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BANCROFT LIBRARY
Neue Heilen
durch die Vereinigten Staaten, Mexiko, Ecuador,
Weſtindien und Venezuela
von
Friedrich Gerſtäcker.
Zweiter Band:
Mexiko, der Iſthmus und Weſtindien.
(Erſter Theil.)
Die Ueberſetzung wird vorbehalten.
Jena,
90 d
7.
*
7 5.
(Erſter Theil.)
Von New⸗Orleans nach Vera⸗Cruz
Von Vera⸗Cruz nach Puebla
Po ER
Von Puebla nach Mexiko .
Die Hauptſtadt Mexiko
Der Weihnachtsmarkt zu Mexiko und
Von Mexiko nach Cuernavaca .
(Zweiter Theil.)
Von Cuernavaca nach Acapulco
Acapulco und weiter
Ein Abſtecher nach Ecuador
Panama . 5 0
Von Panama nach St. Thomas 5
A ien
| 1.
Von New-Orleans nach Vera-Eruz.
Samstag, 23. November, ging ich an Bord
der Schoonerbrigg „Daphne“, um mit dieſer den
Miſſiſſippi hinab durch den Golf nach Mexiko
hinüber zu fahren. Abends acht Uhr etwa wur⸗
den wir flott. Das kleine Schlepp⸗-Dampfboot
nahm uns, zwei große Schiffe, ein amerikaniſches
und ein preußiſches, die „Georgina“, mit noch einm
dreimaſtigen Schooner in's Schlepptau, und wir iR
dampften langſam den Strom hinab, etwa zwei
Meilen unter der Stadt wieder Anker werfend. 15
Das war ſchon ein langſamer Anfang, ließ ſich
aber nicht ändern. Auch am nächſten Morgen
brachen wir ſpät auf, weil auf dem Amerikaner,
dem „Pokahontas“, ein Streit unter der Mann⸗
ſchaft ausgebrochen und ein Deutſcher durch ein
8
Meſſer verwundet, ein Irländer bös zerſchlagen
worden. Beide mußten zurück nach New⸗Orleans
geſchafft und gegen zwei andere Matroſen aus⸗
x getauſcht werden. Das dauerte etwa bis zehn Uhr,
dann ſetzten wir unſern Weg, zwar mit der
Strömung, aber gegen den Wind, langſam fort,
um an demſelben Abend, Gott weiß aus wel—
chem Grunde, wieder vor Anker zu gehen. Wir
kamen nur wenig von der Stelle. |
Am Montag erreichten wir endlich Abends
5 5 und bei Gegenwind die Barre, als ein Tele—
graphenbeamter vom Lande an Bord kam und
dem Capitän eine Depeſche übergab. Unglaublich,
aber wahr, in der Depeſche ſtand, daß die Pa⸗
piere des Schiffes nicht in Ordnung wären und
wieder nach New-Orleans hinaufgeſchickt werden
müßten, und der Capitän entſchloß ſich, ſelber zu
gehen.
| Am nächſten Morgen ſchlug der Wind um,
und wir hätten fliegend den Miſſiſſippi verlaſſen
können, aber nein, da lagen wir feſt, von un⸗
ſerem Anker gehalten, und erwarteten die Rüd-
. kunft des Capitäns. Das war ein mal Pech.
Die Zwiſchenzeit benutzten wir, um zu fiſchen,
5 = und fingen mit der Grundangel Seeforellen,
5
einen Fiſch in Form der Aſche ähnlich, aber mit
Forellenkopf, doch zu weichlichem Fleiſch.
Am 26. kam die „Teutonia“ von Hamburg,
das zweite Schiff der Hamburg-New-Orleans⸗
Linie, über die Barre und dampfte ſtromauf.
Wie gern wäre ich an Bord gegangen, aber die
„Teutonia“ hielt ſich leider nicht bei uns auf.
Am 28. kam der Capitän nach ſehr raſcher
Fahrt zurück und hatte ſeine Papiere in Ord⸗ x
nung, aber der Wind war ungünftig und brachte
die Nacht einen fliegenden Sturm aus Süden,
jo daß wir zu ſchleppen anfingen und den zwei⸗ 5 5
ten Anker auswerfen mußten. Das war zweimal
Pech, und an ſegeln natürlich nicht zu denken.
Am 29. heftiger Südwind mit hohem See—
gang. Ein franzöſiſches Schiff, von zwei Schlepp—
dampfern gezogen, arbeitete neun Stunden, bis
es in den Strom kommen konnte, lief dann auf
wärts und ankerte gerade unter unſerem Stern.
Am 30. wundervoller Nordwind, — wir hät-
ten mit zehn Meilen Fahrt auslaufen können,
aber der Franzoſe — dicht unter uns lag er;
wir wären nicht im Stand geweſen, den Anker
zu heben, ohne ihm in die Takelage zu laufen,
und er konnte gegen Wind und Strömung nicht
von der Stelle. Damit verſäumten wir den wun⸗
10
dervollen Wind und Morgen. Das war dreimal
Pech. Die Reiſe von New-Orleans bis Vera⸗
Cruz dauert unter günſtigen Umſtänden etwa
fünf Tage. Heute iſt der ſiebente, daß wir New—
Orleans verlaſſen haben, und wir liegen noch
immer im Miſſiſſippi.
1 Allerdings hatten wir einige Abwechslung an
Bord, denn der Sohn des Capitäns bekam einen
Cholera⸗Anfall und wir damit die günſtige Aus⸗
ſicht, die Krankheit durchzumachen; aber glück⸗
licher Weiſe beſſerte es ſich wieder mit ihm, und
wir hatten die Angſt umſonſt gehabt. Es wäre
auch wirklich zu arg geweſen, denn als ich das
letzte Mal im Jahre 1843 aus New-⸗Orleans
auslief, hatten wir das gelbe Fieber an Bord,
und jetzt wäre die Cholera ein erbärmlicher Tauſch
geweſen.
Neulich Abends hörte ich einem Zwiegeſpräch
zwiſchen dem Steuermann und meinem einzigen
Mitpaſſagiere zu. Beide find Yankees, und der
Letztere war eine kurze Zeit als Inſpector bei
dem Whiskey⸗Steuer⸗Departement angeſtellt. Ich
5 gebe es auch nur deshalb hier wieder, um den
Geeiſt zu zeigen, der jetzt im ganzen Volke herrſcht,
muß auch bemerken, daß der Steuermann ein ein⸗
facher Seemann und der Andere ein anſtändiger
*
BY
Pe
11
und liebenswürdiger junger Mann iſt, die es
Beide für die größte Schande halten würden,
auch nur einen Cent von einem Andern wirk—
lich zu ſtehlen.
Der junge Paſſagier äußerte, daß er große
Hoffnung hätte, wieder bei der internal Revenue
(das Volk nennt ſie infernal) angeſtellt zu wer—
den, und der Steuermann meinte ſehr naiv:
„Alle Wetter, das wäre ein Poſten, da könnte
Einer in ein paar Jahren ſein Schäfchen in's
Trockene bringen,“ worauf der Paſſagier ſagte:
das ginge doch nicht jo leicht, als er denke .
Den unteren Beamten würde zu ſehr auf die
Finger geſehen, und es wären eigentlich nur die
oberen, die wirklich im Stande wären, ihr Glück
zu machen. „Aber etwas fällt doch immer dabei
ab,“ bemerkte der Steuermann. „Ja, etwas ſchon,“
meinte der Andere, „aber es muß klug ange—
fangen werden.“
Ich konnte mir jetzt nicht helfen, und be⸗
merkte ihnen, ſie redeten da ſo ruhig von der
Chance, Onkel Sam zu beſtehlen, als ob die
Beamten gar keinen Eid leiſten müßten, der ſich
doch nicht ſo leicht umgehen ließe.
„Bah!“ ſagte der frühere Branntwein-Con⸗
troleur, — „in dem Eide ſteht gar nichts davon
12
da; — hier iſt der Eid, den wir zu leiſten haben.
Ich würde wahrhaftig nie einen Privatmann
übervortheilen, aber aus der Regierung mir eine
gute Stellung, und „zu machen, was man kann,“
iſt gewiß keine Sünde.“
Ich bat ihn, mir den Eid zu zeigen, den er
gedruckt bei ſich trug, und dieſer enthielt faſt in
der ganzen Form nichts Anderes, als auf die
frühere Rebellion bezügliche Andeutungen, die
den Beamten verpflichteten, loyal zu bleiben.
Nur am Schluſſe verſprach er mit ein paar kur⸗
zen Worten, feine Pflicht treu und red⸗
lich zu erfüllen. Ich deutete jetzt auf dieſe
Stelle und fragte, wie ſie dieſelbe, nachdem ſie
dies einmal beſchworen, mit ihren Anſichten über
die Sache vereinigen könnten; ſie meinten aber
ſehr ruhig, dies hätte damit nicht das Geringſte
zu thun, und „es gäbe keinen Beamten, der
nicht derſelben Anſicht wäre.“
3 Daß ſich die Sache wirklich jo verhielt, wußte
ich ſchon ſelber aus eigener Erfahrung und nach
dem, was ich von Anderen darüber gehört, aber
ich hatte es noch nie ſo klar und deutlich durch
einen Beamten ſelber ausſprechen hören. Die
Beamten ſehen alſo dieſen Eid als gar nicht be—
ſtehend an, und ſtehlen eben ſo viel, als ſie,
13
ohne entdeckt zu werden, möglicher Weiſe können.
Das iſt aber ſelbſt die Anſicht ſonſt unbeſchol⸗
tener und braver Amerikaner; — nun denke man
ſich, welche Anſichten das Geſindel hat.
Wie ſchon vorerwähnt, verhinderte uns das
dicht unter unſerem Stern ankernde Schiff am
Auslaufen, und der Schleppdampfer einer andern
Linie als der, welchen die „Daphne“ benutzt hatte,
weigerte ſich, uns fortzunehmen. Glücklicher Weiſe
kam aber gleich nach Tiſch ein anderer von draus
ßen ein, machte uns frei, nahm uns in's Schlepp⸗
tau und brachte uns ohne Weiteres über die
Barre hinaus, wo wir, mit allen Raaſegeln ge—
ſetzt, vor dem Winde und auf kaum bewegter
See luſtig dahinglitten.
Mittags am 1. December, etwa 120 Meilen
von der Mündung des Miſſiſſippi entfernt, ſahen
wir unter 270 nördlicher Breite etwa die erſten
fliegenden Fiſche, und das ſollten auch ungefähr
die einzigen Fiſche bleiben, die wir bis heute,
Donnerstag, 5. December, zu ſehen bekamen,
einige Schweinefiſche ausgenommen, von denen
wir wohl einen harpunirten, aber nicht an Deck
bekamen. Bis hierher hatten wir auch eine herr⸗
liche Briſe, die uns raſch weiter und unſerem
Ziel entgegengeführt haben würde, wenn unſer
Capitän eben ein anderer Mann geweſen. So
aber ſchlief er den ganzen Tag.
Ich habe etwas Aehnliches nie für möglich
gehalten —, aber nur dreimal an jedem Tag —
nach jeder Mahlzeit nämlich — kam er an Deck,
kauerte ſich dort nieder, rauchte ſeine Pfeife und
ging dann ordentlich und regulär wieder zu Bett.
Dabei hatte er bedeutende Angſt, daß wir in der
Nacht das ihm unbekannte Vera-Cruz anlaufen
ſollten, und noch auf 150 Meilen Entfernung
ließ er in der herrlichſten Briſe alle leichten Segel
einnehmen, damit wir nicht zu raſchen Fortgang
machten. >
Das war am 3. und Windſtille folgte. Heute
ſind wir endlich (am 5.) in Sicht von Land ge-
kommen, und heute Abend weht eine prachtvolle
Briſe. Natürlich läßt der Capitän ſchon in die⸗
ſem Augenblick wieder die oberen Segel einnehmen
und geht dann direct zu Bett. Es iſt zum Ver⸗
zweifeln!
Am 6. Wie gedacht, ſo geſchehen. Mit der
geſtrigen Briſe hätten wir wenigſtens den Leucht⸗
thurm von Vera⸗Cruz anlaufen können, aber
Gott bewahre! Die Segel waren halb einge—
nommen und konnten nicht wieder geſetzt wer-
den — da der Capitän ſchlief. Als er heute
10
Morgen aufwachte, war Windſtille, und wir
treiben jetzt in Sicht des prachtvollen Kraters
Orizaba draußen in See herum.
Der Anblick, als heute Morgen die Sonne
aufging und die Schneekuppe des Orizaba beſchien,
war herrlich, aber doch kein Vergleich gegen den
von geſtern Abend, als ſie hinter den gewaltigen
Bergwänden unterging, ihre rieſigen Contouren
klar gegen den weſtlichen Himmel abzeichnete und
ſie mit ihrem rothen Lichte übergoß. Zu gleicher
Zeit lagen ſo phantaſtiſch geformte Wolkenmaſſen
zwiſchen und um dieſe Gebirgsformen, daß man
oft kaum wußte, was Berg, was Wolke ſei, und
das Auge ſtaunend dem wahrhaft märchenhaften
Scenenwechſel folgte.
Ich habe viel Schönes und Wunderbares von
Bergſcenerien in meinem Leben geſehen, aber
nie etwas wild Phantaſtiſcheres, als dieſes von
der Sonne gluthroth übergoſſene Gewirr von
Bergen und Wolken, das uns leider nur zu
bald im hellen Mondenlicht verſchwand.
Heute Morgen liegt der Orizaba, noch etwa
100 Miles entfernt, vor uns, und man kann mit
dem Teleſkop deutlich den ungeheuren Krater in
ſeiner Spitze erkennen. Er muß aber ſeit ziem⸗
lich langer Zeit kein Feuer oder heiße Dämpfe
16
ausgeſtoßen haben, denn der Schnee liegt oben
an jeinem Rand noch voll und dicht, und nur
eine tiefe Schlucht läßt ſich an ſeiner Nordſeite
erkennen, in welcher früher wahrſcheinlich die
Lava ihren Abfluß fand.
Kein Lüftchen regt ſich dabei; das Schiff ct
ſo ſtill, wie vor Anker, und kein einziges Segel
iſt am Horizont zu ſehen. Noch nicht einmal ein
Vogel hat uns beſucht, — ein Zeichen, daß wir
noch ziemlich weit vom Lande ab ſind. Der Ca⸗
pitän ſchläft wieder.
Am 7. Endlich Rettung aus dieſer lang⸗
weiligen Umgebung. Wir waren den ganzen Tag
faſt mit Windſtille herumgetrieben, und erſt etwa
um drei Uhr kam eine kleine Briſe, die uns dem
Lande etwas näher trieb — aber auch dieſe ſchien
uns nichts helfen zu ſollen, denn gegen vier Uhr
ſprach der Capitän ſchon wieder davon, daß er
nicht wagen dürfe, dem Land zu nahe zu kommen
— und von einem Lootſen war keine Spur zu
ſehen. Es fehlte auch wahrlich nicht viel, ſo
wären wir dicht vor der Einfahrt wieder um—
gekehrt, als wir noch etwa eine halbe Stunde
vor Sonnenuntergang ein kleines Boot ent⸗
deckten, das auf uns zu zuhalten ſchien. Es
war in der That ein Lootſe, der uns gerade mit
BERN
Dunkelwerden erreichte — und faſt zugleich er—
hob ſich eine ſo prächtige Seebriſe, daß wir, vor
dem Wind, dem Lande raſch entgegenfliegen konnten.
Der Hafen von Vera-Cruz gehört nicht zu
den beſten und iſt bei einem gerade in dieſer
Jahreszeit am häufigſten wehenden ſtarken Nord⸗
wind den darin liegenden Schiffen oft gefährlich.
Ein Riff erſtreckt ſich dabei am Lande reichlich
zwei Meilen, vielleicht noch mehr hinauf, und
man darf deshalb nicht etwa auf den niederen
und ſchlechten Leuchtthurm zuhalten, ſondern
muß ihn ſo lange links liegen laſſen, bis man
faſt auf den Strand geräth, und nun — bis
dahin einer Weſtrichtung folgend, nach Süden
zu in den Canal einläuft, der zwiſchen Vera-Cruz
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und dem Fort Ulloa den eigentlichen Hafen, oder
vielmehr die Rhede bildet. Man hat da allerdings
an manchen Stellen nur vier Faden Waſſer,
aber keinen beſondern Ankergrund, und leiden
fällt es gar nicht ſo ſelten vor, daß bei einem
einſetzenden Nordſturm die Schiffe ihre beiden
Anker ſchleppen und an die Küſte getrieben und
zerſchmettert werden.
Da lagen wir — drinnen in der Stadt
ſchlugen die Glocken die achte Stunde an, — im
dicht beiliegenden Fort trompeteten die Wachen
Gerſtäcter, Neue Reiſen. II. 2
und machten einen Heidenlärm — und wie wun⸗ |
derbar die Stadt jelber dabei im hellen Monden⸗
lichte lag; wie ſonderbar die niederen, alters—
grauen Häuſer mit den ſie umgebenden Feſtungs⸗
mauern und den runden Kuppeln und zahlreichen
Thürmen ausſahen! Selbſt das Fort, durch das
Mondenlicht niedergedrückt, ſchien flach zu ſein
und auf dem Waſſer zu ſchwimmen — aber die
Seereiſe war wieder einmal überſtanden und ich
ſelber in einem neuen, prachtvollen Land, nach
dem ich mich ja ſchon ſo lange geſehnt. Dort
drüben lag der Schauplatz von Cortez' Thaten —
dort herrſchte Montezuma — und Maximilian —
Beide ſo unglücklich, und doch wie verſchieden in
ihrem ganzen Wirken — dort, unter den ſchlum⸗
mernden Bergrieſen, lag ein ganzes Chaos von
Weltgeſchichte, und ich konnte die Zeit kaum
erwarten, wo ich den Fuß auf mexikaniſchen
Boden ſetzen würde.
Jetzt bin ich da, — hier an der Plaza
ſitze ich und ſchaue auf das wunderliche Treiben
zu meinen Füßen hinab, auf den grünen, freundli⸗
chen Platz mit Palmen und Granatbüſchen, zwiſchen
denen ein geſchmackvoller Brunnen ſein plätſchern⸗
des Waſſer emporſendet, auf die wunderliche Ka⸗
thedrale gegenüber, deren Dächer und Vorſprünge
mit einer Unzahl von Zapilotas oder Aasgeiern
beſetzt find, auf die Seßoritas in ihren Mantillen
und die Mauleſeltreiber in kurzen Serapes und
breitrandigen Sombreros, auf die nichts weniger 7
als kriegeriſch ausſehenden Soldaten in rothen
Hoſen und blauen Jacken, auf ſpielende Kinder
und vorbeigaloppirende Pferde. 385
Wie ein altes Märchenbild vergangener Zeit
liegt die kleine Hafenſtadt hier um mich her, ſo .
unähnlich dabei irgend einem andern Ort der
Welt, wie es ſich nur möglicher Weiſe denke
läßt. Vera⸗Cruz — ja, wahrlich, es führt feinen
Namen mit Recht, denn es hat das wahre Kreuz
des Landes ſchon ſeit endloſen Jahren getragen
und gewöhnlich das vorderhand auseſſen müſſen, 15
was ihm Andere im inneren Lande eingebrockt,
die dann auch ruhig warteten, um zu ſehen, wie
es ihm bekommen würde. BR
Vera-Cruz — da ſteht auch kein Haus, das
nicht in der einen oder andern Revolution feine
Kanonenkugel bekommen, und ſelbſt der alte Ori- 5
zaba, der verſtorbene Vulkan jener Nachbarſchaft,
ſcheint Mitleid mit der Stadt bekommen und
aufgehört zu haben, ſie durcheinander zu ſchütteln,
denn ſie war geplagt genug und er konnte ſeine
Bemühungen deshalb getroſt einſtellen.
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20
Und trotzdem begreift man nicht, wenn man
den Platz und feine Befeſtigungen genauer ans
ſieht, daß er nicht ſchon lange in ſeinen Kämpfen
mit den Amerikanern und Franzoſen in Grund
und Boden zuſammengeſchoſſen iſt, denn die
Mauern ſehen wahrlich nicht ſo aus, als ob ſie
der Kugel aus einer gezogenen Kanone Stand
halten könnten. Vera⸗Cruz hat aber trotzdem
Glück gehabt, denn die Liberalen, die es im letz-
ten Kriege ernſtlich beſchoſſen, waren ſo ärmlich
mit Geſchütz verſehen und zielten ſo ſchlecht, um
ihm verhältnißmäßig doch entſetzlich wenig Schaden
zuzufügen, und die paar Kugeln, die wirklich in die
Stadt flogen, beſchädigten wohl einzelne Häuſer
und Kirchen und zertrümmerten in den erſteren be=
ſonders Spiegel und Schränke und erſchreckten
arme Frauen, ohne jedoch für die Belagerer einen
wirklichen Erfolg zu erringen.
Die Kirchen boten freilich die größte Scheibe
und wurden deshalb auch von den meiſten Kugeln
getroffen, und daß man in dem ſonſt doch ſo
ziemlich bigotten Lande ſo entſetzlich wenig für
ihre Reſtauration thut und die meiſten in der
That völlig verfallen läßt, hat wohl ſeinen Grund
in der Auflöſung der Klöſter überhaupt, und in
der Beſchränkung der Rechte ſämmtlicher Geiſt⸗
21
lichen. Ihre Macht in Mexiko iſt gebrochen,
und wenn ſie auch mit alter Zähigkeit daran
arbeiten, ſie wieder zu gewinnen, wird ihnen das
doch kaum gelingen. Gegenwärtig ſcheint nur
eine einzige von allen Kirchen der Hauptſtadt in |
regelmäßigem Gebrauch zu ſein — die Kathedrale
an der Plaza. Die übrigen, wo ſie nicht ganz
dem Einſturz nahe ſind, ſtehen leer und werden
faſt ſämmtlich als Bodegas oder Waarenlager N
an hieſige Kaufleute ausgemiethet. — Die geiſt⸗
liche Partei wird hier allerdings ſtreng unter dem
Daumen gehalten; man ſieht zum Beiſpiel keinen
einzigen Geiſtlichen im Ornat oder in Ordens
tracht auf der Straße; ebenſo iſt jetzt geſetzlich
verboten worden, die heilige Monſtranz offen zu
Sterbenden zu tragen — in einer bevölkerten
Stadt immer ein hoͤchſt ſtörender Gebrauch, da
er plötzlich den ganzen Verkehr hindert und die
ihm Begegnenden, ohne Rückſicht auf das Glau⸗
bensbekenntniß, zwingt, in einer wenigſtens an⸗
ſcheinend betenden Stellung ſtehen zu bleiben,
bis der Zug vorüber iſt. Ja, in einigen Ländern
Süd⸗Amerikas zwang man ſogar Jeden, auf die
Kniee niederzufallen, und mancher Fremde, aus
einem proteſtantiſchen Lande vielleicht, der nicht
einmal gleich wußte, um was es ſich da handle,
er
wurde bei ſolchen Gelegenheiten arg gemißhan—
delt. Das iſt jetzt hier Alles vorüber — wenig:
ſtens für den Augenblick — ſelbſt das zu über⸗
mäßige Läuten mit den Glocken iſt unterſagt,
wovon früher eben auch im Uebermaß Gebrauch
gemacht ſein ſoll. |
Die Bauart von Vera-Cruz iſt natürlich ganz
genau in dem altſpaniſchen Styl, wie man es
in allen ſüdamerikaniſchen Städten findet, in
denen der Einfluß der Fremden noch nicht zu
überwiegend geworden iftl, wie z. B. in Val⸗
paraiſo. Das tropiſche Klima verlangt das aber
auch; Vera⸗Cruz liegt unter 190 13° nördlicher
Breite, alſo vollkommen in der heißen Zone,
5 und ſelbſt jetzt, im ſogenannten Winter, ſchlafe
ich bei offenen Balconthüren, mit einem Mini⸗
mum von Zudecke; es verſteht ſich da von ſelbſt,
daß die Häuſer überall dem Luftzug offen ſein
Er müſſen, und die Privatwohnungen der Mittel-
und ärmeren Klaſſe haben ſelbſt im Parterre
meiſt nur Gitterthüren mit einem dünnen Ver—
hang bedeckt und ſtehen bis ſpät in die Nacht
hinein offen.
Und was für prächtige alte, faſt ruinenartige
# Kirchen findet man in der Stadt; ja, ſelbſt die
Kathedrale, die den meiſten Städten, wie Quito,
9
Guajaquil und ſelbſt Lima, nicht zur 5
Zierde gereichen, ſieht durch ihre runde, un 5
bemalte Kuppel wie den viereckigen, durchbroche⸗ at
nen Thurm und das Verwitterte ihrer e 1
maleriſch genug aus. Br
Ueberhaupt bildet die, wenn auch kleine Plaza
einen allerliebſten Mittelpunkt der Stadt durch
den grünen, mit Palmen und Blumenbüſchen
bepflanzten Raſenfleck derſelben, auf deſſen Cen⸗
trum ein hübſcher eiſerner Springbrunnen ſteht,
während breite Trottoirs mit Ruhebänken ſelbſt 3
bei naſſer Witterung einen bequemen Spaziergang
bieten. Leider hat man in den letzten Kriegen 1085
alle die herrlichen Cocospalmen in der Stadt
und um dieſelbe herum abgehauen oder raſirt, 5
um angeblich dem Feinde keinen Schutz zu ges
währen, und erſt an wenigen Orten begonnen, 80
ſie nachzupflanzen. Hier auf der Plaza iſt das 9
aber geſchehen, und wenn ſie auch noch mancher es
Jahre bedürfen, um wieder ihre frühere Höhe
zu erreichen, ſo iſt doch wenigſtens der Anfang 1
dazu gemacht. 8
Auch eine Freiheitspalme wurde auf die Plaza
gepflanzt, eine Palma real, aber freilich an eine 1
ungünſtige Stelle, faſt unmittelbar neben einer
Gaslaterne, an der ſie jetzt ein kümmerliches 5
24
Ausſehen hat und mit ihren vergilbten und ab-
geſtorbenen Blättern ziemlich dürftig daſteht.
Nur das Herz ſcheint geſund, und es iſt möglich,
daß ſie ſich wieder erholt, aber viel wird an der
Stelle nie aus ihr werden.
Um die Plaza ſtehen Häuſer mit Colonnaden;
die eine Front nimmt das ziemlich geſchmackvolle
Gouvernementshaus ein, das mit ſeinen Rund⸗
bogen ganz hübſch ausſieht; ihm gegenüber
ſteht das Hötel de las Diligencias, unter den Bo—
gen mit Verkaufsläden und Kaffeehaus, und der
Kathedrale gegenüber, wo ich jetzt durch die Gaſt—
lichkeit der Familie d'Oleire nur zu behaglich
einquartiert bin, ſtehen Privathäuſer mit eben—
falls darunter befindlichen Bodegas, Comptoiren
und kleineren Läden.
Das Gouvernementshaus ſchräg gegenüber
ſah beſonders freundlich und luftig aus, und
hatte mir außerdem eine beſondere Ueberraſchung
aufgeſpart.
Es ſchlug auf der daran befindlichen uhr
gerade voll, und mit dem erſten Schlag faſt —
genau wie bei einer der alten Schwarzwälder
Uhren — ſprang ein kleiner Soldat in rothen
Hoſen vorn unter die Colonnaden, hob mit dem
zweiten Schlag eine kleine Trompete an den
25
Mund, blies darauf ein kleines Stück, und war
mit dem letzten wieder in der dunklen Thür
verſchwunden, — und jedesmal, wenn es voll
ſchlug, erneute ſich dies allerliebſte Schauſpiel.
Die Tracht der Bewohner, ſo weit es nicht
die unteren Klaſſen betrifft, iſt vollkommen euro—
päiſch; nur die Reiter tragen den breiten mexi⸗
kaniſchen Hut, eine kurze Jacke und faſt in⸗
dianiſch ausgefranzte Leggins an den Beinen.
Ebenſo haben die Damen, wenn ſie zur Kirche
gehen, noch die ſchwarze Mantille beibehalten,
die ſie aber ganz kokett umzuſchlagen verſtehen.
Die Arbeiter tragen, wie überall in den
heißen Ländern, nur Hemd und Hoſe, und zwar
an Sonntagen das erſtere über der zweiten, die
Frauen einen einfachen Kattunrock und die Man—
tillen aus demſelben Stoff.
Höchſt wichtige Bewohner der Stadt darf ich
aber nicht vergeſſen zu erwähnen, und das ſind die
ſogenannten Zapilotas (carrion crow in den
Vereinigten Staaten), die großen, ſchwarzen Aas—
geier, die hier die Stelle der Tauben in unſeren
deutſchen Städten vertreten, und ſo zahm wer—
den, daß ſie Einem manchmal kaum aus dem
Wege gehen und ſich in früher Morgenſtunde
nicht ſelten mit den Hunden auf der Straße
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herumbeißen. Sie ſind aber auch — ſo wider⸗ 3
lich ſonſt in ihrer ganzen Erſcheinung — eine
wirkliche Wohlthat der Tropen und genau daj=
ſelbe, was die Hyäne in Afrika iſt. Sie reine
gen Stadt und Umgegend von jedem Unrath,
und ſelbſt ein gefallenes Maulthier oder Pferd
kann die Nachbarſchaft nur auf kurze Zeit ver-
peſten, denn die Zapilotas halten da ſtrenge
Polizei, und in vier bis fünf Tagen ſind die
leeren Knochen das Einzige, was von dem todten
Stücke übrig geblieben.
Komiſch iſt es, wenn ſie ſich Abends auf der
Kathedrale ihren Ruheplatz ſuchen, wozu ſie eine
ziemlich geraume Zeit gebrauchen, denn die beſten
Plätze, d. h. die höchſten und beſonders die oben
auf dem Kreuz, werden den glücklichen Beſitzern
immer wieder ſtreitig gemacht, wobei durch einen
manchmal entſtehenden Kampf zuweilen eine
ganze Reihe in Unordnung geräth. Hat es dann
die Nacht geregnet, oder iſt auch nur ein ſehr
ſtarker Thau gefallen, dann ſitzen ſie Morgens
nach Sonnenaufgang an den ſonnigen Seiten
der Straßen auf Dächern und Geſimſen mit
ausgeſpannten Flügeln regungslos halbe Stun⸗
den lang, und laſſen ſich wieder ordentlich ab⸗
trocknen. Uebrigens werden ſie auch von der
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Polizei beſchützt, und wer einen von ihnen muth⸗ 5
willig tödtet, hat eine nicht unbedeutende Geld?
ſtrafe zu erlegen.
Vera⸗Cruz iſt nicht beſonders geſund, doch ſcheint . 5
es noch, als ob es beſſer wäre als fein Ruf, denn
das gelbe Fieber zum Beiſpiel, das eigentlich hier
das ganze Jahr heimiſch iſt, tritt, nach Allem, was
ich darüber gehört, ſelten oder nie ſo bösartig auf, 8
wie zum Beiſpiel dieſes Jahr wieder in New⸗
Orleans, wo es Tauſende von Opfern gefordert 1
hat und ſich dann ſpäter durch die Cholera ab⸗
löſen ließ. Allerdings wird die Stadt von gro 5
ßen Sümpfen umgeben, die nun jetzt in der
trockenen Jahreszeit wieder meiſtentheils ver-
dunſten; trotzdem hat man hier augenblicklich
keine epidemiſche Krankheit, ja läßt ſogar die
von Havannah kommenden Schiffe in Quarantaine
legen, da gerade dort die Cholera heftig wüthen
ſollte.
Allen Reſpect übrigens vor den Producten
des Landes, über die ich früher lange nicht ſo
vortheilhaft gedacht habe, als da ich ſie ſelber
näher kennen lernen konnte. Der Vera⸗Cruz⸗
Tabak (der auf der Hochebene allerdings nicht)
iſt ganz ausgezeichnet und die dort verfertigten
Cigarren, von denen nur bis jetzt zu wenig ge⸗
—
28
macht werden, um einen Ausfuhr-Artifel zu
bilden, ſtehen den Havannah-Cigarren in der That
nur wenig — wenn überhaupt — nach, koſten
aber auch freilich das Nämliche, was Havanah⸗
Cigarren in ihrer Heimath gelten.
Eben ſo ausgezeichnet iſt der in der tierra
caliente gezogene Kaffee, der mir wenigſtens
beſſer geſchmeckt hat als der Venezulaniſche und
in Vera⸗Cruz zu einem mäßigen Preis zu
haben iſt. Wie reich überhaupt iſt das ganze
Land, und doch in welch ewigen, unaufhöͤrlichen
Kämpfen lebt das Volk, nur immer den Acker
mit Blut düngend, ohne je an eine Ernte zu
denken! —
Was man und wo man auch hier in Vera⸗
Cruz vom inneren Land erzählen hört, Räuber
geſchichten bilden immer den Refrain; Räuber⸗
geſchichten, die oft an die ſchönſten Lebensjahre
Rinaldo Rinaldini's erinnern, und unglaubliche
Dimenſionen annehmen, ſobald man Jemanden
antrifft, der nur eine etwas entlegene und nicht
ſo leicht zu controlirende Tour gemacht hat.
Ich ließ mich übrigens dadurch nicht ab—
ſchrecken, das Innere ſelber zu beſuchen. Daß
zahlloſe Räubereien vorfielen, war Thatſache;
aber es iſt erſtlich einmal ſehr die Frage, ob ich
29
ſelber dadurch behelligt werden würde, und dann
— ging ich auch vortrefflich bewaffnet, und
glaubte deshalb ſchon, ohne zu große Gefahr,
ein kleines Abenteuer beſtehen zu können.
Gedanken an die Reiſe trübten deshalb meinen
kurzen Aufenthalt in Vera⸗Cruz auch keine Se⸗
cunde, und ich gab mich ganz der Geſellſchaft
vieler deutſcher Freunde hin, die ich dort fand.
Deutſches Leben überall, deutſcher Fleiß und
Unternehmungsgeiſt, der ſich wacker, ſelbſt in den
ſchwierigſten Zeiten und Lagen, hält, und dabei
ruhig allen Hinderniſſen die Stirn bietet.
Das Leben dieſer Kaufleute, beſonders in den
ſüdamerikaniſchen Staaten, wie auch hier in
Mexiko, iſt oft ein kleiner Roman in ſich ſelbſt,
denn man darf ja nicht glauben, daß ſie in den
Revolutionen unbehelligt bleiben. Alle Präſiden⸗
ten, wie ſie heißen, ob ſie, rechtmäßig gewählt,
gegen eine Revolution ankämpfen, oder ſelber
Revolution machen, brauchen Geld, und da der
Staat nie etwas beſitzt, die Kaufleute dagegen,
beſonders die fremden, ſtets, fo iſt nichts natür⸗
licher, als daß ſie, — bald mit, bald ohne Er-
folg, in Anſpruch genommen werden, und ſchon
dadurch in viel nähere Beziehung mit der Re-
le
gierung kommen, als ihnen ſelber lieb und nütz⸗
lich iſt.
In der Hauptſtadt Mexiko ſpielte ja zum Bei⸗
ſpiel der Verräther Marquez, der zuletzt von bei-
den Parteien gehangen wäre, wenn ſie ihn nur er—
wiſcht hätten, eine ordentliche Comödie mit den
fremden Kaufleuten, die er in der letzten Scene
des Dramas, wo er ſich verrätheriſcher Weiſe
zum Commandirenden der Hauptſtadt aufgewor⸗
fen, zu einem Frühſtück einlud, die Thüren dann
mit Soldaten beſetzen ließ und einen der acht⸗
barſten Deutſchen, der ſich weigerte der Geld—
forderung Genüge zu leiſten, jo lange in Gefan—
genſchaft hielt, bis er endlich zahlte.
Jetzt waren die Zeiten allerdings wieder ru—
higer, aber wer kann ſagen, wie lange das in
Mexiko dauert. — Quien sabe!
Handel und Geſchäft lagen denn 91 0 in
Vera⸗Cruz ziemlich darnieder, aber unſere Lands—
leute ſchienen ſich das wenig zu Herzen zu neh—
men, oder doch Vertrauen auf die Zukunft zu
haben; äußerlich ſah man ihnen keinenfalls irgend
welche Sorgen an, und mich ſelber empfingen ſie
auf das freundlichſte.
Ich war gleich nach meiner Ankunft im Hötel
de las Diligencias — wie man hier und bis Puebla
2
a
an jeder Zwiſchenſtation und in jeder Stadt das
anſtändigſte Hötel zu heißen ſcheint — abgeſtie—
gen, blieb aber dort nur wenige Tage, da ich
von der Familie d' Oleire auf das liebenswür⸗
digſte eingeladen wurde, zu ihnen hinüber zu
ziehen. Ich hatte ein mir vollkommen fremdes
Land betreten, aber ich ſelber wurde von den
guten Menſchen dort nicht als Fremder ange—
ſehen, und die kurze Zeit, die ich in Vera-Cruz
verbrachte, verging mir allerdings wie im Flug.
Auch Ausflüge zu Pferd machte ich, und wenn
man ſich der Stadt von der See aus nähert
und die dürre, von einigen kahlen Sandhügeln
eingeſchloſſene Fläche ſieht, von der ſie umgeben
iſt, ſollte man es kaum für möglich halten, daß
die Nachbarſchaft einen hübſchen Spazierritt bieten
könne. Deſto mehr war ich überraſcht, als ich
eines Morgens mit einem jungen Mann aus
dem d' Oleire'ſchen Geſchäft jene dürren, gar nicht
weiten Hügel überritt und in den prachtvollſten
Schatten eines Waldes eintauchte, durch den
ein Reitweg führte, wie man ihn ſich kaum
romantiſcher denken kann.
Und wie das in den Büſchen zwitſcherte und
jang, wie das ſchwirrte von herüber und hinüber
fliegenden Vögeln, und wie ſelbſt das Laub ſo
32
freundlich rauſchte, wenn die Briſe darüber hin-
ſtrich! — Es iſt eigenthümlich, wie man ſich auf
einer Seereiſe, und ſei ſie noch ſo kurz, nach
ſchattigen Bäumen ſehnt, und wie wohl es Einem
thut, wenn man ſich endlich wieder darunter findet.
— Die Menſchen find nun einmal keine Amphi⸗
bien. Selbſt der an das blaue Waſſer gewöhnte
und dort eigentlich heimiſche Matroſe wirft ſich,
ſobald er ihn erreichen kann, in den Schatten
der Büſche, und nimmt, wenn er wieder zur
See geht, häufig eine Anzahl Zweige mit, um
ſie in ſeinem Vorcaſtle aufzuhängen. Er hat da
wenigſtens noch ein Andenken vom feſten Land
und etwas Grünes, das ihn vielleicht an die
eigene Heimath erinnert.
Ganz eigenthümlich nahm ſich Vera-Cruz aus,
als wir es auf dem Rückweg wieder in Sicht
bekamen. Die Stadt ſelber hat genau eine ſolche
bräunliche Farbe wie ein photographiſches Bild,
und liegt vollkommen flach in der Ebene, aber
darüber hinaus ragen überall die Kuppeln und
niederen Thürme der Kirchen und Klöſter, hie
und da auch mit den ſie umgebenden Feſtungs⸗
werken, und dahinter wieder breitet ſich der Strei—
fen Meer, den nachher die niedere und früher
für uneinnehmbar gehaltene Feſtung Ulloa deckt,
7 5 + * r
er N 8 N \ N
* RR, * 2 *
*
33 x
fo daß man dadurch ein höchſt charakteriſtiſches,
wenn auch nicht beſonders maleriſches Bild erhält.
Vera⸗Cruz ſelber iſt nur eine ſehr kleine
Stadt, die ſich allerdings wohl weiter ausgebreitet
hätte, wenn fie nicht von Feſtungsmauern um: 5
ſchloſſen wäre. So aber ſind die Häuſer feſt und
dicht ineinander gedrängt ohne mehr als einen
kleinen Hofraum für jedes, und erſt in den
letzten Jahren ſcheint man angefangen zu haben,
vor dem einen Thor und in der Kähe der Eifen-
bahn eine kleine Vorſtadt anzulegen, die ſich aber
wohl kaum raſch vergrößern wird. Alle Augen-
blicke giebt es ja eine neue Revolution, und
wenn Vera⸗Cruz auch gerade keinen uneinnehm⸗
baren Charakter hat, hält man ſich doch immer
hinter den Mauern ſicherer, als davor.
So troſtlos übrigens die unmittelbare Um⸗
gebung der Feſtung auch ſein mag, jo wunder:
bar ſchön und üppig geſtaltet ſich die Scenerie,
ſobald man nur eine kurze Strecke mit der von
hier abführenden Eiſenbahn in das Land hinein
fährt und den Sand des Meerſtrandes hinter ſich
läßt.
Dort beginnt allerdings zuerſt der Sumpf,
und die ganze Niederung, der auch wohl Vera—
Cruz ſeine gelegentlichen gelben eee
Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. N
778 5 1 8 N
5 AIR Nr
NN N 0
*
34 5
zu danken hat, breitet ſich weit hinein in das
Land; aber das dauert mit der Bahn nicht lange,
und wie man ſich nur einem kleinen, dort gele—
genen Städtchen Medellin nähert, an dem ein,
wenn nicht breiter, doch auch nicht unbedeutender
Fluß mit hohen, waldigen Ufern vorüberſtrömt,
findet man ſich plötzlich von dem ganzen Zauber
tropiſcher Scenerie umgeben.
„Noch hat Niemand ungeſtraft unter Palmen
gewandelt.“ — Es iſt das eins jener gangbar
gewordenen albernen Sprichwörter, gegen welches
ich mich wenigſtens auf das entſchiedenſte ver-
wahren möchte.
Aller menſchlichen Berechnung nach ee ich
wohl nie wieder eine Tropengegend betreten, aber
fo oft ich fie auch und an den verſchiedenſten
Stellen in allen Welttheilen beſuchte, ging mir
das Herz immer auf, wenn ich in den Schatten
jener herrlichen Bäume trat und ihre luftigen
Wipfel rauſchen hörte. Gejtraft bin ich aber
nie worden, und nur die Sehnſucht habe ich
immer mit mir fortgetragen nach dem jchönen
ai
Und Mexiko iſt ſchön. Die Natur hat ihre
Gaben mit verſchwenderiſchen Händen ausge—
ſtreut, und ſelbſt von dem Volk kann man nicht
EEE, Bu ee
5 1 = T
x
35
ſagen, daß es bös oder tückiſch wäre. Ich will
alle die entſetzlichen Raubanfälle, die mir auf
meiner Tour durch das Land erzählt wurden,
glauben, und wahrlich nicht leugnen, daß es
auch viel — recht viel Geſindel in dem weiten
Reiche giebt; — aber welches Land hat das nicht,
und — Gelegenheit macht Diebe. Die ewigen 5
Revolutionen und Umwälzungen, faſt alle von
den Pfaffen angeregt oder unterſtützt, machten
Tauſende von Menſchen nicht allein brotlos,
ſondern gewöhnten fie auch an ein müſſiges Le⸗
ben, ja zwangen ſie dazu. Iſt es da ein Wun⸗
der, daß fie verwilderten. Das Heben und blu⸗
tige Treiben in Mexiko hat ja gar kein Ende 1
genommen, und es iſt kaum zu erwarten, daß
in einem noch ſo wilden und wenig bevölkerten
Reich, für das die einzelnen Regierungen wenig i
oder gar nichts thun können, weil ſie jelber nur
ewige Arbeit haben, ſich auf ihren Sitzen zu hal—
ten, der Arme und durch den Krieg Ruinirte
nicht gleich wieder ein friedlicher Landmann wird,
ſobald es einem der Präfidenten oder Regieren?
den einfällt, zu ſagen: „Der Krieg iſt vorbei!“
| Gebt dem Volk einmal einen wirklichen
Frieden, — zeigt ihm die Mittel, ſich ehrlich
durch's Leben zu bringen, mit einer Garantie,
daß er die Frucht, die er ſäet, nicht bei der
Ernte für neue Soldatenbanden hergeben muß,
und die Räubereien werden von ſelbſt aufhören. —
Jetzt iſt freilich wenig Hoffnung dazu; den Mann,
der dem Lande hätte den Frieden geben konnen,
haben ſie gemordet, der blutige Lerdo, mit der
indianiſchen Puppe Juarez, regiert den kleinen
Theil von Mexiko, auf dem ſie noch feſten Fuß
halten, und im übrigen Land iſt in dieſem Augen=
blick der Bürgerkrieg wieder an ſechs oder acht
verſchiedenen Stellen ausgebrochen. — Es iſt
traurig, wie die Menſchen ſo mit frevlen Hän⸗
den ihr eigenes Paradies verwüſten.
Doch um auf Medellin mit ſeinen prachtvollen,
üppigen Hacienden und dem ganzen ſtrotzenden
Reichthum ſeiner Vegetation zurückzukommen, ſo
that es den Augen wirklich wohl, in dem fri⸗
ſchen Grün der Blüthenbüſche herumzuwandern
und dabei das fröhliche und harmloſe Treiben
der Menſchen zu ſehen, die ſich darin bewegten.
Harmlos? — nun ja, im Allgemeinen, wenn
man die Spieltiſche abrechnet, die in dieſem klei—
nen „Badeort“ von Vera-Cruz aller Orten und
Enden aufgeſtellt waren. Aber die ſpaniſche Race
kann nun einmal ohne das Hazardſpiel nicht
exiſtiren. Ihr ganzes Leben iſt auch etwas Aehn⸗
37
liches, und wenn es verboten wäre, würden fie 8
es heimlich thun, — genau ſo, wie es bei uns,
in den civiliſirteſten Ländern der Erde, eben auch
geſchieht.
Es war ein Sonntag, als wir den Platz be⸗ 5 ;
ſuchten, in welchem auch viele Bewohner von
Vera⸗Cruz kleine Landhäuſer haben, oder doch =
wenigſtens in der Saiſon ihren Wohnſitz dort
nehmen, und natürlich an dem Abend Ball. Vor⸗
her hatten wir aber noch einen reizenden Spa-
zierritt durch die Nachbarſchaft, durch Fruchtgär— 9
ten und Baumwollenfelder gemacht, und ſahen
uns dann auf dem Rückweg die Stadt etwas
näher an.
Medellin iſt ein — man könnte ſagen künſt⸗
licher Badeort, denn irgend eine Mineralquelle
beſteht dort nicht. Ein deſto herrlicheres Bad bietet
aber dafür der kleine Fluß, der, wenn ich nicht
irre, den nämlichen Namen führt, als das Städte
chen ſelber, und um ihm doch eine medieiniſche
Kraft zu geben, hat man ausgeſprengt, die Sarſa-
parilla, die in Maſſe an ſeinen Ufern wächſt
und oft in den Strom hineinhängt, mache das
Waſſer jo außerordentlich geſund und heilkräftig. |
Ehe wir in den Ballſaal hinübergingen, —
und es fing indeſſen ſchon an zu dämmern, be—
ſüuchte ich noch einmal ein altes, verfallenes Ge⸗
bäude, das mir vorher gezeigt und in ſofern von
Intereſſe war, als in dem letzten Kriege die von
dem Vicekönig von Aegypten gekauften Trup⸗
pen, welche von den Franzoſen nichtswürdiger
Weiſe gezwungen wurden, ſich gegen ein ihnen
ganz fremdes Volk zu ſchlagen, hier einquartiert
geweſen waren und den Platz damals verſchanzt
ö und verbarrikadirt hatten. Was wußten jene une
glücklichen Menſchen von dem Kaiſer von Frank—
reich, was von dem von Mexiko, — was hatten
ihnen die Mexikaner je zu Leide gethan, daß ſie
ihre Kugeln gegen ſie abſchoſſen und Gram und
Herzeleid in manche Hütte trugen? Was hatten
ſie ſelber verſchuldet, daß ſie aus ihrer Heimath,
von ihren Familien geriſſen wurden — die Un⸗
glücklichen, die noch kaum einen frohen Tag in
ihrem Leben geſehen, und unter Zwang und
Despotismus aufgewachſen waren?
Es iſt eine Schmach für unſer Jahrhundert,
daß etwas Derartiges geſchehen konnte und durfte,
und wird ein Schandfleck für Frankreich bleiben,
ſo lange es noch eine richtende Geſchichte giebt.
In dem düſtern, öden Raum wanderte ich
jetzt umher. Die unglücklichen Aegypter, das ges
knechtetſte Volk, ſo lange die Welt ſteht, — waren
mit den Schiffen ihrer Händler wieder fortge-
zogen, die ausgenommen, deren blutige Leichname 8
unter den Waldbäumen lagen. Die früheren Be⸗
feſtigungen hatten die Mexikaner zerſtört, — das
Thor ſtand offen, und eine dumpfe Höhle gähnte
mich an, als ich es betrat. Da waren aber noch
die Plätze, wo ſie ſich unter dem wohl ſchon das
mals defecten Dach gegen den Regen geſchützt, 1 5
dort die rauchgeſchwärzten Wände, wo ſie ihr 1
dürftiges Mahl gekocht. Hie und da in den
Wällen erkannte ich auch noch, trotz der Dam⸗
merung, verſchiedene Stellen, in welche die Ku⸗
geln eingeſchlagen und den Kalk von den Mauern
losgeriſſen hatten. — Aber der Platz war, das
Wenigſte zu ſagen, ungemüthlich. Ueberall auf
dem Boden lagen niedergebrochene Steine und
Balken, wie Schutt umher, und die einzigen leben=
den Weſen in dem ganzen öden Platz, in dem
das Dämmerlicht mehr und mehr ſchwand, waren
vielleicht, außer ein paar hie und da verftedten 5
Schlangen und anderem Gewürm, ein paar große 8
Fledermäuſe, die meine Anweſenheit nicht gern
zu ſehen ſchienen. E
Ich mochte ihnen nicht zur Laſt fallen, und
wanderte ſtill und ſchweigend, der armen Aeg er
denkend, in die Stadt zurück.
ee er ö
Fröhlicher Lärm und Muſik, Lachen und
$ Jubeln! — Wie düſter lag dort hinter mir das
zur Ruine gewordene Caſtell der afrikaniſchen
Schlachtopfer — wie ſo hell und Lichter ſtrahlend
vor mir der brillant erleuchtete Raum, in dem
ſich die Tanzenden ſchon im muntern Reigen
drehten, während dicht dahinter, aber in einem
offenen Gemach, die Spieltiſche mit ihrem klim⸗
pernden Geld den Damen wieder die Tänzer
wegzulocken ſuchten.
Aber die Damen von Mexiko ſcheinen gar
keine oder nur ſehr wenig Tänzer zu gebrauchen,
denn ſie beſorgen ſich das ſchon gewöhnlich ſelber,
indem ſie allein — wie ich das auch früher in
Californien geſehen — in den Ring treten. Und
doch ſind neue Tänze eingeführt, und zwar ſcheint
hier die amerikaniſche Occupation eine fruchtbare
Saat ausgeſtreut zu haben, denn die dansas, die
ich in Medellin von einigen Damen aufführen
1 5 ſah, waren eigentlich nichts in der Welt weiter
als eine zierliche Hornpipe oder ein ſogenann—
ter Jig.
Einige ſehr intereſſante hübſche Geſichter be—
merkte ich dabei, und junge Frauen, natürlich in
ihrem höchſten Staat, mit Crinolinen, Chignons ꝛc.
— aber keine langen Schleppen, ſondern Alle
44
leicht geſchürzt, um auch die allerliebſten kleinen
Füße nicht ungeſehen zu laſſen. Uebrigens ſchien
es eine Art von Wetttanz zwiſchen verſchiedenen
jungen Damen, die einzeln einander ablöſten und
zu übertreffen ſuchten, während das männliche
Publikum — denn die zuſchauenden Damen ver⸗
hielten ſich vollkommen paſſiv — oft bis zum
Enthuſiasmus ſeinen Beifall zu erkennen gab.
Während des Tanzes hatte ein alter Burſche,
der die Guitarre ſpielte, oder eigentlich mehr im
Tact ſchlug, fortwährend kleine zweizeilige
Strophen — auf die Eigenſchaften der gerade
tanzenden Schönen bezüglich — geſungen, und
oft lauten, ja ſtürmiſchen Beifall geerntet. Die
Worte verſtand ich allerdings nicht, denn erſtlich
hatte ich mein weniges Spaniſch in dem langen
Zwiſchenraum ſo ziemlich verlernt und mußte
wieder von vorn anfangen, und dann biß der
Burſche auch die Worte ſo kurz ab und brummte
ſie manchmal ganz in den Bart hinein, daß ſelbſt
meine des Spaniſchen vollkommen kundigen Be—
gleiter den Sinn nicht herausbekamen. Was er
aber ſang, ob es ſchmeichelhaft oder mit leichter
Ironie gemiſcht war, konnte man immer deutlich
und unverkennbar in den lebendigen Zügen der
gerade tanzenden Schönen leſen, wie ſie die Lip—
pen zuſammenzog, erröthete oder ihm auch einen
blitzenden und trotzigen Blick zuwarf — aber N
das war auch die einzige Waffe, die fie zu haben
ſchienen, und der alte Mexikaner hatte das wohl
| eine Stunde als alleiniger Wortführer fortgeſetzt,
als plötzlich ein junges ſchlankes Mädchen --
nicht mehr zu jung, aber wunderhübſch, mit ruhig
umherſchauendem Auge den Saal betrat und ein
Flüſtern raſch durch die Verſammlung lief. Sie
mußte das auch hören, ſchien es aber gar nicht
zu beachten, ſondern ganz in die Muſik vertieft
zu ſein und betrachtete nur die gerade draußen
beſindliche Tänzerin mit prüfenden Blicken.
Der alte Burſche ſchwieg — es war, als ob
er ſich ſelber überlege was er thun ſolle, und
ein neben mir ſitzender Mexikaner flüſterte mir
zu, ich möge jetzt aufpaſſen, das ſei eine der
berühmteſten Tänzerinnen in ganz Medellin.
Sie ließ uns nicht lange warten. Kaum war
die junge Dame, die allein den Tanzplatz inne
hielt, abgetreten, als ſie in den Ring hinein⸗
ſchlüpfte und nun zu der raſch einfallenden
Melodie mit außerordentlicher Fertigkeit eine
richtige Jig tanzte. Sie mußte auch unter den
Schuhen kleine hölzerne oder metallene Platten
haben, denn der Tact klappte wie ein zierliches
N
94
2
N
Hammerwerk immer ſchärfer, immer raſcher mit
zur Muſik, und ſchon machte ſich der Beifall des 1
Publikums in lauten Ausrufen Luft.
Jetzt fiel auch der alte Sänger wieder ein,
und zwar, wie es ſchien, in ſchmeichelhaftem Lob,
denn um die Lippen der Schönen zuckte ein
ſpöttiſches Lächeln. Ob er das aber bemerkt 9
hatte, er ging weiter, und plötzlich ſah ich, wie
ihr Geſicht blutroth wurde und einige der älteren 55
Damen kicherten. Aber ſie dachte nicht daran,
irgend eine ihr nicht paſſende Anſpielung ruhig
hinzunehmen. Ohne dabei ihren Tanz auch nur
für einen Moment zu unterbrechen, ſang ſie in
der nämlichen Weiſe eine Antwort, die aber jo
ſcharf und beißend ausgefallen ſein mußte, daß |
das Publikum plötzlich in lauten Jubel ausbrach.
Der Alte begann wieder, ſie aber blieb ihm
keine Antwort ſchuldig und nach Allem, was ich
dabei ſehen konnte, auch entſchieden im Vortheil.
Das Ganze wurde natürlich vollſtändig extem—
porirt, und ich hätte viel darum gegeben, die
genauen Worte und Anſpielungen zu verſtehen,
doch, wie geſagt, in der Muſik und dem Lärm
wie der undeutlichen Ausſprache war das un⸗
möglich. ö
*
Der Tanz ſoll bis gegen Morgen gedauert
44
haben, ich ging aber früh zu Bett, blieb je⸗
doch noch lange genug dort, um zu ſehen, wie
eine Dame beſonders, die aber ſchon jedenfalls
im Anfang der Dreißiger ſtehen mußte und
nichts weniger als hübſch war, nur ſehr jugendlich
gekleidet ging, mit jeder neuen Tänzerin den
Wettkampf aufnahm — aber fie behielt ein un:
dankbares Publikum, dem ſie jedoch, wie dem
alten Sänger, trotzig die Stirn bot.
In Vera⸗-Cruz blieb ich im Ganzen kaum
eine Woche, und hatte dort auch noch Gelegenheit,
einige Ueberreſte der öſterreichiſchen Expedition
zu beobachten, denen es allerdings nicht immer
gut ging.
Am beſten ſcheinen ſich die Aerzte zu befinden,
von denen ſehr viele in Mexiko zurückgeblieben
ſind, und denen man auch nicht das Mindeſte in
den Weg gelegt hat. Den Mexikanern war ja
ſelber damit gedient, tüchtige Aerzte in ihr Land
zu bekommen, und manche habe ich getroffen,
die ſich außerordentlich wohl befinden. Einzelne
Soldaten trieben ſich aber noch, obgleich man ſie
im Ganzen ſchon nach New-Orleans geſendet
hatte, in der Stadt herum und — bettelten, eben
nicht zur Freude ihrer Landsleute. Die Meiſten
45
von dieſen jollen jedoch Böhmen jein, und in
dem Fall iſt es auch erklärlich. | Ä
Noch wäre ich gern einige Tage länger ges
blieben, aber der franzöſiſche Paketdampfer kam
mit einer Unzahl Paſſagieren ein, und meine
dortigen Freunde verſicherten mir, daß die Dili-
gence jetzt auf längere Zeit belegt werden würde,
ſobald dieſe das Land beträten, da die meiſten
von ihnen augenblicklich nach der Hauptſtadt
gingen. Dem wollte ich mich nicht ausſetzen,
und da fie glücklicher Weiſe zwei Tage in Quaran⸗
taine gelegt wurden, benutzte ich dies und ließ
mich gleich einſchreiben. Den freundlichen Em—
pfang meiner wackeren Landsleute in Vera-Cruz
nahm ich aber für ein gutes Omen. Straßen⸗
räuber oder keine, ich wollte das Land kennen
lernen, und ein wenig Gefahr macht ja ſelbſt
den langweiligſten Weg intereſſant, wie viel mehr
alſo eine Fahrt durch dies wunderbar jchöne Land.
En ET N
r ©, .
272 ĩͤ d FR a Es eier 1
1 E 4 N pP * 1
2.
Von Vera-Cruz nach Puebla.
Mittags um ein Uhr ging der Eiſenbahnzug
von Vera⸗Cruz ab. Die Bahn führte aber bis
jetzt nur erſt bis Paſo del Macho, das wir noch
an dem nämlichen Abend erreichen ſollten.
Dort, wo wir vorüberfamen, ſtanden, uns
mittelbar vor der Stadt ein paar beſchädigte
Eiſenbahnwagen. Im letzten Kriege waren
Kugeln hindurchgefahren und hatten die Achſe
des einen zerſchmettert — aber es dachte Niemand
daran, ſie zu repariren. In Wind und Wetter
blieben ſie ſtehen und mochten da auch ruhig
verfaulen. Waren ſie total ruinirt, dann muß⸗
ten neue angeſchafft werden. Jetzt zählten ſie
noch mit.
Die Reiſe von Vera⸗Cruz, oder vielmehr die
47
Abfahrt, ſieht übrigens noch ziemlich behaglich
aus. Unmittelbar an der Stadt ſetzt man ſich
in einen ganz bequemen Eiſenbahn-Waggon, und
mit all' den bei ſolcher Fahrt gebräuchlichen Vor⸗
richtungen ſcheint es gar nicht, als ob man eben
im Begriff ſtände, in ein — gerade nicht wildes, 5 hr
aber doch verwildertes Terrain einzutauchen.
Das ändert ſich freilich noch an dem nämlichen
Tag.
Die Scenerie iſt wundervoll. So wie man
nur erſt einmal die niederen Feſtungsmauern
der Stadt und den Schmutz der nächſten Umge—
bung hinter ſich hat, begrüßt das Auge die
wundervollſte Vegetation, und Cocospalmen ragen
überall aus einem üppigen Gewirr von Schling⸗
pflanzen und Blüthenbüſchen empor. Rothe, N
weiße und gelbe Winden ſchlingen ſich zu un⸗
durchſichtbaren Mauern und Gewölben zuſammen,
und hie und da ſtrecken die breiten Blätter der
Bananen ihre grünen Arme dem Licht entgegen.
Dann und wann aber, wie man durch die Baum⸗
gipfel einen freien Blick gewinnt, ragt plötzlich
in der Ferne der hohe, ſpitze Schneekegel des
Orizaba herüber und ſticht merkwürdig gegen die
wilde, überreiche Vegetation der heißen Zone ab;
aus welcher er emporſteigt. :
„
Kleine Ortſchaften, an denen Stationen an⸗
gelegt wurden, unterbrechen die Fahrt; Frucht-
ſtände in Bambushütten, die mich lebhaft an
ähnliche auf Java erinnerten, bieten dem Frem⸗
den eine nicht unangenehme Abwechslung, und
das Auge findet überall ſo viel zu ſchauen, daß
man ſich wirklich kaum um ſeine Reiſegefährten
kümmern kann und mag. Weiß man doch auch
nicht einmal, ob es für die kurze Zeit der Mühe
lohnt, denn welche von ihnen begleiten uns auf
der längeren Tour? Das muß ſich erſt im
Nachtquartier ergeben. Von da ab wurde näm—
lich die Weiterreiſe nur durch die Diligence
auf dem camino real ermöglicht und ſollte am
nächſten Morgen beginnen. .
Nun muß ich aufrichtig geſtehen, daß mir
das Wort camino real nicht beſonders gefiel,
denn wenn ich an Ecuador, Peru, Chile, Uru⸗
guay und alle anderen ſüdlichen Staaten zurüd-
dachte, ſo überlief mich ein ſtilles, ahnungsvolles
Grauen. Camino real heißt eigentlich „könig—
licher Weg“ oder Hauptchauſſee, und wenn ich
mir irgend einen recht nichtswürdigen Weg leb—
haft ausmalen wollte, ſo brauchte ich mir nur
die caminos reales jener Gegenden in's Gedächt⸗
niß zurückzurufen. Aber früher geleſenen Be⸗
49
ſchreibungen nach ſollten ja alle die Hauptwege
unter der Regierung des Kaiſers gründlich reſtau⸗ 5
rirt ſein, und ich hatte alſo nichts Aehnliches
wie in den „ Republiken zu be⸗
fürchten.
Paſo del Macho hieß die Station, wo wir
unſer Abendeſſen einnahmen und dann über⸗
nachteten. Dort vor dem Hauſe hielt auch ſchon
die Diligence — genau ein ſolches Fuhrwerk,
wie es ſonſt in den Vereinigten Staaten von
Nordamerika üblich war —, und noch jetzt er—
zählen dort die alten Leute an langen Winter⸗
abenden, neben ihren Abenteuern mit Bär, Pan⸗
ther und giftigen Schlangen oder Ueberfällen
der blutgierigen Wilden, ihre Fahrten in einer
ſolchen Diligence. |
Dieſe iſt jetzt hier in Mexiko als „Neuerung“
eingeführt — ein rother, neunſitziger, doch gut
in Federn hängender Kaſten, aber jo ſtark ge-
arbeitet, um ſelbſt den Schreckniſſen eines e
mino real die Stirn zu bieten; und dort hinein
ſollten wir am nächſten Morgen gepreßt und
unſerem weiteren Schickſal überliefert werden.
Das Hötel, in dem wir uns befanden, be⸗
ſtand aus einem großen Saal, um den herum,
nicht unähnlich wie in einer Cajüte an Bord
Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. 5 4
deines Schiffes, verſchiedene kleine Schlafgemächer
llagen und nur durch dünne, nicht einmal zur
Decke reichende Bretterwände getrennt wurden.
In erſter Klaſſe mit der Eiſenbahn war auch
ein Herr mit zwei ſehr elegant gekleideten Da—
Be men, jedenfalls Schweitern, gekommen, die beim
Abendeſſen ſehr viel Wein und nach dem Kaffee
jede ein großes Glas Cognac tranken. Es waren
Franzöſinnen und, wie ich bald fand, meine
Reiſegefährtinnen für morgen früh. Außerdem
befanden ſich noch zwei ältere und zwei jüngere
Mexikaner am Tiſche, und eine junge mexika⸗
niſche Frau mit einem kleinen Kinde und einem
jungen Hunde — ſämmtlich Futter für das Innere
der Diligence. Da wir übrigens Alle müde
waren und früh wieder heraus mußten, ſuchten
wir bald unſer Bett, und ich ſelber ging nur
noch vorher etwa eine Stunde mit einem ſeit
langen Jahren in Mexiko lebenden Deutſchen
vor dem Hötel ſpazieren und ließ mir Einiges
über die jetzigen und früheren Verhältniſſe des
Landes erzählen.
Am nächſten Morgen, noch bei ſtockfinſterer
Nacht, ein Heidenlärm: die Paſſagiere, wie die
ganze Nachbarſchaft, wurden geweckt, damit die
eigentlichen Schlachtopfer erſt Kaffee trinken
a |
konnten, ehe fie ausgeliefert wurden. Jetzt kamen =
er
die Maulthiere — oder mulas — und Jeder
ſuchte ſich in der Dunkelheit feinen, ihm durch den
Einſchreibezettel angewieſenen Platz. Das ſchien
freilich Anfangs ganz unmöglich, denn eine Unzahl
kleines Gepäck, wie Reiſeſäcke, Cigarrenkiſten,
größere Schachteln und andere Dinge, ſtanden
ſo überall im Wege, daß Niemand im Stande
war die Füße auszuſtrecken. Einige wollten da⸗ f
gegen proteſtiren, doch der eine Mexikaner bat j
fie vernünftiger Weiſe, nur erft einmal den
Wagen abfahren zu laſſen, nachher würde ſchon
Alles raſch „zuſammengeſchüttelt“ werden; und
darin hatte er vollkommen Recht. 5
Es iſt auch eine allbekannte Thatſache, daß
bei ſolchen Abfahrtsgelegenheiten, ſei das nun
ein Schiff, ein Boot oder ein Wagen, Alles
im Anfange überfüllt erſcheint und Niemand
die Möglichkeit ſieht darin auszuhalten: aber
erſt einmal kurze Zeit unterwegs, und es regu—
lirt ſich Alles. Selbſt das Unmögliche wird
möglich gemacht, und man richtet ſich zuletzt ſelbſt
behaglich ein — behaglich — Gott verzeihe mir
das Wort auf einem camino real!
Die Thiere zogen an; der Wagen rollte in
die Nacht hinaus und jede weitere Unterhaltung
4*
52
wurde in dem Moment unmöglich, denn die
Räder gingen über ein paar im Wege liegende
Steine fort, wie ich damals dachte, und ſolche
A Stöße erfolgten, daß nur Jeder beſchäftigt war,
ſich ſelber auf ſeinem Sitz feſtzuhalten, ohne
dem Nachbar mehr als nöthig zur Laſt, d. h.
auf den Leib zu fallen. Aber die „Steine“ hör—
ten nicht auf; was ich für etwas Zufälliges gehal-
ten, war der gewöhnliche Gang der Diligence, und:
Steht bei den Fallen! dachte ich mit meinem alten
Capitän Schmidt. Tu l'as voulu, George Dan-
din — der Stein rollte, und was ich mir ein⸗
gebrockt, mußte ich nun auch eſſen.
Der Mond ſtand allerdings am Himmel und
der Kutſcher konnte ſeinen Weg nothdürftig er—
kennen; im Innern des Kaſtens herrſchte aber
völlige Dunkelheit. Während das Kind ſchrie,
der kleine Hund winſelte, die Männer fluchten
und die Damen ſtöhnten, wurden wir unglück—
lichen Paſſagiere mit wahrhaft eiſerner Aus—
dauer auf den ſteinharten Sitzen auf und
nieder geſtoßen, und wir Alle fühlten, daß erſt
einige Uebung in dieſem Marterkaſten dazu ge-
höre, um auch nur ſeinen Empfindungen durch
Worte Luft zu geben, wenn man nicht ſeine eigene
53
Zunge leichtſinniger Weiſe in Gefahr bringen
wollte, abgebiſſen zu werden. a
Eiſenbahn! Ich hatte Anfangs geglaubt, daß
der Preis derſelben für die kurze Strecke, und f
mit nur 25 Pfd. Gepäck frei, etwas hoch ges
griffen ſei. Jetzt fand ich, daß ſie ſpottbillig
geweſen, und daß man hätte den dreifachen Preis
fordern dürfen, nur um einen ſolchen Weg uns 1
möglich zu machen. Aber das ſollte noch bejjer
kommen. Re
Endlich wurde es Tag. Wir jahen erſt an
beiden Seiten des Weges hohen, prächtigen Wald
im Dämmerlicht, und konnten dann auch nach
und nach unſere eigenen Jammergeſtalten im
Innern des Wagens unterſcheiden. bi |
Die Diligence fuhr übrigens lange nicht mehr i
ſo raſch, als beim Ausgang aus Paſo del Macho,
wo ſie „beſſern“, d. h. trockenen Weg gehabt.
Dort war die Straße wenigſtens abgetrocknet 5
durch Wind und Sonne, hier hatte der Schatten
und Schutz der Bäume beides verhindert, darauf
einzuwirken, und als ich jetzt einen Blick aus
dem Fenſter hinauswarf, fand ich, daß der ganze
camino real nur aus einer faſt ununterbrochenen
Kette von Sumpflöchern beſtand, um welche ſich
der Kutſcher entweder herumwinden mußte oder
SE
in die er, wenn er das unmoglich fand, keck und
unerbittlich ein- und hindurchtauchte.
Bis dahin hatten wir Alle ziemlich mürriſch
geſeſſen und das nun eben doch Unvermeidliche
ſchweigend ertragen. Jetzt plötzlich, als der
Wagen ſich etwas raſcher fortbewegte, war es,
als ob der ganze Vordertheil verſänke. Im näch⸗
0 fſten Augenblick erfolgte ein furchtbarer Stoß;
daas Hintertheil hob ſich, im Innern ſtürzte Alles
durcheinander, und nun war es, als ob ſich die
ganze Diligence überſchlagen und einen ſogenann—
ten Purzelbaum ſchießen wollte. Aber es ſchien
nznur ſo. Das hinten aufgeladene Gepäck mochte
doch glücklicher Weiſe zu ſchwer geweſen ſein, es
drückte den Rücktheil wieder zurück, der vordere
Wagentheil hob ſich, als ihn die mulas weiter
riſſen, empor, und fort rollten wir, einem neuen
Loch entgegen.
Dieſer kleine Zwiſchenfall ſchien aber die
Zungen gelöſt und die ganze mürriſche Laune
verſcheucht zu haben. Die Behandlung war zu
niederträchtig, und wir brachen faſt Alle in ein
freilich halbverzweifeltes Lachen aus. Jetzt wurde
auch die Unterhaltung allgemein; wir waren auf
einmal bekannt mit einander geworden, und die
55
nachherigen Stöße konnten nur dazu dienen, dieſe =
Bekanntſchaft zu befeſtigen. 1
Sonderbarer Weiſe ſprang aber die Unterhal⸗ h 1
tung ſehr bald von dem Wege ſelber ab und
drehte ſich, wenigſtens für zwei Stunden, nur
um die Ladrones oder Straßenräuber, die dieſen 5 5
Weg unſicher machten, die Diligence ſchon oft
angefallen und beraubt und ſogar eine Anzahl
Menſchen dabei getödtet hatten. Ich war auch für
die Herren nicht ganz unvorbereitet. Ich ſaß mit
meiner geladenen Doppelbüchſe im Arm, Revolver
und Meſſer an der Seite, im Wagen und ſag
nur bis jetzt noch nicht die Möglichkeit ein, wie 85
man bei einer ſolchen Fahrt ſich wirkſam ver⸗ 85
theidigen könne. Wenn dabei nur die Hälfte der
Geſchichten wahr war, welche ſich die Mexikaner =
erzählten, jo unterlag es faſt keinem Zweifel, 3
daß wir ebenfalls angefallen werden mußten,
und von einer verſprochenen Escorte war keine Be
Spur zu erkennen. Der Wald um uns her lag
öde und ſtill und bot faſt bei jeder Biegung die
herrlichſte Gelegenheit, aus dem Hinterhalt vor⸗
zuſpringen und eine Ladung Rehpoſten in den ä
durcheinander geſchüttelten Kaſten hineinzufeuern.
Aber die Räuber blieben aus, und ſtatt deren
überholten wir bald darauf in einem kleinen
56
Dorf einen Trupp Infanterie, die beſtimmt
ſchien, uns zu begleiten.. Der Weg hatte hier
auch in der That einen ſolchen Grad von Nichts
würdigkeit erreicht, daß wir doch nur im Schritt
fahren konnten. :
Die Soldaten jtanden an der Straße, unter
den Bäumen aufmarſchirt, und ſahen mit ihren
braunen Geſichtern und grauen Uniformen mit
grünen Streifen nicht ſchlecht aus. Sie ſchienen
auch gute Gewehre zu haben, und es war nicht
wahrſcheinlich, daß es ein Trupp von Straßen-
räubern wagen ſollte, die auf ſolche Art unter
ſtützten Paſſagiere anzugreifen. Aber die Freude
dauerte nicht lange. Etwa eine Stunde Wegs
ja, hielten ſie gleichen Schritt mit uns. Der
Weg beſtand hier aus einer ſolchen Kette von
Schlammlöchern, daß die acht vor die Diligence
geſpannten Maulthiere kaum, und nur mit größter
Anſtrengung, den leeren Wagen hindurchſchleppen
konnten, der zuletzt auch wirklich vollkommen
ſtecken blieb. Unſere Escorte marſchirte nun
wi voraus, und als es dem Kutſcher nach großer
Anſtrengung gelang, die Räder wieder frei zu
bekommen, ſo daß wir weiter rücken konnten, über—
holte uns die zweite Escorte, die soldadera, das
Ka heißt die Frauen und Queritas der vorangegan—
SD
genen Soldaten, die Körbe mit Lebensmitteln auf iR
ihren Köpfen trugen und ganz ernſthaft und
ehrbar an beiden Seiten des Wagens mitgingen
— bis wir wieder ſtecken blieben. Dann vers
ließen auch ſie uns, und nach einer halben
Stunde etwa holten wir beide Theile der Truppe
ein, die ſich unter den Bäumen ein Feuer an:
gezündet hatte und ihr Frühſtück kochte und ver—
zehrte. Wir fuhren vorüber, und das war das
letzte Mal, daß wir, bis dicht vor Puebla, irgend
einen Soldaten zu ſehen bekamen.
Ganz wunderbar ſchön und herrlich wurde
aber hier die Scenerie, als wir uns beſonders
dem kleinen Orte Cördoba näherten, und hier
ſchienen die Eingeborenen doch auch einigermaßen
die Hand geboten zu haben, um der Natur, die
ihnen Alles gab, nur wenigſtens in etwas ent-
gegen zu arbeiten. Bis dahin hatten die einzel-
nen Hütten, die wir im Walde fanden, nur wie
verlaſſen in der prachtvollſten Vegetation, aber
von Unkraut umwuchert, geſtanden. Jetzt zeigten
ſich hie und da kleine Gärten, und wo nur ein
Keim in die Erde geſteckt war, da wuchs ein
Wald von Fruchtbäumen empor. Kam man dann
zu einer größeren Hacienda, ſo war es wirklich
ein ganz prachtvoller Anblick, dieſen faſt fabel-
58
haften Reichthum zu ſehen, den die Natur ent-
faltete. Bananenſtämme ſchoſſen bei einem ganz
enormen Umfang im Stamm zu einer Höhe
empor, wie ich ſie faſt noch nirgends gefunden.
Mango, Sapotes, Orangenbäume, Cherimoyas,
Agua ⸗Caltas ſtanden überall mit ihrem herr—
lichen Laub, und die Hecken bildete gewöhnlich
ein dichter Streifen von Kaffee- und einzelnen
Cacaobäumen, die im Schatten des Fruchtwaldes
gediehen. |
Wie wohl das dem Auge that, nachdem man
ſo lange Zeit nur den wild durchwachſenen Wald
geſehen, zu dem der entſetzliche Schlammweg ganz
vortrefflich paßte! Hier wurde ſogar dieſer camino
real etwas beſſer, ſo daß wir nicht mehr alle
Augenblicke auszuſteigen und halbe Stunden zu
marſchiren brauchten, und wir erreichten endlich,
aber ſchon nach Dunkelwerden und nachdem wir
noch vor Sonnenuntergang den Schneekegel
Orizaba deutlich geſehen und bewundert hatten,
das kleine Städtchen Orizaba, wo wir im Dili⸗
gence⸗Hötel übernachten ſollten.
In Orizaba fand ich einige Deutſche, und da
uns Paſſagieren noch ein paar Stunden Raſt
blieben, weil wir erſt um zwölf Uhr wieder auf—
brechen ſollten, ſo ging ich mit dieſen noch kurze
59
Zeit auf den „Chriſtmarkt“, der aber eigentlich
faſt nur aus Spielbuden und Spieltiſchen be—
ſtand, und wo faſt alle Waaren zum Verloſen
eingerichtet ſchienen. In dieſer Zeit iſt nämlich
das Hazardſpiel freigegeben und die Spielpacht
bringt der Stadt für dieſe eine Woche etwa
35,000 Dollars ein. Man kann ſich alſo denken,
was dieſe Leute verdienen müſſen, um doch auch
noch ihren eigenen Gewinnſt dabei zu machen.
Nie im Leben habe ich aber auch das Spiel
jo und für alle Klaſſen, von dem reichſten Ha⸗
ciendero bis zu dem ärmſten Indianer hinab,
ausgebeutet geſehen, und man findet Tiſche, wo
um Unzen, wie andere, wo um eine kleine Kupfer—
münze geſpielt wird, und zwar an einem ſo lei—
denſchaftlich wie am andern. Aber nicht allein
die Spieler frequentiren dieſe Zelte, nein, faſt
ſämmtliche Familien der Stadt, da eine ſehr große
Bude mit vielen Hundert Sitzen zu einem echten
Lottoſpiel eingerichtet und faſt jeden Abend auch
vollſtändig beſetzt iſt. Wie gemiſcht aber die
Betheiligung dabei ſein muß, beweiſt ſchon der
Ausrufer, der die Nummern zieht und auf den
Bildungsgrad der minder Befähigten freundlichſt
Rückſicht nimmt. Er zieht zum Beiſpiel Nr. 87
und ruft dann ochenta siete, dann aber auch
60
noch einmal die beiden Zahlen, wie ſie hinter
einander ſtehen, alſo ocho siete, damit ſolche,
welche keine verbundenen Zahlen leſen können,
ſich leichter hineinfinden. Die erſte Quinterne
gewinnt dabei einen beſtimmten und ziemlich
hohen Satz. Die gezogenen Nummern werden
mit Maiskörnern beſetzt.
Auf dem Markte ſaßen eine Menge Frucht-
verkäufer bei dem Licht von lodernden Kienbrän—
den, das einen eigenthümlichen Schein über das
Ganze warf. Kienholz giebt es hier in Maſſe,
denn an den Vulkanen ſtehen große, aber freilich
ſchon ſehr gelichtete Kieferwaldungen.
Orizaba iſt ein wichtiger hiſtoriſcher Punkt
in der Kaiſergeſchichte geworden. Maximilian,
als er hierher kam, befand ſich ſchon auf ſeinem
Weg nach Europa. Er hatte eingeſehen, daß er
ſeine Stellung nur durch einen langen Kampf
vielleicht erhalten konnte, und wollte kein Blut-
vergießen in Mexiko mehr ſein et halben. Sein
Entſchluß war gefaßt, ſein meiſtes Gepäck ſchon
zum Verſenden fertig. Da trat ſein böſer Geiſt
wieder an ſeine Seite — der Pater Fiſcher, der
in dem charakterſchwachen aber gutherzigen Mo—
narchen das beſte Werkzeug gefunden zu haben
glaubte, in Mexiko das Concordat einzuführen
61
und der Kirche die „geraubten Güter“ wieder zu—
rückzuerſtatten, und deſſen Ueberredung — darin
ſtimmten Alle überein — iſt es allein zuzuſchrei⸗
ben, daß Maximilian nach der Hauptſtadt zurüd-
kehrte. Was er ihm damals gejagt, weiß natür—
lich Niemand, aber wahrlich nicht die Wahrheit,
denn der Kaiſer hätte ſonſt nie den unglüdjelig-
ſten Schritt ſeines Lebens gethan, der ihn ſeiner
Todesſtätte entgegenführte.
Der Kaiſer ſtarb — aber Pater Fiſcher —
ein höͤchſt zweideutiger Charakter in Mexiko, da
man ihn dort ganz unverhohlen einer ſehr unan=
genehmen Juwelengeſchichte bezichtigte — lebte,
und hatte ſogar die Frechheit, nach Oeſterreich in
derſelben Zeit zurückzukehren, wo man in der
Hauptſtadt Mexiko, im Diario Oficial die Docu-
mentos oficiales de los traidores — das heißt
das geheime Archiv des todten Kaiſers veröffent—
lichte, das gerade, wie jeder Unterrichtete in Mexiko
behauptet, von dieſem nämlichen Pater der Re—
gierung „überlaſſen“ wurde.“
Dort drüben in jenem weißen langen Hauſe
wohnte der Kaiſer — dort verzehrte er ſich in
quälenden Zweifeln — dort brachten ihm die
Bewohner von Orizaba einen Fackelzug, als er
ſich endlich — ſchwankend wie er war, entſchloſſen
3
7 u u
J 1
‚ e .
| hatte, ſeiner erſten Abſicht zu entſagen. — Jetzt
konnte er nicht mehr zurück, und am nächſten
Lag ging er — in Begleitung des triumphiren⸗
den Pfaffen — ſeinem Schickſal, ſeinem Tod
entgegen.
Armer Maximilian! Wohl nie im Leben ſind
einem Kaiſer, der Herrſcher eines fremden Volkes
ſein wollte und darüber zu Grunde ging, ſo
viele, ſo aufrichtige Thränen nachgeweint worden,
als Dir, denn ſelbſt Deine ärgſten Feinde haben
Dir zugeſtehen müſſen, daß Du es gut und ehr⸗
lich gemeint und kein falſcher Gedanke in Deinem
Herzen lebte. —
Leider war meine Zeit in Orizaba kaum nach
Stunden gemeſſen, denn nach Dunkelwerden
trafen wir ein, und ſollten ſchon um Mitternacht
den Platz wieder verlaſſen.
Erſt um elf Uhr warf ich mich auf mein Lager,
um wenigſtens den Körper ein klein wenig aus⸗
zuruhen; Punkt zwölf wurde aber ſchon wieder
geweckt, und nachdem wir kaum noch Zeit ge—
gehabt eine Taſſe Kaffee zu trinken, ſahen wir
uns wieder verpackt und raſſelten mit furchtbaren
Stößen in die Nacht hinaus.
Die Straße war von hier aus nämlich beſſer,
das heißt trockener, und der Kutſcher konnte raſcher
EEE art eK er e
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65
fahren, bis wir endlich die Stelle erreichten, wo
ſich der Weg aus dem wärmeren Lande hinauf
auf die Hochebene zieht. Dort aber war ich
ſeelensfroh, als ich mit Tagesanbruch dem Mar⸗
terkaſten entſpringen konnte, um zu Fuß die ſo⸗
genannten Cumbres hinauf zu ſteigen, und die
prachtvolle Ausſicht auf die untenliegenden Thälerr
lohnte mich auch reichlich für die kleine Mühe.
Nur den Revolver mußte man an der Seite
tragen, denn gerade vor dieſer Stelle war ich
beſonders gewarnt worden, da hier die meiſten
Ueberfälle ſtattgefunden haben ſollten. Zum Glück
jedoch hatten wir den Herrn Baron J. W. von
Müller nicht bei uns, dem in der kurzen Zeit
ſeines Aufenthalts in Mexiko jo ganz haarſträu⸗
bende Abenteuer mit Räubern, wilden Stieren,
Tapiren, Tigern und ſo weiter begegnet ſind, der
aber doch glücklicher Weiſe mit dem Leben davon—
gekommen iſt. Wir wurden gar nicht beläſtigt
und konnten, als die Diligence endlich nachkam,
wieder einſteigen. Ich ſelber nahm jetzt meinen
Platz hinter dem Kutſcher, denn in dem Kaſten
ſelber bekam man erſtlich gar nichts von der
wundervollen Scenerie zu ſehen, und dann wäre
da drinnen auch eine Vertheidigung gegen einen
64
doch möglichen Angriff vollkommen nutzlos ge⸗
. weſen.
Hier muß ich aber meine aufrichtige Hewi
derung den mexikaniſchen Kutſchern zollen, die
wirklich das Außerordentlichſte leiſten, was ich
je in der Art von Fuhrwerk geſehen habe. Die
Diligence iſt mit acht Thieren beſpannt, von
Paſo del Macho waren es, durch den Schlamm,
Maulthiere, hier Pferde. Zwei gehen an der
Deichſel, vier davor und zwei wieder vorn. Der
Kutſcher hat, während er mit dem rechten Fuß
den Hemmſchuh regulirt, in jeder Hand drei
Zügel und in der rechten noch die lange Peitſche,
mit der er das vordere Geſpann erreichen kann.
Dabei fährt der Burſche, der ſich den Mund ver—
bunden hat, um nicht zu viel Staub zu ſchlucken,
und nie flucht (überhaupt habe ich in keinem
ſpaniſchen Land ſo wenig fluchen hören als in
Mexiko), mit einer ganz fabelhaften Sicherheit
und macht mit ſeinem Achtgeſpann die ſchwierig—
ſten Wendungen. Dem auch nur iſt es zuzu—
ſchreiben, daß auf den entſetzlichſten Wegen ſo
verhältnißmäßig wenig Unfälle vorkommen. Frei⸗
lich ſtehen immer noch genug Kreuze am Weg,
die theils von Räubern verübte Mordthaten,
theils die Stellen bezeichnen, wo beim Umſchlagen
der Diligence Kutſcher oder Reiſende den Hals
gebrochen haben; und ein Wunder iſt das frei⸗
lich nicht. Uebrigens fahren dieſe Kutſcher nicht
allein mit acht, ſondern ſogar manchmal, bei
außergewöhnlich ſchlechter Beſchaffenheit des ca-
mino real, wie zu Zeiten in der Regenſaiſon, mit
dreizehn Pferden auf dieſelbe Weiſe.
Die erſten Kutſcher für dieſe Diligencen waren
Amerikaner, welche dieſe Wagen auch hier ein⸗
geführt haben, aber die Mexikaner, die ja auch
außerdem mit Pferden ganz vortrefflich umzugehen
wiſſen, haben ihnen das bald abgelernt und
können jetzt wahrlich nicht mehr übertroffen
werden. |
Merkwürdig iſt der Unterſchied, den dieſe
paar Tauſend Fuß, die wir emporgeſtiegen waren,
in der Vegetation machten und wie niedrig die
Bäume plötzlich in der kurzen Friſt geworden
waren. Cactus und Agaven traten hier ganz ent⸗
ſchieden auf, wie ein palmenähnlicher Baum,
der da oben auch Palme genannt wird und mit
ſeinen langen, ſpitzen und meſſerähnlichen Blät-
tern ganz vortrefflich zu der übrigen ſtachlichen
Vegetation paßt, aber eigentlich Yuca (Yucca)
heißt.
Der Weg war hier trocken, aber Steine lagen
Gerſtäcker, Neue Reifen. II. 5
66
überall, und kleine wie größere Vertiefungen
unterbrachen beſtändig die Straße. Dieſe Eonn-
ten aber natürlich den Kutſcher nicht abhalten,
ſeinen Pferden auf das rückſichtsloſeſte die Peitſche
zu geben, und fort donnerte die Kaleſche, uns
arme Paſſagiere auf eine Weiſe zuſammenſchüt⸗
telnd, die wahrlich nicht beſchrieben werden kann,
die erlebt ſein muß, um ſie in allen ihren
Schrecken und Mißhandlungen zu begreifen.
Der Kutſcher ſelber hat natürlich einen beſ⸗
ſern Platz auf ſeinem Bock, aber neben ihm
kann man nicht ſitzen, da die Stelle ſein Ge—
hilfe einnimmt. Dieſer führt eine zweite Peitſche,
hat die Pflicht, dann und wann abzuſpringen
und nach dem Geſchirr zu ſehen, wie auch neue
Blöcke für die Hemmſchuhe zurecht zu zimmern,
und ſucht ſich dann, ehe er wieder heraufklettert,
ein paar Taſchen voll Steine zuſammen, um dieſe
von oben auf ein etwa nachlaſſendes Thier hinab—
zuwerfen. Zu Zeiten ſpringt er auch, genau wie
die Treiber auf Java, eine Strecke neben den
Pferden her und haut ſo lange mit ſeiner Peitſche
auf ſie ein, bis er ſie in einen raſenden Galopp
gebracht. Daß er uns arme Paſſagiere im In⸗
nern dabei wie Erbſen in einer Kinderklapper
durcheinander wirft, kümmert ihn verwünſcht
67
wenig; er will nur raſcher von der Stelle kom
men, und das erreicht er denn auch in der That.
In Palmar, einem kleinen Städtchen, das
wahrſcheinlich ſeinen Namen von den palmen⸗
ähnlichen Bäumen hat, denn Palmen ſelber kom⸗
men natürlich auf der Hochebene nicht mehr vor,
frühſtückten wir, aber freilich ſehr erbärmlich,
und tranken einen nichtswürdigen Wein dazu.
Ueberhaupt muß man es ſich von da an vergehen
laſſen, Wein zu fordern, wenn man nicht für
eine nur einigermaßen trinkbare Sorte einen
ganz enormen Preis bezahlen will. Man muß
nämlich nicht allein den Wirthen den ſehr theuren
Transport, ſondern auch den Gewinn an dieſem
bezahlen, und daher kommt es, daß ſchon in
Puebla eine Flaſche Bordeaux 1½, eine Flaſche
haut sauterne 2 Silberdollars, in Mexiko die
letztere aber ſogar 2½, alſo beinahe 3 preußiſche
Thaler koſtet. Das iſt etwas zu viel für den
geringen Genuß. |
Ueberhaupt iſt Mexiko ein entſetzlich theures
Land; enorme Preiſe werden für Alles von dem
„armen Reiſenden“ gefordert, und man kann die
Hand nur fortwährend in der Taſche haben. Ein
Real (5 Silbergroſchen) iſt etwa genau daſſelbe
hier, was ein einzelner Groſchen bei uns iſt,
—
11 *
.)
68
N und wird womöglich noch geringer geachtet. Einem
deutſchen Schriftſteller kann es deshalb auch
in dieſem Lande der Unzen wohl nie recht be—
haglich werden. Ja, wenn ihn die Nachdrucker
5 bezahlen wollten, möchte es gehen, aber ſo ar—
beitet er mehr für andere Leute, als für ſich
ſelber, und das Einzige, was ihm übrig bleibt,
iſt, ſich in allen Stücken einzuſchränken.
Hinter Palmar kam ich zum erſten Mal in
Sicht der beiden berühmten Vulkane mit den faſt
unausſprechlichen Namen: Popocatépetl (der
rauchauswerfende Berg in der alten Indianer
ſprache), und daneben der breitere Iztaceihuatl
(die weiße Frau), und der letztere Name iſt nicht
ſchlecht gewählt, denn, beſonders wenn man etwas
näher kommt, läßt ſich, mit nur einiger Phan⸗
taſie, leicht eine mit einem rieſigen weißen Tuch
5 überdeckte, ruhende Frau auf dem Berge erkennen.
Uueeberhaupt findet ſich die ſe Bildung nicht jo
ſelten in Mexiko, denn lange, durch vulkaniſche
Kraft aufgeworfene Hügel zeigen noch an anderen
Orten in ihren wunderlichen Contouren Aehn—
lichkeit mit dem Bilde einer lang ausgeſtreckten
Frau. So paſſirten wir vor Puebla einen nicht
hohen Berg, die Malincha, auf dem die Phanz .
tafie uns ebenfalls eine Frau erkennen läßt, die,
69
auf dem Rücken liegend, mit heraufgezogenen 5
Knieen ruht. Geſichter laſſen ſich ebenfalls überall
auf den Bergen unterſcheiden.
Die beiden rieſigen Berge ſahen wunderbar 0
ſchön aus und ihre Kuppen waren mit ewigem
Schnee bedeckt. Durch die Biegung der Straße und
benachbarte Höhen wurde uns aber ihr Anblick
bald wieder entzogen, und ich tröſtete mich nur mit
dem Gedanken, daß wir ihnen ja jetzt immer
näher rückten und ſie bald in ihrer ganzen
Pracht bewundern ſollten.
Vor Puebla, das wir ſpät am Abend erreich—
ten, erhielten wir wieder eine reitende Escorte
von Bewaffneten, denn gerade in der Nachbar⸗
ſchaft einer größeren Stadt treibt ſich das raub⸗
luſtige Geſindel am meiſten herum. In Ori⸗ |
zaba ſchon, wo die Frau mit dem kleinen Kinde
und dem jungen Hunde ausſtieg, hatten wir
aber einen neuen Paſſagier bekommen, der einen
furchtbaren Schnupfen hatte und in einem fort
nieſte, die Zwiſchenzeit jedoch lediglich dazu be—
nutzte, Mord- und Raubgeſchichten an der Straße
zu erzählen, in denen er meiſtens eine Rolle
ſpielte. Es war ein kleiner Händler aus Mexiko
ſelber, kam jetzt von Tabasco und konnte die
70
Keckheit und Unverſchämtheit der Ladrones gar
nicht lebhaft genug beſchreiben. Er war eine
wahre Chronik ſämmtlicher in der Republik vorge—
fallenen Angriffe ſchlechter Menſchen, und immer
dazwiſchen durch kam dann wieder der Ausruf,
wie gnädig ihn beſonders der liebe Gott be—
ſchützt habe, daß er immer mit dem Leben davon—
gekommen ſei. Dabei ſtand ihm das Maul
keinen Augenblick ſtill und er wurde wirklich
zu einer Plage. n
Die Gegend von Palmar bis Puebla iſt troſt—
los genug. Dann und wann findet man wohl
mit Mais oder Weizen beſtellte Felder, aber
Cactus und Agaven (hier Mageh genannt) bil⸗
den überall die Hauptvegetation, und hier be—
traten wir auch den Diſtrict, wo die Bereitung
des Pulque beginnt: ein wunderliches Getränk,
das aus der Mageh Aloe-Art gewonnen wird,
und auf deſſen Bereitung ich ſpäter zurückkom—
men werde. Ich koſtete es in der einen kleinen
Stadt bei einem alten Weibe auf dem Markte,
das mir die gelblichweiße trübe Flüſſigkeit, in
der eine Menge kleiner ſchwarzer Gegenſtände
herumſchwammen, in einer ſchmus eg Calebaſſe
bredenzte.
724
Oh ihr Schönen, herrlichen Bilder von mexi—
kaniſchen Indianerinnen mit Federkrone und
Schurz, die ſehr im déshabillé in einer Hänge⸗
matte ruhen, oder graziös einen Bogen und Pfeil
in der Hand halten — wo ſeid ihr geblieben,
was iſt aus euch geworden? Das hier war
eine mexikaniſche Indianerin, wie entſetzlich
ſchmutzig ſah aber das alte Scheuſal aus, und
wie hingen ihr die Lumpen um die Knochen!
Ich überwand allerdings den Ekel und hob aus
Wißbegierde die Schale an die Lippen, aber es
war ein trauriger Genuß. Das trübe Zeug
ſchmeckte fade und ſchaal, etwa genau ſo wie es
ausſah, und ich goß den Reſt einem gerade vor»
beilaufenden Hund über den Rücken, der es
aber nicht einmal dort vertragen konnte.
Als es dunkel wurde, verſuchte ich zu ſchlafen
— es ging nicht. Das furchtbare Schütteln des
Wagens rüttelte mich immer wieder empor, wenn
mir ſelbſt der Mann mit dem Schnupfen Ruhe ge—
laſſen hätte, und ich dankte Gott, als wir end—
lich das Pflaſter von Puebla erreichten, wo wir
doch bald nicht allein ein Nachtquartier, ſondern
ſich auch ein paar Tage Raſt für mich finden
ſollten, da ich mir feſt vorgenommen hatte, Puebla
wenigſtens zwei oder drei Tage zu durchſtreifen.
äter lag ich ſchon
ee
1 3.
Puebla.
Die kleine Stadt und gewiſſermaßen auch
Feſtung Puebla, obgleich von Feſtungswerken
an der Stadt ſelber wenig ſichtbar iſt, war ein
zu hiſtoriſcher Platz geworden, als daß ich ihn
hätte mitten in der Nacht paſſiren koͤnnen. Ich
beſchloß, da ich übrigens meine Paſſage nach
Apizaco mit ſogenannter escala*) genommen,
hier jedenfalls einen oder mehrere Tage zu blei—
ben, und habe es wahrlich ſpäter nicht bereut.
*) Mit escala läßt man ſich auf den mexikanischen
Poſten einſchreiben, wenn man ſich unterwegs irgendwo auf⸗
zuhalten gedenkt, und kann dies jederzeit erlangen; vergißt
man aber, das kleine Wort einfügen zu laſſen, ſo wird Einem
ein ſolcher Aufenthalt, merkwürdiger Weiſe, gar nicht mehr ge⸗
ſtattet, und man muß die ſpäter zurückzulegende Strecke noch
einmal bezahlen.
74
Puebla liegt natürlich mit auf der Hochebene,
die hinter Orizaba beginnt und nach Weſten zu
den ganzen Flächenraum faſt bis Cuernavaca
hin umfaßt. Die Vegetation rings umher iſt
deshalb auch eine ziemlich dürftige und beſchränkt
ſich eigentlich auf kleine Büſche, wie die Aloe—
und Cactusarten. Deſto prachtvoller iſt aber
dafür die Scenerie, und es läßt ſich kaum etwas
Großartigeres denken, als ein Blick von dem
Fort aus über die Stadt, die mit ihren regel-
mäßigen Quadras zu des Schauenden Füßen
liegt, nach den herrlichen Vulkanen, dem Popo
catépetl und Iztaccihüatl hin.
Der erſte erhebt ſich mit ſeiner ſchneebedeck—
ten Spitze pyramidenförmig rechts empor, wäh—
rend links von ihm die „weiße Frau“ wie mit
einem Leichentuch überdeckt auf der langgezoge—
nen Kuppe des letzteren ruht. Aber nicht allein
durch ihre Höhe und Schneekuppen entzücken ſie
das Auge, nein, mehr noch durch den oft faſt
ununterbrochenen Wechſel ihrer Beleuchtung, je
nach den Dünſten, die aus ihren Schluchten auf—
ſteigen und bald phantaſtiſche Geſtalten um ſie
her bilden, bald düſtere Schatten auf ſie werfen,
um im nächſten Augenblick wieder der Sonne
75
vollen Raum zu gewähren, ſo daß man gar nicht
ſatt werden kann ihnen zuzuſchauen.
Aber wir wollen uns erſt der Stadt ſelber
zuwenden, und unwillkürlich entfährt da dem
Beſchauer der mitleidige Ausruf: Armes Puebla!
denn was hat dieſe Stadt nicht in den letzten
Jahrzehnten erfahren und gelitten, wo ſie faſt
immer der Schauplatz blutiger Belagerungen war
und das ausbaden mußte, was mexikaniſche Po—
litik oder franzöſiſche wie amerikaniſche Er—
oberungsgelüſte für ſie eingebrockt.
Der Anblick der Vorſtädte beſonders iſt wirk—
lich ein höchſt trauriger. Ueberall ſieht man
nur leerſtehende und meiſt zuſammengeſchoſſene
Gebäude und eingeſtürzte Mauern. Durch Ku—
geln zertrümmerte Kirchen und Thürme gehören
dort zu den Alltäglichkeiten, auf die auch wirk—
lich — wenigſtens keiner der Bewohner von
Puebla ſelber mehr achtet.
Die Roſe von Puebla! — ja, der Dichter
hat wahrlich Recht! Aus Blut und Leichen ſtieg
ſie empor, und in der einen Stadt ſind, glaub'
ich, Dank den Franzoſen, die beſonders nach Ba—
zaine's claſſiſcher Abſchiedsrede in der Haupt⸗
ſtadt nur allein nach Mexiko gekommen waren,
„um den Frieden im Innern herzuſtellen,“ mehr
76
Greuelthaten verübt worden, als in dem ganzen
übrigen Land zuſammen.
Uebrigens muß die Stadt früher, wie Quito
zum Beiſpiel bis noch zu dieſem Augenblick, faſt
einzig oder doch größtentheils aus Kirchen und
Klöſtern beſtanden haben, von denen die letzteren
faſt immer ganze Quadras oder Blöcke, und
damit einen ungeheuren Flächenraum einnehmen.
Und wie prachtvoll und bequem ſind ſie alle ge—
baut geweſen, mit gewaltigen, ſäulengetragenen
Gängen, mit kühlen, ſchattigen Hofräumen, in
denen ſich gar nicht etwa ſo ſelten ein plätſchernder
Springbrunnen fand, mit bequemen Gemächern
und luftigen Speiſeſälen — und jetzt haben die
Kugeln der Belagerer die maſſiven Mauern ge—
brochen, ſo daß dem Laien ein Blick in das Innere
geſtattet wird und er die Stätten ungeſtört betrach—
ten kann, wo früher die „Diener“ des Herrn, die
ſich aber zu Herren aller Menſchen zu machen ſuch—
ten und eine Revolution nach der andern in Mexiko
anfachten — in „ſtiller Demuth“ hauſten.
Juarez, der jetzige Präſident der Republik,
machte dieſem Treiben ein Ende. Ein paarmal ſchon
waren die Geiſtlichen mit ernſten Maßregeln be—
droht, wenn ſie keinen Frieden hielten, und man
hatte ihnen die Gewalt, die der Staat beſaß,
Anfangs nur gezeigt. Das aber, anſtatt fie vor-
ſichtiger zu machen, reizte fie zu größerer Wider—
ſetzlichkeit; ſie hielten es nicht für möglich, daß
irgend ein Präſident der ſtreng katholiſchen
Republik es wagen dürfe und könne, ihr Eigen⸗
thum — oder vielmehr das Eigenthum der Kirche
und dadurch Gottes, anzutaſten, bis ſie Jua⸗
rez eines ſchönen Morgens auf das unangenehmſte
mit einem drakoniſchen Edict überraſchte, in wel-
chem er ſämmtliche Klöſter aufhob und den Grund⸗
beſitz der Kirche für Staatseigenthum erklärte.
Uebrigens ſtehen noch eine Unmaſſe von Klö⸗
ſtern in Puebla verödet und unverkauft, und
zwar aus einem doppelten Grund.
Erſtlich wird der Grundbeſitz ſolcher geiſtli—
chen Güter allerdings zu einem Spottpreis aus⸗
geboten, er verlangt aber trotzdem ein bedeuten⸗
des Capital, um ihn wirklich zu verwerthen, denn
die Klöſter können in ihrem jetzigen Zuſtand na—
türlich nicht von Privatleuten benutzt werden, dieſe
entſetzlich dicken Mauern und Bauten aber nieder-
zureißen und wieder friſch aufzubauen, koſtet enorm
viel Geld, und nicht Jeder kann das daran wenden.
Ein anderer, viel tiefer gehender Grund liegt
aber in der Geiſtlichkeit ſelber, denn wenn den
Prieſtern auch die Gewalt aus den Händen ge⸗
78
nommen iſt und ſie nichts Poſitives gegen die
einmal erlaſſenen Geſetze der Regierung thun
konnen, jo wiſſen ſie doch deſto beſſer im Ge-
heimen zu bohren; — und wann hätten die Prie-
ſter irgend eines Volkes, ſo lange die Welt
ſteht und es Prieſter giebt, nicht den Aberglau-
ben deſſelben benutzt, um ihre eigenen Zwecke zu
erreichen.
Mit den Männern in Mexiko iſt nun aller⸗
dings nicht viel und nur in einzelnen Fällen
etwas anzufangen, aber deſto beſſer verſtehen ſie
dafür auf die Frauen einzuwirken, und darin
iſt der Staat — nachdem er einmal entſchieden
ſeine Trennung von der Kirche ausgeſprochen —
machtlos. | | 5
Oefter habe ich es nicht allein in Puebla,
nein noch viel mehr in der Hauptſtadt ſelber
ausſprechen hören, welch unheilvolles Treiben
unter der in Grund und Boden hinein verdor—
benen mexikaniſchen Geiſtlichkeit herrſcht, und des:
halb entblöden ſie ſich auch nicht, zu den un⸗
chriſtlichſten Mitteln ihre Zuflucht zu nehmen,
ihre weltlichen Güter zu retten, und nicht ein-
mal ein Geheimniß machen ſie oft daraus. Es
iſt zum Beiſpiel offen ausgeſprochen, daß ſie Jed⸗
wedem, der „gottesläſterlich“ auf einem ſolchen,
79
früher geiſtlichen Grundſtück wohnt und ſich ein
Haus darauf gebaut hat, oder ſelbſt das eines
Andern an ſolcher Stelle benutzt, allen geiſtlichen
Zuſpruch und ſelbſt die Abſolution verweigern.
Kein Kind wird von ihnen aus einem ſolchen
Haus getauft, keine Leichenceremonie vollzogen,
kurz und gut, jeder Bewohner einer Stätte, auf
der früher Kloſter oder Kirche geſtanden, iſt ge—
wiſſermaßen excommunicirt, und man erzählt ſich
dabei kaum glaubliche Geſchichten, wie ſie auf
dem Sterbebett Liegenden oder vielmehr ihren
Familien Verſprechungen und Gelübde abgezwun—
gen haben. — Das iſt die Liebe Gottes, die ſie
nicht allein predigen, ſondern auch durch ihr
Leben und Wirken bethätigen ſollen; und was
würde Chriſtus geſagt haben, wenn er Zeuge
einer ſolchen Wirthſchaft geweſen wäre? — Was
ſagte er damals?
Wie billig übrigens der Grundbeſitz in jetziger
Zeit iſt, mögen folgende zwei Beiſpiele zeigen.
Unmittelbar an der Stadt liegt ein herrliches
Schwefelbad. Eine gewaltige Quelle ſprudelt aus
einem Felsbecken hervor und wird in acht oder
zehn vortrefflich angelegte und ausgemauerte Bä⸗
der, in denen man bequem ſchwimmen kann,
hineingeleitet. Dicht daneben liegt ein 45 Schritt
llanges und 20 Schritt breites, ſchön angelegtes
i und ausgemauertes Pferdebad. Dazu gehört
ein kleinerer und ein ziemlich großer hübſch an—
gelegter Garten mit einem ſehr geräumigen und
leicht in Garten zu verwandelnden Hofraum, und
das Ganze wurde einem Kaufmann in Puebla
zu dem Bagatellpreiſe von 3000 Dollars ange⸗
boten. Dabei iſt die Quelle ſo mächtig, daß ſie
nicht allein alle dieſe Bäder unausgeſetzt reich—
lich mit friſchem Schwefelwaſſer ſpeiſt, nein, man
muß ſogar noch einen Theil unbenutzt ablaufen
laſſen, weil man augenblicklich keine Verwendung
dafür hat. |
Zu demſelben Preiſe wurde eine dicht an der
Stadt liegende, aber durch die Kugeln ziemlich
bös zugerichtete Kirche mit einem mehrere Acker
umfaſſenden großen Raſenplatz ausgeboten, und
iſt ſelbſt jetzt noch zu haben.
Kein Wunder — Puebla iſt durch dieſe ewigen
Kriege und Belagerungen, denen es ausgejeßt
geweſen, wenigſtens halb entvölkert worden, denn
wer irgend konnte, zog ſich aus der unausgeſetzt
bedrohten Stadt hinweg, und augenblicklich fehlt
im Lande vollſtändig das Vertrauen, dahin zu⸗
rückzukehren. Anders, weit anders wird das aber
werden, wenn erſt einmal die ſcharf im Bau be⸗
31
griffene Eiſenbahn zwiſchen Mexiko und Vera⸗
Cruz beendet iſt, was dem Contracte nach in
vier Jahren geſchehen fein muß, wenn die Ge⸗
ſellſchaft nicht ihre Anrechte und damit unge⸗
heure Capitalien verlieren will. Allerdings ge—
ſchah für Puebla nicht, was recht leicht hätte ge—
ſchehen koͤnnen und eigentlich ſtrategiſch hätte
geſchehen müſſen, da es nun einmal der Schlüf-
ſel zur Hauptſtadt des Landes iſt. Die Bahn
lauft nämlich nicht direct auf Puebla zu, ſondern
nördlich etwa 20 oder 22 Leguas daran hin.
Aber ſchon iſt eine Zweigbahn im Bau begriffen,
durch welche ſich Puebla direct an die jetzige
Endſtation Apizaco anſchließt, ſo daß man ſpäter
Mexiko von hier aus in etwa ſechs Stunden be—
quem und ſicher wird erreichen können, während
jetzt noch immer Straßenräuber den Weg be—
drohen und gefährden.
Ueberhaupt genießt Puebla ſelber, gerade in
dieſer Hinſicht, einen keineswegs guten Ruf,
und in der Nähe der Stadt ſind ſchon am erſten
bewaffnete Patrouillen nöthig, um das Geſindel
ein wenig im Zaum zu halten. Sonderbarer
Weiſe ſcheint ſich dieſes „Geſindel“ aber weit
weniger bei den unteren Klaſſen, als ſogar mehr
bei den höheren Ständen zu finden. Verſchiedene
Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. 6
82
Raubanfälle haben dort in der Nähe ſtattgefun—
den, bei denen einzelne der Räuber getödtet oder
Be. gefangen wurden, und man erkannte denn jedes—
mal in ihnen nicht etwa Strolche aus der Nach—
barſchaft, ſondern ganz angeſehene und wohl—
a habende Bürger aus der Stadt ſelber, die ſich
auf ſolche Weiſe einen kleinen Nebenverdienſt
geſucht.
Selbſt während ich dort war, wurden zwei
Kindern, einem Knaben von etwa zehn Jahren
und einem jungen Mädchen, auf dem Paſeo oder
Spaziergang, alſo noch in der Stadt, die Pferde
weggenommen, und auch „Erwachſenen“ iſt das
ſchon an der nämlichen Stelle und am hellen
Tage, mit einer ungeheuren Frechheit ausgeführt,
geſchehen. Ja, wenige Tage zuvor hatte man ſo—
gar einen jungen wohlhabenden Mann aus ſei—
nem eigenen Hauſe mit Gewalt und unter der
Drohung des Todtſchießens entführt, um ein
Löſegeld von ihm zu erpreſſen. Glücklicher Weiſe
aber wurden die Schurken entdeckt, und man
konnte den Bedrohten, ehe ihm etwas Ernſtliches
geſchehen, befreien.
Es geht dort jetzt auch in der That Niemand
ohne ſeinen Revolver aus, und noch weniger
darf man wagen, ohne Waffe vor die Stadt
hinaus zu reiten. Beiſpiele, daß ſolcher Leicht⸗
ſinn geſtraft wurde, kommen nur zu häufig vor.
Auf das freundlichſte wurde ich in Puebla
von einem Deutſchen, Herrn Berkenbuſch, auf;
genommen, und der genannte Herr opferte mir 5
in liebenswürdigſter Weiſe ſeine Zeit, um mich
in den wenigen Tagen meines dortigen Aufent⸗
haltes überall herumzuführen, was natürlich in
dieſem Lande nur immer zu Pferde geſchieht.
Nachdem wir alſo am erſten Tage die innere
Stadt und die Verwüſtungen beſehen, die ame
rikaniſche und franzöſiſche, ja ſelbſt mexikaniſche
Kanonen in ihren Mauern angerichtet — denn
wenn ein Theil der Stadt von den Feinden ge=
nommen war, beſchoſſen die mexikaniſchen Forts
vollkommen rückſichtslos ihre eigenen Landsleute,
— ritten wir am zweiten Tag nach der berühm⸗
ten Pyramide von Cholula hinaus, mit der
prachtvollen Ausſicht auf die beiden herrlichen
Vulkane.
Um Puebla herum iſt die Gegend, wie ſchon
erwähnt, wüſt und unangebaut — kein Feld liegt
da draußen, kein Garten, ja faſt kein Baum ſteht 5 |
in der ganzen Nachbarſchaft. Nur in der Ferne
nach Cholula zu hatte ich grünes Laub geſehen,
6 *
8⁴
aber nie im Leben geglaubt, dort eine ſo reizende,
wirklich herrliche Scenerie zu finden.
Vor uns ſahen wir einen niederen Hügel, den
mir mein Begleiter als die Pyramide zeigte; ich
hatte aber bis jetzt, und noch zu weit davon ent⸗
fernt, wenig darauf geachtet, und meine Augen
nur, wo es der etwas rauhe und ſehr ſtaubige
Weg erlaubte, auf die beiden ſchneegekrönten
Bergrieſen mit ihren wunderlichen Formen ge—
halten. Jetzt plötzlich, ganz in der Nähe des
kleinen freundlichen, mit zahlreichen und gut
gehaltenen Gärten umgebenen Ortes Cholula,
ſuchte ich wieder die Pyramide, und ſiel, über—
raſcht bei dem Anblick der ſich mir plotzlich bot,
meinem Pferd in die Zügel, denn der Moment
durfte nicht ſo raſch vorübergehen.
Unmittelbar vor mir lag der kleine Ort, und
einzelne Karawanen von Eſeln und Maulthieren
mit ihren maleriſchen, aber etwas ſchmutzigen
Führern und Führerinnen zogen noch immer der
Hauptſtadt zu, um dort ihre Producte abzuſetzen;
hinter dem Ort aber hob ſich dieſe ſogenannte
Pyramide — einer jener ſpitzen vulkaniſchen
Hügel, wie ſie ſich mehrfach hier, wie auch auf
der ganzen Hochebene finden, von einer hübſchen
Capelle mit hoher Kuppel gekrönt, empor, und
darüber lagen, der eine rechts, der andere links,
einen wahrhaft zauberiſch ſchönen Hintergrund
bildend, die beiden mächtigen Kuppen der ſchnee—
bedeckten Vulkane.
Einen Moment ſtutzte ich — ein unmöglicher
Gedanke zuckte mir durch's Hirn — „hier biſt
Du ſchon geweſen — die prachtvolle Gegend haft
Du ſchon einmal geſehen“ — aber es war auch,
wirklich nur ein Moment, denn Schon im nächſten
Augenblick ſtand Salzburg mit ſeiner Feſtung
und ſeinem ſchneebedeckten Untersberg vor meiner
Erinnerung. Die Pyramide von Cholula iſt nicht
ganz ſo hoch wie die Feſtung in Salzburg, und
das Thal dort viel mehr eingeengt, aber der
ganze Charakter erinnerte mich unwillkürlich an
jenes ſchöne Land, natürlich nur mit der Aus⸗
ſicht voraus, und ich konnte mich lange nicht
von dem Bilde losreißen. Ich glaubte auch wirk—
lich, ich hätte hier den ſchönſten Punkt Mexikos
erreicht — das Herz war mir jo voll und doch
ſo leicht, und ich hätte laut aufjubeln mögen
L und doch war mir ſpäter noch Schöneres,
viel Schöneres vorbehalten.
Endlich ritten wir weiter. Die Sonne brannte,
trotzdem daß wir uns im December und auf
ziemlicher Höhe befanden, faſt ſenkrecht auf das
86
fſtaubige Land nieder, und da wir noch die Py-
ramide ſelber beſteigen wollten, blieb uns nicht
viel Zeit, denn gerade in der Mittagsſonne durch
die kahle Ebene zurückzureiten, iſt eben nicht be-
ſonders angenehm. Wir ritten in die Stadt.
Gleich vorn in der erſten Straße ſtand eine An-
zahl von Indianern, von denen das Dorf faſt
ausſchließlich bewohnt wird, und hielt augen-
ſcheinlich eine Gemeindeverſammlung ab.
5 Die Männer trugen ihr einfach weißes —
wenigſtens weiß geweſenes Ba umwollenzeug, aber
außerdem auch noch, trotz der Hitze, ihre bunte
Serape über der Schulter, und ſchienen ernſtlich
vertieft über das nachzudenken, was ihnen der
Sprecher — übrigens ein ganz intelligent aus⸗
ſehender Burſche — vortrug. Die Verhandlung
wurde in ſpaniſcher Sprache geführt und von leben—
digen Geſticulationen begleitet. Um übrigens nicht
in den Verdacht zu kommen, als ob wir uns in die
Staatsgeheimniſſe des kleinen Ortes einſchleichen
wollten, ritten wir raſch und grüßend vorüber,
was die ganze Gemeindeverſammlung freundlich
und achtungsvoll erwiderte. Dann ſtellten wir
unſere Pferde in eine der Poſaden ein, die
übrigens genau ſo ausſah wie der ganze Ort.
Sie ſchien von jedem menſchlichen Weſen —
einen franzöſiſchen Hausknecht ausgenommen —
gründlich geräumt zu ſein. Alle Thüren und
Fenſter ſtanden natürlich offen, aber ſelbſt die
Stuben waren leer und der Hausrath beſchränkte
ſich in ihnen auf zwei oder drei Holzſtühle und
einen Tiſch.
Nicht einmal eine Erfriſchung war darin zu
bekommen und wir hielten uns auch nicht auf,
ſondern machten uns ungeſäumt auf den Weg
zu der „Pyramide“ ſelber, die ſich nur wenige
Hundert Schritt davon entfernt erhebt.
Es iſt das jedenfalls ein höchſt intereſſanter
Punkt, noch aus der alten Heidenzeit, und zeigt
deutlich, welche bedeutende Arbeiten die damaligen
Eingeborenen unternahmen, ohne vor der größten
Mühe und Beſchwerde — ganz unähnlich der
jetzigen faulen Race — zurückzuſchrecken. Ganz
ſicher aber iſt es nicht der Fall, daß dieſe ſo—
genannte Pyramide oder der ganze Hügel, auf
dem früher ein Tempel ſtand und den jetzt eine
chriſtliche Kirche krönt, ausſchließlich von Men—
ſchenhand aufgebaut ſei. An den Seiten ſieht 5 5
man allerdings deutlich und überall die feſt in⸗
einander gedrängten Mauern von ungebrannten
Ziegeln, ſogenannten adobies, die mit den Jah⸗
ren eine wirklich unbegreifliche Feſtigkeit erlangen, a
e
aber an einzelnen, durch ſpätere Regengüſſe wahr-
ſcheinlich abgeriſſenen Stellen kann man jetzt auch
eben ſo unbeſtreitbar die wirkliche und natürliche
Erde erkennen.
Solche ſpitze, oft koniſche, oft länger gedehnte,
niedrige Hügel finden ſich überall auf der ganzen
merxrikaniſchen Hochebene. Es ſind aber weiter
nichts als Erdblaſen, die durch vulkaniſche Erup—
tionen ausgeworfen ſind und von denen ſelbſt
noch verſchiedene in der Nähe von Cholula ſelber
ſtehen. Kaum denkbar iſt es deshalb auch —
obgleich fanatiſcher Wahnſinn noch manches Un—
begreiflichere möglich gemacht hat — daß man
hier verſucht und ausgeführt haben ſollte, einen
ganzen Berg mit Menſchenhänden an einer
Stelle aufzurichten, wo man, gar nicht weit davon
entfernt, die ganze Arbeit ſchon vollſtändig ge—
* than fand und mit Leichtigkeit benutzen konnte.
Viel wahrſcheinlicher bleibt — und der Meinung
ſchließen ſich faſt Alle an, die ich darüber geſpro—
chen und welche die Pyramide ſelber in ihrem
jetzigen Zuſtande geſehen, daß der Hügel aller—
dings ſchon beſtand, ehe man einen Tempel
darauf baute, daß ihn aber die Indianer, um
ihm nichts von ſeiner Höhe zu nehmen und doch
einen weiten Grund für ihre Bauten zu haben,
mit einem feften und breiten Mauerwerk um⸗
gaben. Dadurch erhielt er jedenfalls eine regel- je
mäßigere Form und oben — was ſie gerade
haben wollten — einen größeren Umfang. Den
eigentlichen kleinen Berg hat aber jedenfalls die
Natur ſelber aufgeworfen.
Die obenſtehende Kirche iſt noch nicht im 15
Innern ausgebaut und dem Gebrauch übergeben,
aber es wird ſcharf daran gearbeitet — was man
nämlich in Mexiko ſcharf nennt. Zwei Leute
fanden wir im Innern thätig, und vier lagen
draußen im Schatten und ruhten ſich ganz be=
haglich aus. Ein kleiner Junge aber, der uns
bald als Fremde ausgefunden, kam uns nach und
bot uns kleine Steinbilder an, die man noch
häufig dort im Boden findet. Es waren Geſichts⸗
masken von etwa anderthalb Zoll Länge, mit
nicht unſchönen Formen.“ |
Die Ausſicht von dort oben, auf der einen
Seite nach dem wirklich reizend im Thal liegenden
Puebla, auf der andern nach den Schneevulkanen
hin war überraſchend ſchön, und wir blieben
lange dort oben, um den Anblick zu genießen.
Auf dem Rückweg, als wir das kleine Dorf
wieder erreichten, wo zu Cortez' Zeiten eine Stadt
mit über 100,000 Einwohnern ſtand, und der
90
kecke Eroberer damals jenes furchtbare Blutbad
unter ihnen anrichtete, wanderten wir zuerſt durch
das verödete, aber prachtvoll angelegte Kloſter
mit ſeinen weiten kühlen Räumen, in denen wir
aber keinen einzigen Menſchen fanden. Das
ganze ungeheure Gebäude ſchien wie ausgeſtorben,
und doch welches fröhlich geiſtliche Leben mag
hier früher geherrſcht haben! Weite, prachtvolle
Säulengänge zogen ſich überall herum, und das
Centrum bildete ein kleiner, außerordentlich ge—
müthlicher Hofraum mit einem ſeligen Spring—
brunnen, der rings von ſchattigen Orangen- oder
Limonenbäumen umgeben war. | |
Aus dem Kloſter gingen wir über den großen,
freien Platz der ebenfalls leer und öde ſtehenden
Kirche zu, die man ihrer Größe nach faſt eine
Kathedrale nennen könnte. Anſcheinend war ſie
verſchloſſen. Die Thuͤr gab aber dem leichten
Druck der Hand nach, und wir ſtanden gleich
darauf in dem gewaltigen, von zahlreichen Säu—
len getragenen, aber ſonſt leeren Raum, aus dem
uns eine wirklich eiskalte Luft entgegenwehte.
Links, gleich am Eingang, ſtand ein lebens⸗
großes Bild des Heilandes mit dem Kreuz auf
dem Rücken. Sonſt war die Kirche meiſtens des
ſonſt üblichen Schmuckes beraubt, und nur noch
hie und da in den Niſchen und über verſchie⸗
denen Altären ſtanden andere Heiligenbilder. Auf-
gegeben ſchien man ſie aber doch nicht zu haben,
wie die verſchiedenen Kloſterkirchen in der Stadt,
in denen man ſogar die Vergoldung in den
Kuppeln und an den Seitenwänden abkratzte.
Weit hinten in einer der Vertiefungen ſtand ein
Mann auf einer hohen, etwas gefährlich aus⸗
ſehenden Leiter und reparirte etwas an der Wand,
und unter ihm ſaß ein Junge in einer alten
ſchmutzigen Serape und grunzte manchmal vor
ſich hin — vielleicht um uns aufmerkſam zu
machen, daß die Kirche bewacht wäre und wir uns
alſo vorſehen möchten. Das ganze Gebäude machte
übrigens einen wirklich großartigen Eindruck:
etwa ſechsunddreißig bis vierzig hohe Säulen
trugen — immer je vier — eine kleine Kuppel,
und die feierliche Stille, die auf dem Ganzen
lag und ſelbſt den leiſen Schritt laut ſchallen
machte, hatte in dem ſchmuckloſen und doch mäch—
tigen Raum etwas Ergreifendes und Impoſantes.
Ob die Kirche dem Gebrauch wieder übergeben
werden ſoll, weiß ich nicht — es ſchien faſt ſo,
und es wäre auch in der That ſchade, wenn ein
ſo ſchönes Bauwerk niedergeriſſen würde.
Freilich iſt dies das Zeitalter des Nieder⸗
92
reißens und Zerftörens, und wohin man in
Mexiko auch ſieht, findet man das bewahrheitet—
An Aufbauen denkt aber Niemand hier — ich
wenigſtens habe, während meines ganzen Aufent-
haltes im Lande, bis jetzt auch noch nicht ein ein—
ziges im Bau begriffenes Haus geſehen. Der
Krieg hat ſo viele Menſchen hingerafft, ſo viele
Familien verarmt oder gar außer Landes gejagt,
daß man, im Augenblick wenigſtens, an keine
Vergrößerung der Städte denken kann, und nur
Mühe hat, die vielen leer ſtehenden Wohnungen
an den Mann zu bringen.
Am nächſten Morgen beſuchte ich mit Herrn:
Berkenbuſch die berühmt gewordenen und mit
Blut ſo oft getränkten Feſtungshügel der Stadt,
und ich begreife in der That nicht, daß die doch
ſonſt gerade im Anſturm ſo vortrefflichen fran—
zöſiſchen Soldaten daſſelbe nicht gleich bei dem
erſten Angriff genommen haben, denn über die
Gräben kann man mit Bequemlichkeit hinüber—
ſpringen, und die Mauern ſind, wenn auch ſtark,
doch ſehr niedrig. Außerdem iſt das Fort ſo ge—
baut, daß man mit Hilfe der abgeriſſenen Hänge
auf der einen Seite wenigſtens bis dicht — ja
in Steinwurfsnähe unter den Mauern ankom—
men kann, ohne daß die Belagerten auch nur im
Stande wären, einen einzigen der Angreifer zum
Schuß zu bekommen. General Forey aber, der
den erſten Angriff leitete, war zu ſchwach. Er
hatte, in unſeliger Unterſchätzung des Feindes,
wenn ich nicht irre, nur dreihundert Mann, die
noch dazu, nach einem beſchwerlichen Marſch und
ohne ihnen eine Raſtzeit zu gönnen, zum Sturm
commandirt, aber entſchieden geſchlagen und zum
Rückzug gezwungen wurden. Mein Begleiter
zeigte mir die Stelle, wo das Blutbad ſtattfand,
denn viele Franzoſen fanden dort ihren Tod,
und ebenfalls den Platz, wo ſpäter von den Meri-
kanern vierzig franzöſiſche Soldatenleichen ver
brannt worden waren, damit ſie dort die Luft
nicht verpeſteten.
Unerklärlich iſt übrigens, wenn man von dort
oben das Terrain überſieht, ein Umſtand, der
auch ſpäter zur Eroberung Pueblas führte und
von dem vollkommen unzurechnungsfähigen Ge—
neral Ortega ganz überſehen wurde. Im Nor⸗
den von Puebla liegt nämlich, unmittelbar an
der Stadt, ein kleiner Hügel, der zwar nicht ſehr
hoch iſt, die Stadt aber doch vollkommen beherrſcht,
ohne daß er auch nur von der Garniſon beſetzt
geweſen wäre. Die Franzoſen, denen der Vor⸗
theil dieſer Stellung natürlich augenblicklich ein⸗
N
lleuchtete, umgingen ſpäter die Stadt. Ortega
ſah ſie und bemerkte noch zu ſeinem Adjutanten:
„Ich glaube wahrhaftig, die Lumpen wollen den
San Lorenzo beſetzen,“ machte aber nicht die ge—
ringſte Anſtalt, ſie davon abzuhalten, — wie er
ſich denn eben um gar nichts bekümmerte, ſon—
dern nur ein liederliches und luculliſches Leben
führte. Er hätte jedenfalls verdient gehabt, vor
ein Kriegsgericht geſtellt zu werden.
Eigenthümlich war übrigens ſeine Art, Sol-
daten zu preſſen; denn da man wußte, daß jeder
Waffenfähige in den Straßen aufgegriffen wurde,
wagten ſich die jungen Leute nur ſehr vorſichtig
hinaus, und ließen ſich zuletzt gar nicht mehr
im Freien blicken. Da ließ er eines Tages plötz—
lich mit allen Glocken läuten, und als das neu-
gierige Volk jetzt nach der Plaza ſtrömte, um zu
ſehen, was da vorgefallen ſei, wurde es plötzlich
von Soldaten umzingelt und Alles aufgegriffen,
was nur einigermaßen zum Soldaten tauglich war.
Dieſe verſchwanden indeſſen augenblicklich wie—
der, als die Stadt endlich von den Franzoſen
genommen wurde. Die mexikaniſchen Soldaten
riſſen ihre Uniformen ab, warfen ſie in Stücken
auf die Straße und zerbrachen ihre Flinten und
Säbel, aus Furcht, noch einmal gepreßt und une
ter das Militär geſteckt zu werden, und ver-
ſchwanden dann, irgend einer ruhigen Arbeit
nachgehend, in den Häuſern. Das Fort aber
feuerte luſtig herüber und ſchoß viele Bewohner
von Puebla in den Straßen todt.
Vorher ſchon hatte man aber zu einer ge—
waltſamen Maßregel ſeine Zuflucht genommen,
um den Soldaten das Paſſiren der Straßen zu =
erleichtern und ſie dabei keiner Gefahr auszu-
ſetzen. Man durchbrach nämlich die meiſt alle
maſſiven und ſehr dicken Mauern der Gebäude
von einem Hauſe zum andern, — unbekümmert
natürlich um alle dadurch gejtörten und oft voll—
kommen außer Cours geſetzten Familienwohnun—
gen, und wo ſich die Arbeiter zu dem Zwecke
zeigten, half keine Einwendung. Die Wände wur-
den durchbrochen und die Soldateska kroch in
langer Reihe hindurch.
Als wir zurück in die Stadt ritten, überhol-
ten wir einen kleinen Zug Infanterie, bei dem
aber die gemeinen Soldaten wirklich anſtändiger
ausſahen, als der Officier, der nicht einmal
einen Degen an der Seite trug. Die armen Teu⸗
fel werden aber auch ſchlecht genug beſoldet, und
gleich am erſten Morgen bettelte mich ein Sol—
dat, der ſich noch dazu auf Wache befand, an.
Ja, als ich nachher an der Schildwache, die das
Gewehr im Arm trug und die Sache geſehen
hatte, vorüberging, blieb ſie ſtehen und ſah ſo
freundlich aus, daß ich feſt überzeugt bin, ſie
würde mich ebenfalls um ein kleines Douceur
gebeten haben, wenn ich ihr nur Zeit dazu ge—
gönnt hätte.
Durch die Stadt wieder zurückreitend, paſſir—
ten wir eine ziemlich große Plaza, oder einen
Markt, wo in der Franzoſenzeit die Gefangenen
erſchoſſen wurden. Es ſollen dort zahlreiche Men—
ſchen hingerichtet ſein, und wie rückſichtslos man
dabei verfuhr, mag folgendes Beiſpiel erläutern.
Eines Morgens tritt die Wache in die Thür
des Gefängniſſes und ruft den Namen Ignaz
Perez aus, wonach einer der Unglücklichen, der
den Vornamen vielleicht nicht einmal gehört hatte,
aufſtand und ſagte: „Ich heiße Perez!“ Er
wurde dann einfach in die Mitte genommen, auf
die Plaza geführt und dort augenblicklich er—
ſchoſſen. An dem Abend noch ſtellte es ſich
aber heraus, daß dieſer Perez nur auf einen Ver⸗
dacht hin verhaftet geweſen war, und der andere
e Perez noch im Kerker ſaß. Das machte aber
nichts, — es war ja nichts verſäumt, und der
andere Perez — diesmal der richtige — wurde
nun einfach abgeholt und ebenfalls todtgeſchoſſen.
Er hatte ja geholfen, ſein Vaterland gegen die
Eroberer zu vertheidigen.
In der Mauer, als wir vorüber ritten, konnte
ich deutlich überall die faſt zahlloſen Kugellöcher
erkennen; — das Blut war natürlich lange ent⸗
fernt. — Oh Roſe von Puebla!
Auf dem Wege beſuchten wir noch die Schwefel—
bäder, — eine wirklich herrliche, aber jetzt im
Verhältniß außerordentlich wenig benutzte An—
lage, in welcher wir nicht einen einzigen Baden—
den trafen, — einen Mexikaner ausgenommen,
der mit ſeinem Hund in dem Pferdebad herum—
ſchwamm.
Das Waſſer iſt ſo ſtark ſchwefelhaltig, daß
eine ſilberne Uhr, wenn man ſie mit in's Bad
nimmt und dort offen auf die Bank legt, in ganz
kurzer Zeit ſchwarz wird. Es hat eine grün—
bläuliche Farbe und gemäßigte, nicht heiße Tem—
peratur, und die Quelle führt es in einem außer—
ordentlich ſtarken Strom direct in die großen,
viereckig gemauerten Baſſins.
Das Pferdebad iſt, wie vorhin erwähnt, 45
Schritt lang und 20 breit, und wird gegen das
Ende zu ſo tief, daß ein Pferd darin ſchwimmen
muß. Etwa zur Hälfte etwa, wo kleine eiſerne
Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. 7
98
Halter angebracht jind und wo den Thieren die
Fluth gerade über den Rücken geht, werden ſie
angebunden und müſſen dort eine für ihre Cur
beſtimmte Zeit ſtehen bleiben, was ſie ſich auch
ſehr ruhig und gern gefallen laſſen. Der Preis
iſt dabei ſehr billig geſtellt und koſtet — aller-
dings nicht im Verhältniß der Größe — für ein
Pferd einen Quartidio — etwa 12½ Pfennig —
für einen Menſchen 2½ Real (124, Sgr.)
In dem Garten blühten viele Roſen. Ich
nahm mir zum Andenken an Puebla einige da—
von mit.
Die Zeit der Stiergefechte iſt glücklicher Weiſe
ſo ziemlich vorüber, ſelbſt in Madrid ſollen ſie
unterſagt ſein, und auch in Puebla wurden ſie
verboten, nachdem ich die Stadt erſt kurze Zeit
verlaſſen hatte. Ich bekam dort aber doch noch
Gelegenheit, einem der letzten beizuwohnen, und
wenn ich auch das Schauſpiel ſelber haſſe, ſo
findet man doch an ſolchen Orten immer etwas
dem fremden Lande Eigenthümliches, und ich
mochte es deshalb nicht verſäumen.
Die Arena iſt weit und geräumig gebaut,
mit Bänken wie ein Circus, aber unbeſchützt
gegen Regen und Sonne. Nur die Zuſchauer
in den Logen ſitzen, bei etwa eintretendem Wetter,
trocken, und die Preiſe der Plätze find charakte⸗
riſtiſcher Weiſe ſo geſtellt, daß die Sonnenſeite
faſt um die Hälfte billiger iſt als die Schatten⸗
ſeite.
Der Raum, der Tauſende von Menſchen faſſen
kann, war nur ſpärlich beſetzt, Damen ſah man
überhaupt nur ſehr wenige. Am ſtärkſten waren
die unterſten, alſo die billigſten Plätze in An- =
ſpruch genommen, und dort jubelte das Volk
auch ſchon, als wir eintraten; denn der erſte
Stier, ein ziemlich junges Thier, war herein⸗
gelaſſen und der Clown oder Hanswurſt, der
ſich überhaupt ſehr paſſiv benahm und nur ein⸗
mal eine unglückliche Gaſtrolle als Picador gab,
hatte ſich von dem muthigen kleinen Burſchen
in der Arena herumjagen laſſen.
Der erſte Stier wurde auf die bekannte Weiſe
mit vorgehaltenen Tüchern geneckt — aber auch
ermüdet. Dann ſtieß man ihm mit buntem und
raſchelndem Papier beſteckte Stacheln in den
Rücken, wozu allerdings eine bedeutende Geſchick—
lichkeit und kaltes Blut gehört, denn der Picador
muß, wenn er nicht ausgeziſcht und ausgepfiffen
ſein will, dem Thier zwei dieſer Stacheln auf
einmal über die Hörner hinüber in die Schultern
ſtoßen und dabei außerordentlich geſchwind ſein,
7%
%
denn wenn er es nur um einen Moment verſieht,
ſo hat ihn das Thier rettungslos auf den Hör—
nern und er kann von Glück ſagen, wenn er
nicht ſchwer geſchädigt davonkommt.
2 Zuletzt ſteckten ſie dem armen geplagten Thier
75 noch mit Schwärmern gefüllte Stacheln an, die
ſich dann entzündeten und Feuer ſprühten, wäh—
rend das arme, gequälte Geſchöpf vor Wuth und
Schmerz laut aufbrüllte.
Als man ſich daran genügend ergötzt, kam der
Matador, um ihm den Gnadenſtoß zu geben. Er
neckte es erſt allerdings ein paarmal mit einem
rothen Tuch, während er aber den ſcharf geſchlif—
fenen Degen ſchon in der Hand trug. Jetzt kam
es wieder heran und er ſtach es — nicht etwa
in den Bug, daß es gleich todt zu Boden ſtürzte,
ſondern hinter das Schulterblatt, fo daß es noch
mehrere Minuten herumtaumelte, bis es ſich end—
lich niederthat und dann, unter dem Jubel—
brüllen der Menge, von dem „Schlächter“ vollends
getödtet wurde. f
Haben die Bewohner von Puebla denn noch
nicht genug Blut geſehen?
Dann kamen zwei mit den mexikaniſchen Far—
ben beſteckte Maulthiere herein, um das todte
Geſchöpf hinauszuziehen, ein ſchmutzig ausſehen—
der Burſche warf aus einem kleinen Karren
Sägeſpähne über das Blut und die Sache konnte
von Neuem beginnen.
Die zweite Abtheilung war intereſſanter. Ein
junger, muthiger Stier wurde hereingelaſſen und
zwei mit kurzen Lanzen bewaffnete Reiter erwar⸗
teten ihn. Die Lanzen hatten aber keine tödt-
liche Spitze, ſondern nur einen kurzen Stachel
mit Querhalt daran, um den Stier zu verhin—
dern, das Pferd unter den Leib zu faſſen. Uebri⸗
gens waren die Pferde ſelber durch einen den
halben Bauch deckenden Ledergurt, wie durch
zwei, vorn an jeder Seite hängende Leder ſo
ziemlich gegen jeden Stoß verwahrt, konnten
wenigſtens nicht ſo leicht geſchädigt werden.
Der Stier, gereizt, wandte ſich jetzt gegen den
einen Reiter und führte einen, wie es ſchien,
gefährlichen Stoß gegen das eine Pferd; aber
der Reiter hatte ihm geſchickt den Stachel in die
Schulter geſtoßen, und indem er das ganze Ge—
wicht ſeines eigenen Körpers dagegen lehnte,
hielt er das Thier, das nun machtlos in die Luft
hieb, erfolgreich von dem Gaul ab.
Jetzt ein anderes Bild. Vier Reiter ohne
Lederſchürze und Lanze — wie es ſchien, Ama:
teurs, hielten an der Thür, durch welche der er-
102
| wartete Stier Einlaß bekommen ſollte. Jetzt
öffnete ſich dieſelbe, aber es kam kaum mehr als
ein eben überwachſenes Kalb heraus — ein kleines,
ſchwarzes, ſchwächliches Geſchöpf, hinter dem die
Reiter jetzt herjagten, bis es Einer von ihnen
am Schwanz ergriff, dieſen dann, als er den
Moment für günſtig hielt, unter ſeinem eigenen
Bein durchzog und dann das arme Geſchöpf,
durch plötzliches Antreiben ſeines Pferdes, mit
dem Hintertheil herumwarf und dadurch zu Bo—
den riß. Das war das ganze Kunſtſtück, und
wie beifällig wurde daſſelbe von der verſammel—
ten Menge aufgenommen!
Jetzt, nach verſchiedenen anderen ee
kam der Schluß. Ebenfalls ein ganz junges
Thier, dem man aber auch noch zur Vorſicht die
Hörner durch Kugeln unſchädlich gemacht hatte,
wurde hereingelaſſen. Auf ein gegebenes Zeichen
ſprang die ganze Jugend, die wahrſcheinlich ſchon
lange auf den Moment gehofft und gewartet, in
die Arena und auf den Stier ein, der bei den
plötzlich von allen Seiten auftauchenden kleinen
Geſtalten gar nicht zu wiſſen ſchien, auf wen er
ſich zuerſt werfen ſolle. Suchte er ſich aber Einen
von ihnen aus, ſo ſprang der raſch zur Seite
oder hinter eine der an vier Seiten der Arena
103
aufgeſtellten Schutzwände, und indeſſen hatten
ſchon wieder zwanzig Andere den Kampf auf:
genommen. Uebrigens war die Sache gar nicht
ſo ganz ungefährlich, denn ſelbſt kleine, ungeſchickte
Jungen betheiligten ſich dabei, kamen zwiſchen
die Füße der anderen und geriethen ein paar—
mal in nicht geringe Gefahr, von dem zwar
kleinen, aber doch wüthend gemachten Thier ge—
faßt und in die Luft geworfen oder auch unter
die Füße getreten zu werden.
Uns wurde das Schauſpiel endlich widerlich
— wir traten hinaus auf den um das Gebäude
laufenden Balcon — drinnen jauchzte und ſchrie
das Volk vor Luſt und Wonne, wenn das arme,
geängſtigte, junge Thier von einem Schwarm
großer, brutaler Jungen gefaßt und zu Boden
geworfen wurde, und hier draußen? — Dort
drüben lagen in einem unbeſchreiblichen Glanz
und Zauber die beiden Schneevulkane, von dem
roſigen Glanz der untergehenden Sonne wie mit
Purpur übergoſſen — ein Bild der ſtillen Ruhe
und der Größe Gottes, während da drinnen ein
entartetes Geſchlecht eins ſeiner Geſchöpfe miß—
handelte und dabei in viehiſches Jauchzen aus⸗
brach. — Sonderbare Welt, ſo voll von Schön—
heit und Erbärmlichkeit! Aber Eins beſteht neben
104
dem Andern — wir wiſſen nicht wozu — wir
begreifen es nicht. Ich aber muß geſtehen, daß
ich mich beim Anblick dieſes wundervollen Schau—
ſpiels in der That ſchämte, Zeuge jenes Skan—
dals dort im Innern geweſen zu ſein — es kam
mir jetzt wie eine Entwürdigung der herrlichen
Natur vor, die hier draußen alle ihre Schätze
für das Auge des Menſchen ausbreitete, und ich
ſchwur mir heimlich zu, daß dies das letzte Stier—
gefecht ſein ſolle, dem ich je im Leben beigewohnt.
4.
Von Wuebla nach Mexiko.
In Puebla ging die Diligence, die aber von
hier ab aus drei Wagen beſtand, denn der Ver—
kehr zwiſchen Puebla und Mexiko iſt ziemlich
bedeutend, wieder Morgens um vier Uhr, alſo
noch in ſtockfinſterer Nacht ab, und jo wenig
traute man den Pueblanern, daß eine ſtarke Es-
corte neben den Diligencen herritt. Uebrigens
ſahen die Burſchen ſelber wirklichen Straßen—
räubern ſo ähnlich, wie ein Ei dem andern, und
als ſie mit Tagesgrauen wieder von uns Abſchied
nahmen und uns unſerem Schickſal allein über—
ließen, ritten auch wirklich ein paar von ihnen
an den Wagen heran und — baten ſich ein Dou—
ceur aus — die alte Geſchichte. Sie waren jedoch
mit einer Kleinigkeit von einigen Realen außer—
ordentlich zufrieden und bedankten ſich freundlichſt.
106
Noch muß ich bemerken, daß die beiden anderen
Diligencen mit den Paſſagieren des damals von
Havannah gekommenen Dampfers — faſt lauter
Franzoſen — beſetzt waren. Sie hatten ihre kurze
Quarantaine abgelegen und mich in Puebla über—
holt. Von dieſen gingen aber die meiſten eben—
falls bewaffnet, und wir konnten von da ab einer
möglichen Bande von Straßenräubern ſchon ganz
entſchieden die Stirn zeigen.
Wunderbar herrlich wurde aber der Anblick
der beiden Vulkane Popocatépetl und Iztacci—
hüatl, als der dämmernde Tag ſeine erſten Lichter
auf ihre bleichen Schneekegel warf und ſie mit
immer höherem prachtvolleren Roth übergoß, und
noch pittoresker der Anblick, als endlich, dicht
vor Tagesanbruch, der blitzende Orion mit ſeinen
hellen Sternen gerade zwiſchen den beiden Bergen
unterging und die ſonſt dunkle Stelle wirklich
funkeln machte. Es war herrlich, und doch ſollte
ich dieſe Berge noch viel ſchöner ſehen.
Uebrigens nahm der Weg unſere ganze Auf—
merkſamkeit in Anſpruch, denn er war, was man
hier beſſer nannte, und unſere drei Marterkaſten
konnten deshalb in einem ſcharfen Trab über
die Bahn hingeſchüttelt werden. Dazu obenauf
407: .
mit einer geladenen Büchſe zu ſitzen — denn ge—
rade dieſer Theil der Straße wurde für ziemlich
gefährdet gehalten — war in der That ein Kunſt⸗
ſtück und lenkte die Aufmerkſamkeit leider viel
zu viel von der reizenden Scenerie ab.
Von Puebla aus führte jetzt unſere Bahn
auch ganz entſchieden auf der Hochebene von
Mexiko hin, und der Charakter des Landes ſprach
ſich immer deutlicher in allerlei Arten von
Stachelpflanzen, als: Cactus-, Mageh- und Nu⸗
kaarten, aus. Viele Akazien wuchſen ebenfalls,
wie denn die Mimoſen ſtark vertreten blieben,
und wirklich angebaute und dann meiſt immer
mit Mais bebaute Felder ſchienen eigentlich ſehr
ſelten. Selbſt an den kleineren Häuſern, die
wir von Zeit zu Zeit paſſirten, mußten es die
Eingeborenen nicht einmal für nöthig gehalten
haben, ein kleines Stück Feld oder ein Gärtchen
anzulegen, und doch würden dort gewiß allerlei
Arten von Fruchtbäumen gewachſen ſein. Nur
die Pulquepflanze, die wichtige Mageh, trat in
den Vordergrund, und ziemlich weite Flächen ſah
ich ſchon damit bepflanzt, obgleich der eigentliche
Bau derſelben mehr näher zu Mexiko ſelber
beginnt.
Es iſt eine merkwürdige Thatſache, daß die
108
Agave, und gerade dieſe Art derſelben, in vielen
Theilen Amerikas, beſonders in Ecuador, Peru
und Venezuela wächſt und in keinem Lande faſt
der Rede werth benutzt wird. Nur in Ecuador
ſcheinen die Indianer den Nutzen dieſer Pflanze
zu kennen, ohne daß ſie aber nur den geringſten
Handel damit treiben, und wie wird ſie hier in
Mexiko ausgebeutet.
Mit Recht heißt ſie hier „die Kuh des Landes“
denn man melkt ſie nicht allein bis zu ihrem
letzten Lebenstropfen aus, ſondern benutzt ſie
auch noch zu zahlloſen anderen Zwecken; es giebt
in der That kein nützlicheres oder wenigſtens
mehr benutztes Gewächs in dem ganzen weiten
Reich.
Es iſt nicht die eigentliche Aloepflanze, die
wohl Jeder bei uns der Form nach kennt, aber
doch ein ganz ähnliches Gewächs, nur in weit
koloſſalerem Maßſtab, und ich habe ausgewachſene
und zum Schafttreiben vollkommen reife Pflan—
zen geſehen, die einen Flächenraum von wenig—
ſtens 45 Fuß im Umkreis einnahmen. Die mit
Stacheln bewehrten Blätter ſind dabei außer—
5 ordentlich dick und fleiſchig und enthalten eine
Unmaſſe Saft, der aber bis zum fünften Jahr
vollſtändig werthlos und herb bleibt und deshalb
109
bis zur richtigen Zeit geſchont werden muß.
Dieſer Zeitpunkt beginnt, wenn die Pflanze im
Begriff ſteht ihren Blüthenſchaft zu treiben, und
man kann das ſehr deutlich daran erkennen,
daß ſie von dem mittelſten, enorm dicken Trieb
Blatt nach Blatt ablöſt und dieſen zuletzt nicht
viel dicker läßt als ein einzelnes zuſammenge—
rolltes Blatt.
Jetzt iſt der Moment gekommen, die Pflanze
anzuzapfen, und das geſchieht auf folgende, nicht
eben ganz bequeme Art, daß man nämlich an
der Stelle, an der man angreifen will, zuerſt
die Kanten der nächſten Blätter glättet und ſie
von ihren Stacheln befreit — denn wollte man
Blätter ausſchneiden, ſo würde nicht allein zu
viel Saft verloren gehen, ſondern ſich die Pflanze
vielleicht ſogar auch verbluten. Nun wird das
den beginnenden Pflanzenſchaft noch umgebende
Blatt mit einem beſonders dazu gehaltenen
eiſernen Inſtrument abgeſtoßen und herausge—
riſſen, und iſt man jetzt zu der Stelle gelangt,
wo das eigentliche Herz ſitzt, ſo gräbt man dort,
mit einer Art von Kratzer, ein Loch hinein, das
unten rund ausgeſchabt wird und Anfangs noch
ziemlich klein iſt. In dieſer Höhlung ſoll ſich
110
der Saft der Pflanze ſammeln, und ſie wird auch
danach das „Faß“ genannt.
Gleich im Anfang kann man aber noch nicht
den Saft benutzen, ſo wird alſo vorher eine
Handvoll Wurzelwerk oder Faſern hineingeſtopft,
das etwa vierzehn Tage lang darin anfaulen
muß. Iſt das geſchehen, jo nimmt man es wies
der heraus, kratzt die innere Höhlung auf's Neue
etwas aus, um die Poren vollſtändig zu öffnen,
und kann nun die Ernte beginnen, die monate=
lang dauert und in der Zeit jeden Tag ihren
Ertrag liefert. An jedem Morgen geht der Ar—
beiter hinaus, ſetzt einen langen, dünnen Flaſchen—
kürbis als Heber ein, zieht den Saft, der ſich
in der Nacht angeſammelt hat, heraus und läßt
ihn in einen bereit gehaltenen Schlauch oder ein
anderes Gefäß, um ihn dann aus allen Pflanzen
zuſammen in einen dazu beſtimmten Bottich zu
tragen und gähren zu laſſen.
Dieſer erſte Saft heißt Agua miel oder Honig-
waſſer, und iſt nicht allein ſehr ſüß und ange—
nehm zu trinken, ſondern ſchmeckt auch genau
wie das Waſſer aus einer eben gereiften Cocos—
nuß — aber es darf nur ſehr vorſichtig, und
beſonders von verheiratheten Frauen zu beſtimm—
ten Zeiten gar nicht getrunken werden. Sobald
111
es aber einer leichten und zwar ſehr raſchen Gäh—
rung unterzogen wurde, iſt es vollkommen uns
ſchädlich, ja ſogar ſehr geſund und belebend, und
wird deshalb auch in ganz ungeheuren Quanti—
täten von der geſammten Bevölkerung Mexikos
genoſſen.
Der Pulque ſelber ſieht weiß und milchig,
aus und hat, wenn man erſt einmal ein wenig
daran gewöhnt iſt, einen nicht unangenehm ſäuer—
lichen Geſchmack, mit etwas zäher und ſchleimiger
Conſiſtenz. Er iſt auch herb genug, um den
Durſt leicht zu ſtillen, und geiſtig genug, um,
beſonders bei größeren Quantitäten, gehörig zu
berauſchen. Uebrigens bildet er in jenen Gegen—
den, wo er hauptſächlich gedeiht, und das iſt vor
Allem auf dieſem Theil der mexikaniſchen Hoch—
ebene, einen bedeutenden Handelsartikel, der
ganze Eiſenbahnzüge in Anſpruch nimmt und
Tauſende von Menſchen ernährt.
Man darf indeß ja nicht glauben, daß die
Mageh nicht auch ihre Arbeit verlangt, denn obgleich
ſie wild im Lande wächſt, muß ſie, um einen recht
reichlichen Ertrag zu liefern, in guten tief gegra—
benen Boden eingepflanzt werden, und erſt dann,
wenn man die Erde auch noch nach einiger Zeit
um die jungen Pflanzen auflockert, darf man ſich
112
eines reichen und lohnenden Ertrags verfichert
halten. Waſſer braucht die Pflanze faſt gar
nicht, außer in der allererſten Zeit, um nur ein⸗
mal ihre Triebe auszubreiten, und ſelbſt da iſt
es vielleicht nicht einmal unbedingt nothwendig,
denn es ſcheint faſt unglaublich, welche Miß—
handlung die junge Pflanze erträgt, ohne davon
auch nur im mindeſten berührt zu werden. So
verſicherte mir ein dortiger Magehpflanzer, daß
er beſonders einen Schößling, den er mir zeigte
und der jetzt in voller Kraft und Ueppigkeit'ſeine
dicken Blätter entfaltete, zwei volle Jahre habe
draußen im Freien, im Winter in Kälte und
Naäſſe, im Sommer in der heißen, glühenden
Sonne auf einem Steinhaufen unbeachtet liegen
laſſen, und als er dem faſt vollſtändig Verwelkten
dann endlich guten Boden gab, griff er augenblick—
lich Wurzel und iſt jetzt eine ſeiner beſten Pflanzen.
Allerdings braucht die Mageh reichlich ihre
fünf Jahr, bis ſie, ſelbſt unter günſtigen Ver—
hältniſſen, ihren Blüthenſchaft zu treiben anfängt;
dann aber giebt ſie auch viele Monate hinter—
einander ihren Saft und jede einzelne einen Er—
trag von 10—45 Dollars, ja iſt ſie recht ſtark
und kräftig, auch vielleicht noch mehr. An jedem
Morgen wird dabei die Höhlung, in welcher ſich
a her
A
113
der Agua miel befindet, nachdem der Arbeiter
dieſen herausgehoben, wieder leicht ausgekratzt
und dadurch natürlich immer größer, und bei
recht ſtarken Pflanzen findet man oft eine ſoge—
nannte caja, die faſt einen Fuß im Durchmeſſer
hält.
Nach und nach aber ſtirbt die Pflanze ab.
Der ganze Saft, den ſie vorbereitet hatte, um
ihren Blüthenſchaft zu treiben, geht in die Höh—
lung hinein und wird ihr entzogen. Die Blätter
werden nach und nach welk, und wenn ſie ihre
letzten Kräfte erſchöpft hat, ſtirbt ſie ab und wird
ausgehackt, um den Nachbarpflanzen Raum zu
geben. Rings um ihre Wurzel hat fie aber ſchon
wieder zahlreiche Schößlinge ausgetrieben, die
freilich früher entfernt werden müſſen, ehe der
Hauptſtock zu ſehr angegriffen wird, da ſie ja 8
ſelber auch von dieſem ihr Leben erhalten. Wird
das verſäumt, jo kann man ſich auch darauf ver—
laſſen, daß aus den zu ſpät fortgenommenen
Schößlingen nie etwas Ordentliches wird.
Die Behandlungsart des Saftes iſt ungemein
einfach, denn zu dem in ein Gefäß geſchütteten
Agua miel, wie er aus der Pflanze kommt, wird
nur etwas gegohrener Pulgque zugeſetzt, und er
Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. 8
—
114
geht ſelber dann ſehr leicht und raſch in Gährung
| über, wobei er eine milchige Färbung annimmt.
Außerdem benutzt man aber auch noch die
Magehpflanze zu einer Menge von anderen Din—
gen. Aus einer andern Art derſelben wird ein
vorzüglicher Baſt gewonnen, der billige und
ziemlich haltbare Seile liefert, Beutel und Säcke
verfertigt man ebenfalls daraus. Das abgeſtorbene
welke und dann getrocknete Blattzeug wird zur
Feuerung verwendet, und oben in den Bergen
habe ich ſogar geſehen, daß ſie mit den fleiſchigen
Blättern ihre Hütten ſowohl decken, als auch die
Seitenwände derſelben davon bilden. Das aber
geſchieht natürlich nur aus ſolchen Pflanzen, die
ſich nicht zur Pulquebereitung eignen, denn ſolche
dürfte man nicht in dieſer Weiſe mißhandeln.
Die Pulque-Magehpflanze findet aber nach
Weiten zu ihre Grenze. Hinter Cuernavaca wird
der Boden zu heiß zu ihrem Anbau, und es
wächſt hier eine andere, bedeutend kleinere Art,
aus der man aber auch einen recht guten Brannt—
wein, den ſogenannten Mescal, bereitet. Der iſt
übrigens eine neuere Erfindung, und die früheren
Indianer ſcheinen ihn nicht gekannt zu haben,
während ſchon Montezuma ſein Gläschen oder
Calabaschen Pulque trank und ſich wahrſcheinlich
1497:
beſonders wohl dabei fühlte, bis i die Spanier
den Spaß verdarben.
Der Weg war entſetzlich ſtaubig, aber was
kümmerte das den Kutſcher der Diligence! Nur
wenn er manchmal die Maulthiere gar nicht mehr
erkennen konnte, und nun allerdings der Gefahr
ausgeſetzt war, mit dem ganzen Kaſten in eins
der gar nicht etwa ſo ſeltenen Löcher hinein zu
fahren, hielt er einen Moment an, ließ den Staub
vorüberziehen und hieb dann wieder mit voller
Macht auf die Thiere ein.
Bald hatten wir jetzt aber auch den Endpunkt
unſerer gegenwärtigen Qual — der ganzen Dili—
gencefahrt — erreicht, denn Apizaco, ein kleines,
erbärmliches, aus ein paar Hütten beſtehendes
Neſt, lag vor uns, und von hier aus konnten
wir unſern Weg, Gott ſei Dank, mit der bis
hierher beendeten Eiſenbahn fortſetzen. Die Wohl-
that einer ſolchen erkennt man auch wirklich erſt
in ihrem vollen Werthe an, wenn man auf einem
ſolchen Marterweg eine Weile gerädert worden,
und mit einem aus voller Bruſt heraufgeholten
Seufzer ſprang ich, dort endlich angelangt, von
dem Bock herunter und ſtärkte dann die müden
Glieder durch ein ſehr frugales Mahl und ein noch
frugaleres Glas Pulque, das mir aber damals
8 *
116
noch gar nicht munden wollte. Man muß ſich
erſt an das „Göttergetränk“ gewöhnen, ehe man
einen wirklichen Genuß darin finden kann.
Die Wagen der Bahn find ziemlich gut ein-
gerichtet und der Zug fährt auch verhältnißmäßig
ſehr raſch, aber fait zum Verzweifeln iſt der ewige
Aufenthalt auf den verſchiedenen Stationen, der
gar nicht etwa ſo ſelten eine — ja, anderthalb
Stunden dauert, ohne daß man den geringſten
Grund für eine ſolche Verzögerung erfahren
könnte. Höchſt intereſſant war aber trotzdem der,
wenn auch zu lange Aufenthalt auf dieſen Plätzen,
denn wir hatten jetzt die wirkliche und Haupt⸗
pulque⸗Gegend erreicht, und ich mußte über den
ungeheuren Verkehr ſtaunen, den dieſes anſchei—
nend ſo unbedeutende Product hervorgerufen.
Ganze Züge von Eſeln, mit gefüllten Ziegen—
oder Schweinefellen beladen, ſah man ſchon aus
der Ferne den Stationspunkten zu heranziehen,
und Wagen nach Wagen ſtand dort beladen, um
raſch ſeine Fracht nach Mexiko zu ſenden. Die
Hauptſtadt conſumirt in der That einen nicht
unbedeutenden Theil des dortigen Ertrages —
und was trinken die Leute dabei ſelber! Hier
füllt eine Gruppe das edle, milchig ausſehende
Getränk aus ſeinen Schläuchen in die der Käufer,
117
und eine rieſige Calabaſſe geht dabei von Hand 5
zu Hand, die, wenn aus dem einen geöffneten
Ziegenbein gefüllt, die Lippen eines Einzelnen
nicht verläßt, ohne geleert zu werden — und doch
ſoll das Getränk den, der nicht daran gewöhnt
iſt, ſehr leicht berauſchen; dort dagegen hocken
Frauen, die ſich einen der Schläuche gekauft, .
und detailliren ihn. Wie ſie ihn meſſen, weiß
ich nicht, ich habe es nie geſehen, und ich glaube,
daß das Augenmaß in dem Umfang des Leder 5
ſackes bei einer ſehr bedeutenden und täglich be—
reicherten Erfahrung wohl den Hauptmaßſtab
giebt. N
Uebrigens iſt es eine Thatſache, daß ganze
Eiſenbahnzüge zwiſchen Mexiko und Apizaco nichts
befördern als Pulque, und man auch ſchon an⸗ 8
gefangen hat, denſelben in beſonders dazu ges
haltene Fäſſer zu füllen, was ihm allerdings nur
zum Vortheil gereichen kann, da es den ſehr
unangenehmen Fellgeſchmack beſeitigt.
Die ganze Landſchaft dabei, zwiſchen der
Station und der Hauptſtadt, iſt mit faſt nichts
weiter bebaut, als dieſer Agavenart, von der
man oft ganz ungeheure Exemplare findet, und
man kann ſich kaum einen wunderlicheren Anblick
denken, als ein ſolches Feld, da die dicken und
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| 118
ſtacheligen Blätter der Mageh, die ſich nach allen
Seiten ausbreiten, für jede Pflanze einen nicht
n
unbedeutenden Platz beanſpruchen. Wenn man
nun noch bedenkt, daß ſie oft ganze weite Thäler
füllen, und dazu hoch an den Hängen der Hoch—
ebenen hinauflaufen, ſo glaubt man ſich oft in
eine öde Wildniß verſetzt, zeigten nicht die regel—
mäßigen Reihen die hier ſchaffende Hand der
Menſchen.
Um die beiden herrlichen Vulkane waren wir in
einem Halbkreiſe herumgefahren, denn der eigent—
liche Richtweg zieht ſich mitten zwiſchen ihnen hin—
durch, und den hatte auch damals Cortez eingeſchla—
gen, als er mit ſeiner kecken Räuberſchaar in das
Land ein⸗ und gegen die Hauptſtadt vordrang.
Die Pfade dort ſind aber noch entſetzlich rauh, und
auch ſchon um die Eiſenbahn zu erreichen, muß
man den nicht unbeträchtlichen Bogen machen.
Dadurch aber bekommt man das Bild der beiden
Berge von anderer und ganz verſchiedener Seite.
Von Puebla aus geſehen, liegt der Popocatepetl
an der linken Seite, die weiße ruhende Frau
dagegen rechts. Jetzt haben ſie ihre Stellung
verändert. Die letztere liegt zur Linken, und
weiter entfernt, aber rechts, erhebt ſich der ſpitze
Schneekegel des Popocateépetl.
BE
Der Abend dämmerte, und wir waren noch
ein tüchtiges Stück von der Hauptſtadt entfernt,
aber die Scenerie nahm einen immer intereſſan—
teren Charakter an. Schon näherten wir uns
den großen Seen, welche die Hauptſtadt des
Landes umgeben und die in den erſten Kriegen
mit den Spaniern eine jo bedeutende Rolle ſpiel-
ten — aber die Civiliſation hatte ſich auch ihrer
bemächtigt. Der Telegraphendraht lief durch ſie
hin, und zwar auf eiſernen Pfeilern — jeden
falls eine Verbeſſerung der Kaiſerzeit, deren
Spuren ja noch durch das ganze Land verbreitet
ſind. |
Das Waſſer der Seen, das ſonderbarer Weiſe
ſalzig iſt und an deſſen Ufern die Indianer ein
grobes Salz und Salpeter ſammeln, ſah gelb
und trüb aus und ſchien höher als die Stadt
ſelber zu liegen, denn von da ab ſenkte ſich der
Weg — der Duft des Abends legte ſich dabei
über die Landſchaft und die Berge — unwillkür⸗
lich flog mein Blick nach den Vulkanen hinüber
und ſah von dem Moment an nichts weiter,
denn das Bild, das ſich dort dem Auge bot, war
wahrhaft zauberiſch ſchön.
Die Sonne ſank eben hinter den weſtlichen
Bergen und goß ihren roſenrothen Schimmer
190
auf den Schnee der Vulkane, die darunter er:
glühten. Aber das dauerte nicht lange, denn die
Dämmerung iſt auch hier nur kurz, und kaum war
ſie etwa zehn Minuten verſchwunden, als plötzlich
blaue, düſtere Schleier empor- und höher und
höher ſtiegen, während der Schnee der Berge in
derſelben Zeit jene bleierne, düſtere Färbung an—
nahm, die ihm jedesmal gleich nach dem Schwin—
den des Abendrothes eigen iſt. Der Popocaté—
petl blieb aber von dem Duft unberührt, ſeine
Kuppe ragte noch immer hervor, während die
weiße ruhende Frau dagegen für wenige Minu-
ten darin verſchwand. — Jetzt plötzlich änderte
. ſich, wie mit einem Schlag, das Bild: die
Nacht war angebrochen, und mit faſt blendend
weißem Schein ſtach der Gipfel des Popocateépetl
gegen den blauen, geſtirnten Himmel ab, während
faſt in dem nämlichen Moment das rieſige Bild
der ruhenden weißen Frau, noch von dem Abend—
duft getragen, der den unteren Theil des Gebirges
verdeckte, wie in der Luft zu ſchweben ſchien. Es
war, als ob ſie eben langſam und feierlich von
a dem Gipfel des neben ihr emporragenden Nach—
bars abgeſtrichen ſei und nun durch die Lüfte
der ewigen Ruhe entgegengetragen werde.
Um uns her lag die Nacht, und nur undeut⸗
124
lich ließ es ſich erkennen, daß wir die Gegend 175
der Agaven verlaſſen hatten und in ein Land eine
tauchten, in dem es wieder Büſche und auch
Bäume gab. Lichter ſchimmerten durch das
dunkle Laub, beleuchtete Häuſer wurden ſichtbar,
die ſchönen Berge verſchwanden hinter aufgeführ⸗
ten Bauten, und bald darauf hielt der Zug vor N
einem Schwarm von Menſchen, der ſich mit einer
wahren Gier über das Gepäck herſtürzte. In
dieſem Augenblick hätte man auch eben ſo gut in
einer großen europäiſchen Stadt ſein können,
ebenſo pfiff die Locomotive, ebenſo bremſten die
Wagen, ebenſo ſchrieen und drängten ſich die
Menſchen, und ebenſo raſſelten die Droſchken her—
an, um einfache Paſſagiere zu erbeuten und dop=
pelte Fahrtaxe von ihnen zu erpreſſen.
Was für ein langer, ſonderbarer Bogengang
war das, an dem wir hinfuhren? — Die alte
ſpaniſche Waſſerleitung — wir waren doch wohl ;
in Mexiko — und doch wieder zweifelte ich, denn
plötzlich hielt die Droſchke wieder und mein Kut
ſcher meldete mir, daß hier, an dem Thor der
Hauptſtadt, das Gepäck noch einmal viſitirt wer⸗
den müſſe. Richtig, mein alter Koffer mußte ſich
auch dieſer Unbequemlichkeit unterziehen, und erſt
als ſich nach ziemlich genauer Unterſuchung er—
5
Die Hauptſt
dt Mexiko.
Ein ganz eigenthümliches, aber unſtreitig
wohlthuendes Gefühl war es, mit dem ich in die
Hauptſtadt von Mexiko einfuhr. Alle die alten
Jugenderinnerungen wurden wach — die Gier,
mit der ich damals die Eroberung von Mexiko
geleſen, und mit welcher Bewunderung ich die
Thaten des heldenmüthigen Cortez verſchlungen
und mich über den weichmüthigen und doch auch
wieder heroiſchen Montezuma geärgert hatte.
Cortez war für mich überhaupt und auf lange
Zeit, durch die gedankenloſen Schilderungen der
Lehrer dabei unterſtützt, das wahre Muſterbild
eines ritterlichen Helden geweſen, bis ich denn
freilich ſpäter einſehen lernte, daß er viel eher
den Titel eines tollkühnen Flibuſtiers verdiente,
124
der eben kein Mittel in der Welt ſcheute, um
ſeinem Ehrgeiz und ſeiner Goldgier zu dienen.
8 Cortez und Pizarro! Das Blut von Millionen
klebt an ihren Händen, und wir ſollten uns wohl
hüten, in den Schulen die Charaktere ſolcher
Bravos als Muſterbilder für die Jugend auf—
zuſtellen. Aber es ſind einmal geſchichtliche Fi—
guren geworden, ſie haben in fernen Welttheilen
. „blinde Heiden“ zum Chriſtenthum bekehrt. Ihre
Thaten gehörten alſo in die Heldengeſchichte der
Vorzeit, und wie ein Profeſſor der Geſchichte
augenblicklich einen Menſchen als Spitzbuben bei
der Polizei verklagen würde, der ihm ein halbes
Dutzend ſilberne Löffel ſtiehlt, ſo lehrt er an
demſelben Morgen im Colleg, daß Cortez, der
den armen Montezuma mißhandelte, um von
ihm Schätze zu erpreſſen, ein hoher, edler Cha-
rakter geweſen, zu deſſen Ruhm er ſich ſogar be—
geiſtert fühlt.
Mexiko macht heutigen Tages nicht mehr den
Eindruck eines alten Azteken-Platzes, ſondern
weit eher den einer, wenn auch ſpaniſchen, doch
vollkommen modernen Stadt, gut gepflaſtert, mit
eleganten, oft dreiſtöckigen Häuſern, mit regel-
mäßiger Straßenbeleuchtung und zahlreichem
Fuhrwerk, das einen ziemlich regen Verkehr vers
.
125
räth. Aushängeſchilder und Firmen decken fait
bei allen Gebäuden den unteren Theil, und ge⸗
ſchmackvoll ausgeſtattete und mit hellerleuchteten
Spiegelſcheiben verſehene Schaufenſter verrathen
nur zu deutlich, daß die Fremden den größten
Theil der Geſchäfte in Händen haben, wie denn
auch in der That der Import des ganzen Landes
hauptſächlich, ja faſt allein von deutſchen ae
betrieben wird.
Nach dieſem allererſten Eindruck, aus den
Fenſtern der Droſchke heraus, aus denen man
allerdings nichts ſieht als die Gebäude, die hellen
Ladenfenſter und den auf den Straßen herum:
drängenden Menſchenſchwarm, würde man aber
kaum je auf Mexiko rathen, wenn man gefragt
würde, wo man ſich jetzt befände. Es iſt auch
nirgends nur die Spur von dem zu ſehen, was
man ſich früher von dieſem Platz gedacht, und
man bemerkt nur, daß man ſich in einer großen,
volkreichen Stadt befindet — auch ein angeneh—
mes Gefühl, noch dazu wenn man bedenkt, daß
man, noch vor wenigen Stunden faſt, auf der
ſtaubigen, rauhen Landſtraße, und dabei fort—
während von Straßenräubern bedroht, herum—
geſchüttelt wurde.
Ein Hötel iſt aber doch, und trotz aller ro—
126
mantiſchen Erinnerungen, das erſte Bedürfniß,
dem man entgegenſtrebt. — Der ſeit vielen Tagen
mißhandelte Körper verlangt eine Art von Ge
nugthuung — eine kurze Ruhe nach allen bisher
ertragenen Strapazen und caminos reales, und
man findet ſich ſogar angenehm überraſcht, wenn
man plötzlich ein hellerleuchtetes Gebäude, mit
Portier, Kellner, Billardzimmer ꝛc., betritt und
in dem angewieſenen, ziemlich freundlichen Zim—
mer ſtatt eines Klingelzuges ſogar einen telegra—
phiſchen Knopf — die Erklärung in ſpaniſcher
und franzöſiſcher Sprache — findet. Auf dieſen
Telegraphen komme ich übrigens ſpäter wieder
zurück.
Natürlich legte ich mich an dieſem erſten
Abend nicht etwa gleich in's Bett, ſondern machte
noch erſt eine Wanderung durch die Stadt und
beſuchte zwei der kleineren Theater, die um einen
Vierteldollar drei bis vier Stunden lang die
Zuſchauer durch Luſtſpiele, Ballet (eine ſchauer—
liche Solotänzerin, die in Lebensgröße draußen
an der Bude, auf einem Beine abgebildet,
ſteht) ꝛc. ergötzen.
Dieſe kleinen Theater exiſtiren übrigens, wie
es ſcheint, nur in der Weihnachtszeit und ſind
auch traurig genug — ich will den Leſer wenig—
127
ſtens nicht mit einer Beſchreibung derſelben er—
müden, da er die äußere Ausſtattung derſelben
ganz ähnlich in jedem ſehr ſchlechten deutſchen
Sommer-Theater findet. Uebrigens mag es ſein,
daß mich dieſer angemalte Kram vielleicht viel
weniger angewidert, wenn ich nicht gerade heute,
und zwar erſt vor wenigen Stunden, das wun-
derbar großartige Schauſpiel eines Sonnenunter—
ganges an den beiden Vulkanen geſehen hätte.
Das Alles mit ſeinen prachtvollen Lichteffecten
und dem ganzen Zauber ſeiner Umgebung war
noch friſch und warm in der Erinnerung, und
damit hätte ich denn auch freilich kein Theater
mehr beſuchen ſollen.
Am nächſten Morgen war mein erſter Weg
nach der Poſt, um dort Briefe von zu Hauſe
zu finden; umſonſt, mein Name ſtand nicht auf
den langen Liſten, die unter dem Buchſtaben G
nur faſt zahlloſe Gutierres und Gonzales —
die Schmidt und Meier Mexikos, zeigten; ich
mußte leer wieder abziehen, und nur der, der in
einem fernen Welttheil die Briefliſten zum erſten
Male raſch und hoffnungsvoll, dann langſam
und enttäuſcht durchlieſt — und wie oft iſt es
mir ſo ergangen —, kann begreifen, wie mir
etwa zu Muthe war.
128
Ich ging traurig durch die Straße — ich hatte
mich ſo auf den erſten Tag in Mexiko gefreut,
eben der Briefe wegen — umſonſt — ich ſchritt
ſehr langſam auf dem breiten Trottoir hin; an
mir vorbei rauſchte eine Dame in einem bell-
blauen Seidenkleid — arme Frau; ich hatte
andere Dinge im Kopf, als die anderthalb Ellen
ſchmutziger Seide, die hinter ihr auf dem Pflaſter
dreinfegten. Ich mußte ihr mitten auf die hübſche
Schleppe getreten haben, und da ſie raſcher als
ich ging, ſo that es einen heilloſen Riß. Ich
mochte das Elend aber nicht mit anſehen, ſondern
drehte mich ab und ſchritt langſam die Straße
wieder zurück. Umſonſt — Schleppen gab es
überall, und ich fand meine gute Laune erſt
wieder, als ich etwa ſechs oder ſieben von ihnen
abgetreten und der Erde gleichgemacht hatte. Das
ſöhnte mich ordentlich wieder mit der Menſchheit
aus; ich brütete nicht mehr ſtill in mich hinein,
ſondern bekam wieder Augen für meine Umge—
bung und fand jetzt, daß die mexikaniſchen Damen
noch etwa zwei Jahre in der Mode zurück ſeien
und genau mit einer ſolchen Energie etwa zehn
Thaler Seidenzeug durch den Dreck ſchlepp—
ten, wie es unſere eigenen lieben Damen, die
ſich jetzt aus jedem beliebigen Regenſchirm das
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E
1 F Fe
genau jo gemacht. |
Uebrigens hatte es das Gute, daß ich, in die
5
hübſcheſte Kleid machen können, vor der Zeit
Gegenwart zurückgerufen, jetzt auch aufmerkſamer
auf die Damen ſelber wurde; aber ich wüßte
nichts Beſonderes darüber zu ſagen. Hübſche
und intereſſante Geſichter hatten viele von ihnen;
aber wenn ich erzählen wollte, daß ſie hinten
an den Köpfen ekelhafte Wulſte von falſchen
Haaren trügen, ſo wären die deutſchen Damen
im Stande und riefen mir zu: Ei, das tragen
wir ja auch! und da will ich lieber dieſe mexi⸗
kaniſche Tracht, die ſich allerdings weſentlich von
den früheren Federſchurzen und Kronen untere
ſcheidet, unbeſchrieben laſſen.
Was ſie aber ſehr geſchmackvoll tragen und
was ihnen ganz vortrefflich ſteht, das ſind die
ſogenannten Rebozos, die Mantille der Spa-
nierinnen, und ob ſie nun aus ſchwerer Seide
oder Spitzen oder gewöhnlichem ſelbſtgefertigten =
Baumwollenzeug gewoben iſt, die jungen und
älteren Damen wiſſen ſie ſo geſchickt und dabei
immer ein wenig kokett umzuwerfen, daß es
eine Luſt und Freude iſt. Sonſt findet man
freilich in ihrer Kleidung nichts beſonders Eigens
thümliches, da ſich hier ſowohl wie in anderen
Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. 8 .
130
“x Ländern, obgleich man hier weit mehr als anders-
wo die Franzoſen haßt, doch Alles alberner
Weiſe nach franzöſiſcher Mode richtet. Es iſt
die nämliche Geſchichte, wie damals in Rußland.
Die Franzoſen wurden aus dem Land gejagt,
aber ihre Schneider und Friſeure blieben zurück,
und was Bayonnette und Kanonen nicht ver—
mocht, erreichten fie nach und nach mit Nadel
und Pomade. Sie civiliſirten, wie ſie es nannten,
das Land, und Mode wie Krankheiten bekamen
nach ihnen den Namen.
Der Mexikaner der unteren Klaſſen, denn
die Nationaltracht der Serape iſt aus den höheren
Ständen faſt gänzlich verbannt, trägt noch immer
dieſe in ganz Südamerika gebräuchliche Decke,
um ſich damit gegen Kälte oder rauhe Luft zu
ſchützen. Uebrigens zeigen ſich Alle, Vornehme
ſowohl wie Peons oder Diener und gewöhnliche
Arbeiter, ſo ängſtlich gegen den gar nicht etwa
ſeoo ſcharfen Wind dieſer Höhen, daß ſie, ſelbſt
bei nur anbrechendem Abend, entweder die Serape
oder einen Shawl um Kinn und Mund wickeln
und ſich oft vollſtändig darin einhüllen. Ich
ſelber habe nie die geringſte Unbequemlichkeit
von der Luft dort oben geſpürt, der Mexikaner
aber behauptet, daß fie der Lunge beſonders
ARE
ſchädlich ſei, wie er denn auch ebenſo den Satz
aufſtellt, daß es nichts Schädlicheres für die
Haut gebe, als ſich zu waſchen. Beſonders auf
Reiſen hüten ſie ſich denn auch auf wahrhaft
rührende Weiſe vor friſchem Waſſer, und über—
haupt findet man zwiſchen den Mexikanern wie
Südamerikanern wenig oder gar keinen Unter-
ſchied in ihrem ganzen Leben. Die Einen ſind
ſo unreinlich wie die Anderen.
Mexiko jelber iſt, wie ſchon erwähnt, eine
ſehr ſchöne und auch im Verhältniß reinliche
Stadt, ſo lange man nämlich den Vorſtädten
und unangebauten Stellen nicht zu nahe kommt.
Die Straßen ſind mit breiten Trottoirs belegt
Hund im Ganzen gut gepflaſtert, und beſonders
die Plaza mit der wundervollen Kathedrale, vor
der Kaiſer Maximilian einen prächtigen Spring-
brunnen hat anlegen und Bäume wie Blüthen⸗
büſche pflanzen laſſen, gewährt einen gar hübſchen
und freundlichen Anblick. Störend freilich ſteht da—
ran die breite, niedere weiße Fronte des Palaſtes,
mehr einer Kaſerne als einem Schloſſe ähnlich,
doch mit enormen Räumlichkeiten verſehen. Der
verſtorbene Kaiſer hatte allerdings im Sinne,
es umzubauen, und ließ beſonders im Innern
einen Theil der alten, doch nutzloſen Baulichkeiten
9*
132
niederreißen, um einen großen und ſchönen
Garten dort anzulegen. Der Abzug der Fran—
zoſen aber unterbrach das Alles. Die Arbeiten
blieben liegen, halb eingeriſſene Mauern wurden
ſich ſelber überlaſſen, bei irgend einer Gelegen—
heit einmal von ſelber einzuſtürzen, von der
Anlage eines Gartens war keine Rede mehr —
wo hätte die Republik auch Geld, wenn die Re—
publikaner ſo viel gebrauchen! — und dieſe, wie
alle anderen öffentlichen Arbeiten bleiben natür—
lich liegen. d
Die Mexikaner halten auch nichts davon.
Was ſie an alten Werken, wie Waſſerleitung,
Wege, Kirchen ꝛc., haben, benutzen ſie, aber es
fällt ihnen gar nicht ein, es auch nur im Stand
zu halten, viel weniger denn gar etwas Neues
zu ſchaffen. An der alten Waſſerleitung zum
Beiſpiel ſind eine Anzahl von Bögen ſchadhaft
geworden und das ausſickernde Waſſer verrieth
die Gefahr des Einſturzes. Das mußte man
nun allerdings vermeiden; aber größere Koſten
konnte man dadurch erſparen, daß man die ſchad—
haften Bögen durch Holzgerüſte ſtützte. So
ſtehen ſie noch und werden noch Jahre lang
ſtehen, bis das Holz einmal plötzlich wegfault
und die ganze Sache zuſammenpoltert.
Zahlloſe Kirchen ftehen jo mitten in der
Stadt als Ruinen und ſind, nach Confiscation
der geiſtlichen Güter, dem Volk zum Verkauf an⸗
geboten worden, aber es finden ſich auch hier
nur wenige Käufer dafür.
In Mexiko, genau wie in Puebla, ſtehen
noch, und zwar in den beſten Stadttheilen, ganze ER
Quadras von jetzt unbewohnten Klojtermauern
bedeckt, unbenutzt, und freilich gehört eine andere
Nationalität als die mexikaniſche dazu, alle, ihr
dabei entgegentretenden Hinderniſſe auch mit
Energie und Ausdauer zu bewältigen. Beide
Eigenſchaften liegen aber gar nicht im merifar
niſchen Charakter, und Gott weiß, wie lange
Jahre noch darüber vergehen werden, bis dieſes
wirklich ſchöne und unendlich reiche Land die
Geltung erlangt, zu der es durch ſeine Lage und
Gaben berechtigt iſt.
Was die Kleidung der arbeitenden Klaſſe
betrifft, ſo trägt dieſe noch Serape und Rebozo
oder Mantille, und zwiſchen ihnen herum drängen
ſich die aus den umliegenden Dörfern herein—
gekommenen Indianer, die Männer mit ihren
kurzen Hoſen und der Serapa, die Frauen in
Hemd und Unterrock, wie mit einem Kopftuch,
merkwürdig und auffallend dem gleichen Volks⸗
134
7
ſtamm in Ecuador ähnelnd. Ueberhaupt iſt es
eigenthümlich, daß die ganze mexikaniſche Hoch—
ebene eine ſo auffallende Aehnlichkeit mit den
gleich hoch liegenden Landestheilen in Ecuador
nicht allein in dieſer Hinſicht zeigt. Der ganze
Charakter der Landſchaft und Vegetation iſt der
nämliche, nur daß ich in Ecuador nicht ſo viel
Mimoſen angetroffen habe als in Mexiko. Sieht
man aber einen Trupp Indianer zwiſchen den
Magehs und Cactus, mit ihrer Laſt am Kopf
hangend, den Weg entlang traben, die Männer
voran, die Frauen mit den Kindern an der
Hand, oder die kleinſten in der Rebozo liegend,
hinterher, wobei ſie noch einen Eſel, ſelten
ein Maulthier, treiben, ſo möchte man darauf
ſchwören, daß man ſich in der Nähe von Quito
befände. |
| Selbſt in der Sadt findet man unter ihnen
gleiche Angewohnheiten und Sitten: die Waſſer—
träger ſchleppen ihre ſchweren, genau wie in
Ecuador geformten Gefäße in derſelben Art,
und die Fruchtverkäuferinnen ſitzen genau fo”
unter ihren viereckigen Sonnenſchirmen, wie dort
drüben ihre Schweſtern, Tauſende von Meilen
entfernt.
Manches haben aber auch ſelbſt die Indianer
von den Fremden gelernt, was fie jetzt noch aus⸗
beuten, zum Beiſpiel den Blumenverkauf in der
Stadt, den ſie früher nicht betrieben. Es giebt 5
ja kaum ein Land der Welt, das ſo reich an
Blumen iſt wie Mexiko. Wenn ſie dieſe aber A
auch früher wohl dann und wann in ungeord—
neten Maſſen hereinbrachten, ſo haben ſie jetzt,
beſonders von den Franzoſen, es gelernt, die
geſchmackvollſten Bouquets davon zu binden, die
ſie nun zu einem ſo billigen Preis, beſonders
an Sonntagmorgen, in den Straßen ausbieten,
daß ein europäiſcher Gärtner gar nicht mehr
mit ihnen concurriren könnte. Sonſt ſind ſie
freilich auch in ihrem Schmutz den Indianern
Ecuadors nur zu ähnlich und überhaupt eine ges
drückte und unterdrückte Menſchenrace.
Republik — es iſt lächerlich, wenn man dieſe
Bewohner einer Republik betrachtet, und erſt das
Kaiſerreich zeigte den guten Willen, ſie zu heben
und zu Menſchen zu machen. Kaiſer Maximilian
intereſſirte ſich beſonders für die Indianer, und
ſeine Regierung wäre vielleicht ein Segen für
ſie geworden. Jetzt iſt er todt — ehe ſie ſelber
nur vielleicht eine Ahnung erhielten, wie gut er
es mit ihnen meinte, und kein anderer Menſch
bekümmert ſich mehr um das arme Volk, als
.
IB
daß man es, wie eben die Zugſtiere, zum Arbeiten
benutzt. Aber trotzdem liegt mehr Intelligenz
in dieſem Volksſtamm, als man vielleicht ver-
muthen ſollte; fie haben zum Beiſpiel einen Sinn
für das Schöne, wie fie es nicht allein im Bin-
den ihrer Bouquets, nein, auch bei einer noch
viel ſchwierigeren Kunſt, vielleicht der ſchwierig—
a jten, zeigen, beim Modelliren.
Man findet da beſonders unter der indiani—
ſchen Bevölkerung nicht allein tüchtige Arbeiter,
ſondern wirkliche Künjtler, die mit den ein⸗
flachſten Werkzeugen und Mitteln in unglaublich
kurzer Zeit die reizendſten Arbeiten, beſonders
aus Wachs und Zeug, herſtellen. Sie modelliren
in den kleinen, etwa einen Fuß hohen Figuren
auch nicht blos etwa einen Kopf und ein Paar
Hände und ſtopfen das Andere nachher geſchickt
aus, ſondern ſie formen aus maſſivem Wachs
oder faſt noch kunſtfertiger aus Zeug die ganze
5 Figur anatomiſch richtig in der Stellung, die ſie
ihr geben wollen, und bekleiden ſie erſt nachher
in den verſchiedenen Landestrachten durch eben—
falls mit Wachs getränktes Zeug, dem fie, wenn
es noch weich iſt, den ſchönſten Faltenwurf zu
geben wiſſen. Gar nicht ſo ſelten findet man
wirkliche Kunſtwerke, die dabei um einen erſtaun⸗
137
lich billigen Preis verkauft werden und gewöhn⸗
lich nicht mehr als anderthalb bis zwei Dollars
koſten. Eben ſo geſchickt formen ſie aus Wachs
die Früchte des Landes in täuſchend e
Farben.
Cinzelne Individuen giebt es dabei, die im
Lande herumziehen und für wenige Groſchen
Jeden, der es wünſcht, in Wachs als Büſte
modelliren, und mir wurde von einem Indianer
erzählt, dem ein Europäer anbot, ihn mit nach
Europa zu nehmen, weil er ein wirkliches Genie
in ihm entdeckte. Der Mann wollte aber nicht;
er verdiente in Mexiko was er brauchte, ſo
wenig das auch ſein mochte, und verlangte eben x
nicht mehr.
Aber nicht allein im Modelliren von Wachs
zeigen ſie große Kunſtfertigkeit, ſondern in einigen
Gegenden hat ſich die Induſtrie auch darauf
verlegt, zum Beiſpiel Todtenköpfe und Menjchen:
knochen en miniature aus Alabaſter, Stein und
ſelbſt Holzkohle auszuſchneiden. Beſonders häufig
findet man kleine Köpfe, die auf der einen Seite
den vollen, blühenden Menſchenkopf und auf
der andern den Schädel zeigen. In dieſer Art
ſah ich auch einen kleinen, vortrefflich getroffenen
Kopf von Garibaldi.
158
Außerdem machen ſie ſehr mühſam ausgeführte
Arbeiten in Federn, allerdings nicht mit dem
Geſchmack als die Braſilianer, aber doch mit
großer Kunſtfertigkeit angefertigt, zum Beiſpiel
ganze Gemälde von Kolibrifedern, die ſo geſchickt
in einander gelegt und feſtgeklebt werden, daß
ſie ein wirkliches kleines Bild herſtellen. Auch
auf Viſitenkarten kleben ſie aus den Federn der
Vögel ſelber alle die Arten, die im Lande vor—
kommen, auf, und ebenſo formiren fie dieſelben
en miniature, aber vollſtändig, auf einem kleinen
Draht und verkaufen dieſe wirklich künſtlichen
Arbeiten dann um einen Spottpreis.
Spielzeug machen ſie ebenfalls, und manchmal
ganz allerliebſt. So fand ich zum Beiſpiel kleine
Kühe, aus einem einzigen Stück rohen Kalbfells
ganz geſchickt ausgeſchnitten und zuſammenge—
bogen, die das Stück um einen Claco, alſo wenige
Pfennige, verkauft wurden und bei vollkommener
Unzerbrechlichkeit das Praktiſchſte ſind, was man
kleinen Kindern in die Hand geben kann.
Eine ſehr große Fertigkeit beſitzen ſie in der
Bereitung von dulces oder Zuckerwerk — be—
ſonders in dem Ueberzuckern von Früchten, und
die meiſten, ja faſt alle ſolche Arbeiten werden
allein von den Indianern geliefert. Die weißen
139
Abkömmlinge der Spanier — jetzt allerdings in
der ſehr großen Minderheit, laufen indeſſen nur
als „Ebenbilder Gottes“ herum, ſtehlen dem
Schöpfer ihre Tage ab und ſchimpfen dann ins⸗
geheim auf das „Glück“ der Fremden, die eh
durch Fleiß und Sparſamkeit ein Vermögen er—
worben. Es iſt wirklich erſtaunlich, was dieſe
ſpaniſchen Stämme an Faulheit zu leiſten im
Stande ſind, und doch dürfen ſie, beſonders auf
der Hochebene von Mexiko, ein zu heißes Klima
nicht zum Vorwand nehmen. Eine beſſere und
mildere Temperatur kann es nirgends geben;
man lebt dort faſt wie in einem ewigen Frühling,
und den Winter hindurch ſind die Nächte ſo
friſch, daß man eine wollene Dede recht gut ver—
tragen kann.
Und was leiſtet Mexiko an wirklichen Arbei—
ten? — enorm wenig.
Allerdings werden im Lande ſelber Zeuge,
und beſonders die wollenen Decken oder ſoge—
nannte Serapes von den ordinärſten bis zu den
feinſten, angefertigt. Auch Alles, was zu Pferde—
geſchirr und Reitcoſtüm gehört, wird im Lande
gemacht; durchwandert man aber die verſchiedenen
Läden der Stadt, ſo findet man nur einzig und
allein importirte Artikel, mit vorzüglich einer
140
kaum glaublichen Menge von franzöſiſchen Ga-
lanteriewaaren. 5
Ein Artikel dabei, der jedoch meiſt auf offenem
Markt feilgeboten wird, und oft zwar in den
ärmlichſten Ständen, iſt echt mexikaniſch — und
zwar die feinſte und ſchönſte Filigran-Arbeit in
Silber, und noch dazu für einen außerordentlich
mäßigen Preis — aber auch dieſe Filigran-Arbeiter
ſind Leute von gemiſchtem Blut.
Auch Hüte ſind ein mexikaniſches Fabrikat,
obgleich meiſtens von Fremden angefertigt. In
einen richtigen und feinen Filzhut ſetzt aber der
Mexikaner ſeinen ganzen Stolz, und daß der
Filz dabei dick und noch außerdem durch reiche
Gold- und Silberſtickerei faſt unerträglich ſchwer
gemacht wird, hat nichts zu ſagen. Es iſt gar
nicht etwa ſo ſelten, daß ſolch ein Hut an 20
bis 50 und mehr Thaler koſtet, und dabei iſt er
nicht einmal beim Reiten praktiſch, weil der
Wind unter den faſt fußbreiten Rand drückt.
Selbſt in der Straße hat man nur ewig oben
dieſen Rändern und unten den, das Unglaubliche
leiſtenden Schleppen auszuweichen. Aber das
ſchadet nichts; es iſt einmal die Nationaltracht,
und je theurer ſie gemacht werden kann, deſto
ßbheſſer.
Dieſem Fabrikat bejonders haben ſich in
einem kleinen Theil die Franzoſen, ganz haupt⸗
ſächlich aber die Deutſchen zugewandt und dabei
viel Geld verdient.
Ueberhaupt ſpielen die Deutſchen in Mexiko
eine ziemlich bedeutende Rolle und ſind allgemein
geachtet und gern geſehen. Freilich hätte die In⸗
tervention dieſem Verhältniſſe faſt einen Stoß
gegeben, denn der Kaiſer brachte leider Gottes
eine Menge abenteuerlichen Gelichters mit, das
nur nach Mexiko gekommen war, um geſchwind
reich zu werden, und ſich weder des Landes noch
des Kaiſers wegen Gewiſſensbiſſe machte. Viele
dieſer Herren mißbrauchten den Credit, den die
Deutſchen ſich durch ihren Fleiß und ihre Red—
lichkeit in Mexiko erworben, in umfaſſendſter
Weiſe, und haben auch dafür geſorgt, daß man
ſie noch lange nicht im Lande vergeſſen wird, ja
ihre Namen als theure Angedenken aufbewahrt;
aber die Zeit iſt vorüber, — die Mexikaner fingen
auch ſelber an, einen Unterſchied zu machen, und
die zu leichten Elemente wurden über Nacht wie-
der weggefegt. |
Allerdings ſind noch ſehr viele Oeſterreicher
im Lande zurückgeblieben, aber faſt ausjchließlich
nur von der beſſeren Art, meiſtens Aerzte, da
142
. die wirklichen Abenteurer wohl bald einſahen, daß
ſie ſich in ihren Erwartungen und Hoffnungen
getäuſcht. Unter dem Glanz und Flitter eines
Thrones hätten ſie mit hochklingenden Namen
und Titeln und in brillanten Uniformen Leicht-
gläubige vielleicht noch eine Zeit lang blenden
können, aber im praktiſchen Leben ließ ſich die
Sache nicht durchführen, und ſie gaben es des—
halb auf.
In deutſchen Händen befindet ſich jetzt faſt
— hier ſowohl als in Vera-Cruz — das ganze
Importgeſchäft des Landes, und auch in geſell—
ſchaftlicher Beziehung ſcheint das deutſche Ele—
ment ziemlich wacker zuſammenzuhalten. Das
„Deutſche Haus“, wie das mit einer Bibliothek,
Leſezimmer, Billard ꝛc. verſehene Geſellſchaftshaus
heißt, vereinigt die meiſten der hier anſäſſigen
Deutſchen, und ſogar ein Turnverein hat ſich
in jüngſter Zeit etablirt, dem ich aber keine lange
Lebensdauer prophezeie. Mexiko hat allerdings
ein herrliches und nicht zu heißes Klima, aber
zum Turnen iſt es denn doch — ſelbſt im Win—
ter — ein wenig zu heiß, und ſchon während ich
dort war, alſo noch im neueſten Beginnen, ent—
ſchuldigten ſich die einzelnen Mitglieder ſehr häufig
mit der allzu drückenden Temperatur.
„
Merkwürdiger Weiſe haben die Franzoſen,
die doch ſonſt von allen Nationen am feſteſten
im Auslande zuſammenhalten, kein beſonderes
Vereinslocal, das ſich ſogar die Spanier gegründet.
Uebrigens bedauert Niemand mehr als gerade
die Deutſchen oder überhaupt die Fremden, daß
dem Kaiſerreich ein Ende gemacht wurde, und
zwar nicht allein aus perſönlichem Intereſſe an
dem liebenswürdigen Charakter des Kaiſers ſel—
ber wie ſeiner Gemahlin, ſondern beſonders
weil ſie ſahen, daß dadurch ein geregelter Zu—
ſtand in Mexiko eingeführt wurde und auch nur
dadurch eingeführt werden konnte. Was ſich als
Spreu mit unter den Weizen gemiſcht und in
das Lanv, wahrlich nicht zu feinem Beſten, ein:
geſchmuggelt hatte, wäre mit der Zeit doch wie—
der ausgemerzt worden oder hätte ſich ſelber ab—
geſchliffen; aber es ſollte eben nicht ſein. Maxi⸗
milian, ſo herzensgut er ſich immer gezeigt, war
zu ſchwankender, weicher Natur, um ein Volk
zu beherrſchen, wie die Mexikaner. Das verlangte
eine unerbittliche, eiſerne Hand, wie ſie Garcia
Moreno den Ecuadorianern gezeigt und die Re—
volutionen damit im Keime erſtickt hatte, und
die hatte Maximilian nicht.
144
Zuerſt ließ er ſich durch Marſchall Bazaine
und franzöſiſche Lügen, daß Juarez das Land
flüchtig verlaſſen habe und von jetzt an nur noch
Raubbanden exiſtirten, zu dem unglücklichen Des
eret vom 5. October 1865 verleiten, nach welchem
gegen jedes Mitglied einer bewaffneten Bande
die Todesſtrafe ausgeſprochen wurde. Aber er
hätte entweder nie darein willigen, oder, wenn
er es doch that, die Maßregel mit der furcht⸗
barſten Strenge durchführen müſſen. So wälzte
Bazaine nur das Odium des Decrets auf den
armen Kaiſer, der begnadigte, wo er nur irgend
konnte, während die Franzoſen, beſonders mit
der ſogenannten Contre-Guerilla, zahlloſe Men⸗
ſchenleben hinſchlachteten. Der Fluch des Schrift-
ſtücks blieb aber natürlich auf dem Kaiſer haf
ten, und der unglückliche Monarch büßte ſeine
Schwachheit mit dem Tode; aber er büßte fie
als Mann, und Alle, die ihn noch zuletzt geſehen,
haben nur die eine Stimme über ihn, daß er
ſeinem Schickſal in heroiſcher Ruhe und wie
ein wackerer Soldat entgegenging.
Und hatte er gar keine Freunde, die ihn war-
nen, die ihm rathen konnten? Doch, er hatte
deren; aber wir brauchen nicht nach Mexiko zu
gehen, um ähnliche Beiſpiele zahlreich genug zu
9 445
finden. Der Kaiſer hatte einzelne brave Männer
um ſich, und er hörte ſie auch wohl an, aber
Andere, die ihr eigenes Intereſſe dabei verfolg-
ten und kein Mittel ſcheuten, ihre Zwecke zu er-
reichen, alſo auch nicht die Schmeichelei, wußten
ihren Worten mehr Nachdruck zu geben.
Maximilian hatte Freunde um ſich, aber noch
in der letzten Stunde vermochte der Pater Fiſcher,
der in dem ſchwachen Kaiſer das beſte Werkzeug
ſeiner eigenen Pläne ſah, denſelben von jeinem
Entſchluſſe, nach Europa zurückzukehren, abzu⸗
bringen. Allerdings hatte er die feſte Abſicht, in
Mexiko abzudanken, aber auch dort wieder ge—
wann der Einfluß anderer Intereſſen, mit rich⸗
tiger Ueberredung betrieben, die Oberhand. Er
ging nach Querétaro und ſtellte ſich an die Spitze
der Armee, und ſelbſt von dort aus noch hätte
er mit leichter Mühe fliehen können. Wahre
Freunde verſuchten ſelbſt da ſeine Rettung, aber
auch hier trat ihnen ein intriguantes Weib ent⸗
gegen, und der günſtige Augenblick verſtrich —
der Kaiſer fiel. Und ſeine Speichellecker und Hof—
ſchranzen? Sie zogen ſich mit dem, was ſie in
der Geſchwindigkeit hatten erbeuten können, vom
Pater Fiſcher bald darauf gefolgt, in Sicherheit
nach Europa zurück, und werden jetzt, aller Wahr⸗
Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. 10
146
ſcheinlichkeit nach, große Geſchichten erzählen,
wie ſie allein, wenn ihnen der Kaiſer nur ver⸗
traut, ihn ſowohl als das Reich gerettet haben
würden; — es iſt das ja eben Menſchennatur.
Die jetzige Regierung iſt nun eifrig bemüht,
alle Erinnerungen an die frühere Kaiſerzeit zu
vernichten und aus dem Gedächtniß des Volkes
zu merzen; aber es iſt das doch nicht ſo leicht,
als man vielleicht zu glauben ſcheint, denn zu
viele Verbeſſerungen wurden in der kurzen Zeit
eingeführt, die ſich nicht ſo leicht vertilgen laſſen
als angebrachte Namenszüge und Kronen.
In Querétaro war man ſogar genöthigt, den
Executionsplatz nicht allein der Erde gleich zu
machen und alle Büſche und Stauden in der
Nachbarſchaft wegzuſchlagen, ja ſogar Schutt aus
der Stadt auf die Stelle zu fahren, um den
Ovationen und Blumenſpenden ein Ende zu ma:
chen, konnte aber nicht verhindern, daß viele edle
Familien noch jetzt innerlich und ſelbſt äußerlich
um den gemordeten Kaiſer trauern, daß ſeine
Bilder nach der Natur wie in Apotheoſen überall
und faſt an jedem Schaufenſter in der Stadt
ausgeſtellt ſtehen, daß ein Kalender Maximilian's,
der die Kaiſerzeit in den freundlichſten Farben
ſchildert, bald in zwei Auflagen vergriffen wurde,
447
und jetzt ſogar im Süden, in Yucatan, ein Trupp
von Revolutionären den Namen der Kaiſerin
auf ihre Fahne geſchrieben, um den dortigen
Diſtrict von Juarez' Herrſchaft loszureißen. Ich
will dabei allerdings nicht behaupten, daß jene
Landſtriche unter den Herren, die das Land, wenn
auch Namens der Kaiſerin, beherrſchen möchten,
glücklicher ſein würden, als unter der jetzigen
Regierung; ich traue einer ſo viel und ſo wenig
wie der andern, aber es zeigt doch immer die
Stimmung im Lande und verdient deshalb Er—
wähnung.
Einen Gewinn hat übrigens die Stadt
Mexiko auch für den Fremden durch die Kaiſer—
zeit und durch das damit verbundene Einſtrömen
zahlreicher Fremden gehabt, nämlich die Errich—
tung vieler und zuweilen recht guter Hötels, an
denen früher ein bedeutender Mangel geweſen
fein ſoll. Hotel „Iturbide“ (auch eine Erinnerung
aus einer früheren Kaiſerzeit, die mit der Er—
ſchießung des Monarchen endete), Hötel „Bazar“,
Hötel „National“ ſind recht gut und behaglich
eingerichtet, und bieten beſonders alle die nicht
hoch genug anzuſchlagende Annehmlichkeit, daß
man in ihnen ein hübſches Zimmer zu verhält—
nißmäßig billigem Preiſe (10 Dollars für 15
10 *
1448
Tage oder 1 Dollar per Tag) bekommen kann,
ohne verpflichtet zu ſein, auch dort zu eſſen; man
bezahlt eben in der Reſtauration für das, was
man ſich geben läßt.
Auf's äußerſte war ich ſogar erſtaunt, als
ich im Hötel National, wo ich abſtieg, wie im
Eingange des Capitels erwähnt, die Bequem—
lichkeit eines telegraphiſchen Klingelzuges vorfand.
An dem erſten Abend hatte ich allerdings keine
Gelegenheit davon Gebrauch zu machen, am
nächſten Morgen aber, nachdem ich mich gewa—
ſchen, drückte ich beſcheiden einmal auf den Knopf,
um den Kaffee herauf zu citiren, und zündete
mir indeſſen eine Cigarre an — aber der Kaffee
kam nicht. Ich drückte jetzt zweimal, und wartete
mit echt deutſcher Geduld wohl eine Viertelſtunde
— er kam noch immer nicht, auch Niemand ſonſt,
der ſich um mich bekümmerte, und ich fing an
ungeduldig zu werden. Ich ließ den Telegraphen
wie ein Glockenſpiel arbeiten, und horchte dann,
weil ich glaubte, die Kellner würden jetzt von
allen Seiten herbeiſtürzen, um zu erfahren wo
ein Unglück geſchehen ſei. Nichts Derartiges ge—
ſchah. Das Haus blieb todtenſtill, und ich mußte
zuletzt ſelber hinuntergehen, um meinen Kaffee
zu beſtellen.
149
Am nächſten Morgen erneute ich allerdings
noch einmal den Verſuch, aber nur mit dem näm⸗
lichen Erfolg, und fand jetzt, daß der Telegraph
im Hauſe eigentlich nur eine ſcherzhafte Ein—
richtung ſei, um durchreiſende Fremde zu dem
irrigen Glauben zu veranlaſſen, daß ſie irgend
eine Bedienung zu erwarten hätten. Eine Treppe
tiefer, unter dem Zahlenbrett, das die Nummer
des gezogenen Telegraphen angab, ſaß allerdings,
wie ich ſpäter bemerkte, in beſchaulicher Ruhe
der Portier, und drehte jedesmal, wenn die Klin⸗
gel zum erſten Mal ertönte, den Kopf darnach
um, wahrſcheinlich nur um zu ſehen, welcher
Fremde wieder einmal in die Falle gegangen
ſei. Das war auch Alles; er hielt es nicht ein⸗
mal der Mühe werth, Einen der langſam auf den
Treppen herumſchlendernden Leute nach einem
möglichen Kellner auszuſchicken, und bei weiteren
Ruheſtörungen rührte er ſich gar nicht. Ertönte
dann wieder einmal Morgens die Klingel, erſt
leiſe, dann laut und gebieteriſch, ſo wußte ich
ganz genau, daß ein neuer Fremder in dem
Hötel eingezogen ſei und eben damit beſchäftigt
war Lehrgeld zu bezahlen.
Das Hötel Iturbide hat übrigens nicht allein
ſeinen Namen nach dem ebenfalls erſchoſſenen
150
Kaiſer bekommen, ſondern liegt ſogar im Haufe
Iturbide, in dem alten Kaiſerpalaſt, einem
prächtigen Denkmal aus vergangener Zeit, mit
rieſigem Portal, hoch aufgebauten Etagen und
faſt großartigen, keck geformten Säulen, welche
die Veranden tragen. b
Mexiko iſt überhaupt ein hiſtoriſch höchſt in=
tereſſanter Platz, denn jede Straße faſt bietet
eine andere Erinnerung aus der wunderlichen
und verwickelten, aber faſt immer blutigen Ge—
ſchichte des Landes. Da ſteht das Haus noch
mit ſeinen ſonderbaren, mit Fließen“) belegten
Wänden und Giebeln, in dem die Familie Cor—
tez wohnte; dort iſt die Stelle, wo neben dem
früheren Tempel und jetzt der Kathedrale das
freilich nun eingeriſſene oder umgebaute Haus
Montezuma's ſtand. Das dort war ein Haus,
jetzt leer und verfallen, das ſich der reichſte Mi—
nenbeſitzer des reichen Landes erbaute, der, als
ihm der erſte Sohn geboren wurde, die Straßen
bis zur nächſten Kirche — etwa eine Entfernung
von 4= bis 500 Schritt — mit maſſiven Silber:
*) Noch bis auf den heutigen Tag exiſtirt das alte mexi⸗
kaniſche Sprichwort: „Der wird ſich auch kein Haus mit Fließen
bauen“ — was heißen ſoll: er wird nie etwas vor ſich brin⸗
gen, da dieſe Bauart früher ſtets außerordentlich theuer war.
151
barren belegen ließ, damit auf ihnen fein Sohn
in die Kirche getragen würde, während derſelbe
Sohn auf der Schwelle derſelben Kirche, etwa
60 Jahre ſpäter, krank und elend ſaß und Al⸗
moſen von den Vorübergehenden erbettelte.
Dort, im Hofe eines der öffentlichen Gebäude,
neben einer Soldatenwache, die ihr Geſchirr auf
ihm putzen und ihn verunreinigen, ſteht der alte
Opferſtein, auf dem die Kriegsgefangenen der
Mexikaner mit einem Fuße angefeſſelt wurden
und gegen drei Krieger des Stammes kämpfen
mußten, in welchem Falle, wenn ſie den Kampf
ſiegreich beſtanden, nicht allein die Freiheit, jon=
dern auch hohe Würden und Ehren ihrer harr—
ten, im andern Falle aber ihr Blut die innere
Höhlung füllte — und welche wunderbar künſt⸗
liche Arbeit zeigt der Stein — wunderbar in
der That, wenn wir bedenken, daß die Mexikaner
der Zeit noch nicht einmal die Benutzung des
Eiſens verſtanden und Alles mit ſteinernen In⸗
ſtrumenten arbeiteten.
Dort in der Kathedrale, die eine Zierde der
ganzen Stadt bildet, wenn ſie auch der frühere
alte Tempel weit beſſer ſchmücken würde, iſt noch
der alte rieſige Kalenderſtein Montezuma's ein⸗
gemauert und kündet deutlich an, auf welcher
152
hohen Stufe der Intelligenz die damaligen Prie⸗
ſter des Volkes ſtanden; unfern der Stadt ſteht
auch die alte Ceder, unter der noch derſelbe Stein
liegt, auf dem Cortez geſeſſen hat, als er da—
mals aus Mexfiko vertrieben und nach dem Ver—
luſt zahlreicher Freunde bitterlich weinte. Noch
bis auf dieſen Tag heißt fie auch el arbol de
la noche triste oder der Baum der Trauernacht.
— Bei Chapultepek, dem lieblichſten Punkte der
Welt und auch dem Lieblingsaufenthalte Maxi⸗
milian's, liegen noch die gut erhaltenen Bäder
Montezuma's, und überall zeigen ſich die Spuren
jener vergangenen Zeiten aus dem Leben eines
Volkes, das glücklich war, bis die Eroberer in
das Land fielen und mit dem ſcharf geſchliffenen
Schwert die Heiden belehrten, daß da oben über
den Sternen ein Gott der Liebe wohne. Das
koſtete freilich ſehr viel Menſchenblut, und Außer:
lich wurden die blinden Heiden auch wirklich
zum Chriſtenthum bekehrt — es wäre ihnen auch
ſonſt ſchlecht ergangen, wenn ſie ſich nicht hätten
überzeugen laſſen —, innerlich aber hangen noch
bis auf den heutigen Tag Tauſende dem alten
Glauben an, und es wird ſogar als ganz be—
ſtimmt behauptet, daß fie in vielen für fie be⸗
ſtimmten Kirchen gewußt haben, hinter dem Al—
153
tare des neuen Gottes einzelne ihrer alten und
allerdings nicht hübſchen Götterbilder einzugra—
ben, zu denen ſie jetzt ungeſtört beten können,
wenn ſie ſich vor dem Altar niederwerfen. —
Es geht in der That wunderlich in der Welt zu;
ſonderbar nur, daß gerade die Indianer die ehr⸗
lichſte Menſchenklaſſe unter der mexikaniſchen
Bevölkerung ſind und die Banden von Straßen—
räubern und Dieben meiſtens aus wirklichen
mexikaniſchen Chriſten beſtehen, die vor jedem
Heiligenbilde den Hut ziehen und ſich bekreuzen.
Da ich übrigens gerade auf das Capitel
komme, darf ich auch nicht die Kirche der Ma—
donna von Guadalupe unerwähnt laſſen, den
größten Wallfahrtsort, den Mexiko beſitzt. Die
heilige Madonna iſt, der Erzählung der Geiſt—
lichen nach, dort auf dem Berge, gerade über
Mexiko, in früherer Zeit einem Schäfer erſchie—
nen und hat, wenn ich nicht irre, von ihm ver—
langt, daß er zum Erzbiſchof gehe und den Bau
einer Kirche von ihm begehre. Der Erzbiſchof
glaubte aber, der Schäfer flunkere ihm etwas
vor. Die heilige Jungfrau erſchien dem Schä—
fer aber zum zweiten und dritten Male, und
befahl ihm zuletzt auf einen beſtimmten Berg zu
gehen, dort eine Anzahl von Roſen zu pflücken
154
und dieſe dann dem Erzbiſchof zu bringen. Das
that der Schäfer. Obgleich er ſonſt da oben noch
nie Roſen geſehen, jetzt fand er ſie und nahm
ſie in ſeiner Schürze mit; als er ſie aber bei dem
Geiſtlichen ausſchütten wollte, war ein neues
Wunder geſchehen. Roſen hatte er allerdings
nicht mehr in der Schürze, aber auf derſelben
ſtand das Bild der Mutter Gottes im Himmels—
glanz mit langem geſtickten Mantel und Heili—
genſchein gemalt, und mußte jetzt den Ungläubig⸗
ſten überzeugen.
Die Kirche wurde gebaut und überreich mit
Silber, Gold und Juwelen ausgeſtattet, die
Schürze mit dem Bild darauf aber in einem Eoft-
baren Rahmen über dem Altar aufgehangen, wo
es ſich auch noch bis auf den heutigen Tag be—
findet und ſchon eine große Anzahl von Wundern
gethan haben ſoll.
In der Kirche ſelber ſind in einer Ecke auf
einer Maſſe kleiner, allerdings erbärmlich gemal—
ter Bilder viele von dieſen Wundern dargeſtellt.
Menſchen werden darauf durch das Anrufen der
Heiligen von durchgehenden Pferden, Räubern,
aus Waſſer⸗ und Feuersnoth gerettet, und ſil—
berne Arme und Beine, kleine Krücken und an—
dere Symbole hangen darum her, um dadurch
155
nähere Kennzeichen anzugeben. In der Kirche
jelber iſt auch ein kleiner Ladentiſch aufgeſchla—
gen, wo bei Philipp und Simon en gros gekaufte
Roſenkränze, die nachher geweiht wurden, en de-
tail zu 1 bis 6 Realen das Stück an die Gläu⸗
bigen verkauft werden. Ebenſo kann man dort
kleine Bilder der Jungfrau, Stücke Band und
kleine Kugeln, die eine wohlthätige Wirkung
auf den Körper ausüben ſollen, und viele andere
nützliche Dinge noch erhalten. Ein Pater ſteht
hinter dem Ladentiſch, verkauft und hat auch
gleich Papier vorräthig, um das Gekaufte ordent⸗
lich einzuwickeln. Ich erwarb auf dieſe Weiſe
einige Roſenkränze und Bilder, um ſie als An—
denken mitzunehmen.
Uebrigens glaube ich beinah, daß ich zu viel
bezahlt habe, denn mein Begleiter ſagte mir, daß
ſich mit den Herren auch handeln ließe, und daß
ſie, beſonders wenn man mehr zuſammen nehme,
einen Rabatt gäben.
Neben der Kirche ſteht ein wie ein Schiff ge—
formter, ziemlich weit ſichtbarer Stein, von dem
man erzählt, daß ein aus arger Gefahr gerette—
ter Seemann der Jungfrau von Guadalupe in
höchſter Noth gelobt habe, ihr ein Schiff zu
bauen. Auf feſtem Lande glücklich angekommen,
156
ſoll ihm aber die Sache doch ein wenig zu koſt—
ſpielig geweſen ſein, und er hat deshalb dort
oben den Stein aufgeſtellt, der von Weitem al—
lerdings die Geſtalt eines kleinen Schiffes unter
vollen Segeln hat. Dicht bei der Kirche iſt der
heilige Brunnen mit ſehr eiſenhaltigem Waſſer
und fortwährend von Kranken umlagert, die das
Waſſer trinken und ſich damit beſpritzen oder
darin waſchen. Appetitlich ſieht es nicht aus,
aber das Waſſer ſoll wunderkräftig fein. Uebri⸗
gens kann man ſich darauf verlaſſen, an der
Schwelle der Kirche von einer Maſſe verfrüppel-
ter Bettler überfallen zu werden, und es gehören
ſtarke Nerven dazu, um den Anblick der ver-
ſtümmelten Glieder zu ertragen, die Einem, um
Mitleid zu erregen, von den unglücklichen Bes
ſitzern entgegengehalten werden. Ich vertheilte
raſch alles kleine Geld, was ich bei mir hatte,
und dankte Gott, als ich von der entſetzlichen
Umgebung erlöſt wurde.
Die heilige Jungfrau von Guadalupe wird
in Mexiko ſehr hoch gehalten, und leider kam
ich nur ein wenig zu ſpät zu dem Feſte, das
jährlich zu ihren Ehren gehalten wird und zu
dem beſonders die Indianer in Schwärmen her—
beikommen und — viel Geld dort verzehren.
157
Mir wurde verſichert, daß die Kirche in der
Zeit eher einem Jahrmarkt, als einem Heilig⸗
thume glich. Uebrigens iſt ſie außerordentlich
reich, und ein maſſiv ſilbernes Geländer, das die
Altäre umgiebt, ſoll nur einen kleinen Theil
früherer Schätze ausgemacht haben.
Schon von mehreren Seiten war mir geſagt,
daß ich den Markt und beſonders den Canal
beſuchen möchte, auf dem die Indianer mit ihren
Gemüſen ankommen. Dorthin ging ich eines
Morgens und bereute es wahrlich nicht, denn
es kann kaum ein lebendigeres, freundlicheres
Bild geben, als dieſen höchſt eigenthümlichen
Gemüſemarkt der Hauptſtadt.
Morgens mit Sonnenaufgang, alſo in jetziger
Zeit etwas nach ſechs Uhr, treffen die kleinen,
wie ein längliches Viereck gebauten Fahrzeuge
der Indianer ein. Sie ſind mit grünen, friſchen
Gemüſen und zum Theil auch mit Früchten hoch
aufgebaut, und dazwiſchen ſitzen und ſtehen die
jungen, drallen Frauen und treiben die Boote
vorwärts, und um ſie her ſpielen lachende Kinder,
die das Bild allerdings verſchöͤnern, den Gemüſen
ſelber aber nicht immer nützlich ſind. |
Anfangs kommen fie nur einzeln — die am
raſcheſten rudern konnten, find die Erſten und
158
auch im Stande, ſich den beſten Platz auszu—
ſuchen —, aber bald folgt der Schwarm nach,
ſo daß es nur kurze Zeit dauert und der eben
nicht ſehr breite Canal liegt ſo gedrängt voll
Boote, daß für die ſpäter kommenden kaum eine
genügende Fahrſtraße bleibt. Und jetzt ſind auch
von allen Seiten die Fruchthöker gekommen, die,
wie bei uns daheim, Kohl und Rüben en gros
einkaufen, um ſie über Tag nachher wieder mit
einem geringen Nutzen zu verkaufen. Aber welch
ein Unterſchied zwiſchen hier und daheim, denn
wenn man bei uns einmal derartige Scenen er—
lebt hat, ſo wird man ſich gewiß an den ewigen
Skandal erinnern, den das bitterböſe Geſchlecht
der Hökerweiber unterhält und oft damit eine
ganze Nachbarſchaft zur Verzweiflung treibt.
Hier hört man kein böſes, ja ſelbſt lautes
Wort, ausgenommen dann und wann einmal
ein fröhliches Lachen oder einen harmloſen Scherz;
Alles wird in Frieden und Freundſchaft abge—
macht, und die Frauen am Ufer bezeichnen nur
die Gegenſtände, die ſie haben wollen, aber nicht
erreichen können, worauf die Verkäufer ihnen
das Verlangte zuwerfen, ohne nur die geringſte
Beſorgniß zu verrathen, daß ihnen die betreffen—
den Höker mit dem Betrag durchbrennen könnten.
159
Aber fie wiſſen auch, daß ihnen bei einem nur
verſuchten Betrug, alle übrigen Käufer augen⸗
blicklich beiſtehen würden.
Herrliches Gemüſe kommt da zu Markte, wie
es die gemäßigte Zone kaum in einem andern
Land der Welt beſſer und kräftiger hervorbringt:
Kraut, Blumenkohl, Rüben, Zwiebeln, Salat und
wie die grünen Herrlichkeiten alle heißen. Dicht
am Ufer breiten ſich dann die Einzelverkäufer
aus, denn ſie wiſſen recht gut, daß der Engros—
Handel nicht lange andauert, und nun kommen
die Leute aus der Stadt mit ihren kleinen Körben
und holen, was ſie brauchen, während die In—
dianerinnen in den Booten ihr mitgebrachtes
frugales Mahl von einigen Tortillas und etwas
getrocknetem Fleiſch verzehren und ſich dann
anſchicken, die Heimfahrt anzutreten, um am
nächſten Morgen mit einer friſchen Ladung zus
rückzukehren.
Ruhige, harmloſe Menſchen; die Revolutionen
gehen über ſie hin und vernichten vielleicht ihre
beſcheidene, ärmliche Heimath, aber ſie ſind wie
die Halme, die der Sturm wohl niederbeugen,
aber nie zerbrechen kann. Er zerſplittert die
Eiche, aber über ſie brauſt er hin, und wenn
die Sonne auf's Neue hervorbricht, heben ſie ſich
160
langſam wieder empor und ſchaukeln nach wie
vor in der Briſe.
Und wie entſetzlich ärmlich leben Viele von
dieſen Leuten! Da find die Salz- und Salpeter-
gruben an den Ufern der verſchiedenen Seen,
wo ſie in Höhlen und Schmutz und Ungeziefer
faſt wie wilde Thiere hauſen — und doch genügt
ihnen ihre Exiſtenz, und keine Revolution im
ganzen Lande iſt je von der Seite ausgegangen,
die am meiſten Urſache . mit ihrem Geſchick
zu zürnen.
Uebrigens iſt es ganz unglaublich, mit welch“
geringen Kleinigkeiten ſich gerade die Indianer
begnügen, um irgend ein „Geſchäft“ zu betreiben.
So ſieht man oft einzelne von ihnen mit ein
paar Stückchen Käſe durch die Straßen ziehen,
die ſie zum Verkauf ausbieten, ja, ich habe an
der Plaza Indianer mit einer einzigen weißen
Blume ſitzen ſehen, die irgend eine heilkräftige
Wirkung „für das Herz“ haben ſoll, und wenn
ſie dieſelbe für ein paar Clacos verkauften,
gingen ſie befriedigt nach Hauſe.
Wie muß einem ſolchen armen Teufel zu
Muthe ſein, wenn er an einem der prächtigen
Läden vorübergeht und dort einzelne Luxusgegen—
ſtände aufgeſtellt ſieht, deren Zweck er natürlich
„„
nicht begreift, deren Preis aber hinreichen würde,
ihn und ſeine ganze Familie ein paar Jahr am
Leben zu erhalten, und mehr als ſein Leben ver⸗
langt er ja nicht auf der Gotteswelt! Wenn der
zum Communismus überträte, wer könnte es ihm
verdenken? Aber kaum ſteigt wohl je ein ſolcher
civiliſirter Gedanke in ſeinem Herzen auf — er
verlangt nicht einmal 40 Millionen vom Staat
zu einem Unterſtützungsfonds der freien Arbeit.
Still und ruhig müht er ſich ab und wird in⸗
deſſen von dem weißen Geſindel unter die Füße
und zuletzt in die Erde hineingetreten, um dort
den Acker noch nach dem Tode zu düngen, auf
dem er ſich früher abgemüht. — Hol' ihn der
Teufel, warum hat er nicht auch gelernt das
Volk zu beſchwindeln — er hätte ein großer
Mann werden können! Juarez iſt ja auch nur
ein Indianer. 8
An einem der ſchönen Abende — und ſie
waren alle ſchön — beſuchte ich mit einem
Deutſchen das alte Schloß Chapultepek, wo Mon⸗
tezuma ſeinen Sommerſitz gehabt, das die Ame—
rikaner mit Sturm genommen, wo Kaiſer Maxi⸗
milian's Lieblingsaufenthalt geweſen und das noch
jetzt — was wahrlich viel geſagt iſt — den ſchön⸗
ſten Punkt Mexikos bildet.
Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. 11
Das Schloß ſelbſt, von ſtarken, hohen Mauern
umgeben, bei denen es Einem eigentlich unbe—
greiflich ſcheint, daß es die Amerikaner damals
ſo raſch mit Sturm nehmen konnten, iſt aller⸗
dings von keiner außerordentlichen Schönheit,
wenn es auch freundliche, luftige Zimmer und
einen ſehr hübſchen Garten hat; die Perle Cha—
pultepeks iſt aber der eine Thurm, der das ganze
Gebäude überragt und die wundervollſte Ausſicht
in vollem, durch nichts eingeſchränktem Panorama
auf das ganze Thal von Mexiko bietet. —
Ich bin von Gott vor tauſend anderen
Menſchen reich begünſtigt worden — ich habe
ſeine Wunder und die Schönheiten ſeiner Welt
aller Orten ſehen und darin ſchwelgen dürfen,
aber Schöneres in ſeiner Art gerade, habe ich nie
gefunden, und in dem Augenblick hielt ich mich
für all' die Mühen und Beſchwerden, die es mich
gekoſtet, um es zu erreichen, reich und voll belohnt.
Oh, wie wunderbar ſchön iſt doch dieſes Land!
Und trotzdem, jo weit auch hier der Blick über
alle dieſe herrlichen Gegenden ſchweift, keine
Stelle faſt im ganzen Thal, wo ſich nicht die
Menſchen aus Goldgier, Religionshaß oder von
blindem Ehrgeiz angetrieben, gemordet und den
Boden mit Blut roth gefärbt haben. Von älteſter
AR:
bis zu neueſter Zeit reichen dieſe Greuel, und
ſelbſt noch in dieſem Augenblick lauern Banden
von Straßenräubern in dem Thal wie an den
Hängen der es umgebenden Berge, auf den fried—
lichen Wanderer, und die Regierung iſt mit all'
dem Blut, das ſie vergoſſen, nicht im Stande,
ſelbſt die unmittelbare Nähe ihrer Hauptſtadt
von dieſem Geſindel frei zu halten. — Aber
leider finden wir das in der ganzen Welt beſtätigt,
daß gerade in den Ländern, über welche die
Natur mit vollen Händen ihre Gaben ausge-
ſchüttet, das Geſchlecht der Menſchen den ein—
zigen dunklen Flecken in dem Bilde zeigt, wäh—
rend es harmlos und friedlich und deshalb auch
glücklich in den wüſteſten Einöden beiſammen
wohnt. NER
Ich konnte den Blick kaum losreißen von den
wundervollen, prachtvollen Contouren der Berge,
von dem eigenen Zauber, der auf der ganzen
Landſchaft lag. Zu unſeren Füßen faſt, oder
doch nur kurze Strecke entfernt, breitete ſich die
Hauptſtadt mit ihren zahlreichen Kirchen und
Klöſtern und den regelmäßig eingetheilten Straßen
aus; hinter und neben ihr lagen die noch in
der Sonne blitzenden Seen, dahinter erhoben
ſich die beiden großartigen, mit Schnee bedeckten
11*
164
Vulkane, und ringsum, ſoweit der Blick ſchweifte,
5 5 zeigten ſich kleine, freundliche Städte und Dirt:
ſchaften, eingerahmt von dem höher ſteigenden
Lande, das den ganzen Horizont umſchloß; un—
mittelbar unter uns aber lag der kleine, doch
freundliche Park von Chapultepek, unter deſſen
rieſigen Cedern ſchon Montezuma, dann Iturbide
und zuletzt Maximilian gewandelt — eine ganze
Kette von unglücklichen Fürſten, denen hier das
Schönſte der Welt als Eigenthum geboten wurde,
nur um ſie deſto ſicherer zu verderben.
Und jetzt ſank die Sonne — das Thal füllte
ſich mit mattem Dämmerſchein und die beiden
Kuppen der Vulkane fingen an zu erglühen; ro—
ſige Wolken hingen darüber in der Luft und
ſtiegen aus den Schluchten der Gebirge, wohin
die Strahlen der untergegangenen Sonne ſchon
nicht mehr dringen konnten, wie bleiche Geſpenſter
der Vorzeit empor.
Ich hätte die ganze Nacht hier oben bleiben
mögen, aber der Eiſenbahnzug, der uns nach
der Stadt zurückbringen ſollte, wurde bald er—
wartet, und wir wollten doch auch noch, ehe wir
das Schloß verließen, die rieſigen Bäume da
unten beſuchen, unter denen all' die Opfer mexi—
kaniſcher Kriege und Revolutionen gewandelt
165
und von dem Glanz und Glück ihrer Herrſchaft
geträumt hatten. |
Es ſind wirklich prachtvolle Bäume, dieſe
mächtigen Cedern mit ihren Rieſenſtämmen und
feſt zuſammengedrängten dunkeln Wipfeln, wie
ſie daſtehen in ſtiller Einſamkeit. Der eine,
den wir maßen, hat 7½ Klafter in ſeinem Um:
fange, etwa 4 Fuß vom Boden, und ſeine Zweige
beſchatteten dabei einen verhältnißmäßig kleinen
Raum. Nahe dabei liegen außerdem die klaren
Quellen, die ihr Waſſer der Stadt zuführen,
liegt noch das alte Bad Montezuma's und all'
der ermordeten Fürſten, die ihm nachgefolgt —
aber dem Publikum iſt der Platz jetzt verſchloſ—
ſen. Nur wer eine beſondere Karte erhält, darf
ihn beſuchen, und ich weiß nicht, ob das eine
bleibende Maßregel iſt, oder ob ſie nur zeitweilig
aufrecht erhalten werden ſoll. Es wurde näm⸗
lich im Schloſſe ſelber gerade Manches reſtaurirt,
da Juarez dort in nächſter Zeit zur Feier ſeines
Antritts ein großes Frühſtück geben wollte.
Ich würde mir dazu an ſeiner Stelle ein
ganz neues Haus haben bauen laſſen, denn in
dem Schloſſe hätte mir gewiß kein Biſſen ges
ſchmeckt; aber die Naturen ſind eben verſchieden.
Am Tag vor Weihnachten fuhr ich ebenfalls
166
mit einem Deutſchen nach dem berühmten Cortez⸗
5 baum hinaus, der in dem kleinen Ort Tacuba
unmittelbar neben der Kirche ſteht. El arbol de
la noche triste oder der Baum der Trauernacht
iſt zu merkwürdig — ſchon ſeiner ſelbſt und ſei—
nes ungeheuren Umfangs wegen, um an ihm vor—
* beizugehen.
Der Baum iſt eine rieſige Ceder mit aller—
dings Schon altersmorſchem Stamm und wenig
mehr übrig gebliebenen Rieſenzweigen, aber der
Stamm ſelber hat 4 Fuß über der Erde reich—
lich 9 Klaftern im Umfang, und an ſeinem Fuß
liegt noch ein Stein, auf welchem Cortez in je—
ner Nacht, als er aus Mexiko vertrieben worden,
geſeſſen haben ſoll und geweint.
Es war das in jener Zeit, als Diego Velas—
quez, der Gouverneur von Cuba, eiferſüchtig auf
den unerwartet günſtigen Erfolg von Cortez'
Expedition, Pamphilo Narvaez nach Vera-Cruz
ſandte, um Cortez abzuſetzen und den Oberbefehl
ſelber zu übernehmen. Cortez war aber nicht
der Mann, ſich einer ſolchen Ungerechtigkeit zu
fügen. Narvaez hatte wohl 1300 Mann mit ſich,
er ſelber kaum 450. Trotzdem marſchirte er ge—
gen Vera-Cruz, ſchlug Narvaez und nahm ihn
gefangen, verſtärkte ſich dann mit den gegen ihn
geſandten Truppen und ging wieder nach Mexiko
zurück. Während ſeiner Abweſenheit hatte aber
indeſſen der als Oberbefehlshaber zurückgelaſſene
Alvarado durch ſcheußliche Grauſamkeiten und
Erpreſſungen die Mexikaner jo gereizt, daß ſie, 5
zur Verzweiflung getrieben, revoltirten und Cor—
ie felßer fih zuleke nicht mehe gegen fie Halten
konnte. Tag und Nacht griffen fie ihn an, und
als er aus dem damals vollkommen mit Waſſer
umgebenen Mexiko flüchten wollte, richteten vie
Mexikaner eine furchtbare Niederlage unter ſei—
nen Truppen an. Er hatte im Ganzen etwa 1300
Mann gehabt, aber kaum mehr als 400 entkamen
mit ihm und wie wenige von Allen unverwundet.
Erſt in Tacuba, auf einer niederen Anhöhe, hielt
er Stand und warf dort Schanzen auf, und noch
jetzt ſteht jener alte Baum, unter welchem ihm,
vielleicht zum erſten Mal in ſeinem Leben, das
Herz verzagte und er bitterlich weinte.
A
6.
Der Weihnachtsmarkt zu Mexiko und die Feſtzeit.
Weihnachten rückte heran und die Feſtzeit,
und auf der Plaza wurden ſchon durch das Auf—
ſchlagen vieler Buden die Vorbereitungen dazu
getroffen.
Weihnachten! — Wie manche, manche Weih—
nachten habe ich draußen in der Fremde, fern
von meinen Lieben verlebt — und an wie viel
verſchiedenen Plätzen! Zuerſt verträumte ich
meinen Weihnachtsabend — und manche trübe
Stunde war dabei — einſam in den Urwäldern
Amerikas, und Chriſtbäume ſtanden genug da,
aber an keinem ein Licht, nichts als die vor mir
lodernde Gluth, und ſtatt dem Gejubel fröh—
licher Kinder das Geheul der Wölfe um mich
her. — Dann kam eine andere Zeit — ich
169
kehrte ja nach dem Vaterland zurück, und eine
Zeit lang war es, als ob ich nun in den Hafen
der Ruhe eingelaufen wäre. Ich hatte Weib
und Kind, und allen menſchlichen Berechnungen
nach mußte ich jetzt zu Hauſe bleiben. — Es war
nicht wahr. Das Jahr 1848 zeigte mir die Wahl,
mein Leben als Schriftſteller in den aufgeregten
Zeiten entweder kümmerlich zu friſten, oder mir
durch einen kecken Entſchluß eine Stellung zu
erzwingen, und — von ewiger Reiſeluſt außer⸗
dem getrieben, wählte ich das Letztere.
Die nächſte Weihnacht fand mich zwiſchen den
Goldgräbern in San Francisco, die zweite auf
dem Walfiſchfang, die dritte in Indien — in
Batavia. — Wieder eine Pauſe und wieder hin⸗
aus in die Welt. Im Jahr 1860 wanderte ich
auf dem Weihnachtsmarkt von Lima umher —
geſtern auf dem von Mexiko, und man muß we—
nigſtens geſtehen, daß ich Abwechslung in der
Sache habe.
Aber jo weh dem armen Wanderer auch ge:
rade an dem Tag zu Muthe iſt, wo ihm die Er-
innerung alles Liebe und Gute aus der Heimath
mit einem Schlag heraufbeſchwört, und ihn die
Sehnſucht mit allen Banden des Herzens nach
Hauſe zurückzieht, ſo bereue ich doch wahrlich
170
nicht, dieſen Abend und die rege Zeit vorher in
Mexiko verlebt zu haben, denn es kann wohl
kaum einen Platz in der Welt geben — unſere
deutſche Heimath, das Vaterland des Chriſtbaums
natürlich ausgenommen, wo ſich die ganze Bevöl—
kerung ſo lebhaft an dem Feſt betheiligt, wie ge⸗
rade hier in Mexiko.
Schon in Puebla fand ich unter den Colon—
naden der Plaza eine Maſſe Sonneberger Spiel—
zeug ausgeſtellt, und Heiligenbilder oder kleine
buntgemalte Gruppen — Scenen aus der bibli—
ſchen Geſchichte, wurden aus Thon und Wachs,
oft nicht ungeſchickt fabricirt, feilgeboten. Damals
war es aber erſt der Beginn der Feierlichkeit,
und wenn es dunkelte, packten die Leute ihre
Siebenſachen zuſammen und gingen heim. Anders
wurde das aber, als Weihnachten herannahte,
und jetzt ſah ich plötzlich zu meinem Erſtaunen,
daß auch die Bäume nicht fehlten, und zwar un⸗
ter fremdartigen Zweigen und Wipfeln des Le—
bensbaumes und der hier nicht hergehörenden
Kiefer, unſere alten ehrlichen Fichten und Tan—
nen, die Käufer auf jedem deutſchen Weihnachts—
markt gefunden hätten. Und nun eröffneten ſich
in langen Reihen die Buden, welche die Aus—
171
ſtattung für das Naeimiento (Geburt Chriſti)
liefern ſollten.
Die eine Reihe nahmen die Chriſtbäume ein
und mit ihnen die verſchiedenen dazu nöthigen
Mooſe, deren Mexiko in prächtigen Farben lie—
fert. Zuerſt das lange, graue ſpaniſche Moos
— in Texas ſpaniſcher Bart genannt — dann
ein herrlich braunes und dunkelgrünes Moos,
was Alles dazu benutzt wird, um den Fuß des
Chriſtbaumes — oder bei den Mexikanern die
Ecken, in denen das Nacimiento aufgeſtellt wird,
auszuſchmücken und mit Grün zu bekleiden.
Dazwiſchen drängten ſich Jungen herum, die
lange Silberſtreifen an einen Stock gebunden
trugen und ihren Waarenvorrath dem Publikum
unter die Naſe hielten. Auch große rothe Blu—
men und kleine gelbe Früchte — dem Ausſehen
nach den Holzäpfeln ähnlich, fanden ſich als
Schmuck für den Baum, an dem man eben jene
Silberfäden herunterhängen läßt, Sterne von
Blech oder Zinn, welche die Strahlen der Lich—
ter zurückwerfen, und neben den tauſend kleinen
Heiligenbildern auch Sonne und Mond der alten
heidniſchen Azteken.
Uebrigens haben die Mexikaner ein ganz
merkwürdiges Talent im Modelliren, und gar
*
172
nicht etwa fo jelten findet man Indianer, die
aus einem Klumpen Thon in wenigen Minuten
den Kopf jedes beliebigen Menſchen auf das
treueſte nachbilden. Ihre Wachs- und Zeug—
figuren, in denen ſie in einzelnen Modellen die
mexikaniſchen Trachten wiedergeben, habe ich
ſchon erwähnt, und ſelbſt in ordinärem Thon
findet man, ebenſo wie in Wachs, manchmal
kleine Gruppen, die theils heilige Scenen, theils
Stiergefechte, Pulka-Arbeiter, Tänze, Maulthier-
treiber ꝛc. vorſtellen, zu einem fabelhaft billigen
Preis“
Auf dem Chriſtmarkt hier bildeten deshalb
auch Buden mit derartigen Gegenſtänden die
größte Zahl, und man fand dort manchmal ganz
allerliebſte Sachen, wie zum Beiſpiel kleine Land—
ſchaften, Schneegebirge ꝛe. Dort drängte ſich
denn auch die Menſchenmenge dermaßen zuſam—
men, daß man nur langſam und im Schritt —
oft fortgeſchoben, oft geſtemmt, hindurchkommen
konnte.
Dazwiſchen kauern, genau ſo wie bei uns,
die armen Kinder mit ihren Zwetſchenmännern
und Schornſteinfegern, kleine Jungen und Mäd—
chen in zerlumpten Serapen oder Rebozen, und
bieten die billigſten und am roheſten gearbeiteten
173
Figuren aus, damit auch die ärmſten Leute etwas
finden, um ihr Nacimiento damit auszuſchmücken.
Hier trifft man beſonders die aus Pappe ge⸗
arbeitete Mageh (die Aloe), um eine mexikaniſche
Landſchaft darzuſtellen, und hie und da ſieht man
auch kleine, mit Haaren von Baumwolle ver-
ſehene Engel, die ſcheinbar über einer ſolchen
Aloepflanze ſchweben, in Wirklichkeit aber mit
dem Bauch auf die mittelſte Spitze derſelben ge-
ſpießt ſind. |
Wendet man ſich rechts, jo geräth man in
die Reihe der Dulces-Fabrikanten, die in Mexiko
außerordentlich ſtark vertreten ſind und wirklich
Bedeutendes beſonders in überzuckerten Früchten
leiſten. Da findet man alle hier vorkommen⸗
den Arten faſt, die ſich nur irgend dazu eignen,
ſelbſt ſüße Kartoffeln — ſogenannte Camotes —
Feigen, Birnen, Orangen, Bananen, Ananas,
Citronen, Limonen und wie ſie alle heißen. Da—
neben Dulces von Cocosnuß wie andere ge—
würzreiche Arten, in allen Formen, und zwar
in ungeheuren Maſſen aufgehäuft, da es in
Mexiko außerordentlich viel gekauft wird. Einige
Arten weißen Zuckerwerks, die ich aber nicht ge—
koſtet habe, werden in der That körbeweiſe nach
Hauſe getragen.
: 174
Wieder an anderen Stellen find Eßwaaren
zu haben, an denen ſich die zu Markt Gekom—
menen laben können — wenn ſie Appetit dazu
verſpüren, denn beſonders appetitlich ſehen die
dort aufgeſchichteten Speiſen gerade nicht aus.
Ein Lieblingsgericht ſcheinen in Bananenblätter
eingeſchlagene zuſammengeſetzte Speiſen zu ſein,
an denen auch der — hier aber ſehr ſchwache —
ſpaniſche Pfeffer nicht fehlt. Allerlei verſchiedene
Fleiſcharten werden zuſammengelegt und gebacken,
und dazu ißt man die Tortillas — flache, ge—
backene Maiskuchen, die noch am beſten ſchmecken.
Der Dunſt diefer Kuchen, fett und erſtickend,
zieht aber über den ganzen Platz, und wenn am
Abend noch der Rauch der als Beleuchtung die—
nenden Kienbecken dazu kommt, ſo bieten die
verſchiedenen dunkelrothen Flammen mit den ſich
dazwiſchen bewegenden maleriſchen Geſtalten wohl
ein reizendes Bild, benehmen Einem aber auch
faſt den Athem. f
Aber je ſpäter es wird, deſto mehr drängt ſich
das Volk dem Platze zu. Unter den Colonnaden,
wo die beſſeren Waaren zum Verkauf ausgeboten.
werden, preßt es herüber und hinüber und zwi—
ſchen den Buden kann kein Apfel mehr zur Erde
nieder, während einzelne Träger, die den Einkauf
irgend einer Herrſchaft fortſchaffen ſollen, die—
ſelben auf den Kopf nehmen müſſen und trotz—
dem die größte Mühe haben, wieder hinaus und
auf einen nur etwas freieren Platz zu kommen.
Es ſind viele Deutſche in Mexiko, und daß
dieſe den heiligen Abend in alter, guter deutſcher
Weiſe feiern, verſteht ſich wohl von ſelbſt. Die
alte Sitte iſt zu ſchön, und es iſt Thatſache, daß
das Kind, das nur ein einzig Mal glücklich unter
einem Chriſtbaum geſtanden, denſelben nie ver—
gißt und von da ab ein Weihnachten ohne ihn
für unmöglich hält. Hat er ſich doch jetzt ſelber
unter den ſonſt gegen alles Gemüthliche jo gleich—
giltigen Yankees Bahn gebrochen, und wird bald
den ganzen nordamerikaniſchen Continent ſieg—
reich durchwandern und erobern. f
Die Weihnachtsbäume erleiden allerdings
unter den Tropen eine kleine Veränderung, und
ſelbſt hier, wo man ſo ſchöne Fichten und Tannen
hat, wie bei uns, ja ich möchte ſagen noch voller
und üppiger gewachſen, ſehen die vergoldeten
Bananen eigenthümlich aus, die anſtatt der Aepfel
den Baum zieren, aber mir haben ſie doch ge—
fallen, und die Frucht hat dabei noch das Anz
genehme, daß ſpäter beim Schälen das Gold und
Silber gründlich entfernt wird.
176
Ich verbrachte den Weihnachtsabend in einer
deutſchen Familie unter dem Chriſtbaum und
glücklicher Weiſe in großer Geſellſchaft — vor⸗
her ſchon hatte ich in einer andern Familie bes
ſcheren ſehen, — aber du lieber Gott, wie weh
iſt einem „armen Reiſenden“ dabei ſelber um's
Herz, wenn man den Jubel der Kinder ſieht,
und dabei nur an die eigenen — ſo fern und
unerreichbar — denken muß. Ich muß auch ges
ſtehen, daß ich mich vor dem Abend gefürchtet
hatte. Hoffentlich war es der letzte Weihnachts-
abend, den ich in fernen Landen verlebt habe.
Am 25. war großer Feiertag in der Stadt,
aber nicht allein des Weihnachtsfeſtes wegen,
ſondern der Präſident hielt ſeinen Bando oder
militäriſchen Umzug in der Stadt, ſpäter mit
großer Sitzung im Abgeordnetenhauſe, wo er ſich
als neugewählter Präſident dem Volke zeigte und
ſeine Anrede an daſſelbe, aber freilich mit ſo
leiſer Stimme hielt, daß man auf den Gallerien
auch nicht eine Silbe davon verſtehen konnte.
Soviel bleibt gewiß, Juarez iſt augenblicklich
in Mexiko nicht allein populär, ſondern das
eigentliche Volk hat auch Vertrauen zu ihm, daß
er die neugewonnene Republik feſtigen und er⸗
halten werde — wenn nicht ſchon der Name Re⸗
publik in-allen ſüdamerikaniſchen Staaten und
ebenſo in Mexiko — ein Spott auf die Sache
ſelber wäre.
In einer Republik ſoll das Volk durch einen
von ihm gewählten Repräſentanten regieren —
aber was iſt in allen dieſen Staaten eben dieſes
ſouveräne Volk? Ein Haufen unwiſſender,
roher Menſchen, die, beſonders in Mexiko, von
klugen Advocaten geleitet und benutzt werden.
Man braucht ihre Stimme und ihre Fäuſte —
weiter nichts —, ihre eigene Meinung wird nicht
befragt und kann nicht befragt werden, denn ſie
haben keine — ſie gehen mit der Maſſe und dem
Erfolg.
Juarez' perſönliche Erſcheinung macht gerade
keinen beſonders günſtigen Eindruck. Es iſt eine
kleine, gedrängte, derbknochige Geſtalt, und ſein
braunes Indianergeſicht mit den vorſtehenden
Backenknochen und der niedrigen Stirn verräth
eben keine großen geiſtigen Eigenſchaften. Aber
der kurze Nacken zeigt einen ſtarren Sinn, und
Zähigkeit hat er auch allerdings, von ſeinem
Reiter Lerdo dabei noch tüchtig angeſpornt, ge—
nug bewieſen.
Als er den Saal der Abgeordneten betrat,
Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. 12
RB:
wo eine Art Thronſeſſel mit zwei rothgepolſterten
Stühlen für den Präſidenten und Vicepräſiden⸗
ten des Hauſes ſteht, wurde nur an einer Stelle
etwas Vivat gerufen, und auch nur von dort,
über der Thür des Eingangs, flogen eine Unzahl
bunter Bänder wie ein Regen — oder noch beſſer,
wie eine Ordensvertheilung in Europa — über
den Präſidenten und ſeine nächſte Umgebung
nieder. Sie enthielten daraufgedruckte Lobgedichte
des Präſidenten, aus der Feder irgend eines
Hofpoeten — denn warum ſoll es nicht auch
in einer Republik Hofpoeten geben? Abends
zogen kleine Trupps ſehr mittelmäßig geklei—
deter Mexikaner mit etwas Muſik und einer Art
Standarte, mit Juarez' Bild darauf, durch die
Straßen, Lichter dabei in der Hand tragend; auch
wurden auf der Plaza viele Raketen abgebrannt,
vor denen man ſich ein wenig hüten mußte. |
Die Abgeordneten im Saale jelber betrugen
ſich ſehr ungenirt. Faſt alle rauchten, bis der
Präſident eintrat; auch die Zuſchauer gaben ſich
dem Genuſſe hin — es war ein entſetzlicher
Qualm im Hauſe, und ſelbſt bei der Anſprache
des Erſten der Nation behielten die Zuſchauer
auf den Gallerien — mit wenigen Ausnahmen —
* *
7.
Von Mexiko nach Cuernavaca.
Allerdings hatte ich von Mexiko aus die Ab⸗
ſicht gehabt, Querétaro zu beſuchen und die Stätte
ſelber zu ſehen, wo der arme, aber bis zum
letzten Moment heldenmüthige Kaiſer endete.
Dieſe Fahrt wurde mir aber von allen Seiten
auf das entſchiedenſte abgerathen, denn erſtlich
hätte ſie viel Geld bei einer enormen Strapaze
mit viertägiger Diligencenfahrt gekoſtet, und dann
würde ich meinen Zweck nicht einmal erreicht
haben, da, wie ſchon erwähnt, die Regierung
alles in ihren Kräften Stehende gethan hat, die
örtlichen Spuren jener Kataſtrophe vollſtändig
zu vernichten. Man findet den Platz kaum wieder,
und da im Kloſter ſelber noch Gefangene ſaßen,
wurde auch keinem Fremden der Eintritt dort
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181
geſtattet. Was hätte es mir aljo geholfen, um
die kleine Stadt Querétaro anzuſehen.
Einen dieſer, und zwar eben entlaſſenen Ge—
fangenen ſah ich ſelber in Mexiko — Herrn
von Görbitz, den früheren Adjutanten Miramon's,
der in jenen Tagen nach Madrid, wo er über⸗
haupt lebte, zurückkehrte. Ueber die früheren
und letzten Verhältniſſe in Querétaro dürfen wir
deshalb wohl intereſſanten und wahrheitsgetreuen
Schilderungen entgegenſehen, da Herr von Görbitz
beabſichtigt, ſeine Erlebniſſe in deutſcher wie in
ſpaniſcher Sprache herauszugeben.
Miramon ſelber war ein tapferer und tüch—
tiger Mann, aber auch entſetzlich ehrgeizig, und
ich fürchte faſt, der Kaiſer traute ihm Anfangs
zu viel — aber zuletzt theilte er das Geſchick
des Monarchen, und ihm treu zur Seite hielt
ſich der Indianer Mejia. |
Der Proceß der bis jetzt noch zurückgehaltenen
Gefangenen wird indeſſen in langſamer Reihen-
folge vor den Gerichten abgewickelt, und nur die
werden bis zuletzt aufgehoben, die ſich vielleicht
die kleinliche Rache irgend eines Beamten zu—
gezogen haben. Eine längere Verurtheilung
braucht aber Keiner von ihnen mehr zu fürchten.
Da mir auch Herr von Görbitz abrieth, unter
182
Ei den jetzigen Verhältniſſen eine, jedenfalls hoͤchſt
undankbare Reife nach Querétaro zu unterneh—
i 5 men, verzichtete ich darauf, beſchloß aber doch,
Mexiko ſelber bis zum Stillen Meer zu durch—
wandern und mich dann ſüdlich zu wenden. Ich
bekam dadurch nicht allein eine der wildeſten
. Provinzen des Landes, Guerrero, zu ſehen, ſondern
konnte auch darauf rechnen, dort zu einer inter-
eſſanten Zeit durchzupaſſiren, da ſich gerade die
zwei revolutionären Heere entgegenſtanden. Außer—
dem mußte ich das Land der Pintos oder gemalten
Indianer kreuzen, die — jedenfalls in Folge
einer ganz eigenthümlichen Hautkrankheit — in
vielen Fällen wie gefleckt erſcheinen.
Dort gab es alſo viel für mich zu ſehen, und
daß noch, beſonders zwiſchen der Hauptſtadt und
Cuernavaca, zahlloſe Straßenräuber den Weg un—
ſicher machen ſollten, konnte mich natürlich nicht
davon zurück ſchrecken.
Hier wäre es übrigens wohl am Platz, ein
paar zuſammenfaſſende Worte über das Räuber—
weſen in Mexiko zu ſagen, denn es ſpielt in
jenem Land eine nicht unbedeutende Rolle und
charakteriſirt dabei die Zuſtände.
Wenn man nur den Fuß auf mexpikaniſchen
Boden ſetzt und die Abſicht äußert, das innere
Land zu jehen, jo kann man ſich auch feſt darauf
verlaſſen, daß Einem ſchon die entſetzlichſten Ge—
ſchichten über alle nur erdenklichen Raubanfälle
und Mordthaten erzählt werden, und einem nur
einigermaßen ängſtlichen Menſchen ſollte die Luſt
zu einer Vergnügungsfahrt wahrhaftig ſchnell
genug vergehen. Es wird dabei natürlich viel
übertrieben und hat große Aehnlichkeit mit den
zahlloſen Löwen-, Tiger- und Schlangengeſchich—
ten, die wir zu leſen bekommen, da faſt kein
Menſch gern den Fuß in eine tropiſche Landſchaft
ſetzt, ohne näher mitzutheilen, mit wie genauer
Noth er irgend einer wilden Beſtie entgangen
iſt — natürlich ohne auch nur die Spur einer
ſolchen geſehen zu haben. |
Ebenſo ift es ſehr häufig mit den Raub⸗
anfällen auf den mexikaniſchen Landſtraßen, die
aber doch in der That viel öfter vorkommen,
als einem ruhigen Reiſenden lieb ſein kann.
Wo Krieg iſt, findet ſich ſtets genug Geſindel,
das Freund wie Feind mit anerkennenswerther
Unparteilichkeit ausplündert und dabei auch einen
Mord nicht ſcheut — fließt doch eben im ganzen
Lande Blut, und Menſchenleben verlieren ihren
Werth. Natürlich erreicht ein ſolcher Zuſtand
aber ſeinen Höhepunkt, wenn der Krieg in einen
184
Guerillakampf ausartet und, wie hier, Contre—
guerillas dagegen verwandt werden. So artete
denn auch der ganze Krieg in Mexiko, bei den
Franzoſen wie Mexikanern, in ein wahres Raub-
ſyſtem aus, bei dem ſich der franzöſiſche General
der Contreguerilla, Dupin, einen ſo geachteten
Namen erwarb, daß ihm ſelbſt die mexikaniſchen
Straßenräuber ihre Anerkennung nicht verſagen
können. |
Damals lagen kleine Banden an allen Stra-
ßen, und die Ueberfälle, wenn auch dabei geraubt
wurde, hatten meiſt immer den Hauptzweck, den
Feind zu beunruhigen und zu ſchädigen, wo und
wie das auch immer geſchehen konnte. Als aber
mit dem Fall Querétaros und Mexikos, wie mit
dem Tod des unglücklichen Kaiſers Max den
wirklichen Feindſeligkeiten ein Ende gemacht
wurde und die Anhänger des Kaiſerreichs jeden
ferneren Widerſtand nutzlos fanden, da hatten
doch zu viele Menſchen Geſchmack an dieſem ein—
träglichen Guerillageſchäft gefunden und — ſetzten
es eben fort. Die Contreguerilla hatte allerdings
ihre Haut ſchon in Sicherheit gebracht und war mit
Orden bedeckt nach Frankreich zurückgekehrt, aber
die Mexikaner blieben und fanden es zum Theil
vortheilhafter, den Diligencen an der Straße
185
aufzulauern, als ſich einer überdies ungewohnten,
wenn auch nützlichen Thätigkeit hinzugeben.
In Nordamerika war dies ein anderes Ver⸗
hältniß. Es gab auch dort, und leider nur zu
viel blutige Raubbanden, die unter dem Namen
von Jayhawkers und Buſhwhackers während des
Krieges nach Herzensluſt mordeten und raubten,
und wohl eben ſo viel — und vielleicht mehr
Greuelthaten verübten als die Mexikaner. Als
aber die Soldaten nach Friedensſchluß aus dem
Feld zurückkehrten und ihre eigene Heimath wieder
aufſuchten, mußten ſie machen, daß ſie aus dem
Lande kamen, um deren Rache zu entgehen, und
die meiſten von ihnen flüchteten nach dem glück-
lichen Texas. Die Soldaten ſelber aber dachten
gar nicht daran, ein ihnen fernliegendes Räuber⸗
leben zu führen. Sie waren des Krieges ſatt
und an Arbeit gewöhnt, ihre Farmen hatten
außerdem die ganze Zeit darniedergelegen; ihr
Geſchäft war vernachläſſigt worden, und mit
vollem Eifer gaben ſie ſich wieder dem früheren
Berufe hin. Man kann jetzt in Nordamerika in
den wildeſten Diſtricten ſo ſicher und ungefährdet,
allein und unbewaffnet reiſen, wie in den Stra⸗
ßen einer volkreichen Stadt ſpazieren gehen. —
Nicht ſo in Mexiko.
* EN
F
186
Es wird, wie geſagt, viel von Leuten über—
trieben, die nun gern einmal ein ſelbſterlebtes
Abenteuer erzählen wollen, aber im Ganzen fallen
doch Raubanfälle, die manchmal auch ein blutiges
Ende nehmen, nur zu häufig vor, und die Dili—
gence iſt thatſächlich auf manchen Strecken zwei—
und dreimal die Woche ausgeraubt worden. Die
meiſte Schuld daran trägt freilich zum großen
Theil die entſetzliche Feigheit der mexikaniſchen
Reiſenden, die ſich lieber geduldig ausrauben
laſſen, ehe ſie ſich der Gefahr ausſetzen, daß einer
der Räuber in die Diligence hineinfeuerte, und
das Komiſche iſt hier vorgekommen, daß an einer
der Straßen im Innern ein altes Weib in
Männerkleidung, allein und nur mit einem Revol—
ver und einer Muskete bewaffnet, wochenlang und
faſt täglich den Poſtwagen geplündert und ſämmt—
liche Paſſagiere gezwungen hat, ihre Werthſachen
abzulegen, bis endlich einmal ein Franzoſe auf
ſie feuerte und ſie in die Schulter traf. Sie
ſtürzte zu Boden und man entdeckte jetzt die etwas
beſchämende Thatſache, die ſich allerdings nicht
mehr wegleugnen ließ. Aber trotzdem wurden
die Mexikaner nicht muthiger, und als man nun
fand, daß ſich die Räuber nach und nach weniger
blutdürſtig zeigten, went ſie keinen Widerſtand
RT
fanden — ſie hatten wohl oft eben fo viel Angſt
vor den Paſſagieren, wie dieſe vor ihnen — ſo
fiel man auf ein anderes Mittel, ſie billig los
zu werden. Man gab mir ſelber von den ver⸗
ſchiedenſten Seiten den Rath, keine Waffen mit-
zunehmen, ſondern nur etwa drei oder vier Thaler
in die Taſche zu ſtecken, um doch wenigſtens
etwas zu haben, wenn die Räuber la bourse ou
la vie forderten, und mein übriges Geld der
Poſt zu übergeben.
Thatſächlich iſt zu dieſem Zweck ein Zahlungs⸗
ſyſtem auf der hieſigen Diligence eingeführt, das
den Räubern auf entſchiedene Art ein Schnipp—
chen ſchlagen ſoll. Reiſende überliefern auf der
Ausgangsſtation der Direction der Diligence
all' ihr baares Geld — einige Dollars, wie ge=
ſagt, ausgenommen, und erhalten dafür einen
gedruckten und unterſchriebenen Schein. Damit
können ſie in jedem Nachtquartier oder unter-
wegs ihre Zeche bezahlen. Es iſt wie ein Cre—
ditbrief auf die betreffenden Stationen, und wo
man zwei oder drei Dollars verzehrt, oder viel—
leicht zu irgend einem Ankauf etwas Geld haben
will, läßt man es ſich einfach auf der betreffenden
Diligenceſtation geben, wo es dann auf dem
*
188
Zettel abgeſchrieben wird. Solche 19 8 5 honorirt
jede Station.
Bequem iſt das jedenfalls und wäre auch gar
nicht ſo übel in Deutſchland einzuführen, um
nicht mit vielem Geld unterwegs und in den oft
unſicheren Hötels behelligt zu ſein.
So weit geht in der That dieſe Angſt vor
Gewaltthätigkeiten der Ladrones, daß ſchon Rei—
ſende, die ſich vertheidigen wollten, von ihren
Mitpaſſagieren daran verhindert wurden, um die
Sefiores der Straße nicht unnöthiger Weiſe zu
reizen, das heißt, von einem in den Wagen ge—
feuerten Schuß nicht etwa einen Theil oder die
ganze Ladung abzubekommen. |
Andererſeits muß man aber auch den Straßen:
räubern wieder zugeſtehen, daß ſie beſonders in
letzterer Zeit mit vieler Mäßigung verfuhren.
Früher iſt es allerdings gar nicht ſo ſelten vor—
gefallen, daß fie die Reiſenden bis auf's Hemd
ausgeplündert haben, ja in Mexiko ſoll einmal
ein ganzer Wagen vollkommen nackter Paſſagiere
eingetroffen ſein — jedenfalls ein ſehr ſchlechter
Scherz der Ladrones, wenn man beſonders das
kalte Klima der Hochebene berückſichtigt. Jetzt aber
ſcheinen ſich die Herren Straßenräuber mit viel
weniger zu begnügen und zeigen nur eine ſtille
19, 3
Leidenſchaft für goldene Uhren, andere Werth
ſachen, wie auch natürlich baares Geld — ohne
in ihren Anſprüchen extravagant zu ſein. Ja,
es ſoll ſogar vorkommen, daß ſie den ausgeplün⸗
derten Reiſenden etwas zurückerſtattet haben —
gewöhnlich einen Dollar, um damit auf der näch—
ſten Station ihr Frühſtück zu bezahlen. Jeden⸗
falls ein hübſcher Zug von ihnen. So erhielt
einſt ein junger Mann, der nur 6 Realen bei ſich
gehabt, dadurch, daß ihm die Räuber 1 Dollar
wieder herausgaben, weil ſie bei dem einen Paſſa⸗
gier 300 Dollars gefunden, ſogar 2 Realen mehr,
als um was er geplündert worden — aber auf
dieſe Speculation kann man nicht reiſen.
Die Regierung thut übrigens jetzt Manches,
um die Straßen ſicher zu ſtellen, und beſonders
in der Nähe größerer Städte, wo ſich das meiſte
Geſindel vorfindet, werden berittene Patrouillen
mitgegeben, die allerdings maleriſch genug aus—
ſehen, und ſich ein paarmal ſchon ganz wacker
mit den Banden herumgeſchlagen haben. In—
zwiſchen behaupten die hieſigen Einwohner, daß
dieſe Patrouillen manchmal ſelber die Gelegen—
heit wahrnähmen und die Reiſenden plünderten,
aber ich glaube, das iſt übertrieben, und bezieht
ſich wohl nur darauf, daß Einer oder der An—
190
dere, wenn jie den Wagen wieder verlafien, um
auf ihre Station zurückzukehren, an den Schlag
geritten kommt und ſich mit einem freundlichen
Gruß ein Douceur ausbittet. Sie ſind aber
dann immer mit 1 oder 2 Realen vollkommen
zufrieden — arme Teufel! ſie werden ſchlecht
genug beſoldet, mit 1 Real täglich, und ſollen
den oft nicht einmal bekommen.
Alle Straßen können dieſe Patrouillen natür—
lich nicht überwachen; das Land iſt ungeheuer
groß, und Raubanfälle kommen deshalb noch
aller Orten vor. Das Beſte bleibt es deshalb
ſtets, gut bewaffnet zu ſein, um der Bande die
Spitze bieten zu können. Im Ganzen ſind ſie
immer feige, und wenn ſich nur zwei oder drei
Leute in der Diligence befinden, die, mit Waffen
verſehen, auch entſchloſſen ſind dieſelben anzu—
wenden, ſo braucht man wahrlich keinen Ueber—
fall zu fürchten oder kann ihn, wenn er trotzdem
erfolgen ſollte, mit leichter Mühe abweiſen. So
wurden auf der Straße von Mazatlan vor ganz
kurzer Zeit ſechs gutbewaffnete Amerikaner von
vierundzwanzig Straßenräubern geſtellt und auf—
gefordert, ihr Eigenthum abzugeben. Statt deſſen
warfen ſie ihre Koffer von den Packſätteln ihrer
Thiere, formirten damit eine Barrikade und
191
hielten jich beinahe zwei Tage gegen die Strolche,
die es nicht wagten, ſie plötzlich und zugleich an—
zugreifen. Die Amerikaner hatten nur Schrot—
gewehre und Revolver, pfefferten aber auf die
Burſche ganz wacker und hielten ſich ſo lange,
bis ihnen eine berittene Patrouille zu Hilfe kam
und die Vagabunden die Flucht ergreifen mußten.
Eine ganz eigenthümliche Abwechslung hat das
Land übrigens durch das ſogenannte und eigentlich
vollkommen italieniſche Plagiar-Syſtem erfahren
— ein Wort, für das ich von Niemandem eine
befriedigende Erklärung erhalten konnte, wenn
wir es nicht von plagio ableiten wollen. Es be-
ſteht einfach in dem Raub eines bekannten und
natürlich wohlhabenden Individuums, das man
ſo lange gefangen hält, bis deſſen Verwandte
oder Geſchäftsfreunde eine hinreichende Summe
zuſammenbringen, um ſeine Freiheit wieder zu
erlangen.
Früher kannte man etwas Derartiges in
Mexiko gar nicht, und der Ueberfall einer Bande,
ob aus politiſchen oder aus Geldrückſichten, be—
ſchränkte ſich auf die Plünderung deſſen, was
jie gerade vorfanden, bis ein Spanier, der es
daheim vielleicht von ſeinen Zigeunern gelernt,
den erſten und ziemlich glücklichen Verſuch machte,
192
ſich auf ſolche Weile ein Vermögen zu erwerben.
Da es aber ſo glücklich und vom beſten Erfolg
gekrönt ablief, fand die Sache Anklang im Lande.
Der Mexikaner iſt ſtets bereit, Alles zu ergreifen,
was ihm einen Gewinn verſpricht, ohne ihn
dabei körperlich zu ſehr anzuſtrengen. Gewiſſens—
- jerupel ſcheinen ihn nicht ſonderlich dabei zu
plagen. 5
Die Sache kam, wie geſagt, in Aufnahme,
Hund bald hörte man von allen Seiten derartige
Attentate, ohne daß die Regierung das Mindeſte
hätte dagegen thun können — und dieſer Zu—
ſtand beſteht noch. Es iſt ſo weit gekommen,
daß ſich, beſonders in der Nähe von Mexiko und
Puebla, bekannte und reiche Bürger der Stadt
kaum mehr allein hinaus in's Freie wagen, weil
ſie jeden Augenblick befürchten müſſen, von irgend
einer verſteckten und auf ſie lauernden Bande
aufgegriffen und fortgeführt zu werden, und da—
bei werden ſie noch, wie das in vielen Fällen
geſchehen iſt, auf das nichtswürdigſte behandelt.
Das iſt der thatſächliche, augenblickliche Zus
ſtand des Landes, wobei aber ja nicht geſagt ſein
ſoll, daß kein Menſch mehr in Mexiko reiſen
könnte, ohne angefallen zu werden. Die Be—
raubungen ſind in letzter Zeit ſogar viel ſeltener
193
geworden, und mancher Reiſende kann vielleicht
Monate im Lande umherfahren, ohne einer ein—
zigen ſolchen Bande zu begegnen. Aber er muß
trotzdem jede Minute, die er in der Diligence
ſitzt, darauf vorbereitet ſein — ein für nervöſe
Menſchen etwas ungemüthlicher Zuſtand.
Erſt vor wenigen Tagen fand wieder ein
ſolcher Ueberfall, und noch dazu unter erſchweren—
den Umſtänden und von einem Mord begleitet,
ſtatt. Man wollte nämlich einen Mann, von
deſſen Reiſe man Kenntniß bekommen, entführen,
brauchte aber ein Pferd, um ihn darauf zu ſetzen
und raſcher damit an die Stelle zu kommen,
und zu dem Zweck erſtachen die Räuber einen
armen, unſchuldigen Teufel, der im Schutz ſeiner
leeren Taſchen ungeſchädigt glaubte reiſen zu
können, nahmen ihm das Pferd ab und führten
ihr Vorhaben auch richtig aus, ohne bis jetzt
noch entdeckt zu ſein. Allerdings ging neulich
das Gerücht, daß man ihrer habhaft geworden
ſei — aber es hat ſich als falſch erwieſen. Es
ſchien den Bewohnern der Hauptſtadt auch gleich
unglaublich.
Wie lange dieſer faſt unerträgliche Zuſtand
noch dauern wird, läßt ſich nicht beſtimmen; der
Präſident ſoll wenigſtens erklärt haben, er könne
Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. 13 8
Eee eg
194
N nicht mehr dagegen thun, als bis jetzt geſchehen
ſei — nämlich die Diligence ſtreckenweis durch
Escorten begleiten zu laſſen. Es wird auch in
der That kein anderes Mittel geben, als daß ſich
die Mexikaner ſelber — genau ſo wie es die
Londoner Bürger machten, als die Garottirer in
der City überhandnahmen, — nicht allein gut
bewaffnen, ſondern auch zu dem Entſchluß kom—
men, von ihren Waffen entſchiedenen Gebrauch
zu machen. Erſt dann, wenn ſie aus jeder Dili-
gence tüchtig auf ſich gefeuert ſehen, werden die
Räuber ſich zweimal beſinnen, ehe ſie einen be—
ſetzten Wagen angreifen. „Help yourself!“ ſagt
der Amerikaner, und das Wort findet auf kein
Land ſo praktiſche Anwendung, wie auf das jetzige
Mexiko.
Allgemein wurde mir aber geſagt, daß ich,
ſobald ich den Staat Guerrero ſelber erreiche,
von Räubern nichts mehr zu fürchten hätte.
Der Staat befand ſich allerdings in vollſtändigem
Aufruhr, aber — ſie duldeten keine Räuber
zwiſchen ſich — für Mexiko in der That etwas
Außerordentliches.
So war denn der Tag zur Abreiſe wieder
erſchienen, und es that mir wirklich leid, als ich
die ſchöne Stadt, in der ich mich wochenlang ſo
.
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195
wohl gefühlt und ſo viele liebe Freunde gefunden
hatte, wieder verlaſſen mußte. Aber Abſchied⸗
nehmen iſt ja — ich möchte faſt ſagen — mein
Beruf; ich bin wenigſtens daran gewöhnt und
ließ mich alſo bis Cuernavaca — bis wohin ich
mit der Diligence gehen konnte — einſchreiben.
Dieſem Marterfuhrwerk hätte ich mich nun
allerdings ſehr gern entzogen und wäre lieber
gleich von hier aus im Sattel geweſen, aber in
Mexiko ſelber finden ſich nur höchſt ſelten zu=
verläſſige Arrieros und gute Maulthiere für eine
ſolche Reiſe, und ich mußte deshalb ſchon in
den ſauern Apfel beißen und meine Glieder noch
einmal einem ſolchen Kaſten anvertrauen —
hoffentlich das letzte Mal in meinem Leben.
Intereſſant, faſt ein wenig zu ſehr, um zu⸗
gleich angenehm zu ſein, war übrigens unſere
Abfahrt vom Poſthof in Mexiko mit den acht
muthigen Pferden, die wir vor dem Wagen
hatten. |
Dieſe Thiere — ſelbſt die Maulthiere nicht —
ziehen unter keinen Umſtänden langſam an, ſon—⸗
dern immer in geſtrecktem Galopp, weil ſie ſchon
wiſſen, daß ihnen dabei die Peitſche des Kutſchers
um die Ohren fliegt, und auf breiter, offener
Landſtraße hat das auch nicht das Mindeſte
13⸗
196
weiter zu ſagen, als daß man eben ein paar Stöße
mehr bekommt. Hier in der Stadt dagegen war
das ein anderes und vielleicht ein wenig ge—
fährlich Ding, denn die erſten ſechs Pferde
zeigten ſich ſchon ſo ungeduldig, daß ſie kaum
noch durch zwei Menſchen konnten gehalten wer—
den, und die vorderen beiden wurden ja erſt
im entſcheidenden Moment angehangen — aber
was half's — wir hatten alle unſere Sitze ein-
genommen — ich oben auf, mit der geladenen
Büchſe, der Kutſcher griff die Zügel in der Hand
zuſammen. „Mach' fertig davorn!“
Einer der Stallleute hielt die beiden, jetzt
ebenfalls tanzenden Pferde an den Zügeln, der
Andere hängte raſch und geſchickt den Haken ein.
Mit einem Satz ſprang er dann zwiſchen den
Thieren hinaus, der Andere ließ ebenfalls los
und wie ein Wetter raſſelte der alte Kaſten die
Straße hinab, während der Kutſcher die Thiere
mit aller Kraft nach der rechten Seite hinüber
zu ziehen ſuchte. Er mußte ſchon an der näch—
ſten Ecke links umbiegen und wollte beſſer das
Gelenk bekommen. Aber in dieſem Augenblick
gehorchten die unbändigen Thiere den Zügeln
noch nicht — nur fort — nur vorwärts — mitten
in der Straße ſtürmten ſie entlang. Jetzt aber
F
3 AN
r
197
half es nichts — links mußten ſie hinum. Der
Eine der Stallleute war nebenher geſprungen
und ſcheuchte die vorderen mit ſeinem Hut und
Schrei — ſie folgten in ſcharfer Biegung. Dicht
an dem Eckſtein der Trottoirs kratzte das Rad
und in raſender Flucht hoben ſich ſchon die
linken Räder — nur einen Zoll noch — aber
der alte Kaſten flog herum. „Caracho!“ lachte
der Kutſcher vor ſich hin. Doch jetzt ging
der Weg geradeaus, und wenn die vor uns
befindlichen Karren und Milchweiber nur raſch
genug aus der Bahn kommen konnten, ſo hatte
die Sache nichts weiter zu ſagen. — Aber es
ging — unſer Kutſcher war ein Meiſter in
ſeiner Kunſt und bald öffnete ſich vor uns das
weite Land. |
Mordgeſchichten waren mir nun allerdings
auch vor dieſer Fahrt zur vollen Genüge in
Mexiko erzählt. Einige Herren beſonders ſchienen
ſich ein Vergnügen daraus zu machen, mich mit
Erzählungen von allerlei Raubanfällen auf die
Reiſe vorzubereiten. Dieſelben ließen mich aber
doch ziemlich ruhig, denn ich hatte meine ſcharf—
geladene Doppelbüchſe und meinen Revolver in
beſter Ordnung und fühlte mich ſo ziemlich ſicher.
Zu mir kam außerdem noch ſpäter ein Herr
9498
8 aus dem Innern des Wagens herauf, der eben-
falls einen Revolver führte, und ſelbſt der
Kutſcher hatte eine alte einfache Piſtole hinter
ſeinem Sitz liegen, da die Ladrones, wie aus
ſeinem ſpäteren Bericht hervorging, die Kutſcher
in letzter Zeit ebenfalls nicht beſonders glimpflich
behandelt haben ſollten.
Ein vortrefflicher Zuſtand in Mexiko, wo
die Regierung, trotz der Maſſe Truppen, die ſie
auf den Füßen hält, nicht einmal die Sicherheit
in ihrer unmittelbaren Nähe aufrecht erhalten
kann und gar nicht etwa ſo ſelten ihre Diligencen
leer geplündert in die Stadt geſchickt bekommt.
Da müſſen ſich denn die Reiſenden eben ſelber
bewahren, und nur der Feigheit der mexikaniſchen
Reiſenden iſt es zu verdanken, daß das ganze
Räuberweſen nicht ſchon lange mit Stumpf und
Stiel ausgerottet iſt. Würden die Canaillen
nur von jeder Diligence aus tüchtig gepfeffert,
ſo hörte das Unweſen von ſelber auf, ſo aber
laſſen ſie ſich meiſt immer geduldig plündern,
ſind nur froh, wenn ſie ihr doch werthloſes
Leben behalten, und haben dadurch eben das
räuberiſche Geſindel ſo bodenlos keck und unver—
ſchämt gemacht, daß es ein einziger Geſell oft
199
wagt, eine ganze Diligence voll Menſchen an⸗
zugreifen und auszuplündern.
Uebrigens war heute der 6. Januar und
irgend ein hoher Feſttag, was eine Menge von
Menſchen auf die belebte Straße gebracht. Wir
begegneten ganzen Zügen wie kleinen Karawanen,
und das mag auch vielleicht die Urſache geweſen
fein, daß wir die Gebirgshöhe, die Cuernavaca
von Mexiko trennt, ungefährdet oder doch wenig⸗
ſtens unbeläſtigt erreichten.
Die Scenerie war hier, ſo lange wir uns
in dem Thal von Mexiko hielten, wunderhübſch
und der Boden ringsumher bebaut. Anfangs
raſſelten wir allerdings an ein paar Ruinen
aus dem Krieg vorüber — unter anderen an
einer Schule oder Erziehungsanſtalt, die der
Kaiſer noch gegründet, und die jetzt ſo gründlich
zerſtört war, wie das Gebäude ſelber. Aber die |
Spuren des Krieges verwiſchten ſich mehr und
mehr; freundliche, belebte Dörfer, von grünen
Feldern umgeben, zeigten ſich überall, während
darüber hinaus die prachtvollen, ſchneebedeckten
Vulkane noch immer ihren Gruß herüberwinkten.
Hier ſind auch wieder, mehr als an anderen
Orten, Bäume angepflanzt, an denen es auf der
Hochebene von Mexiko beſonders fehlt, und ein ganz
200
vortrefflich geeigneter Baum für dieſes Land
ſcheinen die Eucalypten von Auſtralien, die man
ja auch mit eben dem Erfolg ſchon in Indien,
im Pendjab angepflanzt hat. Ich ſah in der
Nähe der Hauptſtadt, auf einer bedeutenden
Pulkeſtation, ganz prachtvolle Eucalypten, und
ſchon wenigſtens 40—50 Fuß hoch, gezogen, und
ſie trugen dabei ſowohl Blüthen als Samen.
Mit einiger Pflege könnten ſie für das durch
die Spanier faſt entholzte Land ein großer
Segen werden.
Unſere Fahrt durch beſiedeltes Land dauerte
aber kaum eine Stunde, dann ging es die ziem-
lich kahlen Berge hinan, und rechts und links
war nichts zu ſehen als rauhes Geſtein und
niederes Buſchwerk, von dem man nur manch—
mal, wenn man einen vorragenden Punkt er—
reichte, einen überraſchend ſchöͤnen Anblick nach
dem Thal und ſeinen Seen zurück hatte.
Jetzt endlich wurde uns auch der abgeſchnitten,
denn wir überſchritten die Höhe und fanden uns
plötzlich in einem jener erbärmlichen Gebirgs—
dörfer, das aber für uns mit einem beſondern
Schrecken begabt war. Wir ſollten nämlich dort
zu Mittag eſſen oder frühſtücken, wie man es
gerade nennen will, und die niederen ſchmutzigen
201
Häuſer ſahen wahrlich nicht jo aus, als ob fie
irgend einen beſondern Genuß — trockene Tor—
tillas vielleicht ausgenommen — verſprächen.
Um ſo angenehmer wurden wir überraſcht, als
wir ein Diner erhielten, wie ich es nicht ſo gut
in den größten Diligence-Hötels zwiſchen Vera—
Cruz und Mexiko gefunden. Allerdings lag kein
Tiſchtuch auf, es gab weder Löffel noch Gabeln
oder Meſſer, und das Salz ſtand in einer Cala⸗
baſſe zum allgemeinen Gebrauch auf dem Tiſch.
Aber wir bekamen eine vortreffliche Suppe, reich—
lich gebratenes Huhn, Reis und Kartoffeln, und
nach dem Eſſen einen ſo guten Kaffee, wie ich
ihn ſelbſt in Mexiko nicht beſſer getrunken —
außerdem aber auch noch ganz vortreffliche Pulke,
und hatten dafür nur einen ſehr mäßigen Preis
zu zahlen — leider war es der letzte Lichtblick
auf dem langen Weg! f
Dicht vor dem Hauſe ſaß eine Bande von
Kerlen, die mir außerordentlich verdächtig vor—
kamen, denn wenn es überhaupt Galgengeſichter
auf der Welt giebt, ſo trugen ſie dieſe. Ich
hörte aber, daß dies die Escorte ſei, die uns auf
der nächſten Strecke begleiten ſollte, da die mei—
ſten Ueberfälle bei den ſogenannten penuelos in
einer wilden Waldgegend vorgekommen ſeien.
202
Die Leute ſaßen aber ganz ruhig im Schatten
und ſpielten Karten, und ſchienen ſich verwünſcht
wenig um die Diligence oder deren Paſſagiere
zu kümmern, denn ſelbſt als wir fertig gegeſſen
hatten, machten ſie noch keine Miene aufzuſtehen,
viel weniger denn ihre Thiere zu ſatteln. Sie
ſchienen ihr Spiel noch nicht beendet zu haben
und konnten uns deshalb alſo auch, ſo leid es
ihnen vielleicht that, nicht begleiten.
Aber wir ſorgten uns wahrlich nicht deshalb;
vielleicht war es ſogar beſſer ſo, als mit der
nichtsnutzig genug ausſehenden Bande, denn gar
nicht etwa ſo ſelten iſt es ſchon vorgekommen,
daß gerade die Escorte ſelber die Diligence be—
raubt hat und nachher ganz gemüthlich in die
Berge hinein deſertirt iſt. — Wer will ſie da
finden? Die Regierung wahrlich nicht.
So wurden unſere Pferde denn wieder vor-
geſpannt, die Reiſenden ſtiegen ein, ich wieder
auf den Bock, und jetzt zwar die Zündhütchen
aufgeſetzt, ſo gefährlich eine ſolche Fahrt auch
immer ſein mag, und fort ging es den Hang
hinab und den tiefer liegenden Fichten- und
Kieferwaldungen zu, wo die Herren von der
Straße gewöhnlich ihre Schlupfwinkel hatten und
mit einem wüſten Geſchrei hervorbrachen, um
203
die Paſſagiere vor allen Dingen einzuſchüchtern
und nachher um ſo ungefährdeter zu berauben.
Etwa eine gute halbe Stunde waren wir ſo
gefahren, und der Kutſcher, der unerſchöpflich in
Räubergeſchichten war, hatte mir ſchon ein paar
wirklich allerliebſt geeignete Stellen gezeigt, wo
man die Reiſenden überfallen und kleine Kreuze
auch eine blutige That verkündeten, als wir wie—
der eine Waldecke umfuhren. Plötzlich brachen
oben aus den Büſchen heraus eine Anzahl be—
waffneter Reiter, die von dort aus ſcharf nach
der Straße hinabritten, wo ſie uns dann den
Weg abſchneiden konnten. |
Waren das Straßenräuber? Unſer Kutſcher
griff nach ſeiner Piſtole, und mit den Worten:
„Einen bring' ich um!“ faßte er die Zügel ſeiner
acht Thiere allein in die linke Hand zuſammen,
während ich, den Daumen am rechten Hahn, den
Zeigefinger am Bügel, nur auf ein verdächtiges
Zeichen wartete. Die Leute dort drüben mußten
aber unſere drohenden Vorbereitungen ebenfalls
erkannt haben, denn Einer von ihnen winkte mit der
Hand und rief: Escolte! Das hätte der Henker
freilich errathen können; von uns wahrlich Nie—
mand.
Mehr und mehr kamen dabei aus den Bü⸗
204
ſchen heraus, bis wir etwa ſiebzehn jo wild aus-
ſehende Burſchen um uns hatten, wie ſie ſich ein
Banditenmaler nur möglicher Weiſe wünſchen
könnte. Ihre Pferde ſahen freilich ſchlecht aus,
hielten ſich aber doch wacker auf den Füßen,
und die Reiter, meiſt nur in Hemd und Hoſe,
mit einem Stroh- oder Filzhut auf, trugen Re-
volver und Degen — die Degen aber nicht an
der Seite, ſondern nach echt mexikaniſcher Art
unter dem linken Knie — und an der rechten
Seite ein ledernes Futteral, in welchem ein kur—
zer Carabiner hing, der beim Galoppiren gewal—
tig hin⸗ und herſchaukelte.
Zuerſt traute ich den Burſchen auch wirklich
nicht und blieb noch wenigſtens auf Alles vorbe—
reitet; es war aber in der That die Escorte, die
uns eine Strecke lang und durch die am meiſten
gefährdeten Stellen begleitete; und jetzt hätte ich
mir eigentlich gewünſcht, von einer Bande jener
Straßenräuber angefallen zu werden — wir hät—
ten tüchtig unter ihnen aufräumen wollen —
aber ich habe nun einmal mit ſolchen Abenteuern
kein Glück und ſollte alle dieſe mexikaniſchen Di-
ſtricte, die der Hauptaufenthalt jener Banden
ſind, ſo ruhig und ſicher paſſiren, als ob ich auf
205
einer deutſchen Landſtraße führe. Wozu hatte
ich mir nun einen Revolver angeſchafft?
Noch eine halbe Stunde Fahrt und vor uns
öffneten ſich die Berge; der Weg ſenkte ſich ſcharf
zu Thal und in all' dem Schmuck ihrer Vegeta—
tion lag wieder die tierra caliente — das warme
Land, das wunderſchöne Thal von Cuernavaca
mit feinen Bananen» und Zuckerrohrfeldern —
ein wohlthuender Anblick, wenn man eine ſo
lange Strecke nichts geſehen hat als die troſtloſen
Magehs und Cactuspflanzen der Hochebenen —
zu unſeren Füßen.
Es ging jetzt in der That ſcharf bergunter,
und der Kutſcher hemmte auch wohl ein wenig
ein, die acht Thiere liefen aber doch ſo raſch ſie
laufen konnten und der Wagen machte manchmal
Sätze, daß ich glaubte, er müſſe in Stücke bre⸗
chen. Aber es ging; er hielt aus, ſtieß aber ſo
furchtbar, daß ich nur mit Mühe meine Zünd—
hütchen wieder abbekommen konnte, denn es fing
an, da oben gefährlich zu werden.
Jetzt raſſelten wir durch ein Dorf; aus allen
Häuſern ſprangen die halbverhungerten Hunde
vor und kläfften gegen die Pferde an. Der
Kutſcher lachte — er war guter Laune, daß wir
nicht angefallen worden waren, nahm ſeine alte
reer Te» EN 5 . ene nern re enen .
r Tc ee .
Er NE E tie EN 3 5
J
206
Piſtole und feuerte ſie, mitten im Dorf, auf
| | einen der anſchlagenden Kläffer ab. Natürlich
traf er ihn nicht und die Kugel mochte an dem
harten Boden oder irgend einem Steine mög—
licher Weiſe abgeſchlagen und nach irgend einer
Richtung hinausgefahren ſein, wo ſie durch die
dünnen Wände hin auch recht gut eine Frau
oder ein Kind beſchädigen konnte. Hoffentlich iſt
kein Unglück geſchehen, aber wir fuhren auch zu
raſch hindurch, um es noch zu erfahren, und dort
unten lag jetzt das kleine Städtchen Cuernavaca,
von ſeinen ſchattigen Hainen umſchloſſen, und
nicht lange, ſo klapperten wir über das troſtloſe
Pflaſter vor das unvermeidliche Hötel de las
Diligencias.
Cuernavaca liegt wirklich wunderbar ſchön,
und es iſt leicht erklärlich, daß es die Kaiſerin
Charlotte zu ihrem Lieblings-Aufenthalt wählte
und einen reizenden Fruchtgarten mit einem
Wald von Mangos dort anlegen ließ — dann
kam der Abzug der Franzoſen — die kaiſerlichen
Truppen fielen auf die Hauptſtadt zurück, und
ihnen auf dem Fuß folgte das wilde Chor der
Guerrero-Schwärme unter Ximenes und anderen
Führern, die das kaiſerliche Schloß denn auch
gründlich ausplünderten und verwüſteten. Aus
207
den Schiebladen der Mahagoni-Commoden füt⸗
terten die Soldaten ihre Pferde, und die Ma-
tratzen zerrten ſie auf den Hof und machten ſich
darauf ihr Lager.
Cuernavaca blühte unter der Regierung des
Kaiſers auf, und die Kaiſerin ſelber, die überall,
wo ſie nur irgend konnte, den Armen half, hat
hier viel Gutes gethan und ihr Andenken wird
treu genug bewahrt — aber die Zeit iſt vorüber,
der Platz ſinkt wieder in ſeine alte Vergeſſenheit
zurück, und bald werden die von dem Kaiſer
ſelber gepflanzten Fruchtbäume und Palmen das
einzige Zeichen ſein, was hier von ihm zurüdges
blieben — armer Kaiſer!
Cuernavaca iſt übrigens darauf eingerichtet,
um Reiſende zu Maulthier nach verſchiedenen
Theilen des Landes zu befördern. Es giebt hier
eine Anzahl von Arrieros, die ſich mit weiter
nichts beſchäftigen, und man bekommt außerdem
zuverläſſige Leute zu Führern.
Von Cuernavaca ſelber iſt wenig zu jagen,
Es iſt klein und ärmlich, liegt aber in einer be—
günſtigten Zone und treibt beſonders einen ſehr
bedeutenden Fruchthandel nach dem kälteren Me⸗
riko. Es iſt dabei erſtaunlich, welche Laſten die
Indianer tragen und auf wie lange Strecken;
208
aber mit einem Packen auf dem Rücken, den
man kaum einem Maulthier aufladen möchte,
trollen ſie in einem kurzen Hundetrabe die heiße
Landſtraße dahin und leben dazu von trockenen
Tortillas und warmem Waſſer.
Ueberhaupt iſt der gewöhnliche Mexikaner,
wenn anſcheinend auch gar nicht ſehr kräftig ge—
baut, doch manchmal im Stande Laſten zu tra-
gen, mit denen ſich bei uns in Deutſchland Leute
würden für Geld ſehen laſſen. So wurden mir
in Vera⸗Cruz in den dortigen Handlungshäu—
ſern einzelne Männer gezeigt, die wirklich Un—
glaubliches leiſteten und im Stande waren,
zwanzig Arobas, alſo fünf Centner, in Form
einer Kiſte aus dem Hof hinaus und bis in die
Straße auf den Wagen zu tragen. Mit zwölf
Arobas — alſo drei Centner — gingen ſie bis
an die Bootlandung hinunter — eine Strecke
von wenigſtens 6—700 Schritt.
Der Paſeo von Cuernavaca iſt ſehr beſchei—
dener Art, etwa von der Größe des Pferdebades
bei Puebla und ebenſo von einer weißen niede—
ren Mauer eingefaßt, nur rund und ohne Waſ—
ſer, und darin gehen die Bewohner des kleinen
Städtchens ſpazieren, Jbis fie ſchwindlig werden
und ſich dann auf die rund herumlaufende Bank 9
ſetzen. Nachher gehen ſie anders herum. 5
Der Markt iſt ſehr ärmlich, der Fruchtmarkt
ausgenommen; aber es giebt Kaffeeſtände und
Quincailleriehändler mit Hemdknöpfchen, Hoſen ?
trägern, Glaskorallen, Zwirn und anderen Herr⸗ Be
lichkeiten; der eigentliche Handel ſelber tjt aber 15
durchaus in den Händen ſpaniſcher Kaufleute,
die überhaupt, beſonders nach dem Weſten hin
ein, verzweigt find. Wie zahlreich ſie ſich aber
gerade in Cuernavaca vorfinden, bewies mir ein
kleines, im Hofe des Hötels aufgeſchlagenes Thea
ter, in dem leider augenblicklich nicht geſpielt 1
wurde und wo man die Seitenwände mit vier
mexikaniſchen und zwei ſpaniſchen Flaggen-Deco⸗
rationen geziert hatte. 8
Deutſche giebt es in Cuernavaca gar nicht 8
— nicht einmal einen deutſchen Hutmacher, der 5 f
ſonſt eigentlich in keiner ſüdamerikaniſchen Stadt
fehlte. Selbſt aus der Begleitung des Kaiſers
iſt kein einziger hier zurückgeblieben.
Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. 14
3
=
; 7
8 EN = x
3 1
a
*
durch die vereinigten Staaten, Moriko, Ecnador
wieſtindien und venezuela
von
5 8 Zweiter Band: es
} Mexiko, der Iſthmus und Weſtindien. 5 9 ;
(Zweiter Theil.)
Die ueberſetzung wird vorbehalten.
Jene 7
= Hermann Eofenoble
RE 18 68. ae
Von Cuernavaca nach Acapulco.
Von Cuernavaca aus hatte ich noch eine
ſehr berühmte Höhle beſuchen wollen, aber fälſch⸗
licher Weiſe hörte ich, daß ich dann den am 14.
unfehlbar eintreffenden Dampfer verſäumen würde
und elf Tage in Acapulco zu liegen hätte.
Außerdem konnte ich gerade jetzt einen beſſern 5
Contract mit einem Arriero machen, der zwei
Reiſende zu befördern hatte, und da entſchloß ich 5
mich denn kurz, den geraden Weg zur Küfte ein⸗
g zuſchlagen.
Meine beiden Begleiter möchte ich aber 500 5
mit ein paar kurzen Worten bei dem Leſer ein-
führen, denn es waren ein paar wunderliche
Geſtalten, die ſich auch erſt ſpäter weiter ente
wickelten.
214
Der Eine von ihnen — wenn ich jo jagen
mag die „vornehmere“ Perſönlichkeit, denn vor-
nehm ſahen ſie alle Beide nicht aus — war ein
kleines, gedrungenes und ſehr gelenkes Männ-
chen, ein Spanier — mit außerordentlich ſorg—
fältig gekräuſelten Haaren — was ich aber auch
an ſeinem Begleiter bemerkte, und wahrhaft
frauenhaft weißen und kleinen, nur etwas
ſchmutzigen Händen, als ob er ſie ſich an dem
Morgen nicht gewaſchen hätte. Er trug eine kurze
blaue Tuchjacke, wie ſie überall beim Reiten in
Mexiko, und oft dabei ſehr reich verziert, getragen
wird, ſehr enge Hoſen und die zierlichſten Stiefel,
die ich in meinem ganzen Leben geſehen habe.
Dabei führte er einen kleinen Revolver, aber
ohne Gurt und nur mit einem weißen, an den
Enden rothgeſtickten Taſchentuch um den Leib
gebunden, ſo daß ich nicht recht einſah, wie er,
da er das Tuch durch den Bügel gezogen, die
Waffe zum raſchen Gebrauch bei der Hand haben
wolle. — Uebrigens verſprach ich mir kein be—
ſonderes Reſultat von ſeiner Hilfe, wenn wir
uns ja noch hätten gegen irgend Jemand verthei—
digen müſſen.
Auf dem Kopf hatte er einen jener grauen
mexikaniſchen Filzhüte mit einem faſt fußbreiten
| 7
* N *
215
Rand, wie ſie ſchon das Glück manches Hut⸗
machers begründet haben. Dieſer Rand war auch
unten mit Silber geſtickt, und ſo ein Hut koſtete
in der Hauptſtadt von 20 bis 25 Dollars. Ich
ſelber möchte ihn aber nicht geſchenkt haben,
denn ſie ſind entſetzlich ſchwer und durch den
breiten und vollkommen ſteifen Rand höchſt un⸗
bequem — aber es iſt freilich Nationaltracht.
Der Mann mochte etwa 44 Jahre zählen und
hieß Don Pedro Gaspard.
Sein Begleiter war kaum 30 Jahre alt, mit
etwas blaſſer Geſichtsfarbe und auffallend weißen
und auch reinen Händen. Er trug einen leichten
blauen Rock, an den Aermeln ein klein wenig
kurz, groß carrirte enge Beinkleider ohne Strippen,
ziemlich derbe Stiefel und etwas gebrauchtes
Unterzeug — was man recht gut ſehen konnte,
da ihm beim Reiten die Hoſen gleich Morgens
heraufrutſchten und dann über Tag ſo blieben.
Als Waffe führte er einen Stockdegen, den er
zugleich als Reitgerte für ſein Maulthier ge—
brauchte.
Er ſchien ſehr gutmüthiger Natur und war
immer fidel, während der kleine Mann mit dem
großen Hut einen mehr ernſten Charakter zu
haben ſchien. Er ſprach wenigſtens den erſten
IE A a ER ee / Aa ey
216
Tag faſt kein Wort und kam mir überhaupt ein
wenig nervös vor.
Dieſe Beiden — oder nur der Kleine, ich
wußte es nicht — führten einen Diener bei ſich,
einen Burſchen aus der Gegend von Jalapa,
aber einen ſo ungeſchickten Tölpel, wie ich ihn
nur je in meinem Leben geſehen habe. Er ſaß
ſtets auf ſeinem Pferde, als ob er ſchief aufge—
klebt geweſen wäre, und verlor im Lauf der
Reiſe Alles, was ihm nicht unverlierbar feſt am
Körper ſaß. Er trug ebenfalls einen großen,
aber natürlich ordinären, mexikaniſchen Hut und
eine Serape, auf welcher er der Hitze wegen ritt,
und die denn auch richtig eines ſchönen Tages,
da er noch dazu immer zurückblieb, unter ihm
wegrutſchte und verloren ging.
Das war meine Begleitung, dazu zwei Arrieros
. mit zwei Packthieren, alſo im Ganzen acht Maul⸗
tthiere — damit brachen wir am 7. Januar endlich
auf und ſchlugen dabei einen ziemlich ſüdlichen
Cours, mit nur wenig Weſt, ein.
Der Ritt von Cuernavaca aus war ziemlich
heiß, denn mit allen nöthigen Vorbereitungen
hatten wir nicht ſo früh, als ich es wohl ge—
wünſcht, aufbrechen können — aber es konnte
nichts helfen. Aus den Cocospalmen, Bananen
hainen und ſchattigen Gärten der Stadt hinaus
ritten wir in das offene Land hinein, und die
Sonne brannte dazu aus allen Kräften nieder,
während die Gegend, je weiter wir die Stadt
verließen, mehr und mehr wild und verödet ſchien.
Anfangs paſſirten wir allerdings noch einige
Hacienden und große Zuckerrohrfelder, dann
hörten dieſe auf. Nur in der Nähe der Berg—
quellen zeigte ſich noch lebende Vegetation, weiter
hinan an den Hängen war nichts als gelbliches
Gras und eine Art Mageh mit Cactuspflanzen
zu ſehen, und als wir Mittags ein kleines Dorf
erreichten, konnte es kaum 'was Traurigeres auf
der Welt geben, als dieſes Neſt.
Das Dorf ſelber beſtand nur aus offenen
Rohrhütten, die Wände nicht ſelten aus Neifig
hergeſtellt, die einzelnen Bauſtellen mit den
langen, ſtangenartigen Cactus eingefriedigt und
nur in Ausnahmefällen einen Fruchtbaum zei—
gend. Am Wege ſelber ſtanden einige kleine,
ärmliche Kabachen, in denen, dem Namen nach,
Lebensmittel zum Verkauf gehalten wurden, in
Wirklichkeit gab es aber nichts als ein paar
grüne Platanos und einige Eier, aus denen
ſich die Reiſenden ein Mahl herſtellen konnten.
218
Eein paar Orangen war das Einzige, das uns
noch etwas Labſal gab.
Dann gings weiter, bis wir mitten in einer
ſcheinbaren Wüſte und außer Sicht jeder menſch—
lichen Wohnung ein paar Indianer, Mann und
Frau, an der Straße ſitzend fanden, die im
Schatten eines einzeln ſtehenden Baumes einen
großen irdenen Krug und oben darauf ein mit
einer gelben Flüſſigkeit gefülltes Glas ſtehen
hatten, zum Zeichen, daß dort irgend ein Getränk
feilgeboten werde.
Ich hielt natürlich an und fragte, was das
Glas enthalte, es war Tamarindenwaſſer oder
kalter Tamarindenthee, ein geſundes und er—
friſchendes Getränk, und wir leerten Jeder ein
Glas. Auf große Kundſchaft konnten die armen
Teufel aber kaum an dieſem einſamen Platz
rechnen, denn wir begegneten auf unſerem gan—
zen Weg an dem Tage nicht einem einzigen
Menſchen, außer früh am Morgen einer kleinen
Karawane von Karren. Trotzdem lagerten ſie hier
an dem heißen Platz mit unerſchütterlicher Ge—
duld und jedenfalls dem Bewußtſein, daß ſie
indeſſen daheim doch nichts verſäumten.
Die Nacht verbrachten wir in einer elenden
Poſada in einem kleinen Städtchen, wo wir aber
219
doch wenigſtens ein paar Waſſermelonen und
eine gute Suppe bekamen, und brachen dann
wieder früh zu neuem Marſche, und einer hohen
Hügelkette entgegen, auf.
Wir befanden uns hier an der Grenze des
bis jetzt eigentlich unabhängig gebliebenen Staates
Guerrero, der ſich augenblicklich allerdings in offe—
nem Bürgerkriege befand, aber jedenfalls den
Ruhm und mit vollem Recht beanſprucht, daß er in
ſeinen Grenzen nie Räubergeſindel geduldet hat,
und man ihn ſogar jetzt — ein wohlthätiges
Gefühl gegen die ewige Unſicherheit im eigent—
lichen Staate Mexiko — mit voller Sicherheit
durchſtreifen kann.
Die politiſchen Zuſtände in dieſem Staate
ſind eigenthümlicher Art, ſtehen aber in Mexiko
ſelber nicht vereinzelt. Seit der Kazikenzeit hatte
ſich nämlich die Familie Alvarez hier als Ober—
haupt, das ſich aus Gefälligkeit gegen den Prä—
ſidenten der Republik „Gouverneur“ nannte,
gehalten, und als der Vater des jetzigen Gou—
verneurs Alvarez zu alt wurde, übergab er
ſeinem Sohne, wobei eine Art Wahl im Lande
abgehalten wurde, ſein Amt, das dieſer auch
unangefochten verwaltete, bis der Vater ſtarb.
Jetzt auf einmal trat ein anderer General,
ET N Er ER ZEN
EN eig 855
220
100 Namens Timenes, auf, ließ ſich von ſeinen An—
phängern wählen und ſetzte ſich im Oſten des
5 Reiches feſt. Alvarez dagegen rief ſeine Mannen
0 zuſammen und hielt den Weſten, und wie wir
pbhurten, jo ſollten ſich die beiden feindlichen Par—
teien jetzt völlig gerüſtet gegenüberſtehen. Das
ſchadete aber gar nichts, denn wir brauchten nicht
zu fürchten, dadurch in unſerer Reiſe aufgehal—
ten zu werden. Frachttransporte ließ man aller—
dings nicht paſſiren, und Bewohner von Guerrero
ſelber möchten auf einer Tour wohl ebenfalls
Schwierigkeiten gefunden haben, aber Fremde
machten davon eine Ausnahme und man ver—
langte von ihnen nur einen Paß.
Sonderbarer Weiſe miſchte ſich die mexika—
niſche Regierung gar nicht in die inneren Strei—
tigkeiten eines ihrer Staaten, ſondern ließ es
ganz ruhig die verſchiedenen Parteien unter ſich
ausfechten. Schoſſen ſie einander todt, ſo war
das ihre Sache, nicht die der Regierung, die
mehr zu thun hatte, als ſich um eine ſolche Ba—
gatelle zu bekümmern.
Den zweiten Abend übernachteten wir wieder
in einem kleinen Dorf in ziemlich Armlicher
Weiſe: ein paar junge Mädchen beſorgten die
Wirthſchaft, und ich hörte, daß die Frau vom
2
Haufe krank ſei. Ich hatte mich auch nicht er⸗ =
kundigt was ihr fehle, bis ich nach dem Eſſen Er
ein leiſes Wimmern hörte und dann Jah, daß | 85
die ganze Familie um ein halb im Freien bee
findliches Bett herumſtand. Jetzt ging ich dort
ebenfalls hin und hörte, die Frau ſei an dem 9
Nachmittag von einem Scorpion geſtochen worden
und leide, wenn auch die Wunde nicht gefährlich
war, doch entſetzliche Schmerzen. |
Da ich meine kleine Medicintafche, wie immer,
bei mir führte, jo beſchloß ich, einen Verſuch mit
Chloroform zu machen, und holte das kleine
Fläſchchen herbei, wobei ſich augenblicklich alle
im Hof Befindlichen herzudrängten, um die Wir— 5
kung zu beobachten. Da aber der geſchwollene 5
Fuß der Alten nicht beſonders appetitlich ausſah, 5
jo wandte ich mich an eine der Töchter, goß ihr
von dem Chloroform in die Hand und hieß ſie 0
die Wunde und die benachbarten Theile damit
einreiben. Die Wirkung war zauberſchnell: das 5
Chloroform konnte kaum getrocknet fein, als ſich
die Frau plotzlich von ihrem Lager emporrichtete
und erſtaunt umherſchaute.
„Iſt es beſſer?“ fragte ſie die Tochter.
„Ich habe keine Schmerzen mehr — wo ſind bi
ſie hin?“ erwiderte die Frau, und in demſelben
222
1 0 Moment fing auch die ganze Familie und alle
Umſtehenden ſo laut und entſetzlich an zu lachen,
daß ich mich ganz erſtaunt nach ihnen umdrehte.
Es konnte wohl kaum etwas Komiſcheres geben
als dieſen Augenblick.
Uebrigens muß ich hinzuſetzen, daß das Chloro—
form nur auf eine beſtimmte Zeit wirkte, dann
kamen die Schmerzen wieder, waren aber doch
nach der dritten Einreibung ſo gemildert, daß
| die Frau die Nacht ſchlafen konnte.
| Am nächſten Tag paffirten wir eine reizende
Lagune, die in einem fruchtbaren, mit Maisfeldern
gefüllten Thale lag. Ueberhaupt ſchienen die Be⸗
wohner hier weit thätiger zu ſein, als in den
öſtlicher gelegenen Staaten. Am Nachmittag,
nachdem wir einen ſteilen Hang hinabklettern
mußten und wieder in wärmeres Land kamen,
lagerten wir die heiße Tageszeit hindurch an.
dem faſt trockenen Bett eines ziemlich breiten
Fluſſes, deſſen Größe in der Regenzeit ſich aber
nur aus den zu Thal gewälzten Kieſeln erkennen
ließ — und dort auf ſeinem Pancho ausgeſtreckt,
einen Becher Thee vor ſich und eine Papiereigarre
im Mund — öffnete mir Don Pedro, nachdem
er lange und ſchweigend vor ſich niedergeſtarrt,
15 fein Herz.
223
Er war der Hoffriſeur der Kaiſerin Charlotte
geweſen, für die er ſchwärmte — er konnte ſie
nie vergeſſen — er hatte auch die Lieferungen
für alle zum Hofdienſt gehörigen Toilette-Gegen⸗
ſtände gehabt und ſeinen eigenen Bedarf dabei
frei eingebracht — die Kaiſerin hatte ihm das
größte Vertrauen geſchenkt — ihn ſogar in ein⸗
zelnen Fällen zu ihrem Almoſenier gemacht. —
Er hatte alle vornehmen Familien in Mexiko
friſirt und dabei die ſchönſte Frau des Landes, ein
wahres Bild, geheirathet. Den Kaiſer hatten ſie
aber gemordet und den ganzen Hofſtaat weggejagt.
Lieferungen gab es natürlich gar nicht mehr, und
ſeine Frau war ihm mit einem vornehmen Herrn
untreu geworden. Er hätte ihn auch umgebracht,
aber er war mit bei der jetzigen Regierung —
es ging nicht.
Und wie haßte er die Franzoſen! Ich muß
aufrichtig geſtehen, ich glaube, es war ein wenig
Brotneid dahinter, aber er haßte die ganze Nation,
und wie er angab nur aus dem Grunde, daß
ſie ſich hier in Mexiko ſo nichtswürdig benommen
hätten. Auf den Marſchall Bazaine ſchimpfte er
dabei am meiſten, ſtimmte aber darin allerdings
nur mit allen denen überein, mit denen ich in
ganz Mexiko über den Herrn geſprochen. Daß
2
ich ein Deutſcher war, ſöhnte ihn, wie er mir
verſicherte, vollſtändig mit mir aus, denn er be-
hauptete, mich Anfangs für einen Franzoſen ge-
halten zu haben.
Auch ſein Begleiter verrieth ſich, während
wir dort lagen, indem er, in Vergeſſenheit ſeiner
ſelbſt, ein paar Lanzetten herausnahm und be=
trachtete, ob ſie nicht vielleicht roſtig geworden
wären.
Es war der Barbier — daher auch die ſchnee—
weißen Hände — der ganze Laden mußte aus—
geriſſen ſein und hatte die „Meiſterin“ zurück-
gelaſſen.
Der Friſeur wurde wirklich ſentimental —
er ſprach bald von Todtſchießen, bald von ſeinem
Haus und Grundſtück, was er zurückgelaſſen
hätte, und daß er jetzt nach Californien oder
Panama gehen wolle — es ſei ihm vollkommen
gleich. Der erſte Dampfer, der in Acapulco ans
legte, ſollte ihn mit fortnehmen aus dieſem Lande
des Fluchs und der Verdammniß, wo es nichts
als Schurken und Räuber gäbe.
Die Unterhaltung wurde in Spaniſch geführt
und der Burſche des Friſeurs, ebenfalls ein
Mexikaner — der aber an dem Geſchäft ſeines
Herrn unſchuldig war, denn er hatte Fäuſte wie
225
ein Miſtkärrner — und eben jo ſchmutzig — lag
daneben, hörte das Alles mit an, was über jeine
Landsleute gejagt wurde, und ſchien ſich vortreff—
lich zu amüſiren.
Als wir etwa um drei Uhr Nachmittags wieder
aufbrachen, erreichten wir noch vor Abend eine
Zuckerſiederei, wo wir bis zum nächſten Morgen
zu raſten beſchloſſen.
Die Zuckerpreſſe hier war freilich in roheſter
und primitivſter Weiſe aus ein Paar knarrenden
und von Ochſen in Bewegung geſetzten Walzen
hergeſtellt, und es wurde dort auch nur der ganz
rohe Zucker, ſogenannter Rapadura, in Venezuela
papelon genannt, fabricirt; doch die Leute zeigten
wenigſtens, daß ſie etwas ſchaffen wollten, und
ſchienen ſich auf ihrer Hacienda auch ziemlich
wohl zu befinden.
Dicht daneben ſtürzte ſich ein murmelnder
Bergbach mit einem kleinen Waſſerfall vorüber,
und ich nahm dort, ohne meine Reiſegefährten
zu einem Gleichen bewegen zu können, ein herr
liches Bad.
Am nächſten Morgen brachen wir wieder mit
vollem Mondſchein ſchon um zwei Uhr auf und
tauchten hier eigentlich zum erſten Male in das
wirklich pittoreske Gebirgsland von Guerrero ein,
Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. 19
226
denn unmittelbar vom Hauſe ab führte der enge
Pfad ſchon eine fteile Schlucht hinab, in der
wir an der andern Seite wieder hinaufklettern
mußten, nur um einer neuen zu begegnen.
Es kann in der That kaum in der ganzen
Welt eine wildere, romantiſchere Scenerie geben,
als dieſe zerriſſenen und dichtbewaldeten Schluch—
ten und Hänge Guerreros, von Waldbächen dabei
durchrauſcht und in dem Zauber einer hellklaren
Mondſcheinnacht. Für die Maulthiere war es
allerdings ein beſchwerlicher und böſer Weg,
denn ſelbſt die niederführenden Hänge fielen ſo
ſteil ab, daß ſie ſich dabei nicht ruhen konnten;
aber die Nacht war wenigſtens friſch und kühl
und der Anblick der wilden Höhen ſo entzückend,
daß ich oft eine Strecke an irgend einer offenen
Waldblöße zurückblieb, um mich dem vollen Ge—
nuſſe dieſes Anblicks hinzugeben.
Es mochte ungefähr halb vier Uhr Morgens ſein,
und an Tagesdämmerung war in dieſen Breiten
noch nicht zu denken. Unſere Thiere kletterten
eben wieder einen ſteilen Hang hinab und unten
rieſelte ein Bach durch den dunklen Grund, in
den der Mond nur einzelne Streiflichter hinein—
werfen konnte. Vor mir hatte ich Stimmen ge—
hört, aber nicht darauf geachtet; ich rauchte meine
997
kleine Pfeife und ließ meinem Maulthier ruhig
den Zügel, daß es ſeinen Weg eben nach Be—
quemlichkeit fortſetzen konnte. Da plötzlich, gerade
an der tiefſten Stelle des Thales, unmittelbar
am Waſſer, das rauſchend zwiſchen den Granit⸗
felſen hindurchſprudelte, ſah ich etwa acht oder
zehn dunkle Geſtalten am Weg ſtehen, und ein-
zelne Mondſtrahlen, die auf blitzende Gewehrläufe
fielen, verriethen, daß ſie auch bewaffnet ſeien.
Wer ſie wären, davon hatte ich allerdings keine
Ahnung und auch in der That keine Zeit zum
Ueberlegen; der erſte Griff war nur nach dem
Revolver, und den erſt in der linken Hand, ſetzte
ich ſo raſch als möglich Zündhütchen auf mein
Gewehr und wunderte mich während derſelben
Zeit nur, daß es auf der andern Seite noch nicht
geknallt hatte. Die Leute blieben aber ruhig,
Gewehr bei Fuß, ſtehen, und als ich jetzt, die
Büchſe ſchußfertig auf dem Sattelknopf, an ſie
heranritt, riefen ſie mir ein freundliches Buenas
noches entgegen und — baten um ein paar
Cigarren.
Ich hatte in dem erſten Moment wirklich gar
nicht an die augenblicklichen Kriegsunruhen im
Staate Guerrero, ſondern immer nur an das
kaum verlaſſene Räuberweſen Mexikos gedacht,
15 *
228
und natürlich konnte mich die Frage nach Ci—
garren nicht gleich beruhigen, denn das beſonders
iſt bei Straßenräubern eine oft gebrauchte Liſt.
Aber ich konnte mir auch nicht gut verhehlen,
daß die Leute, wenn ſie feindlich geſinnt geweſen
wären, mir wohl kaum ſo lange Zeit gelaſſen
hätten — es waren jedenfalls Soldaten, irgend
ein Vorpoſten der einen oder andern Partei,
hier in dem engen Felſenpaß aufgeſtellt, um die
Straße zu überwachen, und ſo ſtellte es ſich auch
zuletzt heraus. Es war der erſte Vorpoſten von
Ximenes’ Armee, der entweder einen Einfall der
Alvarez-Truppen verhindern, oder doch durch
ſeine Boten rechtzeitig den Freunden Kunde geben
und ſie warnen konnte. Die Burſchen waren
dabei ſo gemüthlich als möglich, und als ich ihnen
eine Handvoll Cigarren gab, dankten ſie auf das
freundlichſte.
Eine eigenthümliche Wirkung übte dieſes Be—
gegnen aber auf den Hoffriſeur aus, der bis
dahin immer verſucht hatte, voranzureiten, wäh—
rend ſich ſein Mozo oder Burſche dicht hinter ihm
halten mußte. Ihm ſchien doch der Schrecken
etwas in die Glieder geſchlagen zu ſein, denn
von dem Moment an ließ er ſeinen Burſchen
229
vorausreiten und hielt ſich überhaupt jo viel als
möglich zurück.
An dem Abend erreichten wir, nach einem
ziemlich langen und mühſeligen Ritt, den Mescal⸗
Fluß, einen großen, ſchönen Strom, der auch in
ziemlicher Länge den ganzen Guerrero-Staat
durchfließt.
Bis zu dieſem Strom waren die Franzoſen 7 8
damals gedrungen, während ſie die Küſte des
Stillen Meeres ſchon in Beſitz hatten, ſahen ſich
aber nicht im Stand ihn zu kreuzen, denn er
wurde von den Mexikanern ſcharf bewacht, ſo
daß ſie wieder nach Mexiko zurückkehren mußten.
Bis dahin hatten wir alle Waſſer, die wir
auf unſerem Weg getroffen, mit Sicherheit durch—
waten können; hier ging es nicht, denn der Mescal
war tief und reißend, und ich ſollte hier zum
erſten Mal eine neue Beförderungsart antreffen.
Die Weiſe, wie das geſchah, ſahen wir gleich
praktiſch ausgeführt, ſobald wir nur das Ufer
erreichten, denn ein Indianer mit ſeiner Frau
hatte ſich eben mit dem nöthigen Reiſegepäck auf
einer winzigen Balſa — einem Floß — einge-
ſchifft, während ein Pinto-Indianer in Schwimm-
tracht gerade bemüht war, den Eſel vom Ufer
herunterzuzerren, um ihn dann, als er ihn glück—
0
230
un,
lich in's Waſſer gebracht, mit dem Kopf auf
das Floß zu legen, ſo daß er die Beine nicht
ebenfalls hinaufbringen konnte.
Merkwürdig war das Floß ſelber, denn es
beſtand nur aus etwa 100 Stück zuſammen⸗
befeſtigten großen Calabaſſen oder Flaſchenkür⸗
biſſen, die kaum mehr als etwa 6 Fuß im Qua⸗
drat einnahmen, aber natürlich außerordentliche
Tragfähigkeit beſaßen. Der Indianer ſchwamm
dann, das Floß mit der rechten Hand haltend,
nebenher und trieb es dadurch zum andern Ufer
hinüber, während der Eſel, in ſeinen vergeblichen
Bemühungen an Bord zu kommen, nur aus
beſten Kräften dazu mithalf, indem er mit dem
Halſe nachſchob.
Drüben am Land half der Indianer ſeinen
beiden Paſſagieren heraus — der Eſel war ſchon
an's Ufer geſtolpert, da er noch immer in Ge—
danken ſchob — dann, wie der Mann das Ges
päck ebenfalls ausgeladen, trat er wieder zum
Floß, packte es mit beiden Fäuſten und hob es
ſich — anſcheinend mit gar keiner ſehr großen
Mühe, auf die Schultern. Mit ſeiner Laſt
wanderte er jetzt am Ufer hinauf, bis er eine
Stelle oberhalb erreichte, von der aus er, trotz
234
der ſtarken Strömung, leicht zu uns herüberhalten
konnte, und nun kamen wir an die Reihe.
Die Maulthiere mußten natürlich ſelber hin⸗
überſchwimmen; als erſte Ladung nahm er nach⸗
her das Sattelzeug und den Arriero, daß der drü—
ben die Maulthiere wieder auffangen konnte, bei
der zweiten die Bagage, und zuletzt immer zwei
und zwei von uns, während ich, drüben ange⸗
kommen, ein wahrhaft prachtvolles Bad nahm.
Die Barbierſtube ging aber wieder nicht in's
Waſſer. 5
An unſerem Fährmann hatte ich übrigens
zum erſten Mal Gelegenheit, einen Pinto in all'
feinem Glanz zu ſehen, denn der Burſche war
vollſtändig nackt, hatte auf dem dunkelbraunen
Teint eine Maſſe indigoblauer Punkte oder Flecken
und ebenſolche, aber ſchneeweiße, oben auf der
Hand.
Die Urſache dieſer Flecken darf aber nicht
etwa in einer Verzierung geſucht werden, wie
ſich zum Beiſpiel die nordamerikaniſchen India⸗
ner die Geſichter gelb oder blau malen. — Die
Pintos denken gar nicht an etwas Derartiges,
ſondern die Natur beſorgt ihnen das, und zwar
in höchſt unangenehmer Weiſe durch eine Art
von Hautkrankheit, die, ähnlich der Leproſy, bis
232
jetzt wenigſtens unheilbar iſt und dazu bei nä⸗
herer Berührung auch ſogar anſteckend ſein ſoll.
Die Leute ſelber ſind von Natur kupferbraun,
und die am häufigſten vorkommenden Flecken
blau und weiß und zeigen ſich hauptſächlich an
der Bruſt und an den Händen. Beſonders efel-
haft ſehen die weißen Flecken an den Rändern
aus. Ich habe Frauen mit völlig ſchneeweißen
Händen geſehen, während am Gelenk eine Art
blauer Wulſt ſie einfaßt. Andere haben nur
zur Hälfte dieſe Farbe und den oberen Theil der
Hand dann blau und weiß punktirt.
Die Bruſt der Männer iſt faſt bei allen blau
geſprenkelt, als ob man einen Pinſel mit blauer
Farbe darauf ausgeſpritzt hätte, und hie und da
ſollen auch Einzelne weiße Flecken über den ganzen
Körper haben — von dieſen kam mir aber Keiner
zu Geſicht. b
Die Urſache dieſer fatalen Krankheit ſcheint
noch nicht ergründet zu ſein, wie man ja auch
noch keinenfalls mit Genauigkeit weiß, woher
die Leproſy ſelber oder auch die Elephantiaſis
rührt. Deshalb iſt auch bei allen dieſen noch
keine Heilung möglich. Entſetzlich widerlich wird
Einem aber der Anblick, wenn man gezwungen
ſein ſoll, Lebensmittel zu eſſen, die von ſolchen
233
Händen zubereitet wurden. Mir drehte es we-
nigſtens immer den Magen um, wenn ich ſie den
Teig zu ihren Tortillas zurecht kneten ſah, und
ich wäre nicht im Stande geweſen, auch nur
einen einzigen Biſſen davon anzurühren. Kör⸗
perlich ſcheinen dieſe Menſchen aber nicht das
mindeſte Unbehagen zu ſpüren; ſie ſind geſund,
und nur die ekelhaften Flecken wachſen über ihre
Körper, je älter ſie werden, und erben ſich dabei
gewiſſenhaft von Familie zu Familie fort.
Die Pintos beginnen eigentlich erſt vom Mes-
cal⸗Fluß, obgleich ſie auch vorher ſchon einzeln
vorkommen; von da aber bevölkern ſie Alles,
und wenn ſie auch nach der Meeresküſte zu be-
deutend abnehmen, ſo findet man doch noch zahl—
reiche Exemplare von ihnen ſelbſt in der Hafen:
ſtadt Acapulco, wohin ſie mit verſchiedenen Pro—
ducten zu Markte kommen.
Der Fluß ſelber hat jedenfalls ſeinen Namen
von einer an ſeinen Ufern häufig wachſenden
Pflanze, einer Art von Aloe oder Mageh, aus
der ein beſonderer, nicht unangenehm ſchmecken—
der Branntwein, „Mescal“ genannt, gewonnen
wird.
Dieſe Nacht blieben wir in einer richtigen
Pinto⸗Colonie; ich ließ mir aber zur Vorſorge
ae
e
234
ein Huhn abkochen, deſſen Zubereitung ich felber,
und äußerſt vorſichtig, überwachte, dann machte
ich mir ein paar Becher Chocolade, ging an dem
Abende aus und erlegte noch einen jungen Hirſch,
und hielt nun, da ich faſt nie Brot eſſe, eine ganz
gute Mahlzeit.
In dieſer Nacht, im herrlichſten Mondſchein,
brachen wir wieder etwa um halb zwei Uhr auf und
hatten einen böſen, langen Ritt in einem kein Ende
nehmenden trockenen Flußbett, das uns höher und
höher in die Berge hinaufführte. Es war eine
wilde, troſtloſe Waldlandſchaft, die nur ſprudeln-⸗
des Waſſer hätte beleben können. So verödete
ſie der weiße, blendende Sand, in dem die armen
Maulthiere oft bis an die Feſſeln einſanken, und
ich war nicht böſe darüber, als wir ziemlich früh
Halt machten, denn ich fühlte, wie müde unſere
Thiere geworden waren.
Hier erreichten wir vortreffliches Jagdterrain,
wenigſtens für Hirſche, von denen ich aber nur
den kleinen virginiſchen Hirſch mit langem We—
del und vorgebogenem Geweih antraf. Es ſind
dieſelben, die man überall in den Vereinigten
Staaten findet, nur mit womöglich noch gerin—
gerem Geweih. Man trifft ſehr ſelten einen
alten Hirſch, der gut aufgeſetzt hat.
235
Von hier brachen wir um halb ein Uhr Mor:
gens wieder auf und marſchirten faſt genau auf
das ſüdliche Kreuz zu, das ſchon ziemlich hoch
und etwa um halb ſechs Uhr im Zenith ſtand. Etwa
um drei Uhr aber erreichten wir den zweiten gro=
ßen Fluß, der auf unſerem Wege lag, den Papas
gallo, und mußten dieſen mit einem Canoe über-
ſchiffen, was natürlich faſt eine Stunde Zeit
nahm, da die abgeſattelten Thiere allein hinüber:
ſchwimmen ſollten.
Natürlich warf ich augenblicklich meine Klei-
der ab, um in dem herrlichen, klaren Waſſer ein
Bad zu nehmen. Kaum aber merkten die Boots-
leute meine Abſicht, als ſie mir Beide erſchreckt
zuriefen, nur ja aus dem Waſſer zu bleiben,
denn es wimmele da drinnen von Kaimans, und
ich käme nicht ungefreſſen wieder heraus.
Daſſelbe alberne Vorurtheil, hier wie im
Norden, und eigentlich nur eine Entſchuldigung
für die ſchmutzigen Burſchen, ſich nicht zu wa—
ſchen. Ich ließ mich denn auch nicht irre machen;
— kannte ich doch die Geſellſchaft der Kaimans
ſchon zur Genüge vom Miſſiſſippi her, und wußte,
daß ich nichts von ihnen zu fürchten hatte. Ich
fragte nur den Indianer, wo ſich gewöhnlich die
Kaimans am meiſten aufhielten, und als er mir
— 20
den Platz unter einem Felſen, gerade in der Nähe
des Canoes, bezeichnete, ſprang ich in's Waſſer
und ſchwamm darüber hin. Ich glaubte, ich würde
die Indianer dadurch überzeugen können, daß
ihnen die Kaimans nichts zu Leide thäten — aber
weit gefehlt. Es wäre ein Wunder, ſagten ſie,
daß ich nicht gefreſſen ſei, und damit war die
Sache abgemacht.
Umſonſt ſuchte ich aber meine beiden Reiſe⸗
gefährten, den Friſeur und den Barbier, zu be—
wegen, ſich nur wenigſtens einmal abzuſpülen, —
die beiden Schmutzfinken hatten ſich noch nicht
einmal die Hände gewaſchen, ſo lange ich mit
ihnen zuſammen war, — Gott bewahre! Eine
volle halbe Stunde ſaßen ſie unmittelbar am
Waſſer, ohne ſich auch nur die Fingerſpitzen naß
zu machen, ſetzten ji dann in's Canoe, fuhren
an's andere Ufer, ſtiegen wieder in den Sattel
und ritten auf's Neue in das ſtaubige Land
hinein. Mir fing die Geſellſchaft ſchon recht von
Herzen an leid zu werden.
Am andern Ufer wurden wir einen Moment
von zwei Zollwächtern oder Soldaten angehal—
ten, die uns nach unſerem Paß fragten. Keiner
von uns hatte aber einen ſolchen, und ich ſelber
nur zwei von einem Freund erhaltene Briefe aus
237
Mexiko, einen für den General Ximenes, wie
einen zweiten für die andere Partei des General
Alvarez. Es konnte uns alſo nichts paſſiren,
ſobald der Brief nicht an einen verkehrten Trup—
penkörper abgegeben wurde. Aber ſelbſt dann
hätte es nichts geſchadet, denn die Leute konnten
ja alle mitſammen nicht leſen, und auch dieſe
zwei wackeren Krieger baten uns ganz ungenirt,
ihnen unſere Documente, Paß oder Brief, vor—
zuleſen, da ſie ſelber, wie ſie offen erklärten,
nichts davon verſtänden. Sie ſeien nur dahin
geſtellt, um die Papiere zu unterſuchen, weiter
nichts, aber leſen hatten ſie nie gelernt.
Das Komiſche bei der Sache war, daß wir
uns außerdem ohne irgend welches Licht als das
des Mondes befanden, und der wurde jetzt eben-
falls durch die ſteilen Berge verdeckt. Die Leute
waren deshalb vernünftig genug, ſich mit dem
Befühlen des Briefes zu begnügen, und ließen
uns ungehindert paſſiren.
Ich fragte fie, ob der Fluß fiſchreich ſei; —
ja — es waren viele Fiſche darin; — ob fie deren
fingen, — nein, — ſie verſtanden nicht zu fiſchen;
— ob viel Wild im Walde ſei, — ja; — ob ſie
davon erlegten, — nein, — fie konnten die Hirſche
nicht treffen; — wovon ſie lebten: — Quien sabe!
238
war die einzige Antwort, — Tortillas sihay —
wenn es welche giebt.
Das Volk iſt wirklich urfaul; denn hier an
dieſen Strömen, im Innern des Landes, könnten
fie doch wenigſtens die reichſten Pflanzungen an-
legen, aber es fällt ihnen nicht ein. Der Boden
gäbe ihnen Alles, was ſie hineinſteckten, hundert—
fältig wieder; aber ſie ſtecken eben nichts hinein
und hungern lieber, als daß ſie ſich zu irgend
einer Arbeit bequemten.
Die Scenerie in dieſen Bergen war in den
dichten Waldungen reizend, und je höher wir
ſtiegen, deſto mehr bekamen die Berge ein faſt
europäiſches Anſehen, denn Fichten und Tannen
zeigten ſich hie und da, und die eigentliche Kiefer
bedeckte ganze Hänge. |
Uebrigens ſtand uns an dieſem Tage eine
ſtrengere Controle hinſichtlich des Paſſes bevor;
denn wie wir vor einigen Tagen einer Vedette
des Kimenes’schen Corps hatten Rede ſtehen müſſen,
jo erreichten wir jetzt die Außenpoſten von Al:
varez, wo mein Brief von Jemandem, der wirk—
lich leſen konnte, einer genauen Prüfung unter-
worfen wurde. In demſelben ſtand aber nur
mein Name, die beiden Spanier waren nicht er—
wähnt, und der Hauptmann, oder was er war,
*
239
es ließ ſich nicht gut erkennen, da er in Hemds⸗
ärmeln und barfuß vor ſeiner Hütte ſaß, ſchien
Schwierigkeiten machen zu wollen. Endlich geſtat—
tete er mir, mit einem Peon voraus und nach
dem Hauptquartier zu reiten, wo ich den für
Alvarez erhaltenen Brief vorzeigen ſollte. Dort
würde dann entſchieden werden, ob meine Beglei-
ter ebenfalls paſſiren könnten. Zu dieſem Zweck
bekam ich ein kleines Stück Papier, auf das ich
meinen Namen ſelber ſchreiben mußte, denn der
Mexikaner brachte ihn nicht fertig, und dann
ſchrieb er ſeinen eigenen als Legitimation dar—
unter. Ich brauchte das Papier, um es den ver—
ſchiedenen Poſten, die ich paſſiren mußte, zu zeigen.
Bei dieſen machte ich mir nun allerdings das
Vergnügen, ihnen das Papier jedesmal verkehrt
hinzureichen, erlebte aber nie, daß ſie es um⸗
drehten. Sie konnten wahrſcheinlich alle verkehrt
leſen, und gaben es dann mit den Worten „'sta
bueno“ zurück.
Im Hauptquartier, das von Soldaten wim—
melte, wurde ich ſehr freundlich aufgenommen und
erhielt auch bald für meine Reiſegefährten die
Erlaubniß, nachzukommen, zu welchem Zweck ich
dann meinen Peon mit einer erhaltenen Karte
zurückſchickte und indeſſen etwas für uns zu eſſen
405
240
beſtellte. Nachher ſchlenderte ich in dem kleinen
Orte herum und beſah mir die verſchiedenen Häu—
ſer, in denen die Mannſchaften einquartiert, oder
beſſer, untergebracht waren. Die Leute hatten
übrigens recht gute und auch ſauber gehaltene
Gewehre, natürlich nur Percuſſionsſchlöſſer, aber
nicht zu ſchwer und dabei mit ziemlich langen
Bayonnetten verſehen. Ich bin auch überzeugt,
daß ſie dieſelben im Falle eines wirklichen Krie—
ges viel mehr als Lanze wie als Feuerwaffe ge—
brauchen würden. Es ſcheint aber Niemand, trotz
alle den kriegeriſchen Vorbereitungen, an irgend
einen Kampf zu denken. Der Oberſt, der hier
das Commando führte, und mit dem ich über
die Verhältniſſe ſprach, meinte, die Sache, wer
hier im Lande Gouverneur ſein ſolle, werde wahr—
ſcheinlich im Congreß entſchieden werden, und es
ſei dabei keinem Zweifel unterworfen, daß der
Spruch günſtig für Alvarez ausfallen müſſe.
Dann bleibe allerdings noch die Frage, ob ſich
Ximenes der Entſcheidung gutwillig fügen würde,
aber er hatte in dem Fall wohl wenig Hoff-
nung, genügende Truppen zu behalten, denn ſo—
viel ich dort ſah und hören konnte, wollte das
Volk von Guerrero gar keinen Krieg.
Der Oberſt war der hübſcheſte Mexikaner,
241
den ich im ganzen Lande geſehen hatte, mit edlen
und intelligenten Zügen. Ueber die politiſchen
Zuſtände ſeines Landes ſchien er auch vollkom—
men gut unterrichtet, wich aber meinen Fragen
nach dem Urtheil dieſes Landestheils über die
Erſchießung des Kaiſers aus. Ich mußte ihn
auch in der That zu direct fragen, da ich der
ſpaniſchen Sprache doch nicht ſo mächtig war,
um etwas verblümt dahin zu gelangen.
Nachher ſchlenderte ich noch etwas im Ort
herum und betrachtete mir dabei beſonders eine
militäriſche Spielergruppe, die recht gut in Wal⸗
lenſtein's Lager gepaßt hätte. Die Leute lagen,
kauerten und ſtanden um eine unter einem ſchat⸗
tigen Baum ausgebreitete Serape her und jpiel-
ten ihr gewöhnliches Spiel Monte, aber, ihren
Verhältniſſen natürlich entſprechend, ziemlich nie=
drig. Als ich zu ihnen trat, luden ſie mich ein
mit zu ſetzen, ich entſchuldigte mich aber damit,
daß ich das Spiel nicht verſtehe.
„Oh, Seſor,“ rief da der Banquier, ein wild⸗
ausſehender Burſche mit einer breiten Schmarre
über das ganze Geſicht, „wir wollen Sie's ſchon
lehren.“
„Das glaub' ich,“ lachte ich, und 1 5 ganze
Gerſtäcker, Neue Reiſen. II.
ren e
0 * 7 BE un
? a RE
242
Geſellſchaft brach in ein wieherndes Gelächter
aus — ſie verſtanden den Scherz.
Etwa zwei Stunden ſpäter, als ich meinen
Peon zurückgeſchickt, kam mein Barbierladen nach,
und der Friſeur führte ſich augenblicklich bei dem
Oberſten ein und ſuchte dieſem mit feinen Be:
kanntſchaften in Mexiko zu imponiren. Mit den
erſten Familien der Stadt war er allerdings be—
kannt, denn er hatte die Damen vom Hauſe friſirt
und ſich von den Männern nachher die Rech—
nungen bezahlen laſſen, hier aber waren das
alles plötzlich ſeine beſten Freunde: General jo
und jo — lieber Gott, un amigo caro — Gou⸗
verneur ) — wir ſind wie Verwandte zuſammen
— Miniſter H — mehr als ein Bruder. Der
Officier hörte ihn ſehr ruhig an; der Friſeur
ſchien ſeine Abſicht aber doch nicht ganz erreicht
zu haben, denn der Oberſt gab mir endlich den
Paß, den er aber nur auf meinen Namen aus-
ſtellen ließ und dann hinzuſetzte: „in Begleitung
von zwei Spaniern.“ N
Von hier aus bot die Scenerie des Landes,
das wir durchritten, einen entſchieden europäiſchen
Charakter und beſtand faſt nur aus ſchönen und
offenen Kieferwaldungen. Der Pfad zog ſich
auch größtentheils auf den Höhen hin, und wenn
243
er einmal zu Thale lief, hob er ſich immer raſch
wieder, bis wir endlich am nächſten Tag Provi⸗
dencia erreichten. |
Providencia liegt etwa 12 Leguas von Aca⸗
pulco, aber lange nicht ſoweit von der Küſte
entfernt, der Gouverneur oder General Alvarez
hat hier eine Hacienda und zugleich ſein Haupt⸗
quartier. Von hier aus regierte er ſe inen
Theil des Staates, während Ximenes im Oſten
deſſelben nach eigenem Gutdünken wirthſchaftete,
und die Regierung von Mexiko ſich gerade ſo
wenig darum bekümmerte, als ob Guerrero in
China läge.
Providencia ſollte ein kleines Städtchen ſein,
und da es jo nahe der Küſte und der Hafenjtadt
lag, ſo hatte ich mir leichtſinniger Weiſe ſchon
ein ganz freundliches Bild davon gemacht, ſollte
mich aber darin ſehr getäuſcht ſehen. Es war
eins der elendeſten Neſter, die wir auf dem
ganzen Weg gefunden, und in der That nichts,
gar nichts darin zu haben als ſchnödes agua
ardiente; nicht einmal eine reife Banane, viel
weniger denn eine Flaſche Wein. Ebenſowenig
fand ſich eine Poſada im Ort, und wir mußten
die Nacht vor einer der elenden Hütten im Freien
lagern; in das Innere derſelben hätte mich über—
16*
er 7 55
haupt Niemand hineingebracht, denn ſie ſahen
genau jo aus, als ob ſie von Ungeziefer wim⸗
melten.
Vorher war es übrigens nöthig, daß wir uns
General Alvarez vorſtellten, um von ihm unſern
Paß nach Acapulco ausgeſtellt zu bekommen.
Als wir ankamen, hielt er allerdings ſeine
Sieſta, um vier Uhr aber wurden wir vorgelaſſen,
und ich muß geſtehen, daß die ganze Sache im
Innern des Gebäudes ziemlich geſchäftsmäßig
ausſah. |
Alle dieſe Hacienden, die ja auch noch ſämmt⸗
lich aus der ſpaniſchen Zeit herſtammen, haben
enorm weitläufige, natürlich nur einſtöckige Ge—
bäude mit großen, luftigen Zimmern und langen,
bedeckten Gängen nach vorn und hinten, eine
Art gemauerter Veranda, die gegen Sonne wie
Regen hinlänglichen Schutz bietet. Einen Flügel
dieſer Häuſerreihe, wie man es recht gut nennen
könnte, hatte General Alvarez theils ſeinen Bu—
reaux, theils zu Wachtlocalen eingeräumt, und
dort ſaßen engbrüſtige Mexikaner mit Brillen
auf und ſchrieben oder trugen dicke Actenbündel
auf beſtimmte Plätze und zu anderen ihres Glei—
chen, die dort ſchon lagerten. Der Platz heimelte
mich wirklich an, er ſah ordentlich europäiſch
245
aus, und ich hätte mich darin recht gut in ein 5
ehrliches deutſches Stadtgericht zurückverſetzen
können, wenn die Bureaubeamten nicht alle ihre
Cigarre im Munde gehabt hätten, und das zer—
ſtörte die angenehme Täuſchung gründlich. Wenn
ich mir nur die Möglichkeit denke — und die
Haut ſchaudert Einem dabei — daß ein deutſcher 2
Aſſeſſor oder gar ein Actuar, von einem Vice
Actuar gar nicht zu reden, Morgens mit der
brennenden Cigarre im Munde in's Bureau käme,
der Unglückliche wäre von dem Moment an brotlos
für Lebenszeit. EL,
Die vordere Veranda des Hauſes war übrigens
vollſtändig kriegeriſch eingerichtet und ſogar ſechs
kleine Kanonen ſtanden dort aufgepflanzt, wäh—
rend an der ganzen Länge der Wand die Ge—
wehre und etwa ein Dutzend Lanzen lehnten.
In der That ſchienen auch die Leute von Alvarez
viel beſſer organiſirt, als die von Ximenes, die
weit cher einer Bande von Straßenräubern,
das heißt im Aeußern, glichen. Die ganze Sache
iſt aber, wie geſagt, nur allein militäriſcher Pomp,
ſoweit ſich das Wort Pomp auf barfüßige und
mit den verſchiedenſten Hoſen begabte Soldaten
anwenden läßt. Es denkt Niemand an einen
Krieg, und da die Leute doch nichts weiter zu
er
246
thun haben oder wenigſtens nichts thun, was
auf Eins herauskommt, ſo können ſie auch eben ſo
gut die Zeit „im Felde“ liegen.
Wir wurden in das Vorzimmer des Generals
berufen und uns dort Stühle angewieſen, um
zu warten. Das hielt ich aber keine zehn Minuten
aus, ſtand wieder auf, ſagte dem einen Actuar
oder was er war, er ſolle mich rufen, wenn es
ſoweit ſei, und ſchlenderte indeſſen durch die
verſchiedenen Theile der Hacienda und den ziemlich
gut angelegten, aber entſetzlich vernachläſſigten
Garten. Der Platz hätte recht gut zu einem
kleinen Paradieſe umgeſchaffen ſein können —
aber es war eine echt mexikaniſche Wirthſchaft,
nur daß man hier, während in den niederen
Hütten die Armuth ihren Wohnſitz hatte, überall
die Spuren des Ueberfluſſes erkennen konnte.
Nach einer halben Stunde etwa kam der
Beamte, dem ich meinen Brief an den General
ſchon übergeben hatte, athemlos hinter mir drein-
geſtürzt. Der General hatte nach mir verlangt
und ich war nirgends zu finden geweſen.
Als ich in das Zimmer trat, fand ich den
Friſeur ſchon in voller Erzählung ſeiner hohen
Bekanntſchaften und Freunde in Mexiko: er
ſchwamm zwiſchen lauter Generalen und hohen
247
Würdenträgern im wahren Sinn des Wortes
herum. General Alvarez, während der Oberſt
in dem kleinen Ort den Burſchen raſch durch—
ſchaut hatte, ſchien entzückt von ihm und fragte
ihn auf das lebhafteſte nach Dieſem und Jenem,
von denen Don Pedro Gaspard natürlich Alles
zu erzählen wußte, was man nur von ihm ver-
langte — es hätte ja kein Friſeur ſein dürfen!
Er ließ dabei, wozu wirklich viel gehört, nicht
einmal den Barbier zu Worte, kommen und
ſchwelgte völlig in ſeinem Element.
Alvarez ſelber war ein Mann von unterſetzter
Statur mit pechſchwarzen, glatten, kurz geſchnit—
tenen Haaren und niederer Stirn, mit einem
halb indianiſchen, aber vollkommen ausdrucksloſen
Geſicht. Er ſchien auch in der That nur die
zweite Perſon an ſeinem Hofe, denn ein anderer,
ſehr magerer brauner Senor, aber mit klugen
Augen, wurde von ihm fortwährend um ſeine
Meinung gefragt, verhielt ſich aber ziemlich
ſchweigend und ernſt, und zeigte ſich auch keines—
wegs ſo von Hochachtung gegen den Friſeur er—
füllt. Er erkundigte ſich endlich, wer denn eigent—
lich der ſei, der dem General in dem Brief em—
pfohlen worden, und als ich mich meldete, be—
trachtete er mich ſcharf und grüßte mich dann
f
248
freundlich, gab auch unmittelbar darnach, ohne
den General weiter zu fragen, die Ordre, den
Paß auszuſtellen, der in wenigen Minuten fertig
war und Alvarez nur zum Unterzeichnen vorgelegt
wurde.
Von Providencia brachen wir, nachdem wir
am Abend nur mit Mühe ein Huhn zu einer
Suppe aufgetrieben hatten, ſchon um Mitternacht
wieder auf, um Acapulco, das Ziel unſerer
Reiſe, wenigſtens vor der größten Tageshitze zu
erreichen. Der Platz hatte auch in der That
nichts Verführeriſches, um uns nur eine Minute
länger als nöthig dort zu halten. Wieder ging
es aber von hier in zwar nicht ſehr hohe, aber
doch ziemlich zerklüftete Berge hinein, und ich
war wirklich froh, daß wir den größten Theil
dieſer Strecke in der Nacht zurücklegten, denn am
Tag muß dieſe Tour wahrhaft zum Verzweifeln
ſein. Man weiß, daß man dem Meere nahe
iſt, man hofft, es von jedem Hügelrücken, den
man erſteigt, endlich erblicken zu können, und
von jedem aus ſieht man nur wieder eine andere
Bergreihe vor ſich, die eben hoch genug zu ſein
ſcheint, um die Ausſicht gründlich zu verſperren.
So geht es Stunde auf Stunde, und ſelbſt als
der Tag anbrach, wiederholte ſich dieſes ewige
249
Verſprechen und Verſagen, und doch konnten
wir kaum noch vier oder fünf engliſche Meilen
vom Meer entfernt ſein.
Endlich, endlich nahm auch das ein Ende.
Wir ritten in eine enge Bergſchlucht hinein,
rechts und links hoben ſich höhere Bergkuppen
empor, da plötzlich, wie das Geſträuch vor uns
auseinander wich, hob es ſich wie eine Laſt von
der Bruſt. Der Blick wurde frei und vor uns
— ein wahrhaft zauberiſch ſchönes Bild — dehnte
ſich das weite blaue Meer, und lag da unten,
in eine reizende Bucht hineingeſchmiegt, wie ein
Miniaturbild, aber mit all' den glühenden Farben
tropiſcher Sonne übergoſſen, das kleine, aller—
liebſte Städtchen Acapulco, an einer wunderſchö—
nen, von bewaldeten Hügeln eingeſchloſſenen
Bucht, einer der ſicherſten Häfen der ganzen
Welt.
Ich konnte mich auch in der That lange nicht
von dem prachtvollen Anblick losreißen und blieb
dort oben wohl eine halbe Stunde halten, wäh—
rend die Barbierſtube indeſſen mit unſeren Pack-
thieren, von dem Anblick, wie es ſchien, nicht be—
ſonders angeregt, ſchon lange wieder bergab und
in die Büſche eingetaucht war. Was konnten
ſie auch da oben ſehen? Salzwaſſer und eine
250
kleine mexikaniſche Stadt, von denen fie ſchon
eine ganze Menge durchzogen. Uebrigens ſollte
ich erſt ſpäter erfahren, daß ſie Urſache zu ganz
beſonderer Eile hatten.
Von hier aus fiel der Weg ziemlich ſteil zu
Thal ab. Wir hatten keinen Berg mehr zu über—
ſteigen, und konnte ich mich wieder des Genuſſes,
den ich ſchon ſo oft empfunden, erfreuen, aus
einem gemäßigten Klima, mit der Vegetation
höherer Breiten, raſch und plötzlich in eine voll—
kommen tropiſche Natur hinabzuſteigen. Die Kie—
fern hatten ſchon, ſeit wir Providencia erreicht,
aufgehört und Laubbäumen Platz gemacht, von
denen manche mit prachtvollen, bald weißen, bald
gelben großen Blüthen überdeckt waren. Jetzt
traten breitblättrige Stauden in den Vorgrund,
— reiche Lianen ſchlangen ihre Blumenranken
über den Weg ſelbſt hinaus; noch etwas tiefer,
und ein herrliches Thal öffnete ſich vor uns, in
dem wir ſchon unten die breiten Blätter der
Bananen und einzelne Palmenwipfel erkennen
konnten. Jetzt tauchten wir, während die Sonne
über den Wipfeln emporſtieg, hinein, und be—
fanden uns wie mit Einem Schlage mitten in
den Tropen. |
Freundliche Bambushütten — wenigſtens von
251
außen, denn im Innern iſt ſich der Schmutz in
allen gleich — lagen tief und ſchattig in Frucht⸗
hainen und zwiſchen Kaffeebäumen und Bananen
verſteckt, und kleine Orangenwälder trugen kaum
die Laſt der reifen, goldigen Früchte. Und wie
die Vögel in den dichten Sträuchern zwitſcherten
und ſangen und herüber und hinüber flatterten!
Es war ein herrlicher Ritt in der kühlen Mor-
genbriſe, und ich kann mich kaum eines ſchöneren
in meinem ganzen Leben erinnern.
Das kleine Dorf, das wir hier erreicht, lie—
ßen wir bald hinter uns und trabten jetzt eine
Strecke zwiſchen dichtbewaldeten Anhöhen hin,
als plötzlich ein Hirſch dicht neben mir am Wege
aufſprang und den einen Hügel hinanſetzte. Er
hatte meine Begleiter ſchon an ſich vorbeireiten
laſſen, und hätte es mit mir wahrſcheinlich eben—
ſo gemacht, wenn ich nicht zufällig gehalten, um
von einem der Blüthenbüſche reifen Samen ab
zupflücken.
Meine Büchſe hing mir allerdings geladen
am Gürtel, aber ich hatte kein Zündhütchen auf.
Doch das währte nicht lange; wie der Blitz war
ich aus dem Sattel, mein Maulthier ſich ſelber
überlaſſend, drückte ein Hütchen auf den rechten
252
Piſton, und bekam das flüchtige Wild eben noch
gut zum Schuß, als es über eine offene Stelle
hinüberſetzte und wenige Secunden ſpäter außer
Sicht geweſen wäre. Es war ein glücklicher
Schuß; die Kugel ſchlug vor der Keule ein,
riß dem Hirſch den oberen Theil des Herzens weg
und warf ihn in ſeinen Fährten nieder. Mein
Maulthier lief allerdings fort, da aber die Pack—
thiere noch hinter mir dreinkamen, ſo konnte ich
das Wild auf eins derſelben laden, und ging
dann zu Fuß nach, bis ich die Uebrigen, die mein
Thier aufgehalten, an einer murmelnden Berg—
quelle wieder überholte.
Dort nahm ich ein prachtvolles Bad in dem
kalten friſchen Waſſer, das ſich die Anderen aber
aus Geſundheitsrückſichten, wie ſie meinten, ver—
ſagten, frühſtückte dann und ſetzte nun meinen
Weg nach dem kaum noch anderthalb Leguas
entfernten Acapulco fort.
Der Pfad blieb ſich hier vollkommen gleich;
es war fortwährend dieſelbe reiche Vegetation,
von einer Ueppigkeit, wie man ſie nur unter
dieſen Breiten findet, und dann und wann tra—
fen wir einzelne kleine Plantagen, oder eigent—
lich Gärten, mit wieder einer kurzen Strecke
Wald dazwiſchen, bis ſich der Pfad zuletzt zu
einer breiten Straße ausdehnte und eine lange
Häuſer⸗ oder vielmehr Hütten reihe die Nähe der
Stadt verkündete.
Ich mußte mir übrigens geſtehen, daß ſie oben
vom Berge aus weit hübſcher ausgeſehen hatte,
als hier unten in unmittelbarer Nähe, was jedoch
unter den Tropen ſehr häufig vorkommt. Ma⸗
leriſch genug machte ſich das Ganze, das läßt
ſich nicht leugnen. In den offenen Bambushäu⸗
ſern am Wege ſchaukelten ſich die paradieſiſch
angezogenen Männer und Frauen in ihren Hänge—
matten, und die jugendliche Bevölkerung, in der
Urtracht des Menſchengeſchlechts, wälzte ſich vor
den Hütten mit den Hunden und Hühnern herum;
aber wenn man ein wenig genauer hinſah, trat
der Schmutz dieſer ganzen Race in höchſt un-
romantiſcher Weiſe zu Tage, und an Poeſie wil⸗
der Schönheit war kein Gedanke mehr.
Es geht das ſo in der Welt. Wir Alle haben
ſeiner Zeit, und die Jugend noch heutigen Ta—
ges, für Fenimore Cooper's Uncas und Chin⸗
changook geſchwärmt; wenn wir aber geſehen
hätten, auf welche Weiſe der alte Chinchangook
und ebenſo der junge edle Häuptling Uncas ihre
254
Mahlzeiten kochten, und wie felten ſie daran
dachten, ſich Geſicht oder Hände zu waſchen, ſo
würden wir viel und vielleicht zu viel von dem
Zauber eingebüßt haben. „Man darf in keinem
Hotel in die Küche hineinſehen,“ iſt eine alte
Regel, die ſelbſt auf Europa ihre Anwendung
findet, wie viel mehr denn auf Mexiko oder einen
wilden nordamerikaniſchen Volksſtamm. Ich jel-
ber war denn auch zufrieden mit einem flüchtigen
Ueberblick des pittoresken Aeußern, und da ſich
ſelbſt die Packthiere, die wittern mochten, daß ſie
ihrer Laſt bald quitt wurden, in einen ſcharfen
Trab ſetzten, ſo gab ich auch meinem Thier die
Hacken und ſprengte hinterdrein.
Jetzt öffnete ſich vor uns die Stadt. Niedere
einſtöckige Häuſer, wie in allen ſpaniſchen Städten,
enge Straßen, vergitterte Fenſter, und dabei eine
ſchwüle, heiße Luft. Ich hatte mir Acapulco, das
ich für einen bedeutenden Hafen am Stillen
Meer gehalten, anders gedacht. Ich fand jetzt,
daß es ein eigentlich verhältnißmäßig kleines und
unbedeutendes Neſt ſei — aber was ſchadete das!
Die lange, beſchwerliche Reiſe war glücklich über—
ſtanden, und als unſere Thiere endlich vor dem
einzig möglichen Hötel der Stadt, dem Hotel
3 wenige
2
9.
Acapulco und weiter.
Mexiko iſt ein großes, gewaltiges Reich, und
von der Natur begünſtigt, wie kaum ein anderes
des ganzen amerikaniſchen Continents. Was aber
haben die Mexikaner bis jetzt dabei gethan?
Die Antwort, die jeder Fremde im ganzen Land
beſtätigen wird, iſt: Gar nichts — ja nicht einmal
den tauſendſten Theil von dem benutzt, was
ihnen die Natur im reichſten Maße und offen
zu Tage liegend, geboten.
Kaiſer Maximilian hätte etwas aus dem
Land machen können. Er beſaß dazu die nöͤthi—
gen geiſtigen Mittel und den guten Willen; aber
wenn er auch nicht auf jo traurige und gewalt⸗
ſame Weiſe zu früh geendet, ſo fürchte ich doch,
daß er, dem läſſigen mexikaniſchen Charakter ge—
genüber, zuletzt die Geduld verloren und die
Sache in Verzweiflung aufgegeben hätte.
Schon Acapulco liefert dazu den Beweis.
Silber, Gold und Queckſilber, mit manchem an—
dern werthvollen Metall vielleicht, füllen ſeine
Berge, die Vegetation ungeheurer Strecken be—
ſteht aus den herrlichſten Farbehölzern, und ſeine
verſchiedenen Klimate in der Nachbarſchaft des
Hafens könnten die Producte aller Naturreiche
erzeugen — und was exportirt Acapulco? Nichts
auf der Gotteswelt faſt als ein wenig Silber,
und vielleicht etwas Cacao, wie Häute. Ein deut⸗
ſches Schiff, das damals gerade im Hafen lag,
mußte im Ballaſt nach den Chinchas-Inſeln gehen,
um dort Guano einzunehmen, und der von San
Francisco oder Panama einlaufende Dampfer iſt
immer in wenigen Stunden abgefertigt; — er
braucht nicht viel Zeit, um die in dieſem Hafen
für ihn lagernde Fracht einzunehmen.
Die Lage des Hafens iſt entzückend ſchön.
Das läßt ſich nicht leugnen. Allerdings bietet er
keine freie Ausſicht auf das Meer, denn er iſt
rings von Hügeln eingeſchloſſen, aber kein hef—
tiger Windſtoß kann auch dafür die im Innern
liegenden Schiffe erreichen, und ein guter Anker—
grund bietet ihnen daneben jede Sicherheit. Dieſe
Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. 17
*
Hügel aber, die heftige Stürme fern halten,
ſchließen jedoch auch zu gleicher Zeit jede Briſe
ab, und die dadurch herrſchende Gluth iſt ent-
ſetzlich.
Man hat in Acapulco eine Sage, daß ein
Mann ſtarb und ſeiner Sünden wegen in die
Hölle geſchickt wurde, aber ſchon in nächſter Nacht
wieder zurückkehrte, um ſich — ein paar wollene
Decken zu holen; denn, an Acapulco gewöhnt,
war es ihm dort unten zu kalt.
Ich hatte bis dahin geglaubt, daß es mir
an keinem Punkt der Erde zu heiß werden
könnte — hier in Acapulco mußte ich einge⸗
ſtehen, daß ich den Platz gefunden. Ich war
nicht im Stande, auch nur einen Buchſtaben zu
ſchreiben, und ſuchte nur die ganzen drei Tage,
die ich mich dort gezwungen aufhielt, nach einer
kühlen oder wenigſtens halbkühlen Stelle, um
nicht ganz zu zerſchmelzen. Wie es die Bewohner
auch dort aushalten, weiß ich wahrhaftig nicht,
und doch leben gerade hier eine Anzahl von
Deutſchen, die aber freilich ebenſo über die Hitze
klagen.
Die alten Spanier, die den Platz in früheren
Zeiten inne hatten, müſſen das ebenſo gefühlt
haben, denn ſie fingen an, den einen nach der
»
See zu liegenden Hügelrücken in der ſogenannten
Quebrada zu durchſtechen, um von dort nachher
die Briſe in die Stadt hereinzulaſſen; aber der
Freiheitskrieg ſtöͤrte ſie in ihrer Arbeit und trieb
ſie aus dem Lande, und die jetzigen Herren des
Reiches würden gewiß ſehr zufrieden ſein, wenn 2
der keinesfalls ſchwierige Durchſtich beendet wor⸗
den wäre, ihn aber ſelber zu beenden, fällt ihnen |
gar nicht ein. Ueberhaupt findet man Aehnliches
in allen früher von den Spaniern in Beſitz ge⸗
haltenen Ländern Amerikas. Viele Arbeiten
haben dieſe unternommen, die wohlthätig für
das ganze Land wurden, wie zum Beiſpiel die
zahlreichen Waſſerleitungen, und wie fleißig be-
trieben ſie in allen Theilen den Bergbau, wie
viele tüchtige Straßen haben ſie angelegt! Mit
ihrer Herrſchaft im Lande endeten aber auch ihre
Werke, und die faule Nachkommenſchaft gab ſich
nicht einmal die Mühe, ſelbſt nur das in Stand
zu halten, was jene frei geſchaffen, viel weniger
denn begonnene Bauten auszuführen.
Welch' wichtiger und bedeutender Platz könnte
Acapulco werden, wenn es Wege in das Innere
und dann fremde Kräfte hätte, um die Schätze
des Landes auszubeuten! So aber liegt Alles
todt; das Volk vegetirt eben und arbeitet gerade
RR N ie
260
5 ſo viel, als es zum Leben nothdürftig braucht,
weiter aber wahrhaftig auch nicht das Geringſte,
und der Hafen von Acapulco wird auch deshalb
noch für lange, lange Jahre, und bis nicht ein
anderes Volk, und zwar ein thatkräftigeres, Be—
ſitz davon ergreift, nichts Anderes bleiben, als
ein todtes, ödes Neſt, was er jetzt iſt.
Was die Stadt ſelber betrifft, ſo läßt ſich
wenig oder gar nichts darüber jagen. Eine In⸗
duſtrie exiſtirt gar nicht, die Fabrikation von
Hängematten, aus den Faſern einer Aloeart ge—
flochten, vielleicht ausgenommen, und dieſe wer—
den hier zu dem unglaublich billigen Preiſe von
2 bis 2½ Real das Stück, alſo etwa 8 bis 10
Groſchen, verkauft. Was man ſonſt in der Stadt
ſieht, außer den Serapen, die im Innern ver-
fertigt werden, und einigen ordinären Hut- und
Korbarten, iſt Alles ausländiſches Fabrikat, und
jede Stecknadel muß von Europa oder Nord—
amerika importirt werden. Der Handel iſt da—
bei ausſchließlich in den Händen von Deutſchen
und Spaniern, wenigſtens alle größeren Ge—
ſchäfte ſind es, und die Mexikaner ſelber haben
nur kleine Krämerläden. Auch ein deutſcher Arzt
befindet ſich hier, der von der öſterreichiſchen
Expedition zurückgeblieben, ja ſogar ein zweiter,
2561
der zugleich eine Apotheke hat. Außerdem giebt | 3
es mehrere große und kleine deutſche Geihäfte—
aber nur eine deutſche Frau exiſtirt in Acapuleo,
die Frau des Dr. Link und eine Tochter des Capi⸗
tän Sutter aus Californien.
Das Hötel von Acapulco, denn ein paar
andere miſerable Buden kann man gar nicht mit
dem Namen bezeichnen, iſt das Louiſiana-Hötel,
das eine alte, rüſtige und wohlbeleibte Franzöſin
unterhält. Es hat allerdings nur ein Logir⸗
zimmer, in das hineingeſtopft wird, was ſich
eben hineinſtopfen läßt, aber eine recht gute und
auch nicht zu theure Küche, und die alte robuſte
Dame ſitzt den ganzen Tag vorn in ihrem
Billardzimmer, raucht dicke Cigarren und ſpuckt
links und rechts um ſich her. |
Von den Deutſchen dort wurde ich allerdings
auf das freundlichſte begrüßt, aber man kann
es mir trotzdem nicht verdenken, daß ich mich
von dem Platz wieder wegſehnte, und ich glaubte,
ich müßte verzweifeln, als der von San Tran:
cisco erwartete Dampfer einen Tag über feine
Zeit ausblieb. Die Hitze war zu drückend ſchwül
— kein Lüftchen wehte den ganzen Tag, und der
Körper blieb in einer ununterbrochenen, durch
nichts geſtörten Transſpiration.
-
Meine Barbierftube war ich indeſſen ſchon
am nächſten Morgen losgeworden, denn der nach
San Francisco beſtimmte Dampfer traf bald
nach uns in Acapulco ein und nahm ſie mit
fort. Gleich hinterher lief aber auch ein Brief
von Mexiko ein, der die Anweſenheit des Don
Pedro in jener Stadt auf das ſehnlichſte wünſchte,
ſeine Sehnſucht aber nicht mehr geſtillt be—
kommen konnte, denn der Friſeur war abge—
dampft und der Ocean gab ſeine Paſſagiere
nicht zurück.
Die Stadt Acapulco iſt, wie alle dieſe ion
niſchen Städte, mit niederen Häuſern und jo
regelmäßig, als es das Terrain eben zuließ, ge—
baut. Eine Treppe giebt es, glaube ich, in ganz
Acapulco nicht, und draußen vor der Stadt fand
ich ſogar eine Menge von Familien, die ſich
ganz gemüthlich und häuslich eben nur im
Schatten eines Mangobaumes niedergelaſſen
hatten und dort kochten und ſchliefen. Was
brauchten ſie auch mehr! In dieſer Jahreszeit
regnete es doch nicht, und luftig genug wohnten
ſie, wie ſich nicht leugnen läßt, gewiß an ſolchem
Orte, den ſie freilich mit Hunden und Schweinen
| wie einer gelegentlichen Kuh zu theilen hatten.
Am dritten Tag Abends traf endlich der
263
verlebten. Viel lieber wäre ich auch mit dem
deutſchen Schiff als dem amerikaniſchen Dampfer Be
in See gegangen, aber ich hatte ein anderes
Ziel — mein Weg lag noch weit geſtreckt vor
mir, und um zehn Uhr Abends glitten wir aus
der engen, dumpfigen Bai in die freie, offene,
luftige See hinaus, hinaus wieder einmal in
das Stille Meer, das ich, als ich es zum letzten
Mal verließ, keine Ahnung hatte, je wieder zu
ſehen. Wer kann jagen, wohin ihn ſein Schickſal
treibt?
Mexiko liegt nun hinter mir, aber einen
Blick muß ich noch zurückwerfen auf die herrlichen
ſchon am vorigen fällige Dampfer, die „Golden
City“, von San Francisco ein, und ich freute
| mich wirklich darauf, an Bord zu gehen, wenn 5
mir auch die Zeit in Acapulco verhältnißmäßig
raſch entſchwunden war. Dazu trugen freilich
nur die Deutſchen bei, und beſonders auch Gas
pitän Mertens von der Bremer Bark Victoria,
an deren Bord wir draußen im Hafen in
etwas friſcherer Luft manche vergnügte Stunde
Berge, auf das ſchöne Land, dem Gott Alles =
’
264
ö gegeben, was Menſchen glücklich und zufrieden
machen könnte, und das doch nur faſt ununter—
brochen zu einem wilden, blutigen Kampfplatz
und Schlachtfeld verwandt wurde, auf dem Bru—
der gegen Bruder mit den Waffen in der Fauſt
gerüſtet ſteht. |
Wieder einmal hat das Land eine Monarchie
gebrochen und iſt zur ſogenannten Freiheit zu—
rückgekehrt; aber wie oft wird gerade das Wort
mißbraucht.
„Die Mexikaner haben das Kaiſerreich abge—
ſchüttelt und damit allerdings jenen Brief des
unglücklichen Kaiſers, vom 3. November 1864
datirt, desavouirt, worin er an den Staats-Mi⸗
niſter Velasquez ſchreibt:
„Mein lieber Staats-Miniſter Velasquez de
Leon! Zurückgekehrt von meiner beſchwerlichen
Reiſe aus den Provinzen des Innern, während
welcher ich von jeder Stadt, jedem Flecken und
jedem Dorfe die unzweifelhafteſten Beweiſe der
Sympathie und des herzlichſten Enthuſiasmus
empfangen, haben ſich mir zwei unerſchütterliche
Wahrheiten aufgedrängt. Die erſte: daß das
Kaiſerreich eine Thatſache geworden iſt, baſirt
auf den freien Willen der unermeßlichen Mehr—
heit der Nation 2c.; die zweite: daß dieſelbe un⸗
ermeßliche Mehrheit Frieden, Ruhe und Rechts⸗
ſicherheit wünſcht, Güter, welche ſie von meiner
Regierung ſehnlichſt hofft und erwartet ꝛc.“
Ob ſie damit glücklicher geworden ſind, muß
die Zeit lehren. Keinenfalls kann man ihnen
das Recht abſprechen, ihr eigenes Land auch ſel- 1
ber zu regieren und eine fremde Intervention
zurückzuweiſen. |
Trotzdem iſt der ganze Zuſtand im Innern
des Landes im gegenwärtigen Augenblick ein
höchſt trauriger. Die Sicherheit der Straßen
iſt zu keiner Zeit ſo maßlos gefährdet geweſen,
wie gerade jetzt. Das ſogenannte Plagiar-Sy⸗
item, nach italieniſchem Muſter, wo Geiſeln auf—
gegriffen werden, um von ihren Angehörigen
Löſegeld zu erpreſſen, nimmt faſt mit jedem Tage
überhand und geht ſogar ſo weit, daß angeſehene
Leute in den Straßen von Puebla und Mexiko
abgefaßt und entführt werden.
Alle öffentlichen Arbeiten liegen dabei dar—
nieder, die Regierung hat kein Geld, und was
ſchlimmer iſt, keinen Credit; der Handel beſchränkt
ſich nur auf das Nothwendigſte und wird ſogar
durch unſinnige Steuern noch erſchwert, aber dieſe
ſind unvermeidlich, da es an vielen Orten die
einzige Art und Weiſe iſt, um baar Geld für die
260.
Regierung zu erſchwingen. Jeder Staat im
8 \ Reiche hat dazu dieſe Steuern, und werden
Waaren nach irgend einem Platz im Innern
konſignirt, jo müſſen ſie, wenn man ſie von dort
wieder nach anderer Stelle bringt, auf's Neue
verſteuert werden. Ebenſo iſt es mit dem Gelde,
das enorme Transportzinſen zahlt, die ſich, wenn
es einen größeren Weg zurücklegt, bis auf ein
Drittel des Capitals belaufen können. Dadurch
wird natürlich der eigentliche Handel und Ver—
kehr im Lande faſt abſichtlich erſchwert und in
mancher Hinſicht ſogar unmöglich gemacht; über—
blaupt ſieht es faſt fo aus, als ob die Regierung
nicht allein ſelber nichts thun, ſondern auch noch
Andere an jeder Thätigkeit verhindern wollte.
Daß fie unter ſolchen Umſtänden einer Einwan—
derung von Fremden keinen Vorſchub leiſtet, ja
am liebſten gar keine fremden Anſiedler und
Kaufleute im Land hätte, iſt natürlich, und was
würde aus Mexiko, wenn es keinen fremden Im—
port hätte? Aber das wollen die guten Men—
ſchen eben nicht einſehen, und ich möchte deshalb
auch keinem Deutſchen rathen, unter den jetzigen
Verhältniſſen wenigſtens, nach Mexiko auszu—
wandern. Sicherheit für ſein Eigenthum kann
ihm nicht geboten werden, und wenn auch Mexiko
ein reiches, fruchtbares Land iſt, giebt es doch
auf der Welt noch viele ähnliche Strecken, die
dem Aus wanderer bei freier Bewegung und un:
ter dem Schutz der Geſetze alle Vortheile bieten,
die ihm hier geboten werden können; und doch,
was könnte aus dem Land werden, wenn es
von nordiſchen Händen in Angriff genommen
würde! |
Das freilich darf man keinem Mexikaner ja=
gen, von denen ja viele behaupten, daß gerade
von Mexiko aus die Civiliſation über den gan⸗
zen Erdboden weggeſchritten ſei — und weshalb
nicht? Behaupten doch die Chineſen, daß die
Compaßnadel nach Süden und nicht nach Nor-
den zeige, und die Holländer, daß ihre Nation
die Buchdruckerkunſt erfunden habe, während
Gutenberg nur die alien au Zettern erfunden
hätte. N
Zu gleicher Zeit lief ſchon damals das Ge-
rücht um und hat ſich ſeitdem nur beſtätigt, daß
auf der Halbinſel Yukatan eine bewaffnete Schaar
gelandet ſei, welche die Regierung dort geſtürzt
und die Kaiſerin Charlotte proclamirt habe.
Und das nicht allein — überall ſind jetzt, und
zwar an acht verſchiedenen Stellen, Revolutio⸗
nen ausgebrochen, und da und dort hat ſich ge—
268
zeigt, daß Juarez — vielleicht noch weniger als
Maximilian die Sympathien des ganzen Volkes
beſitze.
Es war grauſam und entſetzlich, daß man
den Kaiſer, der nur in dem feſten Glauben nach
Mexiko gekommen war, daß ihn die große Mehr—
zahl zu ihrem Fürſten wünſche, tödtete — aber
unpolitiſch von dem Standpunkt der jetzigen
Partei war es nicht, denn Juarez, oder vielmehr
ſein Meiſter Lerdo, hat wohl gewußt und wiſ—
ſen müſſen, wie bei einem großen Theil der
Bevölkerung wirkliche Sympathien herrſchten,
die dann bei der nächſten, in Mexiko gar nicht
ausbleibenden Revolution in der That gefährlich
werden konnten.
Jetzt — wenn Porfirio Diaz nicht an die
Spitze derſelben tritt — und das kann geſche—
hen, denn er iſt kürzlich aus dem Staatsdienſt
entlaſſen, hat die Revolution kein beſtimmtes
Haupt, das Juarez groß zu fürchten brauchte.
Im andern Falle wäre ihm der Name des Kai—
ſers immer wieder entgegengetreten, wenn Maxi-
milian ſelber auch wohl kaum hätte vermocht
werden können, je nach Mexiko zurückzukehren.
Was Santa Anna gegen das Land unter—
nehmen will, braucht die Regierung nicht zu fürch⸗
ten. Santa Anna hat jeden Boden dort ver=
loren, und er mag wohl ein paar Tauſend Fli⸗
buſtier an die Küſte werfen und damit morden
und plündern, aber Präſident wird er nie wieder, 5
und wagt er ſich ſelber noch einmal auf mexika⸗
niſchen Boden, ſo iſt die allgemeine Stimme,
daß er wohl kaum wieder ſo gut wegkommen
möchte, als das letzte Mal.
Allerdings iſt die Prieſterpartei noch immer
eine ſehr gefährliche, weil ſie eben im Stillen
bohrt und treibt und in dem Sturz der jetzigen
Regierung die einzige Hoffnung ſieht, wieder zu
Macht zu kommen. Aber auch dieſe Hoffnung
iſt eine verlorene, denn keine Regierung der
Welt könnte das Edict, welches die Kirchengüter
confiscirte, zu einer Zeit aufheben, wo ſchon der
größte Theil derſelben meiſt ausſchließlich in die
Hände von Fremden übergegangen iſt, die ſich
vor der gedrohten Excommunication beim Ankauf
nicht beſonders fürchtete.
Mexiko ſelber iſt ein wunderbar ſchönes Land,
und die Indianer haben gewiß Grund zu ihrer
Sage, in welcher ſie behaupten, ihr Gott habe,
nachdem er die Welt vollendet, ſich ein Fenſter
im Himmel angelegt, von dem aus er ſtets auf
Mexiko hinabſchauen könne, das ihm vor allen
270
anderen Ländern ſo ſehr gefallen. Aber was
helfen dem Volk die Reichthümer und Schön⸗
heiten der Natur, wenn es fortwährend ſeinen
eigenen Boden mit Blut düngt und nicht allein
eine Einwanderung hindert, für ſie Schätze aus—
zubeuten, nein, ſelbſt das eigene Volk davon ab—
hält, das zu genießen, was ihm Gott gegeben?
Ich ſelber halte Juarez wenigſtens für einen
ehrlichen Mann. Er iſt ein Indianer und
ſteht deshalb weit über der verdorbenen ſpani—
ſchen Race, und daß er es gut mit ſeinem Lande
meint, hat er ſchon gezeigt, als er es dem faſt
unerträglich gewordenen Druck der Geiſtlichkeit
entzog. Aber Juarez iſt immer nur ein Werk⸗
zeug in den Händen des viel klügeren Lerdo, der
wohl einſieht, daß die an Zahl ſo gering gewor—
dene weiße Race in Mexiko nie auf die Sym—
pathien der Mehrzahl rechnen darf. Er brauchte
deshalb einen Indianer zu ſeinem Präſidenten
und wird ihn benutzen, ſo lange er ſich eben
brauchbar zeigt. Auf Ruhe darf aber das Land
nie unter dieſer Regierung hoffen, denn es fehlt
ihr auch das Vertrauen, und das kann ſie
ſich nie wieder gewinnen.
Hätte man bei der Präſidentenwahl Porfirio
Diaz genommen, oder ihn wenigſtens nur zum
Vicepräſidenten gemacht, jo war es möglich, einen
geordneten Zuſtand wieder einzuführen und ſelbſt
mit fremden Regierungen wieder Beziehungen
anzubahnen. Porfirio Diaz iſt allgemein als
Ehrenmann bekannt. Er hat ſich ſowohl in
als nach dem letzten Krieg als ſolcher gezeigt
und das vergoſſene Blut klebt nicht an ſeinen
Händen. Mit Juarez' Regierung iſt dagegen
keine Verſöhnung möglich. Brach ſie doch auch
ſelbſt durch den Hohn, mit dem fremde Geſandte
von ihr behandelt wurden, jede Brücke hinter
ſich ab. Ja, die Mexikaner find im gegenwärti—
gen Augenblicke übermüthiger geworden, als ſie
je geweſen, denn die eigenthümlich geſchützte
Lage ihres Landes konnte ihnen kein Geheimniß
bleiben.
Schon das ungeheure, von Sümpfen und
Bergen durchzogene Terrain gewährt ihnen einen
nicht zu gering anzuſchlagenden Schutz gegen
fremde Einfälle, mit den gewaltigen Entfernun—
gen von einem Platz zum andern, aber das Alles
tritt gegen das von Nordamerika gegen jeden
Angriff ausgeſprochene Veto in den Hintergrund.
Sie trauen Amerika allerdings ſelber nicht; ſie
wiſſen, daß es von jeher ein Auge auf das
Nachbarland gehabt und über kurz oder lang
272
einmal ihr gefährlichſter Feind werden könne,
aber für den Augenblick iſt es ihr mächtiger Be—
ſchützer, und der leichtherzige Charakter dieſes
ſüdlichen Volkes läßt es ſich gern über alle
Sorgen für die Zukunft hinwegſetzen. Ja, die
Mehrzahl denkt ſogar nicht einmal an eine ſolche
Möglichkeit, ſondern ſieht allein in der Tapfer⸗
keit der mexikaniſchen Soldaten nicht blos die
jetzige „Rettung des Vaterlandes“, ſondern auch
ſeinen vollkommenen Schutz für die Zukunft.
„Wir ſind die tapferſte Nation,“ habe ich oft
genug die Mexikaner prahlen hören, „denn wir
haben die Franzoſen beſiegt, die bis jetzt alle
anderen Nationen unterjochten.“ Dieſes ſtolze
Bewußtſein macht fie aber vollkommen glücklich und
zufrieden, und ſie ähneln darin einem Schwind—
ſüchtigen, bei dem jeder andere Menſch weiß,
daß er ſeinem Tode entgegengeht, nur er ſelber
nicht. Es würde, wenn es nicht unmöglich wäre,
ſelbſt grauſam ſein, ſie in ihrem Vertrauen auf
ſich ſelbſt wankend zu machen.
Auf dem Weihnachtsmarkt in Mexiko, ziem—
lich ordinär gemacht, aber mit bunten Farben
ausgemalt, war eine Gruppe dargeſtellt, welche
die Stimmung der großen Mehrheit des Volkes
recht gut bezeichnen könnte. Die Gruppe be—
273
ſtand aus zwei Figuren: Ein Franzoſe, die Fahne
der „großen Nation“ in der einen und das blanke
Schwert in der andern Hand, liegt am Boden.
Hinter ihm, den Fuß auf ſeinen Körper geſetzt,
ſteht die Jungfrau Mexiko, in der rechten Hand
die grün⸗weiß⸗rothe Fahne (die Streifen aur
recht ſtehend, wie bei den franzöſiſchen Fahnen)
und in der linken — nicht etwa eine Waffe,
ſondern nur einen Fächer haltend. Nur der
Luftzug dieſes Spielzeuges diente, in ihrer
Hand, dazu, um den mächtigen Feind niederzu—
ſchmettern. Es erinnert das freilich etwas ſtark
an Gellert's Fabel mit dem Heupferd, aber
nichtsdeſtoweniger ſteht die Thatſache feſt, daß
Mexiko, in dieſem Augenblick wenigſtens, in der
That unangreifbar für fremde Mächte geworden
iſt, denn Frankreich wird ſich hüten, ſich zum
zweiten Mal die Finger zu verbrennen, und
andere Reiche haben ſich wahrſcheinlich ein zu
gutes Beiſpiel an dem Vorhergegangenen ge—
nommen, um seinen ähnlichen Verſuch zu machen.
Mexiko bleibt deshalb vor der Hand ſich ſelber
überlaſſen und ihm Zeit und Ruhe von außen
genug, das Glück ſeines ſchönen Landes zu ſichern
und ſeine Zuſtände zu verbeſſern, ſeine Schätze
auszubeuten; aber gegen den faulen Wurm, der
Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. 18
274
im Innern frißt, hilft eben kein äußerer Schutz,
And ich fürchte ſehr, es wird erſt dann zu wirk⸗
licher Beſinnung ſeiner ſelbſt und nachher auch
zu Frieden und Wohlſtand kommen, wenn es
der ſchon faſt zu mächtig gewordene Nachbar
auch noch eingeſteckt, und das jetzige Syſtem, das
die wahre Caricatur einer Republik iſt, von
den rothen Stühlen im Abgeordnetenhaus her—
unkergefegt hat.
Und was für ein Geiſt herrſcht unter dem
mexikaniſchen Heer? — Ich ſelber bin allerdings
mit den Herren nicht zuſammengekommen, was
aber in Mexiko von ihnen erzählt wird, klingt
nicht beſonders tröſtlich. Einigemal ſoll ſchon
die Escorte ſelber die Diligence, der ſie zum
Schutz beigegeben war, geplündert haben, und
über den Officierſtand wurde nicht beſſer ge—
ſprochen.
Damals ging das Gerücht um, daß ſich in
Vera⸗Cruz zwei mexikaniſche Officiere hätten
degradiren laſſen, um nicht nach Yucatan in den
Krieg zu ziehen. In der nämlichen Zeit ſteht
ein Raubanfall in der Zeitung, nach dem Capitän
Sylveſter Ochoa mit einem jungen Engländer
mehrere Tage gemeinſchaftlich reiſte und ſich
dann erbot, dem jungen Manne, Namens Ruſſell,
275
den etwas ſchweren Revolver zu tragen. Kaum
hatte er ihn, jo ſchoß er ſeinen Reiſegefährten
nieder, plünderte ihn und wurde dann flüchtig.
Dieſer Offteier wird jetzt ſteckbrieflich verfolgt.
Ein kleiner amerikaniſcher Junge gab eine
ganz vortreffliche Antwort, als er in der Haupt⸗
ſtadt Mexiko gefragt wurde, wie es ihm hier
gefiel. Sie charakteriſirt zugleich den Zuſtand
des ganzen Landes.
„Oh, recht gut,“ ſagte der kleine Burſch,
aber mit einem ſo zögernden Ton, daß es eher
wie eine Verneinung klang, und der Fragende,
das bemerkend, ſetzte hinzu — „Nun? — was haſt 5
Du denn eigentlich dagegen?“
„Oh, es iſt hier wohl ganz hübſch,“ meinte
jetzt der Kleine, „aber — es ſind zu viel Mexi⸗
kaner hier.“
Es ſind in der That zu viel Mexikaner in
Mexiko, und bis ſie nicht gelichtet werden, bleibt
es ein Chaos von Revolutionen, in denen man
nie Frieden und Wohlſtand erwarten darf.
Einen ziemlich harten Stand haben jetzt in
Mexiko die angeſiedelten Fremden, denn ſie ſind
der Willkür mexikaniſcher Beamten vollkommen
Preis gegeben, und keine Stelle in der Welt,
bei der, ſie gegen Ungerechtigkeiten proteſtiren
18*
276
können; denn wenn auch faſt ſämmtliche Nationa=
litäten gegenwärtig unter den Schutz des ameri—
kaniſchen Conſulats geſtellt ſind, ſo würde es
der Union doch nie einfallen, eher als es ihr
ſelber paßt, einen Krieg mit Mexiko anzufangen,
weil vielleicht ein Franzoſe oder Deutſcher von
irgend einem Beamten ſchlecht und unrecht be—
handelt wurde. Alle Fremden ſind deshalb gegen
wärtig, wie gerade die Sachen ſtehen, auf Gnade
und Ungnad den Mexikanern Preis gegeben,
und es iſt dabei gar nicht abzuſehen, wann in
dieſem Zuſtand eine Aenderung eintreten kann.
Uebrigens muß man es den Mexikanern doch
zum Ruhme nachſagen, daß unter ſolchen Um—
ſtänden die Lage der Fremden im Lande, einzelne
kleinere Fälle natürlich ausgenommen, noch eine
ziemlich leidliche, wenn auch nicht mehr begün⸗
ſtigte iſt. Fremde, die dort keinen feſten Wohnſitz
haben und deshalb mit den Behörden in keine
Berührung kommen, dürfen ſich wahrlich nicht
beklagen, auch nur auf irgend eine Art beläſtigt
zu werden; man verlangt ihnen nicht einmal
einen Paß ab, und ſie dürfen ſich ungehindert,
auf welcher Landſtraße fie wollen, von den Räuber⸗
banden plündern laſſen.
Der gebildete Mexikaner iſt dabei ein ganz
277
liebenswürdiger Menſch, und ich bin unterwegs
mit vielen zuſammengekommen, die ich wirklich
lieb gewonnen habe. Sie zeigten ſich immer
freundlich und gefällig, und halfen bereitwillig
mit der Sprache aus, wenn ich einmal für dies
oder jenes kein Wort finden konnte.
Dabei war ich erſtaunt, noch jo viele Sym⸗
pathien für das Kaiſerreich unter ihnen zu fin:
den. Die meiſten von ihnen ſehen wohl ein, daß
es der verſtorbene Kaiſer wirklich gut mit dem
Lande gemeint hat, wenn ſie auch nur ſelten,
und dann immer höchſt vorſichtig, eine Aeuße—
rung über die jetzige Regierung wagen.
In einer Hinſicht ſtimmen fie aber auch lei⸗
der mit faſt allen Deutſchen überein, die ich
darüber ſprach, daß nämlich der Kaiſer Maxi⸗
milian einen wahren Schwarm von nichtsnutzi⸗
gen Abenteurern um ſich verſammelt gehabt habe
und von allen Seiten verrathen und verkauft
geweſen ſei. |
Armer Kaiſer! Er war von den beiten, wenn
auch oft etwas phantaſtiſchen Anſichten beſeelt,
aber er konnte ſein Ziel nicht erreichen, denn die
Wenigen, die es wirklich gut mit ihm meinten,
ſahen ſich nicht im Stande, irgend welchen Ein⸗
fluß auf ihn auszuüben, und die Anderen, die
2s
ſich um ihn drängten, hatten nur allein ihr eige⸗
nes Intereſſe im Auge und kümmerten ſich den
en Henker um das Land oder Kaiſerreich.
5 Wenn nur die Hälfte von dem wahr iſt, was
man ſich in Mexiko unter den Deutſchen ſelbſt
von ſehr vielen öſterreichiſchen Officieren des
Kaiſerreichs erzählt, ſo ſind das ganz andere
Perſönlichkeiten geweſen, als ich ſie habe unter
dem Corps in Oeſterreich ſelber kennen lernen.
Abenteurer waren aber auch wohl die meiſten,
die unter einem mexikaniſchen Kaiſerreich nur
die alten Goldgruben Montezuma's zu erblicken
glaubten, und als ſie ſich darin getäuſcht ſahen,
es gerade ſo machten, wie die Spanier in alten
Zeiten. Zwiſchen jetzt und damals iſt nur der
Unterſchied, daß man in gegenwärtiger Zeit Bü—
cher führt und kleine Vergeßlichkeiten ſchwarz
auf weiß behält, was früher nur durch münd—
liche, alſo höchſt ungewiſſe Traditionen auf an-
dere Geſchlechter überging.
Verrathen und verkauft war der arme Kaiſer
ſo von allen Seiten, und es ging ſo weit, daß
man ihm in Cuernavaca nicht einmal mehr ſein
Eſſen bringen wollte, weil das Küchengejindel
das Geld für Alles nicht allein ſchuldig geblie—
ben war, ſondern auch die in Maſſe eingekauf⸗
279
ten Gegenſtände, z. B. Butter und Eier, wieder
nach anderer Seite hin verkaufte. Der Keller-
meiſter des Kaiſers hatte in Mexiko ſelber einen
Weinverkauf, und die beſten und edelſten Weine
waren dort zu haben! Und ſeine Generale? —
Lopez, Marquez haben ihn verkauft, ſelbſt Mi⸗
ramon, der tüchtigſte von allen, hatte ſeine Dienſte
ſchon Juarez angeboten, und Maximilian wußte
es und traute ihm ſelbſt dann nicht mehr, als
er es wirklich für die Zeit treu mit ihm meinte,
während Miramon's Frau, voll Stolz und Ehr⸗
geiz, ſelber darnach drängte, die Nachfolgerin des
geſtürzten Kaiſerpaares und ſelber Kaiſerin von
Mexiko zu werden.
Unglücklicher Weiſe war Maximilian dabei
ſchwankenden, unſichern Charakters, und Leute,
die ihn genau gekannt haben, verſichern, daß
immer der bei ihm Recht gehabt, dem es gelang,
das letzte Wort zu bekommen. Er war deshalb
leicht von einem ſchon gefaßten Entſchluſſe ab-
zubringen, was denn auch Pater Fiſcher wohl
zu benutzen und auszubeuten verſtand. Selbſt
dieſer, dem Kaiſer am nächſten ſtehende Prieſter
hat nur geſucht, ihn für ſeine eigenen Zwecke zu
benutzen, und wenn nur der zehnte Theil von
dem wahr iſt, was man ſich in Mexiko über die-
280
fen würdigen Pater erzählt, Jo verdiente er, daß
er — der Leib⸗-Pater des Kaiſers der Franzoſen
würde.
Als er Mexiko damals, — gerade während
meiner Anweſenheit, verließ, denn ich ſelber habe
ihn noch in den Hauptſtraßen der Stadt geſehen,
glaubte man auch dort allgemein, er würde hin⸗
auf nach den Vereinigten Staaten gehen, denn
man hielt es nicht für möglich, daß er die Frech—
heit haben könne, nach Oeſterreich zurückzukeh—
ren; — aber was wagt ein Pfaffe nicht.
Uebrigens veröffentlicht das „Diario Official“
in Mexiko jetzt die geheimen Archive des Kaiſers,
die zuletzt in den Händen des Pater Fiſcher
waren, unter dem Titel: „Documentos offieiales
de los traidores, para servir a la Historia de la
intervencion“ (officielle Documente der Verräther
zur Geſchichte der Intervention), und wen ich in
der Hauptſtadt darüber ſprach, behauptete auf
das beſtimmteſte, daß jener Pater gerade dieſe
Papiere an die Regierung des Juarez für 3000
Dollars verkauft habe. Ich kann für die Wahr⸗
heit nicht bürgen, aber ich habe auch nicht Einen
gefunden, der es nur bezweifelt hätte, wohl aber
erklärte ein dortiger, ſehr angeſehener Mexikaner
auf das beſtimmteſte, daß er beim Finanzminiſter
281:
eine Ordre an die Kaſſe geſehen habe, dem Pater
Fiſcher dieſe Summe auszuzahlen. Und was hatte
Juarez' Finanzminiſter mit Pater Fiſcher zu
thun?
Einen höchſt intereſſanten Bericht über die
Vertreter der fremden Mächte während Maximi⸗
lian's Regierung, beſonders über die Geſandten 5
von Oeſterreich, Preußen, Italien, England und
Frankreich, brachte außerdem der „Mexican Stan⸗
dard“, ein engliſches Blatt, der leider, wie man
in Mexiko behauptet, ſehr viel Wahres enthalten
ſoll, trotzdem daß er nichts weniger als ſchmeichel—
haft für die Herren klingt. Nur Herr von Magnus
ſoll in der letzten Zeit wacker und entſchieden
für den unglücklichen Monarchen eingetreten ſein,
— aber es war zu ſpät. Lerdo hatte ſeinen Tod
beſchloſſen, und Juarez keinen Willen. Juarez
ſelber würde ihn nie verurtheilt haben.
Das Decret vom 3. October, das alle mit
den Waffen in der Hand ergriffenen Mexikaner
zum Tode verurtheilte, war es aber, was ihn —
nicht etwa verdammte, ſondern den Feinden den
gewünſchten Grund zu ſeinem Tode gab; und
doch iſt dieſes grauſame Deeret nie in ſeinem
Herzen entſtanden, ſondern ihm nur durch Ba⸗
288²
zaine, dem der Fluch des ganzen Landes folgt,
aufgezwungen worden.
Und trotzdem wagt jener Graf Keratry in
ſeinem Buch „Kaiſer Maximilian's Erhebung
und Fall“, das nur geſchrieben ſcheint, um den
Marſchall Bazaine als edlen Menſchenfreund
und Märtyrer darzuſtellen, den Thatbeſtand der-
maßen zu verdrehen, daß Bazaine es geweſen,
der ſich dagegen geſträubt, und Maximilian allein
darauf beſtanden habe.
In Mexiko ſelber, und bei Allen, die zu je=
ner Zeit in des Kaiſers unmittelbarer Nähe waren,
iſt nur eine Stimme darüber, die gerade das
Gegentheil von dem verſichert, was uns Graf
Kératry möchte glauben machen. |
Der Kaiſer hat ſich bis zum letzten Augen-
blick dagegen geſträubt und auch das Decret nie
ſelber durchgeführt, ſondern begnadigt, wo ihm
irgend die Gelegenheit dazu geboten wurde. Aber
ſelbſt das war nur eine halbe Maßregel und
ſtrafte ſich bitter vom erſten Augenblick an. Um
ihn aber zur Unterzeichnung zu bewegen, war
ihm der irrige Glaube beigebracht, daß Juarez
das Land flüchtig verlaſſen habe und die Revo—
lution gebrochen ſei.
Die Wendung, die Graf Keratry der Sache
283
giebt, hätte etwas Komiſches, wenn fie nicht einen
jo ernſten Gegenſtand beträfe, denn er ſucht es
ſo darzuſtellen, als ob Kaiſer Maximilian mit
dieſem Decret dem Präſidenten Juarez hätte
eine Aufmerkſamkeit erweiſen wollen, und ſchließt
dieſen Gegenſtand, in welchem er Maximilian
das Schwerſte, aber auf eigene Weiſe geſchminkt,
zur Laſt legt, mit den Worten:
„Das iſt die, Geſchichte dieſes ſchickſalſchweren
Tages, der kein Flecken für das edle Opfer von
Querétaro bleiben darf!“ —
Die wirkliche Geſchichte wird dieſe Geſchichte
richten.
Doch vorbei! Der Kanonenſchuß fällt, der
unſere Abfahrt kündet, und auf dem großen
amerikaniſchen Dampfer „Golden city” ließen
wir bald den heißen Hafen Acapulco hinter uns
und hielten in die prachtvoll kühle Baie der
offenen See hinaus.
Von einer kurzen Dampferfahrt zwiſchen der
mexikaniſchen Küſte und Panama würde freilich
entſetzlich wenig zu ſagen ſein, denn das Leben
und Treiben auf dieſen Dampfern bleibt ſich
ewig gleich, wenn es nicht das erſte Mal geweſen
wäre, daß ich auf einem amerikaniſchen Dampfer
fuhr. Ich muß dabei geſtehen, daß ich kein
BE
günſtiges Vorurtheil für fie hatte, denn nur zu
oft mußte ich früher hören, daß auf ihnen die
Paſſagiere auf das unbarmherzigſte zufammen=
gepreßt und dann in ſolcher Ueberfüllung nur
immer, wenn auch reichlich, doch kaum mehr als
abgefüttert werden. Ich ſollte auch eine Probe
davon bekommen, obgleich der Dampfer auf dieſer
Reiſe gerade eine nur verhältnißmäßig geringe
Anzahl von Paſſagieren trug. |
Mich traf nämlich das Unglück, der Reiſege—
fährte des Präſidenten der ganzen Linie zu wer-
den, und ich mußte dafür büßen.
Gegenwärtig läuft zwiſchen San Francisco
und New⸗York, via Panama, eine Oppoſition⸗
Dampferlinie, alſo zwei, und die Preiſe ſind da—
durch, da eine die andere freundlichſt todt zu ma⸗
chen wünſcht, auf das äußerſte heruntergedrückt.
Die Paſſage von San Francisco nach New-York
koſtet im gegenwärtigen Augenblick, incluſive der
Panama⸗Eiſenbahn, die gegenwärtig 25 Dollars
und für 100 Pfund Gepäck 5 Dollars rechnet, nur
97 Dollars amerikan. Gold erſter Cajüte und
50 Dollars zweiter. Für Acapulco beſteht aber
leider kein ſolcher Zwang, denn dort legt die
Pacific⸗Dampfſchiffslinie allein an, hat alſo auch
ihre alten Preiſe für dieſen Hafen und das nörd—
\ 285
licher liegende Manzanillo feſtgehalten, ſo daß
ich ſelber von Acapulco bis Panama 75 Dollars
amerikan. Gold, und wenn man die Panama⸗
Route hinzurechnet, die ich nicht frei hatte, 35
Dollars mehr, alſo 105 Dollars, oder von Aca—
pulco bis Panama (auf vier Tage) 8 Dollars
mehr bezahlen mußte, als die Paſſagiere von San
Francisco bis New-Nork zahlten.
Aerger war es freilich noch einigen Paſſa⸗
gieren von China gegangen, die ihre ganze Paſ—
ſage mit 650 Dollars bis New-Nork bezahlt hat⸗
ten, wobei nur 350 Dollars von China nach
San Francisco gerechnet wurden. Da die Paſſage
von San Francisco nach New-York aber nur
97 Dollars betrug, ſo hatten ſie mithin 253
Dollars zu viel gezahlt, und die Compagnie in
Californien wollte es ihnen nicht zurückerſtatten.
Uebrigens hatten ſie beſchloſſen, eine Klage in
New⸗York einzureichen, und vor der Hand mag
das nur anderen Reiſenden zur Warnung dienen.
Was nun den Präſidenten der Paeific-Dampf⸗
ſchiffslinie, Herrn Mac Lane, betraf, ſo reiſte
derſelbe mit zwei Töchtern und zwei Dienerinnen,
und hatte dafür in höͤchſt beſcheidener Weiſe die
eine ganze Cajütenſeite des Dampfers in Be⸗
ſchlag genommen. Die Folge davon war, daß die
ER
wirklichen Paſſagiere, die ihr theures Geld für
die Ueberfahrt bezahlten, auf der andern, und
. zwar der Sonnenſeite, zuſammengedrängt und in
die winzig kleinen Cajüten eingepfercht wurden.
Und das nicht allein, ſelbſt der ganze und kühlſte
Gangweg an der Backbordſeite des Dampfers
war auf Befehl oder Wunſch des Präſidenten
(denn der Capitän war ein Engländer, und ich
möchte ihm dieſe Maßregel nicht gern zuſchrei—
ben, oder war es doch Speichelleckerei?) abge—
ſchloſſen, damit der hohe Herr nicht durch das
zufällige Vorübergehen oder längere Aufhalten
anderer Paſſagiere in feiner contemplativen Zu⸗
rückgezogenheit geſtört würde.
Rede mir noch Einer von Hofſchranzen an
europäiſchen oder anderen Höfen. Unter den
amerikaniſchen Republikanern finden wir genau
dieſelbe Schmach, und ein deutſcher Hausmar—
ſchall oder Excellenz hätte nicht mit größerer
Würde und Aufgeblaſenheit reiſen können, als
dieſer Amerikaner.
Uebrigens glaube ich nicht, daß er feiner Ge-
ſellſchaft damit einen großen Nutzen geleiſtet,
wenn es ihm ſelber auch bequem geweſen ſein
mag, denn ſämmtliche Paſſagiere waren darüber
entrüſtet, und viele Amerikaner und Amerika⸗
287
niſch⸗Deutſche erklärten ganz offen, daß ſie von
nun an mit der andern Linie reiſen würden.
Die Boote find übrigens ſehr elegant einges
richtet, nur zum größten Theil mit zu kleinen
state rooms oder Cajüten, um dort ſo viel als
möglich Paſſagiere einſtopfen zu können; — bei
großer Hitze eine höchſt unangenehme und auch
der Geſundheit ſchädliche Sache.
Die Bedienung beſtand ſonderbarer Weiſe
größtentheils aus Stock-Chineſen, von denen nur
Einer ein klein wenig Engliſch verſtand. Wie
ich hörte, war das die erſte Reiſe, die das Schiff
mit den Söhnen des himmlischen Reiches machte;
die ſechs weißen Stewards an Bord ſchienen
aber nicht recht mit der Compagnieſchaft einver-
ſtanden, denn wie verlautete, wollten fie, in Pa—
nama angekommen, ſämmtlich kündigen, wenn
die Chineſen nicht abgelohnt würden. Dieſe ver—
derben ihnen jedenfalls den Preis.
Ueber die Officiere des Bootes kann ich we—
nig oder nichts ſagen; ſie hielten ſich ſo fern
von allen Paſſagieren und ſo eingeknöpft in ihre
Würde, daß ſie ſich nicht einmal zu einem Gruß
an Deck herabließen und deshalb auch von uns
vollſtändig ignorirt wurden. Es iſt dies das erſte
und hoffentlich auch das letzte Mal geweſen, daß
288
ich eine Reiſe auf einem amerikaniſchen Dampfer
gemacht habe, und ich lobe mir zu einer gemüth⸗
lichen Fahrt die deutſchen, engliſchen und fran⸗
zöſiſchen Linien.
Nur ein paar Worte noch muß ich über die
Paſſagiere ſagen, von denen in erſter und zwei—
ter Cajüte die reichliche Hälfte aus Deutſchen
beſtand, die ſich aber erſt im Verlaufe der Fahrt
entpuppten und dann als oft ſehr traurige
Exemplare zu Tage flatterten. Es waren, mit
einigen, aber ſehr wenig Ausnahmen, ſogenannte
amerikaniſirte Deutſche, die ſich vier oder fünf
Jahre mit „Handel und Erwerb“ in Califor⸗
nien aufgehalten und nun merkwürdiger Weiſe
ihre Mutterſprache verlernt hatten. Wenn ſie
dann einmal Deutſch ſprachen, ſo geſchah es mit
jener tollen Miſchung verderbter Wörter, und
dazu kauten einige von ihnen Tabak, damit man
ihnen ja nicht den Deutſchen anſehen ſollte.
Viele von ihnen hatten, wie es ſchien, Geld
verdient und gingen jetzt nach Deutſchland zu—
rück, und dort verblüffen ſie nun in dem kleinen
Dorfe, wo ſie daheim ſind, die Bauern durch
unverſtändliche Redensarten und ärgern anſtän⸗
dige Hausfrauen durch ihr ewiges Spucken.
Unter den Ladies der erſten Cajüte gab es
289
übrigens eben ſo „gemiſchte Geſellſchaft“, als
unter den deutſchen Handelsleuten der zweiten.
Selbſt in den wenigen Tagen an Bord kamen
wunderliche Geſchichten zu Tage, denn San Fran⸗
cisco hat ebenſo ſeine chronique scandaleuse,
wie jede andere große Stadt. Am meiſten aber
amüſirte mich eine nicht mehr ganz junge Re—
publikanerin, die jeden Tag wenigſtens einmal
Staatsviſite in dem abgeſchloſſenen Theil des
Herrn Präſidenten und bei deſſen Töchtern machte,
dazu aber jedesmal erſt in ihre Cajüte hinab⸗
fuhr, ein ſchwarzes ſchweres ſeidenes Kleid an—
zog und Concert-Toilette auf dem Kopf machte.
Der Beſuch dauerte jedesmal etwa eine Viertel⸗
ſtunde, dann kam ſie wieder zurück, tauchte auf's
Neue unter, warf den irdiſchen Tand ab und
erſchien wieder, wie vorher, in ihrem einfachen
Reiſekleid. Der Etiquette war dadurch volles
Genüge geleiſtet. |
Uebrigens hatten wir auch einige wirkliche
Ladies an Bord, und unter dieſen beſonders ein
liebenswürdiges junges Weſen, das aber einen
böſen Krankheitskeim in ſeiner Bruſt trug. Sie
war ſehr leidend, und es wirklich rührend, dabei
zu ſehen, wie ſie ihr Gatte — keinenfalls ein
Amerikaner — pflegte und über ihr wachte. Das
Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. 19
290
junge Ehepaar kam von Japan zurück und ging
nach den Vereinigten Staaten, um dort die Ge—
ſundheit der jungen Frau wieder herzuſtellen.
Gott gebe, daß es geſchieht!
Am fünften Tage erreichten wir Panama,
wo ich zurückblieb, während die übrigen Paſſa⸗
giere raſch über den Iſthmus auf den ihrer ſchon
im Atlantiſchen Ocean harrenden Dampfer be—
fördert wurden, und als der kleine Dampfer,
der ſie an Land bringen ſollte, von Bord abfuhr,
hätte ſich die eine Dame faſt verſäumt und zu⸗
rückbleiben müſſen, da ſie in dem unvermeidlichen
ſchwarzen Kleid noch einen letzten Beſuch ge:
macht und wahrſcheinlich mit dem Umkleiden nicht
ſo raſch fertig geworden war. Wie ſchwer ſich
doch manche Menſchen das Leben machen, und
noch dazu auf ſo ungeſchickte Weiſe!
10.
Fin Abſtecher nach Scuador.
Als ich diesmal nach Panama kam, geſchah
es mit dem Wunſch, ſobald als irgend möglich
den Iſthmus kreuzen zu können und Venezuela
zu beſuchen. In Ecuador hatte ſich wahrſcheinlich
wenig verändert, und ſchon halb auf dem Heim⸗
weg kam auch die Sehnſucht dazu, meine Reiſe
von jetzt an ſoviel als möglich abzukürzen, um
nach Deutſchland zurückzukehren. Wenn ich auch
gerade noch keine Altersſchwäche ſpüre, finde ich
doch nicht mehr wie früher wirkliche Freude an
Strapazen und Entbehrungen, und da ich doch
wußte, daß mir deren noch genug in Venezuela
bevorſtanden, mochte ich ſie nicht eben muthwil⸗
liger Weiſe vermehren.
Da fand ich in Panama einen Brief von der
19 *
292
Ecuador⸗Land⸗Compagnie, mit dem Wunſch darin,
daß ich den Pailon beſuchen und ihnen Bericht
über den jetzigen Stand der Dinge dort geben
möchte, und wie ich mir die Sache überlegte, er—
wachte auf einmal auch die Sehnſucht wieder
nach dem alten Pailon, an dem ich damals, allein
und wie verlaſſen, ſo lange Monate zugebracht.
Jetzt bot ſich die Gelegenheit — ich war nur
eine verhältnißmäßig ganz kurze Strecke von ihm
entfernt und ſchon im Stillen Meer — was hin
derte mich, noch einmal mein Canoe über die
ſtille Bai zu lenken und dem tiefen Orgelton
der ſingenden Fiſche oder dem eintönigen hop!
hop! hop! hop! der weißen Fröſche zu lauſchen?
Wie ein Märchen aus der Jugendzeit ſtiegen die
alten Erinnerungen friſch in mir empor, und
da es ſich auch glücklich mit der Abfahrt des
kleinen Dampfers traf, der nur einmal im Mo⸗
nat dieſe Richtung fährt und deſſen Abreiſe auf
den nächſten Tag angezeigt ſtand, ſo fand ich
mich ſchon am nächſten Tag wieder an Bord,
und ſtatt dem Atlantiſchen Ocean entgegen, dampfte
ich luſtig auf's Neue in das Stille Meer hinaus.
Wunderliches Leben, das ich faſt, ſo lange ich
denken kann, in der Welt geführt!
Der kleine Dampfer, der jetzt — früher war
293
es die „Anna“ — zwiſchen Panama und Guajaquil
läuft, heißt „Talca,“ Capitän Chambres, und
könnte eigentlich ein wenig ſchneller ſein. Uebrigens
genügt er vollkommen für dieſen Dienſt — ſo⸗
weit es wenigſtens die Compagnie betrifft, denn
er iſt im Stand eine bedeutende Quantität Fracht
einzunehmen und hat auch Raum für viele Paſ⸗
ſagiere. Er läuft von Panama aus Buenaven⸗
tura, Tumaco, Esmeraldas und noch einige an⸗
dere kleine Häfen bis Guajaquil an und macht
jeden Monat nur eine Reiſe hin und zurück.
Uebrigens fühlte ich mich hier an Bord tau⸗
ſendmal behaglicher, als an Bord des amerika⸗
niſchen Dampfers, mit dem ich von Acapulco her-
abgekommen. Capitän wie Officiere dieſes eng⸗
liſchen Schiffes, lauter Engländer oder Deutſche,
waren prächtige Leute, und die wenigen Tage
vergingen mir ſo raſch, daß ich kaum wußte, wo
ſie hingekommen.
Ich hatte Paſſage nach Tumaco genommen,
um von da aus in einem Canoe nach dem Pai⸗
lon hinüberzufahren, und der erſte Platz, an dem
wir anlegten, war Buenaventura.
Sieben Jahre waren vergangen, ſeitdem ich
das Neſt nicht geſehen, aber es mußte die ſieben
Jahre im Schlaf gelegen haben, denn es ſah noch
294
genau ſo ſchmutzig und erbärmlich aus, wie vor
jener Zeit. Doch heimelte es mich faſt an, als
ich die „Pfahlbauten“ wieder ſah und meines
eigenen kleinen Hauſes am Pailon gedachte. Und
kehrte ich denn wirklich jetzt zu dem zurück?
Träumte ich nicht die ganze Geſchichte, und ſollte
ich jenen Theil der Welt, von dem ich damals
für immer Abſchied genommen, wirklich in we—
nigen Tagen wiederſehen? Es war mir wie
ein Traum, und ich kam eigentlich erſt wieder
in Buenaventura recht zu mir, als es wie mit
Kübeln zu ſchütten begann und ich in eins der
Häuſer ſelber flüchten mußte. Ja, das war
Wirklichkeit — ſo konnte es nur in dieſem
Theil der Erde regnen, und ich war froh, als
ich bald darauf Gelegenheit bekam, in einem Boot
des Dampfers wieder an Bord deſſelben zurück-
kehren zu können.
Uebrigens hat dieſes ganz elende Neſt, das
ausſieht wie ein gewöhnliches Fiſcherdorf, einen
höchſt bedeutenden Handel mit dem Innern, und
viele Hundert Ballen und Kiſten mit Waaren
wurden hier, für den Innern-Verkehr beſonders,
ausgeladen, während wir auf dem Rückweg an
demſelben Platz etwa zwölfhundert Ballen mit
Chinarinde an Bord bekamen. Außerdem fahren
—
295
noch eine Menge kleinerer Segelfahrzeuge, Schoo⸗
ner und Briggs, an der Küſte auf und ab, und
es herrſcht dort ein nicht unbedeutender Verkehr.
Die Lage des Ortes iſt eine ſehr geſchickt ge—
wählte und vortreffliche, an der Mündung eines
ſchiffbaren Fluſſes, dicht am Meer und auf er:
höhtem Land. Die freundlichſten Villen ließen
ſich dort bauen, denn auch das Klima iſt kühl
und angenehm, und von jedem Mittag an weht
den halben Tag und die ganze Nacht eine friſche
und erquickende Briſe; aber ändere einmal ein
Menſch dieſes Volk. Nicht eine Cocospalme
ſteht am ganzen Strand, keine Banane, kein
Fruchtbaum. Was ſie an Früchten haben, be-
kommen ſie den Fluß herab oder von Tumaco,
und in den erbärmlichſten ſchmutzigſten Hütten
wohnen dieſelben Menſchen, die ſich mit leichter
Mühe und faſt keiner Arbeit dort ein kleines
Paradies ſchaffen könnten. |
Viel mögen freilich auch die verſchiedenen
Kriege und Revolutionen dazu beitragen, daß
ſich das Land ſo ſchwerfällig vorwärts bringt,
aber auch ſelbſt in ruhigerer Zeit würde es ſich
nicht emporraffen. Es fehlt ihm die Energie
des Nordens, und der Süd-Amerikaner verküm⸗
mert lieber in Schmutz und Elend, ehe er eine
2096
Arbeit vornähme, die ihn nicht gerade auf den
. Nägeln brennt und nur möglicher Weiſe aufge-
ſchoben werden kann.
Dien vierten Tag endlich ee e wir die
kleine Frucht⸗Inſel Tumaco, die ich früher keine
Zeit gehabt genauer kennen zu lernen Von
bier aus mußte ich mir jetzt ein Canoe miethen,
um nach dem Pailon hinüberzufahren.
Tumaco an ſich iſt kein bedeutender, aber ein
reizender kleiner Ort, auf einer kleinen, flachen
Inſel im Mirafluß, an der unmittelbaren Grenze
zwiſchen Ecuador und Neu⸗Granada gebaut, und
ſchon durch den ſandigen, aber von Fruchtbäumen
bedeckten Boden reinlicher als irgend eine andere
Stadt an dieſer Küſte.
Ihr Anblick iſt außerordentlich maleriſch, denn
wenn auch im Ganzen flach, ſteigt doch an der
dem Meere zuliegenden Spitze ein kleiner Hügel,
el morro genannt, empor und von hier aus ſchon
wiegen die herrlichſten Cocospalmen ihre Feder—
wipfel dem Fremden entgegen, während das
Auge überall, wohin es fällt, auf breitblätterige
Bananen oder das dunkle Laub der Mangos wie
anderer Fruchtbäume trifft.
Das klingt nun allerdings Alles ſehr roman⸗
tiſch und ſieht auch in der That ſo aus — wenn
297
man ſich nur ein klein wenig davon entfernt hält,
— rückt man der Sache aber etwas näher auf
den Leib, ſo findet man in dieſen Häuſern den⸗
ſelben Schmutz, dieſelbe Armuth wie in allen
anderen, und wo ſich die Phantaſie junge, blü—
hende Indianer malte, die friedlich und glücklich
unter ihren Palmen leben, zeigt uns die immer
und ewig mit der Poeſie im Streit lebende
Wirklichkeit einen Haufen ſchmutziger Negerfami⸗
lien, — die alten Damen ewig in Streit und
Hader mit einander, und Kinder dabei — ich
gehe gleich zum Früh ſtück und möchte mir den
Appetit nicht gern auch nur mit ihrer Beſchrei—
bung verderben.
Wie allenthalben an der Küste haben aber
in der That die Neger in wirklich bedrohlicher
Weiſe überhand genommen. Vor ſieben Jahren
noch gab es dort allerdings ſchon viele Neger,
aber unter der eigentlichen Miſchlingsrace der
Meſtizen oder von Weißen und Indianern Ab—
ſtammenden ſtanden ſie doch immer noch verein-
zelt da. Jetzt dagegen bilden fie in entſchieden⸗
ſter Weiſe die Mehrzahl, und wohin man ſieht,
begegnen Einem die unangenehmen ſchwarzen oder
braunen Geſichter mit den unvermeidlich ſchwar—
zen Wollköpfen.
298
Abkömmlinge von Indianern ſieht man hier
nur noch ſelten, und dann auch meiſt nur eine
andere Race vorbereitend — mit Negern oder
Mulatten verheirathet.
Ich befrug einige der dort Anſäſſigen darüber,
dieſe verſicherten mich aber: das Nämliche ſei im
ganzen Land der Fall. Die Neger breiteten ſich
nach allen Richtungen hin mehr und mehr aus,
und in zwanzig Jahren, wenn das ſo fortginge,
würden wohl wenig Spuren von reiner indiani—
ſcher Abſtammung noch im Lande zu finden ſein.
Sonderbar, daß gerade das Gegentheil in den
Vereinigten Staaten von Nordamerika der Fall
iſt und man allgemein dort behauptet, daß die
Neger im Ausſterben wären. Iſt es dort der zu
raſche und plötzliche Uebergang von Sclaverei zur
Freiheit, das vollſtändig veränderte Leben, das
in ſeiner Unbeſchränktheit auch wohl Viele zu
Extravaganzen trieb; iſt es hier das nicht zu heiße,
feuchte Klima, das ihrer Conſtitution vielleicht
beſonders zuſagt — aber die Thatſache läßt ſich
weder leugnen noch abſtreiten, daß die Neger in
dieſem Lande mehr und mehr an Zahl wachſen
und in gar nicht zu langer Zeit wohl, wenn
nicht ein anderer Stamm, eine andere Race dem
Leben hier eine Wendung zum Beſſern giebt,
299
das vollkommene Uebergewicht erlangt haben
werden. Von ihnen iſt aber eine Beſſerung der b
Zuſtände nun und nimmer zu hoffen. Sie wer⸗
den genügend arbeiten, um ſich am Leben zu er⸗
halten und einen mehr und mehr unter ihnen
aufſteigenden Luxus zu beſchaffen, mehr aber auch
nicht. An irgend eine Verbeſſerung des Landes,
an ein Fortſchreiten in Handel und Gewerbe iſt
unter ihrer Leitung nicht zu denken, und nur eine
gewaltſame Befreiung von ihrer Herrſchaft wäre
dann möglich.
Das aber iſt der Fluch, den die erſten Ent⸗
decker und Eroberer dieſes Landes geſäet haben
und den ihre Nachkommen jetzt ernten müſſen.
Als jener erbärmliche Räuber Pizarro, der keine
einzige gute Eigenſchaft beſaß, als perſönlichen
Muth, und den mit jedem andern Gauner eben⸗
falls theilt, mit Hilfe goldgieriger Pfaffen die
Eingeborenen faſt ausgerottet hatte und es in
dem neuen Land an Arbeitern fehlte, da wurden
ſpäter von der afrikaniſchen Küſte, um das edle,
in Amerika begonnene Werk zu krönen, ſchwarze
Menſchen geſtohlen und zu Sclaven gemacht, und
man glaubte nur Vortheil zu gewinnen, je mehr
von ihnen man rauben und der neuen Erde
einverleiben könne. Die Nachkommen müſſen
jetzt unter den Folgen büßen, denn das unna⸗
AKürliche Verhältniß der Sclaverei konnte nicht
unter der fortſchreitenden Cultur beſtehen. Der
Nutzen, den die Länder alſo damals durch die
gezwungene Arbeit der Sclaven hatten und wegen
deſſen ſie ſich die Nähe der widerlichen Race
gefallen ließen — dieſer Nutzen ſchwand mit
der Freiheit der Neger, aber das Volk ſelber
blieb ihnen auf dem Hals und iſt jetzt nicht
mehr auszurotten oder zu vertreiben, ja es wächſt
und wächſt und wir wiſſen noch nicht einmal,
wie uns in ſpäterer Zeit die Urenkel deſſelben
heimzahlen werden, was unſere Urväter an den
ihrigen verübt. Die Folgen dieſer gewaltſamen
und unnatürlichen Racenüberſiedelung ſind nicht
abzuſehen, und wenn auch das amerikaniſche
Volk ſtark und kräftig genug iſt, ihnen die Stirn
zu bieten, die hieſige Menſchenrace hat nicht
ſolche Energie und wird nach und nach voll—
kommen untergehen.
Komiſch iſt übrigens, daß die Neger mit
Stolz auf die hieſigen, ihnen in jeder Hinſicht
überlegenen Indianer hinblicken. Als ich ſpäter
in meinem Canoe, in dem ich einen Neger zum
Piloten hatte, den Mirafluß hinabfuhr, begeg—
neten wir einem Canoe mit halbnackten, braunen
301
Menſchen, die ich für Indianer hielt. Ich frug
meinen Burſchen, ob es Cayapas wären, worauf 1
dieſer ſehr ſtolz erwiderte: „Nein, es ſind buen
gentes.“ — „Nun?“ entgegnete ich ihm, „ſind
die Cayapas etwa nicht buen gentes?“ — und
es giebt in der That kaum einen anſtändigeren,
ehrlicheren und fleißigeren, ja ſogar intelligen⸗
teren Indianerſtamm, als dieſe Wilden. Der
Neger aber, mit einem Geſicht, deſſen ſich ein
Affe geſchämt haben müßte, dabei ein ekelhafter
Schwadroneur und faul wie drei Rentiers, ſagte
mit dem Ausdruck größter Verachtung: „Son
Indios!“ — und ich hätte ihm eins mit dem
Ruder über den dicken Schädel geben mögen.
„Son Indios!“ Es iſt zum Verzweifeln, wenn
man ſo etwas mit anhören muß, aber trotzdem
iſt es Thatſache, daß ſich die Neger für eine bes
vorzugte Klaſſe halten. Ob ſie das aber ſind,
mögen ſie jetzt zeigen, denn in den Vereinigten
Staaten wurde ihnen, in einem gemäßigten
Klima und unter den nur denkbar günſtigſten
Verhältniſſen, die volle Gelegenheit geboten,
alle ihre Fähigkeiten vollſtändig zu entwickeln.
Machen ſie von dieſer Gelegenheit keinen Ge⸗
brauch, ſondern glauben ſie, daß man ſie dort
nur dulden wird, um ſich ſelber am Leben zu
302
erhalten, dann könnte es geſchehen, daß in nicht
a ferner Zeit ein furchtbarer Vernichtungskrieg
gegen ſie entbrennen könnte, der dann das Ende
der Race ſo blutig und ungerecht herbeiführte,
wie es begonnen.
Zeigen ſie aber, was ihnen von vielen Seiten
noch beſtritten wird, daß ſie wirklich vorragende
geiſtige Fähigkeiten beſitzen und im Stande ſind,
ſich aus dem Schlamm hervorzuarbeiten, in dem
ſie bis jetzt gelebt, dann haben ſie eine Exiſtenz
vor ſich, und ſelbſt das Aeußerliche der Race,
das jetzt allerdings nur zu häufig dem Affen
gleichkommt, wird ſich veredlen. Iſt doch dieſer
thieriſche Ausdruck ihnen wohl ſchwerlich von
der Natur gegeben, ſondern eben nur erſt durch
ſpätere Leidenſchaften den Geſichtern eingeprägt
worden, was genau ſo mit unſerer eigenen Race
der Fall iſt. Ein boshafter Menſch iſt nicht
deshalb boshaft, weil er ein boshaftes Geſicht
hat, ſondern er bekam dieſen häßlichen Ausdruck
in ſeinem Geſicht erſt in den Jahren, in denen
ſich ſein Charakter völlig entwickelte. Als Knabe
hatte er vielleicht offene und ehrliche Züge, noch
mit keinem Groll gegen die Menſchheit im Herzen.
So finden wir auch ſelbſt unter den Schwar—
zen eine Menge von Menſchen, die wirklich in⸗
303
telligente Züge haben, und daß die Maſſe der
unglücklichen Sclaven, unter gewaltſam verhin-
derter Bildung aufgewachſen, wie das liebe Vieh
in den Tag hinein leben mußte, konnte ihnen
natürlich keinen klugen und geiſtreichen Aus⸗
druck geben — jede Phyſiognomik wäre ja ſonſt es,
eine Lüge. |
Doch ich komme ganz von meiner Fahrt nach
dem Pailon durch die Neger ab, die aber doch
dazu beſtimmt waren, mich hinüber zu bringen.
Ich nahm mir nämlich in Tumaco, wo ich ne
türlich nicht länger als nöthig bleiben wollte,
zwei Neger, miethete ein Canoe und wollte am
nächſten Morgen abfahren, um den Pailon ſo
raſch als möglich zu erreichen. Die Leute ver—
ſprachen auch, Alles zur rechten Zeit bereit zu
halten, aber man muß dieſes ſüdamerikaniſche
Volk kennen — denn die Neger ſind darin nicht
um die Spur ſchlechter als alle Uebrigen — um zu
wiſſen, daß man nie darauf gehen kann, was
Einem ein Südamerikaner verſpricht. Er hat
vielleicht die Abſicht, es zu halten — quien sabe! 0
— aber ſo viel iſt ſicher, daß er ſchon in der
nächſten Viertelſtunde gar nicht mehr daran
denkt und mit der größten Gemüthsruhe —
wenn zur Rede geſtellt — eingeſteht, daß er es
| 304
eben vergeſſen hätte oder daß es nicht gut ge⸗
gangen wäre. |
Anfangs habe ich mich über ein ſolch' nichts⸗
würdig wortbrüchiges Weſen ſchändlich geärgert,
zuletzt iſt mir aber doch auch eingefallen, daß
jede Sache ihre zwei Seiten habe, und bequem
wäre es jedenfalls, wenn man das Nämliche bei
uns in Europa einführen könnte. Man bekommt
eine langweilige mündliche Einladung von einem
„Freund“ zu einem großen Diner oder gar thé
dansant. Man mag die Sache nicht abſchlagen,
ſo ungern man geht, aber der Mann könnte ſich
auch beleidigt fühlen und man will ihm nicht
gern weh thun. Man ſagt alſo zu, geht am
nächſten Tag hin, langweilt ſich wie ein Mops
im Tiſchkaſten und hat außerdem den ganzen
Tag zu ſeiner Arbeit oder ſonſtigen nützlichen
Dingen gründlich verloren. Wie anders wäre
das nun nach hieſigen ecuadoriſchen Begriffen.
Man wird eingeladen. — „Ja wohl, lieber
beſter Freund, mit dem größten Vergnügen, um
wie viel Uhr?“ — „Um acht Uhr, wenn ich
bitten darf, aber ja nicht ſpäter.“ — „Sehr
ſchön.“ Damit iſt die Sache vollkommen abge—
macht. Man denkt gar nicht daran hinzugehen,
wenn man nicht ſelber Freude daran hat, und
305
der Einladende würde das Ausbleiben eben To
natürlich finden. Es würde vielleicht ein halber
Eimer heißes Waſſer und zwei Kaffeelöffel voll
Thee umſonſt verſchwendet — das iſt das ganze
angerichtete Unglück des Abends.
Um aber auf meine beiden Neger zurückzu⸗
kommen, ſo war ich nicht geſonnen, ſie über eine
ganze Fluth hinauszulaſſen; der Eine hatte ſich
einen Rauſch angetrunken, der Andere war noch
nüchtern; wenn ich den jetzt ſich ſelber überließ,
betrank er ſich vielleicht auch, und das Beſte
war, ich packte ſie augenblicklich zuſammen und
in's Canoe. Der Alte ſträubte ſich allerdings —
der Eſtero, durch den wir paſſiren mußten, war
jetzt seco oder trocken — was that das? wir
konnten dort genau ſo gut auf Hochwaſſer
warten, wie hier — ich ließ eben nicht nach und
bekam meine Leute endlich wirklich in das Canoe
hinein und unterwegs.
Es iſt das ein ganz eigenthümlicher Weg,
dieſe Bahn, die man ſich durch das Innere, theils
durch den Mirafluß, theils durch die Bayous,
theils am Meeresufer hin für kurze Strecke und
innerhalb der außenliegenden Brandung ſucht.
Bald iſt man dabei von Ebbe und Fluth ab⸗
hängig, bald arbeitet man ſich einen Ausfluß
Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. 20
306
des Mira hinauf, bald ſchießt man den Haupt-
ſtrom hinab, und im Ganzen bleibt es immer
eine ſehr intereſſante, wenn auch etwas lang:
wierige Fahrt. Meine beiden Neger wußten
aber ſchon ganz genau, wie ſie ſich das Leben
angenehm machen konnten. Wenn ich ſie zwang,
ihren Contract einzuhalten, jo hatte ich ſie da—
mit allerdings von Tumaco weggebracht und am
weiteren Trinken verhindert, ſchneller kam ich
aber deshalb wohl kaum von der Stelle, denn
wir mußten richtig vier Stunden in dem ſeichten
Eſtero auf die Fluth warten und wurden erſt
kurz vor Dunkelwerden wieder flott. Die Leute
aber erklärten, in der Nacht durch die gefähr-
lichen und oft labyrinthähnlichen Manglaren
ihren Weg nicht finden zu können. Sie bogen
auch bald links ein, wo mehrere auf Pfähle
gebaute Hütten zwiſchen prächtigen Cocospalmen
ſtanden, und kaum eine Viertelſtunde ſpäter hing
meine Hängematte mitten in einer Negerfamilie,
deren Bewohner außerordentlich erfreut ſchienen,
meine beiden Peons zu ſehen, und ſich die be⸗
treffenden Neuigkeiten mit Stimmen zuſchrieen,
die einen gewöhnlichen Menſchen hätten taub
machen können. Ich war aber ſchon ungewöhnlich
müde geworden, denn meine beiden Strolche
307
hatten ſich den ganzen Tag über meinen Kopf
hinweg die langweiligſten und fadeſten Geſchich⸗
ten zugeſchrieen, und indem ich Alles ruhig über
mich ergehen ließ, ſchlief ich endlich ein.
Am nächſten Morgen mit ausgehender Ebbe
ſchifften wir uns wieder ein, und es war gut,
daß ich mir in Tumaco 995 Lebensmittel mit⸗
genommen, denn wenn ich hätte von dem Volk,
in den Hütten meine Mahlzeiten eſſen ſollen,
ſo wäre ich vor Ekel verhungert. So konnte
ich es ganz gut aushalten. Unter dem Rancho
oder Blätterdach, das ich mir im Canoe hatte
aufbauen laſſen, ausgeſtreckt, lag ich mit meinen
Sachen ſowohl gegen Regen wie Sonnenſchein
geſchützt und konnte leſen oder ſchlafen — was
mich freute. Die Scenerie bot hier auch nicht
viel Intereſſantes, denn zum großen Theil drück—
ten wir uns noch an der äußeren Küſte zwiſchen
Sand und der Ausſicht auf das Meer hin, nur
dann und wann in einen Eſtero eintauchend, um
ein Stück Wegs abzuſchneiden und der rauhen
See auswärts zu entgehen. Die Nacht blieben
wir ebenfalls wieder bei einer Mulattenfamilie,
in der die Frau jedoch einer Miſchlingsrace ent⸗
ſtammte und ziemlich weiß ausſah. Ueberhaupt
wohnten in allen Häuſern, die wir am Ufer an⸗
20
*
308
trafen, ſaßen in allen Canoes, denen wir unter:
wegs begegneten, Neger, immer und immer Neger,
oder wenigſtens ihre Abkömmlinge.
Abends waren wir übrigens noch in den
Hauptſtrom des Mira hineingekommen und ein
Stück mit der raſchen Strömung thalab bis zur
isla grande gelaufen, am nächſten Morgen aber
mit Tagesgrauen wieder unterwegs, glitten ge—
räuſchlos den Strom hinab, und ich muß ge—
ſtehen, daß ich mich kaum ſatt ſehen konnte an
den prachtvollen Ufern.
So lange es noch dunkel war, gewährten ſie
beſonders einen eigenthümlichen Anblick, denn da
die üppige, ja überreiche Vegetation von beiden
Seiten in den Strom hinein und bis auf die
Oberfläche deſſelben niederhing, ſo ſah es genau
ſo aus, als ob der hier noch ziemlich breite und
mächtige Strom ſeine Ufer nicht allein überfluthet
habe, ſondern bis in die Wipfel der daranſtehen⸗
den Bäume hineingetreten ſei und nun dazwiſchen
hin ſeine wilde Bahn ſuche. Schwarz und dro—
hend umhingen dabei den Himmel düſtere Wolken,
und es war ein wirklich unheimliches Bild, indem
unſer Canoe ſchattengleich dahinglitt. Von der
eigentlichen Vegetation des Ufers war dabei faſt
gar nichts zu erkennen, denn nur wie eine hohe,
8
309
grüne, undurchdringliche Mauer ſtiegen die Bäume
an beiden Seiten ſteil und düſter empor — aber
das änderte ſich bald. 8
Die Sonne ging auf — noch konnten wir
ihre Strahlen nicht ſehen, denn von den Cor-
dilleren wurden dieſe noch zurückgehalten, wäh—
rend die über den hohen Gebirgen im Oſten
lagernden Wolkenſchleier ebenfalls dazu dienten,
den Tag zu verzögern — aber plötzlich brach ſie
hindurch — die Nebel wichen und wie in den
dissolving views ſprang raſch wie mit einem
Schlag das ganze Bild aus düſterer Sturmnacht
in das herrlichſte tropiſche Landſchaftsbild über,
das ſich nur eben denken und träumen läßt.
Nicht mehr auf einem ausgetretenen, zwiſchen
den Wipfeln der erſtiegenen Bäume dahin gur⸗
gelnden Strom glitten wir hin, ſondern auf
einem ſonnigen Waſſer, mit deſſen ſchimmernder
Fluth die hineinhängenden Blüthen und äußerſten
Spitzen der tauſend Blumenranken ſpielten, die
ſich in ihm ſpiegelten. Und was für herrliche
Bäume ſtanden am Ufer! Hier eine Gruppe von
Laubholzbäumen, unter denen beſonders einer
hervortrat, der mich mit ſeinen weißen aufrecht
ſtehenden Blüthen und großen langen Blättern
lebhaft an unſere blühenden Kaſtanien erinnerte.
310
Rothe und gelbe Lianen wiegten dabei herüber
und hinüber, und Kolibris und Schmetterlinge
gaukelten und zuckten darüber hin. Jetzt glitten
wir daran vorbei und erreichten ſchon im näch-
ſten Moment eine lange, mit wildem, hochauf—
geſchoſſenem Rohr bewachſene Fläche, aus dem
Et heraus ſich prachtvolle Palmen hoben. Und dort
drüben jene zierlichen federartigen Büſche, die
oft ſelbſt die Waldbäume überragten. Es war
Bambus, dieſes nützlichſte aller tropiſchen Ge—
wächſe, der ſeine langen Ruthen in der Morgen-
briſe ſchaukelte, während die feinen Blätter er-
zitterten und in den jungen Sonnenſtrahlen
ordentlich blitzten und funkelten.
Und jetzt wieder ein anderes Bild — dunkel-
laubige Brotfruchtbäume mit ihren wunderlich
geformten Blättern hoben ſich wie ein Wald
empor, dann ſchloß ſich eine kleine Plantage mit
Cocospalmen, Bananen und Zuckerrohr daran
an. An der Landung lagen ein paar hübſch ge—
arbeitete Canoes, Hunde bellten, Hähne krähten,
und über die niedere Bambuswand des Wohn—
gebäudes lehnten ein paar behäbige, aber pech—
ſchwarze Geſichter mit Wollperrücken und ſchrieen
meinen Leuten ihren fröhlichen Morgengruß
herüber.
3141 |
Und wieder daran hin ſchoß das Canoe —
ein wildes Gewirr von hochaufgeſchoſſenem Zucker⸗
rohr, Bambus und wilden Bananen begrenzte
den Platz — es war eine frühere Plantage, die,
von dem Beſitzer vernachläſſigt, in ihren früheren
Zuſtand, den Urwald, zurückkehrte und den Ueber—
gang nun erſt noch durch die verwilderten und
ſchon unbrauchbaren Nutzpflanzen bildete. |
Weiterhin wieder Ranken und Laubholz und
dicht am Ufer zierliche Farrnpalmen, die ihre
wirklich reizenden Wipfel über den Strom ſchüt—
telten. Bis dahin hatte ich auch geglaubt, daß
die Farrnpalme unter den Tropen ſtets eine be=
ſtimmte Höhe verlange, und meiner Meinung
nach 2—3000 Fuß brauche, um einen richtigen
Stamm zu treiben. Wir befanden uns hier
aber kaum aus dem Bereich der Ebbe und Fluth,
und doch ſah ich Farrnpalmen mit einem Stamm
von wenigſtens 6—8 Fuß Höhe.
Endlich erreichten wir die Mündung des
Mira — die boca grande, mit einem kleinen er⸗
bärmlichen Fiſcherdorf daran, hielten uns aber
dort nicht auf, ſondern über den Strom hinüber
wieder innerhalb der außen tobenden Brandungs⸗
wellen, die aber doch ihre Schwellungen und
19
Wogen bis hier hereinwarfen und uns tüchtig
hin⸗ und herſchaukelten.
Von da ab mußten wir uns wieder durch die
Eſteros halten, in denen uns die Fluth manch—
mal günſtig, manchmal ungünſtig war, ſo daß
wir dann nur höchſt langſamen Fortgang machen
konnten. Meine beiden ſchwarzen Burſchen über⸗
arbeiteten ſich ebenſowenig, ſondern ließen es
langſam an ſich kommen, und als wir dann
endlich in die Manglaren eindrangen und uns
dem Pailon näherten, war es ſchon tiefe Nacht
geworden. Hier übrigens war ich nicht geſonnen,
noch einmal zu übernachten, außerdem hatte die
Fluth gerade eingeſetzt, die uns, mit Ausnahme
eines einzigen Eſteros, günſtig war, und weiter
ruderten wir in die Nacht hinein. Ich kann
mich aber kaum einer Zeit erinnern, daß mir
ſo ſonderbar, ſo wunderlich zu Muthe geweſen
wäre, als an dem Abend. War denn das Alles
Wirklichkeit? Um mich her in den Manglaren
ſchnalzten und raſchelten die Krabben und rauſchte
das Waſſer durch die verſchlungenen Wurzeln,
da drunten in der Fluth tönte wieder der eigen-
thümliche, ſonſt nirgends gehörte Orgelton der
„ſingenden Fiſche“, während drinnen — weit
313
drinnen im Walde die „verlorene Seele“ ihre
klagende Weiſe ſang.
Tauſende von Meilen hatten lange Jahre
hindurch zwiſchen mir und dieſen Stellen ge-
legen und nur in der Erinnerung die dort er—
lebten Scenen fortbeſtanden, und jetzt — plöͤtzlich
faſt, ſah ich mich wieder mitten hineinverſetzt in
alles das, was ich kaum je geglaubt auf's Neue
zu ſchauen, ſah ich mich wieder im vollen Bereich
all' jener wunderlichen Landſchaften und Gruppen,
und nicht möglich wäre es mir, zu beſchreiben,
was ich dabei fühlte.
Jetzt bogen wir in den Pailon ein 925 glitten
langſam mit der Fluth in dem breiten, von
Manglaren beſetzten Canal hinauf — höher und
höher, bis er die Biegung rechts nach dem Lo—
renzo machte; jetzt glänzten von dort aus den
einzelnen Häuſern Lichter herauf, und nun bogen
wir in dieſelbe Bucht ein, an der mein Haus,
meine Palmen ſtanden — oder ſtehen ſollten.
Wie fremd — wie wüſt das Alles ausſah!
Draußen auf der Spitze der kleinen Landzunge,
der ſogenannten Punta, ſtand ein unnatürlich
hohes, aber durchſichtiges Gebäude und jedenfalls
unbewohnt. Das war kein Haus eines Ein⸗
geborenen; was um des Himmels willen konnte
344
un es jein? Und wo war mein eigenes Haus?
Wo waren meine Palmen? Der Platz lag öde
und mit hohen Büſchen dicht überwachſen.
Das Canoe glitt in die kleine Bucht jetzt mit
höchſter Fluth hinein — dort ſtand noch ein altes
Haus, das ich von früher kannte, und dort mußten
wir jedenfalls übernachten und unſere Sachen
in's Trockene bringen, da es eben wieder zu
regnen anfing. Ich reichte die Gegenſtände aus
dem Canoe, die Neger trugen ſie die Uferbank
hinauf und in das Haus hinein, wo indeß die
Leute ſchon alle ſchliefen und von uns gar keine
weitere Notiz genommen wurde. Wir mochten
uns droben für die Nacht ſo gut einrichten, wie
wir eben konnten — die Eigenthümer des Hötels
hatten nichts dagegen.
Ich folgte zuletzt mit meiner Büchſe und
meinem Bett (Hängematte und Poncho), kletterte
den ſchlüpfrigen Hang hinauf, fand die Leiter,
die am Hauſe lehnte, und fühlte oben auf den
feuchten glatten Dielen aus geſpaltener und
ſchwankender Palmenrinde nach einem Platz, wo—
hin ich mich die Nacht legen konnte. In der
Dunkelheit war es nämlich nicht möglich, eine
paſſende Stelle für meine Hängematte zu finden,
denn wohin ich griff, traf ich auf ausgeſpannte
Tr RE LT VRRHETBE ARE
315 :
Toldos oder Mosquitonetze. Schönes Entrée in
Pailon, faſt ähnlich dem meines erſten Betretens
dieſer Ufer. Ein dunkler, beengter Raum, in
dem ich des jetzt niederſtrömenden Regens wegen
Schutz ſuchen mußte — überall, wohin ich tappte,
feuchte, fremdartige Gegenſtände — auf den Bo⸗
den Schmutz, in der einen Ecke das Schreien 5
irgend eines Kindes, das ich in meinem ganzen f
Leben noch nicht geſehen, und dazu der peitſchende ;
Regen auf das Dach nieder. Aber ich war gegen
Derartiges, was einen andern Europäer vielleicht
zur Verzweiflung getrieben hätte, ſchon lange ab—
geſtumpft.
Einen Platz zum Hinlegen konnte ich nicht
einmal finden, denn der kleine, offengelaſſene
Raum war noch durch unſere Sachen beſchränkt
worden. Kurz entſchloſſen nahm ich deshalb auch,
wo ich ſtand, meinen Poncho aus der Hänge—
matte, wickelte mich hinein, drückte, ſo gut es
gehen wollte, die zuſammengeballte Hängematte
hinter mich und kauerte mich dann an derſelben
Stelle, den Kopf gegen Gott weiß was gelehnt, 5
nieder.
Draußen heulte der Wind und der Regen
ſchlug klatſchend auf die Palmenblätter des
Daches nieder, unter dem Haus drängten ſich
316
ein paar Kühe zuſammen und geriethen dabei in
ein altes Canoe, das dort faulte und über das
ſie hinſtolperten, während die Hunde der Nach—
c . barhäuſer bellten — im Hauſe ſchrie das unbe—
kannte Kind und ſchnarchte irgend eine unbe—
kannte Perſon, und die beiden Neger, die jetzt
ebenfalls für ſich einen Schlafplatz finden woll⸗
ten und nicht wie ich den erſten beſten genommen
hatten, auf dem ſie gerade ſtanden, traten und
Bi: fielen ein paarmal über mich weg und wiſchten
ihre Füße an mir ab.
Plötzlich war Alles wie mit einem Schlage
ſtill. Der Regen hörte ſo abgebrochen auf, wie
er angefangen. Das Kind ſchrie nicht mehr,
was den unbekannten Schnarcher jedenfalls halb
erweckte, ſo daß auch er ſeine Muſik einſtellte.
Die Kühe unten hatten das Haus verlaſſen —
ſelbſt die Hunde ſchwiegen. Hop! hop! hop! —
— hop! hop! hop! hop! — — hop! — hop! —
klang es oben vom Dach des Hauſes nieder —
es waren meine alten Freunde, oder vielleicht
die Urenkel derſelben, die weißen, langbeinigen
Fröſche des Pailon, die dort, nach vorübergegan—
genem Regen, ihr gewöhnliches Abendlied ſangen,
— und Sssssssssss — ſiehſt de — ſiehſt de
— ſiehſt de — fielen die großen braunen Grillen
317
ein — ſiehſte — ſiehſte — ſiehſte — 989888888!
— Und dann begannen die Hähne im ganzen
Orte, die das von elf Uhr Abends an alle zwei
Stunden regelmäßig beſorgen, zu krähen, die
Hunde antworteten ihnen, und wie im Traum
hörte ich nur noch von der Bai herüber den leiſen,
eintönigen Orgelton der Fiſche und den heiſern 910
Schrei eines Nachtvogels, der um den kleinen
Ort herum nach der Bai hinausſtrich. Dann
fielen mir die Augen zu und nur noch halb
zwiſchen Schlaf und Wachen hörte ich das mono—
tone hop, hop, hop, hop der Fröſche weiter.
Als ich am andern Morgen erwachte, war es
heller Tag, und mein erſter Blick von der Thür
hinab galt der leeren Stelle, wo mein Haus ge=
ſtanden. Es war unmittelbar daneben, wo wir
uns jetzt befanden. Keine Spur davon war aber
mehr zu erkennen — es mußte gewaltſam ab⸗
geriſſen ſein, oder die Pfoſten wären wenigſtens
geblieben. Auch von den dort gepflanzten Palmen
war nichts mehr zu ſehen, und an dem Platz nun
wuchſen die prachtvollſten Rhododendrons mit
den großen, röthlich weißen, gefüllten Blüthen⸗
vaſen und überwucherten ihn vollkommen. Dar⸗
über hinaus aber ſtand das hohe Gebäude, das
mir ſchon geſtern Abend aufgefallen, und dar— Mi 4
318
unter — eine kleine Dampfmaſchine — die Säge⸗
mühle, die Herr Flemming hier herausgeführt.
Aber das übrige Städtchen? Der ganze Ort
ſchien verwandelt. Kein Haus ſtand mehr an
der nämlichen Stelle, und Büſche und Sträucher
waren überall dazwiſchen aufgewachſen, während
eine Anzahl von Kühen und Hunden den Ober—
befehl zu führen ſchienen. |
Ich hatte mich jo auf San Lorenzo und die
alten Plätze gefreut und ſah mich jetzt in einem
vollkommen fremden Ort, wo nur das eine Haus,
in dem ich mich gerade befand, das nämliche ge—
blieben ſchien und auch noch ſeine alten Beſitzer,
f die Familie Buſtos, hatte. Die Frauen kamen
jetzt unter ihren Toldos vor — ſie kannten mich
wieder und begrüßten mich freundlich — die Eine
war die Frau deſſelben Mannes, von dem ich
damals mein Haus gekauft, der Mann aber in—
deß geſtorben. Wie ging es Miguel, den wir
den Pater nannten? — Der iſt ſeit acht Monaten
todt. — Biſhop, Sheene, Wille? — Todt. —
Martinez? — Fortgezogen. — Die beiden Ame-
rikaner? — Todt; ſie hatten ſich todt getrunken.
— Manuel? — Fort. — Die Indianer? —
Todt! — Wahrhaftig, mir verging die Luſt,
weiter zu fragen, und ich beſchloß lieber ſelber
319
nachzuſehen, ob ich nicht vielleicht noch einige
von meinen alten Bekannten auffinden könne.
Was aber war aus meinem Haus geworden? —
Oh, das hatte der Agent der Compagnie dem
deutſchen Wille — einem Schuft erſten Ranges,
oder einem Verrückten, wie ich eher glaube, denn
er brachte feinen eigenen Vater um — überlaſſen;
er behauptete, daß ihm die Sorge für daſſelbe
übertragen ſei, und Wille hatte es dann dort hin⸗
über, wo es jetzt noch, aber ganz verändert ſtand,
geſetzt. 9
Und wie es ſonſt am Pailon ausſah?
Schlecht — es war nichts zu eſſen da. Die
Kühe hatten alle Platanares und Zuckerfelder
zerſtört und die Fenzen dabei niedergeriſſen —
kein Menſch baute ſie aber wieder auf, denn es
half doch nichts.
Und wie konnten ſie leben?
Ja, das wußten ſie ſelber nicht, und ſie hätten
auch große Luft, hier fortzuziehen — die Meiſten
wären ſchon gegangen. Es ſtehe jetzt recht bos
mit dem Pailon. 15 15
Mitten in dem kleinen Ort ſtand ein ein⸗
zelnes Haus mit einem Garten, das ſich von
den übrigen durch ſeine Höhe und beſſere Bau⸗
art, wenn auch aus dem nämlichen Material,
320
auszeichnete. Dort wohnte, wie mir die Leute
ſagten, der Deutſche, „der die Maſchine herge—
bracht“. — Dorthin ging ich jetzt, nachdem ich
mich erſt an meiner alten Badeſtelle ordentlich
abgewaſchen und gereinigt, und fand auch Herrn
Flemming, deſſen Maſchine heute, als an einem
Sonntag, nicht arbeitete, zu Hauſe. Er begrüßte
mich auf das freundlichſte und lud mich augen—
blicklich ein, in ſeinem Haus zu wohnen, was
ich mit Dank annahm, da ich ja ſelber an die
Luft geſetzt war und lieber im Walde, als bei
den Eingeborenen geſchlafen oder gegeſſen hätte.
Dort konnten wir auch die jetzigen Verhältniſſe
des Pailon ruhig beſprechen und von dort aus
die verſchiedenen Leute aufſuchen, bei denen ich
außerdem Erkundigungen einziehen wollte.
Herr Flemming hat ſeine junge Frau mit an
den Pailon gebracht — jedenfalls ein etwas ges
wagtes Unternehmen, wo die Verhältniſſe noch
ſo im Urzuſtand liegen, daß ein engliſcher Matroſe
ſämmtliche Taufen beſorgt und keine einzige
Dame auf Hunderte von Meilen in der Nähe
iſt, mit der ſie eine Anſprache haben könnte
Ebenſo fehlt es an einem Arzt wie einer Apo-
theke, und in der That hat ſich der Pailon, ſeit
ich ihn im Jahre 1860 beſuchte, nicht allein nicht
ne A a K - DE RT TE a ee ET Er ET FE, ws
1 r 55 58 4 1 IR
321
verbeſſert, ſondern, mit Ausnahme der Säge⸗
mühle und eines kleinen Ladens, wirklich ver⸗
ſchlechtert — ja, verſchlechtert im ſchlimmſten
Sinne, wenn ich die Bewohner des Ortes ſelber
anſehe. Früher wohnte nur ein Neger hier,
ein gewiſſer Pablo, ein richtiger Lump, der
ſpäter in Concepcion geſtorben iſt; die übrigen
Familien beſtanden theils aus Ecuadorianern,
theils aus Indianern, eine gemiſchte Race, und
während des Krieges in Neu-Granada hatten ſich
auch noch einige anſtändige Neugranadienſer hier-
her geflüchtet — und was war jetzt das Reſultat
eines flüchtigen Cenſus? Zwei gebildete Leute:
der Deutſche und ein Ecuadorianer, Namens
Flores, der Sohn des berühmten Generals —
außerdem zwei engliſche Matroſen, die eine Fa⸗
milie Buſtos und eine andere Buſtamente als Halb⸗
Indianer, und alles Uebrige Neger, Neger, Neger, u
oder ihre Abkömmlinge und Seitenracen. Sämmt⸗
liche Familien dabei, die deutſche ausgenommen,
in wilder Ehe, und weshalb das Alles? — Weil
— vielleicht durch ein unglückſeliges Zuſammen⸗
treffen von Umſtänden — vielleicht durch die
concurrirende Langſamkeit der Compagnie wie
der Ecuadorianer ſelber — der Weg in das In⸗
nere, der dem Platz allein Leben verleihen kann
Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. 21
322
und muß, noch nicht in Angriff genommen, oder
wenn ſo, nach kurzer Zeit unvollendet gelaſſen
wurde.
Noch iſt die Möglichkeit da, das Alles zu
verbeſſern — bis jetzt iſt nur Zeit und weiter
nichts verloren, und wenn auch die verſäumten
Jahre nicht wieder eingebracht werden können, ſo
wäre man doch im Stande, heute noch ebenſo zu
beginnen, wie damals, als ich den Pailon ver-
ließ, aber — es muß eben etwas geſchehen, und
ich hoffe von Herzen, daß meine Anweſenheit am
Pailon von guten und ſegensreichen Folgen für
den kleinen, einſt ſo reizenden Ort, ſein mag.
Es iſt wirklich einer der hübſcheſten und ge—
fündeſten Punkte an der ganzen Küſte. Von
Hitze haben die Bewohner deſſelben wenig oder
gar nicht zu leiden, ja die Nächte ſind ſogar ſo
kühl, daß man ſich feſt in ſeine Decke ein—
wickeln muß — Ungeziefer giebt es ſehr wenig
— ich habe die ganze Zeit ohne Mosquito-Netz
geſchlafen und bin nie beläſtigt worden, und
Nachmittags wie Nachts beſtreicht eine friſche
Briſe das ganze Ufer. Es regnet viel, das iſt
richtig, und Mangrove-Sümpfe dehnen ſich nach
wenigſtens drei Seiten aus, aber der Regen hat
in dem warmen Klima nicht das Unangenehme,
323
das er bei uns hat, und die Mangrove-Sümpfe
dünſten keine giftigen Schwaden aus, weil ſie
alle zwölf Stunden vollſtändig von der See friſch
abgewaſchen und damit auch gründlich gereinigt
werden. Böſe Krankheiten ſind deshalb bis jetzt
auch noch gar nicht hier vorgekommen. Das Land
kann dabei Alles produciren, was man ihm an⸗
vertraut, von den edelſten tropiſchen Gewächſen an
der Küſte bis zu unſeren nordiſchen Feld- und Hül⸗
ſenfrüchten in den ſüdöſtlich und öſtlich gelegenen
Regionen. Der Cacao und die Vanille wachſen
wild und können alſo mit der bleichteſten Mühe
auch gezogen werden, der Kaffee ſelbſt gedeiht
vortrefflich, ſogar im tiefen Lande, und ein Mann,
Namens Nahar, will jetzt eine größere Kaffee-
plantage im Innern anlegen. Gummi elaſticum⸗
Bäume, und andere, die ein für die Mediein
werthvolles Harz geben, wachſen im Wald in
ſolcher Maſſe, daß man das Quintal (100 Pfund)
deſſelben zu einem ſpottbilligen Preis bekommen
kann. Der edle Chinabaum findet ſich ebenfalls,
wenn auch hier nicht ſo häufig, doch ſteht ſeiner
Vervielfältigung nichts im Wege. Zuckerrohr
verlangt faſt keine Pflege, deutſche Gemüſe
ſelbſt gedeihen an der Küſte, wenn auch ihr
Samen ausartet und immer friſch bezogen werden
21*
a A e Kr U 2 * Sin! va RER? n AA}
N N x Kr WER & ö Be 77 Br Es n
muß, und welche prachtvollen herrlichen Hölzer
füllen die Wälder. Unſchätzbare Reichthümer
öffnen ſich aber, wenn erſt der Weg den Eingang
zum Innern bahnt — Goldminen liegen noch
rechts und links in den Bergen, und ſelbſt die
dicht dabei befindlichen Cayapas-Indianer waſchen
Gold. Was für ſonſtige Erze die Berge ent-
halten, iſt noch nicht einmal unterſucht, und das
Land im Innern, aber von der See durch bis
jetzt unwegſame Wälder getrennt, ſo dicht be—
völkert und bebaut, daß eine ſpätere Ausfuhr
von dort noch gar nicht zu berechnen iſt.
Ich meines Theils bin feſt überzeugt, daß
eine ſich bildende Actiencompagnie, die einen
ordentlichen Weg durch dieſe Strecke anlegte,
ſogar gute Geſchäfte mit dem Weg ſelber machen
würde, aber die Ecuador⸗Land⸗Compagnie wird und
kann ſich auch dieſe Gelegenheit nicht entgehen
laſſen, denn ſie allein hat in dem Verkauf ihrer
Ländereien und Bonds den größten Gewinn aus
dem Unternehmen zu erhoffen.
Doch das ſind Alles noch Träume. So lange
der Pailon nicht durch eine Straße mit dem
Innern verbunden iſt, wird und muß er nur
ein elendes Fiſcherdorf bleiben, in dem ein paar
325
Menſchen wohl vegetiren, in dem ſich aber nur
Indianer und Neger glücklich fühlen können.
Mir ſchien mein Häuschen damals ungemein
romantiſch, da ſein ganzer Haushalt nur aus
einem Kochtopf, einem Teller, zwei Calabaſſen,
einer Harpune, Angel, einem Ruder und einem alten
Faß als Stuhl beſtand. Mehr beſitzen aber auch
die jetzigen Bewohner des Ortes nicht, die mit
ihrer Frau und einer unbeſtimmten Anzahl von
Kindern einen ſolchen Platz bewohnen. Es giebt
auf der Welt nichts Aermlicheres, als einen ſolchen
ecua dorianiſchen Haushalt, und wenn man ſich
denken ſoll, eine ganze Lebenszeit auf ſolche Art
zu vegetiren, ſo läßt ſich das wohl ſehr erbaulich
und verführeriſch in einem Roman beſchreiben,
iſt aber für einen gebildeten und einigermaßen
an etwas Beſſeres und Höheres gewöhnten Men⸗
ſchen völlig undenkbar. |
Kur einzelne Matroſen fühlen ſich unter
ſolchen Umſtänden wohl, denn ſie ſind an nichts
Beſſeres gewöhnt, und die Hütte iſt nur ein ver⸗
größertes und luftiges Vorcaſtle, die Koſt ſelbſt
eine Verbeſſerung gegen Salzfleiſch und harten
Schiffszwieback, und dieſe halten es auch am
erſten an ſolchen Orten aus, ja fühlen ſich ſogar
wohl darin.
326
Prachtvoll iſt die Scenerie, das läßt ſich nicht
leugnen. Die Natur hat Alles für dieſe Länder
gethan — der Menſch Nichts, und die Natur
thut nur manchmal ein wenig zu viel, denn es
iſt keine kleine Arbeit, ſich nur durch einen ſolchen
Urwald Bahn zu hauen. Es giebt kaum etwas
Schöneres auf der Welt, als dieſe kleinen Buch⸗
ten am Pailon, wo ſich die Manglaren etwas
höherem Land öffnen und ſchlanke Palmen mit
breit⸗ und glänzendblattigem Unterholz, mit blu⸗
migen Lianen und wunderlich geformten Orchideen
die untere Staffage bilden. Aber der Menſch
kann — ſo proſaiſch das auch klingen mag —
doch von keiner ſchönen Gegend leben — aus⸗
genommen die Wirthe in der Nähe eines Bade—
Horts. Die Phantaſie hat allerdings ihr Recht —
für das Menſchengeſchlecht im Allgemeinen für
Mußeſtunden (ausgenommen Schriftſteller),
aber das Leben ſelber iſt ernſt und verlangt
ernſten Willen und Fleiß, um ſich ſeinen Platz
darin zu erkämpfen.
Mit einer nicht hoch genug anzuſchlagenden
Ausdauer hat ſich aber trotzdem unſer Landsmann
— und noch dazu ein ganz junger Mann und
der Sohn der bekannten Verlagsbuchhandlung
Flemming, am Pailon feſtgeſetzt und kämpft wacker
n er = nn er
327
gegen alle ſich ihm in den Weg ſtellenden Schwie-
rigkeiten — und deren ſind in der That nicht wenige.
Er hat nicht allein viele natürliche Hinderniſſe
zu beſiegen, ſondern beſonders einen gefährlichen
Feind in der entſetzlichen Indolenz der Einge⸗
borenen, die eben nur für den Tag leben und
auf nichts Weiteres hinausdenken. Hat ſo ein
Burſche feine 4—5 Dollars verdient, jo hält er 5
ſich für einen reichen Mann und denkt gar nicht
daran, weiter zu arbeiten, bis nicht dies, für
jetzt angeſammelte Vermögen auch vollſtändig
wieder aufgezehrt iſt. Und ſelbſt das würde nichts
ausmachen, gäbe es dort nur Arbeiter genügend,
um mit ihnen zu wechſeln. Aber ſie fehlen.
Unpaſſende Maßregeln der Agenten haben die
meiſten vertrieben — Lebensmittel ſind nicht zu
kaufen, ſondern müſſen durch lange und zeit⸗
raubende Canoefahrten herbeigeſchafft werden,
und die nöthigſten Arbeiten bleiben natürlich
unter ſolchen Umſtänden liegen. Man kann auch
wirklich nur ſagen, daß die Bewohner eines
ſolchen Ortes in Süd-Amerika — mag er einen
Namen haben, welchen er will — leben. Sie
haben von Zeit gar keinen Begriff, denn der
morgende Tag, ſo lange ſie eben nicht hungern,
iſt ihnen das nämliche, was der heutige iſt, und
RN
wie Jemand überhaupt Zeit verſäumen kann,
geht vollſtändig über ihren Horizont. Europäer
kommen deshalb nur ſchwer mit ihnen aus, wenn
ſie nicht ſchon halbe Süd-Amerikaner geworden
ſind, um das volle Gewicht des einen kleinen
Wörtchens „paciencia“ zu begreifen und zu ver-
ſtehen, aber dann müſſen ſie auch vollſtändig
darauf verzichten, vorher Berechnungen über
etwas zu Leiſtendes zu machen.
Daß ich am Pailon wieder einmal eine kleine
Jagdtour verſuchte, läßt ſich denken, und ich
fand den Wald noch eben ſo wild und ſo naß,
als ich ihn verlaſſen — aber auch eben ſo ſchön
und üppig, und man kann annehmen, daß man
bei einer ſolchen kurzen Tour, nur um ſich Bahn
zu hauen, nach dem Werth, den die Pflanzen bei
uns haben würden, etwa für 20,000 Thaler
junge Palmen, Schlinggewächſe, Orchideen und
andere werthvolle Blüthenbüſche zerjtört. Eigent—
lich wollte ich eins der wilden Schweine ſchießen,
bekam aber keins zu Geſicht, und nur einen jener
ſchönen und herrlich ſchmeckenden Vögel von der
Größe unſeres Truthahns, den Pauchi, den ich
erlegte. Der Indianer, den ich mit hatte, ver—
ſtand es dabei, die kleinen, dem coneja ähnlichen
Thiere, die flüchtig wie die Haſen laufen, aber
329
eher zum Geſchlecht der Hamſter gehören, mit
ſeiner Pfeife herbeizulocken. Er rief vier von
ihnen an, wonach er aber, trotzdem daß ich ihn
warnte, nie nach dem letzten Ruf noch eine kurze
Zeit warten wollte. Jedesmal deshalb, wenn
wir wieder den erſten Meſſerhieb in einen Buſch
thaten, pfiff das angelockte Thier ſeinen War⸗
nungsruf, ganz nahe bei uns, herüber, und ver—
ſchwand dann ſpurlos im Dickicht, ohne daß
wir auch nur ein einziges zu ſehen bekamen.
Eine Fiſcherei, die wir abhalten wollten, ver:
unglückte an der entſetzlichen Faulheit und Nach⸗
läſſigkeit der dabei Betheiligten, welche die Vor-
ſtellhölzer, trotzdem daß ich fie darauf aufmerf-
ſam machte, nicht gehörig in Stand ſetzten. Alle
unſere Mühe und Arbeit wie Geldauslage waren
vergebens. Wir bekamen auch nicht einen einzi-
gen Fiſch zum Lohn. Aber ſo ſind die Leute in
dieſer wie in jeder andern Sache; man kann
ſich nie auf ſie verlaſſen, und ſo lange man mit
ihnen arbeitet, oder fie doch wenigſtens über-
wacht, geht es noch allenfalls an, läßt man ſie
aber auch nur für einen Moment aus den Augen,
ſo kann man ſich auch feſt darauf verlaſſen, daß
ſie ſich entweder ruhig unter einen Baum legen
und ausſchlafen, oder auch in völliger Gedanken⸗
330
loſigkeit an irgend eine andere ihnen gerade ein⸗
fallende Arbeit gehen, — und davon habe ich
ſelbſt Proben in der kurzen Zeit meines dortigen
Aufenthalts gehabt.
Gern hätte ich eine Tour in das Innere des
Landes gemacht, um manche alte Freunde dort
aufzuſuchen, aber ich fürchtete mich vor dem ent:
ſetzlichen Weg, der noch genau ſo in Schlamm
und Waſſer liegt, wie vor ſieben Jahren. Von
Quito hörte ich übrigens durch Senior Flores,
der es noch nicht ſo lange verlaſſen, daß es ſich
auffallend zu ſeinem Vortheil verändert habe.
Als ich es damals beſuchte, war es das ſchmutzigſte,
erbärmlichſte Neſt, das man ſich unter einer
Hauptſtadt nur denken kann, und Schmutz und
Unrath nahmen mit jedem Tag mehr überhand.
Da wurde Garcia Moreno Präſident des Lan—
des, und unter ſeiner ſtarken, wenn auch oft
grauſamen Hand ſchuf ſich in Quito wirklich ein
neues Leben. Die Stadt wurde gründlich gerei—
nigt und — was mehr iſt — durch ſtrenge Be—
fehle reinlich gehalten. Die Plaza, die früher
eigentlich einem großen Stall glich, wurde mit
ſchönen Anlagen und Bäumen verſehen. Gute
Hötels entſtanden, Fremde zogen ſich her; die
durch das Erdbeben verurſachten Schäden, be⸗
391
fonders an den Kirchen, wurden ausgebeſſert,
der noch von jener Zeit her in den Straßen
lagernde Schutt weggeſchafft, kurz, der Platz auf
eine Art reftaurirt, die man früher in Ecuador
nicht für möglich gehalten hätte.
Nach Garcia Moreno kam allerdings ein an⸗
derer Präſident, und ich weiß nicht, ob dieſer ſo
gewiſſenhaft über die Arbeiten ſeines Vorgän⸗
gers wachte, aber das Land hat ſich ſeiner ſchon
wieder entledigt, weil er, wie man ſagt, in vie⸗
len Fällen mit Garcia Moreno's Grauſamkeit
verfuhr, ohne deſſen Intelligenz und Geiſt zu
beſitzen. Jetzt gerade hat das Land gar keinen
Präſidenten, aber man glaubt allgemein, daß
Garcia Moreno wieder vom Volke gewählt, und
dann die Wahl auch wohl annehmen wird, —
was jedenfalls das Beſte für den ſonſt nie zur
Ruhe kommenden Staat wäre.
Am Pailon beſuchte ich natürlich in verſchie⸗
denen Richtungen die nächſte Umgebung deſſel⸗
ben; aber es iſt wirklich traurig, welche Verwü⸗
ſtungen die Kühe da angerichtet haben. Wo ſonſt
reich tragende Platanare ſtanden, die den Bewoh⸗
nern des kleinen Ortes hinreichende Nahrung
gaben, liegen jetzt wüſte, verödete, zum Theil
auch ſchon mit Büſchen überwachſene Wildniſſe,
332
die auf's Neue bedeutende Arbeit erfordern,
wenn ſie wieder nutzbar gemacht werden ſollen.
Die Cacao-Anpflanzung hat ſich noch am beiten
gehalten, obgleich auch darin viele Bäume ein-
gegangen ſind. Verbeſſerungen ſchienen aber nir—
gends vorgenommen zu ſein; nicht einmal die
früheren Pfade wurden in Stand erhalten, und
führen jetzt, durch umgeſtürzte Bäume geſtört, ſo
im Zickzack und in Windungen ſelbſt nach dem
Badeplatz am Nadadero hinüber, daß man kaum
im Stande iſt, ihnen ohne Compaß zu folgen.
Ich würde den Platz — wenn nicht vom Gegen—
theil überzeugt, auch für aufgegeben gehalten ha—
ben, und alle die vielen fremden Geſichter, deren
Inhaber größtentheils faul in ihren Häuſern
lagen, machten auf mich einen nichts weniger als
freundlichen Eindruck. Doppelt peinlich wurde
derſelbe aber, wenn ich mir dachte, wie anders
das Alles hier ausſehen könnte, wenn die Leute,
welche die Mittel dazu beſitzen, ihm zu helfen,
auch das Land ſelber kennten. So aber verträumt
es nur unter ſeinen Blumen und Palmen die
Zeit, und der Zauber, der es zum Leben wecken
könnte, iſt nicht etwa ein junger, verirrter Prinz,
der es zufällig unter den Blüthen, und unbe—
wußter Weiſe das rechte und ſehr natürliche Mit-
tel in einem Kuß findet, — ſondern er heißt
proſaiſcher Weiſe Geld. Diamant kann nur mit
Diamant geſchliffen werden. Geld muß in dieſen
Weg hineingeſteckt werden, um ihn Geld tragen
zu machen, und erſt wenn dies geſchieht, blüht
für das nördliche Ecuador eine Zukunft.
Nachdem ich mich jo dann an dem alten Bailon
in der Zeit meines dortigen kurzen Aufenthaltes
nach Kräften ſelber umgeſehen und Alles gehört
hatte, was jeder Einzelne der Bewohner darüber
zu ſagen wußte, rüſtete ich mich wieder zur Rück⸗
fahrt, denn helfen konnte ich hier doch nichts
weiter, als die, in deren Hand es wirklich lag,
zur Hilfe anzuregen. Ich glaube, daß ich das
gethan, und will nun ſehen, welche Folgen es
haben wird.
Von San Lorenzo aus bekam ich nicht ſo
leicht Leute nach Tumaco, als von dort nach hier,
denn die Männer konnten ihre Familien nicht
auf vier bis fünf Tage verlaſſen, ohne vorher
genügende Lebensmittel, d. h. Platanares, für
ſie anzuſchaffen. Endlich fand ich aber doch zwei 5 1
junge Leute, und mein jetziger Lootſe, ein mit
der See vollkommen vertrauter Mann, verſicherte
mir auch, daß wir nicht den mühſamen Weg
durch die Eſteros zurückmachen, ſondern gleich
SEE | 98
hinaus in die See halten würden, um die Fahrt
außen herum zurückzulegen.
Gern wäre ich noch einige Tage in der freund—
lichen Familie des Herrn Flemming geblieben,
und ſelbſt der junge Flores zeigte ſich mir als
ein liebenswürdiger, in jeder Hinſicht freundli⸗
cher Genoſſe, aber ich hätte dann noch volle vier
Wochen aushalten müſſen, da der Dampfer nur
einmal im ganzen Monat vorbeipaſſirt und Segel-
ſchiffe ſehr ſelten gehen, und dann auch ſehr lange
Zeit zu der Fahrt brauchen. Der Nutzen aber,
den ich jetzt noch und gerade gegenwärtig brin—
gen konnte, hätte mit der Zögerung nicht im
Verhältniß geſtanden, und an einem wundervol—
len Morgen, wobei ich bemerken muß, daß es
während der Zeit meines Aufenthaltes am Pai—
lon diesmal ſehr wenig regnete, glitten wir, juſt
mit Tagesgrauen, wieder die Bai hinab und dem
offenen Meer entgegen. |
In San Pedro oder vielmehr an der gegen—
überliegenden Spitze hielten wir kurze Zeit, um
ein Gewitter vorüber zu laſſen, das uns gerade
entgegenzog und ungünſtigen Wind brachte, aber
es drehte ſeitwärts ab, und bald konnten wir
mit geblähtem Segel und bei günſtiger Briſe
unſer kleines Canoe gerade der Punta de las
335
Manglares entgegenhalten. Doch nicht lange;
um Mittag ſchlief der Wind ein und wurde nach⸗
her ungünſtig, ja kam uns zuletzt ſo gerade ent⸗
gegen, daß wir das Land anlaufen mußten, um
dort zu übernachten und nicht wieder zurückge⸗
trieben zu werden.
Den Abend fand ich noch Gelegenheit, eine
Menge verſchiedener an den Strand geſpülter
Samen zu ſammeln, und am nächſten Morgen
mit Tagesanbruch ſetzten wir unſere Reiſe fort.
Die Fahrt war reizend, und das Canoe aller-
dings nicht ſo ſehr groß, aber doch an jeder
Seite mit einer Balſa oder einem Stamm ſehr
leichten Holzes verſehen, ſo daß es, ſelbſt weit
draußen in See, nur ſehr ſelten eine Kleinig⸗
keit Waſſer übernahm. Wir tanzten auch ganz
prächtig in einer ziemlich langen Dünung hin,
und als ſich noch dazu eine friſche Briſe erhob
und wir das Segel ſetzen konnten, wurde es wirk-
lich eine herrliche Fahrt.
Die See hob ſich allerdings ein wenig und
zeigte ſchon hie und da kleine, ſpritzende, weiße
Kämme, und manchmal, wenn der Wind das
leichte Fahrzeug faßte, hob er es ordentlich bis
auf die äußerſten Spitzen der Wogen und ſchau⸗
kelte es herüber und hinüber; aber die Balſas
336
hielten es ſicher, daß es nicht umſchlagen konnte,
und gegen Abend endlich — wobei ich noch einen
tüchtigen Fiſch an meinem nachſchleifenden Berl-
mutterhaken fing, liefen wir in den ſchmalen
Canal zwiſchen Tumaco und dem Feſtland ein,
und bald darauf legten wir, bei höchſter Fluth,
die nur wenig Raum zwiſchen dem Strand und
den Häuſern ließ, vor meinem früheren Nacht-
quartier an.
Der Dampfer wurde übrigens erſt den näch-
ſten Tag erwartet, und es war mir gerade recht,
daß ich eine kurze Zeit — und wenn ich ſie auch
nur nach Stunden zählen konnte, auf der kleinen
freundlichen Inſel verleben durfte.
Es iſt auch kein gar ſo unbedeutender Platz,
denn nicht allein daß ein Franzoſe, der den
Haupthandel monopoliſirt, weil er eben ein Ca⸗
pital dazu beſitzt, faſt alle die im Innern, ja
ſelbſt in der Nähe an der Küſte liegenden
Plätze mit Waaren verſieht, es wird auch ein
ſehr bedeutender Fruchthandel auf Tumaco ge⸗
trieben, und zahlreiche, den Mira herabkommende
Canoes bringen dieſe an Zwiſchenkäufer, die ſie
dann wieder auf dafür a e
verladen.
Tumaco iſt dabei der Hafenplatz für die
337
nicht unbedeutenden Goldminen von Barbacoes, 1
und da beſonders dort oben eine Menge von
Kaufmannsgütern gebraucht werden, ſo bringt
der Dampfer monatlich nicht allein eine be⸗
deutende Fracht nach dem kleinen Ort (als er
das letzte Mal heraufkam, weit über 700 Ballen 15
und Kiſten), ſondern es werden auch von Tumaco
beſonders Chinarinde, Orchilla, Kautſchuk und
einige Nebenartikel verſchickt, während Mehl,
Salz, wie überhaupt alle Producte einer nörd—
lichen Zone, mit europäiſchen oder nordameri⸗
kaniſchen Induſtriewaaren dafür den Austauſch
bilden. Uebrigens nimmt der Dampfer auch von
hier nicht ſelten bedeutende Sendungen von
Goldſtaub mit, während die von Barbacoes nach
Panama gehenden Handelsleute ihre Waaren, |
die ſie einkaufen, meiſt mit Goldſtaub zahlen.
Nun ſollte man allerdings denken, daß Tu⸗
maco ein kleiner, wirklich reicher Platz ſein
müſſe, und Thatſache iſt, daß von Einzelnen
Geld genug verdient wird. Wer aber von Frem⸗ |
den hierher geht, hält ſich nur eben zu dieſem
Zweck hier eine Zeit lang auf, nimmt ſich — ſo
lange er hier bleibt — in wilder Ehe eine ein⸗
geborene Frau, und lebt indeſſen, mit deren
Hilfe, ſo ärmlich und einfach wie die übrigen
Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. 22
398
Landeskinder auch. Wirklich dauerhafte oder nur
mit Ziegeln oder Schiefer gedeckte Häuſer findet
man deshalb nirgends. Es iſt Alles nur tem⸗
porär aus Bambus gebaut und mit Palmblättern
gedeckt: nur ſehr wenig Häuſer mit Bretterwän⸗
den, und das Städtchen, bei dem die hohe Fluth
kaum einen Seitenweg zum Paſſiren läßt, macht
deshalb auch keinen impoſanten Eindruck, ſobald
man es erſt einmal betreten hat — aber es ſieht
immer noch golden gegen Buenaventura aus,
denn nicht eine einzige ſolche elende Hütte, wie
ſie dort halbe Straßen füllen, ſteht in der kleinen
Inſelſtadt.
Seinen Deutſchen hat aber Tumaco ebenſo—
gut wie Buenaventura oder jeder andere Punkt
der bekannten Erde, wenn auch dieſer Deutſche
eigentlich ein polniſcher Jude iſt, der aber recht
gut deutſch ſpricht und mit einer deutſchen Frau
verheirathet iſt. Sonſt leben hier noch einige
Franzoſen, die recht gute Geſchäfte machen, und
dann ein Italiener. Engländer oder Amerikaner
ſind keine hier anſäſſig, ſie halten ſich meiſt im
Innern, in dem kleinen Städtchen Barbacoes,
nahe den Goldminen auf.
11.
Panama.
Der erwartete Dampfer kam erſt ſehr ſpät
Abends, als ich ſchon ruhig in meiner Hänge—
matte ſchaukelte, ein; ich brauchte aber nicht viel
Zeit zu meinem Gepäck, in kaum einer halben
Stunde war Alles geordnet, in ein Canoe und
zu dem Dampfer hinübergeſchafft, und etwa ein
Uhr in der Nacht glitten wir ſtill und ge—
räuſchlos in See hinaus, und jetzt mit ziemlich
günſtiger Briſe wieder nicht ſehr weit vom
Ufer ab nach Nordweſten unſerem Ziel, Panama
entgegen.
Die Fahrt ſelber bot nichts Intereſſantes,
ebenſowenig die Geſellſchaft der Paſſagiere, um
die ich mich denn auch wenig genug kümmerte.
Uebrigens hatten wir eine junge Sängerin an
22 *
340
Bord, mit einer niedlichen und ſehr gewandten
Stimme, die den ganzen Tag über trillerte und,
ſowie die Nacht anbrach, laut zu fingen anfing.
Sie ging in Buenaventura an Land, um von da
nach Bogota zu gehen und Concerte zu geben. —
Auch nicht übel — das waren etwa vierzehn Tage
Reiſe, theils im Canoe, theils auf unwegſamen
Straßen zu Maulthier oder gar zu Fuß, und
jeden Tag wenigſtens achtzehn Stunden Re—
gen. Wenn die Dame nicht mit einem lebens—
länglichen Schnupfen nach Bogota gekommen
iſt, giebt es keine Wettereinflüſſe mehr.
Endlich — am vierten Abend und zwar ſchon
nach zehn Uhr, ſichteten wir die der engliſchen
Compagnie gehörende Inſel, die aber noch etwa
zwölf Miles ab von der eigentlichen Stadt Pa⸗
nama und dem Iſthmus liegt, ankerten dort,
und mußten richtig bis zum nächſten Morgen
warten, ehe der kleine, zu dieſem Zweck benutzte
Fährdampfer der Geſellſchaft ankam, die Paſſa—
giere und ihr Gepäck an Bord nahm und uns
dann raſch hinüber an feſtes Land brachte, das
ich an die ſer Stelle zum dritten Male betrat.
Wenn es übrigens einen Ort in der Welt
giebt, den die Natur ſchon von vornherein zu
einer großen Durchfahrt für Menſchenverkehr
341
und Handel beſtimmt hat, fo ift das unſtreitig
das an der ſchmalſten Stelle des Iſthmus in
günſtigſter Lage erbaute Panama. Ein Verkehr
zwiſchen den unmittelbar nördlich und ſüdlich
liegenden Diſtricten, zwiſchen Mittelamerika und 15
der alten Republik Columbien, exiſtirt allerdings
gar nicht, denn die beiden Theile der Continente
haben zu vollkommen gleiche Producte, aber da—
für kreuzen ſich deſto lebhafter die Handels-In⸗
tereſſen zwiſchen Oſt und Weſt, denn die Fahrt
um Cap Horn herum wird immer eine lange
und gefährliche bleiben, und es gab nichts Na-
türlicheres als den Wunſch, die Schwierigkeiten
zu überwinden, welche der zwar ſchmale, aber
trotzdem einen feſten Damm vorſchiebende Land⸗
ſtreifen des Iſthmus der Schifffahrt, und durch
ſein ſumpfiges Terrain ſelbſt einem Landver⸗
kehr bot. |
Lange Jahre beſchäftigte ſich auch die Spe-
culation mit dieſem Problem, aber es blieb nur
bei zahlloſen Projecten, denn die Schwierigkeiten
waren zu enorm — ja man wußte nicht einmal,
wo man für dieſe Sümpfe Arbeiter herbekom⸗
men ſollte. Wer garantirte überhaupt, daß
ſich eine ſolche Unternehmung lohnen würde, denn
der Verkehr mit dem Weſten war damals doch
342
noch immer im Verhältniß unbedeutend. Da
kam die Entdeckung des Goldes in Californien
dem Werk zu Hilfe, und wo es früher nicht mög⸗
lich geweſen wäre, auch nur den zehnten Theil
der Arbeiter zu finden, da ſtellten ſich jetzt un⸗
geahnte Hilfsmittel zu Gebote, welche die Rie—
ſenarbeit zu einem Spiel machten.
Der Goldſchwindel hatte das Menſchenvolk
gefaßt. Jeder kräftige Mann in Nordamerika,
der nicht augenblicklich die Mittel auftreiben
konnte, um Californien zu erreichen und in ſechs
Wochen ein ſteinreicher Mann zu werden, hielt
ſich für unglücklich und vom Schickſal verfolgt,
und als die Panama⸗Eiſenbahn⸗Compagnie Allen,
die vier Wochen an der Bahn zwiſchen Aſpinwall
und Panama arbeiten wollten, freie Paſſage nach
Californien bot, ſtrömten die Arbeiter in ſolcher
Maſſe herbei, daß die Compagnie wenigſtens
zwiſchen New⸗York und Aſpinwall kaum Dampfer
genug auftreiben konnte, um die Reiſe- und Ar⸗
beitsluſtigen zu befördern.
Was waren vier Wochen Straßenbau gegen
die Gewißheit, in ſpäteren vier oder ſechs Wo—
chen ein ſteinreicher Mann zu werden, wie das
in Californien natürlich gar nicht ausbleiben
konnte, und mit einer wahren Wonne gingen
343
die Leute an die Arbeit. Das allein aber war
es, was den Rieſenbau vollendete. Unter ande⸗
ren Umſtänden würden die Leute, ſobald ſie ſa⸗
hen, welche furchtbare Sumpfarbeit ihnen oblag,
kaum wenige Tage ausgehalten und das Ganze
nachher in Verzweiflung aufgegeben haben. Aber
hier wirkte das californiſche Gold. Sie wuß⸗
ten, daß fie ihre beſtimmte Zeit der eingegan⸗
genen Verpflichtung treu bleiben mußten, wenn
ſie überhaupt den Nutzen der ganzen, ſchon ge—
thanen Arbeit ernten wollten, und ſie ſtrengten
dazu ihre letzten Kräfte an.
Die Geſellſchaft der Panama⸗Eiſenbahn hatte
ſehr viele Perſonen auf der Strecke zwiſchen 4
New⸗York und Aſpinwall oder Colon zu beför⸗
dern — ſehr wenige dagegen auf der andern
Seite, zwiſchen Panama und San Francisco,
denn die armen Teufel ſtarben wie die Fliegen,
und wurden, wo ſie niederſanken — auch in dem
weichen Schlamm der Halbinſel beerdigt. Sie
arbeiteten einen Theil — Manche auch ihren
ganzen Contract ab, aber die Geſellſchaft brauchte
die zweite Hälfte ihrer Verſprechungen gewöhn—
lich nicht weiter zu erfüllen und durfte ihnen nur
ein Grab geben und für neue Zufuhr ſorgen.
Dadurch wurde die Aſpinwall-Eiſenbahn be⸗
Er
{ a endet, und es iſt reine Thorheit, wenn Leute jetzt
noch die Idee haben, dort einen Canal durch das
Land zu graben. Die Eiſenbahn hat etwa 10,000
Menſchenleben gekoſtet, der Canal, der natürlich
ſo viel längere Zeit in Anſpruch nähme, würde
in dem giftigen Klima hunderttauſend opfern
e wenn ſie ſich eben dazu hergäben. Aber der
Hebel, der ſie früher dazu trieb: die Sagen des
enormen californiſchen Goldreichthums, fehlt;
man hat jetzt billigere Wege, hinüber zu gelan—
gen, und dieſer Plan wird deshalb nie zur
Ausführung kommen. Aber das thut auch nichts
— die Eiſenbahn genügt auf dieſer Strecke voll—
kommen, und hat jedenfalls zwei der bedeutend—
ſten Handelsſtädte — und ſei es auch nur haupt⸗
ſächlich für den Commiſſionshandel, in's Leben
gerufen: Panama und Aſpinwall.
Es iſt wirklich der Mühe werth, dieſen Ver-
kehr zu ſehen, um ihn zu begreifen, und kein
Tag faſt im ganzen Jahr vergeht, wo nicht an
einem der beiden Plätze ein oder der andere
große Weltdampfer anlegt und neues Leben in
das Innere wirft.
In Aſpinwall landen die Dampfſchiffe von
New⸗York, England und Weſtindien und ver-
mitteln durch St. Thomas den Verkehr mit der
345
ganzen, im Oſten wie zugleich nach Nord und
Süd liegenden Welt, während in Panama eine
Linie die Verbindung mit dem Norden und da=
durch mit Japan und China offen hält, während
die ſüdliche Linie die ganze Weſtküſte Südame⸗
rikas beſtreicht, in Valparaiſo nächſtens mit der
Cap⸗Horn-Dampfſchifffahrt in Verbindung treten 5
wird und zugleich eine Panama⸗Auſtralien⸗Linie
direct nach Weſten durch die Inſeln läuft.
Man kann ſchon jetzt mit den verſchiedenen
und vollendeten Dampfſchiff-Verbindungen in
kaum hundert Tagen eine Reiſe um die ganze
Erde machen, und Panama iſt dabei bis jetzt der
Mittelpunkt der ganzen Fahrt.
Allerdings droht dieſer Landenge in dem rieſi—
gen Unternehmen der nordamerikaniſchen Bacific-
Eiſenbahn eine bedeutende und gefährliche Con—
currenz, denn alle die nach der Union und Eng:
land oder Europa beſtimmten chineſiſchen Producte
und Fabrikate werden, ſobald die Bahn vollendet
iſt, jedenfalls dieſen Weg einſchlagen, da er Geld
und Zeit und beſonders eine Umſchiffung erſpart;
aber ſelbſt das wird ſich in der Folge als nicht
ſo erheblich herausſtellen, denn wir finden ja
überall den Beweis, daß erhöhte Verkehrsmittel
auch den Verkehr ſelber ſteigern und dadurch das
55
ih
346
ſcheinbar Verlorene leicht erſetzen. Bis jetzt hat
die ganze Oſtküſte Südamerikas gar keinen di—
recten Verkehr mit dem ganzen übrigen Amerika
gehabt, und ein Verſuch, zwiſchen Rio Janeiro
und Panama eine Dampferverbindung zu unter-
halten, mißlang. Das wird und muß jetzt anders
werden, denn der rege und raſche Verkehr, der
durch die China-Dampfer wie durch die von Ba-
nama ausgehenden, nach Auſtralien beſtimmten
Dampfer erweckt iſt, kann nicht verfehlen, auch
Braſilien mit in den Verkehr zu ziehen, und da-
durch eröffnet ſich für Panama, ſtatt der verlo—
renen, eine andere neue Erwerbsquelle.
Was übrigens die neugranadiſche Regierung
— eine Muſterwirthſchaft ſchon ſeit Menſchenge—
denken — thun konnte, um den kleinen Platz Pa-
nama nicht emporkommen zu laſſen, hat ſie auch
ſicher und mit der größten Geſchicklichkeit gethan.
Wo irgend ein anſtändiges Haus erbaut iſt,
haben das Fremde, Engländer, Amerikaner,
Deutſche, Franzoſen oder Spanier, gethan. Die
Werfte ſind von den verſchiedenen Geſellſchaften
ſelber erbaut, die Eiſenbahn wird von ihnen un⸗
terhalten, und man ſollte nun wenigſtens glau-
ben, daß ſie den Fremden dankbar dafür wäre
— aber weit gefehlt. Der kleinliche Neid bricht
347
überall hervor, und ſelbſt das Einzige, was das
neugranadiſche Gouvernement thun ſollte und
müßte, die Sicherheit von Eigenthum und Per⸗
ſon im Lande aufrecht zu erhalten, wird unter⸗
laſſen.
Eine Anzahl neugranadiſcher Soldaten —
eine ſo ruppige Bande, wie man ſie kaum in
Venezuela findet — marſchirt allerdings mit der
doppelten Anzahl Trompeter dann und wann
durch die Stadt oder ſteht an einzelnen öffent⸗
lichen Gebäuden (öffentlich aber im wahren Sinne
des Wortes) Poſten. Sie werden auch dazu
verwandt, dann und wann einmal einen betrun⸗
kenen Matroſen zu verhaften, was ihnen jedoch
ſtets nur mit Hilfe der halben Bevölkerung ge—
lingt, ſonſt ſind ſie zu nichts nütze, und ein
paar gelbgrüne Jünglinge in Officiertracht, die
in der Stadt mit ſchweren Goldſtickereien einher—
ſchlendern, mögen vielleicht zum Zierath dienen,
haben aber ſonſt ſcheinbar keinen Zweck. Die
Sicherheit iſt deshalb in Panama ſowohl als in
dem gegenüberliegenden Aſpinwall ein völlig
eingebildeter Begriff, Mordthaten kommen nichts
weniger als ſelten vor, und faſt in allen Fällen
find die Verbrecher Eingeborene — aber die Re⸗
gierung iſt ſanft. „Wer ſich ſchuldlos weiß,
5 1
348
werfe den erſten Stein auf ſie!“ hat ſchon Chri⸗
ſtus geſagt. Sie werfen aber nicht; ein ertapp-
ter Verbrecher wird zu ein paar Monaten Ket⸗
tenſtrafe verurtheilt, dann läuft er, ehe er die
Hälfte ſeiner Zeit geſeſſen, davon, und die fatale
Sache iſt abgemacht.
Ganz in der letzten Zeit ſind wieder ein paar
freche Mordthaten vorgefallen, ohne daß man
ſich auch nur die geringſte Mühe gegeben hätte,
der Mörder habhaft zu werden — und wie auch?
Dieſe Polizeidiener und Soldaten, welche, die
erſteren mit Knüppeln, die anderen mit Mus⸗
keten bewaffnet, durch die Straßen wandeln, ge—
hören einem jo verkommenen, erbärmlichen Men—⸗
ſchenſchlage an, daß man ſie in der Hand zer—
drücken könnte, und ich bin feſt überzeugt, daß
hundert Soldaten irgend einer nordeuropäiſchen
Macht die ganze neugranadiſche Armee zum
Teufel jagten.
Gegenwärtig hat Neu-Granada, ſoviel ich we—
nigſtens weiß, nicht einmal einen Präſidenten —
es müßte denn kürzlich wieder einer gewählt
ſein. — Die Sache hat aber auch wirklich zu
wenig Intereſſe für die übrige Welt, denn wer
um Gottes willen kann all' den Revolutionen in
den ſpaniſchen Colonien — und das Mutterland
349
eingeſchloſſen, folgen. Es iſt rein unmöglich —
man müßte ſich denn ganz ausſchließlich damit
beſchäftigen.
Die Lage Panamas iſt reizend, und wenn
man auf den alten Wällen ſteht und über die
weite, mit Inſeln beſäete Bai hinausſchaut, ſo
kann man ſich kaum ein entzückenderes Bild
denken. Die Stadt ſelber iſt übrigens, beſon⸗
ders in Betracht ihrer großartigen Handelsver—
bindungen, ganz unverhältnißmäßig klein, denn
in zehn Minuten kann man ſie bequem von
einem Ende bis zum andern durchwandern.
Was dabei gut und dauerhaft in ihr iſt, haben
auch ſicher die alten Spanier oder neuerdings
Fremde gebaut. Beſonders erwähnen muß ich
hierbei die alten, aber auch ſchon ſehr vernach⸗
läſſigten Feſtungswerke der Spanier. Die jetzige
Race ſchafft nichts Neues, ja reparirt nicht ein⸗
mal das Alte — wozu auch? — Es iſt als ob
ſie es ſelber fühlten, daß ſie auf dieſem Terri⸗
torium keinen Beſtand haben werden — befindet
es ſich doch jetzt ſchon factiſch in den Händen
der Amerikaner.
Panama ſelber betritt man vom Meer aus
durch ein enges Thor, an welchem eine Truppe
neugranadiſcher Soldaten — barfuß natürlich,
350
Wache hält. Wozu? weiß kein Menſch, denn
Panama iſt ein Freihafen, es kann Alles, was
man einführen will, unbeläſtigt an Land geführt
werden. Sollten ſie alſo als Schutz, gegen den
Ueberfall einer fremden Macht da ſtehen! Du
lieber Himmel, was wollte dieſe Handvoll Sol-
daten dagegen machen?
Paſſirt man nun dieſen militäriſchen Poſten,
durch den man aber nicht im geringſten beläſtigt
wird, ſo wandert man durch eine enge, etwa
dreihundert Schritt lange Straße, die aus nie—
deren, einſtöckigen Häuſern beſteht, der Plaza
zu und befindet ſich dann ſchon etwa mitten in
der Stadt, während man faſt durch alle Straßen,
wohin man auch ſieht, die breite gelbe Feſtungs⸗
mauer ſehen kann, die den kleinen Platz umzieht.
Uebrigens bietet das Innere der Stadt, wie
ſich nicht leugnen läßt, durch ſeine zerfallenen
Klöſter und Kirchen einen höchſt pittoresken An—
blick, und wenn die alte zerſprungene Glocke der
einzigen von allen benutzten zu läuten, oder viel-
mehr zu klappern anfängt, wird es ordentlich
unheimlich.
Beſonders maleriſch iſt die Ruine des einen
großen Kloſters, in deſſen Hofräumen jetzt ein
paar Ställe mit modernen Bretterdächern ein⸗
351
gebaut ſind. Die weißröthlichen Wände ſtürz—
ten natürlich ſchon vor langen Jahren nach
allen Richtungen ein, aber Bäume und Büſche
wachſen jetzt darauf, wie in den eingebrochenen
hohen Fenſtern, und einzelne noch ſtehende
Säulen und Bögen geben, beſonders in heller
Mondſcheinnacht, ein prachtvolles, wenn auch
wildes Bild.
Einen noch grelleren Contraſt bot aber eine an=
dere Kirche, in welcher, der alten Kirchenſprache
nach, „der Teufel ſeinen Tummelplatz aufgeſchla⸗
gen,“ das heißt, ſündhafte Menſchen ein Theater
hineingebaut hatten. Anfangs ſollen ſich auch
beſonders alte, würdige Damen der Stadt theils
von weißer, theils ſchwarzer Farbe auf das ent—
rüſtetſte gegen eine ſolche Profanirung ausge-
ſprochen haben, ſo daß ſich der Director endlich
veranlaßt fand, einen Verſuch zu machen, um
die möglicher Weiſe gegen ihn angeregte Stim—
mung zu verſöhnen. Das muß ihm auch voll—
ſtändig gelungen ſein, denn das Theater wird
jetzt von allen Ständen, nur natürlich nicht den
Geiſtlichen, beſucht. Das Mittel war aber, daß
er im erſten und zweiten Rang Schilder auf:
hängen ließ, welche über eine ganze Abtheilung
or
reichten, und auf dieſen ſtanden mit großen
Buchſtaben die beſonderen Widmungen.
In der Mitte, dem ſogenannten Cercle, auf
der erſten Gallerie ſtehen die Worte: „Al bello
Sexo de Panama“, und auf der erſten Gallerie
Starbordſeite noch einmal die Widmung der
Schönheit: „A la belleza““, dann aber kam die
Verſöhnung. Auf der erſten Gallerie Backbord
ſtand: „Al Talento“, auf der zweiten die beiden
Schilder: „A la civilizacion“ und „A la cultura“.
Gegenüber aber auf der zweiten Gallerie Starbord
waren Grazie und Tugend vertreten. Auf dem
einen Schilde ſtand: „A la gracia“, auf dem
andern: „A la virtud“. Sonderbarer Weiſe ſaß
hinter der Tugend Niemand — das kann aber
auch nur ein Zufall geweſen ſein.
Jedenfalls iſt dieſe Art von Ueberſchriften
eigenthümlich und ſieht faſt ſo aus, wenn es
auch anders gemeint ſein mag, als ob man die
Zuſchauer klaſſificiren wollte.
Ohne Deutſche oder überhaupt Fremde, und
dann, wenn nicht Deutſche, doch Franzoſen,
bringen die Neu⸗Granadier aber natürlich kein
Theater fertig. In der Muſik fehlte es total,
und ein junger, ſich hier gerade zufällig aufhal⸗
tender Deutſcher mußte im Orcheſter wenigſtens
353
das Pianoforte ſpielen, wohinein dann die Vio⸗
linen der Eingeborenen falſch und außer Tact
einfielen, wann und wie es ihnen beliebte. Der
Deutſche ſpielte das Inſtrument vortrefflich; die
neugranadiſchen Virtuoſen kamen mir aber vor
wie Jungen, die nach Schwalben mit Steinen
werfen. Sie zielten immer auf beſtimmte Töne,
trafen ſie aber nie und warfen faſt immer
hinterher.
Ueber das Spiel der Geſellſchaft läßt ſich
wenig ſagen; ich bleibe aber dabei, wenn man
Theater ſehen will und macht nur die geringſten
Anſprüche, ſo muß es entweder ganz ausgezeichnet
oder ganz unter der Würde ſein, und in beiden
Fällen wird man ſich amüſiren; das Mittel⸗
mäßige iſt dagegen in keiner Kunſt ſchreck⸗
licher als in der dramatiſchen, und ſtraft ſich in
keiner mehr.
Ein anderer Deutſcher hatte die Decorationen
ganz geſchickt gemalt. Zu dem erſten Stück:
„El estreno de una artista o el grand duque
Leopoldo“, das ich mit anſah, war der Autor 5
nicht genannt; es mag aber jedenfalls ein ſpa⸗
niſcher oder ſüdamerikaniſcher ſein, denn der
Großherzog Leopold war außerordentlich edel
Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. 23
und trat immer auf, wo er nothwendig gebraucht
wurde.
| Durch die beiden jungen Deutſchen erhielt
ich oben Zutritt auf die Bühne und benutzte
die mir gewordene Erlaubniß augenblicklich, hin⸗
ter den Verſatzſtücken und den Hintergrund
durch, das Innere der alten Kirche zu erforſchen.
Ich ſollte es nicht bereuen, denn es war ein
ganz wunderbarer Anblick. Hier die bemalte
Leinwand, einen modernen Salon vorſtellend,
mit einer Unmaſſe Aſtrallampen und eleganten
Verzierungen, und dahinter — ich erinnere mich
nicht, je etwas Aehnliches geſehen zu haben —,
dicht dahinter die alte Kirchenruine mit ihren
dunklen, zerklüfteten, buſchbewachſenen Mauern,
die blanken Sterne in den düſtern, unheimlichen
Hof herniederſchauend!
Was für Erinnerungen knüpften ſich viel-
leicht an dieſes Gebäude, und welche Gegenwart
belebte es jetzt! Ich konnte mich von dem An⸗
blick kaum losreißen und mußte es doch zuletzt,
denn die Klingel ertönte und der Vorhang ſollte
aufgehen, welcher der draußen harrenden „Schön—
heit und Tugend“ einen Einblick in das Heilig⸗
thum der Kunſt verſtattete.
Uebrigens erhielt ich hier auch, und zwar
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eine recht traurige Kunde von einem früheren
alten Bekannten aus Quito — dem kleinen Uhr⸗
macher aus der Poſada San Antonio, auf den
ſich Leſer meiner früheren Reiſen vielleicht noch
beſinnen, wenn ich ihnen ſeinen Handel mit
Oelgemälden und Kolibris in's Gedächtniß zu⸗
rückrufe. Er hatte Quito endlich mit all' ſeinen
Habſeligkeiten und Schätzen verlaſſen und wollte
ſeine Oelgemälde nun entweder in Süd- oder
Mittelamerika verwerthen, denn in Europa hätte
er wohl kaum einen Markt dafür gefunden.
8 =,
In Panama quartierte er fich auch in einem
anſtändigen Gaſthof ein — aber er war ein an⸗
ſtändiges Leben nicht mehr gewöhnt, oder der
Platz ihm auch um eine Kleinigkeit zu theuer.
Trotzdem alſo, daß er dabei ein recht hübſches
und mühſam genug angeſpartes Vermögen in
baarem Gelde bei ſich trug, zog er dort aus und
in eine der ordinärſten und billigſten Kneipen
hinein, und der Erfolg war ein ſehr trauriger.
Er bekam das gelbe Fieber oder eine andere
ſchwere Krankheit — einzelne Leute in Panama
wollen ſogar behaupten Gift — kurz er ſtarb, a |
und nur ein Theil ſeines Vermögens wurde durch
das Einſchreiten des preußiſchen Conſuls in
Panama, Herrn Cunau, ſeinen Verwandten da=
237
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Erbe
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W
| 356 2
heim gerettet. Daß der Todte übrigens, ehe das
geſchehen konnte, in bedeutender Weiſe beſtohlen
. 8 wurde, unterliegt gar keinem Zweifel, und es
war mir wirklich ein wehmüthiges Gefühl, als
ich in Panama ſelber in einigen Läden die aus
feinem Nachlaß um einen Spottpreis verauctio⸗
nirten Gegenſtände, an deren Erwerb er die
beiten Jahre ſeines Lebens verwandt, zum Ver—
kauf ausgeſtellt ſah.
Der Markt in Panama gehört zu den er—
bärmlichſten, die ich je im Leben geſehen, und
beweiſt, daß in Panama ſelber, trotz dem frucht—
baren Boden, der es umgiebt, wenig oder gar
nichts an Landesproducten gezogen wird. Außer
dem ſieht das dort aufgehangene Fleiſch ſo
5 ſchwarz und unappetitlich aus, daß man ſich das
Fleiſcheſſen unter dieſer Breite ganz abgewöhnen
möchte.
Panama wie Aſpinwall oder Colon ſind übri⸗
gens Freihäfen, und es läßt ſich denken, wie
das den Verkehr heben mußte, da es ihm überall
freien Spielraum gab. Von Aſpinwall aus
gehen deshalb auch die Waaren raſch nach Pas
nama hinüber, und da ſie hier durch keine enorme
Steuer vertheuert werden, jo kommen die Händ—
ler der ganzen weſtlichen Küſte, ſoweit dieſelbe
557
mit Dampfern oder kleinen Fahrzeugen zu er⸗
reichen iſt, hierher und kaufen ihre Waaren für ke
den Detailhandel ein. Deutſche und Spanier
haben dort die größten Importgeſchäfte und ver-
dienen dabei natürlich viel Geld.
Manche Sachen kauft man hier aber auch —
wenn man bedenkt, daß man ſich in einem über⸗ 5
ſeeiſchen Land befindet — zu ganz erſtaunlich
billigen Preiſen, beſonders Kleidungsſtücke, die
aber dafür auch einen Hauptartikel bilden. Die
Zahl der Läden, in denen man fertige Kleidungs—
ſtücke findet, iſt wirklich Legion, und die Billig⸗
keit derſelben hat ſogar auf den californiſchen
Dampfern der Weſtküſte einen ganz neuen In⸗
duſtriezweig eröffnet.
Da nämlich die von San Francisco kommen⸗
den Dampfer ihre Paſſagiere gewöhnlich dire et
über die Landenge führen, ſo daß ihnen gar
keine Zeit gegönnt wird, in Panama ſelber Ein⸗
käufe zu machen, ſo haben die Barbiere dieſer
Fahrzeuge zugleich einen Handel mit Kleidern
und Schuhwerk angelegt, und die Barbierſtube
auf ihnen ſieht deshalb genau aus wie ein Kleider
laden. Dieſe Alle kaufen ihren Bedarf in Pa⸗
nama, und da ſie ſich mit einem geringen Nutzen
begnügen, ſetzen ſie auch ziemlich viel ab.
358
Panama ſollte eigentlich ſehr gute Hötels "
haben, läßt aber darin noch Manches zu wün⸗
ſchen übrig. Das ſogenannte Grand-Hötel iſt
0 das größte und ein ſtattliches Gebäude an der
Plaza, über die Koſt darin wurde aber geklagt
und das Aſpinwall⸗Hötel ihm vorgezogen — das
find aber auch die beiden einzigen, und Fremde
ſollten ſich beſonders davor hüten, gerade an
dieſer Stelle in einem Hötel zweiten Ranges,
von denen es allerdings genug giebt, einzukehren,
denn wenn ſie auch in den größeren etwas mehr
bezahlen müſſen, haben ſie doch auch mehr Sicher—
heit für ihr Eigenthum.
Eigenthümlich iſt in Panama, daß man nur
„ zwei Arten von Häuſern darin findet, und zwar,
wie ſchon vorerwähnt, Kleiderläden mit einer
Auswahl von anderen Dingen dabei, wie ſich
natürlich von ſelbſt verſteht, und dann kleine,
offene Buden, in denen, wenn man hineinſieht,
eine Anzahl Flaſchen auf Regalen ſtehen und den
Eindruck machen, als ob darin ſpirituöſe Ge—
tränke verkauft würden. Das iſt aber nicht wahr
— meiſt in Allen ſind das leere Flaſchen, die
ſonderbarer Weiſe dort zur Schau ausgeſtellt
werden, und deren Eigenthümer dann meiſt immer
jüngere oder ältere Damen ſind.
389
Was die Literatur Panamas betrifft, ſo be⸗
ſchränkt ſich dieſelbe auf zwei, halb in engliſcher,
halb in ſpaniſcher Sprache herausgegebene Zei⸗
tungen, der Star und Herald, von einem Eng⸗
länder und Deutſchen, die Chronicle, von einem
Amerikaner und Deutſchen redigirt. Beides ſind
allerdings mehr commerzielle Blätter, aber doch,
ihrer Verbindung mit den benachbarten Theilen
Amerikas wegen, von nicht geringer Wichtigkeit.
Sie bringen jedenfalls aus allen dieſen kleinen
Republiken die neueſten und ſicherſten Nachrich⸗
ten und haben deshalb auch eine unverhältniß⸗ 1
mäßig große Verbreitung nach dem Ausland.
Panama macht auch in dieſer Hinſicht ſeine vor⸗
theilhafte Lage geltend; daß aber die Neugras
nadienſer ſelbſt eine höchſt untergeordnete Rolle
in dieſer neugranadienſiſchen Literatur ſpielen,
verſteht ſich von ſelber. Sie kommen gar nicht
in Betracht.
Wandert man übrigens durch Panama, ſo
ſieht es faſt ſo aus, als ob es in den letzten
Jahren eine Unmaſſe von Belagerungen mitge-
macht hätte und verſchiedene Male beſchoſſen
wäre, denn überall trifft man Häuſer und be⸗
ſonders Kirchen in Ruinen, und doch erfreute
ſich gerade dieſe Stadt, unter dem Schutz der
75 — n
u
.
360
Fremden, einer faſt ungeſtörten Sicherheit. Die
Ruinen ſind aber nur eine Folge der Faulheit
dieſer Race, und was hier im Land gebaut wurde,
geſchah — wenn es alt iſt, durch die Spanier
— wenn neu, durch den Unternehmungsgeiſt von
Amerikanern und Engländern, die Eingeborenen
hatten wahrlich keine Hand darin. Amerikaner
wie Engländer legten aber ihre Bauten meiſt
außerhalb der Stadt, beſonders auf den dem
Schiffsverkehr mehr günſtigen Inſeln an, von
denen ſie einige in beſonderem Beſitz halten, und
deshalb hauptſächlich liegt jo vieles Grundeigen—
thum in der außerdem kleinen und mit Raum
beſchränkten Stadt noch leer und unbenutzt.
Die Amerikaner haben ſich beſonders nach
der Eiſenbahnſtation hinausgezogen und dort auch
ein vortreffliches Werft gebaut, an dem die
kleinen Lichter⸗Dampfer anlegen können. Die
Engländer, die auch in Aſpinwall ein ſchönes
Werft und eine eiſerne Kohlenniederlage gebaut
haben, beſitzen draußen in der Bai von Panama
eine eigene kleine Inſel, wo die Dampfſchiff⸗
Geſellſchaft ihre Docks, Niederlagen und Arbeiter—
wohnungen hat. In Panama ſelber halten ſie
ſich nicht viel auf — größere Dampfſchiffe können
auch nicht einmal bis dicht an die Stadt hinan⸗
361
fahren, und erſt wenn der Iſthmus in die Hände
der Fremden — und dann jedenfalls in die der
Amerikaner übergeht, wird die Stadt ſelber auf-
leben und eine größere Bedeutung erlangen.
— Bis jetzt iſt ſie nichts weiter als ein großes
Hötel, in dem eine Maſſe von Fremden aus- und
eingehen, während auch einzelne Familien —
aber doch nur eben einzelne, Wohnung darin
nehmen. Dieſe beſuchen ſich auch wohl dann
und wann untereinander — man ſieht wenigſtens
manchmal Abends einen Neger, der eine Anzahl
von Damen nach Hauſe bringt und dabei eine
ſinnreiche Erfindung von fünf zuſammengeſtellten
Laternen auf dem Kopf trägt — aber die Frem⸗
den ſelber haben keinen einzigen Vereinigungs⸗
punkt — den Schenkſtand ihres eigenen Hötels
ausgenommen. Wozu auch — fie bleiben höch—
ſtens zwei oder drei Tage hier — ſo lange ſie
eben müſſen, und ſtrömen dann wieder nach allen
Compaßſtrichen auseinander.
Uebrigens iſt das Leben in Panama als weit
theurer verſchrieen, als es ſich wirklich heraus—
ſtellt, und man lebt hier thatſächlich billiger, als
irgendwie in Mexiko oder gar jetzt einer Stadt
der Vereinigten Staaten. Das leidige Hazard—
ſpiel freilich, was überall in dieſen ſpaniſchen
362
Ländern geſtattet iſt, verleitet Viele, ihr Geld
a a dabei aus dem Fenſter zu werfen, und in je dem
Hötel findet ſich dazu die Gelegenheit. Wer aber
thöricht genug iſt, ſich von falſchen Spielern
rupfen zu laſſen, darf ſich nachher auch nicht
darüber beklagen und hat ſich die Schuld ſelber
zuzuſchreiben.
Gegenſtände, die man fertig kauft, kann man
in keinem amerikaniſchen Hafen, ohne Aus⸗
nahme, billiger bekommen, als eben in Panama,
aber Gnade Gott freilich dem, der einem der
dortigen Handwerker in die Hände fällt. So
kaufte ich mir zum Beiſpiel ein paar gute Bein⸗
kleider für 3 Dollars — an der einen Seite
war die Naht etwa 1½ Zoll weit aufgegangen
und ich mußte die 12 oder 16 Stiche daran extra
mit 50 Cents bezahlen. Wer ſich auf dieſem
Iſthmus niederläßt, thut es nur, um von den
Fremden ſo raſch als irgend möglich reich zu
werden, und daß er dabei keine Gelegenheit ver—
ſäumt, läßt ſich denken.
Die Lage Panamas iſt, wie geſagt, entzückend
ſchön, und eine reizendere Bai giebt es nicht in
der Welt — Rio de Janeiro kaum ausgenom-
men. Die zahlreichen kleinen, mit Palmen be⸗
wachſenen Inſeln umher bilden eine wahrhaft
363 i
prachtvolle Ausſicht, und das Leben, das da
draußen zwiſchen den dort ankernden Dampfern
und Segelſchiffen herrſcht, die zahlreichen Segel-
boote, die herüber- und hinüberkreuzen, die Uns
zahl von braunen großen Pelikanen, die dazwi⸗
ſchen fiſchen, bieten einen nie zu vergeſſenden
Anblick — aber umdrehen darf man ſich freilich
nicht, denn der Schmutz in den eigentlichen
Straßen der Stadt fällt Einem dann nur um ſo
unangenehmer auf. Ja, ſelbſt wenn man eine
der kleinen, auf den Palmeninſeln zerſtreuten
Ortſchaften betritt, ſieht man augenblicklich, daß
man ſich in ſüdamerikaniſchem Unrath befindet.
Die Poeſie ſchwindet, und ſelbſt die Palmen ver:
lieren ihren Reiz und Zauber.
Von der Juſtiz des Landes bekamen wir,
ehe wir die Stadt verließen, auch noch ein klei⸗
nes Beiſpiel.
Am letzten Tag meines Aufenthaltes in Pa⸗
nama hatte ein Amerikaner ſeiner Mannſchaft
erlaubt, an Land zu gehen, und die Leute be⸗
tranken ſich denn auch raſch genug und fingen
Streit untereinander an. In einer kleinen Sei⸗
tenſtraße begann der Kampf, aber man brachte
die Matroſen doch bald gütlich wieder ausein⸗
ander; — es war nichts als eine kleine Rauferei
364
geweſen, bei der ſich natürlich keine Polizei
blicken ließ. Wo zehn oder zwölf amerikaniſche
Matroſen zuſammen ſind, können ſie thun was
ſie wollen, die neugranadienſiſchen Polizeiſoldaten
hüten ſich wohl, ihnen zu nahe zu kommen. An⸗
ders geſtaltet ſich das aber, wenn ſie einen armen
Teufel einzeln überfallen können, und das ge—
ſchah noch an dem nämlichen Abend.
Einer der Mannſchaft war in das dem Aſpin⸗
wall gegenüber gelegene Kaffeehaus gegangen
und hatte ſich wollen etwas zu trinken geben
laſſen. Der Mann taumelte allerdings, betrug
ſich aber ſonſt ganz ruhig, als ihn plötzlich die
Polizei witterte, und doch wenigſtens einen
Matroſen einliefern wollte. Ob er ſich vorher
an der Prügelei betheiligt oder nicht, wußte Nie-
mand — kam auch gar nicht darauf an. Fünf
von dieſen Geſellen, mit etwa zwanzig ruppigen
Ladengehilfen als Beiſtand, machten einen An-
griff auf den Einzelnen, der ſich aber nicht im
geringſten ſeiner eigenen Fäuſte bediente, oder
er hätte den ganzen Schwarm zuſammengehauen,
ſondern Jeden, der ihn anfaſſen wollte, nur
rechts oder links bei Seite warf. Die ganze
Bande fiel da zuletzt zu gleicher Zeit über ihn
her, und die Polizeidiener zeigten dabei beſon—
365
dere Luſt, den ſchon Gefangenen und Feſtgehal⸗ 15 =
tenen mit ihren Knüppeln niederzuſchlagen. Ds
aber litten wir umherſtehenden Fremden nicht,
wenn wir uns auch natürlich nicht ſpeciell in
das Polizeiverfahren miſchen wollten.
Was wir übrigens thun konnten, thaten wir,
und vier von uns, die den ganzen Vorfall mit
angeſehen, gingen augenblicklich zum Präfecten,
um ihm den Thatbeſtand zu erklären und zu con—
ſtatiren, daß der Mann unſchuldig verhaftet ſei.
— Umſonſt. Der Präfect, ein kleiner, ſchmutzi—
ger Neugranadienſer, der aber etwas engliſch
radebrechte, war ſo grob als möglich, und wir
Vier, wüthend über den unverſchämten Burſchen,
der dabei ſeine ganze Mannſchaft hatte aufmar⸗
ſchiren laſſen, ſuchten nun den amerikaniſchen
Conſul auf, um uns als Zeugen anzubieten.
Wir fanden den Herrn auch — aber unglück⸗
licher Weiſe gerade beim Billardſpiel, in dem er
ſich natürlich nicht konnte ſtören laſſen. Aller-
dings war ein amerikaniſcher Bürger ungerecht
eingeſperrt, und mußte, wenn nicht Einſprache
geſchah, die ganze Nacht in einem feuchten, un-
geſunden Loch zubringen; aber — es war nur
ein Matroſe, und der Herr Conſul erklärte, er
werde die Sache morgen unterſuchen.
—
Pfaffen ſieht man genug, und zwar in ihrer
Ordenstracht, in den Straßen, an die Kirchen
ſelber ſcheint aber wenig genug verwandt zu
werden. Die Herren Geiſtlichen haben auch noch
| nicht wieder jo recht feſten Fuß im Lande gefaßt,
aus dem ſie vor noch nicht ſo langer Zeit der
Präſident Mosquera ſämmtlich hinausjagte; aber
— die Welt iſt rund und muß ſich drehen.
Mosquera unterlag ſeiner Seits und mußte das
Land verlaſſen, und im Handumdrehen waren
wer
jie wieder da.
Sonſt läßt ſich von Panama wenig mehr ſa⸗
gen, als daß man in unglaublich kurzer Zeit ſehr
viel Geld ausgeben kann. Dafür findet man aber
auch hier, an dieſem Stapelplatz der Welt, wie
man ihn faſt nennen könnte, eine Menge intereſ—
ſanter Sachen aus anderen Ländern der Erde,
z. B. prachtvoll geflochtene Hängematten aus
Mittel⸗Amerika, viele chineſiſche Waaren, goldene,
in Panama ſelber verfertigte Ketten (und dieſe
in der That ſehr billig), Perlen, und als Eigen-
thümlichkeit auch kleine goldene Zierathen, an—
geblich alle echt und in Neu⸗Granada und Ecua⸗
dor ausgegraben oder gefunden. Mit dem An⸗
kauf derſelben muß man aber außerordentlich
vorſichtig ſein, denn erſtlich wird ſehr viel ges
*
367
fälſcht, und dann ſind nicht einmal alle wirklich 1 23
gefundenen Sachen echt. Früher bekam man dieſe
Gegenſtände auch zu ziemlich billigen Preiſen,
jetzt hat ſich aber ein echt amerikaniſirter Deut⸗
ſcher — der leider ſein Deutſch vollſtändig ver⸗
lernt — des Verkaufs bemächtigt, und wer etwas
von ihm erwerben will, muß auch tüchtig da⸗
für bezahlen. |
Gerade damals wurde ziemlich viel von einem
Schwindler geſprochen, der unter dem alten gu=
ten Namen eines Grafen von Auersperg nicht
allein die Bewohner Panamas, ſondern auch die
von Guayaquil, Lima, St. Thomas und Havannah
arg gebrandſchatzt und mit falſchen Creditbriefen
das Unglaubliche geleiſtet haben ſoll. Beſonders
in Guayaquil, wo es ihm gelang, ſehr viel
Geld aufzunehmen, behauptet man, daß er mit
den Unzen nur ſo um ſich geworfen und viele
Leute angeführt habe. Zuletzt iſt er in New-York
geſehen worden, von wo aus er wahrſcheinlich
dem Weſten einen Beſuch abſtattet. Man ver⸗
muthet, daß er ein früherer Kammerdiener des
wirklichen Grafen ſei, der ihm abgeguckt, „wie
er ſich räuspert und wie er ſpuckt,“ ſich aber ſonſt
durch Manches verrathen ſoll, was ihn, als nicht
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368
den höheren Ständen angehörig, bloßſtellt. Das
war aber hier an der Weſtküſte Amerikas natür⸗
lich nicht ſo auffällig, und er konnte deshalb ſein
Spiel ſo lange und ungeſtraft treiben, noch dazu
da er als Deutſcher den guten Namen miß⸗
brauchte, den beſonders unſere Landsleute an
der Weſtküſte haben.
Da ich auf meinem Rückweg nach Panama
die Abſicht hatte, den Iſthmus zu kreuzen und
nach Venezuela zu gehen, ſo mußte ich mich hier
für die in Aſpinwall liegenden Dampfer ein-
ſchreiben laſſen. Leider fand ich kein directes
Fahrzeug, nicht einmal ein Segelſchiff nach La⸗
guaira, obgleich ſich manchmal dazu die Gelegen—
heit finden ſoll; lange warten konnte und wollte
ich aber nicht, und ſo ſah ich mich denn genöthigt,
den Umweg über St. Thomas zu wählen, wohin
die Paſſage von Aſpinwall aus 12½ Pf. St.
koſtete.
Am nächſten Morgen ſollte ein Extrazug nach
Panama abgehen. In der Nacht war der von
San Francisco kommende Dampfer eingelaufen,
der etwa 350 Paſſagiere mitgebracht hatte. Dieſe
mußten augenblicklich weiter nach New-York be⸗
fördert werden, und es iſt ein merkwürdiger An⸗
369
blick, zu ſehen, wie das auch ohne den geringſten
Aufenthalt geſchieht.
Der kleine Dampfer, dichtgedrängt voll Men⸗
ſchen, mit einem andern Boot noch im Schlepptau,
legt an — die Paſſagiere ſtrömen an Land und
werden augenblicklich in die ſchon für ſie bereit⸗
ſtehenden Perſonenwagen hineingewieſen, denn
Frühſtück bekamen ſie noch bei Lampenlicht an
Bord. Omnibus nach Omnibus kommt dabei
aus der Stadt, der Zug wird immer länger und
Wagen nach Wagen angeſchoben. — Jetzt ertönt
eine Trompete — die Sonne iſt eben aufgegan⸗
gen, und einige zwanzig Mann neugranadien⸗
ſiſches Militär — heute Morgen aber und viel⸗
leicht noch von voriger Woche her ungewaſchen,
marſchiren auf und beſetzen, zum großen Erſtau⸗
nen und Amuſement der Paſſagiere, die ſich ihre
humoriſtiſchen Bemerkungen laut lachend mitthei⸗
len, an beiden Seiten den Perron. Was ſie da
ſollen, begreift Niemand, denn bei einem ausbre—
chenden Tumult würden ſie höchſtens mit ihren
eigenen Ladeſtöcken geprügelt werden. Jetzt geht
der Ruf: „Alle an Bord!“ Wer ſich noch auf
ebener Erde befindet, ſpringt nach den Wagen
und wirft die im Wege ſtehenden neugrana⸗
Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. 24
n 5 vom Stillen bis z
12.
Von Panama nach St. Thomas.
Die Iſthmus⸗Bahn hat ſich, ſeit ich fie zu=
letzt geſehen, und das ſind jetzt über ſieben Jahre
her, außerordentlich verbeſſert, und es muß ges 95
waltige Arbeit daran geſchehen ſein. Aber das
iſt auch nothwendig, denn wenn die hier nur zun
üppige Vegetation die Macht gewänne, wie ſie
auch überall den guten Willen und die Kraft Se
hat, fo wäre in wenigen Monaten die Bafn
auch wieder vollſtändig überwachſen und in kaum
einem Jahre undurchdringliches Geſtrüpp. Es 1 3
mag jein, daß der Unterſchied, den ich hier fand,
auch großentheils mit in der Jahreszeit lag; SR
denn damals, im Juni, regnete es unaufhörlich,
während jetzt, im Februar, die trockene Jahres
zeit ſein ſoll; aber dort, wo ich früher nur
24*
3%
8 Sumpf gefunden, in dem die Schienen lagen,
war jetzt trockener und mit kleinen Chauſſeeſtei⸗
nen überworfener Boden, und breite, tiefe Grä⸗
ben zogen ſich an den meiſten Strecken neben
der Bahn hin und dienten ebenfalls dazu, ſie
trocken zu halten. Sie muß auch jedenfalls er⸗
höht ſein, wenn ich auch nicht begreife, wie das
geſchehen ſein kann, ohne ſämmtliche Fahrten zu
unterbrechen. Erde iſt jedenfalls in ungeheuren
Maſſen aufgefahren, und ganze Hügel in der
Nähe der Bahn hat man geebnet und dazu ver⸗
wandt.
Die Vegetation durch dieſe Sümpfe iſt aber
immer noch ſo mächtig, wie ſie je geweſen. Man
ſieht allerdings keine jener rieſigen Laubholz⸗
bäume, wie in den bergigen Diſtricten der Tro—
pen, und die wenigen, die wirklich hier ſtehen,
haben wohl dann und wann ſtarke Stämme,
aber dabei ganz unanſehnliche, dürftige Wipfel,
die ihnen weit eher ein komiſches als großartiges
Ausſehen geben. Um ſo üppiger aber wachſen
dagegen Palmen und Bananen, wildes Rohr,
Bambus, Fächerpalmen und ähnliche Gewächſe,
und man paſſirt nicht ſelten Stellen, wo die Ve⸗
getation eine wirkliche und entſchiedene Mauer
bildet, und ſich der Menſch erſt, wenn er dieſe
373
Wildniß durchdringen wollte, mit Meſſer oder
Macheta ſeine Bahn hauen müßte. i
Die Stationen an der Bahn ſind dabei au⸗
ßerordentlich freundlich angelegt, mit hübſchen,
weiß gemalten Häuſern und niedlichen, gut ge⸗
haltenen Gärten. In gar nichts dagegen haben
ſich die Hütten der dicht daneben liegenden In⸗ ah
dianer verändert, obgleich die Indianer jelber
einen andern Charakter angenommen.
Die elenden Hütten ſtehen noch immer dort
mit ihren hohen, bis faſt zur Erde niederreichen⸗
den Palmblattdächern, ohne Garten, ohne jede
Bequemlichkeit, dicht an den ſchmutzigen Boden En
angeſchmiegt. Die Häuſer müſſen von Ungezie⸗
fer, beſonders von Centipeden und Skorpionen,
wimmeln, und man begreift gar nicht, weshalb
fie dieſelben nicht ebenfalls, wie z. B. in Ecua⸗
dor, auf kurze Pfähle ſetzen, was ſie jedenfalls
luftiger und reinlicher halten würde. Aber es
iſt einmal die Sitte ſo, und wie der Vater ſie
vor ihm gebaut hat, baut ſie auch nach ihm der
Sohn.
Sonſt aber haben ſich die Indianer, freilich
durch die Umſtände auch wohl mit dazu gendthigt,
um jo mehr hier verändert, und dabei nur theil⸗
weiſe zu ihrem Beſſern. Früher gingen ſie,
a
das läßt ſich nicht leugnen, ganz nackt und wur-
1 den erſt von den Amerikanern, nachdem die Bahn
hindurchging und viele Damen den Weg paſſir⸗
ten, dazu genöthigt, ein Hemd anzuziehen — das
Wenigſte, was man von einem Menſchen ver-
langen kann. Nach und nach kamen ſie auch
dazu, ſich allerdings ſehr leicht, aber doch ordent—
lich zu kleiden; aber wo ſind überhaupt die In⸗
. dianer geblieben, die hier noch vor kaum zwanzig
Jahren vollkommen unvermiſcht lebten? Fährt man
jetzt hier durch, ſo ſieht man wohl noch einzelne
jener ſchlanken, braunen Geſtalten, aber zwiſchen
ihnen herum ſpielen ſchwarzbraune, wollköpfige
Kinder, und faſt in allen Thüren ſtehen breite,
5 klotzige Negergeſtalten und kündigen ſich als
Herren des Hauſes an. Noch zwanzig Jahre, ja,
vielleicht nur zehn, und es giebt auf dem Iſth⸗
mus von Darien keine Indianer mehr, denn die
2 Neger haben fie verdrängt. So überzieht dieſer
Fluch der Sclaverei langſam aber ſicher die ganze
Weſtküſte Südamerikas.
5 Aſpinwall ſelber hat ſich in den letzten ſieben
Jahren außerordentlich vergrößert, denn deutlich
erinnere ich mich noch an die paar kleinen Bretter-
buden, die, mit mächtigen Buchſtaben bemalt,
großartige Hötels und andere Dinge verkündeten.
375
Dieſe Buden ſind jetzt vollſtändig verſchwunden
oder in das Negerviertel der Stadt zurückgedrängt,
und ſtatt derſelben ſieht man ganz hübſche, zum
Theil maſſive Gebäude von zwei Stock Höhe.
Ungeheure Geſchäfte werden dabei allerdings in
Aſpinwall gemacht, aber die offenen Läden find
alle nur darauf berechnet, aus den dort landen?
den Fremden, von denen ſie wiſſen, daß Feine
von ihnen, wenn er nicht nothgedrungen muß.
auch nur über Nacht bleibt, ſo viel herauszu⸗ a
preſſen, als ſie möglicher Weiſe können; nachher
mögen ſie wieder laufen. Genau ſo ſollen denn ee
auch die Hötels fein, denen ich aber zum Glück
noch nicht in die Hände gefallen bin, denn man 88
richtet ſich überhaupt ſchon immer ſo ein, daß
man nur eine oder ein paar Stunden Aufent⸗
halt in dem Neſte hat. Ba.
Und was für eine entſetzliche Atmoſphäre
durchweht den Ort! Man riecht in der That die |
matten, heißen und ſchweren Dünſte, die fieber?
geſchwängert auf ihm lagern, und dankt Gott,
wenn man erſt wieder draußen auf dem blauen
Waſſer in der freien, geſunden Briſe ſchwimmt.
Wer dorthin zieht, thut es auch nur, um ſo | |
raſch als möglich eine Summe Geldes zuſammen⸗ =
zuſchlagen und dann, wenn er wirklich das Leben 5
376
behalten hat, in ein fälteres, geſünderes Klima
zurückzukehren; aber ungeſtraft geſchieht das wahr⸗
lich nicht, denn mit voller Geſundheit kehrt Keiner
aaus dieſem Fieberland zurück. Die Meiſten haben
ihre noch kurze Lebenszeit daran zu tragen, und
ihre Erben allein ernten gewöhnlich den ſchwer
genug erworbenen Lohn.
Uebrigens kann man die älteren Reſidenten
augenblicklich von den neu eingetroffenen Frem⸗
den unterſcheiden, die gewöhnlich eine geſunde
oder doch wenigſtens menſchliche Geſichtsfarbe
mitbringen. Die eigentlichen Bewohner von Aſpin⸗
wall ſehen weit mehr grün als gelb aus, und
um die Augen tragen ſie alle dunkle Ränder,
wie denn auch ihre Lippen faſt keine Farbe haben.
Und doch habe ich Leute in einem ſolchen Zus
ſtand geſehen, die ſich kaum ein volles Jahr in
dieſem Peſtloch aufhielten. Man kann es ihnen
da wirklich nicht verdenken, daß ſie raſende Preiſe
für Alles fordern, was ſie eben leiſten oder zum
Verkauf feilhalten.
Einen höchſt intereſſanten Anblick bietet die
Front⸗ oder Waſſerſtraße von Aſpinwall, beſon⸗
ders zu der Zeit, in welcher gerade ein langer
Bahnzug die Dampfer-Paſſagiere von Panama
herübergeſchafft, oder andere Steamer von New-
377
York neue Durchwanderer auf den Iſthmus ge⸗
worfen haben — und ein ſolcher Verkehr herrſcht
nicht allein drei- oder viermal die Woche, ſon⸗
dern manchmal ſogar jeden Tag.
Dieſe vordere Straße iſt, der ſo häufig nieder⸗
ſtrömenden Regen wegen, mit Colonnaden ge—
baut und zu ſolcher Zeit jo gedrängt voll Men:
ſchen, daß man ſich ſeinen Weg kaum hindurch
bahnen kann. Dieſe drängen ſich dabei aus einem
Local in das andere, wo Verkaufsläden und Res
ſtaurationen mit einander abwechſeln, oder
feilſchen auch an den kleinen, in den Colonnaden
aufgeſtellten Ständen, an welchen allerlei Curio⸗
ſitäten: Muſcheln — Kernarbeiten, Calabaſſen,
Mützen aus Cocospalmenbaſt, natürlich gewachſen,
Muſchelſchmuck und hundert andere Dinge mit
Früchten und auch Spirituoſen zum Verkauf
ausſtehen. Aſpinwall hat ja ſowohl Freihafen
wie Freihandel, und dieſem Verkehr ſind deshalb
keine Schranken geſetzt.
Und was für Geſtalten ſieht man dabei in
dem Gewühl — die eleganteſten Herren und
Damen, wie fie eben aus der Cajüte getreten
ſind, und das rauheſte, wildeſte Volk, das ſich
über eine Woche in einem ſchmutzigen Zwiſchen—
deck herumgetrieben und in der Zeit — und aus
„
FTF
378
einem kalten Klima kommend, weder Kleider noch
Wäſche gewechſelt hatte. Aber es ſind Alles
Paſſagiere, und ein Jeder von ihnen hat wenig⸗
ſtens ein paar Dollar in der Taſche, um ſie hier
für werthloſen Tand oder wirkliche Bedürfniſſe
ſitzen zu laſſen.
Eine ungeheure Verbeſſerung erhielt der Hafen
durch die prachtvollen, weit ausgebauten Werfte,
an denen nicht allein die Dampfer und Schiffe
anlegen, löſchen und laden können, ſondern
auf welche ſogar die Schienen der Eiſenbahn
hinauslaufen, ſo daß die von Panama kommen⸗
den Waaren bis dicht an Bord hinangefahren
und übergenommen werden.
Das ſchönſte und praktiſchſt eingerichtete Werft
hat übrigens die engliſche Royal-Mail⸗Company,
mit einem rieſigen, vollſtändig aus Eiſen gebauten
Kohlenſchuppen an der einen Seite, mit Krahnen,
Eiſenbahn und Allem, was dazu gehört. Es
muß allerdings an dieſem Ort ungeheure Sum⸗
men gekoſtet haben, lohnt ſich aber nun auch
wieder in ſofern, als es ganz enorme Koſten
erſpart und um fo viel weniger Menſchenkräfte
verlangt.
Dieſes neue Werft verdankt aber feine Ente
ſtehung leider einem ſchweren Unglücksfall, der 15
379
das alte vor einigen Jahren betroffen und auf
das ſich der Leſer vielleicht noch erinnert.
Ein Kaufmann in Aſpinwall hatte dem dort
gerade Ladung einnehmenden Dampfer eine
Partie kleiner Kiſten als Fracht übergeben, die
der Declaration nach harmloſen Inhalt trugen,
in Wirklichkeit aber wollte der Betrüger darin
eine Partie Sprengöl fortſchmuggeln, das ihm 8
ſonſt von jedem Paſſagierboot verweigert worden
wäre und ſelbſt auf anderen Fahrzeugen eine
ſehr bedeutende Fracht hätten zahlen müſſen.
Die Matroſen ließen die kleinen Kiſten, im⸗
mer einen Theil derſelben aneinander geſchnürt,
ziemlich leichtſinnig in den unteren Raum hinab.
Da rutſcht eine derſelben aus dem Seil und
ſtürzt, und in demſelben Moment erfüllt ein
furchtbarer Schlag die Luft. Das Oel hat ſich
entzündet — der Dampfer am Werft iſt zer⸗
ſchmettert und in Brand gerathen, arbeitende Ma-
troſen ſind in Atome zerſchellt und einzelne der
Zuſchauer nur wie durch ein Wunder gerettet
worden. Natürlich fingen die Ueberreſte des
Bootes an zu brennen, und nur der Kühnheit
eines andern engliſchen Dampfers war es zu
danken, daß nicht noch mehr Unheil angerichtet
wurde, da ſich auch noch eine Quantität Pulver
380
an Bord befand. So aber ſchleifte ihn derſelbe
hinaus in See, wo er denn bald darauf zum
zweiten Mal explodirte und ſank.
Der Schaden war natürlich ein ungeheurer
und manches Menſchenleben außerdem dabei zu
beklagen.
Unſer nach St. Thomas beſtimmter Dampfer
lag ſchon ziemlich fertig langſeit. Er hatte nur
noch eine Kleinigkeit Fracht einzunehmen, die wir
ihm mit der „Talca“ von Süden heraufgebracht,
beſonders Ballen mit Chinarinde. Die Paſſa⸗
giere waren ebenfalls an Bord, und etwa gegen
vier Uhr wurden die Taue, die uns noch am
Ufer hielten, gelöſt und wir gingen in See
hinaus. -
Etwa eine Stunde früher war der Oppoſi⸗
tions⸗Dampfer der Pacific-Linie von New⸗
Hork eingelaufen und ſetzte einen unglaublichen
Schwarm von ruppig genug ausſehenden Paſſa—
gieren an Land. Dieſe Leute kamen aber erſt
eben ganz friſch aus der bitteren Winterkälte
New⸗Yorks in dieſen Brütofen Amerikas, und
wunderlich genug ſtachen Viele mit ihrer Tracht
gegen das jo luftig angezogene Volk der Küjte
ab. So ſah ich Einige ſogar — hier ein uner-
hörter Anblick — in Pelzröcken, in welchen ſie,
381
wahrſcheinlich mangelnder Wäſche wegen, ganz
gehörig eingeknöpft gingen. Shawls trugen eine
Menge von ihnen und kleine Kinder regelmäßig
jede Frau.
Viele von ihnen trafen es übrigens glücklich,
daß ſie gleich mit dem Extrazug, der uns von
Panama herübergebracht, hinüberfahren konnten.
Alle war der Zug aber nicht im Stande mit⸗
zunehmen, denn das Schiff ſollte eine ungeheure
Anzahl an Paſſagieren, ich glaube 1400, halten.
Was eingeſtopft werden konnte, ging aber mi,
und als ſich der Zug endlich, gerade als auch 1
wir in See gingen, in Bewegung ſetzte, ſtießen
die Paſſagiere ein wahrhaft indianiſches Freu— 9
dengeheul aus, das deutlich bis zu uns herüber⸗
tönte. Ich war froh, daß ich nicht mit zwiſchen
der Geſellſchaft ſaß; ein ruhiger Menſch hätte
ſich dort unmöglich behaglich fühlen können.
Uebrigens zeigte ſich hier deutlich, in welchem
Geiſt die Oppoſition zwiſchen dieſen beiden
Dampferlinien betrieben wird; denn den Paſſa⸗
gieren von San Francisco, die nicht gleich ihr
Billet durchgenommen hatten, wurden nicht etwa
die durch die Oppoſition ermäßigten und feſt⸗
geſtellten Preiſe abgenommen, ſondern fie muß⸗
ten, da in dem Augenblick noch kein anderer
®
Dampfer da oder auch nur ſignaliſirt war, die volle
und ſehr hohe Paſſage nach New-Pork bezahlen.
Kaum eine Stunde ſpäter aber, als wir von
Panama hier ankamen, lief er in Sicht, und
jetzt hätten die Paſſagiere leicht 100 Dollars er⸗
ſparen können, denn die erſte Linie würde ſie
um jeden Preis mitgenommen haben, nur um
ſie der andern nicht zu gönnen. Es war aber
zu ſpät. Da der erſte Dampfer faſt mit uns
zugleich oder doch bald nachher abging, ſo hatten
ſich die Reiſenden genöthigt geſehen, ihre Billets
gleich zu nehmen, und von denen wurde ſelbſt—
verſtändlich keins wieder herausgegeben.
Leider mußten wir es erleben, daß der Ameri-
kaner, der nach uns ausgegangen, näher und
näher kam, und etwa um halb ſieben Uhr unter
dem Hohngeſchrei der darauf befindlichen ameri⸗
kaniſchen Paſſagiere dicht an uns vorüberlief.
Es ließ ſich aber nicht ändern; es war wirklich
ein wackeres Boot und ließ uns bald weit hinter
ſich zurück. |
Dias geſchah am 23. Februar 1868, und der
kleine Dampfer „Solant“ ſollte uns nur bis Ja⸗
maica bringen, wo wir nachher von dort aus
den größeren benutzten.
Früher war dieſer nur bis St. Thomas ge⸗
88
gangen und hatte dort die von Jamaica und
Aſpinwall eintreffenden Zwiſchenboote erwartet,
um darnach ſeine Fahrt nach England anzutreten.
Jetzt iſt das abgeändert, und man ſpricht ſogar
davon, daß St. Thomas — theils des beabſich⸗
tigten amerikaniſchen Kaufes — theils der ewig
dort herrſchenden Krankheiten wegen, von der
engliſchen Poſtlinie ganz aufgegeben werden ſoll.
Jedenfalls hatten wir eine angenehme Fahrt,
von ruhiger See begünſtigt, und mir war der
Umweg über Jamaica, wenn er auch etwas mehr
Geld koſtete, ganz recht, indem ich doch dabei
manche der übrigen An. Inſeln zu ſehen
bekam.
Am 26. erreichten wir die „Perle der Ae
tillen“, Jamaica, und der Anblick der Inſel,
deren hohe Gebirgszüge von Nebeln durchzogen
wurden, war wirklich prachtvoll. Kingston ſelber,
wo der Dampfer anlegte, machte jedoch einen
weniger günſtigen Eindruck und iſt auch in der
That nur ein kleines erbärmliches Neſt.
Deſto ſchöner war aber dafür die Einfahrt in
den Hafen — für Segelſchiffe jedoch nicht ganz
ungefährlich, da eine Menge von kleinen Inſeln,
Klippen und Sandbänken im Weg liegen und
ſorgſam vermieden werden müſſen — aber das
384
Bild wird dadurch jo viel ſchöner. Ueberall,
wohin ſich der Blick wendet, fällt er auf kleine
zerſtreute Wohnungen, Cocospalmen ſchaukeln
5 ihre federartigen Wipfel darüber hin, und das
Grün der Berge bildet einen reizenden Hinter⸗
grund. Jetzt ſchießt das Boot an einer langen
. Landzunge hin, jo flach, daß ſie kaum über der
hohen Fluth trockenen Boden zeigt, und Baracken
und Zelte, mit dazwiſchen aufgepflanzten Kanonen
unter einem ganzen Wald von Palmen, mit den
überall gelagerten ſchwarzen Soldaten in Zuaven⸗
tracht, ſehen maleriſch genug aus.
Kingston iſt auch in der That von einer nicht
unbedeutenden bewaffneten Macht umgeben, denn
die letzte Neger-Revolution hat die Weißen vor⸗
ſichtig gemacht, ſo daß ſie jetzt im Stande ſind,
einen neuen Ausbruch raſch und im erſten Keim
zu erſticken. Nicht allein hier liegt Militär, ſon⸗
dern hinter der Stadt find die eigentlichen Ba—
racken der Negerſoldaten, während hoch in den
Bergen, im ſogenannten Newcaſtle, die weißen
Soldaten ihr Lager in dem geſündeſten Theile
des Landes haben, aber in kaum zwei Stunden
in der Stadt ſelber ſtehen können.
Jetzt biegen wir um die Landzunge, und wie
ein kleines Aquarell-Gemälde liegt das Städtchen
385
Kingston, mit zahlreich dort ankernden Schiffen,
herüber⸗ und hinüberkreuzenden Booten und von
hochſtämmigen Palmen überragt, vor uns aus⸗
gebreitet. 7
Unſer Boot legte ſich langſeit dem engliſchen 1
Dampfer „Shannon,“ nach Southampton be
ſtimmt, und ein kleiner Kahn führte mich in der
nächſten Viertelſtunde ſchon an Land und brachte
mich zwiſchen einen Haufen von Negerweibern,
die hier eben eine Kohlenbarke löſchten.
Alle dieſe Arbeiten auf Jamaica ſcheinen
großentheils von Frauen gethan zu werden, und
ein lebendigeres, aber auch geräuſchvolleres Trei⸗
ben ließ ſich hier kaum denken.
Von dem am Werft liegenden Fahrzeug aus
wurden die Kohlen auf das Werft ſelber gewor⸗
fen, und hier ſtanden einige ſechzig Negerinnen
— in welchem Zuſtande der Reinlichkeit bei
dieſer Arbeit läßt ſich eher denken als beſchrei n
ben — füllten die Kohlen in Körbe, hoben ſich 0
dieſe auf den Kopf oder ließen ſie ſich vielmehr
aufheben, und ſchritten dann, ähnlich als ob ſie
einen Cancan tanzten, unter Lachen, Schreien
und Schimpfen — denn ein paar von ihnen
ſchienen fortwährend in Streit dabei zu liegen —
der Stelle zu, wo die Kohlen zum Gebrauch
Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. 25
386
der einlaufenden Dampfer angehäuft wurden, und
in der That hatten ſie dort ſchon ein kleines
Gebirge angeſchaufelt.
Das ſchnatterte und gellte und ſang aber
durcheinander, daß man ſich hätte die Ohren zu—
halten mögen — Neger ſind überhaupt ſehr laut,
wenn ſie irgend eine Meinung äußern, und dieſe
Klaſſe beſonders hielt nicht mit ihrer Stimme
zurück. Anſtändig war die Unterhaltung, die
zwiſchen den ausladenden Matroſen und couleur—
ten Damen geführt wurde, ebenfalls nicht, das
aber milderte ſie, daß es in einem nichtswürdigen
engliſchen Dialekt geſchah, der allen dieſen Inſeln
eigen iſt. Wie ſchade aber, daß ich kein Genre-
maler bin, was für prachtvolle lebende Bilder
habe ich ſchon geſtellt bekommen, und dieſe Koh-
llenträgerinnen Kingstons gehörten jedenfalls zu
den lebendigſten!
Die Stadt ſelber bietet wenig oder gar nichts,
beſonders nichts Neues oder Eigenthümliches;
die Hauptſtraßen ſind ziemlich breit, aber die
Häuſer niedrig und unbedeutend, und die ver—
ſchiedenen Verkaufslocale dunkel und unanſehnlich.
Natürlich benutzte ich meine Zeit ſoviel als
möglich, und nahm mir einen der berühmten
jamaicaſchen Fiakers, einen offenen Kaſten mit
387
einem Sonnendach, um die Umgegend ein wenig
in Augenſchein zu nehmen; aber auch dieſe bot,
wenigſtens in der Nähe der Stadt, nichts Be⸗
ſonderes, kaum viel Freundliches, denn alle die
Gärten, durch welche wir fuhren, ſchienen arg
vernachläſſigt und von Unkraut überwuchert.
Auch die Bäume ſahen trocken aus, es war ja
Winterszeit, und im Frühjahr mag wohl das
Ganze einen freundlicheren Anblick gewähren.
Intereſſant war es, die Waſſerwerke Kingstons
zu beſuchen, zwei ungeheure Reſervoirs, die das
klare Quellwaſſer aus den Gebirgen bekommen
und es dann durch Röhren in die Stadt ver⸗
theilen. Eins von dieſen wurde gerade gereinigt,
da ſich doch viel Schlamm am Boden angeſetzt
und aus dieſem Waſſerpflanzen emporgewachſen
waren. Auch hier verrichteten Frauen wieder
die alleinige Arbeit: ein wahres Heer von ſchlamm⸗
bedeckten ſchwarzen Megären ſchaufelte ſich den
Schmutz in kleine Butten, füllte dieſe halb voll,
hob ſie ſich auf den Kopf und wanderte langſam
ſehr langſam dann durch das leere Reſervoir
der Treppe zu, um ihn oben abzuwerfen und
dadurch an der einen Seite höheren Boden zu
ſchaffen. In Amerika wäre das ganze Reſervoir
jedenfalls in einem Tage gründlich gereinigt
25
388
worden, hier gebrauchte man Wochen dazu, denn
Niemand ſchien ſich dabei zu beeilen.
Von dort ab fuhren wir nach den Baracken
der ſchwarzen Soldaten hinaus, die auf einer
weiten Ebene, ziemlich nahe bei dem Platz für
die Pferderennen, und zwar ähnlich wie die nord—
amerikaniſchen angelegt ſind. Die Gebäude waren
* hoch und luftig, dem Klima angemeſſen, gebaut,
und die Officierwohnungen hatten dabei kleine
Gärten. Hoch darüber in den Bergen, aber noch
Meilen entfernt, konnte man die lichten Zelte
und Baracken der weißen Soldaten erkennen,
die, wie es von unten ausſah, an einem ſteilen
Berghang klebten. Hätte ich Zeit gehabt, ſo
würde ich auch ſie gern beſucht haben, denn die
Ausſicht von dort ſoll wahrhaft wundervoll ſein;
da aber Dampfer die angenehme Gewohnheit
haben, nie einzugeſtehen, wie lange ſie in einem
Hafen liegen bleiben, ſo durfte ich mich nicht zu
weit von meinem Fahrzeug, mit ſchon bezahlter
Paſſage, fortwagen; ich konnte ſonſt zurückgelaſſen
werden, denn auf einen Paſſagier wird ſicher
auch keinen Moment gewartet.
Deutſche giebt es ſonderbarer Weiſe in
Kingston nur ſehr wenige, ich glaube kaum ein
halbes Dutzend, und trotzdem hatte ich die Freude,
389
Bekannte darunter anzutreffen, mit denen ich
nachher den Abend ſehr vergnügt verbrachte. Den
Vortheil habe ich überhaupt auf meinen Reiſen,
daß ich überall Freunde finde; es iſt das mit
der ſchönſte Lohn, den mir die Schriftſtellerei
abwirft. |
Von Kingston ab, wo wir erjt noch an dem
herrlichen Jamaica hinliefen, hatten wir eine
höchſt intereſſante Fahrt, indem wir den größten
Theil derſelben faſt immer in Sicht von Land
blieben. Bis Jamaica waren wir, von Aſpinwall
aus, nördlich aufgelaufen, von hier aus aber
hielten wir öſtlichen Cours, die Inſeln im Norden
laſſend, und erreichten am 28., noch ziemlich früh am
Tage, nachdem wir San Domingo die ganze Zeit
zu Backbord gehabt, die Neger-Republik Hayti,
wo wir an einem der kleinen ſüdlichen Städtchen,
Jakemil, anlegten.
Nun hatten wir bis dahin einige Paſſagiere
im dritten Platz gehabt, die allem Anſchein nach
Geld beſaßen, denn ſie gingen ſehr anſtändig, faſt
vornehm gekleidet. Uebrigens waren es unver-
kennbar Mulatten, dieſe wären aber, ſelbſt wenn
ſie das Doppelte hätten bezahlen wollen, nicht in
die Cajüte aufgenommen worden.
Nun finde ich das, vommoraliſchen Stand-
390
punkt aus betrachtet, abſcheulich, denn unſere
„ſchwarzen Brüder“ müſſen für ihr gutes Geld
die nämlichen Rechte haben wie wir ſelber —
vom menſchlichen aus war es mir aber jeden⸗
falls recht, denn ich muß zu meiner Schande
geſtehen, daß ich mich in der Geſellſchaft von
Negern oder ihren Abkömmlingen nicht behag—
lich fühle. Ich gönne ihnen alle errungenen
Vortheile, und wünſche, daß fie dieſelben gut be=
nutzen mögen, aber — ich ſelber mag nichts mit
ihnen zu thun, wenigſtens keinen geſellſchaft—
lichen Verkehr mit ihnen haben, und aufrichtig
geſagt, war es mir recht, daß ich nicht bei Tiſch
an ihrer Seite, oder vielmehr in ihrem Dunſt⸗
kreis ſitzen mußte.
In Hayti, wo ſie vielleicht eine ſehr achtbare
Stellung bekleideten, gingen ſie an Land, und
als ſie das Boot hinüberbrachte, konnte ich
deutlich erkennen, daß ein ganzer Menſchen—
ſchwarm zum Ufer kam — vielleicht um ſie
zu begrüßen. Wer kann in dem Herzen eines
Menſchen leſen — es waren vielleicht Gouver—
neure oder Miniſter geweſen; an Bord wurde
aber nicht ihr Rang, ſondern nur ihre Haut
in Betracht gezogen, und dieſe befähigte ſie ganz
entſchieden nur für den dritten Platz.
391
Leider blieb uns ſelber keine Zeit, das Ufer
zu betreten, und nur aus der Ferne durften
wir das wunderliche Land betrachten, an das ich
wirklich vorher gar nicht gedacht, oder ich hätte
es doch vielleicht ſo eingerichtet, ein paar Wochen
einmal hier zu bleiben.
Jakemil ſelber ſchien ein ziemlich dürftiger
Platz, aus dem nur die auf der höchſten Stelle
liegende und jedenfalls noch aus der altſpaniſchen
Zeit herſtammende große Kirche abſtach. Das
Land ſelber, ſoweit wir es mit unſeren Te⸗
leſkopen überſchauen konnten, war, die uns
mittelbare Nähe des Hafens abgerechnet, außer:
ordentlich wenig angebaut. Nur ſehr vereinzelt
ſah man kleine Hütten und dürftige Farmen.
Wie eine Wildniß dehnten ſich die öden, ſchwach
bewaldeten Hänge am Strande hin, und Wege
ſchien es faſt gar nicht auf der Inſel zu geben.
Die Leute darauf befinden ſich wahrſcheinlich
außerordentlich wohl, aber ſie haben dann auch
nur wenig Bedürfniſſe und arbeiten natürlich
denen entſprechend.
Der Hafen iſt übrigens ganz vortrefflich, und
wir bekamen vollauf Zeit, ihn zu beobachten, da
wir nicht vor Anker gingen, ſondern ſo lange
392
auf und ab fuhren, bis das von Bord abgeſetzte
Boot zurückkehrte.
Schon vorher hatten wir uns bei dem Offi⸗
eier, der das Boot begleitete, eine Quantität
Pfeifen beſtellt, die er uns von Jakemil mit⸗
bringen ſollte. Dieſe ſcheinen das einzige hie—
5 0 ſige Fabrikat zu ſein, und ſprechen allerdings
nicht beſonders für die Induſtrie des Platzes.
Es ſind kleine, ganz ordinär gebrannte Thonköpfe,
und lange dünne Rohre einer dort wachſenden
Binſenart, ohne weitere Spitze und nicht einmal
in die Köpfe paſſend, gehören dazu. Jedenfalls
0 muß es eine Eigenthümlichkeit des Landes ſein,
denn Paſſagiere wie Mannſchaft ſchienen ganz
verſeſſen darauf — außerdem ſind ſie — ein
nicht hoch genug in dieſem Welttheil anzuſchla⸗
gender Vorzug — ſehr billig.
Am 29. Abends erreichten wir die Höhe von
Portorico, ebenfalls eine hohe, bewaldete und
bergige Inſel, die wir aber zu weit abließen,
um ſelbſt mit unſeren Fernröhren Näheres wahr—
zunehmen, bis wir dann endlich am 1. März
Morgens Crab⸗Island an unſerer Linken, hinter
uns Portorico und vor uns die jo arg heimge—
ſuchte Inſel St. Thomas hatten.
Crab⸗Island iſt nicht ſehr hoch, ſcheint aber
393
ungemein fruchtbar und dicht beſiedelt; denn
wohin auch das Auge fiel, konnten wir theils
Zucker⸗Plantagen mit ihren weitläufigen, in der
Sonne hell ſcheinenden Gebäuden, theils einzelne
Anſiedlungen und Häuſer erkennen. Auch kleine
Schooner glitten hie und da am Ufer hin und
mochten wohl den Verkehr mit den verſchiedenen 1
Theilen der Inſel unterhalten.
Unſer Intereſſe wurde aber doch hauptſächlich
durch St. Thomas, das immer deutlicher vor
uns auftauchte, gefeſſelt; denn zu viel hatten
wir davon gehört, und neuerdings ſogar die
eben nicht erfreuliche Kunde erhalten, daß gegen—
wärtig, nach Sturm und Erdbeben, die Cholera
darauf wüthe und Hunderte von Menſchen hin—
wegraffe. In Panama und Aſpinwall hatte
man mir auch in der That ganz ernſtlich abge— 1 =
rathen, die von dem Schickſal ſo arg heimge—
ſuchte Inſel jetzt zu betreten, denn abgeſehen da—
von, daß ich ſelber der Krankheit zum Opfer
fallen könne, ſei die Wahrſcheinlichkeit, ja faſt
Gewißheit da, daß ich kein Boot dort finden
würde für die Weiterpaſſage, indem die Qua⸗
rantaine auf den Inſeln ſowohl als in Laguayra
entſetzlich ſtreng ſei, und Fahrzeuge ſicherlich
nicht einen einzelnen Paſſagier aufnehmen wür⸗
394
den, durch den ſie vielleicht eine a ee
Quarantaine bekamen.
Jetzt war es entſchieden zu ſpät, das Alles noch
einmal zu bedenken, und ich folgte meinem alten
Wahlſpruch: „Nur immer mitten hineingeſprungen
in alle Schwierigkeiten.“ Sitzt man dann erſt
einmal drin, jo findet ſich auch ſtets eine Ge—
legenheit, um wieder hinauszukommen. Mir iſt
es bis jetzt wenigſtens noch immer geglückt, und
ich vertraute denn auch jetzt meinem alten Schutz⸗
geiſt, der allerdings bei mir kein beſonderes
ruhiges Brot gehabt. St. Thomas ſelber war
mir zu intereſſant, um daran vorbeizufahren,
und was die Gerüchte über an irgend einer
Stelle wüthende Cholera betraf, ſo hatte ich darin
ſchon zu viel Erfahrung gemacht, wie übertrieben
dieſelben gewöhnlich ausfielen.
Uebrigens fanden wir bald, daß unſer alter
Dampfer „Shannon“, ein mehr bequemes als ſehr
ſchnelles Boot, als wir uns der Einfahrt näher—
ten, nicht auf den eigentlichen Hafen von St.
Thomas zu hielt, ſondern in eine Seitenbucht
einbog, während er noch außerdem die Quaran⸗
taine⸗Flagge aufzog. Das ſah nicht beſonders
tröſtlich aus, ließ ſich aber auch nicht mehr äan⸗
395
dern, und wir mußten jetzt jedenfalls ruhig ab⸗
warten, was über uns verhängt werden würde.
Vier engliſche Dampfer lagen in der Bai:
einer, der vom Sturm beſchädigt worden und
jetzt reparirte, der Dampfer für Trinidad oder
Demarare, der für Jamaica und der eben von
England eingelaufene Poſtdampfer — aber nicht
dieſe zogen unſere Aufmerkſamkeit auf ſich, ſon⸗
dern die überall an der Küſte umhergeſtreuten
Wracks, die man ſelbſt in dieſer Seitenbuchet
deutlich erkennen konnte. Dort lagen ein paar
Schooner hoch und trocken auf den Steinen, dort
zeigten ſich in den verlaſſenen und zerſtörten
Keſſeln die Ueberreſte eines Dampfers, da ſtarrten
noch Maſten aus dem Waſſer empor, und drüben
am rechten Ufer konnten wir deutlich die Trüm⸗
mer zuſammengebrochener Gebäude erkennen, an
denen Sturm, Erdbeben und Sturzwelle wahr—
ſcheinlich zuſammengewirkt hatten.
Es war ein Bild der vollſten Zerſtörung,
und doch ſagten uns die Officiere, daß der
größte Schaden ſchon wieder ausgebeſſert, und
manches von den Fahrzeugen, die verſunken ge—
weſen, durch Taucher und Pumpwerke wieder an
die Oberfläche gebracht ſei. Uns ſchien es aber
noch genug Verwüſtung, und beſonders ein alter
396
engliſcher Capitän, der ſich als Paſſagier mit an
Bord befand, mochte wohl mit recht ſchwerem
7 Herzen die umhergewaſchenen Schiffstrümmer
betrachten — hatte er doch in dem Sturm nicht
allein ſein Schiff, ſondern auch ſeinen Sohn
darauf verloren!
| Jetzt erreichte unſer Dampfer die Buoy, an
welcher der Trinidad-Steamer hing, und legte
dort an, und in kurzer Zeit mußte es ſich nun ent-
ſcheiden, wie die Sache am Ufer ſtand und wie
ich von hier — einmal angelangt — weiter be—
fördert werden konnte. Das aber zeigte ſich bald
als nicht beſonders tröſtlich.
| Der Agent der Compagnie, der an Bord
kam, erwiderte mir auf meine Frage, daß die
5 Cholera in St. Thomas — genau, wie ich es
mir gedacht — allerdings wenig oder gar keine
Bedeutung habe. Bis jetzt wären nur Schwarze
daran geſtorben und zwei Weiße — anerkannte
Säufer, die es ſelber verſchuldet; aber trotzdem
bekämen die Schiffe keinen Geſundheitspaß mehr,
und wenn ich nach Venezuela mit dem Trinidad—
Dampfer gehen wolle, ſo dürfe ich nicht an Land
gehen, oder der Dampfer nehme mich nicht mehr
auf. — Angenehm! — Aber wie ſollte ich er⸗
fahren, ob ich auf andere Weiſe fortkäme? —
397
„Das wiſſe er nicht,“ lautete die Antwort, „aber
jo viel könne er mir jagen, daß das nach La⸗ x
guayra beſtimmte Paketboot keine Paſſagiere vom
Lande mitnehme. Wenn ich dort an Bord wolle,
müſſe ich hier in der Bai auf dem in der Re⸗
paratur begriffenen engliſchen Dampfer bleiben 155
— er wiſſe aber nicht, ob der Paſſagiere aufe
nehme.“ — Wieder angenehm. 1
Uebrigens war ich feſt entſchloſſen, das letztere
nicht zu thun, und hatte noch immer Zeit genug
da unſer Dampfer wenigſtens noch ſechs Stun:
den im Hafen blieb, ein paar Briefe an Land
zu ſchreiben, um mich über die Verhältniſſe dort
zu erkundigen.
Merkwürdig übrigens — der Trinidad⸗
Dampfer nahm keinen Paſſagier auf, der an
Land geweſen war, und der Capitän deſſelben
lief den ganzen Tag in der Stadt herum. Mög⸗
lich, daß engliſche Capitäne nicht anſtecken; ich
weiß das nicht, aber was dem Einen recht iſt,
ſollte dem Andern billig ſein.
Mit dem für England beſtimmten Boot fand
übrigens freier Verkehr ſtatt; ſelbſt den nach
Europa gehenden Paſſagieren wurde verſtattet,
an Land zu fahren und bis Abends dort zu blei⸗
ben. Nur wir Anderen ſollten uns eingepfercht
398
halten. Glücklicher Weiſe erhielt ich bald Ant⸗
wort von Land. Herr Fedderſon, der preußiſche
Conſul, war ſo freundlich, mir mitzutheilen, daß
in einigen Tagen eine franzöſiſche Barke nach
Laguayra abginge und Paſſagiere mitnähme, und
kaum eine Viertelſtunde ſpäter ſaß ich mit mei⸗
nem wenigen Gepäck in einem der zu uns her⸗
ausgekommenen Boote, fuhr, dem Dampfer
Valet ſagend, zwiſchen den Trümmern an der
Küſte hindurch und, eine ſchmale Einfahrt in
den andern Hafen benutzend, nach St. Thomas
hinüber, wo ich mich jetzt ohne Weiteres im
Hötel du Commerce einquartierte.
*
13.
Sf. Thomas.
Man jagt gewöhnlich, „ein Unglück kommt
nie allein,“ und wenn das wohl auch nicht im⸗
mer zutrifft, ſo hat St. Thomas doch jedenfalls
die Wahrheit dieſes Sprichworts im vollſten Maße
erleben müſſen. Es giebt kaum einen ärger heim⸗
geſuchten Platz in der ganzen Welt, als es dieſe
kleine, freundliche Inſel in den letzten Jahren
war, denn ſie hat — man kann ſagen in Mo⸗
naten, eine wahre Kette von Leiden durchmachen
müſſen.
Zuerſt kam der Sturm, der furchtbare Ver⸗
wüſtung, beſonders unter den Fahrzeugen, an⸗
richtete und in Zeit von einer Stunde einige
ſiebzig Schiffe von allen Größen, vom Drei⸗
tauſend⸗Tonnenſchiff bis zum kleinſten Schooner
05 8
hinab, verſenkte oder auf den Strand warf, und
dabei wie zum Spiel Häuſer abdeckte oder auch
umwarf, den Palmen ihre Kronen abriß, die
Blätter von den Büſchen fegte und eine Heiden-
verwüſtung anrichtete.
Dann unmittelbar darauf kam das Erdbeben,
das noch nicht ſo unheilvoll gewirkt hätte, da es
merkwürdiger Weiſe nur an einigen Stellen wirk⸗
lich bösartig auftrat, wäre die Welle nicht hinter—
her gekommen, die das Verderben vollendete.
Mitten in der Verwirrung, wo Stoß nach Stoß
folgte, ging auf einmal der Schrei durch die
Stadt: „Die See kommt!“ und was laufen
konnte, lief. Dem Phänomen ging übrigens —
wie an allen Orten, wo Aehnliches erlebt wor⸗
den — das regelmäßig zuerſt ſtattfindende und
plötzliche Fallen der See voraus. Das Meer
wich zurück, um gleich darauf in einer rieſigen
Sturzwelle wieder zu kommen, deren Schrecken
ich wohl hier nicht weiter zu beſchreiben brauche,
da davon Schilderungen genug in deutſchen Blät⸗
tern erſchienen ſind.
Dieſe Sturzwelle richtete aber an allen den
Stellen, welche ſie erreichen konnte, die furcht—
barſte Verwüſtung an, weil durch den Sturm
und das Erdbeben alle von Menſchenhänden auf—
401
geführten Werke ſchon gelockert und zum Theil
auseinander geriſſen waren. Da hinein ſprang
ſie, und ihrer furchtbaren Gewalt widerſtand nur
wenig. |
Was ſie an nach dem Sturm eingelaufenen 15
Fahrzeugen in der Nähe des Ufers fand, ſetzte 1 5
fie hoch auf den Strand; Boote und Buoyen
warf ſie weit in die Stadt hinein, und alle die
Waarenhäuſer am Ufer, von denen die meiften
ſchon Riſſe durch das Erdbeben bekommen, wur⸗
den plötzlich durchwaſchen und manche auch total i
auseinander geriſſen.
Und damit war die Sache noch nicht zu Ende.
Die ſchlimmſte Gefahr ſchien allerdings damit
überſtanden, aber die Erde zitterte fort. Stoß
folgte auf Stoß; faſt jede halbe Stunde wieder-
holte ſich eine dieſer fatalen Erſchütterungen,
und daß Tauſende von Menſchen dadurch nervös
und zuletzt krank gemacht wurden, läßt ſich den-
ken. Solche ewige Aufregung konnten nur wenig
Nerven ertragen, und anſteckende Krankheiten
fanden das Volk empfänglich dafür.
Zuerſt trat das gelbe Fieber auf, während
die Erde noch immer fortſchüttelte, und dann folgte
endlich, aber nur in geringem Maße, die Cholera,
während ſelbſt jetzt noch manchmal ae e
Gerſtäcker, Neue Reiſen. II.
402
Stöße fühlbar find. Das wird natürlich entſetz—
lich übertrieben, und ſo kam z. B. gleich Anfangs
ein Paſſagier von St. Thomas an Bord, der
uns ſolche Geſchichten aus der Stadt erzählte,
daß man hätte glauben ſollen, kein Menſch ſei
dort ſeines eigenen Lebens ſicher.
Seiner Beſchreibung nach zitterte die Erde
in einem fort, und es verging faſt keine Stunde
ohne einen fühlbaren Stoß. — Ich ſelber war
nachher eine ganze Woche auf St. Thomas, und
habe nur am erſten Morgen einen — aber kaum
merkbaren Stoß gefühlt, der von einem dumpfen
Grollen begleitet war, wie einige kleine, aber
ſehr leichte Erſchütterungen ſpäter. Es giebt aber
Leute, deren eigene Furcht ihnen auch das Ge⸗
ringfügigſte entſetzlich erſcheinen läßt, und wie
ſie es empfangen, theilen ſie es wieder mit.
Soviel iſt ſicher — jener unterirdiſche Feuer—
ballen, der jedenfalls den Kern unſerer Erdkugel
bildet, hat in dieſem Augenblick noch mehr Gas
vorräthig, als er durch die gewöhnlichen Sicher
heits⸗Ventile der Vulkane bequem ausführen kann,
und während die Krater in allen Welttheilen
thätig arbeiten, zuckt auch noch an vielen Stel⸗
len die Erde, und St. Thomas ſcheint dabei
gerade nicht an der allerſicherſten Stelle zu lie⸗
403
gen. Die größte Gefahr iſt aber jedenfalls für
die Inſel vorbei — ſoweit menſchliche Berech-
nungen da überhaupt ausreichen; und wenn dort
unten nicht noch etwas ganz Außerordentliches
vorgeht, ſo werden die Erdſtöße hier wohl noch
eine kurze Zeit anhalten, aber kaum mehr u
heblichen Schaden anrichten; man darf alſo wei⸗
teren übertriebenen Schilderungen nicht allzu vie= 0
len Glauben beimeſſen.
Das angerichtete Unheil iſt außerdem auch
ſchon groß genug und faſt unberechenbar, denn
die meiſten Häuſer in der Stadt haben, wenn
ſie auch äußerlich keine beſonderen Verletzungen
zeigen, doch Riſſe bekommen, und ſelbſt kleine
Stöße können das Uebel leicht verſchlimmern.
St. Thomas hat in der That enorm gelitten,
und durch welche Straße man auch geht, jo
ſieht man in dem überall umherliegenden Schutt
deutlich die Verwüſtungen, die Sturm oder Erd—
beben angerichtet. Und die armen Cocospalmen,
wie traurig, wie entſetzlich traurig ſie dreinſchauen
mit ihren kahlen, vergilbten Wipfeln, nur hie
und da noch ein grünes, abgeriſſenes Blatt zei⸗
gend. Viele ſind auch durch den Sturm ganz
entwurzelt worden; die meiſten hielten aber doch
Stand, bogen ſich, ließen ſich rupfen und über⸗
1 26 *
404
ſchauten dann wieder mit den kahlen Häuptern
die um ſie her geſchehene Verwüſtung.
Merkwürdig iſt jedenfalls, wie ſtrichweiſe der
Sturm gewüthet hat, der, allem Anſcheine nach,
nicht in einer compacten Maſſe den Grund fegte,
ſondern in Windſtreifen gegangen ſein muß. So
findet man an den Orten, die er am meiſten
heimgeſucht, Stellen, auf denen er ſtark gebaute
Häuſer vollkommen abgedeckt und leichte Bretter-
hütten gefaßt und umgeworfen oder auch von—
einander geriſſen hat, während dicht daneben eine
elende Baracke ungeſchädigt, unverletzt ſtehen ge-
blieben iſt. Einen Strich ruinirte er vollſtändig,
E einen andern, nahebei, berührte er gar nicht,
und wenn ſich das auch nicht gut erklären läßt,
ſieht man es doch hier aller Orten beſtätigt.
Am ärgſten war aber natürlich die Verwü⸗
ſtung in der gerade von Schiffen aller Nationen
gefüllten Bai, an denen er ſeinen vollen Ueber-
muth auslaſſen konnte — und auch ausließ. |
Ich nahm ein Boot und fuhr damit im Ha=-
fen herum, und muß geſtehen, daß Einem der
Anblick, den ich dort genoß, das Seefahren wohl
auf eine Weile verleiden könnte. Ein einzelnes
Wrack, dem man auf See begegnet, bietet ſchon
ſtets nur zu genügenden Stoff zum Nachdenken,
405
und hier fährt man wirklich in einem Wald zer⸗
ſchmetterter Fahrzeuge herum, jedes ſeine eigene
Unglücksgeſchichte an der Stirn tragend, jedes
ein memento mori zerſtörter Menſchenleben.
Die Verwirrung muß entſetzlich geweſen ſein.
Der Sturm kam zuerſt in einem furchtbaren
Stoß von Weiten, lullte dann aber plötzlich zu
einer vollkommenen Windſtille ein, um wenige
Minuten ſpäter, nachdem er jedenfalls hinter den
Bergen im Norden herumgegangen, von Oſten
mit erneuter Kraft wiederzukehren. Und jetzt Mi
nahm er die Backen voll.
Der Liverpool-Dampfer „Venezuela“ war eben
— oder doch nur erſt wenige Stunden vorher
— mit über 200 Paſſagieren eingetroffen. Den
warf er gegen den eiſernen Floating-Dock, der mit
ihm ſank, und zum Ueberfluß ein 3000-Tonnen⸗
ſchiff, das größte, was bis jetzt noch die weſtin⸗
diſchen Inſeln beſucht, die „Britiſh Empire“, oben
drauf. Das letztere Schiff, das einen argen Leck
bekommen, ſank aber erſt vollſtändig den nächſten
Tag, da es die Mannſchaft nicht mit Pumpen
flott halten konnte und andere Hilfe in der Ver—
wirrung und dem allgemeinen Unglück nicht zu
erhalten war.
Rechts in der Bai bietet ſich der intereſſan⸗
F
Bath
tteſte Anblick dar, denn dort liegt ein ganzes Neſt
von Dampfern und Schiffen, die, nachdem ſie im
Hafen gegen andere Fahrzeuge angerannt und
ſie und ſich vernichtet hatten, endlich hier in
ſeichtes Waſſer hineingeworfen wurden und jetzt
rettungslos feſt und auf dem Grund ſitzen. Ein
kleiner Dampfer ſcheint beſonders in der Klemme
geweſen zu ſeinn e eiſernen Räder ſind in
jede erdenkbare “ kineingebogen, fein eiſerner
Rumpf iſt aus an' er geriſſen, fein Stern iſt
eingeſtoßen, ſein chornſteine find über Bord
geworfen. Arme „Prinzeß Alice“! Sie haben ihr
arg mitgeſpielt und nur das ſeichte Waſſer hielt
ſie vom völligen Verſinken ab.
Kleine Schooner, wie z. B. „Wild Pigeon“
und andere, liegen hoch und trocken auf den
Steinen, von einigen, die in tiefem Waſſer ver⸗
ſanken, ſchauen eben noch die Maſten empor, aber
im Ganzen iſt doch ſchon wieder ſehr viel gethan,
um theils verſunkene Schiffe zu heben und wie⸗
der in Stand zu ſetzen, oder auf's Land gewor—
fene flott zu bekommen.
er Erwähnen muß ich noch, daß jene große Woge,
welche das Erdbeben gegen das Land ſchleuderte,
auch zu gleicher Zeit eine Menge von Fiſchen auf's
Trockene warf. Aber keiner der Neger wollte
einen davon in feinen Topf tragen, denn fie be-
haupteten: das Erdbeben ſei eine Strafe Gottes,
und ſie dürften daraus keinen Nutzen für ſich
ſelber ziehen wollen. 5
Entſetzlich muß der Anblick der unteren Stadt
aber unmittelbar nach der großen Woge geweſen
ſein, die in das Land hineinwuſch, die zahlrei⸗
chen Werfte total zerſtörte und große Verwüſtung
in den Lagerhäuſern an. So hoch aber,
als ſie Anfangs geſchild,; t. wurde (30 Fuß) war
fie keinenfalls. Sie kan ch der Höhe, in der
ſie in die Stadt eingedrungen iſt, nicht mehr
als fünfzehn oder höchſtens zwanzig Fuß gehabt
haben, ja, ich glaube, kaum zwanzig, denn der
Druck des Waſſers hat ſie außerdem noch immer u
weiter getrieben, als ihre eigene Höhe. Uebrigens
hat ſie Schaden genug angerichtet.
St. Thomas iſt jedoch der am günſtigſten ge⸗
legene Platz des ganzen weſtindiſchen Archipels,
und die Kaufleute hier haben bewieſen, daß ſie N
ſelbſt ſchwere Verlufte wacker tragen konnten. Trotz
allem Unheil, das über ſie hereingebrochen, hat 1
nicht ein einziges Haus ſeine Zahlungen einge
ſtellt, und die Bauten gehen zu derſelben Zeit
rüſtig vorwärts, um den erlittenen Schaden wier
der auszubeſſern. Unbehaglich nur befanden ſie 1
C
3 R *
8 ar
1 .
7 x
5 ſich damals unter der Ungewißheit, ob Amerika
die Inſel wirklich gekauft hat oder nicht, und
das nicht etwa aus Anhänglichkeit an das Mut⸗
terland, ſondern weil die Exiſtenz des ganzen
= bedeutenden Handelsplatzes dabei auf dem Spiele
ſteht. |
Danemark ſelber hat ſich nicht beſonders freund⸗
liiUch gegen feine Colonie gezeigt. Es verhandelte
dieſelbe zuerſt und ließ nachher in St. Thomas,
mehr zum Schein, abſtimmen, ob die Einwohner
auch mit dem Verkauf zufrieden wären, ja, dä⸗
niſche Beamte beeinflußten ſogar die Wähler, dem
flactiſch ſchon abgeſchloſſenen Handel ihre Stim⸗
5 men zu geben. Die Fremden hier, und ſelbſt mit
wenigen Ausnahmen die Dänen, würden auch
ſehr gern an Amerika fallen, wenn fie nur die
Gewißheit hätten, daß die Inſel ein Freihafen
bleibt, denn dadurch allein hat ſie ſich, als Mit⸗
telpunkt der Inſeln, ihre Stellung erworben.
Machte aber Amerika, wie man ſehr zu fürchten
ſchien, einen Kriegshafen aus dem Platz, dem
5 es dann den freien Handel nahm, ſo hörte ſeine
Bedeutung vollſtändig auf und die Kaufleute
würden die Inſel, ſo raſch ſie irgend konnten,
verlaſſen haben.
Jetzt beherrſcht fie faſt den ganzen Handel
409
mit Portorico und manchen anderen reichen In-
ſeln, die von hier ihre Waaren beziehen; ſoll
aber hier erſt ein hoher Zoll darauf entrichtet
werden, ſo iſt das natürlich vorbei und St. Tho⸗
mas ſelber viel zu klein und ſchwach bevölkert, 1
7 h 0 5 ;
1 .
um einen bedeutenden Handel zu erlauben. /
Die Aufhebung des Freihafens würde des— .
halb St. Thomas zehnmal jo arg ſchädigen,
als es Sturm, Erdbeben und anſteckende Krank-
heiten gethan haben — ja, es vollſtändig ruiniren,
und ſchon jetzt wirkte dieſe ſtete Unſicherheit vs
lähmend auf den Verkehr und trieb nur Einzelne
zu einer allerdings ſehr gewagten Speculation:
nämlich eine Maſſe von Waaren hierher zu wer⸗ 5
fen, um im Fall des amerikaniſchen Beſitzes und
Aufhebung des Freihafens dieſelben ſteuerfrei ©
nach den Vereinigten Staaten einführen zu
können.
Uebrigens ſcheint es faſt, als ob der ganze
amerikaniſche Handel nicht allein aufgeſchoben,
ſondern ſogar aufgehoben ſei, denn der Congreß
hat, unter den jetzigen Umſtänden, das Geld nicht
zu dem Ankauf bewilligt, und mag außerdem
auch befürchten, daß, nach den letztgemachten Er⸗
fahrungen, der Hafen von St. Thomas doch am
ee
A Ende nicht fo ficher ſei, als man früher wen |
Bi vermuthet.
Nie im Leben hätte ich geglaubt, ſoviel
Dieutſche hier zu finden. Sie ſind jedenfalls
weit zahlreicher als Engländer und Franzoſen,
und wohin man kommt, hört man die deutſche
Sprache, ja ſogar nicht ſelten unter den Negern
ſelber. Viele Eingeborene der Inſel ſprechen
1 Deutſch untereinander „und deutſche Firmen
trifft man aller Orten. Außerdem giebt es kaum
einen überſeeiſchen Hafen der Welt, wo die ver—
ſchiedenen Nationalitäten freundlicher zuſammen⸗
halten, als in St. Thomas, und ſelbſt Dänen
und Deutſche leben hier im beſten Einverneh—
men und beſuchen ein und dieſelben Locale und
Clubs. Das kommt aber auch vielleicht von der
geringen Zahl her, in der die Weißen hier der
farbigen Bevölkerung gegenüberſtehen. St. Tho⸗
mas hat etwa 15,000 Einwohner und von dieſen
© ſind 12,500 Farbige und Neger, und zwiſchen
dieſen nur 2500 Weiße. Die Letzteren, und
beſonders die Deutſchen, haben hier zwei ganz 5
vortreffliche Geſellſchafts-Locale, die von allen
Nationalitäten beſucht werden: das Athenäum,
ein Leſeelub mit Zeitungen und Büchern in allen
Sprachen, und den ſogenannten internationalen
Club, in den aber keine Farbigen aufgenommen 5
werden. Das deutſche Element überwiegt jedoch
in allen, ſchon vielleicht aus dem Grund, weil
der Deutſche überhaupt geſelliger Natur iſt und
am liebſten in Nudeln lebt — und prächtige
Leute findet man unter ihnen. Mir wenigſtens
ſind die Tage, die ich in St. Thomas verbrachte,
ſo raſch wie kaum ſo viele Stunden verflogen. 5
Was nun die hier „wüthende“ Cholera ber
trifft, ſo ſpürt man, wie ich es mir auch vorher
gedacht, gar nichts davon. Abends begegnet man
allerdings dann und wann einem Leichenwagen,
aber die Krankheit ſcheint ſich hauptſächlich auf
die unteren Klaſſen der Farbigen zu beſchränken,
wie denn ſonderbarer Weiſe die Neger gewöhn⸗ 5
lich ſehr heftig von dieſer Krankheit mitgenom⸗ 5
men werden, während ſie vom gelben Fieber, 5
das mehr unter den Weißen i faſt gar
nicht leiden. 5
Die Neger nennen deshalb auch die Cholera
black man's turn, das gelbe Fieber dagegen
white man's turn, das heißt, bei der erſteren
Krankheit kommen die Schwarzen, bei der zwei—
ten die Weißen daran. a
In der Stadt ſelber wird jetzt rüſtig gebaut,
um alle die erlittenen Schäden wieder auszu-
2 Fa!
242
beſſern. Ich begreife auch wirklich nicht, wo
nach ſolchen Calamitäten, die faſt jedes Haus
berührt haben und überall Arbeit nothwendig
machen, ſo urplötzlich alle die Maurer und Zim⸗
merleute herkommen, die doch in ruhiger Zeit
unmöglich alle Beſchäftigung finden können.
. Tauſende von ſolchen ſind aber jetzt hier emſig
in Thätigkeit, als ob keiner von ihnen je etwas
Anderes getrieben habe. Die angerichtete Ver—
wüſtung war aber doch zu groß und allgemein,
um in den wenigen Monaten ſchon beſeitigt zu
ſein, und überall findet man deshalb noch in
den Häuſern Schutt, und außerhalb der eigent-
lichen Geſchäftsſtadt kann man auch wohl noch
halbe Straßen umgewehter Holzbaracken finden
E ein Bild troſtloſer Verwüſtung, wie es 1
der Sturm zurückgelaſſen.
In der Bai draußen bereitete ſich übrigens
5 ein kleiner See-Roman vor, der möglicher Weiſe
ernſtere Folgen nach ſich zieht. Es lag hier
nämlich im Sturm ein amerikaniſches Schiff, für
Peru beſtimmt, mit Kanonen und Munition an
Bord, das, arg beſchädigt, ſeine gefährliche La—
5 dung löſchen mußte. Ein anderer Amerikaner,
die „Sarah Newman“, hat jetzt dieſelbe an Bord
genommen und iſt zum Auslaufen fertig, und
4139
zwei kleine ſpaniſche Kriegsdampfer liegen hier,
fortwährend die Keſſel geheizt, und warten „ )
den Moment, wo ſie die Bai verläßt, während
kein amerikaniſches Kriegsſchiff hier ift, um fie
zu ſchützen. Ob ſie ſich das nun ſelber beſorgen
wird, weiß man nicht: das Material dazu haben
ſie jedenfalls an Bord, und ich glaube auch nicht, |
daß ſich der Amerikaner den Spaniern ſo leicht
ergeben wird. Intereſſant iſt das Reſultat jeden?
falls, und hätte mein Ziel nach der Weſtküſte,
ſtatt nach Venezuela, gelegen, ſo würde ich e
auf der „Sarah Newman“ Paſſage genommen
haben. 5
Ich darf aber St. Thomas nicht vera 8
ohne wenigſtens ein paar Worte über die 99 5
der Inſel zu ſagen, die, wie ſchon vorerwähnt,
die eigentliche Beoölterung derſelben bilden, und
zwar in fo vorwiegendem Maße, daß man An- a
fangs wirklich glaubt, es gebe überhaupt nur
einzelne Weiße auf dem ganzen Platz ucroft Libre
5 Die Boote in der Bai ſind natürlich, wie in
allen warmen Himmelsſtrichen, nur von Negern
bemannt, aber ſelbſt wenn man das feſte Land
betritt, ſieht man nichts — gar nichts als farbiges
Volk, in den ſchönſten Schattirungen von gelb
zu ſchwarz, und hört auch in der That nichts als
4A
den furchtbaren und ſtets laut geſchrieenen Dialekt
dieſer wohl arg mißhandelten, aber auch ſehr
unangenehmen Race. |
Sie ſelber tragen freilich nicht die Schuld,
denn nicht freiwillig verließen ſie ihr Vaterland;
als Sclaven wurden ſie fortgeſchleppt, und daß
ſie mit der Zeit frei werden mußten, war eine
natürliche Folge der Civiliſation. Mit ihrer
Freiheit konnte man ſie aber nicht mehr zur
Arbeit zwingen, und daß der Neger wenig Be—
bürfniſſe kennen lernte, verdankt er ebenfalls
nur wieder ſeinem früheren weißen Herrn. Eine
Sorge für die Zukunft, wie fie uns in der Frei⸗
heit Geborenen gleich von früher Jugend an's
9 Herz gelegt wird, iſt ihm ebenfalls fremd ge—
5 blieben, und da er von dem Weltverkehr und
0 Handel entſchieden fern gehalten wurde, ſo kann
man bei ihm auch keinen Sinn für National⸗
ökonomie erwarten. Was liegt ihm daran, ob
das Land, in dem er ſich befindet, Producte ex⸗
oder importirt, ſo lange er eben ſelber hat, was
er braucht, und daß jetzt auch hier auf St.
Thomas aller Ackerbau liegen blieb, war nur
eine natürliche Folge.
hr Früher bedeckten die Hänge reiche und weite
Zuckerfelder — ſeit Aufhebung der Sclaverei
*
415
liegen fie kahl und trocken in der Sonne, und
ein klein wenig Gemüſe abgerechnet, wird wohl
in dieſem Augenblick gar nichts weiter auf dern
ganzen Inſel gezogen. |
Die Neger jelber ſcheinen ſich aber vollkom-
men wohl zu befinden, und ich habe nie ein ver⸗
gnügteres und in ſeinen Vergnügungen lauteres
Volk geſehen. Das iſt ein ewiges, ununter⸗
brochenes Lachen unter ihnen, und eben ſo oft
hört man dazwiſchen Zanken und Schimpfreden
in's Unglaubliche, ſo daß man denken ſollte, ein
offener Kampf müſſe jeden Augenblick unter ihnen
ausbrechen, aber es kommt nie dazu, denn wie
nur Einer von ihnen einmal einen recht außerr⸗
gewöhnlichen Fluch oder ein ſonderbares Schimpf
wort ausſtößt, endet die ganze Sache jedesmal
unter ſchallendem Gelächter der Umſtehenden und
Streitenden ſelber. us
Die echten Negerhaſſer werfen der afrikani⸗
ſchen Menſchenrace oft das Affenähnliche in ihrer
ganzen Natur vor, und zum Theil haben ſie
Recht. Der Neger beſitzt wirklich einen großen
Trieb zur Nachahmung, und wo der bei dem
Sclaven unterdrückt wurde, bricht er ſich in der
neugewonnenen Freiheit um ſo mehr Bahn.
Es giebt kaum etwas Komiſcheres, als einen
416
etwas wohlhabenden Schwarzen zu ſehen, der
nicht allein in ſeiner Kleidung, nein, auch in
ſeinem ganzen Weſen, in Bewegung, wie Aus-
druck — aber mit dem verwünſchten Dialekt
und wolligen ſchwarzen Kopf — einen Weißen zu
affectiren ſucht. So brachten in Jamaica ein
paar ſolcher Herren einen ihrer Freunde an Bord
des Dampfers, und es war wirklich rührend, zu
ſehen, mit welcher ausgezeichneten Höflichkeit und
mit wie gewählten Worten ſie den Herrn in —
das Zwiſchendeck begleiteten, denn in der Cajüte
wird die Race trotz aller Emancipation und Frei:
heit noch immer nicht zugelaſſen, eine Maßregel,
mit der ich ſelber vollkommen einverſtanden bin.
— Ich gönne dem Neger von Herzen ſeine Frei—
heit, aber ich mag — wie ſchon geſagt — keine
Gemeinſchaft mit ihm haben, und wenn das
nicht chriſtlich ſein ſollte, wäre es jedenfalls
natürlich.
Uebrigens verdienen die Negerdamen einer
ganz beſondern Erwähnung, denn ſie zeichnen
ſich ſelber hier auf das auffälligſte aus. St. Tho⸗
mas hat freilich auch ſehr viel wohlhabende,
ja ſelbſt reiche Schwarze, die eine Stellung in
der Stadt einnehmen, und wie ein Geldprotz bei
uns, der ſich von einer unteren Stufe empor⸗
*
417
geſchwungen, auch am ſtolzeſten auf ſein Ge—
wonnenes iſt, ſo brüſtet ſich der freigewordene
Neger, wenn es ihm ſeine Verhältniſſe irgend
erlauben, mit ſeinem eigenen Ich, und daß er
in dem Fall auch ſeine Frau und Töchter nicht
will irgend einer weißen Familie nachſtehen
laſſen, kann man ſich denken.
Dieſe Putzſucht — eigentlich der erſte Schritt
zur Civiliſation, da er größere Bedürfniſſe mit
ſich bringt, bleibt aber nicht allein bei den Rei⸗
cheren, ſondern geht bis in die unterſten Schichten
der Bevölkerung hinab, und die ſchwarze Señora
ſchleppt ihr langes theures Seidenkleid nicht ärger
und länger durch Staub und Straßenſchmutz,
als das ärmſte Negerweib, das mit einem Korb
voll Gemüſe auf dem Kopf zu Markte kommt,
ihren alten, ſchmierigen und zerriſſenen Kattun—
lappen — denn die Mode war jetzt hier in
voller Blüthe. Ich begreife dabei nur nicht, wie
mitten zwiſchen ſolchen Caricaturen wirkliche
weiße Ladies ſie noch aufrecht erhalten konnten,
aber das, wie die Mode ſelbſt, bleibt ein Räthſel.
Uebrigens hat der letzte Sturm den in St. Tho⸗
mas herrſchenden Luxus ſehr begünſtigt, und
beſonders der ärmeren Klaſſe die Mittel geboten,
ſich entſchieden hervor zu thun. Die Ladungen
Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. 27
348
einiger Schiffe, wenn ſie auch vom Seewaſſer
beſchädigt waren, wurden doch gerettet und nach—
her natürlich zu Spottpreiſen öffentlich verſteigert.
Die Neger aber hatten gleich nach den Unglücks
fällen für ſehr wenig Arbeit ſehr hohe Löhne
erhalten, und deshalb Geld in Händen. Sie
kauften jetzt in Maſſe die havarirten Ausſchnitt⸗
waaren, und ſeit der Zeit rauſcht es in St. Tho⸗
mas von endloſen Schleppen ſteif geſtärkten
Kattuns, und gentlemen of colour tragen Röcke
und Hoſen, auf denen ſich noch deutlich die in
den Ballen erhaltenen See- oder auch Bilch⸗
waſſerſpuren abzeichnen.
Der Neger iſt von Natur mildthätig, denn
er hat das Unglück aus eigener Erfahrung kennen
lernen, achtet dabei auch, wie ſich nicht leugnen
läßt — das Alter mehr, als es oft civiliſirte
Nationen zu thun pflegen. Alte Neger treten
aber auch deshalb mit einer unbeſchreiblichen
Würde auf und werden darin nur — aber gründ—
lich — von alten Negerinnen übertroffen.
Woher es kommt, weiß ich nicht, aber faſt
alle alten Negerfrauen haben einen Grundbaß,
von dem ſie den vollſtändigſten und unumſchränk⸗
teſten Gebrauch machen. Sie lachen dabei ſelten
oder nie — das überlaſſen ſie dem jungen Volk,
49
und wenn ſie ſprechen, geſchieht es ſtets in dic»
tatoriſcher und ſo entſchiedener Weiſe, als ob
jedes Wort ein Geſetz wäre. .
Es giebt kaum etwas Würdevolleres, aber
auch zugleich Komiſcheres, als fo eine alte Ne-
gerlady zu ſehen, wenn ſie, ſehr decolletirt, mit
geſpreizten Knieen, die kurze, qualmende Pfeife
in der rechten Hand, die Linke auf ihr Knie ge—
ſtützt, vor ihrer eigenen Thür ſitzt und ihre Mei—
nung über irgend einen beliebigen Gegenſtand
ausſpricht, oder vielmehr einen Beſcheid ertheilt,
denn Widerſpruch wäre doch nicht denkbar. Die
jüngeren Leute behandeln ſie auch dabei ſtets mit
Ehrfurcht, und nur gefährlich wird die Sache,
wenn eine andere ähnliche Dame — vielleicht die
Nachbarin — anderer Meinung ſein ſollte. Die
Folgen find in einem ſolchen Fall nicht abzu⸗
ſehen. Zu Thätlichkeiten kommt es freilich nie
zwiſchen ihnen, und der Schluß eines ſolchen
Wortkampfes iſt faſt ſtets der, daß die Ueber⸗
wundene aufſteht, mit einer verächtlichen Bewe—
gung in ihr Haus geht, und dort drinnen nur
um ſoviel lauter weiter raiſonnirt.
Alte Neger mit weißen Haaren tragen faſt
ſtets hohe ſchwarze Seidenhüte und einen ſchwar—
zen Rock mit weißen Hoſen. Im Ganzen ſind
27
420
die Neger überhaupt nicht unreinlich — die un-
terſten, verworfenſten Klaſſen ausgenommen, die
ſich dann aber auch vollkommen gehen laſſen, ſo
daß man da oft, beſonders unter den Frauen,
wahren Abſcheu erregenden Geſtalten begegnet.
Stehen die Negerinnen aber, beſonders bei irgend
einer Herrſchaft, im Dienſt, ſo halten ſie ſich,
faſt ohne Ausnahme — immer höchſt reinlich
und adret und gehen dann auch nie auffallend
gekleidet — den Lappen ausgenommen, den ſie,
ebenſo wie ihre Herrinnen, hinter ſich herſchleifen.
Im Hötel du Commerce hatten wir übrigens
auch — als Gegenſatz zu dem liederlichen und
ſchmutzigen Negervolk, das ſich beſonders gegen—
über vor einem ordinären Branntweinladen
herumtrieb und die Luft oft mit ſeinen laut ge⸗
ſchrieenen Zoten erfüllte, die vollſte Ariſtokratie
der afrikaniſchen Race in ihrer letzten Abſtufung,
oder vielmehr in ihrem Uebergang zu dem Ge—
ſchlecht der Weißen, und zwar zu der beſſern
Geſellſchaft, denn ich möchte die wirklich gut er—
zogene Quadrone doch nicht unter den gemeinen
Irländer oder eine andere ähnliche Nationalität
anreihen.
Es waren dies Frau und Töchter eines hayti⸗
ſchen Miniſters, die hier nur auf Schiffs⸗
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gelegenheit warteten, um nach Hayti zurüdzu-
kehren, da die engliſchen, ſonſt die Verbindung
unterhaltenden, Dampfer gegenwärtig der ge—
fürchteten Quarantaine wegen keine Paſſagiere
von St. Thomas mitnahmen.
Die Mutter der beiden jungen Damen konnte
die Quadrone nicht verleugnen, ja ſie war kaum
weiß genug dafür; die beiden Töchter aber, bes
ſonders die Jüngſte, würde Niemand, der nicht
die genauen Merkmale der Blutmiſchung kannte,
für andere als weiße Damen gehalten haben.
Es waren zwei junge liebenswürdige Weſen und
— wenn ich nicht irre, in Paris erzogen und
ausgebildet, und dabei beſcheiden und anſpruchs—
los in ihrem ganzen Betragen. Die ſchwarzen
Aufwärter flogen aber auch, wenn ſie ihnen nur
einen Wunſch an den Augen abſehen konnten. —
Sie beabſichtigten jetzt mit einem deutſchen Schiff
nach ihrer Heimath überzuſetzen.
Ich ſelber wartete auf eine franzöſiſche Barke,
die uns nach Laguayra bringen ſollte, und wenn
ich mich auch nicht vor der Cholera fürchtete, ſo
iſt doch ſtets der Aufenthalt in einer Stadt, in
der nun einmal eine anſteckende Krankheit herrſcht,
nicht gerade angenehm. Ich ſehnte mich wenig—
er
ſtens darnach, wieder einmal die friſche reine
Seebriſe einzuathmen.
Eeeine Wohlthat könnte man übrigens dem
=. Platz erweiſen, denn eine Haupturſache von
Krankheiten iſt doch nur in zu vielen Fällen Un⸗
reinlichkeit und das Verfaulen weggeworfener
Ueberreſte oder todter Thiere. In St. Thomas
giebt es aber keine Zapilotas oder Aasgeier, und
doch wie leicht wäre es, dieſe nützlichen, ja an
manchen Stellen nothwendigen Thiere von Vera—
Cruz ſowohl, wo es deren in Unmaſſe giebt, wie
von Venezuela aus hinüber zu bringen. Zu
fangen ſind ſie dort unendlich leicht; an jedem
Marktplatz könnte man Hunderte bekommen, und
wie wenig Transportkoſten würden ſie zahlen.
Aber es bekümmert ſich eben kein Menſch darum,
und doch bin ich überzeugt, daß ſie den Preis
ihrer Anſchaffung jährlich an Beerdigungs⸗
koſten abtragen würden — die Menſchenleben
dabei gar nicht gerechnet.
Ende des zweiten Bandes.
Druck von G. Pätz in Naumburg a. S.
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