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Full text of "Neue reisen durch die Vereinigten Staaten, Mexiko, Ecuador, Westindien und Venezuela"

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BANCROFT LIBRARY 


Neue Heilen 


durch die Vereinigten Staaten, Mexiko, Ecuador, 


Weſtindien und Venezuela 


von 


Friedrich Gerſtäcker. 


Zweiter Band: 


Mexiko, der Iſthmus und Weſtindien. 
(Erſter Theil.) 


Die Ueberſetzung wird vorbehalten. 


Jena, 


90 d 


7. 
* 


7 5. 


(Erſter Theil.) 
Von New⸗Orleans nach Vera⸗Cruz 
Von Vera⸗Cruz nach Puebla 
Po ER 
Von Puebla nach Mexiko . 
Die Hauptſtadt Mexiko 


Der Weihnachtsmarkt zu Mexiko und 


Von Mexiko nach Cuernavaca . 


(Zweiter Theil.) 
Von Cuernavaca nach Acapulco 
Acapulco und weiter 
Ein Abſtecher nach Ecuador 
Panama . 5 0 
Von Panama nach St. Thomas 5 
A ien 


| 1. 
Von New-Orleans nach Vera-Eruz. 


Samstag, 23. November, ging ich an Bord 
der Schoonerbrigg „Daphne“, um mit dieſer den 
Miſſiſſippi hinab durch den Golf nach Mexiko 
hinüber zu fahren. Abends acht Uhr etwa wur⸗ 
den wir flott. Das kleine Schlepp⸗-Dampfboot 
nahm uns, zwei große Schiffe, ein amerikaniſches 


und ein preußiſches, die „Georgina“, mit noch einm 
dreimaſtigen Schooner in's Schlepptau, und wir iR 
dampften langſam den Strom hinab, etwa zwei 
Meilen unter der Stadt wieder Anker werfend. 15 

Das war ſchon ein langſamer Anfang, ließ ſich 
aber nicht ändern. Auch am nächſten Morgen 


brachen wir ſpät auf, weil auf dem Amerikaner, 
dem „Pokahontas“, ein Streit unter der Mann⸗ 
ſchaft ausgebrochen und ein Deutſcher durch ein 


8 
Meſſer verwundet, ein Irländer bös zerſchlagen 


worden. Beide mußten zurück nach New⸗Orleans 
geſchafft und gegen zwei andere Matroſen aus⸗ 


x getauſcht werden. Das dauerte etwa bis zehn Uhr, 


dann ſetzten wir unſern Weg, zwar mit der 
Strömung, aber gegen den Wind, langſam fort, 
um an demſelben Abend, Gott weiß aus wel— 
chem Grunde, wieder vor Anker zu gehen. Wir 
kamen nur wenig von der Stelle. | 

Am Montag erreichten wir endlich Abends 


5 5 und bei Gegenwind die Barre, als ein Tele— 
graphenbeamter vom Lande an Bord kam und 


dem Capitän eine Depeſche übergab. Unglaublich, 
aber wahr, in der Depeſche ſtand, daß die Pa⸗ 
piere des Schiffes nicht in Ordnung wären und 
wieder nach New-Orleans hinaufgeſchickt werden 
müßten, und der Capitän entſchloß ſich, ſelber zu 
gehen. 
| Am nächſten Morgen ſchlug der Wind um, 
und wir hätten fliegend den Miſſiſſippi verlaſſen 
können, aber nein, da lagen wir feſt, von un⸗ 
ſerem Anker gehalten, und erwarteten die Rüd- 


. kunft des Capitäns. Das war ein mal Pech. 


Die Zwiſchenzeit benutzten wir, um zu fiſchen, 


5 = und fingen mit der Grundangel Seeforellen, 


5 


einen Fiſch in Form der Aſche ähnlich, aber mit 
Forellenkopf, doch zu weichlichem Fleiſch. 

Am 26. kam die „Teutonia“ von Hamburg, 
das zweite Schiff der Hamburg-New-Orleans⸗ 
Linie, über die Barre und dampfte ſtromauf. 
Wie gern wäre ich an Bord gegangen, aber die 


„Teutonia“ hielt ſich leider nicht bei uns auf. 
Am 28. kam der Capitän nach ſehr raſcher 


Fahrt zurück und hatte ſeine Papiere in Ord⸗ x 


nung, aber der Wind war ungünftig und brachte 


die Nacht einen fliegenden Sturm aus Süden, 


jo daß wir zu ſchleppen anfingen und den zwei⸗ 5 5 
ten Anker auswerfen mußten. Das war zweimal 


Pech, und an ſegeln natürlich nicht zu denken. 
Am 29. heftiger Südwind mit hohem See— 
gang. Ein franzöſiſches Schiff, von zwei Schlepp— 
dampfern gezogen, arbeitete neun Stunden, bis 
es in den Strom kommen konnte, lief dann auf 
wärts und ankerte gerade unter unſerem Stern. 
Am 30. wundervoller Nordwind, — wir hät- 
ten mit zehn Meilen Fahrt auslaufen können, 
aber der Franzoſe — dicht unter uns lag er; 
wir wären nicht im Stand geweſen, den Anker 
zu heben, ohne ihm in die Takelage zu laufen, 
und er konnte gegen Wind und Strömung nicht 
von der Stelle. Damit verſäumten wir den wun⸗ 


10 


dervollen Wind und Morgen. Das war dreimal 
Pech. Die Reiſe von New-Orleans bis Vera⸗ 
Cruz dauert unter günſtigen Umſtänden etwa 
fünf Tage. Heute iſt der ſiebente, daß wir New— 
Orleans verlaſſen haben, und wir liegen noch 
immer im Miſſiſſippi. 
1 Allerdings hatten wir einige Abwechslung an 
Bord, denn der Sohn des Capitäns bekam einen 
Cholera⸗Anfall und wir damit die günſtige Aus⸗ 
ſicht, die Krankheit durchzumachen; aber glück⸗ 
licher Weiſe beſſerte es ſich wieder mit ihm, und 
wir hatten die Angſt umſonſt gehabt. Es wäre 
auch wirklich zu arg geweſen, denn als ich das 
letzte Mal im Jahre 1843 aus New-⸗Orleans 
auslief, hatten wir das gelbe Fieber an Bord, 
und jetzt wäre die Cholera ein erbärmlicher Tauſch 
geweſen. 
Neulich Abends hörte ich einem Zwiegeſpräch 
zwiſchen dem Steuermann und meinem einzigen 
Mitpaſſagiere zu. Beide find Yankees, und der 
Letztere war eine kurze Zeit als Inſpector bei 
dem Whiskey⸗Steuer⸗Departement angeſtellt. Ich 


5 gebe es auch nur deshalb hier wieder, um den 
Geeiſt zu zeigen, der jetzt im ganzen Volke herrſcht, 


muß auch bemerken, daß der Steuermann ein ein⸗ 
facher Seemann und der Andere ein anſtändiger 


* 


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11 
und liebenswürdiger junger Mann iſt, die es 
Beide für die größte Schande halten würden, 
auch nur einen Cent von einem Andern wirk— 
lich zu ſtehlen. 

Der junge Paſſagier äußerte, daß er große 
Hoffnung hätte, wieder bei der internal Revenue 
(das Volk nennt ſie infernal) angeſtellt zu wer— 
den, und der Steuermann meinte ſehr naiv: 
„Alle Wetter, das wäre ein Poſten, da könnte 
Einer in ein paar Jahren ſein Schäfchen in's 
Trockene bringen,“ worauf der Paſſagier ſagte: 


das ginge doch nicht jo leicht, als er denke . 


Den unteren Beamten würde zu ſehr auf die 
Finger geſehen, und es wären eigentlich nur die 
oberen, die wirklich im Stande wären, ihr Glück 
zu machen. „Aber etwas fällt doch immer dabei 
ab,“ bemerkte der Steuermann. „Ja, etwas ſchon,“ 
meinte der Andere, „aber es muß klug ange— 
fangen werden.“ 

Ich konnte mir jetzt nicht helfen, und be⸗ 
merkte ihnen, ſie redeten da ſo ruhig von der 
Chance, Onkel Sam zu beſtehlen, als ob die 
Beamten gar keinen Eid leiſten müßten, der ſich 
doch nicht ſo leicht umgehen ließe. 

„Bah!“ ſagte der frühere Branntwein-Con⸗ 
troleur, — „in dem Eide ſteht gar nichts davon 


12 
da; — hier iſt der Eid, den wir zu leiſten haben. 
Ich würde wahrhaftig nie einen Privatmann 
übervortheilen, aber aus der Regierung mir eine 
gute Stellung, und „zu machen, was man kann,“ 
iſt gewiß keine Sünde.“ 

Ich bat ihn, mir den Eid zu zeigen, den er 
gedruckt bei ſich trug, und dieſer enthielt faſt in 
der ganzen Form nichts Anderes, als auf die 
frühere Rebellion bezügliche Andeutungen, die 
den Beamten verpflichteten, loyal zu bleiben. 
Nur am Schluſſe verſprach er mit ein paar kur⸗ 
zen Worten, feine Pflicht treu und red⸗ 
lich zu erfüllen. Ich deutete jetzt auf dieſe 
Stelle und fragte, wie ſie dieſelbe, nachdem ſie 
dies einmal beſchworen, mit ihren Anſichten über 
die Sache vereinigen könnten; ſie meinten aber 
ſehr ruhig, dies hätte damit nicht das Geringſte 
zu thun, und „es gäbe keinen Beamten, der 
nicht derſelben Anſicht wäre.“ 

3 Daß ſich die Sache wirklich jo verhielt, wußte 
ich ſchon ſelber aus eigener Erfahrung und nach 
dem, was ich von Anderen darüber gehört, aber 
ich hatte es noch nie ſo klar und deutlich durch 
einen Beamten ſelber ausſprechen hören. Die 
Beamten ſehen alſo dieſen Eid als gar nicht be— 
ſtehend an, und ſtehlen eben ſo viel, als ſie, 


13 


ohne entdeckt zu werden, möglicher Weiſe können. 
Das iſt aber ſelbſt die Anſicht ſonſt unbeſchol⸗ 
tener und braver Amerikaner; — nun denke man 
ſich, welche Anſichten das Geſindel hat. 

Wie ſchon vorerwähnt, verhinderte uns das 
dicht unter unſerem Stern ankernde Schiff am 
Auslaufen, und der Schleppdampfer einer andern 
Linie als der, welchen die „Daphne“ benutzt hatte, 
weigerte ſich, uns fortzunehmen. Glücklicher Weiſe 
kam aber gleich nach Tiſch ein anderer von draus 
ßen ein, machte uns frei, nahm uns in's Schlepp⸗ 
tau und brachte uns ohne Weiteres über die 
Barre hinaus, wo wir, mit allen Raaſegeln ge— 
ſetzt, vor dem Winde und auf kaum bewegter 
See luſtig dahinglitten. 

Mittags am 1. December, etwa 120 Meilen 
von der Mündung des Miſſiſſippi entfernt, ſahen 
wir unter 270 nördlicher Breite etwa die erſten 
fliegenden Fiſche, und das ſollten auch ungefähr 
die einzigen Fiſche bleiben, die wir bis heute, 
Donnerstag, 5. December, zu ſehen bekamen, 
einige Schweinefiſche ausgenommen, von denen 
wir wohl einen harpunirten, aber nicht an Deck 
bekamen. Bis hierher hatten wir auch eine herr⸗ 
liche Briſe, die uns raſch weiter und unſerem 
Ziel entgegengeführt haben würde, wenn unſer 


Capitän eben ein anderer Mann geweſen. So 
aber ſchlief er den ganzen Tag. 

Ich habe etwas Aehnliches nie für möglich 
gehalten —, aber nur dreimal an jedem Tag — 
nach jeder Mahlzeit nämlich — kam er an Deck, 
kauerte ſich dort nieder, rauchte ſeine Pfeife und 
ging dann ordentlich und regulär wieder zu Bett. 
Dabei hatte er bedeutende Angſt, daß wir in der 
Nacht das ihm unbekannte Vera-Cruz anlaufen 
ſollten, und noch auf 150 Meilen Entfernung 
ließ er in der herrlichſten Briſe alle leichten Segel 
einnehmen, damit wir nicht zu raſchen Fortgang 
machten. > 
Das war am 3. und Windſtille folgte. Heute 
ſind wir endlich (am 5.) in Sicht von Land ge- 
kommen, und heute Abend weht eine prachtvolle 
Briſe. Natürlich läßt der Capitän ſchon in die⸗ 
ſem Augenblick wieder die oberen Segel einnehmen 
und geht dann direct zu Bett. Es iſt zum Ver⸗ 
zweifeln! 

Am 6. Wie gedacht, ſo geſchehen. Mit der 
geſtrigen Briſe hätten wir wenigſtens den Leucht⸗ 
thurm von Vera⸗Cruz anlaufen können, aber 
Gott bewahre! Die Segel waren halb einge— 
nommen und konnten nicht wieder geſetzt wer- 
den — da der Capitän ſchlief. Als er heute 


10 


Morgen aufwachte, war Windſtille, und wir 
treiben jetzt in Sicht des prachtvollen Kraters 
Orizaba draußen in See herum. 

Der Anblick, als heute Morgen die Sonne 
aufging und die Schneekuppe des Orizaba beſchien, 
war herrlich, aber doch kein Vergleich gegen den 
von geſtern Abend, als ſie hinter den gewaltigen 
Bergwänden unterging, ihre rieſigen Contouren 
klar gegen den weſtlichen Himmel abzeichnete und 
ſie mit ihrem rothen Lichte übergoß. Zu gleicher 
Zeit lagen ſo phantaſtiſch geformte Wolkenmaſſen 
zwiſchen und um dieſe Gebirgsformen, daß man 
oft kaum wußte, was Berg, was Wolke ſei, und 
das Auge ſtaunend dem wahrhaft märchenhaften 
Scenenwechſel folgte. 

Ich habe viel Schönes und Wunderbares von 
Bergſcenerien in meinem Leben geſehen, aber 
nie etwas wild Phantaſtiſcheres, als dieſes von 
der Sonne gluthroth übergoſſene Gewirr von 
Bergen und Wolken, das uns leider nur zu 
bald im hellen Mondenlicht verſchwand. 

Heute Morgen liegt der Orizaba, noch etwa 
100 Miles entfernt, vor uns, und man kann mit 
dem Teleſkop deutlich den ungeheuren Krater in 
ſeiner Spitze erkennen. Er muß aber ſeit ziem⸗ 
lich langer Zeit kein Feuer oder heiße Dämpfe 


16 
ausgeſtoßen haben, denn der Schnee liegt oben 
an jeinem Rand noch voll und dicht, und nur 
eine tiefe Schlucht läßt ſich an ſeiner Nordſeite 
erkennen, in welcher früher wahrſcheinlich die 
Lava ihren Abfluß fand. 

Kein Lüftchen regt ſich dabei; das Schiff ct 
ſo ſtill, wie vor Anker, und kein einziges Segel 
iſt am Horizont zu ſehen. Noch nicht einmal ein 
Vogel hat uns beſucht, — ein Zeichen, daß wir 
noch ziemlich weit vom Lande ab ſind. Der Ca⸗ 
pitän ſchläft wieder. 

Am 7. Endlich Rettung aus dieſer lang⸗ 
weiligen Umgebung. Wir waren den ganzen Tag 
faſt mit Windſtille herumgetrieben, und erſt etwa 
um drei Uhr kam eine kleine Briſe, die uns dem 
Lande etwas näher trieb — aber auch dieſe ſchien 
uns nichts helfen zu ſollen, denn gegen vier Uhr 
ſprach der Capitän ſchon wieder davon, daß er 
nicht wagen dürfe, dem Land zu nahe zu kommen 
— und von einem Lootſen war keine Spur zu 
ſehen. Es fehlte auch wahrlich nicht viel, ſo 
wären wir dicht vor der Einfahrt wieder um— 
gekehrt, als wir noch etwa eine halbe Stunde 
vor Sonnenuntergang ein kleines Boot ent⸗ 
deckten, das auf uns zu zuhalten ſchien. Es 
war in der That ein Lootſe, der uns gerade mit 


BERN 


Dunkelwerden erreichte — und faſt zugleich er— 


hob ſich eine ſo prächtige Seebriſe, daß wir, vor 


dem Wind, dem Lande raſch entgegenfliegen konnten. 
Der Hafen von Vera-Cruz gehört nicht zu 
den beſten und iſt bei einem gerade in dieſer 


Jahreszeit am häufigſten wehenden ſtarken Nord⸗ 


wind den darin liegenden Schiffen oft gefährlich. 


Ein Riff erſtreckt ſich dabei am Lande reichlich 
zwei Meilen, vielleicht noch mehr hinauf, und 


man darf deshalb nicht etwa auf den niederen 


und ſchlechten Leuchtthurm zuhalten, ſondern 
muß ihn ſo lange links liegen laſſen, bis man 


faſt auf den Strand geräth, und nun — bis 


dahin einer Weſtrichtung folgend, nach Süden 


zu in den Canal einläuft, der zwiſchen Vera-Cruz 


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und dem Fort Ulloa den eigentlichen Hafen, oder 


vielmehr die Rhede bildet. Man hat da allerdings 
an manchen Stellen nur vier Faden Waſſer, 
aber keinen beſondern Ankergrund, und leiden 
fällt es gar nicht ſo ſelten vor, daß bei einem 
einſetzenden Nordſturm die Schiffe ihre beiden 
Anker ſchleppen und an die Küſte getrieben und 


zerſchmettert werden. 

Da lagen wir — drinnen in der Stadt 
ſchlugen die Glocken die achte Stunde an, — im 
dicht beiliegenden Fort trompeteten die Wachen 


Gerſtäcter, Neue Reiſen. II. 2 


und machten einen Heidenlärm — und wie wun⸗ | 
derbar die Stadt jelber dabei im hellen Monden⸗ 
lichte lag; wie ſonderbar die niederen, alters— 
grauen Häuſer mit den ſie umgebenden Feſtungs⸗ 
mauern und den runden Kuppeln und zahlreichen 
Thürmen ausſahen! Selbſt das Fort, durch das 
Mondenlicht niedergedrückt, ſchien flach zu ſein 
und auf dem Waſſer zu ſchwimmen — aber die 
Seereiſe war wieder einmal überſtanden und ich 
ſelber in einem neuen, prachtvollen Land, nach 
dem ich mich ja ſchon ſo lange geſehnt. Dort 
drüben lag der Schauplatz von Cortez' Thaten — 
dort herrſchte Montezuma — und Maximilian — 
Beide ſo unglücklich, und doch wie verſchieden in 
ihrem ganzen Wirken — dort, unter den ſchlum⸗ 
mernden Bergrieſen, lag ein ganzes Chaos von 
Weltgeſchichte, und ich konnte die Zeit kaum 
erwarten, wo ich den Fuß auf mexikaniſchen 
Boden ſetzen würde. 
Jetzt bin ich da, — hier an der Plaza 
ſitze ich und ſchaue auf das wunderliche Treiben 
zu meinen Füßen hinab, auf den grünen, freundli⸗ 
chen Platz mit Palmen und Granatbüſchen, zwiſchen 
denen ein geſchmackvoller Brunnen ſein plätſchern⸗ 
des Waſſer emporſendet, auf die wunderliche Ka⸗ 
thedrale gegenüber, deren Dächer und Vorſprünge 


mit einer Unzahl von Zapilotas oder Aasgeiern 


beſetzt find, auf die Seßoritas in ihren Mantillen 


und die Mauleſeltreiber in kurzen Serapes und 


breitrandigen Sombreros, auf die nichts weniger 7 
als kriegeriſch ausſehenden Soldaten in rothen 


Hoſen und blauen Jacken, auf ſpielende Kinder 
und vorbeigaloppirende Pferde. 385 
Wie ein altes Märchenbild vergangener Zeit 


liegt die kleine Hafenſtadt hier um mich her, ſo . 
unähnlich dabei irgend einem andern Ort der 


Welt, wie es ſich nur möglicher Weiſe denke 
läßt. Vera⸗Cruz — ja, wahrlich, es führt feinen 
Namen mit Recht, denn es hat das wahre Kreuz 
des Landes ſchon ſeit endloſen Jahren getragen 
und gewöhnlich das vorderhand auseſſen müſſen, 15 
was ihm Andere im inneren Lande eingebrockt, 


die dann auch ruhig warteten, um zu ſehen, wie 


es ihm bekommen würde. BR 
Vera-Cruz — da ſteht auch kein Haus, das 
nicht in der einen oder andern Revolution feine 


Kanonenkugel bekommen, und ſelbſt der alte Ori- 5 


zaba, der verſtorbene Vulkan jener Nachbarſchaft, 
ſcheint Mitleid mit der Stadt bekommen und 
aufgehört zu haben, ſie durcheinander zu ſchütteln, 
denn ſie war geplagt genug und er konnte ſeine 


Bemühungen deshalb getroſt einſtellen. 
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20 


Und trotzdem begreift man nicht, wenn man 
den Platz und feine Befeſtigungen genauer ans 
ſieht, daß er nicht ſchon lange in ſeinen Kämpfen 
mit den Amerikanern und Franzoſen in Grund 
und Boden zuſammengeſchoſſen iſt, denn die 
Mauern ſehen wahrlich nicht ſo aus, als ob ſie 
der Kugel aus einer gezogenen Kanone Stand 
halten könnten. Vera⸗Cruz hat aber trotzdem 
Glück gehabt, denn die Liberalen, die es im letz- 
ten Kriege ernſtlich beſchoſſen, waren ſo ärmlich 
mit Geſchütz verſehen und zielten ſo ſchlecht, um 


ihm verhältnißmäßig doch entſetzlich wenig Schaden 


zuzufügen, und die paar Kugeln, die wirklich in die 


Stadt flogen, beſchädigten wohl einzelne Häuſer 


und Kirchen und zertrümmerten in den erſteren be= 
ſonders Spiegel und Schränke und erſchreckten 
arme Frauen, ohne jedoch für die Belagerer einen 
wirklichen Erfolg zu erringen. 

Die Kirchen boten freilich die größte Scheibe 


und wurden deshalb auch von den meiſten Kugeln 


getroffen, und daß man in dem ſonſt doch ſo 
ziemlich bigotten Lande ſo entſetzlich wenig für 
ihre Reſtauration thut und die meiſten in der 
That völlig verfallen läßt, hat wohl ſeinen Grund 


in der Auflöſung der Klöſter überhaupt, und in 
der Beſchränkung der Rechte ſämmtlicher Geiſt⸗ 


21 
lichen. Ihre Macht in Mexiko iſt gebrochen, 
und wenn ſie auch mit alter Zähigkeit daran 
arbeiten, ſie wieder zu gewinnen, wird ihnen das 
doch kaum gelingen. Gegenwärtig ſcheint nur 
eine einzige von allen Kirchen der Hauptſtadt in | 
regelmäßigem Gebrauch zu ſein — die Kathedrale 
an der Plaza. Die übrigen, wo ſie nicht ganz 
dem Einſturz nahe ſind, ſtehen leer und werden 


faſt ſämmtlich als Bodegas oder Waarenlager N 


an hieſige Kaufleute ausgemiethet. — Die geiſt⸗ 
liche Partei wird hier allerdings ſtreng unter dem 
Daumen gehalten; man ſieht zum Beiſpiel keinen 
einzigen Geiſtlichen im Ornat oder in Ordens 
tracht auf der Straße; ebenſo iſt jetzt geſetzlich 


verboten worden, die heilige Monſtranz offen zu 


Sterbenden zu tragen — in einer bevölkerten 
Stadt immer ein hoͤchſt ſtörender Gebrauch, da 
er plötzlich den ganzen Verkehr hindert und die 
ihm Begegnenden, ohne Rückſicht auf das Glau⸗ 
bensbekenntniß, zwingt, in einer wenigſtens an⸗ 
ſcheinend betenden Stellung ſtehen zu bleiben, 
bis der Zug vorüber iſt. Ja, in einigen Ländern 
Süd⸗Amerikas zwang man ſogar Jeden, auf die 

Kniee niederzufallen, und mancher Fremde, aus 
einem proteſtantiſchen Lande vielleicht, der nicht 

einmal gleich wußte, um was es ſich da handle, 


er 


wurde bei ſolchen Gelegenheiten arg gemißhan— 
delt. Das iſt jetzt hier Alles vorüber — wenig: 
ſtens für den Augenblick — ſelbſt das zu über⸗ 
mäßige Läuten mit den Glocken iſt unterſagt, 
wovon früher eben auch im Uebermaß Gebrauch 
gemacht ſein ſoll. | 
Die Bauart von Vera-Cruz iſt natürlich ganz 
genau in dem altſpaniſchen Styl, wie man es 
in allen ſüdamerikaniſchen Städten findet, in 
denen der Einfluß der Fremden noch nicht zu 
überwiegend geworden iftl, wie z. B. in Val⸗ 
paraiſo. Das tropiſche Klima verlangt das aber 
auch; Vera⸗Cruz liegt unter 190 13° nördlicher 
Breite, alſo vollkommen in der heißen Zone, 
5 und ſelbſt jetzt, im ſogenannten Winter, ſchlafe 
ich bei offenen Balconthüren, mit einem Mini⸗ 
mum von Zudecke; es verſteht ſich da von ſelbſt, 
daß die Häuſer überall dem Luftzug offen ſein 
Er müſſen, und die Privatwohnungen der Mittel- 
und ärmeren Klaſſe haben ſelbſt im Parterre 
meiſt nur Gitterthüren mit einem dünnen Ver— 
hang bedeckt und ſtehen bis ſpät in die Nacht 
hinein offen. 
Und was für prächtige alte, faſt ruinenartige 
# Kirchen findet man in der Stadt; ja, ſelbſt die 
Kathedrale, die den meiſten Städten, wie Quito, 


9 


Guajaquil und ſelbſt Lima, nicht zur 5 


Zierde gereichen, ſieht durch ihre runde, un 5 
bemalte Kuppel wie den viereckigen, durchbroche⸗ at 


nen Thurm und das Verwitterte ihrer e 1 
maleriſch genug aus. Br 
Ueberhaupt bildet die, wenn auch kleine Plaza 


einen allerliebſten Mittelpunkt der Stadt durch 
den grünen, mit Palmen und Blumenbüſchen 
bepflanzten Raſenfleck derſelben, auf deſſen Cen⸗ 
trum ein hübſcher eiſerner Springbrunnen ſteht, 
während breite Trottoirs mit Ruhebänken ſelbſt 3 
bei naſſer Witterung einen bequemen Spaziergang 
bieten. Leider hat man in den letzten Kriegen 1085 
alle die herrlichen Cocospalmen in der Stadt 
und um dieſelbe herum abgehauen oder raſirt, 5 
um angeblich dem Feinde keinen Schutz zu ges 
währen, und erſt an wenigen Orten begonnen, 80 


ſie nachzupflanzen. Hier auf der Plaza iſt das 9 


aber geſchehen, und wenn ſie auch noch mancher es 


Jahre bedürfen, um wieder ihre frühere Höhe 
zu erreichen, ſo iſt doch wenigſtens der Anfang 1 
dazu gemacht. 8 

Auch eine Freiheitspalme wurde auf die Plaza 


gepflanzt, eine Palma real, aber freilich an eine 1 


ungünſtige Stelle, faſt unmittelbar neben einer 


Gaslaterne, an der ſie jetzt ein kümmerliches 5 


24 


Ausſehen hat und mit ihren vergilbten und ab- 
geſtorbenen Blättern ziemlich dürftig daſteht. 

Nur das Herz ſcheint geſund, und es iſt möglich, 
daß ſie ſich wieder erholt, aber viel wird an der 
Stelle nie aus ihr werden. 

Um die Plaza ſtehen Häuſer mit Colonnaden; 
die eine Front nimmt das ziemlich geſchmackvolle 
Gouvernementshaus ein, das mit ſeinen Rund⸗ 
bogen ganz hübſch ausſieht; ihm gegenüber 
ſteht das Hötel de las Diligencias, unter den Bo— 
gen mit Verkaufsläden und Kaffeehaus, und der 
Kathedrale gegenüber, wo ich jetzt durch die Gaſt— 
lichkeit der Familie d'Oleire nur zu behaglich 
einquartiert bin, ſtehen Privathäuſer mit eben— 
falls darunter befindlichen Bodegas, Comptoiren 
und kleineren Läden. 

Das Gouvernementshaus ſchräg gegenüber 
ſah beſonders freundlich und luftig aus, und 
hatte mir außerdem eine beſondere Ueberraſchung 
aufgeſpart. 

Es ſchlug auf der daran befindlichen uhr 
gerade voll, und mit dem erſten Schlag faſt — 
genau wie bei einer der alten Schwarzwälder 
Uhren — ſprang ein kleiner Soldat in rothen 

Hoſen vorn unter die Colonnaden, hob mit dem 
zweiten Schlag eine kleine Trompete an den 


25 


Mund, blies darauf ein kleines Stück, und war 
mit dem letzten wieder in der dunklen Thür 
verſchwunden, — und jedesmal, wenn es voll 
ſchlug, erneute ſich dies allerliebſte Schauſpiel. 

Die Tracht der Bewohner, ſo weit es nicht 
die unteren Klaſſen betrifft, iſt vollkommen euro— 
päiſch; nur die Reiter tragen den breiten mexi⸗ 
kaniſchen Hut, eine kurze Jacke und faſt in⸗ 
dianiſch ausgefranzte Leggins an den Beinen. 
Ebenſo haben die Damen, wenn ſie zur Kirche 
gehen, noch die ſchwarze Mantille beibehalten, 
die ſie aber ganz kokett umzuſchlagen verſtehen. 

Die Arbeiter tragen, wie überall in den 
heißen Ländern, nur Hemd und Hoſe, und zwar 
an Sonntagen das erſtere über der zweiten, die 
Frauen einen einfachen Kattunrock und die Man— 
tillen aus demſelben Stoff. 

Höchſt wichtige Bewohner der Stadt darf ich 
aber nicht vergeſſen zu erwähnen, und das ſind die 
ſogenannten Zapilotas (carrion crow in den 
Vereinigten Staaten), die großen, ſchwarzen Aas— 
geier, die hier die Stelle der Tauben in unſeren 
deutſchen Städten vertreten, und ſo zahm wer— 
den, daß ſie Einem manchmal kaum aus dem 
Wege gehen und ſich in früher Morgenſtunde 
nicht ſelten mit den Hunden auf der Straße 


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herumbeißen. Sie ſind aber auch — ſo wider⸗ 3 


lich ſonſt in ihrer ganzen Erſcheinung — eine 
wirkliche Wohlthat der Tropen und genau daj= 


ſelbe, was die Hyäne in Afrika iſt. Sie reine 


gen Stadt und Umgegend von jedem Unrath, 
und ſelbſt ein gefallenes Maulthier oder Pferd 
kann die Nachbarſchaft nur auf kurze Zeit ver- 
peſten, denn die Zapilotas halten da ſtrenge 
Polizei, und in vier bis fünf Tagen ſind die 
leeren Knochen das Einzige, was von dem todten 
Stücke übrig geblieben. 

Komiſch iſt es, wenn ſie ſich Abends auf der 


Kathedrale ihren Ruheplatz ſuchen, wozu ſie eine 


ziemlich geraume Zeit gebrauchen, denn die beſten 
Plätze, d. h. die höchſten und beſonders die oben 
auf dem Kreuz, werden den glücklichen Beſitzern 


immer wieder ſtreitig gemacht, wobei durch einen 


manchmal entſtehenden Kampf zuweilen eine 


ganze Reihe in Unordnung geräth. Hat es dann 


die Nacht geregnet, oder iſt auch nur ein ſehr 
ſtarker Thau gefallen, dann ſitzen ſie Morgens 
nach Sonnenaufgang an den ſonnigen Seiten 
der Straßen auf Dächern und Geſimſen mit 
ausgeſpannten Flügeln regungslos halbe Stun⸗ 
den lang, und laſſen ſich wieder ordentlich ab⸗ 


trocknen. Uebrigens werden ſie auch von der 


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Polizei beſchützt, und wer einen von ihnen muth⸗ 5 


willig tödtet, hat eine nicht unbedeutende Geld? 


ſtrafe zu erlegen. 


Vera⸗Cruz iſt nicht beſonders geſund, doch ſcheint . 5 
es noch, als ob es beſſer wäre als fein Ruf, denn 
das gelbe Fieber zum Beiſpiel, das eigentlich hier 


das ganze Jahr heimiſch iſt, tritt, nach Allem, was 


ich darüber gehört, ſelten oder nie ſo bösartig auf, 8 


wie zum Beiſpiel dieſes Jahr wieder in New⸗ 


Orleans, wo es Tauſende von Opfern gefordert 1 


hat und ſich dann ſpäter durch die Cholera ab⸗ 


löſen ließ. Allerdings wird die Stadt von gro 5 


ßen Sümpfen umgeben, die nun jetzt in der 
trockenen Jahreszeit wieder meiſtentheils ver- 
dunſten; trotzdem hat man hier augenblicklich 
keine epidemiſche Krankheit, ja läßt ſogar die 
von Havannah kommenden Schiffe in Quarantaine 


legen, da gerade dort die Cholera heftig wüthen 


ſollte. 
Allen Reſpect übrigens vor den Producten 
des Landes, über die ich früher lange nicht ſo 


vortheilhaft gedacht habe, als da ich ſie ſelber 


näher kennen lernen konnte. Der Vera⸗Cruz⸗ 
Tabak (der auf der Hochebene allerdings nicht) 
iſt ganz ausgezeichnet und die dort verfertigten 
Cigarren, von denen nur bis jetzt zu wenig ge⸗ 


— 


28 


macht werden, um einen Ausfuhr-Artifel zu 
bilden, ſtehen den Havannah-Cigarren in der That 
nur wenig — wenn überhaupt — nach, koſten 
aber auch freilich das Nämliche, was Havanah⸗ 
Cigarren in ihrer Heimath gelten. 

Eben ſo ausgezeichnet iſt der in der tierra 
caliente gezogene Kaffee, der mir wenigſtens 
beſſer geſchmeckt hat als der Venezulaniſche und 
in Vera⸗Cruz zu einem mäßigen Preis zu 
haben iſt. Wie reich überhaupt iſt das ganze 
Land, und doch in welch ewigen, unaufhöͤrlichen 
Kämpfen lebt das Volk, nur immer den Acker 
mit Blut düngend, ohne je an eine Ernte zu 
denken! — 

Was man und wo man auch hier in Vera⸗ 
Cruz vom inneren Land erzählen hört, Räuber 
geſchichten bilden immer den Refrain; Räuber⸗ 
geſchichten, die oft an die ſchönſten Lebensjahre 
Rinaldo Rinaldini's erinnern, und unglaubliche 
Dimenſionen annehmen, ſobald man Jemanden 
antrifft, der nur eine etwas entlegene und nicht 
ſo leicht zu controlirende Tour gemacht hat. 
Ich ließ mich übrigens dadurch nicht ab— 
ſchrecken, das Innere ſelber zu beſuchen. Daß 
zahlloſe Räubereien vorfielen, war Thatſache; 
aber es iſt erſtlich einmal ſehr die Frage, ob ich 


29 


ſelber dadurch behelligt werden würde, und dann 
— ging ich auch vortrefflich bewaffnet, und 
glaubte deshalb ſchon, ohne zu große Gefahr, 
ein kleines Abenteuer beſtehen zu können. 

Gedanken an die Reiſe trübten deshalb meinen 
kurzen Aufenthalt in Vera⸗Cruz auch keine Se⸗ 
cunde, und ich gab mich ganz der Geſellſchaft 
vieler deutſcher Freunde hin, die ich dort fand. 

Deutſches Leben überall, deutſcher Fleiß und 
Unternehmungsgeiſt, der ſich wacker, ſelbſt in den 
ſchwierigſten Zeiten und Lagen, hält, und dabei 
ruhig allen Hinderniſſen die Stirn bietet. 

Das Leben dieſer Kaufleute, beſonders in den 
ſüdamerikaniſchen Staaten, wie auch hier in 
Mexiko, iſt oft ein kleiner Roman in ſich ſelbſt, 
denn man darf ja nicht glauben, daß ſie in den 
Revolutionen unbehelligt bleiben. Alle Präſiden⸗ 
ten, wie ſie heißen, ob ſie, rechtmäßig gewählt, 
gegen eine Revolution ankämpfen, oder ſelber 
Revolution machen, brauchen Geld, und da der 


Staat nie etwas beſitzt, die Kaufleute dagegen, 


beſonders die fremden, ſtets, fo iſt nichts natür⸗ 

licher, als daß ſie, — bald mit, bald ohne Er- 
folg, in Anſpruch genommen werden, und ſchon 
dadurch in viel nähere Beziehung mit der Re- 


le 


gierung kommen, als ihnen ſelber lieb und nütz⸗ 
lich iſt. 

In der Hauptſtadt Mexiko ſpielte ja zum Bei⸗ 
ſpiel der Verräther Marquez, der zuletzt von bei- 
den Parteien gehangen wäre, wenn ſie ihn nur er— 
wiſcht hätten, eine ordentliche Comödie mit den 
fremden Kaufleuten, die er in der letzten Scene 
des Dramas, wo er ſich verrätheriſcher Weiſe 
zum Commandirenden der Hauptſtadt aufgewor⸗ 
fen, zu einem Frühſtück einlud, die Thüren dann 
mit Soldaten beſetzen ließ und einen der acht⸗ 
barſten Deutſchen, der ſich weigerte der Geld— 
forderung Genüge zu leiſten, jo lange in Gefan— 
genſchaft hielt, bis er endlich zahlte. 

Jetzt waren die Zeiten allerdings wieder ru— 
higer, aber wer kann ſagen, wie lange das in 
Mexiko dauert. — Quien sabe! 

Handel und Geſchäft lagen denn 91 0 in 
Vera⸗Cruz ziemlich darnieder, aber unſere Lands— 
leute ſchienen ſich das wenig zu Herzen zu neh— 
men, oder doch Vertrauen auf die Zukunft zu 
haben; äußerlich ſah man ihnen keinenfalls irgend 
welche Sorgen an, und mich ſelber empfingen ſie 
auf das freundlichſte. 

Ich war gleich nach meiner Ankunft im Hötel 
de las Diligencias — wie man hier und bis Puebla 


2 


a 


an jeder Zwiſchenſtation und in jeder Stadt das 


anſtändigſte Hötel zu heißen ſcheint — abgeſtie— 


gen, blieb aber dort nur wenige Tage, da ich 


von der Familie d' Oleire auf das liebenswür⸗ 
digſte eingeladen wurde, zu ihnen hinüber zu 


ziehen. Ich hatte ein mir vollkommen fremdes 


Land betreten, aber ich ſelber wurde von den 
guten Menſchen dort nicht als Fremder ange— 
ſehen, und die kurze Zeit, die ich in Vera-Cruz 
verbrachte, verging mir allerdings wie im Flug. 

Auch Ausflüge zu Pferd machte ich, und wenn 
man ſich der Stadt von der See aus nähert 
und die dürre, von einigen kahlen Sandhügeln 
eingeſchloſſene Fläche ſieht, von der ſie umgeben 


iſt, ſollte man es kaum für möglich halten, daß 


die Nachbarſchaft einen hübſchen Spazierritt bieten 
könne. Deſto mehr war ich überraſcht, als ich 
eines Morgens mit einem jungen Mann aus 
dem d' Oleire'ſchen Geſchäft jene dürren, gar nicht 
weiten Hügel überritt und in den prachtvollſten 
Schatten eines Waldes eintauchte, durch den 


ein Reitweg führte, wie man ihn ſich kaum 


romantiſcher denken kann. 
Und wie das in den Büſchen zwitſcherte und 
jang, wie das ſchwirrte von herüber und hinüber 


fliegenden Vögeln, und wie ſelbſt das Laub ſo 


32 


freundlich rauſchte, wenn die Briſe darüber hin- 
ſtrich! — Es iſt eigenthümlich, wie man ſich auf 
einer Seereiſe, und ſei ſie noch ſo kurz, nach 
ſchattigen Bäumen ſehnt, und wie wohl es Einem 
thut, wenn man ſich endlich wieder darunter findet. 
— Die Menſchen find nun einmal keine Amphi⸗ 
bien. Selbſt der an das blaue Waſſer gewöhnte 
und dort eigentlich heimiſche Matroſe wirft ſich, 
ſobald er ihn erreichen kann, in den Schatten 
der Büſche, und nimmt, wenn er wieder zur 
See geht, häufig eine Anzahl Zweige mit, um 
ſie in ſeinem Vorcaſtle aufzuhängen. Er hat da 
wenigſtens noch ein Andenken vom feſten Land 
und etwas Grünes, das ihn vielleicht an die 
eigene Heimath erinnert. 

Ganz eigenthümlich nahm ſich Vera-Cruz aus, 
als wir es auf dem Rückweg wieder in Sicht 
bekamen. Die Stadt ſelber hat genau eine ſolche 
bräunliche Farbe wie ein photographiſches Bild, 
und liegt vollkommen flach in der Ebene, aber 
darüber hinaus ragen überall die Kuppeln und 
niederen Thürme der Kirchen und Klöſter, hie 
und da auch mit den ſie umgebenden Feſtungs⸗ 
werken, und dahinter wieder breitet ſich der Strei— 
fen Meer, den nachher die niedere und früher 
für uneinnehmbar gehaltene Feſtung Ulloa deckt, 


7 5 + * r 
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* RR, * 2 * 
* 
33 x 


fo daß man dadurch ein höchſt charakteriſtiſches, 
wenn auch nicht beſonders maleriſches Bild erhält. 


Vera⸗Cruz ſelber iſt nur eine ſehr kleine 


Stadt, die ſich allerdings wohl weiter ausgebreitet 


hätte, wenn fie nicht von Feſtungsmauern um: 5 


ſchloſſen wäre. So aber ſind die Häuſer feſt und 
dicht ineinander gedrängt ohne mehr als einen 


kleinen Hofraum für jedes, und erſt in den 


letzten Jahren ſcheint man angefangen zu haben, 
vor dem einen Thor und in der Kähe der Eifen- 
bahn eine kleine Vorſtadt anzulegen, die ſich aber 
wohl kaum raſch vergrößern wird. Alle Augen- 
blicke giebt es ja eine neue Revolution, und 
wenn Vera⸗Cruz auch gerade keinen uneinnehm⸗ 
baren Charakter hat, hält man ſich doch immer 
hinter den Mauern ſicherer, als davor. 

So troſtlos übrigens die unmittelbare Um⸗ 
gebung der Feſtung auch ſein mag, jo wunder: 
bar ſchön und üppig geſtaltet ſich die Scenerie, 

ſobald man nur eine kurze Strecke mit der von 
hier abführenden Eiſenbahn in das Land hinein 
fährt und den Sand des Meerſtrandes hinter ſich 
läßt. 

Dort beginnt allerdings zuerſt der Sumpf, 
und die ganze Niederung, der auch wohl Vera— 


Cruz ſeine gelegentlichen gelben eee 
Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. N 


778 5 1 8 N 
5 AIR Nr 
NN N 0 
* 
34 5 


zu danken hat, breitet ſich weit hinein in das 
Land; aber das dauert mit der Bahn nicht lange, 
und wie man ſich nur einem kleinen, dort gele— 
genen Städtchen Medellin nähert, an dem ein, 
wenn nicht breiter, doch auch nicht unbedeutender 
Fluß mit hohen, waldigen Ufern vorüberſtrömt, 
findet man ſich plötzlich von dem ganzen Zauber 
tropiſcher Scenerie umgeben. 

„Noch hat Niemand ungeſtraft unter Palmen 
gewandelt.“ — Es iſt das eins jener gangbar 
gewordenen albernen Sprichwörter, gegen welches 
ich mich wenigſtens auf das entſchiedenſte ver- 
wahren möchte. 

Aller menſchlichen Berechnung nach ee ich 
wohl nie wieder eine Tropengegend betreten, aber 
fo oft ich fie auch und an den verſchiedenſten 
Stellen in allen Welttheilen beſuchte, ging mir 
das Herz immer auf, wenn ich in den Schatten 
jener herrlichen Bäume trat und ihre luftigen 
Wipfel rauſchen hörte. Gejtraft bin ich aber 
nie worden, und nur die Sehnſucht habe ich 
immer mit mir fortgetragen nach dem jchönen 
ai 

Und Mexiko iſt ſchön. Die Natur hat ihre 
Gaben mit verſchwenderiſchen Händen ausge— 
ſtreut, und ſelbſt von dem Volk kann man nicht 


EEE, Bu ee 
5 1 = T 
x 
35 


ſagen, daß es bös oder tückiſch wäre. Ich will 
alle die entſetzlichen Raubanfälle, die mir auf 


meiner Tour durch das Land erzählt wurden, 


glauben, und wahrlich nicht leugnen, daß es 
auch viel — recht viel Geſindel in dem weiten 
Reiche giebt; — aber welches Land hat das nicht, 


und — Gelegenheit macht Diebe. Die ewigen 5 
Revolutionen und Umwälzungen, faſt alle von 


den Pfaffen angeregt oder unterſtützt, machten 
Tauſende von Menſchen nicht allein brotlos, 
ſondern gewöhnten fie auch an ein müſſiges Le⸗ 
ben, ja zwangen ſie dazu. Iſt es da ein Wun⸗ 
der, daß fie verwilderten. Das Heben und blu⸗ 


tige Treiben in Mexiko hat ja gar kein Ende 1 
genommen, und es iſt kaum zu erwarten, daß 


in einem noch ſo wilden und wenig bevölkerten 


Reich, für das die einzelnen Regierungen wenig i 


oder gar nichts thun können, weil ſie jelber nur 
ewige Arbeit haben, ſich auf ihren Sitzen zu hal— 
ten, der Arme und durch den Krieg Ruinirte 
nicht gleich wieder ein friedlicher Landmann wird, 
ſobald es einem der Präfidenten oder Regieren? 
den einfällt, zu ſagen: „Der Krieg iſt vorbei!“ 
| Gebt dem Volk einmal einen wirklichen 
Frieden, — zeigt ihm die Mittel, ſich ehrlich 
durch's Leben zu bringen, mit einer Garantie, 


daß er die Frucht, die er ſäet, nicht bei der 
Ernte für neue Soldatenbanden hergeben muß, 


und die Räubereien werden von ſelbſt aufhören. — 


Jetzt iſt freilich wenig Hoffnung dazu; den Mann, 

der dem Lande hätte den Frieden geben konnen, 
haben ſie gemordet, der blutige Lerdo, mit der 
indianiſchen Puppe Juarez, regiert den kleinen 
Theil von Mexiko, auf dem ſie noch feſten Fuß 
halten, und im übrigen Land iſt in dieſem Augen= 
blick der Bürgerkrieg wieder an ſechs oder acht 
verſchiedenen Stellen ausgebrochen. — Es iſt 
traurig, wie die Menſchen ſo mit frevlen Hän⸗ 
den ihr eigenes Paradies verwüſten. 

Doch um auf Medellin mit ſeinen prachtvollen, 
üppigen Hacienden und dem ganzen ſtrotzenden 
Reichthum ſeiner Vegetation zurückzukommen, ſo 
that es den Augen wirklich wohl, in dem fri⸗ 
ſchen Grün der Blüthenbüſche herumzuwandern 
und dabei das fröhliche und harmloſe Treiben 
der Menſchen zu ſehen, die ſich darin bewegten. 

Harmlos? — nun ja, im Allgemeinen, wenn 
man die Spieltiſche abrechnet, die in dieſem klei— 
nen „Badeort“ von Vera-Cruz aller Orten und 
Enden aufgeſtellt waren. Aber die ſpaniſche Race 
kann nun einmal ohne das Hazardſpiel nicht 
exiſtiren. Ihr ganzes Leben iſt auch etwas Aehn⸗ 


37 


liches, und wenn es verboten wäre, würden fie 8 


es heimlich thun, — genau ſo, wie es bei uns, 


in den civiliſirteſten Ländern der Erde, eben auch 


geſchieht. 


Es war ein Sonntag, als wir den Platz be⸗ 5 ; 
ſuchten, in welchem auch viele Bewohner von 


Vera⸗Cruz kleine Landhäuſer haben, oder doch = 


wenigſtens in der Saiſon ihren Wohnſitz dort 
nehmen, und natürlich an dem Abend Ball. Vor⸗ 


her hatten wir aber noch einen reizenden Spa- 


zierritt durch die Nachbarſchaft, durch Fruchtgär— 9 
ten und Baumwollenfelder gemacht, und ſahen 


uns dann auf dem Rückweg die Stadt etwas 
näher an. 


Medellin iſt ein — man könnte ſagen künſt⸗ 


licher Badeort, denn irgend eine Mineralquelle 
beſteht dort nicht. Ein deſto herrlicheres Bad bietet 
aber dafür der kleine Fluß, der, wenn ich nicht 


irre, den nämlichen Namen führt, als das Städte 
chen ſelber, und um ihm doch eine medieiniſche 
Kraft zu geben, hat man ausgeſprengt, die Sarſa- 


parilla, die in Maſſe an ſeinen Ufern wächſt 
und oft in den Strom hineinhängt, mache das 


Waſſer jo außerordentlich geſund und heilkräftig. | 


Ehe wir in den Ballſaal hinübergingen, — 


und es fing indeſſen ſchon an zu dämmern, be— 


ſüuchte ich noch einmal ein altes, verfallenes Ge⸗ 
bäude, das mir vorher gezeigt und in ſofern von 
Intereſſe war, als in dem letzten Kriege die von 
dem Vicekönig von Aegypten gekauften Trup⸗ 
pen, welche von den Franzoſen nichtswürdiger 
Weiſe gezwungen wurden, ſich gegen ein ihnen 
ganz fremdes Volk zu ſchlagen, hier einquartiert 
geweſen waren und den Platz damals verſchanzt 


ö und verbarrikadirt hatten. Was wußten jene une 


glücklichen Menſchen von dem Kaiſer von Frank— 
reich, was von dem von Mexiko, — was hatten 
ihnen die Mexikaner je zu Leide gethan, daß ſie 
ihre Kugeln gegen ſie abſchoſſen und Gram und 
Herzeleid in manche Hütte trugen? Was hatten 
ſie ſelber verſchuldet, daß ſie aus ihrer Heimath, 
von ihren Familien geriſſen wurden — die Un⸗ 
glücklichen, die noch kaum einen frohen Tag in 


ihrem Leben geſehen, und unter Zwang und 


Despotismus aufgewachſen waren? 

Es iſt eine Schmach für unſer Jahrhundert, 
daß etwas Derartiges geſchehen konnte und durfte, 
und wird ein Schandfleck für Frankreich bleiben, 
ſo lange es noch eine richtende Geſchichte giebt. 
In dem düſtern, öden Raum wanderte ich 
jetzt umher. Die unglücklichen Aegypter, das ges 
knechtetſte Volk, ſo lange die Welt ſteht, — waren 


mit den Schiffen ihrer Händler wieder fortge- 


zogen, die ausgenommen, deren blutige Leichname 8 


unter den Waldbäumen lagen. Die früheren Be⸗ 
feſtigungen hatten die Mexikaner zerſtört, — das 
Thor ſtand offen, und eine dumpfe Höhle gähnte 
mich an, als ich es betrat. Da waren aber noch 
die Plätze, wo ſie ſich unter dem wohl ſchon das 
mals defecten Dach gegen den Regen geſchützt, 1 5 


dort die rauchgeſchwärzten Wände, wo ſie ihr 1 


dürftiges Mahl gekocht. Hie und da in den 
Wällen erkannte ich auch noch, trotz der Dam⸗ 
merung, verſchiedene Stellen, in welche die Ku⸗ 


geln eingeſchlagen und den Kalk von den Mauern 
losgeriſſen hatten. — Aber der Platz war, das 


Wenigſte zu ſagen, ungemüthlich. Ueberall auf 
dem Boden lagen niedergebrochene Steine und 
Balken, wie Schutt umher, und die einzigen leben= 
den Weſen in dem ganzen öden Platz, in dem 
das Dämmerlicht mehr und mehr ſchwand, waren 


vielleicht, außer ein paar hie und da verftedten 5 


Schlangen und anderem Gewürm, ein paar große 8 


Fledermäuſe, die meine Anweſenheit nicht gern 


zu ſehen ſchienen. E 
Ich mochte ihnen nicht zur Laſt fallen, und 
wanderte ſtill und ſchweigend, der armen Aeg er 

denkend, in die Stadt zurück. 


ee er ö 


Fröhlicher Lärm und Muſik, Lachen und 


$ Jubeln! — Wie düſter lag dort hinter mir das 


zur Ruine gewordene Caſtell der afrikaniſchen 


Schlachtopfer — wie ſo hell und Lichter ſtrahlend 


vor mir der brillant erleuchtete Raum, in dem 
ſich die Tanzenden ſchon im muntern Reigen 
drehten, während dicht dahinter, aber in einem 
offenen Gemach, die Spieltiſche mit ihrem klim⸗ 
pernden Geld den Damen wieder die Tänzer 
wegzulocken ſuchten. 

Aber die Damen von Mexiko ſcheinen gar 
keine oder nur ſehr wenig Tänzer zu gebrauchen, 
denn ſie beſorgen ſich das ſchon gewöhnlich ſelber, 
indem ſie allein — wie ich das auch früher in 
Californien geſehen — in den Ring treten. Und 
doch ſind neue Tänze eingeführt, und zwar ſcheint 
hier die amerikaniſche Occupation eine fruchtbare 
Saat ausgeſtreut zu haben, denn die dansas, die 
ich in Medellin von einigen Damen aufführen 


1 5 ſah, waren eigentlich nichts in der Welt weiter 


als eine zierliche Hornpipe oder ein ſogenann— 


ter Jig. 


Einige ſehr intereſſante hübſche Geſichter be— 

merkte ich dabei, und junge Frauen, natürlich in 
ihrem höchſten Staat, mit Crinolinen, Chignons ꝛc. 
— aber keine langen Schleppen, ſondern Alle 


44 


leicht geſchürzt, um auch die allerliebſten kleinen 
Füße nicht ungeſehen zu laſſen. Uebrigens ſchien 
es eine Art von Wetttanz zwiſchen verſchiedenen 
jungen Damen, die einzeln einander ablöſten und 
zu übertreffen ſuchten, während das männliche 
Publikum — denn die zuſchauenden Damen ver⸗ 
hielten ſich vollkommen paſſiv — oft bis zum 
Enthuſiasmus ſeinen Beifall zu erkennen gab. 

Während des Tanzes hatte ein alter Burſche, 
der die Guitarre ſpielte, oder eigentlich mehr im 
Tact ſchlug, fortwährend kleine zweizeilige 
Strophen — auf die Eigenſchaften der gerade 
tanzenden Schönen bezüglich — geſungen, und 
oft lauten, ja ſtürmiſchen Beifall geerntet. Die 
Worte verſtand ich allerdings nicht, denn erſtlich 
hatte ich mein weniges Spaniſch in dem langen 
Zwiſchenraum ſo ziemlich verlernt und mußte 
wieder von vorn anfangen, und dann biß der 
Burſche auch die Worte ſo kurz ab und brummte 
ſie manchmal ganz in den Bart hinein, daß ſelbſt 
meine des Spaniſchen vollkommen kundigen Be— 
gleiter den Sinn nicht herausbekamen. Was er 
aber ſang, ob es ſchmeichelhaft oder mit leichter 
Ironie gemiſcht war, konnte man immer deutlich 
und unverkennbar in den lebendigen Zügen der 
gerade tanzenden Schönen leſen, wie ſie die Lip— 


pen zuſammenzog, erröthete oder ihm auch einen 


blitzenden und trotzigen Blick zuwarf — aber N 


das war auch die einzige Waffe, die fie zu haben 
ſchienen, und der alte Mexikaner hatte das wohl 
| eine Stunde als alleiniger Wortführer fortgeſetzt, 
als plötzlich ein junges ſchlankes Mädchen -- 
nicht mehr zu jung, aber wunderhübſch, mit ruhig 
umherſchauendem Auge den Saal betrat und ein 
Flüſtern raſch durch die Verſammlung lief. Sie 
mußte das auch hören, ſchien es aber gar nicht 
zu beachten, ſondern ganz in die Muſik vertieft 
zu ſein und betrachtete nur die gerade draußen 
beſindliche Tänzerin mit prüfenden Blicken. 

Der alte Burſche ſchwieg — es war, als ob 
er ſich ſelber überlege was er thun ſolle, und 
ein neben mir ſitzender Mexikaner flüſterte mir 
zu, ich möge jetzt aufpaſſen, das ſei eine der 
berühmteſten Tänzerinnen in ganz Medellin. 
Sie ließ uns nicht lange warten. Kaum war 

die junge Dame, die allein den Tanzplatz inne 
hielt, abgetreten, als ſie in den Ring hinein⸗ 
ſchlüpfte und nun zu der raſch einfallenden 
Melodie mit außerordentlicher Fertigkeit eine 


richtige Jig tanzte. Sie mußte auch unter den 


Schuhen kleine hölzerne oder metallene Platten 
haben, denn der Tact klappte wie ein zierliches 


N 


94 
2 
N 


Hammerwerk immer ſchärfer, immer raſcher mit 


zur Muſik, und ſchon machte ſich der Beifall des 1 


Publikums in lauten Ausrufen Luft. 


Jetzt fiel auch der alte Sänger wieder ein, 
und zwar, wie es ſchien, in ſchmeichelhaftem Lob, 
denn um die Lippen der Schönen zuckte ein 


ſpöttiſches Lächeln. Ob er das aber bemerkt 9 


hatte, er ging weiter, und plötzlich ſah ich, wie 


ihr Geſicht blutroth wurde und einige der älteren 55 


Damen kicherten. Aber ſie dachte nicht daran, 


irgend eine ihr nicht paſſende Anſpielung ruhig 


hinzunehmen. Ohne dabei ihren Tanz auch nur 
für einen Moment zu unterbrechen, ſang ſie in 


der nämlichen Weiſe eine Antwort, die aber jo 


ſcharf und beißend ausgefallen ſein mußte, daß | 


das Publikum plötzlich in lauten Jubel ausbrach. 
Der Alte begann wieder, ſie aber blieb ihm 
keine Antwort ſchuldig und nach Allem, was ich 


dabei ſehen konnte, auch entſchieden im Vortheil. 


Das Ganze wurde natürlich vollſtändig extem— 
porirt, und ich hätte viel darum gegeben, die 
genauen Worte und Anſpielungen zu verſtehen, 


doch, wie geſagt, in der Muſik und dem Lärm 


wie der undeutlichen Ausſprache war das un⸗ 
möglich. ö 


* 


Der Tanz ſoll bis gegen Morgen gedauert 


44 


haben, ich ging aber früh zu Bett, blieb je⸗ 
doch noch lange genug dort, um zu ſehen, wie 
eine Dame beſonders, die aber ſchon jedenfalls 
im Anfang der Dreißiger ſtehen mußte und 
nichts weniger als hübſch war, nur ſehr jugendlich 
gekleidet ging, mit jeder neuen Tänzerin den 
Wettkampf aufnahm — aber fie behielt ein un: 
dankbares Publikum, dem ſie jedoch, wie dem 
alten Sänger, trotzig die Stirn bot. 
In Vera⸗-Cruz blieb ich im Ganzen kaum 
eine Woche, und hatte dort auch noch Gelegenheit, 
einige Ueberreſte der öſterreichiſchen Expedition 
zu beobachten, denen es allerdings nicht immer 
gut ging. 

Am beſten ſcheinen ſich die Aerzte zu befinden, 
von denen ſehr viele in Mexiko zurückgeblieben 
ſind, und denen man auch nicht das Mindeſte in 
den Weg gelegt hat. Den Mexikanern war ja 
ſelber damit gedient, tüchtige Aerzte in ihr Land 
zu bekommen, und manche habe ich getroffen, 
die ſich außerordentlich wohl befinden. Einzelne 
Soldaten trieben ſich aber noch, obgleich man ſie 
im Ganzen ſchon nach New-Orleans geſendet 
hatte, in der Stadt herum und — bettelten, eben 

nicht zur Freude ihrer Landsleute. Die Meiſten 


45 


von dieſen jollen jedoch Böhmen jein, und in 
dem Fall iſt es auch erklärlich. | Ä 

Noch wäre ich gern einige Tage länger ges 
blieben, aber der franzöſiſche Paketdampfer kam 
mit einer Unzahl Paſſagieren ein, und meine 
dortigen Freunde verſicherten mir, daß die Dili- 
gence jetzt auf längere Zeit belegt werden würde, 
ſobald dieſe das Land beträten, da die meiſten 
von ihnen augenblicklich nach der Hauptſtadt 
gingen. Dem wollte ich mich nicht ausſetzen, 
und da fie glücklicher Weiſe zwei Tage in Quaran⸗ 
taine gelegt wurden, benutzte ich dies und ließ 
mich gleich einſchreiben. Den freundlichen Em— 
pfang meiner wackeren Landsleute in Vera-Cruz 
nahm ich aber für ein gutes Omen. Straßen⸗ 
räuber oder keine, ich wollte das Land kennen 
lernen, und ein wenig Gefahr macht ja ſelbſt 
den langweiligſten Weg intereſſant, wie viel mehr 
alſo eine Fahrt durch dies wunderbar jchöne Land. 


En ET N 
r ©, . 
272 ĩͤ d FR a Es eier 1 
1 E 4 N pP * 1 


2. 
Von Vera-Cruz nach Puebla. 


Mittags um ein Uhr ging der Eiſenbahnzug 
von Vera⸗Cruz ab. Die Bahn führte aber bis 
jetzt nur erſt bis Paſo del Macho, das wir noch 
an dem nämlichen Abend erreichen ſollten. 

Dort, wo wir vorüberfamen, ſtanden, uns 
mittelbar vor der Stadt ein paar beſchädigte 
Eiſenbahnwagen. Im letzten Kriege waren 
Kugeln hindurchgefahren und hatten die Achſe 
des einen zerſchmettert — aber es dachte Niemand 
daran, ſie zu repariren. In Wind und Wetter 
blieben ſie ſtehen und mochten da auch ruhig 
verfaulen. Waren ſie total ruinirt, dann muß⸗ 
ten neue angeſchafft werden. Jetzt zählten ſie 


noch mit. 


Die Reiſe von Vera⸗Cruz, oder vielmehr die 


47 


Abfahrt, ſieht übrigens noch ziemlich behaglich 
aus. Unmittelbar an der Stadt ſetzt man ſich 
in einen ganz bequemen Eiſenbahn-Waggon, und 
mit all' den bei ſolcher Fahrt gebräuchlichen Vor⸗ 
richtungen ſcheint es gar nicht, als ob man eben 


im Begriff ſtände, in ein — gerade nicht wildes, 5 hr 
aber doch verwildertes Terrain einzutauchen. 
Das ändert ſich freilich noch an dem nämlichen 


Tag. 

Die Scenerie iſt wundervoll. So wie man 
nur erſt einmal die niederen Feſtungsmauern 
der Stadt und den Schmutz der nächſten Umge— 
bung hinter ſich hat, begrüßt das Auge die 
wundervollſte Vegetation, und Cocospalmen ragen 
überall aus einem üppigen Gewirr von Schling⸗ 


pflanzen und Blüthenbüſchen empor. Rothe, N 


weiße und gelbe Winden ſchlingen ſich zu un⸗ 
durchſichtbaren Mauern und Gewölben zuſammen, 
und hie und da ſtrecken die breiten Blätter der 
Bananen ihre grünen Arme dem Licht entgegen. 


Dann und wann aber, wie man durch die Baum⸗ 


gipfel einen freien Blick gewinnt, ragt plötzlich 
in der Ferne der hohe, ſpitze Schneekegel des 
Orizaba herüber und ſticht merkwürdig gegen die 
wilde, überreiche Vegetation der heißen Zone ab; 
aus welcher er emporſteigt. : 


„ 


Kleine Ortſchaften, an denen Stationen an⸗ 
gelegt wurden, unterbrechen die Fahrt; Frucht- 
ſtände in Bambushütten, die mich lebhaft an 
ähnliche auf Java erinnerten, bieten dem Frem⸗ 

den eine nicht unangenehme Abwechslung, und 
das Auge findet überall ſo viel zu ſchauen, daß 
man ſich wirklich kaum um ſeine Reiſegefährten 
kümmern kann und mag. Weiß man doch auch 
nicht einmal, ob es für die kurze Zeit der Mühe 
lohnt, denn welche von ihnen begleiten uns auf 
der längeren Tour? Das muß ſich erſt im 
Nachtquartier ergeben. Von da ab wurde näm— 
lich die Weiterreiſe nur durch die Diligence 
auf dem camino real ermöglicht und ſollte am 
nächſten Morgen beginnen. . 

Nun muß ich aufrichtig geſtehen, daß mir 
das Wort camino real nicht beſonders gefiel, 
denn wenn ich an Ecuador, Peru, Chile, Uru⸗ 
guay und alle anderen ſüdlichen Staaten zurüd- 
dachte, ſo überlief mich ein ſtilles, ahnungsvolles 
Grauen. Camino real heißt eigentlich „könig— 
licher Weg“ oder Hauptchauſſee, und wenn ich 
mir irgend einen recht nichtswürdigen Weg leb— 
haft ausmalen wollte, ſo brauchte ich mir nur 
die caminos reales jener Gegenden in's Gedächt⸗ 
niß zurückzurufen. Aber früher geleſenen Be⸗ 


49 


ſchreibungen nach ſollten ja alle die Hauptwege 


unter der Regierung des Kaiſers gründlich reſtau⸗ 5 


rirt ſein, und ich hatte alſo nichts Aehnliches 
wie in den „ Republiken zu be⸗ 
fürchten. 

Paſo del Macho hieß die Station, wo wir 


unſer Abendeſſen einnahmen und dann über⸗ 


nachteten. Dort vor dem Hauſe hielt auch ſchon 
die Diligence — genau ein ſolches Fuhrwerk, 
wie es ſonſt in den Vereinigten Staaten von 
Nordamerika üblich war —, und noch jetzt er— 
zählen dort die alten Leute an langen Winter⸗ 
abenden, neben ihren Abenteuern mit Bär, Pan⸗ 
ther und giftigen Schlangen oder Ueberfällen 
der blutgierigen Wilden, ihre Fahrten in einer 
ſolchen Diligence. | 
Dieſe iſt jetzt hier in Mexiko als „Neuerung“ 
eingeführt — ein rother, neunſitziger, doch gut 
in Federn hängender Kaſten, aber jo ſtark ge- 


arbeitet, um ſelbſt den Schreckniſſen eines e 


mino real die Stirn zu bieten; und dort hinein 
ſollten wir am nächſten Morgen gepreßt und 
unſerem weiteren Schickſal überliefert werden. 
Das Hötel, in dem wir uns befanden, be⸗ 
ſtand aus einem großen Saal, um den herum, 
nicht unähnlich wie in einer Cajüte an Bord 
Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. 5 4 


deines Schiffes, verſchiedene kleine Schlafgemächer 


llagen und nur durch dünne, nicht einmal zur 
Decke reichende Bretterwände getrennt wurden. 


In erſter Klaſſe mit der Eiſenbahn war auch 
ein Herr mit zwei ſehr elegant gekleideten Da— 


Be men, jedenfalls Schweitern, gekommen, die beim 


Abendeſſen ſehr viel Wein und nach dem Kaffee 
jede ein großes Glas Cognac tranken. Es waren 
Franzöſinnen und, wie ich bald fand, meine 
Reiſegefährtinnen für morgen früh. Außerdem 
befanden ſich noch zwei ältere und zwei jüngere 
Mexikaner am Tiſche, und eine junge mexika⸗ 
niſche Frau mit einem kleinen Kinde und einem 
jungen Hunde — ſämmtlich Futter für das Innere 
der Diligence. Da wir übrigens Alle müde 
waren und früh wieder heraus mußten, ſuchten 
wir bald unſer Bett, und ich ſelber ging nur 
noch vorher etwa eine Stunde mit einem ſeit 
langen Jahren in Mexiko lebenden Deutſchen 
vor dem Hötel ſpazieren und ließ mir Einiges 
über die jetzigen und früheren Verhältniſſe des 
Landes erzählen. 

Am nächſten Morgen, noch bei ſtockfinſterer 
Nacht, ein Heidenlärm: die Paſſagiere, wie die 
ganze Nachbarſchaft, wurden geweckt, damit die 
eigentlichen Schlachtopfer erſt Kaffee trinken 


a | 


konnten, ehe fie ausgeliefert wurden. Jetzt kamen = 


er 


die Maulthiere — oder mulas — und Jeder 
ſuchte ſich in der Dunkelheit feinen, ihm durch den 
Einſchreibezettel angewieſenen Platz. Das ſchien 
freilich Anfangs ganz unmöglich, denn eine Unzahl 


kleines Gepäck, wie Reiſeſäcke, Cigarrenkiſten, 
größere Schachteln und andere Dinge, ſtanden 
ſo überall im Wege, daß Niemand im Stande 
war die Füße auszuſtrecken. Einige wollten da⸗ f 
gegen proteſtiren, doch der eine Mexikaner bat j 
fie vernünftiger Weiſe, nur erft einmal den 
Wagen abfahren zu laſſen, nachher würde ſchon 


Alles raſch „zuſammengeſchüttelt“ werden; und 


darin hatte er vollkommen Recht. 5 

Es iſt auch eine allbekannte Thatſache, daß 
bei ſolchen Abfahrtsgelegenheiten, ſei das nun 
ein Schiff, ein Boot oder ein Wagen, Alles 
im Anfange überfüllt erſcheint und Niemand 
die Möglichkeit ſieht darin auszuhalten: aber 
erſt einmal kurze Zeit unterwegs, und es regu— 
lirt ſich Alles. Selbſt das Unmögliche wird 
möglich gemacht, und man richtet ſich zuletzt ſelbſt 
behaglich ein — behaglich — Gott verzeihe mir 
das Wort auf einem camino real! 


Die Thiere zogen an; der Wagen rollte in 


die Nacht hinaus und jede weitere Unterhaltung 
4* 


52 


wurde in dem Moment unmöglich, denn die 
Räder gingen über ein paar im Wege liegende 
Steine fort, wie ich damals dachte, und ſolche 
A Stöße erfolgten, daß nur Jeder beſchäftigt war, 
ſich ſelber auf ſeinem Sitz feſtzuhalten, ohne 
dem Nachbar mehr als nöthig zur Laſt, d. h. 
auf den Leib zu fallen. Aber die „Steine“ hör— 
ten nicht auf; was ich für etwas Zufälliges gehal- 
ten, war der gewöhnliche Gang der Diligence, und: 
Steht bei den Fallen! dachte ich mit meinem alten 
Capitän Schmidt. Tu l'as voulu, George Dan- 
din — der Stein rollte, und was ich mir ein⸗ 
gebrockt, mußte ich nun auch eſſen. 

Der Mond ſtand allerdings am Himmel und 
der Kutſcher konnte ſeinen Weg nothdürftig er— 
kennen; im Innern des Kaſtens herrſchte aber 
völlige Dunkelheit. Während das Kind ſchrie, 
der kleine Hund winſelte, die Männer fluchten 


und die Damen ſtöhnten, wurden wir unglück— 


lichen Paſſagiere mit wahrhaft eiſerner Aus— 
dauer auf den ſteinharten Sitzen auf und 
nieder geſtoßen, und wir Alle fühlten, daß erſt 
einige Uebung in dieſem Marterkaſten dazu ge- 
höre, um auch nur ſeinen Empfindungen durch 
Worte Luft zu geben, wenn man nicht ſeine eigene 


53 


Zunge leichtſinniger Weiſe in Gefahr bringen 
wollte, abgebiſſen zu werden. a 

Eiſenbahn! Ich hatte Anfangs geglaubt, daß 
der Preis derſelben für die kurze Strecke, und f 
mit nur 25 Pfd. Gepäck frei, etwas hoch ges 


griffen ſei. Jetzt fand ich, daß ſie ſpottbillig 
geweſen, und daß man hätte den dreifachen Preis 


fordern dürfen, nur um einen ſolchen Weg uns 1 
möglich zu machen. Aber das ſollte noch bejjer 
kommen. Re 

Endlich wurde es Tag. Wir jahen erſt an 
beiden Seiten des Weges hohen, prächtigen Wald 
im Dämmerlicht, und konnten dann auch nach 
und nach unſere eigenen Jammergeſtalten im 
Innern des Wagens unterſcheiden. bi | 

Die Diligence fuhr übrigens lange nicht mehr i 
ſo raſch, als beim Ausgang aus Paſo del Macho, 
wo ſie „beſſern“, d. h. trockenen Weg gehabt. 
Dort war die Straße wenigſtens abgetrocknet 5 
durch Wind und Sonne, hier hatte der Schatten 
und Schutz der Bäume beides verhindert, darauf 
einzuwirken, und als ich jetzt einen Blick aus 
dem Fenſter hinauswarf, fand ich, daß der ganze 
camino real nur aus einer faſt ununterbrochenen 
Kette von Sumpflöchern beſtand, um welche ſich 
der Kutſcher entweder herumwinden mußte oder 


SE 


in die er, wenn er das unmoglich fand, keck und 


unerbittlich ein- und hindurchtauchte. 

Bis dahin hatten wir Alle ziemlich mürriſch 
geſeſſen und das nun eben doch Unvermeidliche 
ſchweigend ertragen. Jetzt plötzlich, als der 
Wagen ſich etwas raſcher fortbewegte, war es, 
als ob der ganze Vordertheil verſänke. Im näch⸗ 


0 fſten Augenblick erfolgte ein furchtbarer Stoß; 
daas Hintertheil hob ſich, im Innern ſtürzte Alles 
durcheinander, und nun war es, als ob ſich die 


ganze Diligence überſchlagen und einen ſogenann— 
ten Purzelbaum ſchießen wollte. Aber es ſchien 


nznur ſo. Das hinten aufgeladene Gepäck mochte 


doch glücklicher Weiſe zu ſchwer geweſen ſein, es 
drückte den Rücktheil wieder zurück, der vordere 
Wagentheil hob ſich, als ihn die mulas weiter 
riſſen, empor, und fort rollten wir, einem neuen 
Loch entgegen. 

Dieſer kleine Zwiſchenfall ſchien aber die 
Zungen gelöſt und die ganze mürriſche Laune 
verſcheucht zu haben. Die Behandlung war zu 
niederträchtig, und wir brachen faſt Alle in ein 
freilich halbverzweifeltes Lachen aus. Jetzt wurde 
auch die Unterhaltung allgemein; wir waren auf 
einmal bekannt mit einander geworden, und die 


55 


nachherigen Stöße konnten nur dazu dienen, dieſe = 
Bekanntſchaft zu befeſtigen. 1 


Sonderbarer Weiſe ſprang aber die Unterhal⸗ h 1 
tung ſehr bald von dem Wege ſelber ab und 


drehte ſich, wenigſtens für zwei Stunden, nur 


um die Ladrones oder Straßenräuber, die dieſen 5 5 
Weg unſicher machten, die Diligence ſchon oft 
angefallen und beraubt und ſogar eine Anzahl 
Menſchen dabei getödtet hatten. Ich war auch für 
die Herren nicht ganz unvorbereitet. Ich ſaß mit 
meiner geladenen Doppelbüchſe im Arm, Revolver 
und Meſſer an der Seite, im Wagen und ſag 
nur bis jetzt noch nicht die Möglichkeit ein, wie 85 
man bei einer ſolchen Fahrt ſich wirkſam ver⸗ 85 
theidigen könne. Wenn dabei nur die Hälfte der 
Geſchichten wahr war, welche ſich die Mexikaner = 
erzählten, jo unterlag es faſt keinem Zweifel, 3 
daß wir ebenfalls angefallen werden mußten, 
und von einer verſprochenen Escorte war keine Be 
Spur zu erkennen. Der Wald um uns her lag 
öde und ſtill und bot faſt bei jeder Biegung die 
herrlichſte Gelegenheit, aus dem Hinterhalt vor⸗ 
zuſpringen und eine Ladung Rehpoſten in den ä 


durcheinander geſchüttelten Kaſten hineinzufeuern. 
Aber die Räuber blieben aus, und ſtatt deren 


überholten wir bald darauf in einem kleinen 


56 
Dorf einen Trupp Infanterie, die beſtimmt 
ſchien, uns zu begleiten.. Der Weg hatte hier 
auch in der That einen ſolchen Grad von Nichts 
würdigkeit erreicht, daß wir doch nur im Schritt 
fahren konnten. : 

Die Soldaten jtanden an der Straße, unter 
den Bäumen aufmarſchirt, und ſahen mit ihren 
braunen Geſichtern und grauen Uniformen mit 
grünen Streifen nicht ſchlecht aus. Sie ſchienen 
auch gute Gewehre zu haben, und es war nicht 
wahrſcheinlich, daß es ein Trupp von Straßen- 
räubern wagen ſollte, die auf ſolche Art unter 
ſtützten Paſſagiere anzugreifen. Aber die Freude 
dauerte nicht lange. Etwa eine Stunde Wegs 
ja, hielten ſie gleichen Schritt mit uns. Der 
Weg beſtand hier aus einer ſolchen Kette von 
Schlammlöchern, daß die acht vor die Diligence 
geſpannten Maulthiere kaum, und nur mit größter 

Anſtrengung, den leeren Wagen hindurchſchleppen 
konnten, der zuletzt auch wirklich vollkommen 
ſtecken blieb. Unſere Escorte marſchirte nun 
wi voraus, und als es dem Kutſcher nach großer 
Anſtrengung gelang, die Räder wieder frei zu 
bekommen, ſo daß wir weiter rücken konnten, über— 
holte uns die zweite Escorte, die soldadera, das 
Ka heißt die Frauen und Queritas der vorangegan— 


SD 


genen Soldaten, die Körbe mit Lebensmitteln auf iR 


ihren Köpfen trugen und ganz ernſthaft und 
ehrbar an beiden Seiten des Wagens mitgingen 
— bis wir wieder ſtecken blieben. Dann vers 
ließen auch ſie uns, und nach einer halben 
Stunde etwa holten wir beide Theile der Truppe 
ein, die ſich unter den Bäumen ein Feuer an: 
gezündet hatte und ihr Frühſtück kochte und ver— 
zehrte. Wir fuhren vorüber, und das war das 
letzte Mal, daß wir, bis dicht vor Puebla, irgend 
einen Soldaten zu ſehen bekamen. 

Ganz wunderbar ſchön und herrlich wurde 
aber hier die Scenerie, als wir uns beſonders 
dem kleinen Orte Cördoba näherten, und hier 
ſchienen die Eingeborenen doch auch einigermaßen 
die Hand geboten zu haben, um der Natur, die 
ihnen Alles gab, nur wenigſtens in etwas ent- 
gegen zu arbeiten. Bis dahin hatten die einzel- 
nen Hütten, die wir im Walde fanden, nur wie 
verlaſſen in der prachtvollſten Vegetation, aber 
von Unkraut umwuchert, geſtanden. Jetzt zeigten 
ſich hie und da kleine Gärten, und wo nur ein 
Keim in die Erde geſteckt war, da wuchs ein 
Wald von Fruchtbäumen empor. Kam man dann 
zu einer größeren Hacienda, ſo war es wirklich 
ein ganz prachtvoller Anblick, dieſen faſt fabel- 


58 

haften Reichthum zu ſehen, den die Natur ent- 
faltete. Bananenſtämme ſchoſſen bei einem ganz 
enormen Umfang im Stamm zu einer Höhe 
empor, wie ich ſie faſt noch nirgends gefunden. 
Mango, Sapotes, Orangenbäume, Cherimoyas, 
Agua ⸗Caltas ſtanden überall mit ihrem herr— 
lichen Laub, und die Hecken bildete gewöhnlich 
ein dichter Streifen von Kaffee- und einzelnen 
Cacaobäumen, die im Schatten des Fruchtwaldes 
gediehen. | 

Wie wohl das dem Auge that, nachdem man 
ſo lange Zeit nur den wild durchwachſenen Wald 
geſehen, zu dem der entſetzliche Schlammweg ganz 
vortrefflich paßte! Hier wurde ſogar dieſer camino 
real etwas beſſer, ſo daß wir nicht mehr alle 
Augenblicke auszuſteigen und halbe Stunden zu 
marſchiren brauchten, und wir erreichten endlich, 
aber ſchon nach Dunkelwerden und nachdem wir 
noch vor Sonnenuntergang den Schneekegel 
Orizaba deutlich geſehen und bewundert hatten, 
das kleine Städtchen Orizaba, wo wir im Dili⸗ 
gence⸗Hötel übernachten ſollten. 

In Orizaba fand ich einige Deutſche, und da 
uns Paſſagieren noch ein paar Stunden Raſt 
blieben, weil wir erſt um zwölf Uhr wieder auf— 
brechen ſollten, ſo ging ich mit dieſen noch kurze 


59 

Zeit auf den „Chriſtmarkt“, der aber eigentlich 
faſt nur aus Spielbuden und Spieltiſchen be— 
ſtand, und wo faſt alle Waaren zum Verloſen 
eingerichtet ſchienen. In dieſer Zeit iſt nämlich 
das Hazardſpiel freigegeben und die Spielpacht 
bringt der Stadt für dieſe eine Woche etwa 
35,000 Dollars ein. Man kann ſich alſo denken, 
was dieſe Leute verdienen müſſen, um doch auch 
noch ihren eigenen Gewinnſt dabei zu machen. 

Nie im Leben habe ich aber auch das Spiel 
jo und für alle Klaſſen, von dem reichſten Ha⸗ 
ciendero bis zu dem ärmſten Indianer hinab, 
ausgebeutet geſehen, und man findet Tiſche, wo 
um Unzen, wie andere, wo um eine kleine Kupfer— 
münze geſpielt wird, und zwar an einem ſo lei— 
denſchaftlich wie am andern. Aber nicht allein 
die Spieler frequentiren dieſe Zelte, nein, faſt 
ſämmtliche Familien der Stadt, da eine ſehr große 
Bude mit vielen Hundert Sitzen zu einem echten 
Lottoſpiel eingerichtet und faſt jeden Abend auch 
vollſtändig beſetzt iſt. Wie gemiſcht aber die 
Betheiligung dabei ſein muß, beweiſt ſchon der 
Ausrufer, der die Nummern zieht und auf den 
Bildungsgrad der minder Befähigten freundlichſt 
Rückſicht nimmt. Er zieht zum Beiſpiel Nr. 87 
und ruft dann ochenta siete, dann aber auch 


60 


noch einmal die beiden Zahlen, wie ſie hinter 
einander ſtehen, alſo ocho siete, damit ſolche, 
welche keine verbundenen Zahlen leſen können, 
ſich leichter hineinfinden. Die erſte Quinterne 
gewinnt dabei einen beſtimmten und ziemlich 
hohen Satz. Die gezogenen Nummern werden 
mit Maiskörnern beſetzt. 

Auf dem Markte ſaßen eine Menge Frucht- 
verkäufer bei dem Licht von lodernden Kienbrän— 
den, das einen eigenthümlichen Schein über das 
Ganze warf. Kienholz giebt es hier in Maſſe, 
denn an den Vulkanen ſtehen große, aber freilich 
ſchon ſehr gelichtete Kieferwaldungen. 

Orizaba iſt ein wichtiger hiſtoriſcher Punkt 
in der Kaiſergeſchichte geworden. Maximilian, 
als er hierher kam, befand ſich ſchon auf ſeinem 
Weg nach Europa. Er hatte eingeſehen, daß er 
ſeine Stellung nur durch einen langen Kampf 
vielleicht erhalten konnte, und wollte kein Blut- 
vergießen in Mexiko mehr ſein et halben. Sein 
Entſchluß war gefaßt, ſein meiſtes Gepäck ſchon 
zum Verſenden fertig. Da trat ſein böſer Geiſt 
wieder an ſeine Seite — der Pater Fiſcher, der 
in dem charakterſchwachen aber gutherzigen Mo— 
narchen das beſte Werkzeug gefunden zu haben 
glaubte, in Mexiko das Concordat einzuführen 


61 


und der Kirche die „geraubten Güter“ wieder zu— 
rückzuerſtatten, und deſſen Ueberredung — darin 
ſtimmten Alle überein — iſt es allein zuzuſchrei⸗ 
ben, daß Maximilian nach der Hauptſtadt zurüd- 
kehrte. Was er ihm damals gejagt, weiß natür— 
lich Niemand, aber wahrlich nicht die Wahrheit, 
denn der Kaiſer hätte ſonſt nie den unglüdjelig- 
ſten Schritt ſeines Lebens gethan, der ihn ſeiner 
Todesſtätte entgegenführte. 

Der Kaiſer ſtarb — aber Pater Fiſcher — 
ein höͤchſt zweideutiger Charakter in Mexiko, da 
man ihn dort ganz unverhohlen einer ſehr unan= 
genehmen Juwelengeſchichte bezichtigte — lebte, 
und hatte ſogar die Frechheit, nach Oeſterreich in 
derſelben Zeit zurückzukehren, wo man in der 
Hauptſtadt Mexiko, im Diario Oficial die Docu- 
mentos oficiales de los traidores — das heißt 
das geheime Archiv des todten Kaiſers veröffent— 
lichte, das gerade, wie jeder Unterrichtete in Mexiko 
behauptet, von dieſem nämlichen Pater der Re— 
gierung „überlaſſen“ wurde.“ 

Dort drüben in jenem weißen langen Hauſe 
wohnte der Kaiſer — dort verzehrte er ſich in 
quälenden Zweifeln — dort brachten ihm die 
Bewohner von Orizaba einen Fackelzug, als er 
ſich endlich — ſchwankend wie er war, entſchloſſen 


3 


7 u u 
J 1 
‚ e . 


| hatte, ſeiner erſten Abſicht zu entſagen. — Jetzt 


konnte er nicht mehr zurück, und am nächſten 


Lag ging er — in Begleitung des triumphiren⸗ 
den Pfaffen — ſeinem Schickſal, ſeinem Tod 


entgegen. 

Armer Maximilian! Wohl nie im Leben ſind 
einem Kaiſer, der Herrſcher eines fremden Volkes 
ſein wollte und darüber zu Grunde ging, ſo 
viele, ſo aufrichtige Thränen nachgeweint worden, 
als Dir, denn ſelbſt Deine ärgſten Feinde haben 
Dir zugeſtehen müſſen, daß Du es gut und ehr⸗ 
lich gemeint und kein falſcher Gedanke in Deinem 
Herzen lebte. — 

Leider war meine Zeit in Orizaba kaum nach 
Stunden gemeſſen, denn nach Dunkelwerden 
trafen wir ein, und ſollten ſchon um Mitternacht 
den Platz wieder verlaſſen. 

Erſt um elf Uhr warf ich mich auf mein Lager, 
um wenigſtens den Körper ein klein wenig aus⸗ 
zuruhen; Punkt zwölf wurde aber ſchon wieder 
geweckt, und nachdem wir kaum noch Zeit ge— 
gehabt eine Taſſe Kaffee zu trinken, ſahen wir 
uns wieder verpackt und raſſelten mit furchtbaren 
Stößen in die Nacht hinaus. 

Die Straße war von hier aus nämlich beſſer, 
das heißt trockener, und der Kutſcher konnte raſcher 


EEE art eK er e 
Be F * e . RE U EHRE DE 1 2 
FCC F . NEN RT \ 


65 
fahren, bis wir endlich die Stelle erreichten, wo 
ſich der Weg aus dem wärmeren Lande hinauf 
auf die Hochebene zieht. Dort aber war ich 
ſeelensfroh, als ich mit Tagesanbruch dem Mar⸗ 
terkaſten entſpringen konnte, um zu Fuß die ſo⸗ 
genannten Cumbres hinauf zu ſteigen, und die 


prachtvolle Ausſicht auf die untenliegenden Thälerr 


lohnte mich auch reichlich für die kleine Mühe. 
Nur den Revolver mußte man an der Seite 
tragen, denn gerade vor dieſer Stelle war ich 
beſonders gewarnt worden, da hier die meiſten 
Ueberfälle ſtattgefunden haben ſollten. Zum Glück 
jedoch hatten wir den Herrn Baron J. W. von 
Müller nicht bei uns, dem in der kurzen Zeit 
ſeines Aufenthalts in Mexiko jo ganz haarſträu⸗ 
bende Abenteuer mit Räubern, wilden Stieren, 
Tapiren, Tigern und ſo weiter begegnet ſind, der 
aber doch glücklicher Weiſe mit dem Leben davon— 
gekommen iſt. Wir wurden gar nicht beläſtigt 
und konnten, als die Diligence endlich nachkam, 
wieder einſteigen. Ich ſelber nahm jetzt meinen 
Platz hinter dem Kutſcher, denn in dem Kaſten 
ſelber bekam man erſtlich gar nichts von der 
wundervollen Scenerie zu ſehen, und dann wäre 
da drinnen auch eine Vertheidigung gegen einen 


64 


doch möglichen Angriff vollkommen nutzlos ge⸗ 


. weſen. 


Hier muß ich aber meine aufrichtige Hewi 
derung den mexikaniſchen Kutſchern zollen, die 
wirklich das Außerordentlichſte leiſten, was ich 
je in der Art von Fuhrwerk geſehen habe. Die 
Diligence iſt mit acht Thieren beſpannt, von 
Paſo del Macho waren es, durch den Schlamm, 
Maulthiere, hier Pferde. Zwei gehen an der 
Deichſel, vier davor und zwei wieder vorn. Der 
Kutſcher hat, während er mit dem rechten Fuß 
den Hemmſchuh regulirt, in jeder Hand drei 
Zügel und in der rechten noch die lange Peitſche, 
mit der er das vordere Geſpann erreichen kann. 
Dabei fährt der Burſche, der ſich den Mund ver— 
bunden hat, um nicht zu viel Staub zu ſchlucken, 
und nie flucht (überhaupt habe ich in keinem 
ſpaniſchen Land ſo wenig fluchen hören als in 
Mexiko), mit einer ganz fabelhaften Sicherheit 
und macht mit ſeinem Achtgeſpann die ſchwierig— 
ſten Wendungen. Dem auch nur iſt es zuzu— 
ſchreiben, daß auf den entſetzlichſten Wegen ſo 
verhältnißmäßig wenig Unfälle vorkommen. Frei⸗ 
lich ſtehen immer noch genug Kreuze am Weg, 
die theils von Räubern verübte Mordthaten, 
theils die Stellen bezeichnen, wo beim Umſchlagen 


der Diligence Kutſcher oder Reiſende den Hals 

gebrochen haben; und ein Wunder iſt das frei⸗ 
lich nicht. Uebrigens fahren dieſe Kutſcher nicht 
allein mit acht, ſondern ſogar manchmal, bei 
außergewöhnlich ſchlechter Beſchaffenheit des ca- 


mino real, wie zu Zeiten in der Regenſaiſon, mit 


dreizehn Pferden auf dieſelbe Weiſe. 

Die erſten Kutſcher für dieſe Diligencen waren 
Amerikaner, welche dieſe Wagen auch hier ein⸗ 
geführt haben, aber die Mexikaner, die ja auch 
außerdem mit Pferden ganz vortrefflich umzugehen 
wiſſen, haben ihnen das bald abgelernt und 
können jetzt wahrlich nicht mehr übertroffen 
werden. | 

Merkwürdig iſt der Unterſchied, den dieſe 
paar Tauſend Fuß, die wir emporgeſtiegen waren, 
in der Vegetation machten und wie niedrig die 
Bäume plötzlich in der kurzen Friſt geworden 
waren. Cactus und Agaven traten hier ganz ent⸗ 
ſchieden auf, wie ein palmenähnlicher Baum, 


der da oben auch Palme genannt wird und mit 


ſeinen langen, ſpitzen und meſſerähnlichen Blät- 
tern ganz vortrefflich zu der übrigen ſtachlichen 
Vegetation paßt, aber eigentlich Yuca (Yucca) 
heißt. 
Der Weg war hier trocken, aber Steine lagen 
Gerſtäcker, Neue Reifen. II. 5 


66 


überall, und kleine wie größere Vertiefungen 
unterbrachen beſtändig die Straße. Dieſe Eonn- 
ten aber natürlich den Kutſcher nicht abhalten, 
ſeinen Pferden auf das rückſichtsloſeſte die Peitſche 
zu geben, und fort donnerte die Kaleſche, uns 
arme Paſſagiere auf eine Weiſe zuſammenſchüt⸗ 
telnd, die wahrlich nicht beſchrieben werden kann, 
die erlebt ſein muß, um ſie in allen ihren 
Schrecken und Mißhandlungen zu begreifen. 
Der Kutſcher ſelber hat natürlich einen beſ⸗ 
ſern Platz auf ſeinem Bock, aber neben ihm 
kann man nicht ſitzen, da die Stelle ſein Ge— 
hilfe einnimmt. Dieſer führt eine zweite Peitſche, 
hat die Pflicht, dann und wann abzuſpringen 
und nach dem Geſchirr zu ſehen, wie auch neue 
Blöcke für die Hemmſchuhe zurecht zu zimmern, 
und ſucht ſich dann, ehe er wieder heraufklettert, 
ein paar Taſchen voll Steine zuſammen, um dieſe 
von oben auf ein etwa nachlaſſendes Thier hinab— 
zuwerfen. Zu Zeiten ſpringt er auch, genau wie 


die Treiber auf Java, eine Strecke neben den 


Pferden her und haut ſo lange mit ſeiner Peitſche 
auf ſie ein, bis er ſie in einen raſenden Galopp 
gebracht. Daß er uns arme Paſſagiere im In⸗ 
nern dabei wie Erbſen in einer Kinderklapper 
durcheinander wirft, kümmert ihn verwünſcht 


67 


wenig; er will nur raſcher von der Stelle kom 


men, und das erreicht er denn auch in der That. 

In Palmar, einem kleinen Städtchen, das 
wahrſcheinlich ſeinen Namen von den palmen⸗ 
ähnlichen Bäumen hat, denn Palmen ſelber kom⸗ 
men natürlich auf der Hochebene nicht mehr vor, 
frühſtückten wir, aber freilich ſehr erbärmlich, 
und tranken einen nichtswürdigen Wein dazu. 


Ueberhaupt muß man es ſich von da an vergehen 


laſſen, Wein zu fordern, wenn man nicht für 
eine nur einigermaßen trinkbare Sorte einen 


ganz enormen Preis bezahlen will. Man muß 


nämlich nicht allein den Wirthen den ſehr theuren 
Transport, ſondern auch den Gewinn an dieſem 
bezahlen, und daher kommt es, daß ſchon in 


Puebla eine Flaſche Bordeaux 1½, eine Flaſche 


haut sauterne 2 Silberdollars, in Mexiko die 
letztere aber ſogar 2½, alſo beinahe 3 preußiſche 
Thaler koſtet. Das iſt etwas zu viel für den 
geringen Genuß. | 
Ueberhaupt iſt Mexiko ein entſetzlich theures 


Land; enorme Preiſe werden für Alles von dem 


„armen Reiſenden“ gefordert, und man kann die 
Hand nur fortwährend in der Taſche haben. Ein 
Real (5 Silbergroſchen) iſt etwa genau daſſelbe 
hier, was ein einzelner Groſchen bei uns iſt, 


— 
11 * 


.) 


68 


N und wird womöglich noch geringer geachtet. Einem 
deutſchen Schriftſteller kann es deshalb auch 


in dieſem Lande der Unzen wohl nie recht be— 
haglich werden. Ja, wenn ihn die Nachdrucker 


5 bezahlen wollten, möchte es gehen, aber ſo ar— 


beitet er mehr für andere Leute, als für ſich 
ſelber, und das Einzige, was ihm übrig bleibt, 
iſt, ſich in allen Stücken einzuſchränken. 

Hinter Palmar kam ich zum erſten Mal in 
Sicht der beiden berühmten Vulkane mit den faſt 
unausſprechlichen Namen: Popocatépetl (der 
rauchauswerfende Berg in der alten Indianer 
ſprache), und daneben der breitere Iztaceihuatl 
(die weiße Frau), und der letztere Name iſt nicht 
ſchlecht gewählt, denn, beſonders wenn man etwas 
näher kommt, läßt ſich, mit nur einiger Phan⸗ 
taſie, leicht eine mit einem rieſigen weißen Tuch 
5 überdeckte, ruhende Frau auf dem Berge erkennen. 
Uueeberhaupt findet ſich die ſe Bildung nicht jo 
ſelten in Mexiko, denn lange, durch vulkaniſche 
Kraft aufgeworfene Hügel zeigen noch an anderen 
Orten in ihren wunderlichen Contouren Aehn— 
lichkeit mit dem Bilde einer lang ausgeſtreckten 
Frau. So paſſirten wir vor Puebla einen nicht 
hohen Berg, die Malincha, auf dem die Phanz . 
tafie uns ebenfalls eine Frau erkennen läßt, die, 


69 


auf dem Rücken liegend, mit heraufgezogenen 5 


Knieen ruht. Geſichter laſſen ſich ebenfalls überall 
auf den Bergen unterſcheiden. 


Die beiden rieſigen Berge ſahen wunderbar 0 


ſchön aus und ihre Kuppen waren mit ewigem 
Schnee bedeckt. Durch die Biegung der Straße und 
benachbarte Höhen wurde uns aber ihr Anblick 
bald wieder entzogen, und ich tröſtete mich nur mit 
dem Gedanken, daß wir ihnen ja jetzt immer 
näher rückten und ſie bald in ihrer ganzen 
Pracht bewundern ſollten. 

Vor Puebla, das wir ſpät am Abend erreich— 


ten, erhielten wir wieder eine reitende Escorte 


von Bewaffneten, denn gerade in der Nachbar⸗ 
ſchaft einer größeren Stadt treibt ſich das raub⸗ 


luſtige Geſindel am meiſten herum. In Ori⸗ | 


zaba ſchon, wo die Frau mit dem kleinen Kinde 
und dem jungen Hunde ausſtieg, hatten wir 
aber einen neuen Paſſagier bekommen, der einen 
furchtbaren Schnupfen hatte und in einem fort 
nieſte, die Zwiſchenzeit jedoch lediglich dazu be— 
nutzte, Mord- und Raubgeſchichten an der Straße 
zu erzählen, in denen er meiſtens eine Rolle 
ſpielte. Es war ein kleiner Händler aus Mexiko 
ſelber, kam jetzt von Tabasco und konnte die 


70 


Keckheit und Unverſchämtheit der Ladrones gar 
nicht lebhaft genug beſchreiben. Er war eine 
wahre Chronik ſämmtlicher in der Republik vorge— 
fallenen Angriffe ſchlechter Menſchen, und immer 
dazwiſchen durch kam dann wieder der Ausruf, 
wie gnädig ihn beſonders der liebe Gott be— 
ſchützt habe, daß er immer mit dem Leben davon— 
gekommen ſei. Dabei ſtand ihm das Maul 
keinen Augenblick ſtill und er wurde wirklich 
zu einer Plage. n 

Die Gegend von Palmar bis Puebla iſt troſt— 
los genug. Dann und wann findet man wohl 
mit Mais oder Weizen beſtellte Felder, aber 
Cactus und Agaven (hier Mageh genannt) bil⸗ 
den überall die Hauptvegetation, und hier be— 
traten wir auch den Diſtrict, wo die Bereitung 
des Pulque beginnt: ein wunderliches Getränk, 
das aus der Mageh Aloe-Art gewonnen wird, 
und auf deſſen Bereitung ich ſpäter zurückkom— 
men werde. Ich koſtete es in der einen kleinen 
Stadt bei einem alten Weibe auf dem Markte, 
das mir die gelblichweiße trübe Flüſſigkeit, in 
der eine Menge kleiner ſchwarzer Gegenſtände 
herumſchwammen, in einer ſchmus eg Calebaſſe 
bredenzte. 


724 


Oh ihr Schönen, herrlichen Bilder von mexi— 
kaniſchen Indianerinnen mit Federkrone und 
Schurz, die ſehr im déshabillé in einer Hänge⸗ 
matte ruhen, oder graziös einen Bogen und Pfeil 
in der Hand halten — wo ſeid ihr geblieben, 
was iſt aus euch geworden? Das hier war 
eine mexikaniſche Indianerin, wie entſetzlich 
ſchmutzig ſah aber das alte Scheuſal aus, und 
wie hingen ihr die Lumpen um die Knochen! 
Ich überwand allerdings den Ekel und hob aus 
Wißbegierde die Schale an die Lippen, aber es 
war ein trauriger Genuß. Das trübe Zeug 
ſchmeckte fade und ſchaal, etwa genau ſo wie es 
ausſah, und ich goß den Reſt einem gerade vor» 
beilaufenden Hund über den Rücken, der es 
aber nicht einmal dort vertragen konnte. 

Als es dunkel wurde, verſuchte ich zu ſchlafen 
— es ging nicht. Das furchtbare Schütteln des 
Wagens rüttelte mich immer wieder empor, wenn 
mir ſelbſt der Mann mit dem Schnupfen Ruhe ge— 
laſſen hätte, und ich dankte Gott, als wir end— 
lich das Pflaſter von Puebla erreichten, wo wir 
doch bald nicht allein ein Nachtquartier, ſondern 
ſich auch ein paar Tage Raſt für mich finden 
ſollten, da ich mir feſt vorgenommen hatte, Puebla 
wenigſtens zwei oder drei Tage zu durchſtreifen. 


äter lag ich ſchon 


ee 


1 3. 
Puebla. 


Die kleine Stadt und gewiſſermaßen auch 
Feſtung Puebla, obgleich von Feſtungswerken 
an der Stadt ſelber wenig ſichtbar iſt, war ein 
zu hiſtoriſcher Platz geworden, als daß ich ihn 
hätte mitten in der Nacht paſſiren koͤnnen. Ich 
beſchloß, da ich übrigens meine Paſſage nach 
Apizaco mit ſogenannter escala*) genommen, 
hier jedenfalls einen oder mehrere Tage zu blei— 
ben, und habe es wahrlich ſpäter nicht bereut. 

*) Mit escala läßt man ſich auf den mexikanischen 
Poſten einſchreiben, wenn man ſich unterwegs irgendwo auf⸗ 
zuhalten gedenkt, und kann dies jederzeit erlangen; vergißt 
man aber, das kleine Wort einfügen zu laſſen, ſo wird Einem 
ein ſolcher Aufenthalt, merkwürdiger Weiſe, gar nicht mehr ge⸗ 


ſtattet, und man muß die ſpäter zurückzulegende Strecke noch 
einmal bezahlen. 


74 


Puebla liegt natürlich mit auf der Hochebene, 
die hinter Orizaba beginnt und nach Weſten zu 
den ganzen Flächenraum faſt bis Cuernavaca 
hin umfaßt. Die Vegetation rings umher iſt 
deshalb auch eine ziemlich dürftige und beſchränkt 
ſich eigentlich auf kleine Büſche, wie die Aloe— 
und Cactusarten. Deſto prachtvoller iſt aber 
dafür die Scenerie, und es läßt ſich kaum etwas 
Großartigeres denken, als ein Blick von dem 
Fort aus über die Stadt, die mit ihren regel- 
mäßigen Quadras zu des Schauenden Füßen 
liegt, nach den herrlichen Vulkanen, dem Popo 
catépetl und Iztaccihüatl hin. 

Der erſte erhebt ſich mit ſeiner ſchneebedeck— 
ten Spitze pyramidenförmig rechts empor, wäh— 
rend links von ihm die „weiße Frau“ wie mit 
einem Leichentuch überdeckt auf der langgezoge— 
nen Kuppe des letzteren ruht. Aber nicht allein 
durch ihre Höhe und Schneekuppen entzücken ſie 
das Auge, nein, mehr noch durch den oft faſt 
ununterbrochenen Wechſel ihrer Beleuchtung, je 
nach den Dünſten, die aus ihren Schluchten auf— 
ſteigen und bald phantaſtiſche Geſtalten um ſie 
her bilden, bald düſtere Schatten auf ſie werfen, 
um im nächſten Augenblick wieder der Sonne 


75 


vollen Raum zu gewähren, ſo daß man gar nicht 
ſatt werden kann ihnen zuzuſchauen. 

Aber wir wollen uns erſt der Stadt ſelber 
zuwenden, und unwillkürlich entfährt da dem 
Beſchauer der mitleidige Ausruf: Armes Puebla! 
denn was hat dieſe Stadt nicht in den letzten 
Jahrzehnten erfahren und gelitten, wo ſie faſt 
immer der Schauplatz blutiger Belagerungen war 
und das ausbaden mußte, was mexikaniſche Po— 
litik oder franzöſiſche wie amerikaniſche Er— 
oberungsgelüſte für ſie eingebrockt. 

Der Anblick der Vorſtädte beſonders iſt wirk— 
lich ein höchſt trauriger. Ueberall ſieht man 
nur leerſtehende und meiſt zuſammengeſchoſſene 
Gebäude und eingeſtürzte Mauern. Durch Ku— 
geln zertrümmerte Kirchen und Thürme gehören 
dort zu den Alltäglichkeiten, auf die auch wirk— 
lich — wenigſtens keiner der Bewohner von 
Puebla ſelber mehr achtet. 

Die Roſe von Puebla! — ja, der Dichter 
hat wahrlich Recht! Aus Blut und Leichen ſtieg 
ſie empor, und in der einen Stadt ſind, glaub' 
ich, Dank den Franzoſen, die beſonders nach Ba— 
zaine's claſſiſcher Abſchiedsrede in der Haupt⸗ 
ſtadt nur allein nach Mexiko gekommen waren, 
„um den Frieden im Innern herzuſtellen,“ mehr 


76 


Greuelthaten verübt worden, als in dem ganzen 
übrigen Land zuſammen. 

Uebrigens muß die Stadt früher, wie Quito 
zum Beiſpiel bis noch zu dieſem Augenblick, faſt 
einzig oder doch größtentheils aus Kirchen und 
Klöſtern beſtanden haben, von denen die letzteren 
faſt immer ganze Quadras oder Blöcke, und 
damit einen ungeheuren Flächenraum einnehmen. 
Und wie prachtvoll und bequem ſind ſie alle ge— 
baut geweſen, mit gewaltigen, ſäulengetragenen 
Gängen, mit kühlen, ſchattigen Hofräumen, in 
denen ſich gar nicht etwa ſo ſelten ein plätſchernder 
Springbrunnen fand, mit bequemen Gemächern 
und luftigen Speiſeſälen — und jetzt haben die 
Kugeln der Belagerer die maſſiven Mauern ge— 
brochen, ſo daß dem Laien ein Blick in das Innere 
geſtattet wird und er die Stätten ungeſtört betrach— 
ten kann, wo früher die „Diener“ des Herrn, die 
ſich aber zu Herren aller Menſchen zu machen ſuch— 
ten und eine Revolution nach der andern in Mexiko 
anfachten — in „ſtiller Demuth“ hauſten. 

Juarez, der jetzige Präſident der Republik, 
machte dieſem Treiben ein Ende. Ein paarmal ſchon 
waren die Geiſtlichen mit ernſten Maßregeln be— 
droht, wenn ſie keinen Frieden hielten, und man 
hatte ihnen die Gewalt, die der Staat beſaß, 


Anfangs nur gezeigt. Das aber, anſtatt fie vor- 
ſichtiger zu machen, reizte fie zu größerer Wider— 
ſetzlichkeit; ſie hielten es nicht für möglich, daß 
irgend ein Präſident der ſtreng katholiſchen 
Republik es wagen dürfe und könne, ihr Eigen⸗ 


thum — oder vielmehr das Eigenthum der Kirche 


und dadurch Gottes, anzutaſten, bis ſie Jua⸗ 
rez eines ſchönen Morgens auf das unangenehmſte 
mit einem drakoniſchen Edict überraſchte, in wel- 
chem er ſämmtliche Klöſter aufhob und den Grund⸗ 


beſitz der Kirche für Staatseigenthum erklärte. 
Uebrigens ſtehen noch eine Unmaſſe von Klö⸗ 


ſtern in Puebla verödet und unverkauft, und 
zwar aus einem doppelten Grund. 

Erſtlich wird der Grundbeſitz ſolcher geiſtli— 
chen Güter allerdings zu einem Spottpreis aus⸗ 
geboten, er verlangt aber trotzdem ein bedeuten⸗ 
des Capital, um ihn wirklich zu verwerthen, denn 
die Klöſter können in ihrem jetzigen Zuſtand na— 
türlich nicht von Privatleuten benutzt werden, dieſe 
entſetzlich dicken Mauern und Bauten aber nieder- 
zureißen und wieder friſch aufzubauen, koſtet enorm 
viel Geld, und nicht Jeder kann das daran wenden. 


Ein anderer, viel tiefer gehender Grund liegt 


aber in der Geiſtlichkeit ſelber, denn wenn den 
Prieſtern auch die Gewalt aus den Händen ge⸗ 


78 


nommen iſt und ſie nichts Poſitives gegen die 
einmal erlaſſenen Geſetze der Regierung thun 
konnen, jo wiſſen ſie doch deſto beſſer im Ge- 
heimen zu bohren; — und wann hätten die Prie- 
ſter irgend eines Volkes, ſo lange die Welt 
ſteht und es Prieſter giebt, nicht den Aberglau- 
ben deſſelben benutzt, um ihre eigenen Zwecke zu 
erreichen. 

Mit den Männern in Mexiko iſt nun aller⸗ 
dings nicht viel und nur in einzelnen Fällen 
etwas anzufangen, aber deſto beſſer verſtehen ſie 
dafür auf die Frauen einzuwirken, und darin 
iſt der Staat — nachdem er einmal entſchieden 
ſeine Trennung von der Kirche ausgeſprochen — 
machtlos. | | 5 

Oefter habe ich es nicht allein in Puebla, 
nein noch viel mehr in der Hauptſtadt ſelber 
ausſprechen hören, welch unheilvolles Treiben 
unter der in Grund und Boden hinein verdor— 

benen mexikaniſchen Geiſtlichkeit herrſcht, und des: 
halb entblöden ſie ſich auch nicht, zu den un⸗ 
chriſtlichſten Mitteln ihre Zuflucht zu nehmen, 
ihre weltlichen Güter zu retten, und nicht ein- 
mal ein Geheimniß machen ſie oft daraus. Es 
iſt zum Beiſpiel offen ausgeſprochen, daß ſie Jed⸗ 
wedem, der „gottesläſterlich“ auf einem ſolchen, 


79 


früher geiſtlichen Grundſtück wohnt und ſich ein 
Haus darauf gebaut hat, oder ſelbſt das eines 
Andern an ſolcher Stelle benutzt, allen geiſtlichen 
Zuſpruch und ſelbſt die Abſolution verweigern. 
Kein Kind wird von ihnen aus einem ſolchen 
Haus getauft, keine Leichenceremonie vollzogen, 
kurz und gut, jeder Bewohner einer Stätte, auf 
der früher Kloſter oder Kirche geſtanden, iſt ge— 
wiſſermaßen excommunicirt, und man erzählt ſich 
dabei kaum glaubliche Geſchichten, wie ſie auf 
dem Sterbebett Liegenden oder vielmehr ihren 
Familien Verſprechungen und Gelübde abgezwun— 
gen haben. — Das iſt die Liebe Gottes, die ſie 
nicht allein predigen, ſondern auch durch ihr 
Leben und Wirken bethätigen ſollen; und was 
würde Chriſtus geſagt haben, wenn er Zeuge 
einer ſolchen Wirthſchaft geweſen wäre? — Was 
ſagte er damals? 

Wie billig übrigens der Grundbeſitz in jetziger 
Zeit iſt, mögen folgende zwei Beiſpiele zeigen. 
Unmittelbar an der Stadt liegt ein herrliches 
Schwefelbad. Eine gewaltige Quelle ſprudelt aus 
einem Felsbecken hervor und wird in acht oder 
zehn vortrefflich angelegte und ausgemauerte Bä⸗ 
der, in denen man bequem ſchwimmen kann, 
hineingeleitet. Dicht daneben liegt ein 45 Schritt 


llanges und 20 Schritt breites, ſchön angelegtes 
i und ausgemauertes Pferdebad. Dazu gehört 
ein kleinerer und ein ziemlich großer hübſch an— 
gelegter Garten mit einem ſehr geräumigen und 
leicht in Garten zu verwandelnden Hofraum, und 
das Ganze wurde einem Kaufmann in Puebla 
zu dem Bagatellpreiſe von 3000 Dollars ange⸗ 
boten. Dabei iſt die Quelle ſo mächtig, daß ſie 
nicht allein alle dieſe Bäder unausgeſetzt reich— 
lich mit friſchem Schwefelwaſſer ſpeiſt, nein, man 
muß ſogar noch einen Theil unbenutzt ablaufen 
laſſen, weil man augenblicklich keine Verwendung 
dafür hat. | 
Zu demſelben Preiſe wurde eine dicht an der 
Stadt liegende, aber durch die Kugeln ziemlich 
bös zugerichtete Kirche mit einem mehrere Acker 
umfaſſenden großen Raſenplatz ausgeboten, und 
iſt ſelbſt jetzt noch zu haben. 
Kein Wunder — Puebla iſt durch dieſe ewigen 
Kriege und Belagerungen, denen es ausgejeßt 
geweſen, wenigſtens halb entvölkert worden, denn 
wer irgend konnte, zog ſich aus der unausgeſetzt 
bedrohten Stadt hinweg, und augenblicklich fehlt 
im Lande vollſtändig das Vertrauen, dahin zu⸗ 
rückzukehren. Anders, weit anders wird das aber 
werden, wenn erſt einmal die ſcharf im Bau be⸗ 


31 


griffene Eiſenbahn zwiſchen Mexiko und Vera⸗ 
Cruz beendet iſt, was dem Contracte nach in 
vier Jahren geſchehen fein muß, wenn die Ge⸗ 
ſellſchaft nicht ihre Anrechte und damit unge⸗ 
heure Capitalien verlieren will. Allerdings ge— 
ſchah für Puebla nicht, was recht leicht hätte ge— 
ſchehen koͤnnen und eigentlich ſtrategiſch hätte 
geſchehen müſſen, da es nun einmal der Schlüf- 
ſel zur Hauptſtadt des Landes iſt. Die Bahn 
lauft nämlich nicht direct auf Puebla zu, ſondern 


nördlich etwa 20 oder 22 Leguas daran hin. 


Aber ſchon iſt eine Zweigbahn im Bau begriffen, 
durch welche ſich Puebla direct an die jetzige 
Endſtation Apizaco anſchließt, ſo daß man ſpäter 
Mexiko von hier aus in etwa ſechs Stunden be— 
quem und ſicher wird erreichen können, während 
jetzt noch immer Straßenräuber den Weg be— 
drohen und gefährden. 

Ueberhaupt genießt Puebla ſelber, gerade in 
dieſer Hinſicht, einen keineswegs guten Ruf, 
und in der Nähe der Stadt ſind ſchon am erſten 
bewaffnete Patrouillen nöthig, um das Geſindel 
ein wenig im Zaum zu halten. Sonderbarer 
Weiſe ſcheint ſich dieſes „Geſindel“ aber weit 
weniger bei den unteren Klaſſen, als ſogar mehr 
bei den höheren Ständen zu finden. Verſchiedene 


Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. 6 


82 


Raubanfälle haben dort in der Nähe ſtattgefun— 
den, bei denen einzelne der Räuber getödtet oder 


Be. gefangen wurden, und man erkannte denn jedes— 


mal in ihnen nicht etwa Strolche aus der Nach— 
barſchaft, ſondern ganz angeſehene und wohl— 


a habende Bürger aus der Stadt ſelber, die ſich 


auf ſolche Weiſe einen kleinen Nebenverdienſt 
geſucht. 

Selbſt während ich dort war, wurden zwei 
Kindern, einem Knaben von etwa zehn Jahren 
und einem jungen Mädchen, auf dem Paſeo oder 
Spaziergang, alſo noch in der Stadt, die Pferde 
weggenommen, und auch „Erwachſenen“ iſt das 
ſchon an der nämlichen Stelle und am hellen 
Tage, mit einer ungeheuren Frechheit ausgeführt, 
geſchehen. Ja, wenige Tage zuvor hatte man ſo— 
gar einen jungen wohlhabenden Mann aus ſei— 
nem eigenen Hauſe mit Gewalt und unter der 
Drohung des Todtſchießens entführt, um ein 
Löſegeld von ihm zu erpreſſen. Glücklicher Weiſe 
aber wurden die Schurken entdeckt, und man 
konnte den Bedrohten, ehe ihm etwas Ernſtliches 
geſchehen, befreien. 

Es geht dort jetzt auch in der That Niemand 
ohne ſeinen Revolver aus, und noch weniger 
darf man wagen, ohne Waffe vor die Stadt 


hinaus zu reiten. Beiſpiele, daß ſolcher Leicht⸗ 
ſinn geſtraft wurde, kommen nur zu häufig vor. 

Auf das freundlichſte wurde ich in Puebla 
von einem Deutſchen, Herrn Berkenbuſch, auf; 


genommen, und der genannte Herr opferte mir 5 
in liebenswürdigſter Weiſe ſeine Zeit, um mich 
in den wenigen Tagen meines dortigen Aufent⸗ 


haltes überall herumzuführen, was natürlich in 
dieſem Lande nur immer zu Pferde geſchieht. 
Nachdem wir alſo am erſten Tage die innere 


Stadt und die Verwüſtungen beſehen, die ame 


rikaniſche und franzöſiſche, ja ſelbſt mexikaniſche 
Kanonen in ihren Mauern angerichtet — denn 
wenn ein Theil der Stadt von den Feinden ge= 
nommen war, beſchoſſen die mexikaniſchen Forts 
vollkommen rückſichtslos ihre eigenen Landsleute, 
— ritten wir am zweiten Tag nach der berühm⸗ 
ten Pyramide von Cholula hinaus, mit der 
prachtvollen Ausſicht auf die beiden herrlichen 
Vulkane. 

Um Puebla herum iſt die Gegend, wie ſchon 
erwähnt, wüſt und unangebaut — kein Feld liegt 


da draußen, kein Garten, ja faſt kein Baum ſteht 5 | 


in der ganzen Nachbarſchaft. Nur in der Ferne 
nach Cholula zu hatte ich grünes Laub geſehen, 
6 * 


8⁴ 


aber nie im Leben geglaubt, dort eine ſo reizende, 
wirklich herrliche Scenerie zu finden. 

Vor uns ſahen wir einen niederen Hügel, den 
mir mein Begleiter als die Pyramide zeigte; ich 
hatte aber bis jetzt, und noch zu weit davon ent⸗ 
fernt, wenig darauf geachtet, und meine Augen 
nur, wo es der etwas rauhe und ſehr ſtaubige 
Weg erlaubte, auf die beiden ſchneegekrönten 
Bergrieſen mit ihren wunderlichen Formen ge— 
halten. Jetzt plötzlich, ganz in der Nähe des 
kleinen freundlichen, mit zahlreichen und gut 
gehaltenen Gärten umgebenen Ortes Cholula, 
ſuchte ich wieder die Pyramide, und ſiel, über— 
raſcht bei dem Anblick der ſich mir plotzlich bot, 
meinem Pferd in die Zügel, denn der Moment 
durfte nicht ſo raſch vorübergehen. 

Unmittelbar vor mir lag der kleine Ort, und 
einzelne Karawanen von Eſeln und Maulthieren 
mit ihren maleriſchen, aber etwas ſchmutzigen 
Führern und Führerinnen zogen noch immer der 
Hauptſtadt zu, um dort ihre Producte abzuſetzen; 
hinter dem Ort aber hob ſich dieſe ſogenannte 
Pyramide — einer jener ſpitzen vulkaniſchen 
Hügel, wie ſie ſich mehrfach hier, wie auch auf 
der ganzen Hochebene finden, von einer hübſchen 
Capelle mit hoher Kuppel gekrönt, empor, und 


darüber lagen, der eine rechts, der andere links, 
einen wahrhaft zauberiſch ſchönen Hintergrund 
bildend, die beiden mächtigen Kuppen der ſchnee— 
bedeckten Vulkane. 

Einen Moment ſtutzte ich — ein unmöglicher 


Gedanke zuckte mir durch's Hirn — „hier biſt 


Du ſchon geweſen — die prachtvolle Gegend haft 
Du ſchon einmal geſehen“ — aber es war auch, 
wirklich nur ein Moment, denn Schon im nächſten 
Augenblick ſtand Salzburg mit ſeiner Feſtung 
und ſeinem ſchneebedeckten Untersberg vor meiner 
Erinnerung. Die Pyramide von Cholula iſt nicht 
ganz ſo hoch wie die Feſtung in Salzburg, und 
das Thal dort viel mehr eingeengt, aber der 
ganze Charakter erinnerte mich unwillkürlich an 
jenes ſchöne Land, natürlich nur mit der Aus⸗ 
ſicht voraus, und ich konnte mich lange nicht 
von dem Bilde losreißen. Ich glaubte auch wirk— 
lich, ich hätte hier den ſchönſten Punkt Mexikos 


erreicht — das Herz war mir jo voll und doch 


ſo leicht, und ich hätte laut aufjubeln mögen 
L und doch war mir ſpäter noch Schöneres, 
viel Schöneres vorbehalten. 

Endlich ritten wir weiter. Die Sonne brannte, 
trotzdem daß wir uns im December und auf 
ziemlicher Höhe befanden, faſt ſenkrecht auf das 


86 


fſtaubige Land nieder, und da wir noch die Py- 
ramide ſelber beſteigen wollten, blieb uns nicht 
viel Zeit, denn gerade in der Mittagsſonne durch 
die kahle Ebene zurückzureiten, iſt eben nicht be- 
ſonders angenehm. Wir ritten in die Stadt. 
Gleich vorn in der erſten Straße ſtand eine An- 
zahl von Indianern, von denen das Dorf faſt 
ausſchließlich bewohnt wird, und hielt augen- 
ſcheinlich eine Gemeindeverſammlung ab. 
5 Die Männer trugen ihr einfach weißes — 
wenigſtens weiß geweſenes Ba umwollenzeug, aber 
außerdem auch noch, trotz der Hitze, ihre bunte 
Serape über der Schulter, und ſchienen ernſtlich 
vertieft über das nachzudenken, was ihnen der 
Sprecher — übrigens ein ganz intelligent aus⸗ 
ſehender Burſche — vortrug. Die Verhandlung 
wurde in ſpaniſcher Sprache geführt und von leben— 
digen Geſticulationen begleitet. Um übrigens nicht 
in den Verdacht zu kommen, als ob wir uns in die 
Staatsgeheimniſſe des kleinen Ortes einſchleichen 
wollten, ritten wir raſch und grüßend vorüber, 
was die ganze Gemeindeverſammlung freundlich 
und achtungsvoll erwiderte. Dann ſtellten wir 
unſere Pferde in eine der Poſaden ein, die 
übrigens genau ſo ausſah wie der ganze Ort. 
Sie ſchien von jedem menſchlichen Weſen — 


einen franzöſiſchen Hausknecht ausgenommen — 
gründlich geräumt zu ſein. Alle Thüren und 


Fenſter ſtanden natürlich offen, aber ſelbſt die 
Stuben waren leer und der Hausrath beſchränkte 
ſich in ihnen auf zwei oder drei Holzſtühle und 
einen Tiſch. 


Nicht einmal eine Erfriſchung war darin zu 


bekommen und wir hielten uns auch nicht auf, 
ſondern machten uns ungeſäumt auf den Weg 
zu der „Pyramide“ ſelber, die ſich nur wenige 
Hundert Schritt davon entfernt erhebt. 

Es iſt das jedenfalls ein höchſt intereſſanter 
Punkt, noch aus der alten Heidenzeit, und zeigt 
deutlich, welche bedeutende Arbeiten die damaligen 


Eingeborenen unternahmen, ohne vor der größten 
Mühe und Beſchwerde — ganz unähnlich der 


jetzigen faulen Race — zurückzuſchrecken. Ganz 
ſicher aber iſt es nicht der Fall, daß dieſe ſo— 


genannte Pyramide oder der ganze Hügel, auf 


dem früher ein Tempel ſtand und den jetzt eine 
chriſtliche Kirche krönt, ausſchließlich von Men— 


ſchenhand aufgebaut ſei. An den Seiten ſieht 5 5 


man allerdings deutlich und überall die feſt in⸗ 
einander gedrängten Mauern von ungebrannten 
Ziegeln, ſogenannten adobies, die mit den Jah⸗ 


ren eine wirklich unbegreifliche Feſtigkeit erlangen, a 


e 


aber an einzelnen, durch ſpätere Regengüſſe wahr- 
ſcheinlich abgeriſſenen Stellen kann man jetzt auch 
eben ſo unbeſtreitbar die wirkliche und natürliche 


Erde erkennen. 


Solche ſpitze, oft koniſche, oft länger gedehnte, 
niedrige Hügel finden ſich überall auf der ganzen 
merxrikaniſchen Hochebene. Es ſind aber weiter 
nichts als Erdblaſen, die durch vulkaniſche Erup— 
tionen ausgeworfen ſind und von denen ſelbſt 
noch verſchiedene in der Nähe von Cholula ſelber 
ſtehen. Kaum denkbar iſt es deshalb auch — 
obgleich fanatiſcher Wahnſinn noch manches Un— 
begreiflichere möglich gemacht hat — daß man 
hier verſucht und ausgeführt haben ſollte, einen 
ganzen Berg mit Menſchenhänden an einer 
Stelle aufzurichten, wo man, gar nicht weit davon 
entfernt, die ganze Arbeit ſchon vollſtändig ge— 


* than fand und mit Leichtigkeit benutzen konnte. 


Viel wahrſcheinlicher bleibt — und der Meinung 


ſchließen ſich faſt Alle an, die ich darüber geſpro— 


chen und welche die Pyramide ſelber in ihrem 
jetzigen Zuſtande geſehen, daß der Hügel aller— 


dings ſchon beſtand, ehe man einen Tempel 


darauf baute, daß ihn aber die Indianer, um 
ihm nichts von ſeiner Höhe zu nehmen und doch 
einen weiten Grund für ihre Bauten zu haben, 


mit einem feften und breiten Mauerwerk um⸗ 


gaben. Dadurch erhielt er jedenfalls eine regel- je 


mäßigere Form und oben — was ſie gerade 
haben wollten — einen größeren Umfang. Den 


eigentlichen kleinen Berg hat aber jedenfalls die 
Natur ſelber aufgeworfen. 


Die obenſtehende Kirche iſt noch nicht im 15 


Innern ausgebaut und dem Gebrauch übergeben, 
aber es wird ſcharf daran gearbeitet — was man 
nämlich in Mexiko ſcharf nennt. Zwei Leute 
fanden wir im Innern thätig, und vier lagen 
draußen im Schatten und ruhten ſich ganz be= 
haglich aus. Ein kleiner Junge aber, der uns 
bald als Fremde ausgefunden, kam uns nach und 
bot uns kleine Steinbilder an, die man noch 
häufig dort im Boden findet. Es waren Geſichts⸗ 
masken von etwa anderthalb Zoll Länge, mit 
nicht unſchönen Formen.“ | 

Die Ausſicht von dort oben, auf der einen 
Seite nach dem wirklich reizend im Thal liegenden 
Puebla, auf der andern nach den Schneevulkanen 
hin war überraſchend ſchön, und wir blieben 
lange dort oben, um den Anblick zu genießen. 

Auf dem Rückweg, als wir das kleine Dorf 
wieder erreichten, wo zu Cortez' Zeiten eine Stadt 
mit über 100,000 Einwohnern ſtand, und der 


90 
kecke Eroberer damals jenes furchtbare Blutbad 
unter ihnen anrichtete, wanderten wir zuerſt durch 
das verödete, aber prachtvoll angelegte Kloſter 
mit ſeinen weiten kühlen Räumen, in denen wir 
aber keinen einzigen Menſchen fanden. Das 
ganze ungeheure Gebäude ſchien wie ausgeſtorben, 
und doch welches fröhlich geiſtliche Leben mag 
hier früher geherrſcht haben! Weite, prachtvolle 
Säulengänge zogen ſich überall herum, und das 
Centrum bildete ein kleiner, außerordentlich ge— 
müthlicher Hofraum mit einem ſeligen Spring— 
brunnen, der rings von ſchattigen Orangen- oder 
Limonenbäumen umgeben war. | | 
Aus dem Kloſter gingen wir über den großen, 
freien Platz der ebenfalls leer und öde ſtehenden 
Kirche zu, die man ihrer Größe nach faſt eine 
Kathedrale nennen könnte. Anſcheinend war ſie 
verſchloſſen. Die Thuͤr gab aber dem leichten 
Druck der Hand nach, und wir ſtanden gleich 
darauf in dem gewaltigen, von zahlreichen Säu— 
len getragenen, aber ſonſt leeren Raum, aus dem 
uns eine wirklich eiskalte Luft entgegenwehte. 
Links, gleich am Eingang, ſtand ein lebens⸗ 
großes Bild des Heilandes mit dem Kreuz auf 
dem Rücken. Sonſt war die Kirche meiſtens des 
ſonſt üblichen Schmuckes beraubt, und nur noch 


hie und da in den Niſchen und über verſchie⸗ 


denen Altären ſtanden andere Heiligenbilder. Auf- 


gegeben ſchien man ſie aber doch nicht zu haben, 
wie die verſchiedenen Kloſterkirchen in der Stadt, 
in denen man ſogar die Vergoldung in den 


Kuppeln und an den Seitenwänden abkratzte. 


Weit hinten in einer der Vertiefungen ſtand ein 
Mann auf einer hohen, etwas gefährlich aus⸗ 
ſehenden Leiter und reparirte etwas an der Wand, 
und unter ihm ſaß ein Junge in einer alten 
ſchmutzigen Serape und grunzte manchmal vor 
ſich hin — vielleicht um uns aufmerkſam zu 
machen, daß die Kirche bewacht wäre und wir uns 
alſo vorſehen möchten. Das ganze Gebäude machte 
übrigens einen wirklich großartigen Eindruck: 
etwa ſechsunddreißig bis vierzig hohe Säulen 
trugen — immer je vier — eine kleine Kuppel, 
und die feierliche Stille, die auf dem Ganzen 
lag und ſelbſt den leiſen Schritt laut ſchallen 
machte, hatte in dem ſchmuckloſen und doch mäch— 
tigen Raum etwas Ergreifendes und Impoſantes. 
Ob die Kirche dem Gebrauch wieder übergeben 
werden ſoll, weiß ich nicht — es ſchien faſt ſo, 
und es wäre auch in der That ſchade, wenn ein 
ſo ſchönes Bauwerk niedergeriſſen würde. 
Freilich iſt dies das Zeitalter des Nieder⸗ 


92 
reißens und Zerftörens, und wohin man in 
Mexiko auch ſieht, findet man das bewahrheitet— 


An Aufbauen denkt aber Niemand hier — ich 


wenigſtens habe, während meines ganzen Aufent- 
haltes im Lande, bis jetzt auch noch nicht ein ein— 
ziges im Bau begriffenes Haus geſehen. Der 
Krieg hat ſo viele Menſchen hingerafft, ſo viele 
Familien verarmt oder gar außer Landes gejagt, 
daß man, im Augenblick wenigſtens, an keine 
Vergrößerung der Städte denken kann, und nur 
Mühe hat, die vielen leer ſtehenden Wohnungen 
an den Mann zu bringen. 

Am nächſten Morgen beſuchte ich mit Herrn: 
Berkenbuſch die berühmt gewordenen und mit 
Blut ſo oft getränkten Feſtungshügel der Stadt, 
und ich begreife in der That nicht, daß die doch 
ſonſt gerade im Anſturm ſo vortrefflichen fran— 
zöſiſchen Soldaten daſſelbe nicht gleich bei dem 
erſten Angriff genommen haben, denn über die 
Gräben kann man mit Bequemlichkeit hinüber— 
ſpringen, und die Mauern ſind, wenn auch ſtark, 
doch ſehr niedrig. Außerdem iſt das Fort ſo ge— 
baut, daß man mit Hilfe der abgeriſſenen Hänge 
auf der einen Seite wenigſtens bis dicht — ja 
in Steinwurfsnähe unter den Mauern ankom— 
men kann, ohne daß die Belagerten auch nur im 


Stande wären, einen einzigen der Angreifer zum 
Schuß zu bekommen. General Forey aber, der 
den erſten Angriff leitete, war zu ſchwach. Er 
hatte, in unſeliger Unterſchätzung des Feindes, 
wenn ich nicht irre, nur dreihundert Mann, die 
noch dazu, nach einem beſchwerlichen Marſch und 
ohne ihnen eine Raſtzeit zu gönnen, zum Sturm 
commandirt, aber entſchieden geſchlagen und zum 
Rückzug gezwungen wurden. Mein Begleiter 
zeigte mir die Stelle, wo das Blutbad ſtattfand, 
denn viele Franzoſen fanden dort ihren Tod, 
und ebenfalls den Platz, wo ſpäter von den Meri- 
kanern vierzig franzöſiſche Soldatenleichen ver 
brannt worden waren, damit ſie dort die Luft 
nicht verpeſteten. 

Unerklärlich iſt übrigens, wenn man von dort 
oben das Terrain überſieht, ein Umſtand, der 
auch ſpäter zur Eroberung Pueblas führte und 
von dem vollkommen unzurechnungsfähigen Ge— 
neral Ortega ganz überſehen wurde. Im Nor⸗ 
den von Puebla liegt nämlich, unmittelbar an 
der Stadt, ein kleiner Hügel, der zwar nicht ſehr 
hoch iſt, die Stadt aber doch vollkommen beherrſcht, 
ohne daß er auch nur von der Garniſon beſetzt 
geweſen wäre. Die Franzoſen, denen der Vor⸗ 
theil dieſer Stellung natürlich augenblicklich ein⸗ 


N 


lleuchtete, umgingen ſpäter die Stadt. Ortega 
ſah ſie und bemerkte noch zu ſeinem Adjutanten: 
„Ich glaube wahrhaftig, die Lumpen wollen den 
San Lorenzo beſetzen,“ machte aber nicht die ge— 
ringſte Anſtalt, ſie davon abzuhalten, — wie er 
ſich denn eben um gar nichts bekümmerte, ſon— 
dern nur ein liederliches und luculliſches Leben 
führte. Er hätte jedenfalls verdient gehabt, vor 
ein Kriegsgericht geſtellt zu werden. 
Eigenthümlich war übrigens ſeine Art, Sol- 
daten zu preſſen; denn da man wußte, daß jeder 
Waffenfähige in den Straßen aufgegriffen wurde, 
wagten ſich die jungen Leute nur ſehr vorſichtig 
hinaus, und ließen ſich zuletzt gar nicht mehr 
im Freien blicken. Da ließ er eines Tages plötz— 
lich mit allen Glocken läuten, und als das neu- 
gierige Volk jetzt nach der Plaza ſtrömte, um zu 
ſehen, was da vorgefallen ſei, wurde es plötzlich 
von Soldaten umzingelt und Alles aufgegriffen, 
was nur einigermaßen zum Soldaten tauglich war. 
Dieſe verſchwanden indeſſen augenblicklich wie— 
der, als die Stadt endlich von den Franzoſen 
genommen wurde. Die mexikaniſchen Soldaten 
riſſen ihre Uniformen ab, warfen ſie in Stücken 
auf die Straße und zerbrachen ihre Flinten und 
Säbel, aus Furcht, noch einmal gepreßt und une 


ter das Militär geſteckt zu werden, und ver- 
ſchwanden dann, irgend einer ruhigen Arbeit 
nachgehend, in den Häuſern. Das Fort aber 
feuerte luſtig herüber und ſchoß viele Bewohner 
von Puebla in den Straßen todt. 

Vorher ſchon hatte man aber zu einer ge— 
waltſamen Maßregel ſeine Zuflucht genommen, 


um den Soldaten das Paſſiren der Straßen zu = 
erleichtern und ſie dabei keiner Gefahr auszu- 


ſetzen. Man durchbrach nämlich die meiſt alle 
maſſiven und ſehr dicken Mauern der Gebäude 
von einem Hauſe zum andern, — unbekümmert 
natürlich um alle dadurch gejtörten und oft voll— 
kommen außer Cours geſetzten Familienwohnun— 
gen, und wo ſich die Arbeiter zu dem Zwecke 
zeigten, half keine Einwendung. Die Wände wur- 
den durchbrochen und die Soldateska kroch in 
langer Reihe hindurch. 

Als wir zurück in die Stadt ritten, überhol- 
ten wir einen kleinen Zug Infanterie, bei dem 
aber die gemeinen Soldaten wirklich anſtändiger 
ausſahen, als der Officier, der nicht einmal 
einen Degen an der Seite trug. Die armen Teu⸗ 
fel werden aber auch ſchlecht genug beſoldet, und 
gleich am erſten Morgen bettelte mich ein Sol— 
dat, der ſich noch dazu auf Wache befand, an. 


Ja, als ich nachher an der Schildwache, die das 
Gewehr im Arm trug und die Sache geſehen 
hatte, vorüberging, blieb ſie ſtehen und ſah ſo 
freundlich aus, daß ich feſt überzeugt bin, ſie 
würde mich ebenfalls um ein kleines Douceur 
gebeten haben, wenn ich ihr nur Zeit dazu ge— 
gönnt hätte. 

Durch die Stadt wieder zurückreitend, paſſir— 
ten wir eine ziemlich große Plaza, oder einen 
Markt, wo in der Franzoſenzeit die Gefangenen 
erſchoſſen wurden. Es ſollen dort zahlreiche Men— 
ſchen hingerichtet ſein, und wie rückſichtslos man 
dabei verfuhr, mag folgendes Beiſpiel erläutern. 

Eines Morgens tritt die Wache in die Thür 
des Gefängniſſes und ruft den Namen Ignaz 
Perez aus, wonach einer der Unglücklichen, der 
den Vornamen vielleicht nicht einmal gehört hatte, 
aufſtand und ſagte: „Ich heiße Perez!“ Er 
wurde dann einfach in die Mitte genommen, auf 
die Plaza geführt und dort augenblicklich er— 
ſchoſſen. An dem Abend noch ſtellte es ſich 
aber heraus, daß dieſer Perez nur auf einen Ver⸗ 
dacht hin verhaftet geweſen war, und der andere 


e Perez noch im Kerker ſaß. Das machte aber 


nichts, — es war ja nichts verſäumt, und der 
andere Perez — diesmal der richtige — wurde 


nun einfach abgeholt und ebenfalls todtgeſchoſſen. 
Er hatte ja geholfen, ſein Vaterland gegen die 
Eroberer zu vertheidigen. 


In der Mauer, als wir vorüber ritten, konnte 


ich deutlich überall die faſt zahlloſen Kugellöcher 
erkennen; — das Blut war natürlich lange ent⸗ 
fernt. — Oh Roſe von Puebla! 

Auf dem Wege beſuchten wir noch die Schwefel— 
bäder, — eine wirklich herrliche, aber jetzt im 


Verhältniß außerordentlich wenig benutzte An— 


lage, in welcher wir nicht einen einzigen Baden— 
den trafen, — einen Mexikaner ausgenommen, 
der mit ſeinem Hund in dem Pferdebad herum— 
ſchwamm. 

Das Waſſer iſt ſo ſtark ſchwefelhaltig, daß 
eine ſilberne Uhr, wenn man ſie mit in's Bad 
nimmt und dort offen auf die Bank legt, in ganz 
kurzer Zeit ſchwarz wird. Es hat eine grün— 
bläuliche Farbe und gemäßigte, nicht heiße Tem— 
peratur, und die Quelle führt es in einem außer— 
ordentlich ſtarken Strom direct in die großen, 
viereckig gemauerten Baſſins. 

Das Pferdebad iſt, wie vorhin erwähnt, 45 
Schritt lang und 20 breit, und wird gegen das 
Ende zu ſo tief, daß ein Pferd darin ſchwimmen 
muß. Etwa zur Hälfte etwa, wo kleine eiſerne 

Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. 7 


98 


Halter angebracht jind und wo den Thieren die 
Fluth gerade über den Rücken geht, werden ſie 
angebunden und müſſen dort eine für ihre Cur 
beſtimmte Zeit ſtehen bleiben, was ſie ſich auch 
ſehr ruhig und gern gefallen laſſen. Der Preis 
iſt dabei ſehr billig geſtellt und koſtet — aller- 
dings nicht im Verhältniß der Größe — für ein 
Pferd einen Quartidio — etwa 12½ Pfennig — 
für einen Menſchen 2½ Real (124, Sgr.) 

In dem Garten blühten viele Roſen. Ich 
nahm mir zum Andenken an Puebla einige da— 
von mit. 

Die Zeit der Stiergefechte iſt glücklicher Weiſe 
ſo ziemlich vorüber, ſelbſt in Madrid ſollen ſie 
unterſagt ſein, und auch in Puebla wurden ſie 
verboten, nachdem ich die Stadt erſt kurze Zeit 
verlaſſen hatte. Ich bekam dort aber doch noch 
Gelegenheit, einem der letzten beizuwohnen, und 
wenn ich auch das Schauſpiel ſelber haſſe, ſo 
findet man doch an ſolchen Orten immer etwas 
dem fremden Lande Eigenthümliches, und ich 
mochte es deshalb nicht verſäumen. 

Die Arena iſt weit und geräumig gebaut, 
mit Bänken wie ein Circus, aber unbeſchützt 
gegen Regen und Sonne. Nur die Zuſchauer 
in den Logen ſitzen, bei etwa eintretendem Wetter, 


trocken, und die Preiſe der Plätze find charakte⸗ 
riſtiſcher Weiſe ſo geſtellt, daß die Sonnenſeite 
faſt um die Hälfte billiger iſt als die Schatten⸗ 
ſeite. 

Der Raum, der Tauſende von Menſchen faſſen 
kann, war nur ſpärlich beſetzt, Damen ſah man 
überhaupt nur ſehr wenige. Am ſtärkſten waren 


die unterſten, alſo die billigſten Plätze in An- = 


ſpruch genommen, und dort jubelte das Volk 
auch ſchon, als wir eintraten; denn der erſte 
Stier, ein ziemlich junges Thier, war herein⸗ 
gelaſſen und der Clown oder Hanswurſt, der 
ſich überhaupt ſehr paſſiv benahm und nur ein⸗ 
mal eine unglückliche Gaſtrolle als Picador gab, 
hatte ſich von dem muthigen kleinen Burſchen 
in der Arena herumjagen laſſen. 

Der erſte Stier wurde auf die bekannte Weiſe 
mit vorgehaltenen Tüchern geneckt — aber auch 
ermüdet. Dann ſtieß man ihm mit buntem und 
raſchelndem Papier beſteckte Stacheln in den 
Rücken, wozu allerdings eine bedeutende Geſchick— 
lichkeit und kaltes Blut gehört, denn der Picador 
muß, wenn er nicht ausgeziſcht und ausgepfiffen 
ſein will, dem Thier zwei dieſer Stacheln auf 
einmal über die Hörner hinüber in die Schultern 
ſtoßen und dabei außerordentlich geſchwind ſein, 

7% 


% 


denn wenn er es nur um einen Moment verſieht, 
ſo hat ihn das Thier rettungslos auf den Hör— 
nern und er kann von Glück ſagen, wenn er 


nicht ſchwer geſchädigt davonkommt. 

2 Zuletzt ſteckten ſie dem armen geplagten Thier 
75 noch mit Schwärmern gefüllte Stacheln an, die 
ſich dann entzündeten und Feuer ſprühten, wäh— 


rend das arme, gequälte Geſchöpf vor Wuth und 


Schmerz laut aufbrüllte. 

Als man ſich daran genügend ergötzt, kam der 
Matador, um ihm den Gnadenſtoß zu geben. Er 
neckte es erſt allerdings ein paarmal mit einem 
rothen Tuch, während er aber den ſcharf geſchlif— 
fenen Degen ſchon in der Hand trug. Jetzt kam 
es wieder heran und er ſtach es — nicht etwa 

in den Bug, daß es gleich todt zu Boden ſtürzte, 


ſondern hinter das Schulterblatt, fo daß es noch 


mehrere Minuten herumtaumelte, bis es ſich end— 
lich niederthat und dann, unter dem Jubel— 
brüllen der Menge, von dem „Schlächter“ vollends 
getödtet wurde. f 

Haben die Bewohner von Puebla denn noch 
nicht genug Blut geſehen? 

Dann kamen zwei mit den mexikaniſchen Far— 
ben beſteckte Maulthiere herein, um das todte 
Geſchöpf hinauszuziehen, ein ſchmutzig ausſehen— 


der Burſche warf aus einem kleinen Karren 
Sägeſpähne über das Blut und die Sache konnte 
von Neuem beginnen. 

Die zweite Abtheilung war intereſſanter. Ein 
junger, muthiger Stier wurde hereingelaſſen und 
zwei mit kurzen Lanzen bewaffnete Reiter erwar⸗ 
teten ihn. Die Lanzen hatten aber keine tödt- 
liche Spitze, ſondern nur einen kurzen Stachel 
mit Querhalt daran, um den Stier zu verhin— 
dern, das Pferd unter den Leib zu faſſen. Uebri⸗ 
gens waren die Pferde ſelber durch einen den 
halben Bauch deckenden Ledergurt, wie durch 
zwei, vorn an jeder Seite hängende Leder ſo 


ziemlich gegen jeden Stoß verwahrt, konnten 


wenigſtens nicht ſo leicht geſchädigt werden. 

Der Stier, gereizt, wandte ſich jetzt gegen den 
einen Reiter und führte einen, wie es ſchien, 
gefährlichen Stoß gegen das eine Pferd; aber 
der Reiter hatte ihm geſchickt den Stachel in die 
Schulter geſtoßen, und indem er das ganze Ge— 
wicht ſeines eigenen Körpers dagegen lehnte, 
hielt er das Thier, das nun machtlos in die Luft 
hieb, erfolgreich von dem Gaul ab. 

Jetzt ein anderes Bild. Vier Reiter ohne 
Lederſchürze und Lanze — wie es ſchien, Ama: 
teurs, hielten an der Thür, durch welche der er- 


102 


| wartete Stier Einlaß bekommen ſollte. Jetzt 
öffnete ſich dieſelbe, aber es kam kaum mehr als 


ein eben überwachſenes Kalb heraus — ein kleines, 
ſchwarzes, ſchwächliches Geſchöpf, hinter dem die 
Reiter jetzt herjagten, bis es Einer von ihnen 
am Schwanz ergriff, dieſen dann, als er den 
Moment für günſtig hielt, unter ſeinem eigenen 
Bein durchzog und dann das arme Geſchöpf, 
durch plötzliches Antreiben ſeines Pferdes, mit 
dem Hintertheil herumwarf und dadurch zu Bo— 
den riß. Das war das ganze Kunſtſtück, und 
wie beifällig wurde daſſelbe von der verſammel— 
ten Menge aufgenommen! 

Jetzt, nach verſchiedenen anderen ee 

kam der Schluß. Ebenfalls ein ganz junges 
Thier, dem man aber auch noch zur Vorſicht die 
Hörner durch Kugeln unſchädlich gemacht hatte, 
wurde hereingelaſſen. Auf ein gegebenes Zeichen 
ſprang die ganze Jugend, die wahrſcheinlich ſchon 
lange auf den Moment gehofft und gewartet, in 
die Arena und auf den Stier ein, der bei den 
plötzlich von allen Seiten auftauchenden kleinen 
Geſtalten gar nicht zu wiſſen ſchien, auf wen er 
ſich zuerſt werfen ſolle. Suchte er ſich aber Einen 
von ihnen aus, ſo ſprang der raſch zur Seite 
oder hinter eine der an vier Seiten der Arena 


103 


aufgeſtellten Schutzwände, und indeſſen hatten 
ſchon wieder zwanzig Andere den Kampf auf: 
genommen. Uebrigens war die Sache gar nicht 
ſo ganz ungefährlich, denn ſelbſt kleine, ungeſchickte 
Jungen betheiligten ſich dabei, kamen zwiſchen 
die Füße der anderen und geriethen ein paar— 
mal in nicht geringe Gefahr, von dem zwar 
kleinen, aber doch wüthend gemachten Thier ge— 
faßt und in die Luft geworfen oder auch unter 
die Füße getreten zu werden. 

Uns wurde das Schauſpiel endlich widerlich 
— wir traten hinaus auf den um das Gebäude 
laufenden Balcon — drinnen jauchzte und ſchrie 
das Volk vor Luſt und Wonne, wenn das arme, 
geängſtigte, junge Thier von einem Schwarm 
großer, brutaler Jungen gefaßt und zu Boden 
geworfen wurde, und hier draußen? — Dort 
drüben lagen in einem unbeſchreiblichen Glanz 
und Zauber die beiden Schneevulkane, von dem 
roſigen Glanz der untergehenden Sonne wie mit 
Purpur übergoſſen — ein Bild der ſtillen Ruhe 
und der Größe Gottes, während da drinnen ein 
entartetes Geſchlecht eins ſeiner Geſchöpfe miß— 
handelte und dabei in viehiſches Jauchzen aus⸗ 
brach. — Sonderbare Welt, ſo voll von Schön— 
heit und Erbärmlichkeit! Aber Eins beſteht neben 


104 


dem Andern — wir wiſſen nicht wozu — wir 
begreifen es nicht. Ich aber muß geſtehen, daß 
ich mich beim Anblick dieſes wundervollen Schau— 
ſpiels in der That ſchämte, Zeuge jenes Skan— 
dals dort im Innern geweſen zu ſein — es kam 


mir jetzt wie eine Entwürdigung der herrlichen 


Natur vor, die hier draußen alle ihre Schätze 
für das Auge des Menſchen ausbreitete, und ich 
ſchwur mir heimlich zu, daß dies das letzte Stier— 
gefecht ſein ſolle, dem ich je im Leben beigewohnt. 


4. 
Von Wuebla nach Mexiko. 


In Puebla ging die Diligence, die aber von 
hier ab aus drei Wagen beſtand, denn der Ver— 
kehr zwiſchen Puebla und Mexiko iſt ziemlich 
bedeutend, wieder Morgens um vier Uhr, alſo 
noch in ſtockfinſterer Nacht ab, und jo wenig 
traute man den Pueblanern, daß eine ſtarke Es- 
corte neben den Diligencen herritt. Uebrigens 
ſahen die Burſchen ſelber wirklichen Straßen— 
räubern ſo ähnlich, wie ein Ei dem andern, und 
als ſie mit Tagesgrauen wieder von uns Abſchied 
nahmen und uns unſerem Schickſal allein über— 
ließen, ritten auch wirklich ein paar von ihnen 
an den Wagen heran und — baten ſich ein Dou— 
ceur aus — die alte Geſchichte. Sie waren jedoch 
mit einer Kleinigkeit von einigen Realen außer— 
ordentlich zufrieden und bedankten ſich freundlichſt. 


106 

Noch muß ich bemerken, daß die beiden anderen 
Diligencen mit den Paſſagieren des damals von 
Havannah gekommenen Dampfers — faſt lauter 
Franzoſen — beſetzt waren. Sie hatten ihre kurze 
Quarantaine abgelegen und mich in Puebla über— 
holt. Von dieſen gingen aber die meiſten eben— 
falls bewaffnet, und wir konnten von da ab einer 
möglichen Bande von Straßenräubern ſchon ganz 
entſchieden die Stirn zeigen. 

Wunderbar herrlich wurde aber der Anblick 
der beiden Vulkane Popocatépetl und Iztacci— 
hüatl, als der dämmernde Tag ſeine erſten Lichter 
auf ihre bleichen Schneekegel warf und ſie mit 
immer höherem prachtvolleren Roth übergoß, und 
noch pittoresker der Anblick, als endlich, dicht 
vor Tagesanbruch, der blitzende Orion mit ſeinen 
hellen Sternen gerade zwiſchen den beiden Bergen 
unterging und die ſonſt dunkle Stelle wirklich 
funkeln machte. Es war herrlich, und doch ſollte 
ich dieſe Berge noch viel ſchöner ſehen. 

Uebrigens nahm der Weg unſere ganze Auf— 
merkſamkeit in Anſpruch, denn er war, was man 
hier beſſer nannte, und unſere drei Marterkaſten 
konnten deshalb in einem ſcharfen Trab über 
die Bahn hingeſchüttelt werden. Dazu obenauf 


407: . 


mit einer geladenen Büchſe zu ſitzen — denn ge— 
rade dieſer Theil der Straße wurde für ziemlich 
gefährdet gehalten — war in der That ein Kunſt⸗ 
ſtück und lenkte die Aufmerkſamkeit leider viel 
zu viel von der reizenden Scenerie ab. 

Von Puebla aus führte jetzt unſere Bahn 
auch ganz entſchieden auf der Hochebene von 
Mexiko hin, und der Charakter des Landes ſprach 
ſich immer deutlicher in allerlei Arten von 
Stachelpflanzen, als: Cactus-, Mageh- und Nu⸗ 
kaarten, aus. Viele Akazien wuchſen ebenfalls, 
wie denn die Mimoſen ſtark vertreten blieben, 
und wirklich angebaute und dann meiſt immer 
mit Mais bebaute Felder ſchienen eigentlich ſehr 
ſelten. Selbſt an den kleineren Häuſern, die 
wir von Zeit zu Zeit paſſirten, mußten es die 
Eingeborenen nicht einmal für nöthig gehalten 
haben, ein kleines Stück Feld oder ein Gärtchen 
anzulegen, und doch würden dort gewiß allerlei 
Arten von Fruchtbäumen gewachſen ſein. Nur 


die Pulquepflanze, die wichtige Mageh, trat in 


den Vordergrund, und ziemlich weite Flächen ſah 
ich ſchon damit bepflanzt, obgleich der eigentliche 
Bau derſelben mehr näher zu Mexiko ſelber 
beginnt. 

Es iſt eine merkwürdige Thatſache, daß die 


108 


Agave, und gerade dieſe Art derſelben, in vielen 
Theilen Amerikas, beſonders in Ecuador, Peru 
und Venezuela wächſt und in keinem Lande faſt 
der Rede werth benutzt wird. Nur in Ecuador 
ſcheinen die Indianer den Nutzen dieſer Pflanze 
zu kennen, ohne daß ſie aber nur den geringſten 
Handel damit treiben, und wie wird ſie hier in 
Mexiko ausgebeutet. 

Mit Recht heißt ſie hier „die Kuh des Landes“ 
denn man melkt ſie nicht allein bis zu ihrem 
letzten Lebenstropfen aus, ſondern benutzt ſie 
auch noch zu zahlloſen anderen Zwecken; es giebt 
in der That kein nützlicheres oder wenigſtens 

mehr benutztes Gewächs in dem ganzen weiten 
Reich. 

Es iſt nicht die eigentliche Aloepflanze, die 
wohl Jeder bei uns der Form nach kennt, aber 
doch ein ganz ähnliches Gewächs, nur in weit 
koloſſalerem Maßſtab, und ich habe ausgewachſene 
und zum Schafttreiben vollkommen reife Pflan— 
zen geſehen, die einen Flächenraum von wenig— 
ſtens 45 Fuß im Umkreis einnahmen. Die mit 
Stacheln bewehrten Blätter ſind dabei außer— 


5 ordentlich dick und fleiſchig und enthalten eine 


Unmaſſe Saft, der aber bis zum fünften Jahr 
vollſtändig werthlos und herb bleibt und deshalb 


109 


bis zur richtigen Zeit geſchont werden muß. 


Dieſer Zeitpunkt beginnt, wenn die Pflanze im 


Begriff ſteht ihren Blüthenſchaft zu treiben, und 
man kann das ſehr deutlich daran erkennen, 
daß ſie von dem mittelſten, enorm dicken Trieb 
Blatt nach Blatt ablöſt und dieſen zuletzt nicht 
viel dicker läßt als ein einzelnes zuſammenge— 
rolltes Blatt. 

Jetzt iſt der Moment gekommen, die Pflanze 
anzuzapfen, und das geſchieht auf folgende, nicht 
eben ganz bequeme Art, daß man nämlich an 
der Stelle, an der man angreifen will, zuerſt 
die Kanten der nächſten Blätter glättet und ſie 
von ihren Stacheln befreit — denn wollte man 
Blätter ausſchneiden, ſo würde nicht allein zu 
viel Saft verloren gehen, ſondern ſich die Pflanze 
vielleicht ſogar auch verbluten. Nun wird das 
den beginnenden Pflanzenſchaft noch umgebende 
Blatt mit einem beſonders dazu gehaltenen 
eiſernen Inſtrument abgeſtoßen und herausge— 
riſſen, und iſt man jetzt zu der Stelle gelangt, 
wo das eigentliche Herz ſitzt, ſo gräbt man dort, 
mit einer Art von Kratzer, ein Loch hinein, das 
unten rund ausgeſchabt wird und Anfangs noch 
ziemlich klein iſt. In dieſer Höhlung ſoll ſich 


110 
der Saft der Pflanze ſammeln, und ſie wird auch 
danach das „Faß“ genannt. 

Gleich im Anfang kann man aber noch nicht 
den Saft benutzen, ſo wird alſo vorher eine 
Handvoll Wurzelwerk oder Faſern hineingeſtopft, 
das etwa vierzehn Tage lang darin anfaulen 
muß. Iſt das geſchehen, jo nimmt man es wies 
der heraus, kratzt die innere Höhlung auf's Neue 
etwas aus, um die Poren vollſtändig zu öffnen, 
und kann nun die Ernte beginnen, die monate= 
lang dauert und in der Zeit jeden Tag ihren 
Ertrag liefert. An jedem Morgen geht der Ar— 
beiter hinaus, ſetzt einen langen, dünnen Flaſchen— 
kürbis als Heber ein, zieht den Saft, der ſich 
in der Nacht angeſammelt hat, heraus und läßt 
ihn in einen bereit gehaltenen Schlauch oder ein 
anderes Gefäß, um ihn dann aus allen Pflanzen 
zuſammen in einen dazu beſtimmten Bottich zu 
tragen und gähren zu laſſen. 

Dieſer erſte Saft heißt Agua miel oder Honig- 
waſſer, und iſt nicht allein ſehr ſüß und ange— 
nehm zu trinken, ſondern ſchmeckt auch genau 
wie das Waſſer aus einer eben gereiften Cocos— 
nuß — aber es darf nur ſehr vorſichtig, und 
beſonders von verheiratheten Frauen zu beſtimm— 
ten Zeiten gar nicht getrunken werden. Sobald 


111 
es aber einer leichten und zwar ſehr raſchen Gäh— 
rung unterzogen wurde, iſt es vollkommen uns 
ſchädlich, ja ſogar ſehr geſund und belebend, und 
wird deshalb auch in ganz ungeheuren Quanti— 
täten von der geſammten Bevölkerung Mexikos 
genoſſen. 

Der Pulque ſelber ſieht weiß und milchig, 
aus und hat, wenn man erſt einmal ein wenig 
daran gewöhnt iſt, einen nicht unangenehm ſäuer— 
lichen Geſchmack, mit etwas zäher und ſchleimiger 
Conſiſtenz. Er iſt auch herb genug, um den 
Durſt leicht zu ſtillen, und geiſtig genug, um, 
beſonders bei größeren Quantitäten, gehörig zu 
berauſchen. Uebrigens bildet er in jenen Gegen— 
den, wo er hauptſächlich gedeiht, und das iſt vor 
Allem auf dieſem Theil der mexikaniſchen Hoch— 
ebene, einen bedeutenden Handelsartikel, der 
ganze Eiſenbahnzüge in Anſpruch nimmt und 
Tauſende von Menſchen ernährt. 

Man darf indeß ja nicht glauben, daß die 
Mageh nicht auch ihre Arbeit verlangt, denn obgleich 
ſie wild im Lande wächſt, muß ſie, um einen recht 
reichlichen Ertrag zu liefern, in guten tief gegra— 
benen Boden eingepflanzt werden, und erſt dann, 
wenn man die Erde auch noch nach einiger Zeit 
um die jungen Pflanzen auflockert, darf man ſich 


112 


eines reichen und lohnenden Ertrags verfichert 
halten. Waſſer braucht die Pflanze faſt gar 


nicht, außer in der allererſten Zeit, um nur ein⸗ 


mal ihre Triebe auszubreiten, und ſelbſt da iſt 
es vielleicht nicht einmal unbedingt nothwendig, 
denn es ſcheint faſt unglaublich, welche Miß— 
handlung die junge Pflanze erträgt, ohne davon 
auch nur im mindeſten berührt zu werden. So 
verſicherte mir ein dortiger Magehpflanzer, daß 
er beſonders einen Schößling, den er mir zeigte 
und der jetzt in voller Kraft und Ueppigkeit'ſeine 
dicken Blätter entfaltete, zwei volle Jahre habe 
draußen im Freien, im Winter in Kälte und 
Naäſſe, im Sommer in der heißen, glühenden 
Sonne auf einem Steinhaufen unbeachtet liegen 
laſſen, und als er dem faſt vollſtändig Verwelkten 
dann endlich guten Boden gab, griff er augenblick— 
lich Wurzel und iſt jetzt eine ſeiner beſten Pflanzen. 

Allerdings braucht die Mageh reichlich ihre 
fünf Jahr, bis ſie, ſelbſt unter günſtigen Ver— 
hältniſſen, ihren Blüthenſchaft zu treiben anfängt; 
dann aber giebt ſie auch viele Monate hinter— 
einander ihren Saft und jede einzelne einen Er— 
trag von 10—45 Dollars, ja iſt ſie recht ſtark 
und kräftig, auch vielleicht noch mehr. An jedem 
Morgen wird dabei die Höhlung, in welcher ſich 


a her 
A 


113 


der Agua miel befindet, nachdem der Arbeiter 
dieſen herausgehoben, wieder leicht ausgekratzt 
und dadurch natürlich immer größer, und bei 
recht ſtarken Pflanzen findet man oft eine ſoge— 
nannte caja, die faſt einen Fuß im Durchmeſſer 
hält. 

Nach und nach aber ſtirbt die Pflanze ab. 
Der ganze Saft, den ſie vorbereitet hatte, um 
ihren Blüthenſchaft zu treiben, geht in die Höh— 
lung hinein und wird ihr entzogen. Die Blätter 
werden nach und nach welk, und wenn ſie ihre 
letzten Kräfte erſchöpft hat, ſtirbt ſie ab und wird 
ausgehackt, um den Nachbarpflanzen Raum zu 
geben. Rings um ihre Wurzel hat fie aber ſchon 
wieder zahlreiche Schößlinge ausgetrieben, die 
freilich früher entfernt werden müſſen, ehe der 


Hauptſtock zu ſehr angegriffen wird, da ſie ja 8 


ſelber auch von dieſem ihr Leben erhalten. Wird 
das verſäumt, jo kann man ſich auch darauf ver— 
laſſen, daß aus den zu ſpät fortgenommenen 
Schößlingen nie etwas Ordentliches wird. 

Die Behandlungsart des Saftes iſt ungemein 
einfach, denn zu dem in ein Gefäß geſchütteten 
Agua miel, wie er aus der Pflanze kommt, wird 
nur etwas gegohrener Pulgque zugeſetzt, und er 

Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. 8 


— 


114 


geht ſelber dann ſehr leicht und raſch in Gährung 
| über, wobei er eine milchige Färbung annimmt. 
Außerdem benutzt man aber auch noch die 
Magehpflanze zu einer Menge von anderen Din— 
gen. Aus einer andern Art derſelben wird ein 
vorzüglicher Baſt gewonnen, der billige und 
ziemlich haltbare Seile liefert, Beutel und Säcke 
verfertigt man ebenfalls daraus. Das abgeſtorbene 
welke und dann getrocknete Blattzeug wird zur 
Feuerung verwendet, und oben in den Bergen 
habe ich ſogar geſehen, daß ſie mit den fleiſchigen 
Blättern ihre Hütten ſowohl decken, als auch die 
Seitenwände derſelben davon bilden. Das aber 
geſchieht natürlich nur aus ſolchen Pflanzen, die 
ſich nicht zur Pulquebereitung eignen, denn ſolche 
dürfte man nicht in dieſer Weiſe mißhandeln. 
Die Pulque-Magehpflanze findet aber nach 
Weiten zu ihre Grenze. Hinter Cuernavaca wird 
der Boden zu heiß zu ihrem Anbau, und es 
wächſt hier eine andere, bedeutend kleinere Art, 
aus der man aber auch einen recht guten Brannt— 
wein, den ſogenannten Mescal, bereitet. Der iſt 
übrigens eine neuere Erfindung, und die früheren 
Indianer ſcheinen ihn nicht gekannt zu haben, 
während ſchon Montezuma ſein Gläschen oder 
Calabaschen Pulque trank und ſich wahrſcheinlich 


1497: 


beſonders wohl dabei fühlte, bis i die Spanier 
den Spaß verdarben. 

Der Weg war entſetzlich ſtaubig, aber was 
kümmerte das den Kutſcher der Diligence! Nur 
wenn er manchmal die Maulthiere gar nicht mehr 
erkennen konnte, und nun allerdings der Gefahr 
ausgeſetzt war, mit dem ganzen Kaſten in eins 
der gar nicht etwa ſo ſeltenen Löcher hinein zu 
fahren, hielt er einen Moment an, ließ den Staub 
vorüberziehen und hieb dann wieder mit voller 
Macht auf die Thiere ein. 

Bald hatten wir jetzt aber auch den Endpunkt 
unſerer gegenwärtigen Qual — der ganzen Dili— 
gencefahrt — erreicht, denn Apizaco, ein kleines, 
erbärmliches, aus ein paar Hütten beſtehendes 
Neſt, lag vor uns, und von hier aus konnten 
wir unſern Weg, Gott ſei Dank, mit der bis 
hierher beendeten Eiſenbahn fortſetzen. Die Wohl- 
that einer ſolchen erkennt man auch wirklich erſt 
in ihrem vollen Werthe an, wenn man auf einem 
ſolchen Marterweg eine Weile gerädert worden, 
und mit einem aus voller Bruſt heraufgeholten 
Seufzer ſprang ich, dort endlich angelangt, von 
dem Bock herunter und ſtärkte dann die müden 
Glieder durch ein ſehr frugales Mahl und ein noch 


frugaleres Glas Pulque, das mir aber damals 
8 * 


116 
noch gar nicht munden wollte. Man muß ſich 
erſt an das „Göttergetränk“ gewöhnen, ehe man 
einen wirklichen Genuß darin finden kann. 
Die Wagen der Bahn find ziemlich gut ein- 
gerichtet und der Zug fährt auch verhältnißmäßig 
ſehr raſch, aber fait zum Verzweifeln iſt der ewige 
Aufenthalt auf den verſchiedenen Stationen, der 
gar nicht etwa ſo ſelten eine — ja, anderthalb 
Stunden dauert, ohne daß man den geringſten 
Grund für eine ſolche Verzögerung erfahren 
könnte. Höchſt intereſſant war aber trotzdem der, 
wenn auch zu lange Aufenthalt auf dieſen Plätzen, 
denn wir hatten jetzt die wirkliche und Haupt⸗ 
pulque⸗Gegend erreicht, und ich mußte über den 
ungeheuren Verkehr ſtaunen, den dieſes anſchei— 
nend ſo unbedeutende Product hervorgerufen. 
Ganze Züge von Eſeln, mit gefüllten Ziegen— 
oder Schweinefellen beladen, ſah man ſchon aus 
der Ferne den Stationspunkten zu heranziehen, 
und Wagen nach Wagen ſtand dort beladen, um 
raſch ſeine Fracht nach Mexiko zu ſenden. Die 
Hauptſtadt conſumirt in der That einen nicht 
unbedeutenden Theil des dortigen Ertrages — 
und was trinken die Leute dabei ſelber! Hier 
füllt eine Gruppe das edle, milchig ausſehende 
Getränk aus ſeinen Schläuchen in die der Käufer, 


117 


und eine rieſige Calabaſſe geht dabei von Hand 5 


zu Hand, die, wenn aus dem einen geöffneten 


Ziegenbein gefüllt, die Lippen eines Einzelnen 
nicht verläßt, ohne geleert zu werden — und doch 
ſoll das Getränk den, der nicht daran gewöhnt 
iſt, ſehr leicht berauſchen; dort dagegen hocken 


Frauen, die ſich einen der Schläuche gekauft, . 
und detailliren ihn. Wie ſie ihn meſſen, weiß 


ich nicht, ich habe es nie geſehen, und ich glaube, 


daß das Augenmaß in dem Umfang des Leder 5 


ſackes bei einer ſehr bedeutenden und täglich be— 
reicherten Erfahrung wohl den Hauptmaßſtab 
giebt. N 

Uebrigens iſt es eine Thatſache, daß ganze 


Eiſenbahnzüge zwiſchen Mexiko und Apizaco nichts 
befördern als Pulque, und man auch ſchon an⸗ 8 


gefangen hat, denſelben in beſonders dazu ges 
haltene Fäſſer zu füllen, was ihm allerdings nur 
zum Vortheil gereichen kann, da es den ſehr 
unangenehmen Fellgeſchmack beſeitigt. 

Die ganze Landſchaft dabei, zwiſchen der 
Station und der Hauptſtadt, iſt mit faſt nichts 
weiter bebaut, als dieſer Agavenart, von der 
man oft ganz ungeheure Exemplare findet, und 
man kann ſich kaum einen wunderlicheren Anblick 
denken, als ein ſolches Feld, da die dicken und 


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ſtacheligen Blätter der Mageh, die ſich nach allen 
Seiten ausbreiten, für jede Pflanze einen nicht 


n 


unbedeutenden Platz beanſpruchen. Wenn man 


nun noch bedenkt, daß ſie oft ganze weite Thäler 
füllen, und dazu hoch an den Hängen der Hoch— 
ebenen hinauflaufen, ſo glaubt man ſich oft in 
eine öde Wildniß verſetzt, zeigten nicht die regel— 
mäßigen Reihen die hier ſchaffende Hand der 
Menſchen. 

Um die beiden herrlichen Vulkane waren wir in 
einem Halbkreiſe herumgefahren, denn der eigent— 
liche Richtweg zieht ſich mitten zwiſchen ihnen hin— 
durch, und den hatte auch damals Cortez eingeſchla— 
gen, als er mit ſeiner kecken Räuberſchaar in das 
Land ein⸗ und gegen die Hauptſtadt vordrang. 
Die Pfade dort ſind aber noch entſetzlich rauh, und 
auch ſchon um die Eiſenbahn zu erreichen, muß 
man den nicht unbeträchtlichen Bogen machen. 
Dadurch aber bekommt man das Bild der beiden 
Berge von anderer und ganz verſchiedener Seite. 
Von Puebla aus geſehen, liegt der Popocatepetl 
an der linken Seite, die weiße ruhende Frau 
dagegen rechts. Jetzt haben ſie ihre Stellung 
verändert. Die letztere liegt zur Linken, und 
weiter entfernt, aber rechts, erhebt ſich der ſpitze 
Schneekegel des Popocateépetl. 


BE 


Der Abend dämmerte, und wir waren noch 
ein tüchtiges Stück von der Hauptſtadt entfernt, 
aber die Scenerie nahm einen immer intereſſan— 
teren Charakter an. Schon näherten wir uns 
den großen Seen, welche die Hauptſtadt des 


Landes umgeben und die in den erſten Kriegen 
mit den Spaniern eine jo bedeutende Rolle ſpiel- 


ten — aber die Civiliſation hatte ſich auch ihrer 
bemächtigt. Der Telegraphendraht lief durch ſie 
hin, und zwar auf eiſernen Pfeilern — jeden 
falls eine Verbeſſerung der Kaiſerzeit, deren 
Spuren ja noch durch das ganze Land verbreitet 
ſind. | 

Das Waſſer der Seen, das ſonderbarer Weiſe 
ſalzig iſt und an deſſen Ufern die Indianer ein 
grobes Salz und Salpeter ſammeln, ſah gelb 
und trüb aus und ſchien höher als die Stadt 
ſelber zu liegen, denn von da ab ſenkte ſich der 
Weg — der Duft des Abends legte ſich dabei 
über die Landſchaft und die Berge — unwillkür⸗ 
lich flog mein Blick nach den Vulkanen hinüber 
und ſah von dem Moment an nichts weiter, 
denn das Bild, das ſich dort dem Auge bot, war 
wahrhaft zauberiſch ſchön. 

Die Sonne ſank eben hinter den weſtlichen 
Bergen und goß ihren roſenrothen Schimmer 


190 


auf den Schnee der Vulkane, die darunter er: 
glühten. Aber das dauerte nicht lange, denn die 
Dämmerung iſt auch hier nur kurz, und kaum war 
ſie etwa zehn Minuten verſchwunden, als plötzlich 
blaue, düſtere Schleier empor- und höher und 
höher ſtiegen, während der Schnee der Berge in 
derſelben Zeit jene bleierne, düſtere Färbung an— 
nahm, die ihm jedesmal gleich nach dem Schwin— 
den des Abendrothes eigen iſt. Der Popocaté— 
petl blieb aber von dem Duft unberührt, ſeine 
Kuppe ragte noch immer hervor, während die 
weiße ruhende Frau dagegen für wenige Minu- 
ten darin verſchwand. — Jetzt plötzlich änderte 


. ſich, wie mit einem Schlag, das Bild: die 


Nacht war angebrochen, und mit faſt blendend 
weißem Schein ſtach der Gipfel des Popocateépetl 
gegen den blauen, geſtirnten Himmel ab, während 
faſt in dem nämlichen Moment das rieſige Bild 
der ruhenden weißen Frau, noch von dem Abend— 
duft getragen, der den unteren Theil des Gebirges 
verdeckte, wie in der Luft zu ſchweben ſchien. Es 
war, als ob ſie eben langſam und feierlich von 


a dem Gipfel des neben ihr emporragenden Nach— 
bars abgeſtrichen ſei und nun durch die Lüfte 
der ewigen Ruhe entgegengetragen werde. 


Um uns her lag die Nacht, und nur undeut⸗ 


124 


lich ließ es ſich erkennen, daß wir die Gegend 175 


der Agaven verlaſſen hatten und in ein Land eine 
tauchten, in dem es wieder Büſche und auch 


Bäume gab. Lichter ſchimmerten durch das 
dunkle Laub, beleuchtete Häuſer wurden ſichtbar, 


die ſchönen Berge verſchwanden hinter aufgeführ⸗ 
ten Bauten, und bald darauf hielt der Zug vor N 
einem Schwarm von Menſchen, der ſich mit einer 


wahren Gier über das Gepäck herſtürzte. In 
dieſem Augenblick hätte man auch eben ſo gut in 
einer großen europäiſchen Stadt ſein können, 
ebenſo pfiff die Locomotive, ebenſo bremſten die 
Wagen, ebenſo ſchrieen und drängten ſich die 
Menſchen, und ebenſo raſſelten die Droſchken her— 
an, um einfache Paſſagiere zu erbeuten und dop= 
pelte Fahrtaxe von ihnen zu erpreſſen. 

Was für ein langer, ſonderbarer Bogengang 
war das, an dem wir hinfuhren? — Die alte 


ſpaniſche Waſſerleitung — wir waren doch wohl ; 


in Mexiko — und doch wieder zweifelte ich, denn 
plötzlich hielt die Droſchke wieder und mein Kut 

ſcher meldete mir, daß hier, an dem Thor der 

Hauptſtadt, das Gepäck noch einmal viſitirt wer⸗ 
den müſſe. Richtig, mein alter Koffer mußte ſich 
auch dieſer Unbequemlichkeit unterziehen, und erſt 
als ſich nach ziemlich genauer Unterſuchung er— 


5 
Die Hauptſt 


dt Mexiko. 


Ein ganz eigenthümliches, aber unſtreitig 


wohlthuendes Gefühl war es, mit dem ich in die 
Hauptſtadt von Mexiko einfuhr. Alle die alten 
Jugenderinnerungen wurden wach — die Gier, 
mit der ich damals die Eroberung von Mexiko 
geleſen, und mit welcher Bewunderung ich die 
Thaten des heldenmüthigen Cortez verſchlungen 
und mich über den weichmüthigen und doch auch 
wieder heroiſchen Montezuma geärgert hatte. 
Cortez war für mich überhaupt und auf lange 
Zeit, durch die gedankenloſen Schilderungen der 
Lehrer dabei unterſtützt, das wahre Muſterbild 
eines ritterlichen Helden geweſen, bis ich denn 
freilich ſpäter einſehen lernte, daß er viel eher 
den Titel eines tollkühnen Flibuſtiers verdiente, 


124 


der eben kein Mittel in der Welt ſcheute, um 
ſeinem Ehrgeiz und ſeiner Goldgier zu dienen. 
8 Cortez und Pizarro! Das Blut von Millionen 


klebt an ihren Händen, und wir ſollten uns wohl 


hüten, in den Schulen die Charaktere ſolcher 
Bravos als Muſterbilder für die Jugend auf— 
zuſtellen. Aber es ſind einmal geſchichtliche Fi— 
guren geworden, ſie haben in fernen Welttheilen 


. „blinde Heiden“ zum Chriſtenthum bekehrt. Ihre 


Thaten gehörten alſo in die Heldengeſchichte der 


Vorzeit, und wie ein Profeſſor der Geſchichte 


augenblicklich einen Menſchen als Spitzbuben bei 
der Polizei verklagen würde, der ihm ein halbes 
Dutzend ſilberne Löffel ſtiehlt, ſo lehrt er an 
demſelben Morgen im Colleg, daß Cortez, der 
den armen Montezuma mißhandelte, um von 
ihm Schätze zu erpreſſen, ein hoher, edler Cha- 


rakter geweſen, zu deſſen Ruhm er ſich ſogar be— 


geiſtert fühlt. 

Mexiko macht heutigen Tages nicht mehr den 
Eindruck eines alten Azteken-Platzes, ſondern 
weit eher den einer, wenn auch ſpaniſchen, doch 
vollkommen modernen Stadt, gut gepflaſtert, mit 
eleganten, oft dreiſtöckigen Häuſern, mit regel- 
mäßiger Straßenbeleuchtung und zahlreichem 
Fuhrwerk, das einen ziemlich regen Verkehr vers 


. 


125 


räth. Aushängeſchilder und Firmen decken fait 
bei allen Gebäuden den unteren Theil, und ge⸗ 
ſchmackvoll ausgeſtattete und mit hellerleuchteten 
Spiegelſcheiben verſehene Schaufenſter verrathen 
nur zu deutlich, daß die Fremden den größten 
Theil der Geſchäfte in Händen haben, wie denn 
auch in der That der Import des ganzen Landes 
hauptſächlich, ja faſt allein von deutſchen ae 
betrieben wird. 

Nach dieſem allererſten Eindruck, aus den 
Fenſtern der Droſchke heraus, aus denen man 
allerdings nichts ſieht als die Gebäude, die hellen 
Ladenfenſter und den auf den Straßen herum: 
drängenden Menſchenſchwarm, würde man aber 
kaum je auf Mexiko rathen, wenn man gefragt 
würde, wo man ſich jetzt befände. Es iſt auch 
nirgends nur die Spur von dem zu ſehen, was 
man ſich früher von dieſem Platz gedacht, und 
man bemerkt nur, daß man ſich in einer großen, 
volkreichen Stadt befindet — auch ein angeneh— 
mes Gefühl, noch dazu wenn man bedenkt, daß 
man, noch vor wenigen Stunden faſt, auf der 
ſtaubigen, rauhen Landſtraße, und dabei fort— 
während von Straßenräubern bedroht, herum— 
geſchüttelt wurde. 

Ein Hötel iſt aber doch, und trotz aller ro— 


126 

mantiſchen Erinnerungen, das erſte Bedürfniß, 
dem man entgegenſtrebt. — Der ſeit vielen Tagen 
mißhandelte Körper verlangt eine Art von Ge 
nugthuung — eine kurze Ruhe nach allen bisher 
ertragenen Strapazen und caminos reales, und 
man findet ſich ſogar angenehm überraſcht, wenn 
man plötzlich ein hellerleuchtetes Gebäude, mit 
Portier, Kellner, Billardzimmer ꝛc., betritt und 
in dem angewieſenen, ziemlich freundlichen Zim— 
mer ſtatt eines Klingelzuges ſogar einen telegra— 
phiſchen Knopf — die Erklärung in ſpaniſcher 
und franzöſiſcher Sprache — findet. Auf dieſen 
Telegraphen komme ich übrigens ſpäter wieder 
zurück. 

Natürlich legte ich mich an dieſem erſten 
Abend nicht etwa gleich in's Bett, ſondern machte 
noch erſt eine Wanderung durch die Stadt und 
beſuchte zwei der kleineren Theater, die um einen 
Vierteldollar drei bis vier Stunden lang die 
Zuſchauer durch Luſtſpiele, Ballet (eine ſchauer— 
liche Solotänzerin, die in Lebensgröße draußen 
an der Bude, auf einem Beine abgebildet, 
ſteht) ꝛc. ergötzen. 

Dieſe kleinen Theater exiſtiren übrigens, wie 
es ſcheint, nur in der Weihnachtszeit und ſind 
auch traurig genug — ich will den Leſer wenig— 


127 


ſtens nicht mit einer Beſchreibung derſelben er— 
müden, da er die äußere Ausſtattung derſelben 
ganz ähnlich in jedem ſehr ſchlechten deutſchen 
Sommer-Theater findet. Uebrigens mag es ſein, 
daß mich dieſer angemalte Kram vielleicht viel 
weniger angewidert, wenn ich nicht gerade heute, 
und zwar erſt vor wenigen Stunden, das wun- 
derbar großartige Schauſpiel eines Sonnenunter— 
ganges an den beiden Vulkanen geſehen hätte. 
Das Alles mit ſeinen prachtvollen Lichteffecten 
und dem ganzen Zauber ſeiner Umgebung war 
noch friſch und warm in der Erinnerung, und 
damit hätte ich denn auch freilich kein Theater 
mehr beſuchen ſollen. 

Am nächſten Morgen war mein erſter Weg 
nach der Poſt, um dort Briefe von zu Hauſe 
zu finden; umſonſt, mein Name ſtand nicht auf 
den langen Liſten, die unter dem Buchſtaben G 
nur faſt zahlloſe Gutierres und Gonzales — 
die Schmidt und Meier Mexikos, zeigten; ich 
mußte leer wieder abziehen, und nur der, der in 
einem fernen Welttheil die Briefliſten zum erſten 
Male raſch und hoffnungsvoll, dann langſam 
und enttäuſcht durchlieſt — und wie oft iſt es 
mir ſo ergangen —, kann begreifen, wie mir 
etwa zu Muthe war. 


128 


Ich ging traurig durch die Straße — ich hatte 
mich ſo auf den erſten Tag in Mexiko gefreut, 
eben der Briefe wegen — umſonſt — ich ſchritt 
ſehr langſam auf dem breiten Trottoir hin; an 
mir vorbei rauſchte eine Dame in einem bell- 
blauen Seidenkleid — arme Frau; ich hatte 
andere Dinge im Kopf, als die anderthalb Ellen 
ſchmutziger Seide, die hinter ihr auf dem Pflaſter 
dreinfegten. Ich mußte ihr mitten auf die hübſche 
Schleppe getreten haben, und da ſie raſcher als 
ich ging, ſo that es einen heilloſen Riß. Ich 
mochte das Elend aber nicht mit anſehen, ſondern 
drehte mich ab und ſchritt langſam die Straße 
wieder zurück. Umſonſt — Schleppen gab es 
überall, und ich fand meine gute Laune erſt 
wieder, als ich etwa ſechs oder ſieben von ihnen 
abgetreten und der Erde gleichgemacht hatte. Das 
ſöhnte mich ordentlich wieder mit der Menſchheit 
aus; ich brütete nicht mehr ſtill in mich hinein, 
ſondern bekam wieder Augen für meine Umge— 
bung und fand jetzt, daß die mexikaniſchen Damen 
noch etwa zwei Jahre in der Mode zurück ſeien 
und genau mit einer ſolchen Energie etwa zehn 
Thaler Seidenzeug durch den Dreck ſchlepp— 
ten, wie es unſere eigenen lieben Damen, die 
ſich jetzt aus jedem beliebigen Regenſchirm das 


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genau jo gemacht. | 
Uebrigens hatte es das Gute, daß ich, in die 


5 


hübſcheſte Kleid machen können, vor der Zeit 


Gegenwart zurückgerufen, jetzt auch aufmerkſamer 


auf die Damen ſelber wurde; aber ich wüßte 
nichts Beſonderes darüber zu ſagen. Hübſche 


und intereſſante Geſichter hatten viele von ihnen; 
aber wenn ich erzählen wollte, daß ſie hinten 


an den Köpfen ekelhafte Wulſte von falſchen 


Haaren trügen, ſo wären die deutſchen Damen 


im Stande und riefen mir zu: Ei, das tragen 
wir ja auch! und da will ich lieber dieſe mexi⸗ 


kaniſche Tracht, die ſich allerdings weſentlich von 


den früheren Federſchurzen und Kronen untere 


ſcheidet, unbeſchrieben laſſen. 
Was ſie aber ſehr geſchmackvoll tragen und 


was ihnen ganz vortrefflich ſteht, das ſind die 


ſogenannten Rebozos, die Mantille der Spa- 
nierinnen, und ob ſie nun aus ſchwerer Seide 


oder Spitzen oder gewöhnlichem ſelbſtgefertigten = 


Baumwollenzeug gewoben iſt, die jungen und 
älteren Damen wiſſen ſie ſo geſchickt und dabei 
immer ein wenig kokett umzuwerfen, daß es 
eine Luſt und Freude iſt. Sonſt findet man 


freilich in ihrer Kleidung nichts beſonders Eigens 


thümliches, da ſich hier ſowohl wie in anderen 
Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. 8 . 


130 


“x Ländern, obgleich man hier weit mehr als anders- 


wo die Franzoſen haßt, doch Alles alberner 
Weiſe nach franzöſiſcher Mode richtet. Es iſt 
die nämliche Geſchichte, wie damals in Rußland. 
Die Franzoſen wurden aus dem Land gejagt, 
aber ihre Schneider und Friſeure blieben zurück, 
und was Bayonnette und Kanonen nicht ver— 
mocht, erreichten fie nach und nach mit Nadel 
und Pomade. Sie civiliſirten, wie ſie es nannten, 
das Land, und Mode wie Krankheiten bekamen 
nach ihnen den Namen. 

Der Mexikaner der unteren Klaſſen, denn 
die Nationaltracht der Serape iſt aus den höheren 
Ständen faſt gänzlich verbannt, trägt noch immer 
dieſe in ganz Südamerika gebräuchliche Decke, 
um ſich damit gegen Kälte oder rauhe Luft zu 
ſchützen. Uebrigens zeigen ſich Alle, Vornehme 
ſowohl wie Peons oder Diener und gewöhnliche 
Arbeiter, ſo ängſtlich gegen den gar nicht etwa 
ſeoo ſcharfen Wind dieſer Höhen, daß ſie, ſelbſt 
bei nur anbrechendem Abend, entweder die Serape 
oder einen Shawl um Kinn und Mund wickeln 
und ſich oft vollſtändig darin einhüllen. Ich 


ſelber habe nie die geringſte Unbequemlichkeit 


von der Luft dort oben geſpürt, der Mexikaner 
aber behauptet, daß fie der Lunge beſonders 


ARE 


ſchädlich ſei, wie er denn auch ebenſo den Satz 
aufſtellt, daß es nichts Schädlicheres für die 
Haut gebe, als ſich zu waſchen. Beſonders auf 
Reiſen hüten ſie ſich denn auch auf wahrhaft 
rührende Weiſe vor friſchem Waſſer, und über— 
haupt findet man zwiſchen den Mexikanern wie 
Südamerikanern wenig oder gar keinen Unter- 
ſchied in ihrem ganzen Leben. Die Einen ſind 
ſo unreinlich wie die Anderen. 

Mexiko jelber iſt, wie ſchon erwähnt, eine 
ſehr ſchöne und auch im Verhältniß reinliche 
Stadt, ſo lange man nämlich den Vorſtädten 
und unangebauten Stellen nicht zu nahe kommt. 
Die Straßen ſind mit breiten Trottoirs belegt 
Hund im Ganzen gut gepflaſtert, und beſonders 
die Plaza mit der wundervollen Kathedrale, vor 
der Kaiſer Maximilian einen prächtigen Spring- 
brunnen hat anlegen und Bäume wie Blüthen⸗ 
büſche pflanzen laſſen, gewährt einen gar hübſchen 
und freundlichen Anblick. Störend freilich ſteht da— 
ran die breite, niedere weiße Fronte des Palaſtes, 
mehr einer Kaſerne als einem Schloſſe ähnlich, 
doch mit enormen Räumlichkeiten verſehen. Der 
verſtorbene Kaiſer hatte allerdings im Sinne, 
es umzubauen, und ließ beſonders im Innern 
einen Theil der alten, doch nutzloſen Baulichkeiten 

9* 


132 
niederreißen, um einen großen und ſchönen 
Garten dort anzulegen. Der Abzug der Fran— 
zoſen aber unterbrach das Alles. Die Arbeiten 
blieben liegen, halb eingeriſſene Mauern wurden 
ſich ſelber überlaſſen, bei irgend einer Gelegen— 
heit einmal von ſelber einzuſtürzen, von der 
Anlage eines Gartens war keine Rede mehr — 


wo hätte die Republik auch Geld, wenn die Re— 


publikaner ſo viel gebrauchen! — und dieſe, wie 
alle anderen öffentlichen Arbeiten bleiben natür— 
lich liegen. d 

Die Mexikaner halten auch nichts davon. 
Was ſie an alten Werken, wie Waſſerleitung, 
Wege, Kirchen ꝛc., haben, benutzen ſie, aber es 
fällt ihnen gar nicht ein, es auch nur im Stand 
zu halten, viel weniger denn gar etwas Neues 
zu ſchaffen. An der alten Waſſerleitung zum 
Beiſpiel ſind eine Anzahl von Bögen ſchadhaft 
geworden und das ausſickernde Waſſer verrieth 
die Gefahr des Einſturzes. Das mußte man 
nun allerdings vermeiden; aber größere Koſten 
konnte man dadurch erſparen, daß man die ſchad— 
haften Bögen durch Holzgerüſte ſtützte. So 
ſtehen ſie noch und werden noch Jahre lang 
ſtehen, bis das Holz einmal plötzlich wegfault 
und die ganze Sache zuſammenpoltert. 


Zahlloſe Kirchen ftehen jo mitten in der 
Stadt als Ruinen und ſind, nach Confiscation 
der geiſtlichen Güter, dem Volk zum Verkauf an⸗ 
geboten worden, aber es finden ſich auch hier 
nur wenige Käufer dafür. 

In Mexiko, genau wie in Puebla, ſtehen 


noch, und zwar in den beſten Stadttheilen, ganze ER 


Quadras von jetzt unbewohnten Klojtermauern 
bedeckt, unbenutzt, und freilich gehört eine andere 
Nationalität als die mexikaniſche dazu, alle, ihr 
dabei entgegentretenden Hinderniſſe auch mit 
Energie und Ausdauer zu bewältigen. Beide 


Eigenſchaften liegen aber gar nicht im merifar 


niſchen Charakter, und Gott weiß, wie lange 
Jahre noch darüber vergehen werden, bis dieſes 
wirklich ſchöne und unendlich reiche Land die 
Geltung erlangt, zu der es durch ſeine Lage und 
Gaben berechtigt iſt. 

Was die Kleidung der arbeitenden Klaſſe 
betrifft, ſo trägt dieſe noch Serape und Rebozo 
oder Mantille, und zwiſchen ihnen herum drängen 
ſich die aus den umliegenden Dörfern herein— 
gekommenen Indianer, die Männer mit ihren 
kurzen Hoſen und der Serapa, die Frauen in 
Hemd und Unterrock, wie mit einem Kopftuch, 
merkwürdig und auffallend dem gleichen Volks⸗ 


134 


7 


ſtamm in Ecuador ähnelnd. Ueberhaupt iſt es 
eigenthümlich, daß die ganze mexikaniſche Hoch— 
ebene eine ſo auffallende Aehnlichkeit mit den 
gleich hoch liegenden Landestheilen in Ecuador 
nicht allein in dieſer Hinſicht zeigt. Der ganze 
Charakter der Landſchaft und Vegetation iſt der 
nämliche, nur daß ich in Ecuador nicht ſo viel 
Mimoſen angetroffen habe als in Mexiko. Sieht 
man aber einen Trupp Indianer zwiſchen den 
Magehs und Cactus, mit ihrer Laſt am Kopf 
hangend, den Weg entlang traben, die Männer 
voran, die Frauen mit den Kindern an der 
Hand, oder die kleinſten in der Rebozo liegend, 
hinterher, wobei ſie noch einen Eſel, ſelten 
ein Maulthier, treiben, ſo möchte man darauf 
ſchwören, daß man ſich in der Nähe von Quito 
befände. | 
| Selbſt in der Sadt findet man unter ihnen 
gleiche Angewohnheiten und Sitten: die Waſſer— 
träger ſchleppen ihre ſchweren, genau wie in 
Ecuador geformten Gefäße in derſelben Art, 
und die Fruchtverkäuferinnen ſitzen genau fo” 
unter ihren viereckigen Sonnenſchirmen, wie dort 
drüben ihre Schweſtern, Tauſende von Meilen 
entfernt. 

Manches haben aber auch ſelbſt die Indianer 


von den Fremden gelernt, was fie jetzt noch aus⸗ 


beuten, zum Beiſpiel den Blumenverkauf in der 


Stadt, den ſie früher nicht betrieben. Es giebt 5 


ja kaum ein Land der Welt, das ſo reich an 


Blumen iſt wie Mexiko. Wenn ſie dieſe aber A 


auch früher wohl dann und wann in ungeord— 
neten Maſſen hereinbrachten, ſo haben ſie jetzt, 
beſonders von den Franzoſen, es gelernt, die 


geſchmackvollſten Bouquets davon zu binden, die 


ſie nun zu einem ſo billigen Preis, beſonders 


an Sonntagmorgen, in den Straßen ausbieten, 


daß ein europäiſcher Gärtner gar nicht mehr 


mit ihnen concurriren könnte. Sonſt ſind ſie 


freilich auch in ihrem Schmutz den Indianern 
Ecuadors nur zu ähnlich und überhaupt eine ges 


drückte und unterdrückte Menſchenrace. 


Republik — es iſt lächerlich, wenn man dieſe 
Bewohner einer Republik betrachtet, und erſt das 


Kaiſerreich zeigte den guten Willen, ſie zu heben 


und zu Menſchen zu machen. Kaiſer Maximilian 


intereſſirte ſich beſonders für die Indianer, und 
ſeine Regierung wäre vielleicht ein Segen für 


ſie geworden. Jetzt iſt er todt — ehe ſie ſelber 


nur vielleicht eine Ahnung erhielten, wie gut er 


es mit ihnen meinte, und kein anderer Menſch 
bekümmert ſich mehr um das arme Volk, als 


. 


IB 


daß man es, wie eben die Zugſtiere, zum Arbeiten 
benutzt. Aber trotzdem liegt mehr Intelligenz 
in dieſem Volksſtamm, als man vielleicht ver- 
muthen ſollte; fie haben zum Beiſpiel einen Sinn 


für das Schöne, wie fie es nicht allein im Bin- 
den ihrer Bouquets, nein, auch bei einer noch 
viel ſchwierigeren Kunſt, vielleicht der ſchwierig— 


a jten, zeigen, beim Modelliren. 


Man findet da beſonders unter der indiani— 
ſchen Bevölkerung nicht allein tüchtige Arbeiter, 
ſondern wirkliche Künjtler, die mit den ein⸗ 
flachſten Werkzeugen und Mitteln in unglaublich 
kurzer Zeit die reizendſten Arbeiten, beſonders 

aus Wachs und Zeug, herſtellen. Sie modelliren 
in den kleinen, etwa einen Fuß hohen Figuren 
auch nicht blos etwa einen Kopf und ein Paar 
Hände und ſtopfen das Andere nachher geſchickt 
aus, ſondern ſie formen aus maſſivem Wachs 
oder faſt noch kunſtfertiger aus Zeug die ganze 


5 Figur anatomiſch richtig in der Stellung, die ſie 


ihr geben wollen, und bekleiden ſie erſt nachher 
in den verſchiedenen Landestrachten durch eben— 


falls mit Wachs getränktes Zeug, dem fie, wenn 


es noch weich iſt, den ſchönſten Faltenwurf zu 
geben wiſſen. Gar nicht ſo ſelten findet man 
wirkliche Kunſtwerke, die dabei um einen erſtaun⸗ 


137 


lich billigen Preis verkauft werden und gewöhn⸗ 
lich nicht mehr als anderthalb bis zwei Dollars 
koſten. Eben ſo geſchickt formen ſie aus Wachs 
die Früchte des Landes in täuſchend e 
Farben. 

Cinzelne Individuen giebt es dabei, die im 
Lande herumziehen und für wenige Groſchen 
Jeden, der es wünſcht, in Wachs als Büſte 
modelliren, und mir wurde von einem Indianer 
erzählt, dem ein Europäer anbot, ihn mit nach 
Europa zu nehmen, weil er ein wirkliches Genie 
in ihm entdeckte. Der Mann wollte aber nicht; 
er verdiente in Mexiko was er brauchte, ſo 


wenig das auch ſein mochte, und verlangte eben x 


nicht mehr. 

Aber nicht allein im Modelliren von Wachs 
zeigen ſie große Kunſtfertigkeit, ſondern in einigen 
Gegenden hat ſich die Induſtrie auch darauf 
verlegt, zum Beiſpiel Todtenköpfe und Menjchen: 
knochen en miniature aus Alabaſter, Stein und 
ſelbſt Holzkohle auszuſchneiden. Beſonders häufig 
findet man kleine Köpfe, die auf der einen Seite 
den vollen, blühenden Menſchenkopf und auf 
der andern den Schädel zeigen. In dieſer Art 
ſah ich auch einen kleinen, vortrefflich getroffenen 
Kopf von Garibaldi. 


158 
Außerdem machen ſie ſehr mühſam ausgeführte 
Arbeiten in Federn, allerdings nicht mit dem 
Geſchmack als die Braſilianer, aber doch mit 
großer Kunſtfertigkeit angefertigt, zum Beiſpiel 
ganze Gemälde von Kolibrifedern, die ſo geſchickt 
in einander gelegt und feſtgeklebt werden, daß 
ſie ein wirkliches kleines Bild herſtellen. Auch 
auf Viſitenkarten kleben ſie aus den Federn der 
Vögel ſelber alle die Arten, die im Lande vor— 
kommen, auf, und ebenſo formiren fie dieſelben 
en miniature, aber vollſtändig, auf einem kleinen 
Draht und verkaufen dieſe wirklich künſtlichen 
Arbeiten dann um einen Spottpreis. 

Spielzeug machen ſie ebenfalls, und manchmal 
ganz allerliebſt. So fand ich zum Beiſpiel kleine 
Kühe, aus einem einzigen Stück rohen Kalbfells 
ganz geſchickt ausgeſchnitten und zuſammenge— 
bogen, die das Stück um einen Claco, alſo wenige 
Pfennige, verkauft wurden und bei vollkommener 


Unzerbrechlichkeit das Praktiſchſte ſind, was man 


kleinen Kindern in die Hand geben kann. 

Eine ſehr große Fertigkeit beſitzen ſie in der 
Bereitung von dulces oder Zuckerwerk — be— 
ſonders in dem Ueberzuckern von Früchten, und 
die meiſten, ja faſt alle ſolche Arbeiten werden 
allein von den Indianern geliefert. Die weißen 


139 


Abkömmlinge der Spanier — jetzt allerdings in 
der ſehr großen Minderheit, laufen indeſſen nur 
als „Ebenbilder Gottes“ herum, ſtehlen dem 
Schöpfer ihre Tage ab und ſchimpfen dann ins⸗ 


geheim auf das „Glück“ der Fremden, die eh 


durch Fleiß und Sparſamkeit ein Vermögen er— 


worben. Es iſt wirklich erſtaunlich, was dieſe 


ſpaniſchen Stämme an Faulheit zu leiſten im 


Stande ſind, und doch dürfen ſie, beſonders auf 


der Hochebene von Mexiko, ein zu heißes Klima 
nicht zum Vorwand nehmen. Eine beſſere und 


mildere Temperatur kann es nirgends geben; 


man lebt dort faſt wie in einem ewigen Frühling, 
und den Winter hindurch ſind die Nächte ſo 
friſch, daß man eine wollene Dede recht gut ver— 
tragen kann. 

Und was leiſtet Mexiko an wirklichen Arbei— 
ten? — enorm wenig. 

Allerdings werden im Lande ſelber Zeuge, 
und beſonders die wollenen Decken oder ſoge— 
nannte Serapes von den ordinärſten bis zu den 
feinſten, angefertigt. Auch Alles, was zu Pferde— 
geſchirr und Reitcoſtüm gehört, wird im Lande 
gemacht; durchwandert man aber die verſchiedenen 
Läden der Stadt, ſo findet man nur einzig und 
allein importirte Artikel, mit vorzüglich einer 


140 


kaum glaublichen Menge von franzöſiſchen Ga- 
lanteriewaaren. 5 

Ein Artikel dabei, der jedoch meiſt auf offenem 
Markt feilgeboten wird, und oft zwar in den 
ärmlichſten Ständen, iſt echt mexikaniſch — und 
zwar die feinſte und ſchönſte Filigran-Arbeit in 
Silber, und noch dazu für einen außerordentlich 
mäßigen Preis — aber auch dieſe Filigran-Arbeiter 
ſind Leute von gemiſchtem Blut. 

Auch Hüte ſind ein mexikaniſches Fabrikat, 
obgleich meiſtens von Fremden angefertigt. In 
einen richtigen und feinen Filzhut ſetzt aber der 
Mexikaner ſeinen ganzen Stolz, und daß der 
Filz dabei dick und noch außerdem durch reiche 
Gold- und Silberſtickerei faſt unerträglich ſchwer 
gemacht wird, hat nichts zu ſagen. Es iſt gar 
nicht etwa ſo ſelten, daß ſolch ein Hut an 20 
bis 50 und mehr Thaler koſtet, und dabei iſt er 
nicht einmal beim Reiten praktiſch, weil der 
Wind unter den faſt fußbreiten Rand drückt. 
Selbſt in der Straße hat man nur ewig oben 
dieſen Rändern und unten den, das Unglaubliche 
leiſtenden Schleppen auszuweichen. Aber das 
ſchadet nichts; es iſt einmal die Nationaltracht, 
und je theurer ſie gemacht werden kann, deſto 


ßbheſſer. 


Dieſem Fabrikat bejonders haben ſich in 
einem kleinen Theil die Franzoſen, ganz haupt⸗ 
ſächlich aber die Deutſchen zugewandt und dabei 
viel Geld verdient. 

Ueberhaupt ſpielen die Deutſchen in Mexiko 
eine ziemlich bedeutende Rolle und ſind allgemein 
geachtet und gern geſehen. Freilich hätte die In⸗ 
tervention dieſem Verhältniſſe faſt einen Stoß 
gegeben, denn der Kaiſer brachte leider Gottes 
eine Menge abenteuerlichen Gelichters mit, das 
nur nach Mexiko gekommen war, um geſchwind 
reich zu werden, und ſich weder des Landes noch 
des Kaiſers wegen Gewiſſensbiſſe machte. Viele 
dieſer Herren mißbrauchten den Credit, den die 
Deutſchen ſich durch ihren Fleiß und ihre Red— 
lichkeit in Mexiko erworben, in umfaſſendſter 
Weiſe, und haben auch dafür geſorgt, daß man 
ſie noch lange nicht im Lande vergeſſen wird, ja 
ihre Namen als theure Angedenken aufbewahrt; 
aber die Zeit iſt vorüber, — die Mexikaner fingen 
auch ſelber an, einen Unterſchied zu machen, und 
die zu leichten Elemente wurden über Nacht wie- 
der weggefegt. | 

Allerdings ſind noch ſehr viele Oeſterreicher 
im Lande zurückgeblieben, aber faſt ausjchließlich 
nur von der beſſeren Art, meiſtens Aerzte, da 


142 


. die wirklichen Abenteurer wohl bald einſahen, daß 


ſie ſich in ihren Erwartungen und Hoffnungen 
getäuſcht. Unter dem Glanz und Flitter eines 
Thrones hätten ſie mit hochklingenden Namen 
und Titeln und in brillanten Uniformen Leicht- 
gläubige vielleicht noch eine Zeit lang blenden 
können, aber im praktiſchen Leben ließ ſich die 
Sache nicht durchführen, und ſie gaben es des— 
halb auf. 

In deutſchen Händen befindet ſich jetzt faſt 
— hier ſowohl als in Vera-Cruz — das ganze 
Importgeſchäft des Landes, und auch in geſell— 
ſchaftlicher Beziehung ſcheint das deutſche Ele— 
ment ziemlich wacker zuſammenzuhalten. Das 
„Deutſche Haus“, wie das mit einer Bibliothek, 
Leſezimmer, Billard ꝛc. verſehene Geſellſchaftshaus 
heißt, vereinigt die meiſten der hier anſäſſigen 
Deutſchen, und ſogar ein Turnverein hat ſich 
in jüngſter Zeit etablirt, dem ich aber keine lange 
Lebensdauer prophezeie. Mexiko hat allerdings 
ein herrliches und nicht zu heißes Klima, aber 
zum Turnen iſt es denn doch — ſelbſt im Win— 
ter — ein wenig zu heiß, und ſchon während ich 
dort war, alſo noch im neueſten Beginnen, ent— 
ſchuldigten ſich die einzelnen Mitglieder ſehr häufig 
mit der allzu drückenden Temperatur. 


„ 


Merkwürdiger Weiſe haben die Franzoſen, 
die doch ſonſt von allen Nationen am feſteſten 
im Auslande zuſammenhalten, kein beſonderes 
Vereinslocal, das ſich ſogar die Spanier gegründet. 

Uebrigens bedauert Niemand mehr als gerade 
die Deutſchen oder überhaupt die Fremden, daß 
dem Kaiſerreich ein Ende gemacht wurde, und 
zwar nicht allein aus perſönlichem Intereſſe an 
dem liebenswürdigen Charakter des Kaiſers ſel— 
ber wie ſeiner Gemahlin, ſondern beſonders 
weil ſie ſahen, daß dadurch ein geregelter Zu— 
ſtand in Mexiko eingeführt wurde und auch nur 
dadurch eingeführt werden konnte. Was ſich als 
Spreu mit unter den Weizen gemiſcht und in 
das Lanv, wahrlich nicht zu feinem Beſten, ein: 
geſchmuggelt hatte, wäre mit der Zeit doch wie— 
der ausgemerzt worden oder hätte ſich ſelber ab— 
geſchliffen; aber es ſollte eben nicht ſein. Maxi⸗ 
milian, ſo herzensgut er ſich immer gezeigt, war 
zu ſchwankender, weicher Natur, um ein Volk 
zu beherrſchen, wie die Mexikaner. Das verlangte 
eine unerbittliche, eiſerne Hand, wie ſie Garcia 
Moreno den Ecuadorianern gezeigt und die Re— 
volutionen damit im Keime erſtickt hatte, und 
die hatte Maximilian nicht. 


144 

Zuerſt ließ er ſich durch Marſchall Bazaine 
und franzöſiſche Lügen, daß Juarez das Land 
flüchtig verlaſſen habe und von jetzt an nur noch 
Raubbanden exiſtirten, zu dem unglücklichen Des 
eret vom 5. October 1865 verleiten, nach welchem 
gegen jedes Mitglied einer bewaffneten Bande 
die Todesſtrafe ausgeſprochen wurde. Aber er 
hätte entweder nie darein willigen, oder, wenn 
er es doch that, die Maßregel mit der furcht⸗ 
barſten Strenge durchführen müſſen. So wälzte 
Bazaine nur das Odium des Decrets auf den 
armen Kaiſer, der begnadigte, wo er nur irgend 
konnte, während die Franzoſen, beſonders mit 
der ſogenannten Contre-Guerilla, zahlloſe Men⸗ 
ſchenleben hinſchlachteten. Der Fluch des Schrift- 
ſtücks blieb aber natürlich auf dem Kaiſer haf 
ten, und der unglückliche Monarch büßte ſeine 
Schwachheit mit dem Tode; aber er büßte fie 
als Mann, und Alle, die ihn noch zuletzt geſehen, 
haben nur die eine Stimme über ihn, daß er 
ſeinem Schickſal in heroiſcher Ruhe und wie 
ein wackerer Soldat entgegenging. 

Und hatte er gar keine Freunde, die ihn war- 
nen, die ihm rathen konnten? Doch, er hatte 
deren; aber wir brauchen nicht nach Mexiko zu 
gehen, um ähnliche Beiſpiele zahlreich genug zu 


9 445 


finden. Der Kaiſer hatte einzelne brave Männer 


um ſich, und er hörte ſie auch wohl an, aber 


Andere, die ihr eigenes Intereſſe dabei verfolg- 
ten und kein Mittel ſcheuten, ihre Zwecke zu er- 
reichen, alſo auch nicht die Schmeichelei, wußten 
ihren Worten mehr Nachdruck zu geben. 
Maximilian hatte Freunde um ſich, aber noch 
in der letzten Stunde vermochte der Pater Fiſcher, 
der in dem ſchwachen Kaiſer das beſte Werkzeug 


ſeiner eigenen Pläne ſah, denſelben von jeinem 


Entſchluſſe, nach Europa zurückzukehren, abzu⸗ 


bringen. Allerdings hatte er die feſte Abſicht, in 


Mexiko abzudanken, aber auch dort wieder ge— 
wann der Einfluß anderer Intereſſen, mit rich⸗ 
tiger Ueberredung betrieben, die Oberhand. Er 
ging nach Querétaro und ſtellte ſich an die Spitze 
der Armee, und ſelbſt von dort aus noch hätte 
er mit leichter Mühe fliehen können. Wahre 
Freunde verſuchten ſelbſt da ſeine Rettung, aber 
auch hier trat ihnen ein intriguantes Weib ent⸗ 
gegen, und der günſtige Augenblick verſtrich — 
der Kaiſer fiel. Und ſeine Speichellecker und Hof— 
ſchranzen? Sie zogen ſich mit dem, was ſie in 
der Geſchwindigkeit hatten erbeuten können, vom 
Pater Fiſcher bald darauf gefolgt, in Sicherheit 
nach Europa zurück, und werden jetzt, aller Wahr⸗ 
Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. 10 


146 
ſcheinlichkeit nach, große Geſchichten erzählen, 
wie ſie allein, wenn ihnen der Kaiſer nur ver⸗ 
traut, ihn ſowohl als das Reich gerettet haben 
würden; — es iſt das ja eben Menſchennatur. 

Die jetzige Regierung iſt nun eifrig bemüht, 
alle Erinnerungen an die frühere Kaiſerzeit zu 
vernichten und aus dem Gedächtniß des Volkes 
zu merzen; aber es iſt das doch nicht ſo leicht, 
als man vielleicht zu glauben ſcheint, denn zu 
viele Verbeſſerungen wurden in der kurzen Zeit 
eingeführt, die ſich nicht ſo leicht vertilgen laſſen 
als angebrachte Namenszüge und Kronen. 

In Querétaro war man ſogar genöthigt, den 
Executionsplatz nicht allein der Erde gleich zu 
machen und alle Büſche und Stauden in der 
Nachbarſchaft wegzuſchlagen, ja ſogar Schutt aus 
der Stadt auf die Stelle zu fahren, um den 
Ovationen und Blumenſpenden ein Ende zu ma: 
chen, konnte aber nicht verhindern, daß viele edle 
Familien noch jetzt innerlich und ſelbſt äußerlich 
um den gemordeten Kaiſer trauern, daß ſeine 
Bilder nach der Natur wie in Apotheoſen überall 
und faſt an jedem Schaufenſter in der Stadt 
ausgeſtellt ſtehen, daß ein Kalender Maximilian's, 
der die Kaiſerzeit in den freundlichſten Farben 
ſchildert, bald in zwei Auflagen vergriffen wurde, 


447 


und jetzt ſogar im Süden, in Yucatan, ein Trupp 
von Revolutionären den Namen der Kaiſerin 
auf ihre Fahne geſchrieben, um den dortigen 
Diſtrict von Juarez' Herrſchaft loszureißen. Ich 
will dabei allerdings nicht behaupten, daß jene 
Landſtriche unter den Herren, die das Land, wenn 
auch Namens der Kaiſerin, beherrſchen möchten, 
glücklicher ſein würden, als unter der jetzigen 
Regierung; ich traue einer ſo viel und ſo wenig 
wie der andern, aber es zeigt doch immer die 
Stimmung im Lande und verdient deshalb Er— 
wähnung. 

Einen Gewinn hat übrigens die Stadt 
Mexiko auch für den Fremden durch die Kaiſer— 
zeit und durch das damit verbundene Einſtrömen 
zahlreicher Fremden gehabt, nämlich die Errich— 
tung vieler und zuweilen recht guter Hötels, an 
denen früher ein bedeutender Mangel geweſen 
fein ſoll. Hotel „Iturbide“ (auch eine Erinnerung 
aus einer früheren Kaiſerzeit, die mit der Er— 
ſchießung des Monarchen endete), Hötel „Bazar“, 
Hötel „National“ ſind recht gut und behaglich 
eingerichtet, und bieten beſonders alle die nicht 
hoch genug anzuſchlagende Annehmlichkeit, daß 
man in ihnen ein hübſches Zimmer zu verhält— 
nißmäßig billigem Preiſe (10 Dollars für 15 

10 * 


1448 
Tage oder 1 Dollar per Tag) bekommen kann, 
ohne verpflichtet zu ſein, auch dort zu eſſen; man 
bezahlt eben in der Reſtauration für das, was 
man ſich geben läßt. 

Auf's äußerſte war ich ſogar erſtaunt, als 
ich im Hötel National, wo ich abſtieg, wie im 
Eingange des Capitels erwähnt, die Bequem— 
lichkeit eines telegraphiſchen Klingelzuges vorfand. 
An dem erſten Abend hatte ich allerdings keine 
Gelegenheit davon Gebrauch zu machen, am 
nächſten Morgen aber, nachdem ich mich gewa— 
ſchen, drückte ich beſcheiden einmal auf den Knopf, 
um den Kaffee herauf zu citiren, und zündete 
mir indeſſen eine Cigarre an — aber der Kaffee 
kam nicht. Ich drückte jetzt zweimal, und wartete 
mit echt deutſcher Geduld wohl eine Viertelſtunde 
— er kam noch immer nicht, auch Niemand ſonſt, 
der ſich um mich bekümmerte, und ich fing an 
ungeduldig zu werden. Ich ließ den Telegraphen 
wie ein Glockenſpiel arbeiten, und horchte dann, 
weil ich glaubte, die Kellner würden jetzt von 
allen Seiten herbeiſtürzen, um zu erfahren wo 
ein Unglück geſchehen ſei. Nichts Derartiges ge— 
ſchah. Das Haus blieb todtenſtill, und ich mußte 
zuletzt ſelber hinuntergehen, um meinen Kaffee 
zu beſtellen. 


149 


Am nächſten Morgen erneute ich allerdings 
noch einmal den Verſuch, aber nur mit dem näm⸗ 
lichen Erfolg, und fand jetzt, daß der Telegraph 
im Hauſe eigentlich nur eine ſcherzhafte Ein— 


richtung ſei, um durchreiſende Fremde zu dem 


irrigen Glauben zu veranlaſſen, daß ſie irgend 
eine Bedienung zu erwarten hätten. Eine Treppe 
tiefer, unter dem Zahlenbrett, das die Nummer 
des gezogenen Telegraphen angab, ſaß allerdings, 
wie ich ſpäter bemerkte, in beſchaulicher Ruhe 
der Portier, und drehte jedesmal, wenn die Klin⸗ 
gel zum erſten Mal ertönte, den Kopf darnach 
um, wahrſcheinlich nur um zu ſehen, welcher 
Fremde wieder einmal in die Falle gegangen 
ſei. Das war auch Alles; er hielt es nicht ein⸗ 
mal der Mühe werth, Einen der langſam auf den 
Treppen herumſchlendernden Leute nach einem 
möglichen Kellner auszuſchicken, und bei weiteren 
Ruheſtörungen rührte er ſich gar nicht. Ertönte 


dann wieder einmal Morgens die Klingel, erſt 


leiſe, dann laut und gebieteriſch, ſo wußte ich 
ganz genau, daß ein neuer Fremder in dem 
Hötel eingezogen ſei und eben damit beſchäftigt 
war Lehrgeld zu bezahlen. 

Das Hötel Iturbide hat übrigens nicht allein 
ſeinen Namen nach dem ebenfalls erſchoſſenen 


150 

Kaiſer bekommen, ſondern liegt ſogar im Haufe 
Iturbide, in dem alten Kaiſerpalaſt, einem 
prächtigen Denkmal aus vergangener Zeit, mit 
rieſigem Portal, hoch aufgebauten Etagen und 
faſt großartigen, keck geformten Säulen, welche 
die Veranden tragen. b 

Mexiko iſt überhaupt ein hiſtoriſch höchſt in= 
tereſſanter Platz, denn jede Straße faſt bietet 
eine andere Erinnerung aus der wunderlichen 
und verwickelten, aber faſt immer blutigen Ge— 
ſchichte des Landes. Da ſteht das Haus noch 
mit ſeinen ſonderbaren, mit Fließen“) belegten 
Wänden und Giebeln, in dem die Familie Cor— 
tez wohnte; dort iſt die Stelle, wo neben dem 
früheren Tempel und jetzt der Kathedrale das 
freilich nun eingeriſſene oder umgebaute Haus 
Montezuma's ſtand. Das dort war ein Haus, 
jetzt leer und verfallen, das ſich der reichſte Mi— 
nenbeſitzer des reichen Landes erbaute, der, als 
ihm der erſte Sohn geboren wurde, die Straßen 
bis zur nächſten Kirche — etwa eine Entfernung 
von 4= bis 500 Schritt — mit maſſiven Silber: 

*) Noch bis auf den heutigen Tag exiſtirt das alte mexi⸗ 
kaniſche Sprichwort: „Der wird ſich auch kein Haus mit Fließen 


bauen“ — was heißen ſoll: er wird nie etwas vor ſich brin⸗ 
gen, da dieſe Bauart früher ſtets außerordentlich theuer war. 


151 
barren belegen ließ, damit auf ihnen fein Sohn 
in die Kirche getragen würde, während derſelbe 
Sohn auf der Schwelle derſelben Kirche, etwa 
60 Jahre ſpäter, krank und elend ſaß und Al⸗ 
moſen von den Vorübergehenden erbettelte. 

Dort, im Hofe eines der öffentlichen Gebäude, 
neben einer Soldatenwache, die ihr Geſchirr auf 
ihm putzen und ihn verunreinigen, ſteht der alte 
Opferſtein, auf dem die Kriegsgefangenen der 
Mexikaner mit einem Fuße angefeſſelt wurden 
und gegen drei Krieger des Stammes kämpfen 
mußten, in welchem Falle, wenn ſie den Kampf 
ſiegreich beſtanden, nicht allein die Freiheit, jon= 
dern auch hohe Würden und Ehren ihrer harr— 
ten, im andern Falle aber ihr Blut die innere 
Höhlung füllte — und welche wunderbar künſt⸗ 
liche Arbeit zeigt der Stein — wunderbar in 
der That, wenn wir bedenken, daß die Mexikaner 
der Zeit noch nicht einmal die Benutzung des 
Eiſens verſtanden und Alles mit ſteinernen In⸗ 
ſtrumenten arbeiteten. 

Dort in der Kathedrale, die eine Zierde der 
ganzen Stadt bildet, wenn ſie auch der frühere 
alte Tempel weit beſſer ſchmücken würde, iſt noch 
der alte rieſige Kalenderſtein Montezuma's ein⸗ 
gemauert und kündet deutlich an, auf welcher 


152 


hohen Stufe der Intelligenz die damaligen Prie⸗ 
ſter des Volkes ſtanden; unfern der Stadt ſteht 
auch die alte Ceder, unter der noch derſelbe Stein 
liegt, auf dem Cortez geſeſſen hat, als er da— 
mals aus Mexfiko vertrieben und nach dem Ver— 
luſt zahlreicher Freunde bitterlich weinte. Noch 
bis auf dieſen Tag heißt fie auch el arbol de 
la noche triste oder der Baum der Trauernacht. 
— Bei Chapultepek, dem lieblichſten Punkte der 
Welt und auch dem Lieblingsaufenthalte Maxi⸗ 
milian's, liegen noch die gut erhaltenen Bäder 
Montezuma's, und überall zeigen ſich die Spuren 
jener vergangenen Zeiten aus dem Leben eines 
Volkes, das glücklich war, bis die Eroberer in 
das Land fielen und mit dem ſcharf geſchliffenen 
Schwert die Heiden belehrten, daß da oben über 
den Sternen ein Gott der Liebe wohne. Das 
koſtete freilich ſehr viel Menſchenblut, und Außer: 
lich wurden die blinden Heiden auch wirklich 
zum Chriſtenthum bekehrt — es wäre ihnen auch 
ſonſt ſchlecht ergangen, wenn ſie ſich nicht hätten 
überzeugen laſſen —, innerlich aber hangen noch 
bis auf den heutigen Tag Tauſende dem alten 
Glauben an, und es wird ſogar als ganz be— 
ſtimmt behauptet, daß fie in vielen für fie be⸗ 
ſtimmten Kirchen gewußt haben, hinter dem Al— 


153 


tare des neuen Gottes einzelne ihrer alten und 
allerdings nicht hübſchen Götterbilder einzugra— 
ben, zu denen ſie jetzt ungeſtört beten können, 
wenn ſie ſich vor dem Altar niederwerfen. — 
Es geht in der That wunderlich in der Welt zu; 
ſonderbar nur, daß gerade die Indianer die ehr⸗ 
lichſte Menſchenklaſſe unter der mexikaniſchen 
Bevölkerung ſind und die Banden von Straßen— 
räubern und Dieben meiſtens aus wirklichen 
mexikaniſchen Chriſten beſtehen, die vor jedem 
Heiligenbilde den Hut ziehen und ſich bekreuzen. 

Da ich übrigens gerade auf das Capitel 
komme, darf ich auch nicht die Kirche der Ma— 
donna von Guadalupe unerwähnt laſſen, den 
größten Wallfahrtsort, den Mexiko beſitzt. Die 
heilige Madonna iſt, der Erzählung der Geiſt— 
lichen nach, dort auf dem Berge, gerade über 
Mexiko, in früherer Zeit einem Schäfer erſchie— 
nen und hat, wenn ich nicht irre, von ihm ver— 
langt, daß er zum Erzbiſchof gehe und den Bau 
einer Kirche von ihm begehre. Der Erzbiſchof 
glaubte aber, der Schäfer flunkere ihm etwas 
vor. Die heilige Jungfrau erſchien dem Schä— 
fer aber zum zweiten und dritten Male, und 
befahl ihm zuletzt auf einen beſtimmten Berg zu 
gehen, dort eine Anzahl von Roſen zu pflücken 


154 


und dieſe dann dem Erzbiſchof zu bringen. Das 
that der Schäfer. Obgleich er ſonſt da oben noch 
nie Roſen geſehen, jetzt fand er ſie und nahm 
ſie in ſeiner Schürze mit; als er ſie aber bei dem 
Geiſtlichen ausſchütten wollte, war ein neues 
Wunder geſchehen. Roſen hatte er allerdings 
nicht mehr in der Schürze, aber auf derſelben 
ſtand das Bild der Mutter Gottes im Himmels— 
glanz mit langem geſtickten Mantel und Heili— 
genſchein gemalt, und mußte jetzt den Ungläubig⸗ 
ſten überzeugen. 

Die Kirche wurde gebaut und überreich mit 
Silber, Gold und Juwelen ausgeſtattet, die 
Schürze mit dem Bild darauf aber in einem Eoft- 
baren Rahmen über dem Altar aufgehangen, wo 
es ſich auch noch bis auf den heutigen Tag be— 
findet und ſchon eine große Anzahl von Wundern 
gethan haben ſoll. 

In der Kirche ſelber ſind in einer Ecke auf 
einer Maſſe kleiner, allerdings erbärmlich gemal— 
ter Bilder viele von dieſen Wundern dargeſtellt. 
Menſchen werden darauf durch das Anrufen der 
Heiligen von durchgehenden Pferden, Räubern, 
aus Waſſer⸗ und Feuersnoth gerettet, und ſil— 
berne Arme und Beine, kleine Krücken und an— 
dere Symbole hangen darum her, um dadurch 


155 


nähere Kennzeichen anzugeben. In der Kirche 
jelber iſt auch ein kleiner Ladentiſch aufgeſchla— 
gen, wo bei Philipp und Simon en gros gekaufte 
Roſenkränze, die nachher geweiht wurden, en de- 
tail zu 1 bis 6 Realen das Stück an die Gläu⸗ 
bigen verkauft werden. Ebenſo kann man dort 
kleine Bilder der Jungfrau, Stücke Band und 
kleine Kugeln, die eine wohlthätige Wirkung 
auf den Körper ausüben ſollen, und viele andere 
nützliche Dinge noch erhalten. Ein Pater ſteht 
hinter dem Ladentiſch, verkauft und hat auch 
gleich Papier vorräthig, um das Gekaufte ordent⸗ 
lich einzuwickeln. Ich erwarb auf dieſe Weiſe 
einige Roſenkränze und Bilder, um ſie als An— 
denken mitzunehmen. 

Uebrigens glaube ich beinah, daß ich zu viel 
bezahlt habe, denn mein Begleiter ſagte mir, daß 
ſich mit den Herren auch handeln ließe, und daß 
ſie, beſonders wenn man mehr zuſammen nehme, 
einen Rabatt gäben. 

Neben der Kirche ſteht ein wie ein Schiff ge— 
formter, ziemlich weit ſichtbarer Stein, von dem 
man erzählt, daß ein aus arger Gefahr gerette— 
ter Seemann der Jungfrau von Guadalupe in 
höchſter Noth gelobt habe, ihr ein Schiff zu 
bauen. Auf feſtem Lande glücklich angekommen, 


156 

ſoll ihm aber die Sache doch ein wenig zu koſt— 
ſpielig geweſen ſein, und er hat deshalb dort 
oben den Stein aufgeſtellt, der von Weitem al— 
lerdings die Geſtalt eines kleinen Schiffes unter 
vollen Segeln hat. Dicht bei der Kirche iſt der 
heilige Brunnen mit ſehr eiſenhaltigem Waſſer 
und fortwährend von Kranken umlagert, die das 
Waſſer trinken und ſich damit beſpritzen oder 
darin waſchen. Appetitlich ſieht es nicht aus, 
aber das Waſſer ſoll wunderkräftig fein. Uebri⸗ 
gens kann man ſich darauf verlaſſen, an der 
Schwelle der Kirche von einer Maſſe verfrüppel- 
ter Bettler überfallen zu werden, und es gehören 
ſtarke Nerven dazu, um den Anblick der ver- 
ſtümmelten Glieder zu ertragen, die Einem, um 
Mitleid zu erregen, von den unglücklichen Bes 
ſitzern entgegengehalten werden. Ich vertheilte 
raſch alles kleine Geld, was ich bei mir hatte, 
und dankte Gott, als ich von der entſetzlichen 
Umgebung erlöſt wurde. 

Die heilige Jungfrau von Guadalupe wird 
in Mexiko ſehr hoch gehalten, und leider kam 
ich nur ein wenig zu ſpät zu dem Feſte, das 
jährlich zu ihren Ehren gehalten wird und zu 
dem beſonders die Indianer in Schwärmen her— 
beikommen und — viel Geld dort verzehren. 


157 


Mir wurde verſichert, daß die Kirche in der 
Zeit eher einem Jahrmarkt, als einem Heilig⸗ 
thume glich. Uebrigens iſt ſie außerordentlich 
reich, und ein maſſiv ſilbernes Geländer, das die 
Altäre umgiebt, ſoll nur einen kleinen Theil 
früherer Schätze ausgemacht haben. 

Schon von mehreren Seiten war mir geſagt, 
daß ich den Markt und beſonders den Canal 
beſuchen möchte, auf dem die Indianer mit ihren 
Gemüſen ankommen. Dorthin ging ich eines 
Morgens und bereute es wahrlich nicht, denn 
es kann kaum ein lebendigeres, freundlicheres 
Bild geben, als dieſen höchſt eigenthümlichen 
Gemüſemarkt der Hauptſtadt. 

Morgens mit Sonnenaufgang, alſo in jetziger 
Zeit etwas nach ſechs Uhr, treffen die kleinen, 
wie ein längliches Viereck gebauten Fahrzeuge 
der Indianer ein. Sie ſind mit grünen, friſchen 
Gemüſen und zum Theil auch mit Früchten hoch 
aufgebaut, und dazwiſchen ſitzen und ſtehen die 
jungen, drallen Frauen und treiben die Boote 
vorwärts, und um ſie her ſpielen lachende Kinder, 
die das Bild allerdings verſchöͤnern, den Gemüſen 
ſelber aber nicht immer nützlich ſind. | 

Anfangs kommen fie nur einzeln — die am 
raſcheſten rudern konnten, find die Erſten und 


158 


auch im Stande, ſich den beſten Platz auszu— 
ſuchen —, aber bald folgt der Schwarm nach, 
ſo daß es nur kurze Zeit dauert und der eben 
nicht ſehr breite Canal liegt ſo gedrängt voll 
Boote, daß für die ſpäter kommenden kaum eine 
genügende Fahrſtraße bleibt. Und jetzt ſind auch 
von allen Seiten die Fruchthöker gekommen, die, 
wie bei uns daheim, Kohl und Rüben en gros 
einkaufen, um ſie über Tag nachher wieder mit 
einem geringen Nutzen zu verkaufen. Aber welch 
ein Unterſchied zwiſchen hier und daheim, denn 
wenn man bei uns einmal derartige Scenen er— 
lebt hat, ſo wird man ſich gewiß an den ewigen 
Skandal erinnern, den das bitterböſe Geſchlecht 
der Hökerweiber unterhält und oft damit eine 
ganze Nachbarſchaft zur Verzweiflung treibt. 
Hier hört man kein böſes, ja ſelbſt lautes 
Wort, ausgenommen dann und wann einmal 
ein fröhliches Lachen oder einen harmloſen Scherz; 
Alles wird in Frieden und Freundſchaft abge— 
macht, und die Frauen am Ufer bezeichnen nur 
die Gegenſtände, die ſie haben wollen, aber nicht 
erreichen können, worauf die Verkäufer ihnen 
das Verlangte zuwerfen, ohne nur die geringſte 
Beſorgniß zu verrathen, daß ihnen die betreffen— 
den Höker mit dem Betrag durchbrennen könnten. 


159 


Aber fie wiſſen auch, daß ihnen bei einem nur 
verſuchten Betrug, alle übrigen Käufer augen⸗ 
blicklich beiſtehen würden. 

Herrliches Gemüſe kommt da zu Markte, wie 
es die gemäßigte Zone kaum in einem andern 
Land der Welt beſſer und kräftiger hervorbringt: 
Kraut, Blumenkohl, Rüben, Zwiebeln, Salat und 
wie die grünen Herrlichkeiten alle heißen. Dicht 
am Ufer breiten ſich dann die Einzelverkäufer 
aus, denn ſie wiſſen recht gut, daß der Engros— 
Handel nicht lange andauert, und nun kommen 
die Leute aus der Stadt mit ihren kleinen Körben 
und holen, was ſie brauchen, während die In— 
dianerinnen in den Booten ihr mitgebrachtes 
frugales Mahl von einigen Tortillas und etwas 
getrocknetem Fleiſch verzehren und ſich dann 
anſchicken, die Heimfahrt anzutreten, um am 
nächſten Morgen mit einer friſchen Ladung zus 
rückzukehren. 

Ruhige, harmloſe Menſchen; die Revolutionen 
gehen über ſie hin und vernichten vielleicht ihre 
beſcheidene, ärmliche Heimath, aber ſie ſind wie 
die Halme, die der Sturm wohl niederbeugen, 
aber nie zerbrechen kann. Er zerſplittert die 
Eiche, aber über ſie brauſt er hin, und wenn 
die Sonne auf's Neue hervorbricht, heben ſie ſich 


160 


langſam wieder empor und ſchaukeln nach wie 
vor in der Briſe. 

Und wie entſetzlich ärmlich leben Viele von 
dieſen Leuten! Da find die Salz- und Salpeter- 
gruben an den Ufern der verſchiedenen Seen, 
wo ſie in Höhlen und Schmutz und Ungeziefer 
faſt wie wilde Thiere hauſen — und doch genügt 
ihnen ihre Exiſtenz, und keine Revolution im 
ganzen Lande iſt je von der Seite ausgegangen, 
die am meiſten Urſache . mit ihrem Geſchick 
zu zürnen. 

Uebrigens iſt es ganz unglaublich, mit welch“ 
geringen Kleinigkeiten ſich gerade die Indianer 
begnügen, um irgend ein „Geſchäft“ zu betreiben. 
So ſieht man oft einzelne von ihnen mit ein 
paar Stückchen Käſe durch die Straßen ziehen, 
die ſie zum Verkauf ausbieten, ja, ich habe an 
der Plaza Indianer mit einer einzigen weißen 
Blume ſitzen ſehen, die irgend eine heilkräftige 
Wirkung „für das Herz“ haben ſoll, und wenn 
ſie dieſelbe für ein paar Clacos verkauften, 
gingen ſie befriedigt nach Hauſe. 

Wie muß einem ſolchen armen Teufel zu 
Muthe ſein, wenn er an einem der prächtigen 
Läden vorübergeht und dort einzelne Luxusgegen— 
ſtände aufgeſtellt ſieht, deren Zweck er natürlich 


„„ 


nicht begreift, deren Preis aber hinreichen würde, 
ihn und ſeine ganze Familie ein paar Jahr am 
Leben zu erhalten, und mehr als ſein Leben ver⸗ 
langt er ja nicht auf der Gotteswelt! Wenn der 
zum Communismus überträte, wer könnte es ihm 
verdenken? Aber kaum ſteigt wohl je ein ſolcher 
civiliſirter Gedanke in ſeinem Herzen auf — er 
verlangt nicht einmal 40 Millionen vom Staat 
zu einem Unterſtützungsfonds der freien Arbeit. 
Still und ruhig müht er ſich ab und wird in⸗ 
deſſen von dem weißen Geſindel unter die Füße 
und zuletzt in die Erde hineingetreten, um dort 
den Acker noch nach dem Tode zu düngen, auf 
dem er ſich früher abgemüht. — Hol' ihn der 
Teufel, warum hat er nicht auch gelernt das 
Volk zu beſchwindeln — er hätte ein großer 
Mann werden können! Juarez iſt ja auch nur 
ein Indianer. 8 

An einem der ſchönen Abende — und ſie 
waren alle ſchön — beſuchte ich mit einem 
Deutſchen das alte Schloß Chapultepek, wo Mon⸗ 
tezuma ſeinen Sommerſitz gehabt, das die Ame— 
rikaner mit Sturm genommen, wo Kaiſer Maxi⸗ 
milian's Lieblingsaufenthalt geweſen und das noch 
jetzt — was wahrlich viel geſagt iſt — den ſchön⸗ 
ſten Punkt Mexikos bildet. 

Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. 11 


Das Schloß ſelbſt, von ſtarken, hohen Mauern 
umgeben, bei denen es Einem eigentlich unbe— 
greiflich ſcheint, daß es die Amerikaner damals 
ſo raſch mit Sturm nehmen konnten, iſt aller⸗ 
dings von keiner außerordentlichen Schönheit, 
wenn es auch freundliche, luftige Zimmer und 
einen ſehr hübſchen Garten hat; die Perle Cha— 
pultepeks iſt aber der eine Thurm, der das ganze 


Gebäude überragt und die wundervollſte Ausſicht 


in vollem, durch nichts eingeſchränktem Panorama 
auf das ganze Thal von Mexiko bietet. — 

Ich bin von Gott vor tauſend anderen 
Menſchen reich begünſtigt worden — ich habe 
ſeine Wunder und die Schönheiten ſeiner Welt 
aller Orten ſehen und darin ſchwelgen dürfen, 
aber Schöneres in ſeiner Art gerade, habe ich nie 
gefunden, und in dem Augenblick hielt ich mich 
für all' die Mühen und Beſchwerden, die es mich 
gekoſtet, um es zu erreichen, reich und voll belohnt. 

Oh, wie wunderbar ſchön iſt doch dieſes Land! 
Und trotzdem, jo weit auch hier der Blick über 
alle dieſe herrlichen Gegenden ſchweift, keine 
Stelle faſt im ganzen Thal, wo ſich nicht die 
Menſchen aus Goldgier, Religionshaß oder von 
blindem Ehrgeiz angetrieben, gemordet und den 
Boden mit Blut roth gefärbt haben. Von älteſter 


AR: 

bis zu neueſter Zeit reichen dieſe Greuel, und 
ſelbſt noch in dieſem Augenblick lauern Banden 
von Straßenräubern in dem Thal wie an den 
Hängen der es umgebenden Berge, auf den fried— 
lichen Wanderer, und die Regierung iſt mit all' 
dem Blut, das ſie vergoſſen, nicht im Stande, 
ſelbſt die unmittelbare Nähe ihrer Hauptſtadt 

von dieſem Geſindel frei zu halten. — Aber 


leider finden wir das in der ganzen Welt beſtätigt, 


daß gerade in den Ländern, über welche die 
Natur mit vollen Händen ihre Gaben ausge- 
ſchüttet, das Geſchlecht der Menſchen den ein— 
zigen dunklen Flecken in dem Bilde zeigt, wäh— 
rend es harmlos und friedlich und deshalb auch 
glücklich in den wüſteſten Einöden beiſammen 
wohnt. NER 

Ich konnte den Blick kaum losreißen von den 
wundervollen, prachtvollen Contouren der Berge, 
von dem eigenen Zauber, der auf der ganzen 
Landſchaft lag. Zu unſeren Füßen faſt, oder 
doch nur kurze Strecke entfernt, breitete ſich die 
Hauptſtadt mit ihren zahlreichen Kirchen und 
Klöſtern und den regelmäßig eingetheilten Straßen 


aus; hinter und neben ihr lagen die noch in 


der Sonne blitzenden Seen, dahinter erhoben 


ſich die beiden großartigen, mit Schnee bedeckten 
11* 


164 


Vulkane, und ringsum, ſoweit der Blick ſchweifte, 


5 5 zeigten ſich kleine, freundliche Städte und Dirt: 
ſchaften, eingerahmt von dem höher ſteigenden 


Lande, das den ganzen Horizont umſchloß; un— 
mittelbar unter uns aber lag der kleine, doch 
freundliche Park von Chapultepek, unter deſſen 
rieſigen Cedern ſchon Montezuma, dann Iturbide 
und zuletzt Maximilian gewandelt — eine ganze 
Kette von unglücklichen Fürſten, denen hier das 
Schönſte der Welt als Eigenthum geboten wurde, 
nur um ſie deſto ſicherer zu verderben. 

Und jetzt ſank die Sonne — das Thal füllte 
ſich mit mattem Dämmerſchein und die beiden 
Kuppen der Vulkane fingen an zu erglühen; ro— 
ſige Wolken hingen darüber in der Luft und 
ſtiegen aus den Schluchten der Gebirge, wohin 
die Strahlen der untergegangenen Sonne ſchon 
nicht mehr dringen konnten, wie bleiche Geſpenſter 
der Vorzeit empor. 

Ich hätte die ganze Nacht hier oben bleiben 
mögen, aber der Eiſenbahnzug, der uns nach 
der Stadt zurückbringen ſollte, wurde bald er— 
wartet, und wir wollten doch auch noch, ehe wir 
das Schloß verließen, die rieſigen Bäume da 
unten beſuchen, unter denen all' die Opfer mexi— 
kaniſcher Kriege und Revolutionen gewandelt 


165 
und von dem Glanz und Glück ihrer Herrſchaft 
geträumt hatten. | 

Es ſind wirklich prachtvolle Bäume, dieſe 
mächtigen Cedern mit ihren Rieſenſtämmen und 
feſt zuſammengedrängten dunkeln Wipfeln, wie 
ſie daſtehen in ſtiller Einſamkeit. Der eine, 
den wir maßen, hat 7½ Klafter in ſeinem Um: 
fange, etwa 4 Fuß vom Boden, und ſeine Zweige 
beſchatteten dabei einen verhältnißmäßig kleinen 
Raum. Nahe dabei liegen außerdem die klaren 
Quellen, die ihr Waſſer der Stadt zuführen, 
liegt noch das alte Bad Montezuma's und all' 
der ermordeten Fürſten, die ihm nachgefolgt — 
aber dem Publikum iſt der Platz jetzt verſchloſ— 
ſen. Nur wer eine beſondere Karte erhält, darf 
ihn beſuchen, und ich weiß nicht, ob das eine 
bleibende Maßregel iſt, oder ob ſie nur zeitweilig 
aufrecht erhalten werden ſoll. Es wurde näm⸗ 
lich im Schloſſe ſelber gerade Manches reſtaurirt, 
da Juarez dort in nächſter Zeit zur Feier ſeines 
Antritts ein großes Frühſtück geben wollte. 

Ich würde mir dazu an ſeiner Stelle ein 
ganz neues Haus haben bauen laſſen, denn in 
dem Schloſſe hätte mir gewiß kein Biſſen ges 
ſchmeckt; aber die Naturen ſind eben verſchieden. 

Am Tag vor Weihnachten fuhr ich ebenfalls 


166 


mit einem Deutſchen nach dem berühmten Cortez⸗ 


5 baum hinaus, der in dem kleinen Ort Tacuba 


unmittelbar neben der Kirche ſteht. El arbol de 
la noche triste oder der Baum der Trauernacht 
iſt zu merkwürdig — ſchon ſeiner ſelbſt und ſei— 
nes ungeheuren Umfangs wegen, um an ihm vor— 


* beizugehen. 


Der Baum iſt eine rieſige Ceder mit aller— 
dings Schon altersmorſchem Stamm und wenig 
mehr übrig gebliebenen Rieſenzweigen, aber der 
Stamm ſelber hat 4 Fuß über der Erde reich— 
lich 9 Klaftern im Umfang, und an ſeinem Fuß 
liegt noch ein Stein, auf welchem Cortez in je— 
ner Nacht, als er aus Mexiko vertrieben worden, 
geſeſſen haben ſoll und geweint. 

Es war das in jener Zeit, als Diego Velas— 
quez, der Gouverneur von Cuba, eiferſüchtig auf 
den unerwartet günſtigen Erfolg von Cortez' 
Expedition, Pamphilo Narvaez nach Vera-Cruz 
ſandte, um Cortez abzuſetzen und den Oberbefehl 
ſelber zu übernehmen. Cortez war aber nicht 
der Mann, ſich einer ſolchen Ungerechtigkeit zu 
fügen. Narvaez hatte wohl 1300 Mann mit ſich, 
er ſelber kaum 450. Trotzdem marſchirte er ge— 
gen Vera-Cruz, ſchlug Narvaez und nahm ihn 
gefangen, verſtärkte ſich dann mit den gegen ihn 


geſandten Truppen und ging wieder nach Mexiko 
zurück. Während ſeiner Abweſenheit hatte aber 
indeſſen der als Oberbefehlshaber zurückgelaſſene 
Alvarado durch ſcheußliche Grauſamkeiten und 
Erpreſſungen die Mexikaner jo gereizt, daß ſie, 5 


zur Verzweiflung getrieben, revoltirten und Cor— 


ie felßer fih zuleke nicht mehe gegen fie Halten 


konnte. Tag und Nacht griffen fie ihn an, und 


als er aus dem damals vollkommen mit Waſſer 
umgebenen Mexiko flüchten wollte, richteten vie 


Mexikaner eine furchtbare Niederlage unter ſei— 
nen Truppen an. Er hatte im Ganzen etwa 1300 
Mann gehabt, aber kaum mehr als 400 entkamen 
mit ihm und wie wenige von Allen unverwundet. 
Erſt in Tacuba, auf einer niederen Anhöhe, hielt 
er Stand und warf dort Schanzen auf, und noch 
jetzt ſteht jener alte Baum, unter welchem ihm, 
vielleicht zum erſten Mal in ſeinem Leben, das 
Herz verzagte und er bitterlich weinte. 


A 


6. 
Der Weihnachtsmarkt zu Mexiko und die Feſtzeit. 


Weihnachten rückte heran und die Feſtzeit, 
und auf der Plaza wurden ſchon durch das Auf— 
ſchlagen vieler Buden die Vorbereitungen dazu 
getroffen. 

Weihnachten! — Wie manche, manche Weih— 
nachten habe ich draußen in der Fremde, fern 
von meinen Lieben verlebt — und an wie viel 
verſchiedenen Plätzen! Zuerſt verträumte ich 


meinen Weihnachtsabend — und manche trübe 


Stunde war dabei — einſam in den Urwäldern 
Amerikas, und Chriſtbäume ſtanden genug da, 
aber an keinem ein Licht, nichts als die vor mir 
lodernde Gluth, und ſtatt dem Gejubel fröh— 
licher Kinder das Geheul der Wölfe um mich 
her. — Dann kam eine andere Zeit — ich 


169 

kehrte ja nach dem Vaterland zurück, und eine 
Zeit lang war es, als ob ich nun in den Hafen 
der Ruhe eingelaufen wäre. Ich hatte Weib 
und Kind, und allen menſchlichen Berechnungen 
nach mußte ich jetzt zu Hauſe bleiben. — Es war 
nicht wahr. Das Jahr 1848 zeigte mir die Wahl, 
mein Leben als Schriftſteller in den aufgeregten 
Zeiten entweder kümmerlich zu friſten, oder mir 
durch einen kecken Entſchluß eine Stellung zu 
erzwingen, und — von ewiger Reiſeluſt außer⸗ 
dem getrieben, wählte ich das Letztere. 

Die nächſte Weihnacht fand mich zwiſchen den 
Goldgräbern in San Francisco, die zweite auf 
dem Walfiſchfang, die dritte in Indien — in 
Batavia. — Wieder eine Pauſe und wieder hin⸗ 
aus in die Welt. Im Jahr 1860 wanderte ich 
auf dem Weihnachtsmarkt von Lima umher — 
geſtern auf dem von Mexiko, und man muß we— 
nigſtens geſtehen, daß ich Abwechslung in der 
Sache habe. 

Aber jo weh dem armen Wanderer auch ge: 
rade an dem Tag zu Muthe iſt, wo ihm die Er- 
innerung alles Liebe und Gute aus der Heimath 
mit einem Schlag heraufbeſchwört, und ihn die 
Sehnſucht mit allen Banden des Herzens nach 
Hauſe zurückzieht, ſo bereue ich doch wahrlich 


170 

nicht, dieſen Abend und die rege Zeit vorher in 
Mexiko verlebt zu haben, denn es kann wohl 
kaum einen Platz in der Welt geben — unſere 
deutſche Heimath, das Vaterland des Chriſtbaums 
natürlich ausgenommen, wo ſich die ganze Bevöl— 
kerung ſo lebhaft an dem Feſt betheiligt, wie ge⸗ 
rade hier in Mexiko. 

Schon in Puebla fand ich unter den Colon— 
naden der Plaza eine Maſſe Sonneberger Spiel— 
zeug ausgeſtellt, und Heiligenbilder oder kleine 
buntgemalte Gruppen — Scenen aus der bibli— 
ſchen Geſchichte, wurden aus Thon und Wachs, 
oft nicht ungeſchickt fabricirt, feilgeboten. Damals 
war es aber erſt der Beginn der Feierlichkeit, 
und wenn es dunkelte, packten die Leute ihre 
Siebenſachen zuſammen und gingen heim. Anders 
wurde das aber, als Weihnachten herannahte, 
und jetzt ſah ich plötzlich zu meinem Erſtaunen, 
daß auch die Bäume nicht fehlten, und zwar un⸗ 
ter fremdartigen Zweigen und Wipfeln des Le— 
bensbaumes und der hier nicht hergehörenden 
Kiefer, unſere alten ehrlichen Fichten und Tan— 
nen, die Käufer auf jedem deutſchen Weihnachts— 
markt gefunden hätten. Und nun eröffneten ſich 
in langen Reihen die Buden, welche die Aus— 


171 


ſtattung für das Naeimiento (Geburt Chriſti) 
liefern ſollten. 

Die eine Reihe nahmen die Chriſtbäume ein 
und mit ihnen die verſchiedenen dazu nöthigen 
Mooſe, deren Mexiko in prächtigen Farben lie— 
fert. Zuerſt das lange, graue ſpaniſche Moos 
— in Texas ſpaniſcher Bart genannt — dann 
ein herrlich braunes und dunkelgrünes Moos, 
was Alles dazu benutzt wird, um den Fuß des 
Chriſtbaumes — oder bei den Mexikanern die 
Ecken, in denen das Nacimiento aufgeſtellt wird, 
auszuſchmücken und mit Grün zu bekleiden. 

Dazwiſchen drängten ſich Jungen herum, die 
lange Silberſtreifen an einen Stock gebunden 
trugen und ihren Waarenvorrath dem Publikum 
unter die Naſe hielten. Auch große rothe Blu— 
men und kleine gelbe Früchte — dem Ausſehen 
nach den Holzäpfeln ähnlich, fanden ſich als 
Schmuck für den Baum, an dem man eben jene 
Silberfäden herunterhängen läßt, Sterne von 
Blech oder Zinn, welche die Strahlen der Lich— 
ter zurückwerfen, und neben den tauſend kleinen 
Heiligenbildern auch Sonne und Mond der alten 
heidniſchen Azteken. 

Uebrigens haben die Mexikaner ein ganz 
merkwürdiges Talent im Modelliren, und gar 


* 


172 


nicht etwa fo jelten findet man Indianer, die 
aus einem Klumpen Thon in wenigen Minuten 
den Kopf jedes beliebigen Menſchen auf das 
treueſte nachbilden. Ihre Wachs- und Zeug— 
figuren, in denen ſie in einzelnen Modellen die 
mexikaniſchen Trachten wiedergeben, habe ich 
ſchon erwähnt, und ſelbſt in ordinärem Thon 
findet man, ebenſo wie in Wachs, manchmal 
kleine Gruppen, die theils heilige Scenen, theils 
Stiergefechte, Pulka-Arbeiter, Tänze, Maulthier- 
treiber ꝛc. vorſtellen, zu einem fabelhaft billigen 
Preis“ 

Auf dem Chriſtmarkt hier bildeten deshalb 
auch Buden mit derartigen Gegenſtänden die 
größte Zahl, und man fand dort manchmal ganz 
allerliebſte Sachen, wie zum Beiſpiel kleine Land— 
ſchaften, Schneegebirge ꝛe. Dort drängte ſich 
denn auch die Menſchenmenge dermaßen zuſam— 
men, daß man nur langſam und im Schritt — 
oft fortgeſchoben, oft geſtemmt, hindurchkommen 
konnte. 

Dazwiſchen kauern, genau ſo wie bei uns, 
die armen Kinder mit ihren Zwetſchenmännern 
und Schornſteinfegern, kleine Jungen und Mäd— 
chen in zerlumpten Serapen oder Rebozen, und 
bieten die billigſten und am roheſten gearbeiteten 


173 


Figuren aus, damit auch die ärmſten Leute etwas 
finden, um ihr Nacimiento damit auszuſchmücken. 

Hier trifft man beſonders die aus Pappe ge⸗ 
arbeitete Mageh (die Aloe), um eine mexikaniſche 
Landſchaft darzuſtellen, und hie und da ſieht man 
auch kleine, mit Haaren von Baumwolle ver- 
ſehene Engel, die ſcheinbar über einer ſolchen 
Aloepflanze ſchweben, in Wirklichkeit aber mit 
dem Bauch auf die mittelſte Spitze derſelben ge- 
ſpießt ſind. | 

Wendet man ſich rechts, jo geräth man in 
die Reihe der Dulces-Fabrikanten, die in Mexiko 
außerordentlich ſtark vertreten ſind und wirklich 
Bedeutendes beſonders in überzuckerten Früchten 
leiſten. Da findet man alle hier vorkommen⸗ 
den Arten faſt, die ſich nur irgend dazu eignen, 
ſelbſt ſüße Kartoffeln — ſogenannte Camotes — 
Feigen, Birnen, Orangen, Bananen, Ananas, 
Citronen, Limonen und wie ſie alle heißen. Da— 
neben Dulces von Cocosnuß wie andere ge— 
würzreiche Arten, in allen Formen, und zwar 
in ungeheuren Maſſen aufgehäuft, da es in 
Mexiko außerordentlich viel gekauft wird. Einige 
Arten weißen Zuckerwerks, die ich aber nicht ge— 
koſtet habe, werden in der That körbeweiſe nach 
Hauſe getragen. 


: 174 

Wieder an anderen Stellen find Eßwaaren 
zu haben, an denen ſich die zu Markt Gekom— 
menen laben können — wenn ſie Appetit dazu 
verſpüren, denn beſonders appetitlich ſehen die 
dort aufgeſchichteten Speiſen gerade nicht aus. 
Ein Lieblingsgericht ſcheinen in Bananenblätter 
eingeſchlagene zuſammengeſetzte Speiſen zu ſein, 
an denen auch der — hier aber ſehr ſchwache — 
ſpaniſche Pfeffer nicht fehlt. Allerlei verſchiedene 
Fleiſcharten werden zuſammengelegt und gebacken, 
und dazu ißt man die Tortillas — flache, ge— 
backene Maiskuchen, die noch am beſten ſchmecken. 
Der Dunſt diefer Kuchen, fett und erſtickend, 
zieht aber über den ganzen Platz, und wenn am 
Abend noch der Rauch der als Beleuchtung die— 
nenden Kienbecken dazu kommt, ſo bieten die 
verſchiedenen dunkelrothen Flammen mit den ſich 
dazwiſchen bewegenden maleriſchen Geſtalten wohl 
ein reizendes Bild, benehmen Einem aber auch 
faſt den Athem. f 

Aber je ſpäter es wird, deſto mehr drängt ſich 
das Volk dem Platze zu. Unter den Colonnaden, 
wo die beſſeren Waaren zum Verkauf ausgeboten. 
werden, preßt es herüber und hinüber und zwi— 
ſchen den Buden kann kein Apfel mehr zur Erde 
nieder, während einzelne Träger, die den Einkauf 


irgend einer Herrſchaft fortſchaffen ſollen, die— 
ſelben auf den Kopf nehmen müſſen und trotz— 
dem die größte Mühe haben, wieder hinaus und 
auf einen nur etwas freieren Platz zu kommen. 

Es ſind viele Deutſche in Mexiko, und daß 
dieſe den heiligen Abend in alter, guter deutſcher 
Weiſe feiern, verſteht ſich wohl von ſelbſt. Die 
alte Sitte iſt zu ſchön, und es iſt Thatſache, daß 
das Kind, das nur ein einzig Mal glücklich unter 
einem Chriſtbaum geſtanden, denſelben nie ver— 
gißt und von da ab ein Weihnachten ohne ihn 
für unmöglich hält. Hat er ſich doch jetzt ſelber 
unter den ſonſt gegen alles Gemüthliche jo gleich— 
giltigen Yankees Bahn gebrochen, und wird bald 
den ganzen nordamerikaniſchen Continent ſieg— 
reich durchwandern und erobern. f 

Die Weihnachtsbäume erleiden allerdings 
unter den Tropen eine kleine Veränderung, und 
ſelbſt hier, wo man ſo ſchöne Fichten und Tannen 
hat, wie bei uns, ja ich möchte ſagen noch voller 
und üppiger gewachſen, ſehen die vergoldeten 
Bananen eigenthümlich aus, die anſtatt der Aepfel 
den Baum zieren, aber mir haben ſie doch ge— 
fallen, und die Frucht hat dabei noch das Anz 
genehme, daß ſpäter beim Schälen das Gold und 
Silber gründlich entfernt wird. 


176 


Ich verbrachte den Weihnachtsabend in einer 
deutſchen Familie unter dem Chriſtbaum und 
glücklicher Weiſe in großer Geſellſchaft — vor⸗ 
her ſchon hatte ich in einer andern Familie bes 
ſcheren ſehen, — aber du lieber Gott, wie weh 
iſt einem „armen Reiſenden“ dabei ſelber um's 
Herz, wenn man den Jubel der Kinder ſieht, 
und dabei nur an die eigenen — ſo fern und 
unerreichbar — denken muß. Ich muß auch ges 
ſtehen, daß ich mich vor dem Abend gefürchtet 
hatte. Hoffentlich war es der letzte Weihnachts- 
abend, den ich in fernen Landen verlebt habe. 

Am 25. war großer Feiertag in der Stadt, 
aber nicht allein des Weihnachtsfeſtes wegen, 
ſondern der Präſident hielt ſeinen Bando oder 
militäriſchen Umzug in der Stadt, ſpäter mit 
großer Sitzung im Abgeordnetenhauſe, wo er ſich 
als neugewählter Präſident dem Volke zeigte und 
ſeine Anrede an daſſelbe, aber freilich mit ſo 
leiſer Stimme hielt, daß man auf den Gallerien 
auch nicht eine Silbe davon verſtehen konnte. 
Soviel bleibt gewiß, Juarez iſt augenblicklich 
in Mexiko nicht allein populär, ſondern das 
eigentliche Volk hat auch Vertrauen zu ihm, daß 
er die neugewonnene Republik feſtigen und er⸗ 
halten werde — wenn nicht ſchon der Name Re⸗ 


publik in-allen ſüdamerikaniſchen Staaten und 
ebenſo in Mexiko — ein Spott auf die Sache 
ſelber wäre. 

In einer Republik ſoll das Volk durch einen 
von ihm gewählten Repräſentanten regieren — 
aber was iſt in allen dieſen Staaten eben dieſes 
ſouveräne Volk? Ein Haufen unwiſſender, 
roher Menſchen, die, beſonders in Mexiko, von 
klugen Advocaten geleitet und benutzt werden. 
Man braucht ihre Stimme und ihre Fäuſte — 
weiter nichts —, ihre eigene Meinung wird nicht 
befragt und kann nicht befragt werden, denn ſie 
haben keine — ſie gehen mit der Maſſe und dem 
Erfolg. 

Juarez' perſönliche Erſcheinung macht gerade 
keinen beſonders günſtigen Eindruck. Es iſt eine 
kleine, gedrängte, derbknochige Geſtalt, und ſein 
braunes Indianergeſicht mit den vorſtehenden 
Backenknochen und der niedrigen Stirn verräth 
eben keine großen geiſtigen Eigenſchaften. Aber 
der kurze Nacken zeigt einen ſtarren Sinn, und 
Zähigkeit hat er auch allerdings, von ſeinem 
Reiter Lerdo dabei noch tüchtig angeſpornt, ge— 
nug bewieſen. 

Als er den Saal der Abgeordneten betrat, 


Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. 12 


RB: 

wo eine Art Thronſeſſel mit zwei rothgepolſterten 
Stühlen für den Präſidenten und Vicepräſiden⸗ 
ten des Hauſes ſteht, wurde nur an einer Stelle 
etwas Vivat gerufen, und auch nur von dort, 
über der Thür des Eingangs, flogen eine Unzahl 
bunter Bänder wie ein Regen — oder noch beſſer, 
wie eine Ordensvertheilung in Europa — über 
den Präſidenten und ſeine nächſte Umgebung 
nieder. Sie enthielten daraufgedruckte Lobgedichte 
des Präſidenten, aus der Feder irgend eines 
Hofpoeten — denn warum ſoll es nicht auch 
in einer Republik Hofpoeten geben? Abends 
zogen kleine Trupps ſehr mittelmäßig geklei— 
deter Mexikaner mit etwas Muſik und einer Art 
Standarte, mit Juarez' Bild darauf, durch die 
Straßen, Lichter dabei in der Hand tragend; auch 
wurden auf der Plaza viele Raketen abgebrannt, 
vor denen man ſich ein wenig hüten mußte. | 

Die Abgeordneten im Saale jelber betrugen 
ſich ſehr ungenirt. Faſt alle rauchten, bis der 
Präſident eintrat; auch die Zuſchauer gaben ſich 
dem Genuſſe hin — es war ein entſetzlicher 
Qualm im Hauſe, und ſelbſt bei der Anſprache 
des Erſten der Nation behielten die Zuſchauer 
auf den Gallerien — mit wenigen Ausnahmen — 


* * 


7. 
Von Mexiko nach Cuernavaca. 


Allerdings hatte ich von Mexiko aus die Ab⸗ 
ſicht gehabt, Querétaro zu beſuchen und die Stätte 
ſelber zu ſehen, wo der arme, aber bis zum 
letzten Moment heldenmüthige Kaiſer endete. 
Dieſe Fahrt wurde mir aber von allen Seiten 
auf das entſchiedenſte abgerathen, denn erſtlich 
hätte ſie viel Geld bei einer enormen Strapaze 
mit viertägiger Diligencenfahrt gekoſtet, und dann 
würde ich meinen Zweck nicht einmal erreicht 
haben, da, wie ſchon erwähnt, die Regierung 
alles in ihren Kräften Stehende gethan hat, die 
örtlichen Spuren jener Kataſtrophe vollſtändig 
zu vernichten. Man findet den Platz kaum wieder, 
und da im Kloſter ſelber noch Gefangene ſaßen, 
wurde auch keinem Fremden der Eintritt dort 


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181 


geſtattet. Was hätte es mir aljo geholfen, um 
die kleine Stadt Querétaro anzuſehen. 

Einen dieſer, und zwar eben entlaſſenen Ge— 
fangenen ſah ich ſelber in Mexiko — Herrn 
von Görbitz, den früheren Adjutanten Miramon's, 
der in jenen Tagen nach Madrid, wo er über⸗ 
haupt lebte, zurückkehrte. Ueber die früheren 
und letzten Verhältniſſe in Querétaro dürfen wir 
deshalb wohl intereſſanten und wahrheitsgetreuen 
Schilderungen entgegenſehen, da Herr von Görbitz 
beabſichtigt, ſeine Erlebniſſe in deutſcher wie in 
ſpaniſcher Sprache herauszugeben. 

Miramon ſelber war ein tapferer und tüch— 
tiger Mann, aber auch entſetzlich ehrgeizig, und 
ich fürchte faſt, der Kaiſer traute ihm Anfangs 
zu viel — aber zuletzt theilte er das Geſchick 
des Monarchen, und ihm treu zur Seite hielt 
ſich der Indianer Mejia. | 

Der Proceß der bis jetzt noch zurückgehaltenen 
Gefangenen wird indeſſen in langſamer Reihen- 
folge vor den Gerichten abgewickelt, und nur die 
werden bis zuletzt aufgehoben, die ſich vielleicht 
die kleinliche Rache irgend eines Beamten zu— 
gezogen haben. Eine längere Verurtheilung 
braucht aber Keiner von ihnen mehr zu fürchten. 

Da mir auch Herr von Görbitz abrieth, unter 


182 


Ei den jetzigen Verhältniſſen eine, jedenfalls hoͤchſt 
undankbare Reife nach Querétaro zu unterneh— 


i 5 men, verzichtete ich darauf, beſchloß aber doch, 


Mexiko ſelber bis zum Stillen Meer zu durch— 
wandern und mich dann ſüdlich zu wenden. Ich 
bekam dadurch nicht allein eine der wildeſten 


. Provinzen des Landes, Guerrero, zu ſehen, ſondern 


konnte auch darauf rechnen, dort zu einer inter- 
eſſanten Zeit durchzupaſſiren, da ſich gerade die 
zwei revolutionären Heere entgegenſtanden. Außer— 
dem mußte ich das Land der Pintos oder gemalten 
Indianer kreuzen, die — jedenfalls in Folge 
einer ganz eigenthümlichen Hautkrankheit — in 
vielen Fällen wie gefleckt erſcheinen. 

Dort gab es alſo viel für mich zu ſehen, und 
daß noch, beſonders zwiſchen der Hauptſtadt und 
Cuernavaca, zahlloſe Straßenräuber den Weg un— 
ſicher machen ſollten, konnte mich natürlich nicht 
davon zurück ſchrecken. 

Hier wäre es übrigens wohl am Platz, ein 
paar zuſammenfaſſende Worte über das Räuber— 
weſen in Mexiko zu ſagen, denn es ſpielt in 
jenem Land eine nicht unbedeutende Rolle und 
charakteriſirt dabei die Zuſtände. 

Wenn man nur den Fuß auf mexpikaniſchen 
Boden ſetzt und die Abſicht äußert, das innere 


Land zu jehen, jo kann man ſich auch feſt darauf 
verlaſſen, daß Einem ſchon die entſetzlichſten Ge— 


ſchichten über alle nur erdenklichen Raubanfälle 


und Mordthaten erzählt werden, und einem nur 
einigermaßen ängſtlichen Menſchen ſollte die Luſt 
zu einer Vergnügungsfahrt wahrhaftig ſchnell 
genug vergehen. Es wird dabei natürlich viel 
übertrieben und hat große Aehnlichkeit mit den 
zahlloſen Löwen-, Tiger- und Schlangengeſchich— 
ten, die wir zu leſen bekommen, da faſt kein 
Menſch gern den Fuß in eine tropiſche Landſchaft 
ſetzt, ohne näher mitzutheilen, mit wie genauer 
Noth er irgend einer wilden Beſtie entgangen 
iſt — natürlich ohne auch nur die Spur einer 
ſolchen geſehen zu haben. | 

Ebenſo ift es ſehr häufig mit den Raub⸗ 
anfällen auf den mexikaniſchen Landſtraßen, die 
aber doch in der That viel öfter vorkommen, 
als einem ruhigen Reiſenden lieb ſein kann. 

Wo Krieg iſt, findet ſich ſtets genug Geſindel, 
das Freund wie Feind mit anerkennenswerther 
Unparteilichkeit ausplündert und dabei auch einen 
Mord nicht ſcheut — fließt doch eben im ganzen 
Lande Blut, und Menſchenleben verlieren ihren 
Werth. Natürlich erreicht ein ſolcher Zuſtand 
aber ſeinen Höhepunkt, wenn der Krieg in einen 


184 


Guerillakampf ausartet und, wie hier, Contre— 
guerillas dagegen verwandt werden. So artete 


denn auch der ganze Krieg in Mexiko, bei den 
Franzoſen wie Mexikanern, in ein wahres Raub- 


ſyſtem aus, bei dem ſich der franzöſiſche General 
der Contreguerilla, Dupin, einen ſo geachteten 
Namen erwarb, daß ihm ſelbſt die mexikaniſchen 
Straßenräuber ihre Anerkennung nicht verſagen 
können. | 

Damals lagen kleine Banden an allen Stra- 
ßen, und die Ueberfälle, wenn auch dabei geraubt 
wurde, hatten meiſt immer den Hauptzweck, den 
Feind zu beunruhigen und zu ſchädigen, wo und 
wie das auch immer geſchehen konnte. Als aber 
mit dem Fall Querétaros und Mexikos, wie mit 
dem Tod des unglücklichen Kaiſers Max den 
wirklichen Feindſeligkeiten ein Ende gemacht 
wurde und die Anhänger des Kaiſerreichs jeden 
ferneren Widerſtand nutzlos fanden, da hatten 
doch zu viele Menſchen Geſchmack an dieſem ein— 
träglichen Guerillageſchäft gefunden und — ſetzten 
es eben fort. Die Contreguerilla hatte allerdings 
ihre Haut ſchon in Sicherheit gebracht und war mit 
Orden bedeckt nach Frankreich zurückgekehrt, aber 
die Mexikaner blieben und fanden es zum Theil 
vortheilhafter, den Diligencen an der Straße 


185 


aufzulauern, als ſich einer überdies ungewohnten, 
wenn auch nützlichen Thätigkeit hinzugeben. 

In Nordamerika war dies ein anderes Ver⸗ 
hältniß. Es gab auch dort, und leider nur zu 
viel blutige Raubbanden, die unter dem Namen 
von Jayhawkers und Buſhwhackers während des 
Krieges nach Herzensluſt mordeten und raubten, 
und wohl eben ſo viel — und vielleicht mehr 
Greuelthaten verübten als die Mexikaner. Als 
aber die Soldaten nach Friedensſchluß aus dem 
Feld zurückkehrten und ihre eigene Heimath wieder 
aufſuchten, mußten ſie machen, daß ſie aus dem 
Lande kamen, um deren Rache zu entgehen, und 
die meiſten von ihnen flüchteten nach dem glück- 
lichen Texas. Die Soldaten ſelber aber dachten 
gar nicht daran, ein ihnen fernliegendes Räuber⸗ 
leben zu führen. Sie waren des Krieges ſatt 
und an Arbeit gewöhnt, ihre Farmen hatten 
außerdem die ganze Zeit darniedergelegen; ihr 
Geſchäft war vernachläſſigt worden, und mit 
vollem Eifer gaben ſie ſich wieder dem früheren 
Berufe hin. Man kann jetzt in Nordamerika in 
den wildeſten Diſtricten ſo ſicher und ungefährdet, 
allein und unbewaffnet reiſen, wie in den Stra⸗ 
ßen einer volkreichen Stadt ſpazieren gehen. — 
Nicht ſo in Mexiko. 


* EN 
F 


186 


Es wird, wie geſagt, viel von Leuten über— 
trieben, die nun gern einmal ein ſelbſterlebtes 
Abenteuer erzählen wollen, aber im Ganzen fallen 
doch Raubanfälle, die manchmal auch ein blutiges 
Ende nehmen, nur zu häufig vor, und die Dili— 
gence iſt thatſächlich auf manchen Strecken zwei— 
und dreimal die Woche ausgeraubt worden. Die 
meiſte Schuld daran trägt freilich zum großen 
Theil die entſetzliche Feigheit der mexikaniſchen 
Reiſenden, die ſich lieber geduldig ausrauben 
laſſen, ehe ſie ſich der Gefahr ausſetzen, daß einer 
der Räuber in die Diligence hineinfeuerte, und 
das Komiſche iſt hier vorgekommen, daß an einer 
der Straßen im Innern ein altes Weib in 
Männerkleidung, allein und nur mit einem Revol— 


ver und einer Muskete bewaffnet, wochenlang und 


faſt täglich den Poſtwagen geplündert und ſämmt— 
liche Paſſagiere gezwungen hat, ihre Werthſachen 
abzulegen, bis endlich einmal ein Franzoſe auf 
ſie feuerte und ſie in die Schulter traf. Sie 
ſtürzte zu Boden und man entdeckte jetzt die etwas 
beſchämende Thatſache, die ſich allerdings nicht 
mehr wegleugnen ließ. Aber trotzdem wurden 
die Mexikaner nicht muthiger, und als man nun 


fand, daß ſich die Räuber nach und nach weniger 
blutdürſtig zeigten, went ſie keinen Widerſtand 


RT 


fanden — ſie hatten wohl oft eben fo viel Angſt 
vor den Paſſagieren, wie dieſe vor ihnen — ſo 
fiel man auf ein anderes Mittel, ſie billig los 
zu werden. Man gab mir ſelber von den ver⸗ 
ſchiedenſten Seiten den Rath, keine Waffen mit- 
zunehmen, ſondern nur etwa drei oder vier Thaler 
in die Taſche zu ſtecken, um doch wenigſtens 
etwas zu haben, wenn die Räuber la bourse ou 
la vie forderten, und mein übriges Geld der 
Poſt zu übergeben. 

Thatſächlich iſt zu dieſem Zweck ein Zahlungs⸗ 
ſyſtem auf der hieſigen Diligence eingeführt, das 
den Räubern auf entſchiedene Art ein Schnipp— 
chen ſchlagen ſoll. Reiſende überliefern auf der 
Ausgangsſtation der Direction der Diligence 
all' ihr baares Geld — einige Dollars, wie ge= 
ſagt, ausgenommen, und erhalten dafür einen 
gedruckten und unterſchriebenen Schein. Damit 
können ſie in jedem Nachtquartier oder unter- 
wegs ihre Zeche bezahlen. Es iſt wie ein Cre— 
ditbrief auf die betreffenden Stationen, und wo 
man zwei oder drei Dollars verzehrt, oder viel— 
leicht zu irgend einem Ankauf etwas Geld haben 
will, läßt man es ſich einfach auf der betreffenden 
Diligenceſtation geben, wo es dann auf dem 


* 


188 


Zettel abgeſchrieben wird. Solche 19 8 5 honorirt 
jede Station. 

Bequem iſt das jedenfalls und wäre auch gar 
nicht ſo übel in Deutſchland einzuführen, um 
nicht mit vielem Geld unterwegs und in den oft 
unſicheren Hötels behelligt zu ſein. 

So weit geht in der That dieſe Angſt vor 
Gewaltthätigkeiten der Ladrones, daß ſchon Rei— 
ſende, die ſich vertheidigen wollten, von ihren 
Mitpaſſagieren daran verhindert wurden, um die 
Sefiores der Straße nicht unnöthiger Weiſe zu 
reizen, das heißt, von einem in den Wagen ge— 
feuerten Schuß nicht etwa einen Theil oder die 
ganze Ladung abzubekommen. | 

Andererſeits muß man aber auch den Straßen: 
räubern wieder zugeſtehen, daß ſie beſonders in 
letzterer Zeit mit vieler Mäßigung verfuhren. 
Früher iſt es allerdings gar nicht ſo ſelten vor— 
gefallen, daß fie die Reiſenden bis auf's Hemd 
ausgeplündert haben, ja in Mexiko ſoll einmal 
ein ganzer Wagen vollkommen nackter Paſſagiere 
eingetroffen ſein — jedenfalls ein ſehr ſchlechter 
Scherz der Ladrones, wenn man beſonders das 
kalte Klima der Hochebene berückſichtigt. Jetzt aber 
ſcheinen ſich die Herren Straßenräuber mit viel 
weniger zu begnügen und zeigen nur eine ſtille 


19, 3 

Leidenſchaft für goldene Uhren, andere Werth 
ſachen, wie auch natürlich baares Geld — ohne 
in ihren Anſprüchen extravagant zu ſein. Ja, 
es ſoll ſogar vorkommen, daß ſie den ausgeplün⸗ 
derten Reiſenden etwas zurückerſtattet haben — 
gewöhnlich einen Dollar, um damit auf der näch— 
ſten Station ihr Frühſtück zu bezahlen. Jeden⸗ 
falls ein hübſcher Zug von ihnen. So erhielt 
einſt ein junger Mann, der nur 6 Realen bei ſich 
gehabt, dadurch, daß ihm die Räuber 1 Dollar 
wieder herausgaben, weil ſie bei dem einen Paſſa⸗ 
gier 300 Dollars gefunden, ſogar 2 Realen mehr, 
als um was er geplündert worden — aber auf 
dieſe Speculation kann man nicht reiſen. 

Die Regierung thut übrigens jetzt Manches, 
um die Straßen ſicher zu ſtellen, und beſonders 
in der Nähe größerer Städte, wo ſich das meiſte 
Geſindel vorfindet, werden berittene Patrouillen 
mitgegeben, die allerdings maleriſch genug aus— 
ſehen, und ſich ein paarmal ſchon ganz wacker 
mit den Banden herumgeſchlagen haben. In— 
zwiſchen behaupten die hieſigen Einwohner, daß 
dieſe Patrouillen manchmal ſelber die Gelegen— 
heit wahrnähmen und die Reiſenden plünderten, 
aber ich glaube, das iſt übertrieben, und bezieht 
ſich wohl nur darauf, daß Einer oder der An— 


190 


dere, wenn jie den Wagen wieder verlafien, um 
auf ihre Station zurückzukehren, an den Schlag 
geritten kommt und ſich mit einem freundlichen 
Gruß ein Douceur ausbittet. Sie ſind aber 
dann immer mit 1 oder 2 Realen vollkommen 
zufrieden — arme Teufel! ſie werden ſchlecht 
genug beſoldet, mit 1 Real täglich, und ſollen 
den oft nicht einmal bekommen. 

Alle Straßen können dieſe Patrouillen natür— 
lich nicht überwachen; das Land iſt ungeheuer 
groß, und Raubanfälle kommen deshalb noch 
aller Orten vor. Das Beſte bleibt es deshalb 


ſtets, gut bewaffnet zu ſein, um der Bande die 


Spitze bieten zu können. Im Ganzen ſind ſie 
immer feige, und wenn ſich nur zwei oder drei 
Leute in der Diligence befinden, die, mit Waffen 
verſehen, auch entſchloſſen ſind dieſelben anzu— 
wenden, ſo braucht man wahrlich keinen Ueber— 
fall zu fürchten oder kann ihn, wenn er trotzdem 
erfolgen ſollte, mit leichter Mühe abweiſen. So 
wurden auf der Straße von Mazatlan vor ganz 
kurzer Zeit ſechs gutbewaffnete Amerikaner von 
vierundzwanzig Straßenräubern geſtellt und auf— 
gefordert, ihr Eigenthum abzugeben. Statt deſſen 
warfen ſie ihre Koffer von den Packſätteln ihrer 
Thiere, formirten damit eine Barrikade und 


191 


hielten jich beinahe zwei Tage gegen die Strolche, 
die es nicht wagten, ſie plötzlich und zugleich an— 
zugreifen. Die Amerikaner hatten nur Schrot— 
gewehre und Revolver, pfefferten aber auf die 
Burſche ganz wacker und hielten ſich ſo lange, 
bis ihnen eine berittene Patrouille zu Hilfe kam 
und die Vagabunden die Flucht ergreifen mußten. 
Eine ganz eigenthümliche Abwechslung hat das 
Land übrigens durch das ſogenannte und eigentlich 
vollkommen italieniſche Plagiar-Syſtem erfahren 
— ein Wort, für das ich von Niemandem eine 
befriedigende Erklärung erhalten konnte, wenn 
wir es nicht von plagio ableiten wollen. Es be- 
ſteht einfach in dem Raub eines bekannten und 
natürlich wohlhabenden Individuums, das man 
ſo lange gefangen hält, bis deſſen Verwandte 
oder Geſchäftsfreunde eine hinreichende Summe 
zuſammenbringen, um ſeine Freiheit wieder zu 
erlangen. 

Früher kannte man etwas Derartiges in 
Mexiko gar nicht, und der Ueberfall einer Bande, 
ob aus politiſchen oder aus Geldrückſichten, be— 
ſchränkte ſich auf die Plünderung deſſen, was 
jie gerade vorfanden, bis ein Spanier, der es 
daheim vielleicht von ſeinen Zigeunern gelernt, 
den erſten und ziemlich glücklichen Verſuch machte, 


192 
ſich auf ſolche Weile ein Vermögen zu erwerben. 
Da es aber ſo glücklich und vom beſten Erfolg 
gekrönt ablief, fand die Sache Anklang im Lande. 
Der Mexikaner iſt ſtets bereit, Alles zu ergreifen, 
was ihm einen Gewinn verſpricht, ohne ihn 
dabei körperlich zu ſehr anzuſtrengen. Gewiſſens— 
- jerupel ſcheinen ihn nicht ſonderlich dabei zu 
plagen. 5 

Die Sache kam, wie geſagt, in Aufnahme, 
Hund bald hörte man von allen Seiten derartige 
Attentate, ohne daß die Regierung das Mindeſte 
hätte dagegen thun können — und dieſer Zu— 
ſtand beſteht noch. Es iſt ſo weit gekommen, 
daß ſich, beſonders in der Nähe von Mexiko und 
Puebla, bekannte und reiche Bürger der Stadt 
kaum mehr allein hinaus in's Freie wagen, weil 
ſie jeden Augenblick befürchten müſſen, von irgend 
einer verſteckten und auf ſie lauernden Bande 
aufgegriffen und fortgeführt zu werden, und da— 
bei werden ſie noch, wie das in vielen Fällen 
geſchehen iſt, auf das nichtswürdigſte behandelt. 

Das iſt der thatſächliche, augenblickliche Zus 
ſtand des Landes, wobei aber ja nicht geſagt ſein 
ſoll, daß kein Menſch mehr in Mexiko reiſen 
könnte, ohne angefallen zu werden. Die Be— 
raubungen ſind in letzter Zeit ſogar viel ſeltener 


193 
geworden, und mancher Reiſende kann vielleicht 
Monate im Lande umherfahren, ohne einer ein— 
zigen ſolchen Bande zu begegnen. Aber er muß 
trotzdem jede Minute, die er in der Diligence 
ſitzt, darauf vorbereitet ſein — ein für nervöſe 
Menſchen etwas ungemüthlicher Zuſtand. 


Erſt vor wenigen Tagen fand wieder ein 


ſolcher Ueberfall, und noch dazu unter erſchweren— 
den Umſtänden und von einem Mord begleitet, 
ſtatt. Man wollte nämlich einen Mann, von 
deſſen Reiſe man Kenntniß bekommen, entführen, 
brauchte aber ein Pferd, um ihn darauf zu ſetzen 
und raſcher damit an die Stelle zu kommen, 
und zu dem Zweck erſtachen die Räuber einen 
armen, unſchuldigen Teufel, der im Schutz ſeiner 
leeren Taſchen ungeſchädigt glaubte reiſen zu 
können, nahmen ihm das Pferd ab und führten 
ihr Vorhaben auch richtig aus, ohne bis jetzt 
noch entdeckt zu ſein. Allerdings ging neulich 
das Gerücht, daß man ihrer habhaft geworden 
ſei — aber es hat ſich als falſch erwieſen. Es 
ſchien den Bewohnern der Hauptſtadt auch gleich 
unglaublich. 

Wie lange dieſer faſt unerträgliche Zuſtand 
noch dauern wird, läßt ſich nicht beſtimmen; der 
Präſident ſoll wenigſtens erklärt haben, er könne 

Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. 13 8 


Eee eg 


194 


N nicht mehr dagegen thun, als bis jetzt geſchehen 
ſei — nämlich die Diligence ſtreckenweis durch 


Escorten begleiten zu laſſen. Es wird auch in 
der That kein anderes Mittel geben, als daß ſich 
die Mexikaner ſelber — genau ſo wie es die 
Londoner Bürger machten, als die Garottirer in 
der City überhandnahmen, — nicht allein gut 
bewaffnen, ſondern auch zu dem Entſchluß kom— 
men, von ihren Waffen entſchiedenen Gebrauch 
zu machen. Erſt dann, wenn ſie aus jeder Dili- 
gence tüchtig auf ſich gefeuert ſehen, werden die 
Räuber ſich zweimal beſinnen, ehe ſie einen be— 
ſetzten Wagen angreifen. „Help yourself!“ ſagt 
der Amerikaner, und das Wort findet auf kein 
Land ſo praktiſche Anwendung, wie auf das jetzige 
Mexiko. 

Allgemein wurde mir aber geſagt, daß ich, 
ſobald ich den Staat Guerrero ſelber erreiche, 
von Räubern nichts mehr zu fürchten hätte. 
Der Staat befand ſich allerdings in vollſtändigem 
Aufruhr, aber — ſie duldeten keine Räuber 
zwiſchen ſich — für Mexiko in der That etwas 
Außerordentliches. 

So war denn der Tag zur Abreiſe wieder 


erſchienen, und es that mir wirklich leid, als ich 


die ſchöne Stadt, in der ich mich wochenlang ſo 


. 

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195 


wohl gefühlt und ſo viele liebe Freunde gefunden 
hatte, wieder verlaſſen mußte. Aber Abſchied⸗ 
nehmen iſt ja — ich möchte faſt ſagen — mein 
Beruf; ich bin wenigſtens daran gewöhnt und 
ließ mich alſo bis Cuernavaca — bis wohin ich 
mit der Diligence gehen konnte — einſchreiben. 

Dieſem Marterfuhrwerk hätte ich mich nun 
allerdings ſehr gern entzogen und wäre lieber 
gleich von hier aus im Sattel geweſen, aber in 
Mexiko ſelber finden ſich nur höchſt ſelten zu= 
verläſſige Arrieros und gute Maulthiere für eine 
ſolche Reiſe, und ich mußte deshalb ſchon in 
den ſauern Apfel beißen und meine Glieder noch 
einmal einem ſolchen Kaſten anvertrauen — 
hoffentlich das letzte Mal in meinem Leben. 

Intereſſant, faſt ein wenig zu ſehr, um zu⸗ 
gleich angenehm zu ſein, war übrigens unſere 
Abfahrt vom Poſthof in Mexiko mit den acht 
muthigen Pferden, die wir vor dem Wagen 
hatten. | 

Dieſe Thiere — ſelbſt die Maulthiere nicht — 
ziehen unter keinen Umſtänden langſam an, ſon—⸗ 
dern immer in geſtrecktem Galopp, weil ſie ſchon 
wiſſen, daß ihnen dabei die Peitſche des Kutſchers 
um die Ohren fliegt, und auf breiter, offener 
Landſtraße hat das auch nicht das Mindeſte 


13⸗ 


196 


weiter zu ſagen, als daß man eben ein paar Stöße 


mehr bekommt. Hier in der Stadt dagegen war 


das ein anderes und vielleicht ein wenig ge— 
fährlich Ding, denn die erſten ſechs Pferde 
zeigten ſich ſchon ſo ungeduldig, daß ſie kaum 
noch durch zwei Menſchen konnten gehalten wer— 
den, und die vorderen beiden wurden ja erſt 


im entſcheidenden Moment angehangen — aber 
was half's — wir hatten alle unſere Sitze ein- 
genommen — ich oben auf, mit der geladenen 


Büchſe, der Kutſcher griff die Zügel in der Hand 
zuſammen. „Mach' fertig davorn!“ 

Einer der Stallleute hielt die beiden, jetzt 
ebenfalls tanzenden Pferde an den Zügeln, der 
Andere hängte raſch und geſchickt den Haken ein. 
Mit einem Satz ſprang er dann zwiſchen den 
Thieren hinaus, der Andere ließ ebenfalls los 
und wie ein Wetter raſſelte der alte Kaſten die 
Straße hinab, während der Kutſcher die Thiere 
mit aller Kraft nach der rechten Seite hinüber 
zu ziehen ſuchte. Er mußte ſchon an der näch— 
ſten Ecke links umbiegen und wollte beſſer das 
Gelenk bekommen. Aber in dieſem Augenblick 
gehorchten die unbändigen Thiere den Zügeln 


noch nicht — nur fort — nur vorwärts — mitten 


in der Straße ſtürmten ſie entlang. Jetzt aber 


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3 AN 
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197 


half es nichts — links mußten ſie hinum. Der 
Eine der Stallleute war nebenher geſprungen 
und ſcheuchte die vorderen mit ſeinem Hut und 
Schrei — ſie folgten in ſcharfer Biegung. Dicht 
an dem Eckſtein der Trottoirs kratzte das Rad 
und in raſender Flucht hoben ſich ſchon die 
linken Räder — nur einen Zoll noch — aber 
der alte Kaſten flog herum. „Caracho!“ lachte 
der Kutſcher vor ſich hin. Doch jetzt ging 
der Weg geradeaus, und wenn die vor uns 


befindlichen Karren und Milchweiber nur raſch 


genug aus der Bahn kommen konnten, ſo hatte 
die Sache nichts weiter zu ſagen. — Aber es 
ging — unſer Kutſcher war ein Meiſter in 
ſeiner Kunſt und bald öffnete ſich vor uns das 
weite Land. | 

Mordgeſchichten waren mir nun allerdings 
auch vor dieſer Fahrt zur vollen Genüge in 
Mexiko erzählt. Einige Herren beſonders ſchienen 
ſich ein Vergnügen daraus zu machen, mich mit 
Erzählungen von allerlei Raubanfällen auf die 
Reiſe vorzubereiten. Dieſelben ließen mich aber 
doch ziemlich ruhig, denn ich hatte meine ſcharf— 
geladene Doppelbüchſe und meinen Revolver in 
beſter Ordnung und fühlte mich ſo ziemlich ſicher. 
Zu mir kam außerdem noch ſpäter ein Herr 


9498 


8 aus dem Innern des Wagens herauf, der eben- 
falls einen Revolver führte, und ſelbſt der 


Kutſcher hatte eine alte einfache Piſtole hinter 
ſeinem Sitz liegen, da die Ladrones, wie aus 
ſeinem ſpäteren Bericht hervorging, die Kutſcher 
in letzter Zeit ebenfalls nicht beſonders glimpflich 
behandelt haben ſollten. 

Ein vortrefflicher Zuſtand in Mexiko, wo 
die Regierung, trotz der Maſſe Truppen, die ſie 
auf den Füßen hält, nicht einmal die Sicherheit 
in ihrer unmittelbaren Nähe aufrecht erhalten 
kann und gar nicht etwa ſo ſelten ihre Diligencen 
leer geplündert in die Stadt geſchickt bekommt. 
Da müſſen ſich denn die Reiſenden eben ſelber 
bewahren, und nur der Feigheit der mexikaniſchen 
Reiſenden iſt es zu verdanken, daß das ganze 
Räuberweſen nicht ſchon lange mit Stumpf und 
Stiel ausgerottet iſt. Würden die Canaillen 
nur von jeder Diligence aus tüchtig gepfeffert, 
ſo hörte das Unweſen von ſelber auf, ſo aber 
laſſen ſie ſich meiſt immer geduldig plündern, 
ſind nur froh, wenn ſie ihr doch werthloſes 
Leben behalten, und haben dadurch eben das 
räuberiſche Geſindel ſo bodenlos keck und unver— 
ſchämt gemacht, daß es ein einziger Geſell oft 


199 


wagt, eine ganze Diligence voll Menſchen an⸗ 
zugreifen und auszuplündern. 

Uebrigens war heute der 6. Januar und 
irgend ein hoher Feſttag, was eine Menge von 
Menſchen auf die belebte Straße gebracht. Wir 
begegneten ganzen Zügen wie kleinen Karawanen, 
und das mag auch vielleicht die Urſache geweſen 
fein, daß wir die Gebirgshöhe, die Cuernavaca 
von Mexiko trennt, ungefährdet oder doch wenig⸗ 
ſtens unbeläſtigt erreichten. 

Die Scenerie war hier, ſo lange wir uns 
in dem Thal von Mexiko hielten, wunderhübſch 


und der Boden ringsumher bebaut. Anfangs 


raſſelten wir allerdings an ein paar Ruinen 
aus dem Krieg vorüber — unter anderen an 
einer Schule oder Erziehungsanſtalt, die der 
Kaiſer noch gegründet, und die jetzt ſo gründlich 


zerſtört war, wie das Gebäude ſelber. Aber die | 


Spuren des Krieges verwiſchten ſich mehr und 
mehr; freundliche, belebte Dörfer, von grünen 
Feldern umgeben, zeigten ſich überall, während 
darüber hinaus die prachtvollen, ſchneebedeckten 
Vulkane noch immer ihren Gruß herüberwinkten. 

Hier ſind auch wieder, mehr als an anderen 
Orten, Bäume angepflanzt, an denen es auf der 
Hochebene von Mexiko beſonders fehlt, und ein ganz 


200 
vortrefflich geeigneter Baum für dieſes Land 
ſcheinen die Eucalypten von Auſtralien, die man 
ja auch mit eben dem Erfolg ſchon in Indien, 
im Pendjab angepflanzt hat. Ich ſah in der 
Nähe der Hauptſtadt, auf einer bedeutenden 
Pulkeſtation, ganz prachtvolle Eucalypten, und 
ſchon wenigſtens 40—50 Fuß hoch, gezogen, und 
ſie trugen dabei ſowohl Blüthen als Samen. 
Mit einiger Pflege könnten ſie für das durch 
die Spanier faſt entholzte Land ein großer 
Segen werden. 

Unſere Fahrt durch beſiedeltes Land dauerte 
aber kaum eine Stunde, dann ging es die ziem- 
lich kahlen Berge hinan, und rechts und links 
war nichts zu ſehen als rauhes Geſtein und 
niederes Buſchwerk, von dem man nur manch— 
mal, wenn man einen vorragenden Punkt er— 

reichte, einen überraſchend ſchöͤnen Anblick nach 
dem Thal und ſeinen Seen zurück hatte. 

Jetzt endlich wurde uns auch der abgeſchnitten, 
denn wir überſchritten die Höhe und fanden uns 
plötzlich in einem jener erbärmlichen Gebirgs— 
dörfer, das aber für uns mit einem beſondern 
Schrecken begabt war. Wir ſollten nämlich dort 


zu Mittag eſſen oder frühſtücken, wie man es 


gerade nennen will, und die niederen ſchmutzigen 


201 


Häuſer ſahen wahrlich nicht jo aus, als ob fie 
irgend einen beſondern Genuß — trockene Tor— 
tillas vielleicht ausgenommen — verſprächen. 
Um ſo angenehmer wurden wir überraſcht, als 
wir ein Diner erhielten, wie ich es nicht ſo gut 
in den größten Diligence-Hötels zwiſchen Vera— 
Cruz und Mexiko gefunden. Allerdings lag kein 
Tiſchtuch auf, es gab weder Löffel noch Gabeln 
oder Meſſer, und das Salz ſtand in einer Cala⸗ 
baſſe zum allgemeinen Gebrauch auf dem Tiſch. 
Aber wir bekamen eine vortreffliche Suppe, reich— 
lich gebratenes Huhn, Reis und Kartoffeln, und 
nach dem Eſſen einen ſo guten Kaffee, wie ich 
ihn ſelbſt in Mexiko nicht beſſer getrunken — 
außerdem aber auch noch ganz vortreffliche Pulke, 
und hatten dafür nur einen ſehr mäßigen Preis 
zu zahlen — leider war es der letzte Lichtblick 
auf dem langen Weg! f 

Dicht vor dem Hauſe ſaß eine Bande von 
Kerlen, die mir außerordentlich verdächtig vor— 
kamen, denn wenn es überhaupt Galgengeſichter 
auf der Welt giebt, ſo trugen ſie dieſe. Ich 
hörte aber, daß dies die Escorte ſei, die uns auf 
der nächſten Strecke begleiten ſollte, da die mei— 
ſten Ueberfälle bei den ſogenannten penuelos in 
einer wilden Waldgegend vorgekommen ſeien. 


202 

Die Leute ſaßen aber ganz ruhig im Schatten 
und ſpielten Karten, und ſchienen ſich verwünſcht 
wenig um die Diligence oder deren Paſſagiere 
zu kümmern, denn ſelbſt als wir fertig gegeſſen 
hatten, machten ſie noch keine Miene aufzuſtehen, 
viel weniger denn ihre Thiere zu ſatteln. Sie 
ſchienen ihr Spiel noch nicht beendet zu haben 
und konnten uns deshalb alſo auch, ſo leid es 
ihnen vielleicht that, nicht begleiten. 

Aber wir ſorgten uns wahrlich nicht deshalb; 
vielleicht war es ſogar beſſer ſo, als mit der 
nichtsnutzig genug ausſehenden Bande, denn gar 
nicht etwa ſo ſelten iſt es ſchon vorgekommen, 
daß gerade die Escorte ſelber die Diligence be— 
raubt hat und nachher ganz gemüthlich in die 
Berge hinein deſertirt iſt. — Wer will ſie da 
finden? Die Regierung wahrlich nicht. 

So wurden unſere Pferde denn wieder vor- 
geſpannt, die Reiſenden ſtiegen ein, ich wieder 
auf den Bock, und jetzt zwar die Zündhütchen 
aufgeſetzt, ſo gefährlich eine ſolche Fahrt auch 
immer ſein mag, und fort ging es den Hang 
hinab und den tiefer liegenden Fichten- und 
Kieferwaldungen zu, wo die Herren von der 
Straße gewöhnlich ihre Schlupfwinkel hatten und 
mit einem wüſten Geſchrei hervorbrachen, um 


203 


die Paſſagiere vor allen Dingen einzuſchüchtern 
und nachher um ſo ungefährdeter zu berauben. 

Etwa eine gute halbe Stunde waren wir ſo 
gefahren, und der Kutſcher, der unerſchöpflich in 
Räubergeſchichten war, hatte mir ſchon ein paar 
wirklich allerliebſt geeignete Stellen gezeigt, wo 
man die Reiſenden überfallen und kleine Kreuze 
auch eine blutige That verkündeten, als wir wie— 
der eine Waldecke umfuhren. Plötzlich brachen 
oben aus den Büſchen heraus eine Anzahl be— 
waffneter Reiter, die von dort aus ſcharf nach 
der Straße hinabritten, wo ſie uns dann den 
Weg abſchneiden konnten. | 

Waren das Straßenräuber? Unſer Kutſcher 
griff nach ſeiner Piſtole, und mit den Worten: 
„Einen bring' ich um!“ faßte er die Zügel ſeiner 
acht Thiere allein in die linke Hand zuſammen, 
während ich, den Daumen am rechten Hahn, den 
Zeigefinger am Bügel, nur auf ein verdächtiges 
Zeichen wartete. Die Leute dort drüben mußten 
aber unſere drohenden Vorbereitungen ebenfalls 
erkannt haben, denn Einer von ihnen winkte mit der 
Hand und rief: Escolte! Das hätte der Henker 
freilich errathen können; von uns wahrlich Nie— 
mand. 

Mehr und mehr kamen dabei aus den Bü⸗ 


204 
ſchen heraus, bis wir etwa ſiebzehn jo wild aus- 
ſehende Burſchen um uns hatten, wie ſie ſich ein 
Banditenmaler nur möglicher Weiſe wünſchen 
könnte. Ihre Pferde ſahen freilich ſchlecht aus, 
hielten ſich aber doch wacker auf den Füßen, 
und die Reiter, meiſt nur in Hemd und Hoſe, 
mit einem Stroh- oder Filzhut auf, trugen Re- 
volver und Degen — die Degen aber nicht an 
der Seite, ſondern nach echt mexikaniſcher Art 
unter dem linken Knie — und an der rechten 
Seite ein ledernes Futteral, in welchem ein kur— 
zer Carabiner hing, der beim Galoppiren gewal— 
tig hin⸗ und herſchaukelte. 

Zuerſt traute ich den Burſchen auch wirklich 
nicht und blieb noch wenigſtens auf Alles vorbe— 
reitet; es war aber in der That die Escorte, die 
uns eine Strecke lang und durch die am meiſten 
gefährdeten Stellen begleitete; und jetzt hätte ich 
mir eigentlich gewünſcht, von einer Bande jener 
Straßenräuber angefallen zu werden — wir hät— 
ten tüchtig unter ihnen aufräumen wollen — 
aber ich habe nun einmal mit ſolchen Abenteuern 
kein Glück und ſollte alle dieſe mexikaniſchen Di- 
ſtricte, die der Hauptaufenthalt jener Banden 
ſind, ſo ruhig und ſicher paſſiren, als ob ich auf 


205 


einer deutſchen Landſtraße führe. Wozu hatte 
ich mir nun einen Revolver angeſchafft? 

Noch eine halbe Stunde Fahrt und vor uns 
öffneten ſich die Berge; der Weg ſenkte ſich ſcharf 
zu Thal und in all' dem Schmuck ihrer Vegeta— 
tion lag wieder die tierra caliente — das warme 
Land, das wunderſchöne Thal von Cuernavaca 
mit feinen Bananen» und Zuckerrohrfeldern — 
ein wohlthuender Anblick, wenn man eine ſo 
lange Strecke nichts geſehen hat als die troſtloſen 
Magehs und Cactuspflanzen der Hochebenen — 
zu unſeren Füßen. 

Es ging jetzt in der That ſcharf bergunter, 
und der Kutſcher hemmte auch wohl ein wenig 
ein, die acht Thiere liefen aber doch ſo raſch ſie 
laufen konnten und der Wagen machte manchmal 
Sätze, daß ich glaubte, er müſſe in Stücke bre⸗ 
chen. Aber es ging; er hielt aus, ſtieß aber ſo 
furchtbar, daß ich nur mit Mühe meine Zünd— 
hütchen wieder abbekommen konnte, denn es fing 
an, da oben gefährlich zu werden. 

Jetzt raſſelten wir durch ein Dorf; aus allen 
Häuſern ſprangen die halbverhungerten Hunde 
vor und kläfften gegen die Pferde an. Der 
Kutſcher lachte — er war guter Laune, daß wir 
nicht angefallen worden waren, nahm ſeine alte 


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206 


Piſtole und feuerte ſie, mitten im Dorf, auf 


| | einen der anſchlagenden Kläffer ab. Natürlich 


traf er ihn nicht und die Kugel mochte an dem 
harten Boden oder irgend einem Steine mög— 
licher Weiſe abgeſchlagen und nach irgend einer 
Richtung hinausgefahren ſein, wo ſie durch die 
dünnen Wände hin auch recht gut eine Frau 
oder ein Kind beſchädigen konnte. Hoffentlich iſt 
kein Unglück geſchehen, aber wir fuhren auch zu 
raſch hindurch, um es noch zu erfahren, und dort 
unten lag jetzt das kleine Städtchen Cuernavaca, 
von ſeinen ſchattigen Hainen umſchloſſen, und 
nicht lange, ſo klapperten wir über das troſtloſe 
Pflaſter vor das unvermeidliche Hötel de las 
Diligencias. 

Cuernavaca liegt wirklich wunderbar ſchön, 
und es iſt leicht erklärlich, daß es die Kaiſerin 
Charlotte zu ihrem Lieblings-Aufenthalt wählte 
und einen reizenden Fruchtgarten mit einem 
Wald von Mangos dort anlegen ließ — dann 
kam der Abzug der Franzoſen — die kaiſerlichen 
Truppen fielen auf die Hauptſtadt zurück, und 
ihnen auf dem Fuß folgte das wilde Chor der 
Guerrero-Schwärme unter Ximenes und anderen 
Führern, die das kaiſerliche Schloß denn auch 


gründlich ausplünderten und verwüſteten. Aus 


207 


den Schiebladen der Mahagoni-Commoden füt⸗ 
terten die Soldaten ihre Pferde, und die Ma- 
tratzen zerrten ſie auf den Hof und machten ſich 
darauf ihr Lager. 

Cuernavaca blühte unter der Regierung des 
Kaiſers auf, und die Kaiſerin ſelber, die überall, 
wo ſie nur irgend konnte, den Armen half, hat 
hier viel Gutes gethan und ihr Andenken wird 
treu genug bewahrt — aber die Zeit iſt vorüber, 
der Platz ſinkt wieder in ſeine alte Vergeſſenheit 
zurück, und bald werden die von dem Kaiſer 
ſelber gepflanzten Fruchtbäume und Palmen das 
einzige Zeichen ſein, was hier von ihm zurüdges 
blieben — armer Kaiſer! 

Cuernavaca iſt übrigens darauf eingerichtet, 
um Reiſende zu Maulthier nach verſchiedenen 
Theilen des Landes zu befördern. Es giebt hier 
eine Anzahl von Arrieros, die ſich mit weiter 
nichts beſchäftigen, und man bekommt außerdem 
zuverläſſige Leute zu Führern. 

Von Cuernavaca ſelber iſt wenig zu jagen, 
Es iſt klein und ärmlich, liegt aber in einer be— 
günſtigten Zone und treibt beſonders einen ſehr 
bedeutenden Fruchthandel nach dem kälteren Me⸗ 
riko. Es iſt dabei erſtaunlich, welche Laſten die 
Indianer tragen und auf wie lange Strecken; 


208 
aber mit einem Packen auf dem Rücken, den 
man kaum einem Maulthier aufladen möchte, 
trollen ſie in einem kurzen Hundetrabe die heiße 
Landſtraße dahin und leben dazu von trockenen 
Tortillas und warmem Waſſer. 

Ueberhaupt iſt der gewöhnliche Mexikaner, 
wenn anſcheinend auch gar nicht ſehr kräftig ge— 
baut, doch manchmal im Stande Laſten zu tra- 
gen, mit denen ſich bei uns in Deutſchland Leute 
würden für Geld ſehen laſſen. So wurden mir 
in Vera⸗Cruz in den dortigen Handlungshäu— 
ſern einzelne Männer gezeigt, die wirklich Un— 
glaubliches leiſteten und im Stande waren, 
zwanzig Arobas, alſo fünf Centner, in Form 
einer Kiſte aus dem Hof hinaus und bis in die 
Straße auf den Wagen zu tragen. Mit zwölf 
Arobas — alſo drei Centner — gingen ſie bis 
an die Bootlandung hinunter — eine Strecke 
von wenigſtens 6—700 Schritt. 

Der Paſeo von Cuernavaca iſt ſehr beſchei— 
dener Art, etwa von der Größe des Pferdebades 
bei Puebla und ebenſo von einer weißen niede— 
ren Mauer eingefaßt, nur rund und ohne Waſ— 
ſer, und darin gehen die Bewohner des kleinen 
Städtchens ſpazieren, Jbis fie ſchwindlig werden 


und ſich dann auf die rund herumlaufende Bank 9 
ſetzen. Nachher gehen ſie anders herum. 5 
Der Markt iſt ſehr ärmlich, der Fruchtmarkt 


ausgenommen; aber es giebt Kaffeeſtände und 


Quincailleriehändler mit Hemdknöpfchen, Hoſen ? 


trägern, Glaskorallen, Zwirn und anderen Herr⸗ Be 
lichkeiten; der eigentliche Handel ſelber tjt aber 15 
durchaus in den Händen ſpaniſcher Kaufleute, 


die überhaupt, beſonders nach dem Weſten hin 
ein, verzweigt find. Wie zahlreich ſie ſich aber 
gerade in Cuernavaca vorfinden, bewies mir ein 
kleines, im Hofe des Hötels aufgeſchlagenes Thea 


ter, in dem leider augenblicklich nicht geſpielt 1 


wurde und wo man die Seitenwände mit vier 
mexikaniſchen und zwei ſpaniſchen Flaggen-Deco⸗ 
rationen geziert hatte. 8 


Deutſche giebt es in Cuernavaca gar nicht 8 
— nicht einmal einen deutſchen Hutmacher, der 5 f 
ſonſt eigentlich in keiner ſüdamerikaniſchen Stadt 


fehlte. Selbſt aus der Begleitung des Kaiſers 
iſt kein einziger hier zurückgeblieben. 


Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. 14 


3 


= 


; 7 
8 EN = x 
3 1 
a 


* 


durch die vereinigten Staaten, Moriko, Ecnador 


wieſtindien und venezuela 


von 


5 8 Zweiter Band: es 
} Mexiko, der Iſthmus und Weſtindien. 5 9 ; 


(Zweiter Theil.) 


Die ueberſetzung wird vorbehalten. 


Jene 7 
= Hermann Eofenoble 
RE 18 68. ae 


Von Cuernavaca nach Acapulco. 


Von Cuernavaca aus hatte ich noch eine 


ſehr berühmte Höhle beſuchen wollen, aber fälſch⸗ 


licher Weiſe hörte ich, daß ich dann den am 14. 
unfehlbar eintreffenden Dampfer verſäumen würde 
und elf Tage in Acapulco zu liegen hätte. 


Außerdem konnte ich gerade jetzt einen beſſern 5 


Contract mit einem Arriero machen, der zwei 


Reiſende zu befördern hatte, und da entſchloß ich 5 


mich denn kurz, den geraden Weg zur Küfte ein⸗ 


g zuſchlagen. 


Meine beiden Begleiter möchte ich aber 500 5 


mit ein paar kurzen Worten bei dem Leſer ein- 
führen, denn es waren ein paar wunderliche 


Geſtalten, die ſich auch erſt ſpäter weiter ente 
wickelten. 


214 

Der Eine von ihnen — wenn ich jo jagen 
mag die „vornehmere“ Perſönlichkeit, denn vor- 
nehm ſahen ſie alle Beide nicht aus — war ein 
kleines, gedrungenes und ſehr gelenkes Männ- 
chen, ein Spanier — mit außerordentlich ſorg— 
fältig gekräuſelten Haaren — was ich aber auch 
an ſeinem Begleiter bemerkte, und wahrhaft 
frauenhaft weißen und kleinen, nur etwas 
ſchmutzigen Händen, als ob er ſie ſich an dem 
Morgen nicht gewaſchen hätte. Er trug eine kurze 
blaue Tuchjacke, wie ſie überall beim Reiten in 
Mexiko, und oft dabei ſehr reich verziert, getragen 
wird, ſehr enge Hoſen und die zierlichſten Stiefel, 
die ich in meinem ganzen Leben geſehen habe. 
Dabei führte er einen kleinen Revolver, aber 
ohne Gurt und nur mit einem weißen, an den 
Enden rothgeſtickten Taſchentuch um den Leib 
gebunden, ſo daß ich nicht recht einſah, wie er, 
da er das Tuch durch den Bügel gezogen, die 
Waffe zum raſchen Gebrauch bei der Hand haben 
wolle. — Uebrigens verſprach ich mir kein be— 
ſonderes Reſultat von ſeiner Hilfe, wenn wir 
uns ja noch hätten gegen irgend Jemand verthei— 
digen müſſen. 

Auf dem Kopf hatte er einen jener grauen 
mexikaniſchen Filzhüte mit einem faſt fußbreiten 


| 7 
* N * 


215 


Rand, wie ſie ſchon das Glück manches Hut⸗ 
machers begründet haben. Dieſer Rand war auch 
unten mit Silber geſtickt, und ſo ein Hut koſtete 
in der Hauptſtadt von 20 bis 25 Dollars. Ich 
ſelber möchte ihn aber nicht geſchenkt haben, 
denn ſie ſind entſetzlich ſchwer und durch den 
breiten und vollkommen ſteifen Rand höchſt un⸗ 
bequem — aber es iſt freilich Nationaltracht. 
Der Mann mochte etwa 44 Jahre zählen und 
hieß Don Pedro Gaspard. 

Sein Begleiter war kaum 30 Jahre alt, mit 
etwas blaſſer Geſichtsfarbe und auffallend weißen 
und auch reinen Händen. Er trug einen leichten 
blauen Rock, an den Aermeln ein klein wenig 
kurz, groß carrirte enge Beinkleider ohne Strippen, 
ziemlich derbe Stiefel und etwas gebrauchtes 
Unterzeug — was man recht gut ſehen konnte, 
da ihm beim Reiten die Hoſen gleich Morgens 
heraufrutſchten und dann über Tag ſo blieben. 
Als Waffe führte er einen Stockdegen, den er 
zugleich als Reitgerte für ſein Maulthier ge— 
brauchte. 

Er ſchien ſehr gutmüthiger Natur und war 
immer fidel, während der kleine Mann mit dem 
großen Hut einen mehr ernſten Charakter zu 
haben ſchien. Er ſprach wenigſtens den erſten 


IE A a ER ee / Aa ey 


216 


Tag faſt kein Wort und kam mir überhaupt ein 


wenig nervös vor. 


Dieſe Beiden — oder nur der Kleine, ich 
wußte es nicht — führten einen Diener bei ſich, 
einen Burſchen aus der Gegend von Jalapa, 
aber einen ſo ungeſchickten Tölpel, wie ich ihn 
nur je in meinem Leben geſehen habe. Er ſaß 
ſtets auf ſeinem Pferde, als ob er ſchief aufge— 
klebt geweſen wäre, und verlor im Lauf der 
Reiſe Alles, was ihm nicht unverlierbar feſt am 

Körper ſaß. Er trug ebenfalls einen großen, 
aber natürlich ordinären, mexikaniſchen Hut und 
eine Serape, auf welcher er der Hitze wegen ritt, 
und die denn auch richtig eines ſchönen Tages, 
da er noch dazu immer zurückblieb, unter ihm 
wegrutſchte und verloren ging. 

Das war meine Begleitung, dazu zwei Arrieros 


. mit zwei Packthieren, alſo im Ganzen acht Maul⸗ 
tthiere — damit brachen wir am 7. Januar endlich 


auf und ſchlugen dabei einen ziemlich ſüdlichen 
Cours, mit nur wenig Weſt, ein. 

Der Ritt von Cuernavaca aus war ziemlich 
heiß, denn mit allen nöthigen Vorbereitungen 
hatten wir nicht ſo früh, als ich es wohl ge— 
wünſcht, aufbrechen können — aber es konnte 
nichts helfen. Aus den Cocospalmen, Bananen 


hainen und ſchattigen Gärten der Stadt hinaus 
ritten wir in das offene Land hinein, und die 
Sonne brannte dazu aus allen Kräften nieder, 
während die Gegend, je weiter wir die Stadt 
verließen, mehr und mehr wild und verödet ſchien. 
Anfangs paſſirten wir allerdings noch einige 
Hacienden und große Zuckerrohrfelder, dann 
hörten dieſe auf. Nur in der Nähe der Berg— 
quellen zeigte ſich noch lebende Vegetation, weiter 
hinan an den Hängen war nichts als gelbliches 
Gras und eine Art Mageh mit Cactuspflanzen 
zu ſehen, und als wir Mittags ein kleines Dorf 
erreichten, konnte es kaum 'was Traurigeres auf 
der Welt geben, als dieſes Neſt. 

Das Dorf ſelber beſtand nur aus offenen 


Rohrhütten, die Wände nicht ſelten aus Neifig 


hergeſtellt, die einzelnen Bauſtellen mit den 
langen, ſtangenartigen Cactus eingefriedigt und 
nur in Ausnahmefällen einen Fruchtbaum zei— 
gend. Am Wege ſelber ſtanden einige kleine, 
ärmliche Kabachen, in denen, dem Namen nach, 
Lebensmittel zum Verkauf gehalten wurden, in 
Wirklichkeit gab es aber nichts als ein paar 
grüne Platanos und einige Eier, aus denen 
ſich die Reiſenden ein Mahl herſtellen konnten. 


218 
Eein paar Orangen war das Einzige, das uns 
noch etwas Labſal gab. 

Dann gings weiter, bis wir mitten in einer 
ſcheinbaren Wüſte und außer Sicht jeder menſch— 
lichen Wohnung ein paar Indianer, Mann und 
Frau, an der Straße ſitzend fanden, die im 
Schatten eines einzeln ſtehenden Baumes einen 
großen irdenen Krug und oben darauf ein mit 
einer gelben Flüſſigkeit gefülltes Glas ſtehen 
hatten, zum Zeichen, daß dort irgend ein Getränk 
feilgeboten werde. 

Ich hielt natürlich an und fragte, was das 
Glas enthalte, es war Tamarindenwaſſer oder 
kalter Tamarindenthee, ein geſundes und er— 
friſchendes Getränk, und wir leerten Jeder ein 
Glas. Auf große Kundſchaft konnten die armen 
Teufel aber kaum an dieſem einſamen Platz 
rechnen, denn wir begegneten auf unſerem gan— 
zen Weg an dem Tage nicht einem einzigen 

Menſchen, außer früh am Morgen einer kleinen 
Karawane von Karren. Trotzdem lagerten ſie hier 
an dem heißen Platz mit unerſchütterlicher Ge— 
duld und jedenfalls dem Bewußtſein, daß ſie 
indeſſen daheim doch nichts verſäumten. 

Die Nacht verbrachten wir in einer elenden 
Poſada in einem kleinen Städtchen, wo wir aber 


219 


doch wenigſtens ein paar Waſſermelonen und 
eine gute Suppe bekamen, und brachen dann 
wieder früh zu neuem Marſche, und einer hohen 
Hügelkette entgegen, auf. 


Wir befanden uns hier an der Grenze des 


bis jetzt eigentlich unabhängig gebliebenen Staates 
Guerrero, der ſich augenblicklich allerdings in offe— 


nem Bürgerkriege befand, aber jedenfalls den 


Ruhm und mit vollem Recht beanſprucht, daß er in 
ſeinen Grenzen nie Räubergeſindel geduldet hat, 
und man ihn ſogar jetzt — ein wohlthätiges 
Gefühl gegen die ewige Unſicherheit im eigent— 
lichen Staate Mexiko — mit voller Sicherheit 
durchſtreifen kann. 

Die politiſchen Zuſtände in dieſem Staate 
ſind eigenthümlicher Art, ſtehen aber in Mexiko 
ſelber nicht vereinzelt. Seit der Kazikenzeit hatte 
ſich nämlich die Familie Alvarez hier als Ober— 
haupt, das ſich aus Gefälligkeit gegen den Prä— 
ſidenten der Republik „Gouverneur“ nannte, 
gehalten, und als der Vater des jetzigen Gou— 
verneurs Alvarez zu alt wurde, übergab er 
ſeinem Sohne, wobei eine Art Wahl im Lande 
abgehalten wurde, ſein Amt, das dieſer auch 


unangefochten verwaltete, bis der Vater ſtarb. 


Jetzt auf einmal trat ein anderer General, 


ET N Er ER ZEN 
EN eig 855 


220 


100 Namens Timenes, auf, ließ ſich von ſeinen An— 
phängern wählen und ſetzte ſich im Oſten des 
5 Reiches feſt. Alvarez dagegen rief ſeine Mannen 
0 zuſammen und hielt den Weſten, und wie wir 
pbhurten, jo ſollten ſich die beiden feindlichen Par— 
teien jetzt völlig gerüſtet gegenüberſtehen. Das 
ſchadete aber gar nichts, denn wir brauchten nicht 
zu fürchten, dadurch in unſerer Reiſe aufgehal— 
ten zu werden. Frachttransporte ließ man aller— 
dings nicht paſſiren, und Bewohner von Guerrero 
ſelber möchten auf einer Tour wohl ebenfalls 
Schwierigkeiten gefunden haben, aber Fremde 
machten davon eine Ausnahme und man ver— 
langte von ihnen nur einen Paß. 

Sonderbarer Weiſe miſchte ſich die mexika— 
niſche Regierung gar nicht in die inneren Strei— 
tigkeiten eines ihrer Staaten, ſondern ließ es 
ganz ruhig die verſchiedenen Parteien unter ſich 

ausfechten. Schoſſen ſie einander todt, ſo war 
das ihre Sache, nicht die der Regierung, die 
mehr zu thun hatte, als ſich um eine ſolche Ba— 
gatelle zu bekümmern. 

Den zweiten Abend übernachteten wir wieder 
in einem kleinen Dorf in ziemlich Armlicher 
Weiſe: ein paar junge Mädchen beſorgten die 
Wirthſchaft, und ich hörte, daß die Frau vom 


2 


Haufe krank ſei. Ich hatte mich auch nicht er⸗ = 


kundigt was ihr fehle, bis ich nach dem Eſſen Er 


ein leiſes Wimmern hörte und dann Jah, daß | 85 
die ganze Familie um ein halb im Freien bee 
findliches Bett herumſtand. Jetzt ging ich dort 


ebenfalls hin und hörte, die Frau ſei an dem 9 
Nachmittag von einem Scorpion geſtochen worden 


und leide, wenn auch die Wunde nicht gefährlich 
war, doch entſetzliche Schmerzen. | 

Da ich meine kleine Medicintafche, wie immer, 
bei mir führte, jo beſchloß ich, einen Verſuch mit 


Chloroform zu machen, und holte das kleine 


Fläſchchen herbei, wobei ſich augenblicklich alle 


im Hof Befindlichen herzudrängten, um die Wir— 5 


kung zu beobachten. Da aber der geſchwollene 5 


Fuß der Alten nicht beſonders appetitlich ausſah, 5 
jo wandte ich mich an eine der Töchter, goß ihr 


von dem Chloroform in die Hand und hieß ſie 0 
die Wunde und die benachbarten Theile damit 


einreiben. Die Wirkung war zauberſchnell: das 5 
Chloroform konnte kaum getrocknet fein, als ſich 


die Frau plotzlich von ihrem Lager emporrichtete 
und erſtaunt umherſchaute. 
„Iſt es beſſer?“ fragte ſie die Tochter. 
„Ich habe keine Schmerzen mehr — wo ſind bi 
ſie hin?“ erwiderte die Frau, und in demſelben 


222 


1 0 Moment fing auch die ganze Familie und alle 


Umſtehenden ſo laut und entſetzlich an zu lachen, 
daß ich mich ganz erſtaunt nach ihnen umdrehte. 
Es konnte wohl kaum etwas Komiſcheres geben 
als dieſen Augenblick. 

Uebrigens muß ich hinzuſetzen, daß das Chloro— 
form nur auf eine beſtimmte Zeit wirkte, dann 
kamen die Schmerzen wieder, waren aber doch 
nach der dritten Einreibung ſo gemildert, daß 
| die Frau die Nacht ſchlafen konnte. 

| Am nächſten Tag paffirten wir eine reizende 
Lagune, die in einem fruchtbaren, mit Maisfeldern 
gefüllten Thale lag. Ueberhaupt ſchienen die Be⸗ 
wohner hier weit thätiger zu ſein, als in den 
öſtlicher gelegenen Staaten. Am Nachmittag, 
nachdem wir einen ſteilen Hang hinabklettern 
mußten und wieder in wärmeres Land kamen, 
lagerten wir die heiße Tageszeit hindurch an. 
dem faſt trockenen Bett eines ziemlich breiten 
Fluſſes, deſſen Größe in der Regenzeit ſich aber 
nur aus den zu Thal gewälzten Kieſeln erkennen 
ließ — und dort auf ſeinem Pancho ausgeſtreckt, 
einen Becher Thee vor ſich und eine Papiereigarre 
im Mund — öffnete mir Don Pedro, nachdem 
er lange und ſchweigend vor ſich niedergeſtarrt, 


15 fein Herz. 


223 


Er war der Hoffriſeur der Kaiſerin Charlotte 
geweſen, für die er ſchwärmte — er konnte ſie 
nie vergeſſen — er hatte auch die Lieferungen 
für alle zum Hofdienſt gehörigen Toilette-Gegen⸗ 
ſtände gehabt und ſeinen eigenen Bedarf dabei 
frei eingebracht — die Kaiſerin hatte ihm das 
größte Vertrauen geſchenkt — ihn ſogar in ein⸗ 
zelnen Fällen zu ihrem Almoſenier gemacht. — 
Er hatte alle vornehmen Familien in Mexiko 
friſirt und dabei die ſchönſte Frau des Landes, ein 
wahres Bild, geheirathet. Den Kaiſer hatten ſie 
aber gemordet und den ganzen Hofſtaat weggejagt. 
Lieferungen gab es natürlich gar nicht mehr, und 
ſeine Frau war ihm mit einem vornehmen Herrn 
untreu geworden. Er hätte ihn auch umgebracht, 
aber er war mit bei der jetzigen Regierung — 
es ging nicht. 

Und wie haßte er die Franzoſen! Ich muß 
aufrichtig geſtehen, ich glaube, es war ein wenig 
Brotneid dahinter, aber er haßte die ganze Nation, 
und wie er angab nur aus dem Grunde, daß 
ſie ſich hier in Mexiko ſo nichtswürdig benommen 
hätten. Auf den Marſchall Bazaine ſchimpfte er 
dabei am meiſten, ſtimmte aber darin allerdings 
nur mit allen denen überein, mit denen ich in 
ganz Mexiko über den Herrn geſprochen. Daß 


2 


ich ein Deutſcher war, ſöhnte ihn, wie er mir 
verſicherte, vollſtändig mit mir aus, denn er be- 
hauptete, mich Anfangs für einen Franzoſen ge- 


halten zu haben. 


Auch ſein Begleiter verrieth ſich, während 
wir dort lagen, indem er, in Vergeſſenheit ſeiner 
ſelbſt, ein paar Lanzetten herausnahm und be= 
trachtete, ob ſie nicht vielleicht roſtig geworden 
wären. 

Es war der Barbier — daher auch die ſchnee— 
weißen Hände — der ganze Laden mußte aus— 
geriſſen ſein und hatte die „Meiſterin“ zurück- 
gelaſſen. 

Der Friſeur wurde wirklich ſentimental — 
er ſprach bald von Todtſchießen, bald von ſeinem 
Haus und Grundſtück, was er zurückgelaſſen 
hätte, und daß er jetzt nach Californien oder 
Panama gehen wolle — es ſei ihm vollkommen 
gleich. Der erſte Dampfer, der in Acapulco ans 
legte, ſollte ihn mit fortnehmen aus dieſem Lande 
des Fluchs und der Verdammniß, wo es nichts 
als Schurken und Räuber gäbe. 

Die Unterhaltung wurde in Spaniſch geführt 
und der Burſche des Friſeurs, ebenfalls ein 
Mexikaner — der aber an dem Geſchäft ſeines 
Herrn unſchuldig war, denn er hatte Fäuſte wie 


225 


ein Miſtkärrner — und eben jo ſchmutzig — lag 
daneben, hörte das Alles mit an, was über jeine 
Landsleute gejagt wurde, und ſchien ſich vortreff— 
lich zu amüſiren. 

Als wir etwa um drei Uhr Nachmittags wieder 
aufbrachen, erreichten wir noch vor Abend eine 
Zuckerſiederei, wo wir bis zum nächſten Morgen 
zu raſten beſchloſſen. 

Die Zuckerpreſſe hier war freilich in roheſter 
und primitivſter Weiſe aus ein Paar knarrenden 
und von Ochſen in Bewegung geſetzten Walzen 
hergeſtellt, und es wurde dort auch nur der ganz 
rohe Zucker, ſogenannter Rapadura, in Venezuela 
papelon genannt, fabricirt; doch die Leute zeigten 
wenigſtens, daß ſie etwas ſchaffen wollten, und 
ſchienen ſich auf ihrer Hacienda auch ziemlich 
wohl zu befinden. 

Dicht daneben ſtürzte ſich ein murmelnder 
Bergbach mit einem kleinen Waſſerfall vorüber, 
und ich nahm dort, ohne meine Reiſegefährten 
zu einem Gleichen bewegen zu können, ein herr 
liches Bad. 

Am nächſten Morgen brachen wir wieder mit 
vollem Mondſchein ſchon um zwei Uhr auf und 
tauchten hier eigentlich zum erſten Male in das 


wirklich pittoreske Gebirgsland von Guerrero ein, 
Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. 19 


226 


denn unmittelbar vom Hauſe ab führte der enge 


Pfad ſchon eine fteile Schlucht hinab, in der 


wir an der andern Seite wieder hinaufklettern 
mußten, nur um einer neuen zu begegnen. 

Es kann in der That kaum in der ganzen 
Welt eine wildere, romantiſchere Scenerie geben, 
als dieſe zerriſſenen und dichtbewaldeten Schluch— 
ten und Hänge Guerreros, von Waldbächen dabei 
durchrauſcht und in dem Zauber einer hellklaren 
Mondſcheinnacht. Für die Maulthiere war es 
allerdings ein beſchwerlicher und böſer Weg, 
denn ſelbſt die niederführenden Hänge fielen ſo 
ſteil ab, daß ſie ſich dabei nicht ruhen konnten; 
aber die Nacht war wenigſtens friſch und kühl 
und der Anblick der wilden Höhen ſo entzückend, 
daß ich oft eine Strecke an irgend einer offenen 
Waldblöße zurückblieb, um mich dem vollen Ge— 
nuſſe dieſes Anblicks hinzugeben. 

Es mochte ungefähr halb vier Uhr Morgens ſein, 
und an Tagesdämmerung war in dieſen Breiten 
noch nicht zu denken. Unſere Thiere kletterten 
eben wieder einen ſteilen Hang hinab und unten 
rieſelte ein Bach durch den dunklen Grund, in 
den der Mond nur einzelne Streiflichter hinein— 
werfen konnte. Vor mir hatte ich Stimmen ge— 
hört, aber nicht darauf geachtet; ich rauchte meine 


997 


kleine Pfeife und ließ meinem Maulthier ruhig 


den Zügel, daß es ſeinen Weg eben nach Be— 
quemlichkeit fortſetzen konnte. Da plötzlich, gerade 
an der tiefſten Stelle des Thales, unmittelbar 
am Waſſer, das rauſchend zwiſchen den Granit⸗ 
felſen hindurchſprudelte, ſah ich etwa acht oder 
zehn dunkle Geſtalten am Weg ſtehen, und ein- 
zelne Mondſtrahlen, die auf blitzende Gewehrläufe 
fielen, verriethen, daß ſie auch bewaffnet ſeien. 
Wer ſie wären, davon hatte ich allerdings keine 
Ahnung und auch in der That keine Zeit zum 
Ueberlegen; der erſte Griff war nur nach dem 
Revolver, und den erſt in der linken Hand, ſetzte 
ich ſo raſch als möglich Zündhütchen auf mein 
Gewehr und wunderte mich während derſelben 
Zeit nur, daß es auf der andern Seite noch nicht 
geknallt hatte. Die Leute blieben aber ruhig, 
Gewehr bei Fuß, ſtehen, und als ich jetzt, die 
Büchſe ſchußfertig auf dem Sattelknopf, an ſie 
heranritt, riefen ſie mir ein freundliches Buenas 
noches entgegen und — baten um ein paar 
Cigarren. 

Ich hatte in dem erſten Moment wirklich gar 


nicht an die augenblicklichen Kriegsunruhen im 


Staate Guerrero, ſondern immer nur an das 


kaum verlaſſene Räuberweſen Mexikos gedacht, 


15 * 


228 
und natürlich konnte mich die Frage nach Ci— 
garren nicht gleich beruhigen, denn das beſonders 
iſt bei Straßenräubern eine oft gebrauchte Liſt. 
Aber ich konnte mir auch nicht gut verhehlen, 
daß die Leute, wenn ſie feindlich geſinnt geweſen 
wären, mir wohl kaum ſo lange Zeit gelaſſen 
hätten — es waren jedenfalls Soldaten, irgend 
ein Vorpoſten der einen oder andern Partei, 
hier in dem engen Felſenpaß aufgeſtellt, um die 
Straße zu überwachen, und ſo ſtellte es ſich auch 
zuletzt heraus. Es war der erſte Vorpoſten von 
Ximenes’ Armee, der entweder einen Einfall der 
Alvarez-Truppen verhindern, oder doch durch 
ſeine Boten rechtzeitig den Freunden Kunde geben 
und ſie warnen konnte. Die Burſchen waren 
dabei ſo gemüthlich als möglich, und als ich ihnen 
eine Handvoll Cigarren gab, dankten ſie auf das 
freundlichſte. 

Eine eigenthümliche Wirkung übte dieſes Be— 
gegnen aber auf den Hoffriſeur aus, der bis 
dahin immer verſucht hatte, voranzureiten, wäh— 
rend ſich ſein Mozo oder Burſche dicht hinter ihm 
halten mußte. Ihm ſchien doch der Schrecken 
etwas in die Glieder geſchlagen zu ſein, denn 
von dem Moment an ließ er ſeinen Burſchen 


229 


vorausreiten und hielt ſich überhaupt jo viel als 
möglich zurück. 

An dem Abend erreichten wir, nach einem 
ziemlich langen und mühſeligen Ritt, den Mescal⸗ 
Fluß, einen großen, ſchönen Strom, der auch in 
ziemlicher Länge den ganzen Guerrero-Staat 
durchfließt. 


Bis zu dieſem Strom waren die Franzoſen 7 8 


damals gedrungen, während ſie die Küſte des 
Stillen Meeres ſchon in Beſitz hatten, ſahen ſich 
aber nicht im Stand ihn zu kreuzen, denn er 
wurde von den Mexikanern ſcharf bewacht, ſo 
daß ſie wieder nach Mexiko zurückkehren mußten. 

Bis dahin hatten wir alle Waſſer, die wir 
auf unſerem Weg getroffen, mit Sicherheit durch— 
waten können; hier ging es nicht, denn der Mescal 
war tief und reißend, und ich ſollte hier zum 
erſten Mal eine neue Beförderungsart antreffen. 


Die Weiſe, wie das geſchah, ſahen wir gleich 


praktiſch ausgeführt, ſobald wir nur das Ufer 
erreichten, denn ein Indianer mit ſeiner Frau 
hatte ſich eben mit dem nöthigen Reiſegepäck auf 
einer winzigen Balſa — einem Floß — einge- 
ſchifft, während ein Pinto-Indianer in Schwimm- 
tracht gerade bemüht war, den Eſel vom Ufer 
herunterzuzerren, um ihn dann, als er ihn glück— 


0 


230 


un, 


lich in's Waſſer gebracht, mit dem Kopf auf 


das Floß zu legen, ſo daß er die Beine nicht 


ebenfalls hinaufbringen konnte. 

Merkwürdig war das Floß ſelber, denn es 
beſtand nur aus etwa 100 Stück zuſammen⸗ 
befeſtigten großen Calabaſſen oder Flaſchenkür⸗ 
biſſen, die kaum mehr als etwa 6 Fuß im Qua⸗ 
drat einnahmen, aber natürlich außerordentliche 
Tragfähigkeit beſaßen. Der Indianer ſchwamm 
dann, das Floß mit der rechten Hand haltend, 
nebenher und trieb es dadurch zum andern Ufer 
hinüber, während der Eſel, in ſeinen vergeblichen 
Bemühungen an Bord zu kommen, nur aus 
beſten Kräften dazu mithalf, indem er mit dem 
Halſe nachſchob. 

Drüben am Land half der Indianer ſeinen 
beiden Paſſagieren heraus — der Eſel war ſchon 
an's Ufer geſtolpert, da er noch immer in Ge— 
danken ſchob — dann, wie der Mann das Ges 

päck ebenfalls ausgeladen, trat er wieder zum 
Floß, packte es mit beiden Fäuſten und hob es 
ſich — anſcheinend mit gar keiner ſehr großen 
Mühe, auf die Schultern. Mit ſeiner Laſt 
wanderte er jetzt am Ufer hinauf, bis er eine 
Stelle oberhalb erreichte, von der aus er, trotz 


234 


der ſtarken Strömung, leicht zu uns herüberhalten 
konnte, und nun kamen wir an die Reihe. 

Die Maulthiere mußten natürlich ſelber hin⸗ 
überſchwimmen; als erſte Ladung nahm er nach⸗ 
her das Sattelzeug und den Arriero, daß der drü— 
ben die Maulthiere wieder auffangen konnte, bei 
der zweiten die Bagage, und zuletzt immer zwei 
und zwei von uns, während ich, drüben ange⸗ 
kommen, ein wahrhaft prachtvolles Bad nahm. 

Die Barbierſtube ging aber wieder nicht in's 
Waſſer. 5 

An unſerem Fährmann hatte ich übrigens 
zum erſten Mal Gelegenheit, einen Pinto in all' 
feinem Glanz zu ſehen, denn der Burſche war 
vollſtändig nackt, hatte auf dem dunkelbraunen 
Teint eine Maſſe indigoblauer Punkte oder Flecken 
und ebenſolche, aber ſchneeweiße, oben auf der 
Hand. 

Die Urſache dieſer Flecken darf aber nicht 
etwa in einer Verzierung geſucht werden, wie 
ſich zum Beiſpiel die nordamerikaniſchen India⸗ 
ner die Geſichter gelb oder blau malen. — Die 
Pintos denken gar nicht an etwas Derartiges, 
ſondern die Natur beſorgt ihnen das, und zwar 
in höchſt unangenehmer Weiſe durch eine Art 
von Hautkrankheit, die, ähnlich der Leproſy, bis 


232 


jetzt wenigſtens unheilbar iſt und dazu bei nä⸗ 
herer Berührung auch ſogar anſteckend ſein ſoll. 
Die Leute ſelber ſind von Natur kupferbraun, 
und die am häufigſten vorkommenden Flecken 
blau und weiß und zeigen ſich hauptſächlich an 
der Bruſt und an den Händen. Beſonders efel- 
haft ſehen die weißen Flecken an den Rändern 
aus. Ich habe Frauen mit völlig ſchneeweißen 
Händen geſehen, während am Gelenk eine Art 
blauer Wulſt ſie einfaßt. Andere haben nur 
zur Hälfte dieſe Farbe und den oberen Theil der 
Hand dann blau und weiß punktirt. 

Die Bruſt der Männer iſt faſt bei allen blau 
geſprenkelt, als ob man einen Pinſel mit blauer 
Farbe darauf ausgeſpritzt hätte, und hie und da 
ſollen auch Einzelne weiße Flecken über den ganzen 
Körper haben — von dieſen kam mir aber Keiner 
zu Geſicht. b 

Die Urſache dieſer fatalen Krankheit ſcheint 
noch nicht ergründet zu ſein, wie man ja auch 


noch keinenfalls mit Genauigkeit weiß, woher 


die Leproſy ſelber oder auch die Elephantiaſis 
rührt. Deshalb iſt auch bei allen dieſen noch 
keine Heilung möglich. Entſetzlich widerlich wird 
Einem aber der Anblick, wenn man gezwungen 
ſein ſoll, Lebensmittel zu eſſen, die von ſolchen 


233 


Händen zubereitet wurden. Mir drehte es we- 
nigſtens immer den Magen um, wenn ich ſie den 
Teig zu ihren Tortillas zurecht kneten ſah, und 
ich wäre nicht im Stande geweſen, auch nur 
einen einzigen Biſſen davon anzurühren. Kör⸗ 
perlich ſcheinen dieſe Menſchen aber nicht das 
mindeſte Unbehagen zu ſpüren; ſie ſind geſund, 
und nur die ekelhaften Flecken wachſen über ihre 
Körper, je älter ſie werden, und erben ſich dabei 
gewiſſenhaft von Familie zu Familie fort. 

Die Pintos beginnen eigentlich erſt vom Mes- 
cal⸗Fluß, obgleich ſie auch vorher ſchon einzeln 
vorkommen; von da aber bevölkern ſie Alles, 
und wenn ſie auch nach der Meeresküſte zu be- 
deutend abnehmen, ſo findet man doch noch zahl— 
reiche Exemplare von ihnen ſelbſt in der Hafen: 
ſtadt Acapulco, wohin ſie mit verſchiedenen Pro— 
ducten zu Markte kommen. 

Der Fluß ſelber hat jedenfalls ſeinen Namen 
von einer an ſeinen Ufern häufig wachſenden 
Pflanze, einer Art von Aloe oder Mageh, aus 
der ein beſonderer, nicht unangenehm ſchmecken— 
der Branntwein, „Mescal“ genannt, gewonnen 
wird. 

Dieſe Nacht blieben wir in einer richtigen 
Pinto⸗Colonie; ich ließ mir aber zur Vorſorge 


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234 


ein Huhn abkochen, deſſen Zubereitung ich felber, 
und äußerſt vorſichtig, überwachte, dann machte 
ich mir ein paar Becher Chocolade, ging an dem 
Abende aus und erlegte noch einen jungen Hirſch, 
und hielt nun, da ich faſt nie Brot eſſe, eine ganz 
gute Mahlzeit. 

In dieſer Nacht, im herrlichſten Mondſchein, 
brachen wir wieder etwa um halb zwei Uhr auf und 
hatten einen böſen, langen Ritt in einem kein Ende 
nehmenden trockenen Flußbett, das uns höher und 
höher in die Berge hinaufführte. Es war eine 
wilde, troſtloſe Waldlandſchaft, die nur ſprudeln-⸗ 
des Waſſer hätte beleben können. So verödete 
ſie der weiße, blendende Sand, in dem die armen 
Maulthiere oft bis an die Feſſeln einſanken, und 
ich war nicht böſe darüber, als wir ziemlich früh 
Halt machten, denn ich fühlte, wie müde unſere 
Thiere geworden waren. 

Hier erreichten wir vortreffliches Jagdterrain, 
wenigſtens für Hirſche, von denen ich aber nur 
den kleinen virginiſchen Hirſch mit langem We— 
del und vorgebogenem Geweih antraf. Es ſind 
dieſelben, die man überall in den Vereinigten 
Staaten findet, nur mit womöglich noch gerin— 
gerem Geweih. Man trifft ſehr ſelten einen 
alten Hirſch, der gut aufgeſetzt hat. 


235 

Von hier brachen wir um halb ein Uhr Mor: 
gens wieder auf und marſchirten faſt genau auf 
das ſüdliche Kreuz zu, das ſchon ziemlich hoch 
und etwa um halb ſechs Uhr im Zenith ſtand. Etwa 
um drei Uhr aber erreichten wir den zweiten gro= 
ßen Fluß, der auf unſerem Wege lag, den Papas 
gallo, und mußten dieſen mit einem Canoe über- 
ſchiffen, was natürlich faſt eine Stunde Zeit 
nahm, da die abgeſattelten Thiere allein hinüber: 
ſchwimmen ſollten. 

Natürlich warf ich augenblicklich meine Klei- 
der ab, um in dem herrlichen, klaren Waſſer ein 
Bad zu nehmen. Kaum aber merkten die Boots- 
leute meine Abſicht, als ſie mir Beide erſchreckt 
zuriefen, nur ja aus dem Waſſer zu bleiben, 
denn es wimmele da drinnen von Kaimans, und 
ich käme nicht ungefreſſen wieder heraus. 

Daſſelbe alberne Vorurtheil, hier wie im 
Norden, und eigentlich nur eine Entſchuldigung 
für die ſchmutzigen Burſchen, ſich nicht zu wa— 
ſchen. Ich ließ mich denn auch nicht irre machen; 
— kannte ich doch die Geſellſchaft der Kaimans 
ſchon zur Genüge vom Miſſiſſippi her, und wußte, 
daß ich nichts von ihnen zu fürchten hatte. Ich 
fragte nur den Indianer, wo ſich gewöhnlich die 
Kaimans am meiſten aufhielten, und als er mir 


— 20 

den Platz unter einem Felſen, gerade in der Nähe 
des Canoes, bezeichnete, ſprang ich in's Waſſer 
und ſchwamm darüber hin. Ich glaubte, ich würde 
die Indianer dadurch überzeugen können, daß 
ihnen die Kaimans nichts zu Leide thäten — aber 
weit gefehlt. Es wäre ein Wunder, ſagten ſie, 
daß ich nicht gefreſſen ſei, und damit war die 
Sache abgemacht. 

Umſonſt ſuchte ich aber meine beiden Reiſe⸗ 
gefährten, den Friſeur und den Barbier, zu be— 
wegen, ſich nur wenigſtens einmal abzuſpülen, — 
die beiden Schmutzfinken hatten ſich noch nicht 
einmal die Hände gewaſchen, ſo lange ich mit 
ihnen zuſammen war, — Gott bewahre! Eine 
volle halbe Stunde ſaßen ſie unmittelbar am 
Waſſer, ohne ſich auch nur die Fingerſpitzen naß 
zu machen, ſetzten ji dann in's Canoe, fuhren 
an's andere Ufer, ſtiegen wieder in den Sattel 
und ritten auf's Neue in das ſtaubige Land 
hinein. Mir fing die Geſellſchaft ſchon recht von 
Herzen an leid zu werden. 

Am andern Ufer wurden wir einen Moment 
von zwei Zollwächtern oder Soldaten angehal— 
ten, die uns nach unſerem Paß fragten. Keiner 
von uns hatte aber einen ſolchen, und ich ſelber 
nur zwei von einem Freund erhaltene Briefe aus 


237 


Mexiko, einen für den General Ximenes, wie 
einen zweiten für die andere Partei des General 
Alvarez. Es konnte uns alſo nichts paſſiren, 
ſobald der Brief nicht an einen verkehrten Trup— 
penkörper abgegeben wurde. Aber ſelbſt dann 
hätte es nichts geſchadet, denn die Leute konnten 
ja alle mitſammen nicht leſen, und auch dieſe 
zwei wackeren Krieger baten uns ganz ungenirt, 
ihnen unſere Documente, Paß oder Brief, vor— 
zuleſen, da ſie ſelber, wie ſie offen erklärten, 
nichts davon verſtänden. Sie ſeien nur dahin 
geſtellt, um die Papiere zu unterſuchen, weiter 
nichts, aber leſen hatten ſie nie gelernt. 

Das Komiſche bei der Sache war, daß wir 
uns außerdem ohne irgend welches Licht als das 
des Mondes befanden, und der wurde jetzt eben- 
falls durch die ſteilen Berge verdeckt. Die Leute 
waren deshalb vernünftig genug, ſich mit dem 
Befühlen des Briefes zu begnügen, und ließen 
uns ungehindert paſſiren. 

Ich fragte fie, ob der Fluß fiſchreich ſei; — 
ja — es waren viele Fiſche darin; — ob fie deren 
fingen, — nein, — ſie verſtanden nicht zu fiſchen; 
— ob viel Wild im Walde ſei, — ja; — ob ſie 
davon erlegten, — nein, — fie konnten die Hirſche 
nicht treffen; — wovon ſie lebten: — Quien sabe! 


238 
war die einzige Antwort, — Tortillas sihay — 
wenn es welche giebt. 

Das Volk iſt wirklich urfaul; denn hier an 
dieſen Strömen, im Innern des Landes, könnten 
fie doch wenigſtens die reichſten Pflanzungen an- 
legen, aber es fällt ihnen nicht ein. Der Boden 
gäbe ihnen Alles, was ſie hineinſteckten, hundert— 
fältig wieder; aber ſie ſtecken eben nichts hinein 
und hungern lieber, als daß ſie ſich zu irgend 
einer Arbeit bequemten. 

Die Scenerie in dieſen Bergen war in den 
dichten Waldungen reizend, und je höher wir 
ſtiegen, deſto mehr bekamen die Berge ein faſt 
europäiſches Anſehen, denn Fichten und Tannen 
zeigten ſich hie und da, und die eigentliche Kiefer 
bedeckte ganze Hänge. | 

Uebrigens ſtand uns an dieſem Tage eine 
ſtrengere Controle hinſichtlich des Paſſes bevor; 
denn wie wir vor einigen Tagen einer Vedette 
des Kimenes’schen Corps hatten Rede ſtehen müſſen, 
jo erreichten wir jetzt die Außenpoſten von Al: 
varez, wo mein Brief von Jemandem, der wirk— 
lich leſen konnte, einer genauen Prüfung unter- 
worfen wurde. In demſelben ſtand aber nur 
mein Name, die beiden Spanier waren nicht er— 
wähnt, und der Hauptmann, oder was er war, 


* 


239 
es ließ ſich nicht gut erkennen, da er in Hemds⸗ 
ärmeln und barfuß vor ſeiner Hütte ſaß, ſchien 
Schwierigkeiten machen zu wollen. Endlich geſtat— 
tete er mir, mit einem Peon voraus und nach 
dem Hauptquartier zu reiten, wo ich den für 
Alvarez erhaltenen Brief vorzeigen ſollte. Dort 
würde dann entſchieden werden, ob meine Beglei- 
ter ebenfalls paſſiren könnten. Zu dieſem Zweck 
bekam ich ein kleines Stück Papier, auf das ich 
meinen Namen ſelber ſchreiben mußte, denn der 
Mexikaner brachte ihn nicht fertig, und dann 
ſchrieb er ſeinen eigenen als Legitimation dar— 
unter. Ich brauchte das Papier, um es den ver— 
ſchiedenen Poſten, die ich paſſiren mußte, zu zeigen. 

Bei dieſen machte ich mir nun allerdings das 
Vergnügen, ihnen das Papier jedesmal verkehrt 
hinzureichen, erlebte aber nie, daß ſie es um⸗ 
drehten. Sie konnten wahrſcheinlich alle verkehrt 
leſen, und gaben es dann mit den Worten „'sta 
bueno“ zurück. 

Im Hauptquartier, das von Soldaten wim— 
melte, wurde ich ſehr freundlich aufgenommen und 
erhielt auch bald für meine Reiſegefährten die 
Erlaubniß, nachzukommen, zu welchem Zweck ich 
dann meinen Peon mit einer erhaltenen Karte 
zurückſchickte und indeſſen etwas für uns zu eſſen 


405 


240 

beſtellte. Nachher ſchlenderte ich in dem kleinen 
Orte herum und beſah mir die verſchiedenen Häu— 
ſer, in denen die Mannſchaften einquartiert, oder 
beſſer, untergebracht waren. Die Leute hatten 
übrigens recht gute und auch ſauber gehaltene 
Gewehre, natürlich nur Percuſſionsſchlöſſer, aber 
nicht zu ſchwer und dabei mit ziemlich langen 
Bayonnetten verſehen. Ich bin auch überzeugt, 
daß ſie dieſelben im Falle eines wirklichen Krie— 
ges viel mehr als Lanze wie als Feuerwaffe ge— 
brauchen würden. Es ſcheint aber Niemand, trotz 
alle den kriegeriſchen Vorbereitungen, an irgend 
einen Kampf zu denken. Der Oberſt, der hier 
das Commando führte, und mit dem ich über 
die Verhältniſſe ſprach, meinte, die Sache, wer 
hier im Lande Gouverneur ſein ſolle, werde wahr— 
ſcheinlich im Congreß entſchieden werden, und es 
ſei dabei keinem Zweifel unterworfen, daß der 
Spruch günſtig für Alvarez ausfallen müſſe. 
Dann bleibe allerdings noch die Frage, ob ſich 
Ximenes der Entſcheidung gutwillig fügen würde, 
aber er hatte in dem Fall wohl wenig Hoff- 
nung, genügende Truppen zu behalten, denn ſo— 
viel ich dort ſah und hören konnte, wollte das 
Volk von Guerrero gar keinen Krieg. 

Der Oberſt war der hübſcheſte Mexikaner, 


241 


den ich im ganzen Lande geſehen hatte, mit edlen 
und intelligenten Zügen. Ueber die politiſchen 


Zuſtände ſeines Landes ſchien er auch vollkom— 
men gut unterrichtet, wich aber meinen Fragen 
nach dem Urtheil dieſes Landestheils über die 
Erſchießung des Kaiſers aus. Ich mußte ihn 
auch in der That zu direct fragen, da ich der 
ſpaniſchen Sprache doch nicht ſo mächtig war, 
um etwas verblümt dahin zu gelangen. 


Nachher ſchlenderte ich noch etwas im Ort 


herum und betrachtete mir dabei beſonders eine 
militäriſche Spielergruppe, die recht gut in Wal⸗ 
lenſtein's Lager gepaßt hätte. Die Leute lagen, 
kauerten und ſtanden um eine unter einem ſchat⸗ 
tigen Baum ausgebreitete Serape her und jpiel- 
ten ihr gewöhnliches Spiel Monte, aber, ihren 
Verhältniſſen natürlich entſprechend, ziemlich nie= 
drig. Als ich zu ihnen trat, luden ſie mich ein 
mit zu ſetzen, ich entſchuldigte mich aber damit, 
daß ich das Spiel nicht verſtehe. 

„Oh, Seſor,“ rief da der Banquier, ein wild⸗ 
ausſehender Burſche mit einer breiten Schmarre 
über das ganze Geſicht, „wir wollen Sie's ſchon 
lehren.“ 

„Das glaub' ich,“ lachte ich, und 1 5 ganze 


Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. 


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242 


Geſellſchaft brach in ein wieherndes Gelächter 
aus — ſie verſtanden den Scherz. 

Etwa zwei Stunden ſpäter, als ich meinen 
Peon zurückgeſchickt, kam mein Barbierladen nach, 
und der Friſeur führte ſich augenblicklich bei dem 
Oberſten ein und ſuchte dieſem mit feinen Be: 
kanntſchaften in Mexiko zu imponiren. Mit den 
erſten Familien der Stadt war er allerdings be— 
kannt, denn er hatte die Damen vom Hauſe friſirt 
und ſich von den Männern nachher die Rech— 
nungen bezahlen laſſen, hier aber waren das 
alles plötzlich ſeine beſten Freunde: General jo 
und jo — lieber Gott, un amigo caro — Gou⸗ 
verneur ) — wir ſind wie Verwandte zuſammen 
— Miniſter H — mehr als ein Bruder. Der 
Officier hörte ihn ſehr ruhig an; der Friſeur 
ſchien ſeine Abſicht aber doch nicht ganz erreicht 
zu haben, denn der Oberſt gab mir endlich den 
Paß, den er aber nur auf meinen Namen aus- 
ſtellen ließ und dann hinzuſetzte: „in Begleitung 
von zwei Spaniern.“ N 

Von hier aus bot die Scenerie des Landes, 
das wir durchritten, einen entſchieden europäiſchen 
Charakter und beſtand faſt nur aus ſchönen und 
offenen Kieferwaldungen. Der Pfad zog ſich 
auch größtentheils auf den Höhen hin, und wenn 


243 
er einmal zu Thale lief, hob er ſich immer raſch 
wieder, bis wir endlich am nächſten Tag Provi⸗ 
dencia erreichten. | 

Providencia liegt etwa 12 Leguas von Aca⸗ 
pulco, aber lange nicht ſoweit von der Küſte 
entfernt, der Gouverneur oder General Alvarez 
hat hier eine Hacienda und zugleich ſein Haupt⸗ 
quartier. Von hier aus regierte er ſe inen 
Theil des Staates, während Ximenes im Oſten 
deſſelben nach eigenem Gutdünken wirthſchaftete, 
und die Regierung von Mexiko ſich gerade ſo 
wenig darum bekümmerte, als ob Guerrero in 
China läge. 

Providencia ſollte ein kleines Städtchen ſein, 
und da es jo nahe der Küſte und der Hafenjtadt 
lag, ſo hatte ich mir leichtſinniger Weiſe ſchon 
ein ganz freundliches Bild davon gemacht, ſollte 
mich aber darin ſehr getäuſcht ſehen. Es war 
eins der elendeſten Neſter, die wir auf dem 
ganzen Weg gefunden, und in der That nichts, 
gar nichts darin zu haben als ſchnödes agua 
ardiente; nicht einmal eine reife Banane, viel 
weniger denn eine Flaſche Wein. Ebenſowenig 
fand ſich eine Poſada im Ort, und wir mußten 
die Nacht vor einer der elenden Hütten im Freien 


lagern; in das Innere derſelben hätte mich über— 
16* 


er 7 55 


haupt Niemand hineingebracht, denn ſie ſahen 
genau jo aus, als ob ſie von Ungeziefer wim⸗ 
melten. 

Vorher war es übrigens nöthig, daß wir uns 
General Alvarez vorſtellten, um von ihm unſern 
Paß nach Acapulco ausgeſtellt zu bekommen. 
Als wir ankamen, hielt er allerdings ſeine 
Sieſta, um vier Uhr aber wurden wir vorgelaſſen, 
und ich muß geſtehen, daß die ganze Sache im 
Innern des Gebäudes ziemlich geſchäftsmäßig 
ausſah. | 

Alle dieſe Hacienden, die ja auch noch ſämmt⸗ 
lich aus der ſpaniſchen Zeit herſtammen, haben 
enorm weitläufige, natürlich nur einſtöckige Ge— 
bäude mit großen, luftigen Zimmern und langen, 
bedeckten Gängen nach vorn und hinten, eine 
Art gemauerter Veranda, die gegen Sonne wie 
Regen hinlänglichen Schutz bietet. Einen Flügel 
dieſer Häuſerreihe, wie man es recht gut nennen 
könnte, hatte General Alvarez theils ſeinen Bu— 
reaux, theils zu Wachtlocalen eingeräumt, und 
dort ſaßen engbrüſtige Mexikaner mit Brillen 
auf und ſchrieben oder trugen dicke Actenbündel 
auf beſtimmte Plätze und zu anderen ihres Glei— 
chen, die dort ſchon lagerten. Der Platz heimelte 
mich wirklich an, er ſah ordentlich europäiſch 


245 


aus, und ich hätte mich darin recht gut in ein 5 


ehrliches deutſches Stadtgericht zurückverſetzen 
können, wenn die Bureaubeamten nicht alle ihre 
Cigarre im Munde gehabt hätten, und das zer— 
ſtörte die angenehme Täuſchung gründlich. Wenn 
ich mir nur die Möglichkeit denke — und die 


Haut ſchaudert Einem dabei — daß ein deutſcher 2 
Aſſeſſor oder gar ein Actuar, von einem Vice 


Actuar gar nicht zu reden, Morgens mit der 
brennenden Cigarre im Munde in's Bureau käme, 
der Unglückliche wäre von dem Moment an brotlos 
für Lebenszeit. EL, 

Die vordere Veranda des Hauſes war übrigens 
vollſtändig kriegeriſch eingerichtet und ſogar ſechs 
kleine Kanonen ſtanden dort aufgepflanzt, wäh— 
rend an der ganzen Länge der Wand die Ge— 
wehre und etwa ein Dutzend Lanzen lehnten. 
In der That ſchienen auch die Leute von Alvarez 
viel beſſer organiſirt, als die von Ximenes, die 
weit cher einer Bande von Straßenräubern, 
das heißt im Aeußern, glichen. Die ganze Sache 
iſt aber, wie geſagt, nur allein militäriſcher Pomp, 
ſoweit ſich das Wort Pomp auf barfüßige und 
mit den verſchiedenſten Hoſen begabte Soldaten 
anwenden läßt. Es denkt Niemand an einen 
Krieg, und da die Leute doch nichts weiter zu 


er 


246 


thun haben oder wenigſtens nichts thun, was 
auf Eins herauskommt, ſo können ſie auch eben ſo 
gut die Zeit „im Felde“ liegen. 

Wir wurden in das Vorzimmer des Generals 
berufen und uns dort Stühle angewieſen, um 
zu warten. Das hielt ich aber keine zehn Minuten 
aus, ſtand wieder auf, ſagte dem einen Actuar 
oder was er war, er ſolle mich rufen, wenn es 
ſoweit ſei, und ſchlenderte indeſſen durch die 
verſchiedenen Theile der Hacienda und den ziemlich 
gut angelegten, aber entſetzlich vernachläſſigten 
Garten. Der Platz hätte recht gut zu einem 
kleinen Paradieſe umgeſchaffen ſein können — 
aber es war eine echt mexikaniſche Wirthſchaft, 
nur daß man hier, während in den niederen 
Hütten die Armuth ihren Wohnſitz hatte, überall 
die Spuren des Ueberfluſſes erkennen konnte. 

Nach einer halben Stunde etwa kam der 
Beamte, dem ich meinen Brief an den General 


ſchon übergeben hatte, athemlos hinter mir drein- 


geſtürzt. Der General hatte nach mir verlangt 
und ich war nirgends zu finden geweſen. 

Als ich in das Zimmer trat, fand ich den 
Friſeur ſchon in voller Erzählung ſeiner hohen 
Bekanntſchaften und Freunde in Mexiko: er 
ſchwamm zwiſchen lauter Generalen und hohen 


247 


Würdenträgern im wahren Sinn des Wortes 
herum. General Alvarez, während der Oberſt 
in dem kleinen Ort den Burſchen raſch durch— 
ſchaut hatte, ſchien entzückt von ihm und fragte 
ihn auf das lebhafteſte nach Dieſem und Jenem, 
von denen Don Pedro Gaspard natürlich Alles 
zu erzählen wußte, was man nur von ihm ver- 
langte — es hätte ja kein Friſeur ſein dürfen! 
Er ließ dabei, wozu wirklich viel gehört, nicht 
einmal den Barbier zu Worte, kommen und 
ſchwelgte völlig in ſeinem Element. 

Alvarez ſelber war ein Mann von unterſetzter 
Statur mit pechſchwarzen, glatten, kurz geſchnit— 
tenen Haaren und niederer Stirn, mit einem 
halb indianiſchen, aber vollkommen ausdrucksloſen 
Geſicht. Er ſchien auch in der That nur die 
zweite Perſon an ſeinem Hofe, denn ein anderer, 
ſehr magerer brauner Senor, aber mit klugen 
Augen, wurde von ihm fortwährend um ſeine 
Meinung gefragt, verhielt ſich aber ziemlich 
ſchweigend und ernſt, und zeigte ſich auch keines— 
wegs ſo von Hochachtung gegen den Friſeur er— 
füllt. Er erkundigte ſich endlich, wer denn eigent— 
lich der ſei, der dem General in dem Brief em— 
pfohlen worden, und als ich mich meldete, be— 
trachtete er mich ſcharf und grüßte mich dann 


f 


248 


freundlich, gab auch unmittelbar darnach, ohne 


den General weiter zu fragen, die Ordre, den 


Paß auszuſtellen, der in wenigen Minuten fertig 
war und Alvarez nur zum Unterzeichnen vorgelegt 
wurde. 

Von Providencia brachen wir, nachdem wir 
am Abend nur mit Mühe ein Huhn zu einer 
Suppe aufgetrieben hatten, ſchon um Mitternacht 
wieder auf, um Acapulco, das Ziel unſerer 
Reiſe, wenigſtens vor der größten Tageshitze zu 
erreichen. Der Platz hatte auch in der That 
nichts Verführeriſches, um uns nur eine Minute 
länger als nöthig dort zu halten. Wieder ging 
es aber von hier in zwar nicht ſehr hohe, aber 
doch ziemlich zerklüftete Berge hinein, und ich 
war wirklich froh, daß wir den größten Theil 
dieſer Strecke in der Nacht zurücklegten, denn am 
Tag muß dieſe Tour wahrhaft zum Verzweifeln 
ſein. Man weiß, daß man dem Meere nahe 
iſt, man hofft, es von jedem Hügelrücken, den 
man erſteigt, endlich erblicken zu können, und 
von jedem aus ſieht man nur wieder eine andere 
Bergreihe vor ſich, die eben hoch genug zu ſein 
ſcheint, um die Ausſicht gründlich zu verſperren. 
So geht es Stunde auf Stunde, und ſelbſt als 
der Tag anbrach, wiederholte ſich dieſes ewige 


249 


Verſprechen und Verſagen, und doch konnten 
wir kaum noch vier oder fünf engliſche Meilen 
vom Meer entfernt ſein. 

Endlich, endlich nahm auch das ein Ende. 
Wir ritten in eine enge Bergſchlucht hinein, 
rechts und links hoben ſich höhere Bergkuppen 
empor, da plötzlich, wie das Geſträuch vor uns 
auseinander wich, hob es ſich wie eine Laſt von 
der Bruſt. Der Blick wurde frei und vor uns 
— ein wahrhaft zauberiſch ſchönes Bild — dehnte 
ſich das weite blaue Meer, und lag da unten, 
in eine reizende Bucht hineingeſchmiegt, wie ein 
Miniaturbild, aber mit all' den glühenden Farben 
tropiſcher Sonne übergoſſen, das kleine, aller— 
liebſte Städtchen Acapulco, an einer wunderſchö— 
nen, von bewaldeten Hügeln eingeſchloſſenen 
Bucht, einer der ſicherſten Häfen der ganzen 
Welt. 

Ich konnte mich auch in der That lange nicht 
von dem prachtvollen Anblick losreißen und blieb 
dort oben wohl eine halbe Stunde halten, wäh— 
rend die Barbierſtube indeſſen mit unſeren Pack- 
thieren, von dem Anblick, wie es ſchien, nicht be— 
ſonders angeregt, ſchon lange wieder bergab und 
in die Büſche eingetaucht war. Was konnten 
ſie auch da oben ſehen? Salzwaſſer und eine 


250 


kleine mexikaniſche Stadt, von denen fie ſchon 
eine ganze Menge durchzogen. Uebrigens ſollte 
ich erſt ſpäter erfahren, daß ſie Urſache zu ganz 
beſonderer Eile hatten. 

Von hier aus fiel der Weg ziemlich ſteil zu 
Thal ab. Wir hatten keinen Berg mehr zu über— 
ſteigen, und konnte ich mich wieder des Genuſſes, 
den ich ſchon ſo oft empfunden, erfreuen, aus 
einem gemäßigten Klima, mit der Vegetation 
höherer Breiten, raſch und plötzlich in eine voll— 
kommen tropiſche Natur hinabzuſteigen. Die Kie— 
fern hatten ſchon, ſeit wir Providencia erreicht, 
aufgehört und Laubbäumen Platz gemacht, von 
denen manche mit prachtvollen, bald weißen, bald 
gelben großen Blüthen überdeckt waren. Jetzt 
traten breitblättrige Stauden in den Vorgrund, 
— reiche Lianen ſchlangen ihre Blumenranken 
über den Weg ſelbſt hinaus; noch etwas tiefer, 
und ein herrliches Thal öffnete ſich vor uns, in 
dem wir ſchon unten die breiten Blätter der 
Bananen und einzelne Palmenwipfel erkennen 
konnten. Jetzt tauchten wir, während die Sonne 
über den Wipfeln emporſtieg, hinein, und be— 
fanden uns wie mit Einem Schlage mitten in 
den Tropen. | 

Freundliche Bambushütten — wenigſtens von 


251 


außen, denn im Innern iſt ſich der Schmutz in 
allen gleich — lagen tief und ſchattig in Frucht⸗ 
hainen und zwiſchen Kaffeebäumen und Bananen 
verſteckt, und kleine Orangenwälder trugen kaum 
die Laſt der reifen, goldigen Früchte. Und wie 
die Vögel in den dichten Sträuchern zwitſcherten 
und ſangen und herüber und hinüber flatterten! 
Es war ein herrlicher Ritt in der kühlen Mor- 
genbriſe, und ich kann mich kaum eines ſchöneren 
in meinem ganzen Leben erinnern. 

Das kleine Dorf, das wir hier erreicht, lie— 
ßen wir bald hinter uns und trabten jetzt eine 
Strecke zwiſchen dichtbewaldeten Anhöhen hin, 
als plötzlich ein Hirſch dicht neben mir am Wege 
aufſprang und den einen Hügel hinanſetzte. Er 


hatte meine Begleiter ſchon an ſich vorbeireiten 


laſſen, und hätte es mit mir wahrſcheinlich eben— 
ſo gemacht, wenn ich nicht zufällig gehalten, um 
von einem der Blüthenbüſche reifen Samen ab 
zupflücken. 

Meine Büchſe hing mir allerdings geladen 
am Gürtel, aber ich hatte kein Zündhütchen auf. 
Doch das währte nicht lange; wie der Blitz war 
ich aus dem Sattel, mein Maulthier ſich ſelber 
überlaſſend, drückte ein Hütchen auf den rechten 


252 
Piſton, und bekam das flüchtige Wild eben noch 
gut zum Schuß, als es über eine offene Stelle 


hinüberſetzte und wenige Secunden ſpäter außer 


Sicht geweſen wäre. Es war ein glücklicher 
Schuß; die Kugel ſchlug vor der Keule ein, 
riß dem Hirſch den oberen Theil des Herzens weg 
und warf ihn in ſeinen Fährten nieder. Mein 
Maulthier lief allerdings fort, da aber die Pack— 
thiere noch hinter mir dreinkamen, ſo konnte ich 
das Wild auf eins derſelben laden, und ging 
dann zu Fuß nach, bis ich die Uebrigen, die mein 
Thier aufgehalten, an einer murmelnden Berg— 
quelle wieder überholte. 

Dort nahm ich ein prachtvolles Bad in dem 
kalten friſchen Waſſer, das ſich die Anderen aber 
aus Geſundheitsrückſichten, wie ſie meinten, ver— 
ſagten, frühſtückte dann und ſetzte nun meinen 
Weg nach dem kaum noch anderthalb Leguas 
entfernten Acapulco fort. 

Der Pfad blieb ſich hier vollkommen gleich; 
es war fortwährend dieſelbe reiche Vegetation, 


von einer Ueppigkeit, wie man ſie nur unter 


dieſen Breiten findet, und dann und wann tra— 
fen wir einzelne kleine Plantagen, oder eigent— 
lich Gärten, mit wieder einer kurzen Strecke 


Wald dazwiſchen, bis ſich der Pfad zuletzt zu 
einer breiten Straße ausdehnte und eine lange 
Häuſer⸗ oder vielmehr Hütten reihe die Nähe der 
Stadt verkündete. 

Ich mußte mir übrigens geſtehen, daß ſie oben 
vom Berge aus weit hübſcher ausgeſehen hatte, 
als hier unten in unmittelbarer Nähe, was jedoch 
unter den Tropen ſehr häufig vorkommt. Ma⸗ 
leriſch genug machte ſich das Ganze, das läßt 
ſich nicht leugnen. In den offenen Bambushäu⸗ 
ſern am Wege ſchaukelten ſich die paradieſiſch 
angezogenen Männer und Frauen in ihren Hänge— 
matten, und die jugendliche Bevölkerung, in der 
Urtracht des Menſchengeſchlechts, wälzte ſich vor 
den Hütten mit den Hunden und Hühnern herum; 
aber wenn man ein wenig genauer hinſah, trat 
der Schmutz dieſer ganzen Race in höchſt un- 
romantiſcher Weiſe zu Tage, und an Poeſie wil⸗ 
der Schönheit war kein Gedanke mehr. 

Es geht das ſo in der Welt. Wir Alle haben 
ſeiner Zeit, und die Jugend noch heutigen Ta— 
ges, für Fenimore Cooper's Uncas und Chin⸗ 
changook geſchwärmt; wenn wir aber geſehen 
hätten, auf welche Weiſe der alte Chinchangook 
und ebenſo der junge edle Häuptling Uncas ihre 


254 


Mahlzeiten kochten, und wie felten ſie daran 
dachten, ſich Geſicht oder Hände zu waſchen, ſo 
würden wir viel und vielleicht zu viel von dem 
Zauber eingebüßt haben. „Man darf in keinem 
Hotel in die Küche hineinſehen,“ iſt eine alte 
Regel, die ſelbſt auf Europa ihre Anwendung 
findet, wie viel mehr denn auf Mexiko oder einen 
wilden nordamerikaniſchen Volksſtamm. Ich jel- 
ber war denn auch zufrieden mit einem flüchtigen 
Ueberblick des pittoresken Aeußern, und da ſich 
ſelbſt die Packthiere, die wittern mochten, daß ſie 
ihrer Laſt bald quitt wurden, in einen ſcharfen 
Trab ſetzten, ſo gab ich auch meinem Thier die 
Hacken und ſprengte hinterdrein. 

Jetzt öffnete ſich vor uns die Stadt. Niedere 
einſtöckige Häuſer, wie in allen ſpaniſchen Städten, 
enge Straßen, vergitterte Fenſter, und dabei eine 
ſchwüle, heiße Luft. Ich hatte mir Acapulco, das 
ich für einen bedeutenden Hafen am Stillen 
Meer gehalten, anders gedacht. Ich fand jetzt, 
daß es ein eigentlich verhältnißmäßig kleines und 
unbedeutendes Neſt ſei — aber was ſchadete das! 
Die lange, beſchwerliche Reiſe war glücklich über— 
ſtanden, und als unſere Thiere endlich vor dem 
einzig möglichen Hötel der Stadt, dem Hotel 


3 wenige 


2 


9. 
Acapulco und weiter. 


Mexiko iſt ein großes, gewaltiges Reich, und 
von der Natur begünſtigt, wie kaum ein anderes 
des ganzen amerikaniſchen Continents. Was aber 
haben die Mexikaner bis jetzt dabei gethan? 
Die Antwort, die jeder Fremde im ganzen Land 
beſtätigen wird, iſt: Gar nichts — ja nicht einmal 
den tauſendſten Theil von dem benutzt, was 
ihnen die Natur im reichſten Maße und offen 
zu Tage liegend, geboten. 

Kaiſer Maximilian hätte etwas aus dem 
Land machen können. Er beſaß dazu die nöͤthi— 
gen geiſtigen Mittel und den guten Willen; aber 
wenn er auch nicht auf jo traurige und gewalt⸗ 
ſame Weiſe zu früh geendet, ſo fürchte ich doch, 
daß er, dem läſſigen mexikaniſchen Charakter ge— 


genüber, zuletzt die Geduld verloren und die 
Sache in Verzweiflung aufgegeben hätte. 

Schon Acapulco liefert dazu den Beweis. 
Silber, Gold und Queckſilber, mit manchem an— 
dern werthvollen Metall vielleicht, füllen ſeine 
Berge, die Vegetation ungeheurer Strecken be— 
ſteht aus den herrlichſten Farbehölzern, und ſeine 
verſchiedenen Klimate in der Nachbarſchaft des 
Hafens könnten die Producte aller Naturreiche 
erzeugen — und was exportirt Acapulco? Nichts 
auf der Gotteswelt faſt als ein wenig Silber, 
und vielleicht etwas Cacao, wie Häute. Ein deut⸗ 
ſches Schiff, das damals gerade im Hafen lag, 
mußte im Ballaſt nach den Chinchas-Inſeln gehen, 
um dort Guano einzunehmen, und der von San 
Francisco oder Panama einlaufende Dampfer iſt 
immer in wenigen Stunden abgefertigt; — er 
braucht nicht viel Zeit, um die in dieſem Hafen 
für ihn lagernde Fracht einzunehmen. 

Die Lage des Hafens iſt entzückend ſchön. 
Das läßt ſich nicht leugnen. Allerdings bietet er 
keine freie Ausſicht auf das Meer, denn er iſt 
rings von Hügeln eingeſchloſſen, aber kein hef— 
tiger Windſtoß kann auch dafür die im Innern 
liegenden Schiffe erreichen, und ein guter Anker— 
grund bietet ihnen daneben jede Sicherheit. Dieſe 

Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. 17 


* 


Hügel aber, die heftige Stürme fern halten, 
ſchließen jedoch auch zu gleicher Zeit jede Briſe 
ab, und die dadurch herrſchende Gluth iſt ent- 
ſetzlich. 

Man hat in Acapulco eine Sage, daß ein 
Mann ſtarb und ſeiner Sünden wegen in die 
Hölle geſchickt wurde, aber ſchon in nächſter Nacht 
wieder zurückkehrte, um ſich — ein paar wollene 
Decken zu holen; denn, an Acapulco gewöhnt, 
war es ihm dort unten zu kalt. 

Ich hatte bis dahin geglaubt, daß es mir 
an keinem Punkt der Erde zu heiß werden 
könnte — hier in Acapulco mußte ich einge⸗ 
ſtehen, daß ich den Platz gefunden. Ich war 
nicht im Stande, auch nur einen Buchſtaben zu 
ſchreiben, und ſuchte nur die ganzen drei Tage, 
die ich mich dort gezwungen aufhielt, nach einer 
kühlen oder wenigſtens halbkühlen Stelle, um 
nicht ganz zu zerſchmelzen. Wie es die Bewohner 
auch dort aushalten, weiß ich wahrhaftig nicht, 
und doch leben gerade hier eine Anzahl von 
Deutſchen, die aber freilich ebenſo über die Hitze 
klagen. 

Die alten Spanier, die den Platz in früheren 
Zeiten inne hatten, müſſen das ebenſo gefühlt 
haben, denn ſie fingen an, den einen nach der 


» 


See zu liegenden Hügelrücken in der ſogenannten 
Quebrada zu durchſtechen, um von dort nachher 


die Briſe in die Stadt hereinzulaſſen; aber der 


Freiheitskrieg ſtöͤrte ſie in ihrer Arbeit und trieb 


ſie aus dem Lande, und die jetzigen Herren des 


Reiches würden gewiß ſehr zufrieden ſein, wenn 2 


der keinesfalls ſchwierige Durchſtich beendet wor⸗ 


den wäre, ihn aber ſelber zu beenden, fällt ihnen | 


gar nicht ein. Ueberhaupt findet man Aehnliches 


in allen früher von den Spaniern in Beſitz ge⸗ 


haltenen Ländern Amerikas. Viele Arbeiten 
haben dieſe unternommen, die wohlthätig für 
das ganze Land wurden, wie zum Beiſpiel die 
zahlreichen Waſſerleitungen, und wie fleißig be- 


trieben ſie in allen Theilen den Bergbau, wie 
viele tüchtige Straßen haben ſie angelegt! Mit 
ihrer Herrſchaft im Lande endeten aber auch ihre 


Werke, und die faule Nachkommenſchaft gab ſich 
nicht einmal die Mühe, ſelbſt nur das in Stand 
zu halten, was jene frei geſchaffen, viel weniger 
denn begonnene Bauten auszuführen. 

Welch' wichtiger und bedeutender Platz könnte 
Acapulco werden, wenn es Wege in das Innere 


und dann fremde Kräfte hätte, um die Schätze 


des Landes auszubeuten! So aber liegt Alles 


todt; das Volk vegetirt eben und arbeitet gerade 


RR N ie 


260 


5 ſo viel, als es zum Leben nothdürftig braucht, 


weiter aber wahrhaftig auch nicht das Geringſte, 


und der Hafen von Acapulco wird auch deshalb 


noch für lange, lange Jahre, und bis nicht ein 
anderes Volk, und zwar ein thatkräftigeres, Be— 
ſitz davon ergreift, nichts Anderes bleiben, als 


ein todtes, ödes Neſt, was er jetzt iſt. 


Was die Stadt ſelber betrifft, ſo läßt ſich 
wenig oder gar nichts darüber jagen. Eine In⸗ 
duſtrie exiſtirt gar nicht, die Fabrikation von 
Hängematten, aus den Faſern einer Aloeart ge— 
flochten, vielleicht ausgenommen, und dieſe wer— 
den hier zu dem unglaublich billigen Preiſe von 
2 bis 2½ Real das Stück, alſo etwa 8 bis 10 
Groſchen, verkauft. Was man ſonſt in der Stadt 
ſieht, außer den Serapen, die im Innern ver- 
fertigt werden, und einigen ordinären Hut- und 
Korbarten, iſt Alles ausländiſches Fabrikat, und 
jede Stecknadel muß von Europa oder Nord— 
amerika importirt werden. Der Handel iſt da— 


bei ausſchließlich in den Händen von Deutſchen 


und Spaniern, wenigſtens alle größeren Ge— 
ſchäfte ſind es, und die Mexikaner ſelber haben 
nur kleine Krämerläden. Auch ein deutſcher Arzt 
befindet ſich hier, der von der öſterreichiſchen 
Expedition zurückgeblieben, ja ſogar ein zweiter, 


2561 


der zugleich eine Apotheke hat. Außerdem giebt | 3 
es mehrere große und kleine deutſche Geihäfte— 


aber nur eine deutſche Frau exiſtirt in Acapuleo, 


die Frau des Dr. Link und eine Tochter des Capi⸗ 
tän Sutter aus Californien. 


Das Hötel von Acapulco, denn ein paar 


andere miſerable Buden kann man gar nicht mit 
dem Namen bezeichnen, iſt das Louiſiana-Hötel, 
das eine alte, rüſtige und wohlbeleibte Franzöſin 


unterhält. Es hat allerdings nur ein Logir⸗ 


zimmer, in das hineingeſtopft wird, was ſich 
eben hineinſtopfen läßt, aber eine recht gute und 
auch nicht zu theure Küche, und die alte robuſte 
Dame ſitzt den ganzen Tag vorn in ihrem 
Billardzimmer, raucht dicke Cigarren und ſpuckt 
links und rechts um ſich her. | 

Von den Deutſchen dort wurde ich allerdings 
auf das freundlichſte begrüßt, aber man kann 
es mir trotzdem nicht verdenken, daß ich mich 
von dem Platz wieder wegſehnte, und ich glaubte, 
ich müßte verzweifeln, als der von San Tran: 


cisco erwartete Dampfer einen Tag über feine 


Zeit ausblieb. Die Hitze war zu drückend ſchwül 
— kein Lüftchen wehte den ganzen Tag, und der 
Körper blieb in einer ununterbrochenen, durch 
nichts geſtörten Transſpiration. 


- 


Meine Barbierftube war ich indeſſen ſchon 


am nächſten Morgen losgeworden, denn der nach 
San Francisco beſtimmte Dampfer traf bald 
nach uns in Acapulco ein und nahm ſie mit 


fort. Gleich hinterher lief aber auch ein Brief 


von Mexiko ein, der die Anweſenheit des Don 


Pedro in jener Stadt auf das ſehnlichſte wünſchte, 
ſeine Sehnſucht aber nicht mehr geſtillt be— 
kommen konnte, denn der Friſeur war abge— 
dampft und der Ocean gab ſeine Paſſagiere 
nicht zurück. 

Die Stadt Acapulco iſt, wie alle dieſe ion 


niſchen Städte, mit niederen Häuſern und jo 
regelmäßig, als es das Terrain eben zuließ, ge— 


baut. Eine Treppe giebt es, glaube ich, in ganz 
Acapulco nicht, und draußen vor der Stadt fand 
ich ſogar eine Menge von Familien, die ſich 


ganz gemüthlich und häuslich eben nur im 
Schatten eines Mangobaumes niedergelaſſen 
hatten und dort kochten und ſchliefen. Was 
brauchten ſie auch mehr! In dieſer Jahreszeit 


regnete es doch nicht, und luftig genug wohnten 
ſie, wie ſich nicht leugnen läßt, gewiß an ſolchem 
Orte, den ſie freilich mit Hunden und Schweinen 


| wie einer gelegentlichen Kuh zu theilen hatten. 


Am dritten Tag Abends traf endlich der 


263 


verlebten. Viel lieber wäre ich auch mit dem 


deutſchen Schiff als dem amerikaniſchen Dampfer Be 


in See gegangen, aber ich hatte ein anderes 


Ziel — mein Weg lag noch weit geſtreckt vor 
mir, und um zehn Uhr Abends glitten wir aus 
der engen, dumpfigen Bai in die freie, offene, 
luftige See hinaus, hinaus wieder einmal in 


das Stille Meer, das ich, als ich es zum letzten 


Mal verließ, keine Ahnung hatte, je wieder zu 
ſehen. Wer kann jagen, wohin ihn ſein Schickſal 


treibt? 


Mexiko liegt nun hinter mir, aber einen 


Blick muß ich noch zurückwerfen auf die herrlichen 


ſchon am vorigen fällige Dampfer, die „Golden 
City“, von San Francisco ein, und ich freute 

| mich wirklich darauf, an Bord zu gehen, wenn 5 
mir auch die Zeit in Acapulco verhältnißmäßig 
raſch entſchwunden war. Dazu trugen freilich 

nur die Deutſchen bei, und beſonders auch Gas 
pitän Mertens von der Bremer Bark Victoria, 
an deren Bord wir draußen im Hafen in 
etwas friſcherer Luft manche vergnügte Stunde 


Berge, auf das ſchöne Land, dem Gott Alles = 


’ 


264 


ö gegeben, was Menſchen glücklich und zufrieden 
machen könnte, und das doch nur faſt ununter— 
brochen zu einem wilden, blutigen Kampfplatz 
und Schlachtfeld verwandt wurde, auf dem Bru— 
der gegen Bruder mit den Waffen in der Fauſt 
gerüſtet ſteht. | 

Wieder einmal hat das Land eine Monarchie 
gebrochen und iſt zur ſogenannten Freiheit zu— 
rückgekehrt; aber wie oft wird gerade das Wort 
mißbraucht. 

„Die Mexikaner haben das Kaiſerreich abge— 
ſchüttelt und damit allerdings jenen Brief des 
unglücklichen Kaiſers, vom 3. November 1864 
datirt, desavouirt, worin er an den Staats-Mi⸗ 
niſter Velasquez ſchreibt: 

„Mein lieber Staats-Miniſter Velasquez de 
Leon! Zurückgekehrt von meiner beſchwerlichen 
Reiſe aus den Provinzen des Innern, während 
welcher ich von jeder Stadt, jedem Flecken und 
jedem Dorfe die unzweifelhafteſten Beweiſe der 
Sympathie und des herzlichſten Enthuſiasmus 
empfangen, haben ſich mir zwei unerſchütterliche 
Wahrheiten aufgedrängt. Die erſte: daß das 
Kaiſerreich eine Thatſache geworden iſt, baſirt 
auf den freien Willen der unermeßlichen Mehr— 
heit der Nation 2c.; die zweite: daß dieſelbe un⸗ 


ermeßliche Mehrheit Frieden, Ruhe und Rechts⸗ 
ſicherheit wünſcht, Güter, welche ſie von meiner 
Regierung ſehnlichſt hofft und erwartet ꝛc.“ 

Ob ſie damit glücklicher geworden ſind, muß 
die Zeit lehren. Keinenfalls kann man ihnen 


das Recht abſprechen, ihr eigenes Land auch ſel- 1 
ber zu regieren und eine fremde Intervention 


zurückzuweiſen. | 

Trotzdem iſt der ganze Zuſtand im Innern 
des Landes im gegenwärtigen Augenblick ein 
höchſt trauriger. Die Sicherheit der Straßen 
iſt zu keiner Zeit ſo maßlos gefährdet geweſen, 
wie gerade jetzt. Das ſogenannte Plagiar-Sy⸗ 
item, nach italieniſchem Muſter, wo Geiſeln auf— 
gegriffen werden, um von ihren Angehörigen 
Löſegeld zu erpreſſen, nimmt faſt mit jedem Tage 
überhand und geht ſogar ſo weit, daß angeſehene 
Leute in den Straßen von Puebla und Mexiko 

abgefaßt und entführt werden. 

Alle öffentlichen Arbeiten liegen dabei dar— 
nieder, die Regierung hat kein Geld, und was 
ſchlimmer iſt, keinen Credit; der Handel beſchränkt 
ſich nur auf das Nothwendigſte und wird ſogar 
durch unſinnige Steuern noch erſchwert, aber dieſe 
ſind unvermeidlich, da es an vielen Orten die 
einzige Art und Weiſe iſt, um baar Geld für die 


260. 


Regierung zu erſchwingen. Jeder Staat im 


8 \ Reiche hat dazu dieſe Steuern, und werden 
Waaren nach irgend einem Platz im Innern 
konſignirt, jo müſſen ſie, wenn man ſie von dort 


wieder nach anderer Stelle bringt, auf's Neue 
verſteuert werden. Ebenſo iſt es mit dem Gelde, 
das enorme Transportzinſen zahlt, die ſich, wenn 
es einen größeren Weg zurücklegt, bis auf ein 
Drittel des Capitals belaufen können. Dadurch 


wird natürlich der eigentliche Handel und Ver— 


kehr im Lande faſt abſichtlich erſchwert und in 
mancher Hinſicht ſogar unmöglich gemacht; über— 


blaupt ſieht es faſt fo aus, als ob die Regierung 


nicht allein ſelber nichts thun, ſondern auch noch 


Andere an jeder Thätigkeit verhindern wollte. 


Daß fie unter ſolchen Umſtänden einer Einwan— 
derung von Fremden keinen Vorſchub leiſtet, ja 


am liebſten gar keine fremden Anſiedler und 
Kaufleute im Land hätte, iſt natürlich, und was 


würde aus Mexiko, wenn es keinen fremden Im— 
port hätte? Aber das wollen die guten Men— 


ſchen eben nicht einſehen, und ich möchte deshalb 


auch keinem Deutſchen rathen, unter den jetzigen 
Verhältniſſen wenigſtens, nach Mexiko auszu— 


wandern. Sicherheit für ſein Eigenthum kann 
ihm nicht geboten werden, und wenn auch Mexiko 


ein reiches, fruchtbares Land iſt, giebt es doch 

auf der Welt noch viele ähnliche Strecken, die 
dem Aus wanderer bei freier Bewegung und un: 
ter dem Schutz der Geſetze alle Vortheile bieten, 
die ihm hier geboten werden können; und doch, 


was könnte aus dem Land werden, wenn es 
von nordiſchen Händen in Angriff genommen 
würde! | 

Das freilich darf man keinem Mexikaner ja= 
gen, von denen ja viele behaupten, daß gerade 
von Mexiko aus die Civiliſation über den gan⸗ 
zen Erdboden weggeſchritten ſei — und weshalb 
nicht? Behaupten doch die Chineſen, daß die 
Compaßnadel nach Süden und nicht nach Nor- 
den zeige, und die Holländer, daß ihre Nation 
die Buchdruckerkunſt erfunden habe, während 
Gutenberg nur die alien au Zettern erfunden 
hätte. N 

Zu gleicher Zeit lief ſchon damals das Ge- 
rücht um und hat ſich ſeitdem nur beſtätigt, daß 
auf der Halbinſel Yukatan eine bewaffnete Schaar 
gelandet ſei, welche die Regierung dort geſtürzt 
und die Kaiſerin Charlotte proclamirt habe. 
Und das nicht allein — überall ſind jetzt, und 
zwar an acht verſchiedenen Stellen, Revolutio⸗ 
nen ausgebrochen, und da und dort hat ſich ge— 


268 
zeigt, daß Juarez — vielleicht noch weniger als 
Maximilian die Sympathien des ganzen Volkes 
beſitze. 

Es war grauſam und entſetzlich, daß man 
den Kaiſer, der nur in dem feſten Glauben nach 
Mexiko gekommen war, daß ihn die große Mehr— 
zahl zu ihrem Fürſten wünſche, tödtete — aber 
unpolitiſch von dem Standpunkt der jetzigen 
Partei war es nicht, denn Juarez, oder vielmehr 
ſein Meiſter Lerdo, hat wohl gewußt und wiſ— 
ſen müſſen, wie bei einem großen Theil der 
Bevölkerung wirkliche Sympathien herrſchten, 
die dann bei der nächſten, in Mexiko gar nicht 
ausbleibenden Revolution in der That gefährlich 
werden konnten. 

Jetzt — wenn Porfirio Diaz nicht an die 
Spitze derſelben tritt — und das kann geſche— 
hen, denn er iſt kürzlich aus dem Staatsdienſt 
entlaſſen, hat die Revolution kein beſtimmtes 
Haupt, das Juarez groß zu fürchten brauchte. 
Im andern Falle wäre ihm der Name des Kai— 
ſers immer wieder entgegengetreten, wenn Maxi- 
milian ſelber auch wohl kaum hätte vermocht 
werden können, je nach Mexiko zurückzukehren. 

Was Santa Anna gegen das Land unter— 
nehmen will, braucht die Regierung nicht zu fürch⸗ 


ten. Santa Anna hat jeden Boden dort ver= 
loren, und er mag wohl ein paar Tauſend Fli⸗ 
buſtier an die Küſte werfen und damit morden 


und plündern, aber Präſident wird er nie wieder, 5 


und wagt er ſich ſelber noch einmal auf mexika⸗ 
niſchen Boden, ſo iſt die allgemeine Stimme, 
daß er wohl kaum wieder ſo gut wegkommen 
möchte, als das letzte Mal. 

Allerdings iſt die Prieſterpartei noch immer 
eine ſehr gefährliche, weil ſie eben im Stillen 


bohrt und treibt und in dem Sturz der jetzigen 


Regierung die einzige Hoffnung ſieht, wieder zu 
Macht zu kommen. Aber auch dieſe Hoffnung 
iſt eine verlorene, denn keine Regierung der 
Welt könnte das Edict, welches die Kirchengüter 
confiscirte, zu einer Zeit aufheben, wo ſchon der 


größte Theil derſelben meiſt ausſchließlich in die 


Hände von Fremden übergegangen iſt, die ſich 
vor der gedrohten Excommunication beim Ankauf 
nicht beſonders fürchtete. 

Mexiko ſelber iſt ein wunderbar ſchönes Land, 
und die Indianer haben gewiß Grund zu ihrer 
Sage, in welcher ſie behaupten, ihr Gott habe, 
nachdem er die Welt vollendet, ſich ein Fenſter 
im Himmel angelegt, von dem aus er ſtets auf 
Mexiko hinabſchauen könne, das ihm vor allen 


270 
anderen Ländern ſo ſehr gefallen. Aber was 
helfen dem Volk die Reichthümer und Schön⸗ 
heiten der Natur, wenn es fortwährend ſeinen 
eigenen Boden mit Blut düngt und nicht allein 
eine Einwanderung hindert, für ſie Schätze aus— 
zubeuten, nein, ſelbſt das eigene Volk davon ab— 
hält, das zu genießen, was ihm Gott gegeben? 

Ich ſelber halte Juarez wenigſtens für einen 
ehrlichen Mann. Er iſt ein Indianer und 
ſteht deshalb weit über der verdorbenen ſpani— 
ſchen Race, und daß er es gut mit ſeinem Lande 
meint, hat er ſchon gezeigt, als er es dem faſt 
unerträglich gewordenen Druck der Geiſtlichkeit 
entzog. Aber Juarez iſt immer nur ein Werk⸗ 
zeug in den Händen des viel klügeren Lerdo, der 

wohl einſieht, daß die an Zahl ſo gering gewor— 
dene weiße Race in Mexiko nie auf die Sym— 
pathien der Mehrzahl rechnen darf. Er brauchte 
deshalb einen Indianer zu ſeinem Präſidenten 
und wird ihn benutzen, ſo lange er ſich eben 
brauchbar zeigt. Auf Ruhe darf aber das Land 
nie unter dieſer Regierung hoffen, denn es fehlt 
ihr auch das Vertrauen, und das kann ſie 
ſich nie wieder gewinnen. 

Hätte man bei der Präſidentenwahl Porfirio 
Diaz genommen, oder ihn wenigſtens nur zum 


Vicepräſidenten gemacht, jo war es möglich, einen 
geordneten Zuſtand wieder einzuführen und ſelbſt 
mit fremden Regierungen wieder Beziehungen 
anzubahnen. Porfirio Diaz iſt allgemein als 
Ehrenmann bekannt. Er hat ſich ſowohl in 
als nach dem letzten Krieg als ſolcher gezeigt 
und das vergoſſene Blut klebt nicht an ſeinen 
Händen. Mit Juarez' Regierung iſt dagegen 
keine Verſöhnung möglich. Brach ſie doch auch 
ſelbſt durch den Hohn, mit dem fremde Geſandte 
von ihr behandelt wurden, jede Brücke hinter 
ſich ab. Ja, die Mexikaner find im gegenwärti— 
gen Augenblicke übermüthiger geworden, als ſie 
je geweſen, denn die eigenthümlich geſchützte 
Lage ihres Landes konnte ihnen kein Geheimniß 
bleiben. 

Schon das ungeheure, von Sümpfen und 


Bergen durchzogene Terrain gewährt ihnen einen 


nicht zu gering anzuſchlagenden Schutz gegen 
fremde Einfälle, mit den gewaltigen Entfernun— 
gen von einem Platz zum andern, aber das Alles 
tritt gegen das von Nordamerika gegen jeden 
Angriff ausgeſprochene Veto in den Hintergrund. 
Sie trauen Amerika allerdings ſelber nicht; ſie 
wiſſen, daß es von jeher ein Auge auf das 
Nachbarland gehabt und über kurz oder lang 


272 


einmal ihr gefährlichſter Feind werden könne, 
aber für den Augenblick iſt es ihr mächtiger Be— 
ſchützer, und der leichtherzige Charakter dieſes 
ſüdlichen Volkes läßt es ſich gern über alle 
Sorgen für die Zukunft hinwegſetzen. Ja, die 
Mehrzahl denkt ſogar nicht einmal an eine ſolche 
Möglichkeit, ſondern ſieht allein in der Tapfer⸗ 
keit der mexikaniſchen Soldaten nicht blos die 
jetzige „Rettung des Vaterlandes“, ſondern auch 
ſeinen vollkommenen Schutz für die Zukunft. 

„Wir ſind die tapferſte Nation,“ habe ich oft 
genug die Mexikaner prahlen hören, „denn wir 
haben die Franzoſen beſiegt, die bis jetzt alle 
anderen Nationen unterjochten.“ Dieſes ſtolze 
Bewußtſein macht fie aber vollkommen glücklich und 
zufrieden, und ſie ähneln darin einem Schwind— 
ſüchtigen, bei dem jeder andere Menſch weiß, 
daß er ſeinem Tode entgegengeht, nur er ſelber 
nicht. Es würde, wenn es nicht unmöglich wäre, 
ſelbſt grauſam ſein, ſie in ihrem Vertrauen auf 
ſich ſelbſt wankend zu machen. 

Auf dem Weihnachtsmarkt in Mexiko, ziem— 
lich ordinär gemacht, aber mit bunten Farben 
ausgemalt, war eine Gruppe dargeſtellt, welche 
die Stimmung der großen Mehrheit des Volkes 
recht gut bezeichnen könnte. Die Gruppe be— 


273 


ſtand aus zwei Figuren: Ein Franzoſe, die Fahne 

der „großen Nation“ in der einen und das blanke 
Schwert in der andern Hand, liegt am Boden. 
Hinter ihm, den Fuß auf ſeinen Körper geſetzt, 
ſteht die Jungfrau Mexiko, in der rechten Hand 


die grün⸗weiß⸗rothe Fahne (die Streifen aur 


recht ſtehend, wie bei den franzöſiſchen Fahnen) 
und in der linken — nicht etwa eine Waffe, 
ſondern nur einen Fächer haltend. Nur der 
Luftzug dieſes Spielzeuges diente, in ihrer 
Hand, dazu, um den mächtigen Feind niederzu— 
ſchmettern. Es erinnert das freilich etwas ſtark 
an Gellert's Fabel mit dem Heupferd, aber 
nichtsdeſtoweniger ſteht die Thatſache feſt, daß 
Mexiko, in dieſem Augenblick wenigſtens, in der 
That unangreifbar für fremde Mächte geworden 
iſt, denn Frankreich wird ſich hüten, ſich zum 
zweiten Mal die Finger zu verbrennen, und 
andere Reiche haben ſich wahrſcheinlich ein zu 
gutes Beiſpiel an dem Vorhergegangenen ge— 
nommen, um seinen ähnlichen Verſuch zu machen. 
Mexiko bleibt deshalb vor der Hand ſich ſelber 
überlaſſen und ihm Zeit und Ruhe von außen 
genug, das Glück ſeines ſchönen Landes zu ſichern 
und ſeine Zuſtände zu verbeſſern, ſeine Schätze 
auszubeuten; aber gegen den faulen Wurm, der 
Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. 18 


274 


im Innern frißt, hilft eben kein äußerer Schutz, 


And ich fürchte ſehr, es wird erſt dann zu wirk⸗ 


licher Beſinnung ſeiner ſelbſt und nachher auch 
zu Frieden und Wohlſtand kommen, wenn es 
der ſchon faſt zu mächtig gewordene Nachbar 
auch noch eingeſteckt, und das jetzige Syſtem, das 
die wahre Caricatur einer Republik iſt, von 
den rothen Stühlen im Abgeordnetenhaus her— 
unkergefegt hat. 

Und was für ein Geiſt herrſcht unter dem 
mexikaniſchen Heer? — Ich ſelber bin allerdings 
mit den Herren nicht zuſammengekommen, was 
aber in Mexiko von ihnen erzählt wird, klingt 
nicht beſonders tröſtlich. Einigemal ſoll ſchon 
die Escorte ſelber die Diligence, der ſie zum 
Schutz beigegeben war, geplündert haben, und 
über den Officierſtand wurde nicht beſſer ge— 
ſprochen. 

Damals ging das Gerücht um, daß ſich in 
Vera⸗Cruz zwei mexikaniſche Officiere hätten 
degradiren laſſen, um nicht nach Yucatan in den 
Krieg zu ziehen. In der nämlichen Zeit ſteht 
ein Raubanfall in der Zeitung, nach dem Capitän 
Sylveſter Ochoa mit einem jungen Engländer 
mehrere Tage gemeinſchaftlich reiſte und ſich 
dann erbot, dem jungen Manne, Namens Ruſſell, 


275 


den etwas ſchweren Revolver zu tragen. Kaum 


hatte er ihn, jo ſchoß er ſeinen Reiſegefährten 
nieder, plünderte ihn und wurde dann flüchtig. 


Dieſer Offteier wird jetzt ſteckbrieflich verfolgt. 


Ein kleiner amerikaniſcher Junge gab eine 


ganz vortreffliche Antwort, als er in der Haupt⸗ 


ſtadt Mexiko gefragt wurde, wie es ihm hier 


gefiel. Sie charakteriſirt zugleich den Zuſtand 


des ganzen Landes. 
„Oh, recht gut,“ ſagte der kleine Burſch, 


aber mit einem ſo zögernden Ton, daß es eher 


wie eine Verneinung klang, und der Fragende, 


das bemerkend, ſetzte hinzu — „Nun? — was haſt 5 


Du denn eigentlich dagegen?“ 

„Oh, es iſt hier wohl ganz hübſch,“ meinte 
jetzt der Kleine, „aber — es ſind zu viel Mexi⸗ 
kaner hier.“ 

Es ſind in der That zu viel Mexikaner in 


Mexiko, und bis ſie nicht gelichtet werden, bleibt 


es ein Chaos von Revolutionen, in denen man 
nie Frieden und Wohlſtand erwarten darf. 
Einen ziemlich harten Stand haben jetzt in 


Mexiko die angeſiedelten Fremden, denn ſie ſind 


der Willkür mexikaniſcher Beamten vollkommen 
Preis gegeben, und keine Stelle in der Welt, 


bei der, ſie gegen Ungerechtigkeiten proteſtiren 
18* 


276 

können; denn wenn auch faſt ſämmtliche Nationa= 
litäten gegenwärtig unter den Schutz des ameri— 
kaniſchen Conſulats geſtellt ſind, ſo würde es 
der Union doch nie einfallen, eher als es ihr 
ſelber paßt, einen Krieg mit Mexiko anzufangen, 
weil vielleicht ein Franzoſe oder Deutſcher von 
irgend einem Beamten ſchlecht und unrecht be— 
handelt wurde. Alle Fremden ſind deshalb gegen 
wärtig, wie gerade die Sachen ſtehen, auf Gnade 
und Ungnad den Mexikanern Preis gegeben, 
und es iſt dabei gar nicht abzuſehen, wann in 
dieſem Zuſtand eine Aenderung eintreten kann. 
Uebrigens muß man es den Mexikanern doch 
zum Ruhme nachſagen, daß unter ſolchen Um— 
ſtänden die Lage der Fremden im Lande, einzelne 
kleinere Fälle natürlich ausgenommen, noch eine 
ziemlich leidliche, wenn auch nicht mehr begün⸗ 
ſtigte iſt. Fremde, die dort keinen feſten Wohnſitz 
haben und deshalb mit den Behörden in keine 
Berührung kommen, dürfen ſich wahrlich nicht 
beklagen, auch nur auf irgend eine Art beläſtigt 
zu werden; man verlangt ihnen nicht einmal 
einen Paß ab, und ſie dürfen ſich ungehindert, 
auf welcher Landſtraße fie wollen, von den Räuber⸗ 

banden plündern laſſen. 
Der gebildete Mexikaner iſt dabei ein ganz 


277 
liebenswürdiger Menſch, und ich bin unterwegs 
mit vielen zuſammengekommen, die ich wirklich 
lieb gewonnen habe. Sie zeigten ſich immer 
freundlich und gefällig, und halfen bereitwillig 
mit der Sprache aus, wenn ich einmal für dies 
oder jenes kein Wort finden konnte. 

Dabei war ich erſtaunt, noch jo viele Sym⸗ 
pathien für das Kaiſerreich unter ihnen zu fin: 
den. Die meiſten von ihnen ſehen wohl ein, daß 
es der verſtorbene Kaiſer wirklich gut mit dem 
Lande gemeint hat, wenn ſie auch nur ſelten, 
und dann immer höchſt vorſichtig, eine Aeuße— 
rung über die jetzige Regierung wagen. 

In einer Hinſicht ſtimmen fie aber auch lei⸗ 
der mit faſt allen Deutſchen überein, die ich 
darüber ſprach, daß nämlich der Kaiſer Maxi⸗ 
milian einen wahren Schwarm von nichtsnutzi⸗ 
gen Abenteurern um ſich verſammelt gehabt habe 
und von allen Seiten verrathen und verkauft 
geweſen ſei. | 

Armer Kaiſer! Er war von den beiten, wenn 
auch oft etwas phantaſtiſchen Anſichten beſeelt, 
aber er konnte ſein Ziel nicht erreichen, denn die 
Wenigen, die es wirklich gut mit ihm meinten, 
ſahen ſich nicht im Stande, irgend welchen Ein⸗ 
fluß auf ihn auszuüben, und die Anderen, die 


2s 


ſich um ihn drängten, hatten nur allein ihr eige⸗ 
nes Intereſſe im Auge und kümmerten ſich den 


en Henker um das Land oder Kaiſerreich. 


5 Wenn nur die Hälfte von dem wahr iſt, was 
man ſich in Mexiko unter den Deutſchen ſelbſt 
von ſehr vielen öſterreichiſchen Officieren des 
Kaiſerreichs erzählt, ſo ſind das ganz andere 
Perſönlichkeiten geweſen, als ich ſie habe unter 
dem Corps in Oeſterreich ſelber kennen lernen. 
Abenteurer waren aber auch wohl die meiſten, 
die unter einem mexikaniſchen Kaiſerreich nur 
die alten Goldgruben Montezuma's zu erblicken 
glaubten, und als ſie ſich darin getäuſcht ſahen, 
es gerade ſo machten, wie die Spanier in alten 
Zeiten. Zwiſchen jetzt und damals iſt nur der 
Unterſchied, daß man in gegenwärtiger Zeit Bü— 
cher führt und kleine Vergeßlichkeiten ſchwarz 


auf weiß behält, was früher nur durch münd— 


liche, alſo höchſt ungewiſſe Traditionen auf an- 
dere Geſchlechter überging. 

Verrathen und verkauft war der arme Kaiſer 
ſo von allen Seiten, und es ging ſo weit, daß 
man ihm in Cuernavaca nicht einmal mehr ſein 
Eſſen bringen wollte, weil das Küchengejindel 
das Geld für Alles nicht allein ſchuldig geblie— 
ben war, ſondern auch die in Maſſe eingekauf⸗ 


279 


ten Gegenſtände, z. B. Butter und Eier, wieder 
nach anderer Seite hin verkaufte. Der Keller- 
meiſter des Kaiſers hatte in Mexiko ſelber einen 
Weinverkauf, und die beſten und edelſten Weine 
waren dort zu haben! Und ſeine Generale? — 
Lopez, Marquez haben ihn verkauft, ſelbſt Mi⸗ 
ramon, der tüchtigſte von allen, hatte ſeine Dienſte 
ſchon Juarez angeboten, und Maximilian wußte 
es und traute ihm ſelbſt dann nicht mehr, als 
er es wirklich für die Zeit treu mit ihm meinte, 
während Miramon's Frau, voll Stolz und Ehr⸗ 
geiz, ſelber darnach drängte, die Nachfolgerin des 
geſtürzten Kaiſerpaares und ſelber Kaiſerin von 
Mexiko zu werden. 

Unglücklicher Weiſe war Maximilian dabei 
ſchwankenden, unſichern Charakters, und Leute, 
die ihn genau gekannt haben, verſichern, daß 
immer der bei ihm Recht gehabt, dem es gelang, 
das letzte Wort zu bekommen. Er war deshalb 
leicht von einem ſchon gefaßten Entſchluſſe ab- 
zubringen, was denn auch Pater Fiſcher wohl 
zu benutzen und auszubeuten verſtand. Selbſt 
dieſer, dem Kaiſer am nächſten ſtehende Prieſter 
hat nur geſucht, ihn für ſeine eigenen Zwecke zu 
benutzen, und wenn nur der zehnte Theil von 
dem wahr iſt, was man ſich in Mexiko über die- 


280 


fen würdigen Pater erzählt, Jo verdiente er, daß 
er — der Leib⸗-Pater des Kaiſers der Franzoſen 
würde. 

Als er Mexiko damals, — gerade während 
meiner Anweſenheit, verließ, denn ich ſelber habe 
ihn noch in den Hauptſtraßen der Stadt geſehen, 
glaubte man auch dort allgemein, er würde hin⸗ 
auf nach den Vereinigten Staaten gehen, denn 
man hielt es nicht für möglich, daß er die Frech— 
heit haben könne, nach Oeſterreich zurückzukeh— 
ren; — aber was wagt ein Pfaffe nicht. 

Uebrigens veröffentlicht das „Diario Official“ 
in Mexiko jetzt die geheimen Archive des Kaiſers, 
die zuletzt in den Händen des Pater Fiſcher 
waren, unter dem Titel: „Documentos offieiales 
de los traidores, para servir a la Historia de la 
intervencion“ (officielle Documente der Verräther 
zur Geſchichte der Intervention), und wen ich in 
der Hauptſtadt darüber ſprach, behauptete auf 
das beſtimmteſte, daß jener Pater gerade dieſe 
Papiere an die Regierung des Juarez für 3000 
Dollars verkauft habe. Ich kann für die Wahr⸗ 
heit nicht bürgen, aber ich habe auch nicht Einen 
gefunden, der es nur bezweifelt hätte, wohl aber 
erklärte ein dortiger, ſehr angeſehener Mexikaner 
auf das beſtimmteſte, daß er beim Finanzminiſter 


281: 


eine Ordre an die Kaſſe geſehen habe, dem Pater 


Fiſcher dieſe Summe auszuzahlen. Und was hatte 
Juarez' Finanzminiſter mit Pater Fiſcher zu 
thun? 


Einen höchſt intereſſanten Bericht über die 


Vertreter der fremden Mächte während Maximi⸗ 


lian's Regierung, beſonders über die Geſandten 5 


von Oeſterreich, Preußen, Italien, England und 
Frankreich, brachte außerdem der „Mexican Stan⸗ 
dard“, ein engliſches Blatt, der leider, wie man 
in Mexiko behauptet, ſehr viel Wahres enthalten 
ſoll, trotzdem daß er nichts weniger als ſchmeichel— 
haft für die Herren klingt. Nur Herr von Magnus 
ſoll in der letzten Zeit wacker und entſchieden 
für den unglücklichen Monarchen eingetreten ſein, 
— aber es war zu ſpät. Lerdo hatte ſeinen Tod 
beſchloſſen, und Juarez keinen Willen. Juarez 
ſelber würde ihn nie verurtheilt haben. 

Das Decret vom 3. October, das alle mit 
den Waffen in der Hand ergriffenen Mexikaner 
zum Tode verurtheilte, war es aber, was ihn — 
nicht etwa verdammte, ſondern den Feinden den 
gewünſchten Grund zu ſeinem Tode gab; und 
doch iſt dieſes grauſame Deeret nie in ſeinem 
Herzen entſtanden, ſondern ihm nur durch Ba⸗ 


288² 


zaine, dem der Fluch des ganzen Landes folgt, 
aufgezwungen worden. 

Und trotzdem wagt jener Graf Keratry in 
ſeinem Buch „Kaiſer Maximilian's Erhebung 
und Fall“, das nur geſchrieben ſcheint, um den 
Marſchall Bazaine als edlen Menſchenfreund 
und Märtyrer darzuſtellen, den Thatbeſtand der- 
maßen zu verdrehen, daß Bazaine es geweſen, 
der ſich dagegen geſträubt, und Maximilian allein 
darauf beſtanden habe. 

In Mexiko ſelber, und bei Allen, die zu je= 
ner Zeit in des Kaiſers unmittelbarer Nähe waren, 
iſt nur eine Stimme darüber, die gerade das 
Gegentheil von dem verſichert, was uns Graf 
Kératry möchte glauben machen. | 

Der Kaiſer hat ſich bis zum letzten Augen- 
blick dagegen geſträubt und auch das Decret nie 
ſelber durchgeführt, ſondern begnadigt, wo ihm 

irgend die Gelegenheit dazu geboten wurde. Aber 

ſelbſt das war nur eine halbe Maßregel und 
ſtrafte ſich bitter vom erſten Augenblick an. Um 
ihn aber zur Unterzeichnung zu bewegen, war 
ihm der irrige Glaube beigebracht, daß Juarez 
das Land flüchtig verlaſſen habe und die Revo— 
lution gebrochen ſei. 

Die Wendung, die Graf Keratry der Sache 


283 


giebt, hätte etwas Komiſches, wenn fie nicht einen 
jo ernſten Gegenſtand beträfe, denn er ſucht es 
ſo darzuſtellen, als ob Kaiſer Maximilian mit 
dieſem Decret dem Präſidenten Juarez hätte 
eine Aufmerkſamkeit erweiſen wollen, und ſchließt 
dieſen Gegenſtand, in welchem er Maximilian 
das Schwerſte, aber auf eigene Weiſe geſchminkt, 
zur Laſt legt, mit den Worten: 

„Das iſt die, Geſchichte dieſes ſchickſalſchweren 
Tages, der kein Flecken für das edle Opfer von 
Querétaro bleiben darf!“ — 

Die wirkliche Geſchichte wird dieſe Geſchichte 
richten. 

Doch vorbei! Der Kanonenſchuß fällt, der 


unſere Abfahrt kündet, und auf dem großen 


amerikaniſchen Dampfer „Golden city” ließen 
wir bald den heißen Hafen Acapulco hinter uns 
und hielten in die prachtvoll kühle Baie der 
offenen See hinaus. 

Von einer kurzen Dampferfahrt zwiſchen der 
mexikaniſchen Küſte und Panama würde freilich 
entſetzlich wenig zu ſagen ſein, denn das Leben 
und Treiben auf dieſen Dampfern bleibt ſich 
ewig gleich, wenn es nicht das erſte Mal geweſen 
wäre, daß ich auf einem amerikaniſchen Dampfer 
fuhr. Ich muß dabei geſtehen, daß ich kein 


BE 


günſtiges Vorurtheil für fie hatte, denn nur zu 
oft mußte ich früher hören, daß auf ihnen die 
Paſſagiere auf das unbarmherzigſte zufammen= 
gepreßt und dann in ſolcher Ueberfüllung nur 
immer, wenn auch reichlich, doch kaum mehr als 
abgefüttert werden. Ich ſollte auch eine Probe 
davon bekommen, obgleich der Dampfer auf dieſer 
Reiſe gerade eine nur verhältnißmäßig geringe 
Anzahl von Paſſagieren trug. | 

Mich traf nämlich das Unglück, der Reiſege— 
fährte des Präſidenten der ganzen Linie zu wer- 
den, und ich mußte dafür büßen. 

Gegenwärtig läuft zwiſchen San Francisco 
und New⸗York, via Panama, eine Oppoſition⸗ 
Dampferlinie, alſo zwei, und die Preiſe ſind da— 
durch, da eine die andere freundlichſt todt zu ma⸗ 
chen wünſcht, auf das äußerſte heruntergedrückt. 
Die Paſſage von San Francisco nach New-York 
koſtet im gegenwärtigen Augenblick, incluſive der 
Panama⸗Eiſenbahn, die gegenwärtig 25 Dollars 
und für 100 Pfund Gepäck 5 Dollars rechnet, nur 
97 Dollars amerikan. Gold erſter Cajüte und 
50 Dollars zweiter. Für Acapulco beſteht aber 
leider kein ſolcher Zwang, denn dort legt die 
Pacific⸗Dampfſchiffslinie allein an, hat alſo auch 
ihre alten Preiſe für dieſen Hafen und das nörd— 


\ 285 


licher liegende Manzanillo feſtgehalten, ſo daß 

ich ſelber von Acapulco bis Panama 75 Dollars 
amerikan. Gold, und wenn man die Panama⸗ 
Route hinzurechnet, die ich nicht frei hatte, 35 
Dollars mehr, alſo 105 Dollars, oder von Aca— 
pulco bis Panama (auf vier Tage) 8 Dollars 
mehr bezahlen mußte, als die Paſſagiere von San 
Francisco bis New-Nork zahlten. 

Aerger war es freilich noch einigen Paſſa⸗ 
gieren von China gegangen, die ihre ganze Paſ— 
ſage mit 650 Dollars bis New-Nork bezahlt hat⸗ 
ten, wobei nur 350 Dollars von China nach 
San Francisco gerechnet wurden. Da die Paſſage 
von San Francisco nach New-York aber nur 
97 Dollars betrug, ſo hatten ſie mithin 253 
Dollars zu viel gezahlt, und die Compagnie in 
Californien wollte es ihnen nicht zurückerſtatten. 
Uebrigens hatten ſie beſchloſſen, eine Klage in 
New⸗York einzureichen, und vor der Hand mag 
das nur anderen Reiſenden zur Warnung dienen. 

Was nun den Präſidenten der Paeific-Dampf⸗ 
ſchiffslinie, Herrn Mac Lane, betraf, ſo reiſte 
derſelbe mit zwei Töchtern und zwei Dienerinnen, 
und hatte dafür in höͤchſt beſcheidener Weiſe die 
eine ganze Cajütenſeite des Dampfers in Be⸗ 
ſchlag genommen. Die Folge davon war, daß die 


ER 


wirklichen Paſſagiere, die ihr theures Geld für 
die Ueberfahrt bezahlten, auf der andern, und 


. zwar der Sonnenſeite, zuſammengedrängt und in 


die winzig kleinen Cajüten eingepfercht wurden. 
Und das nicht allein, ſelbſt der ganze und kühlſte 
Gangweg an der Backbordſeite des Dampfers 
war auf Befehl oder Wunſch des Präſidenten 
(denn der Capitän war ein Engländer, und ich 
möchte ihm dieſe Maßregel nicht gern zuſchrei— 
ben, oder war es doch Speichelleckerei?) abge— 
ſchloſſen, damit der hohe Herr nicht durch das 
zufällige Vorübergehen oder längere Aufhalten 
anderer Paſſagiere in feiner contemplativen Zu⸗ 
rückgezogenheit geſtört würde. 

Rede mir noch Einer von Hofſchranzen an 
europäiſchen oder anderen Höfen. Unter den 
amerikaniſchen Republikanern finden wir genau 
dieſelbe Schmach, und ein deutſcher Hausmar— 
ſchall oder Excellenz hätte nicht mit größerer 
Würde und Aufgeblaſenheit reiſen können, als 
dieſer Amerikaner. 

Uebrigens glaube ich nicht, daß er feiner Ge- 
ſellſchaft damit einen großen Nutzen geleiſtet, 
wenn es ihm ſelber auch bequem geweſen ſein 
mag, denn ſämmtliche Paſſagiere waren darüber 
entrüſtet, und viele Amerikaner und Amerika⸗ 


287 


niſch⸗Deutſche erklärten ganz offen, daß ſie von 
nun an mit der andern Linie reiſen würden. 

Die Boote find übrigens ſehr elegant einges 
richtet, nur zum größten Theil mit zu kleinen 
state rooms oder Cajüten, um dort ſo viel als 
möglich Paſſagiere einſtopfen zu können; — bei 
großer Hitze eine höchſt unangenehme und auch 
der Geſundheit ſchädliche Sache. 

Die Bedienung beſtand ſonderbarer Weiſe 
größtentheils aus Stock-Chineſen, von denen nur 
Einer ein klein wenig Engliſch verſtand. Wie 
ich hörte, war das die erſte Reiſe, die das Schiff 
mit den Söhnen des himmlischen Reiches machte; 
die ſechs weißen Stewards an Bord ſchienen 
aber nicht recht mit der Compagnieſchaft einver- 
ſtanden, denn wie verlautete, wollten fie, in Pa— 
nama angekommen, ſämmtlich kündigen, wenn 
die Chineſen nicht abgelohnt würden. Dieſe ver— 
derben ihnen jedenfalls den Preis. 

Ueber die Officiere des Bootes kann ich we— 
nig oder nichts ſagen; ſie hielten ſich ſo fern 
von allen Paſſagieren und ſo eingeknöpft in ihre 
Würde, daß ſie ſich nicht einmal zu einem Gruß 
an Deck herabließen und deshalb auch von uns 
vollſtändig ignorirt wurden. Es iſt dies das erſte 
und hoffentlich auch das letzte Mal geweſen, daß 


288 


ich eine Reiſe auf einem amerikaniſchen Dampfer 
gemacht habe, und ich lobe mir zu einer gemüth⸗ 
lichen Fahrt die deutſchen, engliſchen und fran⸗ 
zöſiſchen Linien. 

Nur ein paar Worte noch muß ich über die 
Paſſagiere ſagen, von denen in erſter und zwei— 
ter Cajüte die reichliche Hälfte aus Deutſchen 
beſtand, die ſich aber erſt im Verlaufe der Fahrt 
entpuppten und dann als oft ſehr traurige 
Exemplare zu Tage flatterten. Es waren, mit 
einigen, aber ſehr wenig Ausnahmen, ſogenannte 
amerikaniſirte Deutſche, die ſich vier oder fünf 
Jahre mit „Handel und Erwerb“ in Califor⸗ 
nien aufgehalten und nun merkwürdiger Weiſe 
ihre Mutterſprache verlernt hatten. Wenn ſie 
dann einmal Deutſch ſprachen, ſo geſchah es mit 
jener tollen Miſchung verderbter Wörter, und 
dazu kauten einige von ihnen Tabak, damit man 
ihnen ja nicht den Deutſchen anſehen ſollte. 

Viele von ihnen hatten, wie es ſchien, Geld 
verdient und gingen jetzt nach Deutſchland zu— 
rück, und dort verblüffen ſie nun in dem kleinen 
Dorfe, wo ſie daheim ſind, die Bauern durch 
unverſtändliche Redensarten und ärgern anſtän⸗ 
dige Hausfrauen durch ihr ewiges Spucken. 

Unter den Ladies der erſten Cajüte gab es 


289 
übrigens eben ſo „gemiſchte Geſellſchaft“, als 
unter den deutſchen Handelsleuten der zweiten. 
Selbſt in den wenigen Tagen an Bord kamen 
wunderliche Geſchichten zu Tage, denn San Fran⸗ 
cisco hat ebenſo ſeine chronique scandaleuse, 
wie jede andere große Stadt. Am meiſten aber 
amüſirte mich eine nicht mehr ganz junge Re— 
publikanerin, die jeden Tag wenigſtens einmal 
Staatsviſite in dem abgeſchloſſenen Theil des 
Herrn Präſidenten und bei deſſen Töchtern machte, 
dazu aber jedesmal erſt in ihre Cajüte hinab⸗ 
fuhr, ein ſchwarzes ſchweres ſeidenes Kleid an— 
zog und Concert-Toilette auf dem Kopf machte. 
Der Beſuch dauerte jedesmal etwa eine Viertel⸗ 
ſtunde, dann kam ſie wieder zurück, tauchte auf's 
Neue unter, warf den irdiſchen Tand ab und 
erſchien wieder, wie vorher, in ihrem einfachen 
Reiſekleid. Der Etiquette war dadurch volles 
Genüge geleiſtet. | 
Uebrigens hatten wir auch einige wirkliche 
Ladies an Bord, und unter dieſen beſonders ein 
liebenswürdiges junges Weſen, das aber einen 
böſen Krankheitskeim in ſeiner Bruſt trug. Sie 
war ſehr leidend, und es wirklich rührend, dabei 
zu ſehen, wie ſie ihr Gatte — keinenfalls ein 
Amerikaner — pflegte und über ihr wachte. Das 
Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. 19 


290 


junge Ehepaar kam von Japan zurück und ging 
nach den Vereinigten Staaten, um dort die Ge— 
ſundheit der jungen Frau wieder herzuſtellen. 
Gott gebe, daß es geſchieht! 

Am fünften Tage erreichten wir Panama, 
wo ich zurückblieb, während die übrigen Paſſa⸗ 
giere raſch über den Iſthmus auf den ihrer ſchon 
im Atlantiſchen Ocean harrenden Dampfer be— 
fördert wurden, und als der kleine Dampfer, 
der ſie an Land bringen ſollte, von Bord abfuhr, 
hätte ſich die eine Dame faſt verſäumt und zu⸗ 
rückbleiben müſſen, da ſie in dem unvermeidlichen 
ſchwarzen Kleid noch einen letzten Beſuch ge: 
macht und wahrſcheinlich mit dem Umkleiden nicht 
ſo raſch fertig geworden war. Wie ſchwer ſich 
doch manche Menſchen das Leben machen, und 
noch dazu auf ſo ungeſchickte Weiſe! 


10. 
Fin Abſtecher nach Scuador. 


Als ich diesmal nach Panama kam, geſchah 
es mit dem Wunſch, ſobald als irgend möglich 
den Iſthmus kreuzen zu können und Venezuela 
zu beſuchen. In Ecuador hatte ſich wahrſcheinlich 
wenig verändert, und ſchon halb auf dem Heim⸗ 


weg kam auch die Sehnſucht dazu, meine Reiſe 


von jetzt an ſoviel als möglich abzukürzen, um 
nach Deutſchland zurückzukehren. Wenn ich auch 
gerade noch keine Altersſchwäche ſpüre, finde ich 
doch nicht mehr wie früher wirkliche Freude an 
Strapazen und Entbehrungen, und da ich doch 


wußte, daß mir deren noch genug in Venezuela 
bevorſtanden, mochte ich ſie nicht eben muthwil⸗ 


liger Weiſe vermehren. 


Da fand ich in Panama einen Brief von der 
19 * 


292 
Ecuador⸗Land⸗Compagnie, mit dem Wunſch darin, 
daß ich den Pailon beſuchen und ihnen Bericht 
über den jetzigen Stand der Dinge dort geben 
möchte, und wie ich mir die Sache überlegte, er— 
wachte auf einmal auch die Sehnſucht wieder 
nach dem alten Pailon, an dem ich damals, allein 
und wie verlaſſen, ſo lange Monate zugebracht. 
Jetzt bot ſich die Gelegenheit — ich war nur 
eine verhältnißmäßig ganz kurze Strecke von ihm 
entfernt und ſchon im Stillen Meer — was hin 
derte mich, noch einmal mein Canoe über die 
ſtille Bai zu lenken und dem tiefen Orgelton 
der ſingenden Fiſche oder dem eintönigen hop! 
hop! hop! hop! der weißen Fröſche zu lauſchen? 
Wie ein Märchen aus der Jugendzeit ſtiegen die 
alten Erinnerungen friſch in mir empor, und 
da es ſich auch glücklich mit der Abfahrt des 
kleinen Dampfers traf, der nur einmal im Mo⸗ 
nat dieſe Richtung fährt und deſſen Abreiſe auf 
den nächſten Tag angezeigt ſtand, ſo fand ich 
mich ſchon am nächſten Tag wieder an Bord, 
und ſtatt dem Atlantiſchen Ocean entgegen, dampfte 
ich luſtig auf's Neue in das Stille Meer hinaus. 

Wunderliches Leben, das ich faſt, ſo lange ich 
denken kann, in der Welt geführt! 
Der kleine Dampfer, der jetzt — früher war 


293 


es die „Anna“ — zwiſchen Panama und Guajaquil 
läuft, heißt „Talca,“ Capitän Chambres, und 
könnte eigentlich ein wenig ſchneller ſein. Uebrigens 
genügt er vollkommen für dieſen Dienſt — ſo⸗ 
weit es wenigſtens die Compagnie betrifft, denn 
er iſt im Stand eine bedeutende Quantität Fracht 
einzunehmen und hat auch Raum für viele Paſ⸗ 
ſagiere. Er läuft von Panama aus Buenaven⸗ 
tura, Tumaco, Esmeraldas und noch einige an⸗ 
dere kleine Häfen bis Guajaquil an und macht 
jeden Monat nur eine Reiſe hin und zurück. 

Uebrigens fühlte ich mich hier an Bord tau⸗ 
ſendmal behaglicher, als an Bord des amerika⸗ 
niſchen Dampfers, mit dem ich von Acapulco her- 
abgekommen. Capitän wie Officiere dieſes eng⸗ 
liſchen Schiffes, lauter Engländer oder Deutſche, 
waren prächtige Leute, und die wenigen Tage 
vergingen mir ſo raſch, daß ich kaum wußte, wo 
ſie hingekommen. 

Ich hatte Paſſage nach Tumaco genommen, 
um von da aus in einem Canoe nach dem Pai⸗ 
lon hinüberzufahren, und der erſte Platz, an dem 
wir anlegten, war Buenaventura. 

Sieben Jahre waren vergangen, ſeitdem ich 
das Neſt nicht geſehen, aber es mußte die ſieben 
Jahre im Schlaf gelegen haben, denn es ſah noch 


294 
genau ſo ſchmutzig und erbärmlich aus, wie vor 
jener Zeit. Doch heimelte es mich faſt an, als 


ich die „Pfahlbauten“ wieder ſah und meines 


eigenen kleinen Hauſes am Pailon gedachte. Und 
kehrte ich denn wirklich jetzt zu dem zurück? 
Träumte ich nicht die ganze Geſchichte, und ſollte 
ich jenen Theil der Welt, von dem ich damals 
für immer Abſchied genommen, wirklich in we— 
nigen Tagen wiederſehen? Es war mir wie 
ein Traum, und ich kam eigentlich erſt wieder 
in Buenaventura recht zu mir, als es wie mit 
Kübeln zu ſchütten begann und ich in eins der 
Häuſer ſelber flüchten mußte. Ja, das war 
Wirklichkeit — ſo konnte es nur in dieſem 
Theil der Erde regnen, und ich war froh, als 
ich bald darauf Gelegenheit bekam, in einem Boot 
des Dampfers wieder an Bord deſſelben zurück- 
kehren zu können. 

Uebrigens hat dieſes ganz elende Neſt, das 


ausſieht wie ein gewöhnliches Fiſcherdorf, einen 


höchſt bedeutenden Handel mit dem Innern, und 
viele Hundert Ballen und Kiſten mit Waaren 
wurden hier, für den Innern-Verkehr beſonders, 
ausgeladen, während wir auf dem Rückweg an 
demſelben Platz etwa zwölfhundert Ballen mit 
Chinarinde an Bord bekamen. Außerdem fahren 


— 


295 


noch eine Menge kleinerer Segelfahrzeuge, Schoo⸗ 
ner und Briggs, an der Küſte auf und ab, und 
es herrſcht dort ein nicht unbedeutender Verkehr. 

Die Lage des Ortes iſt eine ſehr geſchickt ge— 
wählte und vortreffliche, an der Mündung eines 
ſchiffbaren Fluſſes, dicht am Meer und auf er: 


höhtem Land. Die freundlichſten Villen ließen 


ſich dort bauen, denn auch das Klima iſt kühl 
und angenehm, und von jedem Mittag an weht 
den halben Tag und die ganze Nacht eine friſche 
und erquickende Briſe; aber ändere einmal ein 
Menſch dieſes Volk. Nicht eine Cocospalme 
ſteht am ganzen Strand, keine Banane, kein 
Fruchtbaum. Was ſie an Früchten haben, be- 
kommen ſie den Fluß herab oder von Tumaco, 
und in den erbärmlichſten ſchmutzigſten Hütten 
wohnen dieſelben Menſchen, die ſich mit leichter 
Mühe und faſt keiner Arbeit dort ein kleines 
Paradies ſchaffen könnten. | 

Viel mögen freilich auch die verſchiedenen 
Kriege und Revolutionen dazu beitragen, daß 
ſich das Land ſo ſchwerfällig vorwärts bringt, 
aber auch ſelbſt in ruhigerer Zeit würde es ſich 
nicht emporraffen. Es fehlt ihm die Energie 
des Nordens, und der Süd-Amerikaner verküm⸗ 
mert lieber in Schmutz und Elend, ehe er eine 


2096 


Arbeit vornähme, die ihn nicht gerade auf den 


. Nägeln brennt und nur möglicher Weiſe aufge- 


ſchoben werden kann. 

Dien vierten Tag endlich ee e wir die 
kleine Frucht⸗Inſel Tumaco, die ich früher keine 
Zeit gehabt genauer kennen zu lernen Von 


bier aus mußte ich mir jetzt ein Canoe miethen, 


um nach dem Pailon hinüberzufahren. 

Tumaco an ſich iſt kein bedeutender, aber ein 
reizender kleiner Ort, auf einer kleinen, flachen 
Inſel im Mirafluß, an der unmittelbaren Grenze 


zwiſchen Ecuador und Neu⸗Granada gebaut, und 


ſchon durch den ſandigen, aber von Fruchtbäumen 
bedeckten Boden reinlicher als irgend eine andere 
Stadt an dieſer Küſte. 

Ihr Anblick iſt außerordentlich maleriſch, denn 
wenn auch im Ganzen flach, ſteigt doch an der 
dem Meere zuliegenden Spitze ein kleiner Hügel, 
el morro genannt, empor und von hier aus ſchon 
wiegen die herrlichſten Cocospalmen ihre Feder— 
wipfel dem Fremden entgegen, während das 
Auge überall, wohin es fällt, auf breitblätterige 
Bananen oder das dunkle Laub der Mangos wie 
anderer Fruchtbäume trifft. 

Das klingt nun allerdings Alles ſehr roman⸗ 
tiſch und ſieht auch in der That ſo aus — wenn 


297 


man ſich nur ein klein wenig davon entfernt hält, 
— rückt man der Sache aber etwas näher auf 
den Leib, ſo findet man in dieſen Häuſern den⸗ 
ſelben Schmutz, dieſelbe Armuth wie in allen 
anderen, und wo ſich die Phantaſie junge, blü— 
hende Indianer malte, die friedlich und glücklich 
unter ihren Palmen leben, zeigt uns die immer 
und ewig mit der Poeſie im Streit lebende 
Wirklichkeit einen Haufen ſchmutziger Negerfami⸗ 
lien, — die alten Damen ewig in Streit und 
Hader mit einander, und Kinder dabei — ich 
gehe gleich zum Früh ſtück und möchte mir den 
Appetit nicht gern auch nur mit ihrer Beſchrei— 
bung verderben. 

Wie allenthalben an der Küste haben aber 
in der That die Neger in wirklich bedrohlicher 
Weiſe überhand genommen. Vor ſieben Jahren 
noch gab es dort allerdings ſchon viele Neger, 
aber unter der eigentlichen Miſchlingsrace der 
Meſtizen oder von Weißen und Indianern Ab— 
ſtammenden ſtanden ſie doch immer noch verein- 
zelt da. Jetzt dagegen bilden fie in entſchieden⸗ 
ſter Weiſe die Mehrzahl, und wohin man ſieht, 
begegnen Einem die unangenehmen ſchwarzen oder 
braunen Geſichter mit den unvermeidlich ſchwar— 

zen Wollköpfen. 


298 


Abkömmlinge von Indianern ſieht man hier 


nur noch ſelten, und dann auch meiſt nur eine 
andere Race vorbereitend — mit Negern oder 


Mulatten verheirathet. 

Ich befrug einige der dort Anſäſſigen darüber, 
dieſe verſicherten mich aber: das Nämliche ſei im 
ganzen Land der Fall. Die Neger breiteten ſich 
nach allen Richtungen hin mehr und mehr aus, 
und in zwanzig Jahren, wenn das ſo fortginge, 
würden wohl wenig Spuren von reiner indiani— 
ſcher Abſtammung noch im Lande zu finden ſein. 

Sonderbar, daß gerade das Gegentheil in den 
Vereinigten Staaten von Nordamerika der Fall 
iſt und man allgemein dort behauptet, daß die 
Neger im Ausſterben wären. Iſt es dort der zu 
raſche und plötzliche Uebergang von Sclaverei zur 
Freiheit, das vollſtändig veränderte Leben, das 
in ſeiner Unbeſchränktheit auch wohl Viele zu 
Extravaganzen trieb; iſt es hier das nicht zu heiße, 
feuchte Klima, das ihrer Conſtitution vielleicht 
beſonders zuſagt — aber die Thatſache läßt ſich 
weder leugnen noch abſtreiten, daß die Neger in 
dieſem Lande mehr und mehr an Zahl wachſen 
und in gar nicht zu langer Zeit wohl, wenn 


nicht ein anderer Stamm, eine andere Race dem 


Leben hier eine Wendung zum Beſſern giebt, 


299 


das vollkommene Uebergewicht erlangt haben 


werden. Von ihnen iſt aber eine Beſſerung der b 


Zuſtände nun und nimmer zu hoffen. Sie wer⸗ 
den genügend arbeiten, um ſich am Leben zu er⸗ 
halten und einen mehr und mehr unter ihnen 


aufſteigenden Luxus zu beſchaffen, mehr aber auch 


nicht. An irgend eine Verbeſſerung des Landes, 
an ein Fortſchreiten in Handel und Gewerbe iſt 
unter ihrer Leitung nicht zu denken, und nur eine 
gewaltſame Befreiung von ihrer Herrſchaft wäre 
dann möglich. 

Das aber iſt der Fluch, den die erſten Ent⸗ 
decker und Eroberer dieſes Landes geſäet haben 
und den ihre Nachkommen jetzt ernten müſſen. 


Als jener erbärmliche Räuber Pizarro, der keine 


einzige gute Eigenſchaft beſaß, als perſönlichen 
Muth, und den mit jedem andern Gauner eben⸗ 
falls theilt, mit Hilfe goldgieriger Pfaffen die 
Eingeborenen faſt ausgerottet hatte und es in 
dem neuen Land an Arbeitern fehlte, da wurden 
ſpäter von der afrikaniſchen Küſte, um das edle, 
in Amerika begonnene Werk zu krönen, ſchwarze 
Menſchen geſtohlen und zu Sclaven gemacht, und 
man glaubte nur Vortheil zu gewinnen, je mehr 
von ihnen man rauben und der neuen Erde 
einverleiben könne. Die Nachkommen müſſen 


jetzt unter den Folgen büßen, denn das unna⸗ 


AKürliche Verhältniß der Sclaverei konnte nicht 


unter der fortſchreitenden Cultur beſtehen. Der 
Nutzen, den die Länder alſo damals durch die 
gezwungene Arbeit der Sclaven hatten und wegen 
deſſen ſie ſich die Nähe der widerlichen Race 
gefallen ließen — dieſer Nutzen ſchwand mit 
der Freiheit der Neger, aber das Volk ſelber 
blieb ihnen auf dem Hals und iſt jetzt nicht 
mehr auszurotten oder zu vertreiben, ja es wächſt 
und wächſt und wir wiſſen noch nicht einmal, 
wie uns in ſpäterer Zeit die Urenkel deſſelben 
heimzahlen werden, was unſere Urväter an den 
ihrigen verübt. Die Folgen dieſer gewaltſamen 
und unnatürlichen Racenüberſiedelung ſind nicht 
abzuſehen, und wenn auch das amerikaniſche 
Volk ſtark und kräftig genug iſt, ihnen die Stirn 
zu bieten, die hieſige Menſchenrace hat nicht 
ſolche Energie und wird nach und nach voll— 
kommen untergehen. 

Komiſch iſt übrigens, daß die Neger mit 
Stolz auf die hieſigen, ihnen in jeder Hinſicht 
überlegenen Indianer hinblicken. Als ich ſpäter 
in meinem Canoe, in dem ich einen Neger zum 
Piloten hatte, den Mirafluß hinabfuhr, begeg— 
neten wir einem Canoe mit halbnackten, braunen 


301 


Menſchen, die ich für Indianer hielt. Ich frug 


meinen Burſchen, ob es Cayapas wären, worauf 1 


dieſer ſehr ſtolz erwiderte: „Nein, es ſind buen 
gentes.“ — „Nun?“ entgegnete ich ihm, „ſind 
die Cayapas etwa nicht buen gentes?“ — und 
es giebt in der That kaum einen anſtändigeren, 
ehrlicheren und fleißigeren, ja ſogar intelligen⸗ 
teren Indianerſtamm, als dieſe Wilden. Der 
Neger aber, mit einem Geſicht, deſſen ſich ein 
Affe geſchämt haben müßte, dabei ein ekelhafter 
Schwadroneur und faul wie drei Rentiers, ſagte 
mit dem Ausdruck größter Verachtung: „Son 
Indios!“ — und ich hätte ihm eins mit dem 
Ruder über den dicken Schädel geben mögen. 
„Son Indios!“ Es iſt zum Verzweifeln, wenn 
man ſo etwas mit anhören muß, aber trotzdem 
iſt es Thatſache, daß ſich die Neger für eine bes 
vorzugte Klaſſe halten. Ob ſie das aber ſind, 
mögen ſie jetzt zeigen, denn in den Vereinigten 
Staaten wurde ihnen, in einem gemäßigten 
Klima und unter den nur denkbar günſtigſten 
Verhältniſſen, die volle Gelegenheit geboten, 
alle ihre Fähigkeiten vollſtändig zu entwickeln. 
Machen ſie von dieſer Gelegenheit keinen Ge⸗ 
brauch, ſondern glauben ſie, daß man ſie dort 
nur dulden wird, um ſich ſelber am Leben zu 


302 


erhalten, dann könnte es geſchehen, daß in nicht 


a ferner Zeit ein furchtbarer Vernichtungskrieg 


gegen ſie entbrennen könnte, der dann das Ende 
der Race ſo blutig und ungerecht herbeiführte, 
wie es begonnen. 

Zeigen ſie aber, was ihnen von vielen Seiten 
noch beſtritten wird, daß ſie wirklich vorragende 
geiſtige Fähigkeiten beſitzen und im Stande ſind, 
ſich aus dem Schlamm hervorzuarbeiten, in dem 
ſie bis jetzt gelebt, dann haben ſie eine Exiſtenz 
vor ſich, und ſelbſt das Aeußerliche der Race, 
das jetzt allerdings nur zu häufig dem Affen 
gleichkommt, wird ſich veredlen. Iſt doch dieſer 
thieriſche Ausdruck ihnen wohl ſchwerlich von 
der Natur gegeben, ſondern eben nur erſt durch 
ſpätere Leidenſchaften den Geſichtern eingeprägt 
worden, was genau ſo mit unſerer eigenen Race 
der Fall iſt. Ein boshafter Menſch iſt nicht 
deshalb boshaft, weil er ein boshaftes Geſicht 
hat, ſondern er bekam dieſen häßlichen Ausdruck 
in ſeinem Geſicht erſt in den Jahren, in denen 
ſich ſein Charakter völlig entwickelte. Als Knabe 


hatte er vielleicht offene und ehrliche Züge, noch 


mit keinem Groll gegen die Menſchheit im Herzen. 
So finden wir auch ſelbſt unter den Schwar— 
zen eine Menge von Menſchen, die wirklich in⸗ 


303 


telligente Züge haben, und daß die Maſſe der 


unglücklichen Sclaven, unter gewaltſam verhin- 


derter Bildung aufgewachſen, wie das liebe Vieh 
in den Tag hinein leben mußte, konnte ihnen 
natürlich keinen klugen und geiſtreichen Aus⸗ 


druck geben — jede Phyſiognomik wäre ja ſonſt es, 


eine Lüge. | 

Doch ich komme ganz von meiner Fahrt nach 
dem Pailon durch die Neger ab, die aber doch 
dazu beſtimmt waren, mich hinüber zu bringen. 


Ich nahm mir nämlich in Tumaco, wo ich ne 


türlich nicht länger als nöthig bleiben wollte, 
zwei Neger, miethete ein Canoe und wollte am 
nächſten Morgen abfahren, um den Pailon ſo 
raſch als möglich zu erreichen. Die Leute ver— 
ſprachen auch, Alles zur rechten Zeit bereit zu 
halten, aber man muß dieſes ſüdamerikaniſche 
Volk kennen — denn die Neger ſind darin nicht 
um die Spur ſchlechter als alle Uebrigen — um zu 
wiſſen, daß man nie darauf gehen kann, was 
Einem ein Südamerikaner verſpricht. Er hat 


vielleicht die Abſicht, es zu halten — quien sabe! 0 


— aber ſo viel iſt ſicher, daß er ſchon in der 
nächſten Viertelſtunde gar nicht mehr daran 
denkt und mit der größten Gemüthsruhe — 
wenn zur Rede geſtellt — eingeſteht, daß er es 


| 304 


eben vergeſſen hätte oder daß es nicht gut ge⸗ 
gangen wäre. | 

Anfangs habe ich mich über ein ſolch' nichts⸗ 
würdig wortbrüchiges Weſen ſchändlich geärgert, 
zuletzt iſt mir aber doch auch eingefallen, daß 
jede Sache ihre zwei Seiten habe, und bequem 
wäre es jedenfalls, wenn man das Nämliche bei 
uns in Europa einführen könnte. Man bekommt 
eine langweilige mündliche Einladung von einem 
„Freund“ zu einem großen Diner oder gar thé 
dansant. Man mag die Sache nicht abſchlagen, 
ſo ungern man geht, aber der Mann könnte ſich 
auch beleidigt fühlen und man will ihm nicht 
gern weh thun. Man ſagt alſo zu, geht am 
nächſten Tag hin, langweilt ſich wie ein Mops 
im Tiſchkaſten und hat außerdem den ganzen 
Tag zu ſeiner Arbeit oder ſonſtigen nützlichen 
Dingen gründlich verloren. Wie anders wäre 
das nun nach hieſigen ecuadoriſchen Begriffen. 
Man wird eingeladen. — „Ja wohl, lieber 
beſter Freund, mit dem größten Vergnügen, um 
wie viel Uhr?“ — „Um acht Uhr, wenn ich 
bitten darf, aber ja nicht ſpäter.“ — „Sehr 
ſchön.“ Damit iſt die Sache vollkommen abge— 
macht. Man denkt gar nicht daran hinzugehen, 
wenn man nicht ſelber Freude daran hat, und 


305 


der Einladende würde das Ausbleiben eben To 


natürlich finden. Es würde vielleicht ein halber 
Eimer heißes Waſſer und zwei Kaffeelöffel voll 
Thee umſonſt verſchwendet — das iſt das ganze 
angerichtete Unglück des Abends. 

Um aber auf meine beiden Neger zurückzu⸗ 
kommen, ſo war ich nicht geſonnen, ſie über eine 
ganze Fluth hinauszulaſſen; der Eine hatte ſich 
einen Rauſch angetrunken, der Andere war noch 
nüchtern; wenn ich den jetzt ſich ſelber überließ, 
betrank er ſich vielleicht auch, und das Beſte 
war, ich packte ſie augenblicklich zuſammen und 
in's Canoe. Der Alte ſträubte ſich allerdings — 
der Eſtero, durch den wir paſſiren mußten, war 
jetzt seco oder trocken — was that das? wir 
konnten dort genau ſo gut auf Hochwaſſer 
warten, wie hier — ich ließ eben nicht nach und 
bekam meine Leute endlich wirklich in das Canoe 
hinein und unterwegs. 

Es iſt das ein ganz eigenthümlicher Weg, 
dieſe Bahn, die man ſich durch das Innere, theils 
durch den Mirafluß, theils durch die Bayous, 
theils am Meeresufer hin für kurze Strecke und 
innerhalb der außenliegenden Brandung ſucht. 
Bald iſt man dabei von Ebbe und Fluth ab⸗ 
hängig, bald arbeitet man ſich einen Ausfluß 

Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. 20 


306 


des Mira hinauf, bald ſchießt man den Haupt- 
ſtrom hinab, und im Ganzen bleibt es immer 
eine ſehr intereſſante, wenn auch etwas lang: 
wierige Fahrt. Meine beiden Neger wußten 
aber ſchon ganz genau, wie ſie ſich das Leben 
angenehm machen konnten. Wenn ich ſie zwang, 
ihren Contract einzuhalten, jo hatte ich ſie da— 
mit allerdings von Tumaco weggebracht und am 
weiteren Trinken verhindert, ſchneller kam ich 
aber deshalb wohl kaum von der Stelle, denn 
wir mußten richtig vier Stunden in dem ſeichten 


Eſtero auf die Fluth warten und wurden erſt 


kurz vor Dunkelwerden wieder flott. Die Leute 
aber erklärten, in der Nacht durch die gefähr- 
lichen und oft labyrinthähnlichen Manglaren 
ihren Weg nicht finden zu können. Sie bogen 
auch bald links ein, wo mehrere auf Pfähle 
gebaute Hütten zwiſchen prächtigen Cocospalmen 
ſtanden, und kaum eine Viertelſtunde ſpäter hing 
meine Hängematte mitten in einer Negerfamilie, 
deren Bewohner außerordentlich erfreut ſchienen, 


meine beiden Peons zu ſehen, und ſich die be⸗ 


treffenden Neuigkeiten mit Stimmen zuſchrieen, 
die einen gewöhnlichen Menſchen hätten taub 
machen können. Ich war aber ſchon ungewöhnlich 


müde geworden, denn meine beiden Strolche 


307 


hatten ſich den ganzen Tag über meinen Kopf 
hinweg die langweiligſten und fadeſten Geſchich⸗ 
ten zugeſchrieen, und indem ich Alles ruhig über 
mich ergehen ließ, ſchlief ich endlich ein. 

Am nächſten Morgen mit ausgehender Ebbe 
ſchifften wir uns wieder ein, und es war gut, 
daß ich mir in Tumaco 995 Lebensmittel mit⸗ 
genommen, denn wenn ich hätte von dem Volk, 
in den Hütten meine Mahlzeiten eſſen ſollen, 
ſo wäre ich vor Ekel verhungert. So konnte 
ich es ganz gut aushalten. Unter dem Rancho 
oder Blätterdach, das ich mir im Canoe hatte 
aufbauen laſſen, ausgeſtreckt, lag ich mit meinen 
Sachen ſowohl gegen Regen wie Sonnenſchein 
geſchützt und konnte leſen oder ſchlafen — was 
mich freute. Die Scenerie bot hier auch nicht 
viel Intereſſantes, denn zum großen Theil drück— 
ten wir uns noch an der äußeren Küſte zwiſchen 
Sand und der Ausſicht auf das Meer hin, nur 
dann und wann in einen Eſtero eintauchend, um 
ein Stück Wegs abzuſchneiden und der rauhen 
See auswärts zu entgehen. Die Nacht blieben 
wir ebenfalls wieder bei einer Mulattenfamilie, 
in der die Frau jedoch einer Miſchlingsrace ent⸗ 
ſtammte und ziemlich weiß ausſah. Ueberhaupt 


wohnten in allen Häuſern, die wir am Ufer an⸗ 
20 


* 


308 
trafen, ſaßen in allen Canoes, denen wir unter: 
wegs begegneten, Neger, immer und immer Neger, 
oder wenigſtens ihre Abkömmlinge. 

Abends waren wir übrigens noch in den 
Hauptſtrom des Mira hineingekommen und ein 
Stück mit der raſchen Strömung thalab bis zur 
isla grande gelaufen, am nächſten Morgen aber 
mit Tagesgrauen wieder unterwegs, glitten ge— 
räuſchlos den Strom hinab, und ich muß ge— 
ſtehen, daß ich mich kaum ſatt ſehen konnte an 
den prachtvollen Ufern. 

So lange es noch dunkel war, gewährten ſie 
beſonders einen eigenthümlichen Anblick, denn da 
die üppige, ja überreiche Vegetation von beiden 
Seiten in den Strom hinein und bis auf die 
Oberfläche deſſelben niederhing, ſo ſah es genau 
ſo aus, als ob der hier noch ziemlich breite und 
mächtige Strom ſeine Ufer nicht allein überfluthet 
habe, ſondern bis in die Wipfel der daranſtehen⸗ 
den Bäume hineingetreten ſei und nun dazwiſchen 
hin ſeine wilde Bahn ſuche. Schwarz und dro— 
hend umhingen dabei den Himmel düſtere Wolken, 
und es war ein wirklich unheimliches Bild, indem 
unſer Canoe ſchattengleich dahinglitt. Von der 
eigentlichen Vegetation des Ufers war dabei faſt 
gar nichts zu erkennen, denn nur wie eine hohe, 


8 


309 


grüne, undurchdringliche Mauer ſtiegen die Bäume 
an beiden Seiten ſteil und düſter empor — aber 
das änderte ſich bald. 8 

Die Sonne ging auf — noch konnten wir 
ihre Strahlen nicht ſehen, denn von den Cor- 
dilleren wurden dieſe noch zurückgehalten, wäh— 
rend die über den hohen Gebirgen im Oſten 
lagernden Wolkenſchleier ebenfalls dazu dienten, 
den Tag zu verzögern — aber plötzlich brach ſie 
hindurch — die Nebel wichen und wie in den 
dissolving views ſprang raſch wie mit einem 
Schlag das ganze Bild aus düſterer Sturmnacht 
in das herrlichſte tropiſche Landſchaftsbild über, 
das ſich nur eben denken und träumen läßt. 

Nicht mehr auf einem ausgetretenen, zwiſchen 
den Wipfeln der erſtiegenen Bäume dahin gur⸗ 
gelnden Strom glitten wir hin, ſondern auf 
einem ſonnigen Waſſer, mit deſſen ſchimmernder 
Fluth die hineinhängenden Blüthen und äußerſten 
Spitzen der tauſend Blumenranken ſpielten, die 
ſich in ihm ſpiegelten. Und was für herrliche 
Bäume ſtanden am Ufer! Hier eine Gruppe von 
Laubholzbäumen, unter denen beſonders einer 
hervortrat, der mich mit ſeinen weißen aufrecht 
ſtehenden Blüthen und großen langen Blättern 
lebhaft an unſere blühenden Kaſtanien erinnerte. 


310 
Rothe und gelbe Lianen wiegten dabei herüber 
und hinüber, und Kolibris und Schmetterlinge 
gaukelten und zuckten darüber hin. Jetzt glitten 
wir daran vorbei und erreichten ſchon im näch- 


ſten Moment eine lange, mit wildem, hochauf— 
geſchoſſenem Rohr bewachſene Fläche, aus dem 


Et heraus ſich prachtvolle Palmen hoben. Und dort 


drüben jene zierlichen federartigen Büſche, die 
oft ſelbſt die Waldbäume überragten. Es war 
Bambus, dieſes nützlichſte aller tropiſchen Ge— 
wächſe, der ſeine langen Ruthen in der Morgen- 
briſe ſchaukelte, während die feinen Blätter er- 
zitterten und in den jungen Sonnenſtrahlen 
ordentlich blitzten und funkelten. 

Und jetzt wieder ein anderes Bild — dunkel- 
laubige Brotfruchtbäume mit ihren wunderlich 
geformten Blättern hoben ſich wie ein Wald 
empor, dann ſchloß ſich eine kleine Plantage mit 
Cocospalmen, Bananen und Zuckerrohr daran 
an. An der Landung lagen ein paar hübſch ge— 
arbeitete Canoes, Hunde bellten, Hähne krähten, 
und über die niedere Bambuswand des Wohn— 
gebäudes lehnten ein paar behäbige, aber pech— 
ſchwarze Geſichter mit Wollperrücken und ſchrieen 
meinen Leuten ihren fröhlichen Morgengruß 
herüber. 


3141 | 


Und wieder daran hin ſchoß das Canoe — 
ein wildes Gewirr von hochaufgeſchoſſenem Zucker⸗ 
rohr, Bambus und wilden Bananen begrenzte 
den Platz — es war eine frühere Plantage, die, 
von dem Beſitzer vernachläſſigt, in ihren früheren 
Zuſtand, den Urwald, zurückkehrte und den Ueber— 
gang nun erſt noch durch die verwilderten und 
ſchon unbrauchbaren Nutzpflanzen bildete. | 

Weiterhin wieder Ranken und Laubholz und 
dicht am Ufer zierliche Farrnpalmen, die ihre 
wirklich reizenden Wipfel über den Strom ſchüt— 
telten. Bis dahin hatte ich auch geglaubt, daß 
die Farrnpalme unter den Tropen ſtets eine be= 
ſtimmte Höhe verlange, und meiner Meinung 
nach 2—3000 Fuß brauche, um einen richtigen 
Stamm zu treiben. Wir befanden uns hier 
aber kaum aus dem Bereich der Ebbe und Fluth, 
und doch ſah ich Farrnpalmen mit einem Stamm 
von wenigſtens 6—8 Fuß Höhe. 

Endlich erreichten wir die Mündung des 
Mira — die boca grande, mit einem kleinen er⸗ 
bärmlichen Fiſcherdorf daran, hielten uns aber 
dort nicht auf, ſondern über den Strom hinüber 
wieder innerhalb der außen tobenden Brandungs⸗ 
wellen, die aber doch ihre Schwellungen und 


19 


Wogen bis hier hereinwarfen und uns tüchtig 
hin⸗ und herſchaukelten. 

Von da ab mußten wir uns wieder durch die 
Eſteros halten, in denen uns die Fluth manch— 
mal günſtig, manchmal ungünſtig war, ſo daß 
wir dann nur höchſt langſamen Fortgang machen 
konnten. Meine beiden ſchwarzen Burſchen über⸗ 
arbeiteten ſich ebenſowenig, ſondern ließen es 
langſam an ſich kommen, und als wir dann 
endlich in die Manglaren eindrangen und uns 
dem Pailon näherten, war es ſchon tiefe Nacht 
geworden. Hier übrigens war ich nicht geſonnen, 
noch einmal zu übernachten, außerdem hatte die 
Fluth gerade eingeſetzt, die uns, mit Ausnahme 
eines einzigen Eſteros, günſtig war, und weiter 
ruderten wir in die Nacht hinein. Ich kann 
mich aber kaum einer Zeit erinnern, daß mir 
ſo ſonderbar, ſo wunderlich zu Muthe geweſen 
wäre, als an dem Abend. War denn das Alles 
Wirklichkeit? Um mich her in den Manglaren 
ſchnalzten und raſchelten die Krabben und rauſchte 
das Waſſer durch die verſchlungenen Wurzeln, 
da drunten in der Fluth tönte wieder der eigen- 
thümliche, ſonſt nirgends gehörte Orgelton der 
„ſingenden Fiſche“, während drinnen — weit 


313 


drinnen im Walde die „verlorene Seele“ ihre 
klagende Weiſe ſang. 

Tauſende von Meilen hatten lange Jahre 
hindurch zwiſchen mir und dieſen Stellen ge- 
legen und nur in der Erinnerung die dort er— 
lebten Scenen fortbeſtanden, und jetzt — plöͤtzlich 
faſt, ſah ich mich wieder mitten hineinverſetzt in 
alles das, was ich kaum je geglaubt auf's Neue 
zu ſchauen, ſah ich mich wieder im vollen Bereich 
all' jener wunderlichen Landſchaften und Gruppen, 
und nicht möglich wäre es mir, zu beſchreiben, 
was ich dabei fühlte. 

Jetzt bogen wir in den Pailon ein 925 glitten 
langſam mit der Fluth in dem breiten, von 
Manglaren beſetzten Canal hinauf — höher und 
höher, bis er die Biegung rechts nach dem Lo— 
renzo machte; jetzt glänzten von dort aus den 
einzelnen Häuſern Lichter herauf, und nun bogen 
wir in dieſelbe Bucht ein, an der mein Haus, 
meine Palmen ſtanden — oder ſtehen ſollten. 

Wie fremd — wie wüſt das Alles ausſah! 
Draußen auf der Spitze der kleinen Landzunge, 
der ſogenannten Punta, ſtand ein unnatürlich 
hohes, aber durchſichtiges Gebäude und jedenfalls 
unbewohnt. Das war kein Haus eines Ein⸗ 
geborenen; was um des Himmels willen konnte 


344 


un es jein? Und wo war mein eigenes Haus? 


Wo waren meine Palmen? Der Platz lag öde 
und mit hohen Büſchen dicht überwachſen. 

Das Canoe glitt in die kleine Bucht jetzt mit 
höchſter Fluth hinein — dort ſtand noch ein altes 
Haus, das ich von früher kannte, und dort mußten 
wir jedenfalls übernachten und unſere Sachen 
in's Trockene bringen, da es eben wieder zu 
regnen anfing. Ich reichte die Gegenſtände aus 
dem Canoe, die Neger trugen ſie die Uferbank 
hinauf und in das Haus hinein, wo indeß die 
Leute ſchon alle ſchliefen und von uns gar keine 
weitere Notiz genommen wurde. Wir mochten 
uns droben für die Nacht ſo gut einrichten, wie 
wir eben konnten — die Eigenthümer des Hötels 
hatten nichts dagegen. 

Ich folgte zuletzt mit meiner Büchſe und 
meinem Bett (Hängematte und Poncho), kletterte 
den ſchlüpfrigen Hang hinauf, fand die Leiter, 
die am Hauſe lehnte, und fühlte oben auf den 
feuchten glatten Dielen aus geſpaltener und 
ſchwankender Palmenrinde nach einem Platz, wo— 
hin ich mich die Nacht legen konnte. In der 
Dunkelheit war es nämlich nicht möglich, eine 
paſſende Stelle für meine Hängematte zu finden, 
denn wohin ich griff, traf ich auf ausgeſpannte 


Tr RE LT VRRHETBE ARE 


315 : 


Toldos oder Mosquitonetze. Schönes Entrée in 
Pailon, faſt ähnlich dem meines erſten Betretens 
dieſer Ufer. Ein dunkler, beengter Raum, in 


dem ich des jetzt niederſtrömenden Regens wegen 


Schutz ſuchen mußte — überall, wohin ich tappte, 
feuchte, fremdartige Gegenſtände — auf den Bo⸗ 
den Schmutz, in der einen Ecke das Schreien 5 
irgend eines Kindes, das ich in meinem ganzen f 


Leben noch nicht geſehen, und dazu der peitſchende ; 


Regen auf das Dach nieder. Aber ich war gegen 
Derartiges, was einen andern Europäer vielleicht 
zur Verzweiflung getrieben hätte, ſchon lange ab— 
geſtumpft. 

Einen Platz zum Hinlegen konnte ich nicht 
einmal finden, denn der kleine, offengelaſſene 
Raum war noch durch unſere Sachen beſchränkt 
worden. Kurz entſchloſſen nahm ich deshalb auch, 
wo ich ſtand, meinen Poncho aus der Hänge— 
matte, wickelte mich hinein, drückte, ſo gut es 
gehen wollte, die zuſammengeballte Hängematte 
hinter mich und kauerte mich dann an derſelben 


Stelle, den Kopf gegen Gott weiß was gelehnt, 5 


nieder. 

Draußen heulte der Wind und der Regen 
ſchlug klatſchend auf die Palmenblätter des 
Daches nieder, unter dem Haus drängten ſich 


316 


ein paar Kühe zuſammen und geriethen dabei in 
ein altes Canoe, das dort faulte und über das 
ſie hinſtolperten, während die Hunde der Nach— 


c . barhäuſer bellten — im Hauſe ſchrie das unbe— 


kannte Kind und ſchnarchte irgend eine unbe— 
kannte Perſon, und die beiden Neger, die jetzt 
ebenfalls für ſich einen Schlafplatz finden woll⸗ 
ten und nicht wie ich den erſten beſten genommen 
hatten, auf dem ſie gerade ſtanden, traten und 


Bi: fielen ein paarmal über mich weg und wiſchten 


ihre Füße an mir ab. 

Plötzlich war Alles wie mit einem Schlage 
ſtill. Der Regen hörte ſo abgebrochen auf, wie 
er angefangen. Das Kind ſchrie nicht mehr, 
was den unbekannten Schnarcher jedenfalls halb 
erweckte, ſo daß auch er ſeine Muſik einſtellte. 
Die Kühe unten hatten das Haus verlaſſen — 
ſelbſt die Hunde ſchwiegen. Hop! hop! hop! — 

— hop! hop! hop! hop! — — hop! — hop! — 
klang es oben vom Dach des Hauſes nieder — 
es waren meine alten Freunde, oder vielleicht 
die Urenkel derſelben, die weißen, langbeinigen 
Fröſche des Pailon, die dort, nach vorübergegan— 
genem Regen, ihr gewöhnliches Abendlied ſangen, 
— und Sssssssssss — ſiehſt de — ſiehſt de 
— ſiehſt de — fielen die großen braunen Grillen 


317 
ein — ſiehſte — ſiehſte — ſiehſte — 989888888! 
— Und dann begannen die Hähne im ganzen 
Orte, die das von elf Uhr Abends an alle zwei 
Stunden regelmäßig beſorgen, zu krähen, die 
Hunde antworteten ihnen, und wie im Traum 
hörte ich nur noch von der Bai herüber den leiſen, 


eintönigen Orgelton der Fiſche und den heiſern 910 


Schrei eines Nachtvogels, der um den kleinen 
Ort herum nach der Bai hinausſtrich. Dann 
fielen mir die Augen zu und nur noch halb 
zwiſchen Schlaf und Wachen hörte ich das mono— 
tone hop, hop, hop, hop der Fröſche weiter. 

Als ich am andern Morgen erwachte, war es 
heller Tag, und mein erſter Blick von der Thür 
hinab galt der leeren Stelle, wo mein Haus ge= 
ſtanden. Es war unmittelbar daneben, wo wir 
uns jetzt befanden. Keine Spur davon war aber 
mehr zu erkennen — es mußte gewaltſam ab⸗ 
geriſſen ſein, oder die Pfoſten wären wenigſtens 
geblieben. Auch von den dort gepflanzten Palmen 
war nichts mehr zu ſehen, und an dem Platz nun 
wuchſen die prachtvollſten Rhododendrons mit 
den großen, röthlich weißen, gefüllten Blüthen⸗ 
vaſen und überwucherten ihn vollkommen. Dar⸗ 
über hinaus aber ſtand das hohe Gebäude, das 


mir ſchon geſtern Abend aufgefallen, und dar— Mi 4 


318 

unter — eine kleine Dampfmaſchine — die Säge⸗ 
mühle, die Herr Flemming hier herausgeführt. 
Aber das übrige Städtchen? Der ganze Ort 
ſchien verwandelt. Kein Haus ſtand mehr an 

der nämlichen Stelle, und Büſche und Sträucher 
waren überall dazwiſchen aufgewachſen, während 
eine Anzahl von Kühen und Hunden den Ober— 
befehl zu führen ſchienen. | 

Ich hatte mich jo auf San Lorenzo und die 
alten Plätze gefreut und ſah mich jetzt in einem 
vollkommen fremden Ort, wo nur das eine Haus, 
in dem ich mich gerade befand, das nämliche ge— 
blieben ſchien und auch noch ſeine alten Beſitzer, 


f die Familie Buſtos, hatte. Die Frauen kamen 


jetzt unter ihren Toldos vor — ſie kannten mich 
wieder und begrüßten mich freundlich — die Eine 
war die Frau deſſelben Mannes, von dem ich 
damals mein Haus gekauft, der Mann aber in— 
deß geſtorben. Wie ging es Miguel, den wir 
den Pater nannten? — Der iſt ſeit acht Monaten 
todt. — Biſhop, Sheene, Wille? — Todt. — 
Martinez? — Fortgezogen. — Die beiden Ame- 
rikaner? — Todt; ſie hatten ſich todt getrunken. 
— Manuel? — Fort. — Die Indianer? — 
Todt! — Wahrhaftig, mir verging die Luſt, 
weiter zu fragen, und ich beſchloß lieber ſelber 


319 


nachzuſehen, ob ich nicht vielleicht noch einige 
von meinen alten Bekannten auffinden könne. 
Was aber war aus meinem Haus geworden? — 
Oh, das hatte der Agent der Compagnie dem 
deutſchen Wille — einem Schuft erſten Ranges, 
oder einem Verrückten, wie ich eher glaube, denn 
er brachte feinen eigenen Vater um — überlaſſen; 
er behauptete, daß ihm die Sorge für daſſelbe 
übertragen ſei, und Wille hatte es dann dort hin⸗ 
über, wo es jetzt noch, aber ganz verändert ſtand, 
geſetzt. 9 

Und wie es ſonſt am Pailon ausſah? 

Schlecht — es war nichts zu eſſen da. Die 
Kühe hatten alle Platanares und Zuckerfelder 
zerſtört und die Fenzen dabei niedergeriſſen — 
kein Menſch baute ſie aber wieder auf, denn es 
half doch nichts. 

Und wie konnten ſie leben? 

Ja, das wußten ſie ſelber nicht, und ſie hätten 
auch große Luft, hier fortzuziehen — die Meiſten 
wären ſchon gegangen. Es ſtehe jetzt recht bos 
mit dem Pailon. 15 15 

Mitten in dem kleinen Ort ſtand ein ein⸗ 
zelnes Haus mit einem Garten, das ſich von 
den übrigen durch ſeine Höhe und beſſere Bau⸗ 
art, wenn auch aus dem nämlichen Material, 


320 

auszeichnete. Dort wohnte, wie mir die Leute 
ſagten, der Deutſche, „der die Maſchine herge— 
bracht“. — Dorthin ging ich jetzt, nachdem ich 
mich erſt an meiner alten Badeſtelle ordentlich 
abgewaſchen und gereinigt, und fand auch Herrn 
Flemming, deſſen Maſchine heute, als an einem 
Sonntag, nicht arbeitete, zu Hauſe. Er begrüßte 
mich auf das freundlichſte und lud mich augen— 
blicklich ein, in ſeinem Haus zu wohnen, was 
ich mit Dank annahm, da ich ja ſelber an die 
Luft geſetzt war und lieber im Walde, als bei 
den Eingeborenen geſchlafen oder gegeſſen hätte. 
Dort konnten wir auch die jetzigen Verhältniſſe 
des Pailon ruhig beſprechen und von dort aus 
die verſchiedenen Leute aufſuchen, bei denen ich 
außerdem Erkundigungen einziehen wollte. 

Herr Flemming hat ſeine junge Frau mit an 
den Pailon gebracht — jedenfalls ein etwas ges 
wagtes Unternehmen, wo die Verhältniſſe noch 
ſo im Urzuſtand liegen, daß ein engliſcher Matroſe 
ſämmtliche Taufen beſorgt und keine einzige 
Dame auf Hunderte von Meilen in der Nähe 
iſt, mit der ſie eine Anſprache haben könnte 
Ebenſo fehlt es an einem Arzt wie einer Apo- 
theke, und in der That hat ſich der Pailon, ſeit 
ich ihn im Jahre 1860 beſuchte, nicht allein nicht 


ne A a K - DE RT TE a ee ET Er ET FE, ws 
1 r 55 58 4 1 IR 


321 


verbeſſert, ſondern, mit Ausnahme der Säge⸗ 
mühle und eines kleinen Ladens, wirklich ver⸗ 
ſchlechtert — ja, verſchlechtert im ſchlimmſten 


Sinne, wenn ich die Bewohner des Ortes ſelber 


anſehe. Früher wohnte nur ein Neger hier, 


ein gewiſſer Pablo, ein richtiger Lump, der 


ſpäter in Concepcion geſtorben iſt; die übrigen 
Familien beſtanden theils aus Ecuadorianern, 
theils aus Indianern, eine gemiſchte Race, und 
während des Krieges in Neu-Granada hatten ſich 
auch noch einige anſtändige Neugranadienſer hier- 
her geflüchtet — und was war jetzt das Reſultat 
eines flüchtigen Cenſus? Zwei gebildete Leute: 
der Deutſche und ein Ecuadorianer, Namens 
Flores, der Sohn des berühmten Generals — 
außerdem zwei engliſche Matroſen, die eine Fa⸗ 
milie Buſtos und eine andere Buſtamente als Halb⸗ 


Indianer, und alles Uebrige Neger, Neger, Neger, u 


oder ihre Abkömmlinge und Seitenracen. Sämmt⸗ 
liche Familien dabei, die deutſche ausgenommen, 
in wilder Ehe, und weshalb das Alles? — Weil 
— vielleicht durch ein unglückſeliges Zuſammen⸗ 
treffen von Umſtänden — vielleicht durch die 
concurrirende Langſamkeit der Compagnie wie 
der Ecuadorianer ſelber — der Weg in das In⸗ 


nere, der dem Platz allein Leben verleihen kann 
Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. 21 


322 


und muß, noch nicht in Angriff genommen, oder 
wenn ſo, nach kurzer Zeit unvollendet gelaſſen 


wurde. 


Noch iſt die Möglichkeit da, das Alles zu 
verbeſſern — bis jetzt iſt nur Zeit und weiter 
nichts verloren, und wenn auch die verſäumten 


Jahre nicht wieder eingebracht werden können, ſo 


wäre man doch im Stande, heute noch ebenſo zu 
beginnen, wie damals, als ich den Pailon ver- 
ließ, aber — es muß eben etwas geſchehen, und 
ich hoffe von Herzen, daß meine Anweſenheit am 
Pailon von guten und ſegensreichen Folgen für 


den kleinen, einſt ſo reizenden Ort, ſein mag. 


Es iſt wirklich einer der hübſcheſten und ge— 
fündeſten Punkte an der ganzen Küſte. Von 
Hitze haben die Bewohner deſſelben wenig oder 


gar nicht zu leiden, ja die Nächte ſind ſogar ſo 


kühl, daß man ſich feſt in ſeine Decke ein— 
wickeln muß — Ungeziefer giebt es ſehr wenig 
— ich habe die ganze Zeit ohne Mosquito-Netz 
geſchlafen und bin nie beläſtigt worden, und 
Nachmittags wie Nachts beſtreicht eine friſche 
Briſe das ganze Ufer. Es regnet viel, das iſt 
richtig, und Mangrove-Sümpfe dehnen ſich nach 
wenigſtens drei Seiten aus, aber der Regen hat 
in dem warmen Klima nicht das Unangenehme, 


323 


das er bei uns hat, und die Mangrove-Sümpfe 
dünſten keine giftigen Schwaden aus, weil ſie 
alle zwölf Stunden vollſtändig von der See friſch 
abgewaſchen und damit auch gründlich gereinigt 
werden. Böſe Krankheiten ſind deshalb bis jetzt 
auch noch gar nicht hier vorgekommen. Das Land 
kann dabei Alles produciren, was man ihm an⸗ 
vertraut, von den edelſten tropiſchen Gewächſen an 
der Küſte bis zu unſeren nordiſchen Feld- und Hül⸗ 
ſenfrüchten in den ſüdöſtlich und öſtlich gelegenen 
Regionen. Der Cacao und die Vanille wachſen 
wild und können alſo mit der bleichteſten Mühe 
auch gezogen werden, der Kaffee ſelbſt gedeiht 
vortrefflich, ſogar im tiefen Lande, und ein Mann, 
Namens Nahar, will jetzt eine größere Kaffee- 
plantage im Innern anlegen. Gummi elaſticum⸗ 
Bäume, und andere, die ein für die Mediein 
werthvolles Harz geben, wachſen im Wald in 
ſolcher Maſſe, daß man das Quintal (100 Pfund) 
deſſelben zu einem ſpottbilligen Preis bekommen 
kann. Der edle Chinabaum findet ſich ebenfalls, 
wenn auch hier nicht ſo häufig, doch ſteht ſeiner 
Vervielfältigung nichts im Wege. Zuckerrohr 
verlangt faſt keine Pflege, deutſche Gemüſe 
ſelbſt gedeihen an der Küſte, wenn auch ihr 


Samen ausartet und immer friſch bezogen werden 
21* 


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muß, und welche prachtvollen herrlichen Hölzer 
füllen die Wälder. Unſchätzbare Reichthümer 
öffnen ſich aber, wenn erſt der Weg den Eingang 
zum Innern bahnt — Goldminen liegen noch 
rechts und links in den Bergen, und ſelbſt die 
dicht dabei befindlichen Cayapas-Indianer waſchen 
Gold. Was für ſonſtige Erze die Berge ent- 
halten, iſt noch nicht einmal unterſucht, und das 
Land im Innern, aber von der See durch bis 
jetzt unwegſame Wälder getrennt, ſo dicht be— 
völkert und bebaut, daß eine ſpätere Ausfuhr 
von dort noch gar nicht zu berechnen iſt. 

Ich meines Theils bin feſt überzeugt, daß 
eine ſich bildende Actiencompagnie, die einen 
ordentlichen Weg durch dieſe Strecke anlegte, 
ſogar gute Geſchäfte mit dem Weg ſelber machen 
würde, aber die Ecuador⸗Land⸗Compagnie wird und 
kann ſich auch dieſe Gelegenheit nicht entgehen 
laſſen, denn ſie allein hat in dem Verkauf ihrer 
Ländereien und Bonds den größten Gewinn aus 
dem Unternehmen zu erhoffen. 

Doch das ſind Alles noch Träume. So lange 
der Pailon nicht durch eine Straße mit dem 
Innern verbunden iſt, wird und muß er nur 
ein elendes Fiſcherdorf bleiben, in dem ein paar 


325 


Menſchen wohl vegetiren, in dem ſich aber nur 
Indianer und Neger glücklich fühlen können. 

Mir ſchien mein Häuschen damals ungemein 
romantiſch, da ſein ganzer Haushalt nur aus 
einem Kochtopf, einem Teller, zwei Calabaſſen, 
einer Harpune, Angel, einem Ruder und einem alten 
Faß als Stuhl beſtand. Mehr beſitzen aber auch 
die jetzigen Bewohner des Ortes nicht, die mit 
ihrer Frau und einer unbeſtimmten Anzahl von 
Kindern einen ſolchen Platz bewohnen. Es giebt 
auf der Welt nichts Aermlicheres, als einen ſolchen 
ecua dorianiſchen Haushalt, und wenn man ſich 
denken ſoll, eine ganze Lebenszeit auf ſolche Art 
zu vegetiren, ſo läßt ſich das wohl ſehr erbaulich 
und verführeriſch in einem Roman beſchreiben, 
iſt aber für einen gebildeten und einigermaßen 
an etwas Beſſeres und Höheres gewöhnten Men⸗ 
ſchen völlig undenkbar. | 

Kur einzelne Matroſen fühlen ſich unter 
ſolchen Umſtänden wohl, denn ſie ſind an nichts 
Beſſeres gewöhnt, und die Hütte iſt nur ein ver⸗ 
größertes und luftiges Vorcaſtle, die Koſt ſelbſt 
eine Verbeſſerung gegen Salzfleiſch und harten 
Schiffszwieback, und dieſe halten es auch am 
erſten an ſolchen Orten aus, ja fühlen ſich ſogar 
wohl darin. 


326 

Prachtvoll iſt die Scenerie, das läßt ſich nicht 
leugnen. Die Natur hat Alles für dieſe Länder 
gethan — der Menſch Nichts, und die Natur 
thut nur manchmal ein wenig zu viel, denn es 
iſt keine kleine Arbeit, ſich nur durch einen ſolchen 
Urwald Bahn zu hauen. Es giebt kaum etwas 
Schöneres auf der Welt, als dieſe kleinen Buch⸗ 
ten am Pailon, wo ſich die Manglaren etwas 
höherem Land öffnen und ſchlanke Palmen mit 
breit⸗ und glänzendblattigem Unterholz, mit blu⸗ 
migen Lianen und wunderlich geformten Orchideen 
die untere Staffage bilden. Aber der Menſch 
kann — ſo proſaiſch das auch klingen mag — 
doch von keiner ſchönen Gegend leben — aus⸗ 
genommen die Wirthe in der Nähe eines Bade— 
Horts. Die Phantaſie hat allerdings ihr Recht — 
für das Menſchengeſchlecht im Allgemeinen für 
Mußeſtunden (ausgenommen Schriftſteller), 
aber das Leben ſelber iſt ernſt und verlangt 
ernſten Willen und Fleiß, um ſich ſeinen Platz 
darin zu erkämpfen. 

Mit einer nicht hoch genug anzuſchlagenden 
Ausdauer hat ſich aber trotzdem unſer Landsmann 
— und noch dazu ein ganz junger Mann und 
der Sohn der bekannten Verlagsbuchhandlung 


Flemming, am Pailon feſtgeſetzt und kämpft wacker 


n er = nn er 


327 


gegen alle ſich ihm in den Weg ſtellenden Schwie- 
rigkeiten — und deren ſind in der That nicht wenige. 
Er hat nicht allein viele natürliche Hinderniſſe 
zu beſiegen, ſondern beſonders einen gefährlichen 
Feind in der entſetzlichen Indolenz der Einge⸗ 


borenen, die eben nur für den Tag leben und 


auf nichts Weiteres hinausdenken. Hat ſo ein 


Burſche feine 4—5 Dollars verdient, jo hält er 5 


ſich für einen reichen Mann und denkt gar nicht 
daran, weiter zu arbeiten, bis nicht dies, für 
jetzt angeſammelte Vermögen auch vollſtändig 
wieder aufgezehrt iſt. Und ſelbſt das würde nichts 
ausmachen, gäbe es dort nur Arbeiter genügend, 
um mit ihnen zu wechſeln. Aber ſie fehlen. 
Unpaſſende Maßregeln der Agenten haben die 
meiſten vertrieben — Lebensmittel ſind nicht zu 
kaufen, ſondern müſſen durch lange und zeit⸗ 


raubende Canoefahrten herbeigeſchafft werden, 


und die nöthigſten Arbeiten bleiben natürlich 
unter ſolchen Umſtänden liegen. Man kann auch 
wirklich nur ſagen, daß die Bewohner eines 
ſolchen Ortes in Süd-Amerika — mag er einen 
Namen haben, welchen er will — leben. Sie 
haben von Zeit gar keinen Begriff, denn der 
morgende Tag, ſo lange ſie eben nicht hungern, 
iſt ihnen das nämliche, was der heutige iſt, und 


RN 


wie Jemand überhaupt Zeit verſäumen kann, 
geht vollſtändig über ihren Horizont. Europäer 
kommen deshalb nur ſchwer mit ihnen aus, wenn 
ſie nicht ſchon halbe Süd-Amerikaner geworden 
ſind, um das volle Gewicht des einen kleinen 
Wörtchens „paciencia“ zu begreifen und zu ver- 


ſtehen, aber dann müſſen ſie auch vollſtändig 


darauf verzichten, vorher Berechnungen über 
etwas zu Leiſtendes zu machen. 

Daß ich am Pailon wieder einmal eine kleine 
Jagdtour verſuchte, läßt ſich denken, und ich 
fand den Wald noch eben ſo wild und ſo naß, 
als ich ihn verlaſſen — aber auch eben ſo ſchön 
und üppig, und man kann annehmen, daß man 
bei einer ſolchen kurzen Tour, nur um ſich Bahn 
zu hauen, nach dem Werth, den die Pflanzen bei 
uns haben würden, etwa für 20,000 Thaler 
junge Palmen, Schlinggewächſe, Orchideen und 
andere werthvolle Blüthenbüſche zerjtört. Eigent— 
lich wollte ich eins der wilden Schweine ſchießen, 
bekam aber keins zu Geſicht, und nur einen jener 
ſchönen und herrlich ſchmeckenden Vögel von der 
Größe unſeres Truthahns, den Pauchi, den ich 
erlegte. Der Indianer, den ich mit hatte, ver— 
ſtand es dabei, die kleinen, dem coneja ähnlichen 
Thiere, die flüchtig wie die Haſen laufen, aber 


329 


eher zum Geſchlecht der Hamſter gehören, mit 
ſeiner Pfeife herbeizulocken. Er rief vier von 
ihnen an, wonach er aber, trotzdem daß ich ihn 
warnte, nie nach dem letzten Ruf noch eine kurze 
Zeit warten wollte. Jedesmal deshalb, wenn 
wir wieder den erſten Meſſerhieb in einen Buſch 
thaten, pfiff das angelockte Thier ſeinen War⸗ 
nungsruf, ganz nahe bei uns, herüber, und ver— 
ſchwand dann ſpurlos im Dickicht, ohne daß 
wir auch nur ein einziges zu ſehen bekamen. 
Eine Fiſcherei, die wir abhalten wollten, ver: 
unglückte an der entſetzlichen Faulheit und Nach⸗ 
läſſigkeit der dabei Betheiligten, welche die Vor- 
ſtellhölzer, trotzdem daß ich fie darauf aufmerf- 
ſam machte, nicht gehörig in Stand ſetzten. Alle 
unſere Mühe und Arbeit wie Geldauslage waren 
vergebens. Wir bekamen auch nicht einen einzi- 
gen Fiſch zum Lohn. Aber ſo ſind die Leute in 
dieſer wie in jeder andern Sache; man kann 
ſich nie auf ſie verlaſſen, und ſo lange man mit 
ihnen arbeitet, oder fie doch wenigſtens über- 
wacht, geht es noch allenfalls an, läßt man ſie 
aber auch nur für einen Moment aus den Augen, 
ſo kann man ſich auch feſt darauf verlaſſen, daß 
ſie ſich entweder ruhig unter einen Baum legen 
und ausſchlafen, oder auch in völliger Gedanken⸗ 


330 


loſigkeit an irgend eine andere ihnen gerade ein⸗ 
fallende Arbeit gehen, — und davon habe ich 
ſelbſt Proben in der kurzen Zeit meines dortigen 
Aufenthalts gehabt. 

Gern hätte ich eine Tour in das Innere des 
Landes gemacht, um manche alte Freunde dort 
aufzuſuchen, aber ich fürchtete mich vor dem ent: 
ſetzlichen Weg, der noch genau ſo in Schlamm 
und Waſſer liegt, wie vor ſieben Jahren. Von 
Quito hörte ich übrigens durch Senior Flores, 
der es noch nicht ſo lange verlaſſen, daß es ſich 
auffallend zu ſeinem Vortheil verändert habe. 
Als ich es damals beſuchte, war es das ſchmutzigſte, 
erbärmlichſte Neſt, das man ſich unter einer 
Hauptſtadt nur denken kann, und Schmutz und 
Unrath nahmen mit jedem Tag mehr überhand. 
Da wurde Garcia Moreno Präſident des Lan— 
des, und unter ſeiner ſtarken, wenn auch oft 
grauſamen Hand ſchuf ſich in Quito wirklich ein 
neues Leben. Die Stadt wurde gründlich gerei— 
nigt und — was mehr iſt — durch ſtrenge Be— 
fehle reinlich gehalten. Die Plaza, die früher 
eigentlich einem großen Stall glich, wurde mit 
ſchönen Anlagen und Bäumen verſehen. Gute 
Hötels entſtanden, Fremde zogen ſich her; die 
durch das Erdbeben verurſachten Schäden, be⸗ 


391 


fonders an den Kirchen, wurden ausgebeſſert, 
der noch von jener Zeit her in den Straßen 
lagernde Schutt weggeſchafft, kurz, der Platz auf 


eine Art reftaurirt, die man früher in Ecuador 


nicht für möglich gehalten hätte. 

Nach Garcia Moreno kam allerdings ein an⸗ 
derer Präſident, und ich weiß nicht, ob dieſer ſo 
gewiſſenhaft über die Arbeiten ſeines Vorgän⸗ 
gers wachte, aber das Land hat ſich ſeiner ſchon 
wieder entledigt, weil er, wie man ſagt, in vie⸗ 
len Fällen mit Garcia Moreno's Grauſamkeit 
verfuhr, ohne deſſen Intelligenz und Geiſt zu 
beſitzen. Jetzt gerade hat das Land gar keinen 
Präſidenten, aber man glaubt allgemein, daß 
Garcia Moreno wieder vom Volke gewählt, und 
dann die Wahl auch wohl annehmen wird, — 
was jedenfalls das Beſte für den ſonſt nie zur 
Ruhe kommenden Staat wäre. 

Am Pailon beſuchte ich natürlich in verſchie⸗ 
denen Richtungen die nächſte Umgebung deſſel⸗ 
ben; aber es iſt wirklich traurig, welche Verwü⸗ 
ſtungen die Kühe da angerichtet haben. Wo ſonſt 
reich tragende Platanare ſtanden, die den Bewoh⸗ 
nern des kleinen Ortes hinreichende Nahrung 
gaben, liegen jetzt wüſte, verödete, zum Theil 
auch ſchon mit Büſchen überwachſene Wildniſſe, 


332 


die auf's Neue bedeutende Arbeit erfordern, 
wenn ſie wieder nutzbar gemacht werden ſollen. 
Die Cacao-Anpflanzung hat ſich noch am beiten 
gehalten, obgleich auch darin viele Bäume ein- 
gegangen ſind. Verbeſſerungen ſchienen aber nir— 
gends vorgenommen zu ſein; nicht einmal die 
früheren Pfade wurden in Stand erhalten, und 
führen jetzt, durch umgeſtürzte Bäume geſtört, ſo 
im Zickzack und in Windungen ſelbſt nach dem 
Badeplatz am Nadadero hinüber, daß man kaum 
im Stande iſt, ihnen ohne Compaß zu folgen. 
Ich würde den Platz — wenn nicht vom Gegen— 
theil überzeugt, auch für aufgegeben gehalten ha— 
ben, und alle die vielen fremden Geſichter, deren 
Inhaber größtentheils faul in ihren Häuſern 
lagen, machten auf mich einen nichts weniger als 
freundlichen Eindruck. Doppelt peinlich wurde 
derſelbe aber, wenn ich mir dachte, wie anders 
das Alles hier ausſehen könnte, wenn die Leute, 
welche die Mittel dazu beſitzen, ihm zu helfen, 
auch das Land ſelber kennten. So aber verträumt 
es nur unter ſeinen Blumen und Palmen die 
Zeit, und der Zauber, der es zum Leben wecken 
könnte, iſt nicht etwa ein junger, verirrter Prinz, 
der es zufällig unter den Blüthen, und unbe— 
wußter Weiſe das rechte und ſehr natürliche Mit- 


tel in einem Kuß findet, — ſondern er heißt 
proſaiſcher Weiſe Geld. Diamant kann nur mit 
Diamant geſchliffen werden. Geld muß in dieſen 
Weg hineingeſteckt werden, um ihn Geld tragen 
zu machen, und erſt wenn dies geſchieht, blüht 
für das nördliche Ecuador eine Zukunft. 

Nachdem ich mich jo dann an dem alten Bailon 
in der Zeit meines dortigen kurzen Aufenthaltes 
nach Kräften ſelber umgeſehen und Alles gehört 
hatte, was jeder Einzelne der Bewohner darüber 
zu ſagen wußte, rüſtete ich mich wieder zur Rück⸗ 
fahrt, denn helfen konnte ich hier doch nichts 
weiter, als die, in deren Hand es wirklich lag, 
zur Hilfe anzuregen. Ich glaube, daß ich das 
gethan, und will nun ſehen, welche Folgen es 
haben wird. 

Von San Lorenzo aus bekam ich nicht ſo 
leicht Leute nach Tumaco, als von dort nach hier, 
denn die Männer konnten ihre Familien nicht 
auf vier bis fünf Tage verlaſſen, ohne vorher 
genügende Lebensmittel, d. h. Platanares, für 
ſie anzuſchaffen. Endlich fand ich aber doch zwei 5 1 
junge Leute, und mein jetziger Lootſe, ein mit 
der See vollkommen vertrauter Mann, verſicherte 
mir auch, daß wir nicht den mühſamen Weg 
durch die Eſteros zurückmachen, ſondern gleich 


SEE | 98 


hinaus in die See halten würden, um die Fahrt 


außen herum zurückzulegen. 


Gern wäre ich noch einige Tage in der freund— 
lichen Familie des Herrn Flemming geblieben, 
und ſelbſt der junge Flores zeigte ſich mir als 
ein liebenswürdiger, in jeder Hinſicht freundli⸗ 
cher Genoſſe, aber ich hätte dann noch volle vier 
Wochen aushalten müſſen, da der Dampfer nur 
einmal im ganzen Monat vorbeipaſſirt und Segel- 


ſchiffe ſehr ſelten gehen, und dann auch ſehr lange 


Zeit zu der Fahrt brauchen. Der Nutzen aber, 
den ich jetzt noch und gerade gegenwärtig brin— 
gen konnte, hätte mit der Zögerung nicht im 
Verhältniß geſtanden, und an einem wundervol— 
len Morgen, wobei ich bemerken muß, daß es 
während der Zeit meines Aufenthaltes am Pai— 
lon diesmal ſehr wenig regnete, glitten wir, juſt 
mit Tagesgrauen, wieder die Bai hinab und dem 
offenen Meer entgegen. | 

In San Pedro oder vielmehr an der gegen— 


überliegenden Spitze hielten wir kurze Zeit, um 


ein Gewitter vorüber zu laſſen, das uns gerade 


entgegenzog und ungünſtigen Wind brachte, aber 


es drehte ſeitwärts ab, und bald konnten wir 
mit geblähtem Segel und bei günſtiger Briſe 


unſer kleines Canoe gerade der Punta de las 


335 


Manglares entgegenhalten. Doch nicht lange; 
um Mittag ſchlief der Wind ein und wurde nach⸗ 
her ungünſtig, ja kam uns zuletzt ſo gerade ent⸗ 
gegen, daß wir das Land anlaufen mußten, um 
dort zu übernachten und nicht wieder zurückge⸗ 
trieben zu werden. 

Den Abend fand ich noch Gelegenheit, eine 
Menge verſchiedener an den Strand geſpülter 
Samen zu ſammeln, und am nächſten Morgen 
mit Tagesanbruch ſetzten wir unſere Reiſe fort. 

Die Fahrt war reizend, und das Canoe aller- 
dings nicht ſo ſehr groß, aber doch an jeder 
Seite mit einer Balſa oder einem Stamm ſehr 
leichten Holzes verſehen, ſo daß es, ſelbſt weit 
draußen in See, nur ſehr ſelten eine Kleinig⸗ 


keit Waſſer übernahm. Wir tanzten auch ganz 


prächtig in einer ziemlich langen Dünung hin, 
und als ſich noch dazu eine friſche Briſe erhob 
und wir das Segel ſetzen konnten, wurde es wirk- 
lich eine herrliche Fahrt. 

Die See hob ſich allerdings ein wenig und 
zeigte ſchon hie und da kleine, ſpritzende, weiße 
Kämme, und manchmal, wenn der Wind das 
leichte Fahrzeug faßte, hob er es ordentlich bis 


auf die äußerſten Spitzen der Wogen und ſchau⸗ 


kelte es herüber und hinüber; aber die Balſas 


336 


hielten es ſicher, daß es nicht umſchlagen konnte, 
und gegen Abend endlich — wobei ich noch einen 
tüchtigen Fiſch an meinem nachſchleifenden Berl- 
mutterhaken fing, liefen wir in den ſchmalen 
Canal zwiſchen Tumaco und dem Feſtland ein, 
und bald darauf legten wir, bei höchſter Fluth, 
die nur wenig Raum zwiſchen dem Strand und 
den Häuſern ließ, vor meinem früheren Nacht- 
quartier an. 

Der Dampfer wurde übrigens erſt den näch- 
ſten Tag erwartet, und es war mir gerade recht, 
daß ich eine kurze Zeit — und wenn ich ſie auch 
nur nach Stunden zählen konnte, auf der kleinen 
freundlichen Inſel verleben durfte. 

Es iſt auch kein gar ſo unbedeutender Platz, 
denn nicht allein daß ein Franzoſe, der den 
Haupthandel monopoliſirt, weil er eben ein Ca⸗ 
pital dazu beſitzt, faſt alle die im Innern, ja 
ſelbſt in der Nähe an der Küſte liegenden 
Plätze mit Waaren verſieht, es wird auch ein 
ſehr bedeutender Fruchthandel auf Tumaco ge⸗ 
trieben, und zahlreiche, den Mira herabkommende 
Canoes bringen dieſe an Zwiſchenkäufer, die ſie 
dann wieder auf dafür a e 
verladen. 

Tumaco iſt dabei der Hafenplatz für die 


337 


nicht unbedeutenden Goldminen von Barbacoes, 1 


und da beſonders dort oben eine Menge von 
Kaufmannsgütern gebraucht werden, ſo bringt 


der Dampfer monatlich nicht allein eine be⸗ 


deutende Fracht nach dem kleinen Ort (als er 


das letzte Mal heraufkam, weit über 700 Ballen 15 


und Kiſten), ſondern es werden auch von Tumaco 
beſonders Chinarinde, Orchilla, Kautſchuk und 
einige Nebenartikel verſchickt, während Mehl, 
Salz, wie überhaupt alle Producte einer nörd— 
lichen Zone, mit europäiſchen oder nordameri⸗ 
kaniſchen Induſtriewaaren dafür den Austauſch 
bilden. Uebrigens nimmt der Dampfer auch von 
hier nicht ſelten bedeutende Sendungen von 
Goldſtaub mit, während die von Barbacoes nach 


Panama gehenden Handelsleute ihre Waaren, | 


die ſie einkaufen, meiſt mit Goldſtaub zahlen. 

Nun ſollte man allerdings denken, daß Tu⸗ 
maco ein kleiner, wirklich reicher Platz ſein 
müſſe, und Thatſache iſt, daß von Einzelnen 


Geld genug verdient wird. Wer aber von Frem⸗ | 


den hierher geht, hält ſich nur eben zu dieſem 


Zweck hier eine Zeit lang auf, nimmt ſich — ſo 
lange er hier bleibt — in wilder Ehe eine ein⸗ 


geborene Frau, und lebt indeſſen, mit deren 
Hilfe, ſo ärmlich und einfach wie die übrigen 
Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. 22 


398 


Landeskinder auch. Wirklich dauerhafte oder nur 
mit Ziegeln oder Schiefer gedeckte Häuſer findet 
man deshalb nirgends. Es iſt Alles nur tem⸗ 
porär aus Bambus gebaut und mit Palmblättern 
gedeckt: nur ſehr wenig Häuſer mit Bretterwän⸗ 
den, und das Städtchen, bei dem die hohe Fluth 
kaum einen Seitenweg zum Paſſiren läßt, macht 
deshalb auch keinen impoſanten Eindruck, ſobald 
man es erſt einmal betreten hat — aber es ſieht 
immer noch golden gegen Buenaventura aus, 
denn nicht eine einzige ſolche elende Hütte, wie 


ſie dort halbe Straßen füllen, ſteht in der kleinen 


Inſelſtadt. 

Seinen Deutſchen hat aber Tumaco ebenſo— 
gut wie Buenaventura oder jeder andere Punkt 
der bekannten Erde, wenn auch dieſer Deutſche 
eigentlich ein polniſcher Jude iſt, der aber recht 
gut deutſch ſpricht und mit einer deutſchen Frau 
verheirathet iſt. Sonſt leben hier noch einige 
Franzoſen, die recht gute Geſchäfte machen, und 
dann ein Italiener. Engländer oder Amerikaner 
ſind keine hier anſäſſig, ſie halten ſich meiſt im 
Innern, in dem kleinen Städtchen Barbacoes, 
nahe den Goldminen auf. 


11. 
Panama. 


Der erwartete Dampfer kam erſt ſehr ſpät 
Abends, als ich ſchon ruhig in meiner Hänge— 


matte ſchaukelte, ein; ich brauchte aber nicht viel 


Zeit zu meinem Gepäck, in kaum einer halben 
Stunde war Alles geordnet, in ein Canoe und 
zu dem Dampfer hinübergeſchafft, und etwa ein 
Uhr in der Nacht glitten wir ſtill und ge— 
räuſchlos in See hinaus, und jetzt mit ziemlich 
günſtiger Briſe wieder nicht ſehr weit vom 
Ufer ab nach Nordweſten unſerem Ziel, Panama 
entgegen. 


Die Fahrt ſelber bot nichts Intereſſantes, 


ebenſowenig die Geſellſchaft der Paſſagiere, um 
die ich mich denn auch wenig genug kümmerte. 


Uebrigens hatten wir eine junge Sängerin an 


22 * 


340 


Bord, mit einer niedlichen und ſehr gewandten 
Stimme, die den ganzen Tag über trillerte und, 


ſowie die Nacht anbrach, laut zu fingen anfing. 
Sie ging in Buenaventura an Land, um von da 
nach Bogota zu gehen und Concerte zu geben. — 
Auch nicht übel — das waren etwa vierzehn Tage 
Reiſe, theils im Canoe, theils auf unwegſamen 
Straßen zu Maulthier oder gar zu Fuß, und 
jeden Tag wenigſtens achtzehn Stunden Re— 
gen. Wenn die Dame nicht mit einem lebens— 
länglichen Schnupfen nach Bogota gekommen 
iſt, giebt es keine Wettereinflüſſe mehr. 
Endlich — am vierten Abend und zwar ſchon 
nach zehn Uhr, ſichteten wir die der engliſchen 
Compagnie gehörende Inſel, die aber noch etwa 
zwölf Miles ab von der eigentlichen Stadt Pa⸗ 
nama und dem Iſthmus liegt, ankerten dort, 
und mußten richtig bis zum nächſten Morgen 
warten, ehe der kleine, zu dieſem Zweck benutzte 
Fährdampfer der Geſellſchaft ankam, die Paſſa— 
giere und ihr Gepäck an Bord nahm und uns 
dann raſch hinüber an feſtes Land brachte, das 
ich an die ſer Stelle zum dritten Male betrat. 
Wenn es übrigens einen Ort in der Welt 
giebt, den die Natur ſchon von vornherein zu 
einer großen Durchfahrt für Menſchenverkehr 


341 


und Handel beſtimmt hat, fo ift das unſtreitig 


das an der ſchmalſten Stelle des Iſthmus in 


günſtigſter Lage erbaute Panama. Ein Verkehr 


zwiſchen den unmittelbar nördlich und ſüdlich 


liegenden Diſtricten, zwiſchen Mittelamerika und 15 


der alten Republik Columbien, exiſtirt allerdings 


gar nicht, denn die beiden Theile der Continente 


haben zu vollkommen gleiche Producte, aber da— 
für kreuzen ſich deſto lebhafter die Handels-In⸗ 
tereſſen zwiſchen Oſt und Weſt, denn die Fahrt 
um Cap Horn herum wird immer eine lange 


und gefährliche bleiben, und es gab nichts Na- 


türlicheres als den Wunſch, die Schwierigkeiten 
zu überwinden, welche der zwar ſchmale, aber 
trotzdem einen feſten Damm vorſchiebende Land⸗ 
ſtreifen des Iſthmus der Schifffahrt, und durch 
ſein ſumpfiges Terrain ſelbſt einem Landver⸗ 
kehr bot. | 

Lange Jahre beſchäftigte ſich auch die Spe- 
culation mit dieſem Problem, aber es blieb nur 
bei zahlloſen Projecten, denn die Schwierigkeiten 
waren zu enorm — ja man wußte nicht einmal, 
wo man für dieſe Sümpfe Arbeiter herbekom⸗ 
men ſollte. Wer garantirte überhaupt, daß 
ſich eine ſolche Unternehmung lohnen würde, denn 
der Verkehr mit dem Weſten war damals doch 


342 


noch immer im Verhältniß unbedeutend. Da 
kam die Entdeckung des Goldes in Californien 
dem Werk zu Hilfe, und wo es früher nicht mög⸗ 
lich geweſen wäre, auch nur den zehnten Theil 
der Arbeiter zu finden, da ſtellten ſich jetzt un⸗ 
geahnte Hilfsmittel zu Gebote, welche die Rie— 
ſenarbeit zu einem Spiel machten. 

Der Goldſchwindel hatte das Menſchenvolk 
gefaßt. Jeder kräftige Mann in Nordamerika, 
der nicht augenblicklich die Mittel auftreiben 
konnte, um Californien zu erreichen und in ſechs 
Wochen ein ſteinreicher Mann zu werden, hielt 
ſich für unglücklich und vom Schickſal verfolgt, 
und als die Panama⸗Eiſenbahn⸗Compagnie Allen, 


die vier Wochen an der Bahn zwiſchen Aſpinwall 


und Panama arbeiten wollten, freie Paſſage nach 
Californien bot, ſtrömten die Arbeiter in ſolcher 
Maſſe herbei, daß die Compagnie wenigſtens 
zwiſchen New⸗York und Aſpinwall kaum Dampfer 
genug auftreiben konnte, um die Reiſe- und Ar⸗ 
beitsluſtigen zu befördern. 

Was waren vier Wochen Straßenbau gegen 
die Gewißheit, in ſpäteren vier oder ſechs Wo— 
chen ein ſteinreicher Mann zu werden, wie das 
in Californien natürlich gar nicht ausbleiben 
konnte, und mit einer wahren Wonne gingen 


343 


die Leute an die Arbeit. Das allein aber war 


es, was den Rieſenbau vollendete. Unter ande⸗ 
ren Umſtänden würden die Leute, ſobald ſie ſa⸗ 
hen, welche furchtbare Sumpfarbeit ihnen oblag, 
kaum wenige Tage ausgehalten und das Ganze 
nachher in Verzweiflung aufgegeben haben. Aber 


hier wirkte das californiſche Gold. Sie wuß⸗ 


ten, daß fie ihre beſtimmte Zeit der eingegan⸗ 


genen Verpflichtung treu bleiben mußten, wenn 


ſie überhaupt den Nutzen der ganzen, ſchon ge— 
thanen Arbeit ernten wollten, und ſie ſtrengten 
dazu ihre letzten Kräfte an. 

Die Geſellſchaft der Panama⸗Eiſenbahn hatte 


ſehr viele Perſonen auf der Strecke zwiſchen 4 


New⸗York und Aſpinwall oder Colon zu beför⸗ 
dern — ſehr wenige dagegen auf der andern 
Seite, zwiſchen Panama und San Francisco, 
denn die armen Teufel ſtarben wie die Fliegen, 
und wurden, wo ſie niederſanken — auch in dem 
weichen Schlamm der Halbinſel beerdigt. Sie 
arbeiteten einen Theil — Manche auch ihren 
ganzen Contract ab, aber die Geſellſchaft brauchte 
die zweite Hälfte ihrer Verſprechungen gewöhn— 
lich nicht weiter zu erfüllen und durfte ihnen nur 
ein Grab geben und für neue Zufuhr ſorgen. 
Dadurch wurde die Aſpinwall-Eiſenbahn be⸗ 


Er 


{ a endet, und es iſt reine Thorheit, wenn Leute jetzt 
noch die Idee haben, dort einen Canal durch das 


Land zu graben. Die Eiſenbahn hat etwa 10,000 
Menſchenleben gekoſtet, der Canal, der natürlich 
ſo viel längere Zeit in Anſpruch nähme, würde 
in dem giftigen Klima hunderttauſend opfern 


e wenn ſie ſich eben dazu hergäben. Aber der 


Hebel, der ſie früher dazu trieb: die Sagen des 
enormen californiſchen Goldreichthums, fehlt; 
man hat jetzt billigere Wege, hinüber zu gelan— 
gen, und dieſer Plan wird deshalb nie zur 
Ausführung kommen. Aber das thut auch nichts 
— die Eiſenbahn genügt auf dieſer Strecke voll— 
kommen, und hat jedenfalls zwei der bedeutend— 
ſten Handelsſtädte — und ſei es auch nur haupt⸗ 
ſächlich für den Commiſſionshandel, in's Leben 
gerufen: Panama und Aſpinwall. 

Es iſt wirklich der Mühe werth, dieſen Ver- 
kehr zu ſehen, um ihn zu begreifen, und kein 
Tag faſt im ganzen Jahr vergeht, wo nicht an 
einem der beiden Plätze ein oder der andere 
große Weltdampfer anlegt und neues Leben in 
das Innere wirft. 

In Aſpinwall landen die Dampfſchiffe von 
New⸗York, England und Weſtindien und ver- 
mitteln durch St. Thomas den Verkehr mit der 


345 


ganzen, im Oſten wie zugleich nach Nord und 


Süd liegenden Welt, während in Panama eine 
Linie die Verbindung mit dem Norden und da= 


durch mit Japan und China offen hält, während 
die ſüdliche Linie die ganze Weſtküſte Südame⸗ 
rikas beſtreicht, in Valparaiſo nächſtens mit der 


Cap⸗Horn-Dampfſchifffahrt in Verbindung treten 5 


wird und zugleich eine Panama⸗Auſtralien⸗Linie 
direct nach Weſten durch die Inſeln läuft. 

Man kann ſchon jetzt mit den verſchiedenen 
und vollendeten Dampfſchiff-Verbindungen in 
kaum hundert Tagen eine Reiſe um die ganze 
Erde machen, und Panama iſt dabei bis jetzt der 
Mittelpunkt der ganzen Fahrt. 

Allerdings droht dieſer Landenge in dem rieſi— 
gen Unternehmen der nordamerikaniſchen Bacific- 
Eiſenbahn eine bedeutende und gefährliche Con— 
currenz, denn alle die nach der Union und Eng: 
land oder Europa beſtimmten chineſiſchen Producte 
und Fabrikate werden, ſobald die Bahn vollendet 
iſt, jedenfalls dieſen Weg einſchlagen, da er Geld 
und Zeit und beſonders eine Umſchiffung erſpart; 
aber ſelbſt das wird ſich in der Folge als nicht 
ſo erheblich herausſtellen, denn wir finden ja 
überall den Beweis, daß erhöhte Verkehrsmittel 
auch den Verkehr ſelber ſteigern und dadurch das 


55 


ih 


346 


ſcheinbar Verlorene leicht erſetzen. Bis jetzt hat 
die ganze Oſtküſte Südamerikas gar keinen di— 
recten Verkehr mit dem ganzen übrigen Amerika 
gehabt, und ein Verſuch, zwiſchen Rio Janeiro 
und Panama eine Dampferverbindung zu unter- 
halten, mißlang. Das wird und muß jetzt anders 
werden, denn der rege und raſche Verkehr, der 
durch die China-Dampfer wie durch die von Ba- 
nama ausgehenden, nach Auſtralien beſtimmten 
Dampfer erweckt iſt, kann nicht verfehlen, auch 
Braſilien mit in den Verkehr zu ziehen, und da- 
durch eröffnet ſich für Panama, ſtatt der verlo— 
renen, eine andere neue Erwerbsquelle. 
Was übrigens die neugranadiſche Regierung 
— eine Muſterwirthſchaft ſchon ſeit Menſchenge— 
denken — thun konnte, um den kleinen Platz Pa- 
nama nicht emporkommen zu laſſen, hat ſie auch 
ſicher und mit der größten Geſchicklichkeit gethan. 
Wo irgend ein anſtändiges Haus erbaut iſt, 
haben das Fremde, Engländer, Amerikaner, 
Deutſche, Franzoſen oder Spanier, gethan. Die 
Werfte ſind von den verſchiedenen Geſellſchaften 
ſelber erbaut, die Eiſenbahn wird von ihnen un⸗ 
terhalten, und man ſollte nun wenigſtens glau- 
ben, daß ſie den Fremden dankbar dafür wäre 
— aber weit gefehlt. Der kleinliche Neid bricht 


347 


überall hervor, und ſelbſt das Einzige, was das 


neugranadiſche Gouvernement thun ſollte und 


müßte, die Sicherheit von Eigenthum und Per⸗ 
ſon im Lande aufrecht zu erhalten, wird unter⸗ 
laſſen. 

Eine Anzahl neugranadiſcher Soldaten — 
eine ſo ruppige Bande, wie man ſie kaum in 
Venezuela findet — marſchirt allerdings mit der 
doppelten Anzahl Trompeter dann und wann 
durch die Stadt oder ſteht an einzelnen öffent⸗ 
lichen Gebäuden (öffentlich aber im wahren Sinne 
des Wortes) Poſten. Sie werden auch dazu 
verwandt, dann und wann einmal einen betrun⸗ 
kenen Matroſen zu verhaften, was ihnen jedoch 
ſtets nur mit Hilfe der halben Bevölkerung ge— 
lingt, ſonſt ſind ſie zu nichts nütze, und ein 
paar gelbgrüne Jünglinge in Officiertracht, die 
in der Stadt mit ſchweren Goldſtickereien einher— 
ſchlendern, mögen vielleicht zum Zierath dienen, 


haben aber ſonſt ſcheinbar keinen Zweck. Die 


Sicherheit iſt deshalb in Panama ſowohl als in 
dem gegenüberliegenden Aſpinwall ein völlig 
eingebildeter Begriff, Mordthaten kommen nichts 
weniger als ſelten vor, und faſt in allen Fällen 
find die Verbrecher Eingeborene — aber die Re⸗ 
gierung iſt ſanft. „Wer ſich ſchuldlos weiß, 


5 1 


348 


werfe den erſten Stein auf ſie!“ hat ſchon Chri⸗ 
ſtus geſagt. Sie werfen aber nicht; ein ertapp- 
ter Verbrecher wird zu ein paar Monaten Ket⸗ 
tenſtrafe verurtheilt, dann läuft er, ehe er die 
Hälfte ſeiner Zeit geſeſſen, davon, und die fatale 
Sache iſt abgemacht. 

Ganz in der letzten Zeit ſind wieder ein paar 
freche Mordthaten vorgefallen, ohne daß man 
ſich auch nur die geringſte Mühe gegeben hätte, 
der Mörder habhaft zu werden — und wie auch? 
Dieſe Polizeidiener und Soldaten, welche, die 
erſteren mit Knüppeln, die anderen mit Mus⸗ 
keten bewaffnet, durch die Straßen wandeln, ge— 
hören einem jo verkommenen, erbärmlichen Men—⸗ 
ſchenſchlage an, daß man ſie in der Hand zer— 
drücken könnte, und ich bin feſt überzeugt, daß 
hundert Soldaten irgend einer nordeuropäiſchen 
Macht die ganze neugranadiſche Armee zum 
Teufel jagten. 

Gegenwärtig hat Neu-Granada, ſoviel ich we— 
nigſtens weiß, nicht einmal einen Präſidenten — 
es müßte denn kürzlich wieder einer gewählt 
ſein. — Die Sache hat aber auch wirklich zu 
wenig Intereſſe für die übrige Welt, denn wer 
um Gottes willen kann all' den Revolutionen in 
den ſpaniſchen Colonien — und das Mutterland 


349 


eingeſchloſſen, folgen. Es iſt rein unmöglich — 
man müßte ſich denn ganz ausſchließlich damit 
beſchäftigen. 

Die Lage Panamas iſt reizend, und wenn 
man auf den alten Wällen ſteht und über die 
weite, mit Inſeln beſäete Bai hinausſchaut, ſo 
kann man ſich kaum ein entzückenderes Bild 
denken. Die Stadt ſelber iſt übrigens, beſon⸗ 
ders in Betracht ihrer großartigen Handelsver— 
bindungen, ganz unverhältnißmäßig klein, denn 
in zehn Minuten kann man ſie bequem von 
einem Ende bis zum andern durchwandern. 
Was dabei gut und dauerhaft in ihr iſt, haben 
auch ſicher die alten Spanier oder neuerdings 
Fremde gebaut. Beſonders erwähnen muß ich 
hierbei die alten, aber auch ſchon ſehr vernach⸗ 
läſſigten Feſtungswerke der Spanier. Die jetzige 
Race ſchafft nichts Neues, ja reparirt nicht ein⸗ 
mal das Alte — wozu auch? — Es iſt als ob 
ſie es ſelber fühlten, daß ſie auf dieſem Terri⸗ 
torium keinen Beſtand haben werden — befindet 
es ſich doch jetzt ſchon factiſch in den Händen 
der Amerikaner. 

Panama ſelber betritt man vom Meer aus 
durch ein enges Thor, an welchem eine Truppe 
neugranadiſcher Soldaten — barfuß natürlich, 


350 


Wache hält. Wozu? weiß kein Menſch, denn 
Panama iſt ein Freihafen, es kann Alles, was 
man einführen will, unbeläſtigt an Land geführt 
werden. Sollten ſie alſo als Schutz, gegen den 
Ueberfall einer fremden Macht da ſtehen! Du 
lieber Himmel, was wollte dieſe Handvoll Sol- 
daten dagegen machen? 

Paſſirt man nun dieſen militäriſchen Poſten, 
durch den man aber nicht im geringſten beläſtigt 
wird, ſo wandert man durch eine enge, etwa 
dreihundert Schritt lange Straße, die aus nie— 
deren, einſtöckigen Häuſern beſteht, der Plaza 
zu und befindet ſich dann ſchon etwa mitten in 
der Stadt, während man faſt durch alle Straßen, 
wohin man auch ſieht, die breite gelbe Feſtungs⸗ 
mauer ſehen kann, die den kleinen Platz umzieht. 

Uebrigens bietet das Innere der Stadt, wie 
ſich nicht leugnen läßt, durch ſeine zerfallenen 
Klöſter und Kirchen einen höchſt pittoresken An— 
blick, und wenn die alte zerſprungene Glocke der 
einzigen von allen benutzten zu läuten, oder viel- 
mehr zu klappern anfängt, wird es ordentlich 
unheimlich. 

Beſonders maleriſch iſt die Ruine des einen 
großen Kloſters, in deſſen Hofräumen jetzt ein 
paar Ställe mit modernen Bretterdächern ein⸗ 


351 


gebaut ſind. Die weißröthlichen Wände ſtürz— 
ten natürlich ſchon vor langen Jahren nach 
allen Richtungen ein, aber Bäume und Büſche 
wachſen jetzt darauf, wie in den eingebrochenen 
hohen Fenſtern, und einzelne noch ſtehende 
Säulen und Bögen geben, beſonders in heller 
Mondſcheinnacht, ein prachtvolles, wenn auch 
wildes Bild. 

Einen noch grelleren Contraſt bot aber eine an= 
dere Kirche, in welcher, der alten Kirchenſprache 
nach, „der Teufel ſeinen Tummelplatz aufgeſchla⸗ 
gen,“ das heißt, ſündhafte Menſchen ein Theater 
hineingebaut hatten. Anfangs ſollen ſich auch 
beſonders alte, würdige Damen der Stadt theils 
von weißer, theils ſchwarzer Farbe auf das ent— 
rüſtetſte gegen eine ſolche Profanirung ausge- 
ſprochen haben, ſo daß ſich der Director endlich 
veranlaßt fand, einen Verſuch zu machen, um 
die möglicher Weiſe gegen ihn angeregte Stim— 
mung zu verſöhnen. Das muß ihm auch voll— 
ſtändig gelungen ſein, denn das Theater wird 
jetzt von allen Ständen, nur natürlich nicht den 
Geiſtlichen, beſucht. Das Mittel war aber, daß 
er im erſten und zweiten Rang Schilder auf: 
hängen ließ, welche über eine ganze Abtheilung 


or 
reichten, und auf dieſen ſtanden mit großen 
Buchſtaben die beſonderen Widmungen. 

In der Mitte, dem ſogenannten Cercle, auf 
der erſten Gallerie ſtehen die Worte: „Al bello 
Sexo de Panama“, und auf der erſten Gallerie 
Starbordſeite noch einmal die Widmung der 
Schönheit: „A la belleza““, dann aber kam die 
Verſöhnung. Auf der erſten Gallerie Backbord 
ſtand: „Al Talento“, auf der zweiten die beiden 
Schilder: „A la civilizacion“ und „A la cultura“. 
Gegenüber aber auf der zweiten Gallerie Starbord 
waren Grazie und Tugend vertreten. Auf dem 
einen Schilde ſtand: „A la gracia“, auf dem 
andern: „A la virtud“. Sonderbarer Weiſe ſaß 
hinter der Tugend Niemand — das kann aber 
auch nur ein Zufall geweſen ſein. 

Jedenfalls iſt dieſe Art von Ueberſchriften 
eigenthümlich und ſieht faſt ſo aus, wenn es 
auch anders gemeint ſein mag, als ob man die 

Zuſchauer klaſſificiren wollte. 
Ohne Deutſche oder überhaupt Fremde, und 
dann, wenn nicht Deutſche, doch Franzoſen, 
bringen die Neu⸗Granadier aber natürlich kein 
Theater fertig. In der Muſik fehlte es total, 
und ein junger, ſich hier gerade zufällig aufhal⸗ 
tender Deutſcher mußte im Orcheſter wenigſtens 


353 


das Pianoforte ſpielen, wohinein dann die Vio⸗ 


linen der Eingeborenen falſch und außer Tact 


einfielen, wann und wie es ihnen beliebte. Der 
Deutſche ſpielte das Inſtrument vortrefflich; die 
neugranadiſchen Virtuoſen kamen mir aber vor 
wie Jungen, die nach Schwalben mit Steinen 
werfen. Sie zielten immer auf beſtimmte Töne, 


trafen ſie aber nie und warfen faſt immer 


hinterher. 
Ueber das Spiel der Geſellſchaft läßt ſich 
wenig ſagen; ich bleibe aber dabei, wenn man 


Theater ſehen will und macht nur die geringſten 


Anſprüche, ſo muß es entweder ganz ausgezeichnet 
oder ganz unter der Würde ſein, und in beiden 
Fällen wird man ſich amüſiren; das Mittel⸗ 


mäßige iſt dagegen in keiner Kunſt ſchreck⸗ 


licher als in der dramatiſchen, und ſtraft ſich in 
keiner mehr. 

Ein anderer Deutſcher hatte die Decorationen 
ganz geſchickt gemalt. Zu dem erſten Stück: 
„El estreno de una artista o el grand duque 


Leopoldo“, das ich mit anſah, war der Autor 5 
nicht genannt; es mag aber jedenfalls ein ſpa⸗ 


niſcher oder ſüdamerikaniſcher ſein, denn der 


Großherzog Leopold war außerordentlich edel 
Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. 23 


und trat immer auf, wo er nothwendig gebraucht 
wurde. 

| Durch die beiden jungen Deutſchen erhielt 
ich oben Zutritt auf die Bühne und benutzte 
die mir gewordene Erlaubniß augenblicklich, hin⸗ 
ter den Verſatzſtücken und den Hintergrund 
durch, das Innere der alten Kirche zu erforſchen. 


Ich ſollte es nicht bereuen, denn es war ein 


ganz wunderbarer Anblick. Hier die bemalte 
Leinwand, einen modernen Salon vorſtellend, 
mit einer Unmaſſe Aſtrallampen und eleganten 
Verzierungen, und dahinter — ich erinnere mich 
nicht, je etwas Aehnliches geſehen zu haben —, 
dicht dahinter die alte Kirchenruine mit ihren 
dunklen, zerklüfteten, buſchbewachſenen Mauern, 
die blanken Sterne in den düſtern, unheimlichen 
Hof herniederſchauend! 

Was für Erinnerungen knüpften ſich viel- 
leicht an dieſes Gebäude, und welche Gegenwart 
belebte es jetzt! Ich konnte mich von dem An⸗ 
blick kaum losreißen und mußte es doch zuletzt, 
denn die Klingel ertönte und der Vorhang ſollte 
aufgehen, welcher der draußen harrenden „Schön— 
heit und Tugend“ einen Einblick in das Heilig⸗ 
thum der Kunſt verſtattete. 

Uebrigens erhielt ich hier auch, und zwar 


— 


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eine recht traurige Kunde von einem früheren 


alten Bekannten aus Quito — dem kleinen Uhr⸗ 


macher aus der Poſada San Antonio, auf den 


ſich Leſer meiner früheren Reiſen vielleicht noch 


beſinnen, wenn ich ihnen ſeinen Handel mit 
Oelgemälden und Kolibris in's Gedächtniß zu⸗ 
rückrufe. Er hatte Quito endlich mit all' ſeinen 
Habſeligkeiten und Schätzen verlaſſen und wollte 
ſeine Oelgemälde nun entweder in Süd- oder 


Mittelamerika verwerthen, denn in Europa hätte 
er wohl kaum einen Markt dafür gefunden. 


8 =, 


In Panama quartierte er fich auch in einem 


anſtändigen Gaſthof ein — aber er war ein an⸗ 
ſtändiges Leben nicht mehr gewöhnt, oder der 


Platz ihm auch um eine Kleinigkeit zu theuer. 


Trotzdem alſo, daß er dabei ein recht hübſches 
und mühſam genug angeſpartes Vermögen in 


baarem Gelde bei ſich trug, zog er dort aus und 


in eine der ordinärſten und billigſten Kneipen 
hinein, und der Erfolg war ein ſehr trauriger. 

Er bekam das gelbe Fieber oder eine andere 
ſchwere Krankheit — einzelne Leute in Panama 


wollen ſogar behaupten Gift — kurz er ſtarb, a | 


und nur ein Theil ſeines Vermögens wurde durch 
das Einſchreiten des preußiſchen Conſuls in 


Panama, Herrn Cunau, ſeinen Verwandten da= 
237 


e 


Erbe 
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W 


| 356 2 


heim gerettet. Daß der Todte übrigens, ehe das 
geſchehen konnte, in bedeutender Weiſe beſtohlen 


. 8 wurde, unterliegt gar keinem Zweifel, und es 
war mir wirklich ein wehmüthiges Gefühl, als 


ich in Panama ſelber in einigen Läden die aus 
feinem Nachlaß um einen Spottpreis verauctio⸗ 
nirten Gegenſtände, an deren Erwerb er die 
beiten Jahre ſeines Lebens verwandt, zum Ver— 
kauf ausgeſtellt ſah. 

Der Markt in Panama gehört zu den er— 
bärmlichſten, die ich je im Leben geſehen, und 
beweiſt, daß in Panama ſelber, trotz dem frucht— 
baren Boden, der es umgiebt, wenig oder gar 
nichts an Landesproducten gezogen wird. Außer 
dem ſieht das dort aufgehangene Fleiſch ſo 


5 ſchwarz und unappetitlich aus, daß man ſich das 


Fleiſcheſſen unter dieſer Breite ganz abgewöhnen 
möchte. 

Panama wie Aſpinwall oder Colon ſind übri⸗ 
gens Freihäfen, und es läßt ſich denken, wie 
das den Verkehr heben mußte, da es ihm überall 
freien Spielraum gab. Von Aſpinwall aus 
gehen deshalb auch die Waaren raſch nach Pas 
nama hinüber, und da ſie hier durch keine enorme 
Steuer vertheuert werden, jo kommen die Händ— 
ler der ganzen weſtlichen Küſte, ſoweit dieſelbe 


557 


mit Dampfern oder kleinen Fahrzeugen zu er⸗ 


reichen iſt, hierher und kaufen ihre Waaren für ke 


den Detailhandel ein. Deutſche und Spanier 
haben dort die größten Importgeſchäfte und ver- 
dienen dabei natürlich viel Geld. 

Manche Sachen kauft man hier aber auch — 


wenn man bedenkt, daß man ſich in einem über⸗ 5 
ſeeiſchen Land befindet — zu ganz erſtaunlich 


billigen Preiſen, beſonders Kleidungsſtücke, die 


aber dafür auch einen Hauptartikel bilden. Die 


Zahl der Läden, in denen man fertige Kleidungs— 
ſtücke findet, iſt wirklich Legion, und die Billig⸗ 
keit derſelben hat ſogar auf den californiſchen 
Dampfern der Weſtküſte einen ganz neuen In⸗ 
duſtriezweig eröffnet. 

Da nämlich die von San Francisco kommen⸗ 
den Dampfer ihre Paſſagiere gewöhnlich dire et 
über die Landenge führen, ſo daß ihnen gar 
keine Zeit gegönnt wird, in Panama ſelber Ein⸗ 
käufe zu machen, ſo haben die Barbiere dieſer 
Fahrzeuge zugleich einen Handel mit Kleidern 
und Schuhwerk angelegt, und die Barbierſtube 


auf ihnen ſieht deshalb genau aus wie ein Kleider 


laden. Dieſe Alle kaufen ihren Bedarf in Pa⸗ 
nama, und da ſie ſich mit einem geringen Nutzen 
begnügen, ſetzen ſie auch ziemlich viel ab. 


358 


Panama ſollte eigentlich ſehr gute Hötels " 
haben, läßt aber darin noch Manches zu wün⸗ 
ſchen übrig. Das ſogenannte Grand-Hötel iſt 


0 das größte und ein ſtattliches Gebäude an der 


Plaza, über die Koſt darin wurde aber geklagt 
und das Aſpinwall⸗Hötel ihm vorgezogen — das 
find aber auch die beiden einzigen, und Fremde 
ſollten ſich beſonders davor hüten, gerade an 
dieſer Stelle in einem Hötel zweiten Ranges, 
von denen es allerdings genug giebt, einzukehren, 
denn wenn ſie auch in den größeren etwas mehr 
bezahlen müſſen, haben ſie doch auch mehr Sicher— 
heit für ihr Eigenthum. 

Eigenthümlich iſt in Panama, daß man nur 


„ zwei Arten von Häuſern darin findet, und zwar, 


wie ſchon vorerwähnt, Kleiderläden mit einer 
Auswahl von anderen Dingen dabei, wie ſich 
natürlich von ſelbſt verſteht, und dann kleine, 
offene Buden, in denen, wenn man hineinſieht, 
eine Anzahl Flaſchen auf Regalen ſtehen und den 
Eindruck machen, als ob darin ſpirituöſe Ge— 
tränke verkauft würden. Das iſt aber nicht wahr 
— meiſt in Allen ſind das leere Flaſchen, die 
ſonderbarer Weiſe dort zur Schau ausgeſtellt 


werden, und deren Eigenthümer dann meiſt immer 


jüngere oder ältere Damen ſind. 


389 


Was die Literatur Panamas betrifft, ſo be⸗ 
ſchränkt ſich dieſelbe auf zwei, halb in engliſcher, 
halb in ſpaniſcher Sprache herausgegebene Zei⸗ 
tungen, der Star und Herald, von einem Eng⸗ 
länder und Deutſchen, die Chronicle, von einem 
Amerikaner und Deutſchen redigirt. Beides ſind 
allerdings mehr commerzielle Blätter, aber doch, 
ihrer Verbindung mit den benachbarten Theilen 
Amerikas wegen, von nicht geringer Wichtigkeit. 
Sie bringen jedenfalls aus allen dieſen kleinen 
Republiken die neueſten und ſicherſten Nachrich⸗ 


ten und haben deshalb auch eine unverhältniß⸗ 1 


mäßig große Verbreitung nach dem Ausland. 
Panama macht auch in dieſer Hinſicht ſeine vor⸗ 
theilhafte Lage geltend; daß aber die Neugras 
nadienſer ſelbſt eine höchſt untergeordnete Rolle 
in dieſer neugranadienſiſchen Literatur ſpielen, 
verſteht ſich von ſelber. Sie kommen gar nicht 
in Betracht. 

Wandert man übrigens durch Panama, ſo 
ſieht es faſt ſo aus, als ob es in den letzten 


Jahren eine Unmaſſe von Belagerungen mitge- 


macht hätte und verſchiedene Male beſchoſſen 
wäre, denn überall trifft man Häuſer und be⸗ 
ſonders Kirchen in Ruinen, und doch erfreute 
ſich gerade dieſe Stadt, unter dem Schutz der 


75 — n 
u 
. 


360 


Fremden, einer faſt ungeſtörten Sicherheit. Die 
Ruinen ſind aber nur eine Folge der Faulheit 
dieſer Race, und was hier im Land gebaut wurde, 
geſchah — wenn es alt iſt, durch die Spanier 
— wenn neu, durch den Unternehmungsgeiſt von 
Amerikanern und Engländern, die Eingeborenen 
hatten wahrlich keine Hand darin. Amerikaner 
wie Engländer legten aber ihre Bauten meiſt 
außerhalb der Stadt, beſonders auf den dem 
Schiffsverkehr mehr günſtigen Inſeln an, von 
denen ſie einige in beſonderem Beſitz halten, und 
deshalb hauptſächlich liegt jo vieles Grundeigen— 
thum in der außerdem kleinen und mit Raum 
beſchränkten Stadt noch leer und unbenutzt. 
Die Amerikaner haben ſich beſonders nach 
der Eiſenbahnſtation hinausgezogen und dort auch 
ein vortreffliches Werft gebaut, an dem die 
kleinen Lichter⸗Dampfer anlegen können. Die 
Engländer, die auch in Aſpinwall ein ſchönes 
Werft und eine eiſerne Kohlenniederlage gebaut 
haben, beſitzen draußen in der Bai von Panama 
eine eigene kleine Inſel, wo die Dampfſchiff⸗ 
Geſellſchaft ihre Docks, Niederlagen und Arbeiter— 
wohnungen hat. In Panama ſelber halten ſie 
ſich nicht viel auf — größere Dampfſchiffe können 
auch nicht einmal bis dicht an die Stadt hinan⸗ 


361 


fahren, und erſt wenn der Iſthmus in die Hände 
der Fremden — und dann jedenfalls in die der 
Amerikaner übergeht, wird die Stadt ſelber auf- 
leben und eine größere Bedeutung erlangen. 
— Bis jetzt iſt ſie nichts weiter als ein großes 
Hötel, in dem eine Maſſe von Fremden aus- und 
eingehen, während auch einzelne Familien — 
aber doch nur eben einzelne, Wohnung darin 
nehmen. Dieſe beſuchen ſich auch wohl dann 
und wann untereinander — man ſieht wenigſtens 
manchmal Abends einen Neger, der eine Anzahl 
von Damen nach Hauſe bringt und dabei eine 
ſinnreiche Erfindung von fünf zuſammengeſtellten 
Laternen auf dem Kopf trägt — aber die Frem⸗ 
den ſelber haben keinen einzigen Vereinigungs⸗ 
punkt — den Schenkſtand ihres eigenen Hötels 
ausgenommen. Wozu auch — fie bleiben höch— 
ſtens zwei oder drei Tage hier — ſo lange ſie 
eben müſſen, und ſtrömen dann wieder nach allen 
Compaßſtrichen auseinander. 

Uebrigens iſt das Leben in Panama als weit 
theurer verſchrieen, als es ſich wirklich heraus— 
ſtellt, und man lebt hier thatſächlich billiger, als 
irgendwie in Mexiko oder gar jetzt einer Stadt 
der Vereinigten Staaten. Das leidige Hazard— 
ſpiel freilich, was überall in dieſen ſpaniſchen 


362 


Ländern geſtattet iſt, verleitet Viele, ihr Geld 


a a dabei aus dem Fenſter zu werfen, und in je dem 


Hötel findet ſich dazu die Gelegenheit. Wer aber 
thöricht genug iſt, ſich von falſchen Spielern 
rupfen zu laſſen, darf ſich nachher auch nicht 
darüber beklagen und hat ſich die Schuld ſelber 
zuzuſchreiben. 

Gegenſtände, die man fertig kauft, kann man 
in keinem amerikaniſchen Hafen, ohne Aus⸗ 
nahme, billiger bekommen, als eben in Panama, 
aber Gnade Gott freilich dem, der einem der 
dortigen Handwerker in die Hände fällt. So 
kaufte ich mir zum Beiſpiel ein paar gute Bein⸗ 
kleider für 3 Dollars — an der einen Seite 
war die Naht etwa 1½ Zoll weit aufgegangen 
und ich mußte die 12 oder 16 Stiche daran extra 
mit 50 Cents bezahlen. Wer ſich auf dieſem 
Iſthmus niederläßt, thut es nur, um von den 
Fremden ſo raſch als irgend möglich reich zu 
werden, und daß er dabei keine Gelegenheit ver— 
ſäumt, läßt ſich denken. 

Die Lage Panamas iſt, wie geſagt, entzückend 
ſchön, und eine reizendere Bai giebt es nicht in 
der Welt — Rio de Janeiro kaum ausgenom- 
men. Die zahlreichen kleinen, mit Palmen be⸗ 
wachſenen Inſeln umher bilden eine wahrhaft 


363 i 

prachtvolle Ausſicht, und das Leben, das da 
draußen zwiſchen den dort ankernden Dampfern 
und Segelſchiffen herrſcht, die zahlreichen Segel- 
boote, die herüber- und hinüberkreuzen, die Uns 
zahl von braunen großen Pelikanen, die dazwi⸗ 
ſchen fiſchen, bieten einen nie zu vergeſſenden 
Anblick — aber umdrehen darf man ſich freilich 
nicht, denn der Schmutz in den eigentlichen 
Straßen der Stadt fällt Einem dann nur um ſo 
unangenehmer auf. Ja, ſelbſt wenn man eine 
der kleinen, auf den Palmeninſeln zerſtreuten 
Ortſchaften betritt, ſieht man augenblicklich, daß 
man ſich in ſüdamerikaniſchem Unrath befindet. 
Die Poeſie ſchwindet, und ſelbſt die Palmen ver: 
lieren ihren Reiz und Zauber. 

Von der Juſtiz des Landes bekamen wir, 
ehe wir die Stadt verließen, auch noch ein klei⸗ 
nes Beiſpiel. 

Am letzten Tag meines Aufenthaltes in Pa⸗ 
nama hatte ein Amerikaner ſeiner Mannſchaft 
erlaubt, an Land zu gehen, und die Leute be⸗ 
tranken ſich denn auch raſch genug und fingen 
Streit untereinander an. In einer kleinen Sei⸗ 
tenſtraße begann der Kampf, aber man brachte 
die Matroſen doch bald gütlich wieder ausein⸗ 
ander; — es war nichts als eine kleine Rauferei 


364 

geweſen, bei der ſich natürlich keine Polizei 
blicken ließ. Wo zehn oder zwölf amerikaniſche 
Matroſen zuſammen ſind, können ſie thun was 
ſie wollen, die neugranadienſiſchen Polizeiſoldaten 
hüten ſich wohl, ihnen zu nahe zu kommen. An⸗ 
ders geſtaltet ſich das aber, wenn ſie einen armen 
Teufel einzeln überfallen können, und das ge— 
ſchah noch an dem nämlichen Abend. 

Einer der Mannſchaft war in das dem Aſpin⸗ 
wall gegenüber gelegene Kaffeehaus gegangen 
und hatte ſich wollen etwas zu trinken geben 
laſſen. Der Mann taumelte allerdings, betrug 
ſich aber ſonſt ganz ruhig, als ihn plötzlich die 
Polizei witterte, und doch wenigſtens einen 
Matroſen einliefern wollte. Ob er ſich vorher 
an der Prügelei betheiligt oder nicht, wußte Nie- 
mand — kam auch gar nicht darauf an. Fünf 
von dieſen Geſellen, mit etwa zwanzig ruppigen 
Ladengehilfen als Beiſtand, machten einen An- 
griff auf den Einzelnen, der ſich aber nicht im 
geringſten ſeiner eigenen Fäuſte bediente, oder 
er hätte den ganzen Schwarm zuſammengehauen, 
ſondern Jeden, der ihn anfaſſen wollte, nur 
rechts oder links bei Seite warf. Die ganze 
Bande fiel da zuletzt zu gleicher Zeit über ihn 
her, und die Polizeidiener zeigten dabei beſon— 


365 


dere Luſt, den ſchon Gefangenen und Feſtgehal⸗ 15 = 
tenen mit ihren Knüppeln niederzuſchlagen. Ds 
aber litten wir umherſtehenden Fremden nicht, 
wenn wir uns auch natürlich nicht ſpeciell in 


das Polizeiverfahren miſchen wollten. 


Was wir übrigens thun konnten, thaten wir, 
und vier von uns, die den ganzen Vorfall mit 


angeſehen, gingen augenblicklich zum Präfecten, 
um ihm den Thatbeſtand zu erklären und zu con— 
ſtatiren, daß der Mann unſchuldig verhaftet ſei. 
— Umſonſt. Der Präfect, ein kleiner, ſchmutzi— 
ger Neugranadienſer, der aber etwas engliſch 
radebrechte, war ſo grob als möglich, und wir 
Vier, wüthend über den unverſchämten Burſchen, 
der dabei ſeine ganze Mannſchaft hatte aufmar⸗ 


ſchiren laſſen, ſuchten nun den amerikaniſchen 


Conſul auf, um uns als Zeugen anzubieten. 

Wir fanden den Herrn auch — aber unglück⸗ 
licher Weiſe gerade beim Billardſpiel, in dem er 
ſich natürlich nicht konnte ſtören laſſen. Aller- 
dings war ein amerikaniſcher Bürger ungerecht 
eingeſperrt, und mußte, wenn nicht Einſprache 
geſchah, die ganze Nacht in einem feuchten, un- 


geſunden Loch zubringen; aber — es war nur 


ein Matroſe, und der Herr Conſul erklärte, er 
werde die Sache morgen unterſuchen. 


— 


Pfaffen ſieht man genug, und zwar in ihrer 
Ordenstracht, in den Straßen, an die Kirchen 
ſelber ſcheint aber wenig genug verwandt zu 
werden. Die Herren Geiſtlichen haben auch noch 
| nicht wieder jo recht feſten Fuß im Lande gefaßt, 
aus dem ſie vor noch nicht ſo langer Zeit der 
Präſident Mosquera ſämmtlich hinausjagte; aber 
— die Welt iſt rund und muß ſich drehen. 
Mosquera unterlag ſeiner Seits und mußte das 


Land verlaſſen, und im Handumdrehen waren 


wer 


jie wieder da. 

Sonſt läßt ſich von Panama wenig mehr ſa⸗ 
gen, als daß man in unglaublich kurzer Zeit ſehr 
viel Geld ausgeben kann. Dafür findet man aber 
auch hier, an dieſem Stapelplatz der Welt, wie 
man ihn faſt nennen könnte, eine Menge intereſ— 
ſanter Sachen aus anderen Ländern der Erde, 
z. B. prachtvoll geflochtene Hängematten aus 
Mittel⸗Amerika, viele chineſiſche Waaren, goldene, 
in Panama ſelber verfertigte Ketten (und dieſe 
in der That ſehr billig), Perlen, und als Eigen- 
thümlichkeit auch kleine goldene Zierathen, an— 
geblich alle echt und in Neu⸗Granada und Ecua⸗ 
dor ausgegraben oder gefunden. Mit dem An⸗ 
kauf derſelben muß man aber außerordentlich 
vorſichtig ſein, denn erſtlich wird ſehr viel ges 


* 


367 


fälſcht, und dann ſind nicht einmal alle wirklich 1 23 


gefundenen Sachen echt. Früher bekam man dieſe 
Gegenſtände auch zu ziemlich billigen Preiſen, 
jetzt hat ſich aber ein echt amerikaniſirter Deut⸗ 
ſcher — der leider ſein Deutſch vollſtändig ver⸗ 


lernt — des Verkaufs bemächtigt, und wer etwas 


von ihm erwerben will, muß auch tüchtig da⸗ 
für bezahlen. | 

Gerade damals wurde ziemlich viel von einem 
Schwindler geſprochen, der unter dem alten gu= 
ten Namen eines Grafen von Auersperg nicht 
allein die Bewohner Panamas, ſondern auch die 
von Guayaquil, Lima, St. Thomas und Havannah 
arg gebrandſchatzt und mit falſchen Creditbriefen 
das Unglaubliche geleiſtet haben ſoll. Beſonders 
in Guayaquil, wo es ihm gelang, ſehr viel 


Geld aufzunehmen, behauptet man, daß er mit 


den Unzen nur ſo um ſich geworfen und viele 
Leute angeführt habe. Zuletzt iſt er in New-York 
geſehen worden, von wo aus er wahrſcheinlich 
dem Weſten einen Beſuch abſtattet. Man ver⸗ 
muthet, daß er ein früherer Kammerdiener des 
wirklichen Grafen ſei, der ihm abgeguckt, „wie 
er ſich räuspert und wie er ſpuckt,“ ſich aber ſonſt 
durch Manches verrathen ſoll, was ihn, als nicht 


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368 


den höheren Ständen angehörig, bloßſtellt. Das 
war aber hier an der Weſtküſte Amerikas natür⸗ 
lich nicht ſo auffällig, und er konnte deshalb ſein 
Spiel ſo lange und ungeſtraft treiben, noch dazu 
da er als Deutſcher den guten Namen miß⸗ 
brauchte, den beſonders unſere Landsleute an 
der Weſtküſte haben. 

Da ich auf meinem Rückweg nach Panama 
die Abſicht hatte, den Iſthmus zu kreuzen und 
nach Venezuela zu gehen, ſo mußte ich mich hier 
für die in Aſpinwall liegenden Dampfer ein- 
ſchreiben laſſen. Leider fand ich kein directes 
Fahrzeug, nicht einmal ein Segelſchiff nach La⸗ 
guaira, obgleich ſich manchmal dazu die Gelegen— 
heit finden ſoll; lange warten konnte und wollte 
ich aber nicht, und ſo ſah ich mich denn genöthigt, 
den Umweg über St. Thomas zu wählen, wohin 
die Paſſage von Aſpinwall aus 12½ Pf. St. 
koſtete. 

Am nächſten Morgen ſollte ein Extrazug nach 
Panama abgehen. In der Nacht war der von 
San Francisco kommende Dampfer eingelaufen, 
der etwa 350 Paſſagiere mitgebracht hatte. Dieſe 
mußten augenblicklich weiter nach New-York be⸗ 
fördert werden, und es iſt ein merkwürdiger An⸗ 


369 


blick, zu ſehen, wie das auch ohne den geringſten 
Aufenthalt geſchieht. 

Der kleine Dampfer, dichtgedrängt voll Men⸗ 
ſchen, mit einem andern Boot noch im Schlepptau, 
legt an — die Paſſagiere ſtrömen an Land und 
werden augenblicklich in die ſchon für ſie bereit⸗ 
ſtehenden Perſonenwagen hineingewieſen, denn 
Frühſtück bekamen ſie noch bei Lampenlicht an 
Bord. Omnibus nach Omnibus kommt dabei 
aus der Stadt, der Zug wird immer länger und 
Wagen nach Wagen angeſchoben. — Jetzt ertönt 
eine Trompete — die Sonne iſt eben aufgegan⸗ 
gen, und einige zwanzig Mann neugranadien⸗ 
ſiſches Militär — heute Morgen aber und viel⸗ 
leicht noch von voriger Woche her ungewaſchen, 
marſchiren auf und beſetzen, zum großen Erſtau⸗ 
nen und Amuſement der Paſſagiere, die ſich ihre 
humoriſtiſchen Bemerkungen laut lachend mitthei⸗ 
len, an beiden Seiten den Perron. Was ſie da 
ſollen, begreift Niemand, denn bei einem ausbre— 
chenden Tumult würden ſie höchſtens mit ihren 
eigenen Ladeſtöcken geprügelt werden. Jetzt geht 
der Ruf: „Alle an Bord!“ Wer ſich noch auf 
ebener Erde befindet, ſpringt nach den Wagen 


und wirft die im Wege ſtehenden neugrana⸗ 
Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. 24 


n 5 vom Stillen bis z 


12. 
Von Panama nach St. Thomas. 
Die Iſthmus⸗Bahn hat ſich, ſeit ich fie zu= 
letzt geſehen, und das ſind jetzt über ſieben Jahre 


her, außerordentlich verbeſſert, und es muß ges 95 


waltige Arbeit daran geſchehen ſein. Aber das 


iſt auch nothwendig, denn wenn die hier nur zun 
üppige Vegetation die Macht gewänne, wie ſie 
auch überall den guten Willen und die Kraft Se 
hat, fo wäre in wenigen Monaten die Bafn 


auch wieder vollſtändig überwachſen und in kaum 


einem Jahre undurchdringliches Geſtrüpp. Es 1 3 


mag jein, daß der Unterſchied, den ich hier fand, 


auch großentheils mit in der Jahreszeit lag; SR 


denn damals, im Juni, regnete es unaufhörlich, 


während jetzt, im Februar, die trockene Jahres 


zeit ſein ſoll; aber dort, wo ich früher nur 
24* 


3% 


8 Sumpf gefunden, in dem die Schienen lagen, 
war jetzt trockener und mit kleinen Chauſſeeſtei⸗ 


nen überworfener Boden, und breite, tiefe Grä⸗ 
ben zogen ſich an den meiſten Strecken neben 


der Bahn hin und dienten ebenfalls dazu, ſie 
trocken zu halten. Sie muß auch jedenfalls er⸗ 
höht ſein, wenn ich auch nicht begreife, wie das 
geſchehen ſein kann, ohne ſämmtliche Fahrten zu 
unterbrechen. Erde iſt jedenfalls in ungeheuren 
Maſſen aufgefahren, und ganze Hügel in der 
Nähe der Bahn hat man geebnet und dazu ver⸗ 
wandt. 

Die Vegetation durch dieſe Sümpfe iſt aber 
immer noch ſo mächtig, wie ſie je geweſen. Man 
ſieht allerdings keine jener rieſigen Laubholz⸗ 
bäume, wie in den bergigen Diſtricten der Tro— 
pen, und die wenigen, die wirklich hier ſtehen, 
haben wohl dann und wann ſtarke Stämme, 
aber dabei ganz unanſehnliche, dürftige Wipfel, 
die ihnen weit eher ein komiſches als großartiges 
Ausſehen geben. Um ſo üppiger aber wachſen 
dagegen Palmen und Bananen, wildes Rohr, 
Bambus, Fächerpalmen und ähnliche Gewächſe, 
und man paſſirt nicht ſelten Stellen, wo die Ve⸗ 
getation eine wirkliche und entſchiedene Mauer 
bildet, und ſich der Menſch erſt, wenn er dieſe 


373 


Wildniß durchdringen wollte, mit Meſſer oder 
Macheta ſeine Bahn hauen müßte. i 

Die Stationen an der Bahn ſind dabei au⸗ 
ßerordentlich freundlich angelegt, mit hübſchen, 
weiß gemalten Häuſern und niedlichen, gut ge⸗ 
haltenen Gärten. In gar nichts dagegen haben 


ſich die Hütten der dicht daneben liegenden In⸗ ah 
dianer verändert, obgleich die Indianer jelber 


einen andern Charakter angenommen. 

Die elenden Hütten ſtehen noch immer dort 
mit ihren hohen, bis faſt zur Erde niederreichen⸗ 
den Palmblattdächern, ohne Garten, ohne jede 


Bequemlichkeit, dicht an den ſchmutzigen Boden En 


angeſchmiegt. Die Häuſer müſſen von Ungezie⸗ 
fer, beſonders von Centipeden und Skorpionen, 
wimmeln, und man begreift gar nicht, weshalb 
fie dieſelben nicht ebenfalls, wie z. B. in Ecua⸗ 
dor, auf kurze Pfähle ſetzen, was ſie jedenfalls 
luftiger und reinlicher halten würde. Aber es 
iſt einmal die Sitte ſo, und wie der Vater ſie 
vor ihm gebaut hat, baut ſie auch nach ihm der 
Sohn. 

Sonſt aber haben ſich die Indianer, freilich 
durch die Umſtände auch wohl mit dazu gendthigt, 
um jo mehr hier verändert, und dabei nur theil⸗ 


weiſe zu ihrem Beſſern. Früher gingen ſie, 


a 


das läßt ſich nicht leugnen, ganz nackt und wur- 


1 den erſt von den Amerikanern, nachdem die Bahn 


hindurchging und viele Damen den Weg paſſir⸗ 
ten, dazu genöthigt, ein Hemd anzuziehen — das 


Wenigſte, was man von einem Menſchen ver- 


langen kann. Nach und nach kamen ſie auch 
dazu, ſich allerdings ſehr leicht, aber doch ordent— 
lich zu kleiden; aber wo ſind überhaupt die In⸗ 


. dianer geblieben, die hier noch vor kaum zwanzig 


Jahren vollkommen unvermiſcht lebten? Fährt man 
jetzt hier durch, ſo ſieht man wohl noch einzelne 
jener ſchlanken, braunen Geſtalten, aber zwiſchen 
ihnen herum ſpielen ſchwarzbraune, wollköpfige 
Kinder, und faſt in allen Thüren ſtehen breite, 


5 klotzige Negergeſtalten und kündigen ſich als 


Herren des Hauſes an. Noch zwanzig Jahre, ja, 
vielleicht nur zehn, und es giebt auf dem Iſth⸗ 
mus von Darien keine Indianer mehr, denn die 


2 Neger haben fie verdrängt. So überzieht dieſer 


Fluch der Sclaverei langſam aber ſicher die ganze 
Weſtküſte Südamerikas. 

5 Aſpinwall ſelber hat ſich in den letzten ſieben 
Jahren außerordentlich vergrößert, denn deutlich 
erinnere ich mich noch an die paar kleinen Bretter- 
buden, die, mit mächtigen Buchſtaben bemalt, 
großartige Hötels und andere Dinge verkündeten. 


375 
Dieſe Buden ſind jetzt vollſtändig verſchwunden 
oder in das Negerviertel der Stadt zurückgedrängt, 
und ſtatt derſelben ſieht man ganz hübſche, zum 
Theil maſſive Gebäude von zwei Stock Höhe. 
Ungeheure Geſchäfte werden dabei allerdings in 
Aſpinwall gemacht, aber die offenen Läden find 
alle nur darauf berechnet, aus den dort landen? 
den Fremden, von denen ſie wiſſen, daß Feine 
von ihnen, wenn er nicht nothgedrungen muß. 
auch nur über Nacht bleibt, ſo viel herauszu⸗ a 
preſſen, als ſie möglicher Weiſe können; nachher 
mögen ſie wieder laufen. Genau ſo ſollen denn ee 
auch die Hötels fein, denen ich aber zum Glück 
noch nicht in die Hände gefallen bin, denn man 88 
richtet ſich überhaupt ſchon immer ſo ein, daß 
man nur eine oder ein paar Stunden Aufent⸗ 
halt in dem Neſte hat. Ba. 
Und was für eine entſetzliche Atmoſphäre 
durchweht den Ort! Man riecht in der That die | 
matten, heißen und ſchweren Dünſte, die fieber? 
geſchwängert auf ihm lagern, und dankt Gott, 
wenn man erſt wieder draußen auf dem blauen 
Waſſer in der freien, geſunden Briſe ſchwimmt. 
Wer dorthin zieht, thut es auch nur, um ſo | | 
raſch als möglich eine Summe Geldes zuſammen⸗ = 
zuſchlagen und dann, wenn er wirklich das Leben 5 


376 
behalten hat, in ein fälteres, geſünderes Klima 
zurückzukehren; aber ungeſtraft geſchieht das wahr⸗ 
lich nicht, denn mit voller Geſundheit kehrt Keiner 
aaus dieſem Fieberland zurück. Die Meiſten haben 
ihre noch kurze Lebenszeit daran zu tragen, und 
ihre Erben allein ernten gewöhnlich den ſchwer 
genug erworbenen Lohn. 

Uebrigens kann man die älteren Reſidenten 
augenblicklich von den neu eingetroffenen Frem⸗ 
den unterſcheiden, die gewöhnlich eine geſunde 
oder doch wenigſtens menſchliche Geſichtsfarbe 
mitbringen. Die eigentlichen Bewohner von Aſpin⸗ 
wall ſehen weit mehr grün als gelb aus, und 
um die Augen tragen ſie alle dunkle Ränder, 
wie denn auch ihre Lippen faſt keine Farbe haben. 

Und doch habe ich Leute in einem ſolchen Zus 
ſtand geſehen, die ſich kaum ein volles Jahr in 
dieſem Peſtloch aufhielten. Man kann es ihnen 
da wirklich nicht verdenken, daß ſie raſende Preiſe 
für Alles fordern, was ſie eben leiſten oder zum 
Verkauf feilhalten. 

Einen höchſt intereſſanten Anblick bietet die 
Front⸗ oder Waſſerſtraße von Aſpinwall, beſon⸗ 
ders zu der Zeit, in welcher gerade ein langer 
Bahnzug die Dampfer-Paſſagiere von Panama 
herübergeſchafft, oder andere Steamer von New- 


377 


York neue Durchwanderer auf den Iſthmus ge⸗ 
worfen haben — und ein ſolcher Verkehr herrſcht 
nicht allein drei- oder viermal die Woche, ſon⸗ 
dern manchmal ſogar jeden Tag. 


Dieſe vordere Straße iſt, der ſo häufig nieder⸗ 


ſtrömenden Regen wegen, mit Colonnaden ge— 
baut und zu ſolcher Zeit jo gedrängt voll Men: 
ſchen, daß man ſich ſeinen Weg kaum hindurch 
bahnen kann. Dieſe drängen ſich dabei aus einem 
Local in das andere, wo Verkaufsläden und Res 
ſtaurationen mit einander abwechſeln, oder 
feilſchen auch an den kleinen, in den Colonnaden 
aufgeſtellten Ständen, an welchen allerlei Curio⸗ 
ſitäten: Muſcheln — Kernarbeiten, Calabaſſen, 
Mützen aus Cocospalmenbaſt, natürlich gewachſen, 


Muſchelſchmuck und hundert andere Dinge mit 


Früchten und auch Spirituoſen zum Verkauf 
ausſtehen. Aſpinwall hat ja ſowohl Freihafen 
wie Freihandel, und dieſem Verkehr ſind deshalb 
keine Schranken geſetzt. 

Und was für Geſtalten ſieht man dabei in 
dem Gewühl — die eleganteſten Herren und 
Damen, wie fie eben aus der Cajüte getreten 


ſind, und das rauheſte, wildeſte Volk, das ſich 


über eine Woche in einem ſchmutzigen Zwiſchen— 
deck herumgetrieben und in der Zeit — und aus 


„ 
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378 


einem kalten Klima kommend, weder Kleider noch 
Wäſche gewechſelt hatte. Aber es ſind Alles 
Paſſagiere, und ein Jeder von ihnen hat wenig⸗ 
ſtens ein paar Dollar in der Taſche, um ſie hier 
für werthloſen Tand oder wirkliche Bedürfniſſe 
ſitzen zu laſſen. 

Eine ungeheure Verbeſſerung erhielt der Hafen 
durch die prachtvollen, weit ausgebauten Werfte, 
an denen nicht allein die Dampfer und Schiffe 
anlegen, löſchen und laden können, ſondern 
auf welche ſogar die Schienen der Eiſenbahn 
hinauslaufen, ſo daß die von Panama kommen⸗ 


den Waaren bis dicht an Bord hinangefahren 


und übergenommen werden. 

Das ſchönſte und praktiſchſt eingerichtete Werft 
hat übrigens die engliſche Royal-Mail⸗Company, 
mit einem rieſigen, vollſtändig aus Eiſen gebauten 
Kohlenſchuppen an der einen Seite, mit Krahnen, 
Eiſenbahn und Allem, was dazu gehört. Es 
muß allerdings an dieſem Ort ungeheure Sum⸗ 
men gekoſtet haben, lohnt ſich aber nun auch 
wieder in ſofern, als es ganz enorme Koſten 
erſpart und um fo viel weniger Menſchenkräfte 
verlangt. 
Dieſes neue Werft verdankt aber feine Ente 


ſtehung leider einem ſchweren Unglücksfall, der 15 


379 


das alte vor einigen Jahren betroffen und auf 
das ſich der Leſer vielleicht noch erinnert. 

Ein Kaufmann in Aſpinwall hatte dem dort 
gerade Ladung einnehmenden Dampfer eine 
Partie kleiner Kiſten als Fracht übergeben, die 
der Declaration nach harmloſen Inhalt trugen, 
in Wirklichkeit aber wollte der Betrüger darin 


eine Partie Sprengöl fortſchmuggeln, das ihm 8 


ſonſt von jedem Paſſagierboot verweigert worden 
wäre und ſelbſt auf anderen Fahrzeugen eine 
ſehr bedeutende Fracht hätten zahlen müſſen. 
Die Matroſen ließen die kleinen Kiſten, im⸗ 
mer einen Theil derſelben aneinander geſchnürt, 
ziemlich leichtſinnig in den unteren Raum hinab. 
Da rutſcht eine derſelben aus dem Seil und 
ſtürzt, und in demſelben Moment erfüllt ein 
furchtbarer Schlag die Luft. Das Oel hat ſich 
entzündet — der Dampfer am Werft iſt zer⸗ 
ſchmettert und in Brand gerathen, arbeitende Ma- 
troſen ſind in Atome zerſchellt und einzelne der 
Zuſchauer nur wie durch ein Wunder gerettet 
worden. Natürlich fingen die Ueberreſte des 
Bootes an zu brennen, und nur der Kühnheit 
eines andern engliſchen Dampfers war es zu 
danken, daß nicht noch mehr Unheil angerichtet 
wurde, da ſich auch noch eine Quantität Pulver 


380 
an Bord befand. So aber ſchleifte ihn derſelbe 
hinaus in See, wo er denn bald darauf zum 
zweiten Mal explodirte und ſank. 

Der Schaden war natürlich ein ungeheurer 
und manches Menſchenleben außerdem dabei zu 
beklagen. 

Unſer nach St. Thomas beſtimmter Dampfer 
lag ſchon ziemlich fertig langſeit. Er hatte nur 
noch eine Kleinigkeit Fracht einzunehmen, die wir 
ihm mit der „Talca“ von Süden heraufgebracht, 
beſonders Ballen mit Chinarinde. Die Paſſa⸗ 
giere waren ebenfalls an Bord, und etwa gegen 
vier Uhr wurden die Taue, die uns noch am 
Ufer hielten, gelöſt und wir gingen in See 
hinaus. - 

Etwa eine Stunde früher war der Oppoſi⸗ 
tions⸗Dampfer der Pacific-Linie von New⸗ 
Hork eingelaufen und ſetzte einen unglaublichen 
Schwarm von ruppig genug ausſehenden Paſſa— 
gieren an Land. Dieſe Leute kamen aber erſt 
eben ganz friſch aus der bitteren Winterkälte 
New⸗Yorks in dieſen Brütofen Amerikas, und 
wunderlich genug ſtachen Viele mit ihrer Tracht 
gegen das jo luftig angezogene Volk der Küjte 
ab. So ſah ich Einige ſogar — hier ein uner- 
hörter Anblick — in Pelzröcken, in welchen ſie, 


381 


wahrſcheinlich mangelnder Wäſche wegen, ganz 
gehörig eingeknöpft gingen. Shawls trugen eine 
Menge von ihnen und kleine Kinder regelmäßig 
jede Frau. 

Viele von ihnen trafen es übrigens glücklich, 
daß ſie gleich mit dem Extrazug, der uns von 
Panama herübergebracht, hinüberfahren konnten. 
Alle war der Zug aber nicht im Stande mit⸗ 
zunehmen, denn das Schiff ſollte eine ungeheure 
Anzahl an Paſſagieren, ich glaube 1400, halten. 
Was eingeſtopft werden konnte, ging aber mi, 
und als ſich der Zug endlich, gerade als auch 1 
wir in See gingen, in Bewegung ſetzte, ſtießen 
die Paſſagiere ein wahrhaft indianiſches Freu— 9 
dengeheul aus, das deutlich bis zu uns herüber⸗ 
tönte. Ich war froh, daß ich nicht mit zwiſchen 
der Geſellſchaft ſaß; ein ruhiger Menſch hätte 
ſich dort unmöglich behaglich fühlen können. 

Uebrigens zeigte ſich hier deutlich, in welchem 
Geiſt die Oppoſition zwiſchen dieſen beiden 
Dampferlinien betrieben wird; denn den Paſſa⸗ 
gieren von San Francisco, die nicht gleich ihr 
Billet durchgenommen hatten, wurden nicht etwa 
die durch die Oppoſition ermäßigten und feſt⸗ 
geſtellten Preiſe abgenommen, ſondern fie muß⸗ 
ten, da in dem Augenblick noch kein anderer 


® 


Dampfer da oder auch nur ſignaliſirt war, die volle 
und ſehr hohe Paſſage nach New-Pork bezahlen. 


Kaum eine Stunde ſpäter aber, als wir von 


Panama hier ankamen, lief er in Sicht, und 
jetzt hätten die Paſſagiere leicht 100 Dollars er⸗ 
ſparen können, denn die erſte Linie würde ſie 
um jeden Preis mitgenommen haben, nur um 
ſie der andern nicht zu gönnen. Es war aber 
zu ſpät. Da der erſte Dampfer faſt mit uns 
zugleich oder doch bald nachher abging, ſo hatten 
ſich die Reiſenden genöthigt geſehen, ihre Billets 
gleich zu nehmen, und von denen wurde ſelbſt— 
verſtändlich keins wieder herausgegeben. 

Leider mußten wir es erleben, daß der Ameri- 
kaner, der nach uns ausgegangen, näher und 
näher kam, und etwa um halb ſieben Uhr unter 
dem Hohngeſchrei der darauf befindlichen ameri⸗ 
kaniſchen Paſſagiere dicht an uns vorüberlief. 
Es ließ ſich aber nicht ändern; es war wirklich 
ein wackeres Boot und ließ uns bald weit hinter 

ſich zurück. | 
Dias geſchah am 23. Februar 1868, und der 
kleine Dampfer „Solant“ ſollte uns nur bis Ja⸗ 
maica bringen, wo wir nachher von dort aus 
den größeren benutzten. 

Früher war dieſer nur bis St. Thomas ge⸗ 


88 


gangen und hatte dort die von Jamaica und 
Aſpinwall eintreffenden Zwiſchenboote erwartet, 
um darnach ſeine Fahrt nach England anzutreten. 
Jetzt iſt das abgeändert, und man ſpricht ſogar 


davon, daß St. Thomas — theils des beabſich⸗ 


tigten amerikaniſchen Kaufes — theils der ewig 


dort herrſchenden Krankheiten wegen, von der 


engliſchen Poſtlinie ganz aufgegeben werden ſoll. 


Jedenfalls hatten wir eine angenehme Fahrt, 


von ruhiger See begünſtigt, und mir war der 
Umweg über Jamaica, wenn er auch etwas mehr 
Geld koſtete, ganz recht, indem ich doch dabei 
manche der übrigen An. Inſeln zu ſehen 
bekam. 


Am 26. erreichten wir die „Perle der Ae 


tillen“, Jamaica, und der Anblick der Inſel, 
deren hohe Gebirgszüge von Nebeln durchzogen 
wurden, war wirklich prachtvoll. Kingston ſelber, 
wo der Dampfer anlegte, machte jedoch einen 


weniger günſtigen Eindruck und iſt auch in der 


That nur ein kleines erbärmliches Neſt. 
Deſto ſchöner war aber dafür die Einfahrt in 
den Hafen — für Segelſchiffe jedoch nicht ganz 


ungefährlich, da eine Menge von kleinen Inſeln, 


Klippen und Sandbänken im Weg liegen und 
ſorgſam vermieden werden müſſen — aber das 


384 


Bild wird dadurch jo viel ſchöner. Ueberall, 
wohin ſich der Blick wendet, fällt er auf kleine 
zerſtreute Wohnungen, Cocospalmen ſchaukeln 


5 ihre federartigen Wipfel darüber hin, und das 


Grün der Berge bildet einen reizenden Hinter⸗ 
grund. Jetzt ſchießt das Boot an einer langen 


. Landzunge hin, jo flach, daß ſie kaum über der 


hohen Fluth trockenen Boden zeigt, und Baracken 
und Zelte, mit dazwiſchen aufgepflanzten Kanonen 
unter einem ganzen Wald von Palmen, mit den 
überall gelagerten ſchwarzen Soldaten in Zuaven⸗ 
tracht, ſehen maleriſch genug aus. 

Kingston iſt auch in der That von einer nicht 
unbedeutenden bewaffneten Macht umgeben, denn 
die letzte Neger-Revolution hat die Weißen vor⸗ 
ſichtig gemacht, ſo daß ſie jetzt im Stande ſind, 
einen neuen Ausbruch raſch und im erſten Keim 
zu erſticken. Nicht allein hier liegt Militär, ſon⸗ 
dern hinter der Stadt find die eigentlichen Ba— 
racken der Negerſoldaten, während hoch in den 
Bergen, im ſogenannten Newcaſtle, die weißen 
Soldaten ihr Lager in dem geſündeſten Theile 
des Landes haben, aber in kaum zwei Stunden 
in der Stadt ſelber ſtehen können. 

Jetzt biegen wir um die Landzunge, und wie 
ein kleines Aquarell-Gemälde liegt das Städtchen 


385 


Kingston, mit zahlreich dort ankernden Schiffen, 


herüber⸗ und hinüberkreuzenden Booten und von 


hochſtämmigen Palmen überragt, vor uns aus⸗ 
gebreitet. 7 


Unſer Boot legte ſich langſeit dem engliſchen 1 
Dampfer „Shannon,“ nach Southampton be 


ſtimmt, und ein kleiner Kahn führte mich in der 
nächſten Viertelſtunde ſchon an Land und brachte 
mich zwiſchen einen Haufen von Negerweibern, 
die hier eben eine Kohlenbarke löſchten. 

Alle dieſe Arbeiten auf Jamaica ſcheinen 
großentheils von Frauen gethan zu werden, und 
ein lebendigeres, aber auch geräuſchvolleres Trei⸗ 
ben ließ ſich hier kaum denken. 

Von dem am Werft liegenden Fahrzeug aus 
wurden die Kohlen auf das Werft ſelber gewor⸗ 
fen, und hier ſtanden einige ſechzig Negerinnen 
— in welchem Zuſtande der Reinlichkeit bei 
dieſer Arbeit läßt ſich eher denken als beſchrei n 
ben — füllten die Kohlen in Körbe, hoben ſich 0 
dieſe auf den Kopf oder ließen ſie ſich vielmehr 
aufheben, und ſchritten dann, ähnlich als ob ſie 


einen Cancan tanzten, unter Lachen, Schreien 
und Schimpfen — denn ein paar von ihnen 


ſchienen fortwährend in Streit dabei zu liegen — 
der Stelle zu, wo die Kohlen zum Gebrauch 


Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. 25 


386 


der einlaufenden Dampfer angehäuft wurden, und 
in der That hatten ſie dort ſchon ein kleines 
Gebirge angeſchaufelt. 

Das ſchnatterte und gellte und ſang aber 
durcheinander, daß man ſich hätte die Ohren zu— 
halten mögen — Neger ſind überhaupt ſehr laut, 
wenn ſie irgend eine Meinung äußern, und dieſe 
Klaſſe beſonders hielt nicht mit ihrer Stimme 
zurück. Anſtändig war die Unterhaltung, die 
zwiſchen den ausladenden Matroſen und couleur— 
ten Damen geführt wurde, ebenfalls nicht, das 
aber milderte ſie, daß es in einem nichtswürdigen 
engliſchen Dialekt geſchah, der allen dieſen Inſeln 
eigen iſt. Wie ſchade aber, daß ich kein Genre- 
maler bin, was für prachtvolle lebende Bilder 
habe ich ſchon geſtellt bekommen, und dieſe Koh- 
llenträgerinnen Kingstons gehörten jedenfalls zu 
den lebendigſten! 

Die Stadt ſelber bietet wenig oder gar nichts, 
beſonders nichts Neues oder Eigenthümliches; 
die Hauptſtraßen ſind ziemlich breit, aber die 
Häuſer niedrig und unbedeutend, und die ver— 
ſchiedenen Verkaufslocale dunkel und unanſehnlich. 
Natürlich benutzte ich meine Zeit ſoviel als 
möglich, und nahm mir einen der berühmten 
jamaicaſchen Fiakers, einen offenen Kaſten mit 


387 


einem Sonnendach, um die Umgegend ein wenig 
in Augenſchein zu nehmen; aber auch dieſe bot, 
wenigſtens in der Nähe der Stadt, nichts Be⸗ 
ſonderes, kaum viel Freundliches, denn alle die 
Gärten, durch welche wir fuhren, ſchienen arg 
vernachläſſigt und von Unkraut überwuchert. 
Auch die Bäume ſahen trocken aus, es war ja 


Winterszeit, und im Frühjahr mag wohl das 


Ganze einen freundlicheren Anblick gewähren. 
Intereſſant war es, die Waſſerwerke Kingstons 
zu beſuchen, zwei ungeheure Reſervoirs, die das 
klare Quellwaſſer aus den Gebirgen bekommen 
und es dann durch Röhren in die Stadt ver⸗ 
theilen. Eins von dieſen wurde gerade gereinigt, 
da ſich doch viel Schlamm am Boden angeſetzt 
und aus dieſem Waſſerpflanzen emporgewachſen 
waren. Auch hier verrichteten Frauen wieder 
die alleinige Arbeit: ein wahres Heer von ſchlamm⸗ 
bedeckten ſchwarzen Megären ſchaufelte ſich den 
Schmutz in kleine Butten, füllte dieſe halb voll, 
hob ſie ſich auf den Kopf und wanderte langſam 
ſehr langſam dann durch das leere Reſervoir 
der Treppe zu, um ihn oben abzuwerfen und 
dadurch an der einen Seite höheren Boden zu 
ſchaffen. In Amerika wäre das ganze Reſervoir 
jedenfalls in einem Tage gründlich gereinigt 
25 


388 


worden, hier gebrauchte man Wochen dazu, denn 


Niemand ſchien ſich dabei zu beeilen. 


Von dort ab fuhren wir nach den Baracken 
der ſchwarzen Soldaten hinaus, die auf einer 
weiten Ebene, ziemlich nahe bei dem Platz für 
die Pferderennen, und zwar ähnlich wie die nord— 
amerikaniſchen angelegt ſind. Die Gebäude waren 


* hoch und luftig, dem Klima angemeſſen, gebaut, 


und die Officierwohnungen hatten dabei kleine 
Gärten. Hoch darüber in den Bergen, aber noch 
Meilen entfernt, konnte man die lichten Zelte 
und Baracken der weißen Soldaten erkennen, 
die, wie es von unten ausſah, an einem ſteilen 
Berghang klebten. Hätte ich Zeit gehabt, ſo 
würde ich auch ſie gern beſucht haben, denn die 
Ausſicht von dort ſoll wahrhaft wundervoll ſein; 
da aber Dampfer die angenehme Gewohnheit 
haben, nie einzugeſtehen, wie lange ſie in einem 
Hafen liegen bleiben, ſo durfte ich mich nicht zu 
weit von meinem Fahrzeug, mit ſchon bezahlter 
Paſſage, fortwagen; ich konnte ſonſt zurückgelaſſen 
werden, denn auf einen Paſſagier wird ſicher 
auch keinen Moment gewartet. 

Deutſche giebt es ſonderbarer Weiſe in 
Kingston nur ſehr wenige, ich glaube kaum ein 
halbes Dutzend, und trotzdem hatte ich die Freude, 


389 
Bekannte darunter anzutreffen, mit denen ich 
nachher den Abend ſehr vergnügt verbrachte. Den 
Vortheil habe ich überhaupt auf meinen Reiſen, 
daß ich überall Freunde finde; es iſt das mit 
der ſchönſte Lohn, den mir die Schriftſtellerei 
abwirft. | 

Von Kingston ab, wo wir erjt noch an dem 
herrlichen Jamaica hinliefen, hatten wir eine 
höchſt intereſſante Fahrt, indem wir den größten 
Theil derſelben faſt immer in Sicht von Land 
blieben. Bis Jamaica waren wir, von Aſpinwall 
aus, nördlich aufgelaufen, von hier aus aber 
hielten wir öſtlichen Cours, die Inſeln im Norden 
laſſend, und erreichten am 28., noch ziemlich früh am 
Tage, nachdem wir San Domingo die ganze Zeit 
zu Backbord gehabt, die Neger-Republik Hayti, 
wo wir an einem der kleinen ſüdlichen Städtchen, 
Jakemil, anlegten. 

Nun hatten wir bis dahin einige Paſſagiere 
im dritten Platz gehabt, die allem Anſchein nach 
Geld beſaßen, denn ſie gingen ſehr anſtändig, faſt 
vornehm gekleidet. Uebrigens waren es unver- 
kennbar Mulatten, dieſe wären aber, ſelbſt wenn 
ſie das Doppelte hätten bezahlen wollen, nicht in 
die Cajüte aufgenommen worden. 

Nun finde ich das, vommoraliſchen Stand- 


390 


punkt aus betrachtet, abſcheulich, denn unſere 
„ſchwarzen Brüder“ müſſen für ihr gutes Geld 
die nämlichen Rechte haben wie wir ſelber — 
vom menſchlichen aus war es mir aber jeden⸗ 
falls recht, denn ich muß zu meiner Schande 
geſtehen, daß ich mich in der Geſellſchaft von 
Negern oder ihren Abkömmlingen nicht behag— 
lich fühle. Ich gönne ihnen alle errungenen 
Vortheile, und wünſche, daß fie dieſelben gut be= 
nutzen mögen, aber — ich ſelber mag nichts mit 
ihnen zu thun, wenigſtens keinen geſellſchaft— 
lichen Verkehr mit ihnen haben, und aufrichtig 
geſagt, war es mir recht, daß ich nicht bei Tiſch 
an ihrer Seite, oder vielmehr in ihrem Dunſt⸗ 
kreis ſitzen mußte. 

In Hayti, wo ſie vielleicht eine ſehr achtbare 
Stellung bekleideten, gingen ſie an Land, und 
als ſie das Boot hinüberbrachte, konnte ich 
deutlich erkennen, daß ein ganzer Menſchen— 
ſchwarm zum Ufer kam — vielleicht um ſie 
zu begrüßen. Wer kann in dem Herzen eines 
Menſchen leſen — es waren vielleicht Gouver— 
neure oder Miniſter geweſen; an Bord wurde 
aber nicht ihr Rang, ſondern nur ihre Haut 
in Betracht gezogen, und dieſe befähigte ſie ganz 
entſchieden nur für den dritten Platz. 


391 


Leider blieb uns ſelber keine Zeit, das Ufer 
zu betreten, und nur aus der Ferne durften 
wir das wunderliche Land betrachten, an das ich 
wirklich vorher gar nicht gedacht, oder ich hätte 
es doch vielleicht ſo eingerichtet, ein paar Wochen 
einmal hier zu bleiben. 

Jakemil ſelber ſchien ein ziemlich dürftiger 
Platz, aus dem nur die auf der höchſten Stelle 
liegende und jedenfalls noch aus der altſpaniſchen 
Zeit herſtammende große Kirche abſtach. Das 
Land ſelber, ſoweit wir es mit unſeren Te⸗ 
leſkopen überſchauen konnten, war, die uns 
mittelbare Nähe des Hafens abgerechnet, außer: 
ordentlich wenig angebaut. Nur ſehr vereinzelt 
ſah man kleine Hütten und dürftige Farmen. 
Wie eine Wildniß dehnten ſich die öden, ſchwach 
bewaldeten Hänge am Strande hin, und Wege 
ſchien es faſt gar nicht auf der Inſel zu geben. 
Die Leute darauf befinden ſich wahrſcheinlich 
außerordentlich wohl, aber ſie haben dann auch 
nur wenig Bedürfniſſe und arbeiten natürlich 
denen entſprechend. 

Der Hafen iſt übrigens ganz vortrefflich, und 
wir bekamen vollauf Zeit, ihn zu beobachten, da 
wir nicht vor Anker gingen, ſondern ſo lange 


392 


auf und ab fuhren, bis das von Bord abgeſetzte 
Boot zurückkehrte. 
Schon vorher hatten wir uns bei dem Offi⸗ 


eier, der das Boot begleitete, eine Quantität 


Pfeifen beſtellt, die er uns von Jakemil mit⸗ 
bringen ſollte. Dieſe ſcheinen das einzige hie— 


5 0 ſige Fabrikat zu ſein, und ſprechen allerdings 


nicht beſonders für die Induſtrie des Platzes. 
Es ſind kleine, ganz ordinär gebrannte Thonköpfe, 
und lange dünne Rohre einer dort wachſenden 
Binſenart, ohne weitere Spitze und nicht einmal 
in die Köpfe paſſend, gehören dazu. Jedenfalls 


0 muß es eine Eigenthümlichkeit des Landes ſein, 


denn Paſſagiere wie Mannſchaft ſchienen ganz 


verſeſſen darauf — außerdem ſind ſie — ein 


nicht hoch genug in dieſem Welttheil anzuſchla⸗ 
gender Vorzug — ſehr billig. 

Am 29. Abends erreichten wir die Höhe von 
Portorico, ebenfalls eine hohe, bewaldete und 


bergige Inſel, die wir aber zu weit abließen, 


um ſelbſt mit unſeren Fernröhren Näheres wahr— 
zunehmen, bis wir dann endlich am 1. März 


Morgens Crab⸗Island an unſerer Linken, hinter 


uns Portorico und vor uns die jo arg heimge— 
ſuchte Inſel St. Thomas hatten. 
Crab⸗Island iſt nicht ſehr hoch, ſcheint aber 


393 


ungemein fruchtbar und dicht beſiedelt; denn 
wohin auch das Auge fiel, konnten wir theils 
Zucker⸗Plantagen mit ihren weitläufigen, in der 
Sonne hell ſcheinenden Gebäuden, theils einzelne 
Anſiedlungen und Häuſer erkennen. Auch kleine 


Schooner glitten hie und da am Ufer hin und 
mochten wohl den Verkehr mit den verſchiedenen 1 


Theilen der Inſel unterhalten. 

Unſer Intereſſe wurde aber doch hauptſächlich 
durch St. Thomas, das immer deutlicher vor 
uns auftauchte, gefeſſelt; denn zu viel hatten 
wir davon gehört, und neuerdings ſogar die 
eben nicht erfreuliche Kunde erhalten, daß gegen— 
wärtig, nach Sturm und Erdbeben, die Cholera 
darauf wüthe und Hunderte von Menſchen hin— 
wegraffe. In Panama und Aſpinwall hatte 


man mir auch in der That ganz ernſtlich abge— 1 = 


rathen, die von dem Schickſal ſo arg heimge— 
ſuchte Inſel jetzt zu betreten, denn abgeſehen da— 
von, daß ich ſelber der Krankheit zum Opfer 
fallen könne, ſei die Wahrſcheinlichkeit, ja faſt 
Gewißheit da, daß ich kein Boot dort finden 
würde für die Weiterpaſſage, indem die Qua⸗ 
rantaine auf den Inſeln ſowohl als in Laguayra 
entſetzlich ſtreng ſei, und Fahrzeuge ſicherlich 
nicht einen einzelnen Paſſagier aufnehmen wür⸗ 


394 


den, durch den ſie vielleicht eine a ee 
Quarantaine bekamen. 

Jetzt war es entſchieden zu ſpät, das Alles noch 
einmal zu bedenken, und ich folgte meinem alten 
Wahlſpruch: „Nur immer mitten hineingeſprungen 
in alle Schwierigkeiten.“ Sitzt man dann erſt 
einmal drin, jo findet ſich auch ſtets eine Ge— 
legenheit, um wieder hinauszukommen. Mir iſt 
es bis jetzt wenigſtens noch immer geglückt, und 
ich vertraute denn auch jetzt meinem alten Schutz⸗ 
geiſt, der allerdings bei mir kein beſonderes 
ruhiges Brot gehabt. St. Thomas ſelber war 
mir zu intereſſant, um daran vorbeizufahren, 
und was die Gerüchte über an irgend einer 
Stelle wüthende Cholera betraf, ſo hatte ich darin 
ſchon zu viel Erfahrung gemacht, wie übertrieben 
dieſelben gewöhnlich ausfielen. 

Uebrigens fanden wir bald, daß unſer alter 
Dampfer „Shannon“, ein mehr bequemes als ſehr 
ſchnelles Boot, als wir uns der Einfahrt näher— 
ten, nicht auf den eigentlichen Hafen von St. 
Thomas zu hielt, ſondern in eine Seitenbucht 
einbog, während er noch außerdem die Quaran⸗ 
taine⸗Flagge aufzog. Das ſah nicht beſonders 
tröſtlich aus, ließ ſich aber auch nicht mehr äan⸗ 


395 


dern, und wir mußten jetzt jedenfalls ruhig ab⸗ 
warten, was über uns verhängt werden würde. 

Vier engliſche Dampfer lagen in der Bai: 
einer, der vom Sturm beſchädigt worden und 
jetzt reparirte, der Dampfer für Trinidad oder 
Demarare, der für Jamaica und der eben von 
England eingelaufene Poſtdampfer — aber nicht 
dieſe zogen unſere Aufmerkſamkeit auf ſich, ſon⸗ 
dern die überall an der Küſte umhergeſtreuten 


Wracks, die man ſelbſt in dieſer Seitenbuchet 


deutlich erkennen konnte. Dort lagen ein paar 
Schooner hoch und trocken auf den Steinen, dort 
zeigten ſich in den verlaſſenen und zerſtörten 
Keſſeln die Ueberreſte eines Dampfers, da ſtarrten 
noch Maſten aus dem Waſſer empor, und drüben 
am rechten Ufer konnten wir deutlich die Trüm⸗ 
mer zuſammengebrochener Gebäude erkennen, an 
denen Sturm, Erdbeben und Sturzwelle wahr— 
ſcheinlich zuſammengewirkt hatten. 

Es war ein Bild der vollſten Zerſtörung, 
und doch ſagten uns die Officiere, daß der 
größte Schaden ſchon wieder ausgebeſſert, und 
manches von den Fahrzeugen, die verſunken ge— 
weſen, durch Taucher und Pumpwerke wieder an 
die Oberfläche gebracht ſei. Uns ſchien es aber 
noch genug Verwüſtung, und beſonders ein alter 


396 


engliſcher Capitän, der ſich als Paſſagier mit an 
Bord befand, mochte wohl mit recht ſchwerem 


7 Herzen die umhergewaſchenen Schiffstrümmer 


betrachten — hatte er doch in dem Sturm nicht 
allein ſein Schiff, ſondern auch ſeinen Sohn 
darauf verloren! 

| Jetzt erreichte unſer Dampfer die Buoy, an 
welcher der Trinidad-Steamer hing, und legte 
dort an, und in kurzer Zeit mußte es ſich nun ent- 
ſcheiden, wie die Sache am Ufer ſtand und wie 
ich von hier — einmal angelangt — weiter be— 
fördert werden konnte. Das aber zeigte ſich bald 
als nicht beſonders tröſtlich. 

| Der Agent der Compagnie, der an Bord 
kam, erwiderte mir auf meine Frage, daß die 


5 Cholera in St. Thomas — genau, wie ich es 
mir gedacht — allerdings wenig oder gar keine 


Bedeutung habe. Bis jetzt wären nur Schwarze 
daran geſtorben und zwei Weiße — anerkannte 
Säufer, die es ſelber verſchuldet; aber trotzdem 
bekämen die Schiffe keinen Geſundheitspaß mehr, 
und wenn ich nach Venezuela mit dem Trinidad— 
Dampfer gehen wolle, ſo dürfe ich nicht an Land 
gehen, oder der Dampfer nehme mich nicht mehr 
auf. — Angenehm! — Aber wie ſollte ich er⸗ 
fahren, ob ich auf andere Weiſe fortkäme? — 


397 


„Das wiſſe er nicht,“ lautete die Antwort, „aber 


jo viel könne er mir jagen, daß das nach La⸗ x 


guayra beſtimmte Paketboot keine Paſſagiere vom 
Lande mitnehme. Wenn ich dort an Bord wolle, 
müſſe ich hier in der Bai auf dem in der Re⸗ 


paratur begriffenen engliſchen Dampfer bleiben 155 
— er wiſſe aber nicht, ob der Paſſagiere aufe 


nehme.“ — Wieder angenehm. 1 

Uebrigens war ich feſt entſchloſſen, das letztere 
nicht zu thun, und hatte noch immer Zeit genug 
da unſer Dampfer wenigſtens noch ſechs Stun: 
den im Hafen blieb, ein paar Briefe an Land 
zu ſchreiben, um mich über die Verhältniſſe dort 
zu erkundigen. 

Merkwürdig übrigens — der Trinidad⸗ 
Dampfer nahm keinen Paſſagier auf, der an 
Land geweſen war, und der Capitän deſſelben 
lief den ganzen Tag in der Stadt herum. Mög⸗ 
lich, daß engliſche Capitäne nicht anſtecken; ich 
weiß das nicht, aber was dem Einen recht iſt, 
ſollte dem Andern billig ſein. 

Mit dem für England beſtimmten Boot fand 
übrigens freier Verkehr ſtatt; ſelbſt den nach 
Europa gehenden Paſſagieren wurde verſtattet, 
an Land zu fahren und bis Abends dort zu blei⸗ 
ben. Nur wir Anderen ſollten uns eingepfercht 


398 


halten. Glücklicher Weiſe erhielt ich bald Ant⸗ 
wort von Land. Herr Fedderſon, der preußiſche 
Conſul, war ſo freundlich, mir mitzutheilen, daß 
in einigen Tagen eine franzöſiſche Barke nach 
Laguayra abginge und Paſſagiere mitnähme, und 
kaum eine Viertelſtunde ſpäter ſaß ich mit mei⸗ 
nem wenigen Gepäck in einem der zu uns her⸗ 
ausgekommenen Boote, fuhr, dem Dampfer 
Valet ſagend, zwiſchen den Trümmern an der 
Küſte hindurch und, eine ſchmale Einfahrt in 
den andern Hafen benutzend, nach St. Thomas 
hinüber, wo ich mich jetzt ohne Weiteres im 
Hötel du Commerce einquartierte. 


* 


13. 
Sf. Thomas. 


Man jagt gewöhnlich, „ein Unglück kommt 
nie allein,“ und wenn das wohl auch nicht im⸗ 
mer zutrifft, ſo hat St. Thomas doch jedenfalls 
die Wahrheit dieſes Sprichworts im vollſten Maße 
erleben müſſen. Es giebt kaum einen ärger heim⸗ 
geſuchten Platz in der ganzen Welt, als es dieſe 
kleine, freundliche Inſel in den letzten Jahren 
war, denn ſie hat — man kann ſagen in Mo⸗ 
naten, eine wahre Kette von Leiden durchmachen 
müſſen. 

Zuerſt kam der Sturm, der furchtbare Ver⸗ 
wüſtung, beſonders unter den Fahrzeugen, an⸗ 
richtete und in Zeit von einer Stunde einige 
ſiebzig Schiffe von allen Größen, vom Drei⸗ 
tauſend⸗Tonnenſchiff bis zum kleinſten Schooner 


05 8 


hinab, verſenkte oder auf den Strand warf, und 
dabei wie zum Spiel Häuſer abdeckte oder auch 
umwarf, den Palmen ihre Kronen abriß, die 
Blätter von den Büſchen fegte und eine Heiden- 
verwüſtung anrichtete. 

Dann unmittelbar darauf kam das Erdbeben, 
das noch nicht ſo unheilvoll gewirkt hätte, da es 
merkwürdiger Weiſe nur an einigen Stellen wirk⸗ 
lich bösartig auftrat, wäre die Welle nicht hinter— 
her gekommen, die das Verderben vollendete. 
Mitten in der Verwirrung, wo Stoß nach Stoß 
folgte, ging auf einmal der Schrei durch die 
Stadt: „Die See kommt!“ und was laufen 
konnte, lief. Dem Phänomen ging übrigens — 
wie an allen Orten, wo Aehnliches erlebt wor⸗ 
den — das regelmäßig zuerſt ſtattfindende und 
plötzliche Fallen der See voraus. Das Meer 
wich zurück, um gleich darauf in einer rieſigen 
Sturzwelle wieder zu kommen, deren Schrecken 
ich wohl hier nicht weiter zu beſchreiben brauche, 
da davon Schilderungen genug in deutſchen Blät⸗ 
tern erſchienen ſind. 

Dieſe Sturzwelle richtete aber an allen den 
Stellen, welche ſie erreichen konnte, die furcht— 
barſte Verwüſtung an, weil durch den Sturm 
und das Erdbeben alle von Menſchenhänden auf— 


401 


geführten Werke ſchon gelockert und zum Theil 
auseinander geriſſen waren. Da hinein ſprang 
ſie, und ihrer furchtbaren Gewalt widerſtand nur 
wenig. | 


Was ſie an nach dem Sturm eingelaufenen 15 


Fahrzeugen in der Nähe des Ufers fand, ſetzte 1 5 
fie hoch auf den Strand; Boote und Buoyen 
warf ſie weit in die Stadt hinein, und alle die 


Waarenhäuſer am Ufer, von denen die meiften 
ſchon Riſſe durch das Erdbeben bekommen, wur⸗ 
den plötzlich durchwaſchen und manche auch total i 
auseinander geriſſen. 

Und damit war die Sache noch nicht zu Ende. 
Die ſchlimmſte Gefahr ſchien allerdings damit 
überſtanden, aber die Erde zitterte fort. Stoß 
folgte auf Stoß; faſt jede halbe Stunde wieder- 
holte ſich eine dieſer fatalen Erſchütterungen, 
und daß Tauſende von Menſchen dadurch nervös 
und zuletzt krank gemacht wurden, läßt ſich den- 
ken. Solche ewige Aufregung konnten nur wenig 
Nerven ertragen, und anſteckende Krankheiten 
fanden das Volk empfänglich dafür. 

Zuerſt trat das gelbe Fieber auf, während 
die Erde noch immer fortſchüttelte, und dann folgte 
endlich, aber nur in geringem Maße, die Cholera, 
während ſelbſt jetzt noch manchmal ae e 

Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. 


402 


Stöße fühlbar find. Das wird natürlich entſetz— 

lich übertrieben, und ſo kam z. B. gleich Anfangs 
ein Paſſagier von St. Thomas an Bord, der 
uns ſolche Geſchichten aus der Stadt erzählte, 
daß man hätte glauben ſollen, kein Menſch ſei 
dort ſeines eigenen Lebens ſicher. 

Seiner Beſchreibung nach zitterte die Erde 
in einem fort, und es verging faſt keine Stunde 
ohne einen fühlbaren Stoß. — Ich ſelber war 
nachher eine ganze Woche auf St. Thomas, und 
habe nur am erſten Morgen einen — aber kaum 
merkbaren Stoß gefühlt, der von einem dumpfen 
Grollen begleitet war, wie einige kleine, aber 
ſehr leichte Erſchütterungen ſpäter. Es giebt aber 
Leute, deren eigene Furcht ihnen auch das Ge⸗ 
ringfügigſte entſetzlich erſcheinen läßt, und wie 
ſie es empfangen, theilen ſie es wieder mit. 

Soviel iſt ſicher — jener unterirdiſche Feuer— 
ballen, der jedenfalls den Kern unſerer Erdkugel 
bildet, hat in dieſem Augenblick noch mehr Gas 


vorräthig, als er durch die gewöhnlichen Sicher 


heits⸗Ventile der Vulkane bequem ausführen kann, 
und während die Krater in allen Welttheilen 
thätig arbeiten, zuckt auch noch an vielen Stel⸗ 
len die Erde, und St. Thomas ſcheint dabei 
gerade nicht an der allerſicherſten Stelle zu lie⸗ 


403 


gen. Die größte Gefahr iſt aber jedenfalls für 
die Inſel vorbei — ſoweit menſchliche Berech- 
nungen da überhaupt ausreichen; und wenn dort 
unten nicht noch etwas ganz Außerordentliches 


vorgeht, ſo werden die Erdſtöße hier wohl noch 
eine kurze Zeit anhalten, aber kaum mehr u 


heblichen Schaden anrichten; man darf alſo wei⸗ 


teren übertriebenen Schilderungen nicht allzu vie= 0 


len Glauben beimeſſen. 
Das angerichtete Unheil iſt außerdem auch 
ſchon groß genug und faſt unberechenbar, denn 


die meiſten Häuſer in der Stadt haben, wenn 


ſie auch äußerlich keine beſonderen Verletzungen 
zeigen, doch Riſſe bekommen, und ſelbſt kleine 
Stöße können das Uebel leicht verſchlimmern. 
St. Thomas hat in der That enorm gelitten, 


und durch welche Straße man auch geht, jo 
ſieht man in dem überall umherliegenden Schutt 


deutlich die Verwüſtungen, die Sturm oder Erd— 
beben angerichtet. Und die armen Cocospalmen, 
wie traurig, wie entſetzlich traurig ſie dreinſchauen 
mit ihren kahlen, vergilbten Wipfeln, nur hie 


und da noch ein grünes, abgeriſſenes Blatt zei⸗ 


gend. Viele ſind auch durch den Sturm ganz 

entwurzelt worden; die meiſten hielten aber doch 

Stand, bogen ſich, ließen ſich rupfen und über⸗ 
1 26 * 


404 


ſchauten dann wieder mit den kahlen Häuptern 
die um ſie her geſchehene Verwüſtung. 
Merkwürdig iſt jedenfalls, wie ſtrichweiſe der 
Sturm gewüthet hat, der, allem Anſcheine nach, 
nicht in einer compacten Maſſe den Grund fegte, 
ſondern in Windſtreifen gegangen ſein muß. So 
findet man an den Orten, die er am meiſten 
heimgeſucht, Stellen, auf denen er ſtark gebaute 
Häuſer vollkommen abgedeckt und leichte Bretter- 
hütten gefaßt und umgeworfen oder auch von— 
einander geriſſen hat, während dicht daneben eine 
elende Baracke ungeſchädigt, unverletzt ſtehen ge- 
blieben iſt. Einen Strich ruinirte er vollſtändig, 
E einen andern, nahebei, berührte er gar nicht, 
und wenn ſich das auch nicht gut erklären läßt, 
ſieht man es doch hier aller Orten beſtätigt. 
Am ärgſten war aber natürlich die Verwü⸗ 
ſtung in der gerade von Schiffen aller Nationen 
gefüllten Bai, an denen er ſeinen vollen Ueber- 
muth auslaſſen konnte — und auch ausließ. | 
Ich nahm ein Boot und fuhr damit im Ha=- 
fen herum, und muß geſtehen, daß Einem der 
Anblick, den ich dort genoß, das Seefahren wohl 
auf eine Weile verleiden könnte. Ein einzelnes 
Wrack, dem man auf See begegnet, bietet ſchon 
ſtets nur zu genügenden Stoff zum Nachdenken, 


405 
und hier fährt man wirklich in einem Wald zer⸗ 
ſchmetterter Fahrzeuge herum, jedes ſeine eigene 
Unglücksgeſchichte an der Stirn tragend, jedes 


ein memento mori zerſtörter Menſchenleben. 
Die Verwirrung muß entſetzlich geweſen ſein. 


Der Sturm kam zuerſt in einem furchtbaren 


Stoß von Weiten, lullte dann aber plötzlich zu 


einer vollkommenen Windſtille ein, um wenige 


Minuten ſpäter, nachdem er jedenfalls hinter den 
Bergen im Norden herumgegangen, von Oſten 


mit erneuter Kraft wiederzukehren. Und jetzt Mi 


nahm er die Backen voll. 


Der Liverpool-Dampfer „Venezuela“ war eben 


— oder doch nur erſt wenige Stunden vorher 
— mit über 200 Paſſagieren eingetroffen. Den 
warf er gegen den eiſernen Floating-Dock, der mit 
ihm ſank, und zum Ueberfluß ein 3000-Tonnen⸗ 
ſchiff, das größte, was bis jetzt noch die weſtin⸗ 
diſchen Inſeln beſucht, die „Britiſh Empire“, oben 
drauf. Das letztere Schiff, das einen argen Leck 
bekommen, ſank aber erſt vollſtändig den nächſten 
Tag, da es die Mannſchaft nicht mit Pumpen 
flott halten konnte und andere Hilfe in der Ver— 
wirrung und dem allgemeinen Unglück nicht zu 
erhalten war. 

Rechts in der Bai bietet ſich der intereſſan⸗ 


F 


Bath 


tteſte Anblick dar, denn dort liegt ein ganzes Neſt 


von Dampfern und Schiffen, die, nachdem ſie im 
Hafen gegen andere Fahrzeuge angerannt und 
ſie und ſich vernichtet hatten, endlich hier in 
ſeichtes Waſſer hineingeworfen wurden und jetzt 
rettungslos feſt und auf dem Grund ſitzen. Ein 
kleiner Dampfer ſcheint beſonders in der Klemme 
geweſen zu ſeinn e eiſernen Räder ſind in 
jede erdenkbare “ kineingebogen, fein eiſerner 
Rumpf iſt aus an' er geriſſen, fein Stern iſt 
eingeſtoßen, ſein chornſteine find über Bord 
geworfen. Arme „Prinzeß Alice“! Sie haben ihr 
arg mitgeſpielt und nur das ſeichte Waſſer hielt 
ſie vom völligen Verſinken ab. 

Kleine Schooner, wie z. B. „Wild Pigeon“ 
und andere, liegen hoch und trocken auf den 
Steinen, von einigen, die in tiefem Waſſer ver⸗ 
ſanken, ſchauen eben noch die Maſten empor, aber 
im Ganzen iſt doch ſchon wieder ſehr viel gethan, 
um theils verſunkene Schiffe zu heben und wie⸗ 
der in Stand zu ſetzen, oder auf's Land gewor— 
fene flott zu bekommen. 
er Erwähnen muß ich noch, daß jene große Woge, 
welche das Erdbeben gegen das Land ſchleuderte, 
auch zu gleicher Zeit eine Menge von Fiſchen auf's 
Trockene warf. Aber keiner der Neger wollte 


einen davon in feinen Topf tragen, denn fie be- 
haupteten: das Erdbeben ſei eine Strafe Gottes, 
und ſie dürften daraus keinen Nutzen für ſich 
ſelber ziehen wollen. 5 
Entſetzlich muß der Anblick der unteren Stadt 
aber unmittelbar nach der großen Woge geweſen 
ſein, die in das Land hineinwuſch, die zahlrei⸗ 
chen Werfte total zerſtörte und große Verwüſtung 
in den Lagerhäuſern an. So hoch aber, 
als ſie Anfangs geſchild,; t. wurde (30 Fuß) war 
fie keinenfalls. Sie kan ch der Höhe, in der 
ſie in die Stadt eingedrungen iſt, nicht mehr 
als fünfzehn oder höchſtens zwanzig Fuß gehabt 
haben, ja, ich glaube, kaum zwanzig, denn der 


Druck des Waſſers hat ſie außerdem noch immer u 


weiter getrieben, als ihre eigene Höhe. Uebrigens 
hat ſie Schaden genug angerichtet. 

St. Thomas iſt jedoch der am günſtigſten ge⸗ 
legene Platz des ganzen weſtindiſchen Archipels, 


und die Kaufleute hier haben bewieſen, daß ſie N 
ſelbſt ſchwere Verlufte wacker tragen konnten. Trotz 


allem Unheil, das über ſie hereingebrochen, hat 1 


nicht ein einziges Haus ſeine Zahlungen einge 


ſtellt, und die Bauten gehen zu derſelben Zeit 


rüſtig vorwärts, um den erlittenen Schaden wier 


der auszubeſſern. Unbehaglich nur befanden ſie 1 


C 
3 R * 
8 ar 
1 . 

7 x 


5 ſich damals unter der Ungewißheit, ob Amerika 
die Inſel wirklich gekauft hat oder nicht, und 
das nicht etwa aus Anhänglichkeit an das Mut⸗ 
terland, ſondern weil die Exiſtenz des ganzen 
= bedeutenden Handelsplatzes dabei auf dem Spiele 
ſteht. | 
Danemark ſelber hat ſich nicht beſonders freund⸗ 
liiUch gegen feine Colonie gezeigt. Es verhandelte 
dieſelbe zuerſt und ließ nachher in St. Thomas, 
mehr zum Schein, abſtimmen, ob die Einwohner 
auch mit dem Verkauf zufrieden wären, ja, dä⸗ 
niſche Beamte beeinflußten ſogar die Wähler, dem 
flactiſch ſchon abgeſchloſſenen Handel ihre Stim⸗ 
5 men zu geben. Die Fremden hier, und ſelbſt mit 
wenigen Ausnahmen die Dänen, würden auch 
ſehr gern an Amerika fallen, wenn fie nur die 
Gewißheit hätten, daß die Inſel ein Freihafen 
bleibt, denn dadurch allein hat ſie ſich, als Mit⸗ 
telpunkt der Inſeln, ihre Stellung erworben. 
Machte aber Amerika, wie man ſehr zu fürchten 
ſchien, einen Kriegshafen aus dem Platz, dem 
5 es dann den freien Handel nahm, ſo hörte ſeine 
Bedeutung vollſtändig auf und die Kaufleute 
würden die Inſel, ſo raſch ſie irgend konnten, 
verlaſſen haben. 
Jetzt beherrſcht fie faſt den ganzen Handel 


409 


mit Portorico und manchen anderen reichen In- 


ſeln, die von hier ihre Waaren beziehen; ſoll 
aber hier erſt ein hoher Zoll darauf entrichtet 


werden, ſo iſt das natürlich vorbei und St. Tho⸗ 


mas ſelber viel zu klein und ſchwach bevölkert, 1 


7 h 0 5 ; 
1 . 


um einen bedeutenden Handel zu erlauben. / 


Die Aufhebung des Freihafens würde des— . 
halb St. Thomas zehnmal jo arg ſchädigen, 
als es Sturm, Erdbeben und anſteckende Krank- 


heiten gethan haben — ja, es vollſtändig ruiniren, 


und ſchon jetzt wirkte dieſe ſtete Unſicherheit vs 


lähmend auf den Verkehr und trieb nur Einzelne 
zu einer allerdings ſehr gewagten Speculation: 


nämlich eine Maſſe von Waaren hierher zu wer⸗ 5 


fen, um im Fall des amerikaniſchen Beſitzes und 


Aufhebung des Freihafens dieſelben ſteuerfrei © 


nach den Vereinigten Staaten einführen zu 
können. 


Uebrigens ſcheint es faſt, als ob der ganze 


amerikaniſche Handel nicht allein aufgeſchoben, 
ſondern ſogar aufgehoben ſei, denn der Congreß 


hat, unter den jetzigen Umſtänden, das Geld nicht 


zu dem Ankauf bewilligt, und mag außerdem 


auch befürchten, daß, nach den letztgemachten Er⸗ 


fahrungen, der Hafen von St. Thomas doch am 


ee 


A Ende nicht fo ficher ſei, als man früher wen | 


Bi vermuthet. 


Nie im Leben hätte ich geglaubt, ſoviel 


Dieutſche hier zu finden. Sie ſind jedenfalls 


weit zahlreicher als Engländer und Franzoſen, 
und wohin man kommt, hört man die deutſche 
Sprache, ja ſogar nicht ſelten unter den Negern 
ſelber. Viele Eingeborene der Inſel ſprechen 


1 Deutſch untereinander „und deutſche Firmen 


trifft man aller Orten. Außerdem giebt es kaum 
einen überſeeiſchen Hafen der Welt, wo die ver— 


ſchiedenen Nationalitäten freundlicher zuſammen⸗ 


halten, als in St. Thomas, und ſelbſt Dänen 
und Deutſche leben hier im beſten Einverneh— 
men und beſuchen ein und dieſelben Locale und 
Clubs. Das kommt aber auch vielleicht von der 
geringen Zahl her, in der die Weißen hier der 
farbigen Bevölkerung gegenüberſtehen. St. Tho⸗ 
mas hat etwa 15,000 Einwohner und von dieſen 


© ſind 12,500 Farbige und Neger, und zwiſchen 


dieſen nur 2500 Weiße. Die Letzteren, und 


beſonders die Deutſchen, haben hier zwei ganz 5 


vortreffliche Geſellſchafts-Locale, die von allen 
Nationalitäten beſucht werden: das Athenäum, 
ein Leſeelub mit Zeitungen und Büchern in allen 
Sprachen, und den ſogenannten internationalen 


Club, in den aber keine Farbigen aufgenommen 5 
werden. Das deutſche Element überwiegt jedoch 


in allen, ſchon vielleicht aus dem Grund, weil 
der Deutſche überhaupt geſelliger Natur iſt und 
am liebſten in Nudeln lebt — und prächtige 


Leute findet man unter ihnen. Mir wenigſtens 
ſind die Tage, die ich in St. Thomas verbrachte, 


ſo raſch wie kaum ſo viele Stunden verflogen. 5 

Was nun die hier „wüthende“ Cholera ber 
trifft, ſo ſpürt man, wie ich es mir auch vorher 
gedacht, gar nichts davon. Abends begegnet man 
allerdings dann und wann einem Leichenwagen, 
aber die Krankheit ſcheint ſich hauptſächlich auf 


die unteren Klaſſen der Farbigen zu beſchränken, 


wie denn ſonderbarer Weiſe die Neger gewöhn⸗ 5 


lich ſehr heftig von dieſer Krankheit mitgenom⸗ 5 


men werden, während ſie vom gelben Fieber, 5 
das mehr unter den Weißen i faſt gar 


nicht leiden. 5 

Die Neger nennen deshalb auch die Cholera 
black man's turn, das gelbe Fieber dagegen 
white man's turn, das heißt, bei der erſteren 
Krankheit kommen die Schwarzen, bei der zwei— 
ten die Weißen daran. a 

In der Stadt ſelber wird jetzt rüſtig gebaut, 
um alle die erlittenen Schäden wieder auszu- 


2 Fa! 


242 


beſſern. Ich begreife auch wirklich nicht, wo 
nach ſolchen Calamitäten, die faſt jedes Haus 
berührt haben und überall Arbeit nothwendig 
machen, ſo urplötzlich alle die Maurer und Zim⸗ 
merleute herkommen, die doch in ruhiger Zeit 
unmöglich alle Beſchäftigung finden können. 
. Tauſende von ſolchen ſind aber jetzt hier emſig 
in Thätigkeit, als ob keiner von ihnen je etwas 
Anderes getrieben habe. Die angerichtete Ver— 
wüſtung war aber doch zu groß und allgemein, 
um in den wenigen Monaten ſchon beſeitigt zu 
ſein, und überall findet man deshalb noch in 


den Häuſern Schutt, und außerhalb der eigent- 


lichen Geſchäftsſtadt kann man auch wohl noch 
halbe Straßen umgewehter Holzbaracken finden 
E ein Bild troſtloſer Verwüſtung, wie es 1 
der Sturm zurückgelaſſen. 


In der Bai draußen bereitete ſich übrigens 


5 ein kleiner See-Roman vor, der möglicher Weiſe 
ernſtere Folgen nach ſich zieht. Es lag hier 
nämlich im Sturm ein amerikaniſches Schiff, für 


Peru beſtimmt, mit Kanonen und Munition an 


Bord, das, arg beſchädigt, ſeine gefährliche La— 
5 dung löſchen mußte. Ein anderer Amerikaner, 
die „Sarah Newman“, hat jetzt dieſelbe an Bord 
genommen und iſt zum Auslaufen fertig, und 


4139 


zwei kleine ſpaniſche Kriegsdampfer liegen hier, 
fortwährend die Keſſel geheizt, und warten „ ) 
den Moment, wo ſie die Bai verläßt, während 
kein amerikaniſches Kriegsſchiff hier ift, um fie 
zu ſchützen. Ob ſie ſich das nun ſelber beſorgen 
wird, weiß man nicht: das Material dazu haben 
ſie jedenfalls an Bord, und ich glaube auch nicht, | 
daß ſich der Amerikaner den Spaniern ſo leicht 
ergeben wird. Intereſſant iſt das Reſultat jeden? 
falls, und hätte mein Ziel nach der Weſtküſte, 
ſtatt nach Venezuela, gelegen, ſo würde ich e 
auf der „Sarah Newman“ Paſſage genommen 
haben. 5 
Ich darf aber St. Thomas nicht vera 8 
ohne wenigſtens ein paar Worte über die 99 5 
der Inſel zu ſagen, die, wie ſchon vorerwähnt, 
die eigentliche Beoölterung derſelben bilden, und 
zwar in fo vorwiegendem Maße, daß man An- a 
fangs wirklich glaubt, es gebe überhaupt nur 
einzelne Weiße auf dem ganzen Platz ucroft Libre 
5 Die Boote in der Bai ſind natürlich, wie in 
allen warmen Himmelsſtrichen, nur von Negern 
bemannt, aber ſelbſt wenn man das feſte Land 
betritt, ſieht man nichts — gar nichts als farbiges 
Volk, in den ſchönſten Schattirungen von gelb 
zu ſchwarz, und hört auch in der That nichts als 


4A 


den furchtbaren und ſtets laut geſchrieenen Dialekt 
dieſer wohl arg mißhandelten, aber auch ſehr 
unangenehmen Race. | 
Sie ſelber tragen freilich nicht die Schuld, 
denn nicht freiwillig verließen ſie ihr Vaterland; 
als Sclaven wurden ſie fortgeſchleppt, und daß 
ſie mit der Zeit frei werden mußten, war eine 
natürliche Folge der Civiliſation. Mit ihrer 
Freiheit konnte man ſie aber nicht mehr zur 
Arbeit zwingen, und daß der Neger wenig Be— 
bürfniſſe kennen lernte, verdankt er ebenfalls 
nur wieder ſeinem früheren weißen Herrn. Eine 
Sorge für die Zukunft, wie fie uns in der Frei⸗ 
heit Geborenen gleich von früher Jugend an's 
9 Herz gelegt wird, iſt ihm ebenfalls fremd ge— 
5 blieben, und da er von dem Weltverkehr und 
0 Handel entſchieden fern gehalten wurde, ſo kann 
man bei ihm auch keinen Sinn für National⸗ 
ökonomie erwarten. Was liegt ihm daran, ob 
das Land, in dem er ſich befindet, Producte ex⸗ 
oder importirt, ſo lange er eben ſelber hat, was 
er braucht, und daß jetzt auch hier auf St. 
Thomas aller Ackerbau liegen blieb, war nur 
eine natürliche Folge. 
hr Früher bedeckten die Hänge reiche und weite 
Zuckerfelder — ſeit Aufhebung der Sclaverei 


* 


415 
liegen fie kahl und trocken in der Sonne, und 
ein klein wenig Gemüſe abgerechnet, wird wohl 
in dieſem Augenblick gar nichts weiter auf dern 
ganzen Inſel gezogen. | 

Die Neger jelber ſcheinen ſich aber vollkom- 
men wohl zu befinden, und ich habe nie ein ver⸗ 
gnügteres und in ſeinen Vergnügungen lauteres 


Volk geſehen. Das iſt ein ewiges, ununter⸗ 
brochenes Lachen unter ihnen, und eben ſo oft 
hört man dazwiſchen Zanken und Schimpfreden 


in's Unglaubliche, ſo daß man denken ſollte, ein 


offener Kampf müſſe jeden Augenblick unter ihnen 


ausbrechen, aber es kommt nie dazu, denn wie 
nur Einer von ihnen einmal einen recht außerr⸗ 
gewöhnlichen Fluch oder ein ſonderbares Schimpf 
wort ausſtößt, endet die ganze Sache jedesmal 
unter ſchallendem Gelächter der Umſtehenden und 
Streitenden ſelber. us 

Die echten Negerhaſſer werfen der afrikani⸗ 
ſchen Menſchenrace oft das Affenähnliche in ihrer 
ganzen Natur vor, und zum Theil haben ſie 
Recht. Der Neger beſitzt wirklich einen großen 
Trieb zur Nachahmung, und wo der bei dem 
Sclaven unterdrückt wurde, bricht er ſich in der 
neugewonnenen Freiheit um ſo mehr Bahn. 

Es giebt kaum etwas Komiſcheres, als einen 


416 


etwas wohlhabenden Schwarzen zu ſehen, der 
nicht allein in ſeiner Kleidung, nein, auch in 


ſeinem ganzen Weſen, in Bewegung, wie Aus- 


druck — aber mit dem verwünſchten Dialekt 
und wolligen ſchwarzen Kopf — einen Weißen zu 
affectiren ſucht. So brachten in Jamaica ein 


paar ſolcher Herren einen ihrer Freunde an Bord 


des Dampfers, und es war wirklich rührend, zu 
ſehen, mit welcher ausgezeichneten Höflichkeit und 
mit wie gewählten Worten ſie den Herrn in — 
das Zwiſchendeck begleiteten, denn in der Cajüte 
wird die Race trotz aller Emancipation und Frei: 
heit noch immer nicht zugelaſſen, eine Maßregel, 
mit der ich ſelber vollkommen einverſtanden bin. 
— Ich gönne dem Neger von Herzen ſeine Frei— 


heit, aber ich mag — wie ſchon geſagt — keine 


Gemeinſchaft mit ihm haben, und wenn das 
nicht chriſtlich ſein ſollte, wäre es jedenfalls 
natürlich. 

Uebrigens verdienen die Negerdamen einer 


ganz beſondern Erwähnung, denn ſie zeichnen 


ſich ſelber hier auf das auffälligſte aus. St. Tho⸗ 
mas hat freilich auch ſehr viel wohlhabende, 
ja ſelbſt reiche Schwarze, die eine Stellung in 
der Stadt einnehmen, und wie ein Geldprotz bei 
uns, der ſich von einer unteren Stufe empor⸗ 


* 


417 


geſchwungen, auch am ſtolzeſten auf ſein Ge— 
wonnenes iſt, ſo brüſtet ſich der freigewordene 
Neger, wenn es ihm ſeine Verhältniſſe irgend 
erlauben, mit ſeinem eigenen Ich, und daß er 
in dem Fall auch ſeine Frau und Töchter nicht 
will irgend einer weißen Familie nachſtehen 
laſſen, kann man ſich denken. 

Dieſe Putzſucht — eigentlich der erſte Schritt 
zur Civiliſation, da er größere Bedürfniſſe mit 
ſich bringt, bleibt aber nicht allein bei den Rei⸗ 
cheren, ſondern geht bis in die unterſten Schichten 
der Bevölkerung hinab, und die ſchwarze Señora 
ſchleppt ihr langes theures Seidenkleid nicht ärger 
und länger durch Staub und Straßenſchmutz, 
als das ärmſte Negerweib, das mit einem Korb 
voll Gemüſe auf dem Kopf zu Markte kommt, 
ihren alten, ſchmierigen und zerriſſenen Kattun— 
lappen — denn die Mode war jetzt hier in 
voller Blüthe. Ich begreife dabei nur nicht, wie 
mitten zwiſchen ſolchen Caricaturen wirkliche 
weiße Ladies ſie noch aufrecht erhalten konnten, 
aber das, wie die Mode ſelbſt, bleibt ein Räthſel. 

Uebrigens hat der letzte Sturm den in St. Tho⸗ 
mas herrſchenden Luxus ſehr begünſtigt, und 
beſonders der ärmeren Klaſſe die Mittel geboten, 


ſich entſchieden hervor zu thun. Die Ladungen 
Gerſtäcker, Neue Reiſen. II. 27 


348 


einiger Schiffe, wenn ſie auch vom Seewaſſer 
beſchädigt waren, wurden doch gerettet und nach— 
her natürlich zu Spottpreiſen öffentlich verſteigert. 
Die Neger aber hatten gleich nach den Unglücks 
fällen für ſehr wenig Arbeit ſehr hohe Löhne 
erhalten, und deshalb Geld in Händen. Sie 
kauften jetzt in Maſſe die havarirten Ausſchnitt⸗ 
waaren, und ſeit der Zeit rauſcht es in St. Tho⸗ 
mas von endloſen Schleppen ſteif geſtärkten 
Kattuns, und gentlemen of colour tragen Röcke 
und Hoſen, auf denen ſich noch deutlich die in 
den Ballen erhaltenen See- oder auch Bilch⸗ 
waſſerſpuren abzeichnen. 

Der Neger iſt von Natur mildthätig, denn 
er hat das Unglück aus eigener Erfahrung kennen 
lernen, achtet dabei auch, wie ſich nicht leugnen 
läßt — das Alter mehr, als es oft civiliſirte 
Nationen zu thun pflegen. Alte Neger treten 
aber auch deshalb mit einer unbeſchreiblichen 
Würde auf und werden darin nur — aber gründ— 
lich — von alten Negerinnen übertroffen. 

Woher es kommt, weiß ich nicht, aber faſt 
alle alten Negerfrauen haben einen Grundbaß, 


von dem ſie den vollſtändigſten und unumſchränk⸗ 


teſten Gebrauch machen. Sie lachen dabei ſelten 
oder nie — das überlaſſen ſie dem jungen Volk, 


49 
und wenn ſie ſprechen, geſchieht es ſtets in dic» 
tatoriſcher und ſo entſchiedener Weiſe, als ob 
jedes Wort ein Geſetz wäre. . 

Es giebt kaum etwas Würdevolleres, aber 
auch zugleich Komiſcheres, als fo eine alte Ne- 
gerlady zu ſehen, wenn ſie, ſehr decolletirt, mit 
geſpreizten Knieen, die kurze, qualmende Pfeife 
in der rechten Hand, die Linke auf ihr Knie ge— 
ſtützt, vor ihrer eigenen Thür ſitzt und ihre Mei— 
nung über irgend einen beliebigen Gegenſtand 
ausſpricht, oder vielmehr einen Beſcheid ertheilt, 
denn Widerſpruch wäre doch nicht denkbar. Die 
jüngeren Leute behandeln ſie auch dabei ſtets mit 
Ehrfurcht, und nur gefährlich wird die Sache, 
wenn eine andere ähnliche Dame — vielleicht die 
Nachbarin — anderer Meinung ſein ſollte. Die 
Folgen find in einem ſolchen Fall nicht abzu⸗ 
ſehen. Zu Thätlichkeiten kommt es freilich nie 
zwiſchen ihnen, und der Schluß eines ſolchen 
Wortkampfes iſt faſt ſtets der, daß die Ueber⸗ 
wundene aufſteht, mit einer verächtlichen Bewe— 
gung in ihr Haus geht, und dort drinnen nur 
um ſoviel lauter weiter raiſonnirt. 

Alte Neger mit weißen Haaren tragen faſt 
ſtets hohe ſchwarze Seidenhüte und einen ſchwar— 
zen Rock mit weißen Hoſen. Im Ganzen ſind 
27 


420 


die Neger überhaupt nicht unreinlich — die un- 
terſten, verworfenſten Klaſſen ausgenommen, die 
ſich dann aber auch vollkommen gehen laſſen, ſo 


daß man da oft, beſonders unter den Frauen, 


wahren Abſcheu erregenden Geſtalten begegnet. 
Stehen die Negerinnen aber, beſonders bei irgend 
einer Herrſchaft, im Dienſt, ſo halten ſie ſich, 
faſt ohne Ausnahme — immer höchſt reinlich 
und adret und gehen dann auch nie auffallend 
gekleidet — den Lappen ausgenommen, den ſie, 
ebenſo wie ihre Herrinnen, hinter ſich herſchleifen. 

Im Hötel du Commerce hatten wir übrigens 
auch — als Gegenſatz zu dem liederlichen und 
ſchmutzigen Negervolk, das ſich beſonders gegen— 
über vor einem ordinären Branntweinladen 
herumtrieb und die Luft oft mit ſeinen laut ge⸗ 
ſchrieenen Zoten erfüllte, die vollſte Ariſtokratie 
der afrikaniſchen Race in ihrer letzten Abſtufung, 
oder vielmehr in ihrem Uebergang zu dem Ge— 
ſchlecht der Weißen, und zwar zu der beſſern 
Geſellſchaft, denn ich möchte die wirklich gut er— 
zogene Quadrone doch nicht unter den gemeinen 
Irländer oder eine andere ähnliche Nationalität 
anreihen. 

Es waren dies Frau und Töchter eines hayti⸗ 
ſchen Miniſters, die hier nur auf Schiffs⸗ 


4241 
gelegenheit warteten, um nach Hayti zurüdzu- 
kehren, da die engliſchen, ſonſt die Verbindung 
unterhaltenden, Dampfer gegenwärtig der ge— 
fürchteten Quarantaine wegen keine Paſſagiere 
von St. Thomas mitnahmen. 

Die Mutter der beiden jungen Damen konnte 
die Quadrone nicht verleugnen, ja ſie war kaum 
weiß genug dafür; die beiden Töchter aber, bes 
ſonders die Jüngſte, würde Niemand, der nicht 
die genauen Merkmale der Blutmiſchung kannte, 
für andere als weiße Damen gehalten haben. 
Es waren zwei junge liebenswürdige Weſen und 
— wenn ich nicht irre, in Paris erzogen und 
ausgebildet, und dabei beſcheiden und anſpruchs— 
los in ihrem ganzen Betragen. Die ſchwarzen 
Aufwärter flogen aber auch, wenn ſie ihnen nur 
einen Wunſch an den Augen abſehen konnten. — 
Sie beabſichtigten jetzt mit einem deutſchen Schiff 
nach ihrer Heimath überzuſetzen. 

Ich ſelber wartete auf eine franzöſiſche Barke, 
die uns nach Laguayra bringen ſollte, und wenn 
ich mich auch nicht vor der Cholera fürchtete, ſo 


iſt doch ſtets der Aufenthalt in einer Stadt, in 


der nun einmal eine anſteckende Krankheit herrſcht, 
nicht gerade angenehm. Ich ſehnte mich wenig— 


er 


ſtens darnach, wieder einmal die friſche reine 
Seebriſe einzuathmen. 

Eeeine Wohlthat könnte man übrigens dem 
=. Platz erweiſen, denn eine Haupturſache von 
Krankheiten iſt doch nur in zu vielen Fällen Un⸗ 
reinlichkeit und das Verfaulen weggeworfener 
Ueberreſte oder todter Thiere. In St. Thomas 
giebt es aber keine Zapilotas oder Aasgeier, und 
doch wie leicht wäre es, dieſe nützlichen, ja an 


manchen Stellen nothwendigen Thiere von Vera— 


Cruz ſowohl, wo es deren in Unmaſſe giebt, wie 
von Venezuela aus hinüber zu bringen. Zu 
fangen ſind ſie dort unendlich leicht; an jedem 
Marktplatz könnte man Hunderte bekommen, und 
wie wenig Transportkoſten würden ſie zahlen. 
Aber es bekümmert ſich eben kein Menſch darum, 
und doch bin ich überzeugt, daß ſie den Preis 
ihrer Anſchaffung jährlich an Beerdigungs⸗ 
koſten abtragen würden — die Menſchenleben 
dabei gar nicht gerechnet. 


Ende des zweiten Bandes. 


Druck von G. Pätz in Naumburg a. S. 


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