl besser ge-
wesen, diese nicht bessere Uebertragung ungemacht oder unge-
druckt zu lassen. Im Allgemeinen ertheilt er denn seinen Vor-
Franz : Des Aeschylos Oresteia. 377
gängern theils Lob, theils Tadel ; denn dass dieselben nichts durch-
aus Schlechtes in seinen Äugen geboten haben konnten, lässt sich
voraussetzen, da er das Gute aus ihren Versuchen aufzunehmen
gesonnen war. Ref. hatte damals nur die dritte Tragödie, die
Eumeniden, durch den Druck veröffentlicht; er wird aus mehre-
ren Gründen nicht umhin können , dasjenige aus dem Vorworte
anzuführen, was über diesen jüngsten Versuch Hr. Prof. Franz
gemeint hat, welchem die beiden andern Stücke, der Agamemnon
imd das Todtenopfer oder die Todtenspenderinnen , erst zuge-
kommen waren, als der Franz'sche Text bereits die Presse ver-
lassen hatte. Indessen, sagt er, wäre eine Beurtheilung meiner
Leistung schon durch meine Nachdichtung der Eumeniden mö<^lich
gemacht gewesen. Vermöge der fliessenden, meist natürlichen
Sprache und der leichten, ungezwungenen Versification , mit wel-
cher meine Verdeutschung des Aeschylus ausgestattet erscheine,
würde es derselben wohl nicht schwer, sich Leser zu verschaffen.
In den Augen des Laien werde sie selbst eine gewisse Rolle spie-
len. Und es sei nicht zu verkennen, dass sie, abgesehen von den
Stellen, in welchen durch mehr prosaisch klingende Fügung und
Ausdrücke der Ton über Gebühr herabgestimmt werde, im Gan-
zen eine anrauthige Farbe abspiegele.
Das klingt so weit nicht übel, obschon sich in den beiden
letzten Sätzen , wo er von dem Laien spricht und etwas von Prosa
und Herabstimmung munkelt, bereits das hohe Pferd bemerklich
macht , das Hr. Franz bestiegen hat. Verfolgen wir aber einst-
weilen seine kritischen Bemerkungen weiter. Gegen das Urtheil,
fährt er fort, dass meine Leistung eine unübertreffliche sei,
kämpfe ich, der Lebersetzcr, selbst an, dadurch, dass ich mir zu
liäuflg und namentlich in den lyrischen Partien eine überaus un-
gebundene Freiheit in Ausdruck und Wendung gestatte, wodurch
die üebersetzung aufhöre üebersetzung zu sein und Commentar
werde. Ohne in seinem Vorworte darauf eingehen zu wollen, in
wie weit sich in solchen Fällen der Commentar rechtfertigen lasse
oder nicht, scheine ihm meine üebersetzung eben so wenig als
meine Nachdichtung frei zu sein von dem Vorwurfe, theils den
klaren Strom des Dichterwortes vor prosaischer Verseichtung nicht
bewahrt, theils dem Original fremden Schmuck verliehen zu ha-
ben, Ueberdies dürfe man es sich nicht verhehlen, dass meine
üebersetzung eine grössere Gewandtheit in Handhabung der deut-
schen Sprache als Einsicht in das griechische Idiom und in die
Leiden des Urtextes an den Tag lege.
Ref. ist somit durch diese geschickten und vorsichtigen Wen-
dungen von Hrn. Franz in die gebührenden Schranken zurückge-
wiesen und in die Classe der übrigen Verdeutschcr geworfen wor-
den, die Hr. Franz nolcns volens übertreff"en musste und von
denen er das Brauchbare, was sie bei aufmerksamer Vergleichung
darbieten sollten, unter dcmüthiger Hintansetzung der eigenen
378 Griechische Litteratur.
Erfindungen und wahrhaft weiser Entsagung zu dem Seinigen zu
machen gedachte. Wir können ihm dies nicht verdenken; denn
nachdem er einmal die verhängnissvolle Bahn zurückgelegt hatte,
was sollte er da ohne Umschweif und oline alle Selbstgefälligkeit
das unangenehme Geständniss ablegen, dass er umsonst ausgereist
sei, umsonst mit Dornen und Disteln sich Iierumgeschlagen habe,
besonders da er einen so trefflichen Compass besass? Das wäre
eine allznpoetische Zumuthnng in diesen prosaischen Zeiten ge-
wesen. In der Kunst rauss man keine christliche Demuth und
Entsagung beanspruchen. Freilich dürfte es sehr schlimm aus-
sehen, wenn es sich am Ende offenbarte, dass Hr. Franz nichts
Besseres oder Schlechteres als seine Vorgänger geleistet habe,
ja vielleicht gegen den einen oder den andern zurückgeblieben sei.
Denn man dürfte alsdann veranlasst sein , und zwar mit gerechtem
Grund , sein ürtheil über die früheren Uebersetzungsversuche als
eitle InmaassuniT auszuleiren. Schon bei mehreren anderen Ge-
legenheiten hat Ref. dargethan , dass die Vorwürfe, die ihm Hr.
Franz im Obigen gemacht, nicht nur in eitlen Seifenblasen be-
stellen, sondern auch, wenn sie wohlbegründet wären, gerade
Hrn. Franz selbst tausendmal stärker treffen würden. Ref. hat
die besten Mittel in Händen, den Beweis dafür so zu führen, dass
ein Widerspruch lächerlich erscheinen müsste; er darf nur von
den Beispielen Gebrauch machen, die jede Seite im Ueberfluss
bietet, und er wird weiter unten dieser entscheidenden Waffe sich
bedienen.
Zuvörderst müssen wir die Ausstellungen , die Hr. Franz ge-
gen die Verdeutschung des Ref. vorgebracht hat, überblicken und
in ihre Theile zerlegen. Die schöne Form erkennt er an und
gesteht der Arbeit im Ganzen eine anmuthige Farbe zu ; darüber
wäre also vorläufig nichts zu bemerken. Die Last der übrigen
Vorwürfe aber abzuwälzen, dürfte uns hinreichende Arbeit ver-
schaffen; sie bestehen darin, dass Hr. Franz behauptet, erstlich,
Ref. habe in seiner Nachdichtung an einzelnen Stellen durch raelir
prosaisch klingende Fügung und Ausdrücke den Ton über Gebühr
herabgestimrat. Zweitens, Ref. habe sich zu häufig einer über-
aus ungebundenen Freiheit bedient, wodurch seine Uebersetzung
zum Commentar umgeschlagen, der klare Dichterstrom vor pro-
saischer Verseichtung nicht bewahrt und dem Original fremder
Schmuck verliehen worden sei. Drittens, Ref. habe eine grössere
Herrschaft über die deutsche Sprache als über das griechische
Idiom beurkundet und die verdorbenen Stellen des Urtextes nicht
überall wahrgenommen, begriff'en und berücksichtigt. Alle diese
Diu ''e, ist die natürliche Schlussfolgerung, muss also Hr. Prof.
Franz glücklicher als Ref. überwunden haben, er muss frei von
dergleichen Schwächen und Mängeln dastehen. Wenigstens kann
man folgern, dass Hr. Franz sie zu vermeiden möglichst getrach-
tet habe, auch wenn er blos eine „ leidliche ^^ Verdeutschung zu
Franz: Des Aeschylos Orestcia. 379
machen von Haus aus beabsichtigte. Wir dürfen auf alle Fälle
ein Werk erwarten, welches durchaus poetisch, mit dem Aeschy-
his gleichtönig, gleich voliklingend, gleich einfach, gleich prunk-
haft sei und welches, unter einsichtsvollster Erwägung der Ver-
derbnisse des Originals, eine richtige Behandlung des deutschen
sowohl als des griechischen Idioms durchweg erkennen lasse.
So billig und gerecht auch diese Erwartungen scheinen mö-
gen, ergiebt sich doch für die nachrechnende Kritik, dass Herr
Trof. Franz dieselben so wenig erfüllt hat , dass nicht nur Ref.
sich der eigenen Vertheidigung gegen jene oberflächlichen An-
deutungen überlioben sieht, sondern auch die Leser dieser Blätter
werden gestehen müssen, der Berliner Herr Uebersetzer besitze
entweder nicht den guten Willen das Bessere anzuerkennen, oder
nicht den gehörigen Geschmack das Bessere zu würdigen. Zu-
gleich werden gewichtige Zweifel entstehen , ob Hr. Franz die
genügende F'ähigkeit habe, die Schönheit der Griechen schöpfe-
risch auszuprägen. Denn um mit der ersten Erwartung anzufan-
gen, dass seine Uebersetzung poetisch sein werde, finden wir
uns in dieser Hinsicht sogleich und entschieden getäuscht. Nicht
von einzelnen Stellen, die prosaisch wären, redet Ref., niclit von
mehr oder weniger prosaisch klingenden Fügungen, wodurch der
diciiterische Ton über Gebühr Iierabgestimmt würde, raaclit Ref.
viel Aufhebens, nicht von einzelnen Ausdrücken, welche die Rein-
heit des poetischen Stromes trübten, spricht er mit einigen leicht
hingeworfenen Worten. Denn Ref. pflegt sich nicht an Einzeln-
heiten zu halten und aus gelungenen Werken, um Stoff'zum Tadel
zu finden , das etwa minder Gelungene begierig herauszuklauben,
den Kritikern ähnlich, welche gegen die Sonne eifern, weil sie
zuweilen dunkle Flecken zeigt. Was nützte es auch , eine Anzahl
verfehlte Ausdrücke zu sammeln; welchen Vortheil brächte es,
wenn ich anführte, dass Kr. Franz in der ersten Rede des ersten
Stückes den armen Wächter klagen lässt, er sei „dem Hunde
gleich'^; dass bald darauf einer „Nachtle uch t e"" Willkoramen
zugerufen wird, einer Nachtleuchte, welche uns nicht blos an
eine Laterne, sondern auch an die Nachtlampe und andere nächt-
liche Gefässe unwillkürlich erinnert; dass er weiter unten (Vs.459)
einen „durst'gen Bruder'' zu Tage fördert, von welchem
das griechische Original nichts weiss; dass er (Vs. 1056) der gott-
begeisterten Jungfrau, der Kassandra, Worte wie „Kuh" und
„Stier" in den Mund gelegt hat, statt gewähltere Benennungen
zu gebrauchen*? Dazu kommt, dass sich über einzelne Ausdrücke
rechten läsest; bei der Verschiedenheit des Gesciimackes billigen
die einen was die andern verwerfen, und ausserdem entscheidet
häufig Stellung, Zusammenhang und Betonung über grössere oder
geringere Angemessenheit der gebrauchten Wörter. Nicht min-
der fruchtlos würde es sein, etliche Beispiele von prosaisch klin-
genden Fügungen aufzuzählen, zumal da auch dies eine Frage ist,
3 so Griechische Litteralur.
Über die gestritten werden kann und dabei untersucht werden
roüsste, in welchen Punkten der poetische Stil, um seine Nationa-
lität zu behaupten, eine Gleichstellung mit dem prosaischen Ge-
füge verlange, während die Entscheidung darüber, wo die gewöhn-
liche Fügung zugleich die poetische ist, weil dieselbe als die na-
türliche auftritt, dem Endausspruche des Geschmackes überlassen
bliebe. Es genügt die Bemerkung, dass die Franz'sche Ueber-
setzung von Fügungen wimmelt, deren Prosa ebenso grell hervor-
tritt als die unzweifelhafte Niedrigkeit der oben gerügten einzel-
nen Ausdrücke. Um aber nicht blos zu behaupten, hebe ich zwei
der ersten besten Proben aus, wie sie mir gerade ins Auge sprin-
gen. Hr. Franz übersetzt Vs. 972 und 973 also:
,,lst aber einmal solch ein hartes Loos verhängt,
So ist ein altbegütert Haus ein wahres Glück."
Statt dieser alltäglichen Fügung, welche einen vollkommen spiess-
bürgerlichen Ton hat, während die Worte des Aeschylus selbst
hier erhaben klingen, verdeutscht Ref. :
Trifft aber solchen IMissgeschickes Blitz das Haupt,
Dann beut ein altbegütert Haus den besten Trost.
Noch deutlicher, wo möglich, klingt die Prosa aus folgendem
Satze (denn Vers kann die Zeile nicht genannt werden) Vs. 977:
,,Dir hat sie wahrlich jetzt ein wahres Wort gesagt."
Und gleich daraufkommt wieder das „ein mal'' mit dem Hülfs-
zeitwort „sein" und anderweitigem prosaischem Gefüge zum
Vorschein :
,,Und bist du einmal im verhängnissvollen Netz,
So magst du folgen, doch vielleicht auch folgst du nicht."
Alle diese gewöhnlichen Constructionen und Wendungen , welche
dem Griechischen in keiner Hinsicht entsprechen, vermeiden wir
durch folgende Verdeutschung der Stelle :
Sie harrt der Antwort; deutlich sprach ihr Mund zu dir;
Verstrickt im schicksalsvollen Netz, gehorch', wofern
Du willst gehorchen; nicht gehorchst du, scheint es fast.
Die angeführten Zeilen der Franz'schen Uebertragung könnte
Ref. zugleich auch als Stellen benutzen, die den Ton des Dichters
nicht blos über Gebühr herabgestimmt zeigen, sondern schlecht-
weg prosaisch lauten. Doch stossen wir auf einen solchen Ueber-
fluss an solchen Stellen , dass es angemessen erscheinen dürfte,
trotz der Schwierigkeit der Auswahl, ein Paar andere Stellen
auszuwählen. Hr. Franz übersetzt z. B. Vs. 38 und 39:
• ,,Denn bei Kundigen
Sprech' ich davon gern ; vor Unkund'gen weiss ich nichts."
Hier ist alles blanke baare Prosa, Worte sowohl als Fügung und
Rhythmus; Niemand wird glauben einen Dichter vorsieh zu haben
(geschweige einen Dichter wie Aeschylus), wenn er obige Zeilen
ansieht. Es war zu verdeutschen :
Franz: Des Aeschylos Oresteia, 381
— — ' — Denn ich rede frei
Vor Kundigen, aber fliehe vor Unkundigen.
Eine umfangreichere Stelle wird den Umfang dieser Prosa noch
mehr verdeutlichen; ich wähle die Schlussrede eines Herolds, der
die Gewalt des Sturmes geschildert hat und alsdann folgender-
maassen, nach Franzens Dolmetschung, spricht (Vs. 635 u. f.):
,,Und wenn von jenen einer Athem jetzt noch schöpft,
So spricht von uns er wie von Todten, ganz gewiss;
Wir wieder meinen, ihnen sei es so gescheh'n.
O mög' es gut sich wenden. Und Menelaos dann.
Der kommt zuerst wohl und vor allen noch zurück.
Denn wenn ein Strahl der Sonn' ihn irgendwo erspäht,
Noch lebend, noch aufblickend, nach Zeus' ew'gem Rath,
Der sein Geschlecht noch auszutilgen nicht gedenkt,
So bleibt ja Hoffnung, dass er einmal wiederkehrt.
So viel du hörtest, Wahres hast du nur gehört."
Es kann wohl nichts geben, was den Stempel alltäglicher Unter-
haltung unverkennbarer an sich trüge, als diesen zehnzeiligen
Redeguss, in welchem weder irgend ein dichterischer Hauch weht,
noch eine Spur von poetischer Eleganz bemerklich ist. Wir haben
eine rein prosaische Mittheilung vor uns, eine Aeusserung über
ein stattgefundenes Unglück und eine daran geknüpfte Hoffnung;
jenes vermag uns nicht zu erschüttern, diese nicht zu erfreuen
oder zu trösten. Anders hat Ref. die Sache ausgedrückt:
Wer noch dem allgemeinen Sturz entronnen lebt.
Betrachtet uns als Opfer, könnt' es anders sein?
Und wir dagegen wähnen dies von ihrem Loos.
Zum Besten mag sich's wenden! Kühn erwart' indess,
Menelaos kehrt vor allen und zuerst zurück.
Denn falls ein Lichtstrahl Helios' ihn noch erblickt,
Ihn leben sieht und athmen, durch die Huld des Zeus,
Der noch den Stamm der Atreiden nicht ausrotten mag.
Bleibt sichre Hoffnung seiner Wiederkunft nach Haus !
So ist's; die Wahrheit sprach ich rein und unverkürzt.
Durch eine kurze anapästische Probe erweitert sich das Franz'-
sche Reich der Prosa. Die Leser haben keine sonderliche Freude
von dem Tanze dieser Versgattung zu erwarten; wenigstens
zweifle ich, dass sie nach den Schlussworten des Chores Beifall
klatschen werden , welche (Vs. 743 u. f.) der geehrte Hr. üeber-
setzer also verdolmetscht:
„Jetzt strömt Wohlwollen dir zu ; schön ist's,
Wenn Gefahr man glücklich bestanden.
In der E'olge der Zeit wirst prüfend du seh'n,
Wer löblich und wer nicht, wie es sich ziemt,
Von den Bürgern im Staate gehandelt.'^
Die Leser werden finden, dass der Ton dieser Anapäste von dem
Klange der angeführten lamben sich in nichts unterscheidet, dass
382 Griechische Litteratur.
Herr Franz vielmehr Alles über Einen Leisten schlägt. Die üeber-
setzung des Ref. lautet :
Nun aber begrüsst lautjauchzend und froh
Des gelungenen Werks Urheber das Herz!
Im Verlaufe der Zeit siehst forschend du leicht,
Wer redlichgesinnt von den Bürgern und wer
Missgünstig verweilt in den Mauern.
Doch genug der Belege. Wie gesagt, ist es mir nicht um die
Flecken der prosaischen Steilen zu thun, sobald der Grundtou
eines Werkes poetisch, das Ganze gelungen ist und gleichsam nur
die Schwäche aller mensciilichen Vollkommenheit an sich trägt.
Das aber ist hier nicht der Fall. Ref. muss ohne Riickhalt er-
klären, dass das Ganze prosaisch und misslungen ist; dass überall
die Saiten so tief herabgestiramt sind, wie in den angeführten
Proben; dass Hr. Prof. Franz ein Werk geliefert hat, welches uns
nicht auf die olympische Höhe des Originals versetzt, sondern in
die sandigen Blachgeülde des Nordens niederzieht, ein Werk,
dessen Grundton mit dem Grundtone des Aeschylus so wenig ge-
mein hat, als der Helikon mit der Lüneburger Haide. Wir fassen
uns darüber kurz und bemerken nur, dass wir uns absichtlich nicht
in die Chorlieder der Oresteia verstiegen haben; denn diese in
vorliegender Uebersetzung zu lesen, ist ein wahrer Jammer. Es
gebricht Hrn. Franz nicht das Verstau dniss der griechischen Ho-
heit (den Besitz dieses Compasses haben wir ihm freiwillig ein-
geräumt), aber etwas Anderes ist es, die Hoheit eines Kunst-
werkes zu begreifen, und etwas Anderes, dieselbe mit eigener
Hand nachzumalen. Denn dazu gehört positive Schöpferkraft des
Geistes, ohne welche der gründlichste Kenner nichts ausrichtet;
und dass diese dem Hrn. Uebcrsetzer mangelt, bezeugt die vor-
liegende Arbeit, soweit dazu poetisches Talent erforderlich war.
Zu dieser allgemeinen Herabstimmung, zu diesem durchweg
prosaischen Tone haben indessen mehrere Dinge beigetragen.
Zunächst sieht sich die Kritik in der zweiten Erwartung getäuscht,
deren wir oben Erwähnung gethan: Hr. Franz hat den klaren
Strom des Dichterwortes theils vor prosaischer Verseichtung nicht
bewahrt, theils dem Original zu geringen Schmuck verliehen. Die-
ser doppelte Uebelstand ist nicht lediglich durch Mangel an ge-
höriger Freiheit in Ausdruck und Wendung herbeigeführt worden,
obschon auch darin ein gewaltiger Treffer liegt, dass man die Zü-
gel nicht zu kurz und straff anzieht, damit das Ross in seinem
Laufe nach der Siegessäule rüstig aiisgreifen, die Steine des Anstos-
ses überspringen u. die Pegasischen Flügel entfalten könne, voraus-
gesetzt, dass der Reiter festsitzt. Ref. hat ohne Bedenken seinem
Ross zuweilen die Zügel schiessen lassen, ohne dass er befürchtet,
in Schrankenlosigkeit verfallen zu sein. Ob seine Uebertragung
ein Commentar sei oder nicht, kümmert ihn wenig; wenn sie gut
sein sollte, wird sie jedenfalls ein guter Commentar sein. Auch
Franz : Des Aeschylos Oresteia, 383
die Franz'sche Arbeit ist ein Commentar, aber mir ein solcher,
welcher dazu dient, dass man sehen kann, wie Hr. Franz den Sinn
des griechischen Textes aufgefasst hat, und welcher dem Leser
des Originals, der dieses oder jenes Wort nicht kennt, die Mühe
erspart, die Wörter im Wörterbiiche aufzusuchen. Und gleich-
wohl wird letzteres nur zu oft nöthig sein. Denn liierin besteht
die prosaische Verseichtung des klaren Dichterwortes, welche wir
dem Verf. zur Last legen ; Hr. Franz liat die Wörter verwässert
lind aufgelöst, anstatt die kiihne Composition nachzubilden, durch
welche Aeschylus bekauntermaassen sich auszeichnet und in wel-
cher eine seiner vorziiglichstt n Eigenthümlichkeiten besteht. Dass
die bildungsfähige deutsche Sprache hierin ein Erkleckliches leiste
und keineswegs ein so widerstrebendes Material sei, wie unser
üebersetzer geglaubt hat, ist eine längst erwiesene Sache. Ferner
beruht jene prosaische Verseichtung in der Vernachlässigung der
Bilder, welche in den plastischen Wörtern der herrlichen helleni-
schen Sprache ausgesprochen oder angedeutet sind; eine Vernach-
lässigung, die sich Hr. Franz entweder ganz oder theilweise häu-
fig hat zu Schulden kommen lassen, anstatt sich zu bemühen, mit
dem Original zu wetteifern und die Pracht der Sprache nach allen
Seiten aufzuschliessen, damit sie, ol'.ne der Einfachheit zu scha-
den, grüne und blühe. Die Beweise dieser Verseichtung, welche
auf jeder Seite zu finden sind, mögen die Leser sich selbst auf-
suchen. Sie ist ein Fehler, der mit Dürftigkeit der Sprache und
Mangel an Schmuck zusammenhängt. Doch erstreckt sich letzte-
res Gebrechen noch viel weiter bei unserm üebersetzer; wenn
wir demselben Schuld geben, dem Aeschylus zu geringen Schmuck
verliehen zu haben, so meinen wir auch solche Versstellen und
Verse, welche im Original keinen besonderen augenfälligen Schmuck
und Glanz besitzen. Und dennoch, fragt Jemand, hält Ref. es
nicht nur für angemessen, sondern auch für nothw endig, dem
Dichter mit Schmuck und Glanz gleichsam ein freiwilliges Ge-
schenk zu machen? Allerdings; denn der Dichter selbst giebt
dazu die Veranlassung, den Wink und die Nothwendigkeit an die
Hand, und man kann nicht einmal sagen, dass er dieses stumm
thut, im Gegentheil, mit beredtem Mund und hellem Ton, so dass
ein Jeder, dem Natur ein Ohr zu hören verliehen hat, ihm zu ge-
horchen suchen wird. Oftmals redet nämlich Aeschylus, wie an-
dere Dichter, in einfachen und schmucklosen Worten, diese aber
klingen nicht selten so reizend, zierlich und nachdrucksvoll in
den schönen Lauten des Hellenen, dass wir häufig den Ton über
Gebühr herabstimmen würden, wenn wir die einfachen und schmuck-
losen Worte, welche die Sprache des Teut darbietet, dafür ge-
brauchen wollten. Denn die letztern besitzen nicht immer, wie
es die Verschiedenheit verschiedener Sprachen mit sich bringt,
die nämliche Eleganz, Gewähltheit und Fülle, iira die Schönheit
384 Griechische Litteratur.
des Urbildes aufzuwägen und nachziizaubern*). Weitgefehlt daher,
dass wir ein Versehen machen, wenn wir in solchen Fällen zum
poetisclien Farbcnpinsel greifen, würde es im Gegentheil ein Un-
recht lind ein Fehler gegen den Dichter sein, wenn wir demselben
den gebührenden Schmuck und Glanz aus blindem Geiz versagen
wollten. Denn Gewissenliaftigkeit liesse sich eine solche Verwei-
gerung nicht benennen; der Dichter hat ein Recht zu fordern, dass
wir ihn nicht sinken lassen, dass wir den Mangel an Schmuck und
Kraft, welcher bei der Einfachheit der Uebertragung sich heraus-
stellen würde, mit vorsorgender Hand ausgleichen, dass wir die
schmucklose Zierde, welche das Original umkleidet, auf andere
Weise ersetzen, dass wir, kurz gesagt, den Aeschylus so reden
lassen, wie er reden würde, wenn er deutsch geschrieben hätte.
Dass dieses Werk heilsamer und berechtigter Vermittelung ge-
schickt ausgeführt werden müsse, versteht sich von selbst; alles
aber kommt dabei auf den richtigen poetischen Takt an, welcher
den nachempfindenden Uebersetzer leiten wird, weder zu viel,
noch zu wenig aus seinem Farbenschatz auszuspenden. Ich be-
gnüge mich, ein einziges Beispiel auszuheben, und zwar eines,
das zu den kühnsten gehört, woran ich im Aeschylus meine poe-
tische Kraft geübt habe, und wenn ich sage, dass ich gerade eines
der kühnsten wähle, will ich damit andeuten , dass ich das Licht
der Kritik und das Urtheil der Leser nicht scheue. Auch ge-
schieht es nicht zu meiner Rechtfertigung, sondern um derUeber-
setzungskunst der Alten richtige Bahnen anzuweisen. Herr Prof.
Franz verdolmetscht uns die vier Verse des Urbildes (Vs. 515 bis
518 des ersten Stückes) also:
,,Ja, schön vollbracht ist's! Freilich in so langer Zeit,
Mag einer sagen, fügt sich manches ganz nach Wunsch,
Doch andres auch ungünstig. Wer, wenn Götter nicht,
Erfreut sich harmlos seiner ganzen Lebenszeit?''
Ref. zweifelt keinen Augenblick, dass sich die einfachen Verse
des Originals, die erhaben und volltönend klingen, auch wenn sie
ganz einfach wiedergegeben werden, nicht ungleich besser aus-
drücken lassen , als sie im Obigen Hr. Franz nachgesungen hat,
der hier wieder das Füllhorn seiner Prosa ausschüttet. Aber Ref.
würde trotzdem, dass mit einfachen Worten etwas Besseres als
jenes bewerkstelligt werden könnte, wie er es denn auch seiner
Zeit versucht hat, nicht davon abzubringen sein, dass es das Beste
ist, diese Stelle so zu verdeutschen:
*) Auch anderweitig zeigt Hr. Franz eine geringe Sorgfalt in der
Wahl der Wörter. Er sagt z. B. liegen, wo ruhen edler war, er-
mitteln statt entwirren , sein statt anderer Wörter, essen statt
trinken und vieles Aehnliche.
Franz : Des Aeschylos Oresteia. 385
Ja, Heil umglänzt uns! Im Verlauf von langer Frist
Erscheinen bald uns Tage, die erfreulich sind,
Bald auch gewölkumflorte ! Wem indessen fiel
Ein ewig blauer Himmel, ausser Göttern, zu?
Wenn hier Aeschylus wirklich spricht, so dürfen wir getrost zu
der dritten Erwartung übergehen, die Hr. Prof. Franz ebenfalls
getäuscht hat. Sie betrifft die geschickte Vermittelung des grie-
chischen und deutschen Idioms. Ref. darf sich hierüber kurz
fassen; es würde ihm weit leichter sein, in diesem Stücke nach-
zuweisen, dass Hr. Franz das Griechische nicht gründlich versteht,
als dass es Hrn. Franz gelingen würde, darzuthun, dass Ref. das
deutsche Idiom besser kenne als das griechische. Denn von dem-
jenigen, der so häufig und vielfältig, wie der geehrte Hr. üeber-
setzer, gegen das Idiom seiner Muttersprache gesündigt hat, wo-
für die Leser dieser Blätter aus obigen wenigen Beispielen Belege
in Menge aufsammeln können, liesse sich mit guten Gründen be-
haupten, dass er des griechischen Idiomes nicht Meister sein
könne. Sonst müsste er gewusst und vermocht haben, das Idiom
des Originales deutsch zu drehen und zu wenden , was Hr. Franz
nicht gewusst und vermocht hat. Indessen wollen wir nicht so
streng sein und den geehrten Hrn. Verdeutscher nicht seines ge-
rühmten Compasses berauben. Es genügt, ihn darauf aufmerk-
sam gemacht zu haben, dass es nicht rathsam sei. Andere aus
Eigenliebe oder aus Triebfedern des Eigennutzes herabzusetzen.
Was die Leiden des Urtextes endlich anbelangt, so hat Ref. sein
Theil davon genossen; ihn verlangt nicht sehr sich weiter damit
zu beschäftigen. Sonst aber würde er mit Leichtigkeit zeigen
können, wie diese Leiden eine chronische Krankheit sind, an wel-
cher Hr. Franz noch lange Zeit zu lieilen haben wird, ehe er sich
der vollkommenen Einsicht in das Wesen derselben rühmen kann.
Was aber, ausser den bereits beleuchteten Dingen, unend-
lich dazu beigetragen hat, diese Uebersetzung, welche nur ,, leid-
lich^'* sein sollte, zur unleidlichen zu machen und ihren Stil theils
zur Prosa herabzudrücken , theils zur entschiedenen Prosa zu ge-
stalten, lässt sich am Schlüsse dieser Anzeige nicht verschweigen.
Es ist der Mangel an gutem Rhythmus, der sich überall, beson-
ders aber bei dem rhythmisch gewaltigen Aeschylus, rächt. Hr.
Franz ging von einer blos ,, erträglichen''' Nachbildung der Form
aus, vielleicht um nur ein Etwas zu Stande zu bringen; seine Form
ist aber schlechterdings unerträglich geworden und steht hinter
jener alten , aber w cgebahnenden Messung W ilhelm von Hum-
boldts zurück. Er hat sich der zahlreichen Vortheile nicht be-
dient, welche die Befolgung der strengen und reinen Quantität,
wie sie vom Unterzeichneten festgestellt worden ist, wie ein frucht-
barer Regen mit sich führt, weil er sich ihrer nicht zu bedienen
wusste. Die Anmuth der Melodie, welche aus der wahren ]\Ies-
sung entspringt, wirkt auf die Vereinfachung des Ausdrucks, indem
A". Juhrü. f. I'hil. u. i'üd. od. Krit. Bibl. ßd, L\[l\. 1/ft. 4. 25
386 Griechische Litteratnr.
sie die Worte gleichsam stärkt und belebt, auf die Feierlichkeit
und Eihöhung^ der Töne, indem sie den oft gehörten Klang i'ibcr
die Prosa hinausträgt, und sogar auf die Steigerung der Klarheit
des Gesagten, indem sie die Laute durch richtige Stellung und
Anordnung vernehmlicher in das Ohr geleitet. Alle diese Folgen
einer mehr als erträglichen Form waren dem üebersetzer so we-
nig bekannt, dass er nicht einmal die Würde und Erhabenheit der
sechsfiissigen lamben, welche von der Prosa wie durch ein Welt-
meer getrennt sind, leidlich auszudrücken vermochte. Selbst der
äussere Bau der Trimeter, wovon Hr. Franz sich aus dem mehrere
Jahre vorher erschienenen Handbuch des Ref. über Prosodie und
Metrik geniigende Auskunft verschaffen konnte, war ihm so voll-
ständig unbekannt, dass er am Schlüsse seines Vorwortes sich
entschuldigt, wenn er ein paar Mal gezwungen gewesen sei, Ana-
pästen statt der lamben eintreten zu lassen , wofiir er denn auch
von Gottfried Hermann belobt wurde, der über Dinge dieser Art
kein maassgebendes Urtheil hatte. Die deutsche Sprache befolgt
eigene Gesetze, sie soll das Antike nachahmen, aber ohne ihre
Selbstständigkeit aufzugeben, sie soll das griechische Maass nicht
nachzirkeln, sondern nachzeichnen aus freier Hand, sie soll das
Vorbild gleichsam neu gebären.
Es mangelt also der üebertragung des Hrn. Prof. Franz, um
die Strahlen unserer Ausstellungen gleichsam in einen Brennpunkt
zusammenzufassen, an Poesie, an Würde des Tones, an Kraft und
Fülle des Ausdrucks, an Takt und Melodie des Verses, an Deutsch-
heit des gesammten Gepräges und an Deutlichkeit. Wenn es uns
vergönnt ist dies an einer zusammenhängenden Stelle zu erhärten,
ohne jedoch unsere Kritik in die einzelnen Gebrechen allzutief zu
versenken, führe ich eine Rede der Klytämnestra auf, welche sie
Dach der Ermordung ihres Gatten an den Chor richtet (Vs. 1304
u. f.). Hr. Franz lässt sie also das Herz ausschütten:
,,Nach vielem früher zeitgemäss Gesprochenem
Das Gegentheil zu sagen, will ich nicht mich scheu'n.
Wie kann man Feinden , die sich Freunde nennen, auch
Feindsel'ges bietend hoch genug das Jammernetz
Aufspannen zum Verderben, dass kein Sprung befreit?
Geboten kam der Kampf mir, lang vorher geseh'n,
"Vom alten Hader, spät zwar, aber endlich doch.
Da wo er hinsank, steh' ich nach verübter That.
Ich hab' es so vollzogen, und verhehl' es nicht:
Dass er dem Tod nicht wehren konnte , nicht entfllehn,
Schling' ich ein weit Gewebe , wie ein Fischeinetz,
Abmessend um ihn, reiches Prunkgewand des Leids.
Ich schlag' ihn zweimal, zweimal stöhnt er auf und lässt
Dann sinken seine Glieder; wie er niederliegt,
Geb' ich den dritten Schlag ihm , für den Retter dort
Im Schattenreich, den Hades, gut zum VVeihgoschenk,
Franz: Des Aeschylos Oresteia. 387
Also verröchelnd haucht er dann sein Leben aus,
Und trifft, ergiessend seines Blutes jähen Strahl,
Mit einem dunkeln Tropfen mich vom rothen Thau,
Die minder nicht sich freute, als am Regenschau'r
Des Zeus das Saatfeld, wenn im Knospenschooss es schwillt.
Bei solchem Ausgang dürftet ihr, ehrwürd'ge Schaar,
Euch fren'n , wenn Freud' ihr fühlet; ich frohlocke laut.
Und war' es schicklich, einem Leichnam Opferguss
Zu weih'n , gerecht hier war' es, überaus gerecht.
Er, der den Kelch so vieler fluchbelad'nen Schuld
Im Haus gefüllt hat, leert ihn selbst zurückgekehrt.'*
Wie Ref. an der Verständlichkeit des Einzelnen zweifelt, so ver-
niisst er jegliche Eleganz der Sprache; wir haben Verse vor uns,
wie sie von früheren Uebersetzern der attischen Poeten in Un-
raasse verfertigt sind, ohne Tiefe und ohne den Ton des Originals,
raehr zusararaengestoppelt als frei hingegossen mit dem Sang und
Klang der rhythmischen Wellen. Was auch Hr. Franz behaupten
mag, Ref. hat ungleich wörtlicher übersetzt und deraungeachtet
mit grosser Freiheit sich bewegt; eine Sache, die sich zu wider-
sprechen scheint, in der That aber auf ausgleichender Wechsel-
wirkung beruht, wie ich anderwärts und schon in den Vorreden
zu meiner üebersetzung des Sophokles dargethan habe, wo ich
bemerkte, dass eine wörtliche Uebertragung nicht nur häufig den
Sinn verfehlt, sondern auch nicht selten auf der Oberfläche hin-
schwebt, während dass der Geist des Autors, der kostbaren Mu-
schel auf der Tiefe vergleichbar, aus dem Fangnetze der Worte
entschlüpft ist. Umgekehrt erobert die rechte Freiheit oft die
rechte Wörtlichkeit. Ich gebe statt der obigen folgende Rede der
wahntiunkenen Klytämnestra:
Mit freiem Antlitz sag' ich keck das Gegentheil
Von jenem frühern zeitgeraässen Redepomp.
Durch welches Mittel schlüge sonst der Feind den Feind,
Der unter Freundes Namen naht? Wie könnt' er ihm
Ein tödtend Fangnetz stellen sonst, ein mächtiges,
Unüberspringbar hohes Garn? Ich schaute längst
Den Kampf voraus, der lange zögernd endlich kam,
Aus altem Groll erwachsen ; sicher steh' ich nun
Am Ziel: das Opfer blutet. Alles ist vollbracht.
Ja , nimmer läugn' ich , also führt' ich aus das Werk,
Dass weder Flucht ihm, weder Gegenwehr verblieb:
Ich schlang ein faltenweites, fischnetzähnliches
Geweb um ihn, ein Kleid verderbenreicher Pracht.
Drauf gab ich ihm zwo Schläge ; zweimal stöhnt' er laut,
Und brach erschlafft zusammen ; als er niederlag,
Ward ihm von mir ein dritter Streich, dem Schattenhort,
Dem unterirdischen Hades, als gelobter Dank.
So haucht' er seines Lebens Athem sinkend aus;
25*
388 Griechische Litteratiir.
Dliitröchelncl lag er, und ich ward vom jähen Strahl
Benetzt mit dunkeln Stäubchen purpurrothen Thau's,
Die mich so hoch erfreuten, als der Süd des Zeus
Das junge Saatfeld, ^venn es voll in Knospen schwillt.
Ob solchen Siegs nun jauchzet, wenn ihr jauchzen wollt,
O greise Schaar von Argos 5 ich frohlocke laut!
Ja, ziemten auch Dankopfer für der Todten Blut.,
Dann wären hier gerecht sie, vollgerecht, fürwahr!
Den flucbgemischton Becher, den er füllt' im Haus,
Ihn hat er kehrend selber ausjielcert daheim.
Betrachten ^^\v die Franz'sche Uebersetzun^ dieser Stelle ge-
nauer^ so finden wir, dass sie weder poetisch, noch kräftig, noch
dem deutschen Idiom entsprechend gewendet vor uns tritt. Gleich
in den ersten beiden Versen musste die Periode umgestellt werden,
um das griechische Idiom dem deutschen anzupassen; denn auf
Franzens Weise fängt der Deutsche nicht zu sprechen an, der sich
lebhaft ausdrücken will, am wenigsten die Klytämnestra, welche
die Frauenscheu abgelegt hat. Die übrigen zahlreiclicn Fehler
gegen das Idiom liegen in der Wortstellung, worin er dem grie-
chischen Bauwerk, Stein gleichsam an Stein anfügend, mit über-
grosser Fingerfertigkeit gefolgt ist, ohne jedoch dadurch zum
eigentlichen Zwecke der Aehnlichkeit zu kommen und das We-
sentliche auszudrücken , wie er denn gleich in der dritten Zeile
das rednerische „Feind dem Feind", welches im Urbilde sich vor-
findet und Ref. nicht verabsäumt hat , anzubringen verabsäumt.
Gleichzeitig sehen wir dadurch ündeutlichkeit entstanden; wir
sind gleichsam gezwungen die Worte zusammenzusuchen, um zum
Sinn zu gelangen; es mangelt am rechten Fluss und, wenn wir so
sagen dürfen , am Verswurf. Nicht minder gebricht es der Franz'-
schen Rede an Kraft; abgesehen davon, dass der üebersetzer affir-
mativ reden musste, wo der Grieche negativ sich ausdrückt, und
umgekehrt (wie denn z. B. das „will ich nicht mich scheu'n^' in
der zweiten Zeile keineswegs dem Griechischen hinlänglich ent-
spricht, das affirmativ zu übersetzen war), sind seine Verse weder mit
rechter Fülle, sei es durch Spondeen , sei es durch klangreiche
Wörter, ausgerüstet , noch überhaupt gut rhythmisch geraessen,
so dass man in ihnen angenehme und bequeme Ruhepunkte fände.
Ja, sie genügen nicht einmal der blos metrischen Messung. Vor-
züglich macht sich eine gewisse Zusammenflickung der Wörter
auch im Franz'schen Rhythmus geltend; wie störend wirkt z. B.
das Schlussauch der dritten Zeile, und weiter unten das ,,mich'''',
welches tonlos von den Worten: ,5 Die minder nicht sich
freute" getrennt steht.
Doch wollen wir nicht die philologische Genauigkeit weiter
verfolgen. Dass aber aus ungeschicktem deutschen Redegefüge,
aus rhythmischen und metrischen Sclinitzern , aus matter und
klangloser Seichtigkeit des Verses, zumal des antiken äschyleischen,
Franz : Des AeschyJos Oresteia. 389
welcher gleicLsani unter Trompetenklängen einherschreitet, und
aus allerhand dergleichen Geringfügigkeiten Gefühl, Wärme und
Begeisterung der Darstellung in Verlust gerathen, leuchtet dera
Kenner wie Nichtkenner ein. Diese Dinge verwimmern wie unter
einer Schneedecke, aus welcher sie sich nicht hervorarbeiten kön-
nen. Der Mangel an Poesie steigert sich ausserdem durch un-
zweckmässige Auswahl der Wörter. W as griechisch schon ist, ist
desswegen noch nicht, wie oben bemerkt, auch im Deutschen
schön. Welchen Klang bietet uns gleich die erste Zeile: „Nach
vielem früher zeitgemäss Gesprochenem", was im Deutschen als
eine sehr unzeitgemässe Sprecherei sich herausstellt! Klytäm-
nestra ferner wird nicht sagen, dass sie „nach verübter That^'^
dastehe, was ihrem Charakter widerspräche; sie wird von voll-
brachter That reden. Auch hat sie keine Zeit, das fischernetz-
ähnliche Prachtgewand dem Gatten, den sie hinterlistig hinein-
verwickeln will, mit der Elle „abzumessen"; sie wird es blos
eilfertig um ihn herumwerfen. Agamemnon seinerseits lässt
„seine Glieder sinken'*, was etwa uns Deutsche an einen
Elephanten erinnern würde; ein Dichter drückt sich auf solclie
Weise nicht aus, er wird die Glieder selbst nur alsdann erwäh-
nen, wenn es ihm erlaubt ist, von lieldengliedern zu reden, was
hier nicht thunlicli war: der Grieche meinte dasjenige, was wir
unter schlaffem Zusammenbrechen verstehen. Endlich
langte keineswegs „ein dunkler Tropfe n'^ aus , von welchem
die Mörderin, nach Franzens Angabe, getroffen wird; es gehörte
dazu eine grössere Summe, wie schon die gleich darauf folgende
Vergleichung mit dem Südregen des Zeus mit ziemlicher Derb-
heit, nicht blos für den Eingeweihten, andeutet, üeberhaupt
kann der Uebersetzer selir viel aus gehöriger Berücksichtigung
der Sache lernen, und nicht blos der uebersetzer, sondern auch
der Philolog. Ref. hegt die feste üeberzeugung, dass er durch
seine Verdeutschungsmethode, wenn er auch bisweilen einer Er-
klärung den Vorzug gab, die nicht haltbar ist, öfter dennoch im
Aeschylus, Sophokles und in den bisher gedruckten pindarischen
Gesängen die richtige, wo nicht einzig richtige Deutung auch für
die kritischen Philologen , welche den Urtext sichten und ver-
bessern, angebahnt hat.
W^ir wollen hierbei stehen bleiben. Wir würden nicht fertig
mit der Aufzählung der hundert Einzelheiten, deren Misshellig-
keit und unharmonischer Zusammenklang in diesen wenigen Versen
unser poetisches Gewissen und an Hellas' Wohllaut gewöhntes
Ohr beleidigt. Ich hoffe meinerseits , dass es mir gelungen sein
werde, durch meine üebertragung auch denjenigen, welche nicht
griecliisch können, einen wahren Begriff vom Aeschylus zu geben
und diesen grossen Dichter in das deutsche Publicum würdig ein-
zuführen. Denn auf dieses Ziel und kein anderes war mein Au-
genmerk gerichtet, rauss das Äugenmerk eines jeden Uebersetzers
390 Lateinische Litteratur.
gerichtet sein , der einerseits seine Zeit nicht unnütz vergeuden
will, andererseits die üebersetzungskunst niclit für eine sehr
untergeordnete Sache, mit welcher man nach Belieben umspringen
könne, ansieht. Freilich behauptete noch kürzlich ein gelehrter
Freund, Philolog von Profession, dass dieses Ringen nach volks-
thümlicher Einführung vergeblich sei, weil heutzutag Niemand
eine antike Verdeutschung lese, wenigstens sei ihm für seine Per-
son Niemand bekannt, der sich dafür interessire, und er könne
sich kein Publicum denken, das einen Alten aufschlage, um ihn
deutsch zu geniessen. Ref. beabsichtigt in einer der nächsten
Anzeigen für diese Blätter auf diese Meinung zurückzukommen,
die in so fern wohl begründet ist, als weder Singen noch Sagen
helfen würde, einen oberflächlichen Geist für antike Litteratur
einzunehmen.
Johannes Minckwit^*
M. Tiillii Ciceronis Cato Maj. sive de senectute dialogiis, sprachlich und
sachlich erläutert von Dr. G. Tischcr , Gymnasiallehrer zu Branden-
burg. Halle, Waisenhaus. 1847. 184 S.
Die vorliegende Ausgabe schliesst sich den jetzt hänfiger wer-
denden Versuchen an, durch Popularisirung des gewonnenen ge-
lehrten Materials dem Schüler das Verständniss des Einzelnen,
wie des ganzen inneren Zusammenhanges einer Schrift zu erleich-
tern Es ist also hauptsächlich der pädagogische Gesichtspunkt,
von wo aus sie beurtheilt werden will. Solche Ausgaben sind von
Werth , wenn die Verfasser, gleich weit entfernt, einerseits dem
Schüler eine sog. Eselsbrücke zu bauen und andererseits ihre
Eitelkeit durch Hervorkehrung ihrer Gelehrsamkeit zu befriedigen,
es verstehn, sowohl den Standpunkt der Classe von Schülern, für
die sie arbeiten, festzuhalten, als auch eine kräftige Anregung zum
Selbstdenken und zur Selbstthätigkeit zu geben. Dass dies bei
der vorliegenden Arbeit der Fall ist, rauss rühmlich anerkannt
werden. Sie soll dem Schüler ,,den Stoff zu einer gründlichen
und umfassenden Vorbereitung auf die Leetüre in der Classe dar-
bieten und zugleich als Führer bei Privatstudien dienen'% und
hierzu ist sie wohl geeignet. Wenn freilich der Verf. dabei zu-
nächst solche Gymnasiasten im Auge gehabt hat, die die Leclüre
von Cicero's philosophischen Schriften mit dem Cato eben erst
beginnen , so müssen wir allerdings gestehen, dass die ürtheils-
fähigkeit und die Kenntnisse der jungen Leser wohl etwas hoch
angeschlagen sind; denn die wenigsten Fragen, die in den Noten
dem Nachdenken der Schüler vorgelegt sind , möchte ein ange-
hender Secuudaner zu beantworten oder eine Hinweisung auf
Tischer: CIc. Cato Maior. 391
Suiil. ex sciiol. ad Aristopli. Vesp. (s. zu VII. 23) zu benutzen
im Stande sein. Wohl aber kann die Durcharbeitung des Com-
mentars einem reiferen Gymnasiasten reichen Stoff ziir Schärfung
des Urtheils und zum Verständniss der ciceronianischen Stilistik
darbieten. Einzehies möchten wir indess auch für diesen Zweck
des Buches noch anders eingerichtet wVuischen.
Betrachten wir nämlich, wie die Mehrzahl der Schüler sich
namentlich auf die Leetüre des Cicero vorbereitet, so gesteht sich
auch wohl ein guter Lehrer, dass es bei der geringen sprach-
lichen Schwierigkeit nicht leicht ist, die Schüler zu einem sorg-
fältigem Eingehen in den Gedankenzusammenhang, in die stili-
stischen Feinheiten und sachlichen Bemerkungen zu nöthigen.
Dies aber zu erreichen und zugleich dem Lehrer ein Mittel an die
Hand zu geben, die Gewissenhaftigkeit einer solchen Vorberei-
tung zu controliren, rauss das Hauptbestreben einer für die Schule
bestimmten Ausgabe sein. Zu diesem Zweck wäre es wohl dien-
lich gewesen, wenn der Verf. die historischen und biographischen
Notizen (die ohnehin zum Gebrauch für die jedesmalige einzelne
Stelle zu weit ausgeführt sind, z. B. VL 20 über Naev ins, und
öftere gegenseitige Hin Weisungen nöthig machen) sämmilich in
einem Index am Schlüsse zusammengestellt und öfter durch kurze
Fragen zum Nachlesen derselben gezwungen hätte. Der Verf.
liat Letzteres oft gethan , allein bei einer solchen Einrichtung wäre
es öfter geschehen. Auch hat der Verf. es zuweilen versäumt,
wo er es leicht konnte, z. B. I. 2 genügte statt der Bemerkung des
Alters des Cicero und Atticus mit Hinweis auf die Einleitung die
Frage: wie alt waren beide damals*? (Einiges Nähere über Atticus,
an den die Schrift doch gerichtet ist, hätte die Einleitung, die
sich über Zeit, Veranlassung, Form der Schrift und die Personen
und Zeit des Dialogs verbreitet, auch bieten können) Ebenso
hätte sich der Schüler in IV. 10 manche Jahreszahl, z.B. die
für des Fabius Consulat, mit Hülfe der Einleitung selbst heraus-
rechnen können. 2) Ferner hätte der Verf. nicht, wie z. B. 1.3
bei facere c. Part, bei Verweisung auf Zumpt's Grammatik, die be-
treffende Regel selbst angeben sollen; der Lehrer verliert dadurch
die Möglichkeit zu sehen, ob der Schüler die Regel bei der Vor-
bereitung wirklich nachgelesen. So hätten wir z. B. die Anmer-
kung VI. 20 a senibus kürzer und anregender so gestellt: was
fehlt *? Zumpt§. 781. Suche ähnliche Fälle in X. 33. XI. 36.
XIV. 46, und dadurch den Schüler zum Nachlesen der Grammatik
und schriftlicher Aufzeichnung der betreffenden Stellen gezwun-
gen. 3) Zuweilen übersetzt der Commentar Stellen vor, die keine
Schwierigkeit bieten, wie Xll. 41, oder er giebt sachliche Erklä-
rungen, die der Schüler selbst finden soll, wieVI.20nominantur se-
nes, wo er durch eine Frage leicht veranlasst werden konnte, sein
Lehrbuch der alten Geschichte über die spartanische Gerusia
nachzuschlagen.
392 Lateinische Litteratur.
Ebenso hat der Verf. durch genaue Angabe des Inhaltes und
Gedankengangs bei jedem Capitel den Lehrer einer sehr nützlichen
Aufgabe für den Zweck der Repelition beraubt; besser wären
diese Bemerkungen weggelassen und die Disposition etwa nur
durch den Druck, z. B. im Anfang von VL IX. XII. XIX., hervor-
gehoben , oder ganz kurze Andeutungen des Inhaltes in den Text
eingeschoben.
Endlich wäre es gewiss Vielen eine angenehme Zugabe ge-
wesen, wenn am Schlüsse (nach Art von Seyffert's gricch. Lese-
buch) einige auf den Inbalt der Schrift bezügliche Fragen den
Schüler veranlassten, das Gelesene sich gelegentlich zu vergegen-
wärtigen und noch einmal zu durchdenken.
Wenn wir aber auch Einzelnes in der Ausgabe kürzer und
dabei für den Schüler anregender wünschten, so können wir doch
nicht unterlassen, dem Verf. für den Fleiss der Arbeit und für die
zweckmässige und pädagogische Behandlung, namentlich auch des
kritischen Materials (bis auf 10 Stellen ist der Madvig'sche Text
benutzt) unsern Beifall zu schenken, so wie wir auch nur in we-
nigen Beziehungen mit ihm nicht übereinstimmen. Vielleicht
kann der Verf. in einer etwaigen zweiten Auflage davon etwas be-
nutzen , und wir lassen es daher hier nebst einigen anderen Zu-
sätzen folgen.
I. 3 in suis libris] fehlt der Hinweis auf c. XV.
in. 7 sine quibus nuliam putarent] für den Gebrauch des Con-
junctiv (= sine quibus nulla esset) war der Schüler auf Zumpt
§. 551 zu verweisen.
ibid. senectutem sine quereia] Diese Verknüpfung ohne Par-
ticip wird nach Cicero's Zeit zahlreicher. Ilaase zu Reisig
Sprachw. 512.
III. 8 verwirft der Verf. mit Madvig: nobilis. Sollten nicht
vielmehr dem griech. Text (Plat. Rep.) entsprechender die letzten
Worte zu verwerfen sein, so dass die Stelle lautete: nee hercule,
inquit, si ego Seriphiiis, cssem nobilis: nee tu, si Atheniensis.
Dann entspräche nobilis dem ovo^aötog und stände an derselben
Stelle, wie dies bei Plato; das schleppende und neben esses un-
passende unqiiam fuisses fiele weg, und vor Allem der Witz er-
hielte seine griechische Kürze wieder.
ibid. nee enim etc ] Die spitzfindige Bemerkung Nauck's über
den ungeraden Gegensatz von summa inopia und summa copia
möchte ein Schüler schwerlich begreifen , da Alles so klar ist.
ib 9 arma senectutis] Nachher folgt cultae und efferunt
fructus; von kriegerischen Thaten der Jugend ist gerade nicht
vorher die Rede; der Zusammenhang verlangt eher: Gebiet; arva?
IV. 10 senem adolescens] Orelli's Wortstellung: adolescens
ita dilexi senem ist wegen des nothwendigen Gegensatzes der Be-
griffe vorzuziehen. Zumpt §. 798 spricht nur von der Zusam-
menstellung gleichlautender Worte.
Tischer: Cic. Cato Maior. 393
VII. 21 qiii Aristides esset] steht statt Aristidem wegen der
Häufung der Accusative , nicht nach Zumpt §. 714.
\I1I. 26 qiias — sie — arripui, ut — nota essent] fehlt für
den Schüler der Hinweis auf Zumpt §. 514.
IX. 28 quam si ipse exsequi nequeas, possis tarnen Scipioni
praecipere et Laelio] Zur Begründung der Lesart kann auf den
rednerischen Charakter des Laelius hingewiesen werden. Quam
ist gleichraässig Object zu exsequi und praecipere und auf die
compta et mitis oratio zu bezielien, die Cato zwar nicht selbst aus-
zuüben, aber doch einem Scipio und Laelius lehren zu können
meint. Nun ist aber gerade die raitis sapientia Laeli (Hör. serm.
II. 1, 72), seine multa hilaritas (de ofF. I. 30), die lenitas seiner
Rede (de or. Ili. 7) bekannt, und Cicero hätte dem Cato also einen
recht gelehrigen Schüler gegeben. Diese artige Hindeutung fiele
weg, wenn man aliis für Scipioni et Laelio läse, oder quam auf
audientiam bezöge, oder quod statt quam aufnähme und mit Jacobs
übersetzte: wenn du auch dieses nicht mehr leisten kannst, so
kannst du doch einem Scipio und Lällus Lehren geben.
X.31 at ut Nestoris] Zumpt §. 394 Druckf. st. 349. — ib. 35
alterum illud cxstitisset lumen civitatis] Ille ist nothwendig. Je-
ner (der kränkliche Vater) wäre eine zweite Leuchte des Staats
geworden (wenn es mit seiner Gesundheit besser bestellt gewesen
wäre). Wenn Cato sagte: — alterum illud — 1. c, so müsste
doch eben jene zweite Leuchte vorhanden sein, die Scipio nicht
geworden ist.
XIII, 44 caret epulis] Der Verf. lässt mit Klotz at weg, be-
streitet aber dessen innere Gründe. Letzteres mit Unrecht. Denn
wenn eben bewiesen ist, dass das Alter keine leiblichen Genüsse
Terlangt, kann Niemand einwenden, dass es aber doch der Schmau-
sereien und Trinkgelage entbehre. Vielmehr liegt in dem Satze
eine einfache Fortführung des Gedankens, dass das Alter die Ge-
nüsse nicht begehre (denn es entbehrt freilich der Gastereien,
aber es entbehrt auch ihrer Folgen).
ib. 49 liest der Verf. mit Madvig: videbamus in studio dime-
tiendi paene coeli atque terrae C. Gallum statt mori paene \id. in
stud. dim. coeli etc. und übersetzt: wir sahen den G. in seinem
Eifer Himmel und Erde, ich möchte sagen, auszumessen. Allein
1) verlangt videre aliquem in studio ein Particip , wie etwa occu-
patum, 2) ist paene bei dimetiendi coeli unpassend; denn wenn
auch noch Niemand den ganzen Himmel wirklich ausgemessen
hat, so giebt es doch immer ein Studium dimetiendi coeli atque
terrae, d. h. Astronomie, aber kein Studium dim. paene coeli; denn
das wäre ein Studium des ias^t Messens des Himmels. Den Be-
griff des „ganzen""^ legt der Verf. erst in die Worte hinein , auch
in dimetiendi liegt er nicht. 3) Würde kein Abschreiber mori hin-
zugesetzt haben, wie auch Klotz bemerkt. Wenn der Verf. ferner
gegen mori bemerkt, dass „in diesem Zusammenhange nicht von
394 Latein. Sprache.
der zeitlichen Auideliiiung des Studiums, sondern von dem Grad
des Reizes, welchen sie auch im Alter ausüben, die Rede ist'S ^o
liegt doch wohl ein hoher Grad des Reizes darin, wenn man selbst
das Nahen des Todes über den Studien nicht fühlt.
XV. 54 Hesiodus] Hier war nicht mehr auf die lleinsius'-
sche Hypothese einer verlorenen Schrift des Hesiod, sondern auf
die Geschichte des Textes der f.Qya k. ijft. zu verweisen, s. Bern-
hardy Griech. Litt. 11. p. 179.
XV HI. 63 ist mit Klotz nach consurrexisse oranes hinzuge-
setzt ilii dicuntur. Mit Recht, doch ist illi wohl nicht mit Klotz
als JNominativ mit omnes zu verbinden, sondern ist Dativ. Um so
leichter kann dann gleich darauf illum bei senem wegfallen.
XIX. 71 poma — vix evelluntur] vix ist wohl vom Äbreissen
unreifen Obstes zu stark, vi dagegen, obgleich schon im Verbum
liegend, wird durch die Vergleichung gerechtfertigt.
XXIII. 8.5 cujus defectionem fugere debemus] Hier war auf
die ganz ähnliche Stelle in XVIII. 64 zu verweisen, auf die Cato
wahrscheinlich selbst Bezug nimmt; hier wie dort ist die senectus
mit peractio vitae verglichen, und die defectio ist hier gewiss
dem corruisse in extremo actu in XVIII. entsprechend. Zugleich
liegt hierin ein neuer Rechtfertigungsgrund für die Lesart defectio.
Burg. Haacke.
Lateinische Schulgrammatik für die unteren Gymnasialcla.«sen von
Dr. Hermann Middendorf und Dr. Friedrich Grüter. Coesfeld 18:i9.
Wittneven. Mit dem NebeiUitel: Lateinische Schul grammatik für
sämmtliche Gymnasialclassen etc. 1. Theil. XIV und 448 S.
Bei Beurtheilung einer Schulgramraatik hat man nicht allein
auf die Richtigkeit der aufgestellten Regeln und der gegebenen
Uebungsbeispiele, sondern auch auf die Anordnung des Materials,
die Art der Mittheilung und die Oekonomie in derselben zu sehen.
Wir werden nach diesen Rücksichten das vorliegende Buch durch-
gehen, ohne sie jedoch vollständig gesondert zuhalten, und unser
Urtheil unparteiisch abgeben. Was die Laut- und Wortbildungs-
lehre angeht, so ist nicht zu übersehen, dass die in Rede stehende
Schrift der crsteThell der Schul^rrammatik für alle G vmnasia I-
c lassen sein soll. Es ist freilich nicht allein von Seitender
Behörden , sondern auch von einsichtigen Schulmännern in Erinne-
rung gebracht, wie grossen Nutzen es stifte, wenn die Schüler
das ganze Gymnasium hindurch nach einer Grammatik unter-
richtet würden. Die verschiedene Stellung, Fassung und
Motivirung der Regeln verwirrt die Schüler sehr leicht, wenn
sie auf den verschiedenen Bildungsstufen verschiedene Handbücher
Middendorf a. Grüter: Latein. Schulgrammatik. 395
gebrauchen. Obendrein wird oft in dem einen Buche etwas als
zulässig oder so und so begründet bezeichnet, was man in einem
andern verworfen findet. So hält es also sehr schwer, dass der
Scliüler in einer Grammatik heimisch werde, und das ist doch ohne
Widerrede erforderlich. Da es jedoch zugleich für die unteren
Classen von der grössten Bedeutung ist, wenn ein Vocabularium
und ein üebungsbuch nicht allein in demselben Geiste als die
Grammatik bearbeitet, sondern auch wirklich mit der letztern zu-
sammengebunden ist, weil das Nachschlagen und Vergleichen,
sowie das Einüben der grammatischen Formen durch die leicht
zngänghchen und das Interesse belebenden Sätze in solcher Weise
sehr erleichtert wird; da es ferner sehr wichtig ist, dass die Re-
geln mit Ausschluss alles ü^lnöthigen so gefasst sind,
dass die Schüler der unteren Bildungsstufe sie wörtlich auswendig
lernen können: so dürften unsere Verfasser leicht das Richtige ge-
troffen haben, welche denjenigen Theil, welcher auch für die
untere Stufe leicht verständlich ist, nämlich die Wortbildungslehre,
ganz in den ersten Band verlegen und demnach den unteren Clas-
sen zuweisen, die Satzlehre aber im ersten Theile auf eine der
jugendlichen Fassungskraft sehr entsprechende Weise behandeln,
dann aber im zweiten Theile eine ausführlichere Syntax mit vielen
classischen Belegstellen, doch laut der Vorrede im engsten
Anschlüsse an die Fassung, Anordnung und Begründung des ersten
Theiles, folgen lassen. Die Wortbildungslehre, im Verlaufe oft
angeregt , soll nach der Vorrede XIII im 2. Semester der Quarta
übersichtlich dargestellt werden, was wir um so mehr billigen, als
zu der Zeit die deutsche Worthildungslehre bereits hinlänglich
eingeübt ist. Unsere Grammatik giebt nun von S. 1 — 9 die so-
g^enannte Elementarlehre, in der über die Verschiedenheit der
Buchstabenarten, über Abtheilung, Quantität und Betonung der
Silben im Allgemeinen, über Veränderung und Ausstossung der
Buchstaben, demnach auch über Assimilation etc. die Rede ist,
Gesetze, die natürlich erst bei der Wortbildung und Abänderung
der Wörter an den geeigneten Stellen und zur geeigneten Zeit
zur Sprache kommen sollen. Es ist unabwendbar, dass dabei der
Geschicklichkeit des Lehrers 3Ianches überlassen bleiben muss,
um so mehr, da wir bei praktisch-tüchtigen Lehrern, und andere
sollten wir nie haben, den prädestinirten Formalismus durchaus
hassen. Von S. 10 — 232 folgt die Formenlehre, welche eine
reiche Wörtersammlung in sich schliesst. S, 233 beginnt die
W^ortbildungslehre, bis S. 259 reichend. Da hebt die Satzlehre
an und geht bis S. 364, mit zahlreichen ins Deutsche wörtlich
übersetzten Belegen und mit noch viel mehr üebungssätzen zur
üebersetzung ins Latein versehen. Von S. 365 — 383 sind deutsche
Uebungsstücke und von S. 384 — 408 lateinische; ein deutsch-la-
teinisches und ein lateinisch -deutsches Wörterbuch schliesst das
Ganze (409—448). Da diese Wörterbücher mit durchgängiger
396 Latein, Sprache.
Verweisung auf die Wort- und Forrabildung versehen sind und so
den Schüler, falls er Auskunft haben will, zum Nachlesen unl
Vergleichen nöthigen, so nehmen sie den saumseligem Schillern
nicht allein die Gelegenheit, aus den unter dem Texte stehenden
Noten rasch eine Antwort zu erhaschen, sondern veranlassen ihn
auch, neben der so nöthigen Erwerbung eines Vorraths von latei-
nischen Wörtern und Worten sich beständig die Bildungsgesetze
der Sprache wieder vorzuführen. Die Satzlehre giebt zuerst Vor-
übungen (Verbindungen von Substantiven mit einem Attribut:
Substantiven der verschiedenen Declinationen, Adjectiven in den
verschiedenen Graden, Zahlwörtern , Fürwörtern), dann die auf
wenige Linien beschränkten Regeln über den einfachen Satz und
seine dreifache Form ; sofort folgen latein. und deutsche Beispiele,
in denen das Prädicat ein Nomen mit der Copula ist (nackte Sätze,
Bestimmung des Substantivs durch ein attributives Adjectiv, einen
attributiven Genitiv, durch beides; Wahl der vorkommenden Sub-
stantiva, nach den verschiedenen Declinationen wechselnd) und
dann Sätze, in denen das Prädicat als selbstständiges Verbum auf-
tritt mit näherer Bestimmung durch einen Dativ, einen Accusativ
und Ablativ, passive Sätze aus activen (Pronomen als Subject und
Verwandlung ins Passiv, Accusativ der Zeit, Ablativ der Zeit und
abl. instrumenti, ein Adverb, eine Präposition mit ihrem Casus,
eine Apposition), Sätze, in denen ein Infinitiv Subject oder Object
ist (accus, c. infin., Verwendung der Pronomina bei dem-
selben). Die hierher gehörigen Regeln sind überall fasslich
und kurz vorausgeschickt. Das 73. Capitel hat die Ueberschrift:
Tempora und Modi, und giebt über den Gebrauch des Perfects
und Imperfects, so wie des praesens histor. des unabhängigen
Conjunctivs Auskunft. Mit Capitel 74 wird der zusammengesetzte
Satz eingeführt und zwar §. 343 Beiordnung der Sätze, §. 344
Doppelfrage, wobei ein Zusatz die einfache Frage behandelt,
§. 346 Zusammenziehung beigeordneter Sätze nebst den Regeln
der Congruenz des Subjects und Prädicats in diesem Falle be-
sprochen. Cap. 76 führt die Unterordnung der Sätze ein und
spricht im Allgemeinen von conjunctionalen, relativen und inter-
rogativen Nebensätzen; Capitel 77 von Zusammenziehung eines
Haupt- und Nebensatzes; Cap. 78 von der consecutio temporum
und Cap. 79 hebt dann von den conjunct. Nebensätzen zu spreclien
an. Es folgen die Regeln von den Conjunctionen, die blos mit dem
Indicativ oder blos mit dem Conjunctiv stehen oder bald mit dem
Indicativ, bald mit dem Conjunct., also von postquam, ut, ubi, ut
primum, quum pr., simulac, von ut (damit, so dass), von ne (auch
von timere etc. ist hierbei die Rede), quo, quo minus, quin, von
quum. Cap. 80 behandelt die relativen Nebensätze (Regeln über
Genus, Casus, Numerus des Relativs, über den Conjunctiv nach
Relativen in Absichts- und Folgesätzen und in Sätzen des Grün-
dest, Cap. 81 die interrogativen Nebensätze, wo die indirecte
Middendorf Q. Grüter: Latein. Schulgrammalik, 397
einfache und doppelte Frage erörtert wird. Cap. 82 giebt die
Lehre von der Abkürzung der Nebensätze durch Participia, Cap. 83
die von der oratio obliqua. — lieber Cap. 84 lesen wir: Erweite-
rung der Satzlehre durch die Lehre vom Gebrauche der Casus
(Rectionslchre). Da führt uns dann Cap. 84 die Lehre vom No-
minativ bei fieri, evadere etc., reddi etc , creari etc., vocari etc.,
putari vor und spricht vom Nominat. c. infin. bei debeo, soleo etc.,
dicor, perhibeor etc. Cap. 85 lässt den Accus, bei juvo, aequo
etc., den doppelten bei facio etc., creo etc., dico etc., puto etc.,
praebeo etc., doceo etc , celo, oro etc., posco etc., interrogo er-
scheinen, behandelt den Accusativ des Raumes und der Zeit, die
Constniction der Städtenamen, den Accus, bei Ausrufungen und
bei Präpositionen. Cap. 86 giebt den Dat. commod. oder incomm.,
den Dativ bei obtrecto, invideo etc. (Verwandlung solcher Sätze
ins Passiv!), bei esse (haben! gereichen!), fieri, dare, habere etc.,
niittere, venire. Cap. 87 ordnet die Lehre vom Genit. in fol-
gende Kategorien: 1) in den subject., 2) object., 3) partitiv. Ge-
nitiv, 4) in den des Maasses (quant.), 5) den der Eigenschaft (qua-
iit.), 6) den des Werthes (pretii). Cap. 8S bringt den Ablativ in
15 Ordnungen, die da sind: 1) Ablat. der Ursache, 2) des Mit-
tels oder Werkzeuges, 3) objectiver Ablativ, 4) AM. des Ortes,
5) Abi. der Zeit, 6) Ablat. der Eigenschaft, 7) Abi. der Art und
Weise, 8) Abi. der näheren Bestimmung und Beschränkung (limi-
tationis), 9) Abi. des Maasses, 10) Abi. der Vergleichung, 11) Abi.
des Ceberflusses und Mangels, 12) Abi. der Trennung und Ent-
fernung (abl. separatlonis), 13) Abi. des Preises, 14) Abi., abhän-
gig von Präpositionen , 15) Abi. absolutus. Das vorletzte Capitel
handelt vom Gerundium und Gerundivum, das letzte vom Supinum.
Die Regeln sind nicht allein überall klar und fass-
lich vorgetragen, sondern auch von einer guten Zahl
latein. Belegstellen und einer recht grossen Zahl
deutscher ü ebungss tücke zum Uebersetzen in's
Latein begleitet. — Wir wollen zuerst nach dieser üe-
bersicht über einzelne Regeln und Bemerkungen unsere abwei-
chende Ansicht aussprechen. Bei cum kann man zweifelhaft
sein, ob es vor g, c etc. in n übergeht und ob fast immer vor Vo-
calen und immer vor h in Zusammensetzungen das m abfällt, da
dies davon abhängt, ob nicht cum aus cyn erst entstanden ist, oder
welches überhaupt die Grundform sei. Doch lässt sich die Dar-
stellung der Verff. auch vertheidigen, jedenfalls ist sie für den
Schüler der untersten Stufe die fasslichste. S. 23 heisst es irrig,
dass die griech. nom. propr. auf -gog im Latein die Endung er an-
nehmen , da das bald folgende Beispiel Uomerus die Behauptung
widerlegt. Statt gog wird wohl dgog stehen müssen. S. 41
hätten wir cadaver lieber mit Leiche, nicht mit Aas übersetzt.
Vgl. C. Milon. 13: Tu P. Ciodii cruentum cadaver ejecisti domo;
tu in publicum abjecisti; tu spoüatum iraaginibus, exsequiis,
398 Latein. Sprache.
pompa, laiulationc, infelicissirais lignis seraustulatum, nocturnis
caiiibus dilaiiiandum reliqiiisti; Serv. Siilpic. (Cic. epp. ad t'iun.
4, r^): Uno loco tot oppidiira cadavera projecta jacent. S. 49 wird
vcsperi für adverbiale Form ^jehalten. Köjic hielt es in seiner
Sciuift über die Sprache der Epiker für Genitiv. Durch die von
uns in der Recension dieses Werkes in der Zeitschrift fiir Alter-
thiimsNvissenschaft angeführten Beispiele: Si deillariim coenaturus
Tesperi es,- qni de vesperi vivat (Plaut. Rud. 1, 2, 91; Mii 4,2,5)
sind wohl beide Änsicliten widerlegt. S. 49 halten wir Hieroso-
hraa nach der 1. Decl. für die weniger zu empfehlende Form, da
der Plural neutr. selbst durch Solyraa , raorum, bei Martial noch
empfohlen wird, abgesehen von den andern Auctoritäten. S. 55
und 219 verwerfen wir longe beim Comparativ als dichterisch und
spätlateinisch. S. 56 könnte angegeben sein, dass der Singular
von inferi, superi etc. doch wohl vorkommt, wie das Lexicon lehrt.
5. 57 wäre bei der Comparation auch wohl zu bemerken gewesen,
dass dieselbe bei Participien selten Statt findet. S. 60 läsen wir
lieber den Plural inimicitiac, als den Singular. S. 162 würden
wir salutare lieber mit ,,begrüssen^^ übersetzen. S. 169 würden
wir attinere nicht mit ,, betreffen^' wiedergeben, da doch in
dieser Bedeutung die Präposition ad wohl nicht fehlen darf. Sollte
S. 170 das Sup. adultura = verbrannt nicht als veraltet zu be-
zeichnen sein'? Zu sileo, von dem auch Scheller, George, Zumpt,
Schulz, Krüger kein Supinum kennen, bemerken wir, dass Au-
gust. Civ. Dei 16, 2 sagt: Benedictis igitur duobus filiis Noe atque
uno in medio eorum raaledicto deinceps usque ad Abraham de ju-
storum aliquorum, qui pie deum colerent, commemoratione silitum
est. S. 177 ist bei bibo bemerkt, dass es kein Sup. habe. Zumpt
giebt in der 9. Ausgabe das Sup. bibitum. Ausser den von Schel-
ler im Lex. angeführten Stellen mache ich auf bibiturus der Vul-
gata Matth. 20, 22; Apg. 23, 12 aufmerksam. Auch bei abnuo
ist abnuiturus nicht ganz zu verwerfen, zumal da es durch die Ab-
leitung abnuitio noch gestützt wird. Ueber sero ==:: .,an ein-
ander reihen'*" bemerkt Zumpt, serui, sertum kommen vom ein-
fachen Verb nicht vor, doch sei serta (Kränze) davon abgeleitet.
Unsere Grammatik giebt perf. und sup. ohne Bemerkung. Das
Perfect weiss ich nicht zu belegen, aber loricae sertae bei Nepos,
Corona serta bei Apulejus wird doch wohl genügen , falls auch bei
Nepos die Lesart angefochten wird; zum üeberflusse führe ich
Cyprian. ep. 4, 3: Coronas sertas an. S. 176 sollte es in der
2. Anm. heissen: ,,Die mit Nominibus gebildeten Composita von
facio haben fico und ficor etc. Vergl. testificari, gratificari.^'' Von
ludifacere wollen wir eben sowohl absehen, als von augificare,
calefacientur, calefaciamini, calfacc (Cic. fam. 16, 18, 2), parvi-
faciatur. S. 177 wäre bei fendo wohl die Bedeutung ,,stossen''
anzuheben gewesen , so wie bei cando die Ilinweisung auf candeo,
candela wenigstens im mündl. Unterrichte nicht unterbleiben darf.
Middendorf u. Gruter: Latein. Schulgrammatik. 399
In Bezug auf einige Ableitungen erlauben wir uns, wie wir glauben,
im Interesse der Wissenschaft eine Bemerkung, die für den
praktischen Unterricht nicht so wichtig ist, übrigens nicht allein
unsere Grammatik, sondern auch viele andere betrifft. Wir kön-
nen nicht glauben, dass fulgur von fulgeo , aedificiura von aedifi-
care, frigus von frigeo, opinio von opinor, oblivio von obliviscor,
religio von religare, vinculum von vincire gebildet seien; wir glau-
ben vielmehr, dass beide Bildungen neben einander stehen und
von den Stämmen fulg — frig — relig — ausgehen. Steht nicht
so auch ein Verbum sonere (Attius und Ennius) und sonare neben
einander nebst tergere und tergüre und vielen andern? Vgl. noch
densus, denseo, densare; fulgere und fulgeo, und vorzüglich die
theils mit dem ableitenden u , theils mit der blossen Endsilbe us
gebildeten nomina: tumultus, quaestus, sumtus, wovon der Ge-
nitiv auf i vielleicht nicht viel seltener ist als auf us; von senatus
sagt ja Quintilian (inst. 1, 6. p. 52) ausdrücklich: Senatus, senatus,
senatui, an senatus, senati, senato faciat, incertum est. — S. 238
sind wir mit der auch von Zumpt beliebten Ableitung der nomina
auf mentum oder men nicht einverstanden; die Ableitung vom Su-
pinum mit Wegwerfung des — tum — sum , oder die Anfügung an
den Stamm, wie die Endung des Supinums angefügt wird, ist
wissenschaftlich und praktisch haltbar. Zumpt und Schulz ziehen
nomen aus novimen zusammen, wir können uns keinen Grund dafür
denken. Auch mit dem lucimen und fulgimen unserer Verff.,
woraus lumen und fulmen entstanden sein soll, sind wir ebenso-
wenig einverstanden, als mit dem acuimen von Krüger und dem
arimentum von Schulz. Stramentum, incrementum, caeraentum,
detrimentum, tormentum, fragmentum, segmentum, examen (exi-
go!), pigmentum und das späte geniraen und figmentum liefern
den Beweis. Selbst semen ist nicht gegen uns, da sätum für se-
tum steht; sero nämlich ist von seo, daher auch seges, wie spero
von speo, woher spes, und res von reor. Für den Ausfall des
K-Lautes vor men oder mentum bürgt examen. Vergl. instru-
mentum, fruraentura. Dass bisweilen ein Bindevocal eingeschoben
ist, wie tegimen =::= tegmen, regimen, speciraen, documentum für
dogm., kann nicht befremden. In germen ist das s in r übergegan-
gen, wie sonst häufig (= gesmen von gero), jumentum ist von
dem Stamme jug , wovon jungo und jugare, armentum vom Stamme
ar-, wovon arare, culmen oder mit dem ßindevocale und dem
Rückwechsel des Vocals columen vom Stamme cello, wovon z. B.
procul ; subtemen und subtegmen von subteg-, woraus subtexoauch
abgeleitet ist. Nur legumen und farcimen machen uns Schwierig-
keit, und wir können auf dem Tische besser mit ihnen fertig wer-
den, als in der Grammatik. Woher die Länge des Bindevocals,
ist uns unbekannt, wenigstens bei legumen. S. 250 sehen wir
nicht, wesshalb eine Ableitungsendung auf icus und nicht auf ester,
estris angenommen, sondern im letzteren Falle der Vocal für den
400 Latein. Sprache.
Bindevocal erklärt wird, S. 247 läsen wir gern jucundus bei den
Ableitinifjen auf -ciindus. Wir wissen nicht, ob bei der Lehre
Ton der Zusammensetzung nicht der nach griechischer Weise in
der neueren Latinität geformten Wörter ausdriickliclier hätte ge-
dacht werden sollen, in denen der erste Thcii, wenn er ein No-
men ist, auf 0 endet; s. S. 253, 4. So sind aus dem Griechischen
ins Latein übergegangen philologus (-gia), philograecus, phiioso-
phus (phia), thcologus (-gia), Gailograeci (-cia) , graecostasis.
Zumpt billigt solche Compositioncn, wenn wirklich ein durch Ver-
mischung zweier Elemente entstandenes Ganze bezeichnet werde.
Das älteste Beispiel einer solchen Verbindung zweier rein latei-
nischen Worte, das wir ausser sacrosanctus wissen, steht in den
wohl zu Ende des 2. Jahrh. n. Chr. herausgekommenen recognitio-
ncs s. Clementis 1. 3. c. 10: magnam blasphemiam Ingenito inge-
rentes, raasculofcminam eum cxistimantes. — In Bezug auf die
Regel über die Tempora erlauben wir uns wieder eine Bemerkung,
die nicht allein dieser Grammatik, sondern allen gilt, welche wir
kennen, denn wir wollen zugleich nach Kräften zum Ausbau und
zur Ordnung des grammatischen Systems unser Scherflein beitra-
gen. 3Iau ist zunächst darauf hingewiesen, in der latein. Sprach-
lehre gerade die Wendungen und Ausdrücke, die vom Deutschen
abweichen, zur Sprache zu bringen. Nun sagt man im Deutschen:
Die Erde ist mit Schnee bedeckt; der Baum ist mit Rinde über-
zogen etc. Cicero sagt aber de nat. d. 2, 47: obducunturque
libro aut cortice trunci, quo sint a frigoribus et a caloribus
tutiorcs; Cato Maj. 15,51: quae (viriditas) vaginis jara quasi
pubcscens includitur .... et contra avium minorura raorsus
munitur vallo aristarum. Im Activ sagen wir ebenfalls: der
Schnee bedeckt die Erde; ein Wall von Aehren schützt etc.
Vergl. noch Quint, 2, 16: pleraque (animalia) contra frigus ex
suo corpore vestiuntur; 11, 3. p. 323 (ed. Bipont): manus non
irapleatur annulis; . . . fascias, quibus crura vestiuntur; Coium.
5, 6, 19: quo cclerius ulmura vestiant (vites). Id. 8, 17,6:
ßcopulos, qui praecipue herbis algae vestiuntur; Plin. h. n.
10, 51: perdices spina et frutice sie muniuut receptaculum,
ut contra feras abunde vallentur. Aber auch Cic. n. d. 2, 57:
Munitae sunt palpebrae tanquam vallo pilorum ; 2, 47: animan-
tium aliac coriis tectae sunt, aliae villis vestitae .... — Auf
einen 2. Punkt erlauben wir uns noch aufmerksam zu raaclien, den
wenigstens Zumpt und die älteren Grammatiker, so viel wir wissen,
übergehen, es ist dies das sogenannte Präsens der Anfi'ihrung:
Plato sagt, schreibt, im Plato steht, dass das, was etc. . . Wir sind
überzeugt, dass auch in solchen Fällen das Imperf. und Plusq. des
Conjunctirs stehen kann. Vergl. Cic. off. 1, 25, 87; 3, 2, 10. —
S. 320 unserer Grammatik heisst es: Aristoteles: Apud Ilypanim
flamen, inquit, und S. 399: Sturnus: magnopere, inquit etc. für
apud II. Humen, inquit Ar, und magn, inquit Sturnus. Stände
beim Subjecte auch nur ein Wort, wie etwa tum, illc, so wäre die
Middeiidorf u. Grüter : Latein. Schulgrammatik. 401
Stellung recht. In der mit sorgfältiger Genauigkeit und wissen-
schaftlicher Forschung geschriebenen Grammatik von F. Schulz
heisst es zwar, das Subject könne auch unmittelbar vor inquit
stehen, doch lese ich an der zum Beweise citirten Stelle ganz an-
ders. S. 398 steht Leo etsi hoc promissum irridens. Freilich
sagt auch Justin. 12, 1: Agis, rex Lacedaeraoniornra, etsi a multi-
tudine victus, gloria tamen omnes vicit, doch setzen nur spätere
Schriftsteller die Partikeln quanquam, quamvis, etsi zum Particip.
S. 288 steht: Häufig wird der verneinte Imperativ durch noli etc.
umschrieben; wir würden statt „häufig" lieber „häufiger" sagen.
Besonders scheint Cicero bei Deponentien noch wohl den Con-
junctiv zu setzen. Vergl. Ätt. 14, 1, 2: Tu, quaeso, quidquid
novi — multa autem exspecto — scribere ne pigrere; ad famil.
5, 12,3: ne aspernere; ad Q. fratr. 3, 1, 6, 19: Haec inter coenam
Tironi dictavi, ne mirere alia manu esse. S. noch or. pro Ciuent. 2, 6 :
ne repugnetis, ne subjiciatis; de off. 3, 2, 6: neve committas. Oft
steht auch ne mit dem Perf. Conj. wie C. Äcad. 2, 40: ne asciveris
neve fueris; div. 2,61: nefeceris; fam. 7, 25: ne . . . dixeris. Wir
können nach Obigem weder mit Krüger übereinstimmen, der den
Conj. praes. mit ne für sehr selten hält, noch mit Schulz, der
ne mit dem Imperativ in guter Prosa nicht zulässt. S. C. \e^^.
2, 18, 45: ne quis consecrato, freilich in einer Uebersetzung aus
Plato. — In Bezug auf einen andern Punkt gestatten wir uns eine
Frage anzuregen, über die wir beim IVIangel von Vergl eich un«-
der Codices unserer besseren latein. Schriftsteller keine Auskunft
zu geben im Stande sind. Zumpt behauptet, die Formen, wo
ein doppeltes i in der 4. Conjugation vorkomme, seien in der gu-
ten und Ciceronischen Prosa mit Ausnahme der Composita von ire
durchaus ungewöhnlich und fänden sich nur hie und da bei Dich-
tern, z. B. bei Virgil audiit, mugiit, muniit, hauptsächlich wenn
das Wort so beschaffen sei, dass es nicht anders in den daktyli-
schen Hexameter gehe, wie oppetii, impediit. Unsere Gramma-
tik sagt S. 153, ii werde vor s regelmässig in i contrahirt, giebt
aber sonst auch petiit , desiit ohne nähere Beschränkung. Dürfen
wir von dem Orelli'schcn Texte der Ciceronischen VVerke und
ähnlichen Texten ausgehen, so halten wir es gegen Zumpt mit
der uns vorliegenden Grammatik, denn ad Herenn. 4, 43, 55 steht
muniit; Quint. decl. 9, 2; petii (ed. Bip.). Krüger, der mit uns
stimmt, führt an C. Q. Rose. 4, 12: petiit; 11, 31: erudiit; Liv.
21, 48: communiit, und will nur, dass die Zusammenziehung bei
Cicero vor s häufiger sei; Schulz behauptet, es finde sich häufig
petiit und noch öfter desiit. S. 273 ist, wie in den andern Gram-
matiken, die Behauptung ausgesprochen, dass bei Verwandlung
des activen Satzes in einen passiven aus dem Subjectc des activen
der Ablativ mit Präposition oder ohne dieselbe werde, je nachdem
es Person oder Sache sei. Aber wo bleiben dann die Thiere,
die doch keine Personen sind, aber auch nicht zu den Sachen ge-
iV. Juhrb. f. Phil, u. I'ihl. od. Krit. liiltl. tid. LVUI. Jlft. 4. 26
402 Latein. Sprache.
rechnet werden dürfen, wenigstens hier wohl sicherlich nicht, da
C nat. d. 2, 48, 124 schreibt: Quin etiam anatiim ova gallinis
gaepe supponiraus, e qiiibiis pulli orti primura alunttir ab iis ut a
mat/ibus^ a quibus exclusi jfütique sunt; Phaedr. 1, 9: oppres-
8um ab aqiiila, fletus edentem graves, leporem objurgabat passer.
Cfr. 1,4: Aliamqiie praedam ab alio (cane) deferri putans, wo
freilich der Hund als Person auftritt. Doch müssen wir hinzu-
fügen, dass es §. 401 unserer Grammatik heisst, bei Personen
und persönlich gedachten Wesen stehe auf die Frage:
Wovon? die Präposition a. Wir müssen nach diesen Bemerkun-
gen, die sich, wie wir schon sagten, nicht immer auf die vorlie-
gende Grammatik beschränken, ausdrücklich erklären, dass na-
mentlich die lateinischen Uebungsstücke (Einrichtung der Welt,
Mittheilungen aus der Naturbeschreibung [de elephanto, de ca-
melo etc., de plantis, de raetallis et lapidibus], Mittheilungen aus
der Mythologie, Fabeln, ein Gespräch, Erzählungen) unter der
bessernden Hand unserer Verfasser sehr an reiner Latinität ge-
wonnen haben. — Was nun die Art und Weise angeht, in wel-
cher der grammatische Stoff geordnet und vertheilt erscheint, so
ist zuvörderst entschiedener Werth darauf zu legen , dass in den
vorhergehenden Regeln und Sätzen bis fast zu Ende
nie etwas anticipirt ist aus dem Folgenden, sodann
geheint sich die Methode schon dadurch zu empfehlen, dass sie
sich an den deutschen analytischen Unterricht der
unteren Classen so nahe anschliesst, ohne sich doch ängstlich
an ein System anzulehnen oder zu peinlich den Bau der Satzlehre
nach allen Seiten ausführen zu wollen. Dass die Regeln nicht im
abstracten Tone des Docirens, sondern gemein verständlich vor-
getragen sind, ist schon angegeben; man merkt aber noch an
manchen Kleinigkeiten und Einzelheiten die erfahrenen Schul-
männer. So steht bei den üebungsbeispielen der 1. Declination
S. 17 femina das Weib, regina die Königin, alauda eine Nach-
tigall, Silva der Wald, damit der Artikel zugleich im Deutschen
in allen Wendungen eingeübt werde; so ist S. 260 und überall,
wo ein Ausdruck ausser dem Satze vorkommt, der in zwei Casus
stehen kann, gefordert, dass er doppelt übersetzt werde, um den
Schüler auf die Gleichförmigkeit der deutschen Casus aufmerk-
sam zu machen und sein Sprachgefühl zu schärfen; so werden
häufige Umwandlungen der passiven Wendung in eine active und
umgekehrt verlangt; so ist die Eintheilung des sämmtli-
chen dem Genitiv und dem Ablativ zufallenden Ge-
bietes in bestimmte mit treffenden Namen bezeich-
nete Grenzen etwas, was sich für die Praxis eben so
sehr, als für die Wissenschaft empfiehlt; so sind die
Wortsammlungen mit ausgezeichnetem Geschick in Gruppen von
Wörtern gebracht, die dem Inhalte nach verwandt sind oder sich
doch leicht an einander schliessen , also das Gedächtniss bedeu-
tend erleichtern und Sinnigkeit in die Memorirübung bringen.
Middendorf u. Griiter : Latein. Schulgrammatik. 403
Sollen wir uns endlich darüber aussprechen, ob das in Rede ste-
hende Buch die gehörige Fülle des Materials mittheile^ so
bejahen wir dies ohne Bedenken in Bezug auf die üebungsbei-
spiele und die grammatisch-syntaktischen Hegeln. Mit der For-
menlehre sollen in der Sexta die entsprechenden Abschnitte der
Syntax bis §. 336, d. i. bis zu den Sätzen, in welchen ein Sub-
stantiv durch eine Apposition näher bestimmt ist, eingeübt wer-
den „und zwar so, dass die lateinischen Sätze mündlich ins Deut-
sche, die deutschen schriftlich, dann aber zur Wiederholung auch
mündlich ins Latein übersetzt werden.'''' S. X der Vorrede. Von
§. 33(3 bis §. 379, d. i. bis zur Erweiterung der Satzlehre durch
die Rectionslehre (s. oben), sollen mit den schriftlich ins Latein
zu übersetzenden und mündlich zu wiederholenden üebungsbei-
spielen, so wie mit den lateinischen Stücken bis zu den Erzäh-
lungen das Pensum der Quinta bilden. Die Rectionslehre im Zu-
sammenhange mit den dazu gehörigen Uebungsbeispielen sind für
das 1. Semester der Quarta bestimmt. Im 2. Semester soll eine
kurze Wiederholung des 1. Cursus der Syntax , so wie der For-
menlehre mit besonderer Hervorhebung des früher üebergange-
nen und das Wichtigste aus der Wortl)ildung>lehre die Schüler
beschäftigen. Zusammenhangende deutsche Üebungsstücke, die,
was uns besonders freut, geschichtliche Darstellungen ent-
halten (von den sibyll. Büchern; das Capitol gerettet durch die
Wachsamkeit der Gänse; die Gallier aus Rom vertrieben; Gabii
durch List den Römern überliefert; Kampf der Horatier und Cu-
riatier; Horatius Codes; Kriegszucht des T. Manlius Torquatus;
LJneigennützigkeit und Redlichkeit des Fabricius ; Pyrrhus bietet
durch Cyneas Frieden; vom 1. punischen Kriege; vom 2. pun.
Kr.; von Hannibal; vom jüngeren Scipio; von J. Cäsar; von Cäsar
imd Ariovist; von Cicero und Cäsar; von Cicero; Tod des Cicero;
von Armin i US; von Alexander dem Grossen; Alex. Milde gegen
Porus; Alex. Milde gegen die Mutter u. Gemahlin des Darius; Ab-
dolymus König durch Alexander; Periander; Darius und Syloson;
Krösus und Solon; Harmodlus und Aristogiton; Miitiades; List
des Themistokles beim Aufbau der Mauern von Athen ; von Alci-
biades; Ehre dem Homer und Aeschylus von den Athenern, dem
Tyrtäus von den Lacedämoniern bewiesen; von den Scythen), und
die lateinischen Erzählungen, ebenfalls geschichtlich denkwürdigen
Inhalts, dienen in Quarta zum üebersetzen. Einzelne in Anmer-
kungen an den untern Rand verwiesene Vergleichungen mit dem
Griechischen können auf dieser Stufe für die nun mit dem Grie-
chischen schon bekannten Schüler von Nutzen sein. Was ferner
die Formenlehre angeht, so könnte es scheinen, als dürfe Einiges
weggelassen werden. So wenn S. 49 ziemlich viele Wörter an-
geführt werden, die bei verschiedener oder gleicher JNominativs-
endung nach verschiedenen Declinationen gehen. Lacertus und
luscinius sind noch obendrein, wie auch richtig bemerkt wird, sel-
26*
404 Bibliographische Berichte u. kurze Anzeigen.
ten. Da dürfte caseiis, caseiira; baculus, baculiim ; juguliis, jii-
guliira; pileiis, pileiira etc. auch Aufnalime finden, zumal da bacu-
luni die für gute Prosa classische Form ist, ja tumuiti (genit. bei
Ter. Andr. 2, 2, 28; Hec. 3, 2, 21; PI. Poen. 1, 1, 79; Cas. 3, 5,
22; Sali. Catil. 59; Ätt. (bis) Afran. Pomp. Titin. Turp. Enn.)
kommt vielleicht in der andern Form nicht öfter vor. Aehnlich
quaesti, sumti. — Gestrichen wünschen wir auch bei den Wör-
tern des „Schätzens'*" etc. das zweifelhafte existimo. Druckfehler
kommen, und das gereicht einem Schulbuclie zur grossen Em-
pfehlung , fast gar nicht vor. Wir haben nur S. 294 Philopoemon
für -men gefunden, und S. 399 ist zwischen inquit und sturnus
das Komma zu streichen. Und so dürfen wir denn den Lehrern
und Schulvorständen das Buch um so mehr zur Beachtung em-
pfehlen, als die Verfasser versichern können, dass ihre Methode
60 meist auf dem Boden der Erfahrung und praktischen Thätig-
keit erwachsen ist. TeipeL
Bibliographische Berichte u. kurze Anzeigen.
Terenz-Liiteratur.
1) J. Könighoff: De scholiastae in Terentium arte critica. I8i0.
Programm des Gymnasiums in Aachen.
2) J. Brix: De Pluuti et Terentii prosodia. Vratislav. 1841.
(Doct. -Dissertat.)
3) G. Ihne: Quaestiones Terentianae. Bonnae, 1843. (Doct.-Dis-
sertat.)
4) J. Könighoff'. De raiione quam Terentius in fahulis Graecis
latine convertendis secutus est. Part. I. Coloniae typis descripsit
J. G. Schmitz. 1843.
5) E. Kärcher: Beilrag zur lateinischen Etymologie u?id Lexi-
cographie. 1. Heft. Carlsrube 1844. 2. Heft. 1846. 3. H. 1847.
6) Maur. Speck : Observationum criticarum in Terentii Adelphos
specimen. Vratisl. 1846.
Der Grundsatz, Dichter und Schriftsteller derselben Litteraturgat-
tung aus ihren eigenen Werken, aus ihren hieraus sich ergebenden Cha-
rakteren , aus ihrer Zeit zu erklären , und nicht mehr die verschiedenen
Zeiten angehörenden Autoren einer Gattung oder Art einen aus dem an-
dern zu erklären, den einen nach dem andern zu beurtheilen, hat mit
Recht immer mehr Geltung gewonnen. Auch in Bezug auf die lateini-
schen Komiker hat man sich nach ihm gerichtet und Plautus und Terenz
wohl von einander unterschieden. Die folgende Anzeige mehrerer den
letzten Jahren angehörender Arbeiten auf dem Gebiete der latein. Komi-
ker wird zuvörderst ebenfalls nur das, was Terenz betrifft, berücksich-
1
Bibliographische Berichte u. kurze Anzeigen. 405
tigen und soviel uns von der Terenz-Litteratur bekannt geworden —
mit Ausnahme des Allerneuesten — der chronologischen Folge nach in
möglichster Kürze besprechen. Die erstgenannte Schrift von Hrn. Kö-
nighoff geht von einer Anmerkung des Donat zu Hecyra III. 1, 33, einem
vielfach besprochenen Verse, aus. In dieser Note heisst es, die Alten
hätten /erfasse mit dem Infinitiv verbunden. Dass es sich aber bei for-
tasse nicht um den Infinitiv handeln kann, leuchtet ein. Ob dagegen der
Indicativ oder Conjunctiv stehen solle, darüber ist gestritten worden.
Meist findet sich der Indicativ. Hr. K. schliesst daraus, dass bei Terenz
der Conjunctiv steht, dass Donat uns dies als Besonderheit habe anführen
wollen , setzt statt infinitivo — conjunctivo und fügt sehr treffend hinzu,
dass das nachher hinzugesetzte legitur et conscivisse nur eine orthogra-
phische Bemerkung enthalte, in welcher man sich des Infinitivs statt des
Conjunctivs bedient habe; dieser Zusatz aber, glaubt er, gehöre nicht
Donat an. Nunmehr folgt das eigentliche Thema. Hr. K. will über die
Beschaffenheit und den Werth der Varianten , welche sich in den unter
Donat's Namen aufgeführten Commentaren zu Terenz finden, sprechen —
jedenfalls eine ebenso dankenswerthe als mühevolle Arbeit. „Mehrere
Stücke des Terenz , sagt Hr. K., sind schon bei Lebzeiten des Dichters
wiederholt aufgeführt worden. Vielleicht also könnten sich in den Va-
rianten im Commentar Spuren von Textveränderungen finden, die von
Terenz selbst ausgegangen , um so mehr, als sogar das Fehlen ganzer
Verse in manchen Mss. bemerkt wird. Letzteres findet nur in den Adel-
phi statt, von welchen Osann behauptet, dass sich sogar aus dem Pro-
loge ihre zweimalige Aufführung bei Lebzeiten des Dichters ergebe.
Dieser Schluss indess ist falsch, weil nova Vers 12 proi. Adelph. eben
so wenig wie nova Hec. prol. I. 2 und pro nova Vs. 5 von einer zwei-
ten Aufführung , als vielmehr davon zu verstehen ist, dass das Stück zum
ersten Male in latein. Sprache erschienen war. An einigen Stellen, wie
Adelph. III. 5, 1—6. IV. 3, 10, hat Bentley die Aechtheit der Verse be-
wiesen. Auch Ad. IV. 5, 72 Hesse sich trotz der Bemerkung des Scho-
liasten nicht beweisen , dass der Vers überhaupt nicht, oder wenigstens
nicht von Anfang an von Terenz hergerührt. Wie aus dem Fehlen gan-
zer Verse , so lässt sich auch nicht aus der Verschiedenheit einzelner
Worte eine von Terenz ausgegangene Aenderung beweisen ; zum wenig-
sten ist, selbst wenn wir die an sich nicht unwahrscheinliche Aenderung
von Seiten des Terenz zugeben, nicht mehr zu sagen, was der ersten Ge-
stalt angehört habe. Attulit Andr. prol. 1 erscheint nur als Randglosse
eines Abschreibers; Varianten, wie sie zu Andr. pr. 8, II. 1, 7. IV. 1, 22
angegeben sind, enthalten nichts als Paraphrase oder Erklärung. Andere,
wie die zu Andr. I. 1, 128. I. 5, 1. Hec. III. 5, 3 u. a. O,, enthalten nur
aus Missverständniss der in den Mss. gebrauchten Abkürzungen hervor-
gegangene Irrthümer."
P. 10 führt der Hr. Verf. wieder andere Stellen an , wo der Scho-
liast die falsche Lesart gebilligt, die richtige als Abweichung aufgeführt
hat. So Andr. II. 2, 11.4, 20. Eun. II. 2, 34 ; an der letztern Stelle hat
der Scholiast den bei den Komikern ganz gewöhnlichen Indicativ in
406 Bibliograpliisclie Berichte u. kurze Anzeigen.
indirecten Fragen verbessern zu müssen geglaubt. Dasselbe behauptet
K. mit Recht von illico gegenüber ei loco Phorm. I. 2, 38, ebenso von
der zu Hec. IV. 4, 43 gegebenen Variante remissan reductan; die Dop-
pelfrage durch ne — ne ausgedrückt, ist nicht zu verwerfen, für veri aber,
das jetzt im Scholion sich findet, vetusti mit Hrn. K. zu setzen, trage
ich kein Bedenken.
Die Varianten, die sich zu den vor dem letzten Beispiel angegebe-
nen Beispielen finden, sind dafür Beweis, dass man gerade bei Terenz
gern die gewöhnlichen Worte verändern zu müssen geglaubt hat. Die
Gründe, wesshalb man dies gethan, sind nach dem Hrn. Verf. verschie-
dene gewesen; a) man findet Ausdrücke, die zu alt oder der gewöhn-
lichen Redeweise zu fremd schienen, b) die zu wenig den Stempel des
Alterthums zeigten, c) die nach Meinung der Kritiker von denen
des griechischen Originals abwichen. Als Beispiele zu a) führt Hr.
Könighoff an die Varianten zu Andr. IH. 1, 1. HI. 3, 40. IV. 1, l
bis 4 (an dieser Stelle erkennt Hr. Könighoff richtig verschiedene Scho-
Hasten ; die Nichtidentität derselben ist an vielen Stellen des Commentars
offenbar) , Andr. IV. 4, 6. Eunuch. V. 6, 21. Andr. IV. ], 29. Als
Beispiele zu b) die Varianten zu Andr. IV. 1, 32. Phorm. HI. 1, 5. I. 4, 13.
Zu der letzten Stelle will ich nur bemerken, dass ich, wenn ich auch das
durch die Codices gesicherte protinus hier nicht aufheben möchte, doch
dem Hrn. Verf. darin nicht beistimme, dass, weil man conjiclam aus
Festus nicht aufnehmen würde, ebenso wenig protinam von ihm entnom-
men werden könnte. Denn wir werden, ganz abgesehen davon, ob hier
das Citat als Reminiscenz oder als zur Zeit aus einem Exemplar des
Dichters genommen betrachtet wird , dem Grammatiker so viel Vertrauen
schenken müssen, das protinam nicht für ganz willkürlich citirt zu halten,
da es sich gerade um ein Beispiel für diese Form handelt, während es für
ihn ohne Bedeutung war, ob hier der Conj. Praesentis oder Imperfecti
steht. Weiterhin folgen p, 13 zu Ende und folg. Beispiele zu c). Die
Gelegenheit, hier den Scholiasten entgegenzutreten, ergreift Hr. K. mit
um so grösserem Vergnügen, weil er die strengere Abhängigkeit des Te-
renz von seinen griechischen Vorbildern zuzugeben keineswegs geneigt
ist, weil er die Art, mit welcher er dieselben nachgeahmt, als eine durch-
aus freie betrachtet und den Terenz keineswegs als Uebersetzer, sondern
als dichterisch frei mit den Originalen schaltend angesehen wissen will.
Wir werden den Eifer des Hrn. Verf. in dieser Beziehung später genauer
zu zeigen Gelegenheit finden. Als Beispiele also , wie die Commentato-
ren Varianten angeführt haben , die aus der scheinbaren oder wirklichen
Abweichung des Terenz von griechischen Komikern flössen , citirt Hr. K.
die Varianten zu Andr. TIT. 4, 13. Hec. 1. 1, 1. Eunuch. I. 1, 1. Hier
hat meiner Meinung nach der Verf. das Richtige getroffen, wenn er der
Interpunction des Probus folgt, d. h. nach eam das Fragezeigen setzt.
Dieselbe Interpunction findet sich auch anderwärts, wo Eun. I, 1, l ci-
tirt wird, z. B. in den alten Ausgaben des Quinctilian zu P>ide des
XI. Buches, welche Stelle die Bipontiner citiren; sie findet sich in den
meisten Ausgaben des Terenz , auch bei Westerhov. Andere haben
Bibliographische Berichte u. kurze Anzeigen. 407
wenigstens eam durch ein Komma vom Folgenden getrennt, wie Bentley.
In dieser Uebereinstimmung der Herausgeber liegt mir der Hauptgrund
für das auch von Hrn. K. Angenommene. Und man muss es dem Sinne
nach für zweckmässiger halten, allen jenen zu folgen, weil der tief in
Gedanken über einen das ganze Fühlen und Denken einnehmenden Ge-
genstand Versunkene sich besonders in kurzen Fragen an sich selbst zu
bewegen pflegt. Den Ausdruck „inepie^^ möchte ich gleichwohl nicht für
die andere Betrachtungsweise für passend erachten, welcher z. B. Mei-
neke fragg. comicorum Graecor. ed. min. tom. H. p. 903 folgt, zumal nach
den Zeugnissen der Alten Menander ihr gefolgt ist und Terenz ihn hier
wörtlich übersetzt. Und was das ,,parum latine^^ angeht, so steht sei-
ner Berechtigung die von Westerhov citirte Stelle: Andr. I. 2, 30. Quid?
hoc intellextin? an nondum etiam ne hoc quidem? entgegen.
Zuweilen hat man sogar, indem man Varianten zu den Worten des
Terenz nach dem griechischen Original fügte , den Terenz des Missver-
ständnisses der griechischen W^orte bezüchtigt (vergl. p. 15). Von den
hierzu angeführten Beispielen wollen wir uns eins näher ansehen; das
erste ist Hec. IH. 4, 26, wozu der Schol. tadelnd bemerkt, dass Terenz
Unrecht gethan , den mit Recht von Apollodor kahlköpfig genannten
Mykonier crispus zu nennen. Dann folgt Eun. IV. 4, 22 , dann Fhorm.
prol. 24 sqq. Zu dieser Stelle, deren Vertheidigung Hr. K. gegen Bent-
ley's Conjectur in Vs. 26 mit Recht unternommen und gut zu Ende ge-
führt hat (die Vulgata , von der die italienischen Codd. gar nicht abzu-
weichen scheinen, giebt keinen Anstoss), fügt der Scholiast hinzu, Te-
renz habe sich hier geirrt, denn das Stück, das er zum Phorraio benutzt
habe, sei des Apollodor 'E7tidf>iDc^o^tvrj, nicht der Enidfua^Ofisvos; denn
es handle sich hier um ein Mädchen. Wir wollen kurz angeben, wie hier
der lateinische Komiker vom Hrn. Verf. gerechtfertigt wird. Zunächst
knüpft er an die Worte des Schol. die Bentley'sche Anmerkung ; dem
Schol. stimmt Bentley darin bei, dass das von Terenz benutzte Stück
'EnidiHCi^ousvrj gewesen, der Fehler aber nicht von Ter. begangen wor-
den, sondern Schuld des Exemplars des Dichters sei, welches Donat be-
nutzt habe. Dieser Meinung des Kritikers des XVIII. Jahrhunderts sind
Sluiter zu Andocides, Meineke Menandri et Philemonis reliqq. , Ruhnken
dictat. ad Ter. beigetreten. Diese Umstände rechtfertigen um so mehr
eine genaue Erörterung der Sache. Dafür, dass 'Eniöi-na^onsvos {-ov)
das Richtige sei, spricht
1) die Uebereinstimmung der Codd. (bis auf einen des Westerhov),
die Didaskalia, die Worte des Donat am Anfang der Vorrede zum Phor-
mio (wonach die Schuld aber wieder vom Scholiasten auf den Dichter
zurückfallen würde);
2) die UnWahrscheinlichkeit dessen, dass der Dichter den Zuschauern
einen falschen Namen genannt haben solle;
3) dies, dass nach den Zeugnissen der Alten ein Mädchen, wie hier
Phanium, weder 'Enidiv.c(^o^ivri noch 'EnidLHog, sondern ©rjoau geheissen
hat. Der Erklärung von Meineke, welcher das Participium als Medium
fasst und es auf den Phormio bezieht, als welcher dem Antiphon Pha-
408 Bibliographische Berichte u. kurze Anzeigen.
nium verschafft habe, stimmt Hr. K. nicht bei, sondern ihm gilt das Part,
mascul. gen. als passive Form mit Beziehung auf Antiphon, welcher durch
das Gesetz zur Verheirathung mit Phanium gezwungen würde. Der
Grund für diese auch uns als die richtige erscheinende Auffassung ist,
dass , während Terenz das Stück desshalb, weil Phorraio die Hauptrolle
hat, nach diesem benennt (cf. proIog. 26 — 28), Apollodor ihm desshalb
nach Antiphon den Namen 'EnidiKCi^oasvog gegeben haben muss, weil ja
sonst keine Abweichung in der Benennung Phormio bei Ter. da wäre.
Uebrigens spricht für die Richtigkeit des Masculinums auch dies, dass
ausser Apollodor noch Anaxipp, Diphilus und Philemon Stücke dieses
Namens geschrieben haben. — P. 25 folgt endlich noch die Bemerkung,
dass man sogar die griechischen, wie die lateinischen Dichter zum Gegen-
stande alberner Kritik gemacht, Donat aber schon solche zurückgewie-
sen habe.
Die Schrift ]Vr. 2 von Brix war jedenfalls nach der Lingeschen
Arbeit über den Hiatus bei Plautus die erste bedeutende in ihrem F'ache.
Der Verfasser geht mit lebendiger Frische und äusserst anerkennenswer-
ther Genauigkeit und Sorgfalt zu Werke. Er spricht p. 7 den Grund-
satz, nach welchem er in der Untersuchung verfahren habe, aus, indem
er sagt: man dürfe nicht an die Feststellung von Gattungen prosodischer
Licenzen von vornherein denken ; das römische Volk habe sich bei der
Aussprache der Worte nicht von bestimmten Regeln leiten lassen. Man
müsse also alle einzelnen Worte an allen Stellen, wo sie sich finden, be-
trachten, sammeln, zählen, so dass sich durch bestimmte Zahlen das Ue-
berwiegen des einen oder andern Gebrauchs feststellen lasse. Dieses
Verfahren, welches wir bisher auch als das einzig richtige erkannt hatten,
weil als das einzige, durch welches man aus stetem Schwanken zu einer
endlichen Sicherheit gelangen könnte, möchten wir gleichwohl jetzt nicht
mehr als unumgänglich nöthig betrachten. Denn abgesehen davon, dass
wir in der Verschiedenheit des Gebrauchs z. B. derselben Consonanten-
Verbindungen, wie in den von Hrn. Brix angeführten Beispielen ille und
villa, schon eine ratio erkennen, dass wir dort in dem vielgebrauchten,
oft nicht viel bedeutenden Deraonstrativum ille die Positionskraft nicht
ohne Grund geschwächt, hier im Nomen villa die Position in der Stamm-
silbe in voller Kraft sehen, sehen wir jetzt jenes Verfahren als zu äus-
serlich und zu ermüdend an und glauben überdies, dass mit Hülfe theils
eines nach den besten und ältesten Codd. genau revidirten Textes (die
Varr. sind bisher zu zerstreut , nirgends beisammen gewesen) , theils
der Sprachvergleichung (ich mache auf die Bergk'sche Recension des
1. Theils von Ritschl's Plautus in Zeitschrift für Alterth.-Wiss. 1848.
H. 12 aufmerksam) gute Resultate für Prosodie und Metrik der Komiker
zu erzielen sind. Wir geben jetzt den Gang an, welchen Hr. Br. in die-
ser Arbeit genommen , und wenden uns sodann zu dem , was uns als
Hauptresultat der Schrift hervorzuheben zu sein scheint. Der Verf.
geht von der 1. Scene der Asinaria des Plautus aus, welche unter den
112 Versen , aus denen sie besteht, auch nicht einen Vers hat, der
ein Wort mit schlechtem, falschem Accente enthalte. Was in dieser
Bibliographische Berichte u. kurze Anzeigen. 409
Scene aber sonst etwa nicht recht beifallswerth scheint oder ist, nimmt
er p. 12 sqq. durch. Er berührt 1) die in dieser Scene vorkommenden
6 Hiaten , 2) die prosodischen Licenzen. An Vs. 52 knüpft er die Unter-
suchung der Quantität von quippe bei Plautus, nach welcher das Wort
als Trochaeus erkannt wird; über 4 Verse, wo Zweifel obwalten, werden
nähere Aufschlüsse gegeben (wir übergehen dies , da es uns mehr um das
Allgemeine, besonders aber um das den Terenz Betreffende zu thun ist).
Gegen das aus Terenz gewonnene Resultat, dass quippe bei diesem
Dichter nie anders wie als Trochaeus gebraucht sei, ist nichts zu erin-
nern. Daran reiht sich die Betrachtung der Quantität von nempe, inde,
unde, hercle, immo p. 19 — 30, deren Resultat ist, dass die ersten drei
bei Plautus sehr oft, bei Terenz wenig oder gar nicht mit kurzer Penul-
tima sich finden , in hercle dagegen und immo tei Plautus die Penultima
s^ich nie kurz finde, während sonderbarer Weise Terenz sich bei immo
die Freiheit der Verkürzung nehme. Wir finden diese allerdings Hec.
IV. 4, 104. V. 4, 37. Phorm. V. 8, 43, indessen dadurch, wie ich meine,
entschuldigt, dass in der Verbindung von immo mit vero die Naturlänge
in vero mit der Positionslänge in immo concurrirt. Was die 4. Stelle,
Andr. V. 2, 13 betrifft, so muss, falls Hr. Br. wegen des doppelten Ictus
auf indignum die Verkürzung von immo nicht annehmen zu dürfen glaubt
(jenes ist übrigens nicht ungewöhnlich) , statt Chreme — Chremes ge-
lesen werden, so dass dann ein Schein-Bacchius statt eines Anapäst an der
vierten Stelle des trochäischen Tetrameter stände. Denn der Vocativ
Chreme , der sich an ungefähr 38 Stellen bei Terenz zu Ende des Verses
findet, in der Mitte an 2 Stellen (Andr. V. 3, 24. Phorraio V. 5, 58)
Elision erleidet, an 6 anderen Stellen (Andr. IV. 4, 44. V. 4, 42. Eun.
IV. 5, 4. Heaut. I. 1, 23. III. 3, 24. Phorm. IV. 3, 4) in der Mitte lang
ist, dürfte nicht mit Recht hier in der ultima kurz gebraucht sein , eben
so wenig als Phorm. IV. 3, 4. — An die obigen Wörter schliesst sich
endlich autem an , wovon Hr. Br. gegen Weise den Beweis führt, dass es
nie seine Vorletzte verkürzt habe. — Weiter wird sodann eine weitere
Untersuchung der Position von muta c. liquida angestellt, welche sich an
die p. 24 zu Persa IV. 3, 23 gemachte Behauptung der nicht statthaften
Verlängerung der Penultima von lucrum als Beweis anschliesst (p. 33 bis
44). Dieser Theil der Arbeit von Br. scheint uns der bedeutendste zu
sein, da damit der Anfang gemacht wird, eine Hauptschwierigkeit in der
Prosodik und Metrik der Komiker, die Frage über die Bedeutung der
Position für die Quantität der Silben, zu beseitigen. Das Resultat die-
ser Untersuchung ist, dass die Consonanten-Verbindungen br, er, pr, gr,
tr, cl, pl weder bei Plautus noch bei Terenz Position machen. Indem
wir vor der Hand dieses Resultat in seinem ganzen Umfange als richtig
annehmen, fügen wir hinzu , dass, wenn das Resultat auch vorerst als
ein geringes erscheinen möchte, doch der grosse Werth desselben nicht
zu verkennen ist, und zwar liegt er besonders darin, dass es ein sehr
richtiger Anfang zu sein scheint. Die liquidae sind ihrer Natur nach
durchgängig mehr so gebraucht, dass sie keine Position machen. Von
den liquidis aber sind wieder r und l ihrer Natur nach die flüssigsten, so
410 Bibliographische Berichte u. kurze Anzeigen.
dass das oben aufgefundene Resultat mit der Theorie der Laute ganz
übereinstimmt. Eine fortgesetzte Untersuchung der Positionsfrage A\ürde
zunächst die Verbindung der mutae mit den übrigen liquiden Buchstaben
m und n, dann die der liquidae unter einander, dann die Verbindung von
liquidis mit mutis , so dass diese jenen nachfolgen, nicht wie oben voran-
gehen , ferner , wie sich i und u als Consonanten _; und v in Bezug auf
vorhergegangene Vocale verhalten, zu betrachten haben; dann auf die
Verbindung der mutae untereinander und endlich noch auf die Verbindung
s — s und des s mit anderen Consonanten eingehen müssen, in welchem
letzten Theile die Verbindung, wo das s nach andern Consonanten steht,
den Schluss bilden müi^ste. Sollte der hier einer solchen Untersuchung
vorgezeichnete VVeg, der mir der naturgemässe zu sein scheint, nicht
zum Ziele führen, so bliebe immer noch jener äusserste von Br. vorge-
schlagene übrig. Wir haben nun noch Einiges in Bezug auf obiges Re-
sultat mitzutheilen. Gegen die durch dasselbe begründeten Verände-
rungen der Bentley'schen Accente an einigen Stellen, z. B. Andr. 1. 1, 32,
Heaut. 11. 3, 45 mediocriter statt mediöcriter, ist nichts zu bemerken.
Hr. Br. hat sich aber an einigen Stellen Veränderungen erlauben zu müs-
sen geglaubt. Ob und in wie weit diese gerechtfertigt sind , wollen wir
in Kurzem angeben. Gegen die aus den besten und meisten Mss. her-
rührende Lesart nullä maläm rem esse exp. m. Heaut. H. 3, 48, deren
sich Hr. Br. gegen Bentley annimmt, ist nichts einzuwenden; sie ist
richtig und um so passender, als so die Beschreibung der Kleidung auf
die Angabe der Beschaffenheit der Gesichtsfarbe folgt. Auch hat Hr. Br.
Adelph. IV. 2, 38 (cf. p. 38) richtig Uli statt illic gesetzt und so die erste
in caprificus als kurz restituirt. Zweifel stiessen uns dagegen gegen des
Verf. Erklärung bei Heaut. L 1, 11 auf, wo eo beibehalten und agrum
mit kurzer penultima gelesen werden soll. Beides möchten wir gern zu-
geben, wenn wir nicht Hrn. Br. folgend die metrische Richtigkeit und
Eleganz aufzuopfern glaubten. Wie soll conjicio dreisilbig gelesen wer-
den? Soll das i in der Endung consonantisch werden und die vorher-
gehende Silbe lang machen? Es scheint so, aber das möchte gewagt
sein. Und doch wie anders? Bleibt conjicio viersilbig, so haben wir
einen Proceleusmaticus statt Trochaeus gegen die Regel:
aut I plus e[o, üt conjjicio; agrum in | his regi|önibus.
Hätte man statt conjicio — concludo , so wäre geholfen. Das Metrum
würde dann ganz gut von Statten gehen:
aut j pliis e[o, üt con[clüdo; agrum in | his regijönibus.
Vor der Hand wissen wir nicht anders zu helfen. — Wegen Heaut. prol.
6, wozu duplici als gegen die aufgestellte Regel verstossend angemerkt
und diese Lesart verworfen wird , verweisen wir auf Ritschi Parerga
p. 387 Anraerk. — Zu dem oben bezeichneten Wege für die Positions-
Behandlung und Aufstellung von Gesetzen für dieselbe sei noch bemerkt,
dass sich an die Untersuchung der Verbindung von muta c. liquida, wie
sie Br. angestellt hat, d. h. in den Fällen, wo muta c. liq. zur folgenden
Silbe gehört, sich noch im Besonderen die Betrachtung der Fälle an-
Schul- und Universitätsnachrichten u. s. w. 411
reihen muss, wo Silben oder Worte mit mutis schliessen und die folgenden
Silben oder Worte mit liquidis beginnen. In welchen Fällen das Ton
Br. aufgestellte Gesetz nicht stichhaltig sein möchte. Als Schluss knüpft
sich an Obiges p. 45 sqq. die Bemerkung, dass jam in der Verbindung
nunc jam stets zweisilbig — iam — von Plautus wie von Terenz ge-
braucht werde.
Liegnitz. Dr. A. Liebig.
[Fortsetzung folgt.]
Schul- und Universitätsnachrichten ^ Beförderungen
und Ehrenbezeigungen.
Aus dem Grossherzogthum Baden. Nachdem die vorjährige Mai-
Revolution, welche so viel Unglück und so grosses Elend über unser
vordem so schönes und glückliches Land gebracht hat, unterdrückt war
und Gesetz und Ordnung wieder die gebührende Geltung erlangt hatten,
wurden auch alsbald von den hohen Behörden in Beziehung auf die
Schule die nöthigen Anordnungen und Verfügungen getroffen; denn auch
auf diesem Gebiete hatten die unheilvollen Ereignisse ihren störenden und
verderblichen Einfluss mehr oder weniger geübt. Indem nun diese An-
ordnungen und Verfügungen der hohen Behörden aufs Neue den Beweis
liefern, wie sehr den hochachtbaren Männern, welche mit der Pflege und
Leitung des Schulwesens in unserm Grossherzogthum betraut sind, das
wahre Wohl der Schule am Herzen liegt und wie sehr sie bemüht sind,
dasselbe nach allen Richtungen hin zu fördern, müssen wir aber auch
zugleich berichten, dass im Verhältniss zu der grossen Zahl der Lehrer
an den höheren Schulanstalten nur sehr wenige sich an den revolutionären
Bewegungen betheiligt haben. Bei weitem der grösste Theil derselben,
von der hohen Würde und Heiligkeit ihres Berufes durchdrungen, blieb
ihnen fern. Auch der Unterricht wurde an vielen Schulen gar nicht, und an
anderen, mit nur wenigen Ausnahmen, nur einige Tage während dieser
Schreckensperiode unterbrochen. Da die Erlasse, welche die eben erwähn-
ten Anordnungen der hohen Behörden enthalten, einennicht uninteressanten
Beitrag zur Geschichte des badischen Schulwesens im Jahre 1849 ent-
halten und desshalb auch in einem grösseren Kreise bekannt zu werden
verdienen, so glauben wir sie auch in diesen Blättern niederlegen zu
müssen. — Der Wortlaut der fraglichen Erlasse selbst ist folgender:
Grossherzoglicher Oberstudienrath. Carlsruhe, den 16. Juli 1849.
Nr. 1145. Erlass des Grossherzogl. Ministeriums des Innern v. 13. d. M.
Nr, 8948, den dermaligen Zustand der höheren Lehranstalten, insbeson-
dere die Prüfungen und Visitationen betreffend. Beschluss. Fiat. Gene-
rale an sämmtliche Lehranstalten (Lyceen , Gymnasien, Pädagogien und
höhere Bürgerschulen).
412 Schul- und Universitätsnachrichten
In Anbetracht, dass die unheilvollen Ereignisse der jüngsten Zeit
auch auf dem Gebiete der Schule ihren störenden und verderblichen Ein-
fluss geübt haben ;
und in Erwägung, dass an den meisten Anstalten des Landes der
Unterricht nicht nur kürzere oder längere Zeit unterbrochen wurde, son-
dern dass seine Fruchtbarkeit unter dem Einflüsse so ausserordentlicher
Ereignisse überhaupt nur gering sein konnte,
sieht man sich mit Genehmigung des Grossherzoglichen Ministeriums
des Innern zu folgenden vorübergehenden Anordnungen für das gegen-
wärtige Schuljahr veranlasst:
1) Der Unterricht ist an sämmtlichen Lehranstalten vorerst bis zum
1. September 1. J. fortzuführen , sofern nicht bei einzelnen Anstalten be-
sondere Verfügung ergehen wird.
2) Die Vorstände der Anstalten haben sofort anher zu berichten,
ob und wie lange der Unterricht im Laufe dieses Sommers an der be-
treffenden Anstalt ausgesetzt worden ist, resp. Ferien stattfanden.
3) Feierliche ölfentliche Prüfungen sollen nicht stattfinden. Dage-
gen sind am Schlüsse des Schuljahres die Classenprüfungen in
der Weise, wie dies für das Winterhalbjahr vorgeschrieben ist*), durch
die Directoren und beziehungsweise durch die Inspectoren der höheren
Bürgerschulen, unter Zuziehung der Lehrer vorzunehmen, und ist über
den Befund anher Bericht zu erstatten.
Die Ephoren und kirchlichen Commissarien sind zur Theilnahme an
diesen Prüfungen, letztere zu den Religionsprüfungen, von den Vorstän-
den besonders einzuladen, auch die Eltern, Vormünder und F'ürsorger
der Schüler **) öffentlich — durch die auszugebenden Programme oder
auf sonstige Weise — von der Zeit der Prüfung zu benachrichtigen und
zu dieser einzuladen.
4) Die nach den bestehenden Verordnungen anher zu machenden
Vorschläge der Lehrerconferenzen hinsichtlich der Promotionen der Schü-
ler sind in der letzten Woche des Schuljahres vorzulegen. Was die
Entlassung der Schüler der obersten Lycealclasse zur Hochschule betrifft,
so werden die Lehrerconferenzen , zu deren dessfallsigen Berathungen die
Ephoren einzuladen sind, am Schlüsse des Schuljahres unter genauer
Angabe der wissenschaftlichen Befähigung und der Charakterreife der
*) In jedem Jahre finden zwei Prüfungen Statt, die eine zur Oster-
zeit, die andere am Schlüsse des Schuljahres. Die Prüfung zur Oster-
zeit ist nicht öffentlich ; sie wird von dem Director der Anstalt ange-
ordnet und in jeder Classe vorgenommen. Zu dieser Prüfung werden
die Hauptlehrer und Nebenlohrer dieser, so wie sämmtliche Lehrer der
nächstfolgenden höheren Classe zugezogen. Der Director erstattet über
den Befund der Prüfung Bericht an die Oberstudienbehörde (Schulord-
nung $. 11. 12. Schulplan §. 33).
*♦) Nach den im Grossherzogthum Baden geltenden Schulgesetzen
muss jeder Schüler, der nicht bei seinen Eltern wohnt, einen geeig-
neten Fürsorger haben, welcher die Pflicht übernimmt, über den
häuslichen Fleiss und das sittliche Betragen des Schülers zu wachen.
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 413
Schüler ihre Vorschläge anher machen, >vorauf nach Prüfung der schrift-
lichen Ausarbeitungen der Schüler die diesseitige Entschliessung erfolgen
wird.
5) Es wird den einzelnen Anstalten überlassen, ob sie je nach den
obwaltenden V-erhältnissen diesmal eine wissenschaftliche Beigabe zu ihren
Programmen ausgeben wollen oder nicht. Ebenso kann die Vertheilung
von Prämien unterbleiben, was jedenfalls an solchen Anstalten zu ge-
schehen hat, deren finanzielle Lage dies wünschenswerth macht.
Im Uebrigeii erwartet man von der Berufstreue der Lehrer, dass
sie in richtiger Würdigung der durch den Ernst dieser Zeit erhöhten Auf-
gabe der Schule mit allen ihren Kräften bestrebt sein werden, alles Un-
geeignete von jenem Heiligthume fern zu halten , und insbesondere die
ihnen anvertrauten Zöglinge zu reger geistiger Thätigkeit, zu ächter
Religiosität und wahrer Vaterlandsliebe durch Beispiel und Lehre zu
beleben.
Böhme. vdt. Krauss.
Grossherzoglicher Oberstudienrath. Carlsruhe , den 18. Juü 1849.
Nr. 1168. Erlass des Herrn Präsidenten des Ministeriums des Innern
vom 7. d. Mts., den Vollzug der höchsten Declaration vom '21. Juni d. J.
über das Verhalten der Staatsdiener während der Dauer der Revolution
betreffend.
Beschluss.
An sämmtliche Directionen der Lyceen , Gymnasien, Pädagof^ien
und höheren Bürgerschulen des Landes :
Den Directionen der höheren Lehranstalten wird beiliegend ein Aus-
zug aus dem oben bezeichneten Erlasse zur Nachricht und mit dem Bei-
fügen mitgetheilt, dass die anbefohlene Entfernung solcher Diener, welche
gegen ihre rechtmässige Regierung sich eines pflichtvergessenen Beneh-
mens schuldig gemacht haben, im Lehrfache vorzugsweise beschleunigt
werden muss, weil nothwendig die Beibehaltung eines Lehrers, welcher
durch sein Verschulden die Achtung der besseren Volksciasse verloren
bat, das Vertrauen zu der Anstalt untergräbt, an welcher er geduldet
wird, und weil insbesondere von dem Lehrer, der auch im bürgerlichen
Leben seinen Schülern als ein nachahmungswerthes Vorbild erscheinen
soll, ein pflichttreues gesetzmässiges Verhalten und tadelloser Ruf ge-
fordert werden muss.
Die Directionen werden aufgefordert, das Benehmen der bei ihren
Anstalten angestellten Lehrer, welches sie während der Dauer der letzten
Revolution gezeigt haben, sorgfältig zu prüfen, über die Vorfälle, bei
welchen sie sich betheiligt haben, genaue Erkundigungen einzuziehen,
und über Jeden derselben, dem nach dem Inhalte des abschriftlich bei-
gefügten Erlasses ein Verschulden zur Last fällt, welches nicht unge-
ahndet bleiben kann, unter vollständiger Angabe der betreffenden Hand-
lungen einen besonderen Bericht zu erstatten, damit ohne Verzug das
erforderliche dienstpolizeiliche Verfahren eingeleitet und gegen die Schul-
digen die verdiente Strafe verhängt werden kann.
414 Schul- und Universitätsnachrichten,
Man erwartet , dass diese Berichterstattungen möglichst beschleu-
nigt werden.
Böhme, vdt. Krauss.
Auszug aus dem Erlasse des Herrn Präsidenten des Grossherzog-
iichen Ministeriums des Innern über den Vollzug der landesherrlichen
Deciaration vom 27. Juni 1849.
Während der Dauer der revolutionären Gewalt haben ihr gegen-
über manche Beamten und Angestellten ein Verhalten gezeigt, welches
mit ihren dienstlichen Beziehungen zur rechtmässigen Regierung unver-
einbar ist. Ich rechne dahin nicht das Verhalten jener Beamten, welche
der Gewalt, die factisch im Besitze der angemaassten Herrschaft war,
den Eid des Gehorsams mit Vorbehalt ihrer Verpflichtung auf die Ver-
fassung geleistet und zugleich thatsächlich diesem Vorbehalte nachgelebt
und nach Kräften Alles gethan haben , um ihren Dienstverpflichtungen
treu nachzukommen. Ich habe das Verhalten derjenigen im Auge, wel-
che bei der diesjährigen Mairevolution als Mitglieder des sogenannten
Landesausschusses, der sog. provisorischen Regierung, der sog. consti-
tuirenden Versammlung oder als Civilcommissäre dieser revolutionären
Behörden in Thätigkeit waren und dadurch offenkundig die Revolution
hauptsächlich geleitet haben ; sodann derjenigen, welche von der revo-
lutionären Regierung einen von der rechtmässigen Regierung ihnen nicht
übertragenen Dienst, eine Beförderung oder Versetzung auf eine andere
Stelle angenommen oder in anderer Weise innerhalb oder ausserhalb ihres
gewöhnlichen Wirkungskreises an der Empörung sich betheiligt haben;
endlich auch derjenigen, welche eine Billigung derselben zur Schau
trugen, welche ihnen das Zutrauen rauben muss, oder dieselbe mit Ver-
letzung ihrer Würde zu persönlichen Zwecken und Vortheilen auszu-
beuten suchten.
Solche Angestellten können in ihrer früheren Stellung zur recht-
mässigen Regierung nicht verbleiben, wenn, was absolut erforderlich
ist, ein kräftiges, vertrauensvolles Zusammenwirken aller Behörden zur
Wiederherstellung und Erhaltung der Staatsordnung gesichert sein soll.
Carlsruhe. In dem Schuljahre 1848 — 1849 haben sich in dem
Lehrerpersonale des hiesigen Lyceums einige Veränderungen ergeben.
Dr. Lamey , im Schuljahre 1843 als Lehrer an dem hiesigen Lyceum an-
gestellt, wurde im Herbste 1848, unter Ernennung zum Professor, an das
Mannheimer Lyceum versetzt. An seine Stelle wurde Prof. Helfrick vom
Pforzheimer Pädagogium , wo er seine Tüchtigkeit bereits erprobt hat,
als Hauptlehrer der Prima und Lehrer der französischen Sprache in eini-
gen der mittleren Lycealclassen hierher berufen. — Den mathematischen
Unterricht in Unter- Sexta trat Hofrath Eisenlohr wegen anderweitiger
Geschäfte, nach seinem eigenen Wunsche, welcher durch die Lyceums-
Direction und Lehrer-Conferenz unterstützt wurde, mit Genehmigung der
höheren Behörde an Lehrer Pfeiffer ab, so dass nun der ganze stren-
gere Unterricht in der Mathematik von Unter-Quarta bis einschliesslich
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 415
Unter-Sexta in Einer Hand liegt, und bei den schönen Kenntnissen und
dem regen Eifer dieses Lehrers lassen sich die besten Erfolge von dieser
Einrichtung erwarten. — Nach dem Tode des Professors Karl Kärcher,
welcher seit mehreren Jahren die unterste Classe der Vorschule des Ly-
ceums besorgte, wurde der Unterricht an derselben, -vom November bis
zum Schlüsse des Wintersemesters, von Lehrer Wagemann gegeben,
dessen Gewissenhaftigkeit und liebevolle Behandlung der ihm anvertrau-
ten Kleinen gebührende Anerkennung verdient. Mit dem Anfange des
Sommercursus wurde sodann höheren Orts K. Beck zum provisorischen
Hauptlehrer dieser Classe ernannt, mit der Auflage, auch in der ersten
Classe des Lyceums einigen Unterricht zu ertheilen. — Prof. fVaag,
Lehrer an der hiesigen Kriegsschule, hat in sehr bereitwilliger und un-
eigennütziger Weise während mehrerer Wochen Aushülfe an der Anstalt
geleistet und sich, wie Prof. JFeltzien, welcher auch in diesem Jahre
den Schülern der Ober-Sexta unentgeltlichen Unterricht in der Chemie
ertheilte (NJahrbb. LX. Heft 4. S. 442), dadurch um die Anstalt ver-
dient gemacht und deren Dank erworben. — • Der früher provisorisch
hierher berufene Religionslehrer der katholischen Schüler, Beneficiat Kirn^
wurde im Laufe dieses Jahres in dieser Eigenschaft definitiv angestellt.
— Wenn übrigens in den letzten Monaten des Schuljahres der Unterricht
an der Anstalt nicht überall zu einem vollständig genügenden Ergebnisse
führte, so mögen die damaligen allbekannten unseligen Zeitverhältnisse
wohl eine genügende Entschuldigung bieten. Nicht nur wurden gleich
in den ersten Tagen des Aufstandes gegen 80 Zöglinge der Anstalt iheils
heimgerufen, theils von ihren Eltern mit fortgenommen, oder, um nicht
unter das erste Aufgebot treten zu müssen, in das Ausland geschickt —
so dass namentlich aus den beiden Classen der Sexta während jener gan-
zen Schreckenszeit kaum die Hälfte der Schüler anwesend war — , son-
dern es erlitt auch der Unterricht der anwesenden mancherlei, wenn auch
schon im Ganzen keine bedeutende Unterbrechung; nicht davon zu reden,
dass es für die Lehrer wie für die Schüler mitunter nicht gewöhnliche
Anstrengung erforderte, um bei dem äusseren Sturme die für einen ge-
deihlichen Unterricht nÖthige innere Ruhe und Sammlung zu bewahren.
Veranlasst durch diese Verhältnisse, stellte die Lyceumsdirection , im
Einverständniss mit der Lehrerconferenz, beim Grossherzogl. Oberstudien-
rathe die Bitte, zu genehmigen, dass am Schlüsse des Schuljahres die ge-
wöhnlichen öffentlichen Prüfungen, so wie der feierliche Schlussact und
die Austheilung von Prämien unterbleibe und die, wiewohl druckfertige
wissenschaftliche Beigabe (verfasst von dem Director des Lyceums Geh.
Hofrath Dr. E. Kärcher) für das nächste Jahr zurückgelegt werde; bei-
des letztere zugleich aus dem durch die derraaligen Zeitumstände wohl
gerechtfertigten Wunsche, möglichste Schonung des ohnehin etwas er-
schöpften Lyceurasfonds eintreten zu lassen. Diese Anträge wurden
nicht nur von der Behörde genehmigt, sondern sie wurden auch in Folge
einer Verfügung des Grossherzogl. Ministeriums des Innern vom 13. Juli
1849 von dem Grossherzogl. Oberstudienrathe durch Erlass vom 16. Juli
1849 durch ein Generale den sämmtlichen Gelehrtenschulen und höheren
416 Schul - und Universitätsnachrichten,
Bürgerschulen mitgetheilt und auch für diese maassgebend *). — Was
nun noch die Prüfung selbst betrifft, so stand es im Belieben der Eltern
der Schüler, wie eines Jeden, welcher sich um die Anstalt und ihre Lei-
stungen interessirt, auch dieser anzuwohnen, was auch von dem Director
der Anstalt in dem ausgegebenen Programme , mit der Angabe der Zeit
für die Prüfungen in den einzelnen Ciassen und Gegenständen, ausdrück-
lich bemerkt wurde. — Besonders verdient ein bedeutendes Geschenk
erwähnt zu werden , w elches die Anstalt durch Vermittelung des Münz-
rathes Kachel von hier, während dessen Anwesenheit in Wien, durch die
Liberalität des Directors der Kaiserlichen Hof- und Staatsdruckerei, Re-
gierungsrathes von Aaer, für die Bibliothek desLyceums erhielt. Es sind
dieses zwei aus der eben genannten Druckerei hervorgegangene Werke
in Tafeln vom grössten Folioformate. Das eine, in 14 Blättern, hat den
Titel: ^^Typenschau des gesammten Erdkreises''''^ das andere ,,Die Spra-
chenhalle'''' enthält in seiner ersten Abtheilung und auf 7 Blättern das
Vaterunser in 608 Sprachen und Mundarten, nämlich den ganzen Ade-
luiig'schen Mithridates, mit 86 vom Director ^aer beigefügten Vaterunser-
Formeln. Die zweite Abtheilung, auf 4 Blättern in 206 Sprachen und
Mundarten, enthält die von Director Auer neuerdings gesammelten ver-
besserten Vaterunser in den den betreffenden Völkern eigenthümlichen
Schriftzügen, mit der jedesmaligen Aussprache und wörtlichen Ueber-
setzung. — Zum Besuche einer Universität wurden im Herbste 1848
32 Schüler entlassen. Von diesen widmen sich 7 (evangel. Confession)
der Theologie, 10 der Jurisprudenz, 2 der Medicin, 1 der Naturwissen-
schaft, 6 der Camerahvissenschaft, 4 der Philologie, 1 wollte zum Mili-
tär und 1 zur Erlernung der Kaufmannschaft abgehen. Ausserdem war
kurz vor dem Schlüsse des Schuljahres 1 Schüler mit dem Zeugnisse der
Reife ausgetreten, um sich dem Militärdienste zu widmen. — Was die
Schülerzahl betrifft, so zählte das Lyceum mit der Vorschule im Schul-
jahre 1848 — 1849 546 Schüler. Davon kommen auf das eigentliche Ly-
ceum 345, auf die Vorschule 201 Schüler. Darunter sind 281 evange-
lischer, 186 katholischer Confession und 79 Israeliten. Im Schuljahre
1847 — 1848 hatte das eigentliche Lyceum 454, die Vorschule 200, also
im Ganzen 654 Schüler (vergl. NJahrbb. a. a. O, S. 442. 443). Somit
hat der Besuch des eigentlichen Lyceums im letzten Jahre um 109 Schü-
ler ab-, in der Vorschule um 1 Schüler zugenommen. Der gegen frühere
Jahre bedeutend geringere Besuch des Lyceums liegt hauptsächlich in
den Verhältnissen, welche das Jahr 1848 theils brachte, theils noch in
Aussicht stellte. Auch die Revolutionsperiode verfehlte nicht ihren Ein-
fluss auf die Anstalt auszuüben, wiewohl der grösste Theil der während
derselben weggebliebenen Schüler, nach wieder hergestellter Ordnung,
sich wieder in der Schule einfanden. — Wir können nicht schliessen,
ohne aus dem dem Programme voranstehenden ,, Vorworte" des um die
Anstalt hochverdienten Directors derselben, welcher zugleich auch Mit-
glied des Grossherzogl. Oberstudienrathes ist, Einiges beizufügen. Es
♦) Vergl. den oben mitgetheilten Erlass S. 411 fg.
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 417
betrifft eine in gegenwärtiger Zeit ganz besonders wichtige Frage , näm-
lich die religiöse und sittliche Erziehung unserer Jugend. Beides soll,
sagt der würdige Verfasser, neben dem eigentlichen wissenschaftlichen
Unterrichte an unsern Anstalten gepflegt werden, und jede Schule, in
welcher blos Letzteres und nicht zugleich Jenes beachtet wird , mag sie
auch — was jedoch kaum der Fall sein dürfte — ein noch so gesundes
Aussehen vor sich her tragen , entbehrt dennoch des innersten Lebens-
keimes. Zugleich weist er aber auch darauf hin, dass die Öffentliche
Erziehung und der öffentliche Unterricht doch nur immer das eine Mit-
tel zur harmonischen Menschenbildung ist, und dass diese öffentliche
Erziehung ihren nothwendigen Grund und Anker zugleich in der häus-
lichen suchen und finden muss. Die Schule ist die linke Hand der
Erziehung, wie das Haus die rechte, oder, wie Pestalozzi sagt: „der
Segen der Schulstube ist bedingt durch den Segen der Wohnstube''^. Kehre
nur vorerst in alle unsere Familien jenes ehrenfeste Verhältniss zwischen
Eltern und Kindern wieder ein , wie es zu Zeiten unserer Väter stattfand ;
lasse sich der Graubart nur nicht mehr von dem Milchbarte meistern;
kehre man nur einmal ernstlich zu der frühern Einfachheit zurück ; präge
sich nur die wahre Gottesfurcht, die bekanntlich nicht blos in Beten und
Singen besteht und jedenfalls mehr im Herzen als im Kopfe wohnen muss,
in allem unsern Wirken und Handeln aus: gewöhne sich Vater und Mutter
nur überall, die moralische Bildung ihrer Söhne als eine der wichtigsten
Lebensaufgaben zu betrachten: — dann wird so mancher an der heran-
reifenden Jugend bisher bemerkte und gerügte Fehler von selbst weg-
fallen, oder doch im Laufe der Zeit getilgt und es auch der öffentlichen
Erziehung möglich werden, nicht blos auf Geist und Verstand, sondern
auch auf Herz und Gemüth unserer Jugend nachhaltig einzuwirken.
[H.]
DoNÄUESCHiNGEN. Auch im verflossenen Schuljahre sind an dem
hiesigen Gymnasium mehrere Aenderungen eingetreten. An die Stelle
des von hiesiger Lehranstalt abberufenen Gymnasiallehrers Schwab (er
wurde zum Vorstande der neu organisirten höheren Bürgerschule in Brei-
sach ernannt (vergl. NJahrbb. Bd. LV. Hft. 4. S. 447) kam durch Be-
schluss des Grossherzogl. Staatsministeriums vom 28. September 1848
Prof. Schuck vom Gymnasium zu Bruchsal. Durch denselben Beschluss
wurde der seitherige Gymnasiums -Director Prof. Fickler zum Professor
an dem Lyceum in Rastatt ernannt und die hierdurch erledigte Stelle
dem Prof. Donsbach , bis dahin Vorstand der höheren Bürgerschule in
Ettenheim, übertragen. Lehramtspraktikant Rapp wurde an das Gym-
nasium zu Tauberbischofsheim versetzt und die hierdurch erledigte Lehr-
stelle dem Priester Leopold Hoppensack von dem Grossherzogl. Ober-
studienrathe übertragen. — Als Geschenk erhielt die Anstalt von Prof.
Schuck dahier 41 Werke , grösstentheils geschichtlichen Inhalts. — Im
verflossenen Schuljahre wurde die Anstalt von 87 Schülern besucht. Unter
diesen waren 73 Katholiken und 14 Protestanten. [H.]
DuRLACH. Während des verflossenen Schuljahres hat das hiesige
Pädagogium, mit welchem die höhere Bürgerschule verbunden ist, fol-
n. Jahrb. f. Phil. u. Päd. od. Krit. Bibl. Dd. LVHI, Hß. 4. 27
418 Schul- und Universitätsnachrlchten,
gende Veränderungen im Lehrerpersonale erfahren: durch Staatsrainiste-
rial-Erlass vom 16. August 1848 Avurde dem Lehrer Bauritiel y welcher
bis dahin Vorstand der höheren Bürgerschule in Sinsheim gewesen war,
die erledigte dritte Lehrerstelle an der hiesigen Anstalt übertragen. Er
trat seinen neuen Dienst sogleich mit dem Beginne des Schuljahres an.
Von Ende Decembers an versah Lehramtspraktikant Karl Kappes die Stelle
des Praktikanten Ochs, welcher an dem Lyceum in Carlsruhe verwendet
wurde, aber gegen Ende Februar seinen Dienst an unserer Schule wie-
der antrat. Als er gegen Ende des Monats Juni Durlach verliess, kam
durch ßeschluss des Grossherzogl. Oberstudienrathes vom 2. Juli 1849
Lehramtspraktikant Gustav Kappes an seine Stelle. Im vorigen Schul-
jahre zählte die Anstalt 62 Schüler (NJahrbb. Bd. LV. Hft. 3. S. 341).
Im letzten Jahre betrug die Gesammtzahl 72 Schüler, darunter befinden
sich 61 Evangelische und 11 Katholiken. l^-]
EisENACH. Zu Ostern d. J, erschien: Programm des Grossh. Carl-
Friedrichs-Gymnasium zu Eisenach als Einladung u. s. w. Inhalt: Quae-
stiones Platonicae. Von Prof. Dr. Schwanitz. Schulnachrichten» Vom
Director. 13 S. gr. 4. Hr. Schwanitz, welcher schon in einem früheren
Programm einen dankenswerthen Beilrag für die Erklärung Plato's ge-
liefert hat, referirt in diesen quaest. über die Versuche, die Lehren der
platonischen Philosophie mit denen des Christenthuras zu vergleichen, und
kömmt sodann auf die neueste Schrift über diesen Gegenstand von J. G.
L. Mehliss , comparat. Piaton. doctrinae de vero rei publ. exemplo cum
christiana de regno divino. Comra. a. 1845 praemio regio ornata Gottin-
gae. Indem Hr. S. erklärt, nur die Ansichten von M. einer Prüfung
unterwerfen zu wollen, welche auf Erklärung der platonischen Philoso-
pheme sich beziehen, nicht aber diejenigen, welche sich mit Erläuterung
biblischer Aussprüche beschäftigen, wendet er sich zu den einzelnen Ab-
schnitten der Preisschrift. Schon der Anfang derselben giebt ihm Veran-
lassung, sich über die Tendenz der platonischen Republik auszusprechen,
und er fügt der von M. geäusserten Ansicht noch hinzu, was in neuerer
Zeit von Rettig darüber erwähnt worden war. Länger verweilt der
Verf. bei der platonischen Ideelehre, wie sie von M. dargestellt ist. Ge-
stützt auf die Gründe von K. F. Hermann und von Stallbaum bestreitet
er die Meinung von M., nach der dieser die Gottheit Plato's für identisch
mit der Idee des Guten erklärt. Zugleich giebt die bekannte Streitfrage
Hrn. S. Gelegenheit, über des Philosophen reine und erhabene Vorstel-
lungen von dem höchsten Wesen einige wesentliche Momente beizubringen,
zumal M.'s Behauptung zu bekämpfen war, dass Plato zu einer klaren
Ansicht von Gott durchaus noch nicht gekommen sei. Einen weiteren
Streitpunkt bot die Meinung von M. über Plato's Verachtung der Dichter
dar. Hr. S. beweist, dass Plato, wenn er auch einen Theil der Dichter
aus seinem Staate verwiesen sehen wollte, doch die Heroen der Dicht-
kunst auf das Höchste verehrt habe. Ebenso wird von ihm der Fatalis-
mus zurückgewiesen , welchen M. in des Philosophen Schriften findet, und
wenn derselbe meinte, dass der platonischen Philosophie ein Ideal fehle,
wie es die christliche Kirche an ihrem göttlichen Stifter habe, so sucht
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 419
der Verf. zu zeigen , in welcher Hinsicht Sokrates seinem Schüler als
Ideal gelte. Zuletzt spricht Hr. S. noch über das ipsvöo$ bei Plato , da
M. daher einen Grund nahm, über das sittliche Element in der platoni-
schen Philosophie überhaupt ein hartes Urtheil zu fallen. Es wird da-
gegen mit Hinweisung auf die Beweisstellen bei Plato gezeigt, in welcher
Beziehung der Philosoph die Lüge nicht verwerflich finde. Am Schlüsse
wird Plato's Ansicht über Verehrung der Gottheit erwähnt und nachdem
Hr. S. sein Urtheil über M. zusammengefasst hat , erinnert er ihn an des
Theologen Stäudlin Worte über den grossen Philosophen : ,,Tpsum evan-
gelium multum cum eo habebat communia. Itaque accidit, ut una do-
ctrina alteri commendationi esset et una propagandae et conservandae
alteri inserviret. Nee nunc aliter fit; si ullura est philosophiae systema,
quod vim et auctoritatem suara constanter tuitum est, et amissum semper
recuperat, et ex quo diversae philosophorum sectae praesidia veritatis
petunt, id Platonicum est, et si rationes veritatis evangelii philosophicas
quaeris , eas praecipue in philosophia Piatonis invenies." Die ganze
ebenso interessante als gelehrte Schrift beweist, dass der Verf. in das
Yerständniss Plato's nicht oberflächlich eingedrungen ist, wesshalb ähn-
liche Beiträge stets willkommen sein werden. • — Die angehängten Schul-
nachrichten des Dir. Dr. Funkhänel enthalten zuerst einen kurzen Ab-
riss der Lehrverfassung. Die Hauptänderungen bestanden darin, dass der
Anfang des griechischen Sprachunterrichts von V. nach IV. verlegt wor-
den ist, dass die französischen Lectionen in I. bis HI. auf 3 Stunden wö-
chentlich erhöht wurden , und dass man den hebräischen Unterricht auf
eine Classe mit 2 Stunden wöchentlich beschränkt hat, was jedenfalls sehr
zweckmässig ist und Nachahmung verdient. Dafür erhielt das Deutsche
in II. eine Stunde zugelegt. Für den Geschichtsunterricht i^ind die trotz
kleiner Mängel sehr zu empfehlenden Tabellen von Peter in die vier
oberen Classen eingeführt. Sodann folgen Notizen über den Lehrapparat,
Unterstützung einzelner Schüler und die wichtigsten Verordnungen , von
denen eine hervorzuheben ist, dass von dem 1. April d. J. an das Gym-
nasium unmittelbar unter dem Staatsministerium II. Depart. stehen soll.
Die Schülerzahl betrug im Anfange des Schuljahres 86, nämlich 14 in I.
14 in IL, 13 in HI., 24 in IV., 21 in V. Zu Michaelis gingen 2, zu Ost.'
5 Zöglinge auf die Universität über. Auch wurden 2 geprüft , welche
auswärtige Gymnasien besucht hatten. [ — n.]
Freiburg im Breisgau. Im Anfange des Schuljahres 1848 49
fanden in Bezug auf das Lehrer-Collegium bedeutende Veränderungen an
dem hiesigen Lyceum statt. Nicht weniger als fünf Mitglieder schieden
aus demselben. Es wurde nämlich der bisherige Director der Anstalt,
Geistlicher Rath Schmeisser , in gleicher Eigenschaft nach Constanz ver-
setzt; Prof. Dr. Eisengrein trat in den Ruhestand; Prof. Dr. Baumstark,
der schon früher einen Theil seiner Lehrthätigkeit der hiesigen Univer-
sität widmete, ging ganz an dieselbe über; Lehrer Eckert erhielt an dem
Lyceum in Heidelberg eine Stelle und Praktikant Heinemann kam an das
Gymnasium in Bruchsal. — Die nunmehr erledigte Directorstelle wurde
dem früheren Vorstande des Gymnasiums in Bruchsal, Hofrath JSokkj
27*
420 Schul- und Universitätsuachrichten,
ubertra'Ten. Zu gleicher Zeit wurde von dem Lyceum in Constanz Prof.
Scherm hierher berufen, und zwar mit der besonderen Verpflichtung, die
Direction in Handliabung der Disciplin zu unterstützen. Es wurden fer-
ner berufen: Pfarrer Ncumaier in Ilvesheim und die Lehramtspraktikanten
Dr. Jülg und Schlegel. Da aber Pfarrer JSeumaier durch Unwohlsein
gehindert war, in diesem Jahre sein Lehramt anzutreten, so übernahm
dasselbe vom 26. Februar dieses Jahres an Lehraratspraktikant KappeSj
nachdem vorher die Lehramtspraktikanten Bauer und Büchler Aushülfe
geleistet hatten. Dem Stadtvicar Schellenberg endlich folgte im Amte
eines evangelischen Religionslehrers, als jener am 7. October 1848 zum
Pfarrer an der Trinitatis-Kirche in Mannheim befördert worden war, Vi-
car Zeuner, — Im Herbste 1848 wurden 34 Ober-Sextaner auf die Uni-
versität entlassen. Von diesen wählten 15 die katholische und 3 die
evangelische Theologie, 6 die Jurisprudenz, 8 die Medicin und 2 die Ca-
meralwissenschaft zum Berufsfach. Im Schuljahre 1847 — 48 besuchten
481 Schüler das hiesige Lyceum (NJahrbb. Bd. LV. Hft. 4. S. 450). In
diesem Schuljahre beträgt die Gesammtzahl der Schüler 455, von diesen
waren am Schlüsse des Schuljahres noch 402. In der Gesammtzahl der
Schüler waren 403 Katholiken, 48 Protestanten, 4 Israeliten. Unter
diesen befanden sich 247 Auswärtige, d. h. Schüler, deren Eltern nicht
hier wohnen. [^-l
Gent. Durch die Trennung Belgiens von Holland haben die phi-
lologischen Studien in dem erstem Lande einen bedeutenden Stoss erlit-
ten und sowohl die vorherrschend materiellen Bestrebungen als die poli-
tischen Kämpfe des neuen Königreichs waren den philologischen Fort-
schritten sehr abhold. Um so mehr ist es rühmlich anzuerkennen, wenn
einzelne Männer trotz der ungünstigen Verhältnisse an den liebgewonne-
nen Studien festhalten und ihre Liebe zu denselben durch tüchtige Ar-
beiten an den Tag legen. Unter diesen nimmt als thätiger Repräsentant
der Philologie in Belgien J. E. G. Roulez, ordentl. Professor der Archäo-
lie in Gent und Mitglied der kÖnigl. Akademie von Brüssel, ein eben so
kenntnissreicher und scharfsinniger als geschmackvoller und äusserst fleis-
si^er Arbeiter, unstreitig den ersten Platz ein. Seine Bestrebungen sind
vorzugsweise archäologischer, antiquarischer und historischer Art, wahr-
scheinlich weil ihm dieser Weg am sichersten zu sein scheint, die Theil-
nahme seiner Landsleute für die von ihnen wenig beachtete Alterthums-
wissenschaft zu erwecken und zu erhalten. Mehrere seiner Abhandlungen
sind I. in Zeitschriften niedergelegt, z. E. sur la legende de Venlevement
des Sabines in dem recueil encyclop. Beige. Juillet 1834. Hier stellt
der Verf. die Verrauthung auf, dass die Sage von dem Raube der Sabi-
nerinnen erst später dadurch entstanden sei, dass die Römer ihre Hoch-
zeitt^ebräuche, ebenso wie das civilrechtliche Institut der in manum con-
ventio von den Sabinern entlehnt hätten. Aus alten Hochzeit- und Tafel-
liedern sei die Sage nach und nach in die Geschichte übergegangen. Hr.
R. macht Alles geltend, was für seine Ansicht sprechen kann, und hat nur
den bei den Hochzeiten gewöhnlichen Gebrauch des Wassers und Feuers,
welcher von den Sabinern entlehnt war, übersehen, s. Dion. II. 30. Auch
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 421
konnte nicht von einer sabinischen in roanum conventio im Allgemeinen
gesprochen werden , da dieses Institut ein in Italien weit verbreitetes
war, wohl aber von der confarreatio , welche unzweifelhaft sabinischen
Ursprungs ist und welche ursprünglich der vornehmste Weg zur Bewir-
kung der in m. conv. war. Auf die p. 10 ausgesprochene Meinung, dass
jus Quiritium ursprünglich der Inbegriff der Rechte des Quiriten oder
patricischen Bürgers gewesen sei (nämlich connubium, patria pot. etc.),
wollen wir hier nur hindeuten. Hierher gehört auch der Aufsatz: notice
sur un buste antique en bronze decouvert dans la jirovince de Liege in
dem messager des sciences et des arts de Gand 1836 (Hr. v. Reiffenberg
hatte den Kopf für einen Nero oder Antlnous gehalten , Hr. R. erkennt
darin mit grösserer Wahrscheinlichkeit einen Bacchus) und die interessante
Abhandlung Lycurgue farieux in den annal. dell' inst, di corr. arch. Tom.
XVII. p. 111 — 131. 1846, welche durch das Gemälde einer 1834 in Ruvo
gefundenen und im Neapolitanischen Museum aufbewahrten Vase veran-
lasst worden ist.
II. Weit zahlreicher sind die Abhandlungen von R., weiche durch
die königl. Akademie in Brüssel veröffentlicht worden sind. Die aus-
führlicheren sind in den memoires abgedruckt, z. E. obss. sur divers points
obscurs de VliisU de la Constitution de Vancienne Rome. Bruxell. 1836 aus
Tom. X. d. memoir. 32 S. 4. Cap. 1 handelt von dem ältesten Senat bis
zu den ersten Coss., namentlich in Beziehung auf die allmälige Vermeh-
rung des Senats und auf die nach Tarq. Sup. erfolgte Reorganisation
desselben. Cap. 2 von den Rittern der Königszeit, wo die 300 celeres
als die älteste Rittercenturie der Ramnes erklärt werden. Zu ihnen sei
noch eine Cent. Tit. von 300 eq. und eine Cent. Luc. von 300 eq. ge-
kommen, zusammen 900 eq., säramtlich unter dem Commando des tribu-
nus cel., welcher alte Name von dem Anführer der cel. auf den Anführer
der ganzen Ritterschaar übergegangen sei. Tarq. Prise, habe die Zahl
verdoppelt und sonach auf 1800 eq. gebracht. Sodann spricht Hr. R.
von den Rittern des Serv. Tüll., von den VI suffr. und von dem equus
publicus. Cap. 3. Die Servian. Centurienverfassung mit besonderer
Rücksicht auf Cic. de rep. II. 22. Es finden sich in der Schrift viele
treffende Gedanken, wenn man auch in vielen andern nicht beistimmen
kann, z. E. in Bezug auf die Ritterzahl, auf die 195 Centurien des Serv.
Tull. u. A. Auch HuscTike, Serv. Tullius p. 701 f., erkennt die tüchtigen
Eigenschaften des Verf. vollkommen an. — Ein wichtiger Beitrag für
die alte Geographie ist im XI. Tom. d. mem. nouvel examen de quelques
questions de geographie ancienne de la Belgique, 19 S., über die 3 Lager
der Legionen Cäsar's in Belgien, unter Q. Cicero, T. Labienus und Sa-
binus mit Cotta, wobei Hr. R. von Aduatuca, dem Lagerplatze der bei-
den Letztern, ausgeht. Die zuletzt erschienenen sind folgende: mem. sur
les magistrats Romains de la Belgique, 55 S., in Tom. XVII. der mem.
(vorgelesen 1843). Die ersten 3 Capitel umfassen die Zeit von Augustus
bis auf Constantinus und enthalten noch Bemerkungen über die Provinzial-
verwaltung im Allgemeinen, eine Aufzählung der uns durch die Schrift-
steller und durch Inschriften erhaltenen Statthalter und Procuratoren
422 Schul- und Unlvemtätsnachrlchten,
Belgiens und der Germania Inferior. Das 4. und 5. Cap. beschäftigt sich
mit der Zeit nach Constantin und behandelt namentlich die praefecti prae-
tor. Gali. Das Ganze ist mit sorgfältiger Benutzung der zerstreuten
Notizen verfasst und ciebt einen sehr schätzbaren Beitran fiir die Kennt-
niss der röm. Provinzialverwaltnng und der Geschichte überhaupt, na-
mentlich in Beziehung auf die Biographien der angesehensten Männer der
Kaiserzeit. In Tom. XTX. der mem. ist enthalten : notice sur un has-re-
Vff funcraire du Miisee d" Arezzo (gelesen 1845). Den Mittelpunkt des
Basreliefs, welches Hr. R. in das 4. Jahrhundert unserer Zeitrechnung
setzt, bildet eine auf einem Stuhl (und zwar auf einer cathedra von sehr
seltener Form , indem die Rücklehne mit den hinteren Füssen eine senk-
rechte Linie ausmacht) sitzende Frau , welche sich von einer Dienerin
die ETaare kämmen lässt, während eine andere einen Spiegel vorhält und
eine dritte ein offenes Kästchen trägt. Andere ancillac stehen zu beiden
Seiten , ohne dass man deren Bestimmung genau zu erkennen vermöchte,
an dem linken Ende ein Kind mit einer Puppe. Hr. R. erklärt alle Ein-
zelheiten in seiner gewohnten eleganten und gelehrten Weise. Auch hat
seine Annahme, dass diese Sculptur dem häuslichen Leben entnommen ist
und eine Toilettenscene der Verstorbenen vergegenwärtige , mehr Wahr-
scheinlichkeit, als der Gedanke, dass sie die Toilette der Helena dar-
stelle (bull, deir inst. 1843. p. 73), um so mehr, da auf vielen Sarko-
phagen Scenen aus dem gewöhnlichen Leben der Verstorbenen gefunden
werden. Hr. R. vergleicht mehrere ähnliche Scenen und vorzüglich zwei
Monumente aus der Provinz Luxemburg aus dem wenig bekannten Werke
von A. TFiltheim, Luciliburgensia Luxemb. 1842.
Eine lange Reihe von kürzeren Abhandlungen werden in den bulle-
iins de l'acad. royale de Brux. mitgetheilt. Dieselben sind von Hrn. R,
in seinen melanges de philologie, d'hist. et d'^antiquites, fascic. I— V, Brux.
1838 — 1846 gesammelt und haben auch in Deutschland die verdiente An-
erkennung und Verbreitung (vorzüglich bei den Archäologen) gefunden.
Diese Aufsätze — 57 an der Zahl — sind von sehr mannigfaltigem Inhalt
und verschiedenem Interesse. Einige berichten über gemachte Ausgra-
bungen und die gewonnenen Funde, andere erklären Inschriften, nament-
lich solche, welche für Belgien speciellen W^erth haben, noch andere be-
reichern die Vasenkunde, z. E. 2 schöne Arbeiten über die fälschlich sog.
Lacrimatorien , über die Gefässe mit Inschriften, die meisten aber geben
Erklärungen von Vasengemälden, vorzüglich aus dem Sagenkreis des
Herkules u. s. w. Auch die römischen Staatsalterthümer gehen nicht
leer aus, indem Hr. R. über die politischen Associationen und über die
Clienten bei den Römern handelt (fasc. II. n. 4 und 5). In Beziehung
auf die erste Schrift können wir mit den gewonnenen Resultaten nicht
übereinstimmen. Hr. R. glaubt nämlich, dass die Römer seit uralter
Zeit wohl organisirte politische Gesellschaften gehabt hätten, ja er geht
zurück bis auf die Zeiten des letzten Tarquinius. Allein er legt auf die
Ausdrücke des Dionysius einen viel zu hohen Werth (htalooL . cpCXoi
n. s. w.) und die Meisten der von ihm als politische Clubisten erkannten
Freunde und Sodales sind Gentilen, Clienten, Freunde oder Sodales
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 423
anderer Art (deren es so viele gab , weit mehr als wir wissen), oder sie
fallen in die Kategorie von politischen Factionen, welche sich einem
Parteihaupte angeschlossen hatten und welche einen wandelbaren Charak-
ter an sich trugen, so dass man sie mit eigentlichen stehenden Sodalitä-
ten nicht zusammenstellen darf. Auch hat Walter , welcher in der
1. Ausg. seiner Gesch. des rÖm. Rechts p. 20 derselben Ansicht wie R.
gewesen war, die betreffenden Sätze in der 2. Ausgabe stillschweigend
weggelassen , jedenfalls weil er sich später von der Unrichtigkeit dieser
Meinung überzeugt hatte. Dagegen hat Hr. R. in der zweiten Schrift
vollkommen Recht, wo er den überzeugenden Beweis führt, dass die
Clienten nicht neben den Plebejern standen, sondern mit zur Plebs ge-
horten. In Becker's Alterth. II. 1. p. 158 ff. ist der Unterschied zwischen
Plebejern und Clienten wiederum angenommen worden, s. dagegen Pauly,
Realencycl. V. p. 1246 f. — Auch finden sich bei den Erklärungen von
Inschriften mehrmals staatsrechtliche Erörterupgen, z. E. über die Au-
gustales u. a. Beiträge zur Texteskritik der alten Schriftsteller sind nur
wenige in den mel. enthalten, nämlich über einige Stellen des Dio Chry-
sost., Parthenius und Antonius Liberalis , sowie über Jul. Cäsar mit Hülfe
von 3 Florent. Codd.
Weniger bekannt sind die letzten in den bullet, erschienenen, aber
noch nicht in die melanges aufgenommenen Schriftchen des Hrn. R. , auf
welche wir die deutschen Leser aufmerksam machen wollen. Zuerst
Tom. XIV. n. 12 d. bull.: sur une inscription latine de la Transylvanie,
welche Inschrift in der Zeitschrift f. Alterthumsvv. 1847. Nr. 38 zuerst
mitgetheilt wurde. Sie ist dem Q. Axius errichtet, welcher unter an-
deren Würden auch die Stelle eines procurator raiion. privat, provinciae
Maurct. Caesariensis , item per Belgiam et duds Germanias und eines
proc. Daciae Apulensis bis vice praesidis bekleidet hatte. Nachdem Hr. R.
die wenigen bekannten Notizen über gens Axia gesammelt hat, spricht er
von der Zeit, welcher die Inschrift angehört, und setzt sie mit Recht
unter oder bald nach Sept. Severus. Nicht unwichtig ist die Inschrift,
weil sie bestätigt, dass die Prov. Dacien in m.^hrere der Verwaltung nach
getrennte Theile zerfiel, indem hier Dac. Apulensis (sog. von Apulum,
Carlsstadt) als besondere Abtheilung erscheint. In den Geographien und
Atlanten der alten Welt ist auf Dac. Apul. noch keine Rücksicht genom-
men worden (auch nicht in dem so eben erschienenen atlas antiq. von
Spruner), obwohl derselbe Name schon bei Orell. inscr. n. 3888 vorkommt.
Auch zeigt die Inschrift, dass unter den Antoninen und ihren Nachfolgern
die Prov. Belgia und Germ, wenigstens in Bezug auf die Finanzverwal-
tung verbunden waren.
Bull. Tom. XVI. n. 3 de Vimpbt d' Auguste sur les successions. Nach-
dem Augustus vom Senat wiederholt eine neue Steuer für die Erhaltung
des Heeres gefordert hatte, machte er selbst den Vorschlag der sog.
vicesima hereditat., von welcher Erbschaftssteuer nur die nächsten Ver-
wandten, so wie die kleinen Hinterlassenschaften befreit waren. Dieser
Vorschlag erregte grosse Unzufriedenheit und nur die Behufs einer Grund-
steuer angedrohte und bereits begonnene Catastrirung des italischen
424 Schul- und Unlversitätsnaclirlchten,
Grundeigentliums machte der Scheu vor der neuen Steuer ein Ende und
die vjces. \\urde eingeführt. Hr. R. betrachtet dieselbe von der politi-
schen und moralischen Seite, wo er auf manchen interessanten Gesichts-
punkt stösst. Als Hauptmotive Äugust's werden erkannt: 1) einen Theil
der zu militärischen Zwecken noth wendigen Steuerlast, welche bisher
nur auf den Provinzen ruhte, auf die Bürger zu legen, 2) durch die
Furcht vor dieser Steuer von dem übermässigen Andränge zur römischen
Civität abzuschrecken , indem nur die röm. Bürger dieser Abgabe unter-
lagen , 3) die Testatoren abzuhalten , ihr Vermögen an andere Personen
ausser ihrer Familie zu vermachen, und dadurch ebenso wohl den Familien
ihr Vermögen zu erhalten als die Heiligkeit des Familienbandes wieder
herzustellen. Auf diese Weise erhält die lex Julia de vices. einen bisher
nicht beachteten Zusammenhang mit mehreren anderen Gesetzen Äugust's,
namentlich mit lex Julia et Pap. Poppaea. In neuester Zeit ist eine um-
fassende Behandlung der Erbschaftssteuer, ihrer Geschichte und ihres
Einflusses auf das Privatrecht erschienen von J. J. Bachofen, in seinen
ausgewählten Lehren des röm. Civilrechts , Bonn 1848. p, 322 — 395,
welche Hrn. R. noch nicht bekannt war.
Bull. Tom. XVI. n. 10. Le complot de Spurlus Maelius, iuge ä Vaide
(Tun fragment recemment decouvert , de Devys d''Halic. Zuerst erzählt
Hr. R. die Katastrophe des Sp. Mael. nach Livius und vergleicht damit
den Bericht des Dion. aus dem XII. Buche, welches Fragment in einem
Msc. des Escurial neuerlich entdeckt worden ist (fragra. bist. Graec, coli.
Müller. Paris, Didot, p. 31 — 36). Beide Erzählungen weichen zwar in
einzelnen Stücken ab, lassen sich aber in der Hauptsache vereinigen.
Viel v\ichtiger ist die Notiz des Dion., dass die beiden Historiker Cincius
Alimentns und Calpurnius Piso die Begebenheit ganz anders erzählt hät-
ten. Nach diesen beiden ist L. Quinct. Cincinnatus in jenem Jahr gar
nicht Dictator gewesen , eben so wenig als Servil. Ahala sein magister
eq., sondern sie sagen, die Senatoren hätten nach den von Minncins ihnen
gemachten Enthüllungen beschlossen, den Sp. Maelins ohne Untersuchung
und Gericht aus dem Wege zu schaffen, und hätten dem Serv. Ahala die-
sen Auftrag gegeben. Demzufolge hätte sich Serv. Ahala nach dem Fo-
rum begeben und sich in dem Augenblicke, als Sp. Mael. das Forum ver-
liess, demselben genähert und ihn unter dem Vorgeben einer Unterhal-
tung mit dem Dolche durchbohrt, worauf er sich in die Curie geflüchtet
hätte, mit dem Ausrufe, dass er auf Befehl des Senats gehandelt habe,
wesshalb er verschont worden sei. — Durch diese Erzählung, welche
sowohl wegen der Autorität der Gewährsmänner, als aus inneren Grün-
den glaubhafter erscheint , als die Tradition des Livius, verschwindet die
angebliche dritte Dictatur des Cincinnatus und zugleich auch der auf
dessen Namen haftende Flecken, so dass nun der Charakter des Cinc. in
peiner ganzen ungetrübten Reinheit erscheint. Mit grosser Wahrschein-
lichkeit zeigt Hr. R., dass man in dem Sp. Maelius nicht sowohl den
Feind des Staates und den nach der Herrschaft Trachtenden, als vielmehr
den Eeind der Adelsaristokratie und den muthmaasslichen künftigen ersten
plebejischen Consul aus dem Wege räumen wollte, ferner, dass Minucius
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 425
durch seine früheren Thaten bei dem Volke keineswegs so geachtet und
beliebt sein konnte, um vom Volke zum ausserordentlichen praefectus
annonae gewählt zu werden, sondern dass er von der Aristokratie zu die-
ser Stelle berufen wurde (nach Dion. durch ein Sconsultum) und dass er
nicht die zur Abhülfe der Noth geeigneten Maassregeln traf, wahrschein-
lich weil er den JVIuth des Volkes durch die Hungersnoth beugen wollte
(worüber sich Maelius nach Dion. vor dem Volke beschwerte). Auch
zeigt Hr. R., dass man bei Maelius keineswegs staatsgefährliche Pläne
voraussetzen dürfe, dass derselbe, da er noch nicht einmal ein öffentliches
Amt bekleidet hätte, keine Hoffnung auf das Gelingen ausschweifender
und ehrgeiziger Pläne habe hegen können und dass er nur in seiner Ei-
genschaft als beliebtes plebejisches Parteihaupt habe fallen müssen. End-
lich beruft sich Hr. R., um die Unschuld des Maelius zu beweisen , auf
die gegen Minucius und Serv, Ahala später erhobenen Anklagen. Wie
interessant dieses Schriftchen sei, bedarf nach dem Gesagten keiner be-
sonderen Versicherung, wir bemerken nur noch, dass es sich, wie alle
Arbeiten des Verf., durch eine sehr klare und geschmackvolle Darstellung
auszeichnet. Auch beurkundet Hr. R. hier wie in allen früheren Schrif-
ten eine sehr genaue Kenntniss der Litteratur, namentlich der deutschen
bis in die neueste Zeit.
HI. Durch die amtliche Wirksamkeit Hrn. R.'s als Universitäts-
lehrer ist hervorgerufen: programme du coui's d^antiquites Jlomaines, con-
siderees sous le point de vue de Vetat , professe ä la faculte de philos. etc.
1847. 23 S. Dieser Leitfaden zerfällt in 4 Hauptabtheilungen, deren
jede aus mehreren Capiteln besteht: I. Des elemenis constitutifs de Vetat
(die Bürger, Ehe, patria pot., Sciaven, Freigelassene, dienten, Patricier
und Plebejer, Tribus , Curien , Centurien, Senatoren , Ritter , nobiles).
JI. Des pouvoirs et de V admivistr ation de Vetat (Comitia, Senatns , Magi-
stratus). HI. De Vcxistcnce materielle et morale de Vetat (Finanz-,
Kriegs-, Gerichtswesen und Religion). IV. De Vetat considere dans
ses relations exterieures (Völkerrecht, socii, proviiiciae, coloniae, munici-
pia). Das lediglich für die akademischen Vorlesungen bestimmte , in
zweckmässiger Ordnung zusammengestellte Programm umfasst nur den
gpeciellen Theil der römischen Staatsalterthüraer , welches, vsie wir hö-
ren, darin seinen Grund hat, dass Hr. R. aus Rücksicht auf die be-
schränkte Zeit der Vorlesungen den allgemeinen Theil mit der Entwicke-
lungsgeschichte der römischen Verfassung weggelassen und wahrschein-
lich auf ein anderes Semester versparen musste.
Dass aber die akademische Thätigkeit Hrn. R.'s von einem glück-
l!chen Erfolge begleitet ist, zeigen zwei Schriften seiner Schüler, obwohl
man bei ihnen noch eine besondere Mitwirkung Hrn. R.'s annehmen darf
(wenigstens bei der ersten), indem es in Belgien Sitte sein soll , dass die
Lehrer ihre Schüler bei Ausarbeitung der Preisschriften nicht allein mit
gutem Rath unterstützen, sondern bei den schwierigen Partien selbst-
thätig mit Hand anlegen. Die eine ist die bei dem allgemeinen Concurs
der belgischen Universitäten von 1842 — 43 gekrönte Preisschrift von
C Dumont, essai sur les coionics romaines. Bruxell. 1844. 57 S. gr. 8.
426 Schul- und Unlversltätsnaclirlchten
(aus den Annales des universites de Belgiqne Tom. IT.), eine mit grossem
Fleiss, Umsicht und Urtheil abgefasste Abhandlung. Cap, 1 behandelt
die Colonien der Alten überhaupt und die der Römer speciell , Cap. 2
die col. civium Rom., Cap. 3 die col. Latin., Cap. -i die colon. milit,,
C ipitel 5 die bei der Coloniengründung üblichen Formalitäten, Cap. 6
die innere Organisation der Colonien. Wir haben nur wenige Irrthümer
bemerkt, z. E. p. 18, dass die Colonien bis zum 2. pun. Kriege meistens
patricisch und nur wenig plebejisch gewesen seien; p. 19, dass das/ewus
semunciarium bei Liv. VII. 27 einen Zinsfuss von 50pCt. bedeute u.s.w.
Die zweite Schrift ist: histoire de la luite entre les patriciens et les ple-
beiens ä Romc depuis Vabolition de la royaute jusqu'ä la nomination du
premier consul pich. Ouvrage posthume d"" Arthur Hennchert, public par
Roulez. Gand 1846. VIII u. 196 S. Lex.-8. Das ganze Buch zeugt von
feinem historischen Takt, guter Kritik und schöner Darstellungsgabe des
talentvollen Verf., welcher während des Preisconcurs von 18-i-i plötzlich
starb, so dass sein Lehrer Hr. Roulez die Schrift herausgab und mit
einer Vorrede begleitete, welche ebenso sehr dem Schüler als dem Leh-
rer zur Ehre gereicht. Wohl nur der erwähnte Todesfall war die Ur-
sache , dass der Concurrent Hennebert*s , H. Schücrmans, den Preis da-
von trug. Seine Schrift: bist, de la lutte etc. Bruxell. 1845 (aus den
Annal.Tom. III.) 247 S. Lex. -8. steht trotzdem, dass sie viel voluminöser
ist, der Henneberfschen Arbeit in jeder Beziehung weit nach. — Zum
Schlüsse sprechen wir noch den Wunsch aus, dass es Hrn. R. bei seinen
unausgesetzten höchst verdienstvollen Bemühungen gelingen möge, der
Philologie in Belgien immer mehr Verehrer und Schüler zu gewinnen,
damit Belgien auch in der Alterthumswissenschaft hinter seinem früheren
Bruderstaate Holland nicht zurückbleibe. [fF. H.]
GÖTTINGEX. Der gelehrte und wahrhaft emsig-fleissige Prof. Dr.
Tiermann fährt fort, jede Gelegenheit, die ihm durch seine amtliche
Stellung geboten wird, zu benutzen, um die Alterthumswissenschaft nach
allen Seiten hin anzubauen, und während so mancher andere Gelehrte sei-
ner Art nur dürftige, magere, abrupte, wenig interessirende Dinge lie-
fert, giebt er immer etwas Ganzes, Rundes, Abgeschlossenes, Ausge-
führtes. Man darf jedes Mal daraufrechnen, durch eine neue Disserta-
tion des Hrn. H. seine Kenntnisse erweitert oder fester begründet oder
von Irrthümern gereinigt zu sehen. Vier Arbeiten der Art liegen uns
vor. Die erste ist erschienen zum Prorectoratswechsel Michaelis 1848
und enthält eine üisputatio de scriptoribus illustribus, quorum tempora
Hieronymus ad Eusebü Chronica annotavit. Da nämlich der Verf. sah,
dass man neuerdings den alten Kirchenvater, welcher früherhin so ge-
achtet worden , über die Achsel pflegt anzusehen und von seinen bio-
graphisch-litterarischen Nachrichten nicht mehr viel hält, so wollte er ein
besseres und verdienteres Urtheil begründen und omnia illius additamenta,
quae quidem ad litterarum latinarum historiam pertinerent ■ — haec enim
et numero plurima et ad usum gravissima et ad dijudicandi facultatem ap-
tissima sunt — ita conjuncta philologorum subjicere, ut jam ipsi de pon-
dere obtrectatorum criminationibus tribuendo apud se statuere possent.
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 427
Der Gegenstand zerfällt in zwei Theile: ein Mal, dass die Wahrheit
derjenigen Angaben, welche Hieronymus selbst gesteht zum grössten
Theile aus Sueton genommen zu haben , mit den Zeugnissen anderer
Schriftsteller zusammengehalten und darnach bemessen , sodann dass die
Zeitbestimmungen, nach welchen entweder Hieronymus oder sein Ab-
schreiber die einzelnen Materien vertheilt haben , auf sichere Punkte und
in Uebereinstimmung mit den übrigen Begebenheiten gebracht werden.
Für jetzt hat er den erstem Theil bearbeitet, den zweiten dabei nur in
soweit berührt, dass er, wenn ein Irrthum in jener Art begangen schien,
die richtigen Jahre angiebt, zugleich jedoch mittelst Vergleichung der
beiden gewichtigsten Ausgaben zeigt, dass die Schuld der Irrthümer nicht
selten allein auf die Abschreiber falle. Im Uebrisen hat er sich über
Sueton und dessen Glaubwürdigkeit nicht ausgelassen , weil ihm darin
Ritschi (Parerga Plaut, p. 609 sqq.) vorgearbeitet, wohl aber alles ge-
sammelt, quae de hominibus ab Hieronymo memoratis aliunde constarent,
und zwar eatenus , quatenus ad illius testimonia aut explicanda aut ca-
stiganda necesse esset, librosve unde accuratior eorum notitia petenda
est, commemoraret, non in doctrinae jactationem , quae nuUa esse potest
in rebus multorum industria passim tractatis, sed ut eis gratificaretur, qni
haec omnia uno obtutu comprehendere vellent. Es sind gerade hundert
litterarisch berühmte oder wenigstens bemerkenswerthe Römer, welche
der Verf. so aufführt und durchnimmt, und wer sich der Geschichte der
römischen Litteratur befleissigt, wird das Programm nicht ohne mannigfache
Belehrung aus der Hand legen.
Zur Ankündigung der akademischen Vorträge für das Winterhalb-
jahr 1848 — 49 schrieb er: De Thrasymacho Chalcedonio sopJiista. Weil
er nämlich beabsichtigte in dem Halbjahre Plato's Werk vom Staate zu
interpretiren , und jener Sophist in demselben nächst Sokrates die Haupt-
rolle spielt, so hielt er es für nicht unpassend, eorum, quae iteratis viro-
rum doctorum curis de Thrasymachi vita studiisque coUecta sunt, velut
summam aliquam oculis commilitonum proposuisse, praesertim quum per
eandem occasionera aliae quaestiones tangi possint, quae ad ipsorum he-
rum iibrorum chronologiam et oeconomiam aditum aperiant. Er sucht zu
dem Ende zuerst die Zeit der Geburt des Thrasymachus zu bestimmen
und äussert sich über diesen Punkt p. 9 also: Omnibus, quae de Thrasy-
machi vita constant, comprehensis nihil opinor obstabit, quominus circi-
ter Ol. LXXX. 4 natum raatureque ad sophisticum vivendi disputandique
genus delatum circa Ol. LXXXVH. Athenas, omnis Graecorum erudi-
tionis theatrum, petiisse statuamus ; ubi quum per aliquot annos novae
sapientiae commenta mercede venditasset , oratoriam artem ex Sicilia ad-
vectam amplexus et scribendo et docendo per belli Peloponnesiaci aeta-
tem ad eam demum famam pervenit, qua inter rhetores graecos ipsius
nomen celebratum est. Hr. H. geht dann (p. 10) zu den Verdiensten des
Mannes um die Beredtsamkeit über und sucht zuletzt (p. 13 sqq.) den
Widerstreit in dem zu lösen: quomodo üeri poterat, ut Plato hominem
tanta tamque merita laude inter aequales aeque ac posteros florentem in
illo libro ita describeret, ut, si in hoc tantum illius memoria servata esset,
428 Schul- und Unirersitatsnachrlcliten,
et moribns et doctrina summopere spernondus videri deberet? Er meint
vornehraÜch, dass in Hinsicht der vom Plato geäusserten Grundsatze des
Thrasymachus nichts übertrieben er;;cheine, wenn man den Geist der
damaligen Zeit überhaupt berücksichtige, und knüpft daran folgende An-
sprache an die Göttinger studirende Jugend, wie sie für dieselbe unter
ähnlichen Verhältnissen gerade passe (p. 14 sq.): Neqne enim litterae
civiiates evertunt, sed si quid in litteris prarum existit, morum publicorum
perversitas vel optima ingcnia contagione sua facillime corrumpit, ut , si
raaxirae pravitatem temporum sentiunt, non tarnen remedia idonea inve-
niant, sed falsa specie occaecati haud rare id ipsum , quod morbi caput
est, mordicus retineant: id quod nostra quoque aetate usn venit , qnae
quum hoc potissimum fato paene ad extremum salutis discrimen pervene-
rit, quod per triginta annos sanorum hominum consilia ab eis, penes quos
summa rerura erat, pertinaciter et süperbe spreta sunt, ne in summa qui-
dera rerum omnium conversione eorum numerus imminutus est, qui soll
sapere sibi viri alienorum consiliorum sanitatem in invidiam et contemtum
adducere conentur. INIulii hodie sunt Thrasymachi; quibus qui Socratica
constantia occurrant, admodum pauci; huic igitur pesti ut medela iuve-
niatur, vestram est prospicere, commiiitones etc.
Im Jahre 1849 hat derselbe Gelehrte bei dem Prorectoratswechsel
eine Abhandlung geschrieben : De i^hilosophorum lonicorum aetatibus.
Wie unsicher die Lebenszeiten der altern griechischen Philosophen sind,
weiss Jeder, der sich einmal gründlich mit der Geschichte der griechi-
schen Philosophie beschäftigt hat. Selbst nach den neuesten Forschungen
eines Clinton u. Ä. ist noch Manches darin dunkel oder schärfer zu be-
stimmen. Weil denn tenebris quidera largaque ambigendi disceptandi-
qae materia ne illa quidem tempora carent, nee leves virorum doctorum
de hoc ip;o argumento controversiae exstant , so hofft er dennoch has
controversias vel sua qualicunque opera aliquatenus expediri et illustrari
posse , und weit gefehlt, ut sententiarum illa varietate ab Institute deter-
reatur, ut propter hanc ipsam causam instauranda hac quaestione non
paucis gratificatnrns esse sibi videatur. Die Abhandlung selbst zerfällt
in IV Abschnitte. Im ersten setzt der Verf. die Grundsätze fest, nach
welchen er den Stoff zu bearbeiten gedenkt, nämlich: ut missa ab initio
omni succes-«ionum ratione id solum persequatur, quod ex antiquis testi-
raoniis historica fide aut probabilitate erui possit. Und als Grund giebt
er an : quippe tum demum ad eam quoque quaestionem redilus patebit,
ecquos philosophos per temporum rationes vel coram inter se committere
vel disciplinae vinculo jüngere liceat; ab initio vero aut per se quemque
spectabimus aut ita tantum cum altero comparabimus, si mutua eorum ne-
cassitudo extra omnem dubitationem posita et a successionis quaestione
prorsus aliena et separata esse videatur. — Um einen festen Boden zu
gewinnen , zerstört der Verf. erst im II. Abschnitte die Angaben der frü-
heren Chronologen, namentlich des Apollodor, und leitet mit Karl Muller
(fragm. historicor. graecor. Paris. 1848. T. II.) die Verschiedenheit der-
selben von der verschiedenen Bestimmung der Epoche des trojanischen
Krieges her. Denn dieser Gelehrte omnera hanc discrepantiam ad ipsius
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 429
epochae Trojanae diversitatem revocavit neque Apollodori majorem in
hac causa auctoritatem esse intellexit quam totius con.puti ab eodem ad
Eratosthenis exempium instiluti , cui et Anaxagorae et Democriti aetates
praeposteie accommodaverit. Auf Müller's Vorarbeit fussend, unter-
nimmt es nun Hr. H., primum Democriti, deinde etiara ceterorum philoso-
phorum tempora ab iniquo Apollodori dominatu liberata ad genuinas ratio-
nes redigere. Im III. Abschnitte fährt er dann s o fort : Nimii um varias
exstare apud antiquos belli Trojani epochas nota res est, quas quum
multi etiam ad aliorum temporum definitionem ita usurparent, ut annorum
intervalla numerarent, quibus res aliqua a Trojae excidio dirimeretur,
facile fieri poterat, ut hoc solo numero noto alii, qui alia epocha Trojana
uterentur, calculis subductis in longe alium alius Olympiadis annum incL-
derent, ac quem primus illius nuraeri auctor designare voluisset. Diese
für die Chronologen der griechischen Geschichte höchst wichtige Bemer-
kung unterstützt der Verf. mit dem Beispiele der verschiedenen Angaben
der Gründung von Syrakus. Aehnlich ist es mit der Bestimmung des
Zeitalters des Democritus, über das er zuletzt zu folgendem Ergebnisse
kommt: Quantum equidem video, status causae jam hie est, ut Apollodori,
Thrasylli, Diodori notationes eadem traditione niti certum sit, nee nisi
in termino differant, quo communiter acceptum annorum intervallum sin-
guli retulerint, Diodori autera terminus multis aliis rebus confirmetur,
quales pro duobus reliquis nuUae afferri possint; quae quum ita sint, non
modo tutissime sed etiam certissime acturi nobis videmur , ubi et Demo-
criti aetatem ad hujus testimonium constituerimus et reliquorum temporum
comparationem ad eandem normam direxerimus. Unter diesen Voraus-
setzungen kommt Hr. H. im IV. Abschnitte zu den Ergebnissen :
Thaies ist geb. Ol. XXXV. 1=^640 v. Chr.; gest. um Ol. L VII. 3 = 550
V. Chr.
Anaximander ist geb. Ol. XLII. 3 = 610 v. Chr. ; gest. um Ol. LIX. 1
z= 544 V. Chr.
Anaxiraenes ist geb. Ol. LV. 1 = 560 v. Chr.; gest. um Ol. LXX. 1
z= 500 V. Chr.
Anaxagoras ist geb. Ol. LXI. 3 = 534 v. Chr. ; gest. Ol. LXXIX. 3 ==
462 v. Chr.
Heraclitus ist geb. um Ol. LXVII = 510 v. Chr. ; gest. Ol. LXXXII
= 450 v. Chr.
Democritus ist geb. Ol. LXXI. 3 = 494 v. Chr.; gest. um Ol. XCIV. 1
= 404 v. Chr.
Zur Ankündigung der akademischen Vorträge für das Winterhalb-
jahr 1849 — 50 schrieb Hr. H. die Abhandlung: De Dracone legumlaiore
Attico. Auch hier waren manche falsche Ansichten und Behauptungen
früherhin aufgestellt worden; zur Beseitigung derselben hat der Verf. das
Nöthige beigebracht und zu folgenden Resultaten das Ganze hingeführt:
.^,Omnino hoc satis demonstrasse nobis videmur, pro illius aetatis condi-
cione et sententia nihil Draconis leges habuisse , quod peculiarem homi-
num in illum iram concitaret; tempora ipsa mutari necesse erat, ut huma-
niorum legum desiderium nasceretur, idque solum Draconi vitio verti
430 Schul- und Universitatsnachrichten,
potest, quod non ut Solo post eum princeps exstitit intelligendi , rerura
publicarum morbos plerumque rectius diaeta et fomentis quum urendo et
secando curari." Diese Verhältnisse benutzt Hr. H. hier wieder mit
Geschick, um der gegenwärtigen atiademischen Jugend für die Jetztzeit
folgende Vermahnung zu geben: ,,Et nos quidem, Commilitones, quantum
in nobis fuit, sedulo curavimus, ut pro pristino rigore liberalitate potius
et dementia regi vos sentiretis ; eodem igitur exemplo cavete, ne quae
vobis forte displicuerint statim Draconia acerbitate daranetis, sed tem-
pora mutari vos quoque cogitetis seraperque videatis , id quod illius factio
non impune neglexit, ne eorura, quae reprehendatis , aliqua in vobis ipsis
culpae pars lateat." — Die tiefern F'orscher des attischen Gerichtswesens
machen wir auf die Bemerkung über die Epheben aufmerksam.
[Dr. H]
Heiligenstadt. Das Programm des hiesigen kÖnigl. Gymnasiums
für das Jahr I8i9 vom Director Martin Rinke wird hauptsächlich gebil-
det durch die wissenschaftliche Abhandlung des Oberlehrers Kramarczik:
Die Kunsträubereien des Cajus Verres, Ein Beitrag zur Erläuterung des
vierten Buches von Cicero^s Anklage des Ferres (62 S. 4.). Hr. K. hatte,
von der Üeberzeugung ausgehend , dass das vierte Buch von Cicero's An-
klage des V^erres sich durch Reichhaltigkeit und sinnreiche Anordnung des
Stoffes, durch Fülle des Ausdrucks und Gewandtheit der Darstellung
nicht minder zur Leetüre auf Gymnasien empfehle, als die meisten Reden
Cicero's, welche gelesen zu werden pflegen, und des belehrenden und
anziehenden Stoffes leicht mehr biete, als manche andere, diese Rede
im Winterhalbjahre 1848 — 49 mit den Primanern seiner Lehranstalt ge-
lesen und vor Beendigung der Leetüre zum Behufe der Reproduction den
Stoff so unter dieselben vertheilt, dass sie nach dem Abschlüsse dersel-
ben über die darin erwähnten Localitäten, Besitzer, Gegenstände, Künst-
ler und Stoffe der Kunstwerke, über die Verhältnisse des römischen und
sicilischen Staats- und Privatlebens nach einander geordnete Uebersichten
in zusammenhängender Darstellung vorzutragen hatten. Durch diese
Sichtung verschiedenen und Zusammenfassung gleichartigen Stoffes war
er selbst zu möglichst gründlicher Durchdringung des Inhaltes dieser
Rede und zu wiederholter Lesung der übrigen angeregt worden. Als
ihm nun der Auftrag ward, die diesjährige Einladungsschrift zu verfassen,
so entschloss ersieh, gerade diesen Gegenstand zu wählen, und so will
er diesen Beitrag zur Erläuterung der Ciceronischen Rede, von der keine
besondere Bearbeitung erschienen sei, als eine Frucht seiner Amtsthätig-
keit angesehen und vorzüglich von diesem Gesichtspunkte aus beurtheilt
wissen. Es ist die Abhandlung auch ganz geeignet, sowohl den Zusam-
menhang dieser Rede mit den übrigen Verrinischen Reden, so weit
es zum Verständnisse derselben nöthig ist, darzulegen, als auch das Ver-
ständniss der einzelnen Reden an sich für den jüngeren Leser zu erleich-
tern , obschon die dem V erf. gesteckten äusseren Grenzen es ihm nicht
verstatteten, den Gegenstand so zu erschöpfen, dass er unter Anderen
hätte auch eine Schilderung des Verlaufs, den der Process von Anfang
bis zu Ende genommen , an die Lebensbeschreibung des Verres anknüpfen
Beförderungen und Ehrenbezeigungen, 431
können, A\ie er Anfangs beabsichtigt hatte. Besonders dankenswerth
ist uns der archäologische Theil der Abhandlung erschienen, durch wel-
chen der Hr. Verf. den pädagogischen und methodischen Zweck erreichen
wollte, praktisch darauf hinzuweisen, wie der philologische Unterricht
durch Anschauung von Kunstformen belebt und erweitert werden könne,
zu welchem Zwecke er namentlich Abbildungen, meist nach K. O. Mül-
ler*« Handbuch der Archäologie der Kunst (Dritte Aufl. von Fr. G. Wel-
cker, Breslau 1848), nachzuweisen bemüht war, was ihm um so weniger
überflüssig zu sein dünkte, als die Ansicht, dass sprachliche Durchdrin-
gung der classischen Werke in Poesie und Prosa ohne Anschauung und
Kenntniss der alten Kunst Stückwerk sei und jene durch diese wesentlich
gefördert werde, zwar bereitwillig anerkannt werde, aber nicht so eifrig
und allgemein, als zu wünschen sei, zur Anwendung komme. Dass übri-
gens der Titel seiner Abhandlung zu enge bezeichnet sei, giebt der Hr.
Verf. im Vorworte selbst zu. In dieser Abhandlung nun, die nicht blos
um ihres pädagogischen und methodischen Zweckes willen, sondern als
ein Schätzenswerther Beitrag zur Erklärung der Verrinischen Reden über-
haupt allgemeinere Beachtung in hohem Grade verdient, beginnt der Hr.
Verf. mit einem kurzen Abrisse des früheren Lebens des römischen Prä-
tors C. Verres, den er nach der gewöhnlichen Annahme, ohne jedoch
neue Argumente dafür geltend zu machen, zu dem Co rneli sehen Ge-
schlechte rechnet, S. 1 — 5, geht dann auf dessen V^erwaltung der Provinz
Sicilien ein und giebt zuerst eine sehr erschöpfende Uebersicht des Ge-
folges von Verwandten, Amtsgehülfen und Dienern, welche denselben
in die Provinz begleiteten, von den beiden Quästoren an bis herab zu
dem jüngsten Helfershelfer des ungerechten Statthalters, S. 6 — 17. Nach
der Angabe, dass Verres schon vor seiner Abreise in Rom auf unrecht-
mässigen Gewinn in der Provinz bedacht gewesen sei, S. 17 u. 18, geht
der Hr. Verf. zunächst ein auf die Art und Weise , wie sich Verres bei
peinlichen Rechtsfällen auf Sicilien benommen, S. 18 — 22, und schildert
sodann die Betrügereien, welche derselbe in Bezug auf die in jener Pro-
vinz üblichen Getreidelieferungen und Abgaben an Cerealien vcigenom-
men, wodurch der Getreidebau auf jener sonst so kornreichen, so über-
aus fruchtbaren Insel beinahe ganz zerrüttet worden sei, S. 22 — 26. Erst
dann geht Hr. K. auf die eigentlichen Kunsträubereien des römischen
Prätors über , bespricht ausführlicher sein Schalten und Walten in
solcher Beziehung auf jener Insel, S. 29 — 56, und schildert endlich in einer
Art Epilog das feigherzige, dabei aber immerhin wieder grausame Be-
nehmen des verabscheuungswürdigen Statthalters, S. 56 — 62. Die Dar-
stellung des Hrn. Verf. ist in stilistischer Hinsicht leicht und lebendig,
hinsichtlich des Stoffes reich und erschöpfend zu nennen und Ref. erlaubt
sich nur folgende Bemerkungen zu machen. Fürs Erste will es ihm
bedünken , als ob Hr. K., weil die Hauptquelle über C. Verres' Verwal-
tung eben nur Cicero's Anklagereden bilden , allzusehr in den Geist sei-
nes Originals eingegangen und mit allzugrosser, fast accusatorischer Ge-
hässigkeit gegen den immerhin ruchlosen Statthalter spreche, dessen
Vertheidiger, wenn sie auch im Allgemeinen an seiner Freisprechung
432 Schul- und Universitätsnachrichten,
verzweifeln mussten , doch im Einzelnen sicher noch Manches w ürden in
besserem Lichte haben darstellen können, es nicht erwägend, dass der
Redner mit der Actio prima den eigentlich historischen Boden verlassen
und in den fünf Büchern der eigentlichen Anklage eine Art von Normal-
anklage auszuarbeiten begann , zu deren Vollendung er reicheren Stoff
herbeizog und denselben in weit ausgesponnener Darstellung den Lesern
vorzuführen bemüht ist. Fürs Zweite vermisst der Ref. noch die Be-
sprechung der und jener allgemeineren Frage in Hrn. Kr. 's Abhandlung,
deren Beantwortung zur Erläuterung und zum richtigen Verständnisse der
ganzen Rede beinahe nothwendiger gewesen sein möchte, als manches
sonst Beigebrachte. Es ist dies erstens die Frage, über welche seit
Winckelmann die Alterthumsforscher nicht einig gewesen, über die
Art und Weise, wie Cicero seine eigene Kenntniss der griechischen Kunst-
werke und sein eigenes Wohlgefallen an denselben zu verhehlen Bedacht
nimmt , vgl. Q. u i n c t i 1 i a n In:>t. or. 9, 2, 61 sq. M e y e r zu W i n c k e 1-
mann's Werken Bd. 6. S. 271 und dagegen W. A. Becker De comicis
Romanorum fahulis maxime Plautinis Quaestiones p. 29, welchem letzteren
achtbaren Gelehrten Ref. aber keinesweijs beipflichten kann, wenn er
Cicero's Bemühung, seine Kenntniss in einer, wenn auch nicht öffentlich
gehaltenen, doch als zur öffentlichen Abhaltung geeignet ausgearbeiteten
Rede zu verläugnen, in Abrede stellt; die Berufung auf Cicero's Rede
pro Archia poeta passt nicht, weil dort Cicero für einen gebildeten Grie-
chen vor seinem Bruder Quintus und vor einem befreundeten Richter-
kreise spricht und weiter keine Rücksichten nimmt und zu nehmen braucht.
Eine Erörterung dieses Punktes hätte der Ref. von Hrn. Kr., der sich über-
all als einen besonnenen und wohl unterrichteten Gelehrten zeigt, gerne
gesehen, nicht minder eine genauere Erwägung, ob die Hauptmotive zu
Verres' Plünderungen blosse Habsucht, oder Kunstliebhaberei gewesen.
Das Erstere will uns freilich sein Ankläger lieber glauben machen, als
das Letztere, er freilich, weil so die Anklage härter und gewichtiger
erschien und keinem Milderungsgrunde Raum ward. Letzteres macht
jedoch manches Einzelne wahrscheinlicher. Damit würde nun auch die
Frage, ob Verres so wenig Kenntnisse von jenen Kunstsachen besessen,
als uns der Redner glauben machen will, oder nicht, zusammenhängen.
Ref. will nicht den Sachwalter des verurtheilten Statthalters machen,
allein die Wahrheit liegt gewiss auch hier in der Mitte und er hat sich
stets bemüht, seine Zuhörer bei Erklärung der Reden der Allen dar-
auf aufmerksam zu machen , dass wir in ihnen nur eine einseitige Darstel-
lung besitzen, damit sie auch bei der Beurtheilung der Geschichtsquellen
im Allgemeinen mit Vorsicht zu Werke zu gehen sich gewöhnen, ein Um-
stand, dessen Nichtbeachtung so frühzeitig die geschichtliche üeberliefe-
run^T lügenhaft gemacht hat. Doch wir finden, abgesehen von der rein
praktischen und methodischen Seite, so viele treffliche Bemerkungen in
der Abhandlung des Hrn. Kr., dass wir von diesen Unterlassungssünden
wohl füglich absehen können, zumal wir nicht wissen, ob nicht vielleicht
der gelehrte Hr. Verf. selbst, wäre ihm mehr Raum verstattet gewesen,
auch jene Punkte auf lehrreiche Weise mit würde besprochen haben. Wir
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 433
bemerken lieber noch einige der Stellen, an welchen der Hr. Verf. ein-
zelne dunkle oder zweifelhafte Punkte der Verrinischen Reden auf lehr-
reiche Weise besprochen hat, deren es allerdings eine grosse Zahl giebt,
wie gleich S. 4, wo der Ausdruck columnas ad perpendiculum cxigere in
Bezug auf y/ccus. 1, 51, 133 sqq. unter Benutzung der Stelle Cicero ad
Quint. fratr. 3, 1, 2 Columnas negue rectas neque e regione Diphilus collo-
carat. Eas scUicet demolietur. Aliquando perpendiculo et linea discet uti,
dahin erklärt wird, dass die Prüfung habe ermitteln sollen, ob die Axe
lüthrecht sei. S. 13, wo in der Anmerkung **) mit Recht darauf auf-
merksam gemacht wird, dass in K. O. MüUer's Handb. der Archäol.
3. Ausg. S. 225 Hiero fälschlich als Maler statt als Wachsbossirer aufge-
führt worden sei, auf Grund der falsch verstandenen Stelle Accus. 4, 13, 30,
die er richtig nach Accus. 3, 28, 69 deutet. S. 27 fg. Anm. *), wo die
Zurapt'sche Auffassung der Stelle Accus. 1, 20, 53 von dem aspendischen
Citherspieler neu begründet wird. S. 29, wo in Bezug auf die Stelle
Accus. 4, 1, 1 Hr. Kr. der Ansicht von Klotz beitritt, dass unter pi-
cturae in textili unter Berücksichtigung der Stelle Accus. 4, 12, 27 und
unter Erinnerung an die Raphael'schen Tapeten und Gobelins kunstvolle
Tapeten zu verstehen seien, entgegen der Ansicht K. O. Müller's Hand-
buch §. 319. Anm. 6, der Gemälde auf Leinwand darunter versteht. S.31,
wo er mit Recht bemerkt, dass Zumpt in der Stelle Accus. 4, 3, 6 bei
basilicae mit Unrecht an die basilica Porcia und Opimia gedacht habe,
statt der letzteren, die zweifelhaft sei, habe er die ^enn7/a nennen sollen;
nach W. A. Becker Handb. der röm. Alterth. Bd. 1. S. 301 fgg. S. 32
die Besprechung der pcripetasmata Attalica, die mit dem Uebersetzer in
Jahn's Jahrbb. Supplementb. 13. S. 140 für Thürvorhänge erklärt werden.
S. 41, wo Accus. 4, 34, 75 die Zumpt'sche Erklärung der Worte: Uli vero
dicere ^ sibi id nefas esse etc. mit Recht verworfen und die Entscheidung
der Sache der ganzen Gemeinde vindicirt wird. S. 44, wo Hr. K. der
Klotz'schen Erklärung in Bezug auf die Worte Accus. 4, 40, 87 cum esset
vinctus nudus in aere, in imbri, in frigore, wonach aere, nicht cere zu
lesen und von dem Luftzuge, nicht von der ehernen Statue zu verstehen
sei, wegen der Parallelen in imbri , in frigore unbedenklich beitritt.
S. 44 fg. , wo die Stelle Accus. 4, 43, 94 convolsis repagulis ecfra-
ctisque valvis erklärt wird : sie stemmen mit solcher Gewaltund
so oft gegen dieThüre, bis der Bolzen (ßdkavog) aus der
Höhlung (ßccXciVocdoKr}) wich, und in Bezug Siuf Sophocl. Oed. R. 1261
eine ähnliche Erklärungsweise gegen Wunder behauptet wird. S. 47, wo
in Bezug auf Accus. 4, 48, 106 der Ausdruck inflammasse mit Recht gegen
Zumpt's Bedenken gerechtfertigt wird. S. 51, wo in der Stelle Accus.
4, 55, 123 die Zumpt'sche Lesart: hie etiam illorum (st. deorum} monu-
mcnta atque ornamenta sustulit gerechtfertigt wird. S. 82, wo in Be-
zug auf Accus. 4, 56, 124 Gorgonis os sehr richtig durch Gorgomaske
übersetzt und os für Gesicht oder Vorderhaupt erklärt wird, unter Be-
rufung auf K. O. Müller's Handb. der Archäol. §. 345, u. dergl. m. —
Dies möge hinreichen, die Freunde der Alterthumskunde auf die an-
spruchslose, aber höchst interessante Gelegenheitsschrift aufmerksam zu
iV. Jahrb. f. Phil, u. Päd. od. Krit. Bibl. Bd. LVIII. Hft. 4. 28
434 Schul- und UnivcrsitKtsnachricliten,
machen und dem Hrn. Verf. zu beweisen , dass Ref. seiner Darstellung mit
voller Aufmerksamkeit gefolgt ist. Vielleicht findet der gelehrte Herr
Verf. bald wieder Gelegenheit einen ähnlichen Stoff auf gleich lehrreiche
>Veise zu bearbeiten. — Von eigentlichen Schulnachrichten ist dem Pro-
gramme blos die Ankündigung der öffentlichen Prüfung beigegeben ; aus-
führlichere Schulnachrichten sollten s^päter ausgegeben werden , sind uns
aber zur Zeit noch nicht zugekommen. \R. JST.]
HANNOVER.
1) Das Programm des Llneburger Johanneums von Ostern 1849
enthält eine Abhandlung des Rectors Junghanns: De Oedipi Colonei ora-
cutis et exsecrationibus , ferner eine Abhandlung: Die Realschule zu Lüne-
burg vom Director derselben Dr. Folger und Schulnachrichten vom Di-
rector Iloffmann. Das Johanneum besteht nämlich aus einem Gymnasium
und davon völlig getrennter Realschule mit 3 Ciassen , deren Special-
director Dr. Volger ist; Director der gesaramten Anstalt ist Dir. Hoff-
mann. Letzterer wurde zu Anfang des Jahres 1849 für den inzwischen
zum Mitglied des Ober-Schulcollegiums ernannten Director Dr. Schmal-
fuss berufen; ausserdem war Dr. ZicZ aus dem Lehrercollegium geschieden,
um eine Pfarrstelle zu übernehmen. Die Schülerzahl der gesammten An-
stalt betrug am 1. März 1849 345; davon kamen auf die Realschule 95.
Die r. Classe des Gymnas. hatte 16, H. 15, HI. 36, IV. 41, V. 41, VI. 50,
VII. 51 Schüler; die I. Realclasse 12, II. 35, III. 48. Gestorben waren
im Verlaufe des Jahres 3 Schüler.
2) Das Programm des Gymnasiums zu Clausthal von Ostern 1848
enthält eine Abhandlung lieber die Errichtung von Parallel-Classen in den
Gymnasien und Progymnasien nebst Schulnachrichten vom Director Elster.
Die Abhandlung beweist, obwohl dies ihr Zweck keineswegs ist, dass
halbe Maassregeln nichts taugen und eine völlige Trennung der Studiren-
den und Nichtstudirenden für beide nothwendig ist. — Für den Unter-
richt in den neueren Sprachen wurde, hauptsächlich für die Parallelclas-
sen , der Cand. theol. Fromme angestellt. — Die Schülerzahl findet
sich nicht angegeben. Zur Universität gingen Ostern 1847 wie Michae-
lis 1847 4 Schüler ab.
3) Das Osterprogramm des Progymnasiums zu Otterndorf ent-
hält eine Abhandlung des Conrectors Baumeister: Bemerkungen über das
Verhältniss von Schule und Haus, zunächst veranlasst durch locale Be-
ziehungen. Diese umfangreiche Abhandlung , obwohl ziemlich planlos
geschrieben und mit Excerpten aus den verschiedensten Schriften durch-
webt, hat viel gute und beherzigenswerthe Gedanken; anzuerkennen ist
vor Allem die consequente Durchführung der streng kirchlichen Auffas-
sung auf dem Gebiete der Schule. ■ — ■ Schulnachrichten vom Rector
Vennigerholz. Darnach betrug die Zahl der Schüler in 4 Ciassen 85
(I. 6, II. 17, III. 33, IV. 29); an der Errichtung einer 5. Classe wird ge-
arbeitet, so dass dann die Anstalt mit Einschluss der jetzt schon beste-
henden Vorbereitnngsclasse aus 6 Ciassen bestehen wird.
4) Michaelis-Programm von 1848 des Gymnasiums zu Emden enthält
eine Abhandlung des Oberlehrers Bleske: Zur Grammatik betitelt. Der
ßeförderangen and Ehrenbezeigungen. 435
Titel berechtigt zu anderen Erwartungen, als die Abhandlung erfüllt;
denn nach einigen Bemerkungen allgemeinerer Art giebt der Verf. haupt-
sächlich nur Bemerkungen, die meistens freilich recht praktisch sind und
auf dem Boden der Schule selbst erwachsen , zu Hertel's französischer
Grammatik. Dann folgen Schuhiachrichten vom Director Brandt. Der
Bestand der Schüler in 6 Classen war folgender:
I. II. iir. IV. V. vr. Sa.
Im Sommer 1847: 14 17 25 31 32 34 153
„ „ 1848: 19 19 26 39 37 41 181
Aus dem Lehrercollegium war geschieden der Rector Dr. Krüger, um in
Hannover die Redaction der Hannoverschen Zeitung zu übernehmen. Seine
Stelle war noch nicht wieder besetzt. (Inzwischen ist derselbe nach
Niederlegung der Zeitungsredaction wieder in seine frühere Stellung zu-
rückgetreten.)
5) Osterprogramm des Rathsgymnasiums zu Osnabrück 1848. In-
halt : lieber den Unterricht im Deutschen in den unteren und mittleren
Gymnasialclassen vom Subconrector G. A. Hartmann und Schulchronik
für das Jahr 1848. Darnach bestand die Schülerzahl aus 209; in I. 12,
H. 12, III, 32, wovon 13 in der Realabtheilung, in IV. 59, worunter 37
Realisten, in V. 54, VI. 40. üeber die geringe Betheiligung der Schüler, na-
mentlich der älteren, am Turnunterrichc wird geklagt; eine Klage, die von
fast allen Hannov. Schulen wiederholt wird u. wahrscheinlich ihren vornehm-
lichsten Grund in der Thatsache findet, dass an manchen Orten das Tur-
nen nach 1830 als gefährlich betrachtet und sogar von den oberen Be-
hörden verboten wurde, wo sich Neigung dazu zeigte. Nun das Turnen
geboten wird, zeigt sich dagegen eine bedauerliche, aber natürliche
Reaction. — Das Lehrercollegium besteht ans folgenden Mitgliedern:
Director Abeken, Rector Stüve, Conrector Meyer, Conrector Feldhoff,
Lehrer der Mathematik und Physik, Subconrector Tiemann^ Subconrec-
tor Hartmann , Dr. Klopp, Nolte^ v. Lucenay, Lehrer der franz. Sprache,
JFellenkamp, Schreiblehrer, Eggemann für verschiedene Fächer (?), Mey~
ert, Lehrer des Franz. und Engl,, Thorbeck, Gesanglehrer*
6) Das Programm des (kathol.) Carolinums zu Osnabrtjck vom Di-
rector Norsheider enthält nebst dem Lectionsplane nur einige Schulnach-
richten. Darnach war der Oberlehrer Lansing von seiner einjährigen
wissenschaftlichen Reise nach Paris und London zurückgekehrt und hatte
das Ordinariat von Quarta wieder übernommen. Ausserdem waren die
Herren Meurer , Schmeisser , Peters und Sommer als Lehrer angestellt.
— Für Quarta und Tertia waren Real- oder Parallelstunden eingerichtet.
Die Lehrerconferenzen finden allwöchentlich Statt. Die Schüler ver-
theilten sich auf die verschiedeneu Abtheilungen so:
I. (super.). I.(infer.). II. III. lV.(Stud.). IV. (Nichst.). V. VI. VIL Sa.
6 12 9 12 15 9 25 16 22 136
7) Programm des Gymnasiums zu GÖTTiNf4EN 1849. Inhalt: lie-
ber die rednerische Kunst in der ersten Philippischen Rede des Dcmosthe-
nes vom Conrector Schöning, nebst Schulnachrichten vom Director Gef-
fcrs. Die Abhandlung beginnt mit einigen einleitenden Bemerkungen über
28*
436 Schul- und Universitatsnaclirichten,
die Leetüre des Demosthenes in Prima überhaupt , giebt dann einige all-
gemeine Bemerkungen über den Bau der polit. Reden des Demosthenes,
erörtert alsdann die geschichtlichen Verhältnisse, die der Rede zum Grunde
liegen, und gelangt so zum eigentlichen Thema der Abhandlung, das in
gründlicher und klarer Weise abgehandelt wird und als Beitrag zur rich-
tigen Auffassung antiker Kunstbildung recht willkommen zu heissen ist.
— Ins LehrercoUegium war Dr. Muhlcrt neu eingetreten, hauptsächlich
für den Parallelunterricht ; die Gesammtzahl der Schüler belief sich auf
222, aus der Stadt 154, Auswärtige 67. Davon waren in
I. Gross II. Klein-II. III. IV. V. VI. Sa.
18 23 29 27 50 46 29 222
An Nichtstudirenden waren in Grosssecunda 4, in Kleinsecunda 8, in Ter-
tia 11, in Quarta 26, im Ganzen 49. [JB^.]
Heidelberg. In einer Zeit, in welcher auch nicht ein Einzelner
völlig unberührt blieb von den Bewegungen, die den Staat erschütterten,
wird es auch nicht leicht eine Schule geben, die jeder Berührung sich
hätte entziehen können. Doch an unserer Stadt ist die drohende Wolke
des Ungewitters vorübergegangen, ohne sich völlig entladen zu haben,
und so war denn auch das hiesige Lyceum von dem Geschicke soweit be-
günstigt, dass eine völlige Unterbrechung des Unterrichtes nur vier Tage
nach einander (vom 20. bis 23. Juni) stattfand. — Wohl hatte die Mehr-
zahl der Schüler der obersten Jahrescurse theils unter der Obsorge ihrer
Eltern, theils durch den Zwang der äusseren Verhältnisse die Schule und
die Stadt verlassen. Doch sind bei weitem die Meisten sehr zeitig wie-
der zurückgekehrt, ohne dass wir den Verlust eines einzigen Schülers zu
bedauern hätten.
In dem Lehrerpersonale sind mehrere Veränderungen eingetreten.
Im Anfange des Schuljahres trat an die Stelle des katholischen Religions-
lehrers (deren Gehalt verdoppelt und dadurch gleichsam neu fundirt
wurde, wie schon das Programm des vorigen Jahres berichtet, vergl.
NJahrbb. Bd. LIV. Hft. 3. S. 326) Lehrer Eckert von dem Lyceum in
Freiburg ein. Der früher hier angestellte katholische Religionslehrer
Trost ging als solcher an das Lyceum in Mannheim über. Während im
vorigen Jahre Dr. Jülg vorübergehend der Anstalt zur Aushülfe zuge-
standen war, wurde, in Anerkennung des Bedürfnisses, die Lehrkräfte
der hiesigen Schule zu vermehren, Lehramtspraktikant Dr. Habermehl an
der Anstalt angestellt. — Auf das früher von Prof. Behaghel schon wie-
derholt gestellte Ansuchen, ihn des naturhistorischen Unterrichts, den er
nur aushülfsweise übernommen hatte , zu entheben, wurde beim Beginn
des Schuljahres durch den Grossherzogl. Oberstudienrath dieser Unter-
richt theils an Lehrer Riegel, theils an Dr. Habermehl übertragen. Spä-
ter — im Anfange Februars — trat Lehrer Riegel auch in die sämmt-
lichen Unterrichtsstunden des Lehrers Reinbold ein , als dieser eine Be-
förderung an die Knabenschule in Freiburg erhielt. Bei der Aufzählung
der Veränderungen erwähnt der derzeitige Director der Anstalt *) , Hof-
*) Früher bestand in Heidelberg das alte reformirte Gymnasium und
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 437
rath Feldbausch, in dem Programme, welchem wir diese Mittheilungen
entnehmen, mit innigstem Danke, dass ihm durch die Gnade Sr. Königl.
Hoheit des Grossherzogs mittelst 8taatsministerialbeschlusses vom 7. Oct.
1848 gestattet wurde, auf seiner hiesigen Stelle zu verbleiben, nachdem
ihm eine Beförderung an eine andere Anstalt des Landes zuerkannt war.
Das hiesige Lyceum aber kann sich nur Glück wünschen, diesen als gründ-
lichen Gelehrten wie als tüchtigen Lehrer gleich ausgezeichneten Mann
zu behalten.
Als Eph or US wirkte, wie seit einer Reihe von Jahren, so auch
in dem abgelaufenen Schuljahre Hr. Geheime Hofrath und Oberbibliothe-
kar Dr. Bahr mit anerkennensvverthem Eifer und weiser Umsicht für das
fortdauernde Wohl und Gedeihen der Anstalt, welche ihm dafür zum
wärrasten Danke verpflichtet ist.
Im Laufe des Schuljahres erhielt die Lyceumsbibliothek mehrere
werthvoUe Geschenke, und zwar von einem ausgezeichneten ehemaligen
Schüler der Anstalt, Dr. Max. Nägele, Privatdocenten an der Universi-
tät Heidelberg , dessen „Studien über Altitalisches und Römisches Staats-
und Rechtsleben,'-'' Schaffhausen, Hurter. 18i9. 8. Von dem ehrenwer-
then Veteranen der deutschen Schulmänner, Director Georg Friedrich
Grotefend in Hannover, dessen „Rudimenta linguae Umbricae.^'^ 8 Hefte
in 4. Hannover, 1835 — 1839, nebst der Ehrenmedaille des Pastor Bödeker
in Hannover, in Bronze. Von dem Professor an dm hiesigen Lyceum,
Leber, die von ihm ins Deutsche übersetzte „Geschichte des Königreichs
Neapel, von Coletta.'^ 8 Theile. Grimma, 1848. 8.
Von den Stipendien, welche dieses Jahr an Schüler des Lyceums
vertheilt wurden, erhielten 8 katholische Schüler aus den landesherrlichen
theologischen Stipendien zusammen 850 fl., 9 protestantische Schüler er-
hielten aus den Neckarschul-Stipendien 675 fl., 1 Schüler aus dem Rhein-
bischofsheimer Dispensationsgelder- Fonds 150 fl. — Die Marianischen
Stipendien sind bis jetzt (6. August 1849) noch nicht vertheilt. — Als
Preis der Lauter'schen Stiftung (das Ausführlichere über diese Stiftung
siehe NJahrbb. a. a. O. S. 326) wurde die „Lyrik der Deutschen von Hein-
rich Friedrich JFilhelmi^^ und ^^Schiller^s dreissigjähriger Krieg ^'^ einem
das im Jahre 1705 von den Jesuiten hier begründete katholische Gym-
nasium. Unter der Regierung des Grossherzogs Karl Friedrich wurden
im Jahre 1808 beide Anstalten, welche den bei weitem grössten Theil
ihrer Einkünfte aus den betreffenden kirchlichen Fonds zofien, zu einem
gemeinschaftlichen Gymnasium vereinigt. Die bisherigen Einkünfte^ be-
hielt die vereinigte Anstalt nicht nur, sondern sie wurden aus den kirch-
lichen Mltte'n beider Confessionen noch erhöht, dabei aber die Bestim-
mung getroffen , dass die Direction der Anstalt zwischen den zwei ersten
Lehrern dieser Confessionen abwechseln solle. — Diese Anordnung be-
steht noch, und in Folge derselben wechselt jetzt alle 2 Jahre die Di-
rection der Anstalt zwischen Hofrath Feldbausch (katholischer Seits)
und Professor Hautz (cvangel. protest. Seits.) (Vgl. NJahrbb. Bd. LIV.
Heft 3. S. 326.)
43S Schul- und Universitätsnachrichten,
sehr fleissigen und durchaus wohlgesitteten Schüler der Unter-Sexta nach
dem einstimmigen Beschluss der Lehrerconferenz zuerkannt.
Am 18. October 1846 fand in feierlicher und erhebender Weise die
Jubelfeier der 300jährigen Stiftung des hiesigen Lyceums *) Statt. Um
nun der Feier dieses festlichen Tages ein würdiges und bleibendes Denk-
mal zu stiften, haben sich bei dem Feste selbst viele ehemalige Schüler
und Freunde der Anstalt dahin vereinigt, als Ausdruck ihres Dankes
durch freiwillige Beiträge ein „Jubiläums- Stipendium^'' zu begründen,
welches einem durch Sittlichkeit und Fleiss ausgezeichneten, dürftigen
Schüler des Ljceums, ohne Rücksicht auf Glaubensbekenntniss , jährlich
verabfolgt werden solle. Das Unternehmen fand die lebhafteste Theil-
nahme. Die Unterzeichnung der Beiträge begann bei dem Festessen und
lieferte das erfreuliche Resultat, dass gegen 500 fl, sogleich gezeichnet
wurden. Da jedoch diese Summe nicht hinreichte, um mit deren Zinsen
einen dürftigen Schüler wesentlich zu unterstützen, so hat das zu diesem
Zwecke zusammengetretene Comite beschlossen , erst dann den Ertrag
des eingegangenen Geldes zu einem Stipendium zu verwenden, wenn
durch Zinsgutschrift und vorzüglich durch fernere Beiträge das Capital
auf „tausend Guldcn^^ angewachsen sein würde. Der Beschluss des Co-
mite's fand bei ehemaligen Schülern und Freunden der Anstalt die dan-
kenswertheste Unterstützung. Neue Beiträge wurden gezeichnet und
wir können die erfreuliche Mittheilung machen, dass nach einer im Laufe
des Monats Juli 1849 von der Verwaltung der Grossherzogl. Lyceums-
kasse abgegebenen Notiz der gegenwärtige Stand der für diesen Zweck
bestimmten Gelder 959 fl. 33 kr. beträgt und somit im Laufe des nächsten
Jahres das Stipendium ins Leben treten kann, wenn in demselben die
versprochenen oder noch rückständigen Subscriptionen , welche in den
schlimmen Tagen des verflossenen und gegenwärtigen Jahres nicht völlig
abgetragen werden konnten, an die Grossherzogl. Lyceumskasse ent-
richtet werden.
Am Schlüsse des Schuljahres 1847 — 48 wurden 9 Schüler zur Uni-
versität entlassen, wovon 1 der evangel. Theologie und Philologie, 1 der
evangel. Theologie, 1 der kathol. Theologie, 1 der Jurisprudenz, 2 der
Medicin und 3 dem Cameralfache sich widmen. An Ostern 1849 gingen
2 Schüler zur Universität über, der Eine zur evangel. Theologie und der
Andere zum Cameralfache.
Im Laufe dieses Schuljahres besuchten 205 Schüler die Anstalt.
Unter diesen sind 132 Protestanten, 68 Katholiken, 5 Isrealiten. Aus-
länder sind darunter 11; Auswärtige, deren Eltern nicht in hiesiger
Stadt wohnen, 76. Im Schuljahre 1847 — 48 betrug die Gesammtzahl der
Schüler 226 (NJahrbb. a. a. O. S. 325).
*) Vergl. Jubelfeier der 300jährigen Stiftung des Grossherzogl. Ly-
ceums zu Heidelberg. Beschrieben und nebst den der Anstalt zugegan-
genen Zuschriften und den bei der P'eier gehaltenen Reden herausgege-
ben von Johann Friedrich Hautz, Professor und d. Z. Director des
Lvceums. Heidelberg, akademische Verlagshandlung von J. C. B.Mohr.
1847. 8.
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 439
Als wissenschaftliche Beilage ist dem Programme eine von dem alter-
nirenden Director, Professor llautz, ausgearbeitete Geschichte der vor-
mals in Heidelberg bestandenen Neckarschule (schola Nicrina) beigege-
ben. Schon im vorigen Jahre sollte sie als Beigabe zu dem Programme
erscheinen (NJahrbb. Bd. LIV. Hfl. 1. S. 327). Allein da der ge-
schichtliche Stoff aus den die Neckarschule betreffenden Actenstücken in
reicherem Mkasse, als der Verfasser erwartet hatte, sich darbot, so
musste die sorgfältige Durchsicht dieser Acten die Vollendung der Arbeit
verzögern. Die Aufgabe , welche sich der Verf. bei der Ausarbeitung
dieser Schrift gestellt hat, ist nach der Vorrede S. IV ,,eine einfache,
schlichte, den unmittelbarsten Quellen entnommene Darstellung dieser An-
stalt zu geben, welche ihre frühere und spätere Vergangenheit möglichst
vollständig und zusammenhängend schildern soll, besonders in der be-
wegten, unruhevollen, für Heidelberg wie für die ganze Pfalz theilweise
so verderblichen und dennoch in mancher, besonders litterarischer Be-
ziehung , wieder auch so segensreichen Zeit der letzten zwei Jahrhun-
derte." Der Titel der Schrift, welche auch in den Buchhandel gekom-
men ist , heisst vollständig : „GescJiichte der Neckarschule in Heidelberg
von ihrem Ursprünge im 12. Jahrhundert bis zu ihrer AufJiebung im An-
fange des 19. Jahrhunderts. Bearbeitet nach handschriftlichen , bis jetzt
noch nicht gedruckten Quellen und nebst den wichtigsten Urkunden her-
ausgegeben von Johann Friedrich Hautz u. s. w. Heidelberg, 1849.
Akademische Verlagshandlung von J. C. B. Mohr." XH und 200 S. 8.
Die Schrift selbst ist bereits in diesen Blättern (Bd. LVHT. Hft. 1. S. 75
bis 79) von K. Geib angezeigt und besprochen worden. Wir glauben
daher auf diese Anzeige um so mehr uns beziehen zu dürfen, als deren
Verfasser ein eben so ausgezeichneter Kenner des classischen Alterthums
als gelehrter Forscher der pfälzischen Geschichte ist, ,,zu dessen I^ieb-
lingsstudien die Beschreitung dieses vaterländischen P^eldes gehört." (Vgl.
NJahrbb. a. a. O. S. 78.)
Wir dürfen unsern Bericht über das hiesige Lyceum nicht schliessen,
ohne noch einer besonderen Feier zu gedenken , w eiche am Schlüsse des
Schuljahres stattgefunden hat. — Obwohl die Zeitve^hältnisse die Nöthi-
gung auferlegten, dieses Schuljahr ohne öffentlichen Schlussact zu beenden
(s, die betr. Verfügung der Grossh. Oberstudienbehörde in NJahrbb. Bd. 58.
Hft. 1. S. 79. 80), so wollte doch der dermalige Director, Hofrath Feld-
bausch, die Schüler, namentlich die reiferen unter ihnen, nicht scheiden
sehen, ohne einige Worte an sie gerichtet zu haben. — Er that dieses
in einer schönen, gehaltvollen und herzlichen Rede, welche auch in wei-
teren Kreisen bekannt zu werden verdient, und wir können nur unsere
Freude darüber aussprechen, dass sie von dem würdigen Verfasser unter
folgendem Titel in den Druck gegeben wurde : ,,Jn die studirende Ju-
gend des Vaterlandes. Schulrede bei dem Schlüsse des Sommercurses
am Lyceum zu Heidelberg. Von F. S. Feldbausch. Heidelberg , 1849.
Druck und Verlag von Julius Groos. 15 S. gr. 8." Der Verf. geht in
dieser Rede von den Begebenheiten und Erlebnissen der jüngsten Tage
aus, welche in dem erfahrenen wohldenkenden Manne nur den tiefsten
440 Schul - und Univers'itätsnachrichten
Schmerz hervorrufen können, und welche über unser schönes Vaterland,
das im Stande war mit jedem andern deutschen Gaue sich zu messen in
der Fruchtbarkeit und Anmuth des Bodens, in der Wohlhabenheit seiner
Bewohner, in der Freiheit seiner Institutionen, so grosses Unglück ge-
bracht haben. Er weist darauf hin, wie wir nicht nur der unsinnigen
Willkur von Verführern und Verführten aus unserem eigenen Lande, son-
dern auch von einer Menge fremder Abenteurer anheim gegeben waren,
die — wie Raben um den Galgen — von West und Süd und Nord zu-
samraenflogen in das schöne Baden. Dann wird ausgeführt, dass, sollen
unsere Verhältnisse zum Guten sich gestalten , dies auch mit auf der wah-
ren Vaterlandsliebe seiner Bürger und auf der Vaterlandsliebe der Jugend
beruhe, welche heranreife, um mit höherer Ausbildung in eine erspriess-
liche Wirksamkeit im Staate einzutreten, und an dem Beispiele von So-
cratcs gezeigt, mit welchen Eigenschaften die rechte Vaterlandsliebe in
dem wahrhaft edeln , einsichtsvollen Manne sich zu vereinen pflege, und
die vielfach bestätigte Erfahrung vor die Seele geführt, ,,fZass die ein-
sichtsvollsten Männer immer die bescheidensten st/?rf"; zugleich aber auch
dargethan, wie eng mit der wahren Bescheidenheit heilige Achtung vor
dem Gesetze und vor der Religion verbunden sei. — Wir schlicssen un-
sere Anzeige mit dem lebhaften Wunsche, dass diese durch Inhalt und
Form ausgezeichnete Rede von recht vielen Studirenden unseres theuern
Vaterlandes gelesen und beherzigt werden möge ! [f^-]
Heidelberg. Nach dem so eben ausgegebenen Adressbuche der
hiesigen Ruprecht-Karls-Universität für das Winterhalbjahr 1849 — 1850
beträgt die Anzahl der in diesem Semester hier Studirenden :
Ausländ. Inland. Summa.
1) Theologen, immatriculirte u. Mitglieder des
evangel.-protest. Predigerseminars .8 44 52
2) Juristen 216 86 302
3) Mediciner, Chirurgen u. Pharmaceuten 54 44 98
4) Cameralisten 9 25 34
5) Philosophen und Philologen ... 15 16 31
* Summa 302 2J5 öTt
Ausserdem besuchen die akademischen Vor-
lesungen noch Personen reiferen Alters 3 4 7
Conditionirende Chirurgen u. Pharmaceuten 6 7 13
Gesammtzahl 537
Im vorigen Semester betrug die Summe der
immatriculirten Studirenden 1 — 5 . . . 449 174 623
Die Anzahl hat sich daher vermehrt um . . 41
und vermindert um 147 106
Von den Vorlesungen glauben wir folgende als für den Kreis der
Jahrbücher geeignet anführen zu müssen: Bahr (Geheimer Hofrathund
Oberbibliothekar): Erklärung von Cicero de Republica mit einer Anlei-
tung zum lateinischen Stil und Uebungen in demselben. Erklärung von
Plato's Politeia. Erklärung eines griechischen Schriftstellers in lateini-
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 441
scher Sprache. — Zell (Geheimer Hofralh): Gymnasialpädagogik, lie-
ber die Religion der Griechen. Erklärung des Octavius von Minucius
Felix. — Kayser (ausserord. Professor) : Interpretation von Hesiod's
Theogonie. Erklärung von Aeschylus' Orestie, d, h. Agamemnon, Coe-
phoren und Eumeniden. Erklärung von Catull , TibuU und Properz.
Ueber Cicero's Rede pro Cluentio. — Umbreit (^Geh. Kirchenrath): Hi-
storisch-kritische Einleitung in das alte Testament. Erklärung des Pro-
pheten Jesaja. Praktische Auslegung ausgewählter Psalmen. Uebungen
im Interpretiren messianischer Psalmen. — Dittenberger (ordentl. Prof.) :
Pädagogik. — Holtzmann (Stadtpfarrer) : Die Lehre vom Volksschul-
wesen. — Hanno (ausserord. Prof.): Erklärung der Sprüche Salomo's,
Tugend- und Religionslehre. Unterricht in der hebr. und arab. Sprache.
— fFeil (ausserord. Prof.): Arabische Sprache. Erklärung des Korans.
Türkische Sprache. Privatissima in der hebr., arab., pers, und türk.
Sprache und Litteratur. — Schlosser (Geh. Rath): Geschichte der Jahre
1813 — 1848. — Kortüm (ordenti. Prof.): Römische Geschichte. Neue-
ste Geschichte (1789 — 1823). Teutsche Geschichte von 1806 — 1848. —
//ausser (ordentl. Prof.): Deutsche Geschichte. Geschichte der deut-
schen Litteratur und Cultur. — Hetiner (Privatdocent): Geschichte der
deutschen Cultur von Gotsched bis auf die Gegenwart. Poetik. — Ruth
(Privatdocent): Erklärung von Dante's Inferno. Geschichte der italieni-
schen Poesie bis zum Ende der 16. Jahrhunderts, ■ — Freiherr v. Reich-
lin-Mcldegg (ordentl. Prof.): Logik nebst Einleitung zur Philosophie.
Psychologie mit Einschluss der Somatologie des Menschen und der Lehre
von den Geisteskrankheiten. Geschichte und Kritik der Philosophie.
Ueber die Faust- und Wagnersage und Goethe's Faust. — Roth (ausser-
ordentl. Prof.) : Psychologie. Geschichte der Philosophie. Sanskrit-
graramatik. — Schweins {Geh. Hofrath) : Reine Mathematik. Differen-
tial- und Integralrechnung. Mechanik. Ueber die neueren Methoden in
der Geometrie. — ^rwefÄ (Lycealprofessor) : Theorie der Gleichungen.
Privatissima über alle Theile der Mathematik. — von Leonhard (Geh.
Rath): Mineralogie, Geognosie und Geologie, oder Naturgeschichte des
Steinreichs. Oryktognosie oder specielle Mineralogie. Ueber die Erz-
lagerstätten. Die Lehre vom Bergbau. — Blum (ausserordentl. Prof.):
Oryktognosie oder specielle Mineralogie. Praktische Uebungen im Be-
stimmen der einfachen Mineralien. Examinatorium über Geognosie und
Geologie, mit praktischen Uebungen im Bestimmen der Felsarten verbun-
den. Privatissima über Mineralogie und Geologie. — Leonhard (Privat-
docent): Physikalische Geographie. Mineralogie und Geologie des Gross-
herzogthums Baden. Privatissima über Mineralogie und Geologie. —
Bronn (Hofrath): Geschichte der Natur. Specielle Petrefactenkunde. —
BiscÄo^ (ordentl. Prof.) : Anatomie und Physiologie der Pflanzen. Na-
turgeschichte der kryptogaraischen Gewächse. — Jolly (ordentl. Prof.):
Experimentalphysik. Technologie. Uebungen im physikal. Laboratorium.
— Gmelin (Geh. Hofrath): Organische Chemie. — Praktische Anleitung
zur Darstellung pharmaceut. und anderer chemischer Präparate. — Delffs
^ausserordentl. Prof.) : Experimentalchcmie. Pharraaceutische Chemie.
442 Schul- und Universitätsnacluichten,
Das philologische Semin arium, welches unter der Direction
des als Lehrer und Schriftsteller ausgezeichneten Geheimen Hofraths und
Oberbibliothekars Dr. Bahr steht, zählte im Somraersemester 1849, un-
geachtet der grossen Unruhen, 25 Mitglieder. Die Vorlesungen wurden
ohne Unterbrechung gehalten und mit allem Fleisse besucht. Im gegen-
wärtigen Wintercursus 1849 — 1850 beläuft sich die Zahl derjenigen Mit-
glieder auf 20, welche an allen Uebungen Antheil nehmen. — Prakti-
sche Uebungen der älteren und befähigleren Mitglieder im Unterrichten
an dem hiesigen Lyceum sollen demnächst eingeführt werden, um so ne-
ben der wissenschaftlichen Bildung den künftigen Lehrern auch eine
praktische Befähigung zu geben. [^-J
Lahr. Das hiesige Gymnasium ist mit der höheren Bürgerschule
vereinigt, — Durch Erlass des Grossherzogl. Oberstudienrathes vom
25. September 1848 wurde der im Schuljahre 1847 — 48 hier beschäftigte
Lehramtspraktikant Degen auf Disponibilität versetzt und an seine Stelle
Lehramtspraktikant Müller aus Heidelberg hierherberufen. Letzterer hat
seinen Dienst als Hauptlehrer von Prima am \. October 1848 angetreten.
— Die wiederholte Erkrankung des Lehrers Selz im Winter- und Som-
merhalbjahre hat mehrfache Versehung seiner Lehrstunden zur Folge ge-
habt, so dass zuerst vom 24. Januar bis zum 30. März 1849 sämratliche
Unterrichtsgegenstände desselben mit einigen Unterbrechungen , in wel-
chen Setz wieder eintrat, von dem Reallehrer Stöss übernommen wurden.
Vom 31. März bis zum 24. Juli hat der Director der Anstalt, Hofrath
Gebhard, Prof. FesenbeckJi , Diaconus Fecht, Reallehrer Slöss und Lehrer
Sleinmann die Stunden des Lehrers Selz versehen. Am 24. Juli hat Selz,
nach Wiederherstellung seiner Gesundheit, seine sämmtlichen Lehrstun-
den wieder übernommen und bis zum Schlüsse des Schuljahres fortgeführt.
— Den Religionsunterricht für die katholischen Schüler ertheilte Pfarr-
verweser Pfeiffer vom 16. März bis zum Schlüsse des Schuljahres. — Im
Laufe des Jahres wurde das Gymnasium und die damit verbundene höhere
Bürgerschule im Ganzen von 96 Schülern (im vorhergehenden Jahre be-
trug die Schülerzahl 118, vergl. NJahrbb. Bd. LV. Hft. 3. S. 344) be-
sucht. Darunter befanden sich 78 evangel. und 18 kathol. Zöglinge.
Während des Schuljahres sind 18 Schüler ausgetreten, so dass am Schlüsse
des Schuljahres noch 78 Schüler gegenwärtig waren , worunter 5 als
Gäste bezeichnet sind. — Von den 7 Schülern, welche im vorigen Spät-
jahre Ober-Qiiinta absolvirten, sind zur P'ortsetzung ihrer Studien 3 auf
das Lyceum in Heidelberg *), 1 ist auf das Lyceum in Rastatt, 1 auf das
'•') A's Gelehrtenschulen bestehen im Grossherzogthum Baden Ly-
ceen, Gymnasien und Pädagogien. Die Lyceen haben einen neunjährigen
Lehrcurs und sechs Classen, welche von unten nach oben gezählt wer-
den. Nur aus den Lyceen werden die Schüler auf die Universität ent-
lassen. Diejenigen Schulen, welche den Unterricht bis zum siebenten
Jahrescurse einschliesslich fortführen, haben die Benennung Gymnasien,
die übrigen Pädagogien. Sie haben in der Regel fünf Jahrescurse.
(Schulordnung §. 5. 6.)
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 443
Lyceum in Freiburg und 1 auf das polytechnische Institut in Carlsruhe
abgegangen. Ein Anderer hat sich zum Rechtspolizeifach gewendet.
m
Mannheim. Die unheilvollen Ereignisse des Jahres 1849, welche
unser schönes, blühendes Vaterland so tief und jammervoll erschüttert
haben , berührten in eben so trauriger Weise auch das hiesige Lyceum
und hemmten den ruhigen und sicheren Gang des Unterrichts. Schon
die Bewegungen des Jahres 1848 waren die Veranlassung, dass sich der
Besuch der Anstalt bedeutend verminderte. Zwar wurde, wie der der-
zeitige Director der Anstalt, Hofrath Gräff, in dem Vorworte zu dem
Programme sich ausspricht, mit Eifer und Lust von den anwesenden
Schülern dieses Jahres der grössere Theil der Unterrichtszeit im Winter
wohl benutzt und die meisten derselben gaben bei den Classenprüfungen
an Ostern erfreuliche Beweise ihrer Bestrebungen. Später aber löste
sich ein Glied nach dem andern, theils durch die Entfernung mancher
auswärts wohnenden Schüler, oder weil viele Eltern mit ihren Kindern
die Stadt selbst verlassen zu müssen glaubten , theils durch die befohlene
Theilnahme an dem ersten Aufgebot*), welchem mehrere Schüler sich
anzuschliessen gezwungen waren oder demselben durch die Flucht zu ent-
gehen suchten. Am 10. Juni waren daher nur noch 135 Schüler (die Ge-
sammtzahl der Schüler betrug während des Schuljahres 266) anwesend.
Die zwei obersten Classen zählten zusammen geraume Zeit hindurch nur
7 Schüler. Die Lehrer aber hielten sich nicht befugt, den Unterricht
auszusetzen, und suchten die noch Anwesenden auf der Bahn des Rechtes
und der gesetzlichen Ordnung zu erhalten. Am 15. Juni verscheuchte
der Donner der Kanonen von und an dem nahe gelegenen, Mannheim ge-
genüber liegenden Ludwigshafen die Schüler nach allen Richtungen der
Stadt. Er.st am 27. Juni, als durch die verbündeten Truppen, die hoch-
herzigen Befreier der Stadt und unseres Landes, der gesetzliche Zu-
stand wieder hergestellt war, wurde der Unterricht wieder eröffnet.
— Das Lehrerpersonal erlitt im verflossenen Schuljahre folgende Verän-
derungen: Nach EntSchliessung aus Grossherzogl. Staatsministeriura vom
16. August 1848 wurde Prof. Fartwängler von hiesigem Lyceum an jenes
in Constanz berufen. Derselbe war an hiesiger Anstalt seit dem Jahre
1842 und unterrichtete in mehreren Lehrfächern, besonders in der Philo-
sophie, im Französischen , in der dritten und zuletzt als Hauptlehrer in
der vierten Classe. An dessen Stelle kam, nach derselben hohen Ent-
schliessung, Prof. Dr. Lamey von dem Lyceum in Carlsruhe und ertheilte
den Unterricht in der französischen Sprache von der vierten oberen Classe
an und in dem Lateinischen als Classenführer der zweiten Classe. Prof.
Behaghel übernahm die Philosophie in der sechsten Classe und Rhetorik
in der Unter-Sexta, während Geh. Hofrath Dr, Nüsslin Litteraturge-
schichte und 2 Stunden Griechisch , gemeinschaftlich für beide Abthei-
lungen, Prof. Hertlein den lateinischen Stil und noch einige lateinische
*) Dem ersten Aufgebote mussten alle Jünglinge folgen, welche das
achtzehnte Jahr zurückgelegt hatten.
444 Schul- und Universltätsnachiichten,
Stunden in der Ober-Sexta besorgte. — Durch Verfügung des Grossh.
Oberstudienrathes vom 26. Sept. 1848 erhielt Lyceumslehrer Trost , vor-
her Religionslehrer und Hauptlehrer der zweiten und dritten Classe des
Lyceums in Heidelberg, die durch Beförderung des Pfarrers Bauer auf
die Pfarrei Neckarhausen erledigte Religionslehrerstelle (NJahrbb. Bd. 56.
Heft 1. S. 77. 78), welche derselbe bald nach dem Anfange des Unter-
richtes mit der Besorgung des kathol. Lyceal- Gottesdienstes angetreten
hat und seither mit Segen bekleidet. iMusikdirector Heisch sah sich sei-
ner vielen Geschäfte wegen veranlasst, als Gesanglehrer der oberen Ge-
sanfTclassen an Ostern wieder auszutreten. Von da an bis in die ersten
Tage des Monats Juli wurde dieser Gegenstand ausgesetzt, worauf Mii-
siklehrer Wlczek die Leitung dieses Unterrichts übernahm und bemüht
>var, die durch die damaligen Verhältnisse zu entschuldigenden Versäum-
nisse durch gegenseitigen Eifer und Lust wieder nachzuholen. Der
Turnunterricht wurde in diesem Jahre auch während des Winters für die
4 unteren Classen in 3 wöchentlichen Stunden durch Lyceumslehrer Ileck-
niann betrieben und während des Sommers auf dem Turnplatze fortge-
setzt. Durch Beschluss vom 2. Sept. 1848 hat die Hellenisch- archäo-
logische Gesellschaft in Athen den alternirenden Director Hofrath Dr.
ISüsslin zu ihrem Mitgliede gewählt. Ein dem Handelsstande angehö-
ri^^er, ehemaliger Schüler des Lyceums hat diesem die Summe von zwei-
hundert Gulden mit der ihn selbst hochehrenden Erklärung geschenkt,
dass er damit seine Dankbarkeit für die an dieser Anstalt erhaltene Bil-
dung und Anregung zum Guten und Schönen beurkunden möchte. Von
dem Geber selbst ausdrücklich zur freien Verwendung seiner Gabe auf-
gefordert, hat der älteste Lehrer sie als Schenkung eines Ungenannten
zu demselben Zwecke, wie die Schenkung der Fräulein Louise von Manger
vom Jahre 1842, bestimmt. So werden künftig die Zinsen beider für
sich bestehenden Stiftungen an einen Zögling des hiesigen Lyceums, wel-
cher das philologische Lehrfach zu seinem Lebensberufe gewählt hat, wenn
er die in der Stiftung.*urkunde bedingten Eigenschaften besitzt, während
seiner Universitätsstudien jährlich verabreicht werden. Eine nicht kleine
Zahl von fleissigen und wohlgesitteten Schülern wurde auch in diesem
Jahre theils durch Stipendien, theils von einzelnen Einwohnern hiesiger
Stadt unterstützt. 52 Schüler wurden von der Entrichtung des Schul-
geldes ganz befreit, 8 Schüler zur Hälfte, 12 Schülern wurde dasselbe
bis jetzt nachgelassen. Die Lyceumsbibliothek wurde theils durch zweck-
mässige Anschaffungen aus den etatsmässigen Mitteln , theils durch werth-
volle Geschenke vermehrt. Am 15. Januar 1849 starb Hofmusikus Gott-
fried yeher , welcher seit dem Jahre 1840 an den oberen Classen als Ge-
sanf^lehrer thätig war (vergl. NJahrbb. a. a. O. S. 77) und sich eben so
durch seine gediegenen Kenntnisse, als auch durch seine Lust und seinen
Eifer für diesen Gegenstand die Achtung der Lehrer, so wie die Liebe
seiner Schüler in hohem Grade erworben und sich um das Lyceura, wel-
ches seinen frühen Tod beklagt, wesentlich verdient gemacht hat. Einen
sehr empfindlichen Verlust erlitt die Anstalt durch den Tod des landes-
herrlichen Commissärs bei dem Verwaltungsrathc des Lyceums, des Re-
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 445
gierungsrathes und Kammerherrn, Freiherrn von Adelsheim. Derselbe
bekleidete dieses Ehrenamt seit dem December 1840 und war jederzeit
auf das sorgfälligste bemüht, die ökonomischen Verhältnisse der Anstalt
zu fördern und durch thätige und wirksame Fürsorge ihr Bestes zu wah-
ren und es möglich zu machen, dass sie sich, um ihre Zwecke zu errei-
chen, freier zu bewegen im Stande war. — Am Schlüsse des vorigen
Schuljahres wurden 13 Zöglinge des Lyceums auf die Universität entlassen.
Von diesen widmeten sich angeblich 5 der katholischen Theologie, 3 der
Jurisprudenz, 4 der Medicin , 1 der Philologie. Im Laufe des Schul-
jahres besuchten 266 Schüler, wie wir schon oben gesagt haben, die An-
stalt, und zwar 137 Katholiken, 113 Protestanten und 16 Israeliten. Am
Ende des Schuljahres waren 238 Schüler anwesend. Unter den sämmt-
lichen Schülern befanden sich 10 Ausländer und 66 Auswärtige , d. h.
deren Eltern nicht in Mannheim wohnen. [HS\
Rastatt. Im Schuljahre 1848 — 49 ergaben sich folgende Verän-
derungen im Lehrerpersonale des hiesigen Lyceums : Nach einer Staats-
Ministerialentschliessung vom 23. Sept. 1848 wurde dem Prof. Bilhars
die Pfarrei Kirchzarten verliehen und durch gleichen Erlass vom 26. dess.
Monats Prof. Hoffmann an das Lyceum in Constanz berufen. Dagegen
wurden durch letzteren Erlass die Prof. Nicolai von Constanz und auf sein
Ansuchen Dr. Fickler von Donaueschingen an das hiesige Lyceum versetzt.
Ferner wurde durch Erlass des Grossh. Oberstudienrathes vom 5, Oct.
1848 Reallehrer Schildknecht ^ durch Erlass vom 16. Oct. desselben Jahres
Lehramtspraktikant Schlegel hierher versetzt, und der Letztere, nach-
dem Prof. Schneyder seine Gesundheit wieder erlangt hatte, von hier an
das Lyceum in Freiburg abberufen. Nach einer Staats- Ministerialent-
schliessung vom 3. Febr. 1849 wurde Prof. Weissgerher als Director an
das Gymnasium in Bruchsal- Lehramtspraktikant Heinemann von dort an
das hiesige Lyceum berufen. Den Unterricht in der englischen Sprache
übernahm gegen eine Vergütung nach Erlass des Grossh. Oberstudien-
rathes vom 9. Febr. 18^9 Sprachlehrer Flint und den Unterricht im Ita-
lienischen nach Erlass derselben hohen Stelle vom 5. März 1849 Prof.
Schneyder. Musiklehrer Prof. Weher wurde nach Erlass Grossh. Mini-
steriums des Innern vom 6. März 1849 in den Ruhestand versetzt und
starb am 24. August d. J. in Baden. Die bekannten bedauerlichen Er-
eignisse dieses Jahres riefen vorzugsweise an der hiesigen Anstalt manche
Störung und Unterbrechung des Unterrichts hervor. Von den landes-
herrlichen Stipendien für Schüler, welche sich der katholischen Theologie
widmen wollen , wurden für das Wintersemester 40 Stipendien zu 25 fl.
und 15 zu 50 fl., zusammen 1750 fl., aus dem Iberger Pastoreifonds 2 Por-
tionen zu 45 fl. und 3 zu 30 fl., zusammen 180 fl., im Ganzen also 2930 fl.
angewiesen , wobei bemerkt wird , dass die Vertheilung der 8 altbadi-
schen, der 2 Loreye'schen , des Bruchsaler Stipendiums und der Portio-
nen der oben erwähnten theologischen und Iberger Stipendien für das
Sommersemester bis jetzt (August 1849) noch nicht erfolgt ist. Auch in
diesem Jahre (NJahrbb. Bd. LVL Hft. 1. S. 79) hatten Bibliothek und
Sammlungen sich mancher werthvoUen Geschenke zu erfreuen. Das
446 Schul- und Universitätsnachrichten
Lyceum besuchten während des Schuljahres im Ganzen 190 Schüler. Hie-
von waren 156 katholischer, 27 evangeli^cher Confession , 7 Israeliten.
Im vorhergehenden Schuljahre (18i7 — l8i8; machte die Gesammtschüler-
zahl 207 (>fJahibb. a. a. O.) aus. [//.]
Torgau. Der wissenschaftliche Theil des zu Ostern erschienenen
Programms: Quaestionum de attractione quam dicunt particula prima
(15 S. 4. ), hat den Collab. A. F. Kleinschmidt zum Verfasser. Derselbe
will für die in Rede stehende gramraat. Figur weit engere Grenzen ge-
bogen und namentlich von ihrem Gebiete ausgeschieden wissen, was durch
eine freiere Wortstellung (transpositio) erklärlich sei oder zur Apposition
gehöre. Um dies darzuthun, stellt er die früheren und gegenwärtigen
Ansichten über das Wesen der Attraction zusammen und flicht gelegent-
lich die Geschichte ihrer grammat. Behandlung ein. Darnach erwähnt
nur Quintil. I. 4, 20 die attrectatio oder attractio (die Lesart schwankt),
die aber von der Fassung unserer Grammatiker gänzlich differirt. Sonst
findet sich nichts weiter. Bei den Neueren braucht das Wort zuerst
Sanctius und nach ihm der Franzos Lancelot (Nouvelle methods pour ap-
prendre facilement et en peu de temps la langue latine, und Nouvelle me-
thode pour apprendre facilement la langue grecque. Paris, 1655), doch
dieser erkannte weder den Umfang, noch den Urgrund der Attraction.
Die auf sorgfältigen Untersuchungen beruhende Lehre davon hat Buttmann
zuerst in die Grammatik eingeführt, nach ihm hat G. Hermann zuerst das
Material von neuem gesichtet und seine Anordnung desselben auf die lo-
gische Kategorie der Relation gestützt. Allein darin geht H. nach Hrn.
KI.'s Dafürhalten zu weit, wie sich ihm aus der genaueren Prüfung eini-
ger von jenem Gelehrten herbeigezogener Fälle ergiebt, die nicht mit
Relativen gebildet sind. So erklärt er des Aeschyl. TtQog cclXov aXXov
Tirjaovrj nooaL^ävsL für sprüchwörtliche Breviloquenz, hält in Soph.
El. 137 f. Ttazso für einen exegetisch.;n Zusatz zu rov y', will II. XIX.
287 UÜTQO-iiX iaol d. für FlcizoonXs fiot d. lesen und sucht bei Eur. Iph.
Aul. 1415 (nicht 1445) in Tluvaui us ufj hÜkl^s für uf die Transposition
nachzuweisen. Und Hr. Kl. steht mit diesen seinen Bedenken und an-
deren Ausstellungen nicht allein. Namentlich ist es aber Cr. T. A. Krü-
ger (Untersuchungen aus dem Gebiete der latein. Sprachlehre. Drittes
Heft: Die Attraction in der latein. Sprache, ein Versuch, dieselbe in
ihrem ganzen Umfange darzustellen, mit beständiger Rücksicht auf das
Griechische, Braunschweig, 1827) , dessen Verfahren in die Lehre von
der Attraction Aufklärung zu bringen ihm zusagt. Dasselbe wird daher
in der zweiten Hälfte der Abhandlung genauer beleuchtet und in seinem
Verhältnisse zu ßuttmann und Hermann betrachtet. Den Schluss macht
die wörtliche Angabe der Attractionsclassen, wie sie von Kl. aufgestellt
werden, — Eine Disputatio de nonnullis Claudiani locis von G.-L. Her-
tel enthält das Programm vom Jahre 1848 (17 S. 4.). Ihr Inhalt ist
theils exegetisch, theils kritisch. Die behandelten Stellen sind: In Prob,
et Olybr. Cons. Vs. 42—54. 124 sq. In Rufin. I. 222—225. De
HL Cons. Honor. Vs. 1 — 6. 105 — 110. De IV. Cons. Honor. Vs. 171.
184—188. De Mallii Theod. Cons. Vs. 58—60. 320—324. 325 sq. De
Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 447
hello Getico Vs. 1 sq. 107—114. 213 — 217. 437 sq. De VI. Cons. Ho-
nor. Vs. 265 — 269. 386 — 395. Laus Serenae Reginae Vs. 146. Epi~
thal. Fall, et Celer. Vs. 44—46. In Eutrop. Lib. I. 346—349. De Cons.
Stilich. III. 125—130. 231 — 236. De raptu Pros. I. 25—32. 111 sq.
169 sq. 276. II. 24—26. 41. 223—226. 237—246. III. 137 sq. 211 bis
214. 220—227. 357—362. 3Ö9— 391. Gigantom. Vs. 16—20. Daran
reihet sich endlich noch die litterar-historische Frage, wann und unter
•welchen Umständen die epistola ad Hadrianum geschrieben worden sei.
Danach iässt sich zwar keines von beiden genau und sicher bestimmen,
doch gelangt Hr. H. unter Hinweisung auf das Vaterland des Dichters
und des Hadrianus (es war Alexandria) , auf des letzteren einflussreiche
Stellung zu Rom (muthmaasslich als praefectus Urbis) , auf des CI. Ver-
hältniss zu Stilicho und seinen Aufenthalt am Hofe zu Mailand, auf die
VeröfFentlichung d. Paneg. de III. consul. Honor. im J. 396 und de con-
sul. Stiiichonis im J. 400 zu dem nicht unwahrscheinlichen Resultate, dass
die Abfassungszeit des Schreibens vor das J. 395 falle : über den Anlass
dazu lasse sich aber aus dem Briefe selbst nichts ermitteln. — Für das
Programm des Jahres 1849 schrieb Dr. G. R. Schmidt die Abhandlung:
De epitheti in periphrasi substantivorum trajectione (11 S. 4.). Was G,
Hermann darüber zu Soph. Phil. 1124 bemerkt hat, erscheint ihm unge-
nügend. Seinen Zweck giebt er in folgenden Worten an: — quum aut
poetas novimus aut scriptores cerlum scribendi genus excoluisse in eoque
excolendo potissiraum versatos esse, non sufficit perscrutari quid qualeve
sit illud genus, sed unde natum et quomodo ad alios scriptores translatum
ejusque fines per varia dicendi genera sint propagati. Quod ut appareat,
hujus formulae quasi historiam tradere placet, unde per quos gradus a
lenibus principiis huc usque provecta sit transferendi audacia conspiciatur.
Der Plan, nach welchem er verfahren will, erhellt aus dem Satze: Eam
— placuit viam ingredi, ut primum de substantivorum periphrasi unam
notionem efficientium disseram, deinde de epithetis nomini principali ad-
dilis pauca addam. Demnach geht Hr. S. von der Definition der tcsql-
(fQaaig aus, die sodann wie bei Homer und den Tragikern, so für die
Griechen und Römer ausführlich nachgewiesen und erörtert wird. Ein
anschaulicher. Alles umfassender Auszug des wohlgeordneten Schriftchens
ist aber wegen der Menge der aufgezählten Einzelfälle nicht gut ausführ-
bar, ohne dem äusseren Umfange desselben selbst wiederum nahe zu
kommen.
Die Zahl der Schüler betrug 1846—47 im Winterhalbjahr 217, im
Sommerhalbj. 235; 1847 — 48 im Sommerhalbj. 241, im Winterhalbj. 267;
1848 — 49 in beiden Semestern 262. Sie wurden in 6 Classen unter-
richtet, von denen die neu errichtete Sexta, die seither als Privatanstalt
galt, nunmehr auf Grund der unter dem 20. Febr. 1846 von dem Königl.
Provinzial -Schulcollegium mitgetheilten Entscheidung des Ministeriums
als integrirender Theil des Gymnasiums betrachtet werden soll. Auch
das Lehrerpersonal hat sich in den letzten Jahren wieder vermehrt. Der
Schulamtscandidat Hertel ist Ostern 1846 definitiv angestellt worden. Zu
Ostern 1847 trat der Gymnasialamtscandidat Dr. Schmidt als provisori-
448 Schul- und Unlversitätsnachrichten u. s. w,
scher Ordinarius von Untertertia ein, da die Ueberfiillung der Tertia
eine Trennung derselben in 2 gesonderte Abtheilungen mit je Ijährigem
Cursus nothwendig machte, ein Bedürfniss, das bis jetzt fortgedauert
hat. Gleichzeitig trat der seitdem an der Anstalt thätig gebliebene
Schulamtscandidat Carl August Gericke aus Torgau , der sein Probejahr
am Gymnasium zu Luckau abgehalten hatte, zu unentgeltlicher Ueber-
nahme einiger Lectionen ein, zunächst zur Vertretung des G.-L. Hertel,
welcher von Ostern 1847 an in der Eiselen -Massmann'schen Anstalt in
Berlin einen dreimonatlichen gymnastischen Cursus machte. Mit Eröff-
nung des Schuljahres 1848 begann der Candidat Dr. Robert Julius Krause
aus Torgau, mit Neujahr 1849 der Candidat Carl Franz Giesel ebendaher
das gesetzliche Probejahr. Das LehrercoUegium bestand demnach zu Ost.
1849 ausser dem Archidiak. Bürger, welcher 2 Stunden Religionsunter-
richt in Cl. III. ertheilte, aus dem Rector Prof. Dr. Saujype, Pror. Prof.
Müller, Ord. von I., Conr. Prof. Dr. Arndt, Lehrer der Mathematik und
Physik, Subr. Prof. Rothmann, Ord. von II., Oberl. Subconr. Dr. Han-
drick, Ord. von III, A., Oberl. Dr. Francke , Ord. v. IV., Cantor Breyer,
CoUab. und Pensionats-Inspector Kleinschmidt, Ord. von V,, G.-L. Hertel,
Ord. von VI., GHülfsI. Lehmann und den Gymnasialamts -Candidaten Dr.
Schmidt^ provisor. Ord. von III, B., Gericke, Dr. Krause und Giesel. In
dem zuletzt abgelaufenen Schuljahre sind von dem Königl. Ministerium
der Unterrichtsangelegenheitcn die Oberlehrer Arndt und Rothmann zu
Professoren, die ordentlichen Lehrer Handrick und Francke zu Oberleh-
rern ernannt worden. Von den drei letztgenannten wurde durch Verfü-
gung des Ministeriums vom 20. Febr. 1846 jedem eine persönliche Ge-
haltszulage von 50 Thlrn. aus den Ueberschüssen der Schulcasse gewährt.
Gratificationen aus derselben Casse erhielten alljährlich mehrere Lehrer,
ein Theil als Ersatz des Gehaltes, auch Unterstützungen zu Badereisen
der Subr. Rothmann 75 Thlr. im J. 1846, 50 Thir. im J. 1848, ebenso
viel in demselben Jahre der Conr. Arndt; der GHülfsl. Lehmann 75 Thlr.
im J. 1846 zu einer wissenschaftlichen Reise in die Salzburger Alpen. —
Mit dem Zeugnisse der Reife bezogen die Universität zu Ostern 1846 6,
Mich. 5; Ost. 1847 5, Mich. 2; Ost. 1848 6, Mich. 3 Schüler. [Ä.]
Neue
JAHRBOGHER
für
Philologie und Pädagogik,
oder
Kritische BibliotJmk
für das
Schul- und ünterriclitsweseii.
In Verbindung mit einem Vereine von Gelehrten
begründet
von
Mt Job. Christ. Jahn.
Gegenwärtig herausgegeben
von
Prof. Reinhold Klotz zu Leipzig
und
Prof. Rudolph Dietsch zu Grimma.
Achtundfunfzigster Band. Viertes Heft.
Ausgegeben am 11. Mai 1850.
Inhalt
^on des achtundfmßigsten Bandes viertem Hefte.
Kritische Beurtheilungen.
^'''E/senafh^ Cooptation der* Römer. '-Von Prof. Dr. V.'ßem 'zu ^^^~^^*
Doherenz: Ausgew'ähl'te *Re*den ^^es bemo;th;ne*s. -L Von Pro*fes;or* ^^^~^^^
Dr. Ameis zu Mühlhausen. . . -von rrotessor
Franz: Des Aeschylos Oresteia, Grie'cMsch uid Deutsch.' -* Von ^^^-^^^
Dr. JoÄ. Mtncfciüjtz zu Leipzig. .von
TiscÄer: M. TuUii Cicer i Cato%Iajor' s.' de senectule dialogus ' ^^"^
sprachhch und sachlich er äutert. — Von Dr H^»\^ "'diogus,
Middenrfor/ nn^Grüter: Lateinische S Jul^rf^n.e"!"!^ ^on^V^ff '''-''*
Dr. theol. Teipel zu Coesfeld. ... qQ4_AnA
Bibliographische Berichte und kurze Anzeigen. int Ai t
Terenz- Literatur. — Von Dr. Liebe zu Liegnitz lo±
Äomg-Äo^: De scholiastae in Terentium arte%ritica; '. '. [ [ ' m~-m
Brix: De Plauti et Terentii prosodia. . Inj IV?
Schul- u. Universitätsnachrichten Beförderungen u. Ehrenbezeigungen' 411-448
Aus dem Grossherzogthum Baden. . ^^feunoen. *ii ij^ö
Carlsruhe. \ \ \ aIIZ^ 7
DonauIschhi^J^^^"'*'^''" ^^^ Erdkreises* und die'Sprachenhalle! \ 416^
2l""lach ' ' \ \ '. \ \ \ \ ' ' 4i7!l4ift
Eisenach.— Schwanitz : Quaestiones Platonicae * * * 'Iiäliq
Freiborg im Breisgau ...':::;;: .419-420
Roulez: Sur la legende de l'enlevement* de*s Sabines. ' ." * ' ^'loZlii
Derselbe: Notice sur un buste antique en bronce d^couvert dans*
la province de Liege 421
Derselbe: Lycurgue farieux. *. aoi
Derselbe: Observations sur divers'points obscurs de l'histoire'de'
la Constitution de l'ancienne Rome. . 40 1
PerseZÄe : Nouvel examen de quelques qiestions de g^oeraDh '
ancienne de la Belgique ^ b y
Derselbe: Memoire sur les magistrats Romains de' la*BeIfiique * 421-422
Derselbe: Notice sur un bas-relief funeraire du Musee d'Arezzo' 422
Derselbe^: Melanges de philologie, d'histoire et d'antiquit^s. Fase'
_^ JV , ^22 ±no
Derselbe: Sur une inscription Latine de Transylvanie ' ' ' " ^53
Derselbe: De l'empöt d'Auguste sur les successions. . . * .* .' 423—424
Seite
Derselbe : Le coroplot de Spurias Maelius, juge ä l'aide d'un frag-
ment recemment decoovert, de Denys d'Halic. 424 — 425
Derselbe: Programme du cours d'antiquites Romaines, consider^es
sous le point de vue d'ötat. 425
Dumonti Essai sur les colonies romaines 425 — 426
Hennebert: Histoire de la lutte entre les patriciens et les ple-
beiens ä Rome depnis rabolition de la royaute jusqu' ä la
nomination du premier consul pleb 426
Schüersmans : Histoire de la lutte entre les patriciens et les ple-
beiens ä Rome etc 426
Göttingen. 426—430
Hermann : Disputatio de scriptoribus illustribus , quorum tempora
Hieronymus ad Eusebii Chronica annotavit 426 — 427
Derselbe: De Thrasymacho Chaicedonio Sophista 427 — 428
Derselbe: De philosophorum lonicoram aetatibus 428 — 429
Derselbe: De Dracone legumlatore Attico 429 — 430
Heiiigenstadt. 430—434
Kramarczik : Die Kunsträubereien des C. Verres. Ein Beitrag
zur Erläuterung des vierten Buches von Cicero's Anklage
des Verres 430—434
Hannover 434—436
Programm des Lüneburger Johanneums 434
Programm des Gymnasiums zu Clausthal 434
Programm des Progymnasiums zu Otterndorf. 434
Programm des Gymnasiums zu Emden 434— 435
Programm des Rathsgymnasiums zu Osnabrück 435
Programm des Carolinums zu Osnabrück 435
Programm des Gymnasiums zu Göttingen 435—436
Heidelberg. Gymnasium 436—440
Hautz: Geschichte der Neckarschulc. 439
Feldbausch: An die studirende Jugend des Vaterlandes. . . . 439 — 440
Heidelberg. Universität 440—442
Lahr 442—443
Mannheim 443—445
Rastatt 445-446
Torgau 446—448
Kleinschmidt: Quaestionum de attractione quam dicunt particala
prima .*.♦•• 446—447
Schmidt: De epitheti in paraphrasi substantivorum trajectione. . 447
\DUoi
fo)
Leipzig,
Druck und Verlag von B. G. Teubner.
PA Neue Jahrbücher für Philologie
3 und Paedagogik
N65
Bd. 58
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