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Full text of "Neues Archiv"

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Neues  Archiv 


der 


Gesellscfiaft  [fr  ältere  ßentscle  ßesclicltsldie 


Beförderung  einer  Gesammtausgabe  der  ftuellenschriften 
deutscher  Geschichten  des  Mittelalters. 


Fünfzehnter  Band. 


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Hannover. 

Hahn 'sehe   Buchhandlung. 

1890. 


DD 
1 


Hannover.    Druck  von  Friedrich  Culemann. 


1 11  h  a  1 1. 

Seite 
I.     Bericht    über    die    fünfzehnte    Pleuarversammlung 

der  Central -Direction    der  Monunienta  Gerinauiae 

Berlin  1889 1-8 

II.  Der  Streit  der  Bisthümer  Arles  und  Vienne  um 
den  Primatus  Galliarum.  (Zweiter  Theil.)  Von 
Wilhelm  Gundlach 9—102 

III.     Handschriftliches    aus    Frankreich.       Von    Ernst 

Sackur 103—139 

IV.     Italienische    Prophetieen    des   13.  Jahrhunderts.    I. 

Von  O.  Holder-Egger 141  —  178 

V.     Miscellen: 

Nachträge  zu  den  Ostgothischen  Studien.    Von 

Theodor  Mommsen 181—186 

Bemerkungen  zu  den  Papstbriefen  der  Britischen 

Sammlung.     Von  Theodor  Mommsen    .      187 — 188 

Bemerkungen  zu  den  Papstbriefen  der  Britischen 

Sammlung.     Von  H.  Br esslau     .     .     .     .     189—193 

Zur  Benutzung  des  Sulpicius  Severus  im  Mittel- 
alter.    Von  M.  Manitius 194—196 

Tironisches      und      Kryptographisches.        Von 

Wilhelm  Schmitz .     197—198 

Zu  den  Gedichten  des  Paulus  Diaconus.    Von 

Ludwig  Traube 199—201 

Zur  Lex  Romana  Raetica  Curiensis.  Von 
Max  Conrat  (Cohn) 202 

Zur  Geschichte  der  Kirche  S.  Maria  Latina  in 

Jerusalem.     Von  Reinhold  Röhricht  203 — 206 

Nachrichten 207—232 


VI  Inhalt. 

Seite 
VI.     Der  Streit  der  Bisthümer  Arles  und  Vienne  um  den 
Primatus  Galliarum.     (Dritter   Theil,    Schluss    und 

Beilagen.)     Von  Wilh.  Gundlach 233—291 

VII.     Handschriftliche  Ueberlieferung    und  Quellen    der 
Chronik    Reginos    und    seines    Fortsetzers,      Von 

F,  Kurze 293—330 

VlII.     Die  älteste    Translatio    des   heil.  Dionysius.      Von 

L.  von  Heinemann 331 — 361 

IX.     Die  Purpururkunde    Konrad  III.    für  Corvei.     Von 

P.  Kehr 363—381 

X.     Miscellen: 

Handschriften     der     vormaligen     Königlichen 
Handbibliothek    in  Stuttgart.      Nachlese   zu 
N.  A.  X,  600.     Von  L.  Weiland     .     .     .     386—386 
Zu  Petrus  de  Ebulo.     Von  Ernst  Sackur.     387—393 
Verse  auf  Kaiser  Friedrich  I.     Mitgetheilt  von 

L.  Weiland 394—396 

Lateinische  Gedichte    des    XII.    Jahrhunderts. 

Mitgetheilt  von  J.  Werner 396—409 

Eine  ungedruckte  Urkunde  Konrad  IV.  Mit- 
getheilt von  Ernst  Friedlaender      .     .     410 

Zur  Chronologie    der   Briefe  Gregors   I.     Von 

L.  M.  Hartmann 411—417 

Bruchstücke     aus     dem     'Liber    Cancellariae 
Apostolicae'  nach  einer  bisher  unbekannten 
Handschrift.     Von  Wilh.  Altmann     .     .     418—422 
Nachrichten 423—436 

XI.     Reise    nach   Nord -Frankreich    im    Frühjahr   1889. 

Von  Ernst  Sackur 437—473 

XII.     Bericht    über    einige    Reisen    nach    Italien.      Von 

H.  Simonsfeld 475—496 

XIII.  Ueber     die    Columban  -  Briefe.       Von     Wilhelm 
Gundlach 497  —  526 

XIV.  Ueber    die    Orthographie    Papst    Gregors   I.      Von 

L.  M.  Hartmann 527—649 

Zusatz  über  einen  Gregor  I.  zugeschriebenen  Brief 
(Original    auf   Papyrus    in    Monza).     Von    Harry 

Bresslau 650 — 654 

XV,     Kritische  Erörterungen.     Von  Beruh,  v.  Si  m  son  555 — 579 


Inhalt.  VII 

Seite 
XVI.     Miscellen : 

Zwei  ostgothische  Miscellen.    VonF.  Wrede     583  —  584 
Topographische  Erklärungen  zu  einigen  Stellen 
in    den    Monumenta    Germaniae.      Von    A. 

Chroust 585—591 

Die    älteren  Diplome   für   das  Kloster  Brogne 
und    die    Abfassungszeit    der   Vita  Gerardi. 
Von  Lothar  von  Heinoma nn      .     .     .     592  —  596 
Zu    den  Legenden    des   hl.  Franz   von  Assisi. 

Von  Ernst  Sackur 697—599 

Ueber  eine  Handschrift  der  Briefe  Gregors  I. 

Von  Paul  Maria  Baumgarten  .  .  .  600-601 
Tironische  Miscellen.  Von  Wilh.  Schmitz  602—607 
Zu    dem   Necrologium    S.  Vitoni   Virdunensis. 

Von  Woldemar  Lippert 608^610 

Nachrichten 611  —  626 

Berichtigungen  und  Nachträge 627 

Register 628—632 


I. 

Bericht 

über  die 

fünfzehnte  Plenarversammlnng' 

der  Central -Direction 

der 

Monumenta  Germaniae 

Berlin  1889. 


Neues  Archiv  etc.    XV. 


Die  Plenarversammlung  der  Centraldirection  der  Monu- 
menta  Germaniae  historica  wurde  in  diesem  Jahre  in  den 
Tagen  vom  21. — 23.  März  in  Berlin  abgehalten.  Erschienen 
waren  alle  Mitglieder  —  unter  ihnen  zum  ersten  Male  die 
Herren  Prof.  Bresslau  und  Dr.  Holder-Egger  —  mit 
Ausnahme  der  Professoren  Huber,  Maassen,  Mommsen, 
von  Sickel,  Wattenbach,  welche  durch  Reisen  oder  aus 
andern  Gründen  verhindert  waren. 

Der  in  dem  letzten  Berichte  beklagte  provisorische  Zu- 
stand des  Unternehmens  hat  endlich  am  9.  Mai  1888  durch 
die  Ernennung  des  Professors  E.  Dumm  1er  in  Halle  zum 
Vorsitzenden  der  Centraldirection  mit  den  Rechten  und  Pflichten 
eines  Reichsbeamten  nach  mehr  als  zweijähriger  Dauer  seine 
Endschaft  erreicht.  Dass  die  Arbeiten  auch  in  der  Zwischen- 
zeit ihren  ungestörten  Fortgang  nehmen  konnten,  wurde  der 
einstweiligen  Leitung  des  Herrn  Prof.  Wattenbach  verdankt. 

Vollendet  wurden  im  Laufe  des  Jahres  1888/89 
in  der  Abtheilung  Scriptores: 

Scriptorum  Tomus  XV,  2.  Scriptores  rerum  Merovingi- 
carum  ed.  Krusch  Tom.  IL  Carmen  de  hello  Saxonico  ed. 
Holder-Egger  in  8.  Thietmari  Merseburgensis  Chronicon 
ed.  Kurze. 

in  der  Abtheilung  Leges: 

Lex  Alamannorum  ed.  K.  Lehmann, 
in  der  Abtheilung  Diplomata: 

Die  Urkunden  Ottos  H. 

von  dem  Neuen  Archiv  der  Gesellschaft: 

Band  XIV. 

Die  Abtheilung  der  Auetores  Antiquissimi  nähert  sich 
ihrem  Abschlüsse.  Die  Ausgabe  des  Claudian  von  Prof.  Birt 
wird  noch  in  diesem  Jahre  erscheinen,  die  von  Herrn  Prof. 
Mommsen  selbst  bearbeiteten  kleinen  Chroniken,  die  Fort- 
setzer des  Hieronymus,  sind  in  der  Handschrift  von  ihm  voll- 
endet, für  die  lange  ersehnte  Ausgabe  des  Cassiodor  sind  die 
kritischen  Vorarbeiten  mit  Beihilfe  des  Herrn  Archivars 
Krusch  in  Marburg  zu  Ende  geführt.  Die  italienischen 
Handschriften  in  Rom,  Florenz  und  Neapel  hat  Herr  Prof. 
Mommsen    bei  Gelegenheit  einer  im   Frühling   1888   unter- 

1* 


4  Bericht  über  die  fünfzehnte  Plenarversammlung  1889. 

noramenen  Reise  selbst  verglichen,  die  französischen,  soweit 
dies  nicht  schon  durch  Herrn  Prof.  Wilh.  Meyer  geschehen 
war,  und  die  englischen  in  diesem  Frühjahre.  Die  Acten  der 
römischen  Synoden  aus  der  Zeit  Theoderichs  sollen  der  Aus- 
gabe beigefügt  werden.  Ausgedehntere  Untersuchungen,  die 
mit  derselben  zusammenhängen,  sind  im  Neuen  Archiv  nieder- 
gelegt worden.  Der  Druck  des  Cassiodor  wird  im  nächsten 
Sommer  beginnen,  im  Anschlüsse  an  den  der  Chroniken. 

Für  die  Abtheilung  Scriptores  hat  Herr  Dr.  Kr u seh 
den  2.  Band  der  SS.  Merovingici,  über  dessen  Inhalt  schon 
berichtet  wurde,  durch  Hinzufügung  der  Register  vollendet, 
nachdem  diese  durch  die  Theilnahme  des  Herausgebers  an 
den  Cassiodorarbeiten  sich  lange  verzögert  hatten.  Für  die 
noch  fehlenden  Merowingischen  Heiligenleben,  deren  Umfange 
auch  bei  manchen  Beschränkungen,  aber  mit  Einschluss  einiger 
älterer  Stücke,  auf  2  Bände  veranschlagt  werden  muss,  wird 
der  Herausgeber  im  Spätherbst  oder  Winter  die  schon  länger 
geplante  Reise  nach  Frankreich  antreten. 

Die  Fortsetzung  der  alten  Reihe  der  Scriptores  in  Folio 
wurde  Herrn  Dr.  Holder-Egger  zu  selbständiger  Ausfüh- 
rung übertragen.  Herr  Dr.  E.  Sackur,  welcher  seit  dem 
1.  October  1888  als  Mitarbeiter  an  die  Stelle  des  Herrn  von 
Heinemann  getreten  ist,  leistet  ihm  hierbei  Unterstützung. 
Vollendet  ist  die  2.  Hälfte  des  15.  Bandes,  dessen  Register 
zum  Theil  noch  Herr  v.  Heinemann  vorbereitet  hatte,  und 
es  sind  damit  die  Nachträge  zu  den  früheren  vorstaufischen 
Bänden  zum  Abschlüsse  gelangt.  Neben  dem  Herausgeber 
betheiligten  sich  an  der  Arbeit  zumal  Herr  Dr.  Sauerland 
in  Trier  und  die  Herren  Wattenbach,  Weiland  und  Perl- 
bach. Von  bisher  unbekannten  Stücken  verdienen  u.  a.  die 
Lebensbeschreibungen  der  fünf  Einsiedler  von  Bruno  von  Quer- 
furt und  des  Abtes  Gregor  von  Burtscheid  und  kurze  Annalen 
aus  Laon  und  St.  Vincenz  zu  Metz  Erwähnung.  Der  Druck 
des  29.  Bandes  ist  soweit  fortgeschritten,  dass  seiner  Voll- 
endung vielleicht  schon  im  Laufe  des  Jahres  entgegengesehen 
werden  kann.  Die  Hs.  der  Annales  Hannoniae  des  Jacques 
de  Guise  zu  Valenciennes  soll,  in  Verbindung  mit  andern 
Reisezielen,  von  Herrn  Dr.  Sackur  verglichen  werden. 
Gleichzeitig  wurden  die  Vorbereitungen  für  den  30.  Band  fort- 
gesetzt, für  den  Herr  Dr.  Simons feld  im  vergangenen  Früh- 
jahre einige  Vergleichungen  in  Oberitalien  ausgeführt  hatte. 
Dieser  ebenso  wie  der  31.  Band  ist  für  die  Italienischen  Chro- 
niken der  Staufischen  Zeit  vorbehalten  und  muss  deshalb  mit 
ihm  zugleich  in  Angriff  genommen  werden.  In  dem  30.  Bande 
stehen  die  umfangreichen  Werke  Sicards  nebst  dem  Chronicon 
Regiense  und  Salimbenes  in  Aussicht,  im  31.  einige  z.  Th. 
poetische    Schriften    von    allgemeinerer    Bedeutung,    wie    das 


/ 

Bericht  über  die  fünfzehnte  Plenarversammlung  1889.  5 

Carmen  de  Gestis  Friderici  I,  Ligurinus,  Petrus  de  Ebulo, 
Relationen  über  den  Frieden  von  Venedig,  denen  die  andern 
Quellen  in  landschaftlicher  Anordnung  folgen  würden.  Unge- 
mein wünschen swerth  vom  kunstgeschichtlichen  Standpunkte 
aus  wäre  eine  vollständige  Veröffentlichung  der  etwa  fünfzig 
geschichtlich  werthvollen  Bilder  der  Berner  Handschrift  des 
Petrus  de  Ebulo. 

Von  dem  durch  Herrn  Hol  der- Egger  bearbeiteten 
Carmen  de  hello  Saxonico  ist  wegen  des  vielseitigen  Inter- 
esses, welches  es  in  neuerer  Zeit  erregt  hat,  eine  Sonderaus- 
gabe erschienen.  Die  neue  kritische  Handausgabe  Thietmars 
von  Merseburg  von  Herrn  Dr.  Kurze  in  Halle  hat  durch 
nochmalige  Vergleichung  der  Dresdener  Handschrift  zu  wich- 
tigen Ergebnissen  über  die  Art  der  Entstehung  geführt  und 
ist  soeben  vollendet.  In  Vorbereitung  findet  sich  von  dem- 
selben eine  Ausgabe  der  Chronik  des  Abtes  Regino  von  Prüm, 
für  welche  in  umfassender  Weise  die  Handschriften  in  Mün- 
chen, Einsiedeln,  Schaffhausen,  Paris,  London,  Köln  und  Wien 
benutzt  worden  sind.  Sie  soll  im  Laufe  des  Jahres  gedruckt 
werden.  Es  wäre  sehr  zu  wünschen,  dass  auf  den  Biblio- 
theken solcher  Lehranstalten,  denen  die  Gesammtausgabe  der 
Monumenta  Germaniae  unzugänglich  ist,  wenigstens  die  statt- 
liche Reihe  dieser  Handausgaben  wichtiger  Quellen  als  Ersatz 
Eingang  fände. 

Die  auf  2  Bände  berechnete  Sammlung  der  Streitschriften 
des  IL  und  12.  Jahrhunderts,  an  welcher  von  den  Mitarbeitern 
namentlich  die  Herren  Dr.  Kuno  Francke  und  von  Heine- 
mann thätig  waren,  ist  soweit  vorbereitet,  dass  seit  Anfang 
des  Jahres  der  Druck  des  L  Bandes  beginnen  konnte,  der 
namentlich  auch  Beiträge  der  Professoren  Thaner  in  Graz 
und  Bernheim  in  Greifswald  enthält.  Er  wird  u.  a.  auch 
ein  bisher  ungedrucktes  Werk  des  Manegold  von  Lautenbach 
bringen. 

Der  Druck  der  von  Herrn  Prof.  E.  Schröder  bearbei- 
teten Deutschen  Kaiserchronik  ist  zwar  etwas  weiter  fort- 
geschritten, wird  aber  vor  dem  Sommer  dieses  Jahres  keinen- 
falls  an  sein  Ende  gelangen  können.  Es  soll  deshalb  mit  dem 
Drucke  der  Werke  Enikels  durch  Herrn  Prof.  Strauch  in 
Tübingen,  von  denen  die  Weltchronik  im  Texte  vollendet  vor- 
liegt, neben  der  Kaiserchronik  begonnen  werden.  Herr  Prof. 
Seemüller  in  Wien  hofft  Otackers  Steirische  Reimchronik, 
die  für  den  3.  Band  bestimmt  ist,  bis  zum  Sommer  druckreif 
vorzulegen,  nachdem  er  im  vorigen  December  noch  einige 
handschriftliche  Studien  dafür  in  Göttweig  und  Linz  ge- 
macht hat. 

In  der  Abtheilung  der  Leges  ist  die  neue  kritische  Quart- 
ausgabe  der  Lex  Alamannorum   von   Herrn   Prof.   K.   Leh- 


6  Bericht  über  die  fünfzehnte  Plenarversammlung  1889. 

mann  in  Rostock  im  Sommer  1888  schon  ausgegeben  worden. 
Der  Druck  der  Lex  Romana  Curiensis,  mit  welcher  der  5.  Band 
und  die  Folioausgabe  der  Leges  abschliesst,  von  Herrn  Prof. 
Zeumer  schreitet  ununterbrochen  fort.  Als  nächste  Aufgabe 
sind  diesem  die  Leges  Visigothorum  übertragen  worden,  deren 
ältesten  Codex  rescriptus  in  Paris  er  bereits  im  October  1888 
verglichen  hat.  Die  Redaction  des  Königs  Rekesvinth  mit 
diesen  Pariser  Fragmenten  wird  zunächst  in  einer  Handaus- 
gabe erscheinen.  Die  Ausgabe  der  beiden  Burgundischen 
Leges  hat  Herr  Prof.  von  Sali s  in  Basel  übernommen  und 
hofft  sie  im  laufenden  Jahre  fertig  zu  stellen.  Eine  damit 
zusammenhängende  Revision  der  Bluhme'schen  Ausgabe  des 
Edictum  Theoderici  hat  Herr  Dr.  Burchard  in  Berlin  im 
Wesentlichen  vollendet.  Auf  die  Fortsetzung  der  Capitularien- 
ausgabe  musste  Herr  Prof.  Boretius  wegen  seines  leidenden 
Zustandes  verzichten,  doch  ist  Aussicht  vorhanden,  seine  Arbeit 
durch  andere  Hände  ergänzen  zu  lassen.  Für  die  Deutschen 
Reichsgesetze  setzt  Herr  Prof.  Weiland  in  Göttingen  seine, 
namentlich  in  handschriftHchen  Untersuchungen  bestehenden, 
Vorarbeiten  fort.  Herr  Dr.  Kehr  wird  dafür  die  Deutschen 
Staatsverträge  mit  Venedig  neu  vergleichen. 

Herr  Hofrath  Maassen  in  Wien  ist  in  seiner  Arbeit  an 
der  Herausgabe  der  Merowingischen  Synoden  durch  den  frühen 
Tod  seines  Mitarbeiters  Dr.  F.  Stob  er  am  26.  August  1888, 
sowie  durch  die  vorangehende  Erkrankung  desselben,  nicht 
unerheblich  aufgehalten  worden,  trotzdem  ist  es  ihm  mit  der 
Unterstützung  des  Dr.  Bretholz  gelungen,  den  Text  so  weit 
zu  fordern,  dass  der  Beginn  des  Druckes  nach  Jahresfrist  in 
Aussicht  steht.  An  den  Deutschen  Stadtrechten  hofft  Herr 
Prof.  Frensdorff  seine  länger  unterbrochene  Thätigkeit 
demnächst  wieder  aufnehmen  zu  können. 

In  der  Abtheilung  Diplomata  ist  unter  der  Leitung  des 
Hofraths  von  Sickel  der  Halbband  mit  den  Diplomen 
Ottos  IL  im  Sommer  1888  ausgegeben  worden.  Für  die 
Fortsetzung  ist  an  Stelle  des  ausgeschiedenen  Dr.  Kehr  als 
Mitarbeiter  Dr.  W.  Erben  getreten,  der  neben  dem  Wiener 
Stadtarchivar  Dr.  Uhlirz  an  den  Diplomen  Ottos  III.  thätig 
war.  Diese  sollen  im  Herbste  dem  Drucke  übergeben  werden. 
Um  die  grosse  Sammlung  der  Kaiserurkunden  etwas  rascher 
zu  fördern,  hat  Herr  Prof.  Br esslau  es  übernommen,  die 
Periode  der  Salischen  Kaiser  von  Konrad  IL  an  schon  jetzt 
vorzubereiten,  während  die  Ausgabe  der  Urkunden  Hein- 
richs IL  von  Herrn  Dr.  V.  Bayer  in  Strassburg  er- 
hofft wird. 

Die  Leitung  der  Abtheilung  Epistolae  ist  von  Herrn 
Prof.  Wattenbach  auf  den  X'^orsitzenden  übergegangen. 
Herr  Dr.  Rodenberg  hat  seine  römische  Reise  im  Juni  1888 


Bericht  über  die  fünfzehnte  Plenarversammlung  1889.  7 

vollendet  und  auf  dieser  den  grösseren  Theil  des  Materials 
für  den  3.  Band  der  aus  den  päpstlichen  Regesten  zu  ent- 
nehmenden Briefe  theils  durch  Abschrift,  theils  durch  Ver- 
gleichung  erledigt.  Nur  etwa  150  Nummern  müssen  nach- 
träglich noch  auf  anderm  Wege  beschafft  werden.  Von  den 
Vorständen  des  Vaticanischen  Archivs  wurde  er  in  zuvorkom- 
mender Weise  unterstützt.  Der  Band  wird  im  Laufe  des 
Jahres  druckfertig  werden  und  diese  Sammlung  abschliessen. 

Für  das  Registrum  Gregorii  konnte  an  Stelle  des  ver- 
storbenen Dr.  Ewald  noch  kein  geeigneter  Fortsetzer  der 
überaus  schwierigen  Aufgabe  gefunden  werden,  wenn  auch 
nach  verschiedenen  Seiten  Unterhandlungen  angeknüpft  wor- 
den sind. 

Inzwischen  ist  nach  den  beiden  für  die  Briefe  Gregors 
offen  gehaltenen  Bänden  der  Druck  des  dritten  der  Epistolae 
seit  dem  Ende  des  vorigen  Jahres  begonnen  worden,  die 
Briefe  der  Merowingischen  Zeit  umfassend,  in  welchem  Herr 
Dr.  G  und  lach  mit  einer  Sammlung  aus  Arles  den  Anfang 
macht.  Auch  von  den  nachfolgenden  Schreiben  hat  er  einen 
grossen  Theil  bearbeitet.  Die  Briefe  dos  Bischofs  Desiderius 
von  Gabors  sind  von  Herrn  Prof.  W.  Arndt  beigesteuert 
worden,  die  seit  langer  Zeit  von  demselben  übernommenen 
Briefe  des  heiligen  Bonifatius  hat  er  dem  Vorsitzenden  über- 
lassen. Nach  den  Merowingischen  sollen  unmittelbar  die  Karo- 
lingischen Briefe  in  Angriff  genommen  werden.  Herr  Dr. 
Gundlach  hat  die  von  ihm  hergestellten  Ausgaben  durch 
erläuternde  Abhandlungen  im  Neuen  Archiv  begleitet  und 
wird  darin  fortfahren. 

In  der  Abtheilung  Antiquitates  wurde  der  Druck  der 
Necrologia  Germaniae  II,  die  Salzburger  Erzdiöcese,  bearbeitet 
von  Herrn  Dr.  Herzberg-Fränkel,  fortgesetzt,  der  im 
Sommer  dafür  eine  Reise  nach  Graz,  St.  Paul,  Klagenfurt 
und  Salzburg  unternahm.  Die  erste  Hälfte  dieses  Bandes  wird 
in  einigen  Monaten  erscheinen.  Den  Druck  des  3.  Bandes 
der  Poetae  latini  Carolini  hofft  Herr  Dr.  Harster  in  Speier 
im  Herbste  wieder  aufoehmen  zu  können,  nachdem  inzwischen 
die  Handschriften  des  Milo  von  St.  Amand  in  Valenciennes 
noch  verglichen  worden. 

Die  Anfertigung  eines  ausführlichen  Inhaltsverzeichnisses 
aller  bisher  gedruckten  Bände  der  Monumenta  Germaniae 
haben  die  Herren  Dr.  Holder-Egger  und  Zeumer  über- 
nommen. Dasselbe  wird  als  ein  Band  der  Quartausgabe  er- 
scheinen. 

Die  Redaction  des  Neuen  Archivs  ist  von  Herrn  Prof. 
Wattenbach  auf  Herrn  Prof.  Bresslau  übergegangen, 
welcher  den  14.  Band  in  regelmässiger  Folge  herausgegeben 
hat.     Diese    für    jeden    Besitzer    der    Monumenta    Germaniae 


8  Bericht  über  die  fünfzehnte  Plenarversammlung  1889. 

unentbehrliche  Zeitschrift  wird  neben  einzelnen  Quellenschriften 
vorzugsweise  durch  kritische  Untersuchungen  ausgefüllt,  welche 
die  Ausgabe  der  Quellen  vorbereiten. 

Einzelne  Vergleichungen  oder  Abschriften  wurden  im  ver- 
flossenen Arbeitsjahre  freundlichst  besorgt  von  den  Herren 
Graf  Cipolla  in  Turin,  Prof.  Höhlbaum  in  Köln,  A.  Moli- 
nier  in  Paris,  Emile  Ouverleaux  in  Brüssel,  K.  Schott- 
müller in  Rom,  Dr.  H.  Simons feld  in  München,  Cesare 
Fani  und  Canonico  Pietro  Canetti,  Archivista  des  Archivio 
capitolare  in  Vercelli  u.  s.  w. 

Handschriften  wurden  theils  nach  Berlin,  theils  nach  Halle 
oder  Marburg  zur  Benutzung  zugesandt  aus  Einsiedeln,  St.  Gal- 
len, Hannover,  Karlsruhe,  Köln,  Kopenhagen,  München,  Paris, 
Schaffbausen,  Trier.  Eine  befremdliche  Ausnahme  bildete  die 
Bibliothek  zu  Wolfenbüttel,  welche  nach  einem  neuerlichen 
Beschlüsse  des  herzoglich  Braunschweigischen  Ministeriums  die 
Versendung  von  Handschriften  vollständig  versagen  zu  müssen 
glaubt. 


II. 

Der   Streit 

der 

BisthüiXLer  Arles  und  Vienne 

um  den 

Primatus  Galliarum. 

Von 

Wilhelm  Gundlach. 

(Zweiter  Theil.) 


IL    Die  Epistolae  Viennenses. 

1.    Die  Ueberlieferung-. 

öo  reich  und  trefflich  die  Ueberlieferung  der  Epistolae 
Arelatenses  ist,  so  dürftig  und  unwerthig  stellt  sie  sich  für  die 
Epistolae  Viennenses  dar,  soweit  Handschriften  dabei  in  Be- 
tracht kommen.  Denn  allein  in  den  Codices  Parisini  2282 
und  12768,  von  welchen  der  erste  aus  dem  Anfang  des  zwölf- 
ten, der  zweite  gar  aus  dem  siebzehnten  Jahrhundert  stammt, 
findet  sich  je  ein  Brief:  dort  das  Schreiben  des  Zacharias: 
'Venit  ad  nos'  (J.-E.  2258),  hier  dasjenige  Johanns:  'De  offi- 
ciis'  (J.-E.  2146)  >.  Ausserdem  haben  ja  wohl  zwei  französische 
Cartulare  Stücke  der  Vienner  Briefreihe  aufbewahrt:  das  'Car- 
tulaire  de  Saint -Vincent  de  Mäcon',  welches  Ragut  im  Jahre 
1864  hat  erscheinen  lassen,  und  das  'Cartulaire  de  l'eglise 
Saint -Barnard  de  Romans',  welches  die  Preuves  der  ersten 
Abtheilung  des  von  Giraud  1856  herausgegebenen  'Essai  histo- 
rique  sur  l'abbaye  de  Saint -Barnard  et  sur  la  ville  de  Romans' 
eröffnet;  da  indessen  das  Cartular  von  Mäcon  wenigstens  in 
jenem  Theile,  welcher  (p.  19)  den  Hadrian- Brief  der  Vienner 
Sammlung:  'Dilectus  filius'  (J.-E.  2412)  aufweist 2,  wofern  das 
Datum  der  diesem  Briefe  benachbarten  Stücke  einen  bündigen 
Schluss  auf  die  Entstehungszeit  erlaubt,  frühestens  im  Anfang 
des  zwölften  Jahrhunderts  zusammengestellt  sein  kann',  und 

1)  Herr  Dr.  Molinier  in  Paris,  welchem  ich  die  Vergleichung  beider 
Handschi-iften  verdanke,  bemerkt  über  die  Handschrift  12768  'copie  du 
XVII6  siecle  par  D.  Estiennot  prise  sur  un  manuscrit  de  Chorier.'  Man 
beachte  dazu  die  Angaben,  welche  Waitz  der  'Series  episcoporum  Viennen- 
sium'  MG.  SS.  XXIV,  811  vorangeschickt  hat.  2)  Demselben  Cartular  von 
Mäcon  hat  ohne  Zweifel  auch  Severtius  den  in  seiner  'Chronologia  historica 
archiantistitum  Lugdunensium'  II,  26  abgedruckten  Brief  entnommen;  er 
sagt  es  zwar  nicht  ausdrücklieh,  aber  es  wird  nicht  nur  durch  die  über- 
einstimmende Fassung  erwiesen,  sondern  vor  allem  durch  einen  von  dem 
Sammler  herrührenden  Schlussvermerk  ('Hanc  epistolam  omnibus  archi- 
episcopis  et  episcopis  missam  hie  ponere  ex  integro  decrevimus,  conside- 
rantes,  hie  magnam  authoritatem  Gallicanarum  ecclesiarum  [contineri]'),  den 
weder  Severtius  noch  Eagut  als  Zugabe  anderer  Hand  kenntlich  macht. 
3)  Da  die  Originalhandschrift  in  den  'troubles  religieux  qui  eclaterent  k 
Mäcon  de  1562  k  1567'   vernichtet  worden  ist,    so    hat    der  Herausgeber, 


12  Wilhelm  Gundlach. 

auch  das  Cartular  von  Romans,  welches  (p.  22.  23)  den  Epi- 
stolae  Viennenses  zwei  Stücke,  die  Briefe  Paschais:  *Quia 
sanctitatem'  (J.-E.  2549)  und  Eugens:  'Congaudeo  valde  (J.-E. 
2563),  entlehnt  hat,  erst  in  der  ersten  Hälfte  des  zwölften 
Jahrhunderts  entstanden  ist ',  so  reicht  damit  die  früheste  aus 
Handschriften  zu  ermittelnde  Spur  der  Epistolae  Viennenses 
auch  nicht  über  den  durch  die  Pariser  Handschrift  2282  be- 
zeichneten Zeitpunkt  hinaus. 

Etwas  tiefer  in  die  Vergangenheit  hinein  scheint  der  Um- 
stand zu  führen,  dass  Hugo  von  Flavigny  in  seinem  Chronicon 
(MG.  SS.  VHI,  344)  dem  Wortlaut  eines  der  Vienner  Briefe 
—  es  ist  das  Schreiben  Hadrians  an  Karl  den  Grossen  — 
Aufnahme  gegönnt  hat ;  aber  Avenn  wirklich  damit  eine  kleine 
Hinausschiebung  des  Zeitpunktes  erzielt  wird,  an  welchem  die 
Epistolae  Viennenses  in  einem  einzigen  ihrer  Stücke  zuerst 
aufgetaucht  sind,  dann  kann  es  sich  nur  um  wenige  Jahre 
handeln,  weil  Hugo  erst  seit  dem  Jahre  1090  mit  der  Abfas- 
sung seiner  Chronik  beschäftigt  war  2.  Mit  diesem  Jahre 
kommt  aber  endgültig  die  unternommene  Ermittelung  zum 
Stillstande,  ohne  in  den  berührten  Handschriften,  welche  im 
ganzen  nur  fünf  verschiedene  Vienner  Briefe  enthalten,  eine 
für  die  Ausgabe  der  ganzen  Sammlung  zureichende  Unterlage 
aufgezeigt  zu  haben. 

Um  diesem  Mangel  abzuhelfen,  wird  man  sein  Augen- 
merk auf  die  Drucke  richten  müssen,  welchen  entweder  von 
den  Urhebern  selbst  oder  von  anderen  ein  Zusammenhang  mit 
der  handschriftlichen  Sammlung  der  Epistolae  Viennenses  nach- 
gesagt wird:  nur  so  ist  vielleicht  auch  über  die  Urhandschrift 
noch  etwas  zu  erkunden. 


wie  er  im  'Avertissement'  angiebt,  an  eine  Abschrift  sich  halten  müssen; 
in  derselben  Lage  ist  schon  vor  ihm  Saint -Julien  de  Balleure  gewesen, 
welcher  in  den  'Antiquites  de  Mascon'  p.  272  den  Hadrian  -  Brief  der 
Vienner  Reihe  veröffentlicht  hat  (vgl.  Ragut  a.  a.  O.  p.  19).  Unter  diesen 
Umständen  habe  ich  es  mir  ersparen  zu  dürfen  geglaubt,  Einblick  in  die 
von  Ragut  seiner  Ausgabe  zu  Grunde  gelegte  Handschrift  zu  erlangen. 
1)  Wenn  auch  Giraud,  welcher  in  seiner  Ausgabe  gleichfalls  auf  eine 
Abschrift  angewiesen  war,  in  einigen  Anzeichen  (Premiere  partie,  Intro- 
duction  p.  VII)  gefunden  zu  haben  meint:  'si  non  la  preuve,  du  moins 
une  forte  probabilite  que  le  Cartulaire  de  Romans  a  ete  commence  sous 
Tadministration  de  Leger,  c'est-ä-dire  vers  le  milieu  du  onzieme  siecle', 
so  muss  er,  nachdem  im  October  1864  die  Originalhandschrift  des  Cartu- 
lars  wieder  aufgefunden  worden  war,  diese  Auffassung  als  irrthümlich  zu- 
geben und  (Deuxieme  partie  p.  XIII)  die  Berichtigung  folgen  lassen: 
'D'apres  les  caracteres  du  manuscrit,  il  appartient  k  la  premiere  moitie 
du  douzieme  siecle'.  Weil  er  dann  im  übrigen  auf  Grund  einer  Ver- 
gleichung  zwischen  Original  und  Abschrift  versichert  (ebenda) :  'J'ai  re- 
connu  rentiere  exactitude  de  cette  reproduction',  habe  ich  mich  für  die 
Ausgabe  der  Epistolae  Viennenses  mit  dem  von  ihm  gelieferten  Drucke 
zufrieden  gegeben.         2)  Wattenbach,  Geschichtsq.  II 5,  122. 


Arles  und  Vienne.  13 

Von  Drucken  der  erwähnten  Art  kommen  nun  in  Frage: 

1.  die  'Sacra  bibliotheca  sanctorum  patrum  illustrata  per 
Margarinum  de  la  Eigne',  zu  Paris  im  Jahre  1575  heraus- 
gegeben (I,  63.  64), 

2.  der  zweite  'Laevum  xyston'  geheissene  Anhang  der 
'Floriacensis  vetus  bibliotheca',  welche,  im  Jahre  1605  zu  Lyon 
erschienen,  den  Johannes  a  Bosco  (Jean  du  Boys)  zum  Ver- 
fasser hat  (p.  22—80), 

3.  die  'Histoire  de  I'antiquite  et  sainctete  de  la  cite  de 
Vienne  par  Messire  Jean  le  Lievre',  welche  1623  in  Vienne 
herausgekommen  ist  (p.  65 — 332), 

4.  die  'Acta  sanctorum  ordinis  sancti  Benedicti',  von 
Mabillon  im  Jahre  1628  herausgegeben  (saec.  IV,  pars  II, 
col.  566.  567)  und 

5.  die  von  Claude  Charvet  verfasste  und  zu  Lyon  1761 
veröiFentlichte  'Histoire  de  la  sainte  eglise  de  Vienne'  (p.  795 
—798)1. 

Von  diesen  Drucken  bringen  nur  die  an  zweiter  und 
dritter  Stelle  aufgeführten  die  ganze  Reihe  der  Epistolae  Vien- 
nenses,  während  de  la  Bigne  nur  die  beiden  Briefe  des  Pius 
(J.-K.  45.  46)  und  den  des  Cornelius  (J.-K.  116),  Mabillon  die 
Schreiben  Paschais  und  Eugens  (J.-E.  2549.  2563) »,  Charvet 
die  frühesten  sechs  Stücke  der  Sammlung  mittheilt. 

Dabei  verräth  de  la  Bigne  mit  keinem  Worte,  woher  er 
die  drei  abgedruckten  Briefe  erhalten  hat;  wir  würden  darüber 
im  Unklaren  bleiben,  wenn  nicht  Baronius  in  die  älteste  Aus- 
gabe seiner  'Annales  ecclesiastici' ^  die  Schreiben  von  de  la 
Bigne  übernommen*  und  dazu  bemerkt  hätte,  dass  sie  dem 
Archive  in  Vienne  entstammen  5. 


1)  Die  anderen  Geschichten  des  Erzbisthunos  Vienne  von  de  Maupertuy 
und  Collombet  flechten  zwar  die  Vienner  Briefe  meistens  in  ganzer  Aus- 
dehnung in  ihre  Darlegung  ein;  sie  kommen  aber  hier  deshalb  nicht  in 
Rechnung,  weil  sie  nicht  den  lateinischen  Wortlaut,  sondern  die  franzö- 
sische Uebersetzung  geben.  An  dieser  Gepflogenheit  hat  auch  Charvet 
bedauerlicherweise  Antheil,  wenn  man  seine  eigentliche  Geschichtserzäh- 
lung daraufhin  ansieht;  eine  Ausnahme  macht  er  nur  mit  den  Briefen  der 
Päpste  Pius,  Victor,  Cornelius  und  Silvester  (J.-K.  45.  46.  75.  76.  116. 
177),  welche  er  im  Anhange  p.  795 — 798  lateinisch  wiedergiebt.  2)  Nicht 
nur  die  Anzahl  der  Stücke,  sondern  auch  ihre  Fassung  spricht  dafür, 
dass  die  leider  nicht  genauer  beschriebene  Handschrift  Mabillons  dem 
Cartular  von  Romans  sehr  nahe  verwandt  ist.  3)  Romae  1594:  a.  166 
n.  1.  3;  a.   255  n.  47.  4)  Seine  Angabe  (a.  166  n;  1 ;  a.   255  n.  47): 

'Extat  tom.  I.  biblioth.  sanct.'  passt,  so  viel  ich  habe  ermitteln  können, 
nur  auf  das  Werk  de  la  Bignes.  5)  Da  die  Bemerkung  zugleich  eine 

von  du  Boys  mit  Genugthuung  angezogene  Anerkennung  der  Echtheit 
liefert,  so  sei  sie  hier  unverkürzt  abgedruckt:  'Porro  has  ambas  per- 
breves  epistolas  —  J.-K.  45.  46.  —  ex  Viennensi  archivo  pro- 
ditas   germanas    atque    legitimas    esse,    cum   rerum    argumentum   et   ad- 


14  Wilhelm  Gvmdlach. 

Eine  genauere  Auskunft  wird  uns  durch  Jean  du  Boys 
zu  Theil:  in  der  Epistola  dedicatoria  des  Laevum  xyston  (p.  1) 
gesteht  er  nämlich :  '.  .  .  lepore  atque  benevolentia  I.  Leporis 
—  das  ist  Jean  le  Lievre!  —  sacri  sodalis  primariae  aedis 
Viennensis  piissimi  fundi  huius  fundamenta  sum  adeptus';  er 
bezeichnet  dann  auch  (p.  3)  den  Mann,  welchem  er  den 
Empfang  des  ganzen  'fundus'  verdankt,  indem  er  mit  Be- 
ziehung auf  die  'amplitudo'  der  Vienner  Kirche  sagt:  'Quam 
religiosus  admodum  archimandrita  atque  praeclarus  antistes 
Arelatensis  Petrus  Laurentius  propensissimo  animo  commu- 
nicatis  mecum  incredibili  benevolentia  clarissimi  coe- 
nobii  sancti  Petri  Viennensis,  cui  dignissime  praeest, 
archivis,  mirum  in  modum  evexit  atque  provexit';  aber 
ob  wir  auch  erfahren,  dass  das  Peterskloster  in  Vienne  eine 
Handschrift  der  Epistolae  Viennenses  seiner  Zeit  geborgen 
hat,  über  die  Art  dieser  Handschrift  ist  uns  auch  von  du  Boys 
keine  Kunde  geworden». 

Wenn  man  beachtet,  was  le  Lievre  in  seiner  Geschichte  des 
Erzbisthuras  Vienne  über  die  von  ihm  benutzten  Handschriften 
sagt,  so  wird  auch  nicht  völlige  Klarheit  über  die  Sachlage 
gebreitet;  denn  mit  so  allgemeinen  Angaben  wie  'titres  an- 
ciens  de  nos  archives  de  l'eglise'  (p.  8)  oder  'ainsi  que  j'ay 
remarqud  dans  les  archives  du  dit  Vienne'  (p.  57)  ist  nichts 
anzufangen;  etwas  greifbarere  "Wendungen  aber  Avie  'ainsi 
qu'il  est  decrit  es  chartulaires  d'icelle  eglise  (sc.  de  Vienne)' 
(p.  103)  oder  gar  'extraictes  sur  leur  propre  original  dans  les 


mirabilis  quaedara  com  aliis  borum  temporum  gestis  contesseratio  tum 
simplicissimus  ille  antiquitJitis  candor,  quem  in  omnibus  prae  se  ferre 
noscuntur,  facile  persuadent  quamvis  quautumlibet  scrupulosi  ingenii  virum 
eruditum,    eas  recipere'  (a.   1G6  n.  4).  1)  Im  Laufe    seiner  Darlegung 

bezieht  er  sich  zwar  (p.  65),  als  er  von  dem  Erzbischof  Burchard  von 
Vienne  spricht,  auf  Nachrichten,  welche  sich  finden  sollen  'in  cartulario 
sanctae  Viennensis  ecclesiae'  und  an  anderer  Stelle  (p.  67  über  die 
Königin  Ermengarde)  'in  veteri  cartacio  Viennensis  ecclesiae';  aber  wenn 
auch  beide  Bezeichnungen  auf  dieselbe  Handschrift  gehen,  so  lehrt  doch 
schon  der  Anfang  der  mitgetheilten  Stellen:  'Decimo  tertio  Kalendas 
Septembris  obiit  domnus  Burchardus  archiepiscopus'  bez.  'Octavo  Idus 
Septembris  obiit  Rodulphus  rex  et  sexto  Kalendas  Septembris  Ermen- 
garda  regina  uxor  eius',  dass  es  sich  hier  um  ein  Todtenbuch  handelt, 
in  welchem  schwerlich  die  Papstbriefe  der  Vienner  Reihe  enthalten  ge- 
wesen sind.  —  Auch  Collombet,  welcher  in  seiner  Histoire  de  Vienne 
über  die  Leistungen  seiner  Vorgänger  zu  Gericht  sitzt,  weiss,  indem  er 
Charvets  Worte  (p.  523)  gebraucht,  nur  allgemein  zu  sagen  (III,  275) : 
'Du  Boys  avait  tire  ces  difierentes  pieces  des  archives  de  I'archeveche 
de  l'eglise  de  Vienne,  oü  l'on  en  trouvait  plusieurs  pieces  sur  un 
parchemin,  dont  l'air  d'antiquite'  aurait  fixe  l'attention  de  ces 
savants  —  de  Marca  und  de  Launoy  sind  gemeint,  welche  die  Echtheit 
der  von  du  Boys  veröffentlichten  Paptbriefe,  und  zwar  besonders  der 
frühesten  Stücke  angezweifelt  hatten  —  et  merite  leur  approbation'. 


Arles  und  Vienne.  15 

archives  de  l'^glise  de  Vienne'  (p.  249)  gehen  leider  nicht 
auf  Stücke  der  Vienner  Briefreihe,  sondern  auf  Urkunden, 
welche  mit  dem  Primat  des  Bischofs  von  Vienne  nichts  zu 
thun  haben;  nur  eine  einzige  einschlägige  Bemerkung  ist  von 
Werth:  der  Satz  nämlich,  welcher  den  Wortlaut  des  letzten 
der  Vienner  Briefe  p.  329  einführt:  'La  bulle  propre  que  j'ay 
veu  et  leu  au  long  tiree  de  nos  archives  contient  ce  que  s'en- 
suit';  denn  er  zeigt,  dass  wenigstens  von  diesem  einen  Stücke 
das  —  angebliche  —  Original  noch  im  Anfange  des  sieb- 
zehnten Jahrhunderts  in  Vienne  verwahrt  wurde. 

So  sehr  man  nun  auch  geneigt  sein  möchte,  auf  den 
eigenen  Angaben  le  Lievres  fussend,  ihm  für  die  Ueberliefe- 
rung  der  Vienner  Briefe  eine  vollkommen  selbständige  Stel- 
lung neben  du  Boys  anzuweisen,  so  sehr  ein  so  klares  Ver- 
hältnis für  die  Ordnung  des  Wortlautes  auch  erwünscht  wäre, 
in  Wirklichkeit  ist  es  doch  nicht  so  einfach  damit  bestellt. 

Jean  du  Boys  erwähnt  in  seinem  Zueignungsschreiben,  dass 
der  Erzbischof  Pierre  de  Villars  von  Vienne,  welchem  das 
Laevum  Xyston  gewidmet  ist,  selbst  schon  das  Recht  seines 
Bisthums  auf  den  Primat  in  Gallien  zu  erweisen  sich  bemüht 
habe » ;  er  nimmt  darum  in  Anspruch,  in  einer  Nachlese  — 
'racematio'  —  den  Gegenstand  zu  erschöpfen,  und  begrüsst 
es  mit  Freuden,  dass  ihm  dafür  der  Abt  des  Petersklosters 
das  Klosterarchiv  geöffnet  hat.  Nun  berichtet  Collombet,  den 
Bemerkungen  Charvets  p.  582  folgend,  dass  le  Lievre  bis  auf 
einige  ihm  beizumessende  Zuthaten  in  seiner  Geschichte  im 
grossen  und  ganzen  nur  die  wohl  mit  Belegen  ausgestatteten 
Ausführungen  wiedergegeben  habe,  welche  der  Erzbischof 
Pierre  de  Villars  niedergeschrieben  und  auch  an  Baronius 
mitgetheilt  hatte  ^.  Danach  wäre  also  le  Lievre  gar  nicht  auf 
die  handschriftliche  Grundlage  selbst  zurückgegangen,  sondern 
hätte  sich  lediglich  —  die  Ausgiebigkeit  der  von  Pierre  de 
Villars  herrührenden  Ausführungen  vorausgesetzt  —  an  diese 
abgeleitete  Ueberlieferung  gehalten.  Um  nun  den  Widerspruch, 
in  welchem  die  Angabe  Charvet-Collombets  mit  dem  Gebahren 
le  Lievres  steht,  zu  schlichten,  ist  eine  Vergleichung  der  von 
ihm  gebotenen  Brieftexte  mit  der  sonstigen  Ueberlieferung 
erforderlich. 

In  den  ersten  sechs  Briefen  machen  sich  gegen  du  Boys 
bei  le  Lievre  Abweichungen  geltend,  in  welchen  dieser  merk- 
würdigerweise mit  Charvet  zusammentrifft;  so  bietet  z.  ß. 


1)  S.  N.  A.  XIV,  253  Anm.  2.  2)  Histoire   de  Vienne  III,  271: 

'D'apres  Charvet,  cet  ouvrage  serait  tout  simplement  le  gros  des  me'moires 
que  Pierre  de  Villars  avait  r^diges  et  qu'il  communiqua  k  Baronius.  En 
donnant  k  ees  mat^riaux  la  forme  d'une  histoire,  le  Lievre  y  ajouta  plu- 
sieurs  faits  etrangers  au  sujet  et  quelquefois  apocryphes'. 


16  Wilhelm  Gundlach. 


le  Lievre-Charvet: 
Per  tuam  ergo  fraternitatem 
presbyteri  Galliarum  inci- 
tentur,  ut* 

Sic  et'  collega  in  Domino 
doce 

Unanimitas  fraterna  te  in 
Domino  salutat.    Vale. 


du  Boys: 

(J.-K.  75)  Per  tuam  ergo 
fraternitatem  presbyteris 
Galliarum  literae  mittan- 
tur,  ut 

(J.-K.  76)  Propterea  fra- 
ter  et  collega  in  Domino  doce 

Unanimitas  fraterna  te  in 
Domino  salutat,  fratres,  qui 
apud  te  Viennae  versan- 
tur,  de  nobis  in  Domino 
salutans.    Vale  >. 

Da  nun  von  Charvet  die  'Primae  summorum  pontificum 
ad  primos  ecclesiae  Viennensis  archiepiscopos  epistolae'  p.  795 
mitgetheilt  werden  als  'ex  perantiquis  huius  ecclesiae  mem- 
branis  transscriptae',  so  dürfte  auch  le  Lievre  unmittelbar 
oder  mittelbar  —  durch  Pierre  de  Villars  —  aus  der  von 
Charvet  leider  nur  allgemein  angedeuteten  Quelle  geschöpft 
haben. 

Von  dem  siebenten  Briefe  an  herrscht  aber,  wenn  man 
von  einigen  belanglosen  Unterschieden  absieht*,  für  die  näch- 
sten sechzehn  Briefe  zwischen  du  Boys  und  le  Lievre  eine 
vollständige  Uebereinstimmung,  welche  daran  als  Abhängigkeit 
des  letzteren  von  dem  ersteren  zu  erkennen  ist,  dass  le  Lievre 
sogar  die  Druckfehler  du  Boys'  mit  übernimmt;  so  liest  man 


1)  Die  Abweichungen,  welche  de  la  Bigne  zeigt,  sind  jedenfalls  zum 
grössten  Theil  auf  eine  von  ihm  vorgenommene  Bearbeitung  zurückzu- 
führen; denn  wenigstens  für  die  Aufschriften  der  drei  von  ihm  über- 
lieferten Briefe  J.-K.  45.  46.  116  ist  eine  Einhelligkeit  in  der  Weise  ge- 
schaffen worden,  dass  hinter  dem  auf  den  Papstnamen  folgenden  Worte 
'episcopus'  stets  'Romanus'  eingeschaltet  und  im  übrigen  nach  der  über- 
einstimmenden Form  zweier  Aufschriften  die  abweichende  dritte  geändert 
wurde.  2)  Es  verdient  beachtet  zu  werden,    dass  le  Lievre  p.  83,  wo 

er  die  Stelle  noch  einmal  anzieht,  einer  Fassung  sich  bedient,  welche 
deutlich  die  Einwirkung  du  Boys'  erkennen  lässt :  'Per  tuam  ergo  fraterni- 
tatem mittantur'  etc.  8)  Charvet  hat  dafür  'haec'.  4)  So  ändert 
le  Lievre  z.  B.  in  der  Wendung  du  Boys'  'ne  .  .  .  aliquid  vendicare  queat 
oblivio'  das  'queat'  in  'possit'  um,  er  verwandelt  'in  lucem  reddere'  in 
'in  lucem  edere'  (in  dem  Briefe  'Cunctas  inter')  und  unterdrückt  vor  dem 
Schlusswunsch  in  J.-E.  2146.  2151  die  Einleitungsworte:  'Et  alia  manu' 
(vgl.  darüber  noch  eine  folgende  Anmerkung).  —  Eine  höchst  auffallende 
Verarbeitung  haben  diese  Worte  in  der  Pariser  Handschrift  12768  er- 
fahren; da  sie  nämlich  nicht  als  Einführungsformel  erkannt  worden  sind, 
so  sind  sie  mit  dem  folgenden  Schlusswunsch:  'Benedictio  apostolorum 
vos  ab  imbre  malignorum  custodiat'  zusammengeschweisst  worden  zu  dem 
Satze:  'Te  illius  —  des  Apostels  Paulus,  von  welchem  kurz  vorher  die 
Rede  ist  —  manus  et  omnium  apostolorum  vos  ab  imbre  malignorum 
custodiat'. 


Arles  und  Vienne.  17 

z.  B.  in  J. -E.  2549:  *Omnia  etiam  privilegia  .  .  .  volumus 
inconversa  tibi  .  .  .  permanere',  in  J.-E.  2563 'Uiide  imme- 
mor  nostri  fore  non  debet  quia  tu^'  etc.  und  in  J.-E.  2693 
'ut  sub  omni  celeritate  dirigatis,  qualiter  n  o  s  de  ipsis  quinta 
et  sexta  synodis  sentiatis'  —  man  liest  es  bei  du  Boys  und 
le  Lievre,  obAvohl  der  erste  in  seinem  Druckfehler- Verzeichnis 
dafür  der  Reihe  nach  'inconvulsa',  'debes',  'vos'  einge- 
setzt wissen  will. 

Ob  le  Lievre  von  du  Boys  auch  bei  den  Briefen,  welche 
den  Schluss  der  Sammlung  bilden,  abhängig  ist,  ist  nicht 
überall  mit  Sicherheit  zu  entscheiden.  Denn  während  vorher 
le  Lievre  auch  in  der  Wortstellung  genau  mit  du  Boys  überein- 
stimmt, kommen  mit  dem  Stücke  des  Sergius  J.-L.  3544  — 
hier  sogar  dreimal  —  Umstellungen  und  andere  Aenderungen 
auf;  le  Lievre  ist  auch  vollständiger,  indem  er  zweimal  die  von 
du  Boys  gelassenen  Lücken  ausfüllt :  in  dem  eben  angeführten 
Briefe  'Et  quae  admodum  [Lücke]  Guntramnus  rex  ecclesiam 
JMaurianensem  .  .  .  subiectam  .  .  .  sanct^  Viennensi  fecit  ec- 
clesiae'  ohne  weiteres  durch  Einschiebung  eines  'largiter'  und 
in  J.-L.  5025  'universa  ecclesia  pabulo  tantae  [Lücke]  sagi- 
nata  congaudeat'  durch  'eruditionis'  ergänzend;  es  lässt  sich 
nicht  leugnen,  dass  diese  Ergänzungen  ziemlich  leicht  aus  dem 
Zusammenhang  zu  gewinnen  waren,  so  dass  man  nicht  daran 
zu  denken  braucht,  le  Lievre  habe  sie  durch  sorgfältigere 
Benutzung  des  handschriftlichen  Stoffes  erlangt;  was  die  Aende- 
rung  der  Wortstellung  anbetrifft,  so  ist  auch  darauf  kein 
grosses  Gewicht  zu  legen,  falls  ein  Beispiel,  welches  sich  in 
dem  Urban- Briefe  J.-L.  5350  findet,  dafür  von  ausschlag- 
gebender Bedeutung  ist;  dass  le  Lievre  nämlich  diesen  Brief 
von  du  Boys  entlehnt  hat,  dürfte  schon  bei  oberflächlicher 
W^ürdigung  der  Aufschrift  ausser  ZAveifel  gestellt  werden ;  sie 
beginnt  bei  le  Lievre:  'Urbanus  secundus  episcopus  servus 
servorum  Dei'  und  findet  für  das  höchst  befremdliche  Zahl- 
wort ihre  einfache  Erklärung  darin,  dass  du  Boys  hinter 
Urbanus  der  elften  Anmerkung  ihre  Stelle  anweist,  dabei  aber 
die  arabische  Zahl  11  in  seinem  Drucke  so  gestaltet,  dass  sie 
leicht  als  römische  II  verlesen  werden  kann. 

Also  wenn  auch  die  Benutzung  der  Drucke  du  Boys' 
mindestens  für  einen  Brief  der  letzten  acht  sicher  ist,  so 
bleibt  doch  hier,  wofern  man  die  auf  eigener  Anschauung  be- 
ruhende Kenntnis  Vienner  Schriftstücke,  welcher  le  Lievre 
sich  berühmt,  verwerthen  und  damit  sein  von  du  Boys  ab- 
weichendes Verhalten  bei  dieser  Schlussgruppe  in  Verbin- 
dung bringen  will,  die  Möglichkeit  nicht  ausgeschlossen,  dass 
er,  bez.  stets  sein  Mittelsmann  Pierre  de  Villars,  den  Wort- 
laut   einzelner   Briefe    auf   anderem    Grunde    gewonnen    habe, 

Neues  Archiv  etc.     XV.  2 


18  Wilhelm  Gundlach. 

als  du  Boys ' ;  bei  den  mittleren  sechzehn  Stücken  steht  frei- 
lich, im  ganzen  genommen,  seine  Abhängigkeit  von  dem 
Laevum  Xyston  ebenso  ausser  Z^Yeifel,  wie  es  mit  seiner  Un- 
abhängigkeit ohne  jede  Einschränkung  bei  den  ersten  sechs 
Briefen  der  Fall  ist. 

Diese  Schlüsse  sind  mit  dem  Vorbehalt  der  Sorgfalt  du 
Boys'  gezogen  worden;  denn  nur  wenn  die  Abweichungen  bei 
genauem  Vorgehen  der  Herausgeber  entstanden  sind,  ist  für 
sie  auf  verschiedene  Quellen  zu  folgern.  Nun  Avissen  Avir  aller- 
dings über  du  Boys  und  seine  Arbeitsweise  von  anderer  Seite 
nichts;  was  sich  indessen  aus  seiner  Schrift  selbst  ermitteln 
lässt,  ist  kaum  danach  angethan,  dass  man  sich  aller  Bedenken 
in  dieser  Richtung  begebe;  denn  du  Boys  hat  z.  B.  zwei 
dritte  und  zwei  fünfte  Kapitel  im  Laevum  Xyston,  ja  er  scheint 
sich  selbst  der  Nachlässigkeit  zu  bezichtigen,  indem  er  p.  108 
'cum  nundinarum  Francofortianarum  immineret  tempus'  seine 
Versehen  entschuldigt  und  eine  berichtigte  Ausgabe  verhcisst. 

Wird  somit  alles,  was  man  über  die  handschriftliche 
Grundlage  der  Epistolae  Viennenses  nur  aus  den  Schriften 
von  du  Boys  und  le  Lievre  folgern  könnte,  ins  Ungewisse 
gestellt,  so  dürfte  doch  das  gewonnene  Ergebnis  im  ganzen 
bestätigt  werden,  sobald  man  die  auf  die  Herkunft  der  mit- 
getheilten  Stücke  bezüglichen  Bemerkungen  Charvets  zur  Ver- 
gleichung  heranzieht. 

Nur  bei  den  letzten  Stücken  der  Epistolae  Viennenses 
finden  sich  nämlich  Angaben  Avie  'des  archives  de  l'dglise  de 
Vienne'  oder  'ex  archivis  ecclesiae  Viennensis'  oder  bei  der 
Urkunde  Calixts  K.  p.  325:  'L'original  de  la  bulle  de  Calixte  H 
en  faveur  de  l'eglise  de  Vienne  est  precieusement  conserv^ 
dans  les  archives'  —  Angaben  2,  die  mir  den  BcAveis  zu  liefern 
scheinen,  dass  Charvet  die  damit  versehenen  Stücke  nach  den 
Originalen  mitgetheilt  hat,  Avelche  in  dem  Archiv  der  Vienner 
Kirche  beruhten.  An  diesem  Schlüsse  macht  mich  auch  nicht 
irre  die  Wahrnehmung,  dass  zweimal,  zu  den  Briefen  J.-L. 
5024  und  5025  die  übliche  Formel  'ex  archiv.  eccl.  Vienn.' 
erweitert  ist  durch  den  Zusatz  'lib.  no  I.  L.  fol.  37'  und  '38', 
Aveil  die  Originale  ja  doch  sehr  avoIiI  so  aufbewahrt  sein 
konnten,  dass  sie  an  einem  Rande  in  ein  Buch  eingeheftet 
Avaren.     Dass   hier  Charvet  auf  anderem  Grunde  steht  als  du 


1)  So  dürfte  sich  auch  erklären,  dass  du  Boys  von  le  Lievre  nur 
die  'fundamenta'  seines  'fuudus'  erhalten  haben  Avill  —  vielleicht  aus  der 
noch  unvollständigen,  erst  handschriftlich  vorhandenen  Arbeit  le  Lievres, 
welche  dann  nach  dem  Erscheinen  des  Laevum  Xyston  vervollständigt 
worden   ist.  2)  Einmal  findet  sich   bei  Charvet  p.  307  —  wie  bei  de 

Maupertuy  p.  173  —  neben  der  erwähnten  Wendung  'des  archives  de 
l'e'glise  de  Vienne'  zui'  Bezeichnung  eines  anderen  Fundortes  auch  'de 
la  bibliotheque  de  Saint -Beuoit  sur  Loire'. 


Arles  und  Vieuue.  19 

Boys,  dürfte  auch  daran  klar  werden,  dass  er  den  Brief  J.-L. 
5025  nicht  wie  du  Boys  dem  Papst  Gregor  VII.,  sondern 
seinem  Vorgänger  Alexander  IL  beilegt,  dass  er  ferner,  soweit 
aus  seiner  ziemlich  freien  Uebersetzung  ein  Schluss  zulässig 
ist,  das  Schreiben  J,-L.  5024  in  einer  ganz  anderen  lateini- 
schen Fassung  vor  sich  gehabt  haben  muss,  als  wir  durch 
du  Boys  kennen  lernen  i.  Diese  auf  Originale  zurückzufüh- 
rende Schlussgruppe  der  Epistolae  Viennenses  umfasst  aber 
bei  Charvet  nicht  nur  die  letzten  acht  Stücke  der  Sammlung, 
sondern  schon  den  sechzehnten  Brief  der  oben  angenommenen 
Blittelgruppe  J.-E.  2877,  wenn  anders  Charvets  Anmerkung 
p.  196:  *Le  manuscrit  de  cette  Constitution  ...  est  dans  les 
archives  de  l'eglise  cathedrale  de  Vienne'  so  wie  die  ähnlichen 
Angaben  zu  deuten  ist. 

Obgleich  dann  für  die  übrigen  fünfzehn  Briefe  der  Mittel- 
gruppe Charvet  selbst  die  Abstammung  von  den  Originalen 
nicht  bezeugt  —  so  weit  er  nämlich  ihnen  überhaupt  in  seiner 
Darstellung  Raum  giebt,  verräth  er  mit  keiner  Silbe,  woher  er 
sie   entlehnt   hat^  —   so  ist  doch  Avenigstens  ^  für  einen  Brief 


1)  Leider  ist  auch  Charvet  nicht  über  dem  Verdacht  erhaben,  dass 
er  den  Wortlaut  seiner  Vorlagen  heimlich  geändert  habe;  das  scheinen 
mir  in  den  ersten  Briefen  diejenigen  Stellen  zu  zeigen,  in  welchen  er 
von  dem  sonst  immer  gleich  überliefernden  le  Lievre  abweicht;  so  wech- 
selt er  z.  B.  in  der  Aufschrift  des  Cornelius -Briefes  die  anstössige  Be- 
zeichnung 'archiepiscopus'  des  Bischofs  von  Vienne  gegen  'episcopus' 
aus;  er  verschönert  in  dem  Silvester-Briefe  den  Satz:  'quia  nullura  docu- 
mentum  formatarum  extat'  —  offenbar,  weil  schon  ein  anderer  quia -Satz 
unmittelbar  vorhergeht  —  zu  'nullum  tamen  documentum  formatarum 
extat'  und  macht  die  Wortfolge  durch  Umstellung  verständlicher  in  J.-K. 
75  und   116.  2)  Ich  glaube,    dass  dieses    absonderliche  Verfahren    aus 

dem  Misstrauen  Charvets  zu  erklären  ist :  da  er  die  grösste  Stückzahl 
dieser  Gruppe  für  gefälscht  hielt  und  darum  stillschweigend  bei  Seite 
liess,  mochte  er  vielleicht  mit  (nur  zu  sehr  berechtigtem)  Verdacht  sich 
zur  Aufnahme  der  anderen  entschliessen;  er  hat  sie  zwar  von  Stephan 
an  seiner  Darstellung  eingeflochten,  aber  doch  aus  ihrer  Reihe  dann 
noch  die  Briefe  J.-E,  2367  und  2563  ausgeschieden.  In  dieser  Wahr- 
nehmung ist  meine  N.  A.  XIV,  275  Anm.  1  geäusserte  Auffassung  be- 
gründet, dass  Charvet  bei  dem  Briefe  J.-E.  2146,  den  er  offen  als  Fäl- 
schung zurückweist,  sich  nur  so  stelle,  als  kenne  er  den  Fundort  nicht, 
dass  das  Schreiben  eben  da  zu  finden  w-ar,  wo  die  übrigen  vierzehn  oder 
fünfzehn  Stücke  dieser  Gruppe,  unter  ihnen  die  von  Charvet  selbst  mit- 
getheilten,    überliefert   waren.  3)  Ob  die  Abweichungen  von  du  Boys' 

Ueberlieferung,  welche  der  Zacharias- Brief  J.-E.  2258  in  der  Pariser 
Handschrift  2282  und  das  Schreiben  Hadrians  J.-E.  2412  bei  Hugo  von 
Flavigny  erkennen  lassen  —  ihm  folgt  auch  das  Cartular  von  Mäcon  — 
auf  den  Wortlaut  der  Originale  zurückzuführen  sind,  oder  auf  eigen- 
mächtigem Verhalten  der  Abschreiber  beruhen,  möchte  ich,  wie  auch  bei 
der  andern  Pariser  Handschrift  und  dem  Cartular  von  Romans,  unent- 
schieden lassen. 


20  Wilhelm  Gundlach. 

dieser  Gruppe  J.-E.  2385  von  anderer  Seite  dieselbe  Herkunft, 
wie  für  die  Schreiben  der  letzten  Gruppe  verbürgt;  der  an- 
geführte Brief  trägt  nämlich  bei  de  Maupertuy  p.  92  den  Ver- 
merk: 'des  archives  de  l'eglise  de  Saint -Maurice'. 

Die  nämliche  Form  der  Ueberlieferung  —  vermeintliche 
Originale  —  hat  Charvet  vielleicht  auch  für  die  Anfangsgruppe 
der  Epistolae  Viennenses,  ihre  ersten  sechs  Stücke,  verwendet, 
da  er  hier  mit  le  Lievre  bez.  de  Villars  übereinkommt  und 
ausserdem,  wie  schon  bemerkt,  ausdrücklich  angiebt,  dass  er 
die  sechs  Briefe  den  'perantiqua  membrana'  der  Vieuner  Kirche 
entnommen  hat. 

Die  bisher  erzielten  Ergebnisse  dürften  aber  endlich  auch 
noch  durch  eine  einfache  Erwägung  gestützt  werden :  de 
Maupertuy  bezeichnet  seine  Geschichte  des  Bisthums  Vienne 
auf  dem  Titelblatt  als  'composöe  sur  diverses  pieces  autenti- 
ques  et  originales  tirees  des  archives  de  l'archevechö  et  du 
chapitre  de  cettc  eglise';  wenn  nun  ein  Erzbischof  —  Pierre  de 
Villars  —  das  Recht  seines  Bisthums  auf  den  gallischen  Primat 
erweisen  will,  so  liegt  es  auf  der  Hand,  dass  er  zunächst  an 
die  Urkundenschätze  seines  Archivs  oder  des  Archivs  seines 
Kapitels  sich  machen  wird;  er  hat  also  wohl  die  angeblichen 
Originale,  welche  nach  de  Maupertuy's  Angabe  noch  im  An- 
fang des  achtzehnten  Jahrhunderts  in  den  Archiven  des  Erz- 
bischofs und  des  Kapitels  bewahrt  wurden,  für  seine  Zwecke 
ausgebeutet.  Da  nun  auch  Charvets  Hinweisungen  'des  archives 
de  l'eglise  de  Vienne'  nicht  wohl  anders  denn  als  auf  die 
namhaft  gemachten  Archive  gehend  auszulegen  sind,  so  wird 
so  in  erwünschter  Weise  der  Zusammenhang  erklärt,  welcher 
zwischen  seinen  Texten  und  den  von  Pierre  de  Villars  bez. 
le  Lievre  gebotenen  obwaltet.  Ebenso  leicht  ist  auch  die 
Deutung  des  Gegensatzes,  der  zwischen  diesen  Texten  und 
den  von  du  Boys  uns  übermittelten  vorherrscht;  du  Boys  leiht 
in  dem  Zueignungsschreiben,  wie  angegeben,  seiner  Freude 
darüber  Ausdruck,  dass  ihm  das  Archiv  des  Petersklosters  in 
Vienne  zugänglich  gemacht  worden  ist;  er  lässt  uns  so  doch 
wohl  errathen,  dass  er,  nachdem  de  Villars  vielleicht  nur  bruch- 
stückweise die  Epistolae  Viennenses  veröffentlicht  hatte ',    die 


1)  Die  Uebereinstimmung  der  Texte  le  Lievres  (mit  denjenigen  Char- 
vets also)  mit  den  Originalen  ist  für  die  Anfangsgruppe  und  für  Stücke 
der  Schlussgnippe  als  wahrscheinlich  hingestellt  worden,  während  die 
Mittelgruppe  bis  auf  belanglose  Einzelheiten  eine  ausschliessliche  Ver- 
wandtschaft mit  den  von  du  Boys  überlieferten  Texten  bekundet;  aber 
selbst  von  diesen  belanglos  scheinenden  Einzelheiten  kann  mindestens 
eine  durch  den  Unterschied,  welcher  zwischen  Original  und  Abschrift 
herrscht,  erklärt  werden :  wenn  nämlich  du  Boys  in  den  Briefen  J.  -  E. 
2146  und  2151  den  Schlusswunsch,  welchen  der  Papst  mit  eigener  Hand 
zu  schreiben   pflegte,    mit  den  Worten:    'Et  alia  manu'  einführt,   so  lässt 


Arles  und  Vienne.  21 

Handschriften  des  KJosterarchivs  als  vornebmste  Quelle  für 
seine  Ausgabe  benutzt  hat  ^ ;  da  nun  aber,  wie  natürlich,  die 
Originale  in  den  Archiven  der  Kathedrale  sich  befanden,  so 
konnten  diese  Handschriften  nichts  anderes  als  Abschriften, 
als  Cartulare  sein;  es  waren  vielleicht  dieselben,  welche  noch 
im  Jahre  1708  den  auf  einer  wissenschaftlichen  Reise  begrif- 
fenen Benedictinern  Martene  und  Durand  vorgelegt  wurden  ^. 
Yv^enn  also  noch  im  Jahre  1708,  ja  noch  zur  Zeit  Char- 
vets,  dessen  Buch  im  Jahre  1761  erschienen  ist,  die  Originale 
und  Cartulare  der  Vienner  Briefe  vorhanden  waren,  sind  sie 
denn  seitdem  so  vollständig  verschollen,  dass  auch  nicht  ein- 
mal mehr  eine  Abschrift,  welche  älter  als  das  siebzehnte  Jahr- 
hundert ist,   von  ihnen  sich  erhalten  hat?  —  Diese  Frage  ist 


er  schon  damit  erkennen,  dass  er  nicht  auf  das  Original,  sondern  auf 
eine  Abschrift  zurückgeht;  wenn  aber  le  Lievre  in  beiden  Fällen  bei 
sonst  durchgehender  Uebereinstimmiing  mit  du  Boys  die  Eingangsformel 
nicht  hat,  so  dürfte  er  es  hier  wieder  einmal  seinem  an  die  Originale 
reichenden  Mittelsmann  de  Villars  nachthun,  dem  er  jedenfalls  nicht  ohne 
Noth   die  Folgschaft  versagt.  1)    Dass    ihm    neben  dieser  Hauptquelle 

aber  noch  eine  andere  zu  Gebote  steht,  das  anzunehmen  dürfte  nach 
einigen  seiner  Randbemerkungen  unabweisbar  sein;  so  beginnt  der  Brief 
J.  -  K.  116  mit  den  Worten:  'Scias  frater  beatissime',  für  deren  letztes 
am  Rande  'carissime'  von  du  Boys  angegeben,  von  de  la  Eigne  ohne 
weiteres  in  den  Text  aufgenommen  wird;  in  J. -E.  2146  findet  sich  zu 
'venerabilis  pallii'  anstatt  des  Adjectivums  am  Rande  'venerandi'  ange- 
zogen, welches  in  der  jüngeren  hier  in  Frage  kommenden  Pariser  Hand- 
schrift dem  Wortlaut  einverleibt  ist.  In  J. -K.  75  lautet  die  Wendung 
'presbyteris  Galliarum  mittantur'  an  der  Seite  'presbyteri  Galliarum  inci- 
tentur';  in  J.-K.  177  hat  von  dem  Satze:  'per  quod  valeant  confutari' 
das  Schlnsswort  am  Rande  'confirmari'  neben  sich;  im  J.-K.  446  wird 
die  Tageszahl  der  Datierungszeile  'octavo'  am  Rande  durch:  'alias  III', 
in  J.-E.  2563  das  Kaiserjahr  Ludwigs  'IV'  durch  die  Randbemerkung 
'undecimo'  geändert,  in  J. -L.  6596  zu  'genium  conservare'  am  Rande 
'gremium'  angeführt  und  in  J.-L.  6822  'confovere'  durch  ein  am  Rande 
hinzugefügtes  'libertatem'  ergänzt;  da  nun  die  in  den  Stücken  75.  177. 
2563.  6596.  6822  angemerkten  Abwandelungen  von  le  Lievre  stets  als 
einzig  vorhandene  Lesarten  geboten  werden,  le  Lievre  aber  nach  Col- 
lombet  die  'Memoires'  des  Erzbischofs  Pierre  de  Villars  in  sein  Buch 
aufgenommen  hat,  so  wird  es  augenscheinlich,  dass  auch  du  Boys,  welcher 
die  Arbeit  des  Erzbischofs  ja  in  seinem  Zueignungsschreiben  erwähnt 
(vgl.  N.  A.  XIV,  253  Anm.  2),  die  'Memoires'  (oder  den  damit  übereinstim- 
menden Entwurf  des  le  Lievre'schen  Werkes:  vgl.  oben  S.  15  Anm.  2  und 
S.  18  Anm.  1)  gelegentlich  herangezogen  hat,  ohne  ihnen  einen  bestim- 
menden Einfluss  auf  die  Gestaltung  des  W^ortlautes  einz;uräumen.  2)  In 
ihrem  Reisebericht:  'Voyage  litteraire  de  deux  Benedictins'  I,  256  heisst 
es :  'II  y  avait  autrefois  dans  Vienne  douze  abbayes  de  notre  ordre ; 
aujourd'hui  ce  nombre  est  fort  diminue.  La  plus  conside'rable  est  celle 
de  Saint-Pierre  .  .  .  Monsieur  l'abbe  des  Halles  .  .  .  qui  en  est  le  doyen 
nous  procura  I'entree  des  archives  de  cet  illustre  chapitre  et  nous  mit 
entre  les  mains  deux  ou  trois  beaux  cartulaires.' 


22  Wilhelm  Gundlach. 

leider  zu  bejahen,  da  ein  so  ausgezeichneter  Kenner  der  in 
Frankreich  befindlichen  Handschriften  Tvie  Leopold  Delisle 
auf  die  Bitte  um  Auskunft  keinen  Nachweis  zu  ertheilen  ver- 
mochte. 

Dass  die  Urkundenschätze  der  Vienner  Archive  vernichtet 
worden  sind,  bezeugt  auch  Collombet,  indem  er  in  seiner 
'Histoire  de  la  sainte  eglise  de  Vienne'  III,  357  berichtet: 
'Charvet  fut  un  des  derniers  qui  purent  consulter  les  archives 
de  Vienne,  precieux  depot  dont  les  restes  furent  disperses 
par  les  mains  des  revolutionnaires  ou  jetes  aux  flamraes 
comme  choses  inutiles,  corame  monuments  de  superstition' '. 

Fasst  man  den  Ertrag  dieser  Erörterungen,  dass  wahr- 
scheinlich sowohl  die  vorgeblichen  Originale  —  bei  le  Liuvre 
zum  Theil  und  bei  Charvet  —  wie  ihre  in  Cartulare  einge- 
tragenen Abschriften  —  bei  du  Boys  —  der  noch  vorhandenen 
Ueberlieferung  zu  Grunde  liegen,  dass  aber  keine  dieser 
Ueberlieferungsformen  über  den  Anfang  des  zwölften  Jahr- 
hunderts in  die  Vergangenheit  hinein  zu  verfolgen  ist,  mit  der 
Absicht  ins  Auge,  daraus  Anhaltspunkte  zur  Aburtheilung 
über  Echtheit  oder  Unechtheit  der  Epistolac  Viennenses  zu 
gewinnen,  so  muss  die  Entscheidung  dahin  ausfallen,  dass 
die  früheste  erst  im  zwölften  Jahrhundert  nachweisbare  Spur 
der  Vienner  Briefreihe  gewiss  nicht  für  ihre  Echtheit  einzu- 
nehmen geeignet  ist,  dass  aber  ebenso  wenig  der  beregte 
Umstand  an  sich  den  Verdacht  der  Fälschung  begründen 
kann.  Die  Frage,  unter  welcher  die  ganze  Untersuchung 
steht,  ist  also  noch  so  lange  offen  zu  lassen,  bis  Nach- 
forschungen anderer  Art  zum  Austrag  gebracht  worden  sind; 
erst  wenn  auf  anderen  Wegen  die  Unechtheit  der  Epistolae 
Viennenses   gefunden   worden   ist,   wird   auf  die  erzielten  Er- 


1)  Eine  ähnliche  Angabe  über  den  Untergang  der  Vienner  Brief- 
Handschriften  verdanken  wir  E.  J.  Savigne,  welcher  im  Jahre  1869  eine 
nachgelassene  Schrift  Claude  Charvets :  'Fastes  de  la  ville  de  Vienne* 
herausgegeben  hat;  nur  kann  ich  mich,  unter  Berufung  auf  meine  oben 
gebotenen  Auslassungen,  nicht  mit  der  Auffassung  einverstanden  erklären, 
dass  Charvet  auch  für  die  Vienner  Briefe  das  grosse  Cartular  der  Kirche 
benutzt  habe  (p.  XIV:  'Charvet  ,  .  .  a  joui  du  rare  avantage  d'avoir  k  sa 
disposition  les  archives  alors  intactes  du  chapitre  de  Saint -Maurice.  II  a 
eu  notamment  sous  les  yeux  le  grand  cartulaire  de  cette  eglise,  formant 
un  volume  in-folio,  ecrit  sur  parchemin  et  datant  du  XII^  siecle,  qui  a 
malheureusement  etd  confondu  avec  les  titres  fe'odaux  et  bn'ile  h  l'epoque 
de  la  r^volution')  —  es  müsste  denn  sein,  dass  Savigne,  dessen  Angaben 
ich  nicht  auf  ihren  Ursprung  zurückverfolgen  kann,  als  Cartular  die  zu 
einem  Buche  vereinigten  Originale  (vgl.  meine  oben  S.  18  dargelegte 
Meinung)  bezeichnet  hat:  die  Bestimmung  'datant  du  XII^  siecle'  kann 
dabei  nicht  stören;  denn  ich  hoffe  den  Nachweis  zu  führen,  dass  selbst 
die  Originale  erst  im  letzten  Jahrzehnt  des  elften  oder  im  Anfang  des 
zwölften  Jahrhunderts  hergestellt  worden  sind. 


Arles  und  Vienne.  23 

gebnisse  zurückgegriffen  werden,   um  den  Zeitpunkt  der  Fäl- 
schung festzustellen. 

Zunächst  gilt  es,   die   äussere  Beschaffenheit   der   Briefe, 
soweit  sie  eine  formelhafte  ist,  zu  prüfen. 


2.    Die  Formeln'. 

Da  die  Reihe  der  Epistolae  Viennenses  mit  ihren  älte- 
sten Bestandtheilen  bereits  im  zweiten  Jahrhundert  beginnt 
und  mit  denjenigen  Stücken,  welche  reine  Briefform  zur 
Schau  tragen,  bis  an  das  Ende  des  elften  Jahrhunderts  reicht, 
für  die  Epistolae  Arelatenses  aber  die  kanzleimässigen  For- 
men der  Papstbriefe  bis  zum  Zeitalter  Gregors  des  Grossen 
festgestellt  sind,  so  könnten  daran  wenigstens  die  frühesten 
Vienner  Briefe  sogleich  gemessen  werden;  um  indessen  diese 
Arbeit  ununterbrochen  der  ganzen  Reihe  zu  widmen,  dürfte 
es  angebracht  sein,  erst  die  Uebersicht,  welche  die  in  der 
päpstlichen  Kanzlei  gebräuchlichen  Formeln  zum  Gegen- 
stande hat,  zu  vervollständigen  nach  Massgabe  der  in  den 
Epistolae  Viennenses  vertretenen  Empfängerarten,  und  das 
sind  der  König  Karl,  der  Metropolitanbischof  von 
Vienne,  eine  Anzahl  Bischöfe  und  eine  Gesammtheit 
niederer   Geistlicher. 

Es  ist  gezeigt  worden  2^  dass  in  der  Aufschrift  der  an 
den  Kaiser  gerichteten  Briefe  die  unter  Leo  (J.-K.  542),  Ana- 
stasius  (J.-K.  744)  und  Johann  (J.-K.  884:  Gloriosissimo  et 
clementissimo  filio  lustiniano  augusto  Johannes  episcopus') 
übliche  Form  das  Vorbild  abgegeben  hat  für  die  Einrichtung 
der  an  König  Childebert  gerichteten  Briefe,  als  im  sechsten 
Jahrhundert  zum  ersten  Male  der  Statthalter  Petri  in  brief- 
lichen Verkehr  mit  einem  Merowinger  trat  (J.-K.  942:  'Domino 
filio  gloriosissimo  atque  praecellentissimo  Childeberto  regi 
Pelagius  episcopus'),  und  dass  daran  sich  zwanglos  die  von 
Gregor  beliebte  Aufschrift  anschliesst  (J. -E.  1827:  'Domino 
gloriosissimo  atque  praecellentissimo  filio  Ethelberto  regi  Anglo- 
rum  Gregorius  episcopus  [servus  servorum  Dei']),  welche  nur 
um  die  genauere  Bestimmung  des  Königs  ('Anglorum')  und  die 
Demuthformel  nach  der  Standesbezeichnung  'episcopus'  er- 
weitert ist. 


1)  Wenn  ich  wiederholt  einzelne  Formen  abweise,  so  bin  ich  weit 
entfernt,  damit  stets  die  Echtheit  der  betroffenen  Stücke  anzufechten; 
es  ist  mir  lediglich  darum  zu  thun,  möglichst  scharf  die  regelrechten 
Formen  von  den  unregelmässigen  zu  scheiden.  2)  Die  genaueren  Aus- 

führungen   findet    man    N.   A.  XIV,  313  —  325;    bei    dieser   Wiederholung 
will  ich  nur  die  Entwickelung  in  Kürze  überblicken  lassen. 


24  Wilhelm  Gundlach. 

Wenn  Bischöfe  Papstbriefe  empfangen,  so  gilt  für  diese 
als  Aufschrift  im  vierten,  fünften  und  sechsten  Jahrhundert 
eine  Form  wie  'Dilectissimo  fratri  Paulino  Damasus'  oder  bei 
einer  Mehrzahl  von  Elmpfängern:  'Dilectissimis  fratribus  uni- 
versis  episcopis  per  Gallias  consistentibus  Symmachus;  erheb- 
lich verändert  ist  dagegen  die  unter  Gregor  I.  gewählte  Auf- 
schrift: 'Reverentissimo  et  sanctissimo  fratri  Aetherio  coepi- 
scopo  Gregorius  servus  servorum  Dei';  indessen  dürfte  so 
nur  ein  Metropolitanbischof  behandelt  worden  sein,  während 
an  den  einfachen  Bischof  vielleicht  in  einer  der  früheren  näher 
kommenden  Form  geschrieben  worden  ist.  Wie  bei  einer 
Gesammtheit  von  Empfängern  die  Aufschrift  eingerichtet  war, 
ist  wegen  mangelhafter  Ueberlieferung  nicht  zu  erkennen. 

Gegen  Geistliche  niederer  Ordnung  oder  gegen  die  nicht 
in  Rangklassen  gegliederte  Geistlichkeit  haben  sich  die  Päpste 
noch  im  fünften  Jahrhundert,  was  die  Folge  des  Empfänger- 
und Absendernamens  anbetrifft,  nicht  anders  verhalten  als 
gegen  Bischöfe;  erst  im  sechsten  Jahrhundert  tritt  der  Name 
des  Papstes  in  solchen  Aufschriften  an  den  Anfang :  'Pelagius 
episcopus  universo  populo  Dei';  darin  ist  auch  unter  Gregor  I. 
kein  Umschwung  eingetreten,  da  es  heisst:  'Gregorius  episcopus 
servus  servorum  Dei  dilectissimo  filio  Maximo  abbati';  eine 
wirkliche  Neuerung  braucht  auch  in  dem  'dilectissimo  filio' 
nicht  erblickt  zu  werden,  welches,  im  fünften  Jahrhundert  in 
solchen  Aufschriften  nachweisbar,  im  sechsten  vor  Gregor  nur 
ausser  Uebung  gekommen  zu  sein  scheint. 

Also  wenn  man  von  der  merkwürdigen  Gestaltung  der 
einen  Metropolitanbischof  nennenden  Aufschrift  absieht,  so  ist 
iinter  Gregor  I.  als  durchgehende  Abweichung  von  den  Formen 
der  Vergangenheit  im  wesentlichen  nur  der  Zusatz  'servus 
servorum  Dei'  aufzuführen,  welcher  nach  fester  Regel  ent- 
weder dem  Namen  'Gregorius'  oder  dem  darauf  folgenden 
'episcopus'  angefügt  wird. 

Von  den  Nachfolgern  des  grossen  Gregor  scheinen  nur 
diejenigen,  welche  in  dem  auf  seinen  Tod  folgenden  Jahrzehnt 
den  Stuhl  Petri  inne  gehabt  haben,  an  der  Neuerung  Gregors 
festgehalten  zu  haben ;  denn  nur  von  Bonifatius  IV.  ist  in 
dem  an  König  Theoderich  IL  von  Austrasien  gerichteten  Brief 
J.-E.  2002  eine  Aufschrift  glaubhaft  bezeugt,  welche  mit  der 
des  oben  angeführten  Gregor-Briefes  übereinkommt:  'Domino 
gloriosissimo  atque  precellentissimo  filio  Theodorico  regi  Fran- 
corum   Bonifatius    episcopus   servus    servorum   Dei'^;    ebenso 


1)  Das  ganze  Formular  des  an  den  englischen  König  gesandten 
Briefes  J.-E.  1998  halte  ich  für  verderbt,  da  'excellentissimo  atque  prae- 
cellentissimo'  in  der  Aufschrift  doch  wohl  zweimal  dasselbe  ist  und  auch 
die   freilich   stets  jeweiligem  Belieben   mehr  ausgesetzte  Unterschrift    des 


Arles  und  Vienne.  25 

berührt  sich  die  Aufschrift  des  dem  Bischof  Florian  von  Arles 
gewidmeten  Schreibens  mit  den  Aufschriften,  wie  sie  unter 
Gregor  bei  Metropoliten  gebraucht  w'urden,  nur  dass  jetzt 
eine  kleine  Vereinfachung  um  ein  Eigenschaftswort  im  Bischofs- 
titel eintritt:  'Reverentissimo  fratri  Floriano  coepiscopo  Boni- 
fatius  servus  servorum  Dei'  (J.-E.  2001). 

Mit  Bonifatius  V.  aber  dürfte  wieder  eine  rückläufige 
Bewegung  einsetzen,  w^elche  zu  den  vor  Gregor  I.  verwandten 
Formen  zurückkehrt,  so  dass  mindestens  in  den  Aufschriften 
der  an  Bischöfe  erlassenen  Schreiben  Wendungen  wieder  her- 
vorkommen wie  'Dilectissimo  fratri  lusto  Bonifatius'  in  J.-E. 
2006  und  ebenso  unter  Honorius  I.  in  2020,  unter  Martin  I.  in 
2051,  unter  Adeodat  in  2105  ('Dilectissimis  fratribus  universis 
episcopis  in  Galliae  partibus  commorantibus  Adeodatus'),  unter 
Leo  IL  und  Sergius  I.  in  J.-E.  2119.  2122.  2133'.  Ob  auch 
die  den  Königen  gewidmeten  Briefe  von  dem  Rückschlage 
betroffen  werden,  möchte  ich  aus  Misstrauen  gegen  die  von 
mir    gesammelten    Beispiele    unentschieden    lassen  ^ ;    dagegen 


Papstes:  'In  Christo  valeas,  domine  fili'  gar  nicht  zu  dem  sonst  beobach- 
teten Brauche  stimmen  will.  1)  Gegen  die  abweichenden  Formen: 
'Dilectissimo  fratri  lusto  Bonifatius  episcopus  servus  servorum  Dei'  in 
J.-E.  2007  und  ebenso  unter  Honoiius  in  J.-E.  2021  und  unter  Vitalian 
in  J.-E.  2095  verhalte  ich  mich  vor  allen  Dingen  darum  entschieden 
ablehnend,  weil  es  weder  vorher  im  vierten,  fünften  und  sechsten,  noch 
auch  nachher  im  siebenten  und  achten  Jahrhundert  Sitte  ist,  dass  der 
Papst  sich  in  seinen  Briefen  als  'episcopus'  anderen  Bischöfen  gegenüber 
bezeichnet;  es  kommt  hier  nun  noch  dazu,  dass  die  aufgeführten  Briefe 
sämmtlich  nach  England  gerichtet  sind,  dass  sie  so  wahrscheinlich  alle 
in  ihrer  Aufschrift  einer  einheitlichen  verfälschenden  Bearbeitung  unter- 
zogen worden  sind.  —  Die  Martin  -  Briefe  J.-E.  2078,  2079  verrathen 
schon  durch  die  befremdliche  Folge,  welche  bei  den  Namen  des  Absen- 
ders und  Empfängers  in  der  Aufschrift  zu  erkennen  ist  ('Martinus  Theo- 
doro')  und  durch  die  verschiedene  Benennung  des  Empfängers  —  der 
Bischof  Theodor  heisst  in  der  Aufschrift  des  ersten  Briefes  'frater',  in 
der  Unterschrift  'amantissime  tili',  in  der  des  zweiten  Briefes  'fili  dul- 
cissime'  — ,  dass  jedenfalls  an  dem  Formular  die  päpstliche  Kanzlei 
keinen  Theil  hat.  Verdächtig  erscheint  mir  auch  in  seinem  Aeussern  der 
an  alle  Gläubigen  sich  wendende  Brief  Martins  J.-E.  2058,  dessen 
Aufschrift  beginnt:  'Martinus  servus  servorum  Dei  atque  per  gratiam  eins 
episcopus  sanctae  catholicae  atque  apostolicae  ecclesiae  urbis  Romae'  etc., 
dessen  Unterschrift  aber  nur  'dilectissimi  fratres',  also  nur  Bischöfe 
erwähnt.  2)  Das  von  Honorius  ausgehende  Schreiben  J.-E.  2019  hat 
selbst  in  einer  Handschrift  des  achten  Jahrhunderts  (vgl.  Kruscli  im 
N.  A.  X,  89)  die  nämliche  bedenkliche  Bezeichnung  des  Angeln-Königs 
'excellentissimo  atque  praecellentissimo',  welche  oben  S.  24  Anm.  bei 
einem  Briefe  des  Bonifatius  gerügt  worden  ist.  Unter  Vitalian  wäre  zwar 
in  J.-E.  2089  die  Aufschrift:  'Domino  excellentissimo  filio  Oswino  regi 
Saxonum  Vitalianus  episcopus  servus  servorum  Dei'  kaum  zu  beanstan- 
den; da  aber  dieser  Brief  auch  aus  einer  englischen  Quelle  stammt,  der- 
selben wohl,    aus  welcher    die    in    der  vorigen  Anmerkung    besprochenen 


26  Wilhelm  Gundlach. 

scheint  mir,  dass  man  an  der  demüthigen,  von  Gregor  auf- 
gebrachten Form  festgehalten  habe,  so  oft  ein  Kaiser  der 
Empfänger  war;  ich  halte  nämlich  die  Aufschrift,  welche  unter 
Martin  I.  in  J.-E.  2062  begegnet:  'Domino  piissimo  et  sere- 
nissimo,  victori,  triumphatori,  tilio  diligenti  Deum  et  dominum 
nostrum  lesum  Christum,  Constantino  augusto  Martinus  epi- 
scopus  servus  servorura  Dei  et  universa  synodus  in  hac  urbe 
Roma  congregata',  wenn  sie  auch  vielleicht  durch  Ueber- 
setzung  und  Rückübersetzung  etwas  gestört  ist',  doch  im 
ganzen  für  zuverlässig,  da  mit  ihr  sich  merklich  berührt  eine 
andere,  welche  ein  Brief  Leos  II.,  J.-E.  2118,  liefert:  'Piissimo 
et  tranquillissimo  doraino,  victori  et  triumphatori,  filio  dilecto 
Dei  et  salvatoris  nostri  lesu  Christi,  Constantino  imperatori 
Leo  episcopus  servus  servorum  Dei'. 

Nachdem  die  Abkehr  von  den  unter  Gregor  I.  und  seinen 
nächsten  Nachfolgern  üblichen  Formen  etwa  ein  Jahrhundert 
gedauert  hat,  wendet  sich  ihnen  die  päpstliche  Kanzlei  wieder 
zu;  es  geschieht  zuerst  unter  Gregor  II.,  welcher  die  Wahl 
seines  Papstnamens  auch  darin  bewährt,  dass  er  selbst  in  den 
Formen  seiner  Briefe  an  seinen  gleichnamigen  Vorfahr  an- 
knüpft. Die  Aufschrift  der  für  ]\Ictropolitanbisch(3fe  bestimm- 
ten Schreiben  ^  lautet  jetzt  genau  wie  die  oben  mitgetheilte  des 
an  Aetherius  gerichteten  Briefes  Gregors  I.:  'Reverentissimo 
et  sanctissimo  fratri  Bonifatio  coepiscopo  Gregorius  servus  ser- 
vorum Dei'  in  J.-E,  2168  und  ebenso  in  2174,  unter  Gregor  III. 
in  2239.  2251,  unter  Zacharias  in  2264  3.  2271.  2274.  2276. 
2278.  2286  •♦;  und  dieser  Brauch  scheint  dann,  ohne  dass  man 


Briefe  entnommen  sind,  so  dürfte  hier  Zurückhaltung  zu  empfehlen  sein. 
Unter  Leo  II.  kann  die  Aufschrift  in  J.-E.  2120:  'Domino  excellentis- 
simo  filio  Ervif^io  regi  Leo'  auch  kein  Vertrauen  einflössen,  zumal  der 
ganze  Brief   schon    von    Baronius    angefochten    ist.  1)    An    den  Kaiser 

nach  Konstantinopel  gerichtet,  sind  diese  Briefe  ohne  Zweifel  in  das 
Griechische  übertragen  worden;  beide  haben  auch  bei  Mansi  (X,  790; 
XI,  726)  die  griechische  Uebersetzung  neben  sich.  Dass  dabei  und  bei 
der  Rückwendung  in  die  lateinische  Sprache  kleine  Versehen  mit  unter- 
laufen, ist  an  der  lateinischen  Kpnzleiform  zu  ermessen,  welche  unter 
Leo  III.  mitgetheilt  werden  wird ;  die  bedeutendste  Abweichung  der  beiden 
Fassungen  'diligenti  Deum'  und  'dilecto  Dei'  erklärt  sich  in  der  Weise, 
dass  keine  richtig,  sondern  'amatori  Dei'  die  einzig  echte  Form  ist. 
2)  Für  den  einfachen  bischöflichen  Empfänger  wäre  die  Aufschrift  des 
Briefes  J.-E.  2449:  'Tö  a-yanr]|X£VC)  aÖE^cfM  TaQCöio)  TCUxqw.QY^ri  'Abqiavoq 
bovXoq  Tcjv  Sot'Xcov  ToiJ  0£oü'  ein  passender  Beleg  —  im  Originallatein: 
'Dilectissimo  (nicht  'Dilecto'  wie  Mansi  XII,  1077  angiebt)  fratri  Tarasio 
patriarchae  Hadrianus  servus  servorum  Dei'  — ,  wenn  es  nicht  befremden 
müsste,  dass  hier  der  Patriarch  wie  ein  einfacher  Bischof  statt  als  Metro- 
politanbischof   behandelt  wird.  3)   Das    richtige  'coepiscopo'    steht    bei 

Jaflfe,    Bibl.  III,   116    in    der   Anmerkung.  4)    Angesichts    dieser    Ein- 

helligkeit wird  man  ohne  weiteres  die  Aufschrift,  welche  unter  Gregor  III. 


Arles  und  Vienne.  27 

genau  den  Zeitpunkt  des  Aufhörens  angeben  könnte,  bis  gegen 
die  Mitte  des  neunten  Jahrhunderts  vorgehalten  zu  haben. 

Was  die  Aufschriften  in  Briefen,  welche  niederen  Geist- 
lichen zukommen,  anlangt,  so  werden  sie,  wie  es  seit  Alters 
üblich  ist,  von  dem  Namen  des  Papstes  eröffnet,  welchem  in 
dieser  Periode  'episcopus  servus  servorum  Dei'  folgt;  und  das 
ist  auch  dann  der  Fall,  wenn  in  die  angeredete  Gesammtheit 
der  Geistlichen  (und  Laien)  selbst  Bischöfe  ausdrücklich  ein- 
bezogen werden ;  so  heisst  es  z.  B.  unter  Gregor  IL  in  J.-E. 
2160:  'Gregorius  episcopus  servus  servorum  Dei  universis 
reverentissimis  et  sanctissimis  fratribus  coepiscopis,  religiosis 
presbiteris  seu  diaconibus,  gloriosis  ducibus,  magnificis  castal- 
diis,  comitibus  etiam  vel  cunctis  christianis  Deura  timentibus' 
und  ähnlich  unter  Gregor  IIL  in  J.-E.  2245:  'Gregorius  epi- 
scopus servus  servorum  Dei  dilectissimis  nobis  omnibus  epi- 
scopis,  venerabilibus  presbyteris,  religiosis  abbatibus  omnium 
provinciarum''. 

Nur  in  der  Aufschrift  der  an  einen  König  gerichteten 
Schreiben  scheint  —  wenn  man  zunächst  nach  der  grössten 
Anzahl  der  Stücke  urtheilt  —  die  päpstliche  Kanzlei  nicht  zu 
den  unter  Gregor  I.  gangbaren  Formen  zurückgegriffen,  viel- 


sich  findet  in  J.-E.  2243:  'Greg-orius  episcopus  servus  servorum  Dei  epi- 
scopis  Angliae  salutem  et  apostolicam  benedictionem'  —  also  wohl  aus 
der  englischen  Sammlung!  —  abweisen  und  in  2247:  'Dilectissimis  nobis 
episcopis  in  provincia  Baioariorum  et  Alamaniiia  constitutis  Wiggo  .  .  . 
Gregorins  papa'  und  unter  Zacharias  in  J.-E.  2265  (2266):  'Dilectissimo 
nobis  Wittane  sanctae  ecclesiae  Barbarane  Zacharias  papa'  wenigstens 
um  der  Bezeichnung  'papa'  willen  mit  einem  Fragezeichen  versehen,  ob- 
wohl einfachen  Bischöfen  jedenfalls  nur  'Dilectissimis'  und  nicht  'Reveren- 
tissimis et  sanctissimis'  zugekommen  ist,  wie  auch  Leos  III.  Brief  J.-E. 
2495  erkennen  lässt :  'Dilectissimis  nobis  Alim  .  .  .  provinciae  Baioario- 
rum episcopis  Leo  servus  servorum  Dei';  man  wird  weiter  die  Aufschrift  in 
J.-E.  2270:  'Reverentissimo  et  sanctissimo  fratri  Bonifatio  Zacharias'  als 
unvollständig  überliefert  ansehen  und  in  2291:  'Reverentissimo  et  sanctis- 
simo fratri  Bonifatio  coepiseopo  Zacharias  episcopus  servus  servorum 
Dei'  das  ungehörige  'episcopus'  hinter  'Zacharias'  auf  einen  Irrthum  zurück- 
führen. 1)  In  den  Aufschriften  der  Briefe  J.-E.  2157  und  2167  ist 
offenbar  nur  'episcopus'  hinter  dem  Papstnamen  ausgelassen,  während  in 
J.-E.  2246  (unter  Gregor  III.)  und  in  2275  (unter  Zacharias)  'episcopus 
servus  servorum  Dei'  —  vielleicht  durch  einen  Abschreiber  —  dem 
kürzeren  'papa'  zum  Opfer  gefallen  ist.  Ingleichen  glaube  ich  auch  der 
Aufschrift  in  J.-E.  2161  unter  Gregor  II. :  'Gregorins  episcopus  servus 
servorum  Dei  clero,  ordini  et  plebi  consistenti,  dilectissimis  filiis,  in  Domino 
salutem'  die  Anerkennung,  dass  sie  ganz  ordnungsmässig  sei,  versagen  zu 
sollen,  da  zu  'consistenti'  offenbar  eine  Ortsbezeichnung  gehört,  die  Nach- 
stellung der  Worte  'dilectissimis  filiis'  ungewöhnlich  ist  und  der  Zusatz 
'in  Domino  salutem'  sonst  nur  in  der  gleichfalls  sehr  unregelmässig  ge- 
bauten Aufschrift  des  Briefes  J.-E.  2287  (in  der  Form  'in  Domino  salutem 
dicit')  und  in  den  Urkunden  J.-E.  2292  und  2293  als  'perpetuam  salutem' 


28  Wilhelm  Gundlaeh. 

mehr  eine  Neuerung  eingeführt  zu  haben.  Unter  Stephan  II. » 
heisst  es  nämlich  in  der  Aufschrift:  'Domino  excellentissimo 
filio  Pippino  regi  Stephanus  papa'  (J.-E.  2312)  oder  später: 
^Domino  excellentissimo  filio*  et'  nostro  spiritali  com- 
patri  Pippino  regi  Francorum  et  patricio  Romanorum 
Stephanus  papa'  (J.-E.  2326.  35)  und  wie  zuletzt  angegeben 
auch  unter  Paul  I.  (J.-E.  2338.  40.  41.  43.  44.  45.  47.  48.  51. 
52.  54-59.  61.  63.  64.  69—73);  der  Papst  Constantin  II.  hat 
in  seinen  beiden  Briefen  (J.-E.  2374.  75)  die  Aufschrift: 
'Domino  excellentissimo  filio  Pippino  regi  Francorum  et  pa- 
tricio Romanorum  Constantinus  papa'  und  genau  entsprechend 
Stephan  III.  in  J.-E,  2387;  endlich  bietet  Hadrian  I.  die  For- 
men: 'Domino  excellentissimo  filio  Carolo  regi  Francorum  et 
Langobardorum  atque  patricio  Romanorum  Hadrianus 
papa'  (in  J.-E.  2408.  09.  13-16.  18.  19.  20.  22.  23.  25-29. 
33-*)  und  'Domino  excellentissimo*  filio  nostroque^  spiri- 
tali compatri  Carolo  regi  Francorum  et  Langobardorum 
ac'  patricio  Romanorum  Hadrianus  papa'  (in  J.-E.  2431.  32. 
34.  36.  38-42.  50.  51.  53.  58.  60.  61.  63.  64.  67.  70-78.  80). 
Wenn  diese  Aufschriften  die  Kanzleiübung  getreu  wieder- 
spiegeln, dann  ist  damit  vor  allem  erwiesen,  dass  unter  den 
genannten  Päpsten,  also  mindestens  in  der  Zeit  von  752  bis 
795,  soweit  es  sich  um  die  an  Könige  ergehenden  Schreiben 
handelt  8,   die  Bezeichnung  des  Papstes  'episcopus  servus  ser- 


und  eingeschrumpft  zu  dem  kurzen  'in  perpetuum'  sich  findet;  die  beiden 
zuletzt  angeführten  für  Bonifatius  ausgefertigten  Urkunden  haben  übri- 
gens auch  'papa'  in  der  Aufschrift.  1)  Die,  streng  genommen,  nicht 
in  Betracht  kommenden  Schreiben  des  dritten  Gregor  und  des  Zacharias 
—  die  ältesten  Stücke  des  Codex  Carolinus  — ,  welche  an  den  Sub- 
regulus  Karl  und  den  Maior  domus  Pippin  gerichtet  sind  (J.-E.  2250. 
52.  77)  dürften,  wenn  sie  auch  der  Unterschrift  ermangeln,  nicht  nach 
Registerabschriften,  sondern  in  Anbetracht  der  unverkürzten  Aufschrift  in 
2250.  52  mich  Originalen  mitgetheilt  sein.  2)  Das  Wort  ist  bei  Jaffe, 
Bibl.  IV,  104  wohl  nur  im  Druck  ausgefallen.  3)  In  J.-E.  2343  fehlt 
das  'et',  in  2348  ist  'nostro  et'  umgestellt.  4)  Wenn  die  Aufschrift 
dieses  Schreibens  nicht  infolge  eines  Fehlers  den  Zusatz  'nostroque  spiri- 
tali compatri'  eingebüsst  hat,  dann  dürfte  es  vor  die  Schreiben  J.-E. 
2431  und  2432  zu  stellen  sein,  die  ersten,  welche  den  erwähnten  Zusatz 
aufweisen.  5)  In  J.-E.  2442  erscheint  ein  anderes  Compositum:  'pre- 
cellentissimo'.  6)  In  J.-E.  2434  heisst  es  dafür  'et  nostro',  in  2464 
nur  'nostro'.  7)  In  den  Aufschriften  von  vierzehn  Briefen  tritt  dafür 
'atque'  ein.  8)  Bei  anderen  Briefen  ist  von  den  genannten  Päpsten 
die  zu  erwartende  Selbstbezeichnung  gewählt  worden;  so  liest  man  — 
stets  im  Codex  Carolinus  —  als  Aufschrift  des  Briefes  J.-E.  2313:  'Ste- 
phanus episcopus  servus  servorum  Dei  viris  gloriosis  nostrisque  filiis 
Omnibus  ducibus  gentis  Francorum'  und  des  Briefes  J.-E.  2368:  'Paulus 
servus  servorum  Dei  omnibus  dilectis  nobis  episcopis  et  venerabilibus 
presbiteris  et  abbatibus  atque  religiosis  monachis,  gloriosis  etiam  ducibus 
et  comitibus    seu    universae  Christo  dilectae    generalitati  exercitus   a  Deo 


Arles   ixnd  Vienne.  29 

vorum  Dei'  durch  'papa'  verdrängt  worden  ist.  Aber  ehe 
dieser  Anschauung  Raum  gegeben  wird,  muss  doch  erst  eine 
leicht  sich  ergebende  Einrede  gründhch  erwogen  werden.  Da 
nämlich  die  angeführten  Beispiele  sammt  und  sonders  einer 
einzigen  Sammlung,  dem  Codex  Carolinus,  entnommen  sind, 
so  dürfte  der  Verdacht  rege  werden,  dass  derjenige,  welcher 
von  Karl  dem  Grossen  mit  der  Zusammenstellung  beauftragt 
worden  ist,  obzwar  er  den  Königstitel  in  den  Aufschriften 
stets  genau  wiedergegeben  hat  —  und  der  ist  ja  auch  in  fünf 
verschiedenen  Formen  vertreten »  —  den  Papsttitel  ('episcopus 
servus  servorura  Dei'),  welcher  immer  in  derselben  einförmi- 
gen Gestalt  sich  darstellte,  aus  Bequemlichkeit  (zu  'papa') 
verkürzt  habe;  man  möchte  diesem  Verdachte  vielleicht  um 
so  eher  sich  ergeben,  als  einerseits  der  lange  Papsttitel  stets 
den  Schluss  der  Briefaufschriften  bildete,  andererseits  eine 
auch  im  Codex  Carolinus  mitgetheilte  Urkunde  J.-E.  2349 
zeigt,  dass  der  vorangestellte  Papsttitel  nicht  von  der  Ver- 
kürzung betroffen  wurde ;  die  Aufschrift  dieser  Urkunde  lautet 
nämlich :  'Paulus  episcopus  servus  servorum  Dei  precellentis- 
simo  filio  Pippino  regi  Francorum  et  patritio  Romanorum  et 
per  cum  venerabili  monasterio  beati  Silvestri  confessoris  Christi 
atque  pontificis  vel  cuncte  monachorum  congregationi  nunc  et 
in  posterum  illic  consistentium  in  perpetuum'.  Um  diesen 
Verdacht  zu  beschwichtigen,  ist  zuvörderst  geltend  zu  machen, 
dass  man  von  den  Privilegien  nicht  ohne  weiteres  auf  die 
Briefe  schliessen  darf,  und  dass  doch  das  Privileg  Pauls  nur 
scheinbar  für  König  Pippin,  in  Wahrheit  für  das  Kloster  des 
heiligen  Silvester  ausgestellt  ist.  Von  ausschlaggebender  Be- 
deutung  aber  ist,   dass  der  Titel   'papa',   abgesehen  von   zwei 


protecti  regni  Francorum  constitutis'  —  eine  Aufschrift,  die,  falls  nicht 
hinter  'Paulus'  das  Wort  'episcopus'  ausgefallen  ist,  als  Beleg  dafür  ge- 
nommen werden  kann,  dass  der  Papst  auch  einer  aus  verschiedenen 
Ständen  zusammengesetzten  Gesammtheit  gegenüber  auf  die  Selbst- 
bezeichnung 'episcopus'  verzichtete,  wenn  Bischöfe  unter  ihnen  waren. 
Dass  endlich  die  von  Hadrian  beizubringenden  Aufschriften:  'Hadriauus 
episcopus  servus  servorum  Dei  dilectissimo  nobis  Egilae  episcopo  seu 
lohanni  presbitero'  (in  J.-E.  2445  und  ohne  die  letzten  drei  Wörter  in 
2446)  und  'Hadrianus  episcopus  servus  servorum  Dei  dilectissimis  nobis 
Omnibus  orthodoxis  episcopis  per  universam  Spaniam  commorantibus' 
(J.-E.  2479)  vertrauensvoll  hinzunehmen  sind,  möchte  ich  nicht  behaup- 
ten, da  mir  der  vorangestellte  Papsttitel  und  darin  'episcopus'  verdächtig 
erscheint,  die  drei  Briefe  aber  sämmtlich  ohne  Unterschrift  überliefert 
sind.  1)  Wenn  man   die  Briefe  Gregors  III.  und   des  Zacharias  hinzu- 

zieht und  auch  diejenigen  beachtet,  welche  an  mehr  als  einen  König  ge- 
richtet sind  (J.-E.  2322.  23.  25.  53.  60.  80)  oder  die  Königin  und  den 
König  zugleich  in  der  Aufschrift  nennen  (J.-E.  2386.  88),  dann  kommen 
ausser  den  oben  angeführten  Formen  noch  sechs  oder,  genau  genommen, 
sieben  neue  Bezeichnungen  der  königlichen  Empfänger  heraus. 


30  Wilhelm  aundlach. 

Epistolae  generales  und  zwei  Urkunden ,  in  welchen  seine 
Ordnungsmässigkeit  angezweifelt  werden  darf  J,  noch  mit  drei 
anderen  Beispielen  belegt  werden  kann:  unter  den  Alkuin- 
Briefen  mit  einem  Schreiben  Hadrians  I.  an  König  Karl 
(J.-E.  2483)  2  und  mit  einem  freilich  ohne  Unterschrift  über- 
kommenen Schreiben  Leos  III.  an  König  Coenulf  von  Mercia 
(J.-E.  2494)3  und  mit  dem  in  einer  Salzburger  Sammlung-* 
erhaltenen  Briefe  desselben  Leo  an  König  Karl  (J.-E.  2496)  * : 
so  lange  nicht  nachgewiesen  werden  kann,  dass  die  Auf- 
schriften dieser  drei  Stücke  und  der  im  Codex  Carolinus 
überlieferten  von  demselben  Bearbeiter  geändert  worden 
sind  —  und  selbst  die  vielköpfige  Kanzlei  des  Karolingi- 
schen Königs,  als  Ort  der  Umwandclung  angenommen,  dürfte 
doch  nicht  das  'papa'  auch  in  dem  Briefe  an  Coenulf  von 
Mercia  erklären  —  wird  man  sich  der  Anschauung  nicht  ent- 
ziehen können,  dass  der  rege  Verkehr  der  Päpste  mit  den 
Karolingischen  Königen  in  der  zweiten  Hälfte  des  achten 
Jahrhunderts  für  die  an  Könige  gerichteten  Schreiben  über- 
haupt eine  besondere  Form  der  Aufschrift  hat  zur  Ausbildung 
kommen  lassen.  Dass  die  so  entwickelte  Aufschrift  nach  dem 
Jahre  800  nicht  mehr  verwandt  ist,  liegt  daran,  dass  man  bei 
dem  neuen  Karolingischen  Kaiser  das  bei  den  oströmischen 
Herrschern  früher  übliche  Formular  wieder  hervorsuchte  und 
auch  bei  seinen  kaiserlichen  Nachfolgern  beibehielt,  dass  dann 
aber,  als  wirklich  wieder  Karolingische  Könige  mit  den  Päpsten 
Briefe  austauschten,  in  der  Fassung  der  Briefaufschriften  ein 
allgemeiner  von  dem  Stande  der  Empfänger  unabhängiger 
Umschwung  eingetreten  war. 

Die  Aufschrift  nun,  welcher  Leo  III.  in  seinen  Briefen  an 
Kaiser  Karl  sich  bedient  in  J.-E.  2515—18.  21.  24.  2G-29: 
'Domino  piissimo  et  serenissimo,  victori  ac  triumphatori,  filio 
amatori  Dei  et  domini  nostri  lesu  Christi,  Karolo  augusto  Leo 
episcopus  servus  servorum  Dei'  ist  nicht  allein  darum  bemer- 
kenswerth,  weil  sie  deutlich  der  von  Martin  I.  und  Leo  II.  ver- 
wandten Form  entspricht  8,  sondern  auch  lehrreich,  weil  daran 

1)   Man  vergleiche   oben  S.  27  Anm.   1.  2)   'Domino    excellentis- 

simo  filio  nostroque  spirituali  compatri  Carolo  regi  Francorum  et  Lango- 
bardorum    ac    patricio  Romanorum    Hadrianus    papa'.  3)    'Domino    ex- 

cellentissimo  filio  Coenulfo  regi  Merciorum  seu  omnibus  dilectissimis 
episcopis  atque  gloriosissimis   ducibus  Leo  papa'.  4)  Zalin,  Urkunden- 

buch    von    Steyermark    I,  4.  5)    'Domino    excellentissimo    filio    Karolo 

regi  Francorum  et  Langobardorum  atque  patricio  Romanorum  Leo  papa'. 
6)  Vgl.  oben  S.  26  Anm.  1.  Dasselbe  lateinische  Formular  dürfte  auch 
aus  der  griechischen  Uebersetzung  eines  Hadrian- Briefes  (J.-E.  2448) 
zu  erkennen  sein :  'Asonöxaiq  zvat^zöxäxoic,  y.ai  yulr]voxäxoic,,  ny.r\xaic,^  tqo- 
jtaioi;)(oie,  xixvoiq,  ■i]yaTCr][iivoiq  to  0eh  xk'i  xvqio  r\\i(öv  'I-j^ögü  Xqiöto, 
KovöTaiairw  xai  EiQijvr]  a-uyot'ötoig  'Abqiaroc,  8oiiXoe  xöv  SovXcov  xov  Qeov', 
wobei  nur  ''EJti'dxonog'  hinter  dem  Papstnamen  eingeschaltet  werden  muss. 


Ai-les  und  Vienne.  31 

—  in  der  allein  vorhandenen  Wolfenbüttler  Handschrift  — 
erkannt  werden  kann,  in  welcher  Weise  eine  eigenmächtige 
Verkürzung  von  einem  Abschreiber  vorgenommen  worden  ist; 
denn  nur  viermal  ist  die  Aufschrift,  so  wie  sie  mitgetheilt  ist, 
wiedergegeben  worden;  sechsmal  war  es  offenbar  dem  Schreiber 
zu  langweilig,  die  ganze  Formel  auszuschreiben,  und  so  be- 
gnügte er  sich  mit  den  Worten:  'Domino  piissimo  et  serenis- 
simo  victori  et  reliqua  ut  supra'. 

Der  Anfang  einer  neuen  Periode,  welchen  ich  ungefähr 
gegen  die  Mitte  des  neunten  Jahrhunderts  ansetze,  wird  be- 
zeichnet durch  die  massgebende  Bedeutung,  welche  die  Privi- 
legien für  die  Gestaltung  der  Aufschrift  in  den  Briefen  ge- 
winnen. 

In  den  frühesten  Jahrhunderten  päpstlichen  Schriftver- 
kehrs giebt  es  keine  Privilegien,  eine  Erscheinung,  welche 
ohne  Zweifel  darauf  zurückzuführen  ist,  dass  die  Bischöfe  von 
Rom  keine  über  ein  eng  begrenztes  Gebiet  hinausgehende 
Macht  hatten,  dass  es  eben  darum  niemandem  in  den  Sinn 
kam,  von  ihnen  irgend  eine  Entscheidung,  die  Verleihung  oder 
Bestätigung  irgend  eines  Rechtes  zu  erbitten.  Nachdem  dann 
der  Bereich  päpstlichen  Einflusses  weiter  und  weiter  geworden 
war,  traten  zwar  nach  und  nach  immer  zahlreichere  Gesuche 
der  erwähnten  Art  an  die  Päpste  heran;  es  wurde  ihnen  in- 
dessen zunächst  in  Briefen  entsprochen,  welche  sich  in  nichts 
von  den  eine  einfache  Mittheilung  bietenden  Schreiben  unter- 
schieden. Aber  ihre  Menge  brachte  es  wohl  bald  dahin,  dass 
für  sie  —  für  Schriftstücke,  welche  von  den  Päpsten  kraft 
ihrer  oberherrHchen  Gewalt  in  der  abendländischen  Kirche 
erlassen  wurden  —  besondere  Formen  ausgebildet  wurden. 
In  der  Aufschrift  kündigte  sich  fortan  —  es  dürfte  sicher  im 
achten  Jahrhundert  nachweisbar  sein  ^  —  der  Inhalt  des  Schrift- 
stückes, das  Privileg,  dadurch  an,  dass  ohne  Rücksicht  auf 
den  Empfänger,  mochte  er  selbst  Bischof,  Erzbischof,  König 
oder  Kaiser  sein,  der  Papstname,  verbunden  mit  'episcopus 
servus  servorum  Dei',  an  die  Spitze  trat,  der  Empfänger  nun 
genau  seinem  Wohnorte  nach  bezeichnet  und  bald  wohl  auch 
eine  Bemerkung  beigegeben  wurde,  welche  die  Geltung  der 
Verfügung  auf  Lebensdauer  oder  ungemessene  Zeit  andeutete 


1)  Ich  führe  dafür  unter  den  Bonifatius  -  Briefen  von  Zacharias  die 
Stücke  J. -E.  2292  und  2293  und  aus  dem  Codex  Carolinas  von  Paul  I. 
J. -E.  2349  an;  es  ist  nicht  unmöglich,  dass  der  Brauch  noch  weiter 
in  die  Vergangenheit  hinaufreicht,  etwa  schon  das  siebente  Jahrhundert 
umfasst;  aber  an  den  drei  Beispielen,  welche  ich  beibringen  kann  (von 
Honorius  I.  J.-E.  2017,  von  Theodor  I.  2053  und  von  Ädeodat  2104) 
verstösst,  die  Echtheit  vorausgesetzt,  die  Voranstellung  des  Papstnamens 
jedenfalls  nicht  gegen  die  in  Briefaufschriften  wahrnehmbare  Regel,  weil 
die  angegebenen  Urkunden  Aebten  gewährt  werden. 


32  Wilhelm  Gundlach. 

('perpetuam  salutem',  'in  perpetuum').  Die  Entwickelung  ver- 
läuft dann  weiter  in  der  Weise,  dass  auch  der  Context  in 
Formeln,  unter  welchen  die  letzte,  eine  Strafandrohung  ent- 
haltende, den  Privilegien  eigenthüralich  ist,  gegliedert  und  das 
Eschatokoll  in  eine  Scriptum-  und  Datum -Zeile  auseinander 
gelegt  wird. 

Ohne  darauf  genauer  einzugehen,  halte  ich  mich  lediglich 
an  die  Umgestaltung  der  Briefaufschrift;  ich  lasse  ihre  neue 
Periode  zu  der  Zeit  beginnen,  in  welcher  die  Eigenheit  der 
Privilegien  —  Voranstellung  des  Papstnameus  mit  'episcopus 
servus  servorum  Dei'  und  Bestimmung  des  Empfangers  nach 
seinem  Wohnsitze  —  in  die  Briefaufschriften  eindringt.  Die 
frühesten  Beispiele",  deren  Ueberlieferung  mir  gesichert  er- 
scheint, gewährt  Benedict  III.,  indem  er  in  J.-E.  2664  an  einen 
Metropolitanbischof  schreibt:  'Benedictus  episcopus  servus  ser- 
vorum Dei  reverentissimo  et  sanctissimo  confratri  nostro  Hinc- 
maro  archiepiscopo  sanctae  Remensis  ecclesiae'  und  ähnlich  an 
eine  auch  P^rzbischöfe  umfassende  Gesammtheit  in  J.-E.  2669: 
'Benedictus  episcopus  servus  servorum  Dei  reverentissimis  et 
sanctissimis  archiepiscopis  cunctisque  e])iscopis  in  Caroli  glo- 
rios! regis  regno  morantibus';  doch  dürfte  in  der  zuletzt  ange- 
führten Aufschrift  zwischen  'sanctissimis'  und  'archiej)iscopis' 
noch  'confratribus  nostris'  einzuschieben  sein,  da  einerseits 
kein  Grund  vorliegt,  anzunehmen,  dass  bei  einer  Mehrzahl 
von  Empfängern  die  bei  einem  p]inzelnen  zu  beobachtende 
Gepflogenheit  der  Kanzlei  abgestellt  worden  sei,  andererseits 
bei  den  folgenden  Päpsten  nur  um  die  fraglichen  Worte  er- 
weiterte Aufschriften  nachweisbar  sind;  so  heisst  es  z.  B.  in 
J.-E.  2774:  'Nicolaus  episcopus  servus  servorum  Dei  omnibus 
reverentissimis  et  sanctissimis  confratribus  nostris  archiepiscopis 
et  episcopis  in  regno  Caroli  gloriosi  regis  constitutis'  und  ganz 
entsprechend  noch  unter  Nicolaus  I.  in  J.-E.  2730.  2822.  71. 
86,  unter  Hadrian  II.  in  2898.  2918  ^  27.  31.  42.  45  und  unter 

1)  Die  Briefe  Leos  III.  J.-E.  2522  ('Leo  episcopus  servus  servorum 
Dei  reverentissimo  et  sanctissimo  Riculfo  episcopo')  und  Gregors  IV.  J.-E. 
2584  ('Gregorius  episcopus  servus  servorum  Dei  reverentissimo  et  sanctis- 
simo Otgario  archiepiscopo')  ermangein  der  Unterschrift;  unter  Sergius  II. 
haben  allerdings  die  Briefe  J.-E.  2592  und  2586  Unterschriften  ('Deus 
enim  te  incolumem  custodiat,  reverendissime  ac  sanctissirne  frater'  und 
'Deus  vos  incolumes  custodiat,  fratres.  Amen'),  zu  welchen  ich  indessen 
wenig  Zutrauen  fassen  kann,  aber  keine  Aufschriften,  und  unter  Leo  IV. 
bietet  der  Brief  J.-E.  2667,  welcher  einen  doppelten  Schlusswunsch: 
'Sanctitatem  tuam  omnipotens  Deus  incolumem  custodiat,  frater'  und  'ßene 
vale'  aufweist  (!),  die  Aufschrift:  'Leo  episcopus  servus  servorum  Dei 
reverentissimo  et  sanctissimo  Prudentio  Tricassinae  sedis  episcopo  salu- 
tem': er  erregt  auch  mit  dem  letzten  Worte  ('salutem')  mein  Bedenken. 
2)  Hier  ist  'fratribus  et  coepiscopis  nostris'  für  'confratribus  nostris'  ein- 
getreten. 


Arles  und  Vienne.  33 

Johann  VIII.  in  3041 1;  die  Aufschrift  des  an  Hinkmar  von 
Reims  gerichteten  Schreibens,  welche  hier  angegeben  worden 
ist,  bleibt  für  Erzbischöfe  massgebend  auch  unter  Nicolaus  I. 
(in  J.-E.  2712  2.  20  s.  46,  nur  dass  die  Ortsbezeichnung  als  <Re- 
raorum  archiepiscopo'  abweichend  geformt  ist),  unter  Hadrianll. 
(in  J.-E.  2893.  2905.^  07.  10.  19.  28  mit  der  Einschränkung, 
dass  hier  das  Adjectivum  des  Städtenamens  zur  Bestimmung 
des  Empfängers,  also  'archiepiscopo  Remensi'  etc.  üblich  ist)*, 
unter  Stephan  V.  (in  J.-E.  3470:  'Herimanno  Agrippine 
Colonie  archiepiscopo' *),  unter  Formosus  (in  J.-L.  3488:  *Heri- 
manno  archiepiscopo  Coloniensi'^),  unter  Johann  IX.  (in  J.-L. 
3553:  'Heriveo  Remorum  archiepiscopo''')  und  unter  Johann  X. 
(in  J.-L.  3556.  57.  64.  68.  71.  73:  'Herimanno  [lohanni]  sanctae 
Coloniensis  [Salonitanae]  ecclesiae  archiepiscopo'  sämmtlich 
ohne  Unterschriften). 

Ohne  in  Anbetracht  des  besonderen  hier  verfolgten  Zweckes 
auf  die  einfachen  Bischöfen  gewidmeten  Schreiben  einzugehen  ^, 


1)   Mansi  (XVII,  236)    hat   hier   hinter   dem   Papstnamen    das   Wort 
'episcopus'  nicht  wiedergegeben.  2)  Bei  Mansi  (XV,  295)  steht  'fratri' 

statt  'confratri';  die  Untei'schrift  fehlt.  3)  Im  Papsttitel  fehlt  'episcopus' 
(Mansi  XV,  374);  das  Stück  ist  eine  Urkunde.  4)  Die  unter  Johann  VIII. 
begegnende  Aufschrift  (J.-E.  2988) :  'lohannes  episcopus  servus  servorum 
Dei  reverentissimo  et  sanetissimo  Williberto  sancte  Colonie  plebis  (!)  archi- 
episcopo' ist  jedenfalls  verderbt,  ihre  Berichtigung  aber  durch  andere 
noch  mitzutheilende  Aufschriften  dieser  Zeit,  welche  gerade  den  Erz- 
bischof von  Köln  als  Empfänger  nennen,  leicht  zu  bewerkstelligen.  Ob 
weiter  die  Aufschrift  des  an  Sigebod  von  Narbonne  gerichteten  Briefes 
Hadrians  III.  J.-L.  3397  um  'confratri  nostro'  nur  beim  Abschreiben  ver- 
kürzt ist,  ist  doch  nicht  unbedenklich,  da  auch  die  Unterschrift:  'Bene 
valete'    sonderbar  ist.  5)  Der  Brief   hat  keine  Unterschrift.  6)  Da- 

nach wäre  in  die  Unterschriften  der  Briefe  J.-L.  3483  und  3496  (o.  U.) 
wiederum  'confratri  nostro'  einzuschalten.  —  Es  ist  möglich,  dass  die 
Mehrheit  nicht  namentlich  aufgeführter  Erzbischöfe  und  Bischöfe,  welche 
in  der  Aufschrift  des  allgemeinen  Briefes  Sergius'  III.  J.-L.  3548  er- 
scheint, ordnungsmässig  angeführt  ist:  'Sergius  episcopus  servus  servorum 
Dei  Omnibus  reverentissimis  confratribus  nostris  archiepiscopis,  episcopis 
cunctisque  sacerdotibus  per  cunctas  Gallig  provintias  commorantibus'  — 
trotz    der   Unterschrift:    'Bene  valete'    (vgl.  weiter    unten).  7)    In    dem 

Titel  des  Empfängers  fehlt  'et  sanetissimo'  nach  Mansi  XVIII,  189. 
8)  Es  scheint,  dass  der  Titel  der  einfachen  Bischöfe  statt  der  Wörter 
'reverentissimo  et  sanetissimo'  unter  Stephan  V.  nur  die  Bezeichnung 
'venerabili'  enthielt;  ich  führe  dafür  an  J.-L.  3458:  'Stephanus  episcopus 
servus  servorum  Dei  reverentissimo  et  sanetissimo  confratri  nostro  Heri- 
manno  Agrippinensis  Colonie  archiepiscopo  seu  venerabilibus  Franconi 
Tungrensi,  Odibaldo  Traiectensi,  Wolfelmo  Mimigernaferdensi,  Druogoni 
Mimidonensi,  Engilmaro  Osnabruggensi  episcopis'.  Da  auch  sonst  Erz- 
bischöfe und  einfache  Bischöfe  in  der  päpstlichen  Kanzlei  wohl  ausein- 
andergehalten werden,  so  gebe  ich  die  Aufschriften  der  Briefe  J.-E.  2727. 
3459.  3534  für  verfälscht  aus,  weil  sie  einfache  Bischöfe  mit  den  beiden 
Keues  Archiv  etc.     XV.  3 


34  Wilhelm  Gundlacli. 

werfe  ich  der  Vervollständigung  halber  noch  einen  Blick  auf 
die  Aufschriften  in  denjenigen  Briefen,  -welche  an  Könige  ge- 
richtet sind,  um  hier  unter  Nicolaus  I.  und  Hadrian  IL  die 
Form  in  J.-E.  2722:  'Nicolaus  episcopus  servus  servorum  Dei 
dilecto  filio  Carole  gloriose  regi'  als  Muster  aufzustellen  (ebenso 
heisst  es,  abgesehen  von  den  Namen,  in  J.-E.  2738.  73  ^ 
2827.  72.  74.  83.  85.  95.  2902  \  26.  30.  46  3).  Es  ist  vielleicht 
bezeichnend  für  das  Selbstgefühl  der  Päpste,  dass,  wie  in  der 
Aufschrift  stets  ihr  Name  die  erste  Stelle  einnimmt,  so  auch 
bei  der  Nennung  der  Könige  die  Positive  'dilectus'  und  'glo- 
riosus',  nicht  mehr  wie  in  früheren  Zeiten  die  Superlative  zur 
Geltung  kommen^,  welche  den  Kaisern  vorbehalten  zu  sein 
scheinen  5. 

Da  schon  im  zehnten  Jahrhundert  ausgeführte  Schluss- 
Avünsche,  welche  als  eigenhändige  Unterschriften  der  Päpste 
zu  erachten  wären,   nicht   mehr  anzutreffen  sind«  —   nur  ein 


sonst  nur  Erzbiscböfen  zukommenden  Adjektiven  belegen  und  die  beiden 
erstgenannten  überdies  noch  die  Ortsbezeicbnung,  und  der  erste  und  letzte 
auch  die  Unterschrift  vermissen  lassen.  Wie  eine  Gemeinscliat't  nicht 
naraentlicli  bezeichneter  Erzbiscböfe,  Bischöfe  und  Priester  aufgeführt  wird, 
zeigt  der  Brief  Sergius' III.  J.-L.  3548;  vgl.  oben  S.  33  Anm.  G.  1)  In 
der  Aufschrift  lilsst  Mansi  (XV,  287)  'episcopus'  hinter  dem  Papstnamen 
aus.  2)  In  die  Aufschrift  dieses  Briefes  dürfte  'religiöse'   nur   irrthüm- 

lich    für    'glorioso'  eingestellt  sein.  3)  Diesem  Muster   passt  sich  auch 

die  Aufschrift  in  J.-E.  3036,  einem  Briefe  Johanns  VIII.,  au :  'lohannes 
episcopus  servus  servorum  Dei  dilecto  filio  Aldefonso  glorioso  regi  Gallae- 
ciarum',  welche  nur  durch  den  Genitiv  an  letzter  Stelle  von  den  Auf- 
schriften der  an  Karolingische  Könige  —  die  Könige  der  Papstkanzlei 
schlechthin  —  gerichteten  Schreiben  sich  unterscheidet.  —  Man  sollte 
meinen,  dass  nun  auch  die  Königinnen  ähnlich  angeredet  werden;  aber 
ein  genau  passendes  Beispiel  kann  ich  nicht  beibringen ;  denn  nur  in 
einem  Briefe  J.-E.  2870  entspricht  die  Aufschrift:  'Nicolaus  episcopus 
servus  servorum  Dei  dilectae  filiae  Teutbergae  gloriosissimae  reginae' 
dem  oben  raitgetheilten  Muster  bis  auf  den  Superlativ;  zwar  wird  dieser 
dann  in  zwei  anderen  Aufschriften  (der  Briefe  2739  und  2763)  durch  den 
Positiv  ersetzt;  dafür  fehlt  aber  in  ihnen  beiden  wieder  die  Bezeichnung 
'dilectae  filiae'.  4)   Ob  in  den  Aufschriften:  'Nicolaus  episcopus  servus 

servorum  Dei  dilectissimis  filiis  Ludovico  et  Carolo  gloriosissimis  regibus' 
(J.-E.  2788)  und  'Hadriauus  episcopus  servus  servorum  Dei  dilectissimo 
filio  et  gloriosissimo  Carolo  regi  coniugique  salutem  in  Christo'  (J.-E. 
2951)  die  Superlative  regelrecht  sind,  ist  mir  namentlich  mit  Beziehung 
auf  die  auffallende  Gestaltung  der  letzteren  sehr  zweifelhaft,  zumal  da  in 
dem  Hadrian -Brief  auch  eine  eigenhändige  Unterschrift  des  Papstes  nicht 
angegeben,  sondern  nur  ein  mit  'Amen'  endender  wortreicher  Context- 
Schlusswunsch  erfindlich  ist.  In  J.-E.  2911  ist  'excellentissimo'  statt  'glo- 
rioso' und  in  J.-E.  3521,  einem  Schreiben  Johanns  X.,  vielleicht  auch 
'dilectissimo'  für  'dilecto'  ungewöhnlich.  5)  Man  beachte  die  Aufschriften 
der  Briefe  J.-E.  2908.  14,  43.  6)  Ob  unter  Johann  X.  in  J.-L.  3553  der 
Wunsch:    'Optamus    sanctitatem  vestram   bene  valere  et  apud   piissimum 


Arles  und  Vieune.  35 

ungemein  seltenes  '(Bene)  vale(te)'  zweifelhafter  Herkunft  kommt 
noch  in  der  Folgezeit  vor  — ,  ein  wichtiges,  bisher  benutztes 
Merkmal  der  Originalausfertigung  also  verschwindet,  so  gehe 
ich,  nachdem  die  eben  besprochene  Periode  der  Aufschriften 
bis  in  die  erste  Hälfte  des  zehnten  Jahrhunderts  hinein  ver- 
folgt ist,  auf  die  Gestaltung  der  Aufschrift  nicht  mehr  genauer 
ein.  Ich  beschränke  mich  darauf,  festzustellen,  dass  am  Ein- 
gang der  Papstname  mit  folgendem  'episcopus  servus  ser- 
vorum  Dei'  unter  allen  Umständen  festgehalten  wird,  und 
sicher  seit  der  zweiten  Hälfte  des  elften  Jahrhunderts  (unter 
Leo  IX.)  als  Schlusswendung  'salutem  et  apostolicam  bene- 
dictionem'  in  Uebung  ist,  nachdem  zuvor  unter  mannigfachen 
anderen  Wendungen  in  der  ersten  Hälfte  des  Jahrhunderts 
vielleicht  'salutem  carissimam  cum  benedictione  apostolica' 
(oder  'et  apostolicam  benedictionem')  in  J.-L.  3862.  3929.  79. 
4081.  82.  83.  92.  95.  4100.  Ol.  12  (4405!  4406!)  besonders 
bevorzugt  war. 

Um  wenigstens  für  die  Zeit  Gregors  VH.  einen  sicheren 
Anhalt  zu  gewinnen,  kann  ich  es  nicht  vermeiden,  auf  das 
Register  des  Papstes  genauer  einzugehen,  weil  nur  aus  der 
Art,  wie  die  Briefe  in  dasselbe  eingetragen  worden  sind,  ein 
zuverlässiger  Schluss  auf  die  Beschaffenheit  der  Originale  zu 
ziehen  ist. 

Die  Frage:  'Was  wurde  in  das  Register  eingetragen,  die 
Abschriften  der  fertigen  Briefexemplare,  die  vor  ihrer  Absen- 
dung in  der  Kanzlei  zurückbehalten  und  copiert  wurden,  oder 
die  Abschriften  der  Concepte?'  hat  Paul  Ewald  in  seiner 
Arbeit :  'Zum  Register  Gregors  VII.'  i  bereits  zu  beantworten 
versucht.  Nachdem  er  den  Geschäftsgang  allgemein  erwogen, 
insbesondere  hervorgehoben  hat:  'Wenn  an  einem  Tage,  wie 
es  häufig  genug  vorkam,  mehr  als  ein  Dutzend  Briefe  und 
Urkunden  in  der  Kanzlei  ausgestellt  wurden,  wenn,  wie  wir 
oft  genug  erfahren,  die  betreffenden  Boten  eilen  und  drängen, 
ihre  Reise  anzutreten,  sollte  da  erst  nach  den  Originalen  die 
Masseneintragung  erfolgen,  wo  doch  die  Concepte  ohnedies 
zurückblieben  und  in  Müsse  zu  gelegener  Zeit  eingetragen 
werden  konnten?'  — ,  um  dann  die  Ansicht  Löwenfelds:  'dass 
die  Register  nur  nach  den  Originalen,  nicht  nach  den  Con- 
cepten  gefertigt  seien' 2,  jedenfalls   für   die  Zeit  Gregors  VII. 


Dominum  pro  nobis  piis  supplicationibus  intercedere'  als  eigenhändig  von 
dem  Papste  gefertigt  anzusehen  ist,  scheint  mir  wegen  der  auch  in  den  Con- 
text- Schlusswünschen  späterer  Zeit  ersichtlichen  Aufforderung,  Fürbitte 
für  den  Papst  einzulegen,    zweifelhaft.  1)  In  den  'Historischen  Unter- 

suchungen Arnold  Schäfer  .  .  .  gewidmet'  (Bonn,  1882)  S.  296  —  318; 
hier  kommt  die  Arbeit  von  S.  310  an  in  Betracht.  2)  Briegers  Zeit- 
schrift für  Kirchengeschichte  III,   143. 

3* 


36  Wilhelm  Gundlach. 

und  seiner  Vorgänger  zu  verwerfen,  geht  er  daran,  die  Richtig- 
keit seiner  Meinung  im  einzelnen  zu  erweisen. 

Da  man  bei  dem  Registervermerk  *a  paribus',  welcher 
zweimal  vorkommt,  fragen  kann,  ob  er  als  ein  Befehl  des 
Papstes  oder  als  eine  das  spätere  Verständnis  erleichternde 
Hinweisung  der  Kanzlei  zu  betrachten  ist,  entscheidet  Ewald 
sich  für  die  erste  Auffassung;  er  erwähnt  dann  wohl,  als  er 
zwei  durch  den  berührten  Vermerk  als  Zw'illinge  gezeichnete 
Briefe  in  ihrem  Datum  um  zwei  Tage  auseinanderliegen  sieht, 
dass  vielleicht  die  Ausfertigung  beider  an  demselben  Tage  nur 
befohlen,  aber  bei  einem  verzögert  worden  ist,  so  dass  nach 
den  Tagen  der  Versendung  aus  den  Originalen  die  Daten  in 
das  Register  eingefügt  wurden;  er  verwirft  indessen  diese 
Auskunft  und  bescheidet  sich  mit  dem  Urtheil,  dass  die  Ver- 
schiedenheit der  Daten  auffallend  sei,  'ob  sie  nun  nach  Ori- 
ginal oder  Concept  eingetragen  wurden'. 

Die  dreimal  sich  findende  Angabe:  'Dictatus  papae'  ist 
Ewald  besonders  beweiskräftig;  er  sagt  von  ihr:  'es  ist  ganz 
undenkbar,  dass  aus  den  Originalen  diese  Angabe  mit  über- 
nommen sein  kann'. 

Endlich  zieht  Ewald  zu  den  im  Register  erhaltenen 
Briefen  diejenigen  Ueberlieferungsformcn  herbei,  welche  ihm 
der  Originalausfertigung  zu  entstammen  scheinen.  Es  ist  das 
zuerst  der  Brief  J.-L.  4846,  welcher  von  Julius  von  Pflugk- 
Harttung  als  Abschrift  des  Originals  herausgegeben »  und  als 
solche  von  Ewald  darum  anerkannt  ist,  weil  sie  die  Lücken 
des  Registers,  wie  es  uns  heute  vorliegt,  ergänzt:  Ewald  er- 
klärt den  Zusatz  (hinter  'Nemausensi')  'in  Provincia',  ■welcher 
nicht  im  Original,  sondern  nur  im  Register  steht,  als  ein  in 
das  Register  übernommenes  Kennzeichen  des  Concepts;  er 
lässt  sich  auch  die  Meinung  v.  Pflugk-Harttungs  gefallen,  dass 
die  Auslassung  des  Datums  in  seiner  Ausgabe  in  den  Ori- 
ginalausfertigungen überhaupt  die  Regel  gewesen  sei,  zumal 
auch  die  Epistolae  collectae,  welche  JafF<j  dem  Register  Gre- 
gors VII,  angehängt,  also  anderswoher  erlangt  hat,  diese  Auf- 
fassung empfehlen.  Ewald  vergleicht  dann  mit  der  Register- 
fassung die  Briefe  Gregors  VII. ,  wie  sie  Paul  von  Bernried, 
Hugo  von  Flavigny,  Bruno,  Udalrich,  die  Cartulare  von  Tours, 
Mäcon  und  Trier  überliefern,  um  überall  etwa  das  Fehlen  der 
Daten  und  —  ohne  näheres  Eingehen  —  den  volleren  Titel 
in  mancher  Aufschrift  zu  vermerken  und  dann  die  Entschei- 
dung zu  fällen:  'dass  die  reicheren  Titel  sich  aus  einer  anderen 
als  der  vorliegenden  Ueberlieferung  des  Registers  hei'schreiben 
mögen',  dass  aber  auf  das  Vorhandensein  oder  Fehlen  der 
Datierung    kein    grosses    Gewicht    zu   legen   sei.     Schliesslich 


1)  Acta  inedita  I,  46. 


Arles  und  Vienne.  37 

bespricht  Ewald  die  Abweichungen  zwischen  einem  von  Fickler» 
veröffentlichten  Briefe  Gregors  VII.,  welcher  ihm  *im  allge- 
meinen' original  zu  sein  scheint,  und  dem  nämlichen  in  der 
Registerform  —  'dilecto  in  Christo'  geht  dem  Namen  des 
Empfängers  bei  Fickler  voran  und  fehlt  bei  Jaffe;  die  Datie- 
rung heisst  dort:  'Dat.  Laterani  V.  N.  Mai.  ind.  III.  anno  domin. 
ine.  LXXX,  anno  vero  pontificatus  domni  Gregorii  papae  VII 
octavo',  hier  'Actum  Lateranis  VIII.  Idus  Mali,  ind.  III.'  — 
er  urtheilt  dann  mit  Beziehung  auf  'Actum'  und  'Datum',  bei 
welchem  ihm  die  Zahl  des  Monatstages  fehlerhaft  wieder- 
gegeben ist,  dass  auch  hier,  da  'die  Ueberlieferung  im  Re- 
gister zuweilen  den  Willensact  selbst,  die  Originale  immer 
den  Termin  der  Ausfertigung  desselben  fixieren',  das  Con- 
cept,  'welches  dem  Entschluss  des  Papstes  noch  näher  stand', 
nicht  das  Original  in  das  Register  eingetragen  sei. 

Wenn  sich  Ewalds  bewährter  Scharfsinn  auch  in  diesem 
Beweise  nicht  verleugnet,  so  leidet  sein  ganzes  Verfahren  dar- 
unter, dass  er  nicht  bestimmt  genug  versucht  hat,  von  dem 
Aussehen  der  Originale  sich  ein  Bild  zu  machen,  dass  er  das 
in  der  Ferne  an  anderen  Orten  gesucht  hat,  sich  mit  wider- 
spruchsvollen Zügen  hat  abfinden  lassen,  während  ihm  doch 
das  Gute  in  dem  Register  selbst  so  nahe  lag. 

Seine  Ausführungen  einzeln  durchzugehen,  so  glaube  ich, 
dass  die  abweichenden  Daten  der  durch  'a  paribus'  zu  einem 
Paare  verbundenen  Briefe  gar  nicht  mehr  auffallend  sind,  wo- 
fern man  jedes  Datum  auf  die  Aushändigung  des  Originals 
bezieht,  in  dem  Vermerk  also  unter  der  Voraussetzung,  dass 
in  der  Regel  die  Originale  nicht  datiert  waren,  nur  eine  Re- 
gisterangabe erblickt. 

Was  die  Bezeichnung  'Dictatus  papae'  anlangt,  so  kann 
sie  gewiss  nicht  aus  dem  Original  entlehnt  sein;  aber  sie  muss 
darum  noch  nicht  nothwendig  aus  dem  Concept  stammen; 
denn  da  augenscheinlich  nur  äusserst  selten  der  Papst  selbst 
Briefe  dictierte,  so  waren  diese  immerhin  erst  als  Entwürfe 
zu  denkenden  Stücke  so  vor  anderen  ausgezeichnet,  dass  ihre 
merkwürdige  Entstehung,  mochte  die  Eintragung  sich  selbst 
um  Tage  verzögern,  im  Register,  welches  dauerhafter  war,  als 
die  leicht  vergänglichen  Concepte,  angezeigt  werden  mochte: 
also  auch  'Dictatus  papae'  kein  Original-,  kein  Conceptvermerk, 
sondern  lediglich  Registernotiz. 

Aehnlich  dürfte  es  sich  mit  dem  erläuternden  'in  Pro- 
vincia'  in  dem  Briefe  J.-L.  4846  verhalten,  da  im  Original  so 
wenig,  wie  im  Concept  für  den  Augenblick  eine  genaue  Be- 
grenzung  des   Bestimmungsortes   Nimes   als   des   in  der  Pro- 


1)  Quellen  und  Forschungen  zur  Geschichte  Schwabens  und  der  Ost- 
Schweiz  p.  21  (J.-L.   5167). 


38  Wilhelm  Gundlach. 

vence  belegenen  vonnöthen,  wohl  aber  für  ein  späteres  Zurück- 
greifen auf  den  Brief  erwünscht  war.  Wenn  dagegen  Register- 
briefe, anderweitig  überliefert,  eine  vollere  Aufschrift  haben, 
so  berührt  doch  die  Erklärung,  welche  eine  andere  Register- 
überlieferung als  die  noch  erhaltene  dafür  in  Anspruch  nimmt, 
nur  eine  Möglichkeit:  es  kann  ja  doch  auch  unter  den  vol- 
leren Formen  diejenige  sich  finden,  welche  die  Formel  des 
Originals  genau  wiedergiebt.  Endlich  kommt  mir  —  nach 
Ewalds  Auffassung  muss  das  'Actum'  dem  'Datum'  voran- 
gehen —  die  entschieden  falsche  Zahl  des  Monatstages  in  der 
Fickler'schen  Ausgabe  des  Briefes  J.-L.  5167  so  verdächtig 
vor,  dass  ich  das  auf  V  folgende  'Nonas'  bedeutende  N  aus 
den  drei  Strichen  der  echten  Zahl  VIII  entstanden  und  Idus 
ausgelassen  glaube,  das  ganze  Formular  aber,  mag  auch  immer 
der  Context  vollständiger  sein,  als  der  des  uns  erhaltenen 
Registers,  für  eine  freie  Erdichtung  halte,  welche  nur  zu  dem 
Zweck  unternommen  sein  kann,  den  Schein  eines  Originals 
zu  erregen  '. 

Um  mein  Urtheil  zu  begründen,  mache  ich  den  Versuch, 
aus  dem  Register  Gregors  VII.  die  Protokollformeln  der  Ori- 
ginale zu  ermitteln;  das  Gelingen  des  Versuches  wird  dann 
die  Folgerung  gestatten,  dass  das  Register  nach  Originalen 
angelegt  worden  ist. 

Die  im  Register  üblichste  Form  der  Aufschrift  —  und 
an  diese  Formel  halte  ich  mich  zunächst  ausschliesslich  — 
veranschaulicht  der  Brief  J.-L.  4784:  'Gregorius  episcopus 
servus  servorum  Dei  Manasse  Reraensi  archiepiscopo  salutcm 
et  apostolicam  benedictioncm';  dass  diese  Formel  nur  das 
Nothwendigste  enthält,  ist  bei  dem  Mittelstück,  welches  den 
Namen,  Wohnort  und  Stand  des  Empfängers  nennt,  ohne 
weiteres  klar,  bei  Anfang  und  Endo  unschwer  zu  zeigen. 

Da  nämlich  Gregor  VII.  den  angeführten  Brief  unmittelbar 
nach  seiner  Weihe  erlassen  hat  und  in  allen  früheren  Briefen 
(J.-L.  4772 — 83)  als  'in  Romanum  pontificem  electus'  bezeichnet 
worden  ist,  so  sali  ofi'enbar  mit  'episcopus  servus  servorum 
Dei'  die  volle,  rite  erlangte  päpstliche  Würde  angegeben  wer- 
den. Darum  ist  der  Zusatz  auch  regelmässig  in  den  folgenden 
Stücken  zu  finden  mit  nur  zwei  Ausnahmen :  in  J.-L.  4870 
lautet  die  stark  zusammengezogene  Aufschrift:  'Gregorius 
Omnibus  ad  quos  litterae  istae  pervenerint',  während  in  J.-L. 
4889  'episcopus  servus  servorum  Dei'  durch  'etc.'  ersetzt  ist. 


1)  'Schon  Jaffe  zweifelte',  sagt  Ewald  S.  317,  'dass  dort  (in  Schaff- 
hausen) das  Original  läge ;  ein  Blick  auf  das  fragliche  Document  genügt, 
um  zu  erkennen,  dass  es  keine  Originalurkunde  Gregors  VII.  ist;  es  ist 
eine  etwas  spätere  Abschrift,  die  die  äusseren  Formen  von  Originalen  im 
allgemeinen  aufweist'. 


Ai-les  und  Vienne.  39 

Wenn  man  auch  zunächst  den  Gruss  und  apostolischen 
Segenswunsch  nicht  als  einen  wesentlichen  Bestandtheil  der 
Aufschrift  ansehen  möchte,  wird  man  doch,  selbst  davon  ab- 
gesehen, dass  der  noch  nicht  geweihte  Papst  nur  den  Gruss 
'salutem  in  Christo  lesu'  oder  'in  (domino)  lesu  Christo'  ge- 
währtj  schon  dadurch  eines  Besseren  belehrt,  dass  ihre  Ent- 
bietung nicht  selten  von  Bedingungen  abhängig  ist;  so  heisst 
es  z.  B.  'si  oboedieri(n)t'  in  J.-L.  4842.  45.  4968.  91.  5038.  65. 
5248,  'si  tarnen  apostolicae  sedi  ut  christianum  decet  regem 
oboedierit'  auf  König  Heinrich  IV.  bezüglich  in  4972,  'si  resi- 
puit'  in  4854,  oder  'quibusdam  pro  meritis'  (4820),  'quibus 
pro  merito  debetur'  (5029),  'quod  non  meretur'  (4879),  'licet 
aliter  meritis'  (5117),  oder  es  wird  die  Meidung  der  Gebannten 
verlangt:  'videlicet  his  qui  non  communicant  neque  consen- 
tiunt  excommunicatis'  (5136,  ähnlich  5195),  oder  endlich  es 
findet  ein  ausdrücklicher  Ausschluss  der  Gebannten  statt:  'ex- 
ceptis  his  qui  canonica  excommunicatione  tenentur'  (5065.  80. 
5122.  62.  89.  5237).  Deshalb  ist  die  Wendung  'salutem  et 
apostolicam  benedictionem'  gewissermassen  als  Bescheinigung 
kirchlicher  Unbescholtenheit  zu  erachten  und  die  Auslassung 
in  den  Aufschriften  der  Briefe  i  J.-L.  4810.  21.  33.  53.  75.  95. 
96.  4930.  46.  5026.  28.  45.  53.  63.  75.  5104.  05.  18.  28.  33. 
57.  63.  5230.  43  damit  zu  begründen,  dass  sich  die  Empfänger 
die  päpstliche  Ungnade  zugezogen  haben,  dass  sie  nach  Rom 
vorgeladen  und  mit  dem  Banne  bedroht  werden  oder  gar 
schon  der  Strafe  verfallen  sind.  Eine  unanfechtbare  Bestäti- 
gung wird  dieser  Auffassung  zu  Theil  in  dem  Briefe  J.-L. 
5026;  da  nämlich  hier  der  Gruss  und  apostolische  Segens- 
wunsch nicht  gespendet  ist,  hebt  der  Papst  an:  'Quod  salutem 
et  apostolicam  benedictionem  vobis  ex  more  non  mittimus, 
propter  excommunicationem,  quam  pro  culpis  vestris  incur- 
rere  non  timuistis,  sicut  sacra  praecepit  auctoritas,  praeter- 
mittimus'  2. 

Also  ausser  dem  Anfang  der  Aufschrift,  dem  alther- 
gebrachten Titel  'episcopus  servus  servorum  Dei'  hinter   dem 

1)  Keine  eig'entlichen  Briefe  sind  die  Stücke  J.-L.  4934.  5067.  85, 
welche  als  Kundgebungen  der  päpstlichen  Gerichtsgewalt  vielleicht  auch 
schon  in  der  Originalausfertigung  nur  den  Namen  und  Titel  des  Papstes: 
'Gregorius  episcopus  servus  servorum  Dei'  in  der  Aufschrift  führten ;  dass 
in  einem  ähnlichen  Stücke  J.-L.  5155  auch  noch  Empfänger  genannt 
werden,  ist  möglicherweise  durch  die  Mitwirkung  einer  römischen  Synode 
zu  erklären,  so  dass  der  Papst  sich  mehr  als  Verkünder,  denn  als  Richter 
ansieht.  2)    Aehnliches    findet    sich    auch    in    J.-L.    5063.     Selbst    die 

Bischofswürde  wird  in  J.-L.  4833  iind  5053  den  Empfängern  aberkannt, 
da  von  ihnen  als  'Rogerio  dicto  Catalaunensi  episcopo'  und  'Rainerio 
dicto  Aurelianensi  episcopo'  in  der  Aufschrift  gesprochen  wird.  —  In 
J.-L.  5002  ist  der  Schluss  der  Aufschrift  also  erweitert:  'salutem  et 
omnium  peccatorum   absolutionem  per  apostolicam  benedictionem'. 


40  Wilhelm  Gundlach. 

Papstnamen,  wird  man  auch  ihr  Ende  'salutem  et  apostolicam 
benedictionem',  "weil  es  keine  leere  Formel  ist,  sondern  je  nach 
Bedürfnis  in  der  Wirkung  eingeschränkt  oder  auch  ganz  fort- 
gelassen wird,  als  Bestandtheile  auch  der  Originalausfertigung 
ansehen  dürfen. 

Indem  nun  die  Anführung  der  Empfänger,  ihre  Bestim- 
mung nach  Namen,  Stand  und  Wohnsitz  vorgenommen  wird, 
gilt  es  unter  den  möglichen  Zusätzen  eine  Scheidung  zu  tref- 
fen, sie  in  solche  zu  zerlegen,  welche  dem  Zwecke  des  Re- 
gisters dienen,  und  in  andere,  welche  nur  schmückendes  Bei- 
werk und  darum  im  Register  nicht  erforderlich  sind.  Es 
dürfte  einleuchten,  dass  zur  ersten  Art  alle  sachlichen  Er- 
läuterungen zu  zählen  sind,  wie  die  schon  oben  berührte  Be- 
stimmung 'in  Provincia',  welche  dem  Bischofsitz  Nimes  bei- 
gegeben ist;  zur  zweiten  Gattung  rechne  ich  die  beiden 
Generalnenner,  unter  welchen  der  Papst  alle  Menschen,  Bischöfe 
und  Nichtbischöfe,  begreift:  'frater'  ('confrater')  und  'filius', 
und  damit  verbundene  Eigenschaftswörter:  'dilectus'  ('dilectis- 
simus')  und  'carus'  ('carissimus'),  ferner  die  den  Standes- 
bezeichnungen eigenthümlichen  Zusätze  'venerabilis'  bei  einem 
Abte,  'gloriosus'  und  'nobilis'  ('nobilissimus')  bei  einem  Könige 
und  Grafen.  So  oft  nun  nur  ein  schmückendes  Beiwort  in 
der  Aufschrift  sich  zeigt,  wird  man  zwar  die  Herkunft  des- 
selben aus  dem  Original  vermuthen,  eine  vollständige  Ueber- 
einstimmung  damit  aber  doch  erst  behaupten  dürfen,  wenn 
der  Schmuck  sowohl  nach  der  Seite  der  Verwandtschaft  mit 
dem  Papste  ('frater',  'filius'),  als  auch,  wo  es  möglich  ist,  bei 
der  Standesnennung  ausgeführt  ist. 

So  halte  ich  alle  Aufschriften  der  an  Bischöfe  gerichteten 
Briefe  für  original,  welche  vor  dem  Namen  des  Empfängers 
'dilecto  in  Christo  fratri'  und  entsprechend  in  der  Mehrzahl 
haben,  und  das  ist  in  J.-L.  4994.  5101.  72.  5208.  17.  34.  46. 
der  Fall;  eine  besondere  Abart  dürfte  durch  die  Anrede 
^dilecto  in  Christo  fratri  et  coepiscopo'  in  J.-L,  5002.  5131  '. 
77.  5206.  20  ^  gebildet  werden,  da  nur  diejenigen  Bischöfe 
damit  bedacht  zu  sein  scheinen,  welche  dem  Papste  beson- 
ders nahe  stehen,  und  zwar  sind  das  in  erster  Linie  die  ita- 
lienischen Bischöfe,  zuweilen  aber  auch  deutsche,  einmal  drei 


1)  Hier  findet  sich  statt  'dilecto'  ein  'carissimo',  dessen  Wortstamm 
und  Steigerungsgrad  nur  selten  'dilecto'  vertritt.  Dass  auf  die  Vertau- 
schung  beider  Wörter  kein  Gewicht  zu  legen  ist,  lehrt  der  Brief  J.-L. 
5174,  welcher  in  der  Aufschrift  'dilectissimo  in  Christo  filio'  und  im 
Schlusswunsch    des    Contextes    'carissime    fili'    hat.  2)    In   J.-L.    5240 

steht  'dilectissimo',  es  fehlt  'in  Christo';  nur  'fratri  (fratribus)  et  coepi- 
scopo (coepiscopis)'  findet  sich  in  den  jedenfalls  verkürzten  Aufschriften 
der    Briefe    J.-L.    4819.    4943.    69.    82.    86.    5126.    45.   71.    78.    79.    80. 


Arles  und  Vienne;  41 

französische  Erzbischöfe  und  mitunter  der  Legat  des  Papstes, 
Bischof  Hugo  von  Die,  der  spätere  Erzbischof  von  Lyon  i. 

Die  Bezeichnung  'filius',  welche  den  unter  den  Bischöfen 
stehenden  GeistUchen  gebührt,  ist  nur  ein  einziges  Mal  im 
Register  in  so  reicher  Umkleidung  wie  in  J.-L.  5135:  'dilecto 
in  Christo  filio  Huberto  sanctae  Romanae  ecclesiae  subdiacono' 
nachweisbar  2 ;  das  vereinzelt  wiederholt  ^  bei  Aebten  vorkom- 
mende 'venerabili'  kann  im  Verein  mit  einer  'filius'-Benennung 
nicht  belegt  werden,  wohl  aber  in  J.-L.  5102  ('Hugoni  vene- 
rabili  Cluniacensi  abbati  et  carissinio  fratri')  mit  ^frater',  was 
in  Anbetracht  der  Stellung  des  Klosters  Clugny  sich  recht- 
fertigen lässt*. 

Anführungen  weltlicher  Söhne  und  Töchter  des  Papstes 
möchten  in  der  Form  'dilectae  in  Christo  filiae'  (der  Gräfin 
Mathilde)  in  J.-L.  4824.  51 13»,  <dilectissimo  in  Christo  filio' 
(König  Alfonso  von  Spanien)  in  J.-L.  5174  und  ^dilectissimae 
in  Christo  filiae'  (einer  Königin)  in  J.-L.  5202  dem  Original 
am  nächsten  kommen;  die  den  Grafen  und  Königen  zustehen- 
den Eigenschaftswörter  'nobili'  ('nobiiissimo')  und  'glorioso' 
sind  vereinzelt  ö  und  wenigstens  das  letztere  auch  in  ver- 
einigter Formel  nachweisbar:  'carissimo  in  Christo  filio  glo- 
riose regi  Hispaniarum'  in  J.-L.  5142. 

Es  kann  meiner  Auffassung  nur  zur  Empfehlung  gerei- 
chen, dass  die  Aufschriften  einiger  Registerbriefe  in  anderer 
(von  Ewald  angegebener ')  Ueberlieferung  gerade  um  diejenigen 
Bestandtheile  ergänzt  werden,  welche,  den  Registerabschriften 


1)  Die  demselben  Hugo  geltende  Anrede  'dilecto  in  Christo  filio'  in 
J.-L.  5222  ist  ohne  Zweifel  auf  ein  Verseheu  zurückzuführen,  da  von 
den  Päpsten  seither  niemals  und  von  Gregor  VII.,  wenn  das  Beispiel 
richtig  wäre,  nur  in  diesem  einen  Falle  ein  Biscliof  als  'filius'  bezeichnet 
ist;  denn  als  zweites  Beispiel  die  Aufschrift  in  J.-L.  5203  'dilectis  filiis 
nostris  Petro  Albanensi  episcopo  et  Gisulfo  principi  Salernitano'  anzu- 
sehen, dürfte  der  Umstand  verbieten,  dass  sie,  im  Register  verkümmert 
überliefert,  den  Sohnesnamen  jedenfalls  richtig  auf  den  Fürsten  von 
Salerno  erstreckt.  Dagegen  möchte  ich  'venerabili',  welches  in  der 
Aufschrift  des  Briefes  J.-L.  5251  auch  bei  Hugo  von  Lyon  erscheint, 
nicht  anfechten,  weil  das  bei  Bischöfen  ungewöhnliche  Beiwort  in  der 
That  auch  noch  bei  Anselm  von  Canterbury  sich  nachweisen  lässt  (vgl. 
weiter    unten).  2)    Ein    verkürztes    'carissimo    filio'    hat    J.-L.    5175. 

3)    In  J.-L.    5178.    5206.    07.   18.  4)    Es    wäre    bei    den    mönchischen 

Neigungen  Gregors  VII.  auch  nicht  unmöglich,  dass  in  J.-L.  5144  'dilectis 
in  Christo  Massiliensis  congregationis  fratribus'  in  Ordnung  ist,  wenn 
man  hier  auch  zweifeln  könnte,  ob  nicht  die  'fratres'  als  Klosterbrüder 
EU  fassen  sind  und  nach  'Christo'  die  Bezeichnung  'filiis'  ausgefallen  ist. 
5)  In  J.-L.  4824  heisst  es  von  Beatrix  und  Mathilde  'gloriosis  ac  caris- 
simis  in  Christo  filiabus'.  6)  'nobili'  in  J.-L.   5191.  5238.   45,  'nobilis- 

simo'  in  5216,  'glorioso'  in  4904.  5184.  85.  96.  5205.  10.  21.  25.  30. 
49.  52,  'nobili  et  glorioso'  in  5194.  7)  S.  oben  S.   36. 


42  Wilhelm  Gundlach. 

gemeinhin  fremd,  als  Merkmale  der  Originalausfertigung  be- 
zeichnet worden  sind;  so  trifft  man  'dilectis  in  Christo  fratri- 
bus'  in  J.-L.  4856.  5035  (bei  Udalrich  'dilectissimis'),  51.  82. 
und  sogar  in  J.-L.  5033  ('dilecto  in  Christo  fratri  Hugoni 
venerabili  Diensi  episcopo')  das  dem  Bischof  Hugo  eigenthüm- 
liche  'venerabili',  ferner  ^dilectis  (carissimis)  in  Christo  liliis' 
in  J.-L.  4922.  5034,  endlich  'dilecto  in  Christo  filio  et  nobilis- 
simo  comiti'  in  J.-L.  4884  und  'glorioso  regi  et  in  Christo 
dilecto  filio'  in  J.-L.  4965. 

Eine  weitere  Stütze  erwächst  meinen  Aufstellungen  aus 
den  Briefen  Gregors  VII.,  welche,  nicht  im  Register  über- 
liefert, von  Jaffe  als  'Epistolae  collectae'  herausgegeben  sind  •. 
In  ihnen  findet  sich  'dilecto  in  Christo  fratri'  in  J.-L.  4933. 
5147.  82.  5253.  74.  75.  5309  \  'dilectis  in  Christo  fratribus  et 
coepiscopis'  in  J.-L.  5137,  'dilectissirais  in  Christo  fratribus 
et  filiis  (archiepiscopis,  episcopis,  ducibus,  comitibus'  etc.)  in 
J.-L.  5019,  'dilectis  in  Christo  filiis  (sancti  Benedicti  mona- 
chis)'  in  J.-L.  5129*  und  endlich  'glorioso  Flandrensium  comiti 
dilecto  in  Christo  filio'  in  J.-L.  5147*. 

Von  entscheidender  Bedeutung  aber  ist,  dass  die  als  Ori- 
ginalformen aufgezeigten  Wendungen  sowohl  vor  wie  nach 
Gregor  VII.  sich  belegen  lassen,  dass  sie  weiter  in  enger 
Verwandtschaft  zu  denjenigen  Formen  sich  befinden,  welche 
durch  eine  damals  noch  übliche  Unterschrift  als  der  Original- 
ausfertigung angehörend  sich  ausweisen.  Es  heisst  nämlich 
unter  Alexander  II. s  z.  B,  in  J.-L.  4600:  'Alexander  [epi- 
scopus]  servus  servorum  Dei  Gervasio  Remensium  diligen- 
tissimo  archipraesuli  atque  in  Christo  dilectissimo  fratri  salu- 
tem  et  apostolicam  benedictionem',  in  4761:  'reverentissimo 
fratri  in  Christo  Lanfranco  venerabili"  Cantuariensi  archiepi- 
scopo',   in  4659  'dilectissimo  in  Christo  filio  Fuldensi   abbati' 


1)  Bibl.  II,  520—576.  2)  In  J.-L.  4801  belegt  'carissimo  fratri  in 
Christo  Lanfranco  venerabili  Cantuariornm  archiepiscopo'  das  Wort  'venera- 
bili' abermals  bei  einem  Erzbischof  (vgl.  oben  S.  41  Anm.  1).  3)  Da  in 
J.-L.  5267  'dilectis  in  Christo  fratribns  in  Conchensi  et  Figiacensi  mona- 
sterio  habitantibus'  erscheint,  gewinnt  es  an  Wahrscheinlichkeit,  dass  die 
oben  rS.  41  Anm.  4)  aus  J.-L.  5144  angeführte  Formel  ordnungsmässig  ist. 
4)  Ob  in  J.-L.  5005  'excellentissimo  filio  W.  glorioso  regi  Anglorum' 
ganz  vertrauenswürdig  ist,  lasse  ich  dahingestellt  sein.  5)  Unter  Leo  IX. 
bin  ich  auf  nur  zwei  Beispiele  gestossen,  von  welchen  das  eine  (J.-L. 
4305)  'dilectissimis  in  Christo  fratribus  Petro  et  lohanni  episcopis'  (bei 
Migne  CXLIII,  729)  die  Empfänger  ihrem  Wohnort  nach  unbestimmt 
lässt,  das  andere  (J.-L.  4311)  'dilecto  in  Christo  filio  Petro  eremitae' 
durch  den  Segenswunsch  'aeternae  beatitudinis  gaudium'  auffällt.  6)  Das 
unter  Gregor  VII.  nur  bei  Hugo  von  Die -Lyon  und  Anselm  von  Canter- 
bury  verwandte  'venerabili'  ist  vor  und  nach  seiner  Zeit  auch  noch  bei 
anderen  Erzbischöfen  (und  Bischöfen?)  z.  B.  in  J.-L.  4412.  43.  4517. 
4603.  5223.  5348.  5469  anzutreffen. 


Arles  imcl  Vienne.  43 

und  in  4696  'carissirao  in  Christo  filio  ßohemiorum  inclyto 
duci';  von  den  Briefen  Urbans  II.  sind  anzuführen  J.-L.  5413 
'dilecto  in  Christo  fratri  Godino  Uritano  antistiti' ;  5484  'dilecto 
in  Christo  fratri  et  coepiscopo  Rainaldo  Remensi',  5470  'di- 
lectis  in  Chi'isto  filiis  GofFrido  abbati  sancti  Albini  Andega- 
vensis  et  Bernoni  abbati  sanetae  Trinitatis  Vindocinensis'  und 
5438  'dilectis  in  Christo  filiis  clero  ac  populo  Carnotensi'. 
Freilich  kann  dabei  nicht  verkannt  werden,  dass  unter  den 
Nach-  und  Vorfahren  des  siebenten  Gregor  die  Formeln  mit 
unterdrückten  'in  Christo'  häufiger  sind,  dass  also  wohl  Gre- 
gor VII.  einen  vor  ihm  nur  spärlich  geübten  Brauch  in  seinen 
Briefen  zur  Geltung  gebracht  und  nur  wenige  Nachwirkungen 
damit  hervorgerufen  hat.  Aber  gerade  diese  unter  Gregor 
nur  weiter  ausgeführten  Foi-meln  sind  hier  besonders  will- 
kommen, weil  sie  die  Brücke  bilden  zu  den  durch  die  Unter- 
schrift des  Papstes  beglaubigten  Wendungen;  denn  unter 
Alexander  II,  ist  z.  B.  in  J.-L.  4598  'carissimo  filio  Philippo 
glorioso  regi  Francorum'  und  genau  entsprechend  in  4695 
'carissimo  filio  Wilielrao  glorioso  regi  Anglorum'  nur  unerheb- 
lich verschieden  von  der  unter  Nicolaus  I.  und  Hadrian  II. 
gebrauchten  Form:  'dilecto  filio  Carolo  glorioso  regi'. 

Nachdem  nun  aber  dargethan  ist,  dass  die  aus  der  Re- 
gisterfassung der  Briefe  Gregors  VII.  herausgelesenen  Auf- 
schriften wirklich  in  den  Originalausfertigungen  gestanden 
haben,  so  folgt  von  selbst,  dass  das  Register  nach  den  Ori- 
ginalen, und  nicht  nach  den  Concepten  zusammengestellt  ist  *. 

Einfacher  steht  es  mit  der  Unterschrift  der  Papstbriefe. 

Nachdem  in  den  ersten  Jahrhunderten  ohne  Unterschied, 
ob  ein  Metropolitan-  oder  einfacher  Bischof  angeredet  war, 
der  Papst  den  Empfänger  am  Schlüsse  des  Briefes  mit  den 
eigenhändig  geschriebenen  Worten  begrüsst  hatte:  'Deus  te 
incolumem  custodiat,  frater  carissime'  und  entsprechend  eine 
Mehrzahl  von  bischöflichen  Empfängern,  scheint  unter  Gregor 
dem  Grossen  und  seinen  unmittelbaren  Nachfolgern  eine  Unter- 
scheidung unter  den  Bischöfen  nach  ihrem  Range  üblich  ge- 
worden zu  sein ;  jedenfalls  können  wir  nur  nachweisen,  dass 
stets  Metropoliten  der  Schlusswunsch:  'Deus  te  incolumem 
custodiat,  reverentissime  frater'  zuerkannt  worden  ist  (unter 
Bonifatius  IV.  in  J.-E.  2001).  Es  ist  wahrscheinlich,  dass 
auch  die  von  Gregor  I.  verwandte  Form  für  Geistliche  nie- 
deren Grades:  'Deus  vos  incolumes  custodiat,  dilectissimi  filii' 
ebenso  unter  seinen  nächsten  Stuhlfolgern  bcAvahrt  wurde,  wenn 
es  sich  auch  an  keinem  Beispiel  zeigen  lässt;  ein  Beleg  aber 
ist  wiederum    dafür  vorhanden,   dass  Gregors   Schlusswunsch, 


1)    [Ich   kann  weder  dieser  Schlussfolgerung   noch   der   vorstehenden 
Ausführung  über  das  Register  Gregors  VII.  im  ganzen  zustimmen.    H.  B.] 


44  Wilhelm  Gundlach. 

welchen  er  im  Verkehre  mit  Königen  anzubringen  liebte,  auch 
von  Bonifatius  IV.  weiter  geführt  wurde,  da  es  in  J.-E.  2002 
wie  oben  von  Gregor  mitgetheilt  heisst:  'Incolumem  excellen- 
tiam  vestram  gratia  superna  custodiat,  domine  fili''. 

Die  nächste  mit  Bonifatius  V.  anhebende  Periode,  welche 
für  die  Aufschriften  durch  die  Rückkehr  zu  den  vorgregoriani- 
schen Formen  sich  bemerkbar  machte,  ist  auch  an  den  Unter- 
schriften nicht  spurlos  vorübergegangen;  während  nämlich  in 
der  ersten  Periode  'frater  carissime'  die  Unterschrift  schliesst 
—  wie  es  in  der  zweiten  von  Gregor  dem  Grossen  herauf- 
geführten Periode  hinsichtlich  einfacher  Bischöfe  bestellt  ist, 
lässt  sich  nicht  ausmachen  — ,  tritt  in  der  dritten  seit  Boni- 
fatius V.  dafür  regelmässig  'dilectissime  frater'  ein;  so  und 
entsprechend  in  der  Mehrzahl  findet  man  den  Schlusswunsch 
gestaltet  unter  Bonifatius  V.  (J.-E.  2006),  Honorius  I.  (2020. 
21),  Martin  I.  (2051.  58),  Vitalian  (2095),  Leo  II.  (2119.  22) 
und  Sergius  I.  (2133)2;  ^\q  Abweichung,  welche  Adeodat  in 
dem  Briefe  J.-E.  2105  bietet  —  den  Bischöfen  Galliens  wird 
das  dem  Abte  des  Martinsklosters  in  Tours  ertheilte  Vorrecht 
bekannt  gemacht  — :  'Bene  valete,  dilectissimi  fratres'  ist  viel- 
leicht gerade  in  Ansehung  des  Inhalts,  womit  er  einem  Pri- 
vileg sich  nähert,  als  ordnungsmässig  festzuhalten.  Die  weni- 
gen Beispiele,  welche  die  Unterschriften  der  an  Könige  ge- 
richteten Briefe  veranschaulichen,  scheinen  dafür  sich  anführen 
zu  lassen,  dass  man  die  Uebung  der  vergangenen  Periode 
beibehalten  hat:  'Incolumem  excellentiam  vestram  gratia 
superna  custodiat' 3;  aber  schon  das  fehlende  'domine  fili' 
dürfte  zur  Vorsicht  gemahnen'*  und  in  Erinnerung  bringen, 
dass  diese  Briefe  J.-E.  2019.  89,  nach  England  gesandt,  in 
ihrem  Formular  noch  zu  anderen  Bedenken  Anlass  gegeben 
haben  *.  Was  die  den  Kaisern  dargebrachten  Schlusswünsche 
anbelangt,  so  führe  ich  in  Uebereinstimmung  mit  den  bei  der 
Aufschrift  gemachten  Bemerkungen  an,  dass  in  J.-E.  2062 
die  Unterschrift  Martins:  'Piissimum  domini  Imperium  superna 
gratia  custodiat  et  omnium  gentium  cervices  ei  subdat'  erheb- 
licher, nur  wenig  die  Unterschrift  Leos  IL  in  J.-E.  2118: 
'Piissimum    domini    imperium   gratia   superna   custodiat   et   ei 


1)    Das  Formular    des  Bonifatius -Briefes  J.-E.   1998    habe  ich  schon 
oben  S.  24  Anm.    1   abgelehnt.  2)  Von  den  nach  England  gerichteten 

Papstbriefen,  deren  Aufschrift,  wie  ich  oben  (S.  24  Anm.  2)  dargelegt 
habe,  verfälscht  ist,  hat  J.-L.  2007  'reverendissime  frater',  während  in 
2021  und  2095  die  regelrechte  Unterschrift  erscheint.  Die  unmöglichen 
Schlusswünsche  der  beiden  Martin- Briefe  J.-E.  2078  und  2079  sind 
ebenda    bereits    erwähnt    worden.  3)   Damit    stimmt    auch    die    Unter- 

schrift des  von  Baronius  verdächtigten  Briefes  J.-E.  2120  genau  überein. 

4)  Man  beachte  die   entsprechende  Unterschrift  in  der  folgenden  Periode. 

5)  Vgl.  oben  Anm.  2. 


Arles  und  Vienne.  45 

omnium  gentium  colla  substernat'  von  der  echten  erst  unter 
Leo  III.  im  Originallatein  belegbaren  Form  abweicht,  und 
dass  diese  Abweichungen  auch  hier  wie  in  der  Aufschrift 
durch  die  Uebertragung  in  das  Griechische  und  die  Rück- 
übertragung in  das  Lateinische  zu  erklären  sind. 

Die  Wiederaufnahme  der  von  Gregor  dem  Grossen  ver- 
wandten Forrnen,  worin  die  mit  Gregor  IL  anfangende  neue 
Periode  ihre  unterscheidende  Besonderheit  besitzt,  bethätigt 
sich  auch  in  den  Unterschriften  der  an  Metropolitanbischöfe 
gesandten  Briefe;  so  heisst  es  unter  Gregor  II:  'Dens  te  in- 
columem  custodiat,  reverentissime  frater'  in  J.-E.  2174 1,  unter 
Gregor  III.  in  2239.  51,  unter  Zacharias  in  2270.  76.  91  und 
mit  dem  Schlüsse  'reverentissime  et  sanctissime  frater'  nur 
unter  Zacharias  in  2264.  71.  74.  78*.  86;  dass  dagegen  auch 
einfachen  Bischöfen  die  Auszeichnung  dieser  Anrede  zu  Theil 
geworden  sei,  ist  theils  in  Ansehung  der  unter  Gregor  I.  an- 
zunehmenden Ordnung  ^  unwahrscheinlich,  theils  dürfte  in  dem 
an  Tarasius  gerichteten  Schreiben  Hadrians  J.-E.  2449  eine 
andere  Form  geradezu  bezeugt  sein,  wenn  man  den  griechi- 
schen Wortlaut:  '6  0e6s  v\iä  ö£  öiacpr^ct^oi,  r^ya^riuivz  dösAcfs' 
mit  'Deus  te  incolumem  custodiat  —  nicht  'servet'  wie  bei 
Mansi  XII,  1084  zu  lesen  ist  —  dilectissime  frater'  übersetzt-*, 
d.  h.  es  ist  vielleicht  bei  einfachen  Bischöfen  die  Gepflogen- 
heit der  vorigen  Periode  gewahrt  worden. 

Sind  niedere  Geistliche  angeredet  oder  auch  eine  Ge- 
sammtheit  von  Geistlichen  (und  Laien),  in  welche  selbst 
Bischöfe  ausdrücklich  beschlossen  sein  können,  dann  kommt 
hier  eine  Uebung  zum  Durchbruch,  welche  ein  absonderndes 
Merkmal  gegen  alle  vorhergegangenen  Perioden  abgiebt;  dann 
heisst  es  nämlich  einfach:  ^Bene  vale'  oder  'Bene  valete'^  — 
ein  Schlusswunsch,  welcher  ebenso  wie  der  ausgeführtere  ohne 
Zweifel  von  dem  Papste  eigenhändig  gefertigt  ist^  —  z.  B.  in 


1)  Der  Schlusswnnsch  in  J.-E.  2168:  'Dens  te  incolumem   custodiat' 
ist  jedenfalls    um    'reverentissime    frater'    zu    vervollständigen.  2)    Die 

Handschrift  M  lässt  'et  sanctissime'  fort.  3)  Vgl.  oben  S.  24.  4)  Schon 
oben  (S.  26  Anm.  2)  habe  ich  meinem  Befremden  darüber  Ausdruck  ge- 
liehen, dass  in  diesem  Brief  ein  Patriarch  als  einfacher  Bischof  behan- 
delt ist.  5)  Vereinzelt  tritt  'Bene  vale'  auch  in  früheren  Perioden 
schon  auf,  so  unter  Leo  I.  in  J.-K.  473  :  'Bene  valete  in  Domino,  fratres 
carissimi'  (es  sind  die  auf  der  Synode  in  Nicaea  versammelten  Bischöfe), 
unter  Gregor  I.  in  J.-E.  1102:  'Bene  valeas'  (der  Subdiacon  Peter  ist 
angeredet)  und  in  J.-E.  1991:  "Bene  valete'  (es  gilt  dem  Rector  patri- 
monii  Felix).  6)  Man  vergleiche  darüber  die  Abhandlung  Bresslaus 
'Papyrus  und  Pergament  in  der  päpstlichen  Kanzlei  bis  zur  Mitte  des 
elften  Jahrhunderts'  in  den  Mitth.  des  Instituts  für  österr.  Gesehichtsf.  IX, 
1 — 33  besonders  S.  21  —  24.  —  Es  liegt  sehr  nahe,  diese  Unterschrift 
wenigstens  in  den  Epistolae  generales  als  eine  Berührung  mit  den  Privi- 
legien auszugeben;  denn  wenn  diese  auch  nicht  immer  an  alle  Gläubigen 


46  Wilhelm  Gundlach. 

J.-E.  2157.  60.  67.  2245.  46.  47.  75.  95.  2313';  es  verschlägt 
nichts,  dass  in  die  Mehrheit  der  Empfanger  auch  Könige  ge- 
hören, wie  in  dem  Briefe  Stephaus  IL  J.-E.  2325;  ja  selbst 
wenn  nur  Könige,  aber  mehr  als  ein  König,  in  der  Aufschrift 
genannt  werden,  scheint  die  Regel  Anwendung  zu  finden,  so 
unter  Stephan  II.  in  J.-E.  2322  (Pippin,  Karl  und  Karlmann)  ^ 
und  unter  Paul  I.  in  2353.  60.  62  (Karl  und  Karlmann) ;  ganz 
vereinzelt  trifft  man  auch  in  Briefen,  welche  nur  einem  Könige 
zukommen,  die  Unterschrift:  'Bene  vale':  in  dem  ersten  Briefe 
Stephans  II.  an  König  Pippin  J.-E.  2312  und  unter  Paul  I. 
in  J.-E.  2352,  in  welchem  das  'Bene  valete'  gleichfalls  auf 
König  Pippin  geht. 

Sonst  ist  für  den  König  ein  besonderer  Schlusswunsch 
üblich,  welcher  unter  Stephan  IL  lautet:  'Incolumem  excel- 
lentiam  tuam  gratia  superna  custodiat'  (J.-E.  2335) '  und  auch 

sich  wandten,  so  waren  sie  doch  einer  grösseren  Anzahl  bestimmt  oder 
allgemein  bezeichneter  Betheiligter  zur  Kenntnisnahme  und  Nachachtung 
gewidmet.  Einer  besonderen  Würdigung  wäre  darum  die  Urkunde  Leos  III. 
J.-E,  2503  werth,  welche  in  der  Aufschrift:  'Leo  episcopus  servus  ser- 
vorum  Dei  reverentissimis  et  sanctissimis  episcopis,  videlicet  Alim  Sabio- 
nensis  ecclesie,  Waltrico  Pataviensis  ecclesie'  etc.  deutlich  die  Privilegien- 
form zeigt,  trotzdem  aber  die  Brief-Unterschrift  hat:  'Deus  vos  incolumes 
custodiat,  reverentissimi  ac  sanctissimi  fratres',  wenn  nicht  die  sonder- 
bare nur  Metropoliten  zustehende  Bezeichnung  'reverentissimis  et  sanctis- 
simis' auch  einfacher  bayrischer  Bischöfe,  ja  der  ganzen  Geistlichkeit  und 
des  Volkes  ('simnlque  abbatibus  una  cum  cuncto  clero  seu  plebi  pro- 
vintie  Baiwariorum'j  Bedenken    einflössen   müsste.  1)    Als   Ausnahmen 

müssten  die  Unterschriften  in  dem  Schreiben  Gregors  II.  J.-E.  2161: 
'Dens  vos  incolumes  custodiat,  dilectissimi  filii'  und  in  dem  Zacharias- 
Briefe  J.-E.  2287:  'Deus  vos  incolumes  custodiat,  dilectissimi  nobis'  ge- 
fasst  werden,  wenn  nicht  auch  die  unregelmässig  geformten  Aufschriften 
(vgl.  oben  S.  27  Anm.  1)  zu  der  Vermuthung  Anlass  gäben,  dass  die 
Formeln  nicht  unberührt  geblieben  sind.  Bei  dem  Schlusswunsch:  'Deus 
vos  incolumes  custodiat,  dilectissimi  fratres',  welchen  man  in  einem 
nur  an  Bischöfe  gerichteten  Schreiben  Gregors  III.  (J.-E.  2243)  findet, 
könnte  man  auf  den  Gedanken  verfallen,  dass  vielleicht  eine  Gesammt- 
heit  von  Bischöfen  anders  behandelt  worden  ist,  als  eine  Gemeinschaft 
von  Geistlichen,  welche  neben  anderen  Graden  auch  Vertreter  des  bischöf- 
lichen Kanges  in  sich  vereinigt;  aber  die  befremdende  Aufschrift:  'Gre- 
gorius  episcopus  servus  servorum  Dei  episcopis  Angliae  salutem  et 
apostolicam  benedictionem'  dürfte  Grund  genug  bieten,  gegen 
diesen  nach  England  gerichteten  Brief  —  vgl.  oben  S.  25  Anm.  1  — 
sich  ablehnend  zu  verhalten,  zumal  bei  einer  Mehrzahl  von  bayrischen 
und  schwäbischen  Bischöfen  in  J.-E.  2247  der  nämliche  Papst  ganz  nach 
der  oben  entwickelten  Regel  im  Schlusswunsch  verfährt.  Dass  endlich 
die  Unterschrift  in  J.-E.  2265.  66:  'Bene  valete'  auf  eine  Mehrheit  sich 
bezieht,  geht  auch  aus  dem  letzten  Satz  des  Contextes :  'Salutantes  vos 
in  Domino  valere  optamus'  hervor,  obwohl  als  Empfänger  des  Briefes  in 
der  Aufschrift  nur  ein  einziger  Bischof  angeführt  wird.  2)  Zu  dem 
*Bene  valete'    tritt    hier    noch    'excellentissimi  filii'   hinzu.  3)  In  J.-E. 

2326    ist   nur    eine  Umstellung  ('superna   gratia')    vorgenommen,    in  2323 


Arles  lind  Vienne.  47 

in  dem  ersten  Briefe  des  Papstes  Paul  (J.-E.  2336)  gebraucht 
ist;  dann  aber  tritt  unter  Paul  I.,  Constantin  II.,  Stephan  III., 
Hadrian  I.  und  Leo  III.  insofern  eine  kleine  Wandelung  ein, 
als  der  König  nicht  mehr  in  der  Einzahl,  sondern  in  der 
Mehrzahl  ('excellentiam  vestram')  von  dem  Papste  angesprochen 
wird:  J.-E.  2338.  40.  41.  43.  44.  45.  47.  51.  54-59.  61.  63. 
69—75.  81.  87.  2408.  09.  13—16.  18.  19.  22.  23.  25  —  29. 
31—34.  36.  38—42.  50.  51.  53.  58.  60.  61.  63.  64.  67.  70— 
78.  80.  83.  96 1.  Kaiser  Karl  empfängt  von  Hadrian  den 
Schlusswunsch:  'Piissimura  domini  Imperium  gratia  superna 
custodiat  eique  omnium  gentium  coUa  substernat',  eine  Form, 
welche  die  von  Martin  I.  und  Leo  II.  überlieferten  Aufschriften 
zu  berichtigen  verstattet*. 

Die  tiefgreifende  Umgestaltung,  welche  gegen  die  Mitte 
des  neunten  Jahrhunderts  in  den  Aufschriften  sich  vollzieht, 
macht  sich  auch  als  einschneidende  Wandelung  für  die  Unter- 
schriften geltend:  an  Stelle  des  bisherigen  Schlusswunsches, 
welcher  in  einem  Conjunctivus  optativus  zum  Ausdruck  kam, 
tritt  ein  Satzgefüge,  in  welchem  von  einem  Verbum  des  Wüu- 
schens  ein  Accusativus  cum  Infinitive  abhängig  ist.  Auch  hier 
liefert  Benedict  III.  die  ersten  nicht  mehr  fragwürdigen  Be- 
lege; er  schreibt  an  einen  Metropolitanbischof  —  Hinkmar 
von  Reims  —  in  J.-E.  2664:  ^Optamus  fraternitatem  tuam 
nunc  et  semper  bene  valere'  und  ähnlich  an  eine  Gesammt- 
heit  von  Bischöfen  in  J.-E.  2669:  'Optamus  beatitudinem 
vestram  in  Christo  bene  valere'.  Unter  Nicolaus  I.  und  Ha- 
drian II.  und  ihren  Nachfolgern  sind  diese  Formen  mit  ge- 
ringfügigen Abweichungen  beibehalten;  so  heisst  es  bei  einem 
Erzbischof:  'Optamus  fraternitatem  —  oder  'sanctitatem'  — 
tuam  in  Christo  bene  valere'  oder  am  Schlüsse  erweitert  zu 
*iu  Christo  nunc  et  semper  bene  valere'  in  J.-E.  2746.  2905. 
07.  10.  19.  28.  88  und  bei  einer  Mehrzahl  von  Bischöfen  ent- 
sprechend, nur  dass  'tuam'  durch  'vestram'  ersetzt  wird,  in 
J.-E.    2684.    2730.   74    ('fraternitatem    et    sanctitatem') ,    2822 


aber  zu  dem  Seblusswunsch :  'Incolumem  excellentiam  vestram  gratia 
superna  custodiat'  merkwürdigerweise  noch  'Bene  valete'  hinzugefügt,  so 
dass  sich  diese  kurze  Unterschrift  in  den  ersten  fünf  Briefen  Stephans  II. 
findet.  1)    Abweichungen    liefern    unter   Paul  I.    nur    die    Briefe   J.-E. 

2348  und  2364,  welche  beide  übereinstimmend:  'Deus  te  incolumem 
custodiat,  excellentissime  fili'  haben,  und  unter  Hadrian  I.  J.-E.  2420, 
wo  die  Unterschrift:  'Incolumem  excellentiam  vestram,  domini  fili,  superna 
custodiat  gratia'  lautet.  Äeusserst  merkwürdig  sind  die  Schlusswünsche 
in  J.-E.  2386  und  2388:  'Incolumem  religiositatem  vestram  atque 
excellentiam  tuam  gratia  superna  custodiat',  weil  die  Gemahlin  Karls, 
Berthrada  ('religiosa  filia'),  in  der  Mehrzahl,  Karl  aber  ('exe  eil  cu- 
tis simus  filius')  in  der  Einzahl  angeredet  wird.  2)  Vgl.  oben  S.  26 
Anm.   1. 


48  Wilhelm  Gundlach. 

('sanctam  fraternitatem')  i,  71.  86.  94  ('sanctam  fraternitatem'), 
98.  2918  (sanctam  fraternitatem'),  27.  31.  42.  45  ('generalita- 
tem'),  3041 2;  sobald  es  sich  um  einen  einzelnen  einfachen 
Bischof  handelt,  scheint  nur  die  'fraternitas'  nicht  betont,  sonst 
aber  die  nämliche  Form  wie  bei  Erzbischöfen  verwandt  zu 
werden,  wofern  man  in  J.-E.  2727  die  Unterschrift:  'Optamus 
sanctitatem  tuam  in  Christo  bene  valere'  als  Regel  begründend 
ansieht^. 

Den  König  begrüsst  Nicolaus  I.  mit  dem  Schlusswunsch: 
'Optamus  gloriam  —  oder  'excellentiam'  —  vestram  in  Christo 
bene  valere'  oder  am  Ende  erweitert  zu  *in  Christo  nunc  et 
semper  bene  valere'  in  J.-E.  2722.  38.  2827.  72.  74.  83.  85, 
wozu  in  den  vier  zuletzt  genannten  Briefen  noch  der  Zusatz: 
'(o?)  dilectissime  fili'  kommt  ^.  Dieser  Zusatz  bleibt  auch  noch 
in  der  ersten  Zeit  Hadrians  bestehen;  er  findet  sich  zu  der- 
selben Unterschrift  in  J.-E.  2895  und  2902  i;  in  2911  hat  der 
Papst  sich  einmal  von  der  im  ganzen  festgehaltenen  Form 
entbunden  und  ausführlicher  geschrieben:  'Optamus  regiam 
excellentiam  vestram  sanctae  sedis  apostolicae  scita  consuetu- 
dinaliter  observantem  in  Christo  semper  valere' ;  auffallend  ist 
es,  dass  gegen  Ende  des  Papstthums  Hadrians  II.  bei  dem 
Karolingischen  König  ein  Du  in  der  Anrede  aufgenommen 
wird :  'Optamus  gloriam  tuam  in  Christo  nunc  et  semper 
bene  valere'  in  J.-E.  2926  und  2930  ^ 


1)  Wenn  in  diesem  Briefe  'optamus'  von  'oramus'   abg'elöst  wird,    so 
ist  vielleicht  nur  die  Ueberlieferung'  daran  Schuld.  2)  Unter  Stephan  V. 

ist  in  J.-L.  3458  der  Schlusswunsch:  'Optamus  vos  in  Christo  bene 
valere'  durch  das  einfache  Pronomen  auffallend;  in  einem  anderen 
Briefe  desselben  Papstes  J.-L.  3459  mit  dem  Schlusswunsche:  'Optamus 
te  in  Christo  valere'  ist  auch  schon  die  Aufschrift  (vgl.  oben  S.  33 
Anm.  8)    angefochten  worden.  3)   Bei   einer    aus    nicht  namentlich  be- 

stimmten Bischöfen  und  niederen  Geistlichen  bestehenden  Gemeinschaft 
scheint  wie  in  der  vorigen  Periode  das  einfache  'Bene  valete'  üblich  zu 
sein:    J.-L.  3548.  4)  Ein  abweichendes  Gepräge  hat  nur  der  Schluss- 

wunsch in  J.-E.  2773:  'Incolumem  excellentiam  vestram  gratia  superna 
custodiat,  dilectissime  fili',  womit  sich  berühren  die  der  Königin  geltende 
Unterschrift  in  J.-E.  2739:  'Incolumem  serenitatem  vestram  divina  con- 
servet  maiestas,  filia  carissima'  und  die  auf  Ludwig  und  Karl  gehende 
in  J.-E.  2788:  'Divina  maiestas  ad  exaltationem  sanctae  suae  ecclesiae 
vos  conservet  incolumes'.  —  Man  wird  diese  Formenfülle,  welche  wohl 
noch  zu  vermehren  ist,  nicht  so  schroff  scheidend  kUiren  wollen,  dass 
man  nur  die  oben  angegebenen  Gestaltungen  als  kanzleimässig  auffasst, 
vielmehr  der  Meinung  das  Wort  reden  dürfen,  dass  die  Unterschriften, 
weil  sie  eigenhändig  von  den  Päpsten  geschrieben  wurden,  dem  Belieben 
des  Einzelnen  einen  weiteren  Spielraum  verstatteten  als  anderen  For- 
meln und  somit  vielförmig  vertreten  sein  können,  ohne  den  Verdacht  der 
Fälschung    zu  rechtfertigen.  5)  Die  Königin  scheint  auch  unter  Nico- 

laus geduzt  zu  werden,  wenigstens  heisst  es  in  J.-E.  2763:  'Optamus 
religiositatem  tuam  in  Christo  feliciter  valere'  und  in  genauer  Anlehnung 


Arles  und  Vienne,  49 

Da  schon  im  zehnten  Jahrhundert  die  ausführliehen 
Schlussvvünsche  nicht  mehr  nachweisbar  sind,  wohl  aber 
'Vale(te)'  namentlich  in  der  ersten  Hälfte  des  elften  Jahr- 
hunderts sich  bemerkbar  macht  z.  B.  in  J,-L.  3879.  3929.  61 
('Vale  in  Christo'),  409.5.  4100.  Ol  ('Bene  valete'),  4216.  18.  25, 
so  könnte  man  meinen,  dass  die  Beglaubigung  der  Briefe 
vielleicht  durch  dieses  von  den  Päpsten  geschriebene  Wort 
bewirkt  worden  sei;  aber  schon  die  Wahrnehmung,  dass  mit 
einer  Ausnahme  (J.-L.  4218)  alle  Briefe  an  Nichtbischöfe  ge- 
richtet sind,  dürfte  davon  abbringen,  zumal  selbst  im  Register 
Gregors  VII.  das  Wort  am  Schlüsse  der  Briefe  J.-L.  4782. 
5217,  5240  wiedergegeben,  von  Gregor  aber  nachweislich  ein 
anderes  Verfahren  der  Beglaubigung  geübt  worden  ist.  In 
J.-L.  4883  sagt  er  nämlich  zu  dem  Erzbischof  Udo  von  Trier: 
'Has  autem  litteras  iccirco  aperte  sigillari  praecepimus,  ut 
certiorem  vobis  auctoritatem  traderemus'  ■ —  das  ist  nicht  so  zu 
fassen,  als  ob  der  Papst  nur  ausnahmsweise  die  Besiegelung 
angeordnet  habe;  denn  der  Inhalt  des  Briefes,  ein  Auftrag, 
einem  unterdrückten  Geistlichen  zu  seinem  Rechte  zu  ver- 
helfen, begründet  das  nicht;  es  ist  vielmehr  nur  eine  verein- 
zelte Ankündigung  einer  immer  ausgeführten  Massregel,  da 
Gregor  in  dem  Briefe  J.-L.  5225  (und  ganz  ähnlich  in  5242) 
die  Nichtausführung  noch  besonders  entschuldigt:  'Dubitavimus 
hie  sigillum  plumbeura  ponere,  ne,  si  illud  inimici  caperent, 
de  eo  falsitatem  aliquam  facerent'.  Man  ist  also  wohl  befugt, 
anzunehmen,  dass  seit  der  Zeit,  in  welcher  die  Schlusswünsche 
verschwinden,  die  Briefe  einzig  und  allein  durch  Besiegelung 
beglaubigt  worden  sind. 

Zur  Beantwortung  der  Frage,  welche  Formen  der  Datie- 
rung in  der  Kanzlei  im  Gebrauch  gewesen  sind,  stehen  Bei- 
spiele in  einer  verhältnismässig  dürftigen  Anzahl  zur  Verfügung, 
ein  Umstand,  welcher  einen  neuen  Vorbehalt  für  die  gewon- 
nenen Ergebnisse  erheischt. 

Die  früheste  Form  —  nach  dem  N.  A.  XIV,  322  ge- 
wählten Beispiel:  'Data  VII.  Kalendas  Septembres,  Asterio 
et  Protogene  viris  clarissimis  consulibus'  —  wird,  wenn  nur 
die  wesentlichsten  Aenderungen  angegeben  werden  sollen, 
schon  vor  Gregor  I.  dadurch  umgestaltet,  dass  im  Jahre  550 
das  Regierungsjahr  des  Kaisers  ('imperante  domno  lustiniano 
perpetuo  augusto  anno  XXIV.')   in   die  Zeile  einbezogen  und 


an  die  dem  Könige  dargebrachten  Schlusswünsche  der  Zeit  in  J.-E.  2870: 
'Optamus  gloriam  tuam  in  Christo  nunc  et  semper  bene  valere,  dilectissima 
filia'.  —  Die  dem  Kaiser  gewidmeten  Schlusswünsche  scheinen  sich  theils 
dem  in  dieser  Periode  für  den  König  gebräuchlichen  Formular  anzu- 
schliessen  (J.-E.  2908),  theils  die  in  der  vorigen  Periode  üblichen  Wen- 
dungen wieder  hervorzukehren  (J.-E.  2914). 

Neues  Archiv  etc.     XIV.  4 


50  Wilhelm  Gundlach. 

unter  Pelagius  IL  nachweisbar  zuerst,  aber  vielleicht  nur  vor- 
übergehend auch  die  Indiction  angefügt  wird  ('indictione 
quinta')  ^  Unter  Gregor  dem  Grossen  wird  die  letzte  Angabe 
ständig,  die  ganze  Datierung  vielleicht  in  der  Fassung  gegeben, 
zu  welcher  Mansi  (IX,  1240  und  X,  308)  die  Registerüber- 
lieferung zweier  Gregor-Briefe  aus  einem  Codex  Parisinus  er- 
gänzt hat:  'Data  die  X.  Kalendas  Augustas,  imperante  domino 
nostro  Mauritio  Tiberio  piissimo  augusto  anno  XIV.,  post  con- 
sulatum  eiusdem  domini  nostri  anno  XIII.,  indictione  XIV. 
Dass  diese  Form  kauzleimässig  ist,  wird  auch  dadurch  bezeugt, 
dass  unter  Bonifatius  IV.,  dessen  Kanzlei  die  unter  Gregor 
herrschenden  Gebräuche  auch  bei  der  Aufschrift  und  Unter- 
schrift der  Briefe  einfach  übernommen  hat,  in  J.-E.  2001  die 
Datierung  nachAveisbar  ist:  'Data  X.  Kalendas  Septembris, 
imperantibus  dominis  nostris  piissimis  augustis  Heraclio 
anno  III.,  post  consulatura  eiusdem  anno  II.,  et  Heraclio  Con- 
stantino  novo  filio  eius  anno  L,  indictione  I'. 

Während  nun  auf  Grund  einiger  Besonderheiten  für  die 
Aufschrift  und  Unterschrift  eine  mit  Bonifatius  V.  anliebende 
neue  Periode  angesetzt  werden  konnte,  scheint  in  der  Datie- 
rung 'in  dem  auf  Bonifatius  V.  folgenden  Jahrhundert  keine 
nennenswerthe  Aenderung  vorgenommen  zu  sein:  wenigstens 
ist  unter  Honorius  I.  in  J.-E.  2020^  und  unter  Adeodat  in 
J.-P].  2104 3  keine  Wandelung  zu  erkennen^. 

Unter  Gregor  II.  sind  in  der  Datierung  Unterschiede 
gegen   früher   Avahrnehmbar,    welche    indessen   mehr    als   eine 

1)  Die  Bemerkung  in  den  Reg.  pontif.  Rom.,  dass  unter  Felix  III. 
(483 — 492)  die  Indiction  zuerst  zu  belegen  sei,  gründet  sich  auf  einen 
Brief   (J.-K.    614),    welcher    ohne    Unterschrift    überliefert    ist.  2)    In 

der  gestörten  Datierung  dieses  Briefes  ('Data  die  III.  Idus  lunias, 
imperantibus  dominis  nostris  piissimis  augustis  Heraclio  anno  XXIV., 
post  consulatum  eius  anno  XXIII.,  et  consulatus  eius  anno  III.,  sed 
et  Heraclio  felicissirao  caesare,  id  est  filio  eius  anno  III.,  indic- 
tione VII.')  ist  die  Form  'lunias'  werthvoll,  weil  damit  der  Gebrauch 
der  Monatsnamen  als  Adjectiva,  nicht  als  Substantiva  (vgl.  N.  A.  XIV, 
323)  belegt  wird.  Die  Erläuterung:  'id  est  anno  dominicae  incarnationis 
sexcentesimo  tricesimo  tertio',  womit  bei  Mansi  X,  581  die  Datierung 
schliesst,  möchte  ich  für  einen  Zusatz  von  späterer  Hand  halten.  3)  In 
der  Datierung:  'Data  X.  Kalendas  lanuarii  (!),  imperantibus  piissimis 
augustis  Constantino  maiore  imperatore  anno  XXII.,  post  consulatum  eius 
anno  .  .  .,  sed  et  Heraclio  atque  Tiberio  novis  augustis,  eius  fratribus, 
anno  XVIH.,  indictione  II,'  ist  hinter  'imperantibus'  vielleicht  nur  irrthüm- 
lich    'dominis    (domnis)    nostris'    ausgefallen.  4)    Ob    die    kurze    Datie- 

rungsform in  dem  Briefe  Leos  II.  J.-E.  2118:  'Data  Nonis  Mali,  indic- 
tione X.'  der  Originalausfertigung  gemäss  ist,  scheint  mir  darum  sehr 
fraglich  zu  sein,  weil  der  ganze  Brief,  wie  oben  zweimal  dargelegt  worden 
ist,  offenbar  erst  in  das  Griechische  übersetzt  und  dann  in  das  Lateinische 
zurückübertragen  ist,  ausserdem  aber  die  Datierungszeile  nur  in  lateini- 
scher, nicht  in  griechischer  Form  vorliegt. 


Arles  und  Vinnne.  51 

milde  Umbildung  der  vorher  üblichen  Form,  denn  als  ein 
Bruch  mit  ihr  auszugeben  sind  und  schwerlich  an  sich,  wenn 
aicht  die  beiden  anderen  Formeln  hier  eine  Unterstützung  ge- 
währten, es  begründen  möchten,  von  dem  genannten  Papste  an 
eine  neue  Periode  beginnen  zu  lassen.  Es  heisst  nämlich  unter 
Gregor  IL:  'Data  Idibus  Maii(s)  i,  imperante  domno  piissimo 
augusto  Leone  a  Deo  coronato  magno  imperatore  anno  IIL, 
post  consulatum  eius  anno  IIL  2,  indictione  IL'  in  J.-E.  2157 
lind  mit  Einschiebung  des  auf  den  Kaisersohn  bezüglichen 
Vermerkes  vor  der  Indictionsangabe:  'sed  et  Constantino 
magno  imperatore  eius  filio  anno  IV.'  in  J.-E.  2160.  61.  68.  74 
und  entsprechend  auch  unter  Gregor  IIL  in  J.-E.  2251  und 
unter  Zacharias  in  J.-E.  2264.  70^.  71.  74.  76.  78.  86*.  91.  92; 
weiter  reichen  in  dieser  Periode  die  Belege  leider  nicht  5. 

Die  schon  in  dieser  Periode  wahrnehmbare  feinere  Aus- 
bildung der  Privilegien^  veranlasst  es  ohne  Zweifel,  dass 
in  der  nächsten  Periode,  deren  Beginn  gegen  die  Mitte  des 
neunten  Jahrhunderts  angesetzt  worden  ist,  in  der  Datie- 
rung eine  einschneidende  Wandelung  zum  Ausdruck  kommt. 
Während  nämlich  die  Urkunden  nun  fortan  in  ihrer  feierlichsten 
Form  eine  Scriptum-  und  eine  der  bisherigen  Briefdatierung 
ähnliche,  um  die  Angabe  'per  manum'  etc.  bereicherte  Datum- 
Zeile  aufweisen',   wird   in   den  eigentli'chen  Briefen  nur  mehr 

1)  Unter  den  Datierungen  dieser  Periode  bringt  wenigstens  die  in 
J.-E.  2264  das  Adjectivum  'Apriles'  zum  Vorschein.  2)    Während    in 

den  Papstbriefen  der  früheren  Zeit  die  Zahlen  der  Kaiserjahre  von 
denen  der  anni  post  consulatum  immer  abweichen,  treffen  sie  zum  ersten 
Male  unter  Gregor  II.,  wie  das  angezogene  Beispiel  lehrt,  und  seinem 
Nachfolger  —  es  handelt  sich  um  Kaiser  Leo  III.,  den  Isaurier  —  zu- 
sammen. 3)  In  der  Zeile  fehlt  'eius  filio'.  4)  Zwischen  'magno'  und 
'imperatore'    ist    hier    'pacifico'    eingeschoben.  5)  Dass  in   dem   ganzen 

Codex  Carolinus  auch  nicht  eine  einzige  Datierung  überliefert  ist,  kann 
entweder  so  erklärt  werden,  dass  die  in  den  Codex  aufgenommenen 
Schriftstücke,  welche  datiert  waren,  bei  der  Zusammenstellung  in  ihrem 
Formular  verkürzt  worden  sind,  da  doch  wenigstens  von  Gregor  III.  und 
Zacharias,  deren  Briefe  den  Codex  Carolinus  eröffnen,  unantastbare  Datie- 
rungen in  anderen  Briefen  uns  bezeugt  werden,  oder  so,  dass  die  Briefe 
überhaupt  keine  Datierung  gehabt  haben.  Was  von  dem  Codex  Carolinus 
gilt,  trifft  auch  auf  die  zehn  in  einer  Wolfenbüttler  Handschrift  uns  be- 
wahrten Briefe  Leos  III.  an  Kaiser  Karl  zu,  wenngleich  hier  die  zweite 
Annahme  sich  darum  mehr  empfiehlt,  weil  hier  die  sechsmal  verkürzten 
Formeln  der  Aufschrift  und  Unterschrift  doch  stets  in  einigen  Worten  als 
vorhanden  angedeutet  sind,  von  einer  Datierung  aber  mit  keiner  Silbe 
Vermerk    genommen   ist.  6)  Von  Stephan  II.    lässtsich  übrigens  aus 

der  dem  Abt  Fulrad  gewährten  Urkunde  J.-E.  2331  eine  Datierung  bei- 
bringen, welche  fast  genau  mit  dem  oben  angefürten  Muster  überein- 
kommt: 'Datum  IV.  Kalendas  Martias,  imperante  domno  piissimo  augusto 
Constantino  a  Deo  coronato  magno  imperatore,  anno  XVIII.  imperii  eius, 
sed  et  Leone  maiore  imperatore  eius  filio  anno  IV.,  indictione  X'.  7)  Zu 
den  ältesten  Beispielen    dürften   die  Urkunden  Leos  III.   J.-E.  2510   und 

4* 


52  Wilhelm  Gundlach. 

der  Monatstag  und  die  Indiction  vermerkt,  so  findet  man  unter 
Nicolaus  I. :  'Data  IX.  Kalendas  Decembres,  indictione  XI.' 
in  J.-E.  2698  und  ähnliches  in  2703.  27.  2822.  70.  72.  74.  83. 
85.  86,  unter  Hadrian  II.  in  2894.  95.  98.  2902.  05.  07.  08. 
09.  13.  18.  19.  26.  27.  28.  30.  42.  43.  45»  und  unter  Stephan  V. 
in  3458 ;  erst  unter  Johann  X.  scheint  eine  Form  der  Brief- 
datierung aufzukommen,  welche  nur  die  Scriptum -Zeile  der 
Urkunden  wiedergiebt:  'Scriptum  per  raanum  Samuelis  notarii 
et  scriniarii  sanctae  Romanae  ecclesiae,  in  mense  Maio,  indic- 
tione IL'  in  J.-E.  3520  und,  am  Ende  durch  die  (nachträg- 
liche?) Angabe  des  ^lonatstages,  welche  der  Scriptum-Zeile  in 
Privilegien  abzugehen  pflegt,  genauer  eingerichtet  ('V.  Idus 
Maii'),  in  J.-E.  3521  und  noch  unter  Johann  XIII.  mit  J.-L. 
3749  belegt  werden  kann. 

Wie  die  Formel  sich  weiter  entwickelt  hat,  ist  nicht  genau 
zu  erkennen.  Nur  so  viel  lüsst  sich  sagen,  dass  unter  Leo  IX. 
zuerst  das  Papstjahr  in  der  Datierungszeile  genannt  wird :  in 
J.-L.  4216  'Data  Kalendis  Maii  per  manus  Petri  bibliothecarii 
sanctae  sedis  apostolicae  anno  domni  Leonis  noni  papae  IL, 
indictione  IIL'  und  ohne  Angabe  des  Beamten,  welchem  das 
'dare'  zustand  in  J.-L.  4304,  dass  weiter  der  Ort  in  der  Datie- 
rungszeile zuerst  in  der  zweiten  Hälfte  des  elften  Jahrhunderts 
angeführt  wird.  Ob  dabei  —  was  im  letzten  Drittel  des  elften 
Jahrhunderts  verhältnismässig  oft  belegt  werden  kann  —  im 
besondern  die  Zeile  auf  die  Nennung  des  Ortes  und  Monats- 
tages beschränkt  geblieben  ist,  dürfte  doch  auch  bei  einer  Be- 
rufung auf  den  unter  dem  ersten  Nicolaus  und  seinen  nächsten 
Nachfolgern  herrschenden  Brauch  sehr  zweifelhaft  sein,  da 
diese  beschränkte  Datierun^szeile  mit  dem  Datumvermerk  im 
Register  Gregors  VII.  ungefähr  übereinkommt  ^  imd  doch  von 
Gregor  VII.  mindestens  ein  auch  sonst  Originalform  zeigender 
Brief  überliefert  ist,  welcher  eine  ausgeführte  Datierung  hat, 


Paschais  I.  J.-E.  2551  zählen,  in  welchen  die  Scriptum-Zeile,  noch  nicht 
selbständig-,  einen  deutlichen  Zusammenhang'  mit  dem  Contexte  bekundet: 
'Quam  etiam  a  Sergio  scriniario  nostro  scribi  praecepimus  mense  lanuario' 
und  'Quod  praeceptum  confirmationis  a  nobis  factum  scribendum  prae- 
cepimus Timotheo  notario  et  scriniario  sedis  nostrae,  in  mense  lulio,  in- 
dictione XII'.  1)  Von  den  aufgeführten  Beispielen  lassen  wenigstens 
J.-E.  2698,  2703.  27.  2902.  42  den  Monatsnamen  als  Adjectivum  be- 
handelt erkennen.  2)  Im  Register  Gregors  VII.  lautet  das  Datum  der 
Regel  nach  wie  in  J.-L.  4772:  'Data  Romae  VIII.  Kalendas  Maii,  in- 
dictione XI.';  es  fehlt  aber  auch  häufig  oder  ist  um  eine  Angabe,  nament- 
lich die  Indiction  und  den  Ort  verkürzt.  Als  Registervermerk  macht  sich 
die  so  gefasste  Datierung  vielleicht  auch  dadurch  kenntlich,  dass  im  Anfang- 
der  zwölften,  dreizehnten  und  vierzehnten  Indiction  bei  den  Stücken  J.-L. 
4790.  92.  4875,  4964  das  Wort  'indictione'  durch  'incipiente'  genauer 
bestimmt  ist. 


Arles  und  Vienne.  53' 

J.-L.  5267:  'Datum  Romae  VII.  Idus  Jan.  anno  XL  pontificatus 
domni  papae  Gregorii  VII.,  anno  videlicet  dominicae  incarna- 
tionis  MLXXXIV,,  indictione  VII.'  Da  aber  in  denjenigen 
Brieffassungen,  welche  sonst  der  Originalaiisfertigung  ent- 
sprechen, die  Datierung  bei  weitem  am  häufigsten  fehlt  —  und 
zwar  scheint  die  Menge  solcher  datierungsloser  Stücke  von  der 
frühesten  Zeit  an  i  im  Zunehmen  begriffen  — ,  möchte  ich  vor- 
läufig doch  annehmen,  dass  die  Originalausfertigungen  der 
Papstbriefe  in  der  Regel  nicht  datiert  worden  sind^,  eine  Mei- 
nung, weiche  sich  begründen  lässt  einmal  mit  der  vorüber- 
gehenden Bedeutung  der  Stücke,  ferner  aber  damit,  dass,  wenn 
wirklich  ein  Brief  der  Vergangenheit  wieder  vorgenommen 
wurde,  sein  ungefähres  Datum  aus  dem  Vermerk,  ja  selbst 
schon  durch  seine  Stelle  im  Register  ermittelt  werden  konnte. 

Wenn  man  nun  diese  Regeln,  deren  endgültige  Bestätigung 
oder  Berichtigung  von  einer  genaueren  handschriftlichen  Er- 
kundung der  Papstbriefe  zu  gewärtigen  ist,  auf  die  Epistolae 
Viennenses  anwenden  möchte,  so  dürfte  zunächst  das  Bedenken 
stören,  ob  denn  die  Vienner  Briefe,  so  wie  sie  uns  vorliegen, 
auch  genau  den  Originalen  entsprechen  sollen,  ob  sie  nicht 
vielmehr  bei  der  Zusammenstellung  geändert,  ihrer  ursprüng- 
lichen, vielleicht  als  nebensächlich  erachteten  Form  absichtlich 
oder  unabsichtlich  entkleidet  worden  sind.  Dieses  Bedenken 
ist  zu  beheben  durch  die  Ausführungen,  welche  in  dem  vor- 
angeschickten Abschnitt  über  die  Üeberlieferung  der  Briefe 
geboten  worden  sind:  es  ist  ja  darin  gezeigt  worden,  dass 
theils  auf  Grund  einer  zwiefachen  Fassung,  in  welcher  die 
Epistolae  Viennenses  sich  noch  heute  darstellen,  theils  auf 
Grund  ausdrücklicher  Angaben,  wonach  die  Originale  benutzt 
sind,  die  Anschauung  berechtigt  ist,  als  sei  die  eine  Fassung 
durch  die  Originale,  die  andere  durch  ein  von  den  Originalen 
abweichendes,  aber  nicht  wesentlich  verschiedenes  Cartular 
verursacht  worden;  wenn  in  der  Mittelgruppe  der  Briefe  im 
allgemeinen  nur  eine  Ueberlieferungsform  vorhanden  ist,  so 
hindert  nichts  den  Erklärungsversuch,  dass  hier  Originale  und 
Cartular  vielleicht  mehr  als  in  den  beiden  anderen  Gruppen 
sich  decken.  Die  Prüfung  des  Formulars  der  Vienner  Briefe 
kann  also  ihren  Lauf  nehmen. 

Was  die  Aufschriften  der  Epistolae  Viennenses  anlangt, 
soweit  sie  in  der  ersten  bis  auf  Gregor  den  Grossen  reichenden 
Periode  entstanden  sein  sollen,  so  sind  sie  sammt  und  sonders 
zu  verwerfen,  weil  sie  bis  auf  einen  Brief  (J.-K,  446)  1)  mit 
dem  Papstnamen  beginnen,  2)  dieser  Name  theils  das  Bischöfen 
gegenüber  unstatthafte  'episcopus',  theils  das  nur  in  einer  be- 


1)  Vgl.  N.  A.  XIV,  325   Anm.  2.  2|    Das    hat   zuerst   v.  Pflugk- 

Harttung-  vermuthet:  Acta  inedita  I,  46. 


54  Wilhelm  Gundlach. 

stimmten  Zeit  übliche  'papa'  (in  J.-K.  177  und  in  dem  mit 
'Cunctas'  anhebenden  Symmaehus-Briefe)  im  Gefolge  hat,  3)  der 
namentlich  aufgeführte  Empfänger,  der  Bischof  von  Vienne, 
statt  allein  durch  das  gebräuchliche  'frater',  welches  nur  in 
J.-K.  45.  46.  76.  116.  446  erscheint,  noch  durch  'episcopus'  in 
J.-K.  46.  75.  76,  in  116.  335  gar  durch  'archiepiscopus'  seinem 
Stande  nach  und  4)  in  J.-K.  75.  116.  335  durch  das  Adjectivum 
'Viennensis'  auch  seinem  Wohnort  nach  bestimmt  ist,  weil 
endlich  5)  das  'salutem",  welches  die  Aufschrift  in  J.-K.  45. 
75.  76.  116.  335  beschliesst,  in  echten  Briefen  dieser  Zeit  nicht 
nachweisbar  ist.  Diejenige  Aufschrift,  welche  der  kanzlei- 
mässigen  Form  noch  am  nächsten  kommt,  in  J.-K.  446: 
'Dilectis  fratribus,  per  Gallias  et  Viennensem  provinciara  epi- 
scopis  constitutis,  Leo  episcopus'  trägt  vor  allem  darin  das 
Gepräge  der  Fälschung  zur  Schau,  dass  hier  die  'Provincia 
Viennensis'  von  den  'Galliae'  unterschieden  wird,  eine  Unter- 
scheidung, welche  offenbar  der  Gegenüberstellung  der  'Galliae' 
und  der  'Septem  Provinciae'  in  einem  Stücke  der  Epistolae 
Arelatenses '  nachgebildet  worden  ist. 

Die  drei  Briefe  des  Agatho  (J.-K.  2113),  Johann  (2146) 
und  Constantin  (2151),  welche  der  mit  Bonifatius  V.  anheben- 
den Periode  zuzutheilen  sind,  haben  Merkmale  der  Unechtheit 
darin,  dass  1)  die  Papstnamen  wiederum  vorangestellt  und 
durch  den  Zusatz  'episcopus'  in  einen  ungehörigen  Gegensatz 
zu  den  gleichfalls  bischöflichen  Empfängern  gebracht  sind, 
2)  dass  in  jedem  Briefe  der  Empfänger  mit  Umgehung  jedes 
anderen  Titels-  durch  die  Worte  'Viennensis  archiepiscopus', 
von  welchen  das  eine  so  unangemessen  wie  das  andere  ist, 
bezeichnet  w^ird. 

Die  falsche  Stellung  des  Papstnamens  am  Eingang  der 
Aufschrift  und  die  nicht  minder  falsche  Bestimmung  des 
römischen  Bischofs  als  'episcopus'  anderen  Bischöfen  gegenüber 
ist  auch  in  den  Briefen  der  nächstfolgenden  Periode  festge- 
halten und  der  Papsttitel  —  was  ganz  in  der  Ordnung  ist  — 
nur  durch  die  Demuthformel  'servus  servorum  Dei'  erweitert. 
Der  Titel  des  Bischofs  von  Vienne  macht,  abgesehen  von  der 
Stellung  innerhalb  der  Aufschrift  und  der  Anordnung  der 
einzelnen  Bestandtheile,  dadurch  sich  verdächtig,  dass  mit 
einer  Ausnahme  (J.-E.  2549)  entweder  gar  nicht  'reverentissimo 
et  sanctissimo'  oder  nur  'reverendissimo'  (d!)  in  J.-E.  2158  und 

1)  Der  Zosimus- Brief  J.-K.  331  gilt  den  'episcopis  .  .  .  per  Gallias 
et  Septem  Provincias  constitutis'.  Ausser  dieser  Stellung  kann  aber  auch 
der  äussere  Rahmen  der  Aufschrift  in  dem  Vienner  Brief  einem  andern 
Stück  der  Epistolae  Arelatenses  entlehnt  sein;  denn  in  J.-K.  434  und  450 
heisst  es  gleichmässig:  'Dilectissimis  fratribus  .  .  .  Leo  (episcopus)'. 
"Weiteres    darüber    im    folgenden  Abschnitt.  2)  Nur  in  J.-E.  2113  ist 

der  Erzbischof  von  Vienne  als  'sanctus'  angeredet. 


Arles  und  Vienne.  55 

2563  oder  'sancto'  in  J.-E.  2412  zu  finden  ist,  dass  der  Metro- 
politanbischof  von  Vienne  niemals  als  'confrater',  sondern, 
wenn  eine  derartige  Bezeichnung  nicht  gänzlich  fehlt  wie  in 
J.-E.  2258  und  2533,  stets  nur  als  'frater'  und  ebenso  überflüssig 
wie  ständig  als  'Viennensis  oder  sanctae  Viennensis  eccle- 
siae  archiepiscopus'  angeredet  wird.  Nur  eine  einzige  Auf- 
schrift giebt  es,  welche  die  kanzleimässige  Folge  des  Empfänger- 
und Absendernamens  und  eine  regelrechte  Gestaltung  des  Papst- 
titels aufweist,  die  Aufschrift  des  an  König  Karl  gerichteten 
Paulus-Briefes  J.-E.  2367 :  'Domno  piissimo  et  serenissimo  ac 
triumphatori  filio  Karolo  regi  Paulus  episcopus  servus  servo- 
rum  Dei'  —  nur  schade,  dass  der  Fälscher,  statt  den  richtigen 
Königstitel  zu  wählen»,  den  nur  Kaisern  zukommenden  Titel ^ 
für  den  König  Karl  zurecht  gemacht  hat. 

Erst  mit  der  bei  den  Nicolaus- Briefen  beginnenden  Schluss- 
gruppe der  Vienner  Schriftstücke  kommt  die  in  der  ganzen  Reihe 
wahrnehmbare  Gepflogenheit,  den  Papstnamen  voranzustellen 
und  ihm  'episcopus'  beizugeben,  ferner  hier  'servus  servorum 
Dei'  hinzuzusetzen  und  den  Erzbischof  von  Vienne  als  'Vien- 
nensis oder  (sanctae)  Viennensis  ecclesiae  archiepiscopus'  zu 
bestimmen  und  ähnlich  auch  bei  einfachen  Bischöfen  (in  J.-L. 
5350)  zu  verfahren,  mit  dem  Brauche  der  päpstlichen  Kanzlei 
überein;  in  dieser  Periode  geben  sich  überdies  auch  einige 
Stücke  (J.-L.  3544.  4285.  5024.  6596.  6822)  durch  den  Zusatz 
'in  perpetuura'  schon  in  der  Aufschrift  als  Privilegien  zu  er- 
kennen. Wenn  demgemäss  hier  kein  Anlass  vorliegt,  schon 
auf  Grund  der  Aufschriften  die  Stücke  zu  verwerfen,  so  be- 
weist das  gar  nicht,  dass  von  Nicolaus  an  die  Reihe  der 
Epistolae  Viennenses  echt  ist;  es  kann  lediglich  den  Schluss 
nahe  legen,  dass  diese  Briefe  nach  echten  Vorlagen  und  viel- 
leicht, weil  auch  die  Papstbriefe  früherer  Zeit  in  der  Aufschrift 
ähnlich  gestaltet  sind,  zu  einer  Zeit  gefertigt  wvirden,  als  die 
mit  der  Mitte  des  neunten  Jahrhunderts  beginnende  Periode 
päpstlicher  Kanzleigebräuche  schon  soweit  vorgerückt  war, 
das  Originale  aus  früheren  Perioden  nicht  mehr  in  Vienne  vor- 
handen   und   kaum    noch   von  andersher  zu  beschafi"en  waren. 

Mit  derselben  Bestimmtheit  wie  die  Aufschriften,  erlauben 
auch  die  Unterschriften,  die  Vienner  Briefe  jedenfalls  bis  auf 
Nicolaus  I.  als  unecht  abzuweisen;  denn  statt  des  üblichen 
'Deus  te  incolumem  custodiat,  frater  carissime'  heisst  es  in 
den  ältesten  Schreiben  'Vale(te)'  (in  J.-K.  75.  76.  177  und  in 


1)  'Domino  excellentissimo  filio  et  nostro  spiritali  compatri  Pippino 
regi  Francorum  et  patricio  Romanorum';  vgl.  oben  S.  28.  Auch  an  Pippin, 
nicht  an  Karl  den  Grossen  hätte  der  Papst  sich  wenden  sollen!  2)  'Domino 
piissimo  et  serenissimo,  victori  ac  triumphatori,  filio  amatori  Dei  et  domini 
nostri  lesu   Christi,  Karolo   augusto';  vgl.   oben   S.   30. 


56  Wilhelm  Gundlach. 

dem  Symmachus-Briefe:  'Cunctas')  oder 'Gratia  Christi  habitet 
in  corde  tuo.  Amen'  (in  J.-K.  45)  oder  *Vale,  frater,  in  Domino 
et  saluta  oranes,  qui  nos  amant  in  Christo'  (in  J.-K.  116),  oder 
endlich  es  fehlt  in  J.-K.  46.  335.  446  die  Unterschrift  gänzlich. 

Die  mit  Bonifatius  V.  anbrechende  neue  Periode,  welche 
nur  'dilectissime  frater'  an  Stelle  des  'frater  carissime'  in  Auf- 
nahme bringt,  müsste  mit  ihrer  Uebung  in  den  Schreiben  der 
Päpste  Agatho,  Johann  und  Constantin  zu  verspüren  sein:  statt 
dessen  hat  der  Agatho-Brief  überhaupt  keine  Unterschrift,  und 
in  den  beiden  andern  liest  man  den  frei  geformten  Schluss- 
Avunsch:  'ßenedictio  apostolorum  vos  ab  imbre  malignorura 
custodiat'  bez.  'Jesus  Christus  te,  frater,  santificando  custodiat'. 

Die  bisher  gesetzmässige  Form  wird  berührt  in  dem  an 
Proculus  von  Vienne  gerichteten  Briefe  Stephans,  welcher 
wünscht:  'Dens  te  incolumem  custodiat';  aber  die  Unterdrückung 
des  Schluss-\'ocativus  macht  auch  diesen  Wunsch  verdächtiür; 
denn  der  zweite  Stephan  dürfte  nicht  anders  als  seine  unmittel- 
baren Vorgänger,  Zacharias  und  Gregor,  seine  Unterschrift  für 
Metropolitanbischöfe  abgegeben  haben:  'Deus  te  incoluinem 
custodiat,  revereiitissime  —  oder  'rcverentissime  et  sanctis- 
sime'  —  frater.  In  den  andern  an  die  Bischöfe  von  Vienne 
erlassenen  Schreiben  (J.-E.  2158.  225S.  2412.  2533)  trifft  man 
keine  Unterschrift.  Wenn  nun  ihr  Fehlen  in  Brief-Originalen 
auffällig  ist,  so  ist  es  in  den  Privilegien  begründet;  darum 
kann  das  Stück  J.-E.  2549,  welches  durch  seine  Datierung  als 
Privileg  sich  ausweist,  kein  Befremden  hervorrufen;  um  so 
argwöhnischer  dürfte  man  aber  werden  dem  Stück  J.-E.  2563 
gegenüber,  welches  den  Schlusswunsch  hat:  'Dens  omnipotens 
vestrum  semper  et  ecclesiae  vestrae  ab  hostibus  honorem 
custodiat',  da  er,  selbst  als  Bestandtheil  des  Contextes,  nicht 
als  eigenhändige  Unterschrift  des  Papstes  betrachtet,  zur  Zeit 
Eugens  IL,  seines  vorgeblichen  Urhebers,  dem  Herkommen 
widerspricht.  Der  au  König  Karl  ergehende  Paulus -Brief, 
dessen  Aufschrift,  wie  oben  dargelegt,  nach  der  dem  Kaiser 
geziemenden  Formel  hergerichtet  ist,  hat  auch  seine  Unter- 
schrift der  nämlichen  Vorlage  entnommen;  denn  'Dextera  di- 
vinae  clementiae  suo  vos  semper  umbraculo  protegat  et  om- 
nium  cervices  vestris  conterat  sub  pedibus  atque  conculcet'  hat 
nichts  mit  der  für  den  König  üblichen  Kanzleiform  gemein: 
'Incolumem  excellentiam  vestram  gratia  superna  custodiat', 
sondern  ist  augenscheinlich  —  mit  freier  Ausführung  min- 
destens der  zweiten  Hälfte  —  einem  dem  Kaiser  Karl  gelten- 
den Wunsche  nachgeahmt:  'Piissimum  domini  Imperium  gratia 
superna  custodiat  eique  omnium  gentium  coUa  substernat'. 

Für  die  letzte  oben  besprochene  Periode  der  Schluss- 
wüusche  bietet  sich  kein  Beispiel  in  den  Epistolae  Viennenses, 


Arles  und  Vienne.  57 

da  in  J.-L.  2693.  2877  jegliche  Unterschrift  mangelt J.  Wo 
dann  weiter  noch  ein  Schlusswunseh  ersichtlich  ist  in  J.-L. 
5350:  'Obtemperantes  vos  iussionibus  nostris  omnipotens 
Dominus  benedicat'^  und  in  5421:  'Omnipotens  Dominus 
poteutiae  suae  dextera  interius  vos  exteriusque  custodiat',  soll 
er  wohl  als  Bestandtheil  des  Contextes  angesehen  werden: 
er  kann  deshalb  keinerlei  Anfechtung  erleiden;  ja  selbst  in 
dem  Privileg  J.-L.  6596  dürfte  der  Schlusswunsch:  'Fraterni- 
tatem  tuam  supernae  miserationis  dignatio  per  tempora  longa 
conservet  incoluraen',  welcher  in  ähnlichen  Schriftstücken  der- 
selben Zeit  (J.-L.  5569  und  6088)  zu  belegen  ist,  nicht  als 
Fälschungsgrund  auszugeben  sein. 

Unter  einem  unglücklichen  Zeichen  steht  die  Endformel 
des  Eschatocolls,  die  Datierung ;  denn  gleich  das  früheste  Bei- 
spiel, welches  unter  den  Epistolae  Viennenses  begegnet,  in  dem 
Briefe  des  Zosimus  J.-K.  335:  'Data  sub  die  Kalend.  Octobris, 
Honorio  XL  et  Constantio  consulibus'  ist  wegen  der  Genitiv- 
form des  als  Substantivum  gebrauchten  Monatsnamens  zu  be- 
anstanden und  als  verkürzt  daran  zu  erkennen,  dass  hinter 
den  Kaisernaraen  der  Titel  'augustis'  und  hinter  'Constantio' 
die  Zahl  IL  ausgefallen  ist:  diese  in  einem  Original  be- 
fremdliche Zusammenziehung  findet  nun  aber  eine  über- 
raschende Erklärung  darin,  dass  die  Datierung  bis  auf  das  i 
in  'Octobris'  buchstäblich  einem,  wie  oben  nachgewiesen  ist, 
in  einer  Registerabschrift  unter  die  Epistolae  Arelatenses  ein- 
gereihten Zosimus -Briefe  (J.-K.  331)  entnommen  ist,  dem- 
selben, bei  welchem  die  Epistolae  Viennenses  schon  für  die 
Aufschrift  ihres  Leo-Briefes  (J.-K.  44-6)  ^  eine  Anleihe  gemacht 
haben.  Um  den  Diebstahl  zweifellos  zu  machen,  ist  auch  dieses 
nächste  Stück  der  Vienner  Reihe,  das,  wie  oben  angegeben 
ist,  schon  Anfangs-  und  Endworte  der  Aufschrift  vielleicht  aus 
dem  Leo-Briefe  der  Arier  Sammlung  (J.-K.  450)  geborgt  hat, 
darauf  auch  noch  mit  seiner  Datierung  zurückzuführen;  denn 
wenn  man  bei  der  Datierungszeile  des  Vienner  Briefes:  'Data 
III.  Llus  lanuarii,  Valentiniano  augusto  IUI.  et  Anieno  (!)  con- 
sulibus' nur  eine  geringfügige  Aenderung  ('Idus  lanuarii')  zu- 
lässt.  dann  ist  als  passende  Vorlage  zu  erachten  die  Datierung 
des  bezeichneten  Arier  Briefes :  'Data  III.  Nonas  Maias, 
Valentiniano  augusto  VII.  et  Avieno  consulibus',  da  das  in 
einem  Original  erforderliche  'viro  clarissimo'  nach  'Avieno'  zum 
Ueberfluss  auch  noch  in  der  Toulouser  Handschrift  ausgefallen 
ist.     Damit   sind    die   vor  Gregor  dem  Grossen    angeblich    er- 


1)    In    dem    Privileg:  J.-L.  6822    ist    die  Unterschrift:    'Egro    Calixtus 
catholicae  ecclesiae   episcopus'  nicht  zu  beanstanden.  2)  Ein  ähnlicher 

an    den    Gehorsam    des    Angeredeten    geknüpfter  Schlusswunsch    ist    oben 
S.  48  von  Hadrian  II.  angeführt  worden.         3)  "Vgl.  oben  S.  54  Anm.  1. 


58  Wilhelm  Gundlach. 

lassenen  Papstbriefe  der  Vienner  Reihe,  soweit  ihre  Datierung 
in  Betracht  kommt,  sämmtlich  abgethan;  denn  mehr  als  diese 
beiden  Datierungen  sind  in  ihnen  nicht  vorhanden. 

Misslungen  ist  auch  die  Datierung,  welche  in  dem  Agatho- 
Briefe  J.-E.  2113  erscheint:  'Data  pridie  Kalendas  Martii,  piis- 
simo  Constantino  augusto';  denn  abgesehen  von  dem  stets  in  den 
Vienner  Briefen  als  Substantivum  gebrauchten  Monatsnamen, 
ist  die  Jahresbezeichnung  viel  zu  kurz  gerathen,  als  dass  damit 
ein  einzelnes  Jahr  bestimmt  werden  könnte. 

Von  den  Briefdatierungen  der  nächsten  Periode  '  sind  die 
in  J.-E,  2158:  'Data  pridie  Kalendas  Septembris,  imperante 
piissimo  Leone  augusto  anno  tertio  regni''  eins'  und  in  J.-E. 
2258:  'Data  Nonis  Älartii,  Constantino  augusto,  anno  imperii 
eins  primo'  zwar  verständlich,  aber,  wie  eine  Vergleichung  mit 
den  echten  Datierungsformen  der  Gregor-  und  Zacharias-Briefe 
lehrt,  so  abweichend  gebildet,  dass  an  ihrer  freien  Erfindung 
kein  Zweifel  sein  kann.  Weiter  ist  die  Datumzeile  des 
Stephan-Briefes  J.-E.  2385:  'Data  per  manum  Georgii  notarii 
et  scriniarii  sanctae  sedis  apostolicae  VIII.  Kalendas  lulii' 
schon  darum  zurückzuweisen,  weil  es  in  dieser  Zeit  nicht  Sitte 
ist,  dass  ein  päpstlicher  Kanzleibeamter  in  einer  Briefdatierung 
sich  nennt.  Vollends  ungereimt  sind  die  Zeilen  in  J.-E,  2412 
und  2533;  denn  in  dem  ersten  Schreiben  vereinigt  die  Datie- 
rung: 'Data  Kalendis  lanuarii,  imperante  piissimo  augusto 
Constantino  anno  X.  et  a  Deo  coronato  rege  piissimo  Karolo, 
anno  primo  patriciatus  eins'  das  Regierungsjahr  des  Byzan- 
tinischen Kaisers  mit  dem  Patriciatjahr  nicht  des  Patricius, 
sondern  des  Königs  Karl,  welcher  noch  obenein  die  kaiser- 
lichen Titel  'a  Deo  coronato'  und  'piissimo'  erhalt;  in  dem 
andern  Briefe  ist  an  der  Datierung:  'Data  XV.  mensis  lulii, 
imperante  piissimo  augusto  Karolo  Magno  imperatore  a  Deo 
coronato'  ausser  der  kanzleiwidrigen  Kürze  die  schlichte  Tages- 
zählung nach  unserer  heutigen  Art  und  der  Mangel  einer 
Jahresangabe  auszusetzen. 

In  der  letzten  Periode,  in  den  Briefen  und  Privilegien  der 
Päpste  Sergius  III.,  Leo  IX.,  Gregor  VII.,  Paschal  II.  und 
Calixt  II,  3  sind  die  Datierungen  zwar  sehr  unregelmässig  ge- 
formt, aber,  abgesehen  von  verdächtigen  Einzelheiten,  doch 
nicht  so  unbesonnen  gefügt,  dass  sie  nicht  im  allgemeinen  mit 
anderen  Datierungen  der  Zeit  belegt  werden  könnten. 

Das  Ergebnis  der  auf  die  Formeln  der  Epistolae  Vien- 
nenses  gewandten  Betrachtung  ist  also,   dass  alle  Stücke  bis 


1)  In  J.-E.  2367  ist  keine  Datierung:  vorhanden,  in  den  Urkunden  J.-E. 
2549  und  2563,  auf  welche  ich  mich  hier  nicht  einlassen  will,  dieselbe 
in  eine  Scriptum-  und  Datum-Zeile  zerlegrt.  2)  Bei  du  Boys  liest  man 

'imperii  regni'.         3)  Die  Nicolaus-  und  Urban- Briefe  führen  kein  Datum. 


Arles  und  Vienne.  59 

herab  auf  die  angeblich  von  Nicolaus  herrührenden  Briefe 
wegen  ihrer  dem  Kanzleibrauch  nicht  entsprechenden  Auf- 
schrift, Unterschrift  und  Datierung  als  Fälschungen  anzusehen 
sind.  Wenn  die  letzten  Briefe  und  Privilegien  kaum  Merk- 
male der  Unechtheit  erkennen  lassen,  so  wird  nun  die  Ge- 
wissheit auch  ihrer  Fälschung  erzielt,  indem  die  Untersuchung 
jetzt  den  Inhalt  der  Vienuer  Briefe  zum  Vorwurf  nimmt  ^. 


3.    Inhalt,  Einheitlichkeit,  Entstehung-szeit  und  Urheber  der 
Epistolae  Viennenses. 

A.    Der  Inhalt  der  Epistolae  Viennenses. 

Obgleich  uns  von  den  gallischen  Synoden  auch  mit  Unter- 
schriften versehene  Acten,  welche  sich  zu  einer  nicht  allzu 
arg  gestörten  Folge  aneinander  reihen  lassen,  nur  aus  dem 
fünften,  sechsten  und  siebenten  Jahrhundert  zu  Gebote  stehen, 
obgleich  sie  darum  für  den  Inhalt  der  Epistolae  Viennenses, 
welche  das  volle  Jahrtausend  vom  zweiten  bis  zum  zwölften 
Jahrhundert  umfassen,  keinen  zureichenden  Prüfstein  abgeben, 
haben  sie  sich  doch  bei  der  Erprobung  der  Epistolae  Arela- 
tenses  in  einer  Weise  bewährt,  dass  sie  hier  jedenfalls  nicht 
mit  Stillschweigen  übergangen  werden  dürfen. 

Wenn  Zosimus  mit  Beziehung  auf  die  Entscheidung  der 
Turiner  Synode  die  Metropolitangewalt  des  Vienner  Bisthums 
auf  die  benachbarten  Städte  beschränkt  haben  soll,  so  wird 
die  Verfügung  an  sich  in  der  That  durch  die  Acten  der  ge- 
nannten Synode  —  ihren  zweiten  Canon ^  —  gedeckt;  dass 
aber  Leo  I.  diese  für  Vienne  nachtheilige  Abfindung  beseitigt 
und  die  frühere  Machtvollkommenheit  des  Vienner  Metropoliten 
wiederhergestellt  habe  —  da  Nicolaus  I.  die  Bestimmung  Leos 
lediglich  zu  erneuern  vorgiebt  und  dem  Bischof  von  Vienne 
die  sieben  Sprengel  Gratianopolis,  Valentia,  Dia,  Alba-Viva- 
rium,  Genava,  Tarantasia  und  Maurienna  bestätigt  *,  so  sollen 
wohl  diese  unter  Leo  I.  das  Vienner  Metropolitangebiet  gebildet 
haben  — ,  wird  durch  die  Frankfurter  Synode  des  Jahres  794 
als  unwahr  erwiesen;  denn  die  versammelten  Väter  kennen 
als  zu  Recht  bestehend  nur  einen  Schiedsspruch  Leos,  welcher 
dem  Bisthum  Vienne  vier  Bischofstädte  (Gratianopolis,  Valentia, 
Genava  und  Tarantasia)  zutheiltc*.     Dabei  lassen  sie  überdies 

1)  Da  ich  mit  Bresslaus  jüngst  veröffentlichtem  'Handbuch  der  Ur- 
kundenlehre' leider  zu  spät  bekannt  wurde,  um  noch  so  ausführlich,  wie 
es  die  Bedeutung-  des  Werkes  erfordert,  darauf  Rücksicht  nehmen  zu 
können,  behalte  ich  mir  vor,    das  im  Nachtrage  nachzuholen.  2)  Vgl. 

N.  A.  XIV,  329,  Anm.  2.  3)  In  dem  Briefe  J.-E.  2877.  4)  Vgl. 

N.  A,  XIV,  330. 


60  Wilhelm  Gundlach. 

den  Anspruch  auf  Tarantasia,  welches  selber  den  Rang  einer 
Metropole  anstrebte,  zu  ihrer  Zeit  zweifelhaft  sein,  indem  sie 
dem  Papste  die  Regelung  der  Angelegenheit  anheim  gebend 
Da  nun  alle  weiteren  Stücke  der  Vienner  Reihe,  welche  den 
Metropolitanbereich  bestimmen^,  auf  den  unwahren  Leo -Brief 
oder  den  erläuternden  Kicolaus- Brief  sich  berufen,  so  ist  die 
in  ihnen  enthaltene  Bestätigung  mindestens  in  ihrer  Begrün- 
dung anfechtbar. 

Indem  die  Vienner  Briefe,  welche  den  Primat  betreffen, 
nur  die  sieben  Provinzen  des  südlichen  Galliens  als  zustän- 
diges Gebiet  bezeichnen',  könnten  sie  den  Glauben  erwecken, 
als  sei  es  gar  nicht  auf  die  Ausschliessung  des  Arier  Rechtes 
abgesehen,  als  solle  der  Vienner  Primat  gewissermassen  als 
ein  Unterprimat  neben  dem  Arier  bestehen.  Aber  diese  Mei- 
nung ist  darum  nicht  haltbar,  weil  in  den  Vienner  Briefen  die 
durch  Leo  L  erfolgte  Theilung  der  alten  Viennensis  in  die 
neuen  Provinzen  Vienne  und  Arles  unbekannt,  unter  der  Pro- 
vincia  Viennensis  stets  die  alte  Arles  mitbegreifende  Provinz 
verstanden  ist*.  Danach  müssten  mindestens  in  denjenigen 
Fällen,  in  welchen  nur  Biscliöfe  der  Septem  Provinciac  ver- 
sammelt waren  und  der  Bischof  von  Vienne  der  Versammlung 
mit  anwolnite,  die  Acten  ersehen  lassen,  dass  er  als  Primas  den 
Vorsitz  geführt  und  darum  an  erster  Stelle  seine  Unterschrift 
erthoilt  hat.  Wie  steht  es  nun  damit?  Im  ganzen  kommt  in 
siebzehn  SynodalprotocoUen  der  Name  eines  Bischofs  von 
Vienne  zum  Vorschein;  aber  fünfzehnmal  *  an  zweiter  oder 
einer  tieferen  Stelle  und  —  bei  klarer  Ueberlieferung  —  nur 
zweimal,  auf  den  Synoden  von  Epaon  (517)8  und  Lyon  (II, 
5ß7)",  im  Eingang  der  Unterfertigung.  Da  aber  auf  beiden  Zu- 
sammenkünften ausser  Bischöfen  der  alten  Viennensis  auch  In- 
sassen der  Kirchenprovinzen  Lyon,  Sens  und  Trier  vertreten 
sind,  über  welche  Vienne  niemals  ausdrücklich  eine  Primatial- 


1)  Vgl.  N.  A.  XIV,  330.  2)  Es   sind   die  Urkunden  Gregors  VII. 

J.-L.  5024,  Paschais  II.  J.-L.  6596  und  Calixts  II.  J.-L.  6822,  3)  Der 

Widerspruch  in  den  Bestimmungen  des  Silvester -Briefes  J.-K.  177,  in 
welchem  am  frühesten  von  dem  Primat  des  Bischofs  von  Vienne  über  die 
Sieben  Provinzen  die  Rede  ist,  zugleich  aber  auch  jedem  gallischen  Geist- 
lichen aufgegeben  wird,  in  Vienne  sich  die  für  eine  grössere  Reise  nöthige 
Epistola  formata  zu  beschaffen,  wird  im  nächsten  Abschnitt  besprochen 
werden.  4)  Wenn  daran  noch  ein  Zweifel  sein  konnte,    müsste  er  be- 

nommen werden  durch  die  mit  den  Vienner  Briefen  zusammen  überlieferte 
Urkunde  Karls  des  Kahlen,  in  welcher  der  'Viennensis  metropolitanus  cum 
subiecto  sibi  Arelatensi  praesule'  erscheint;  vgl.  N.  A.  XIV,  254  Anm.  2. 
b)  Auf  den  Svnoden  zu  Orange  (441),  Vaison  (442),  Lyon  (I,  517), 
Orleans  (II,  533),  Orleans  (III,  538),  Orleans  (V,  549),  Paris  (II,  553), 
Paris  (IV,  573),  Mäcon  (I,  581),  Lyon  (IN.  583),  Valence  (II,  584), 
Mäcon  (II,  585),  Paris  (V,  614),  Clichy  (626)  und  Chälons  (650). 
6)  Mansi  VIII,   564.  7)  Mansi  IX,   788. 


Arles  und  Vienne.  61 

gerechtigkeit  in  Anspruch  genommen  hat,  so  können  die  beiden 
Bischöfe  von  Vienne:  Avitus  und  Philippus,  auch  nicht  kraft 
ihres  vorgeblichen  Primates  den  Vorsitz  führen;  auch  darauf 
ist  es  nicht  zurückzuführen,  dass  etwa  die  beiden  Bischöfe  von 
den  Urhebern  der  Synoden,  den  Burgund  beherrschenden 
Königen  Sigismund  und  Guntram,  mit  der  Leitung  der  Ver- 
handlungen beauftragt  worden  seien;  denn  auf  der  ersten 
Synode  zu  Lyon,  welche  in  dasselbe  Jahr  517  wie  die  zu 
Epaon  fallt  und  meist  von  Theilnehmern  dieser  Synode  be- 
sucht war,  also  wohl  auch  auf  den  Antrieb  Sigismnnds  zu- 
sammentrat, unterzeichnete  Viventiolus  von  Lyon  zuerst  das 
Protocolli;  ebenso  haben  die  Synoden  von  Paris  (IV,  573)  ^^ 
Mäcon  (I,  581)3,  Valence  (II,  584)  *  und  Mäcon  (II,  585)  s,  welche 
auch  von  Guntram  veranlasst  sind,  andere  Leiter  als  den 
Bischof  von  Vienne,  sodass  die  erste  Stelle,  welche  Avitus 
und  Philippus  zu  Epaon  ^  und  Lyon  (II)  einnahmen,  allein 
durch  den  Umstand  zu  erklären  ist,  dass  sie  zufällig  unter 
den  anwesenden  Metropohten  dem  Ordinationsalter  nach  die 
ältesten  waren.  Somit  ergeben  die  Acten  gallischer  Synoden 
auch  nicht  den  geringsten  Anhalt  dafür,  dass  zu  ihrer  Zeit  die 
Bischöfe  von  Vienne  sich  eines  Vorrangs  vor  anderen  Metro- 
politen erfreut  hätten. 

Diesen  Ausfall  scheint  man  in  Vienne  sehr  wohl  empfunden 
zu  haben ;  denn  man  ist  augenscheinlich  bemüht  gewesen,  in 
Fälschungen  der  Synodalacten  einigen  Ersatz  zu  schaffen. 

Von  einem  angeblichen  ^Concilium  Arvernense  IL  sind 
uns  nämlich  Acten  erhalten^,  welche  als  erfunden  bezeichnet 
werden  müssen;  denn  erstens  ist  die  Vorrede  bis  auf  geringe 
Abweichungen  lediglich  eine  Wiederholung  des  Vorwortes  der 
fünften  Synode  von  Orleans,  welchem  in  einigen  Handschriften  s, 
vielleicht  um  die  Wiederholung  nicht  gleich  zu  verrathen,  vor- 
angeschickt ist:  'Ubi  beatus  Petrus  divinitus  inspiratus  et  confes- 
sione  sua  omnibus  credentibus  profuturus:  'Tu  es',  inquit,  'Chri- 
stus filius  Dei  vivi',  nee  inmerito  beatus  pronunciatur  a  Domino 
et  a  principali'  —  die  Wiederholung  ist  so  unbesonnen  durch- 
geführt, dass  trotz  der  Ueberschrift :  'Concilium  Arvernense' 
die  Ortsbestimmung:  'in  Aurelianensi  urbe'  und,  abgesehen 
von   dem   Codex  Urgel.,    der    den   König  Theodebert  nennt, 

1)  Mansi  Vin,  567.  2)  Mansi  IX,  869;  vgl.  N.  A.  XIV,  336.  337. 

3)  Mansi  IX,  936.  4)  Mansi  IX,  945.  5)  Mansi  IX,  957.  6)  Zum 
Ueberfluss  ist  unter  den  Acten  dieser  Synode  das  Einberufungsschreiben 
sowohl  des  Avitus  wie  des  andern  anwesenden  Metropolitanbischofs,  des 
Viventiolus  von  Lyon,  an  die  ihnen  unterstellten  Bischöfe  erhalten,  wo- 
durch erhärtet  vnrd,  dass  beide  Metropoliten  im  Range  nebeneinander 
standen.  7)  Mansi  IX,  141.  8)  Vgl.  Maassen,  Quellen  I,  210  Anm.  3. 
9)  Vgl.  Maassen  a.  a.  0.  Anm.  2;  Maassen  macht  mit  Eecht  darauf  auf- 
merksam, dass  Theodebert  schon  ein  Jahr  vor  der  in  Rede  stehenden 
Synode  von  Orleans  gestorben  war. 


62  Wilhelm  Gundlach. 

auch  der  Name  des  Königs  Childebert,  des  Urhebers  der 
Synode  von  Orleans,  mit  hinübergenommen  ist;  zweitens  geben 
die  Canones  des  Coneilium  Arvemense  einfach  die  der  fünften 
Synode  zu  Orleans  wieder;  endlich  sind  die  Unterschriften  auf 
gut  Glück  aus  der  Liste  der  in  Orleans  anwesenden  Bischöfe 
herausgegriffen,  aber  in  ihrer  Reihenfolge  ist  nun  darin  ein 
wesentlicher  Unterschied  erzielt,  das  Hesychius  von  Vienne 
an  erster  Stelle  unterzeichnet.  Dieser  Umstand,  die  Einsicht: 
Cui  bono,  giebt  schon  die  einzig  richtige  Auffassung  an  die 
Hand:  der  ungeschickte  Abklatsch  der  fünften  Synode  von 
Orleans,  welcher  als  ein  eigenes  Coneilium  Arvernense  II  aus- 
gegeben wird,  ist  eine  Fälschung,  welche  ihren  Ursprung  in 
Vienne  nicht  verleugnen  kann  > ;  dass  man  gerade  die  fünfte 
Synode  von  Orleans  als  Vorlage  wählte,  geschah  Avohl  darum, 
weil  diese  Synode  diejenige  des  sechsten  Jahrhunderts  ist, 
welche  die  weitaus  meisten  Theilnehmer  aufweist  und  so  die 
Fälschung  am  meisten  verlohnte*;  es  ist  im  übrigen  ein 
Seitenstück  zu  der  Fälschung  des  ausgiebigsten  Papstbriefes 
der  Arier  Sammlung,  wovon  im  nächsten  Abschnitt  gehandelt 
werden  soll. 

Die  zweite  Fälschung  betrifft  die  Acten  einer  gleichfalls 
zahlreich  besuchten  Synode,  der  vierten  Pariser,  welche  im 
Jahre  573  abgehalten  worden  ist.  Da  Sapaudus  von  Arles 
den  Ikief  an  König  Sigebert  als  erster  unterzeichnet,  in  dem 
Schreiben  aber,  welches  dieselbe  Versammlung  an  Aegidius 
von  Reims  richtete,  von  dem  Namen  des  Philip])us  von  Vienne 
an  die  zweite  Stelle  gedrängt  wird,  so  dürfte  auch  hier,  wie 
icli  oben  genauer  ausgeführt  habe,  nur  die  Annahme  zulässig 
sein,  dass  man  von  Vienner  Seite  zum  Ruhme  des  Bisthums 
die  betrügliche  Verschiebung  der  beiden  Namen  vorgenommen 
hat;  um  zu  erklären,  dass  nur  ein  Schriftstück  der  Synode 
geändert  worden  ist,  braucht  man  nicht  die  blosse  blöde  Un- 


1)  V.  Hefele  (Conciliengesch.  III*,  5)  hält  die  Synodalacten  für  echt; 
€r  hilft  sich  durch  die  Annahme,  'dass  König'  Theodebald  von  Austra- 
sien,  zu  dessen  Antheil  die  Gegend  von  Clermont  gehörte,  den  Wunsch 
ausgesprochen  habe,  es  möchten  die  Bischöfe  auch  in  seinem  Reiche 
eine  Kirchenversammlung  abhalten'  —  er  bekennt  sich  damit  zu  der 
Auffassung  Sirmonds,  welche  Mansi  in  seinem  Concilienwerke  (IX,  144) 
wieder  abgedruckt  hat.  Aber  auch  Maassen  dürfte  die  Angelegenheit 
des  Coneilium  Arvernense,  welche  in  dem  Gegensatz  der  Bisthümer 
Vienne  und  Arles  erst  die  rechte  Beleuchtung  empfängt,  zu  milde  be- 
urtheilen,  wenn  er  einzig  auf  Grund  der  handschriftlichen  Ueberlieferung 
(Quellen  I,  210)  sagt:  'Es  scheint  mir  daher  nicht  zweifelhaft,  dass  der 
Titel  eines  Coneilium  Arvernense  auf  einem  in  spanischen  Sammlungen 
entstandenen  Versehen  beruht'.  2)  Auch  Lyon  tritt  hier  in  den  Wett- 
streit ein;  denn  es  ist  früher  (N.  A.  XIV,  336  Anm.  2)  dargelegt  worden, 
dass  eine  Anzahl  Handschriften  den  Bischof  Sacerdos  von  Lyon  als  Vor- 
sitzenden angeben. 


Arles  und  Vienne.  63 

aufmerksamkeit  des  Fälschers  anzunehmen,  man  kann  auch 
geltend  machen,  dass  der  Regel  nach  die  Theilnehmer  einer 
Synode  nur  einmal  ihre  Unterschriften  abzugeben  pflegten, 
dass  also  der  Fälscher  auf  Grund  des  Herkommens  glauben 
durfte,  mit  der  in  dem  einen  —  voranstehenden  —  Schrift- 
stück vollzogenen  Wandelung  die  Unterschriften  der  Synode 
überhaupt  geändert  zu  haben  K 


1)  In  diesen  Zusammenhang  fügt  sich  auch  ein  Bericht  'zweifelhafter 
Echtheit'  (v.  Hefele,  Conciliengesch.  III^,  35)  ein,  welcher,  im  Nachlass 
Jacques  Sirmonds  aufgefunden,  von  Labbe  zuerst  veröffentlicht  worden 
ist  (Mansi  IX,  921).  Es  wird  darin  erzählt:  Zur  Zeit  König  Guntrams 
erfuhr  eine  in  der  Gegend  von  Maurienna  ansässige  fromme  Frau  Namens 
Tigris  von  Mönchen,  welche  auf  der  Durchreise  von  Jerusalem  nach 
Schottland  bei  ihr  einkehrten,  dass  Reliquien  Johannes'  des  Täufers  erst 
in  Samaria  geborgen  gewesen,  dann  nach  Alexandria  und  das  Haupt  nach 
Phönicien  gelangt  seien.  Sie  ruhte  nun  nicht  eher,  als  bis  sie  im  Besitze 
der  kostbaren  Funde  war,  und  beschloss,  ihnen  zu  Ehren  eine  Kirche  in 
Maurienna  zu  errichten  ('Accidit  bonorum  virorum  monachorum  reli- 
giosa  facultas  ex  Hierosolymae  partibus  Scotiam  pergere  .  .  .,  a  quibus 
illa  audivit  venerabilis  Tygris  de  beato  lohanne  Baptista  .  .  .  quod 
membra  illius  fuissent  humata  in  civitate  Samaria  .  .  .  ac  tempore  prae- 
cedente  Alexandriam  missa  caputque  eins  Phoenice  perlatum').  König 
Guntram  aber,  welcher  von  der  Wunderkraft  der  Reliquien  vernommen, 
kam  ihr  zuvor:  er  Hess  eine  Kirche  erbauen,  ihr  einen  Bischof  weihen 
und  unterstellte  das  neue  Bisthum  der  Metropolitangewalt  des  Bischofs 
von  Vienne:  'ad  quam  ecclesiam  Morigennensem',  so  geht  es  weiter, 
*.  .  .  Seusiam  civitatem  .  .  .  cum  omnibus  pagensibus  ipsius  loci 
subiectam  fecit  (sc.  Guntramnus  rex)  et  consensu  etiam  Romani 
pontificis  Viennensi  ecclesiae  iure  perenni  episcopum  civitatis  et 
vici  Maurigennae  subditum  esse  decrevit'.  Der  Bericht  ist  entstanden  auf 
Grund  der  Erzählung  Gregors  von  Tours  (Liber  in  gloria  mart.  c.  13: 
MG.  SS.  rer.  Merov.  p.  497)  und  einer  Nachricht  Ados,  der  in  seiner 
Chronik  (Migne  CXXIII,  103)  erwähnt:  'lohannes  Baptista  caput 
suum  duobus  monachis  orientalibus,  qui  ob  orationem  venerant  Hie- 
rosolymam,  iuxta  Herodis  quondam  habitaculum  revelavit,  quod  dein- 
ceps  Emessam,  Phoeniciae  urbem,  perlatum  .  .  .  est';  da  nun  eine 
Verbindung  mit  den  Vienner  Briefen  ausser  Zweifel  ist  —  in  der  Urkunde 
Sergius'  III.  J. -L.  3544  heisst  es:  'Et  quae  admodum  largiter  Gun- 
tramnus rex  ecclesiam  Maurianensem  per  consensum  apostolicae  sedis 
«um  Omnibus  pagis  suis  subiectam  iure  perenni  sanctae  Viennensi 
fecit  eccclesiae,  ita  una  cum  ecclesia  Segusiana  ...  et  cum 
omnibus  pagis  integram  eam  illi  subiectam  esse  firmamus'  — ,  da 
ferner  die  Fälschung  offenkundig  ist  —  denn  Maurienna  war  nachweislich 
noch  zu  Nicolaus'  I.  Zeit  der  Vienner  Kirche  nicht  unterworfen  (vgl.  auch 
die  Ausführungen  Labbes  bei  Mansi  IX,  922  und  die  Anmerkungen  1  —  3, 
welche  Krusch  zu  der  angezogenen  Stelle  p.  497  gemacht  hat)  — ,  und 
ebenso  der  Zweck,  welcher  mit  dem  Schriftstück  verfolgt  wurde,  schon 
an  seiner  Aufschrift:  'Auctoritas  quod  ex  antiquo  Morinensis  ecclesia 
Viennensi  metropoli  subdita  fuit'  klar  wird,  so  dürfte  die  Vermuthung 
sich  hören  lassen,  dass  es  erst  zusammen  mit  den  Vienner  Briefen  im 
Ausgang  des  elften  Jahrhunderts  hergestellt  worden  ist. 


64  Wilhelm  Gundlach. 

So  werthvoll  die  vergleichende  Betrachtung  der  Synodal- 
acten  für  die  Prüfung  der  Vienner  Briefe  ist  —  denn  die  Ver- 
fügungen aller  ihrer  Stücke,  Avelche  vor  dem  neunten  Jahr- 
hundert entstanden  sein  sollen,  werden  dadurch  als  der  Wirk- 
lichkeit widersprechend  aufgezeigt  und  alle  im  zehnten,  elften 
und  zwölften  Jahrhundert  erlassenen  Briefe  und  Privilegien 
des  rechtlichen  Untergrundes  beraubt,  welcher  vergeblich  auf 
unehrliche  Weise  zu  schaffen  versucht  wird '  —  so  hat  doch 
niemand,  so  viele  sich  auch  mit  der  Prüfung  der  Vienner 
Briefe  abgegeben  haben,  diesen  hauptsächlichen  Beweisgrund 
erkannt  und  gewürdigt,  vielmehr  ist  stets  nur  aus  einzelnen 
nebensächlichen  Angaben  die  Unechtheit  des  damit  ausge- 
statteten Stückes  erschlossen  worden. 

Nachdem  die  drei  Vienner  Briefe,  welche  zuerst  aufge- 
taucht waren,  bei  Baronius  Anerkennung  gefunden  hatten  % 
und  dann  alle  Schriftstücke  von  du  Boys  und  le  Li^vre  ver- 
öffentlicht worden  waren,  nahm  sie  Coustant  in  seinem  Werke 
'Epistolae  Romanorum  pontificum'  zuerst  zum  Ziele  eines  An- 


1)  Nach  dem  Vorgänge  Tillemonts  (Momoires  XV,  69)  und  Ceilliers 
(Hist.  des  auteurs  sacrc's  XIII,  784)  liat  sich  v.  Hefele  (Concilieng'esch. 
11^,  296),  wenn  auch  zweifelnd,  zu  der  Angabe  verstanden,  dass  Ado  in 
seiner  Chronik  (Migne  CXXIII,  92)  den  Nectarius  von  Vienne  als  Vor- 
sitzenden der  Synode  zu  Vaison  bezeichne.  Man  könnte,  wenn  wirklich 
von  Ado  die  erste  bekannte,  in  das  Jahr  442  fallende  Synode  von  Vaison 
gemeint  wäre,  annehmen,  dass  Ado  die  gewöhnliche  Ueberlieferung  ihrer 
Acten  ohne  Unterschriften  (vgl.  N.  A.  XIV,  331  Anm.  4)  sich  zu  nutze 
gemacht  und  einen  seiner  Vorfahren  im  Bisthum  als  Vorsitzenden  cin- 
geschwärzt  habe ;  aber  das  wäre  doch  nur  dann  statthaft,  wenn  nach- 
gewiesen werden  könnte,  dass  Ado  die  Synode  um  ein  Jahrhundert  zu 
frühe  angesetzt  hat;  denn  Nectarius  gehört  auch  nach  seiner  Schätzung 
richtig  dem  vierten  Jahrhundert  an.  Es  dürfte  darum  die  Auffassung  Tille- 
monts u.  s.  w.  eine  irrthümliche  und  die  von  Ado  gemeinte  Synode  von 
Vaison  eben  eine  andere  als  die  uns  bekannte  sein,  und  das  um  so  eher, 
als  sein  Chronicon  frei  von  dem  Bestreben  ist,  auf  Kosten  der  Wahrheit 
dem  Bischof  von  Vienne  einen  Vorrang  vor  anderen  Amtsbrüdern  beizu- 
messen. —  Zu  einer  anderen  Irrung  hat  vielleiclit  ebenfalls  Ado  Anlass 
gegeben,  wiewohl  auch  Sidonius  Apollinaris  (Epp.  V,  14  und  VIT,  1:  MG. 
Auctt.  antiqq.  VIII,  87  und  103)  dafür  in  Betracht  kommt.  In  der  Chronik 
wird  nämlich  berichtet  (Migne  CXXIII,  102.  103),  dass  der  Bischof 
Mamertus  von  Vienne,  als  die  Bewohner  seiner  Stadt  von  absonderlichen 
Naturerscheinungen  geängstigt  wurden,  jene  Rogationes  eingeführt  habe, 
welche  sich  in  der  gallicanischen  Kirche  einer  weiten  Verbreitung  und 
grosser  Beständigkeit  erfreuten.  Darum  wohl  kam  später  die  Sage  auf 
(Gesta  episcoporum  Camerac.  I,  8:  MG.  SS.  VIT,  406)  —  ohne  dass  man 
an  Vienne  als  Entstehungsort  zu  denken  braucht  — ,  dass  Mamertus  die 
Einrichtung  auf  einer  grossen  Synode  zu  Vienne  getroffen  habe,  auf 
welcher  fast  alle  gallischen  Bischöfe  vertreten  waren,  unter  ihnen  auch 
der  heilige  Remigius  von  Reims  durch  den  heiligen  Vedastus:  v.  Hefele 
führt  diese  Synode  als  wirklich  zwischen  den  Jahren  471  und  475  ab- 
gehalten (Conciliengesch.  II*,  596)  auf.  2)  Vgl.  oben  S,   13  Anm.  5 


Arles  und  Vienne.  65 

griffs ;  er  behandelte,  dem  Bereiche  seines  bis  auf  Leo  den 
Grossen  hinabführenden  Werkes  entsprechend,  die  ersten  sieben 
Vienner  Briefe,  welche  vor  dem  Jahre  440  entstanden  sein 
sollen. 

Wenn  in  dem  ältesten  Schreiben  (J.-K.  45)  Papst  Pius 
dem  Bischof  von  Vienne  mittheilt,  dass  eine  Christin  der  Ge- 
meinde ein  Haus  geschenkt  habe,  *ubi',  so  sagt  er,  ^nunc  cum 
pauperibus  nostris  commorantes  missas  agimus'  und  Papst 
Cornelius  in  seinem  Briefe  klagt:  'neque  publice  neque  in 
cryptis  notioribus  missas  agere  christianis  licet',  so  macht 
Coustant  dagegen  geltend  >,  dass  im  zweiten  und  dritten  Jahr- 
hundert von  'missas  agere'  noch  keine  Rede  sein  könne  2. 
Aber  nicht  nur  diese  sachliche  Anführung,  auch  persönliche 
Angaben  verfallen  seinen  Ausstellungen.  Pius  theilt  in  seinem 
ersten  Briefe  mit:  'Cherinthus  primarches  satanae  multos  aver- 
tit  a  fide';  dabei  verweist  Coustant  auf  die  Schrift  des  Epi- 
phanius  'Adversus  octoginta  haereses',  wo  (XXVIII,  2)' 
Cerinthus  als  ein  Mann  namhaft  gemacht  wird,  'qui  aposto- 
lorum  tempore  tumultum  illum  excitavit,  cum  lacobus  ceterique 
apostoli  litteras  Antiochiam  scripserunt  his  verbis:  'Quoniam 
cognovimus'  etc.';  er  verweist  ferner  auf  die  Kirchengeschichte 
des  Eusebius,  wo  (IV,  14)*  erzählt  wird,  dass  Johannes,  der 
Lieblingsjünger  Jesu,  als  er  in  Ephesus  ein  Bad  besuchen 
wollte,  vor  dem  Anblick  des  Cerinthus  sich  geflüchtet  habe: 
Coustant  giebt  damit  zu  verstehen,  dass  der  Zeitgenosse  der 
Apostel  unmöglich  noch  um  die  Mitte  des  zweiten  Jahrhun- 
derts, zu  Pius'  I.  Zeit,  am  Leben  gewesen  sein  kann;  er  er- 
klärt aber  auch,  wie  etwa  der  Fälscher  zu  seiner  irrigen  Mei- 
nung gekommen  ist;  da  nämlich  Eusebius  berichtet,  Polycarp 
habe  in  Rom  dem  Bischof  dieser  Stadt,  Anicetus,  von  der 
Begegnung  des  Johannes  und  Cerinthus  gesprochen  ^,  so  mochte 


1)  Seine  Ausführungen   finden    sich    im  Appendix  p.  17 — 22.   25.  26. 
35.  36.   109.   110.  2)  Der  Ausdruck    'missa'   ist   zuerst  von  Anibrosius 

in  der  Epistola  ad  Marcellinam  sororem,  also  in  der  zweiten  Hälfte  des 
vierten  Jahrhunderts  gebraucht  worden  (vgl.  Herzog,  Plitt  und  Hauck, 
Realencyclopädie  IX,  633).  —  Das  Schreiben  Johanns,  welches  den 
Bischof  von  Vienne  anweist,  die  Messe  nach  Römischer  Art  zu  feiern,  ist, 
wie  erwähnt,  von  Charvet  schon  wegen  des  nicht  zu  lichtenden  Dunkels 
seiner  Herkunft  abgelehnt  worden;  es  ist  ihm  aber  auch  wegen  des  In- 
halts unannehmbar,  'parceque',  sagt  Charvet  (Hist.  de  Vienne  p.  133), 
'les  ceremonies  observees  alors  et  plus  de  cinq  siecles  encore  apres 
Saint- Cade'olde  —  das  ist  der  Bischof  von  Vienne,  welchem  der  Brief 
gilt  —  dans  l'eglise  de  Vienne  tenaient  plus  de  la  liturgie  grecque  que 
de  la  romaine,  ainsi  qu'on  peut  s'en  assurer  par  l'inspection  de  nos  an- 
eiens  misseis'.  3)  Migne,  Patrol.  graec.  XLI,  379.  4)  Migne,  Patrol. 
graec.  XX,  338.  5)   'Aniceto   Romanae    ecclesiae   praesidente,    Poly- 

carpum  .  .  .  Romam  venisse  .  .  .  tradit  Irenaeus  ...  Et  supersunt  adhuc 
Neues  Archiv  eto.     XV.  5 


66  Wilhelm  Gundlach. 

vielleicht  der  Fälscher  den  vermittelnden  Bericht  des  Poly- 
carp  übersehen  und  unmittelbar  den  Cerinthus  mit  Anicetus 
zusammengebracht  haben,  den  er  nur  darum  nicht  namentlich 
aufführe,  weil  er  ihn,  als  Vorgänger  des  Pius,  schon  für  todt 
gehalten  habe  •,  Die  Grüsse,  welche  Pius  an  den  Bischof  von 
Vienne  ausrichtet  mit  den  Worten:  'Salutant  te  Sother  et 
Eleutherius,  digni  presbyteri',  beanstandet  Coustant,  indem  er 
die  beiden  Presbyter  als  die  gleichnamigen  Bischöfe  von  Rom 
entlarvt,  welche  auf  Anicetus  folgten;  da  nun  von  Eusebius 
(IV,  22)  2  Eleutherius  als  'Aniceti  diaconus'  aufgeführt  werde, 
so  könne  er  unmöglich  zur  Zeit  des  Pius,  des  Vorgängers  des 
Anicetus  im  Papstthum,  schon  Presbyter  gewesen  sein. 

Zu  dem  zweiten  von  Pius  nach  Vienne  gerichteten  Briefe 
(J.-K.  46j,  in  welchem  der  ]\Iärtyrertod  des  Verus  von  Vienne 
erwähnt  wird,  macht  Coustant  darauf  aufmerksam,  dass  ein 
Verus  unter  den  Vienner  Bischöfen  erst  im  Anfang  des  vierten 
Jahrhunderts  nachweisbar  ist  —  er  unterschreibt  die  erste 
Synode  von  Arles  im  Jahre  314'  — ,  dass  aber  dieser  Verus 
als  Märtyrer  auch  nicht  einmal  dem  Ado  von  Vienne  nach 
Ausweis  seines  Martyrologiums  bekannt  sei^.  Weiter  begleitet 
er  die  Nachricht  des  Briefes:  'Pastor  presbyter  titulum  con- 
didit  et  digne  in  Domino  obiit'  mit  folgenden  Ausführungen: 
In  dem  Liber  pontificalis  werde  angegeben,  dass  Pius,  der 
Bischof  von  Rom,  einen  Bruder  Namens  Hermes  gehabt  habe, 
und  dass  diesem  Bruder  ein  Engel  in  Gestalt  eines  Hirten 
erschienen  sei*;  da  nun  nach  Eusebius  (III,  3)  ^  dem  Ilermas, 
dessen  der  Apostel  Paulus  als  seines  Schülers  am  Ausgange 
des  Römerbriefes  gedenkt',  die  Verfasserschaft  eines  'Der  Hirt' 
betitelten  Buches  zugeschrieben  werde,  so  seien  Hermes  und 
Hermas  schon  so  verwechselt  worden,  dass  man  für  den  Ver- 
fasser des  erwähnten  Buches  auch  den  Hermes,  den  Bruder 
des  Pius,  ausgegeben  habe;  der  Fälscher  des  hier  in  Erörte- 
rung genommenen  Schreibens  habe   aber  die  Verwirrung  so 

nonnuUi,  qui  illum  id  narrantem  audiverint,  lohannem,  Domini  discipulum, 
cum  lavandi  causa  balneum  Ephesi  esset  ingressus,  viso  intus  Cerintho, 
mox    illotum    e    balneo    profugisse'.  1)  Coustant  bezieht  sich  für  diese 

Vermuthung  auf  'catalogos  summorum  pontificum  ab  Optato  et  Augustino 
concinnatos',  in  welchen  Pius  der  Nachfolger,  nicht  der  Vorgänger  des 
Anicetus  im  Papstthum  ist.  2)  Migne,  Patrol.  graec.  XX,  378.    Hege- 

sippus  erzählt  hier:  'Romam  vero  cum  venissem,  mansi  ibi  apud  Ani- 
cetum,  cuius  tum  diaconus  erat  Eleutherus.  Post  obitum  deinde  Ani- 
ceti    successit    Soter,     quem     excepit    Eleutherus'.  3)    Mansi    II,    476. 

4)  Möglicherweise  hat  der  Fälscher  den  Verus  mit  dem  Bischof  lustus 
von  Vienne  verwechselt,  an  welchen  dieser  zweite  Brief  des  Pius  ge- 
richtet ist;  Ado  meldet  nämlich  von  ihm:  'lustus  Viennensis  episcopus 
longo  tempore  exilio  maceratus  martyr  gloriosus  efficitur  (Migne,  Patrol. 
lat.  CXXIII,  83).  5)  Liber  pontificalis  ed.  Duchesne  p.  58.  6)  Migne, 
Patrol.  graec.  XX,  218.  7)  Rom.  16,  14. 


Arles  und  Vienne.  67 

weit  getrieben,  dass  er  den  Bruder  des  Pius  geradezu  Pastor 
nenne  ^. 

Den  Hauptinhalt  der  beiden  Briefe  des  Victor  (J.-K.  75. 
76),  welcher  die  Bischöfe  von  Vienne  belehrt:  'Non  decima 
quarta  luna  cum  iudaeis,  sed  decima  quinta  usque  ad  vigesi- 
raam  primam  Pascha  catholica  ecclesia  celebravit',  und  im 
zweiten  Briefe  noch  hinzufügt:  'Vide,  frater,  orientalem  eccle- 
siam  propter  celebritatem  Paschae  ab  occidentali  disiunctam', 
verwirft  Coustant  als  unmöglich,  weil  niemals  in  der  christ- 
lichen Kirche  beschlossen  worden  sei,  Ostern,  wie  der  erste 
Brief  besage,  am  Tage  der  Kreuzigung,  statt  am  Tage  der 
Auferstehung,  zu  begehen;  ferner  sei  es  unstatthaft,  dabei  von 
einer  Spaltung  der  abend-  und  morgenländischen  Kirche  zu 
reden,  und  auch  dafür  nur  eine  von  dem  Fälscher  missverstan- 
dene Aeusserung  des  Epiphanius  erfindlich,  welcher  (LXX,  9)  ^ 
angiebt:  'Polycarpi  ac  Victoris  aetate  cum  orientales  ab  occi- 
dentalibus  divulsi  pacificas  a  se  invicem  litteras  nullas  acci- 
perent'^;  endlich  müsse  auch  die  Anweisung,  welche  der  Papst 
angeblich  dem  Bischof  von  Vienne  ertheilt  habe,  alle  gallischen 
Bischöfe  in  der  Osterfrage  zu  belehren,  als  unecht  zurück- 
gewiesen werden ;  hätte  nämlich  der  Papst  wirklich  einen 
Bischof  mit  einem  solchen  Auftrage  betrauen  wollen,  so  wäre 
der  Bischof  von  Lyon,  Irenaeus,  am  meisten  dazu  berufen 
gewesen,  welcher  nach  dem  Zeugnis  des  Eusebius  (V,  23)  * 
'Galliae  ecclesiis  praeerat'. 


1)  An  Wahrscheinlichkeit  gewinnt  die  Ansicht  Coustants,  wenn  man 
hier  die  Mittheilung  Ados  beachtet :  'Pius  episcopus  Romae  habetur,  sub 
quo  Hermes  librum  scripsit,  qui  Pastoris  dicitur,  in  quo  praeceptum 
continet  angeli ,  ut  Pascha  semper  die  dominico  celebretur'  (Migne 
CXXIII,  83).  Ueber  die  Verwechselung  des  Pastor  und  Hermas  vgl. 
auch    Acta   SS.    luli  VI,  300.  2)    Migne,    Patrol.    graec.    XLII,  355. 

3)  Selbst  wenn  man  die  schon  oben  mitgetheilte  Ueberlieferung  des  Ire- 
naeus noch  hinzunimmt:  'Polycarpum  .  .  .  Romam  venisse  ob  quaestio- 
nem  quandam,  quae  de  Pascha  inciderat,  et  cum  Aniceto  coUoquium 
habuisse',  dürfte  man  doch  wohl  besser  eine  falsch  aufgefasste  Stelle  in 
der  Chronik  des  Ado  als  Quelle  des  Fälschers  ansehen:  'Victor  decimus 
tertius  Romae  episcopus  datis  late  libellis  constituit,  Pascha  die  dominico 
celebrari,  sicut  et  condecessor  eius  Eleuther,  a  decima  quinta  luna  primi 
mensis  usque  in  vicesimam  primam ;  cuius  decretis  favens  Theophilus 
Caesareae  Palestinae  episcopus  scripsit  adversus  eos,  qui  decima  quarta 
luna  cum  iudaeis  Pascha  celebrabant,  cum  ceteris  qui  in  eodem  concilio 
sederant  episcopis  synodicam  et  valde  utilem  epistolam'  (Migne  CXXIII,  84j. 
Freilich  käme  noch  mehr  eine  Aeusserung  Columbans  in  seinem  Briefe 
an  Gregor  den  Grossen  'Gratia  tibi  et'  in  Betracht:  'quia  non  mihi  satis- 
facit  .  .  .  una  istorum  senteutia  episcoporum  dicentium  tantum :  Cum 
iudaeis  Pascha  facere  non  debemus;  dixit  hoc  olim  et  Victor  episcopus, 
sed  nemo  orientalium  suum  recepit  commentum'  (Max.  Bibl.  Lugd.  XII,  32), 
wenn  es  wahrscheinlich  wäre,  dass  der  Fälscher  diesen  Brief  gekannt  hat. 

4)  Migne,  Patrol.  graec.  XX,  494. 

5* 


68  Wilhelm  Gundlach. 

An  dem  Brief  des  Cornelius  (J.-K.  116)  hat  Coustant 
ausser  der  schon  erörterten  Berührung  der  Messe  die  Bezeich- 
nung des  Empfängers,  des  Lupicinus  von  Vienne,  als  Erz- 
bischof auszusetzen!;  bei  dem  Silvester -Briefe  (J.-K.  177) 
hat  er  entdeckt,  dass  er  einfach  eine  Nachbildung  der  Magna 
Charta  der  Arier  Kirche  ist,  eines  auch  für  das  Bisthum  Autun 
verfälschten  *  und  darum  in  der  Arier  Fassung  allein  echten 
Stückes;  er  begründet  seinen  Verdacht  weiter  mit  der  Be- 
merkung, dass  ungeachtet  der  dem  Paschasius  von  Vienne  *et 
posteris  eius'  gewährten  Vollmacht,  alle  gallischen  GeistUchen 
mit  der  Epistola  formata  auszustatten,  auch  nicht  bei  einem 
einzigen  seiner  Nachfolger  von  dieser  Vollmacht  mehr  eine 
Spur  zu  finden  sei ;  schliesslich  führt  er  gegen  den  Zosiraus- 
Brief  der  Vienner  Sammlung  (J.-K.  335),  dessen  Empfänger 
in  seiner  Würde  als  'archiepiscopus'  ihm  abermals  unleidlich 
erscheint,  die  damit  unvereinbaren  Zosimus- Briefe  der  Arier 
Sammlung  ins  Treffen,  welche  er  für  echt  hält. 

Die  von  Coustant  begonnene  Prüfung  der  Epistolae  Vien- 
nenses  wurde  um  die  Glitte  des  vorigen  Jahrhunderts  von  den 
Ballerini,  den  Herausgebern  der  Werke  Leos  des  Grossen, 
aufgenommen  und  wenigstens  auf  ein  Stück  der  Vienner  Samm- 
lung, den  Leo-Brief  (J.-K.  446),  weiter  ausgedehnt.  Nachdem 
sie  die  verdächtigen  Gebrechen,  welche  Quesncll  an  dem  Briefe 
aufgedeckt  hatte  —  freilich  nur,  um  sie  unmittelbar  danach 
zu  beschönigen  —  ihrerseits  ohne  einen  solchen  Versuch  auf- 
gezählt haben»  —  die  Schreibart,  welche  von  der  in  Leos 
Briefen  üblichen  merklich  abweicht,  die  in  der  Aufschrift  vor- 
genommene Scheidung  zwischen  den  Bischöfen  Galliens  und 
denen  der  Provinz  Vienne,  die  Bezeichnung  der  mit  den  'vices' 
des  apostolischen  Stuhles  ausgestatteten  Bischöfe  als  'vicarii'  ^y 

1)  Der  Titel  'archiepiscopus'  ist  am  frühesten  in  Gallien  mit  dem 
Testament  des  Caesarius  von  Arles  (Saxius,  Pontif.  Arelat.  p.  101  seq.) 
zu  belegen :  Caesarius  gebraucht  ihn  hier  von  seinen  Nachfolgern  im 
Bisthum.  Ein  anderes  Beispiel  bietet  die  Aufschrift  eines  der  austrasi- 
schen  Briefe  (VI),  in  welcher  Nicotins  von  Trier  so  genannt  wird,  und 
dasselbe  ist  offenbar  auch  'arcesacerdus',  welches  Fortunat  im  XIV.  der 
austrasischen  Briefe  von  dem  Nachfolger  des  Nicetius  gebraucht.  Es 
dürfte  mit  'archiepiscopus'  ebenso  wie  mit  'patriarcha'  (vgl.  N.  A.  XIV, 
337  Anm.  5)  sich  verhalten:  es  ist  nur  eine  ehrende  Bezeichnung  der 
Metropolitanbischöfe,  bis  es  im  achten  Jahrhundert  in  den  amtlichen 
Sprachgebrauch    der    päpstlichen  Kanzlei    aufgenommen    wird.  2)  Vgl. 

darüber    den    nächsten    Abschnitt.  3)    Leonis    Opp.    I,    1466.    1467. 

4)  Dieser  Tadel  dürfte  durch  ein  Missverständnis  veranlasst  sein;  denn 
in  der  Stelle :  'quia  principis  apostolorum  magnam  in  iudiciis  moderatio- 
nem,  quam  in  potestate  per  vicarios  suos  semper  exhibet,  Arelatensis 
episcopus  non  expectavit'  sind  mit  'vicarii'  doch  wohl  die  Bischöfe  von 
Rom  als  Stellvertreter  des  Apostelfürsten  gemeint,  deren  massvollem 
Urtheil  der  Bischof  von  Arles  durch  eigenmächtige  Handlungen  zuvor- 
gekommen ist. 


Arles   und  Vienne.  69 

den  Titel  'archiepiscopus'  des  Bischofs  von  Vienne,  die  mit 
einander  in  Widerspruch  stehenden  Angaben  der  Datierung 
und  endlich  das  Vorhandensein  eines  anderen  Leo -Briefes, 
welcher,  an  die  nändichen  Bischöfe  gerichtet,  den  in  Rede 
stehenden  Brief  inhaltlich  überholt  (J.-K.  407)  — ,  nachdem  sie 
auch  hervorgekehrt,  dass  der  verdächtige  Brief  in  seinem 
Wortlaut  Anleihen  aus  anderen  echten  Briefen  verrathe  und 
dabei  auch  schon  die  Verfügung  eines  späteren  Briefes  wieder- 
gebe ',  beziehen  sie  sich  auf  Coustant,  welcher  die  Fälschung 
der  sieben  ältesten  Briefe  nachgewiesen  habe;  sie  machen  sich 
endlich  den  von  Sirmond  ausgesprochenen  Satz  zu  eigen, 
dass  man  in  Anbetracht  der  zahlreichen  schon  ermittelten 
Verstösse  gegen  die  Wahrheit  sich  nicht  dabei  aufhalten  solle, 
für  geringere  Mängel  nach  Deckung  zu  suchen,  sondern  dass 
man  die  ganze  von  du  Boys  veröffentlichte  Briefreihe  —  mit 
den  schwer  belasteten  auch  die  ihnen  benachbarten,  an  sieb 
annehmbaren  Stücke  —  verwerfen  dürfe  *. 

So  kühn  dieser  Satz  auch  sein  mag  —  denn  Sirmond 
schliesst  aus  der  allgemeinen  Richtung  der  Vienner  Briefe  auf 
ihre  Einheitlichkeit,  ohne  zu  erwägen,  was  die  Vienner  Ge- 
schichtschreiber nach  du  Boys  und  le  Lievre  in  der  That 
vertreten  haben,  dass  nur  die  ältesten  Schreiben  gefälscht,  die 
jüngeren  aber  echt  sein  können  — ,  es  wäre  zu  wünschen 
gewesen,  dass  die  Nachkommen,  welche  mit  Vienner  Briefen 
sich  abgaben,  Sirmonds  Gedanken  beherzigt  und,  um  ihn  zu 
einem  richtigen  Grundsatz  auszugestalten,  im  einzelnen  die 
Einheitlichkeit  der  Vienner  Briefe  dargethan  hätten;  statt  dessen 
ist   man  im  vergangenen*   wie    in  diesem  Jahrhundert*   nicht 

1)  Namentlich  haben  sie  im  Sinne  die  Worte:  'Sitque  redintegratum 
Viennensi  archiepiscopo  Privilegium  et  ius  antiquura,  quod  apostolica  be- 
üignitas  ad  Arelatensem  ex  parte  transtulit  civitatem',  welche,  nach  ihrer  Mei- 
nung dem  Jahre  445  angehörend,  ihnen  schon  zu  berücksichtigen  scheinen 
die  erst  450  von  Leo  getrofifene  Scheidung  der  alten  Viennensis  in  die  neuen 
Provinzen  Arles  und  Vienne.  2)  'Recte    siquidem  Pater  Sirmondus    in 

notis  posthumis  tom.  IV.  Concil.  p.  697  eandem  —  den  Leo -Brief  — 
praesertim  ex  manifeste  errore  chronicae  notationis  subditieiam  pronun- 
tians,  monuit,  haud  laborandum  in  hoc  vitio  excusando  et  tribuendo  scrip- 
toribus,  cum  in  ceteris  pontificura  ad  episcopos  Viennenses  epistolis,  quae 
in  eo  volumine  —  des  Jean  du  Boys  —  continentur,  alia  sint  plnrima 
tarn  aperte  falsa,  ut  merito  detrahant  etiam  probabilibus  fidem'.  3)  Unter 
den  kritischen  Bemerkungen,  welche  Mansi  in  seinem  Concilienwerke 
gesammelt  hat,  sind  nur  diejenigen  Pagis  noch  bemerkenswerth  (XII,  353); 
sie  beziehen  sich  aber  auch  nur  auf  ein  einziges  Schreiben,  den  Zacha- 
rias- Brief  J.-K.  2258.  4)    Nennenswerth    ist   die   Ablehnung,   welche 

in  den  Analecta  iuris  pontificii  X,  79  der  Nicolaus -Brief  J.-E.  2693  er- 
fährt. In  den  Regesta  pont.  Rom.  sind  schliesslich  einundzwanzig  Stücke 
als  gefälscht  verzeichnet,  wozu  noch  der  nicht  aufgeführte  Symmachus- 
Brief  'Cunctas  inter'  kommt;  »cht  gelten  also  auch  Jafife  und  seinen 
Nachfolgern  noch  als  echt. 


70  Wilhelm  Gundlach. 

von  dem  alten,  durch  Coustant  schon  geübten  Verfahren  los- 
gekommen :  auf  Grrund  vereinzelter  Beobachtungen  das  gerade 
davon  betroffene  Stück  als  Fälschung  hinzustellen. 

Darum  darf  ich  mich  hier  nicht  dem  Versuche  entziehen, 
nun  aus  dem  Inhalt  die  Einheitlichkeit  der  Vienner  Brief- 
reihe zu  erweisen;  ich  darf  es  um  so  weniger,  als  dieser  Ver- 
such die  Erforschung  der  Vorlagen  zu  einem  Abschluss  bringen 
und  so  das  ergiebigste  Mittel  zur  Vernichtung  der  Epistolae 
Viennenses  liefern  wird. 

B.     Die  Einheitlichkeit  der  Epistolae  Viennenses. 

Um  die  Familienähnlichkeit  der  Vienner  Briefe  zu  zeigen, 
halte  ich  mich  an  die  Fassung  des  Hauptinhalts,  an  die  Un- 
klarheit und  Allgemeinheit,  welche  in  den  angeblichen  Ver- 
fügungen der  Päpste  herrscht. 

Unsicher  tastend  setzt  Victor  mit  seinem  ersten  Briefe 
(J.-K.  75)  ein,  indem  er  in  der  Osterfragc  seine  Auffassung 
'presbyteris  Galliarum'  mitgetheilt  haben  will.  Wenn  man  an- 
nehmen mTichte,  dass  alle  gallischen  Priester  damit  gemeint 
sind,  und  dafür  das  Schreiben  Gregors  IL  (J.-E.  2158)  herbei- 
ziehen wollte,  welches  einen  Bericht  des  Bischofs  von  Vienne 
über  die  gallicanische  Kirche  erwähnt  ('statum  ecclesiae  catho- 
licae  pietate  firmum  apud  ecclesiam  Gallorum  manere'),  oder 
das  Schreiben  des  Agatlio  (.J.-E.  2113),  Avelches  uie  Be- 
schlüsse des  sechsten  ökumenischen  Concils  'omnibus  Gallia- 
rum episcopis'  bekannt  zu  geben  heisst,  so  muss  man  dagegen 
wahrnehmen,  dass  Nicolaus  nur  unbestimmt  die  Satzungen 
einer  Römischen  Märzsynode  an  den  Erzbischof  Ado  zur  Ver- 
breitung, wie  er  schreibt  (J.-K.  2693)  'confratribus  vestris, 
archiepiscopis'  übermittelt.  Dass  dieses  Schwanken  nicht  etwa 
nur  eine  zufällige  Aeusserlichkeit  ist,  zeigt  deutlich  der  Brief 
des  Silvester  (J.-K.  177),  in  dessen  erstem  Theile  verordnet 
wird,  dass,  'si  quis  ex  qualibet  Galliarum  parte  sub 
quolibet  ecclesiastico  gradu  ad  nos  venire  contendit  vel  ad 
alia  terrarum  loca  ire  disponit',  er  sich  mit  einer  Epistola  for- 
inata  des  Bischofs  von  Vienne  zu  versehen  habe,  in  dessen 
zweitem  Theile  aber  der  Bereich  des  Bisthums  Vienne  mit 
Beziehung  auf  einen  eigenthümlichen  Rechtstitel  'sicut  Romanus 
catalogus  testatur'i  auf  die  Septem  Provinciae:  Vien- 
nensis,  Narbonensis  I.  und  IL,  Aquitanica  I.  und  IL,  Novem- 
populana  und  Alpes  Älaritimae  beschränkt  wird ;  es  Avird  also, 
wenn  man  die  Aufschrift  dieses  Briefes:  'Silvester  papa  uni- 
versis  episcopis  per  Gallias  et  per  Septem  Provincias' 
noch  dazu  beachtet,  in  dem  zweiten  Theile  geradezu  zurück- 
genommen,  Avas  in   dem   ersten   ausgemacht  ist.     Da   nun   in 


1)  Welch  ein  Verzeichnis  das  ist,  weiss  ich  nicht. 


Arles  und  Vienne.  71 

den  Vienner  Schriftstücken  das  Recht,  die  Epistola  formata 
auszufertigen,  obwohl  es  von  Silvester  dem  Bischof  von  Vienne 
Paschasius  'et  posteris  eius'  übertragen  ist,  niemals  Mieder 
zur  Sprache  kommt,  so  dürfte  auch  diese  Bestimmung  nur 
einen  zaghaften  Anspruch  des  Bisthums  Vienne  darstellen ;  es 
ist  sicher  so  mit  der  Ausdehnung  des  Primates  über  ganz 
Gallien,  wofür  ja  die  im  Eingang  angeführten  Briefe  des  Victor, 
Gregor  IL,  Agatho  und  Nicolaiis  beigebracht  werden  könnten; 
denn  indem  sich  an  die  im  Silvester-Brief  gegebene  Aufzählung 
der  Septem  Provinciae  die  Verfügungen  der  Päpste  Nicolaus  L, 
Sergius  III.,  Leo  IX.,  Gregor  VII.  i  und  Calixt  IL  anreihen, 
wird  die  Unbestimmtheit,  ob  das  gesammte  Gallien  oder  nur 
die  sieben  Provinzen  der  Geltungskreis  des  Vienner  Primates 
sind,  nicht  etwa  den  Päpsten,  sondern  dem  Verfertiger  der 
Papstbriefe  zur  Last  gelegt;  entscheidend  ist  insbesondere, 
dass  der  erste  Brief  des  Nicolaus  (J.-E.  2693)  den  Bischof 
von  Vienne  mit  einem  Auftrage  an  die  Erzbischöfe,  seine  gal- 
lischen Amtsbrüder,  betraut,  während  der  zweite  Brief  des- 
selben Papstes  (J.-E.  2877)  nur  verfügt,  'ut  ad  Privilegium 
Viennensis  ecclesiae  Septem  Provinciae  pertinerent'*.  Um  die 
Unklarheit  noch  zu  steigern,  kommt  dazu,  dass  nur  Gregor  VII. 
(J.-L.  5024)  und  Calixt  IL  (J.-L.  6822)  mit  der  in  Papst- 
urkunden üblichen  Bestimmtheit  die  sieben  Provinzen  nament- 
lich aufzählen,  Sergius  IIL  wenigstens  auf  Silvester  sich  be- 
zieht ('eo  scilicet  firmato  privilegii  iure,  quod  speciale  beatis- 
simus  papa  Silvester  super  Septem  Provincias  tuae  fecit 
ecclesiae'),  Nicolaus  aber  und  Leo  IX.  f'Galliarum  per  Septem 
provincias')  so  allgemein  von  sieben  Provinzen  reden,  dass 
aus  ihren  Erlassen  allein  nicht  entnommen  werden  kann, 
welche  sieben  denn  darunter  verstanden  sind  3. 


1)  Eine  vorgängige  Bestätigung  des  Vienner  Vorrangs  schreibt  Gre- 
gor VII.  der  Urkunde  Leos  zu  'et  aliis  quam  plurimis',  welchen  der  be- 
zeichnende Zusatz:  'et  his  auctenticis'  folgt!  2)  Dass  die  Prima- 
tial- Herrlichkeit  der  Vienner  Kirche  auf  Fälschung  beruht,  lässt  sich 
gerade  an  diesem  Nicolaus -Brief  handgreiflich  zeigen.  Der  von  Vienner 
Seite  überlieferte  Brief  J.-E.  2877  ist  nämlich  nichts  als  ein  Abklatsch 
des  echten  Nicolaus -Briefes  J.-E.  2876,  in  welchen  zwei  den  Vienner 
Zwecken  dienende  Stellen  eingeschwärzt  sind;  hier  ist  eingeschoben: 
'ad  Privilegium  Viennensis  ecclesiae  Septem  Provinciae  pertinerent,  in 
quibus  praesul  ipsius  vices  nostras  agens  conventus  synodales  indiceret  et 
iura  ecclesiastica  iuste  et  regulariter  definiret  et'.  3)  Diese  Unklar- 
heit, welche  nimmermehr  die  päpstliche  Kanzlei  sich  hätte  zu  Schulden 
kommen  lassen,  hat  Jaffe  und  Ewald  dazu  verführt,  von  dem  Nicolaus- 
Brief  ein  unrichtiges  Eegest  unter  Nummer  2877  aufzunehmen:  'Adonem 
archiepiscopum  Viennensem  apostolicae  sedis  in  VII  provinciis  vicarium 
confirmat,  ut  iuri  Viennensis  ecclesiae  Gratianopolis,  Valentia,  Dia,  Alba 
Vivarium,  Geneva  et  Tarentasia  perpetuo  subiectae  maneant  ita  et  Mau- 
rienna':    denn    mit    den    sieben   Provinzen    sollen    ohne    Zweifel    die    das 


72  Wilhelm  Gundlach. 

Es  ist  weiter  befremdlieh,  dass  von  Silvester  ausser  der 
niemals  wieder  erwähnten  Formata- Befugnis  kein  Wort  über 
die  Rechte  des  Primas  verlautet,  dass  damit  erst  Nicolaus 
hervortritt  *  ('in  quibus  —  den  sieben  Provinzen  —  praesul 
ipsius  —  der  Vienner  Kirche  —  vices  nostras  agens  conventus 
synodales  indiceret  et  iura  ecclesiastica  iuste  et  regulariter 
definiret')  und  ihm  fast  mit  denselben  Worten  Gregor  VII. 
('Roraani  poutificis  vices  agere,  conventus  sciücet  synodales 
indicere  et  iura  ecclesiastica  iuste  ac  regulariter  ,  .  .  definire') 
und  Calixt  II.  ('Romani  pontificis  vices  agat,  synodales  con- 
ventus indicat  et  negotia  ecclesiastica  iuste  canoniceque  defi- 
niat')  folgen  —  die  Unwahrheit  dieser  übereinstimmenden 
Satzung  ist  auch  an  der  Verwirrung  zu  erkennen,  welche  das 
Schriftstück  Gregors  VII.  anrichtet:  trotzdem  dieser  Papst 
angeblich  die  Vicariatsrechte  des  Bischofs  von  Vienne  feierlich 
bestätigt  hat,  spricht  er  gegen  Ende  seiner  Urkunde  von  den 
'canonicis  per  consilium  vicarii  nostri  Hugonis,  Dien- 
sis  episcopi,  inibi  ordinatis'  —  'inibi'  d.  h.  in  Romans — : 
also  für  das  von  dem  heiligen  Barnard  von  Vienne  gestiftete 
Kloster,  den  ureigensten  Gerichtsbezirk  des  Bischofs ',  tritt 
plötzlich  ein  anderer  apostolischer  Vicar  als  der  Vienner  Erz- 
bischof hervor! 

Lehrreich  sind  ferner  die  Angaben,  welche  über  die  Stel- 
lung des  Bisthums  Tarantasia  gemacht  werden.  Leo  III.  ver- 
fügt (J.-E.  2533)  als  der  erste:  'Et  licet  Tarentasiae  episcopus 
aliquibus  oppidis  videatur  praelatus,  tamen  provincia  Alpium 
Graiarum  ditioni  Viennensis  ecclesiae  submissa,  sicuti  a  prae- 
decessoribus  nostris  contirmata  est,  manebit';  man  darf  also 
annehmen,  da  hier  von  einer  Kirchenprovinz  Alpes  Graiae 
die  Rede  ist,  dass  die  unklar  gelassene  'ditio'  der  Vienner 
Kirche  die  Primatgewalt  ist,  muss  aber  sofort  beanstanden, 
dass  trotz  der  Berufung  des  Papstes  auf  seine  'praedecessores' 
noch  in  keinem  einzigen  der  Vienner  Briefe  von  Tarantasia 
gehandelt  Avorden  ist.  Als  dann  Nicolaus  (J.-E.  2877)  die 
Vorrechte  des  P^rzbisthums  bestätigt,  zählt  er  Tarantasia  unter 
den  sieben  Bischofstädten  auf,  von  welchen  gesagt  wird :  'ut 
ad  potestatera  et  ditionem  Viennensis  metropolis  pertineant'; 
er  beruhigt  aber  zugleich  den  Bischof  von  Tarantaise  mit 
der  Versicherung,  dass  der  Erzbischof  von  Vienne,   'primas 


Primatialgebiet  ausmachenden:  Viennensis,  Narbonensis  I.  und  II., 
Aquitanica  I.  und  IL,  Novempopulana  und  Alpes  Maritimae  gemeint  sein, 
während  Jaffe  und  Ewald,  wie  das  erläuternde  'ut'  beweist,  damit  die 
sieben  Sprengel  in  Verbindung  brachten,  aus  welchen  Vienne  sein 
Me  tro  politan  g  e  bi  e  t  —  die  einzige  Provincia  Viennensis  —  zusam- 
mensetzt. 1)  Vgl.  S.  71  Anm.  2.  2)  Auf  diese  Frage  gehe  ich  im 
nächsten  Abschnitt  noch  genauer  ein. 


Arles   und  Vienne.  73 

ipsius'J,  nicht  verlangt  habe:  er,  der  Bisehof  von  Tarantaise, 
solle  darum  seiner  Rechte  verlustig  gehen  2.  Ganz  ähnlich 
verfährt  Gregor  VII.,  welcher  (J. -L.  5024)  Tarantasia  zu 
den  Suffraganstühlen  des  Erzbisthums  Vienne  rechnet,  um 
dann  festzustellen:  'Porro  Tarentasiam  ita  semper  sub  pri- 
raatu  Viennensis  ecclesiae  perraanere  decernimus,  sicut  a 
sanctis  patribus  Leone  et  Nicoiao  noscitur  confirmatum'.  Erst 
in  der  Urkunde  Paschais  (J.-L.  6596)  ist  die  Ordnung  dadurch 
hergestellt,  dass  Tarantasia  unter  den  der  Metropolitangewalt 
unterworfenen  Bisthümern  nicht  geführt,  sondern  in  Anleh- 
nung an  die  Worte  Gregors  festgesetzt  Avird:  'Porro  Tarenta- 
siam ita  semper  sub  primatu  Viennensis  ecclesiae  permanere 
decernimus,  sicut  a  sanctis  praedecessoribus  nostris  Leone, 
Nicoiao  atque  Urbano  noscitur  constitutum';  nur  ein  kleines, 
aber  recht  bezeichnendes  Versehen  ist  mit  untergelaufen:  statt 
Gregors  VII.  wird  in  dieser  Angelegenheit  Urban  IL,  dessen 
beide  Briefe  dem  Privileg  Paschais  unmittelbar  vorhergehen, 
angeführt,  obwohl  sich  nichts  in  seinen  Schriftstücken  über 
Tarantasia  findet.  Wenn  endlich  Calixt  IL  (J.-L.  6822)  be- 
stimmt: 'Tarentasiensis  autem  archiepiscopus  licet  aliquibus 
habeatur  ex  apostolicae  sedis  liberalitate  praelatus,  Viennensi 
archiepiscopo  tamquam  primati  suo  subiectus  obediat',  so  ist 
diese  Bestimmung  an  sich  ja  unanfechtbar,  aber  die  Reihen- 
folge, in  welcher  sie  in  der  Urkunde  auftritt,  verräth  doch 
deutlich  genug  ihren  Zusammenhang  mit  anderen  Vienner 
Briefen:  erst  werden  nämlich  sieben  Provinzen  aufgezählt, 
deren  Primas,  als  Inhaber  der  'vices'  des  apostolischen  Stuhles, 
der  Erzbischof  sein  soll,  dann  folgen  —  bei  Paschal  ist  es 
genau  so  gehalten  —  die  sechs  Suffraganbisthümer,  und  dann 
kommt  noch  einmal  der  Primatialbereich  zur  Erwähnung,  in 
den  eben  Tarantasia  noch  einbezogen  wird.  Wenngleich  die 
Stellung  des  Bisthums  Tarantasia  in  der  That  eine  Zeit  lang 


1)  Während  Wiltsch  (Handbuch  der  kirchlichen  Geographie  und 
Statistik  I,  323)  und  Naher  (Kirchliche  Geographie  und  Statistik,  Erste 
Abth.  I,  564)  annehmen,  dass  Tarantaise  schon  zur  Zeit  Karls  des  Grossen 
Metropole  geworden  sei,  scheint  es  doch  noch  zu  Nicolaus'  Zeit  nicht 
ganz  aus  dem  Vienner  Metropolitanverbande  entlassen  zu  sein;  darauf 
lässt  der  echte  Nicolaus- Brief  J,-E.  2876  schliessen,  welcher  Tarantaise 
als  letztes  Bisthum  den  Vienner  Suffraganbisthümern  anfügt,  dann  ihm 
aber  sofort  die  wesentlichsten  Befugnisse  der  Metropolitankirchen,  die 
unterstellten  Bischöfe  zu  ordinieren  und  zu  Synoden  zu  berufen,  gewähr- 
leistet. 2)  Eine  Berührung  in  der  Form  mit  dem  Leo -Briefe  dürfte 
anzunehmen  sein,  da  man  die  Worte  Leos:  '.  .  .  ditioni  Viennensis 
ecclesiae  submissa,  sicuti  a  praedecessoribus  nostris  confirmatum 
«st,  manebit;  nee  debet  ...  humilitatis  viam  in  subditione  .  .  .' 
wiedererkennen  kann  in  dem  Ausspruch  des  Nicolaus:  'Sitque  humi- 
liter  subditus,  sicut  ab  antecessoribus  nostris  salubriter  in- 
stitutum  est'. 


74  AYilhelm  Gundlach. 

unsicher  gewesen  ist  >,  so  kann  doch  ein  fast  dreihundert- 
jähriges Schwanken,  welches  die  Briefe  Leos,  Nicolaus'  und 
Gregors  gleichmässig  zeichnet  und  in  den  Privilegien  Paschais 
und  Calixts  noch  eine  Nachwirkung  verspüren  lässt,  schwer- 
lich der  päpstlichen  Kanzlei  beigemessen  werden. 

Ebenso  zaghaft  wie  von  den  Rechten  des  Primats,  be- 
ginnen die  Vienner  Briefe  auch  von  der  Metropolitanbefugnis 
zu  sprechen.  Victor  I.  beauftragt  (J.-K.  7ü)  gleichfalls  in  der 
Osterfrage  den  Bischof  Paracodas  von  Vienne,  die  Anschauung 
Roms  'per  ecclesias  tibi  commissas'  bekannt  zu  machen.  Es 
ist  dann  höchst  auffallend,  wie  der  Zosimus-Brief  (J.-K,  335) 
hier  eingreift:  nachdem  der  Papst  dem  Erzbischof  von  Vienne 
angekündigt  hat,  dass  er  dem  Bischof  von  Arles  drei  Pro- 
vinzen untergeben  habe  ('licet  Arelatensi  episcopo  .  .  .  ius 
et  pontificium  super  tres  provincias  habere  scripserimus'),  fährt 
er  fort,  dass  er  gleichwohl  die  alte  Machtvollkommenheit  des 
Bischofs  von  Vienne  aufrecht  erhalte,  und  erläutert  das  —  in 
Vienner  Logik  —  dahin,  dass  er  vorläufig  dem  Erzbisthum 
Vienne  die  Nachbarstädte  in  der  eigenen  Provinz  zu- 
weist ^  ('tarnen  .  .  .  interim  .  .  .  potcstatem  antiquam  tibi 
manere  permittimus:  ut  .  .  .  vieiniores  tibi  intra  provinciam 
civitates  vendices')  3.  ]\Ian  braucht  nun  nur  noch  zu  erfahren, 
dass  dieser  Brief  auf  den  in  der  Arier  Sammlung  befindlichen 
(J.-K.  328)  anspielt,  dass  unter  den  drei  an  Arles  gegebenen 
Provinzen  auch  die  Provinz  Vienne  sich  befindet,  um  dem 
Vienner  Brief  jeden  Sinn  abzusprechen,  in  ihm  nichts  anderes 
zu  erkennen,  als  den  Versuch,  der  Wahrheit  nahe  zu  bleiben 
und  doch  für  Vienne  noch  möglichst  viel  an  Rechten  zu  retten. 
Wenn  Leo  L  darauf  (J.-K.  446)  die  Erniedrigung  des  Bis- 
thums  Arles  beschliesst:  'sitque  redintcgratum  Viennensi  archi- 
episcopo  Privilegium  et  ius  antiquum,  quod  apostolica  be- 
nignitas  ad  Arelatensem  ex  parte  transtulit  civitatem',  so  kann 
das  nur  so  verstanden  -werden,  dass  Leo  die  drei  Provinzen, 
welche  Zosimus  dem  Bisthum  Arles  übertragen  hatte,  wieder 
an  Vienne  zurückgegeben  hat.  Das  hindert  aber  nicht,  dass 
der  Symmachus- Brief  der  Vienner  Sammlung  auf  Leo,  der 
doch  nach  Vienner  Ueberlieferung  nur  die  Primatialgewalt 
geordnet  hat,  Berufung  einlegt,  dabei  aber  doch  nur  das  Metro- 
politangebiet betrifft:  'quemadmodum  decessor  noster  Leo  papa 


1)  Man  denke  an  die  Anfrage,  welche  die  Synode  zu  Frankfurt  799 
an  den  Papst  auch  über  dieses  Bisthum  richtete  (vgl.  N,  A.  XIV,  330). 
2)  Der  Bedingung  des  Zosimus:  'si  ita  est,  ut  scripta  tna  nobis  missa 
continent'  kann  eine  ähnlich  gebaute  Wendung  des  Eugen  in  J.-E.  2563 
au  die  Seite  gegeben  werden:  'si  causa  ita  est,  quemadmodum  vestra 
nobis    denunciavit    epistola'.  3)    Damit    wird    auf   die    vorläufige    Ent- 

scheidung   der  Turiner  Synode,    welche    auch    ausdrücklich    angeführt   ist, 
Bezug  genommen;  vgl.  N.  A.  XIV,  329. 


Arles    und  Vienne.  75 

dudum,  recognitis  allegationibus  partium,  definivit  paroechia- 
rum  numerum  vel  quantitatem  Viennensi  et  Arelatensi  sacer- 
dotibus  deputatam,  et  nos  praecipimus  nullius  usurpatione 
transcendi',  also  dieselbe  Verwirrung  anstiftet  wie  der  Zosimus- 
Brief,  welcher  auch  von  der  Primatial-  auf  die  Metropolitan- 
gewalt  überspringt.  Nur  leise  wird  die  Metropolitanbefugnis 
von  Stephan  (J.-K.  2385)  gestreift,  indem  er  mit  Beziehung 
auf  die  Vienner  Kirche  sagt:  'Misi  .  .  .  pro  restauratione  eius 
litteras  principibus  Francorum,  ut,  sicut  metropolitano  iure 
pollebat,  ita  rebus  vacuata  non  minueretur',  um  dann  an  die  Ver- 
fügungen seiner  Vorgänger  anzuknüpfen.  Paul  I.  nennt  zwar 
nicht  ausdrücklich  unter  diesen  den  Leo;  aber  die  in  seinem 
Briefe  (J.-E.  2367)  gewählten  Worte:  'Non  transgrediantur 
normam  in  limitibus  ecclesiarum  fixam,  quos  posuerunt  patres 
nostri'  weisen  unverkennbar  auf  den  Leo -Brief,  welcher  den 
seiner  Würde  entsetzten  Hilarius  von  Arles  mit  den  Worten 
verurtheilt:  'discat  non  temere  transgredi  terminos  antiquos 
canonica  prolatione  fundatos',  Hadrian  dagegen  erklärt,  nach- 
dem er  (J.-E.  2412)  ausführlich  auseinandergesetzt,  dass  er 
bei  Karl  dem  Grossen  die  allgemeine  Wiederherstellung  der 
Metropolitangewalt  durchgesetzt  habe:  'Voluiraus  etiam,  ut 
cognosceres,  ecclesiae  tuae  suum  Privilegium,  quod  a  temporibus 
beati  Leonis  habuit,  integre  esse  reformatum'.  Frühestens  mit 
Nicolaus  I.  kommt  in  den  Papstbriefen  für  das  Metropolitan- 
gebiet eine  genaue  Umschreibung  auf,  welche  man  von  An- 
fang an  für  angemessen  halten  sollte;  es  heisst  nämlich  in 
dem  Briefe  J.-E.  2877:  'et  iuri  Viennensis  ecclesiae  Septem 
oppida  vel  civitates,  Gratianopolis  scilicet,  Valentia,  Dia,  Alba 
Vivarium,  Geneva  et  Tarentasia,  perpetuo  subiectae  manerent 
ita  et  Mauriana,  nunc  noster  praesulatus  futuris  temporibus 
firmum  et  inconvulsum  durare  praesenti  decreto  constituit', 
wobei  die  verzögerte  Hinzufügung  des  letzten  Bisthums  auffallend 
ist  und  auch  erst  in  dem  vierzig  Jahre  jüngeren  >  Briefe  des  Ser- 


1)  Der  echte  Nicolaus- Brief  J.-E.  2876,  welcher  dem  gefälschten 
J.-E.  2877  zu  Grunde  liegt,  lehrt,  dass  es  sich  nur  um  'quattuor  civitates 
vel  oppida'  handelt,  dass  in  ihre  Reihe  drei,  nämlich  Dia,  Alba  Vivarium 
und  Maurienna  einfach  eingeschmuggelt  sind.  —  Dass  noch  andere  echte 
Briefe  als  Vorlagen  ausgenutzt  worden  sind,  ist  unzweifelhaft;  so  habe 
ich  z,  B.  ermittelt,  dass  der  Sergius- Brief  die  Arenga  ('Cum  magna 
nobis  —  remuneratione  perpetua')  und  die  Straf-  und  Lohnformel  ('Si 
quis  autem  —  particeps  mereatur')  einem  Briefe  Benedicts  VII.  (J.-L. 
3817)  oder  Sergius'  IV.  (J.-L.  3985)  oder  ähnlichen  entlehnt  hat,  dass  in 
der  Urkunde  Paschais  etwa  eine  Urbans  II.  J.-L.  5569  oder  Paschais  II. 
J.-L.  6088  ausgeschrieben  ist,  und  dass  namentlich  die  Anfänge  der  Briefe 
Hadrians :  'Dilectus  tilius',  Gregors  VII.:  'Non  solum  vobis'  und  'Cum 
ex  apostolicae',  Urbans  IL:  'Nolumus  latere'  und  'Beati  Petri'  und 
Calixts  IL:    'Etsi  ecclesiarum'    auch   in   echten  Schriftstücken  der  Päpste 


76  WUhelm  Gundlach. 

gius  (J.-E.  3544)  eine  Erklärung  findet  durch  die  mit  Ein- 
willigung des  apostolischen  Stuhles  erfolgte  Schenkung  König 
Guntrams  '.  In  der  Folge  wird  denn  auch  in  den  Urkunden 
Gregors  VII.  (J.-L.  5024),  Paschais  (J.-L.  6596)  und  Calixts  II. 
(J  -L.  6822)  Maurienna  in  der  Aufzählung  ohne  weiteres  an- 
geschlossen; von  den  beiden  zuletzt  genannten  Päpsten  aber, 
wie  das  schon  besprochen  ist,  Tarantasia  ausgeschieden  *  und 
besonders  behandelt.  Dass  die  vier  Aufzählungen  auch  in  der 
Form  eine  enge  Verwandtschaft  bekunden,  ist  darum  auch 
erwünscht,  weil  sie  so  wegen  der  bei  Gregor  sich  findenden 
Bezugnahme  auf  die  'antiquam  auctoritatem  catalogi',  wonach 
eigentlich  achtzehn  Suffragane  dem  Erzbisthum  Vienne  zu- 
kommen, sämmtlich  angefochten  werden  dürfen;  denn  mit  dem 
Rechtstitel  im  Privileg  Gregors  ist  ohne  Zweifel  dasselbe 
gemeint,  was  der  Silvester- Brief  (J.-K.  177)  mit  'sicut  Ro- 
manus catalogus  testatur'  besagen  will,  und  somit  ein  will- 
kommener Zusammenhang  zwischen  einem  der  frühesten  und 
einem  der  spätesten  Stücke  aufgezeigt'. 

Es  wird  nicht  überraschen  nach  den  bisher  gebotenen 
Ausführungen  zu  vernehmen,  dass  auch  sonst  noch  die  Epi- 
stolae  Viennenses  allgemeine  Wendungen  in  ziemlicher  Anzahl 
aufweisen,  wo  es  sich  um  die  Bestätigung  der  wichtigsten 
Rechte  handelt;  so  sagt  Gregor  II.  (J.-E.  2158):  'Auctori- 
tatem ecclesiae  vestrae,  quam  .  .  .  a  beato  Petro  pro- 
meruit,  quamque  usque  nunc  praedecessoribus  meis 
firraantibus  retinct,  et  roborare  cupimus  et  ut  inde  de- 
coretur  ecclesia  vestra  volumus  etapostolico  dono  prae- 
optamus',  und  Stephan  (J.-E.  2385):  'De  nostra  autem  aucto- 
ritate    scias    tibi    auctoritatem    veterum    servari    nee 


nachweisbar  sind  (vgl.  das  Verzeichnis  der  Briefanfangre  in  den  Regesta 
pont.   Rom.  II,  773).  1)  Der  Zusammenhang  dieser  Stelle  mit  der  ge- 

fälschten 'auctoritas'  ist  oben  S.  63  Anm.  1  behandelt  worden.  2)  Damit 
in  Verbindung  steht  auch  der  Brief  Urbans  II.  .J.-L.  6350  durch  seine 
Aufschrift,  in  welcher  sechs  Suffraganbischöfe  des  Erzbisthums  Vienne, 
die  Bischöfe  von  Valence,  Genf,  Maurienne,  Grenoble,  Die  und  Viviers 
als  Empfänger  angegeben  werden,  ohne  bezeichnender  Weise  mit  Namen 
genannt    zu    sein.  3)    Aus    der    Form   jener  Abmachung,    durch  welche 

der  Erzbischof  von  Vienne  auf  die  Zukunft,  auf  eine  genauere  Entschei- 
dung über  die  ihm  vorläufig  nicht  zugesprochenen  Suffraganbisthümer 
vertröstet  wird:  'Interim  .  .  .  donec  quae  residuae  sunt  certius  dis- 
cussae  et  plenius  ventilatae  sub  potestate  Viennensis  ecclesiae  redi- 
gantur'  kann  man  einen  verdächtigen  Anklang  an  die  Worte  des  Zosi- 
mus  heraushören,  welche  den  Erzbischof  von  Vienne  vor  der  Hand  auf 
die  Nachbarstädte  verweisen:  'donec  plenius  rei  ordinem  Caritas  apo- 
stolica  prosequatur',  und  unmittelbar  vorher:  'Interim  usque  dum  luci- 
dius  Ventil  etur';  also  auch  zwischen  der  Urkunde  Gregors  VII.  und 
dem  nach  dem  vorgeblichen  Alter  siebenten  Brief  der  Reihe  (J.-K.  335) 
ist  eine  Berührung  vorzubringen. 


Arles   und  Vienne.  77 

umquam  privilegiis  antiquis  cana  reverentia  firmatis 
ecclesiam  Viennensem  posse  vacuari'.  Ganz  ähnlich  ver- 
wendet sich  auch  Paul  I.  bei  Karl  dem  Grossen  für  die  Vien- 
ner  Kirche  (J.-E.  2367):  'Sciat  igitur  dementia  vestra,  .  .  . 
quam  alte  de  privilegiis  praedecessorum  nostrorum  haec 
eadem  ecclesia  .  .  .  floruerit,  quam  semper  .  .  .  de  munere 
apostolicü  .  .  .  extulerunt;  .  .  .  utantur  privilegiis  suis 
diuturnitate  roboratis  nee  ullo  modo  etc.'  AVeit  kürzer, 
aber  in  dem  nämlichen  Zusammenhange  bleibend  schreibt  Leo 
(J.-E.  2533)  an  den  Erzbischof  von  Vienne,  welcher  ihn  ge- 
beten, wie  der  Papst  sagt:  'ut  tibi  antiqua  privilegia 
roboraremus':  'Scias  autem  nos  ab  eorum  institutioni- 
bus  noUe  deviare  et,  quae  illi  ecclesiae  tuae  contulerunt, 
nos  velle  inconcussa  servare';  derselben  Kürze  befleissigt 
sich  auch  Paschal  (J.-E.  2549),  welcher  zugesteht:  'Omnia 
etiam  privilegia,  quae  tuae  pridem  concessa  sunt  a 
praedecessoribus  nostris  ecclesiae,  volumus  incon- 
vulsa  tibi  et  successoribus  tuis  permanere',  und  Eugen  (J.-E. 
2563),  welcher  mit  Leo  sich  etwas  berührt:  'Vestrum  plane 
Privilegium  vobis  redintegratum,  quod  praedecessores 
nostri  vestrae  sedi  concesserunt,  cognoscatis;  neque  enim 
aliud  nos  velle  debemus,  quam  quod  illi  .  .  .  firmaverun t'. 
Aus  dem  Briefe  Gregors  V^IL  (J.-L.  5025)  gehört  hierher  die 
an  Clerus  und  Volk  von  Vienne  ergehende  Aufforderung : 
'cuncta,  quae  iuris  sunt  ecclesiae  vestrae,  sicut  ipsa  ecclesia 
antiquitus  tenuit,  teuere  et,  quae  violenter  sibi  ablata  sunt, 
eum  —  den  Erzbischof  von  Vienne  —  recuperare  iuvare', 
endlich  aus  dem  Briefe  Urbans  (J.-L.  5421)  das  Versprechen: 
'quicquid  honoris,  quicquid  dignitatis  antecessores  nostri 
Viennensi  ecclesiae  contulerunt,  .  .  .  firmum  perpe- 
tuumque  servabimus'i. 


1)  Völlig  durcheinander  gewirrt  sind  die  Anordnungen  des  Sergius 
(J.-L.  3544),  welcher  erst  allgemein  bestätigt  'quaecumque  ad  dignitatem 
sacerdotii  tui  pertinent',  dann  diese  Bestätigung  sofort  auf  die  Gerecht- 
same und  Güter  der  Kirche  innerhalb  des  eigenen  Sprengeis  ausdehnt 
('seu  quae  in  facultatibus  et  possessionibus  tua  habere  vel  habuisse  ecclesia 
videtur  tarn  in  parrochiis  quam  in  sufl'raganeis  episcopis'l,  indem  er  dabei 
(mit  dem  'quam')  gleich  auf  das  Metropolitangebiet  zu  sprechen  kommt, 
darauf  den  Primat  über  die  sieben  von  Silvester  bestimmten  Provinzen 
erneuert,  weiter  die  Abgaben  der  Suffraganbisthümer  und  der  Kirchen 
innerhalb  der  Provinz  Vienne  behandelt,  danach  noch  einmal  'res  omnes' 
der  Vienner  Kirche  zusichert,  um  endlich  auch  seinerseits  die  auf  König 
Guntram  zurückzuführende  Einfügung  des  Sprengeis  Maurienne  in  das 
Metropolitangebiet  Viennes  zu  bekräftigen.  Sergius  hat  dabei,  wo  er  'res 
omnes'  bespricht  ('.  .  .  sive  a  regibus  sint  sive  a  piis  hominibus 
illi  [sc.  ecclesiae  Viennensi]  concessae'),  zuerst  die  Form  gegeben, 
welche  auch  in  späteren  Vienner  Briefen  erscheint;  so  hat  Leo  IX.  (J.-L. 
4285):    'praedia  et  bona  et  munitiones,    quae  Komanorum  im- 


78  Wilhelm  Gundlach. 

Was  mit  diesen  Bestätigungen  gesagt  werden  soll,  ob  die 
Primatial-  oder  die  Metropolitangewalt,  ob  beide  zugleich  oder 
ganz  andere  Dinge,  welche  der  Vienner  Kirche  etwa  früher 
gewährt  worden  sind,  betroffen  werden,  bleibt  ungewiss ;  so 
viel  aber  ist  sicher,  dass  gerade  die  kanzleiwidrige  Allgemein- 
heit ein  unterscheidendes  Merkmal  für  die  acht  zuletzt  be- 
trachteten Papstbriefe  abgiebt,  dass  in  ihr  ein  Band  gewonnen 
ist,  welches  die  Briefe  mit  einander  vereint. 

Da  nun  auch  unter  anderen  Gesichtspunkten  vorher  andere 
Briefgruppen  zusammengestellt  sind,  da  von  den  dreissig  Vien- 
ner Briefen  im  ganzen  vierundzwanzig  —  nur  die  Briefe  des 
Pius  (J.-K.  45.  46),  Cornelius  (J.-K.  116),  Johann  (J.-E.  2146), 
Constantin  (J.-E.  2151)  und  Zacharias  (J.-E.  2258)  sind  bisher 
nicht  berührt  worden  —  in  mannichfaltigem  Zusammenhange 
zur  Erörterung  gekommen  sind,  so  dürfte  damit  schon  aus 
den  Briefen  selbst  ihre  Einheitlichkeit  dargethan  sein.  Es 
giebt  aber  noch  zu  demselben  Ziele  einen  anderen  Weg, 
welclier  darum  hier  verfolgt  werden  soll,  Aveil  er  nicht  nur 
zu  einer  Bestätigung,  sondern  auch  zu  einer  Vervollständigung 
des  gefundenen  Ergebnisses  führt:  das  ist  die  Ermittelung 
der  Beziehungen,  welche  zwischen  den  Vienner  Briefen  und 
einer  anderen  Briefsammlung  bestehen. 

Es  ist  bereits  erwähnt  worden,  dass  die  allgemeine  An- 
gabe des  Zosimus- Briefes,  welcher  unter  den  Vienner  Stücken 
sich  befindet  (J.-K.  335):  drei  Provinzen  seien  dem  Bischof 
von  Arles  zugetheilt  worden,  nur  durch  den  Zosimus -Brief 
der  Arier  Sammlung  (J.-K.  328)  genau  bestimmt  wird,  in  dem 
die  Vienner  und  die  beiden  Narbonner  Provinzen  als  engerer 
Bereich  des  Arier  Primates  bezeichnet  werden.  Wie  hier  die 
Kenntnis  der  Arier  Sammlung  erklärend  eingreift,  so  ist  es 
aber  auch  noch  bei  manchen  anderen  Zügen,  da  offenkundig 
in  den  Vienner  Briefen  das  Streben  zu  Tage  tritt,  die  Arier 
Sammlung  zu  erreichen,  ja  selbst  zu  übertreffen. 

Um  die  Bedeutung  "der  Stadt  Arles  in  staatsrechtlicher 
Beziehung  zu  veranschaulichen,  machen  die  Bischöfe,  welche 
sich  bei  Leo  I.  für  die  kirchlichen  Gerechtsame  des  Bisthums 


peratores  et  Francorum  atque  Burgundiae  reges  ecclesiae 
tuae  dederunt',  Gregor  VII.  (J.-L.  5024):  'Privilegia  igitur  et  praedia 
vel  bona,  quae  .  .  .  a  Romanorum  imperatoribus  seu  Franco- 
rum vel  Burgundiae  regibus  ecclesiae  tuae  sunt  data  vel 
reddita',  Paschal  II.  (J.-L.  6596):  'quaecumque  praedia,  quaecumque 
dona  vel  a  Romanis  imperatoribus  vel  a  Burgundiae  regibus 
-tuae  ecclesiae  data  vel  reddita  sunt';  man  vergleiche  auch  die 
Angabe  Calixts  II.  (J.-L.  6822):  'omnem  munitionem  ac  liberalitatem, 
quam  .  .  .  per  imperatorum,  regum,  principum  et  ceterorum  fideliura 
largitionem  concessam  obtinet',  welche  wieder  auf  Sergius'  Worte  zu- 
rückzudeuten  scheint. 


Arles  und  Vienne.  79 

Arles  verwenden  ('Memores  quantum'),  geltend,  dass  die  Stadt 
von  dem  grossen  Constantin  den  Ehrenbeinamen  'Constantina' 
erhalten  habe,  dessen  auch  die  Kaiser  Honorius  und  Theodo- 
sius  II.  in  ihrer  Verfügung  an  Agricola,  den  Praefectus  prae- 
torio  Galliens,  ('Saluberrima  magnificentiae')  gedenken.  Wie 
sehr  Vienne  der  Nebenbuhlerin  hier  überlegen  ist,  die  doch 
nur  nach  einem  späteren,  einem  christlichen  Kaiser  beigenannt 
ist,  soll  augenscheinlich  die  Benennung  'Senatoria  urbs'  an- 
deuten, welche  Pius  in  seinen  beiden  Briefen  (J.-K.  45.  46) 
der  Vienna  beilegt;  und  damit  auch  gar  kein  Zweifel  daran 
sei,  dass  die  Bezeichnung  schon  aus  der  Heidenzeit  sich  her- 
schreibe, muss  Stephan  (J.-E.  2385)  seine  Stellung  zu  der 
Stadt  beeinflusst  sein  lassen:  ^non  solum  quod  eadem  peranti- 
qua,  sed  quod  etiam  Romano  senatui  peculiariter  cara  extitit'. 
Um  Arles  als  die  Mutterstadt  des  ganzen  gallischen  Landes 
zu  kennzeichnen,  kommt  in  den  Arier  Briefen  wiederholt  — 
in  den  Schreiben  J.-K.  328.  332.  334  und  der  eben  erwähnten 
Bittschrift  gallischer  Bischöfe  an  Leo  I.  —  die  Rede  auf  den 
heiligen  Trophimus,  der,  von  Petrus  oder  dem  apostolischen 
Stuhle  entsandt,  die  Arier  Kirche  begründet  und  den  Christen- 
glauben in  Gallien  verbreitet  habe.  Die  Vienner  Briefe  schei- 
nen zunächst  nicht  recht  mit  der  Sprache  heraus  zu  wollen; 
denn  in  dem  ersten  Brief  des  Pius  (J.-K.  45)  werden  nur 
erwähnt  'presbyteri  illi,  qui  ab  apostolis  educati  usque  ad  nos 
pervenerunt' ',  die  dann  bei  Victor  (J.-K.  75)  als  Lehrer  des 
zeitigen  Bischofs  von  Vienne  erscheinen  ('sancta  fraternitas  tua 
a  presbyteris,  qui  apostolos  in  carne  viderunt,  erudita').  Nach- 
dem so  die  Annahme  begünstigt  ist,  dass  noch  in  der  Apostel- 
zeit die  Vienner  Kirche  gestiftet  worden  sei,  wird  ihr  Urheber 
von  Johann  VIL  (J.-E.  2146)  genauer  als  ein  Schüler  des  Paulus 
bezeichnet  ('Pauli  .  .  .,  per  cuius  discipulum  suscepit  —  sc. 
ecclesia  Viennensis  —  primum  religionis  honorem'),  um  end- 
lich von  Paul  I.  (J.-E.  2367)  auch  namentlich  angeführt  zu 
werden:  ('ecclesia  Viennensis)  apostolorum  collegam  ^  Crescen- 
tem  raagistrum  habere  meruit'^.     Dass  Crescens  das  gallische 


1)  Es  entspricht  ja  der  noch  wunderkräftigen  Zeit,  in  welche  die 
ersten  Vienner  Briefe  gehören  sollen,  dass  nur  in  ihnen  auch  Offen- 
barungen zur  Erwähnung  kommen;  so  sagt  Pius  (J.-K.  46):  'Revela- 
tum  mihi  esse  scias  .  .  .  citius  me  finem  huius  vitae  facturum',  und  Cor- 
nelius (J.-K.  116):  'Ora,  ut  perficiamus  cursum  nostruni  nobis  a  Christo 
revelatum';  äusserlich  hängt  auch  daran  noch  der  Zosimus- Brief 
(J.-K.  335),  welcher  mit  den  Worten  anhebt:  'Revelatum  nobis  est'. 
2)  Diese  absonderliche  Bezeichnung  des  geistlichen  Ämtsbruders  findet 
sich  zweimal  in  dem  Briefe  des  Pius  J.-K.  46  und  dreimal  in  den  Briefen 
des  Victor  J.-K.  75  und  76;  auch  von  dem  'collegium  fratrum'  ist  in 
J.-K.  46  und   75    die  Rede.  3)  Der  Anspruch  der  Gleichberechtigung 

der  Bisthümer   Arles   und  Vienne    kraft    der   gleichen   Stellung   ihrer   Be- 


80  Wilhelm  Gundlach. 

Land  dem  Christenthum  gewonnen  habe,  ist  zwar  nirgend 
ausdrücklich  gesagt  —  man  müsste  denn  gerade  die  allge- 
meine, auch  noch  von  'meruit'  abhängige  Redensart:  'et  de 
integritate  fidei  gloriari'  so  auslegen  — ,  aber  wenigstens  ein- 
geflüstert, indem  noch  Pius  (J.-K.  45)  von  dem  Bischof  von 
Vienne  zu  hören  wünscht:  'si  sementem  evangelii  iam  spar- 
seris'.  Später  wird  dann  die  Vienner  Kirche  geradezu  eine 
Gründung  der  Apostel  genannt,  so  von  Paschal  I.  (J.-E.  2549): 
'utpote  ab  .  .  .  apostolis  f'undata'  und  von  Gregor  VII.  (J.-L. 
5024):  'utpote  a  beatissimis  apostolis  Petro  et  Paulo  fundata'^ 
und  der  ursprüngliche  Zusammenhang  mit  Rom  recht  ge- 
flissentlich hervorgehoben;  so  schreibt  Johann  VII.  (J.-E. 
2146)  dem  Erzbischof  von  Vienne  diejenige  Form  der  Messe 
vor,  welche  der  römischen  Kirche  eigenthümlich  ist:  'cuius 
morem  et  institutum',  sagt  er,  'debet  servare  ecclesia  tua, 
quae  fundamentum  sancti  habitus  ab  illa  sumpsit';  darum  ge- 
stattet auch  derselbe  Papst  dem  Bischof  die  Anlegung  des 
Palliums  mit  der  Begründung:  'nolentes  te  privari  antiquo 
beati  Petri  munere';  darum  erlaubt  auch  Zacharias  (J.-E. 
2258)  den  Gebrauch  der  Dalmatica  in  der  Vienner  Kirche : 
'ut,  quia  ecclesia  vestra  ab  hac  sede  doctrinam  lidei  percepit 
et  morera  habitus  sacerdotalis,  ab  illa  etiam  percipiat  decorera 
honoris'. 

Was  nun  die  dem  Bisthura  Vienne  ertheilten  Rechte  an- 
langt, so  ist  das  sonderbare  Schwanken  in  der  Abgrenzung 
des  dem  Bisthum  unterstellten  Bereiches  vielleicht  auch  durch 
die  Arier  Sammlung,  durch  die  falsche  Auffassung  ihrer  Be- 
stimmungen zu  erklären.  Man  halte  sich  doch  gegenwärtig, 
dass  die  Arier  Sammlung  mit  der  Verfügung  des  Honorius 
und  Theodosius  beginnt:  'ut  servata  posthac  quot  annis  sin- 
gulis  consuetudine  constituto  tempore  in  metropolitana,  id  est 
in  Arelatensi  urbe  incipiant  Septem  Provinciae  habere 
concilium',  dass  dann  Verordnungen  der  Päpste  folgen,  welche 
zwar  im  allgemeinen  das  ganze  Gallien  als  Primatgebiet 
des  Bisthums  Arles  bezeichnen,  aber  im  einzelnen  doch  manche 
Abwandelungen,  freilich  wohlverständlicher  Art  vornehmen. 
Wie  leicht  konnte  da  ein  blödes  Auge  verkennen,  dass  die 
Bestimmung  der  Römischen  Kaiser,  da  die  'metropolitana  urbs', 
das  'concilium',  die  'Septem  Provinciae',  ja  selbst  die  alljähr- 
liche Wiederkehr  der  'concilia'  dem  Kirchenrecht  geläufige 
Begrifi'e  waren,  gar  nicht  die  Kirche,  sondern  zunächst  nur 
den   Staat   angeht,   und   so   auch   die   Grenzen   des  Arier  Be- 


gründer findet  übrigfens  schon  eine  Unterlage  in  der  Chronik  des  Ado, 
welcher  (Migne  CXXIII,  79)  berichtet:  'Quo  tempore  (sc.  Neronis)  cre- 
ditur  Paulus  ad  Hispanias  pervenisse  et  Arelatae  Tropbimum,  Vienna© 
Crescentem  discipulos  suos  ad  praedicandum  reliquisse'. 


Arles  und  Vienne.  81 

reiches  bald  mit  den  der  Sieben  Provinzen  zusammenfallen,  bald 
das  ganze  Gallien  in  sich  beschliessen  sehen,  wie  leicht  konnte 
dann  in  solcher  Wahrnehmung  Anstoss  und  Richtung  für  die 
Bestimmung  des  Vienner  Gebietes  gefunden  werden!  Dass 
die  unsichere  Stellung  des  Bisthums  Tarantaise  unter  den  von 
Vienne  beherrschten  Bisthümern  in  dem  Verhältnis  des  Bis- 
thums Aix  zu  Arles  eiü  Gegenstück  findet  —  Symmachus 
befiehlt  (J.-K.  769),  dass  auch  der  Bischof  von  Aix  der  von 
Arles  ausgehenden  Berufung  zu  einer  Synode  Folge  zu  leisten 
habe  — ,  ist  gewiss  nicht  lediglich  auf  Nachahmung  der  Arier 
Sammlung  zurückzuführen;  aber  die  wiederholten  und  kräf- 
tigen Verweisungen  bei  späteren  Bestätigungen  auf  die  im 
Römischen  Archive  beruhenden  Vorurkunden  —  in  dem  Bitt- 
schreiben gallischer  Bischöfe  an  Leo  I.,  in  J.-K.  556.  754 
('quibus  ecclesiasticum  gravatur  scrinium'),  918  ('testimonium 
nostri  declarat  scrinii'),  944  ('ecclesiae  Romane  testantur  scri- 
nia'),  945  —  dürfte  doch  die  auf  einen  Anspruch  des  Bis- 
thums Vienne  bezügliche  Wendung  Eugens  (in  J.-E.  2563)  'in 
scriniis  nostris  investigavimus'  veranlasst  haben,  wenn  auch 
daneben  zweimal,  wie  schon  berührt,  'sicut  Romanus  catalogus 
testatur'  etc.  erscheint. 

Im  besonderen  zu  reden  von  den  Beziehungen  der  Päpste 
zu  den  Vienner  Bischöfen,  welche  die  seit  dem  Anfang  des 
fünften  Jahrhunderts  ständige  Bezeichnung  'archiepiscopus'  vor 
den  Bischöfen  von  Arles  voraushaben,  so  ist  ja  die  Benach- 
richtigung, dass  der  Stuhl  Petri  einen  neuen  Besitzer  erhalten 
habe,  und  die  Aufforderung,  dieses  Ereignis  den  untergeord- 
neten Bischöfen  bekannt  zu  machen  i,  die  Bestätigung  eines 
Bischofs  vielleicht  mit  beigefügter  Ermahnung  ^  und  die  Be- 
kundung einer  wechselseitigen  Zuneigung  ^  als  nichts  Ausser- 
ordentliches zu  erachten ;  bedeutungsvoller  sind  schon  die  Be- 
lehrungen, welche  der  Papst  dem  Bischof  von  Vienne  zu  theil 
werden  lässt,  verglichen  mit  ähnlichen  dem  Bischof  von  Arles 
gewidmeten  Auseinandersetzungen. 

Wenn  Agapit  dem  Bischof  Caesarius  von  Arles  die 
Satzungen  einer  römischen  Synode  übermittelt,  um  seinem 
Urtheil  in  einer  kirchenrechtlichen  Frage  Nachdruck  zu  ver- 
schaifen  (J.-K.  891)"*,  so  schreibt  auch  Zacharias  an  den  Erz- 
bischof von  Vienne  (J.-E.  2258):  'Caeterum  XI.  Kalendas 
Aprilis  synodum  Romae  fecimus,  cuius  exemplar  dilectus 
presbyter  noster  vestrae  sanctitati  portabit';  auch  die  Unter- 
weisung, welche  derselbe  Papst  hinzufügt,  'de  episcopis  per 
pecuniam   ordinatis'  hat  Muster  in  anderen  Arier  Briefen,  in 


1)    (J.-L.  5350)    —   J.-K.    552.  640.  770.  940.  2)    J.-E.    2549. 

J.-L.  5025  (5050)  —  J.-K.  434.  912.  3)   J.-L.  2563  —  J.-K.  553. 

640.  940.  941.  947.         4)  Aehnlich  sind  auch  J.-K.  451.   764.  777.  890. 
Keues  Archiv  etc.    XV.  Q 


82  Wilhelm  Gundlach. 

dem  des  Symmachus  J.-K.  764,  welchem  ein  Antrag  des  Cae- 
sarius  von  Arles  vorausgeht,  und  in  einem  Zosimus -Briefe 
(J.-K.  333),  welcher  ähnliche  Massnahmen  gegen  die  'saltu 
subito  promoti'  empfiehlt.  Dass  weiter  in  den  beiden  Schrei- 
ben des  Victor  (J.-K.  75.  76)  den  Bischöfen  von  Vienne  die 
Streitfrage  über  die  Osterfeier  erläutert  wird  mit  der  Wei- 
sung, die  Anschauung  Roms  in  ihrem  Gebiete  zu  verbreiten, 
dürfte,  wenn  auch  in  dem  Vienner  Briefe  eine  Anlehnung  an 
die  Worte  Ados  nicht  zu  verkennen  ist  i,  durch  den  Vorgang 
eines  Arier  Briefes  (J.-K.  754)  veranlasst  sein,  in  welchem 
Symmachus  dem  Bischof  von  Arles  den  Tag  des  Osterfestes 
auch  für  die  ihm  unterstellten  Bischöfe  angiebt.  Es  ist  ferner 
möglich,  dass  in  dem  Schreiben  des  Hilarus  (J.-K.  557)  die 
Erwähnung  der  kaiserlichen  Gesetze,  welche  die  ünantastbar- 
keit  des  kirchlichen  Besitzstandes  verbürgen,  den  Anstoss 
hergegeben  hat  zu  der  Auseinandersetzung  über  die  Prae- 
scriptio,  wie  sie  'in  lustiuiana  lege'  zu  finden  sei,  kraft  welcher 
Papst  Eugen  den  Erzbischof  von  Vienne  versichert  (J.-E. 
2563),  'ut',  so  sagt  er,  '.  .  .  vestrae  ecclesiae  eam  (sc.  causam) 
concessam  non  dubitetis'.  Unzweifelhaft  aber  ist  die  Angabe 
des  Zosimus -Briefes  in  der  Vienner  Sammlung  (J.-K.  335): 
'Lazarum  indebite  episcopum,  criminatorem  fratris,  ordinatum 
scias  nostro  iudicio  esse  damnatum'  dem  nach  Arles  gerich- 
teten Briefe  des  Zosimus  (J.-K.  331)  entwendet;  denn  hier 
erst  kommt  die  Lazarus -Angelegenheit  recht  zum  Verständnis. 
Die  Palliumverleihungen,  welche  in  den  Vienner  Briefen 
erwähnt  werden,  gestatten  an  sich  nicht,  die  Arier  Briefe 
als  Vorlagen  heranzuziehen,  wohl  aber  die  einmal  dabei  er- 
wähnte Verzögerung:  wie  nämlich  Vigilius  in  der  Arier  Samm- 
lung (J.-K.  912)  dem  Bischof  von  Arles,  welcher  um  das 
Pallium  gebeten  hat,  erklärt,  dass  erst  der  Kaiser  Justinian 
darum  befragt  werden  müsse,  so  bezeugt  auch  Nicolaus  (J.-E. 
2693)  dem  Erzbischof  von  Vienne  seine  Bereitwilligkeit,  macht 
aber  ebenso  die  Gewährung  von  einer  Frage  abhängig;  da 
indessen  zu  seiner  Zeit  die  oströmischen  Kaiser  nicht  mehr 
in  Betracht  kommen  konnten,  ihre  Ersetzung  durch  die  Karo- 
lingischen Herrscher  aber  doch  wohl  zu  gewagt  erschien,  so 
ist  die  Frage  an  den  Erzbischof  von  Vienne  gerichtet  und  hat 
seine  Rechtgläubigkeit  zum  Gegenstande.  Es  scheint  damit 
abermals  ein  wiederholt  hervortretender  Zug  der  Arier  Briefe 
nutzbar  gemacht  zu  werden;  denn  die  Frage,  wie  denn  Ado 
von  Vienne,  der  die  vier  älteren  ökumenischen  Concilien  an- 
erkenne, sich  den  beiden  jüngeren  gegenüber  verhalte,  ist 
doch  nichts  anderes,  als  die  zeitgemäss  zurecht  gemachte,  in 
den  Arier  Briefen  (J.-K.  925.  938.  939.  946)  viermal  gestellte 
oder  beantwortete  Frage  nach  den  vier  ersten  Concilien. 

1)  Vgl.  oben  S.  67  Anin.  3. 


Arles  und  Vienne.  83 

Die  Gunst  der  Päpste  zeigt  sich  auch  in  der  Geneigtheit, 
die  ihnen  werthen  Kirchen  mit  Reliquien  auszusteuern ;  das 
•wird  gleichmässig  in  den  Arier  wie  in  den  Vienner  Briefen 
berührt;  aber  wie  wenig  ist  hier  Arles  in  der  Lage,  gegen 
Vienne  aufzukommen!  Während  Pelagius  in  den  Briefen 
J.-K.  942.  943  'beatorum  apostolorum  Petri  et  Pauli  et  aliorum 
sanctorum  martyrum  reliquias'  dem  Bischof  von  Arles  nur  zu 
vorübergehender  Behütung  —  zur  Uebermittelung  an  den  König 
Childebert  und  zur  Rückbefördenmg ;  denn  sie  sind  nur  ge- 
liehen —  anvertraut,  sind  die  Päpste  Vienne  gegenüber  von 
wahrhaft  verschwenderischer  Freigebigkeit  beseelt:  Johann 
(J.-E.  2146)  schenkt  Haare  vom  Haupte  des  Apostels  Paulus 
und  Constantin  (J.  E.  2151)  ein  Stück  von  dem  Schwämme, 
welcher  dem  dürstenden  Heiland  an  das  Kreuz  hinaufgereicht 
worden  ist,  Theile  von  den  Kleidern  des  Herrn  und  von  den 
Fesseln,  welche  die  Apostel  getragen  haben,  ein  Ueberbleibsel 
einer  ehernen  Pfanne,  welche  bei  den  Makkabäern  in  Gebrauch 
gewesen,  und  ein  Häufchen  Asche  von  dem  Leibe  Johannes' 
des  Täufers  1. 

Es  wäre  unrecht,  wenn  die  Bischöfe  von  Vienne  unter 
diesen  Umständen  den  Bischöfen  von  Arles  in  der  Erkenntlich- 
keit etwas  nachgäben.  Hat  also  Gelasius  in  einem  nach  Arles 
geschickten  Briefe  (J.-K.  640)  Anlass,  Leute  zu  erwähnen,  ^qui 
ad  Italiae  partes  ad  providendam  congregationi  sanctae  sub- 
stantiam  commearant',  und  bittet  Pelagius  in  Arles  darum  (J.-K. 
943.  947),  dass  wärmende  Kleidungsstücke  für  die  Römischen 
Armen  angekauft  werden,  so  kann  Gregor  H.  (J.-E.  2158)  dem 
Erzbischof  von  Vienne  schon  seinen  Dank  abstatten:  'Munera, 
quae  misistis  in  odorem  suavitatis  peregrinis  et  captivis  Deo 
oflferenda,  gratanter  quasi  benedictionem  suscepimus  et  indigenti- 
bus  Christi  sustentationem  praebuimus';  und  aufdass  der  wohl- 
thätige  Sinn  der  Bischöfe  von  Vienne  ja  nicht  übersehen  werde, 
hat  der  erste  Herausgeber  —  vielleicht  auf  Grund  einer  hand- 
schriftlichen Bemerkung  —  an  den  Rand  gesetzt:  'Viennenses 
pontifices  liberales  erga  Romanae  urbis  inopes'! 

Dem  Wohlthäter  die  Noth  zu  klagen  ist  ja  nur  natürlich; 
und  so  findet  sich  denn  auch,  nachdem  Vigilius  (J.-K.  925) 
dem  Bischof  von  Arles  von  der  'necessitas  Italiae'  gesprochen, 
welcher  der  Kaiser  abzuhelfen  verheissen  habe  —  es  handelt 
sich  um  die  durch  Totila  erfolgte  gothische  Eroberung  Roms  — , 
in  dem  Brief  des  Zacharias  (J.-E.  2258)  für  den  Erzbischof 
von  Vienne  die  Mittheilung:  'Langobardi'  —  die  Gothen  sind 
ja  inzwischen  veraltet!  —  'quorum  saevitia  ubique  crevit,  .  .  . 


1)  'de  spongia  Domini,  de  vestimentis  Domini,  de  vinculis  apostolo- 
rum _.  de  sartagine  aevea  Machabeorum,  de  cineribus  sancti  lohannis 
Baptistae'. 

6* 


84  Wilhelm  Gundlach. 

nostros  fines  devastant'»,  und  in  dem  Schreiben  Leos  IIL 
(J.-E.  2533)  die  weit  vorsichtigere  Klage:  'Quanta  autem  ab 
impiis  passi  sumus,  te  ignorare  non  dubitamus'. 

Dass  die  Päpste  ihre  Besehwerden  den  Bischöfen  von 
Arles  und  Vienne  nicht  vorenthalten,  kann  auch  in  ihrer  ein- 
flussreichen  Stellung,  ihrer  Verbindung  mit  den  fränkischen 
Herrschern  begründet  sein;  denn  die  Arier  Briefe  J.-K.  906, 
912.  913.  914.  919.  925.  941.  945.  948  lassen  erkennen,  dass 
die  Bischöfe  von  Arles  mit  den  Königen  Theodebert  I.  und 
Childebert  I.  im  Verkehre  standen,  dass  auch  das  Bisthum 
Arles  geradezu  dem  Schutze  des  Königs  Childebert  empfohlen 
ward.  Damit  wetteifern  die  Vienner  Briefe,  indem  Gregor  IL 
(J.-E.  2158)  den  Bischof  von  Vienne  bittet:  'Bonifacium  rudi- 
bus  gentibus  episcopum  designavimus,  quem  vestra  Caritas  prin- 
cipibus  Francorum  insinuare  non  gravetur',  und  indem 
Stephan  IL  (J.-E.  2385)  davon  spricht,  dass  er  für  die  Vienner 
Kirche  den  (gleichfalls  unbestimmten)  'principibus  Francorum' 
einen  Brief  zugesandt  habe;  Vienne  sucht  aber  die  Neben- 
buhlerin Arles  zu  übertrumpfen,  indem  au  die  Stelle  der  kleinen 
fränkischen  Theilherrscher  Theodebert  und  Childebert  in  den 
Briefen  Pauls  L  (J.-E.  2367),  Hadrians  L  (2412)  und  Leos  IIL 
(2533)  Karl  der  Grosse,  der  I3eherrscher  des  christlichen  Abend- 
landes, tritt  2;  schade  nur,  dass  an  diesem  Streiche  die  Dummheit 
mehr  als  die  Kühnheit  betheiligt  ist;  da  nämlich  Hadrian  dem 
Kaiser  Karl  Klage  führt  'de  civitatibus,  quae  laicis  tra- 
ditae  eraut,  et  quia  iam  archiepiscopalis  dignitas  per 
octoginta  annosa  Francis  esset  conculcata',  um  dann 
von  Karl  die  Wiederherstellung  der  Metropolitangewalt  im 
allgemeinen,  also  auch  der  des  Bisthums  Vienne  sich  versprechen 
zu  lassen 3,  dürfte  hier  eine  Angelegenheit  dem  Kaiser  Karl 
angedichtet  sein,  welche  einst  zu  ßonifatius'  Zeit  seinen  Vor- 


1)  Ein  unmittelbarer  Angriff  der  Langobarden  auf  das  päpstliche  Ge- 
biet unter  Zacbarias  ist  nicht  bekannt.  2)  Da  der  Brief  Pauls  I.  an 
Karl  den  Grossen  gerichtet  war,  darf  man  auch  als  nicht  belanglos  gegen 
die  Epistolae  Viennenses  geltend  machen,  dass  dieser  Brief  nicht  im 
Codex  Carolinus  überliefert  ist;  man  darf  vielleicht  auch  anmerken,  dass 
die  beiden  Stücke  Gregors  VII.  in  dem  uns  erhaltenen  Registrum  dieses 
Papstes  fehlen,  obwohl  in  J.-L.  5025  eine  Stelle  aus  einem  Register-Briefe 
entnommen  zu  sein  scheint;  der  Ausspruch  des  Jeremias  (48,  10):  'Male- 
dictus,  qui  prohibet  gladium  suum  a  sanguine'  ist  nämlich  in  der  Vienner 
Reihe  erläutert  durch:  'hoc  est:  qui  prohibet  linguam  suam  a  cor- 
reptione  carnalium'  und  ganz  ähnlich  im  Register  (J.-L.  4786:  Bibl.  II,  26): 
'id  est  verbum  praedicationis  a  carnalium  increpatione',  was,  wie  Jaffe 
angiebt,  auf  eine  Stelle  in  der  Regula  pastoralis  Gregors  I.  (Opp.  ed. 
Maur.  II,  75)  zurückgeht.  3)  'Cum  haec  .  .  .  gloriosus  rex  audiisset, 
promisit  ante  corpus  beati  Petri,  quod  omnia  ad  ordinationem  nostram 
emendar  et'. 


Arles  und  Vienne.  85 

ganger  Karlmann  beschäftigt  hat;  denn  sowohl  die  Bischof- 
stühle, welche  mit  Laien  besetzt  sind,  als  auch  die  seit  achtzig 
Jahren  unwirksame  Metropolitangewalt  kommen  in  einem  Briefe 
des  ßonifatius  zur  Erörterung  i. 

Die  Abhängigkeit  der  Epistolae  Viennenses  wird  aber  nicht 
nur  durch  den  Inhalt  bezeugt,  sondern  auch  durch  die  Form: 
auch  in  der  Ausdrucksweise  sind  sie  an  die  Epistolae  Arela- 
tenses  gekettet  und  zwar,  um  von  Einzelheiten  zu  schweigen  2, 
durch  wörtliche  Entlehnung  zweier  ganzer  Briefe. 

In  welcher  Weise  dabei  verfahren  ist,  wird  man  aus  der 
Oegenüberstellung  erkennen: 


J.-K.  328 
Zosimus^     universis     epi- 
scopis    per   Grallias    et   Septem 


J.-K.  177. 

Silvester    papa  universis 
episcopis    per   Gallias    et    per 


provincias  constitutis.  [Septem  provincias. 


1)  Bonifatius  verkündet  nämlich  dem  Papste  Zacharias  (Jaffe,  Bibl. 
111,112):  'Et  p  ro  misi  t  (Carlomannus),  se  de  aecclesiastiea  religione,  quae 
iam  longo  tempore,  id  est  non  minus  quam  per  sexaginta  vel  septuaginta 
annos,  calcata  et  dissipata  fuit,  aliquid  corrigere  et  emendare  velle; 
...  Franci  enim,  ut  seniores  dicunt,  plus  quam  pertempus  octuginta 
annorum  synodum  non  fecerunt  nee  archiepiscopum  habuerunt  nee 
aecclesiae  canonica  iura  alicubi  fundabant  vel  renovabant.  Modo  autem 
maxima  ex  parte  per  civitates  episcopales  sedes  traditae  sunt  lai- 
cis'  etc.  2)  So  ist  z.  B.  anzuführen  aus  dem  Vienner  Leo-Briefe  J.-K.  446 
die  Wendung:  'privilegium  .  .  ,,  quod  apostolica  benignitas  adAre- 
latensem  ex  parte  transtulit  civitatem' als  ähnlieh  mit 'pri  v  ilegia 
Viennensis  ecclesiae  ad  Arelatensem  antistitem  transferantur'  in 
dem  Briefe  J.-K.  557;  ferner  ist  der  Ausdruck  des  Stephan  (J.-E.  2385): 
*privilegiis  antiquis  cana  reverentia  firmatis'  wohl  mit  *cana  ac 
reverenda  servetur  antiquitas'  in  dem  Arier  Briefe  J.-K.  754  zu  be- 
legen, weiter  aus  dem  Briefe  Pauls  (J.-E.  2367):  'ecclesia  (Viennensis), 
quam  semper  et  venerabilem  (sc.  prae  de  cessor  es  nostri)  tenuerunt 
et  .  .  .  extulerunt,  quae  apostolorura  collegam  Crescentem  magistrum 
habere  meruit  et  de  integritate  fidei  gloriari'  etwa  mit  'Arelateusis 
civitas  missum  a  beatissimo  Petro  apostolo  sanctum  Tropbimum  habere 
meruit  sacerdotem  et  exinde  .  .  .  bonum  fidei  et  religionis  infusum; 
.  .  .  ecclesiam  Arelatensem  omnes  decessores  prae  d  e  ce  s  sor  e  s  que 
nostri  velut  matrem  debito  semper  honore  coluerunt'  in  dem  Arier 
Bittschreiben:  'Memores  quantum'  und  'non  transgrediantur  normam  in 
limitibus  ecclesiarum  fixam,  quos  posuerunt  patres  nostri'  mit  'ne  quis- 
quam  .  .  .  transcendat  terminos  a  venerandis  patribus  constitutos'  in  dem 
Hilarus-Briefe  J.-K.  559;  recht  bezeichnend  aber  ist,  dass  die  beiden  ein- 
zigen Datierungen,  welche  die  Vienner  Briefe  vor  dem  Agatho  aufweisen, 
der  Arier  Sammlung  entnommen  und  noch  dazu  falsch  übernommen  sind, 
wie  oben  S.  67  dargelegt  worden  ist.  3)  Nicht  nur  um  zu  zeigen,  wie 

begehrlich  die  gallischen  Bischöfe  auf  die  Magna  charta  der  Arier  Kirche 
blickten,  sondern  auch  um  eine  neue  Vorlage  der  Vienner  Fälschung  zur 
Anschauung  zu  bringen,  gebe  ich  hier  bei  diejenige  —  von  Coustant 
(s.  oben  S.  68),  den  Ballerini  (Leonis  opp.  III,  p.  cxxxv)  und  von  Maassen 
(Quellen  I,  S.  249)  zwar  erwähnte,  aber,  soviel  ich  weiss,  noch  nirgends 


86  Wilhelm  Gundlach. 

Placuit  apostolicae  sedi,  ut,  I  Placuit  apostolicae  sedi,  ut^ 
si  quis  ex  qualibet  Galliarum'si  quis  ex  qualibet  Galliarum 
parte  sub  quolibet  ecelesiastico  parte  sub  quolibet  ecclesiastico 
gradu  ad  nos  Rom  am  venire  gradu  ad  nos  venire  conteudit 
contendit  vel  ad  alia  terrarumvel  ad  alia  terrarum  loea  ire 
ire  disponit,  non  aliter  proficis-  disponit,  non  aliter  proficisca- 
catur,  nisi  metropolitani  Arela-|tur,  nisi  metropolitani  Vien- 
tensis  episcopi  formatas  |n  e  n  s  i  s  formatas  aeeeperit. 
acceperit,  quibus  sacerdotium|quibus  sacerdotium  suum  vel 
suum  vel  locum  ecelesiasticum  locum  ecclesiasticum  quem  ha- 
quem  habet  scriptorum  eins  ad- jbet  scriptorura  eins  adstipula- 
stipulatione  perdoceat:  quod  ea  tione  perdoceat:  quod  ea  gratia 
gratia  statuimus,  quia  pluri»  statuimus,  quia  plurimi  se 
episcopos^,  presbyteros^  sive  episcopos,  presbyteros  sive 
ecclesiastieos*  simulantes,  quia  ecclesiasticos  simulantes,  quia 
nullum  documentum  formata-  nullum  documentum  formata- 
rum  extat,  per  quod  valeautirum  extat,  per  quod  valeant 
confutari,  in  nomen  venerationis .  confutari,  in  nomenvenerationis 
inrepunt  et  indebitam  reve-jirrepunt  et  indebitam  venera- 
rentiam  promerentur.     Quis-jtionem  promerentur.  Quisquis 


veröffentlichte  —  Form  des  Zosimus- Briefes,  welche  trüglich  zu  Gunstea 
des  Bisthums  Autun  zurechtgemacht  ist.  In  dem  aus  dem  neunten  Jahr- 
hundert stammenden  Cod.  Vatic.  Palat.  574  (fol.  85)  überliefert,  dessen 
Vergleichung  ich  Herrn  Dr.  Wotke  verdanke,  macht  sich  der  angebliehe 
Silvester-Brief  ohne  weiteres  als  Fälschung  dadurch  kenntlich,  dass  über 
die  hinzugefügten  Schlussworte:  'Bene  valite,  feliciter'  hinaus  die  etwas 
verderbte  Fortsetzung  des  Zosimus -Briefes  beibehalten,  also  dann  auch 
stets  von  dem  Bisthum  Arles  die  Rede  ist.  Nach  der  Ankündigung:  'In- 
cipit  constitutio  apostolicae  sedis'  heisst  es:  'Silvester  episcopus  uni- 
versis  episcopis  per  Gallias  et  Septem  provincias.  Placuit  apostolice 
sedi,  ut,  si  quis  ex  qualibet  ( — ! — )  et  ecclesiastico  gradu  ad  nostram  (!) 
venire  contendit  vel  ad  alia  terrarum  ire  disponit,  non  aliter  proficiscatur, 
nisi  metropolitani  Austudunensis  episcopi  formata  (!)  acceperit,  quibus  sa- 
cerdotium suum  vel  locum  ecclesiasticum,  quem  habet,  scriptorum  eins 
astipulatione  perdoceat :  quod  ea  gratia  statuimus,  quia  plurimi  episcopi, 
presbyteros  sive  ecclesiasticos  simulantes,  quia  nullum  documentum  forma- 
tarum  extat,  per  quod  valeant  confutari,  in  nomen  venerationis  inreputet(!), 
indebitam  reverentiam  promerentur.  Quisquis  igitur,  fratres  carissimi, 
praetermissa  supradicti  formata,  sive  ille  episcopus  sit,  sive  presbyter, 
sive  diaconus,  ac  deinceps  inferiore  gradu  sit,  ad  nostra  venerit,  sciat  se 
suscepi  omnino  non  posse.  Quam  auctoritatem  ubique  misisse  manifestum 
est,  id(!)  cunctis  hie  regionibus  innotiscat,  id  quod  statuimus  omnimodis 
esse  servandum.  Si  quis  autem  haec  salubriter  constituta  temerare 
temptaverit,  sponte  sua  se  a  nostra  noverit  communione  discretum.  Hoc 
autem  Privilegium  formatarum  episco(!)  Eetitio,  fratri  et  coepiscopo  nostro, 
meritorum  eins  spicialiter  contemplatione  concessimus.  Bene  valite,  feliciter'. 
1)  so   1.  2;  plures  3.  4;  plurimi  C  1.  2)  so  verbessert  aus   episcopus 

1.   2;    episcopi  3.  4;    sive   fügen    hinzu    1.    3.    4.  3)    so    1.   2;  pres- 

byteri  3.  4.         4)  so   1.  2;   ecclesiastici  3.  4. 


Arles  und  Vienne. 


87 


quis  igitur,  fratres  carissimi, 
praeter  missam  supradicti 
formatam,  sive  ille^  episco- 
pus,  sive  2  presbyter,  sive  dia- 
conus,  aut  deinceps  infe- 
riori^  gradu  sit,  ad  nos 
venerit,  sciat,  se  suscepi  om- 
nino'*  non  posse.  Quam  aueto- 
ritatem  ubique  nos  misisse  ma- 
nifestum est,  ut  cunetis  regioni- 
bus  innotescat,  id  quod  statui- 
mus  omnimodis  esse  servan- 
dum.  Si  quis  autem  haec 
salubriter  constituta  temerare 
temptaverit,  sponte  sua  se  a 
nostra  noverit  communione  dis- 
cretum.  Hoc  autera  Privilegium 
formatarum  sancto  Patroclo, 
fratri  et  eoepiscopo  no- 
stro,  meritorura  eius  specialis 
contemplatione  concessimus. ... 

J.-K.  765. 
Dilectissimis  fratribus, 
universis  episcopis  per  Gal- 
lias   consistentibus,    Sym- 
machus. 


Cuncta  igitur  inter  eccle- 
sias  Arelatensem  et^  Vien- 
nensem  a  decess  ore  nostro 
beatae  recordationis  Leone  papa 
quae  super  hac  parte  ordinata 
sunt,  ecelesiae  Romanae  fidelis^ 
declarat  instructio.  Atque  ideo 
ne  ea,  quae  semper  veritatis 
est  aemula,  sibi  aliquid  vindi- 
care  queat  oblivio  et  prioris 
deereti  vigor  teraporis  diutur- 
nitate  vergat  *  in  Senium,  neces- 
sarium  duximus,  olim  promul- 


igitur,  fratres  carissimi,  prae- 
termissa  supradicta  for- 
ma ta,  sive  ille  episeopus  sit^, 
sive  presbyter,  sive  diaconus, 
aut  in  inferiori  gradu^o 
constitutus  deinceps  ad 
nos  venerit,  sciat,  se  suscipi 
omnino  non  posse.  Quam 
auctoritatem  ubique  nos»^  mi- 
sisse manifestum  est,  ut  cunetis 
bis  regionibus  innotescat,  id 
quod  statuimus  omnem  in 
modum  esse  servandum.  Si 
quis  autem  haec  salubriter  con- 
stituta temerare  praesumpse- 
rit,  sponte  sua  se  a  nostra  no- 
verit communione  discretum. 
Hoc  autem  Privilegium  forma- 
tarum fratri  et  eoepiscopo 
Paschasio  etposteris  eius 
meritorum  illius  speciali  con- 
templatione concessimus.  .  .  . 
(In  den  Reg.  nicht  aufgeführt.) 
Siraraachus  papa  omnibus 
episcopis  per  Gallias  consti- 
tutis. 


Cunctas  inter  ecclesias 
Galliarum  ob  praecipuas 
Viennensem  et  Arelaten- 
sem extitit  contro versia. 
Quae  vero  a  praedeces- 
sore  nostro  beatae  recordatio- 
nis Leone  papa  super  hac  parte 
ordinata  sunt,  ecelesiae  Roma- 
nae fidelis  declarat  instructio. 
Atque  ideo  ne  ea,  quae  semper 
est  veritatis  aemula,  sibi  ali- 
quid vindicare  queat  ^^  oblivio 
et  prioris  deereti  vigor  tempo- 


1)  nur  in   1.  2;  fehlt  in  3.  4,        2)  so  1.   3.  4;  seu  2.        3)  so  3.  4; 
inferiore   1,  2,  4)  so  in  2 ;    omnino  suscipi  1.  3.  4.  5)  so   2;  spe- 

cialiter  1.  3.  4.  6)  so  3.  4;  atque  2.  7)  so  3;  fideles  2,  4.  8)  so 
2.  4;  vergatur  3.  9)  fehlt  bei  L.  C.  10)  gradu  inferiori  L.  C.  11)  nos 
ubique  C.         J.2)  possit  L. 


88  Wühelm  Gundlach. 


gatai  in  2  lucem  reddere  nostris 
affatibus.  Idcirco  quemadmo- 
dum^  decessor  noster  Leo  papa 
dudum,  cognitis  allegationi- 
bus  partium,  definivit*.  parro- 
chiarum  numerum  vel  quanti- 
tatem  Arelatensi  et  Vien- 
nensi  saeerdotibus  deputan- 
d  u  m ,  et  nos  praeeipimus  nullius 
usurpatione  transcendi  *.  .  .  . 


ris  diulurnitatevergat  in  Senium, 
neeessarium  duximus,  olim  pro- 
mulgata  in  lucem  reddere "  no- 
stris affatibus.  Idcirco  quem- 
admodum  decessor  noster  Leo 
papa  dudum,  recognitis  alle- 
gationibus  partium,  definivit 
paroechiarum  numerum  vel 
quantitatem  Viennensi  et 
Arelatensi  saeerdotibus  d  e- 
putatam,  et  nos  praeeipimus 
nullius  usurpatione  transcendi. 
Valete. 
Da  nun  dargethan  ist,  dass  vielfältige  Beziehungen  in  der 
Form  wie  im  Inhalt  zwischen  den  Epistolae  Vienuenses  und 
der  geschlossenen  Sammlung  der  Epistolae  Arelatenses  be- 
stehen, dass  aber  auch  die  einzelnen  Stücke  der  Epistolae 
Viennenses  mehrfach  untereinander  verwandt  sind,  so  ist  da- 
mit erwiesen,  dass  auch  die  Epistolae  Viennenses  ein  einheit- 
liches Ganzes  ausmachen,  dass  sie  in  jedem  ihrer  Stücke  den- 
selben Ursprung  bekunden.  Sowie  das  aber  gezeigt  ist,  hat 
alles,  was  bisher  in  ihren  Formeln  und  in  ihrem  Inhalt  als  ge- 
fälscht bezeichnet  worden  ist,  alles,  was  einzelne  Briefe  als 
erfunden  ablehnen  Hess,  auf  alle  Stück  Geltung.  Die  ganze 
Sammlung  der  Epistolae  Viennenenses  kann  also  mit  Recht 
als  erdichtet  verworfen  werden. 

C.     Entstehungszeit  und  Urheber  der  Epistolae 
Viennenses. 

Die  mit  diesem  Ergebnis  sofort  laut  werdende  Frage,  wann 
denn  die  Sammlung  zusammengestellt  sei,  findet  eine  wenn 
auch  noch  nicht  ganz  bestimmte  Antwort  schon  von  jener  un- 
längst gemachten  Darlegung  aus,  welche  die  wortgetreuen 
Muster  zweier  Vienner  Briefe  zum  Gegenstande  hat. 

Dass  zunächst  der  angebliche  Silvester-Brief  auch  die  auf 
den  Bischof  von  Autun  lautende  Form  des  Schreibens:  'Placuit 
apostolicae'  zur  Vorlage  hat,  wird  klar  an  der  Aufschrift, 
welche  wie  die  Vienner  Fassung  gegen  die  Arier  den  Silvester 
als  Urheber  des  Briefes  angiebt  und  ebenso  das  'constitutis' 
am  Ende  fortlässt,  ferner  an  dem  schliessenden  'sit'  in  'sive 
ille  episcopus  sit'  und  an  dem  eingeschobenen  Demonstrativum 
in  'cunctis  hie  regionibus',  welches  in  dem  Vienner  Briefe  in 
^his'  umgewandelt  ist.     Es  ist  unwahrscheinlich,  dass  man  in 


1)  so  3;  proraulgatis  2.   4.  2)  nur  in  3;    fehlt  in  2.  4.  3)  so 

3;  quaeadmodum  2.  4.  4)  so  2.  4;  definit  3.  5)  so  2.  4;  trans- 

gredi  3.  6)   edere  L. 


Arles  und  Vienne.  89 

Vienne,  ohne  die  Autuner  Form  zu  kennen,  auf  diese  über- 
einstimmenden Abweichungen  gekommen  ist,  welche  keine 
einzige  andere  Handschrift  bietet.  Diese  Wahrnehmung  ist 
vor  allem  darum  wichtig,  weil  sie  das  Verfahren  des  Vienner 
Fälschers  kennen  lehrt,  der  sein  Machwerk  aus  verschiedenen 
Vorlagen  willkürlich  zusammenstoppelte ;  denn  dass  in  der 
That  mindestens  eine  Arier  Handschrift  ihm  zu  Grebote  ge- 
standen hat,  wird  anzunehmen  schon  unabweisbar  in  Anbetracht 
der  Lücke,  welche  die  Autuner  Form,  von  ^qualibet'  auf  'quo- 
libet'  überspringend,  gelassen  hat.  Selbst  wenn  man  nun  dem 
Belieben  des  Fälschers  für  eigenmächtige  Aenderungen  ein 
Aveites  Feld  einräumt,  wird  man  doch  die  Handschrift  2  der 
Arier  Sammlung  als  Vorlage  ansehen  müssen:  dafür  kommt 
nämlich  in  Betracht  die  Stelle  'pluri  episcopos,  presbyteros 
sive  ecclesiasticos  simulantes'  —  die  drei  anderen  Handschriften 
bieten  'plures  (pluri  1)  episcopi  (episcopos  1)  sive  presbyteri 
(presbyteros  1)  sive  ecclesiastici  (ecclesiasticos  1)  simulantes' 
— ,  ferner  'sive  ille  episcopus  .  .  .  sit',  was  nur  in  1  noch 
so  heisst,  in  3  und  4  aber  um  'Ille'  verkürzt  ist,  weiter  'suscepi 
omnino',  das  in  den  übrigen  Handschriften  umgekehrt  gestellt 
ist,  und  endlich  die  Form  'speciali',  welche  sonst  überall  zu 
'specialiter'  erweitert  ist.  Dass  es  sich  auch  in  dem  zweiten 
Briefe,  dem  des  Symmachus,  so  verhält,  dafür  kann  man  etwa 
anführen  'vergat  in  Senium'  (statt  'vergatur')  und  am  Ende 
^transcendi'  (statt  'transgredi').  Aber  dabei  dürfte  man  doch 
nicht  übersehen,  dass  die  Vienner  Fälschungen  auch  mit  3 
durch  nennenswerthe  Eigenheiten  verbunden  sind:  so  ist  viel- 
leicht schon  aus  dem  ersten  Briefe  das  'sive',  welches  an  'sive 
ille  episcopus'  anknüpft,  anzugeben,  da  es  in  2  durch  'seu  er- 
setzt ist,  aus  dem  zweiten  Briefe  aber  das  im  Anfang  die 
Wörter 'Arelatensem'  und'Viennensem'  verbindende  'et',  welches 
in  2  'atque'  lautet,  und  die  ganze  Wendung  'promulgata  in 
lucem  reddere',  wofür  2  'promulgatis  lucem  reddere'  aufweist. 
Wenn  es  unter  anderen  Umständen  auch  bedenklich  erscheinen 
müsste,  auf  Grund  der  zuletzt  angeführten  Uebereinstimmungen 
noch  eine  Benutzung  der  Handschrift  3  anzunehmen,  so  möchte 
doch  gerade  das  an  der  Autuner  Fassung  erläuterte  Verhalten 
des  Fälschers  über  die  Richtigkeit  dieser  Annahme  beruhigen. 
Es  kommt  empfehlend  hinzu,  dass,  wenn  du  Boys  für  einige 
seiner  Randbemerkungen  schon  in  seiner  handschriftlichen  Vor- 
lage ein  Vorbild  hatte,  auch  darin  eine  Nachahmung  der  Hand- 
schrift 3  sich  enthüllt;  wie  nämlich  diese  die  auf  den  Primat 
der  Arier  Kirche  und  ihren  Begründer,  den  heiligen  Trophimus, 
bezüglichen   Stellen   mit   Fleiss    am   Rande    hervorkehrt',    so 


1)  Vgl.  N.  A.  XIV,  283.  284.     Ausserdem  hat  auch  noch  die  Hand- 
schrift 1   Randbemerkungen  (ebenda  S.  287). 


90  Wilhelm  Gundlach. 

verfehlt  auch  du  Boys  niemals,  auf  entsprechende  Stellen  be- 
sonders aufmerksam  zu  machen;  so  steht  da,  wo  Gregor  II. 
den  Bericht  des  Bischofs  von  Vienne  über  die  gallische  Kirche 
erwähnt,  (p.  42)  am  Rande :  'Vide  primatiae  actum',  und  wo 
er  ihn  beauftragt,  den  Bonifatius  den  Fürsten  der  Franken 
zu  empfehlen  (p.  43):  'Et  aliud  vide  primatiae  munus';  so 
wird  die  erste  allgemeine  Erwähnung  des  Stifters  der  Vienner 
Kirche,  eines  Schülers  des  Apostels  Paulus,  (p.  40)  durch  die 
Randbemerkung:  'Egregium  testimonium  pro  antiquitate  eccle- 
siae  Viennensis'  und  die  Nennung  des  Crescens,  des  'aposto- 
lorum  collega',  (p.  45)  durch:  'Crescens  primus  Viennensis 
pontifex'  zur  Geltung  gebracht. 

Ist  nun  die  hier  vertretene  Auffassung  richtig,  dann  können, 
da  die  Handschrift  3  im  elften  Jahrhundert  geschrieben  ist, 
die  besprochenen  beiden,  anscheinend  zu  den  ältesten  Stücken 
gehörenden  Briefe  —  und  damit  die  ganze  Sammlung  — 
frühestens  im  elften  Jahrhundert  gefälscht  sein;  ihre  Entstehungs- 
zeit wird  auf  das  elfte  oder  den  Anfang  des  zwölften  Jahr- 
hunderts beschränkt,  da  bis  auf  diese  Zeit  die  handschriftliche 
Ueberlieferung  der  Epistolae  Viennenses  sich  hat  zurükverfolgen 
lassen  >. 

Eine  genauere  Bestimmung  ergiebt  sich  nun  noch  aus 
eigenartigen  Zügen  der  Epistolae  Viennenses. 

Man  kann  den  Inhalt  der  in  das  fünfte  und  sechste  Jahr- 
hundert fallenden  Epistolae  Arelatenses  als  den  Rahmen  be- 
bezeichnen, welchen  die  Viennenses  sorgsam  gewahrt  haben, 
obwohl  sie  ihre  frühesten  Stücke  bis  in  das  zweite  Jahrhundert 
vorschieben  und  mit  den  jüngsten  bis  in  das  zwölfte  Jahr- 
hundert hineinreichen.  Ueber  diesen  Rahmen  ragen,  abgesehen 
von  der  Erwähnung  in  der  nächsten  Umgebung  Viennes  be- 
legener Güter  in  den  letzten  Privilegien,  nur  zwei  Angaben 
hinaus:  die  eine  betrifft  das  Kloster  des  heiligen  Barnard  in 
Romans,  die  andere  die  Grafschaft  Salmorenc,  beide  dadurch 
verwandt,  dass  stets  Kloster  wie  Grafschaft  dem  Bischof  von 
Vienne  bedingungslos  zugesprochen  wird.     Die  Erörterung  der 

1)  Zu  scheiden  davon  ist  der  Zeitpunkt,  an  welchem  zum  ersten 
Male  die  Sammlung  benutzt  worden  ist:  es  geschieht  durch  die  von 
Waitz  (MG.  SS.  XXIV,  811)  herausgegebene  'Series  episcoporum  Viennen- 
sium',  welche,  im  Jahre  1239  zusammengestellt,  fünfzehn  Briefe  —  die 
des  Cornelius,  Zosimus,  Agatho,  lohann  VII.,  Constantin  I.,  Gregor  11., 
Zacharias,  Stephan  11.,  Hadrian  I.,  Leo  III.,  Nicolaus  I.  (J.-E.  2877), 
Sergius  III.,  Leo  IX.,  Gregor  VII.  (J.-L.  5024)  und  Urban  IL  (J.-L.  5350) 
—  erwähnt,  und  in  dem  'Chronici  Viennensis  frägmentum'  unerfindlicher 
Entstehungszeit  (ebenda  p.  816),  aus  welchem  eine  Bekanntschaft  auch 
noch  mit  den  Briefen  des  Pius  I.  (J.-K.  45),  Victor  I.  und  Silvester  sich 
ergiebt.  Von  dem  dritten  wichtigen  Zeitpunkt,  welcher  bei  den  Epistolae 
Viennenses  zu  merken  ist,  wann  die  Briefe  zum  Theil  bez.  vollständig  ver- 
öffentlicht worden  sind,  ist  oben  S.  13  gehandelt  worden. 


Arles  und  Vienne.  91 

Vienner  Ansprüche  auf  Kloster  und  Grafschaft  ist  es  nun, 
welche  helleres  Licht  über  die  Entstehungszeit  der  Epistolae 
Viennenses  verbreiten  wird. 

Die  Abtei  des  heiligen  Barnard  begegnet  zuerst  in  dem 
Briefe  Gregors  VII.  J.-L.  5025,  da  hier  die  allgemeine  Mah- 
nung, welche  dem  Vienner  Clerus  und  Volk  zu  theil  wird, 
dem  neuen  Erzbischof  Warmund  wiedergewinnen  zu  helfen 
'quae  violenter  sibi  ablata  sunt',  in  die  genaue  Angabe  ausläuft: 
'nominatim  autem  abbatiam  sancti  Barnardi'.  Indem  dann 
Gregor  in  seiner  Urkunde  (J.-L,  5024)  das  Recht  des  Bisthums 
Vienne  auf  die  Abtei  anerkennt,  lässt  er  zugleich  ersehen,  wie 
es  eigentlich  damit  bestellt  war:  'In  Romanensi  ecclesia',  sagt 
er  zu  Warmund,  'quamvis  se  faciat  nostrae  libertatis,  visis 
tamen  imperatorum  praeceptis,  tam  in  secularibus  quam  in 
regularibus  canonicis  per  consilium  vicarii  nostri  Hugonis, 
Diensis  episcopi,  inibi  ordinatis  tibi  tuisque  successoribus  in 
Omnibus  omnem  potestatem  habere  apostolica  auctoritate  de- 
cernimus'.  Nach  dieser  doppelsinnigen  Anerkennung,  welche 
ebenso  die  Libertas  Romana  der  Abtei  in  Abrede  stellt  und 
trotzdem  von  den  'per  consilium'  des  päpstlichen  Vertreters 
geweihten  canonici  spricht,  wie  sie  nur  über  diese  und  dann 
vielleicht  wieder  in  allen  Stücken  ('in  omnibus'!)  dem  Erz- 
bischof 'omnem  potestatem'  beimisst,  wird  man  —  wenn  auch 
dabei  nicht  zu  folgern  ist,  dass  es  den  Erzbischöfen  von  Vienne 
inzwischen  nicht  gelungen  sei,  ihr  Recht  auf  die  Abtei  zur 
Geltung  zu  bringen,  oder  gar  dass  sie  dasselbe  von  neuem 
eingebüsst  haben  —  wiederum  an  den  ersten  Brief  Gregors  VII. 
durch  das  erste  Schreiben  Urbans  IL  (J.-L.  5350)  erinnert,  weil 
dieser  Papst  die  Beraubung  der  Vienner  Kirche  während  der 
Stuhlerledigung  allgemein  verbietet,  um  dann  auch  seinerseits 
bestimmter  zu  werden  in  dem  Zusatz:  'hoc  quoque  specialiter 
praecipientes,  ut  ecclesia  Romanensis  et  ecclesia  beati  Petri 
de  Campania,  quae  sub  iure  ac  ditione  Viennensis  ecclesiae 
antiquitus  fuisse  noscuntur,  eidem  ecclesiae  quiete  permaneant'. 
Den  Wechsel  zu  einem  regelmässigen  zu  machen,  kommt  end- 
lich Calixt  IL  fast  völlig  auf  die  von  Gregor  VII,  gebrauchten 
Worte  zurück,  indem  er  (J.-L.  6822)  verfügt:  'in  ipsa  etiam 
Romanensi  ecclesia,  quamvis  Romanae  se  faciat  libertatis,  visis 
tamen  praedecessorum  nostrorum  privilegiis  et  imperatorum 
praeceptis,  tam  in  secularibus  quam  et  in  regularibus  clericis 
et  canonicis  inibi  ordinatis  vel  ordinandis  pontifices  Viennen- 
ses omnem  habere  decernimus  potestatem'. 

Trotz  offenbarer  Winkelzüge  ergiebt  sich  jedenfalls  so  viel 
aus  diesen  Papstbriefen,  dass  die  Abtei  in  Romans  sich  unter 
Gregor  VII.  der  erzbischöflichen  Gewalt  entzogen  hat  unter 
dem  Verwände,  sie  stehe  unmittelbar  unter  dem  Römischen 
Stuhle,   aber  noch   von   Gregor  VII.   und   weiter  von  Urban 


92  Wilhelm  Gundlach. 

und  Calixt  dem  Erzbischof  von  Vienne  ausdrücklich  wieder 
zugesprochen  ist. 

Wie  wenig  diese  angeblich  von  den  Päpsten  feierlich  ge- 
währleisteten Beziehungen  des  Erzbisthums  Yienne  zu  der 
Abtei  des  heiligen  Barnard  der  Wirklichkeit  entsprechen,  lehrt 
ein  Blick  auf  die  echten  Briefschaften  der  Päpste,  welche  die 
in  Rede  stehende  Abtei  erwähnen. 

Die  erste  sichere  Kunde  wird  uns  hier  von  Gregor  VIL' 
Nachdem    dieser   Papst  auf  der  Römischen  Februar- Synode 


1)  Es  käme  zwar  noch  vorher  für  die  aufgenommene  Frage  in  Be- 
tracht von  Johann  XI.  der  Brief  J.-L.  3693  von  Leo  IX.  die  Stücke 
J.-L.  4220.  21.  4321.  22.  29,  von  Victor  II.  J.-L.  4347,  wenn  ich  diese 
Stücke  nicht  sammt  und  sonders  für  gefälscht  hielte.  Um  mein  ab- 
sprechendes Urtheil  zu  begründen,  verweise  ich  zunächst  allgemein  auf 
das  Verhalten  Gregors  VII.,  welcher  zwar  der  Abtei  Romans  die  Liberias 
Romana  gewährt,  aber  dabei  auf  keinen  einzigen  seiner  Vorgänger  sich 
bezieht;  ich  halte  mich  ferner  an  den  Brief  J.-L.  5026,  in  welchem  Gregor 
den  Geistlichen  in  Romans  die  Klage  des  Vienner  Erzbischofs  wider  sie 
mittheilt:  'quod  ei  antiquara  et  debitam  potestatem  loci  vestri  contra- 
dicere  praesumpseritis,  quam  ab  initio  proprii  iuris  Viennensis 
ecclesiae  extitisse  et  hactenus  sub  disjjositione  suorum 
antecessorum  fuisse  non  ignoretis',  und  mit  nicht  misszuver- 
stehender Verwunderung  ihres  Einwandes  gedenkt:  'ut  idem  locus  —  die 
Abtei  Romans  —  iuris  sancti  Petri  et  sub  eins  dominio  uescio  quibus 
auctoribus  vel  con  c  essionibns  esse  debeat';  wenngleich  der  Papst 
ja  nur  die  Beschwerde  der  einen  Partei  wiedergiebt  —  ein  Urtheil  soll 
erst  sein  Legat,  Hugo  von  Die,  fällen  — ,  so  stellt  er  doch  die  Abhängig- 
keit der  Abtei  von  dem  Erzbisthum  als  etwas  so  Selbstverständliches  und 
den  Rechtsgrund  der  behaupteten  Unabhängigkeit  als  etwas  so  Unbekanntes 
hin,  dass  schon  dadurch  alle  früheren  päpstlichen  Verleihungen  der  Li- 
bertas  Romana  im  höchsten  Masse  verdächtigt  werden.  Es  kommt  dazu, 
dass  im  Inhalt  der  Briefe  sich  Züge  finden,  welche  mit  der  Echtheit  nicht 
verträglich  sind ;  so  wird  in  dem  Briefe  J.-L.  3593,  in  welchem  Johann  XI. 
die  Abtei  unmittelbar  den  Päpsten  unterwirft,  einem  Silvio,  nachdem  er 
sich  selbst  der  Brandstiftung  bezichtigt  habe,  befohlen :  'ut  ipsam  eccle- 
siam  quam  incendit  .  .  .  reedificet',  aber  mit  keinem  Worte  gesagt,  was  denn 
das  für  eine  Kirche  ist;  wir  werden,  da  die  unberührte  Aufschrift  den 
Brief  'legentibus  audientihusque'  gewidmet  sein  lässt,  nur  dadurch  auf 
Romans  gebracht,  dass  das  Stück  in  dem  Cartular  dieses  Klosters  uns 
überliefert  ist.  Die  Gedankenlosigkeit  des  Fälschers  erreicht  aber  den 
höchsten  Grad  in  dem  Briefe  Leos  IX.  J.-L.  4220,  wo  es  heisst:  'Volu- 
mus  insuper,  ut  terras  et  bona,  que  sancto  Petro  in  illa  patria  dantur, 
ipsi  —  die  Insassen  der  Abtei  —  recipiaut,  sicut  Eugenius  papa  atque 
Pascalis,  supradicto  Barnardo  archiepiscopo  petente,  illi 
ecclesie  concesserunt';  da  mit  diesen  Gewährungen  der  Päpste 
Paschal  I,  und  Eugen  II.  ohne  Zweifel  die  beiden  Vienner  Briefe  J.-E.  2549 
(817—824)  und  2563  (824—827)  gemeint  sind,  welche  sich  auch  in  dem  Car- 
tular der  Abtei  (bei  Giraud  I.,  Preuves  unter  Nummer  9  bis  und  10)  vorfinden, 
beide  aber  dem  Erzbischof  Barnard  nur  die  Vorrechte  seiner  Kirche  be- 
stätigen, der  Abtei  Romans  nicht  gedenken  und  nicht  gedenken  können 
—  denn  sie  ist  erst  zwischen  837  und  842  (vgl.  Giraud  I,  6)  nach  der 


Arles  und  Vienne.  93 

des  Jahres  1076  den  Erzbischof  Hermann  von  Vienne  gebannt 
und  die  Abtei  Romans,  solange  sie  Hermann  innehabe,  mit  dem 
Interdict  belegt  hatte,  nachdem  er  zugleich  auch  die  Slifts- 
herren  der  Abtei  und  den  Desiderius,  wohl  den  Rädelsführer, 
für  die  Vertreibung  ihrer  regulierten  Genossen  in  ähnlicher 
Weise  getroffen  und  zur  Busse  aufgefordert  hatte  >,  trat  er  zu- 
nächst für  die  Ansprüche  des  neuen  Erzbischofs  von  Vienne, 

Zeit  der  beiden  Päijste  gestiftet  worden  — ,  so  ist  in  dieser  Anführung 
das  wichtigste  Kennzeichen  ihrer  Fälschung  und  zugleich  eine  Begrenzung 
ihrer  Entstehungszeit  gegeben,  insofern  sie  erst  nach  Erdichtung  der 
Vienner  Sammlung  angefertigt  sein  können.  Mit  dem  besprochenen  Briefe 
liängt  nun  der  von  demselben  Tage  datierte  (J.-L.  4221)  so  zusammen, 
dass  dieser  die  allgemeine  Anordnung,  jener  eigentlich  nur  ihre  Aus- 
führung enthält,  und  an  beide  Briefe  schliesst  sich  Victor  II.  an,  indem 
er  (J.-L.  4347)  den  allgemeineren  Brief  Leos  fast  wörtlich  wiedergiebt, 
dem  andern  aber  die  Angabe  entlehnt,  dass  die  Abtei  schon  von  ihrem 
Begründer  dem  apostolischen  Stuhle  unterworfen  worden  sei.  Die  übrigen 
Briefe  Leos  IX.  J.-L.  4322.  21.  29  setzen  sämmtlich  die  beiden  früheren 
voraus,  da  der  Papst  zu  dem  Bischof  Leodegar  sagt:  'te  vice  nostra 
regende  (abbatiae  Romanae)  preposuimus',  bez.  auf  den  nämlichen  Erz- 
bischof die  Relativsätze  gehen:  'quem  obediendum  vice  nostra  vobis  sub- 
venire  rogavimus'  und  'cui  vicem  nostram  et  loci  curam  commisimus'. 
Weiter  sind  auch  die  Formeln  nicht  ohne  Belang.  Wenn  Löwenfeld  zu 
dem  Briefe  4220  (und  4221)  bemei-kt:  'Huius  et  sequentis  epistolae  pro- 
tocollon  quod  dicitur  librarü  vitio  depravatum  videtur',  so  scheint  er  da- 
bei vornehmlich  die  Datierung  im  Auge  zu  haben;  nicht  minder  verfälscht 
sind  aber  auch  die  Aufschriften;  denn  in  den  Briefen  J.-L.  4221  und 
4347  heisst  es  gleichlautend:  'in  abbatia  nostra  n  o  m  i  u  e  Romana'  und 
in  denselben  und  in  3593  und  4220  ist  die  übliche  Gruss-  und  Segens- 
formel übereinstimmend  erweitert  zu:  'salutem  et  gratiara  et  aposto- 
licam  benedictionem'.  Dass  diese  Aenderungen  in  Romans  vorgenommen 
sind,  ergiebt  der  Brief  Gregors  VII.  J.-L.  5068 :  in  dem  Cartular  von 
Romans  (Giraud  L,  Preuves  p.  11)  entspricht  nämlich  seine  Aufschrift 
ganz  derjenigen  der  eben  aufgeführten  Briefe,  in  der  Registerüberlieferung 
aber  (Jaffe,  Bibl.  II,  179)  liest  man  'in  abbatia  Roniana'  und  'salutem  et 
apostolicam  benedictionen'.  Schliesslich  möchte  noch  eine  allgemeine 
Erwägung  die  Ablehnung  der  erörterten  Briefe  empfehlen.  Ob  auch  die 
Vienner  Sammlung  gefälscht  ist,  so  dürfte  doch  aus  ihr  die  Zeit  zu  er- 
schliessen  sein,  in  welcher  zuerst  Romans  mit  der  Liberias  Romana  be- 
widmet worden  ist;  denn  wäre  es  in  Vienne,  wo  man  es  noch  im  Anfang 
des  zwölften  Jahrhunderts  genau  wissen  musste,  bekannt  gewesen,  dass 
schon  ein  Vorgänger  Gregors  VII.  der  Abtei  die  besagte  Vergünstigung 
gewährt  hatte,  ja  hätte  man  auch  nur  Kunde  von  den  Romanser  Fäl- 
schungen gehabt,  dann  wäre  es  ja  nicht  darauf  angekommen,  eine  auf 
Romans  bezügliche  Stelle  auch  vor  Gregor  schon  in  die  Vienner  Briefe 
einzuflechten.  1)  Jaffe,    Bibl.  II,  223:   'Viennensem'  episcopum  Heri- 

mannum  iuste  depositum  pro  simonia,  periuriis,  sacrilegiis  et  apostasia, 
quia  Viennensem  ecclesiam  infestare  non  desistit,  excommunicamus  et 
ecclesiis  Romanensi  et  sancti  Hyrenei  Lugdunensi,  quousque  eas  occu- 
paverit,  divinum  interdicimus  officium.  Desiderium  et  Romanensis  eccle- 
siae  clericos,  qui  reguläres  nostros  ab  ea  expulerunt  et  excommunicatis 
communicaverunt,  inde,  donec  satisfaciant,  excommunicamus'. 


94  Wilhelm  Gundlach. 

des  Warmund,  in  die  Schranken ',  um  dann  aber  —  aus  welchen 
Gründen  ist  nicht  ersichtlich  —  dem  Ansinnen  der  Abtei  Ro- 
mans, die  sich  Rom  völlig  unterworfen  hatte,  zu  willfahren 
und  sie  mit  der  Libertas  Romana  auszustatten ;  die  Ausnahme- 
stellung der  Abtei  kam  vornehmlich  in  der  Anordnung  zum 
Ausdruck:  'Prepositum  vel  abbatem  seu  cuiuslibet  dispensa- 
tionis  ecclesiastice  ministrum,  nisi  quem  communis  electio  fra- 
trum  .  .  .  elegerit,  vobis  preferri  apostolica  auctoritate  pro- 
hibemus'2.  Fast  mit  denselben  Worten  hatte  dann  auch 
Urban  II.  die  Libertas  Romana  der  Abtei  sichergestellt*,  als 
mit  Guido  aus  dem  Hause  der  Grafen  von  Burgund  ein 
Erzbischof  in  Vienne  emporkam,  welcher,  auf  die  Wieder- 
beischaffiing  aller  verlorenen  Güter  und  Rechte  seiner  Earche 
eifrig  bedacht,  alsbald  auch  gegen  die  Freiheit  der  Abtei  des 
heiligen  Barnard  sich  wandte  *,  Um  ihr  unumschränkter  Herr 
zu  werden,  bestellte  er  in  ihr  mit  Bestechung  und  Gewalt  einen 
Stellvertreter  5;  er  erhob  von  Kirchen,  welche  der  Abtei  unter- 
geben waren,  unter  Androhung  kirchlicher  Strafen  gesteigerte 
Abgaben,  als  wenn  die  Abtei  kein  selbständiges  Verwaltungs- 
gebiet hättet,  und  hetzte  zwei  Edelleute  der  Gegend  auf  ihre 
Güter',  jedenfalls  in  der  Absicht,  durch  diese  Feindesnoth 
die  Abtei  sich  gefügig  zu  machen.  Dagegen  schritt  der  Papst 
Urban  IL  im  Jahre  1095  ein^;  er  sperrte  auf  der  Synode  zu 
Clerraont  dem  Erzbischof  die  misshandelte  Abtei  und  unter- 
sagte ihren  Insassen,  ihm  irgendwie  weiter  zu  gehorsamen,  in- 
dem er  jede  von  Guido  etwa  angewandte  Kirchenstrafe  für 
unwirksam  erklärte.  Da  diese  Massnahmen  keinen  Erfolg 
hatten.  Guido  vielmehr  sich  abermals  in  der  Abtei  festsetzte, 
so  musste  Urban  seinen  Legaten  im  Jahre  1097  anweisen,  die 
ganze  Strenge  der  Gesetze  den  aufsessigen  Kirchenfürsten 
fühlen  zu  lassen^.  Aber  wenn  auch  der  Papst  Ernst  machen 
wollte,  sein  Befehl  war  nicht  so  schnell  vollstreckt;  denn  der 
Erzbischof  war  viel  zu  mächtig  vmd  im  ganzen  doch  ein  zu 
getreuer  Sohn  der  Kirche,  als  dass  man  ihm  kleine  Uebergriffe 

1)  Auf  den  Inhalt  des  Briefes  J.-L.  5026  (1077  März  9)  bin  ich 
schon  S.  92  Anmerkung  1  eingegangen.  Dass  Warmund  in  der  That 
ein  anderer  Bischof  und  nicht  mit  Hermann  dieselbe  Persönlichkeit  ist, 
wie  noch  Giraud  annimmt,  indem  er  I,  77  n.  1  die  Namen  "Wormund, 
Garmund,  Arman,  Herman,  Eriman  gleichsetzt,  verbürgt  das  Verhalten 
der  päpstlichen  Kanzlei,  welche  nicht  einmal  'Herimannus',  das  andere  Mal 
'Wormundus'  geschrieben  haben  kann  (vgl.  auch  Gallia  Christ.  XVI,  69.  71.) 
2)  J.-L.  5068.  Das  Datum  im  Register:  1075  März  9  ist  mit  Recht 
von  Löwenfeld    in    1078    umgewandelt  worden.  3)  J.-L.  5374:   1088 

Dec.  7.  4)    Vgl.  Maurer,   Calixt   IL  S.  27.  5)    J.-L.  5591:    1095 

Nov.  28.  6)  J.-L.  5609:  c.   1095.  7)  J.-L.  5610:  c.   1095;    den 

einen  der  Angreifer  weist  Maurer  a.  a.  O.  S.  33  Anra.  2  als  Verwandten 
und  Vassallen  des  Erzbischofs  nach.  8)  Vgl.  die  in  der  6.  und  7.  An- 
merkung angeführten  Briefe.  9)  J.-L.  5685:  1097  Juni  4. 


Arles  und  Vienne.  95 

nicht  hätte  nachsehen,  ihn  etwa  durch  ein  übereiltes  Verfahren 
zu  einem  Parteigänger  des  Kaisers  hätte  machen  sollen.  Da- 
rum ist  es  wahrscheinlich,  dass  Guido  der  erneuten  Bestäti- 
gung der  Liberias  Romana  zum  Trotz,  welche  von  Urban  II. 
im  Jahre  1096  erfolgt  war'  und  später  von  Paschal  IL  1107 
wiederholt  wurde',  thatsächlich  der  Gebieter  der  Abtei  Ro- 
mans blieb'. 

Gerade  dieser  Zwiespalt  zwischen  Wirklichkeit  und  Recht, 
das  Verlangen,  was  thatsächlich  im  Besitz  des  Erzbisthums 
war,  nun  auch  mit  Rechtstiteln  zu  belegen,  dürfte  die  Ein- 
schwärzung  der  einschlägigen  Stellen  in  die  Vienner  Stücke 
veranlasst  haben :  dass  es  zu  einer  Zeit  geschah,  als  die  Em- 
pfindung des  Widerspruches  zwischen  Jus  und  Factum  noch 
besonders  lebhaft  und  nicht  schon  durch  Gewohnheit  stumpf 
geworden  war,  dass  Guidos  Erzbisthum  die  Fälschung  hat 
entstehen  lassen,  ist  danach  wahrscheinlich;  es  wird  noch  an- 
nehmbarer und  Guido  selber  als  der  Vater  des  Gedankens 
hingestellt,  trotzdem  die  letzte  Urkunde  der  Vienner  Samm- 
lung ihn  schon  als  Papst  erscheinen  lässt,  sobald  man  die 
Angelegenheit  der   Grafschaft   Salmorenc  genauer  imtersucht. 

In  der  Vienner  Sammlung  verordnet  Gregor  VII.  (J.-L. 
5024)  an  bevorzugter  Stelle,  unmittelbar  nachdem  die  Pri- 
matial-  und  Metropolitangewalt  des  Erzbisthums  bestimmt  ist: 
'Praeterea  de  Salmoriacensi  archidiaconia  unum  nobis  inti- 
masti:  consecrationes  vel  ordinationes  et  quicquid  ad  pontifi- 
cale  pertinet  officium,  sicut  tuus  praedecessor  Leodegarius  et 
alii  praedecessores  firmius  obtinuerunt,  ita  tibi  tuisque  suc- 
cessoribus  absque  ulla  inquietatione  seu  dirainutione  obtinere 
concedimus';  das  nämliche  wiederholt  etwas  kürzer  an  der- 
selben Stelle  seiner  Urkunde  (J.-L.  6822)  Calixt  IL:  'Sane  in 
Salmoriacensi  archidiaconia  consecrationes  vel  ordinationes  et 
quicquid   ad  pontificale   officium  pertinet  Vienneusis   ecclesia 


1)  J.-L.  5668:  1096  Aug.  18.  Die  zweite  Bestätigung  desselben 
Papstes  kann,  durch  die  Angriffe  erklärt,  als  Beruhigungsmittel  für  die 
Abtei  atifgefasst  werden;  denn  etwa  die  erste  J.-L.  5374,  welche  fast 
genau  mit  Gregors  VII.  Verleihung  übereinstimmt,  als  Fälschung  zu  ver- 
werfen, scheint  mir  doch  in  der  zu  Romans  veränderten  Aufschrift  ('in 
abbatia  nostra  nomine  Romana',  'salutem  et  gratiam  et  apostoli- 
cam  benedictionem';  vgl.  S.  93  Anm.)  allein  nicht  ausreichend  be- 
gründet. 2)  J.-L.  6162:  1107  Juli  29.  Paschal  giebt  auch  die  Be- 
stimmung Urbans  (J.-L.  5668),  wonach  die  Liberias  Romana  auf  die  freie 
von  Rom  zu  bestätigende  Abtwahl  beschränkt  scheint,  fast  wörtlich  wieder, 
verweist  aber  doch  auch  ausdrücklich  auf  Gregors  Verfügung:  'iuxta 
Gregorii  pape  Constitutionen!'.  3)  Schon  Giraud  sagt  (I,  123):  'Quant 
k  l'abbaye  de  Romans,  Guy,  malgre'  la  de'fense  du  pape,  continuait  h  la 
gouverner  en  maitre  absolu';  und  auch  Maurer  ist  der  Meinung  (a.  a.  O. 
S.  35  Anm.  5),  dass  Guido  in  der  That  seinen  Willen  durchgesetzt  habe. 


96  Wilhelm  Gundlach. 

praeter  alicuius  inquietationem  seu  diminutionem  habeat' ». 
Danach  soll  also  ausgemacht  sein,  dass  schon  vor  und  seit 
der  Zeit  des  Leodegar  (1030  — 1070)  den  Erzbischöfen  von 
Vienne  in  dem  ganzen  mit  dem  Namen  Salmorenc  belegten 
Gebiete  nicht  nur  die  Weihen  gottesdienstlicher  Stätten  und 
geistlicher  Personen,  sondern  alle  Amtshandlungen  eines  Ober- 
hirten kraft  päpstlicher  Verleihung  und  Bestätigung  zuge- 
standen haben. 

Eine  bis  ins  einzelne  dringende  Prüfung  dieses  Anspruchs 
ist  hier  glücklicherweise  möglich  auf  Grund  eines  Acten- 
stückes,  dessen  Inhalt  in  der  Ueberschrift  sich  spiegelt:  'Hec 
scriptura  dicit  de  iniuriis,  quas  fecit  Guido  Viennensis  archi- 
episcopus  ecclesie  Gratianopolitan^  et  eiusdem  ecclesi§  epi- 
scopo  Hugoni  de  pago  Salmoriacensi'^.  Rührt  auch  diese 
Denkschrift  von  einem  Gegner  des  Erzbisthums  Vienne  her  — 
Hugo  von  Grenoble  ist  ihr  Verfasser  — ,  so  verdient  sie  doch 
vollen  Glauben,  weil  sie  erstens,  nach  Austrag  des  Streites 
verfasst,  sine  ira  seinen  Verlauf  schildert  und,  ohne  das  Stu- 
dium zu  verleugnen,  doch,  so  weit  sie  erhalten  ist,  eine  ehr- 
liche Entsagung  bekundet,  weil  sie  zweitens  die  massgebenden 
Anführungen  mit  unantastbaren  Schriftstücken  belegt.  Ihre 
Enthüllungen  hier  zu  würdigen  ist  auch  darum  erforderlich, 
weil  sie  wie  ein  Schlaglicht  zeigen,  wessen  Guido  von  Vienne 
zum  Ruhme  seiner  Kirche  fähig  war». 

Wohlgerüstet,  jeder  ehrlichen  Kampfesweise  spottend,  ist 
der  fromme  Erzbischof  ans  Werk  gegangen  und  zum  Ziel 
gelangt:  die  Bestrebungen  für  den  Gottesfrieden,  durch  welche 
Guido  auch  als  Papst  sich  auszeichnet^,  haben  ihm  wohl  erst 
eine  thatsächliche  Ueberlegenheit  über  den  in  ruhigem  Besitz 
verharrenden  Gegner  verschafft,  ehe  der  Gedanke  an  einen 
Angriff  aufgekommen  ist;  es  wird  nämlich  ausdrücklich  das 
Selbstvertrauen  Guidos  damit  begründet,  dass  er  'eo  tempore 


1)  Es  muss  unter  allen  Umständen  befremden,  dass  nach  dieser  Be- 
stimmung au  die  Worte,  welche  das  Verhältnis  der  'ecclesia  Komanensis' 
zu  Vienne  regeln  (s.  oben),  noch  angeschlossen  wird :  'similiter  in  ecclesia 
beati  Donati';  denn  die  zuletzt  geuannte  Kirche  dürfte  keine  andere  sein, 
als  die  angesehenste  eben  des  pagus  Salmoriacensis.  2)  Marion,  Car- 
tulaires  de  l'e'glise  cathedrale  de  Grenoble  dits  cartulaires  de  Saint- 
Hugues  (in  der  Coli,  de  doc.  ine'd.  sur  l'hist.  de  France,  Premiere  Serie) 
p.  49.  3)    Für    die    Geschichte    des    Bisthums  Vienne    ist    die    Denk- 

schrift Hugos  schon  benutzt  von  Charvet  (Hist.  de  Vienne  p.  311 — 317), 
dessen  Parteilichkeit  Ollivier  ('Notice  historique  et  bibliographique  sur 
les  cartulaires  de  Saint-Hugues')  in  den  von  Champollion-Figeac  heraus- 
gegebenen 'Documents  hist.  ined.  tires  des  collections  manuscr.  de  la 
bibl.  royale'  I,  266  n.  1  beleuchtet  hat,  von  Collombet  (Hist.  de  Vienne  I, 
431—438,  II,  16)  und  jüngst  von  Maurer  (Papst  Calixt  IL,  S.  28—35), 
welcher  auch  ihre  Glaubwürdigkeit  vertbeidigt.  4)  Vgl.  v.  Giesebrecht, 
Gesch.  der  deutschen  Kaiserzeit  III'*,  946. 


Arles  und  Vienne.  97 

milites  illius  terr^  (sc.  pagi  Salmoriacensis)  ad  pacem  facien- 
dam  coniuratos  in  manu  siia  tenebat'.  Die  Bemühungen,  zu- 
nächst in  Güte  das  Ziel  zu  erreichen,  führten  zu  keinem  Er- 
gebnis. Nachdem  eine  Unterredung  mit  Hugo  von  Grenoble, 
dem  Inhaber  der  Grafschaft  Salmorenc,  fruchtlos  verlaufen  war, 
kam  es  in  Romans  zur  Verhandlung  vor  einem  aus  vier 
Bischöfen  zusammengesetzten  Schiedsgericht;  Hugo  vermochte 
hier  zwar  nicht  anzugeben,  wie  seine  Kirche  in  den  Besitz 
des  Gaus  gelangt  sei ;  er  konnte  aber  den  Nachweis  führen 
('et  scriptis  et  aliis  testimoniis'),  dass  sie  sich  schon  länger 
als  ein  Jahrhundert  im  Besitz  befinde ;  die  Vienner  Partei  da- 
gegen behauptete,  dass  zur  Sarazenen-Zeit  —  also  nur  wenig 
mehr  als  hundert  Jahre  seien  darüber  hingegangen  —  der 
seiner  Stadt  beraubte  Bischof  von  Grenoble  von  dem  Erz- 
bischof von  Vienne  das  jetzt  streitige  Gebiet  nur  zeitweilig 
übertragen  erhalten  hätte,  war  aber  der  Aufforderung  des 
Nachweises  nicht  anders  zu  entsprechen  in  der  Lage  als  durch 
die  Antwort:  Yse)  nuUum  exinde  scriptum  habere,  sed  solum 
vulgi  rumorem  sufficere'.  Da  der  Urtheilsspruch  gegen  Vienne 
ausfallen  musste,  Hess  es  Guido  gar  nicht  dazu  kommen;  er 
setzte  sich  vor  allem  in  den  thatsächlichen  Besitz  des  strei- 
tigen Landes  ('violenter  abstulit')  und  wartete  das  weitere  ab. 
Auf  die  Beschwerde  des  Bischofs  von  Grenoble  in  Rom,  von 
dem  päpstlichen  Legaten,  dem  Erzbischof  Hugo  von  Lyon, 
zur  Untersuchung  vorgefordert  und  zur  Räumung  des  ange- 
massten  Gebietes  verurtheilt,  erwirkte  Guido  durch  Bestechung, 
dass  ihm  Papst  Urban  H.  'que  iuris  erant  Viennensis  §cclesi§' 
bestätigte  und  dabei  auch  die  Grafschaft  Salmorenc  mit  ein- 
begriff i.  Die  Benutzung  dieser  erschlichenen  Urkunde  gegen 
Hugo  von  Grenoble  hatte  zur  Folge,  dass  der  Papst  über  den 
Sachverhalt  aufgeklärt  wurde  und  nun  am  16.  Mai  1094  seinen 
Legaten  zu  erneutem  Einschreiten  aufforderte  ^  und  den  Bischof 
von  Grenoble  von  seiner  Massregel  verständigte  s.  Auf  der 
von  dem  Legaten  nach  Autun  zusammenberufenen  Synode 
brachte  Guido,  nachdem  früher  kein  Schriftstück  für  die  An- 
sprüche  des   Erzbisthums  Vienne   auf  die   Grafschaft   Salmo- 

1)  Da  Hugo  von  dieser  Urkunde  sagt:  'pro  cuius  impetratione, 
sicut  ipse  nobis  postea  confessus  est,  quingentos  soHdos  in 
Romana  curia  dispensavit',  so  wird  durch  den  Zwischensatz  nothwendig, 
die  Abfassung  der  ganzen  Denkschrift  in  eine  Zeit  zu  verlegen,  in  welcher 
das  gute  Einvernehmen  zwischen  Guido  und  seinem  arggeschädigten  Suf- 
fragan  wiederhergestellt  war.  2)  In  dem  Briefe  J.-L.  5523  sagt  er  zu 

Hugo  von  Lyon :  'Si  quas  vero  nostr^  auctoritatis  litteras  Viennensis  ob- 
iecerit,  nosse  vos  volumus,  quia  nos  nichil  ipsi  aut  ^cclesi^  Viennensi 
concessimus,  nisi  quod  iuste  hactenus  possedisse  cognoscitur,  etiamsi  per 
subreptionem  forte,  quod  absit,  aliquid  videatur  extortum'.  3)  Durch 
den  Brief  J.-L.  5524. 

Neues  Archiv  etc.     XV.  7 


98  Wilhelm  Grundlach. 

renc  hatte  vorgewiesen  werden  können,  plötzlich  'cum  insul- 
tatione'  eine  alte  Urkunde  ('scripturam  quasi  multa  vetustate 
contritam')  zum  Vorschein,  des  Inhalts,  'quod  Barnuinus  Vien- 
nensis  archiepiscopus  Isarno  Gratianopolitano  episcopo  §ccle- 
siam  sancti  Donati  et  Salmoriacensem  pagum  concessisset, 
donec  Gratianopolitan§  ecclesi§  pax  a  persecutione  paganorum, 
qua  tunc  vastabatur,  redderetur'.  Da  Hugo  seinen  Gegner 
nicht  nur  mit  Schanden  dadurch  abführen  konnte,  dass  er 
geltend  machte,  der  Erzbischof  Barnoin  von  Vienne  (886— 
899)  und  der  Bischof  Isarn  von  Grenoble  (950  —  976)  seien 
gar  keine  Zeitgenossen  gewesen,  sondern  auch  nachwies,  dass 
schon  Alcherius,  der  Vorfahr  des  Isarn,  wenigstens  die  Haupt- 
kirche Saint- Donat  in  der  Grafschaft  Salmorenc  auf  Grund 
einer  Schenkung  König  Bosos  und  einer  Bestätigung  König 
Ludwigs,  seines  Sohnes,  besessen  habe ',  schaffte  Guido  seine 
gefälschte  2  Urkunde  schnell  auf  die  Seite,  berief  sich  aber 
dafür  nun  auf  die  ihm  von  ürban  ertheilte  Bestätigung  auch 
der  Grafschaft  Salmorenc.  Obwohl  diese  Berufung  durch  die 
päpstliche  Anweisung  unwirksam  gemacht  worden  war,  kam 
es  doch  zu  keiner  Verurtheilung  Guidos;  nachdem  die  ver- 
sammelten Bischöfe  vergebens  einen  Vergleich  zwischen  den 
streitenden  Parteien  zu  Stande  zu  bringen  versucht  hatten  — 
Hugo  weigerte  sich  dessen  — ,  wurde  Guido  von  den  Seinen 
(^consilio  canonicorum  suorum')  zu  dem  Versprechen  vermocht. 


1)  Gemeint  ist  jedenfalls  die  Urkunde  von  894  Aug.  11  (Böhmer, 
Reg.  Karol.  R.  1449),  iu  welcher  König  Ludwig  das  'donum,  quod  pius 
genitor  noster,  Boso  rex,  fecerat  de  fcclesiis  sanct§  Mari^  seu  sancti 
Donati'  nicht  dem  Bischof  Alcherius,  sondern  schon  seinem  Vorgänger 
Isaak  (892—922)  bestätigt.  Danach  dürfte  die  gerade  auf  diese  Stelle 
der  Grenobler  Denkschrift  sich  gründende  Meinung  französischer  Forscher, 
'dass  das  Bisthum  (Grenoble)  und  seine  Hauptstadt  mehrere  Jahrzehnte 
hindurch  von  den  Saracenen  occupiert  gewesen  seien,  während  der  Bischof 
inzwischen  seine  Residenz  zu  Saint -Donat  genommen  habe,  das  ihm 
vom  Erzbischof  von  Vienne  als  Zufluchtsort  überlassen 
worden  sei'  (Bresslau,  Konrad  II.  II,  48)  nicht  zu  halten  sein. 
2)  Ueber  den  Fälscher  und  die  besonderen  Umstände  der  Fälschung 
sind  uns  leider  nähere  Eröffnungen  mit  dem  Schluss  der  Denkschrift 
Hugos  verloren  gegangen;  der  Verfasser  sagt  nämlich  p.  57:  'Innotuit 
eodem  tempore  —  von  dem  Jahre  1097  ist  vorher  die  Rede  gewesen  — , 
divina  nobis  favente  dementia,  cartam  illam,  quam  in  Augustodunensi 
concilio  archiepiscopus  Viennensium  adversus  nos  de  Salmoriacensi  pago 
protulerat,  cercioribus  inditiis  falsam  esse.  Ille  enim,  cui  scriptor  eius- 
dera  carte  infirmitate  detentus  confessus  fuerat,  nobis  patefecit.  Quem 
scriptorem,  nomine  Sigibodum,  sancti  Ragnaberti  monachum,  per  amicos 
nostros,  eiusdem  cenobii  monachos,  evocatum  apud  monasterium,  quod 
Garnarium  dicitur,  ante  altare  beat§  Mari^  sub  invocatione  divine  pre- 
sentie  excommunicationem  intentando  adiuravi.  .  .  .'  So  endet  der  Be- 
richt. Es  scheint,  dass  nun  der  Inhalt  des  eidlichen  Geständnisses  folgte 
vielleicht  mit  Beziehung  auf  ein  damals  aufgenommenes  Protocoll. 


Arles  und  Vienne.  99 

auf  einer  Zusammenkunft  in  Vienne  den  Bischof  von  Grenoble 
zu  befriedigen.  Dass  das  nur  eine  Ausflucht  war,  stellte  sich 
heraus,  als  Hugo  an  dem  festgesetzten  Tage  erschien;  er 
musste  unverrichteter  Sache  von  dannen  ziehen.  Da  die 
heimischen  Bischöfe,  wie  die  Synode  in  Autun  gezeigt  hatte, 
dem  mächtigen  Erzbischof  von  Vienne  zu  trotzen  sich  scheu- 
ten, so  mochte  dem  getäuschten  Bischof  von  Grenoble  die  all- 
gemeinere Kirchenversammlung  willkommen  sein,  welche  ge- 
rade nach  Piacenza  ausgeschrieben  war.  Schon  jenseits  der 
Alpen  angelangt,  traf  Hugo  'apud  Sanctum  Ambrosium'  i  mit 
Guido  zusammen;  er  Hess  sich  hier  von  seinem  Erzbischof 
überreden',  in  der  Woche  der  Synode  vor  dem  Erzbischof 
von  Lyon  den  Streit  zum  Austrag  zu  bringen,  und  kehrte 
zurück.  Aber  als  er  sich  anschickte  nach  Lyon  zu  gehen, 
langte  eine  Botschaft  von  Guido  an,  welche  ihm  den  Vertrag 
aufkündigte  und  den  zum  zweiten  Male  Betrogenen  zu  dem 
Versuche  zwang,  nun  in  höchster  Eile  noch  Piacenza  vor  dem 
Schluss  der  Synode  zu  erreichen.  Es  gelang;  Synode  und 
Papst  entschieden  zu  seinen  Gunsten.  Aber  selbst  einer  un- 
mittelbaren Aufforderung  des  Papstes,  die  Grafschaft  heraus- 
zugeben und  bis  zu  einem  rechtskräftigen  Urtheil  sich  jeder 
Beeinträchtigung  des  Bischofs  von  Grenoble  zu  enthalten  ■^, 
leistete  Guido  keine  Folge;  selbst  eine  an  die  Insassen  der 
Grafschaft  gerichtete  Weisung,  nicht  dem  Erzbischof  von 
Vienne,  sondern  lediglich  dem  Bischof  von  Grenoble  gehor- 
sam zu  sein 3,  führte  nicht  zum  Ziel;  und  so  musste  sich  denn 
Urban  entschliessen,  als  er  bald  darauf  nach  Frankreich  kam, 
die  Sache  selber  in  die  Hand  zu  nehmen.  Nach  Romans  vor- 
geladen, erschien  Hugo  'antiquis  cartarum  testimoniis  onustus'*; 
Guido  aber  liess  die  Abtei  mit  seinen  Mannen  so  drohend 
besetzen,  dass  der  Papst  eingeschüchtert  wurde  und,  wie  es 
scheint,  die  Entscheidung  auf  die  nächste  Synode  verschob '. 
Diese  endlich  wurde  der  Vergewaltigung  Hugos  von  Grenoble 
gerecht;  Urban  verfügte  die  Herausgabe  der  Grafschaft,  ent- 
band bis  zur  Vollstreckung  seines  Urtheils  den  Bischof  und 
sein  ßisthum    von    dem   Gehorsam    gegen    den    anmasslichen 


1)  In  der  Lombardei  nach  Collombet,  Hist.  de  Vienne  I,  436. 
2)  J,-L,  5548:  1095  März  12.  Der  Papst  befiehlt  dem  Erzbischof  von 
Vienne :  'iit  eandem  investituram  adimpleas  et  eum  (Hugonem)  quiete 
possidere  perraittas,  donec  aut  ante  nos  aut  ante  legatum  nostrum  cano- 
nico  iudicio  decidatur'.  Die  erschlichene  Urkunde,  auf  welche  sich  Guido 
in  Autun  gestützt  hatte,  ward  feierlich  für  ungültig  erklärt.  3)  Es  ist 

der   Brief  J.-L.  5568:    1095   Mai  26.  4)    Die    auf  Salmorenc    bezüg- 

lichen Actenstücke  sind,  wie  schon  Maurer  S.  31  Anm.  1  hervorhebt,  in 
dem  Cartularium  A  der  Grenobler  Kirche  zusammengestellt:  Marion  p.  1. 
5)  So  Maurer  S.  32,  dem  ich  hier  folge. 

7  * 


100  Wühelm  Gundlach. 

Metropoliten »  und  wusste  durch  den  Grafen  Guigo  in  der 
That  die  Auslieferung  der  Grafschaft  an  Hugo  durchzusetzen. 
Aber  als  Hugo  zwei  Jahre  durch  Krankheit  von  der  Heimath 
fern  gehalten  wurde,  hat  Guido  abermals  das  lang  umstrittene 
Gebiet  in  Besitz  genommen,  abermals  ist  der  päpstliche  Legat 
zum  Einschreiten  wider  ihn  aufgeboten  worden  ^,  bis  endlich 
im  Jahre  1107  Papst  Paschal  IL  ein  Abkommen  vermittelte, 
nach  welchem  das  zwischen  ßourne  und  Isere  liegende  Gebiet 
der  Grafschaft  sammt  der  Hauptkirche  Saint- Donat,  vorbe- 
haltlich der  dem  Erzbischof  zugestandenen  Weihen  der  Geist- 
lichen und  Altäre,  an  Grenoble  fallen  sollte,  im  übrigen  aber 
eine  nach  der  Zahl  der  festen  Schlösser  bemessene  gleiche 
Theilung  durchgeführt  wurde  3. 

Da  nun  nicht  bekannt  ist,  dass  jemals  wieder  um  die 
Grafschaft  Salmorenc  gestritten  worden  ist,  so  dürfte  man 
wegen  des  in  den  Vienner  Briefen  hervortretenden  Strebens,  der 
Wirklichkeit  zum  Trotz  die  ganze  Grafschaft  der  uneinge- 
schränkten geistlichen  Botmässigkeit  des  Erzbischofs  von 
Vienne  zu  unterstellen,  die  Fertigung  der  angegebenen  Vienner 
Schriftstücke  in  die  Zeit  Guidos  verweisen,  und  um  so  eher, 
als  Guido  erwiesenerraassen  eine  gefälschte  Urkunde  zu  seinen 
Gunsten  zu  verwerthen  gesucht  und  einen  Schreiber  an  der 
Hand  gehabt  hat*,  welcher  es  verstand,  seinen  Machwerken 
das  Ansehen  hohen  Alters  zu  verleihen  ^.  Zugleich  wird  für 
die  Fälschung  der  Vienner  Sammlung  aus  der  Angelegenheit 
der  Grafschaft  Salmorenc  der  terminus  a  quo  gewonnen :  wäre 
nämlich  zur  Zeit  der  Synode  von  Autun  im  Jahre  1094  die 
Urkunde  Gregors  VH.  J.-L.  5024,  welche  die  ganze  Grafschaft 
dem  Erzbisthum  Vienne  zuerkennt,  schon  vorhanden  gewesen. 


1)  In  dem  Briefe  J.-L.  5595:   1095  Nov.  29.  2)  J.-L.  5685:   1097 

Juni  4.  3)   Paschal    bekundet   (J.-L.  6163:    1107  Aug.  2),    dass    die 

Vereinbarung  darauf  gehe :  'ut  eiusdem  pagi  equam  divisionem  facerent 
et  tarn  Viennensi  quam  Gratianopolitane  fcclesif  pars  eiusdem  divisionis 
vicinior  redderetur;  quiequid  autem  in  territorio  infra  Bornam  et  Isarani 
versus  Gratianopolim  constituto  Viennensis  arehiepiscopus  calumpniabatur, 
ab  omni  deinceps  infestatione  liberum  Gratianopolitan^  ^cclesi§  cederet; 
porro  §cclesiam  beati  Donati,  qu§  infra  Vienuensem  parrochiam  contine- 
tur,  cum  Omnibus  mobilibus  sive  immobilibus  ad  eam  pertinentibus  Gra- 
tianopolitanus  episcopus  iure  proprietario  possideret  et  tarn  canonicas 
ipsius  ecclesie  quam  universa  ad  eam  pertinentia  ipse  disponeret,  Vien- 
nensis autem  parrochiali  tantum  iure  in  clericorum  et  altarium  consecra- 
tionibus  uteretur.  Pari  ergo  communique  consensu  Salmoriacensis  pagi 
talis  est  facta  divisio,  ut  undecim  castella  cum  ^cclesiis  et  parrochiis  et 
totis  mandamentis  suis  Viennensi  ^cclesig,  item  undecim  castella  cum 
gcclesiis  et  parrochiis  et  totis  mandamentis  suis  Gratianopolitan^  ecclesig 
dederentur'.  4)  Vgl.    oben  S.  98    Anm.  2.         5)  Hugo  von  Grenoble 

nennt  die  von  Sigibod  gefälschte  Urkunde  'scripturam  quasi  multa  vestu- 
tate  contritara' ! 


Arles  und  Vienne.  101 

dann  hätte  Guido  nicht  nöthig  gehabt,  das  gefälschte  auf  die 
zeitweilige  Ueberlassung  der  Kirche  Saint -Donat  an  den 
Bischof  von  Grenoble  lautende  Schriftstück  vorzuweisen  oder 
die  erschlichene  Bulle  Urbans  II.,  welche  Rom  nachher  ver- 
leugnete, vorzuschützen. 

Aber  noch  bleibt  zweierlei  zu  ermitteln :  der  terminus  ad 
quem  und  der  Grund,  welcher  den  Streit  um  Salmorenc  und 
Romans  mit  dem  Streit  um  den  Primat  verquicken  und  dies 
alles  in  der  nämlichen  gefälschten  Brief-  und  Urkundenreihe  zu 
Gunsten  des  Erzbisthums  Vienne  vorgeblich  entscheiden  Hess. 

Was  die  zweite  Frage  anlangt,  so  wissen  wir ',  dass 
Paschal  II.  den  Erzbischof  Guido  von  Vienne,  nachdem  Hugo 
von  Lyon  zum  Vertreter  Roms  im  heiligen  Lande  ernannt 
worden  war,  zum  Legaten  des  apostolischen  Stuhles  in  Gal- 
lien bestellte,  dass  er  ihn  sogar  mit  einer  Sendung  nach  Eng- 
land betraute,  um  hier  einen  tieferen  Einfluss  zu  erringen. 
Wenn  nun  auch  das  englische  Unternehmen  kläglich  scheiterte 
—  an  dem  Widerstände  wie  des  Königs  so  des  Erzbischofs 
Anselm  von  Canterbury,  welcher  die  Vertretung  des  apostoli- 
schen Stuhles  als  ein  Recht  seines  Erzbisthums  in  Anspruch 
nahm  — ,  so  blieb  doch  dem  Erzbischof  Guido  das  Amt  eines 
päpstlichen  Legaten  für  das  gallische  Land  dauernd  erhalten  ^, 
freilich  nicht  als  ein  Vorrecht  seiner  Kirche,  sondern  nur  als 
eine  ihm  persönlich  übertragene  Würde.  Gerade  dieser  Sach- 
verhalt reiht  nun  aber  die  Priraatangelegenheit  den  Angelegen- 
heiten der  Abtei  Romans  und  der  Grafschaft  Salmorenc  als 
ähnlich  beschaffen  an;  denn  wie  es  sich  bei  diesen  darum 
handelte,  die  bedingten  Rechte  des  Erzbisthums  zu  ergänzen, 
so  ist  es  auch  bei  dem  Primat  dem  Fälscher  darum  zu  thun, 
was  nur  zeitweilig  und  persönlich  gewährt  worden  war,  als 
ein  altes  Recht  der  Vienner  Kirche  aufzuzeigen  s. 

Darum  —  wegen  dieser  Berührung  dreier  Angelegen- 
heiten —  rauss  Guido  von  Vienne,  der  mit  Gewalt,  Bestechung 
und  Betrug  die  Mehrung  der  Rechte  seines  Bisthums  erstrebte 
und  erreichte,  als  der  eigentliche  Urheber  der  Vienner  Briefe 
betrachtet  werden;  er  wird  auch  nicht  von  dieser  Schuld  ent- 
lastet durch  das  letzte  Stück  (J.-L.  6822),  in  welchem  er  schon 


1)  Vg-i.  Maurer  S.  34  Anm.  4  und  S.  48.  49,  2)  Vgl.  z.  B.  J.-L. 

6313.  6456.  6467.  3)  Dass  ein  Vorgänger  Guidos  schon  einer  ähn- 
lichen Anwandelung  nachgegeben  und  sich  Amtshandlungen  in  einer 
fremden  Kirchenprovinz  angemasst  hat,  dürfte  aus  einem  Briefe  des  Erz- 
bischofs Manasse  von  Reims  an  Gregor  VII.  hervorgehen  (Labb^,  Conc. 
X,  362);  der  wegen  Simonie  ausser  Amt  gesetzte  Erzbischof  von  Reims 
beklagt  sich  nämlich  bei  dem  Papste,  dass  "Warmund  von  Vienne  angeb- 
lich als  Legat  des  apostolischen  Stuhles  in  die  Provinz  Reims  einge- 
drungen sei,  hier  Priester  entsetzt  und  wieder  eingesetzt  habe  und  erst 
mit  wohl  gefüllten  Taschen  wieder  abgezogen  sei. 


102  Wilhelm  Gundlaeh. 

als  Papst  Calixt  IL  erscheint.  Da  nämlich  die  Urkunde  'Petro 
decano  et  canonicis  sive  clericis  Viennensis  ecclesiae'  gewidmet 
ist,  so  wäre  es  doch,  die  Echtheit  vorausgesetzt,  höchst  sonder- 
bar, dass  der  Papst,  um  sein  Fälschungswerk  zu  krönen,  seine 
Ungeduld  nicht  bis  zu  einer  Neubesetzung  des  damals  erledig- 
ten Bisthums  hätte  zügeln  können;  bei  der  Annahme  einer  Fäl- 
schung ist  aber  darin  der  ersehnte  terminus  ad  quem  gegeben: 
wäre  nämlich  das  Stück  nach  dem  Jahre  1121  entstanden,  dann 
wäre  schwerlich  jemals  ein  Fälscher  darauf  verfallen,  statt 
eines  Erzbischofs  den  Decan  Petrus  und  die  Stiftsherren  und 
Geistlichen  der  Vienner  Kirche  als  Empfänger  einer  Urkunde 
auszugeben,  welche  vor  allen  den  Erzbischof  mit  weit  reichen- 
den Rechten  ausstattet.  Die  Wahl  der  genannten  Empfänger 
beweist,  dass  die  Fälschung  des  letzten  Stückes  jener  Zeit 
angehört,  während  welcher  Guido,  obwohl  er  schon  Papst 
war,  noch  das  Erzbisthum  Vienne  in  seiner  Hand  behielt». 

Also  unter  dem  bestimmenden  Einflüsse  des  Erzbischofs 
Guido  von  Vienne  ^  in  der  Zeit  von  1094  bis  1121  sind  die 
Vienner  Briefe  und  Urkunden  gefälscht  worden,  in  der  Weise, 
dass  das  jüngste  Stück  später,  als  Guido  schon  den  Stuhl 
Petri  bestiegen  hatte,  den  übrigen  in  Vienne  noch  angefügt 
wurde,  trotzdem  aber  die  Gesammtheit  der  Epistolae  Vien- 
nenses  demselben  Fälscher  beigelegt  werden  darf. 

Sollte  selbst  nach  den  gepflogenen  Erörterungen  an  der 
Unächtheit  der  Epistolae  Viennenses,  welche  nicht  nur  einen 
Schatten  bis  in  die  deutsche  Verfassungsgeschichte  hinein- 
geworfen haben  ^,  sondern  auch  die  Entwickelung  des  Pri- 
mates in  Gallien  völlig  zu  verdunkeln  geeignet  sind,  noch  ein 
Zweifel  übrig  sein,  so  wird  er  sich  verflüchtigen,  indem  man 
einen  Blick  auf  die  Geschichte  des  gallischen  Primates  wirft 
und  dabei  wahrnimmt,  wie  wenig  seine  Entwickelung  mit  den 
Ansprüchen  des  Bisthums  Vienne  sich  vereinen  lässt. 

1)  Es  kommt  dazu,  dass  von  einer  Ausübung  der  bestätigten  Ge- 
rechtsame in  der  Zeit  der  Urkunde  nichts  verlautet,  vielmehr  nachzuweisen 
ist,  dass  die  ganze  Primatialherrlichkeit  auf  hochtönende  Titel  beschränkt 
blieb  (vgl.  Pagi  ad  a.  1120  n.  5).  2)  Wenn  man  bedenkt,  dass  der  Erz- 
bischof im  Wesen  auch  noch  der  Urheber  des  Pseudo-Turpinus  ist  (vgl. 
Wattenbach,  Geschichtsq.  IP,  222),  so  wird  man  das  Urtheil  nicht  zu 
schroff  finden,  dass  das  Vienne  des  Erzbischofs  Guido  ein  wahres  Fälscher- 
nest gewesen  ist.  3)  Die  anni  patriciatus  Karls  des  Grossen  und  Lud- 
wigs des  Frommen,  nach  welchen  in  den  Briefen  J. -E.  2412  und  2549 
datiert  wird,  haben  Waitz  (Verfassungsgesch.  III^,  180  Anra.  2)  und 
Simson  (Ludwig  der  Fr.  I,  74  Anm.  4)  beschäftigt. 


III. 


Handschriftliches  aus  Frankreich. 


Von 


Ernst  Sackur. 


I. 

Zur  Vita  Odonis  abbatis  Cluniacensis  auctore 
lohanne. 

Der  Cod.  Paris,  lat.  5566»  saec.  XI  ex.  80  enthält  von 
fol.  21—58'  eine  Vita  S.  Odonis  abb.  Cluniacensis,  welche, 
wie  sich  aus  der  Widmungsepistel  ergiebt,  zur  Zeit  des  Abtes 
Hugo  von  Cluny  verfasst  wurde.  Der  Autor  dieser  Lebens- 
beschreibung war  bei  der  Leetüre  der  älteren  Vita  auf  man- 
cherlei Mängel  gestossen.  Er  hatte  an  dem  Bericht  über  die 
Ordination  Odos,  sowie  an  der  Schilderung  seines  Todes  An- 
stoss  genommen.  Bei  der  Correctur,  die  er  nun  besorgte, 
nahm  er  sogar  die  Wahlurkunde  zur  Hand  und  schob  einen 
Excurs  über  Berno  ein.  Er  hat  auch,  wie  er  selbst  äussert, 
ein  Gedicht  des  Bischofs  Hildebold,  das  Abt  Hugo  ihm  zu- 
gesandt hatte,  benützt  und  gegen  den  Schluss  wollte  er  das 
Wachsthura  Clunys  und  die  Verdienste  Wilhelms  von  Aquita- 
nien,  Bernos  und  Odos  um  das  Kloster  ins  rechte  Licht  stellen. 

Es  kommt  nun  darauf  an,  festzustellen,  welche  Vorlage 
der  Autor  benutzte.  Auf  den  ersten  Blick  wird  klar,  dass  er 
die  Lebensbeschreibung  vor  sich  hatte,  die  Odos  Schüler  lo- 
hannes^  verfasste,  aber  wir  bemerken  eben  so  schnell,  dass 
diese  Vita  in  unserer  Bearbeitung  in  veränderter  Gestalt  auf- 
tritt. Weiter  ergiebt  sich  bald,  dass  diese  veränderte  Fassung 
nicht  erst  von  dem  Bearbeiter  herrührt,  sondern,  dass  neben 
der  uns  bekannten  Vita  Odonis,  auctore  lohanne,  eine  zweite 
Recension  vorhanden  war,  die  bereits  fertig  dem  späteren 
Corrector  vorlag.  Diese  Recension  ist  für  sich  im  Cod.  Paris, 
lat.  5386  saec.  XH/XHP   auf  fol.  165—175'   erhalten.     Hier 

1)  Die  Handschrift  zählt  67  Blätter  und  beginnt  mit  den  Worten  'ali;i 
die  primo  diluculo'  in  der  Vita  S.  Nazarii.  F.  5':  'In  processione  sancti 
Celsi  admissa  leetio'.  Es  folgen  mehrere  Hymnen  und  Predigten  bis 
f.  20'.  F.  58:  'Incipit  epistola  Aviti  presbiteri  ad  papam  Paleonium'. 
Rother  Ledereinband  mit  Goldpressung  und  dem  Monogramm  L.  P.  Auf 
dem  Rücken:  Passio  SS.  Nazarii  et  Celsi  etc.  2)  Ueber  die  Ausgaben 
vgl.  jetzt  Mon.  Germ.  SS.  XV,  p.  586  f.  3)   Schrift  in  zwei  Columnen. 

Der  Cod.,  der  verschiedene  Heiligenleben  und  Auszüge  aus  Schriften  des 
Sulpicius  Severus  und  Cassian  enthält,  ist  am  Rande  stark  verstümmelt. 
Fol.  165:  'Incipit  prologus  de  vita  patris  nostri  Odonis  sanctissimi  abbatis. 
Odo  vir  beatissimus  —  pater  dulcissimus.  Explicit  Prologus.  Incipit  vita 
eiusdem  venerabilis  Odonis  abbatis'.    Endet  fol.  175'  unten  mit  den  Worten 


106  Ernst  Sackur. 

findet  sich  eine  allerdings  nicht  ganz  vollständige  Vita  Odonis, 
die  vollkommen  mit  der  im  Cod.  5566  vorhandenen  über- 
einstimmt, nur  dass  die  oben  characterisierten  Aenderungen 
resp.  Einschübe  fehlen,  die  der  Autor  des  11.  Jahrhunderts 
als  sein  geistiges  Eigenthum  bezeichnet.  Zwei  Fragen  stellen 
sich  jetzt  ein :  ist  diese  Recension  noch  ein  AVerk  des  Johannes 
und  wenn  dies  der  Fall,  ist  sie  älter  oder  jünger  als  die  bisher 
allein  bekannte  Fassung? 

Die  erste  Frage  wird  deshalb  zu  bejahen  sein,  weil  ge- 
wisse Aeusserungen  in  der  zweiten  Recension  die  Annahme 
einer  späteren  Bearbeitung  durch  einen  anderen  Verfasser  nur 
auf  Grundlage  der  Vita  des  Johannes  unbedingt  ausschliessen. 
Wenn  in  unserer  Recension  allein  I,  c.  33  mit  den  Worten: 
'Nunc  vero  restat,  ut  quidquid  de  eins  patientia  ad  meam 
pervenit  notitiam,  fratrum  auribus  pandamus',  sodann  I,  c.  37 
mit  dem  Satz  eingeleitet  wird:  'Sepius  vero  fratres,  cum  qui- 
bus  conversatus  sum  et  quam  plurimi  ex  ipsis  finibus  retule- 
runt,  quod  hoc  Signum  per  venerabilem  patrem  Odonem  Deus 
voluisset  perficere.  Utrum  vero  verum  sit,  fratrum  iudicio 
relinquo'  — ,  so  können  diese  Uebergänge  nur  von  Johannes 
selbst  herrühren,  da  sie  in  der  bekannten  Recension  nicht  stehen, 
die  berichteten  Thatsachen  sich  jedoch  schon  in  dieser  finden. 

Die  neue  Fassung  enthält  eine  Anzahl  Capitel  mehr,  als 
die  bekannte:  auch  hier  verräth  die  Bezugnahme  auf  die  Ge- 
währsmänner, dass  diese  Abschnitte  keinem  andern,  als  lo- 
hannes  selbst  angehören.  So  erzählt  er  eine  Geschichte,  die 
der  Presbyter  Petrus  von  Farges  'de  eodem  patre  mihi  tem- 
pore conversationis  meae  narrare  consuevit'.  Eine  andere 
Anecdote  pflegte  der  Presbyter  Angelus  im  Kloster  St.  Paul 
zu  Rom  'me  audiente'  zu  berichten.  Von  seinen  Beziehungen 
zu  St.  Paul  spricht  Johannes  öfter  in  der  bekannten  Recension  2. 
Endlich  erzählt  der  Verfasser:  'Eodem  vero  tempore  duo  pres- 

biteri  ex  hac  urbe  Salernitana  comitati   sunt  eum'  etc. 

'Hi  namque  sepius  mihi  iure  iurando  professi  sunt'  etc.  —  Es 
ergiebt  sich  daraus  mit  Deutlichkeit,  dass  er  in  Salerno 
schrieb,  während  auf  der  andern  Seite  auch  lohannes  wenig- 
stens zeitweise  sicher  in  Salerno  lebte  und  den  Mönchen  eines 
dortigen  Klosters  seine  Vita  Odonis  widmete. 

Hat  nun  Johannes,  wie  aus  den  angeführten  Thatsachen 
nothwendig  folgt,  auch  jene  neue  Recension  verfasst,  so  ent- 
steht die  Frage,  welche  von  beiden  die  ältere  ist.  Sicherlich 
die  bekannte  Vita.    Schon  der  Umstand,  dass  sie  nicht  später. 


'praesumpsisset  agere'.  Der  Rest  ist  verloren.  Fol.  176:  'Incipit  prologus 
Cassiani  ad  Castorium  Papam  in  instituta  ceuobiorum'.  1)  Vgl.  SS.  XV, 
p.  586  n.  2. 


Handschriftliches    aus  Frankreich,  107 

als  943,  also  ein  Jahr  nach  Odos  Tode  geschrieben,  macht 
es  nicht  Avahrscheinlich,  dass  schon  vorher  noch  eine  Lebens- 
beschreibung entstanden  war;  dann  aber  ist  manches  Andere 
für  diese  Annahme  ausschlaggebend.  So  entsprechen  dem 
Anfang  von  Joh.  Vita  Odonis  II,  c.  16 :  'Meminisse  v  o  s  volo, 
fratres,  quod  praeterito  anno  ille  peregrinus,  qui  se  de 
familia  patris  nostri  esse  fatebatur  et  lerosolymam  ascendere 
festinabat,  coram  vobis  de  patre  nostro  bis  terque  narravit' 
in  den  neu  herangezogenen  Handschriften  die  Worte:  'Nee 
illud  praetereara,  quod  coram  omnibus  fratribus  meis  quidam 
peregrinus,  qui  se  de  familia  patris  nostri  esse  fatebatur 
Iherosolimam  proficiscens  bis  terque  narravit'.  Charakteristi- 
scher Weise  ist  hier  'praeterito  anno'  fortgelassen  i,  die  Brüder, 
die  der  Verfasser  vorher  angeredet,  d.  h.  die  von  Salerno, 
nennt  er  jetzt  seine  Brüder.  Wird  durch  diese  Identification 
klar,  dass  Johannes  in  der  That  in  einem  salernitanischen 
Kloster  lebte  und  schrieb^,  so  sehen  wir  andererseits,  dass  die 
bisher  unbekannte  Fassung  für  ein  fremdes  Stifte  verfasst 
wurde.  In  dem  Capitel,  in  dem  er  berichtet,  dass  zwei  Priester 
den  Abt  von  Salerno  auf  den  Monte  Gargano  begleiteten,  fährt 
Johannes  fort:  'Unus  namque  eorum,  qui  actenus  super- 
est,  lacinctus  nuncupatur',  eine  Ausdrucksweise,  die  auf  einen 
längeren  zeitlichen  Abstand  zwischen  den  Ereignissen  und 
der  Aufzeichnung  hindeutet.  Ganz  besonders  wesentlich  für 
unsere  Frage  muss  aber  eine  Vergleichung  des  Bestandes 
beider  Fassungen  werden.  Bemerken  wir  nämlich,  dass  in  der 
handschriftlich  überlieferten  Recension  fehlen:  I,  c.  22  (Ende). 
23.  25-28.  30-32.  35  (Ende).  36.  38  (Schluss);  11,  c.  3—13. 
21;  III,  c.  1 — 4.  6.  7^,  d.  h.  alle  die  Abschnitte,  welche  sich  auf 
klösterliche  Einrichtungen  beziehen,  alle  subjectiven  Aus- 
führungen und  Excurse,  weitere  Abschweifungen,  wie  die 
über  Odos  Gefährten  Adhegrin,  die  Capitel,  in  denen  die 
Caritas  des  Heiligen  mit  Beispielen  belegt  wird,  so  wird  etwa 
alles  das  vermisst,  was  nicht  unmittelbar  zur  Sache  gehört 
und  was  bei  späterer  Zusammenfassung  gut  entbehi't  werden 
konnte :   ein  Verhältnis,    welches   entschieden   für   das  höhere 


1)  Allerdings  sind  die  Zeitbestimmung-en  in  andern  Fällen,  wie  II, 
c.  15  u.  c.  22  'ante  hoc  trienninm'  auch  in  der  neuen  Recension  geblieben. 
2)  Dadurch  ist  nicht  ausgeschlossen,  dass  er  vorher  Prior  in  St.  Paul  war, 
wie  L.  V.  Heinemann  SS.  XV,  p.  586  n.  2  annimmt.  .  Aus  dem  'fratribus 
meis'  kann  man  sogar  schliessen,  dass  Johannes  nun  Abt  in  Salerno  war. 
In  der  That  ist  die  Vita  Odonis  in  Codes  Par.  5365  überschrieben:  'In- 
cipit  prologus  in  Vita  S.  Oddonis  abbatis  edita  a  reverendissimo  lohanne 
abbate  Salernensi.  3)  Vielleicht  für  De'ols,  worauf  die  mehrmalige 
Nennung  des  Grafen  Ebbe  deuten  könnte.  Vgl.  unten  S.  111.  4)  Vgl. 
übrigens  S.  108. 


108  Ernst  Sackur. 

Alter  der  längeren  Fassung  spricht,  während  das  Fehlen  der 
wenigen  Abschnitte,  die  die  kürzere  mehr  hat,  in  jener  vermuth- 
lich  dem  Umstände  zuzuschreiben  ist,  dass  der  Verfasser  zur 
Zeit  der  Abfassung  der  umfangreicheren  Recension  die  be- 
treffenden Geschichten  nicht  im  Gedächtnis  hatte  oder  über- 
haupt nicht  kannte. 

Die  Rec.  B,  wie  wir  die  neue  Fassung  nunmehr  im  Ge- 
gensatz zu  A,   der   schon  bekannten  Vita  Odonis,   bezeichnen 
können,  weicht  in  der  Anordnung  von   dieser  beträchtlich  ab. 
Folgende  Tabelle,  in  welcher  die  Capitel  nach  der  bekannten 
Vita  gezählt  sind,  wird  den  Bestand  veranschaulichen : 
I,  c.  1—22. 
c.  24. 
c.  29. 

c.  33  —  c.  35  ( —  sunt  intextae). 
c.  37.  38  ( —  migravit  felix  ad  Dominum.     Cui 
est  gloria  et  honor  in  secula  seculorum). 

II,  c.  1  (von  Igitur  pater  Odo  electus). 
c.  2  ( —  facultatulara  extenderet). 
c.  23  ( —  absolutione  defunctus  est). 
III,  c.  8-11. 
II,  c.  16-20. 
Ungedruckte  Capitel  1  und  2. 
III,  c.  5. 
II,  c.  14.  15. 
Ungedruckte  Capitel  3  und  4. 

Hier  bricht  nun  kurz  vor  dem  Ende  der  Geschichte 
die  Recension  im  Cod.  5386  ab.  Ob  das  Folgende,  das 
Cod.  5566  allein  bietet,  auch  ganz  in  der  Vorlage  des  späteren 
Bearbeiters  gestanden  hat,  ist  zweifelhaft.  Es  schliesst  sich 
nämlich  als  Uebergang  zur  Schilderung  des  Todes  Odos  eine 
Ausführung  über  den  Reformeifer  des  Abtes  und  seine  per- 
sönlichen Tugenden  an,  mit  den  Worten:  'Longum  est,  si 
veliraus  gesta  eins  vel  dicta  per  singula  describere'  beginnend. 
Dann  geht  die  Vita  auf  II,  c.  22  über:  'Ante  hoc  triennium, 
dum  essemus  apud  beatum  Paulum  Romae'.  Vielleicht  rührt 
der  erwähnte  Uebergang  erst  von  dem  Bearbeiter  her,  der 
dann  das  Ende  der  ihm  vorliegenden  Redaction  verkürzte  und 
nur  theilweise  wiedergab. 

Auf  II,  c.  22  folgt  das  Schlusscapitel  III,  c.  12,  welches 
das  Ableben  des  Abtes  schildert.  Da  es  ganz  und  gar  mit 
der  bekannten  Joh.  Vita  Odonis  übereinstimmt,  kann  natürlich 
nicht  daran  gezweifelt  werden,  dass  auch  das  Zwischenglied 
zwischen  beiden  Arbeiten,  die  Rec.  B  dasselbe  genau  so  ent- 
halten hat. 

Sachliche  Unterschiede  zwischen  Rec.  A  und  B,  in  Dingen, 


Handschriftliches  aus  Frankreich.  109 

die  beide  gemeinschaftlich  berichten,  finden  sich  nur  ein  Mal  i. 
Lib.  I,  c.  8  heisst  es  in  A:  'Qua  de  re  intra  domum  Guillelmi 
me  (sc.  Odonem)  tradidit  serviturum  comiti',  B:  'Ebboni 
traditus  est  serviturus  comiti'.  Lib.  I,  c.  11  hat  A:  'Inter  hos 
vero  affuit  comes  Fulco,  qui  eum  nutriverat'  etc.,  B :  'Inter  hos 
vero  afFuit  comes  Ebbo,  qui  eum  nutriverat'  etc.  Während 
in  A  (I,  c,  21)  die  Bekanntschaft  Odos  mit  dem  Kriegsmann 
Adhegrin  an  eine  schwere  Krankheit  Fulcos  v.  Anjou  geknüpft 
ist,  findet  sich  davon  in  B  keine  Spur.  Ob  diese  Ausmerzung 
des  Namens  Fulcos  noch  von  Johannes  herrührt,  oder  ob  viel- 
leicht ein  Mönch  von  Deols,  eines  von  Ebbo  gegründeten  und 
Berno  zur  Leitung  übergebenen  Klosters,  durchaus  für  den 
Abteistifter  die  anderweitig  Fulco  zugeschriebenen  Verdienste 
in  Anspruch  nehmen  wollte,  muss  dahingestellt  bleiben. 

Was  nun  den  Text  beider  Handschriften  anbetrifft,  so 
ist  der  des  Cod.  5566(1)  der  ältere  und  bessere  2.  Er  ist 
deshalb  auch  bei  der  Wiedergabe  jener  unbekannten  Capitel 
der  Rec.  B,  die  auch  im  Cod.  5386  (2)  erhalten  sind,  zu 
Grunde  gelegt  und  nur  insofern  davon  abgewichen  worden, 
als  für  die  verschiedenen  willkürlich  gesetzten  e,  ^  und  ae  in 
den  in  beiden  Handschriften  erhaltenen  Stücken  eine  einheit- 
liche Schreibweise  vorgezogen  wurde.  Eine  andere  Hand  hat 
dann  in  1  noch  corrigiert,  Aenderungen,  die  aber  für  die 
ursprüngliche  Textgestaltung  von  Rec.  B  nicht  in  Betracht 
kommen.  Zuerst  sollen  die  unbekannten  Abschnitte,  welche 
derselben  angehören,  zum  Abdruck  gelangen,  sodann  die  Stücke, 
welche  später  eingeschoben  wurden. 

1.  Aus  Recension  B  der  Vita  lohannis. 
(Cod.  5566.  f.  50'.  Cod.  5386.  f.  174.) 
1.  Neque  hoc  reticendum  puto,  quod  quidam  religiosus 
vir,  nomine  ^  Petrus,  Fabricanae  *  ecclesiae  presbiter  ^  de  eodem 
patre  [nostro«]  mihi''  tempore  conversationis  meae*  narrare 
consuevit^.  Aiebat'"  namque,  quod  vir  quidam  erat  sceleratae 
vitae  habitans  iuxta  ecclesiam  suam  miliario  >«  quarto  in  vico  '^^ 
qui  proprio  Vaduscinie  »3  dicitur.  Plane  inter  diversa  scelera, 
quibus  infelix   eins   animus   volutabatur,   hoc  inpudice  abusus 

1)  Es  sei  bemerkt,  dass  in  B  die  directe  Rede,  die  A  Odo  mitunter 
in  den  Mund  legt,  in  episelie  Erzählung  verwandelt  ist.  Natürlich  sind, 
wie  aus  den  angeführten  Beispielen  schon  ersichtlich,  bei  der  abweichen- 
den Anordnung  die  Uebergänge  häufig  verändert.  2)  Charakteristisch  ist, 
dass  Cod.  5386  den  Namen  der  Mutter  Odos  'Silvia'  nennt,  den  weder 
die  Vita  Odonis  A,  noch  Cod.  5566  kennen:  er  ist  selbstverständlich 
erfunden.  3)  Fehlt  2.  4)  Farges,  arrond.  Mäcon,  canton  Tournus. 

5)  'presb.  Fabr.  eccl.'  2.  6)  Nur  in  2.  7)  'michi'  2.  8)  'mee 

convers.'  2.  9)    In    1   aus   'vif  corrigiert   'verat'.  10)  'agebat'  2. 

11)  'miliari'  2.  12)  'vicum'  2.  13)  'vaduscinii'  2. 


HO  Ernst  Sackur. 

est,  ut  vivente  uxore  una»  domum  duceret  allam,  Qui  cum 
multo  tempore  in  his  malis  vitam  scelestam  ^  duceret,  die 
quadam  contigit,  quod^  venerabilis  pater  Oddo  a  Roma  ve- 
niens  secus  domum  eiusdem  viri  iter  suum  perficeret.  Viam 
vero  eandera  magna  luti  praeoccupabat  congeries.  Igitur  qui 
praecedebant  cum,  alii^  ibidem  concideruut,  alii  vero  cum 
magna  difficultate  transierunt.  Praedictus  vero  pater  tam  se- 
curus  et  immunis  idem  ^  transivit  lutum,  veluti  si «  equus  eius 
siccum  calcaret  arvum.  Quod  factum  intuens  vir  ille  scelestus, 
pedem  illius  tenuit  et,  ut  in  domum  suam  declinaret,  obnixins' 
deprecatus  est.  Quod  et  factum  est.  Interea  virum  illum 
videres*  huc  illucque  discurrere,  mensam  ponere,  servitium 
irapendere  et,  quemadmodum  tanto  patri  placeret,  strenue  per- 
quirere,  Videns  autem  praedictus  pater  easdem  mulieres  per- 
cunctari  cepit  eundem  virum,  quid»  ad  sc  pertinerent.  Ille 
vero  uxores'o  suas  [utrasque '»J  esse  professus  est.  Tunc 
pater  sanctus:  'Elige',  ait,  'unam'^  e  duabus ;  aut  iuuiorem 
[mulieremJ3|  proice,  aut  de  [hac'*]  domo  tua  protinus  egre- 
diar'.  Nee  moram  in  faciendo  vir  ille  passus  est,  sed  uxorem 
iuniorem'^  protinus  abiecit  et  reatus  sui  penitentiam  [de 
bigamio  i"]  egit.  Sicque  vir  a  raorte  animae  patris  nostri  voce 
suscitatus  est.  Sicsic  tantos  a  sepulcris  malae  concupiscentiae 
Deo  reddidit  vivos,  quantos  nee  lingua  cuiuslibet  promere  nee 
stilus  potest ''  explicare. 

2.  Alio  rursus  tempore  Romam  proficiscens  devertit  in 
vicum,  qui  proprio  ad  Aquampendentem '*  dicitur.  Erat 
autem  tempus  vindemiae.  Interea  dum  hi,  quibus  iniunctum 
erat  offitium,  emerent,  quae  necessaria  videbantur  esse  '9,  ipse 
ad  ecclesiam  comite  fratre*"  sacerdote,  qui  ei  missam  caneret, 
profectus  est.  Quam  videlicet  obseratam  cum  repperisset-', 
sacerdotem  cepit  querere,  qui  eam  reseraret.  Dictum  namque 
est  ei  22^  quod  ecclesiae  presbitcr  alio  in  loco  esset.  Quo 
audito  venerabilis  pater  accessit  ad  quendam  rusticum,  qui 
iuxta  eandem  ecclesiam  paucos  racemos  in  torculari^^  calca- 
bat  euraque  non  dedignatus  est  rogare,  quo  sibi  clavem  de- 
ferret  ecclesiae?  Cui  rusticus:  ^Obsecro',  ait,  'pater,  sine  [me^*] 
paulisper,  quo  egeram  mustum  a  torculari  ^5^  deinde  quod  iubes, 


1)  'prima'  2.  2)  'scelestem'  2.  3)  'quo'  1 ;  'contigit,  ut  die  qua- 
dam' 2.  4)  'aliqui'  2.  5)  'eundem'  1.  6)  'si'  fehlt  2.  7)  'ob- 
nixe'  2.  8)  'vid.  vir.  illum'  2.  9)  'quod'  1 ;  o  durch  einen  verticalen 
Strich    in    'i'    corrigiert.  10)    Die  Worte   von   'percunetari  —  uxores' 

fehlen  2,         11)  Nur  2.  12)  'unum'  2.  13)  Nur  2.         14)  Nur  2. 

15)  'iuvenculam'  2.  16)  Nur  2.  17)  'valet  promere  nee  stilus  ex- 

plicare' 2.  18)  'aquam  pendens'  2.   —  Acquapendente  an  der  Grenze 

von  Toscana  und  Umbrien.  19)  'videb.  esse  neces.'  2.  20)  'fr.  com.'  2. 
21)  'reperisset'  2.  22)  'ei  est'  2.  23)  Nur  'torculare'  2.  24)  Nur  2. 
25)  'torculare'  2. 


Handschriftliches  aus  Frankreich.  111 

faciam'.  Et  pater  sanctus  ad  illum  i :  'Ne  pigriteris  ire  neque 
pigeat  ^  te  iniunctum  opus  perficere,  quia  proderit  tibi'.  Mox 
itaque  rusticus  inperata^  complevit.  Videres  interea  torcular 
effluere  mustum'^,  redundare*  susceptorium  et  rustici^  non 
sine  ammiratione  atque  stupore  cuncta  repleri''  vascula.  Ex- 
pleta  tandem  venerabilis  pater  oratione  egressus  ab  ecclesia, 
occurrit  ei  rusticus  gratias  agens  pro  coUatis^  sibi  beneficiis. 
Quem  videlicet®  providus  pater  bis  cum  a  se  verbis  sprevit 
et  abiecit:  'Recede  a  nie,  o  homo,  quid  dicis,  nescio'^**.  Siqui- 
dem  '1  magna  facere  omnino  fugiebat,  videlicet  ut  ea,  quae 
fiebant;  non  suae  bonitati^  sed  Domini  miserationi  deputa- 
ret'2. 

3.  Eodem  vero  tempore  »^  duo  presbiteri  ex  hac'*  urbe 
Salernitana  comitati  sunt  eum  orationis  gratia  usque  ad  Mon- 
tem  Garganum.  Unus  namque  eorum,  qui  actenus  superest, 
lacinctus  nuncupatur.  Hi  namque  sepius  mihi  iureiurando 
professi  sunt,  quod  in  eodem  itinere,  dum  per  singulas  Loras 
canonicas  se  cum  fratribus*^  in  terra'"  prosterneret,  licet  fre- 
quenter  plueret,  unam  pluviae  guttam  super  eum  cadere  non 
videbant'''.  Sic  enim  eum  divina  tuicio'*  protegebat,  ut,  cum 
elevaretur  a  terra,  ita  eins  videbantur  sicca  vestimenta,  veluti 
celum  non  19  plueret  nee  terra  aquis  madefieret. 

4.  Sed  neque  et  illud  silentio  puto  praetereundum  ^o^  quod 
coram  venerabili  valde  viro  domno  Balduino^i  abbate  fratribus- 
que22  sui  monasterii  quidam  presbiter  nomine  Angelus  sepius 
iureiurando  me  andiente  narrare  consueverat.  Aiebat  -^  nam- 
que, quod  nocte  quadara  in  eodem  monasterio  venerabilis 
pater  Oddo  2*  post  nocturnas  laudes  privatasque  orationes  fati- 
gatus,  dum  supra  quoddam^s  scamnum  se  sopori  dedisset, 
apparuisset  ei 26  quidam  vir  senex  veneranda^'  canitie,  ferens 
manu  candidam  vestem  pelliceam  ^«^  proficiscensque  '^^  velociter 
ad  eundem  locum,  in  quo  se  sopori  dederat  vir  beatissimus, 
stetit  super  eum.  At  vero  presbiter  [Angelus -^"j^  dum  ex  ad- 
verso  staret,    considerare  cepit   diligenter  simulque  inspicere. 


1)  'eum'  2.  2)  'pudeat'  2.  3)  'imperata'  2.  4)  'musta'  2. 

5)  'redundare'  2.  6)  'rusticum'  2.  7)  'replere'  2.  8)  'pro  collatis 
agens'  2.  9)  'autem'  2.  10)  'nescio  quid  dicis'.  11)  Nach  'Si- 

quidem'  in  1  'nimirum',  dann  aber  getilgt.  12)  'Dom.  tribueret  mis.'  2. 
13)  Diese  Reise  Vita  Od.  II,  c.  15:  'ante  hoc  triennium'  d.  h.  940  oder 
941  gesetzt.  14)  In  1  getilgt.  15)  'cum  fratribus  se'  2.  16)  'ter- 
ram'  2.  17)  'una  pluvif  gutta  cadere    non  viderent'  2.  18)  In   1 

'tuicio'  ausradiert  und  'dignatio'  übergeschrieben.  19)  'veluti  nee  celum 
plueret'  1.  20)  'pret.  puto'  2.  21)  'Baldoino'  2.  22)  'eiusque 

fratribus'  2.  23)  'Agebat'  2.  24)  'Odo'  2.  25)  Fehlt  2.  26)  Fehlt  2. 
27)  'venerande'  2.  28)  'pelliciam'  2.  29)  'proficiscensque'  in  1  corr. 
in  'profectus  est'  und  'stetit  super  eum'  in  Folge  dessen  ausgelassen, 
30)  Nur  2. 


112  Ernst  Sackur. 

quid  vellet  is,  qui  ei  appai'uit,  facere^  putans  esse  quendam 
senem  monachura,  nomine  Feraldura,  eiusdera  monasterii  de- 
canum.  Porro  vir  ille,  qui  ei  apparuit^,  accessit  ad  locum^, 
in  quo  vir  iaeebat  sanctissimus,  cooperuitque  eum  eodem  vesti- 
mento  et  recessit.  Interea  praedictus  presbiter  vehementer  in 
corde  suo  irasci  cepit  contra  Feraldum  ^,  quem  diximus  •*,  cur 
hora  incompetenti  talia  praesumpsisset  agere^.  Sequenti  vero 
die  sedata  nocturna  commotione  vocavit  eundem  Feraldum  et 
de  hoc  facto  percontare  cepit  eum.  lUe  vero,  quia  huius  rei 
erat  nescius,  cepit  iurare,  se,  quod  dicebat,  nescire.  Tunc 
patenter  omnibus  claruit,  quod  angelicis  ministeriis  tueretur 
ubique  pater  sanctissimus. 

5.  Longum  est,  si  velimus  gesta  eius  vel  dicta  per  sin- 
gula  describere.  Neque  enim  omnino  totum  valet  coraprehendi, 
quod  per  illum  et  in  illo  Christus  voluit  operari.  Sed  iam 
tempus  est  nos  declarare,  qualiter  divin§  pietatis  dignatio 
sanctum  virum  ex  hac  miserabili  corruptione  vocaverit  et  pro 
studio  pii  laboris  celestem  mercedis  recompensationem  contu- 
lerit.  kSed  ut  ex  eius  laudabili  vita  adhuc  parum  perloquamur, 
cum  eius  doctrina  et  virtutum  fama  per  omnem  iam  pene 
Italiam  celebris  haberetur,  decreto  sanctae  sedis  apostolice  et 
totius  populi  Romani  concordi  petitione  illam  famosissimam 
materiali  dico  opere  simul  et  apostoli  corpore  SANCTI  PAULI 
suscepit  ecclesiam,  ut  in  ea  monastic^  religionis  institueret 
regulam  et  ad  salutem  plurimorum  profuturam  sanctae  veri- 
tatis  disponeret  formam.  Quo  in  loco  positus  et,  ut  ita  dica- 
mus,  tanti  apostoli  vicarius  effectus  more  apostolico  viam  fidci 
et  pia  semina  verbi  multis  commendat  atque  in  eorum  cordi- 
bus  lumen  veritatis  inflammat.  Memor  vero  illius  sermonis: 
'Castigo  corpus  meum  et  in  servitutem  redigo,  ne  aliis  prae- 
dicans  ipse  reprobus  inveniar^',  corpus  proprium  ieiuniis, 
vigiliis,  orationibus  et  cetcris  sanctarum  virtutum  operibus 
tanto  instantius,  quanto  iam  suae  vocationi  proximus  affligit 
et  ut  verus  athleta  rigidis  palestris  iam  senilia  membra  con- 
vellit.  Unde  factum  est,  ut,  dum  sibi  tanto  diutius,  quanto 
et  devotius  ob  sanctorum  apostolorum  conversaretur  gratiam, 
verbo  simul  et  exemplo  fratribus  ibi  positis  sanctae  iustitutio- 
nis  formam  secundum  illud  apostolicum  praeceptum  arguendo, 
obsecrando,  increpando  tradidit  et  locum  illum  in  sancta  reli- 
gione  et  monastica  perfectione  consummatum  reddidit  atque 
tamquam  lucernam  cunctis  ipsius  regni  monasteriis  pro  speculo 
exhibuit.  Ubi  etiam  per  illum  quoddam  contigit  miraculum 
non  exceptis  ceteris  singulariter  solum,  sed  de  multis  unum 
nobis  manifestum,  quod  nostrae  narrationi  videtur  inferendum. 

1)  In  1  in  'apparuerat'  verbessert.  2)  scamnum  2.  3)  'feraldnm- 
que'   1  und  2.  4)  'putabat'  2.  5)  Bis  hierher  reicht  die  Vita  in  2. 

6)  Cf.   1.  Cor.  9,  27. 


Handschriftliches  aus  Frankreich.  113 

2.     Die  anonyme  Vita  des  11.  Jahrhunderts. 

Von  der  Rec.  B  wich  der  Verfasser  der  späteren  Be- 
arbeitung nur  in  zwei  Punkten  ab.  Einmal  schob  er  in  I,  c.  22 
nach  dem  Satz:  'In  ea  namque  erat  monasterium,  in  quo 
Berno  abba  regimen  tenere  videbatur'  seinen  Excurs  über 
Berno  ein.  Sodann  gab  ihm  die  Kenntnis  von  Bernos  Testa- 
ment '  Gelegenheit,  die  Darstellung  des  Johannes  zu  corrigieren. 
Während  B.  am  Ende  des  1.  Buches,  das  mit  der  Abtwahl 
Odos  schliesst,  I,  c.  38  nach  'tali  ministerio  proclamabat  prae- 
fuisse'  fortfährt:  'Rogabat  —  migravit  felix  ad  Dominum,  cui 
est  gloria  et  honor  in  secula  seculorum',  um  darauf  mit  Aus- 
lassung des  Uebergangs  vom  1.  zum  2.  Buch  mit  den  Worten: 
'Igitur  pater  Odo  electus'  in  das  1.  Capitel  desselben  über- 
zuspringen, gestaltet  der  Anonymus  den  Bericht  nach  'pro- 
clamabat praefuisse'  um  und  berichtet  entsprechend  der  ange- 
führten Urkunde  Bernos,  um  dann  ins  2.  Capitel  des  2.  Buches 
überzugehen  und  nach  den  Worten  'facultatulam  extenderet'  sich 
wieder  an  B.  anzuschliessen.  Während  nämlich  nach  Johannes 
Odos  Abtwahl  zu  Bernos  Lebzeiten  als  unbestrittene  und  er 
als  alleiniger  Abt  erscheint,  sehen  wir  aus  Bernos  Testament, 
dass  der  Gegensatz  der  beiden  Richtungen  in  Beaume,  der 
Widos  und  Odos,  auch  bei  der  Bestimmung  des  Nachfolgers 
ihren  Ausdruck  gefunden,  und  dass  Berno  sich  kurz  vor 
seinem  Tode  hatte  entschliessen  müssen,  die  ihm  untergebenen 
Abteien  unter  die  beiden  Parteiführer  zu  theilen.  Von  den 
in  der  Vorrede  versprochenen  Ausführungen  gelegentlich  der 
Schilderung  von  Odos  Ableben  ist  dagegen  nichts  zu  sehen, 
sei  es,  dass  sie  überhaupt  nicht  geschrieben  wurden,  sei  es, 
dass  sie  nur  in  unserer  Handschrift  ausgefallen  sind.  Was 
nun  gar  das  Gedicht  Hildebolds  betrifft,  so  wird  es  schwerlich 
viel  Thatsächliches  enthalten  haben.  Hat  es  unser  Autor 
überhaupt  benutzt,  so  kann  er  ihm  für  seine  Einschübe  höch- 
stens ein  paar  Phrasen  entlehnt  haben. 

Incipit  prologus  in  vita  sancti  Odonis  abbatis. 

Reverentissimo  patri  domno  Hugoni  abbati  sancti  Petri 
frater  quidam  humillimus  monachorum  praecipue  dilectionis 
votum  et  totius  obsequii  famulatura. 

Cum  summum  Studium,  o  venerabilis  pater,  eruditis  et 
religiosis  viris  fuerit  in  describendis  gestis  sanctorum  ad  in- 
formationem  et  institutionem  audientium,  utile  nobis  videtur, 
ut  et  nos,  quaravis  ignari  et  a  vera  scientia  procul  remoti, 
secundum  datum  nobis  raodulum  ingenii,  si  quid  valemus  et 
ex  sanctorum  actibus  memoria  dignum  agnoscimus,  auribus 
fidelium  et,  si  non  declamatorie,  saltim  humiliter  vel  devote 
offeramus.    Est  enim  fides  vere  credentis,  Domino  magis  pla- 

1)  Gedruckt  Bibl.  Cluniacensis  col.  9  ff. 
Neues  Archiv  etc.     XV.  ö 


114  Ernst  Saekur. 

cere  qualitatem  offerentis,  quam  quantitatem  muneris.  Hoc 
ideo  dicimus,  vestr^  fraternitati  notum  facere  volentes,  quia 
vitam  domni  Odonis  humili  quidem,  sed  fideli  stilo  digestam 
percurrentes  invenimus  aliqua  circa  eius  Ordinationen!  depra- 
vata,  quaedam  vero  de  eius  transitu  minus  perfecta.  Compul- 
sus  igitur  hortatu  seniorum  et  fratrum  nostrorum>,  ut  in  eadem 
vita  patris  Odonis  con-igendi  Studium  daretur,  praeceptis  eorum 
obsecundans,  veteres  cartas  ordinationis  et  electionis  eiusdem 
metrumque  domni  Hildeboldi  episcopi  -  nobis  nuper  a  vobis 
directum  diligenter  revolvi  et,  prout  valui,  in  supradicto  opere 
depravata  mutavi  et  imperfecta  supplevi.  Inserui  praeterea, 
ubi  oportunus  locus  se  praebuit,  quomodo  vel  qualiter  vir 
ammirabilis  fidei  et  summ§  religiouis  Berno  in  sancta  insti- 
tutione  tam  laicali  quamque  etiam  in  monachili  habitu  positus 
profecerit  et  quam  pi§  su§  professionis  exsecutor  et,  ut  ita 
loquamur,  fidelissimus  propagator  extiterit.  Placuit  etiam  com- 
memorare  in  transitu,  quemadmodum  iutuitu  divin§  pietatis  locus 
ille  Cluniacus  a  Wilelmo  duce,  ut  ita  fari  libeat,  in  lineam,  a 
patre  Bernone  in  superficiem  et  a  venerabili  Odone,  de  quo 
sermo  prae  manibus  est,  paulatim  et  per  incrementa  temporis 
deductus  in  altitudinera  veluti   iam  solidum  corpus  surrexerit. 

Quod  opus,  quamvis  parvi  momenti,  ideo  vestro  volui  con- 
signare  iudicio,  quia  vos  concivem^  simul  et  fidelem  Odonis  reco- 
gnosco  et  admodum  mihi  unanimem  esse  non  dubito.  Valete. 

Fol.  30'.  Igitur,  quia  patris  ßernonis  mentionem  feciraus, 
et  utilis  occasio  se  praebuit,  nos  quaedam  narrare  debere,  quae 
fideliura  cognitioni  offerre  cupimus,  quaeque  etiam  evidentiorera 
nobis  dant  viam  eorum,  ad  que  festinamus,  inserendum  huic  operi 
videtur,  qualiter  idem  Berno,  ut  in  praefatione  huius  operis  iam 
dixiraus,  primum  quidem  in  laicali  habitu,  postmodura  vero 
in  monastica  religione  üeo  devotus  extiterit.  Fuit  enim  ex 
Burgundia  oriundus  genere  admodum  clarissimus,  praediorum 

1)  Hier  standen  noch  etwa  IVa  Zeile  Text,  die  vom  Schreiber  aus- 
radiert und  durch  Schlangenlinien  ausgefüllt  wurden.  2)  Wohl  Hildebold 
von  Chiilon  s.  S.  c.  944  —  c.  949,  von  dem  jedoch  ebensowenig,  wie  von 
einem  andern  ein  derartiges  Gedicht  bekannt  ist.  3)  Hieraus  Hesse  sich 
ein  Schluss  auf  die  Heimath  Odos  machen.  loh.  Vit.  Odonis  HI,  c.  8  wird 
er  Aquitanus  genannt  und  daraus  stammt  die  entsprechende  Angabe  des 
Chron.  Turon.  Magnum  ed.  Salmon,  Chroniques  de  Touraine  p.  108.  In 
einem  Briefe  Peters  des  Ehrwürdigen  (Mabillon,  Acta  SS.  V,  p.  68)  heisst 
es:  'qui  ab  ultimis  paene  occidentis  finibus  —  egressus'  etc.  Da  Hugo  aus 
dem  Gebiet  von  Semur  stammte  (Piguot,  Hist.  de  l'ordre  de  Cluny  H,  p.  2  ff.), 
so  müsste  man  wohl  auch  Odos  Wiege  nach  jenem  Winkel  verlegen,  in 
dem  die  Grenzen  des  Herzogthums  und  Königreichs  Burgund  und  Aquitaniens 
zusammenstiessen,  wenn  er  nicht  wiederum  in  der  Praefatio  des  Cartul.  A 
von  Cluny  (Bibl.  nat.  n.  acq.  1497  f.  37)  'Cynomannica  regione  exortus' 
genannt  würde.  An  Hugo  U.,  der  1122  ganz  vorübergehend  Cluny  leitete, 
wird  man  wohl  kaum  denken  dürfen.    Vgl.  Bibl.   Clun.  col.  1623. 


Handschriftliches  aus  Frankreich.  115 

etiam  possessione  perquam  locupletissimus.  Qui  vir  Deo 
dilectus  spretis  mundi  huius  inlecebris  secundum  illud  evan- 
gelicum  praeceptum  in  caelo  suum  totum  recondere  volens  the- 
saurum  ',  io  proprio  solo  construxit  celebre  monasterium,  quod 
Gigniacus^  est  nominatum,  et  ex  paterna  et  materna  possessione 
non  mediocriter  reddidit  loeupletatum.  Cernens  vero  secun- 
dum sui  desiderii  votum  idem'  in  omnibus  obtime  iam  valere 
caenobium,  omnibus  suis,  ut  dictum  est,  ibidem  delegatis, 
sanct^  conversationis  habitum  sumpsit.  Et  in  eodem  loco  Dei 
omnipotentis  se  servitio  mancipavit  atque  postmodum  iam  in 
sancta  religione  perfectus  electione  cunctorum  monachorum 
sive  nobilium  ipsius  c^nobii  regimen  suscipere  non  recusavit, 
bonam  hanc  sui  laboris  consummationem  existimans,  si  in 
utroque  eiusdem  loci,  id  est  in  materiali  vel  in  spirituali 
fabrica^,  dignus  auctor  vel  Operator  existeret.  Quod  offitium 
tam  prudenter  tamque  decenter  exercuit,  ut  non  solum  iam 
dictum  locum  in  omni  sancta  religione  redderet  perfectum, 
verum  etiam  illud  monasterium  de  Balma^  antiquissimum  a 
beato  Columbano,  ut  ferunt,  norm^  monachorum  sacratum  et 
tunc  religione  et  temporali  facultate  iam  pene  desolatum  in 
pristinum  statum  revocaret  et  regulari  ordine  decenter  ordi- 
naret.  Studebant  vero  viri  religiosi  tunc  temporis  et  potentes 
non  vicini,  verum  etiam  de  remotissimis  partibus  eius  fama 
permoti  undecumque  sibi  monasteria  committere,  quia  regularis 
ille  ordo  deterescens  ncc  vestigium  quidem  reliquerat  pene  in 
tota  Galliarum  regione.  Unde  accidit,  ut  illa  quoque  duo  pre- 
cipua  Aquitanic9  regionis  caenobia,  Dolense  ^  videlicet  et  Mas- 
ciacum',  petitione  Wuilelmi  incliti  ducis  accipiens  in  omni 
sancta  instrueret  disciplina  et  ut  idoneus  pastor  prudenti  con- 
poneret  vigilantia. 

His  et  talibus  vir  devotus  insistens  studiis  tamquam  lucerna 
super  candelabrum  posita  per  universas  regiones  iam  celebris 
habebatur  et  ab  omnibus  in  summa  veneratione  merito  cole- 
batur,  ita  ut  eius  sanctitati  inclitus  ille  dux,  de  quo  supra 
diximus,  se  commendaret  et  admodum  sibi  non  sine  Dei  omni- 
potentis instinctu,  ut  postmodum  in  sequentibus  pandetur, 
familiaris  existeret. 

Cum  enim  pater  Berno,  ut  diximus,  tam  piis  operibus 
Studium  daret,  ut  secundum  suum  velle  normam  sanctae  reli- 
gionis  ubiubi  dilataret,  contigit,  ut  idem  dux  divino,  quod  pie 
credimus,  spiritu  animatus  quoddam  non  exigui  momenti  prae- 
dium  sui  iuris  in  Burgundia  positum  et  in  pago  Maticensi  * 
situm,  nomine  Cluniacum,  eidem  viro  venerabili  committeret, 
quatinus  ibidem  Deo   et   sanctis   apostolis  Petro  et  Paulo  do- 


1)   Cf.  Matth.  6,  19.        2)   Gigny.        3)  'tan'  ausradiert,  das  urspr.  da- 
stand,     4)  'frabrica'  hs.      5)  Beaume.      6)  Deols.      7)  Massay.      8)  Mäcon. 

8* 


116  Ernst  Sackur. 

mum  orationis  construeret  et  non  modo  congregationem  mona- 
chorum,  verum  etiam  tanquam  asilum  pietatis  refugium  ibi 
pauperum  peregrinorum,  eaptivorum  et  omnium  misericordia 
indigentium  undecumque  advenientium  sub  sanct§  Romane 
ecclesiae  titulo  et  viri  apostolici  patrocinio  in  perpetuum  con- 
signaret  et  ordinaret.  Cuius  desiderio  satisfatiens  vir  sanete 
religionis  exseeutor  opus  illud  tanto  studiosius  quanto  et  liben- 
tius  aggreditur.  Parietes  enim  ecclesiae  extimplo  eriguntur, 
regularis  habitatio  disponitur  et  totius  operis  non  parva  solli- 
citudo  adhibetur.  Sed  heu,  pro  dolor!  necdum  eius  super- 
ficies, ut  ita  loquamur,  cernitur,  et  iam  sui  auctoris,  immo 
potius  parentis  gloriosissimi  videlicet  ducis  morte  viduatur  et, 
quod  non  sine  dolore  dicimus,  tamquam  posthumus  relinquitur. 

His  Interim  omissis  ad  nostrae  narrationis  ordinem  redeamus. 

Fol.  37'.  Deinde  divina,  ut  credimus,  dispositione  fratrum- 
que  sententia  concordante  loca  sibi  subiecta  bifariam  dividit  tali 
ratione.  Decernit  namque  sibi  succedere  quendam  probabilis 
vit§  monachum,  Widonem  scilicet  et  sibi  carne  propinquum, 
et  patrem  Odonem  equae  dilectum,  ita  ut  alter  Wido  scilicet 
caenobio  Gigniensi  et  Aethicensi  cum  cella,  que  dicitur  sancti 
Lauteni,  et  cum  omnibus  rebus  ad  praedicta  monasteria  per- 
tinentibus  praeter  villam  quandam,  que  vulgo  dicitur  Alafracta, 
et  quibusdam  aliis  rebus  sibi  reservatis  regulariter  praeesset, 
alter  vero,  domnus  scilicet  Oddo,  Cluniacum  superius  nomina- 
tum,  Masciacum  atque  Dolense  monasterium  cum  omnibus 
ad  se  pertinentibus  disponeret.  Ea  etiam,  quae  supradiximus, 
sibi  reservata,  villam  videlicet  iam  dictam  et  alias  res,  quas 
commemorare  non  est  necesse,  praedicto  patri  nostro  sub 
testamento  delegavit  et  ad  Cluniacum  monasterium,  utpote  ad- 
huc  spatio  temporis  tenerrimum  et  possessione  pauperrimum, 
sub  redditione  census  XII  denariorum  Gigniensi  caenobio  in- 
vestitura  quotannis  tradidit,  proferens  sententiam,  ut  in  illo 
testamento  invenitur,  paterno  afFectu  plenam  et  memoria  dignam: 
'Non,  inquid,  iniustum  videatur  —  —  servituri  sunt'^.  Haec  ideo 
retulimus,  ut  huius  viri  paternum  affectum  et  pium  animi  Vo- 
tum erga  locum  sepius  dictum  demonstraremus.  Igitur  his  ita 
ordinatis  domnus  Berno  ultimum  vit§  diem  clausit  et,  ut  pie 
credimus,  beate  immortalitatis  gloriam  a  Domino  percepit. 
Iam  dictus  pater  Oddo  in  offitio  sibi  commisso  prudenter  in- 
vigilans  opus  iam  coeptum  Cluniensis  cenobii  aggreditur.  In 
construenda  regulari  habitatione  non  parva  sollicitudo  exhibetur 
et  in  dilatandis  rebus  monasterii  non  mediocris  labor  impenditur. 
Sed  quia,  ut  diximus,  adhuc  locus  erat  pauperrimus  in  pro- 
ximo,  dum  deficit  census,  intermittitur  opus.  Instabat  vero 
tunc  annua  beati  Martini  celebritas;  et  ut  est  nostrae  consuetu- 
dinis,  per  octo  dierum  circulum  sollempniter  a  fratribus  agitur. 

1)  Wörtlich  aus  der  Urk.  Bernos  a.  o.  a.  O. 


Handschriftliches  aus  Frankreich.  117 

IL 

Zu  lotsaldi  Vita  Odilonis   und  Verse   auf  Odilo. 

Die  folgenden  Stücke,  zwei  Capitel  aus  lotsaldi  Vita  Odi- 
lonis und  die  Gedichte  auf  Odilo,  sind  noch  ungedruckt.  Als 
Mabillon  seine  Vita  Odilonis  in  den  Acta  SS.  ord.  S.  Bene- 
dicti  saec.  VI,  1,  p.  632  ff.  veröffentlichte,  glaubte  er  den  voll- 
ständigen Text  zu  bieten,  und  in  der  That  enthält  seine  Aus- 
gabe weit  mehr,  als  die  bis  dahin  bekannten  Drucke  der  Bibl. 
Cluniacensis  col.  1813  ff.  und  der  A.  SS.  Boll.  lan.  I,  p.  65  ff.  Er 
hatte  neben  einem  Codex  des  Thuan  (Bibl.  nat.  fds.  1.  5296*=) 
und  einer  Handschrift  von  Crepy,  eine  solche  von  St.  Germain- 
des-Presi  (Bibl.  nat.  fds.  1.  13769),  die  jedoch  auf  fol.  49' 
mit  den  Worten  'collisione  membrorum'  im  II.  Buch  des 
Werkes  abbricht.  Nun  liegt  das  handschriftliche  Verhältnis 
folgendermassen  ^ :  Während  der  Codex  des  Thuan  mit  einer 
anderen  Pariser  Handschrift  2627  eine  Recension  bildet,  ent- 
halten die  Codd.  13769  und  18304  eine  zweite.  Gerade  an 
der  Stelle  aber,  an  der  13769  abbricht,  bietet  diese  Fassung 
in  Cod.  18304  zwei  Capitel  mehr,  von  deren  erstem  Mabillon 
nur  noch  den  Anfang  geben  konnte.  In  den  Auszügen  aus 
der  Vita  in  SS.  XV,  p.  812  ff.  fehlt  wiederum  das  unbedingt 
dahingehörige  zweite  der  ungedruckten  Capitel,  und  ZAvar 
darum,  weil  A.  Molinier,  welcher  den  Cod.  18304  collatio- 
nierte,  nur  die  nach  Mabillon  gemachten  Auszüge  verglich. 
Der  Cod.  18304  8«  (löVa  X  25  cm)  saec.  XI  von  140  Blät- 
tern, stammt  aus  dem  Cluniacenserpriorat  St.  Martin -des- 
Champs,  dessen  bekannten  Einband  er  aufweist.  Er  beginnt 
mit  des  Syrus  Vita  S.  Maioli,  die  jedoch  mit  Aldebald  anfängt 
(A.  SS.  Boll.  Mai  II,  669  I,  c.  1—6)  und  von  Waitz  bei  der 
Herstellung  des  Textes  im  IV.  Bande  der  Scriptores  benützt 
wurde.  Dann  folgt  die  Vita  Maioli  a.  Odilone  (f.  45),  die 
Miracula  S.  Maioli  (f.  57),  endlich  die  Vita  des  Jotsald  (f.  73), 
der  Planctus  desselben  und  andere  Verse  auf  den  Heiligen. 
Den  Schluss  des  in  Langzeilen  geschriebenen  Codex  bilden 
f.  129'  Sermo  domini  Fulberti  Carnotensis  episcopi  de  ortu 
virginis  almae  dei  matris  Marie;  fol.  137'  Sermo  Clementis 
pape  in  Petri  apostolorum  principis  sessione  qua  cathedre 
sublimatur  anthiocena ;  fol.  140  Litanei  mit  Neumen  auf  die 
hl.  Jungfrau.  Auf  fol.  140'  bemerkt  ein  Schreiber  des  XV.  Jahr- 
hunderts: 'In  praesenti  volumine  continentur  vite  sanctorum 
patrum  nostrorum  Mayoli  atque  Odilonis  abbatum  Clunia- 
censium'. 


1)  Vgl.  A.  SS.  ord.  S.  Ben.  VI,  1,  p.  632.         2)  Vgl.  M.  G.  SS.  XV, 
p.  812  ff. 


118  Ernst  Sackur, 

1. 

Das  zweite  der  folgenden  Capitel  ist  nicht  ohne  Wichtig- 
keit. Von  den  Beziehungen  Odiles  zu  den  römischen  Vor- 
gängen zu  Weihnachten  1046  wusste  man  bisher  nichts. 
Odiles  letzte  römische  Reise  wurde  in  das  Frühjahr  1047  ge- 
setzt i  und  wie  falsch  man  geneigt  war,  darüber  zu  urtheilen, 
beweist  am  besten  die  Thatsache,  dass  Gfrörer^  den  greisen 
Abt  nach  Rom  ziehen  lässt,  um  Clemens  II.  zur  Abdankung 
zu  bewegen,  während  er,  wie  sich  jetzt  herausstellt,  in  Wahr- 
heit eben  damals  Clemens  II.  Wahl  unterstützte,  ein  Umstand, 
der  geeignet  ist,  die  Stellung  der  Cluniacenser  zur  Kirchen- 
reform Heinrichs  III.  ins  rechte  Licht  zu  stellen.  Bei  seinem 
letzten  Aufenthalt  in  Rom,  über  den  wir  nur  den  wenig  klaren 
Bericht  Jotsalds  selbst  gegen  Ende  des  1.  Buches  hatten,  nahm 
Odilo,  wie  wir  nunmehr  wissen,  diesen  selbst  zum  Begleiter: 
seine  genaue  Schilderung,  die  sich  fast  von  Woche  zu  Woche 
fortbewegt,  erhält  dadurch  den  Anspruch  auf  volle  Glaub- 
würdigkeit. 

De  cementariis  sanatis'. 

Cum  quodara  tempore  apud  monasterium  suura,  quod 
Volta*  nominatur,  moraretur  et  murus  aecclesi^  adhuc  inper- 
fectus  consummaretur,  contigit,  ut  quadam  die,  dum  ministri 
operis  operi  complendo  insisterent,  deambulatoria,  ubi  stabant, 
retortis,  cum  quibus  ligata  erant,  ex  nimia  vetustate  ruptis 
deorsum  ruerent.  Cum  quibus  etiam  cementarii  ex  altitudine 
muri  ad  terram  ceciderunt  et  collisione  membrorum  ^  poene 
exanimes  sub  oculis  omnium  effecti  sunt.  Interea  tumultus 
multus  fit  hominum,  ingens  clamor  ad  ipsum  fit  caelum  et  de 
periculo  virorum  non  rainimum  videres  planctum.  Erat  autem 
vigilia  natalis  precursoris  Domini«  et  vir  venerabilis  Odilo  in 
quodam  se  radens  sedebat  secretario,  cum  ecce  rumor  dampna- 
torum  operariorum  ante  cum  venit  et  ipse  sine  aliquo  strepitu, 
donec  exoccuparetur,  silentium  super  hoc  facere  coegit.  At 
ubi  illud  perfectum  est,  citius  surgens  ad  aecclesiam  cucurrit, 
proprium  altare  cum  reliquiis  tulit,  ad  homines  in  terra  iacen- 
tes  accessit,  signum  sanctae  crucis  cum  reliquiis  desuper  fecit, 
orationem  complevit  et  sie  recessit.  Mira  dicturus  sum,  sicut 
in  veritate  testantur  qui  praesentes  fuerunt,  monachi  scilicet 
et  alii  viri  religiosi :  illo  recedente,  qui  videbantur  de  vita  et 
sanitate  desperati,  subito  surgunt,  deambulatoria  erigunt,  opus 
verum  arripiunt  et  tamquam  nichil  mali  passi  essent,  usque 
ad  finem  diei  opus  debitum  concludunt. 


1)  Vgl.  Ringholz,  Der  lil.  Abt  Odilo  S.  111.  2)  Gregor  VII,  Bd.  VI, 
S.  568  ff.  3)  Mit  rother  Farbe.  4)  La  Vuote  (Äuvergne).  5)  Hier 
bricht  der  Druck  Mabillons  ab.         6)  23.  Juni. 


Handschriftliches  aus  Frankreich.  119 

Quid   beato   viro   Roma   redeunti   accideriti. 

In  prirao  huius  operis  libello^  sub  brevitate  diximus, 
virum  Dei  Odilonem  in  extremis  suis  Romam  adisse,  ea  spe, 
ea  devotione,  ut  ibi  sub  protectione  tantorura  apostolorum 
mereretur  vitam  finire.  Nunc  iterum  manifestius  et  difFusius 
volumus  describere,  quid  ibi  passionis  sustinuerit  vel  quantum 
temporis  ibi  f'ecerit  et  quomodo  contra  spem  omnium  Deo 
miserante  ab  infirmitate  convaluerit.  Hanc  enim  urbem,  ut 
Omnibus  patet,  vir  beatus  avido  gutture  sitiebat,  pio  semper 
corde  ruminans,  quam  illic  in^  christianorum  Deo  carum 
genus  seva  tormenta  exercuerit  praedo  veternus.  Ad  quam 
etiam  sepius  fertur  profectus  esse  ibique  per  ebdomadas  die- 
rum  et  spatia  multorum  mensium  loca  sanctorum  circumeundo 
mansisse  piis  oculis  intendendo,  quibus  suppliciorum  iniuriis 
athlet^  Dei  certando  meruerunt  mori  pro  Christo.  Quorum 
suffragia  exposcens  obtabat,  si  fieri  posset,  telluri  passionibus 
eorum  sacrat§  suum  moriendo  corpus  committere,  quo  et  eius 
anima  ipsis  consociaretur  in  perpetua  requie.  Biennio  itaque 
antequam  ex  hoc  mundo  tolleretur,  eandem  urbem  summo 
cum  desiderio  expetiit  et  in  illa  die  vigiliarum  dominic§  nati- 
vitatis*  intravit.  Peractaque  devota  oratione  interfuit  electioni 
domni  Cleraentis  et  agente  imperatore  cum  aulicis  primatibus 
dignum  iudicavit,  predictum  virum  apostolicum  conscendere 
thronum.  In  crastinum  vero,  quando  Deum  humanatum  ex 
sancta  virgine  natum  omne  genus  celebrat  christianorum,  ad- 
venit,  ut  videret  regem  Heynricum  imperiali  diademate  coro- 
nandum.  In  cuius  sacra  unctione  praesens  adstitit  dans  glo- 
riam  Deo,  qui  Romanum  imperium  electo  iustissimo  praesule 
et  catholico  reipublice  principe  sedatis  malorum  turbinibus 
roborare  voluerit.  Transegit  vero  illas  ternas  ebdomadas  partu 
beate  virginis  dicatas  in  eadem  urbe,  orans  Christum  ad  apo- 
stolica  limina  et  perlustrans  multiplices  sanctorum  ecciesias, 
Vota  multiplicationura  Deo  offerens  et  clericis  ^cclesiarum 
atque  pauperibus  largam  manum  impertiens.  Sicque  peractis 
octavis  sanct^  epyphanie^  invitus,  ut  ipse  fatebatur,  discessit. 
Namque  in  ipsius  diei  crepusculo,  quo  recedendura  erat,  con- 
sistens  in  beati  Petri  ecclesia,  nobis  ex  abdito  prospicientibus, 
inmensos  gemitus  profundebat,  obsecrans,  ut  celitus  secundum 
suum  Votum  exaudiri  mereretur.  Et  postquam  ab  eodem 
venerabili  templo  exiit,  iterum  intus  rediit,  contra  sanctum 
altare  moetaneam^  misit  diuque  tacitam  praecem  fudit.  Inde 
erectis  ad  c^lum  luminibus  Deo  et  sancto  apostolo  se  com- 
mendans  gressum  retorsit,  talem  se  agens,  ut  in  pallore  vultus 
eius  dinosceretur,   quia  non  sponte  ab  illo   loco   divelleretur. 

1)    Mit    rother    Farbe.  2)    Lib.    I,   c.    14.  3)    'in'    fehlt    hs. 

4)   1046,  24.  Dec.         5)   1047,  13.  Jan.  6)  i.  e.  metanoeam. 


120  Ernst  Sackur. 

Itaque  profecti  viam  carpebamus,  cum  ecce  impegimus  in 
quandam  viam  luto  et  paludibus  coenosam  et  pr^ruptis  an- 
fractibus  discessam,  quam  quisque  nostrum,  prout  valebat,  citius 
evadere  gestiebat.  At  senior  iam  gravis  §vo  inexpedite  se 
agens  et  carens  viribus,  cum  iam  poene  et  ipse  videretur  eva- 
sisse,  subito  ^quo  labitur  et  ad  terram  corruens,  calce  aequi 
graviter  in  latus  impellitur.  Ex  nobis  alii  iam  praecesserant, 
alii  subsequebantur.  Ad  clamorem  vero  tanti  casus  siraul 
omnes  concurrimus  et  eum  velut  sine  voce  iacentem  repperi- 
mus.  Deus  bone,  qu^  tunc  in  illo  clamoris  angustia  vcl  in 
nobis  angoris  fuit  mestitia!  Quisnam  ctsi  ferreum  possidens 
pectus,  tali  viro  ita  conliso,  se  contineret  a  luctu?  Verum 
accepto  consilio,  praeparata  lectica,  eum  super  imposuimus  et 
retro  repedantes  ad  monasterium  sancti  Panchratii  martyris 
non  longe  ab  urbe  ^  reportavimus.  Subsequenti  autem  die 
Romam  intrantes  ad  notum  hospitium  Aventini  montis  dever- 
timus,  cum  iam  rumor  praecurrens  maximam  urbem  orbis  ^ 
turbine  huius  meroris  commovisset.  Tunc  patuit  mira  be- 
nignitas  pap?  Cleraentis,  qui  eundem  patrem  sepe  cum  prin- 
cipalibus  viris  invisere  studuit  et  dulcibus  verbis  relevare  non 
destitit.  Presul  quoque  Malfitanus  ^  nomine  Laurentius*  greco 
latinoque  famine  peritus,  cuius  dulcedo  eloquii  et  affabilitas 
profundi  ingenii  magnum  praestabat  temperamentum  remedii. 
Afflictus  itaque  collisione  totius  corporis  vir  beatus  direxit 
epistolam  Cluniaco,  fratrum  implorans  oratum,  clamitans  se, 
ut  ipsius  verbis  loquar,  reum  et  in  eorum  Providentia  minus 
fuisse  sollicitum,  flagitans  quoque,  ut  sacrificium  sacr^  obla- 
tionis  pro  eo  studerent  offerre,  'quia  confisus',  inquit,  'de  suf- 
fragiis  dominorum  meorum  apostolorum  spero  me  iam  de  hac 
corruptibili  carne  exiturum'.  Quid  tunc  in  illo  sacro  conventu 
dictum  factumve  fuerit,  qui  adfuerunt,  rememorari  possunt. 
Perstitit  ergo  vir  Dei  pertesus  iam  dicto  languore  poene  usque 
ad  initium  XL™^  ^,  indeque  Deo  raiserante  paulatim  coepit 
convalescere.  Voluerat  statim  exire  ab  urbe,  nisi  prece  domni 
Clementis  papae  retentus  fuisset  usque  ad  diem  pasch^.  Per 
totam  igitur  quadragesimam  infatigabilis  in  Dei  opere  mansit, 
lustrans  universa  per  circuitum  loca  sanctorum  martyrum.  Et 
ecce  iterum  permissu  superni  iudicis  flagellum  inundans  tran- 
siit  super  eum  ipsa,  qua  populus  christianorum  die «  obvia  fert 
Domino  ramos  palme  et  olivarum. 

Et  per  totam  illam  ebdomadam,  qua  Domini  passio  recoli- 
tur  vel  celebratur,  omnium  artuum  dissolutione  acriter  fatigatur 
a  Deo,  ut  de  eius  recuperatione  desperare  cogeremur.  Cerneres 

1)  Im  Westen  der  Stadt,  südlich  der  alten  Via  Aureliana,  die  nach 
dem  Meere  führte.  2)    'urbis'   hs.         3)  Ursprünglich   'malfiticus',    'ic' 

durch  Punkte  getilgt  und  in  'an'  corrigiert.  4)  Vgl.  über  ihn  Giese- 
brecht,  D.  Kaiserzeit  115,  411.         5)  4^  März.         6)  12.  April. 


Handschriftliches   aus  Frankreich.  121 

tunc  lugubrem  domum  et  madentes  parietes  flumine  lacrima- 
rum.  Unusquisque  nostrum,  in  quo  loco  consedisset,  inditia 
mesti  pectoris  relinquebat,  cum  ille  vir  piissimus  nos  merentes 
consolari  studeret,  verba  beati  Ambrosii  recolens  ita  dicentis  * : 
'Non  ita  actenus  inter  vos  vixi,  ut  me  pudeat  vivere,  nee  mori 
timeo,  quia  bonum  dominum  habemus'.  Et  ad  semet  ipsum 
rediens  gaudebat  de  securitate  su§  conscienti^,  illud  memo- 
rans  divin?  scriptur^  2  •  «Licet  non  omnes  sint  filii,  qui  flagel- 
lantur,  nullus  tarnen,  qui  non  flagelletur'.  Adfuit  et  tunc  reli- 
giosi  pap^  Clementis  pia  visitatio  et  domni  Laurentii  archi- 
praesulis  conlocutionis  non  dissimilis  relevatio,  quid!  infinita. 
Transierunt  illi  dies  absque  ullius  letitie  amminiculo.  Paschali 
vero  sabbato  mundo  apparente  Odilo  beatus  sustinens  et  non 
lasescens  de  suo  stratu  surrexit  nobisque  mirantibus  ad  Ora- 
torium sancti  Pauli  se  ferro  praecepit.  Qu?  ibi  vota  praecum 
vel  quas  ^  persolverit  actiones  hymnorum,  testis  est  dominus 
lesus,  cui  supplicavit.  Inde  domum  repetens  die  ipso  gau- 
dentibus  cunctis  ad  officium  misse  processit  et  cum  fratribus 
ad  prandendum  laetus  discubuit.  Diem  magni  triumphi  Dei 
et  hominis  lesu  Christi  festivo  tripudio  sollerapnizavit  ac  de- 
mum  quinto  eiusdem  festivitatis  *  die  roboratus  apostolicis  bene- 
dictionibus  Romuleam  urbem  reliquid  et  per  Italiam  vadens, 
peragratis  quoque  Ligurie  seu  Emilie  partibus,  Gallorumque 
fines  revisit  et  Cluniaco  rediit^.  Quia  vero  non  ignarus  erat 
tempus  SU?  resolutionis  iam  instare,  per  novenos  atque  denos 
menses,  quos  istic  superegit,  ferventes  in  spiritali  exercitio  ultra 
vires  duravit,  quousque  temporis  a  Domino  prefixi  die«  ex- 
emptus  a  vita  pro  dignis  laboribus  aeterna  recipere  meruit 
proemia. 

2. 

Auf  fol.  124'  beginnt  der  Planctus  des  Jotsald,  auf  den 
eine  Reihe  anderer  Gedichte  mit  Miniumüberschriften  auf 
Odilo  folgen.  Hier  hat  die  Totenklage  am  Ende  noch  vier 
Hexameter  mehr,  als  in  den  Drucken  der  Bibl.  Cluniac. 
col.  329  und  von  Migne  142,  col.  1043  ff.  Es  folgt  ein  Ge- 
dicht in  elf  Distichen  an  Souvigny,  die  Grabstätte  des  Majolus 
und  Odilo,  in  gereimten  Versen,  von  denen  der  Pentameter 
am  Schluss  die  Anfangsworte  des  Hexameters  aufnimmt.  Das 
sich  daran  schliessende  Epitaph  Odiles  enthält  sechs  Distichen. 
Den  Schluss  bildet  wieder  ein  langes  Klagegedicht  von 
achtundzwanzig  Tetrastichen ;  jede  Zeile  zählt  acht  Silben ; 
von  den  Versen  reimen  sich  je  zwei  oder  auch  alle  vier. 
Nur  in  den  Strophen  9  und  20  sind  die  drei  letzten  Verse 
durch  reine  Reime,  der  erste  mit  ihnen  durch  Assonanz  ver- 

1)  Vit.  Ambrosii  auct.  Paulino  c.  45.  2)  Cf.  Hebr.  12,  7.  3)  'que'  ha. 
4)  23.  April,         5)  1047,  Ende  Mai  —  Auf.  Juni.         6)  1049,  1.  Jan. 


122  Ernst  Sackur. 

bunden.  In  der  Handschrift  ist  das  Gedicht  mit  Noten  ver- 
sehen; mit  jeder  Strophe  beginnt  eine  neue  Zeile.  Die  An- 
fangsbuchstaben jeder  derselben  sind  abwechselnd  roth  und 
grün  bemalt.  Wie  au?  den  ersten  Versen  zu  schliessen,  rührt 
das  Poem  ebenfalls  von  Jotsald  her,  der  an  den  von  ihm 
verfassten  Planctus  anspielt.  Die  hier  angeredeten  Almannus 
und  Andreas  sind  natürlich  dieselben,  die  er  am  Schluss  der 
grösseren  Dichtung  Odilos  Fürsorge  im  Himmel  empfiehlt. 
Der  überaus  warme  und  herzliche  Ton  lassen  keinen  Zweifel 
darüber,  dass  der  Dichter  unmittelbar  nach  dem  Tode  des 
Abtes  die  Leier  ergriffen  hatte,  was  namentlich  auch  aus 
Strophe  24  erhellt,  aus  der  hervorzugehen  scheint,  dass  der- 
selbe noch  nicht  einmal  bestattet  war. 

Ich  lasse   das  bisher  Unbekannte  in  der  Reihenfolge  der 
Handschrift  folgen. 

Planctus  eiusdem  monachi  de  transitu  domni 
Odilonis  abbatis. 

[Almannique '  tui  in  votis  ^  semper  adesto] 
Andream^  socium  vit§  mortisque  fidelem 
Commenda  domino,  Bernardi*  necne  memento, 
Nutritosque  simul  cunctos  solita  pietate 
Consocia  celo,  refovebas  quos  miserando. 

Ad5  villam  Silviniacam«. 
Silviniaca  tuas  cogor  nunc  reddere  causas, 
Incipiam  laudes  Silviniaca  tuas. 
Gaudia  magna  capis  geminis  suflfulta  columpnis, 
Inclita  christicolis  gaudia  magna  capis. 


1)  Der  Klosterprior  von  Cluny.  Vgl.  Gil.  Vita  Hugonis  bei  L'Huillier, 
'Vie  de  Saint -ITugues',  Paris.  1888,  p.  579.  Ihm  widmete  neben  Hugo 
Odilo  seine  Vita  Maioli.  —  'Almanni'  auf  Rasur.  2)  Zuerst  'votis  pie'; 
von  ders.  Hd.  'pie'  gestrichen  und  wie  oben  verbessert.  3)  Einen  Mönch 
Andreas  von  Cluny  finde  ich  in  einem  Briefe  des  Petrus  Damiani  (lib.  VI, 
ep.  7)  an  die  Mönche  v.  Cl.  erwähnt,  in  wenig  ehrenvoller  Weise:  'Audiat 
hoc  Andreas,  qui  nuper  de  contubernio  vestrae  sanetitatis  egrediens,  cum 
Ammonitarum  rege  foedus  amicitiae  contulit;  et  nunc  per  Romana  moenia, 
tanquam  rasus  barba  et  detruncatus  habitu,  non  sine  David  pudore  discurrit'. 
—  'Andream  socium'  auf  Rasur  hs.  4)  Wohl  der  Eleemosynarius,  spätere 
Prior  Bernard  von  Cluny.  Vgl.  Mab.  Ann.  Ben.  V,  p.  596.  Jotsald  nennt 
ihn  lib.  I,  c.  14:  'quemdam  fratrum  suae  (sc.  Odilonis)  senectutis  baiulum, 
nomine  Bernardum'.  In  hohem  Alter  als  Prior  wird  er  erwähnt  Anfang 
d.  XII.  Jahrhunderts  in  den  Mir.  Petri  Vener.  (Bibl.  Clun.  col.  552)  und  in 
seinem  Epitaph  ebenda  col.  1352.  Ein  Mönch  Bernard  wird  dann  Mir. 
S.  Hugonis  (Bibl.  Clun.  col.  447)  erwähnt,  hier  mit  den  rühmenden  Worten: 
'Erat  Cluniaci  Bernardus  quidam  iustus,  sanctus  vir  et  timoratus,  cui 
religio  reverentiam  comparaverat  et  nomen'.  Ob  beide  identisch  resp. 
welcher  von  beiden  mit  dem  im  Planctus  genannten  identisch  ist,  vermag 
ich  nicht  zu  sagen.  —  'Bernardi'  auf  Rasur.       5)  'A'  hs,       6)  Souvigny. 


Handschriftliclies  aus  Frankreich.  123 

Moenia  namque  tua  Maiolus  condidit  ampla 
Multiplicans  opibus  m^nia  namque  tua. 
Odilo  post  veniens  eadem  studiosus  adornat, 
Ampliat  et  renovat  Odilo  post  veniens  i. 
Se  tibi  consociat,  cum  sors  extrema  propinquet, 
Mors  ubi  dissotiat,  se  tibi  consotiat. 
Odilo,  dum  moritur,  non  parva  tropliea  resumis*, 
Aceumulatur  bonos,  Odilo  dum  moritur. 
Perstrepe,  plaude  satis,  tantis  decorata  triumphis, 
His  ornata  viris,  perstrepe,  plaude  satis! 
Psallite  vos,  monacbi,  sanctorum  funere  clari, 
Aurea  vasa  Dei,  psallite  vos  monacbi! 
Plaudite  vos,  populi,  tantos  meruisse  patronos, 
Vocibus  omnigenis,  plaudite  vos,  populi! 
Caelitus  huc  veniat  Domini  benedicta  potestas, 
Sanctificansque  manus  c^Htus  huc  veniat. 
Gloria  magna  patri  maneat  genitoque  tonanti 
Sit  laus  spiritui,  gloria  magna  patri! 

Epitaphium  ad  sepulcrum  domni  Odilonis. 

Heu!  quam  confusum  reddit  sors  ultima  planctum! 

Maxima  lux  orbis  hie  iacet  exanimis, 

Odilo  vir  sanctus,  monachorum  signifer  almus, 

Nobilior  celo  clauditur  hoc  tumulo. 

Nascitur  in  mundo  processu  sanguinis  alto 

Arvernisque  rosam  mittit  odoriferam. 

Celitus  attactum  Maiolus  hinc  rapit  illum 

Decedensque  suis  impHcat  officiis  ^, 

Quo  sibi  quam  plures  collegit  commilitones 

Sub  signis  fidei,  plenus  amore  Dei 

Occubuit,  verus  cum  circumciditur  agnus*. 

Et  Domino  niveam  reddidit  hinc  animam. 

1.  Ad  te  namque,  mi  dilecte, 
Nunc,  Almanne  clarissime, 
Cogor  planctum  describere, 
Qui  te  pungat  assidue. 

2.  Te  Andream  consaluto 
Et  hoc  Carmen  vobis  mitto, 
Quos  agnovi  pr§  omnibus 
His  mulceri  doloribus. 

3.  Eia,  fratres  convenite, 
Alternatim  et  lugete, 


1)  Ueber  die  Bauten  in  Souvigny  vgl.  Ach.  Allier:  'L'ancien  Bour- 
bonnais'  II,  p.  148.  2)  Hs.  'resummis'.  3)  Vgl.  Ringholz,  Odilo  p.  6. 
4)   1049,  1.  Jan. 


124  Ernst  Sackur. 

Odilonem  mundo  raptum, 
"  Magnum  pignus  et  proprium. 

4.  Verba  sonent  lacrimosa, 
Alta  plangant  suspiria, 
Lugubres  sint  anhelitus 
Atque  profundi  gemitus. 

5.  Solis  splendor  obscuratur, 
Lune  pallor  variatur, 
Astrorum  fragor  murmurat 
Et  c§li  cardo  titubat. 

6.  Terra,  mare  comraoventur, 
Dum  a  carne  separatur 
Odilo  spes  l^titi^, 
Magnum  decus  et  glori§. 

7.  Cuius  certa  pulcritudo, 
Cuius  ampla  magnitudo 
Intellectum  exuperat 

Et  sermonem  debilitat. 

8.  Heu,  quam  gravis  conditio, 
Heu,  quam  m9sta  corruptio, 
Brevis  vit§  ioeunditas 
Quid,  nisi  fallax  vanitas ! 

9.  Dum  speratur  pleno  cornu 
Possideri  diutius, 

Eva  nescit,  celerius 
Et  decipit  crudelius. 

10.  O  virorum  duleissime, 
Pater  patrum  sanctissime, 
lam  in  magna  tu  requie 
Vivas  suppremo  lumine! 

11.  Bonis  eras  tu  iocundus, 
Malis  semper  et  timendus, 
In  te  fervens  iustitia 

Et  discreta  dementia. 

12.  Vultus  ipse  mansuetus 
Corporisque  Status  gratus, 
Tuis  omnis  suavibus 
Rapiebas  affectibus. 

13.  Huius  mundi  te  potentes, 
Reges  simul  et  praesules, 
Te  divites  et  nobiles 
Coluerunt  et  pauperes. 

14.  Quis  non  vellet  Odilonis 
Perfrui  beneficiis, 

Cuius  vultum  expeciit, 
Quisquis  adire  potuit. 


Handschriftliches   aus  Frankreich.  125 

15.  O  quam  sermo  tuus  dulcis, 
O  quam  rectus,  blandus,  lenis! 
Hinc  terrebas  malivolos, 
Hinc  mulcebas  benivolos. 

16.  Pirmo  corde  retinebas 
Hos  subiectos,  quos  habebas, 
Nullum  tibi  ab  animo 
Rapuerat  oblivio. 

17.  Te  denique  meliores 
Cunctos  esse  referebas. 
Maior  eras  imperio, 
Inferior  obsequio. 

18.  Hunc  tu  fratrem  nominabas, 
lUum  patrem  praedicabas, 
Universis  adgaudebas, 
Agnus  interprocedebas. 

19.  Tamquam  mater  refovebas, 
Tamquam  pater  diligebas, 
Cum  tristibus  tristabaris 

Et  cum  l^tis  letabaris. 

20.  Et  quid  dignum  de  te  loquar, 
Cui  Christus  vita  erat, 

Cui  mundus  sorduerat, 
Et  spes  fixa  c§lo  stabat. 

21.  Vita  tibi  fastidium, 
Mors  erat  desiderium. 
Numquara  tuus  hie  animus 
Requiescebat  penitus. 

22.  Ave,  pater  egregie, 
Me§  qu^dam  pars  amm§, 
Nunc  tecum  occumbere 
Satius  est,  quam  et  vivere. 

23.  Quis  tam,  ut  tu  me  diliget, 
Quis  me  dignum  efficiet, 
Tuis  sterni  cineribus 

Et  relevari  pr^cibus? 

24.  lam  animam  salutamus, 
Corpus  terre  commendamus, 
Resumpturam  mox  spiritum, 
Cum  venit  iudicium. 

25.  Tunc  tu  iustis  relucebis 
Et  festivis  apparebis, 

Ut  sol  fulgens  persplendidus 
Tenebris  spretis  omnibus. 

26.  Pio  vultu  contemplare 
Tuum  gregem  et  agnosce, 


126  Ernst  Sackur. 

OfFer  Christo  familias, 
Quas  adquisisti  plurimas. 

27,  Uli  te  previum  ducem 
Sequi  possint  et  reetorem, 
Tu  cum  ipsis  iocumderis 
Sanctorum  contuberniis. 

28.  lam  tu,  rex  potentissime, 
Mortuorum  iudex  pie, 
Nobis  fructum  l^titie, 

Uli  palmam  da  glorie.     Amen. 


IIL 
Aus  Neurologien. 

1.     Necrologium  S.  Vitoni  Vir  dun. 

Das  Necrologium  der  Abtei  St.  Vannes  bei  Verdun  ist 
bereits  von  Mabillon,  und  später  von  Clouet  in  seiner  'Histoire 
de  Verdun'  benutzt  worden.  Eine  Abschrift  desselben  aus  dem 
saec.  XVIII  besitzt  die  Pariser  Nationalbibliothek  in  dem 
ms.  1.  nouv.  acquis.  1417,  das  ich  excerpiert  habe.  Es  ent- 
hält sehr  viele  Namen  aus  dem  Verduner  Grafengeschlecht, 
das  sich  im  11.  Jahrhundert  durch  Schenkungen  um  das 
von  Abt  Richard  zu  hoher  Blüthe  erhobene  Kloster  verdient 
machte,  und  war  eine  der  Hauptquellen  Hugos  von  Flavigny 
für  die  Geschichte  dieser  Personen.  Die  übrigen  Eintragungen 
gehören  ebenfalls  meist  dem  11.  und  12.  Jahrhundert  an,  doch 
reichen  auch  mehrere  ins  9.  und  10.  zurück.  Auf  das  Ne- 
crolog  folgt  die  Aufzeichnung  der  Verbrüderungen,  unter  denen 
die  mit  St.  Benigne  hervorgehoben  zu  werden  verdient,  dessen 
Brüderschaft  wir  auch  im  Todtenbuch  verzeichnet  finden,  so- 
wie die  St.  Vanner  Congregation  ihrerseits  im  Necrolog  von 
St.  Benigne  zu  verfolgen  ist.  Den  Schluss  des  Codex  auf 
fol.  59  bilden  Aufzeichnungen  'De  diversitatibus  anniversario- 
rum'.  Bemerkenswerth  ist  daraus,  dass  die  Bischöfe  Berengar 
und  Richard,  Abt  Richard,  Kaiser  Heinrich  II,  die  Grafen 
Hermann  von  Eenham  und  Friedrich  von  Verdun,  Graf 
Lietard  von  Marcey,  die  Aebte  Cono,  Ludwig,  Wilhelm  und 
Stephan  an  ihren  Gedenktagen  besonders  gefeiert  wurden. 

Kl.  Jan.  Fulcradus  abbas  sancti  Pauli ».  —  Theode- 

ricus  comes,  qui  dedit  nobis  ecclesiam  de 
Ametz  et  alodium  de  Morfontana^. 

1)  Sed.  1123.  1126.  2)  Ist  jedenfalls  der  Graf  Theoderich,  der 
G.  ehr.  XIII,  instr.  561  'ecclesiam  de  Metionis'  schenkt.  Vgl.  Hug.  Flav. 
SS.  VIII,  p.  376. 


Handschriftlielies  aus  Frankreich.  127 

IUI.  Non.  lan.  Leduinus   abbas    sancti   Vedasti*.   —   Ida 

abbatissa  sancti  Mauri. 

VIII.  Id.  lan,  Venerande    memorie    dominus    Fridericus 

monachus  eius  loci,  ex  comite  conversus, 
frater  Godefridi  et  Gozelini  ducum,  qui 
nobis  Borracum  contulit^.  —  Milo  abbas  3. 

V.  Id.  lan.  Walerannus  abbas*. 

Id.  lan.  Anno  DCCCXLVII  obiit  dominus  Hildui- 

nus  Virdunensis  episcopus. 

Anno  MCCXLVII  translatum  est  corpus 
domini  episcopi  Dadonis  a  domino  abbate 
Guillermo  de  ante  altare  sancti  Remigii 
in  presbiterio  sumptuosi  operis. 

XIX.  Kl.  Febr.         Emmehildis  comitissa,  uxor  domini  Lietardi 
comitiss,  qui  Bailodium  nobis  dedit. 

XVI.  Kl.  Febr.         Ludovicus  comes^. 

XV.  Kl.  Febr.  Adelbero  archiepiscopus  Trevirensis '.  Wil- 

lelmus episcopus  Cathalaunensis». 

X.  Kl.  Febr.  Deposicio  Pascalis  pape,    qui    nobis  dedit 

cellam  Alzei  curtis  cum  omnibus  appen- 
diciis  suis  8. 

VIIL  Kl.  Febr.         Poppe  abbas  i". 

VI.  Kl.  Febr.  Rogerus  episcopus  n. 

IUI.  Kl.  Febr.  Deposicio  domini  Gelasii  pape**. 

X.  Kl.  Mart.  Depositio   domini   Honorii   secundi  vene- 

rabilis  pape  >'. 
V.  Kl.  Mart.  Godetridus  iunior,  dux  et  marchio^*. 

Raynaldus  comes  Barensis  >*. 
VIII.  Id.  Mart.  Dominus    RicherusJ^    episcopus    ecclesiae 

Virdunensis,    qui   nobis   tradidit    bannum 

Arnulfi   cortis   et   ea,   que    habenus   apud 

Pauli  crucem. 
II.  Id.  Mart.  Riquinus  comes". 

Id.  Mart.  Teodericus  comes. 

V.  Kl.  April.  Anno  domini  millesimo  nonagesimo  nono 


1)  Gest.  1046.  2)  Gest.  1022.  Hs.  'Boriacura'.  Vgl.  Hugo  Flav.  II, 
c.  8.  SS.  VIII,  p.  375  und  unten  S.  133  n.  1.  3)  von  Moyenmoutier,  gest. 
1047.  4;  von  Homblieres?  5)  von  Marcey.  6)  Nach  einer  Urk.  seiner 
Gemahlin  Adelheid  im  unedierten  Gart.  v.  St.  Vannes  (Cod.  Paris.  5435, 
fol.  25')  starb  er  1025  eines  gewaltsamen  Todes.  S.  Epitaph  Mab.,  Vetera 
anal.  p.  380.  7)  Gest.  1152.  8)1113—1122.  9)1118!  10)  A.  v.  Stablo, 
gest.   1048.  11)   R.  IL   v.    Chälons    s.  M.    1043—1065,  12)    1119. 

13)    1130,  14)    Gotfried  III.,   der  Höckrige,    gest.   1076,     Vgl.  Giese- 

brecbt  III,  S.   1135.  15)  Wohl  R.  II,  dessen  Gemahlin  weiter  unten 

aufgeführt  wird  (1150— 1170).  16)  1089—1107.  Im  Cod.  1.  Par.  5435, 
fol.  37  wird  seine  Schenkung  'Marculfi  cortis'  genannt.  17)  von  Nieder- 
lothringen, Vater  des  Bisch.  Udo  von  Toul? 


128 


Ernst  Sackur. 


IUI.  Non.  Apr. 
III.  Non.  Apr. 
II.  Non.  Apr. 
Non.  Apr. 
VII.  Id.  Apr. 
II.  Id.  Apr. 


XVIII.  Kl.  Mai. 

XIIII.  Kl.  Mai. 
VIII.  Kl.  Mai. 
IUI.  Kl.  Mai. 


III.  Kl.  Mai. 
II.  Kl.  Mai. 

im.  Non.  Mai. 

Non.  Mai. 

XVII.  Kl.  lun. 
XV.  Kl.  lun. 


obiit  Rodulfus    abbas    huius    loci.      Heri- 
mannus   comes  ',   qui  nobis  dedit  ea,  que 
haberaus  apud  domnum  Basolum. 
Balduinus  Iherosolimitanus  rex*. 
Albertus  comes  3. 
Philippus  episcopus-*, 
Lietardus  conversus. 
Ida  abbatissa  S.  Mauri. 
Anno  dominice  incarn.  MCXXVIII  trans- 
latum    est    corpus    domni    et    venerabilis 
patris  nostri  abbatis  Ricardi  a  criptis  beate 
Marie  virginis  in  capellam  ^  sancti  Nicolai 
confessoris,  quam  edificare  fecit.     Et  tunc 
inventa  fuit  eins  casula  non  corrupta. 
Albertus  episcopus  Virdunensis   et  mona- 
chus  huius  loci^. 
Adelbero  episcopus  Virdunensis'. 
Rohardus  abbas  huius  loci. 
Radulfus    abbas,    raonach.    sancti    Vitoni*. 
Teodericus   Virdunensis    urbis    episcopus, 
qui  dedit  nobis  altaria  nostrarum  ecclesia- 
rura,  que  sunt  in  hoc  episcopio,  et  bannura 
in  monte  sancti  Vitoni». 
Raymbertus  episcopus  Virdunensis  >*>.    An- 
selmusi',  Cantuariae  archiepiscopus.    Teo- 
gerus  Mettensis  episcopus '2. 
Heymo    episcopus  Virdunensis,   qui   nobis 
dedit,    quod  habemus  apud  Masmelli  pon- 
tem,    et  raercatum  in  monte  sancti  Vitoni 
habendura  constituif . 
lohannes  de  S.  Desiderio,   episcopus  Vir- 
dunensis »^       Herimannus    Metensis    epi- 
scopus '5. 

Translatio   Hildini   et   Hattonis  Virdunen- 
sium  pontificum. 
Hadvidis '«  abbatissa. 
Dominus  Gelduinus,  pater  domini  abbatis 


1)  Sohn  Hermanns  v.  Enham?  2)  Balduin  I.  gest.  1118.  3)  Albert  I. 
V.  Daclisburg.  4)  B.  v.  Chälons  s.  M.  1095—1100.  5)  Hs.  'capella'. 
6)  1156-1163.  7)  II,  985-988.  8)  Gest.  1099.  9)  1046  —  1089. 
10)  1024  —  1038.  11)  Abs.  'Amelinus'  verlesen.  12)    1118  —  1120. 

13)  978-1024.  Abschr.  'Masnielli'.  Vgl.  Hugo  Flav.  II,  c.  16.  SS.  VIII, 
p.  392 :  'Masmelli  pontem  eidem  contulit  mercaturaque  in  suburbio,  qui 
eidem    coenobio    adiacet,    habendum     constituit'.  14)    1371  —  1375. 

15)  1073—1090.  16)  V.  St.  Peter  (c.  960)  oder  St,  Glodesindis  v.  Metz 
(c.   1180,  1186)? 


Handschriftliches  aus  Frankreich. 


129 


XIIII.  Kl.  lun. 


VIII.  Kl.  lun. 


VI.  Kl.  lun. 
V.  Kl.  lun. 


II.  Kl.  lun. 

VIII.  Id.  lun. 

Id.  lun. 
XVIII.  Kl.  lul. 


XVI.  Kl.  lul. 
XL  Kl.  lul. 
VIII.  Kl.  lul. 


Waleranni,    conversus    et    monachus,    qui 
plurima  nobis  contulit  K 
Fredericus  dux  2. 

Lietardus  ex  comite  *  conversus,  qui  nobis, 
quod  habemus  apud  Baylodium,  contulit 
et  dona  auri  et  argenti  preciosa,  monach. 
sancti  Vitoni. 

Domina  Matildis  comitissa*  digne  memo- 
rabilis,  que  locellum  nostrum  honestavit 
auri  et  argenti  donariis  et  prediis. 
Fridericus,  Leodiensium  episcopus^. 
Anno  ine.  dorn.  MXXIX  obiit  pie  memo- 
rie  dominus  Herimannus  ex  comite  con- 
versus, qui  pre  cunctis  raortalibus  locum 
hunc  ditavit  suis  donis  et  possessionibus^. 
Adalbertus,  frater  domini  abbatis  Richardi. 
Henricus  Leodiensium  episcopus '. 
Anno  domini  M«  septuagesimo  octavo  obiit 
Grimoldus  abbas  huius  loci. 
Harduinus  frater  domini  abbatis  Waleranni. 
Anno  ine.  dom.  M»  quadragesimo  sexto 
obiit  pie  recordationis  dominus  et  vene- 
rabilis  abbas  Richardus,  qui  locum  nostrum 
monastica  religione  insignivit,  fundis  et 
reditibus,  ecclesiasticis  quoque  utensiliis 
ditavit,  donis  fidelium  sublimavit,  multorum- 
que  cenobiorum  institutor  et  rector.  Anno 
ordinationis  sue  quadragesimo  secundo,  in- 
troductionis  autem  monastice  in  nostro 
cenobio  facte  a  domino  Berengario  pon- 
tifice  anno  nonagesimo  quinto  discessit  a 
seculo. 

Imma,  uxor  Herimanni  comitis*. 
Ebalus  archiepiscopus  Remensis^. 
Ermensindisio  eomitissa  Namucensis,   que 
cum  viro  suo,   nobili  comite  Alberto,   cel- 
lam  montis  sancti  Martini  cum  omnibus  suis 
nobis  contulit  et  sua  cartha  confirmavit. 


1)  S.  Epitaph  Mab.  Vet.  an.  p.  380.       2)  Friedrich  II.   Vgl.  Bresslau, 
Konrad  II,  II,   72  n.  4.  3)    Gf.  v.  Marcey,   Verwandter  Konrads  II. 

S.  Epit.  Mab.  Vet.  An.  p.  380.  4)  Gemahlin  Hertaanns  von  Eenham. 
Epit.  Mab.  Vet.  an.  p.  380.  5)  1119— 1121.  6)  Folgt  eine  Aufzählung 
s.  Schenkungen  au  St.  Vannes,  die  ich  auslasse.  Vgl.  Stumpf  1832. 
S.  Epit.  Mab.  a.  a.  0.  7)  1076  —  1191.  8)  Sohn  Hermanns  von  Eenham? 
Vgl.  Hirsch,  Heinrich  II,   I,  p.  334.         9)  1021  —  1033.  10)  Tochter 

des  Grafen  Konrad  II.  v.  Luxemburg;  1.  Gem.  Albert  v.  Dachsburg, 
2.  Gotfr.  V.  Namur,  gest.   1143. 

Neues  Archiv  etc.     XV.  Q 


130  Ernst  Sackur. 

VI.  Kl.  lul.  Anno  domini  M»  sexagesimo   obiit  domi- 

nus Wallerannus  abbas  huius  loci,  ex  co- 

mite  conversus. 
VIII.  Id.  lul.  Eugenius  papa  tertius,    qui  sanctum  Vito- 

nura  transtulit  in  feretro  novo '. 
V.  Id.  lul.  Anno  domini  octingentesimo  vicesimo  ter- 

cio  obiit  Herilandus  episcopus  Virdunensis. 
III.  Id.  lul.  Henricus  imperator^,  qui  hunc  locum  pre- 

ciosis  donariis  ditavit. 
Id.  lul.  lohannes   arcliiepiscopus  Treverensis,   qui 

dedit  nobis  altare  de  Bailodio^. 
XVI.  Kl.  Aug.  Godefridus  Iherosolimitanus  rex-*. 

XV.  Kl.  Aug.  Fridericus  comes  Tulensis  s. 

XII.  Kl,  Aug.  lohannes  abbas  huius  loci*. 

X.  Kl.  Aug.  Radulfus  Remensis  archiepiscopus '. 

VIII.  Kl.  Aug.  Albertus  episcopus  Virdunensis^,  qui  dedit 

nobis   altare    de   Bulainville.  —   Walterus 

miles,  frater  domini  abbatis  Richardi. 
VIII.  Id.  Aug.  Hugo  episcopus  Lingonensis ». 

VII.  Id.  Aug.  Agnes  comitissa  Barensis '". 

II.  Id.  Aug.  Anno     incarnationis     dom.    nongentesimo 

quinquagesimo  nono  obiit  recolendae  me- 
morie  dominus  Berengarius  episcopus  Vir- 
dunensis et  monachus,  nobilis  institutor 
huius  loci,  qui  eiectis  clericis  hoc  in  loco 
monachos  introduxit,  ad  quorum  victum 
dedit  abbaciara  sancti  Amaucii  cum  Scan- 
cia etc.  —  Et  etiam  pro  eiusdem  episcopi 
anniversario  prior  Flaviniaci  debet  nostre 
pitancie  XL  solidos  quolibet  anno  per- 
solvere. 

X.  Kl.  Sept.  Richardus  comes". 

Albertus  comes  Dasburgensis'^,  qui  nobis 
cellam  sancti  Martini  cum  omnibus  appen- 
diciis  suis  dedit. 

II.  KI.  Sept.  Wicfridus  episcopus  Virdunensis,  qui  inter 

cetera  bona,  que  tradidit,  Ravandi  mansum 
sancto  Firmino  contuliti^. 


1)   1147.    Vgl.  Ad.  S.  Vitoni.       2)  II.       3)  1190—1212.       4)  Gott- 
frid  V.  Bouillon.  5)  Vgl.  über  ihn  Steindorfi",  Heinrich  III,  II,  S.  20. 

—  Laurent,    gesta  Vird.   c.  3,    SS.  X,  493.  6)    Job.  I,    1281  —  1286. 

Vgl.  Gallia  ehr.  XIII,  col.  1300.  7)  1106—1124.  8)  1186—1208, 
9)1016—1031.  10)  Gem.  Reinaids  n.  (1150— 1170.)  11)  Richard  I, 
von  d,  Normandie.  12)  Gest.  1098.  13)  Vgl.  Hugo  Flav.  I.  a.  a,  O. 
p.  367:  'Hie  etiam  inter  cetera  bona  Ravandi  mansum  sancto  Firmino 
contulit'.     Die  Abschr.  hat  'Ranaudi'. 


Handschriftliches   aus  Frankreich.  131 

Iir.  Non.  Sept.  Godefridus  comes,  pater  ducis  Gozelonis, 
qui  nobis  Borracum  dedit^. 

V.  Kl.  Oct.  Godefridus   dux  2,    frater  Gocelonis    ducis, 

qui  nobis  in  Beurunes  IX  mansos  dedit, 
suaque  superlectile  monasterium  hoc  ad- 
modum  locupletavit^, 

III.  Non.  Oct.  Heinricus  tercius,    imperator  catholicus  et 

religiosus.  ■ —  Dada  comitissa*,  que  dedit 
nobis  ecclesiam  de  Bedani  cum  duobus 
mansis,  ad  novam  villulam  XV  mansos, 
et  alodium,  quod  vocatur  Amblivium  et 
ad  Clarisellum  mansos  duos  et  ad  Lavan- 
nam  duos. 
Non.  Oct.  Anno    dorn,   nongentesimo    vicesimo   obiit 

Dado  episcopus  Virdunensis.  —  Hugo 
archiepiscopus  Lugdunensis^. 

YIII.  Id.  Oct.  Anno  dorn.  M«  quarto  obiit  dominus  Fin- 

genius  abbas  huius  loci. 

XIIII.  Kl.  Nov.  Godefridus  coraess  et  Henricus  comes 
Barensis  ^,  qui  nostre  ecclesie  devotus  ex- 
titit  et  Ugo  frater  eins. 

XII.  KI.  Nov.  Godefridus ',  filius  Herimanni  comitis,  pro 

cuius  anima  date  sunt  nobis  due  ecclesie, 
una,  que  vocatur  Gengeavia,  alia  Ham, 
ab  ipso  comite  nobis  tradite. 

VII.  Id.  Nov.  Anno  dom.  MXLVI  obiit  dominus  Richar- 

dus  episcopus  Virdunensis,  qui  nobis  alo- 
dium suum  videlicet  Baronis  curtem »  cum 
servis  et  ancillis  contulit  et  quod  habe- 
mus  ad  Domnam  Mariam. 

XI.  Kl.  Dec.  Eremboldus  frater  doraini  abbatis  Richardi. 

IX.  Kl.  Dec.  Pibo  episcopus  Tullensis^. 

V.  Id.  Dec.  lohannes  episcopus  Metensis »«. 

III.  Id.  Dec.  Hildradus   comes,   pater    domini  Richardi 

1)  Gotfried  I.     Vgl.  Hugo  Flav.  a.  a.  0.  p.  375:  'Godefridus  comes 
pater  Borracum   dedit'.  2)  v.  Niederlothr.     Gest.   1023.    Vgl.  Bresslau, 

Jahrb.  Heinr.  U,  III,   S.   266.  3)  Vgl.   Hugo  Flav.  II,  c.  8  a.  a.  O. : 

'Godefridus  dux  Gozelonis  frater  ibidem  sepultus,  20  mansos  in  Beurunes 
dedit  et  sua  suppellectile   locum    admodum    ampliavit'.  4)  Sie  ist  die 

Gemahlin  d.  Grafen  Manasse,  der  1037  bei  Bar  fiel  (vgl.  Hugo  Flav. 
a.  a.  O.  p.  401),  nach  einer  Urk.  v.  1027  im  Gart,  de  St.  Vannes,  Bibl. 
Nat.  1.  5435,  fol.  21.         5)  Gest.  1106.  6)  Heinr,  I.(?)   1170—1191. 

7)  Ist  der  uneheliche  Sohn  dieses  Namens.  Die  Ortsnamen  sind  in  der 
Abschrift  'Hani'  und  'Gengeania'  verlesen.  Vgl.  Hugo  Flav.  II,  c.  8: 
'Dedit  etiam  pro  anima  filii  Godefridi  ex  concubina  nati,  in  claustro 
tumulati,  non  tarnen  iuxta  fratres  et  patrem,  duas  aecclesias,  quarum 
una  dicitur  Ham,  alia  Gengeavia'.  8)  Nach  Hugo  Flav.  II.  c.  9,  p.  376 
gab  das  schon  sein  Vater.         9)  1070—1107.  10)  1224—1238. 

9* 


132  Ernst  Sackur. 

episcopi,  qui  nobis  tradidit,  que*  habe- 
mus  apud  ßolrourum  et  ad  Theonis  Cor- 
te m  ^  cum  servis  et  ancillis,  et  silvam 
speciosam. 

XIII.  Kl.  lan.  Adelardus,    abbas    huius    loci,    qui    nobis 

multa  bona  contulit  et  ea,  qua  habemus 
apud  Habonis  cortem, 

IX.  Kl.  lan.  Godefridus,  dux  et  marchio^,  filius  ducis 

Gozelonis,  qui  nobis  dedit  ecclesiam  de 
Viviers,  pro  se  et  pro  patre  suo  duce 
Gozelone. 

VII.  Kl.  Jan.  Rogerus  episcopus*. 

V.  Kl.  lan.  Teodericus  duxs. 

Teodrada  mater  domini  Richardi  abbatis. 

IUI.  Kl.  Jan,  Gislebertus  comes, 

IL  Kl.  lan.  Anno  domini  octingentesimo  septuagcsimo 

obiit  domnus  Berhardus  huius  urbis  epi- 
scopus. 

2.     Necrologium   Epternacense. 

Das  Necrologium  Epternacense  nimmt  in  dem  Cod.  Paris, 
lat.  10158,  der  mit  einer  exegetischen  Arbeit  beginnt,  die 
Blätter  5 — 107  ein.  Bis  auf  die  ersten  5  Blätter,  fol.  5—9 
und  fol.  107,  die  erst  dem  15.  Jahrhundert  angehören,  ist  das 
Necrolog  im  12.  Jahrhundert  geschrieben.  Anfang  und  Schluss 
waren  offenbar  verloren  gegangen.  Es  fehlen  mithin  auch  in 
diesen  später  zugefügten  Blättern  die  ursprünglich  zwischen 
dem  12.  und  15.  Jahrhundert  erfolgten  Eintragungen.  Das 
Necrolog  ist  so  angelegt,  dass  zuerst  von  einer  Hand  das 
Martyrologium  geschrieben  wurde,  indem  man  zwischen  den 
einzelnen  Tagen  Platz  genug  für  spätere  Nachträge  Hess.  Die 
ersten  Namen,  die  sich  auf  eine  frühere  Zeit  beziehen,  sind 
in  einem  Zuge  geschrieben,  dann  unterscheidet  man  aber  im 
Einzelnen  die  Schriftgattungen  der  folgenden  Jahrhunderte. 
Auf  das  Necrolog  folgt  fol.  108  — 136  die  Benedictinerregel; 
auf  fol.  108  mit  sehr  schönen  Initialen  das  'Ausculta  o  tili'; 
darüber  ist  ein  Brief  Hadrians  IV.,  JafFe-Löw.  Reg.  nr.  10014 
eingetragen,  ferner  verschiedene  Aufzeichnungen  über  Ver- 
brüderungen. Fol.  131  ist  leer  geblieben.  Die  letzten  Blätter 
131 — 136  gehören  erst  dem  saec.  XV  an.  Im  Folgenden  gebe 
ich   die  wichtigeren  Namen  aus    dem   Necrolog,    die  begreif- 


1)  Abs.  'qua'.  2)  Diese  Schenkung  'Gesta  ep.  Virdun.'  c.  10,  SS.  IV, 
p.  51  Bischof  Richard  zugeschrieben.  3)  Gemahl  der  Beatrix  v.  Tuscien. 
4)  E.  III.  V.  Chälons  s.  M.  1066  —  1093.  5)  Von  Oberlothringen;  nach 
Necrol.  S.  Michael,  gestorben  2.  Januar  (1027),  vgl.  Bresslau,  Jahrb. 
Konrads  II.    Bd.  I,  202. 


Handschriftliches  aus  Frankreich.  133 

lieber  Weise  zumeist  Geistlichen  der  Trierer  Kirchenprovinz 
angehören.  Nicht  identisch  mit  dem  unsrigen  sind  das  Necro- 
logiura,  aus  welchem  Reiffenberg,  Monum.  de  Namur  VII, 
p,  210 — 212  Auszüge  giebt,  und  das  zwischen  1511  und  1528 
angelegte  Obituar  von  Echternach,  welches  Peters  in  den 
^Publications  de  la  section  histor.  de  l'institut  de  Luxembourg' 
XXVII  (nouv.  ser.  V)  1873,  p.  140  flf.  veröflPentlichte. 

VIII.  Kl.  Febr.  Poppe  ^  abbas  Stabulensis  cenobii. 

VII.  Kl.  Febr.  Ugo  ^  abbas  S.  Maximini. 
III.  Kl.  Febr.  Walerannus  comes. 

III.  Id.  Febr.  Widricus  abbas  sancti  Apri^. 

II.  Id.  Febr.  Nithardus  abbas  sancti  Luitwini  et  Thiot- 

fridus  presbiter  et  monachus  Glandariensis 
et  Heremannus  archiepiscopus  Coloni^  *. 
XV.  Kl.  Mart.  Cuonradus  rex^. 

XIII.  Kl.  Mart.         Cunradus  factus   est    abbas   sancti   Maxi- 

mini 6. 
XII.  Kl,  Mart.  Florentius  abbas  S.  Cornelii  in  Inda''. 

XL  Kl.  Mart.  Walo  abbas  sancti  Arnulfi ». 

X,  Kl.  Mart.  Cunradus  abbas  Glandariensis  cenobii. 

VI.  Kl.  Mart.  Albertus  abbas  sancte  Marie  in  lacu^. 

III.  Kl.  Mart.  Emmehardus  Wyzenburgensis  episcopus'", 

frater  noster. 
II.  Kl.  Mart.  Winricus  abbas  presbiter".  —  Heinricus 

Bawariorum  dux^*. 
VI.  Non.  Mart.  Eberardus  abbas  sancti  Euchariii». 

Non.  Mart,  Heinricus    ex    palatino    comite    conversus 

et  monachus  nostr^  congregationis '^. 

VIII.  Id.  Mart.  Heimericus  presbiter  et  abbas  sancti  Panta- 

leymonis  i*. 
VI.  Id.  Mart.  Widricus  abbas  sancti  Apri  i^. 

V.  Id.  Mart.  Gundelaus    pie    memorie   Wizenburgensis 

cenobii  abbas  >'. 

IV.  Id.  Mart.  Domnus    Godefridus    pie    memorie    abbas 

nostre  congregationis  sanctique  Eucharii^*. 

XIV.  Kl.  April.         Arnoldus  comes  nostre  congregationis  fra- 

ter et  Everardus  abbas  sancti  Apri^^, 

1)  Gest.  1048.  2)  945  Bischof  von  Lüttich.  3)  Der  zweite 
oder  dritte  Abt  dieses  Namens.  4)  H.  II.  von  1036  — 1056.  5)  Kon- 
rad III.  6)  Graf  Konrad,  der  die  Abtei  von  Ludwig  dem  Kinde  er- 
hielt. 7)  I.  oder  II.  8)  von  Metz  c.  1099.  9)  Gest.  1217. 
10)  Emehard  v.  Würzburg  1088— 1105.  11)  Von  St.  Maximin,  1016—1018 
nachzuweisen.  12)  Heinrich  v.  Luxemburg,  gest.  1026.  Vgl.  Bresslau, 
Konr.  II.,  I,  193.  13)  Eberhard  von  Kamberg,  gest.  zwischen  1129 
und  1136  (Gallia  ehr.  XIII,  col.  546).  14)  Heinrich  I.?  1045—1061. 
15)  ?  1066  (Vgl.  SS.  III,  p.  738),  16)  I,  1036.  17)  1182  nachzu- 
weisen.        18)  Gest.  1210.         19)  L  (1083,  1085,  1086)?   IL  (1136)? 


134  Ernst  Sackur. 

XII.  Kl.  April.  Christianus  abbas  de   sancto  Pantaleone '. 

X.  Kl.  April.  Stephanus  presbiter   et  abbas  Wizenbur- 

gensis  cenobii^. 

III.  Non.  April.  Domnus  Thiofridus  beate  raeraorie  pres- 
biter et  abbas  nostre  congregationis^. 

VIL  Id.  April,  Ludolfus  Treverensium  archiepiscopus  ■*. 

II,  Id.  April.  Winricus   presbiter  et   abbas  Indensis  ee- 

nobii  *. 

XVII.  Kl.  Mai.  Eberardus  Trevirorum  archiepiscopus,  no- 

ster  frater«. 

XVI.  Kl.  Mai.  Otto  comes  frater  noster ''. 

XIV,  Kl.  Mai.  Hagano  abbas  sanete  Marie  s. 

X.  Kl.  Mai.  Gumbertus    presbiter    et    abbas    Lintbur- 

gensis  cenobii*'. 

VII.  Kl.  Mai.  lohannes  presbiter  abbas  sancti  Sympho- 

riani'«'.  —  Bruno  archiepiscopus  Treveren- 

sis  >'. 
II.  Kl.  Mai.  Stephanus  abbas  Luxoviensis '2. 

V.  Id.  ^lai.  Eodem  die  sancti  Maioli  abbatis  ". 

II.  Id.  Mai.  Folemarus   presbiter   et   abbas   Wizinbur- 

gensis  cenobii  '^. 
II.  Id.  lun.  Sigefridus    presbiter   et   abbas   Gorziensis 

cenobii  "'. 
XVI.  Kl.  lul.  Poppe  Treveroruiu  archiepiscopus  •*, 

V.  Kl.  lul.  Walerannus     presbiter    et     abbas     sancti 

Vitonii'. 
Kl.  lul.  Geila  comitissa,  soror  nostra. 

VI.  Non.  lul.  Heinricus  rex  '**. 

V.  Non.  lul.  Heiuricus   archiepiscopus   noster  beat^  re- 

cordationis  '*•. 
II.  Non.  lul.  Odilia,  filia  comitis  Cuonradi. 

VIII.  Id.  lul.  Heinricus   episcopus    et    monachus    sancti 

Michahelis  2". 

V.  Id.  lul.  lohannes   presbiter  et  abbas   sancti  Maxi- 

mini ^i. 

II.  Id.  lul.  Heinricus  Imperator  ^^^ 

1)   Gest.  998  oder  1001.        2)   1104  nachzuweisen.       3)  1081—1110. 
4)994—1008.         5)1064—1084.         6)1047—1066.  7)  Wohl  Otto  I. 

von  Luxemburg-,  Sohn  Hermanus  von  Salm,  gest.  1150,  oder  s.  Sohn  Otto 
d.  Jüngere,    gest.  1149.  8)    St.  Maria    ad  Martyres,    genaue   Amtszeit 

unbekannt,  Ende  des  XL  Jahrb.  Vgl.  Gallia  ehr.  XIII,  col.  567.  9)  Der 
Nachfolger  Johanns,  des  Neffen  Poppos  v.  Stablo.  Vgl.  Ladewig,  Poppo 
V.  Stablo  S.  83.  10)    Von  Metz?  11)    1102—1124.  12)    1139, 

1144  (Gall.  ehr.  XV,  col.  153).  13)  Abt  v.  Cluny,  gest.  994.  14)  Gest. 
1043.  15)    Gest.    1055.  16)    1016—1047.  17)    Gest.    1060. 

18)  Heinrich  L  19)  956  —  964,    von  Trier.  20)  Wohl   Heinrich  L 

oder  II.  von  Verdun.  21)  Poppos  Nachfolger.  Vgl.  Ladewig  a.  a.  O. 
S.  82.         22)  Heinrich  IL 


Handschriftliches   aus  Frankreich.  135 

XVII.  Kl.  Aug.         Widradus  abbas  Voldensis  c^nobiii. 
XVI.  Kl.  Aug.  Thietfridus  diaconus   abbas    sancti  Maxi- 
mini 2. 

XIV.  Kl.  Aug.  Wibaldus  pie  memorie  presbiter  et  abbas 

Stabulensis  simul  et  Corbeiensis  s. 

II.  Kl.  Aug.  Obiit  Bezelinus  comes*. 

II.  Non.  Aug.  Obiit  Benedictus  presbiter  et  abbas  sancti 

Arnulfi  5. 

VII.  Id.  Aug.  Heinricus   quartus   imperator  nostre   con- 

gregationis  frater. 

II.  Id.  Aug.  Domnus  Humbertus  predicande   memori^ 

presbiter  et  abbas  et  constructor  sanct§ 
religionis  huius  loci«. 

XIX.  Kl.  Sept.  Domnus  Ravangerius  pie  memori§  pres- 
biter et  abbas  nostre  congregationis '. 

XVIII.  Kl.  Sept.      Folcmarus  sacerdos  et  abbas  sancti  Maxi- 

mini*. 
XII.  Kl.  Sept.  Obiit  Immo  presbiter  et  abbas  Gorziensis 

c^nobii^. 
XI.  Kl.  Sept.  Gundradus  presbiter  et   abbas  sancti  Eu- 

charii '«. 
X.  Kl.  Sept.  Heriraannus   comes   nostr^   congregationis 

frater '1. 

VIII.  Kl.  Sept.  Ruopertus    presbiter    et   monachus    sancti 

Maximini,  abbas  sancti  Eucharii  >-,  et  Theo- 
dericus  presbiter  et  abbas  sancti  Huperti  i^. 

VI.  Kl.  Sept.  Sigehartpresbiteretabbas  sanctiEucharii'*. 

V.  Kl.  Sept.  Fridericus  pacificus  dux^^   nostre  congre- 

gationis frater. 

VIII.  Id.  Sept.  Adalbertus  abbas  de  sancto  Unperto'«. 

IV.  Id.  Sept.  Bern  presbiter  et  abbas  sancte  Marie  i'. 

II,  Id.  Sept.  Herebertus  abbas  de  sancto  Vincentio  ^^. 

XVI.  Kl.  Oct.  Lambertus  presbiter  et  abbas  sancti  Lau- 

rentii^^.  —  Everardus  presbiter  et  abbas 
eiusdem  monasterii^o. 


1)    1060  —  1075.  2)    967—983.  3)    Gest.    1158.  4)    Wohl 

Bezelin  von  Bidburg,  Graf  im  Bidgau,  nachweisbar  1039  flf. ;  vgl.  Bress- 
lau,  Jahrb.  Konrads  11.  Bd.  11,  483  n.  3.         5)  Gest.  1024.  6)  1028  — 

1051.  7)    971—1007.         8)   Nach   996,    vgl.    Bresslau,    Westdeutsche 

Zeitschr.  f.  Gesch.  u.  Kunst  V,  59.  9)  Todesjahr  unbekannt.  Er  ist 
der  Vorgänger  Wilhelms  v.  Dijon.  10)  Todesjahr  unbekannt.  Ende  des 
X.   Jahrhdts.  11)    Wohl    aus    dem   Hause    Salm.  12)   Gest.    1074. 

13)    Theoderich    I.    v.    St.    Hubert.  14)    Identisch    mit    Siboto?     Vgl. 

Gallia  ehr.  XHI,  54,  15)  Friedrich  von  Niederlothringen   1046 — 1065. 

Vgl.  Steindorff,    Jahrb.  Heinr.  III.,    I,  S.   295  N.  2.  16)   Adalbert  II. 

(1033).  17)  Ende   d.  XI.  Jahrh.  18)   e.   1048.  19)  Gest.   1069. 

20)  Gest.  1070. 


136  Ernst  Sackur. 

XII.  Kl.  Oct.  Heremannus  palatinus  comes  nostre  con- 

gregationis  frateri. 

VIII.  Kl.  Oct.  Stephanus  ^  presbiter  et  abbas  Prumiensis 

c^nobii  et  Hildericus*  abbas  eiusdem  mona- 
sterii  et  Adelardus  abbas  de  sancto  Trii- 
done*. 

IV.  KJ.  Oct.  Heinricus  Imperator  frater  nostre  congre- 

gationis  *. 

III.  Non.  Oct.  Heinricus  tertius  imperator  nostr§  congre- 

gationis  frater. 

X.  KI.  Nov.  Fridericus  diaconus   et   abbas   sancti  Un- 

perti«. 

VI.  Kl.  Nov.  Sigefridus  comes. 

III.  Non.  Nov.  Nanterus  abbas  sancti  Martini '. 

VI.  Id.  Nov,  Uroldus   pie   memorie    abbas   nostr§   con- 

gregationis  *. 

XIX.  Kl,  Dec.  Adalbero  j\Ietensis  episcopus  beat§  memo- 

rie noster  frater». 

XIV.  Kl,  Dec.  Henricus  comes  i». 

XIII.  Kl,  Dec.  Warinus  presbiter  et  abbas  sancti  Arnolfi  ". 
Non.  Dec.  Lotbarius   tercius   imperator  frater  noster. 

III,  Id,  Dec.  Domniis  Reginbertus  dignus  ^terna  memo- 

ria presbiter  et  abbas  ac  professus  nostr§ 
congregationis  ^^. 

XIX.  Kl.  lan,  Adalbero  Metensis  episcopus  ^^  et  Folcma- 

rus  presbiter  et  abbas  sancti  Maximini '*. 

X.  Kl.  lan.  Cunradus  rex  is. 


IV. 
Ein  Diplom  Heinrichs  III. 

Heinrieb  III.   bestätigt  den  Besitz  des  Canoniker- 

stifts  St.  Maria  Magdalena  zu  Verdun. 

1040,  Juni   16. 

In  nomine  sancte  et  individue  Trinitatis.     Heinricus  Dei 
gratia   Romanorum   rex.    |   Si   antecessonim   nostrorum   pia   facta 


1)   Hermann    von    Gleichberg    1061  — 1085?  2)   Aus    der   Familie 

V.  Sassenburg.  3)  Wohl  identisch  mit  Hildradus,  gest.  1021,  4)  Ade- 
lardus I.  1033/34.  5)  Heinrich  VI,  6)  942.  7)  v,  Metz,  1033 
nachzuweisen.  "Vgl.  Bresslau,  Konr.  H.,  H,  S.  77,  483.  8)  1032  oder 
1033,  9)  A.  in.,  1047—1072.  10)  v.  Luxemburg,  11)  Gest. 
1050.  12)  1081.  13)  IL  984  —  1005.  14)  Gest.  1105? 
15)  Konrad  I. 


Handschriftliches  aus  Frankreich.  137 

erga  ecclesias  Dei  confirmare  et  corroborare  stucluerimus,  nobis  id 
regnique  nostri  statui  profuturum  miuime  dubitamiis.  Quapropter 
noverit  omnium  Christi  nostrique  fidelium  universitas  |  qualiter  ob  • 
Petitionen!  Ricardi^  Virdunensis  aecclesiae  presulis,  locura  in 
honore  sanctae  Mariae  Magdalenae  ab  antiquioribus  construc- 
tiun,  sed  modo  suffragante  operosa  fidelium  devotione  a  quo- 
dam  suae  dioceseos  clerico  Ermenfrido  nomine  renovatum, 
primitivo  quoque^  renovationis  eiusdem*  tempore  patris  sui 
Heizelini  comitis,  suis  etiam  postmodura  opibus  non  modica 
ex  parte  crementatum,  nostra  corroboratione  confirmare  veli- 
muSj  ut  ab  antecessoribus  nostris  domno  Heinrico^,  genitore 
quoque  meo  Conrado^  imperatoribus  comperimus  esse  iam 
factum.  Certum  est  enira,  priusquam  episcopalis  gradum  sor- 
tiretur  honoris,  locum  illum  precipue  pro  salute  animae  suae 
coluisse  et  in  multis  loci  indigentiam  sustentasse,  ut  cum  illo 
fratre  reedificatore  et  socius  esset  in  labore  et  particeps  in 
retributione.  Unde  et  in  die  suae  ordinationis,  licet  cum 
aliis  eiusdem  episcopii  monasteriis  etiam  illud  sibi  iure  ces- 
sisset,  tamen  prior  reedificator,  quia  videbat  cum,  ut  semper 
optavit,  pontificali  honore  sublimatum  et,  ut  tali  patrono  in 
Omnibus  bonis  locus  augmentaretur,  coram  archiepiscopo  Tre- 
virense  Popone  et  Mettensi  episcopo  Teoderico  et  ceteris 
sanctae  Dei  aecclesiae  fidelibus  super  his  se  abalienavit  ipsi- 
que  in  praesens  reddidit.  Quapropter  eidem  petenti  decet 
nos  adquiescere  et  bona  ipsius  aecclesiae  regiae  dignitatis  posi- 
tione  corroborare,  videlicet  alodium  de  Beroldi  curte'  cum 
familia  aliisque  appenditiis,  quod  in  primis  eins  pater  comes 
Heizelinus  eidem  loco  tradidit;  alodium  etiam  de  Orna*  cum 
vinea  et  familia  et  raolendinis,  aquis  aquarumque  decursibus, 
pratis,  campis,  cultis  et  incultis,  quae  idem  Ricardus  suique 
heredes  eidem  aecclesiae  contulere;  aliud  quoque  beneficium, 
quod  similiter  ad  Ornam  dicitur,  cum  familia  et  banno  aliis- 
que appenditiis  ab  Heimone  siquidem  bonae  memoriae  epi- 
scopo, duo  molendina  subtus  monasterium  sita  et  circa  eadem 
alodium,  quod  erat  sancti  Mauricii,  per  concambium  adquisi- 
tum,  et  piscariam  de  novo  ponte  usque  ad  vadum  sancti  Pauli 
atque  teloneum  portarum  et  rasalis  modii  ipsius  civitatis,  et 
unum  clibanum  in  macello,  aliasque  mansuras  Nova  villa,  duo 
molendina  cum  manso  uno  et  familia;  aecclesiam  Braconis  vil- 
iare,  quam  noviter  ipse  Ermenfridus  construxit;  aecclesiam  de 
Molinis,  Valdentiae,  Scarponne,  mansos  HI  vineatos  cum  aliis 


1)  Clouet:  'ad'.  2)  Clouet:  'Richardi'.  3)  Clouet:  'et  primitive'. 
4)  Fehlt  bei  Cl.  5)  Diese  Urkunde  bis  jetzt  unbekannt.  6)  Stumpf 
1893.  7)    Clouet    bemerkt:    'peut-etre   Merancourt'.         8)  Vgl.   Gesta 

ep.  Virdun,  SS.  IV,  51  not. 


138  Ernst  Sackur. 

appenditiis;  Duosam  curtem  cum  suis  omnibus,  in  villa  quae 
Fermerci  dicitur  mansos  III  et  dimidium  cum  silva  et  banno 
et  familia;  Betolonis  villa  mansum  I  et  aliam  terram  adquisi- 
tam  cum  silva;  aecclesiam  Moaldi  villae  cum  villa  et  familia; 
Balceias  V  quarteria  et  in  urbe  et  extra  alias  mansuras  cum 
arabili  terra,  et  vineam,  quam  plantavit  idem  Ermenfridus  in 
terra  a  fratribus  maioris  monasterii  concambio  adquisita;  in 
Ardenna  alodiura  ab  Ermenfrido  adquisitum  Campis  nomina- 
tum  cum  familia,  quae  ei  dederunt  Conradus  imperator  et 
Gisela  imperatrix;  aecclesiam  Molenivillae,  quam  imperator 
Heinricus  a  duce  Gotefrido  impetratum  ibidem  concessit  et 
vineam  apud  eandem  villam  cum  aliis  appenditiis;  alodium 
de  Rasengis  cum  familia,  pratis,  campis,  silvis  et  duobus 
molendinis,  quod  dedit  eidem  aecclesiae  Guota  per  manus 
mariti  sui  Gotefridi  ducis;  predium  Haldonis  curte  cum  silva 
a  fratribus  Montefalconis  mutuatum  de  alio  predio  Genalt; 
aecclesiam  de  dorano  Petro  cum  alodio  et  familia  et  molen- 
dinis, quod  Ermenfridus  de  proprio  adquisivit;  apud  Gisindi 
curtem  quoddam  molendinum  contra  Adelardum  canonicum 
per  precariam  adquisitum  cum  alodio  eidem  pertinente  molen- 
dino;  preterea  aecclesiam  de  Elisia  cum  villa  et  familia;  alo- 
dium de  Stabuletis,  aliud  etiam  de  lonvilla,  quae  dedit  ibi 
Adelaidis  comitissa;  aecclesiam  de  Ramberti  curte;  medietatem 
aecclesiae  de  Elna  cum  alodio;  aecclesiam  de  Haimonis  monte 
dimidiam,  quam  ipse  per  precariam  a  ßrunone  clerico  adqui- 
sivit; alodium  de  Solleio  cum  tribus  partibus  aecclesiae,  et 
partem  aecclesiarum  Eremberti  curte  et  Cusantia  cum  alodio ; 
alodium  de  Occa,  aecclesiam  de  villa  cum  alodio;  apud  Mon- 
tiniacum  duos  mansos  et  dimidium  et  apud  Vulsopiam  partem 
aecclesiae  per  hanc  nostrae  auctoritatis  paginam  concedimus 
atque  confirmamus ,  ea  vidflicet  ratione ,  ut  ciusdera  monasterii 
fratres  dehinc  liberam  habeant  de  supradictis  omnibus  potesta- 
tem,  quiequid  eis  placuerit,  ad  usum  aecclesiae  faciendi,  omnium 
hominum  regni  nostri  contradietione  remota.  Et  ut  haec  nostra 
auctoritas  stabilis  et  inconvulsa  omni  permaneat  evo,  hoc  pre- 
ceptum  manu  propria  roborantes,  sigilli  nostri  iussimus  impres- 
sione   insigniri. 

Signum  domni  Heinrici  tertii  (M)  regis  invictissimi.   (L.  S.) 
Theodericus    cancellarius    vice    Pardonis    archicancellarii 
recognovi. 

Data  XVI.  Kl.  lul.  ind.  VIII.  anno  dominicae  incarna- 
tionis  millesimo  quadragesimo,  anno  autem  domni  Heinrici 
regis  tertii  ordinationis  XIII.  regni  II.  Actum  Mettis  feli- 
citer  amen. 

Bibl.  Nation.  Collect.  Moreau  XXII,  245.  Der  Copist 
bemerkt  dazu :  'L'original  est  ecrit  sur  un  parcbemin,  qui  a  un 


Handschriftliches  aus  Frankreich,  139 

pied  six  pouces  neuf  lignes  de  largeur;  sur  un  pied  onze 
pouces  huit  lignes  de  hauteur;  non  compris  le  replis,  qui  porte 
trois  pouces  au  plus  large;  car  il  n'est  pas  egal.  Le  sceau 
de  l'empereur  est  perdu,  il  ne  reste  qu'une  Ouvertüre  en  forme 
de  croix  dans  le  parcherain,  qui  servoit  k  rattacher'.  Ein 
kurzes  Excerpt  aus  dieser  Urkunde,  dessen  Varianten  ange- 
geben sind,  bei  Clouet,  Hist.  de  Verdun  II,  p.  53.  Danach 
verzeichnet  bei  Stumpf  2186  3. 


IV. 


Italienische  Prophetieen 


des 


13.  Jahrhunderts.  I. 


Von 


0.  Holder- Egger. 


V  or  Mitte  des  dreizehnten  Jahrhunderts  bildete  sich 
unter  den  Minoriten  Italiens  eine  Richtung  aus,  welche  an 
die  Schriften  des  Abtes  Joachim  von  Fiore  anknüpfend,  lehrte, 
dass  nach  dem  Zeitalter  Gott  Vaters,  dem  des  alten  Testa- 
mentes, und  dem  des  Sohnes,  das  ist  des  neuen  Testamentes, 
ein  drittes  letztes  Zeitalter  des  heiligen  Geistes  anbrechen 
werde,  in  welchem  das  Evangelium  aeternum  zur  Geltung 
gelanget  Sei  es,  dass  sie  mit  Joachim  selbst  auf  Grund  von 
Apoc.  12,  3  annahmen,  dieses  Zeitalter  werde  im  Jahre  1260 
anheben,  sei  es  dass  sie  mit  Gerard  von  San  Donnino  glaubten, 
es  habe  schon  etwa  mit  dem  Jahre  1200,  nämlich  mit  der 
Lehre  des  Abtes  Joachim  und  dem  Entstehen  der  beiden 
Bettelorden,  seinen  Anfang  genommen:  sie  hielten  dafür,  dass 
das  Erscheinen  des  Antichrist  nahe  bevorstehe.  Einige  er- 
warteten ebenfalls  auf  Grund  der  ]260  dies  in  Apoc.  12,  3, 
dass  er  im  Jahre  1260  würde  geboren  werden.  Innerhalb 
dieser  Richtung  der  Joachiten,  zum  mindesten  bei  einem 
Theile  derselben  bildete  sich  die  Sucht  aus,  die  prophetischen 
Schriften  des  alten  und  neuen  Testamentes  auf  die  neuesten 
Zeitereignisse  zu  deuten,  wie  das  wohl  sonst  auch  im  Mittel- 
alter, nie  aber  in  der  von  ihnen  geübten  systematischen  und 
ausgedehnten  Weise  geschah.  Da  sich  aber  in  den  echten 
Schriften  des  Joachim  für  solche  Interpretation  wenig  oder 
gar  kein  Anhalt  fand,  so  wurde  eine  Reihe  von  Werken  ver- 
fasst  und  unter  dem  Namen  des  Joachim  veröffentlicht,  in 
denen  in  der  seltsamsten  und  willkürlichsten  Weise  zahllose 
Stellen  der  alttestamentarischen  Propheten  und  der  Apokalypse 
auf  Vorgänge  und  Persönlichkeiten  des  dreizehnten  Jahr- 
hunderts gedeutet  werden.  Da  die  Interpretatio  in  Apocalyp- 
sim  von  Joachim  an  Kaiser  Heinrich  VI.  gerichtet  war,   gab 


1)  Ueber  den  Begriff  des  Evangelium  aeternum  bei  Joachim  und 
seine  Entstellung  durch  Gerard  von  Borge  San  Donnino,  dessen  Lehre 
durch  Papst  Alexander  IV.  verdammt  wurde,  hat  H.  Denifle  im  Archiv 
für  Literatur-  und  Kirchengeschichte  I,  49  ff.  volles  Licht  verbreitet. 
Frühere  Literatur,  die  dort  angeführt  und  kritisiert  ist,  brauchen  wir  hier 
nicht  weiter  zu  erwähnen. 


144  0.  Holder  -  Egger. 

man^  um  ihnen  Glauben  zu  verschaffen,  auch  mehreren  dieser 
pseudojoachitischen  Schriften  die  Einkleidung,  als  seien  sie 
auf  Aufforderung  Heinrichs  VI.  geschrieben  und  an  ihn  ge- 
richtet. Vornehmlich  die  Thaten  —  oder  Unthaten  im  Sinne 
dieser  Schriftsteller  —  seines  Sohnes  Friedrichs  II.  werden 
darin  geweissagt.  Das  zweite  immer  von  neuem  variierte 
Thema  ist  das  Heil,  welches  allein  von  den  beiden  Bettelorden 
im  dritten  Weltalter  kommt.  Das  dritte  eben  so  unermüdlich 
wiederholte  ist  das  von  der  Hoffart,  der  Sündhaftigkeit,  der 
Verkommenheit  des  Weltklerus,  der  Prälaten,  der  Curie, 
welche  dafür  durch  viel  Unheil,  welches  sie  trifft,  gestraft 
werden  sollen.  Nur  einige  dieser  pseudojoachitischen  Schriften 
sind  bisher  veröffentlicht,  nämlich  meines  Wissens  nur  die 
Interpretatio  in  leremiam  prophetam  (Venetiis  1519.  1524.  4». 
Coloniae  1577.  8«)  und  in  lesaiam  (Venetiis  1517.  4°)'. 
Manche  andere,  von  denen  ich  einige  unten  erwähne,  sind  in 
Handschriften  erhalten  2,  Auch  Einzelprophetieen  wurden  unter 
dem  Namen  des  Joachim  in  der  zweiten  Hälfte  des  dreizehnten 
Jahrhunderts  verbreitet,  die  wir  nur  aus  gelegentlichen  Er- 
wähnungen bei  Schriftstellern  kennen.  Lässt  es  sich  auch 
nicht  erweisen,  dass  diese  ebenfalls  den  joachitischen  Minoriten- 
kreisen  entstammen,  so  gehören  sie  doch  derselben  Geistes- 
richtung an.  Eine  solche  über  Manfred  und  Conradin  theilt 
der  Erfurter  Minorit,  welcher  die  Chronica  Minor  fortsetzte, 
unter  dem  Jahre  12G9  mit  (SS.  XXIV,  207),  die  der  Cardinal- 
bischof  von  Porto  Johann  von  Toledo  nach  Deutschland  ge- 
sandt haben  soll.  Eine  andere  erwähnt  Bartholomeus  Cotton, 
Mönch  zu  Norwich,  zum  J.  1294  (SS.  XXVIII,  607). 

Dieser  Richtung  der  Joachiten  gehörte  nun  der  Minorit 
Salimbene  de  Adam,  der  bekannte  Chronist,  mit  Leib  und 
Seele  an.  Er  erwähnt,  citiert  und  comraentiert  an  vielen 
Stellen  mehrere  der  echten,  noch  mehr  der  unechten  Schriften 
Joachims.     Ausserdem   beschäftigt   er   sich   vielfach   ganz  im 


1)  Die  Unechtheit  dieser  beiden  Tractate  hat  Friderich  in  der  Zeit- 
schrift für  wissenschaftliche  Theologie,  herausgeg.  von  A.  Hilgenfeld,  II. 
(Jena  1859)  349 — 363.  499 — 514.  dargethan,  nachdem  sie  früher  schon 
von  Einigen  mehr  oder  weniger  bestimmt  ausgesprochen  war.  Es  ist 
schwer  begreiflich,  wie  man  sie  je  für  echt  hat  halten  können.  2)  Die 
bekannten  öfter  gedruckten  Vaticinia  auf  die  Päpste  gehören  nicht  hier- 
her, da  sie  aus  viel  späterer  Zeit  stammen  und  nicht  in  den  joachitischen 
Minoritenkreisen  entstanden  sind.  Das  Oraculum  b.  Cyrilli  cum  ex- 
positione  abbatis  loachim  (Venetiis  1517.  4")  habe  ich  bisher  nicht  ge- 
sehen, weiss  daher  nicht,  ob  es  nach  Zeit  und  Entstehung  zu  dieser 
Literatur  gehört.  Auch  die  folgenden  Jahrhunderte  noch  benutzten  den 
bekannten  Namen  Joachims,  um  ihm  ihre  prophetische  Weisheit  auf- 
zubürden. Vgl.  was  Friderich  a.  a.  O.  S.  350  anführt  und  Fabricius, 
'Bibl.  Lat.  mediae  et  infimae  aetatis'  (Florentiae   1858)  IV,  328  ff. 


Italienische  Prophetieen  des   13.  Jahrhunderts.  I.  145 

Geist  dieser  Joaehiten  mit  verschiedenen  Prophetieen,  den 
Weissagungen  mehrerer  Sibyllen,  ferner  mit  gewissen  ^Dieta 
Merlini  de  primo  Friderico  et  secundo'^^  welche  er  an  einer 
Stelle  (Fol.  359  der  Hs.,  S.  175  der  Ausgabe)  ganz  mittheilt. 
Dies  veranlasste  mich  nach  Schriftstücken  dieser  Art,  die  ihm 
bekannt  waren,  gelegentlich  mich  umzusehen,  und  einige  da- 
von sind  mir  bekannt  geworden,  wovon  ich  zunächst  einen 
Theil  hier  mittheile.  Zwar  die  Vaticinia  einer  Sibylle,  welche 
Salimbene  auf  fol.  436.  437  der  Vatikanischen  Handschrift 
ganz  aufgenommen  hatte,  von  der  aber  der  Anfang  verloren 
ist  2,  da  Blatt  436  ausgeschnitten  ist,  habe  ich  bisher  nicht 
aufgefunden.  Dagegen  citiert  Salimbene  an  mehreren  Stellen 
(Fol.  282*=.  311.  354  etc.)  Worte  einer  Sibylle  und  erwähnt 
Fol.  355  (ed.  Farm.  p.  167)  die  Verba  der  Sibilla  Erithrea 
und  Tyburtina  als  ihm  bekannt.  Der  letzteren  Vaticinia  sind 
in  verschiedenen,  mannigfach  von  einander  abweichenden 
Formen  mehrfach  gedruckt*;  auch  die  Form,  in  der  sie  Salim- 
bene kannte,  ist  erhalten,  denn  das  Chronicon  imperatorum 
Regiense  im  Codex  Estensis,  welches  fast  ganz  aus  Salimbenes 
Chronik  excerpiert  ist,  und  soweit  es  nicht  daraus  entlehnt 
ist,  doch  nur  Materialien  bringt,  welche  Salimbene  bekannt 
waren,  hat  am  Schluss  im  185.  Capitel  die  Sibilla  Tiburtina 
ganz  aufgenommen*.  Und  zu  Anfang  im  4.  Capitel  desselben 
Chronicon,  welche  Partie  zweifelsohne  ganz  dem  verlorenen 
Theil  der  Chronik  Salimbenes  entlehnt  ist,  findet  sich  ein 
Stück  daraus  mit  den  Augustin  'De  civitate  Dei'  XVIII,  23 
entlehnten  Versen,  welche  am  Schluss  der  Estensischen  und 
anderer  Exemplare  der  Sibylla  Tiburtina  stehen. 

Die  Sibilla  Erithrea  nun,  die  Salimbene,  wie  oben  gesagt, 
citiert,  und  der  er  an  verschiedenen  Stellen  einzelne  Sätze  ent- 
lehnt, ist  in  nicht  wenigen  mir  bekannt  gewordenen  Hand- 
schriften erhalten,  und  dürfte  sich  noch  in  anderen  finden. 
Auch  im  Druck  ist  sie  schon  erschienen.  C.  Alexandre,  ^Ex- 
cursus  ad  Sibyllina'  (Parisiis  1856)  p.  291  sagt  darüber: 
'Alterum  (vaticinium)  vix  minus  darum  medio  aevo  ferebatur. 


1)  Die  prophetia  Merlini,  welche  Bartholomeus  Cotton,  SS.  XXVIII, 
607  citiert,  hat  mit  dieser  nichts  als  den  Namen  gemein,  ebensowenig 
die  älteren  brittannischen  Weissagungen  bei  Galfred  von  Monmouth. 
2)  Der  Rest  ist  wie  so  vieles  andere  in  der  Parmeser  Ausgabe  über- 
gangen. 3)  Bei  Opsopaeus,  Sibyllina  Oracula  p.  515  if.;  Gallaeus, 
Sibyll.  Orac.  hinter  der  Vorrede;  in  den  Ausgaben  von  Bedae  Opera 
t.  II.  Davon  abweichende  Formen  in  Forschungen  zur  Deutschen  Geschichte 
XIX,  392  ff.  von  Gerss;  von  G.  Waitz,  MG.  SS.  XXII,  375  f.  =  For- 
schungen X,  621  ff.  von  Usinger;  bei  Godefridus  Viterb.,  SS.  XXII,  145  ff.; 
bei  Matheus  Paris,  Chronica  Maiora  ed.  Luard  I,  42 — 52.  4)  Darauf 
folgt  in  der  Hs.  die  pseudojoachitische  Exposition  der  septem  sigilla, 
welche  Salimbene  ebenfalls  mittheilt. 

Neues  Archiv  etc.     XIV.  IQ 


146  0.  Holder -Egger. 

tanquam  Erithraeae  Sibyllae,  quod  typis  impressum  prodiisse 
docet  Fabricius  cum  coramentario  Ludovici  de  Tovat  [an  de 
Toval?]  Hispani,  Senis  1508.  Nos  impressum  huius  exemplar 
nullum  Parisiis  invenimus  nisi  inter  opera  Theolosphori  cuius- 
dam  eremitae,  Ven.  1516,  ubi  exstat  fol.  lii  sqq.'  Mir  ist 
weder  der  eine,  noch  der  andere  Druck  zugänglich  gewesen, 
ich  glaube  das  aber  bei  den  zahlreichen  Handschriften,  die 
für  die  Constituierung  des  Textes  mir  zu  Gebote  stehen,  nicht 
sehr  beklagen  zu  sollen.  Alexandre  hat  auch  selbst  a.  a.  O. 
S.  291 — 294  Auszüge  aus  der  Sibylle  gegeben.  Doch  hat  er 
gerade  die  wichtigsten  Positionen  weggelassen,  sein  Text  ist, 
weil  auf  ungenügendem  handschriftlichem  Material  beruhend  * 
und  zwei  ganz  verschiedene  Recensionen  der  Sibylla  ver- 
mischend, durchaus  unbrauchbar,  seine  Interpretation  ist  oft 
gänzlich  unzutreffend  2.  Es  wird  daher  nicht  überflüssig  sein 
den  richtigen  Text  dieses  Vaticiniums  vollständig  zu  geben, 
da  es  viel  benutzt  und  citiert  ist.  Alexandre  a.  a.  O.  8.  294 
sagt  darüber:  'Meminerunt  huius  prophetiae  Boccatius,  De 
claris  mulieribus  cap.  19,  aliique  plures,  parum  caute  eruditi, 
saeculis  praesertim  XIV,  XV  et  XVI,  tanquam  authenticae 
et  verae'.  Aber  auch  schon  im  13.  Jahrhundert  wird  sie  nicht 
nur  von  Salimbene,  sondern  auch  von  andern  citiert,  ja  ist  sie 
sogar  schon  exponiert  worden.  Salimbene  sagt  Fol.  359''. 
(ed.  Parm.  p.  176)  von  Abt  Joachim:  'scripsit  etiam  sibi  (statt 
*ei',  nämlich  für  Heinrich  VI.)  Expositionen!  Sibille  et  Merlini 
anno  Domini  currente  MCXCVI.'  Dieses  natürlich  pseudo- 
joachitische  Werk  ist  erhalten.  Fabricius  ^  erwähnt  als  Werke 
Joachims:  'In  prophetiam  vatis  Britannici  Merlini'  und  'In 
prophetiam  Erythraeae  Sibyllae',  die  sich  in  einer  Handschrift 
von  St.  Martin  in  Löwen  finden,  wo  nur  irrig  für  zwei  Werke 
gehalten  ist,  was  eine  einzige  Schrift  ist.  Die  Handschrift  ist 
jetzt  in  Brüssel  auf  der  Königl.  Bibliothek  n.  11956  —  66 
(vgl.  Archiv  VIII,  537),  ich  habe  sie  unten  noch  einmal  zu 
erwähnen.  Das  Werk  ist  aber,  soweit  mir  bekannt,  noch  in 
zwei  anderen  Handschriften  erhalten.  Ich  denke  es  in  einem 
späteren  Heft  dieser  Zeitschrift  herauszugeben.  Sein  Verfasser 
war  ohne  Zweifel  joachitischer  Minorit. 


1)  Er  hat  die  drei  Pariser  Handschriften  benutzt,  welclie  ich  unten 
erwähne.  Er  hat  jedoch  viele  ganz  falsche  Lesarten,  die  sich  in  keiner 
dieser  drei  Handschriften  finden.  Ich  vermuthe  daher,  dass  er  diese  ans 
dem  von  ihm  benutzten  Druck  genommen  hat,  und  bedauere  um  so 
weniger    diesen    nicht  gesehen    zu    haben.  2)  Er  erklärt,  Friedrich  I. 

sei  gemeint,  wo  von  Karl  dem  Grossen  die  Rede  ist,  setzt  Tancred  statt 
Andronicus,  Heinrich  VI.  statt  Ysaac,  Guillelmi  cognatio  wo  von  dem 
nach  Griechenland  entsandten  Heer  König  Wilhelms  II.  von  Sicilien  die 
Rede  ist.  3)  Bibl.  Lat.  med.  et  Inf.  aet.  ed.  Mansi  (Florentiae  1858) 
IV,   330. 


Italienische  Prophetieen  des   13.  Jahrhiinderts.  I.  147 

Die  in  dieser  pseudojoachitischen  Schrift  exponierte  Sibylla 
ist  eben  die  Erithrea,  von  der  oben  die  Rede  war;  die  Merlin- 
prophezeiung, welche  darin  erklärt  ist,  ist  eben  jene  oben 
erwähnte,  welche  Salimbene  ganz  aufgenommen  hat.  Sie  findet 
sich  auch  in  zwei  unten  zu  erwähnenden  Handschriften,  welche 
die  Sibylla  Erithrea  enthalten,  aus  denen  ich  sie  hier  heraus- 
gebe. Auch  in  anderen  pseudojoachitischen  Schriften^  nämlich 
der  Interpretatio  in  leremiam »  und  der  unten  zu  erwähnenden 
^Lectura  Isaiae  super  oneribus'  werden  sowohl  die  Sibylla 
Erithrea  wie  jene  Dicta  Merlini  citiert. 

Von  der  Sibylla  Erithrea  existieren  zwei  Recensionen. 
Es  ist  leicht  zu  sehen,  dass  die  längere  von  ihnen  die  ursprüng- 
liche, die  andere  eine  verkürzte  Bearbeitung  der  ersteren  ist, 
in  welcher  manches  dem  Bearbeiter  überflüssig  erschienene 
und  namentlich  der  ersteren  mehrfache  Wiederholungen  weg- 
gelassen, manches  mehr  geglättet  und  dem  Verständnis  näher 
gebracht  ist.  Auch  sind  manche  Zusätze,  namentlich  zur  ge- 
naueren Zeitbestimmung  gemacht,  andere  Zeitangaben  des 
ursprünglichen  Textes  sind  verbessert.  Besonders  daran  er- 
kennt man,  dass  wir  in  dem  kürzeren  Text  eine  spätere 
Bearbeitung  vor  uns  haben,  dass  einige  Stellen  der  längeren 
Recension  in  einer  Weise  abgeändert  sind,  dass  man  sieht, 
der  Bearbeiter  habe  den  Sinn  derselben  missverstanden.  Wenn 
z.  B.  der  längere  Text  hat:  'gallinacius  apponetur',  was,  wie 
ich  glaube,  den  Sinn  hat:  es  wird  zu  Unrecht  ein  römischer 
Senator  eingesetzt  werden 2,  und  der  kürzere  Text  dafür  setzt: 
'gallinacius  opponetur  ei',  was  dann  heissen  soll:  der  Papst 
wird  sich  dem  Kaiser  Friedrich  II,  entgegensetzen,  so  ist  das, 
meine  ich,  eine  Correctur,  welche  der  Bearbeiter  machte,  da 
er  die  Stelle  nicht  verstand.  Noch  deutlicher  wird  das  Ver- 
hältnis der  beiden  Texte,  wenn  z.  B.  die  Worte  des  längeren: 
^trina  fiet  restauratio;  hinc  Trinacris  requies  aquile'  ('Frie- 
drichs II.),  in  dem  kürzeren  so  abgerundet  sind:  'Trinacris 
fiet  restauratio',  wobei  die  ganze  Stelle  durch  Umstellung  der 
einzelnen  Theile  ihren  ursprünglichen  Sinn  verloren  hat. 

Aber  auch   die   längere   Recension    der    Sibilla    Erithrea 


1)  Cap.  34.  49.  51,  Coloniae  1577.  p.  366  f.  379  f.  385  f.  2)  Da 
Tancred  von  Sicilien  in  der  Sib.  'rex  appositus'  heisst,  so  bedeutet  hier 
'apponetur'  jedenfalls  auch  'er  wird  zu  Unrecht,  neben  einem  berechtigten 
eingesetzt  werden'.  Der  Papst  wird  sonst  in  der  Sibilla  als  'gallus'  be- 
zeichnet, danach  könnte  'gallinacius'  spöttisch  einen  Gegenpapst  bedeuten. 
Da  aber  ein  solcher  zu  Friedrichs  II.  Zeiten  nicht  eingesetzt  wurde,  und 
an  der  Stelle  von  den  Römern  die  Rede  ist,  so  wird  doch  wohl  nur  an 
einen  römischen  Senator  gedacht  werden  können.  Ich  vermuthe  daher, 
die  Stelle  wird  sich  darauf  beziehen,  dass  im  Jahre  1237  von  den 
Römern  im  Gegensatz  zum  Papst  Johann  de  Cencio  zum  Senator  erwählt 
wurde. 

10* 


148  0.  Holder -Egger. 

scheint  schon  eine  Bearbeitung  eines  älteren  ihr  zu  Grunde 
liegenden  Textes  zu  sein.  Mattheus  Paris  nämlich  führt  schon 
zum  Jahre  1241  eine  'Prophecia  magne  Sibille'  an  (SS.  XXVIII, 
217),  deren  wenige  von  ihm  mitgetheilte  Sätze  sich  zum  Theil 
in  der  Erithrea,  zum  Theil  aber  —  und  das  ist  besonders  zu 
bemerken  —  in  den  Dicta  Merlini  finden.  Denn  der  erste 
Satz  bei  Matheus:  'Marc  sanguine  sanctorum  rutilabit'  steht 
wörtlich  so  in  den  Dicta.  Die  folgenden  Worte  bei  Math, : 
'Ducentur  captivi'  finden  sich  in  keiner  der  beiden  Schriften. 
Dem  dann  folgenden  aber:  'rapientur  monilia  sponse  agni  apud 
Paripolomen  entspricht  in  der  Erithrea:  'Oculus  eius'  (Frie- 
drichs IL)  'in  insidiis  sponse,  manus  eius  ad  monilia  eius,  ut 
diripiat  cultum  ipsius'.  Ebenso  dem  folgenden  bei  Math.: 
'Agnus  in  vellere,  lupus  in  opere  nidum  philosoforum,  florem 
Emilie  deflorabit',  an  anderer  Stelle  der  Erithrea:  'nidum  phi- 
losophantium  minorabit,  florem  Emilie  deflorabit'.  Endlich 
dem  ersten  Theil  des  letzten  Satzes  bei  Matheus:  *Hic  nutri- 
tus  lacte  sponse  agni  ipsam  conculcabit  et  spernet',  entspricht 
in  der  Erithrea:  'Mamillis  sponse  agni  lactabitur',  während 
für  den  zweiten  Theil  des  Satzes  sich  zwar  Parallelstellen  so- 
wohl in  ihr  als  bei  Merlin  finden,  aber  nichts  anklingendes. 
Der  Schluss,  den  wir  daraus  ziehen,  ist,  dass  der  Verfasser 
der  Sib,  Erithrea  eine  ältere  Prophetie  verarbeitete,  zweitens 
aber,  dass  diese  Sibille  und  die  Dicta  IMerlini  aus  einer  Fabrik 
entstammen,  von  demselben  Fälscher  herrühren,  der  die  Sätze 
der  von  ihm  benutzten  älteren  Prophetie  auf  seine  beiden 
Machwerke  vertheilte.  Und  das  ist  an  sich  schon  wahr- 
scheinlich, da  Avir  die  Merlinprophezeiung  nur  in  Handschriften 
finden,  welche  auch  die  Sibylla  enthalten  i,  da  sie  zusammen 
von  einem  Joachiten  exponiert  worden  sind,  da  die  Autoren, 
welche,  im  dreizehnten  Jahrhundert  wenigstens,  die  eine  Schrift 
eitleren,  auch  die  andere  kennen. 

Wenn  wir  nun  beachten,  dass  alle  diese  Autoren  joachiti- 
sche  Minoriten  Italiens  sind,  wenn  wir  ferner  finden,  dass  in 
der  Sibilla  Erithrea  an  zwei  Stellen  mit  besonderem  GcAvicht 
gesagt  wird,  dass  in  dem  letzten  Zeitalter  (in  postremis  diebus) 
'due  stelle'  (Franciscus  und  Dominicus  und  deren  Orden)  er- 
scheinen und  die  Welt  erleuchten,  den  Kampf  mit  der  bestia 
(dem  Islam)  und  der  abhominatio  (dem  Satan)  aufnehmen 
werden,  wenn  von  ihnen  beiden  gesagt  wird,  dass  sie  ähnlich 
seien  'priori  stelle'  (dem  Apostel  Paulus),  'habentes  faciem 
quatuor  animalium'   (der  vier  Evangelisten)  ^ :   so  werden  wir 


1)  Freilich  ist  zu  beachten,  dass  die  beiden  Hs.,  in  welchen  die 
Dicta  Merlini  stehen,  nur  den  kürzeren  Text  der  Erithrea  enthalten.  Doch 
Salimbene  kannte  neben  den  Dicta  Merlini  die  ursprüngliche  Recension 
der  Erithrea.         2)  Vgl.  oben  S.  144. 


Italienische  Prophetieen   des   13.  Jahrhunderts.  I.  149 

nicht  zweifeln,  dass  die  beiden  besprochenen  Prophetieen  eben- 
falls von  einem  joachitischen  Minoriten  Italiens  verfasst  sind. 
Schwieriger  ist  es  die  Abfassungszeit  genau  zu  bestimmen. 
Zwar  das  ist  klar,  dass  sowohl  die  Dicta  Merlini  wie  die 
Sibylla  nach  Friedrichs  IL  Tod  verfasst  sind,  da  beide  schon 
auf  denselben  Rücksicht  nehmen,  da  die  Sibylla  besonders  be- 
merkt, dass  das  Volk  zum  Theil  an  seinen  Tod  nicht  glauben 
wird,  wie  es  wirklich  geschah.  Und  dass  die  Merlinprophetie 
w^enigstens  sehr  bald  nach  Friedrichs  Tode  geschrieben  sein 
wird,  erhellt  schon  daraus,  dass  sie  eben  mit  diesem  abbricht. 
Anders  liegt  die  Sache  bei  der  Sibylla.  Da  folgen  nach  Frie- 
drich IL  noch  verschiedene  Herrscher,  die  sich  zum  Theil  be- 
kämpfen. Unzweifelhaft  ist  die  'aquila,  welche  aiif  Friedrich  IL 
folgt,  auf  Konrad  IV.  zu  deuten,  wenn  auch  manches  von  ihm 
ausgesagt  wird,  w^as  nicht  auf  ihn  passt.  Wenn  es  dann  aber 
weiter  heisst,  dass  ein  'leo'  die  'aquila'  und  den  ihr  verbündeten 
^hyrcus  biceps'  angreifen  wird,  dass  ferner  der  'pardus  filius 
aquile'  mit  dem  'leo'  kämpfen  und  ihm  schliesslich  unterliegen 
wird,  so  ist  zwar  zuzugeben,  dass  manches  bei  dem  'leo'  sich 
auf  Karl  von  Anjou',  der  'pardus'  sich  auf  Konradin  deuten 
lässt.  So  vieles  andere  aber  wird  von  diesem  ausgesagt,  Avas 
sich  mit  den  wirklichen  Vorgängen  nicht  zusammenreimen 
lässt,  dass  ich  meine,  diese  ganze  letzte  Partie  beruht  auf 
fi'eier  Erfindung,  ist  wirkliche  Prophetie^.  Da  nun  schon 
über  die  'aquila'  vieles  gesagt  wird,  was  mit  der  Geschichte 
Konrads  IV.  nicht  zusammen  stimmt,  so,  meine  ich,  muss  die 
Sibylla  vor  dessen  Tod  (1254,  Mai  20)  verfasst  sein.  Da 
aber  die  Sibylla  nachher  von  dem  'pardus  filius  aquile'  spricht, 
Konradin  aber  erst  1252,  März  25.  geboren  ist,  so  halte  ich 
es  wenigstens  für  wahrscheinlich,  dass  sie  erst  nach  diesem 
Termine   geschrieben   ist  3.      Nun    wird    uns   auch   auf  andere 

1)  Wäre  der  'leo'  wirklich  Karl  von  Anjou,  so  begreift  man  nicht, 
wie  der  mit  der  'aquila'  (Konrad  IV )  kämpfen  soll.  Man  müsste  also 
annehmen,  die  'aquila'  sei  Manfred,  Konrad  sei  ganz  übergangen.  Dazu 
stimmt  aber  ausser  vielem  anderen  nicht,  dass  die  'aquila'  mit  Hilfe 
zweier  Könige  den  'leo'  schliesslich  besiegen  wird^  Kurz  es  lässt  sich 
absolut  keine  Melodie  auf  diesen  Text  der  Sibylla    finden.  2)  Dafür 

spricht  auch,  dass  sicli  für  diesen  Theil  der  Sibylla  in  den  Hss.  keine  er- 
klärenden Glossen  mehr  finden,  die  vorher  so  zahlreich  sind  (siehe  unten 
S.  152  f.),  dass  also  auch  die  Glossatoren  diese  Partie  mit  der  Wirklich- 
keit nicht  reimen  konnten.  Zwar  hat  in  einer  Hs.  noch  ein  späterer 
Leser,  nicht  der  ursprüngliche  Glossator,  den  'pardus  .filius  aquile'  auf 
Konradin  gedeutet,  aber  das  lag  nahe  genug,  wenn  auch  anderes  auf 
ihn  nicht  passt.  .3)  Am  auffälligsten,  weil  der  Wirklichkeit  entsprechend, 
ist,  dass  die  Sibylla,  nachdem  sie  prophezeit  hat,  dass  der  'pardus  filius 
aquile'  von  dem  Löwen  verschlungen  werden  wird,  sagt:  'et  non  erit 
ultra  semen  aquile'.  Es  kann  hier  eben  nichts  gesagt  werden,  als  dass 
durch  Zufall  die  Phantasie  des  Joachiten  mit  der  Wirklichkeit  zusammen- 
getroflfen  ist. 


150  O.  Holder  -  Egger. 

Weise  bestätigt,  dass  die  Sibylla  in  Konrads  IV.  Regierungs- 
zeit entstanden  sein  muss.  Wiliielm  von  St.-Amour  erwälint 
nämlich  in  seinem  1255  geschriebenen  Werk  'De  periculis 
novissimorum  temporura'  den  dem  Joachim  zugeschriebenen 
Commentar  des  leremias ',  und  wir  sehen,  dass  in  diesem 
Buch  schon  die  Dicta  Merlini  sowohl  wie  die  Sibilla  Erithrea, 
und  zwar  deren  überarbeitete  kürzere  Recension,  citiert  sind. 
Danach  würde  also  ebenfalls  die  Abfassungszeit  beider  Schriften 
zwischen  1251  bis  spätestens  1254  anzusetzen  sein.  Freilich 
muss  ich  hinzusetzen,  dass  dieser  Beweis  nicht  absolut  zwin- 
gend ist,  denn  wir  sind  nicht  ganz  sicher,  dass  der  Jeremias- 
kommentar  dem  Wilhelm  schon  genau  in  der  Form  vorlag, 
in  Avelcher  er  gedruckt  ist  2,  und  es  ist  zu  bemerken,  dass  die 
Citate  aus  Merlin  und  der  Sibylle  nur  in  der  letzten  Partie 
des  Werkes  vorkommen.  Indessen  wird  das  erstgewonnene 
Resultat  über  die  Abfassungszeit  der  beiden  Schriften  doch 
als  sicher  gelten  können. 

Und  dieses  Resultat  giebt  uns  nun  einen  hübschen  Anhalt 
zur  Kritik  Salimbenes,  was  mich  vorzüglich  veranlasste,  so 
lange  dabei  zu  verweilen,  Salimbene  berichtet  Fol.  309  ff. 
(ed.  Parm.  p.  104  ff.)  ein  langes  Gespräch,  welches  der  Minorit 
Hugo  der  Provenyale  im  Jahr  124<S  in  Hyeres  mit  dem  Do- 
minikaner Peter  von  Apulien  über  Abt  Joachim  und  die 
joachitischen  Weissagungen  gehabt  haben  soll.  Darin  exponiert 
nun  Bruder  Hugo  des  längeren  mehrere  Sätze  aus  den  Dicta 
Merlini  und  der  Sibilla  Erithrea,  aus  der  letzteren  gerade  den 
Satz,  welcher  absolut  beweist,  dass  diese  erst  nach  Kaiser 
Friedrichs  II.  Tode  (1250,  Dec.  13)  geschrieben  ist.  Man 
sieht,  wie  viel  in  solchen  Dingen  Salimbene  zu  glauben  ist. 
Höchstens  dass  ein  Gespräch  zwischen  den  beiden  genannten 

1)  Wie  Friderich  a.  a.  O.  S.  450  bemerkt.  Die  der  Zeit  nach 
nächste  Erwähnun»  der  Interpretatio  in  leremiam  geschieht  meines 
Wissens  bei  Albert  von  Stade  zum  J.  1250,  SS.  XVI,  372,  der  zwar 
die  Schrift  nicht  nennt,  aber  unter  Joachims  Namen  einen  Satz  aus  deren 
46.  Kapitel  (ed.  Colon,  p.  376)  citiert.  Der  Satz  lautet  nach  dem  aus 
der  Brüsseler  Hs.  corrigierten  Text:  'quoniam  ['quia'  ed.]  superatur  Fran- 
cornm  exercitus,  capitur  sumraus  pontifex,  imperans  dominatur  Alaman- 
nus'.  Bei  Albert  finden  sich  schon  mehrere  Abweichungen.  Demnächst 
finde  ich  die  Interpretatio  in  den  Annales  Piacentini  Gibellini  zum 
J.  1266,  SS.  XVIII,  516  citiert.  Es  scheint,  als  ob  da  eine  zusammen- 
hängende Stelle  ausgeschrieben  ist.  Nach  Pertz'  Note  soll  diese  im 
2.  Kapitel  der  Interpretatio  stehen,  aber  den  Anfang  und  Schluss  des 
Citates  fand  ich  überhaupt  nicht  in  dem  Werk,  obwohl  ich  nicht  be- 
haupten will,  dass  sie  nicht  darin  stehen.  Die  mittleren  Sätze  stehen 
allerdings  im  zweiten  Kapitel,  aber  weit  von  einander  getrennt,  der 
vorangehende  S.  57  f.,  der  folgende  S.  46  der  Kölner  Ausgabe.  Danach 
bin  ich  doch  im  Zweifel,  ob  die  Interpretatio  schon  ursprünglich  so  aus- 
sah, wie  die  Ausgaben  sie  bieten.         2)  Vgl.  unten  S.  151. 


Italienische  Prophetieen  des   13.  Jahrhunderts.  I.  151 

Personen  über  Joachim  stattfand,  ist  vielleicht  richtig.  Alles 
übrige,  die  viele  Seiten  lange  erregte  Debatte  der  Beiden,  so 
lebensvoll  und  lebenswahr  sie  scheint,  ist  von  Salimbene  frei 
erfunden.  Salimbene  erzählt  auch  Fol.  308 c.  (ed.  Parm.  p.  102), 
dass  im  J.  1248  in  Frankreich  zwei  joachitische  Minoriten 
die  Joachim  zugeschriebene  Interpretatio  in  leremiam  schon 
hatten  und  ihm  darin  eine  Stelle  zeigten,  aus  welcher  sie 
schlössen,  dass  der  Kreuzzug  Ludwigs  IX.  unglücklich  ab- 
laufen werde.  Auch  dies  würde  unwahr  sein,  wenn  der  ge- 
druckte Text  der  ursprüngliche  wäre,  doch  muss  das,  wie  ge- 
sagt, als  unsicher  dahingestellt  bleiben. 

Ich  gebe  nun  an  erster  Stelle  die  ältere  ursprüngliche 
Recension  der  Sibylla  Erithrea  oder,  wie  sie  in  den  Hand- 
schriften der  ersten  Recension  wenigstens  durchweg  genannt 
wird,  'Erithea'.  Den  kürzeren  überarbeiteten  Text  behalte  ich 
mir  vor,  später  mit  der  pseudojoachitischen  Exposition  des- 
selben zu  bringen,  denn  die  kürzere  Recension  ist  es,  welche 
der  Erklärung  daselbst  zu  Grunde  liegt,  und  welche  in  allen 
mir  bekannten  pseudojoachitischen  Schriften  citiert  ist. 


I.   Vaticinium  Sibillae  Eritheae. 

Folgende  Handschriften  sind  für  die  Textconstituierung 
benutzt  worden: 

1)  Brüssel,  Königl.  Bibliothek  n.  11956  —  66,  membr. 
8",  saec.  XIII  ex.,  ehemals  St.  Martin  in  Löwen  gehörig.  Die 
Hs.  enthält  fol.  1—71  die  pseudojoachitische  Interpretatio  in 
leremiam  in  25  Kapiteln,  während  die  Ausgabe  deren  51  hat. 
Sie  beginnt  abweichend  von  der  Ausgabe  mit  einem  an 
Kaiser  Heinrich  VI.  gerichteten  Prolog:  'Henrico  sexto  inclito 
Romanorum  augusto  loachim  dictus  abbas  humiliari  sub  divine 
potentia  maiestatis.  Licet  mee  simplicitatis  inhertiam  litteris 
et  nuntiis  recurrentibus  urgeretis,  ut  quasi  per  cronicas 
veteres  et  annales  nova  populorum  discrimina,  in  quibus  uni- 
versalis ecclesia  fluctuabit,  iuxta  leremie  vaticinium  scriberem 
et  legerem,  tarnen  quia  consilium  Domini  nemo  novit,  imperio 
vestro'  etc.i  Ich  habe  die  Handschrift  leider  auf  ihre  Ueber- 
einstimraung  mit  der  Ausgabe  nicht  untersuchen  können,  da 
ich  ins  Ausland  verreisen  musste,  als  sie  zur  Beutzung  nach 
Berlin  gesandt  wurde.  —  Es  folgt  fol.  72—82  die  pseudo- 
joachitische 'Expositio  Merlini  et  Sibillae  Erithreae',  eben- 
falls angeblich  an  Heinrich  VI.  gerichtet.  Dann  fol.  82 — 87' 
gleichfalls  angeblich  auf  Aufforderung  Heinrichs  VI.  geschrie- 
ben  und    an    ihn    gerichtet   eine    Schrift    PseudoJoachims,   in 


1)  Wie    der   ursprüngliche   Prolog    der   Ausgabe    fehlt,    so    aucli    der 
Epilog,  den  Salimbene  p.  176  anführt. 


152  0.  Holder -Egger. 

welcher  die  Onera  des  Jesaias  ganz  in  der  Weise  der  übrigen 
pseudojoachitischen  Werke  interpretiert  werden.  Es  ist  ohne 
Zweifel  die  von  Salimbene  p.  176  erwähnte  'Lectura  Ysaie 
super  oneribus',  die  auch  an  Heinrich  VI.  gerichtet  gewesen 
sein  soll.  Wie  weit  diese  Schrift  mit  der  Interpretatio  in 
lesaiam  zusammenhängt,  zu  bestimmen,  muss  ich  mir  noch 
vorbehalten,  Sie  ist  für  uns  abgeschrieben.  —  Es  folgt  in  der 
Handschrift  f.  87' — 89'  mit  der  Ueberschrift  'Joachim'  ein 
Stück,  das  mir  werthlosen  Inhalts  schien:  'Tenebre  erant  super 
faciem  abyssi  —  —  qui  sub  novo  militant  testamento  con- 
veniunt'.  Danach  endlich  fol.  89'— 92  die  Sibilla  Erithea. 
Diese  Hs.  ist  weitaus  die  beste  der  Sibilla,  alle  folgenden 
scheinen  auf  ein  Exemplar  zurückzugehen,  das  mit  dieser 
etwa  gleichwerthig  war.  Sie  ist  von  Dr.  L.  von  Heinemann 
abgeschrieben,  die  Abschrift  ist  dann  von  G.  Waitz  revidiert. 
Die  Handschrift  hat  viele,  sehr  ausführliche  erklärende  Glossen, 
die  zum  Theil  wenigstens  recht  wohl  auf  den  Verfasser  der 
Schrift  zurückgehen  können.  —  Danach  folgt  fol.  92 — 98  ein 
Auszug  aus  der  joachitischen  Interpretatio  in  leremiam.  Es  sind 
besonders  solche  Stellen  excerpiert,  welche  von  besonderem 
historischen  Interesse  sind,  sich  auf  das  Reich  und  Frankreich 
beziehen,  ferner  solche,  welche  von  den  welterleuchtenden 
beiden  Orden  handehi,  endHch  solche,  Avelche  besonders  starke 
Ausfälle  gegen  Kardinäle,  Kurie,  Prälaten  enthalten,  und  zwar 
in  ganz  bunter  Reihenfolge,  wie  sich  aus  der  Reihe  der  Kapitel 
ergiebt,  denen  die  einzelnen  Excerpte  nach  einander  entlehnt 
sind:  Kap.  13.  1.  4.  5.  19.  20.  9.  13.  11.  7.  20.  21.  34.  51.  50. 
24.  44.  23.  22.  23.  24.  2.  46.  3'.  —  Danach  folgen  fol.  98.  98' 
'Versus  Michaelis  Scotti',  die  ich  später  herausgeben  werde, 
und  ein  Hymnus:  'Salve  virgo  maris  Stella'.  Ueber  den  Rest 
der  Handschrift  siehe  Archiv  VIII,  537. 

2)  Vatikan,  Bibl.  der  Königin  Christina  n.  132, 
membr.  fol.,  saec.  XIV,  in  2  Columnen  geschrieben,  ohne 
Merkmal  der  Herkunft,  enthält  fol.  97 —101'  hinter  des  Abtes 
Joachim  P^nchiridion  in  Apocalypsin"  die  Sibylle,  die  von 
zweiter  gleichzeitiger  Hand  nach  der  Vorlage  corrigiert  ist. 
Sie  hat  oft  ganz  falsche  Interpunktion,  auch  nicht  wenige 
Fehler.  Es  folgen  fol.  101'  noch  zwei  später  zu  edierende 
prophetische  Gedichte. 

3)  Florenz,  Bibl.  Riccardiana  n.  881,  membr.  4«', 
saec.  XIV,  ohne  Merkmal  der  Herkunft,   enthält  fol.  1—4'  in 

1)  Einige  wenige  Stellen  habe  ich  in  der  Interpretatio  nicht  ge- 
funden, jedoch  wohl  nur  übersehen.  Wo  ich  von  Lesarten  des  Codex 
Bruxell.  in  der  Interpretatio  spreche,  meine  ich  diese  Excerpta,  nicht 
die  ganze  Interpretatio  zu  Beginn  der  Hs.  Die  Vergleichung  derselben 
mit  der  Ausgabe  zeigt  übrigens  schon,  wie  entsetzlich  corrupt  der  Text  der 
letzteren  ist.  2)   Vgl.  Denifle,  Archiv  f.  Litt.  etc.  I,  94  f. 


Italienische  Prophetieen  des   13.  Jahrhunderts.  I.  153 

Langzeilen  geschrieben  die  Sibylle  mit  nicht  wenigen  Fehlern. 
Auch  in  diesem  Codex  sind  von  des  Schreibers  oder  einer 
dieser  durchaus  ähnlichen  und  gleichzeitigen  Hand  sehr  viele 
Glossen  übergeschrieben,  dieselbe  Hand  ergänzte  auch  mehrere 
ausgelassene  Stellen  aus  der  Vorlage.  Die  Glossen  sind  drei- 
fachen Charakters:  Ein  geringer  Theil  geht  in  seinem  Grund- 
stock auf  dieselben  Glossen  oder  doch  deren  Vorlage  zurück, 
welche  in  Cod.  1  stehen.  Diese  wie  viele  andere  sind  sehr 
corrumpiert.  Ein  anderer  Theil  giebt  die  Lesarten  der  kürzeren 
Recension  der  Erithrea  für  die  betreffenden  Stellen  an.  Da 
einmal  auch  solche  Stelle  in  den  Text  gerathen  ist,  so  ergiebt 
sich,  dass  sie  schon  in  der  Vorlage  des  Codex  eingetragen 
waren,  wie  das  sicher  auch  mit  allen  übrigen  längeren  Glossen 
der  Fall  war.  Gänzlich  überflüssige  Glossen,  namentlich 
solche,  die  nur  den  Inhalt  angeben,  habe  ich  weggelassen; 
solche,  die  mehrmals  vorkommen,  habe  ich  nur  das  erste  Mal 
angemerkt. 

Der  Rest  der  Handschrift  ist  von  verschiedenen  Händen 
mit  hübschen  Bildern  geziert.  Er  enthält  fol.  5 — 36'  'Guidonis 
Carmelitae  liber  geographicus',  eine  'Summa  mundi'.  Fol.  37 
— 41  'Cronica  ex  diversis  compilata',  die  nur  bis  Octavian 
reicht.  Anfang:  'Die  prima  facta  est  lux'.  Fol.  43  —  71' 
'Dares  Frigius'.  Fol.  72 — 99  'Historia  Romana'  (Eutrop  oder 
Excerpt  daraus):  'Primus  in  Italia  regnavit  lanus  —  —  As- 
siriamque  populatus'  (=  Eutrop  X,  16,  1).  Fol.  100—154' 
'Martini  Oppav.  Chronicon'  letzter  Redaction.  Die  Päpste 
immer  auf  der  Versoseite  bis:  'Nicholaus  IH"*  natione  Roma- 
nus anno  Doraini  1277  sedit',  die  Kaiser  gegenüber  auf  der 
Rectoseite  der  Blätter  bis  'in  Siciliam  veniens  est  defunctus'. 
Fol.  156  — 165'  Briefe  des  Papstes  Clemens  IV.,  von  Kar- 
dinälen etc.  auf  die  Uebernahrae  des  sicilischen  Reichs  durch 
Karl  von  Anjou  bezüglich.  Fol.  166  Schreiben  Johanns  XXII. 
Fol.  167'  'Incipit  genealogia  regum  Francie'.  'Ex  genere  Pri- 
ami  —  Philippus  genuit  Ludovicum  (VIII)  qui',  das  folgende 
Blatt  mit  dem  Schluss  fehlt.  —  Die  Handschriften  2  und  3 
habe  ich  selbst  benutzt, 

4)  Paris,  Nationalbibliothek  Lat.  n.  6362,  saec.  XV, 
wo  die  Sibylla  fol.  64'  if.  steht. 

5)  Paris,  Nationalbibliothek  Lat.  n.  3455,  saec.  XVI, 
fol,  37'  ff,  abgeschrieben  aus  einer  Handschrift  'S.  Georgii 
maioris  Venetiis'  (vielleicht  derselben,  aus  welcher  der  vene- 
tianische  Druck  genommen  ist)  giebt  einen,  vielfach  durch 
willkürliche  Aenderungen,  schlechte  Conjecturen  verdorbenen 
Text.  Die  beiden  letzten  Handschriften  hat  Herr  A.  Molinier 
auf  meine  Bitte  gefälligst  collationiert. 

Ausserdem  fand  ich  die  Erithrea  noch  in  der  Handschrift 


154  0.  Holder -Egger. 

der  Laurenziana  in  Florenz  >  LXXXIX,  inf.  5,  saec.  XIV, 
fol.  105'— 108'.  Voran  geht  fol.  103—105'  das  bekannte  Stück 
über  die  Sibyllen:  'Incijjit  über  Sibille'.  'Sibille  generaliter 
omnes  femine  prophetantes'.  Schliesst  mit  den  Versen  aus 
Augustin  'De  civ.  Dei'  XVIII,  23.  Der  folgende,  ich  weiss 
nicht,  ob  echte  oder  unechte  Brief  des  Abtes  Joachim  beginnt 
fol.  108':  'Universis  Christi  fidelibus,  ad  quas  littere  iste  per- 
venerint,  frater  loachim  dictus  abbas  vigilare  et  orare,  ne  in- 
tretis  in  temptationem,  Loquens  Dominus  Ecechieli  prophete'. 
Schliesst  fol.  110':  *et  in  victum  sibi  munera  mittent'.  Er 
schien  mir  ohne  Interesse.  Ich  hatte  die  Zeit  nicht,  die 
Handschrift  zu  vergleichen,  und  kann  auf  ihre  Benutzung 
verzichten,  da  sie  den  Handschriften  2.  3.  5  verwandt  zu 
sein  scheint. 

Die  Affiliation  der  benutzten  5  Handschriften  dürfte,  ab- 
gesehen von  wahrscheinlich  viel  mehr  Mittelgliedern  als  ich 
angegeben  habe,  durch  folgenden  Stammbaum  darzustellen 
sein:  Original 


3     Venet. 


5 

Die  Lesarten  der  kürzeren  Recension  der  Sibylle  führe 
ich  an  einigen  Stellen  mit  der  Chiffre  B  bezeichnet  an.  Ich 
habe,  um  den  schon  sehr  umfangreichen  Apparat  nicht  zu 
sehr  auszudehnen,  Schreibfehler  einzelner  Handschriften  und 
einzelne  willkürliche  Aenderungen  der  Handschrift  5  als  be- 
deutungslos weggelassen.  Die  Glossen  habe  ich  mit  Ausnahme 
der  unter  3  erwähnten  nutzlosen  vollständig  mitgetheilt,  habe 
mich  aber  auf  Untersuchung  ihrer  Quellen  für  die  älteste 
Periode  und  ihre  Berichtigung  nicht  eingelassen.  Sie  geben 
in  der  Regel  die  richtige  Erklärung,  so  dass  ich  eine  Inter- 


1)  Siehe  über  die  Es.  Bandini,  Catal.   codd.  bibl.  Laurent.  III,  403; 
Archiv  XII,  723  f.;  SS.  XXIV,  837. 


Italienische  Prophetieen  des   13.  Jahrhunderts.  I.  155 

pretation  nur  da  hinzuzufügen  hatte,  wo  die  Glossen  fehlen 
oder  meiner  Ansicht  nach  irrig  erklären.  Uebrigens  bereitet 
die  Interpretation  mancher  Stellen  nicht  geringe  Schwierig- 
keiten, mir  ist  manche  unerklärlich  geblieben.  Auch  wollte 
ich  nicht  zu  viel  Zeit  und  Mühe  auf  diese  für  mich  neben- 
sächliche Arbeit  verwenden,  um  schliesslich  doch  eine  Er- 
klärung zu  finden.  Mag  Jemand,  der  mehr  Scharfsinn  und 
eine  genauere  Kenntnis  der  Zeitgeschichte  Friedrichs  II. 
namentlich  als  ich  besitzt,  sich  daran  versuchen,  wenn  er 
Interesse  daran  findet. 


Hic^  liber  est  extractus  de  libro  qui  dicitur 
Vasilographo^,  id  estimperialisscriptura,  quam^ 
Sibilla**  Erithea  Babylonica  condidit''  ad  petitio- 
nem  Grecorum  tempore  Priami  regis  Troie;  quem^ 
Vedoxas  peritissimus  pater  in  Grecum  transtulit 
de  Chaldeo  [sermone''],  tandem  de  erario  Ema- 
nuelis'  imperatoris  Grecorum^  eductum'  Eugenius"* 
regni"Sicilie  admiratusdeGrecotranstulit  in  La- 
tinum". 

Exquiritis  meP,  o  illustrissima  turba  Danaum,  quatinus 
Graiosi  eventus  Frigiasque  ruinas""  in  scriptis*  referam, 
quidve  proli  Laumedontidi'*  nobilissime",  quid  Dioneo** 
duci  pollitissimo,  quid  Teucricis^  edibus  iuvenceque^^  litigii» 


*)  Gl.  3:  Lnumedon  fuit  pater  Priami. 
'*)  Gl.  3:  s[ilicet]  Enee. 

a)  Incipiunt  excerpta  de  1.  2;  Extraeta  de  1.  3;  Excerpta  de  L. 
cod.  Laur. ;  Opusculum  istud  extractum  est  de  1.  4;  Prophetia  Sibille 
Erithee  extracta  de  1.  5.  b)  Vasilograpbus  2 ;    Vasiographia  3 ;  basi- 

leografi  Laur.;   Vasilographi  4;  Vasiliograpbi  5.  c)  quem  2;   qua  3; 

quod    4.  d)    Fehlt  2.   3.  5.    Laur.  e)    ad    p.  Gr.  t.  Pr.  r.   edidit 

2 — 5;   ad  p.  Gr.  edidit  Laur.  f)  So  Laur.;    quam   1.   2.  3.   5;  quod- 

que  4.  g)  de  Caldeo  sermone  in  Gr.  Doeopater  (so  2;  Doxapat  Laur.; 
Daxopetri  4;  Doetapater  5)  perit.  tränst.  2.  4.  5.  Laur.;  de  Caldeo  ser- 
mone dotabat  perit.  in  Gr.  tränst.  3.  Ob  etwa  hiernach  'Doxapater  peri- 
tissimus' zu  lesen  oder  die  Lesart  von  1  beizubehalten  ist,  scheint  mir 
nicht  sicher.  h)  Fehlt  1.         i)  Emanuhelis   1;  Emmanuelis   2.  5;  imp. 

Eman.  Laur.  k)    Fehlt  2  —  5.  Laur.  1)    edictum  3;    eductam   5. 

m)  Egenius  3.  n)  regi  2;  rex  5.  o)  in  lat.  vertit  et  incipit  sie  5; 

es  folgt  in  2  noch  roth:  'Incipit  liber  primus  prophetie  Sibille  Eryth'; 
in  4 :  'Liber  Erithee  sibille  incipit'.  p)  a  me  5  B; ;  mecum  ill.  Laur. 

q)  graves  2.  3.  4.  r)  minas  5.  s)  scripturis  3.  t)  Laudumendocidi  2; 
Laumedonti  4;  prolis  Laumedontis  5;  dontidi  1.  u)  nobilissimo  3,  wo 
der  Glossator  'eveniat'  übergeschrieben    hat.  v)  teutricis  2.   3;    theo- 

tricis   1;  teucris  4.  5.  w)  iuvenique  2;    inventique  3;    iuuenteque  4; 

universeque  lingue  5. 

1)  Die  'iuvenca  litigii'  ist  natürlich  Helena. 


156  0.  Holder -Egger. 

predestinatum  existat;  non^  omittamus  etiam,  quid  post 
Ylion*  pulverem  hyrcorum"  gradibus  generosis  orbique^pro- 
veniat,  ut  futuris  temporibus  cautum  existat*^.  Delphos <*•*** 
siquidera  Pellidem+  Oalcamque^++  transmittitis,  opus  huma- 
nuni consulitisf,  fictilem  deurn  exquiritis.  Numquids  ex  ipso 
ineffabilis''  conscientia  cognoscetur'?  Nunc  vero  sollicitatis 
ocium  puellare,  ut  extra  morem  solitum  summa ++^  dimensio 
propulsetur.  Nos  autem  contemplatione  in  altissimum  habita 
respondemus: 

Sudoris  opus  aggredimini'*,  o  Danay,  sollicitudinis  ^  et 
cruoris,  donec  X  pedes  premensurati  discurrant,  Ylion  de- 
pereat,  Laumedontidis'"  proienies  evanescat,  preda*""^  redeat" 
ad  Atridera'"^.  Precedet  siquidera  sanguinis  effusio  inesti- 
mabilis  Danaumque  exanimatio<>,  FrigiorumP  audacia,  donec 
dolor  inpudicus  Pellidera  urgeat,  duos  leones*"^  Laumedonti- 
desi  fortissimos  virtute  prosteruat:  fietque  Frigiis  animorura 
debilitatio^',  donec  virginalis  concupiscentia  Eaeidem  afficiat 
et    enervet.       Set     hyrcorum     calliditas    convalescet,    Ylion 


*)  Gl.   1 :  Ylion    est   palatium  Troie,    uude   ponit  partem  pro  toto.  — 

Gl.  3  :   s.  palacio  Troye. 
**)  Gl.   1  :  id   est  Grecorum,  quia  forte  colebant  ydolum  ad  similitudi- 

nem  hyrci;   in  3  nur:  s.  Grecorum. 
***)  Gl.    1:     Delphos    est    locus,    ubi    colitur    deus    Appollo,    ad    quem 
Greci,    cum   proposuissent  obsidere  Troiam,    miserunt  Pellidem,    ut 
responsum  acciperet,    quis    finis    obsidionis    esset   futurus.      Troiani 
vero    miserunt    ad    eundem    deum   Calcam.      Qui    recepto    response 
non  rediit  Troiam,  set  cum  Aclülle  proficiscens  in  obsidionem  Troie 
venit.     Utrasque  gentes  arguit  Sibilla  dicens,  quod  si  quem  deum 
consulerent  et  opus  humanum  requisiverint,  ex  quo  ineffabilis  con- 
scientia, scilicet  voluntas  Dei,  non  poterat  sciri.  —    Gl.  3:  Locus 
est,  ubi  colebatur  Apollo,    ad  quem  Greci  a  ductu  rithee  (so  cor- 
rumpiert  die  Hs.)  Troiam  (?  tiü  Hs.)    Achillem  et  Calcam  misere, 
ut  ab  Apolline  sensum  susciperet;  quos  Erithea  repreliendit. 
+)  Gl.  3:  id  est  Achillem. 
++)  Gl.  3:  s.  filius  Nestoris. 
+++)   Gl.  3:  id  est  consumenda. 
*+)  Gl.  3:  s.  Elena. 
**+)  Gl.  3 :  s.  ad  Menelaum. 
***+)  Gl.  3:  s.  Ectorem  (Octorem  Hs.)  et  Troylum. 
+*)  Gl.  3:  s.  de  Pellisena,  vel  quia  mortuus  fuerit  Achilles. 

a)  ex.  delfos  (getilgt)  ne  3.  b)  urbique  4.  c)  'auspicer'  fügt 

hinzu  5.  d)  Delfos  3;  Delfö  2.  e)  caldamque  1;  calchamque  4.  5. 

f)  Fehlt  5.  g)  nunc  quid  3;  nunquam  2.  h)  ineifabile  consilium  5. 
i)  cognoscitur  4.  k)  aggredimur  5.  1)  solliciti  sonus  2.  m)  'Laome- 
dontidis'  hier  1 ;  Laudumendontis  2  ;  Laumedontis  3.  4.  5.  B.  n)  reddeat  1.  4. 
o)    examinacio  2.  p)  Frigum  2;  Frigium   3;  Phrigum  4.  q)    Lau- 

demedontides  1;  Laomentocides  2;  Laudumedontides  3;  Laumedontidis  4; 
fehlt  5. 


Italienische  Prophetieen  des   13.  Jahrhunderts.  I.  157 

Frixque^   gloria   subvertetur;    Meonidesque^   vates   mendacia 
scribef^. 

Erit  tarnen  •*  Danaum  gloria  effusis^  lateribus  in  robore 
fortiori,  donec  post  Dioneum  ^  ducem  profugums  ducenti* 
pedes  pertranseant.  Reliquie  sanguinis  Frigii  condent"^  in 
constellatione  mirabili  sub  rege  aquatico**  Eneaden^  urbem*** 
plenam  litigiis'^,  et  avara  menia  construentur,  raptu',  mecbia 
et"  fratricidio  prelibata.  Crescetque"  paulatim  virtus  terri- 
bilis"  eius,  utP  orbem  concutiat,  subiciati  et  coneulcet "''. 
Set  et  manus  eius  pertimescent^^  Danay,  donec  hyreus  terri- 
bilis  sceptra""  concutiat^  Asye',  orbi  resonet  in  terrorem. 
Cuius  regnum^  XII+^+  pedibus  distinguetur^,  eiusque  dies^ 
aeonita'*+  concludenf^,  sceptrumque  eius  in  bis  sex  capita 
sese  vorantia^  dividetur  et  in  quatuor  convertetur^. 


*)  Gl.  3:  Hie  annos  iobanos(?)  non  solares  contra  limacum(?)  ponit 
et  tres,  septemque  digiti.  Die  Glosse  ist  verstümmelt  und  cor- 
rumpiert.  Die  letzten  Worte  beziehen  sich  darauf,  dass  die  zweite 
Recension  der  Sibilla  Erithea  die  Zeit  von  Troias  Zerstörung  bis 
zur  Gründung  Roms  auf  203  'pedes  (Jahre)  sexque  digiti'  (Monate) 
angiebt. 

**)  Gl.  1 :  Regem  aquaticum  dieit,  quia,  quando  Roma  fuit  condita, 
luppiter  erat  in  pisce,  cuius  natura  aquatica;  Saturnus,  Venus, 
Mars,  Mercurius  in  scorpione,  sol  in  tauro,  luna  in  libra,  ut  narrat 
Lucius  Tarentinus  peritissimus  mathematicorum.  Et  hoc  est  quod 
dicit:  'in  constellatione  mirabili'. 
***)  Gl.  3  :  id  est  Roma.  —  Gl.  1 :  Romam,  que  dicitur  Eneades,  pro 
eo  quod  Eneas  dux  Troie  profugus  cum  suis  sequacibus,  ut  refert 
Salustius,  condidit  eam  et  imposuit  ei  nomen  Eneadem.  Set  Ro- 
mulus,  iugulato  Remo  fratre  suo,  pro  eo  quod  murum  civitatis 
contra  statutum  suum  transiliit,  denominavit  eam  a  nomine  suo 
Romam. 
'^)  Gl.  3 :  donec  CLXXX  pedum  mensura  discurrant  (aus  der  zweiten 
Bearbeitung  der  Sib.   ebenso  wie  die  folgende  Glosse). 

■'■+)  Gl.  3:  reliquie  sanguinis  Frigii   gloriam  Danaum  pulveri9ent  [pul- 

veri^atur  Hs.] 
++■'■)  Gl.  3:  in  annis  solaribus. 

*+)  Gl.  3:  mortuus    est   veneno.      Die    ganze  Stelle   über    den   hyreus 
geht  natürlich  auf  Alexander  den  Grossen. 

a)  Frigiisque  3;  Frigiumque  5.  B.       b)  Meonides   1;  Meeurasque  2. 
e)  dicet,  und  übergeschrieben:  al.  sentit  3;  finget  5.  d)  enim  3  (wo 

gl.  D.).  5.  e)  extasis  5.  f)  Diomedem  5.  g)  Fehlt  3.  5.  h)  co- 
dent  2;    Frigi   sang,  comedent  3.  i)    Eneadum  4.  k)    Fehlt  5. 

1)    si    aptu   methia,  und  überschrieben:  al.  raptu    mecho  3.  m)  in  2. 

n)  Crescet  2.  o)  mirabilis  4.  p)  'ut  o.'  fehlt  3.  q)  Am  Rande 

ergänzt  2;    subiciatque    4.  r)    sceptrum  5.  s)    concuciet    2.  4. 

t)  Fehlt  5.  u)  potestas  5.  v)  distinguitur  2;  'et  dividetur'  fügt  hin- 
zu 3.  w)  Fehlt  2.  x)  concluderit  4;  concludetur  5.  y)  'distin- 
guetur'  setzt  hinzu  3.         z)  convertentur  2. 


158  0.  Holder -Egger. 

Set  et  pertimescent  universi  terrigene  nomen  Eneaden*, 
donec  leo*  Poenus''  rugiat  ferreamque**  potentiam''  con- 
culcet  in  cenum,  Leonem*"  vero  subvertet*^  homuncio.  Ex- 
inde  resurget  Eneaden^  superbia  Achivamqiie*  gloriam  pulve- 
ricabit^  et  tributa  deposcet,  servili  iugo  subponet;  Asyamque 
leo  pollitissimus+  coneutiet,  ad?  extremos  Indos  perveniet; 
quin  etiam**  Eneaden '  luxuria*'  pertinget'  Alanos++  lucidis- 
simo™  bachata  Bachirro"^^''^;  sentietque  potentiam"  eius  Sub- 
chirriusP*^  Vataliaque'i'"'^  Carbasea""  necnon  et  Pigmenides^ 

*)  Gl.  3:  id  est  Anibal. 

**)  Gl.  3:  id  est  Romanam. 
***)  Gl.  1 :  Leonem  appellant  Anibal,  qui  cum  missus  a  Romanis  Affri- 
cam  conquisisset,  rediens  cum  multo  navigio  Romam  obsedit; 
cumque  senatores  Romani  deliberato  consilio  substinerent  obsidio- 
nem,  Sipio,  quem  appellat  homunctionem,  quia  non  erat  de  numero 
senatorum,  obtulit  se  iturum  ad  portam  [wohl  'Portum']  per  viam 
subterraneam,  quam  Romani  fecerant  ab  antiquo,  et  inde  in  Affri- 
cam  capturus  eam,  utpote  bellatoribus  destitutam.  Cuius  animo- 
sitate  ab  omnibus  approbata,  data  est  ei  legio  militum.  Et  sicut 
statuerat,  ita  fecit.  Cum  autem  redisset,  captis  senibus  et  nobili- 
bus,  mulieribus  et  infantibus,  capud  Astrubal,  fratris  Anibal,  qui 
lerram  debuerat  cnstodire,  ad  tentorium  Anibalis  transmisit  et 
domnas  et  infantes  in  propugnaculis  Urbis  statuit.  Extrinseci  vero 
audientes  se  vocari  ab  uxoribus  et  filiis,  quas  domi  reliquerant, 
stupori  dediti  et  terrori  fuge  beneficio  [benefilio  Hs.]  adheserunt, 
Romani  vero  Sipionis  secuti  audaciam,  insecuti  sunt  Anibal  et 
exercitum  suum;  et  sie  raortuo  ['a'  folgt,  getilgt]  Anibale,  liberata 
est  Roma  audacia  Sipionis. 
+)  Gl.  3  :  id   est  Pompeius. 

+t)  Gl.  3:  Alani  sunt  inter  Indus  et  montes  Subcinus. 
+++)  Gl.  1  (zweimal  am  Rande):  Locus  inter  Indos  et  Sirtes,  ubi  Ro- 
mani constituerunt  ludum  luxurie.  —  Gl.  3:  Bachiri  locus  est, 
ubi  Romani  suspenso  uno  torquato  palustium  (!)  constituerunt  laudem 
luxurie  inter  Medos  et  Scithos.  Subciiinus  mons  est  terribilis  inter 
Paradisum  et  Alanos,  ubi  Romani  constituerunt  unum  ex  mundi 
climatibus. 

*+)  Gl.   1    (ähnlich    wie    oben    in    3):    Mons    terribilis   inter   Paradisum 
Ade    et   Alanos,    ubi    Romani    constituerunt    unum    ex    mundi    cli- 
matibus. 
**+)  Gl.   1:  Vatalia    locus    est,    ubi    dividuntur  IIII«""   flumina  Paradysi, 
et  vocantur,  ubi  [ut  Hs.]  coniuncti  labuntur,  Carbason,  sicut  Raba- 

a)  An  beiden  Stellen  ist  in  1  'Eneadum'  übergeschrieben,  und  hat  4 
wie  immer  'Eneadum'.  Die  Hss.  1.  2.  3  haben  meist  'Eneade',  mehrmals 
jedoch  'Eneaden',  selten  'Eneadem',  was  wohl  falsche  Auflösung  des  Com- 
pendiums    e   ist.  b)    Punicus  5.  c)    'debilitet  et'  setzt  hinzu  5. 

d)  subiiciat  5.  e)  Achiviamque  1 ;   achinamque  2.  3.  f)  pulverabit 

1.  4;  pulcrizabit  2.  g)  et  ad  3.  4.  5.  h)   et  5.  i)  ^^neadum  4 

immer.        k)  luxuriam   5.        1)  perunget  2.       m)  lucidissimos.    ßaccata  1. 
n)  bachiria   1;  bachino  3;  bacchino  5.  o)  potencia  3.  p)  subchir- 

rium    2;    subchimus    3;    ex    suchirius    5.  q)    nat.  2.  3.  5;    vatalia  4. 

r)  Carbasca  2;  Carbasica  4;  Carbasa  3.  5.       s)  Pigmenidos  3;  Pigmei  5. 


Italienische  Prophetieen  des   13.  Jahrhunderts.  I.  159 

brevitate  deformes.  Numquid  et  non  eius  vindicta  afficiet 
Britones^,  Germanieos ^  et  Hyspanos?  CoIchea<=-*  Garmentis^ 
exules  eius  excipiet*^,  Gethe  ^  obedient,  Syrtes  ^  indomiti  picei- 
que**  Ethiopes  tributa  persolvent'.  Indus"*  gemmas  et  aurum 
in  Eneaden  munuscula  conservabit,  ut'  humiliato  capite  suffra- 
gia  consequatur",  sie"  et  Medi  mollesque  Arabes  ac*'  seeptra 
Persarum. 

EruntP  itaquei  Danay  illorum  iugo  subpositi,  quos  pro- 
fugos  agitarant**.  Exinde  duo  leones'**  fortissimi  aput  cam- 
pos  Emathios  concertabunt,  unusque*"  superrugiet  altero''"  de- 
vorato.  Inde  taurus^^  pacificus  sub  leni*  mugitu  mundi  cli- 
mata  sub  tributo  concludet.  Cuius  diebus  agnus  celestis 
veniet,  de  quo  inferius  distinguemus '. 


nus  et  Salo  narrant.  —  Gl.  3:  locus  est,  ubi  dividuntur  quatuor 
flumina  Paradisi. 
*)  Gl.  1 :  Colchea  regio  est  seu  insula,  in  qua  est  mons,  cui  nomen 
Garmentis;  in  qua  erat  vellus  aureum,  quod  [quia  Hs.]  fuit  causa 
prime  destructionis  Troie,  quia  rex  videns  animositatem  nepotis 
sui  timuit,  ne  auferat  [auferet  Hs.]  ei  regnum.  Unde  suasit  ei 
quod  iret  ad  conquirendum  ipsum  vellus.  Et  cum  applicuisset 
Troie  cum  ipso  vellere,  Troiani  deiecerunt  eum  de  porta  eorum 
cum  obprobrio  et  pudore ;  quare  ipse  repatrians  exercitum  con- 
gregavit  et  destruxit  Troiam  prima  vice.  In  dieto  vero  monte 
constituerunt  postea  Pompeius  et  Scaurus  artuni  carcerem  pro  ex- 
ulibus  carcerandis.  Et  hoc  est  quod  dicit:  'Golchea  Gar.  ex.  eius 
exeipiet',  id  est  Rome.  —  Gl.  3:  Garomentis  est  mons  in  Calco 
[so  Hs.  für  'Colchi']  insula,  que  olim  continebat  velum  aureum, 
cuius  virtute  Pompeius  et  Scaurus  Pantheon  constituerunt,  ante  ad 
exilium  carcerem  construxerunt,  ubi  Marcum  Sebastium  virum  illu- 
strissimum  cunctam  vitam  suam  relegavit,  ibique  Lucias  secutus  (!) 
sub  Antonio  Cesare  exulavit;  demum  sub  Octaviano  Cesare  Xaso 
poeta  et  Lucius  maliloqus,  natione  Sacinatus,  diversis  temporibus 
tantum. 

**)  Gl.   1:  Quia    destruendo  Troiam   fecerunt  Greci    profugos    illos    qui 
condiderunt    Romam    et    Grecos    servitutis    tributarie    iugo    suppo- 
suerunt. 
***)  Gl.  3:  id  est  Julius  et  Pompeius. 
■f")  Gl.  3:  id  est  Pompeio. 

+''■)  Gl.  3:  id   est  Octavianus  imperator. 


a)    Britanos   3.  4;    Britannos  5.  b)    Germanos    3.  5    (wo  'et  G.') 

c)  Cholcheaque  3;  Cholehea  siquidem  2;  Clara  siquidem   5.  d)  garo- 

mentis, nachher  übergeschrieben:  al.  garmentis  3;  gammetis  5.  e)   ex- 

equet  4.  f)    Gete  2.  5;  Gete  3.  g)   Sices  2;   Sirthes  4;  et  s.  5. 

h)  purique  3;  pitrique  et  5.  i)  persolvunt  5.  k)  in  3.  I)  et  5. 

m)  consequetur  5.  n)    sicque  4.  o)  et  1.  p)  Davor  hat  2  die 

Ueberschrift:   Recapitulacio  ad  subiugacionem  Grecorum.  q)  utique   1. 

r)  inique  superurget  unus  5.        s)  levi  2;  leonis  3.       t)  distinguemur  4; 
*de   —   dist.'  fehlt  5. 


160  0.  Holder -Egger. 

Venient  autem  dies,  quibus^  virtus^  mundationis  *  illu- 
stretur  in  aquis,  et  leo  monarchus<=**  convertetur  ad  agniim, 
qui  orbem''  illustret  et^  regna  subvertat^.  GallusS-*'*  ovis 
accubans'*  modicis  leonis  spolio*  vestietur,  nigrum  convertetur 
in  rubrum.  Evanesceut'^  Eneaden  simulacra,  virtus  et  super- 
ficies'; alter""  cultus  adveniet,  alter"  cultor;  set  et"  de  simu- 
lacris  duo^,  de  viciisP  totidem+^  in  eternumi  in  Urbe,  et  ad 
primam  originem  convertentur"". 

Hinc  Eneaden  gloria  inBicanciam*  deducetur^  Eritque 
nidus  delicatissiraus,  qualis  non  fuit.  Robustura  decus  in 
muliebrem  molliciera"  convertetur.  Eruntque^  Danay  in 
robore  delicato  usque  ad  leonem^^+  LX  pedum^^,  douec  catulos 
eius  ursus'^  devoret,  optimates  Birancenos^  obtenebret>- ', 
decus  decalvet  femineum;  hinc  aquila^  despecta  ursum  devoret, 
aquilam''  hyrcus"^  obtenebret,  pullum^-***+  voret  aquile,  san- 

*)  Gl.  3:  8.   de  baptismo  vel  de  mundanda  lepra  Constantini. 
**)  Gl.  3:  s.  Constantinus  iinperator. 

***)  Gl.  3:  s.  Silvester  papa.  —  Gl.  1:  Per  gallum  intelligo  Silve- 
strum  papam,  per  ea  que  consecuntur:  'in'  tertii  'leonis  spolio 
vestietur',  id  est  Constantini  spolium  induit,  quando  mundatus  a 
lepra  privilegiavit  ecclesiam  et  dotavit.  Qui  Silvester  cum  prius 
haberet  habitum  nigrum,  eo  deposito,  sumpsit  liabitum  rubrum 
Constantini,  et  hodie  scrvatur  et  est  Lactenus,  quod  domnus  papa 
induit  rubrum.  Et  hoc  est  quod  dicit:  'nigrum  convertetur  in 
rubrum'. 
+)  Gl.  3:  s.  Mars  et  Mammona. 
T+)  Gl.  3:    s.    superbia    et    ingratitudo,    que    semper    fuerunt    Rome    et 

erunt. 
+++)  Gl.  3 :  id  est  Munucule.     Es  ist  Manuel  Comnenus  gemeint.     Die 
Sib.  giebt  ihm  irrig  60  Jahre  (pedes),   während    er   nur  von  1143 
— 1180.  regierte. 
*+)  Gl.   3:    s.  Andronicus    tutor    filiorum    Emanuelis    et   pupillos    deca- 

pitabit  et  sibi  dyadema  imperii  arrogabit. 
**+)  Gl.  3 :  s.  Alexius  frater  eius. 

*"*+)  Gl.  3:  s.  Alexium  filium  Ysaac.  Die  Sib.  irrt  aber,  indem  sie 
meint,  dass  Alexius  III.  den  Alexius  Sohn  Isaacs  getödtet  hätte. 
Unten  S.   164  heisst  es  richtig:  'pullumque  abiget'. 

a)  'signum  mundacionis  erit  mirabiliter'  fügt  3  hier  aus  der  zweiten 
Bearbeitung  der  Sib.  ein.  b)  'eius'  fügt  hinzu  3.  c)  monachus   1. 

d)    Omnibus  5.  e)   Fehlt  5.  f)    subvertet  5.  g)  Salus  eius  5. 

h)  accumbans  2;  titubans,  mit  Gl.  'subditus'  3;  acc.  ovis  4.  i)  spoliis 
3.  5.  k)  Evanescet  4.  1)  superficiet  3.  m)  alterius  5.  n)  et  a.  3. 
o)  Fehlt  2.  3.  4.  p)   Fehlt  2;    devictis  4.  q)   tercium  3;    usque 

in  et.  5.  r)  convertetur  2.  3.  s)  Bisanciam  2;  Bisantium  4;  Bic^an- 
cia  3;  Bisantia  5.  t)  convertetur  1.  u)  Fehlt  5.  v)  Erunt  2.  3.  4. 
w)  pedem  2;  pedes  4.  x)  Bisanceos  4:  Bisantinos  5.  y)  obtene- 

brescet  1.         z)  aquila  3.         a)  et  p.  5. 

1)  Vgl.  hiezu  Salimbene  a.  1181:  Denique  (Andronicus)  multos  Gre- 
cos  nobiles  interfecit,  sed  et  plurimos  excecavit.         2)  Isaac  Angelus. 


Italienische  Proplietieen   des    13.  Jahrhunderts.   I.  161 

guis  effusus  physis  offendiculum*  in  conspectu  trinodi  numinis 
clamitet^,  fietque  potantium  in  aquis  Adriaticis+*  cougregatio ; 
ceco  preduce^*  hyrcum  abigent,  Bicanciam''  prophanabunt, 
edificia  denigrabunt,  aurum  eius  per'^  orbera  et  spolia  disper- 
gentur.  Virgines  humiliabuntur,  optimates*^  eius  decalvabuntur, 
hyrcus*"  non  balabit,  gallus  non  cantabit,  usque  dum^ 
XLIIIP^'f  pedes+  novemque»  polices^''' semique^  premensurati 
discurrant,  aquila+++  triceps  volet  et  revolet,  hyreus  iugalis  in 
Bicanciam'  reducetur»,  sicut  inferius  distinguemus. 

In*^  ultima  autem^  etate  humiliabitur  Deus,  et""  humana- 
bitur"  proles  divina,  iungetur  humanitati  divinitas",  iacebit  in 
feno  agnus,  et?  puellari  officio  educabitur  Deus  et  bomo. 
Signa  "■'■  precedent  apud  Apellas**+,  mulier  vetustissima  pre- 
sciumi  concipiet,   Bootem  >■•***+  orbis  mirabitur,    ducatum  pre- 

*)  Gl.  3:  id  est  peccatum  conti-a  natm-am. 
+*)   Gl.  3:  s.  Veueciis. 

**)  Gl.  3:    s.  duce  Venetorum,    qui    erat    cecus.     (Heinrich  Dandolo.) 
***)  Gl.  3:  s.  Imperator  Grecus. 

+)   Gl.  3:  id  est  anni.  ++)  Gl.  3:  id  est  menses. 

+++)  Gl.  3:   Hee  cecinit    de    imperatore    Friderico,    propterea   recapitu- 
lantur  inferius. 
*^)  Gl.  3:  Crisostomus*  dicit   super   illud   Mat. :    'Cum    natus'   et   cet., 
quod    Stella    precessit   nativitatem    Christi    per    annum,    licet    Agu- 
stinus  dicit  contrarium  [gnü  oder  snü  Hs.?  statt  ^riü]. 
**+)   Gl.   3:  Apelles  vocantur  Ebrei.      Oracius^:  'Aruit  ludeus  Apelles', 
id  est  sine  pelle,   circumcisus. 
***r)  Gl.    3:    id    est    novam    stellam ;    unde    Lucanus  ■♦:    'moturos    virga 
bootes'. 

a)  clamitent  1.  2.  5.  b)  Bi^ancia  3;  Bisantium  4.  5.  c)  'per  o.' 
fehlt  4.  d)  'opt.  —  balabit'  fehlt  5.  e)  Fehlt  1.  f)  XIIII  3. 

g)  octoque  1;  novem  5.  h)  Fehlt  5.  i)  Bi(;ancia  3;    Bisantia  5  ; 

Bisantium  4.  k)  Hiervor  in  2  die  Ueberschrift:  'Generalis  recapitulacio 
ad  id  quod  dixerat  de  agno'.  1)  Fehlt  4.         m)  'et'  fehlt  1;  'et  hum.' 

fehlt  5.  n)  'humiliabitur'  wiederum  4.  o)  deitas  5.  p)  Fehlt  5. 

q)  previum  2;  presidium  3;  fehlt  5;  'i.  puerum'  später  hinzugefügt  1. 
r)  boetem   1.  4;  boortem  2. 

1)  Eeehnet  man  von  der  Eroberung  Constantinopels  (1204,  Apr.  12) 
44  Jahre  und  91/2  Monate  hinzu,  so  kommt  man  auf  Ende  Januar  1249. 
Welches  Ereignis  da  der  Verfasser  im  Auge  gehabt  haben  kann,  ist  mir 
ganz  unerklärlich.  Allerdings  kehrt  ein  Theil  dieser  Worte  unten  unter 
der  Friedrich  IL  gewidmeten  Partie  S.  168,  wie  die  Glosse  sagt,  ein  Theil  an 
anderer  Stelle  S.  165  wieder.  Auch  da  weiss  ich  sie  nicht  zu  erklären.  Con- 
stantinopel  wurde  bekanntlich  1260  von  den  Griechen  erst  wiedergewonnen, 
später  als  die  Sibylle  verfasst  ist.  2)    Opus  imperf.  in  Math.  hom.  2, 

Opera  ed.  ß.  de  Montfaucon  VI,  xxviii.  Das  Werk  ist  bekanntlich 
nicht  von  Job.  Chrysostomus,  obgleich  man  es  im  Mittelalter  allgemein 
annahm.  Es  heisst  dort,  dass  der  Stern  zwei  Jahre  vor  Christi  Geburt 
erschien.  3)  Sat.  I,  5,  100,  wo  bekanntlich:  'Credat  ludaeus  Apella'. 

4)  Die  Worte  finde  ich  bei  Lucan  nicht. 

Neues  Archiv  etc.     XV.  2  2 


162  0.  Holder -Egger. 

stabit  ad  ortum.  Hie  Habens^  pedes  XXXIIP*  sexque  polices 
eliget  sibi  ex  piscatoribus  et*"  deiectis  numerum*=  duodenarium 
unumque  dyabolum;  non  in  gladio  beliove  Eneaden  urbem** 
regesque  subiciet^,  set  in  hämo  piscantis.  In  deiectione  et 
pauperie  ^  superabit  divieias,  superbiam  eonculcabit.  Morte 
propria  raorluos  suscitabit,  et  cum  mactabitur,  vivet  et  regna- 
bit.  Et»  consumabuntur  omnia*^,  fietque'  regeneratio'';  bonos' 
iudicabit  et  malos.  Hinc  quatuor  animata""  animalia*  surgent 
in  testiraonium,  nomen"  agni  tuba"  concinent,  serentes?  iusti- 
ciara  legemque  irreprehensibilem^  cui  contradicefi  bestia" 
siraul''  et  abhominatio*'*  spumeque^  draconis '. 

Set"  surget  Stella  +  mirabilis  IUI*"'  animalium  habens 
ymaginem,  eritque  in  tuba^'  mirabili,  Danaos  illuminabit,  orbem 
illustrabit.  In  Eneaden  latus  *^  piscatoris  nomen  agni  usque 
ad  fines  soculi  virtute  perducet.  Inde  in  Eneaden  iuncta"' 
vinctos  a  dyabolo  liberabit.  Hie'^  gladiabiturv,  moriens  illu- 
strabitur.     Porro  gloriosus  exitus  eins. 

Erif-  autem  bestia  horribilis  ab  Oriente  veniens%  cuius 
rugitus  usque  ad  gentes  Punicas++^  audietur,  cuius  capita*^ 
VII^™,  sceptra*^  innumera,  pedes  sexcenti  sexaginta  tres^. 
Hic'^  erit  contradicens  agno,  ut  blasphemet  testamentum  eins, 
augens  draconis  aquas*+.  Reges  autem  et  optimates  seculi 
erunt^  in  sudore  terribili,  et  non  diminuent  pedes  eius.  Stelle- 
que*'^  due  consimiles    prime   insurgent   contra  ipsara*^  et  non 


•)  Gl.  3 :  id  est  quatuor  evangeliste. 

•*)  Gl.  3:  s.  Maeomettus. 

***)  Gl.  3:  id  est  Antichristus. 

+)  Gl.  3:  s.  Paulus. 

+T)  Gl.   3:  id  est  collateralis. 

T++)  Gl.  3:  id  est  Africanas. 

*+)  Gl.  3:  id  est  incredulos  contra  Cliristum. 

**+)  Gl.  3:  s.  duo  ordines,  de  quibus  inferius  dicemus. 

a)  habet  3.        b)  'et  d.'  fehlt  4.         c)  duod.  num.  3.        d)  orbem  2. 

e)  subiciat  1.  f)  pauperi  2;  paupertate  3.  g)  'cum'  setzen  hinzu 
2.  4.  h)  haec  o.  5.  i)  fiet  4.  k)  'ultimo'  setzen  hinzu  3  (wo 
rege).  5.  1)  'quoque'  setzt  hinzu  4.  m)  alata  2.  3  (wo  'an.  al.').  5. 
n)  nomine  2.  o)  tubis  5.  p)  scientes  3.  q)  contradicere  1 ; 
contradicit  3.  r)  similis  3 ;  fehlt  6.  s)  et  spuma  4.  t)  dyaboli  3. 
u)  Et  1.  v)  turba  5.  w)  vineta  2;  iüta  uitos  3.  x)  hinc  2,  4. 
y)  gloriabitur  3.  z)  Hiervor  Ueberschrift  in  2:  'Recapitulatio  singu- 
laris  ad  ea  que  dixerat  de  bestia'.  a)  Fehlt  3.  b)  'silieet  vicia' 
fügt  hinzu  3.           c)    sceptraque  2.  3.  5.           d)    hinc  2.  e)    exuret  5. 

f)  ipsas  2;  'bestiam'  setzt  hinzu  4. 

1)  Der  Verfasser  glaubte  irrig,    dass  Mohammed    663  nach  Chr.  ge- 
storben sei. 


Italienische  Prophetieen  des   13.  Jahrlmnderts.  I.  163 

optinebunt,  usque  dum  veniat  abhominatio*,  et  voluntas  altis- 
simi^  consumetur,  sicut''  inferius  distinguemus. 

Porro  leo**  fortissimus  ab  occidente<=  rugiet  coloris  cele- 
stis,  maculatus  auro,  cuius  capita  V***  pedesque  quingenti. 
Irruetque  in  bestiam«*  et  conteret  vires  eius.  Caudam+  vora- 
bit  bestie,  pedes"^  et  capud  omnino  non  ledet.  Hinc  morietur^ 
leo,  hinc  confortabitur?  bestia,  regnabit  et  vivet,  usque  dum 
abhominatio  veniat.  Et*'  post  abhominationem  revelabitur 
veritas,  cognoscetui'  et  agnus,  cui  leones*  et  regna  eolla  Sub- 
mittent; et  erunt  universi  terrigene  convenientes  in  unum,  ut'^ 
unum  ovile  subeant  et  virga  regantur  in  una;  et  modicum 
tempus  erit. 

Venient'  autem  dies,  ut  conteratur  Danaum  gloria  et 
iterum  restauretur,  set  non  in  statu  priori,  cum"'  extollentur" 
in  superbiam,  ut  recedant"  ab  agnoP  et  ovile  aborreant<i  per 
devia  recedentes;  eritque  scelerura  aggregatio'". 

Erit  in  diebus  postremis  psitacus'  daiis  iura  Sicuh's, 
habens  pedes  XXXIII  et  gallinam'  sine  pullis'.  Hic++  mittet 
ex  lateribus  suis,  irruentque"  in  hyreos,  vorabunt,  destruent 
et  evellent,  donec  ursus+++  rugiat,    cuius  ^  pedes  tres  semique, 

*)  GL   3:  s.  Anticliristus. 
**)  Gl.  3 :  s.  Karolus  imperator  Magnus. 

***)  Gl.   3 :  s.  regnum  F'iancorum,    regnum  Ytalicum,    regnum    Britanie, 
quod  acquisivit  repulsa  sorore,  regnutc  Arelatense   seu  pars,  quam 
acquisivit,  et  Yspaniara,  et  sunt  quinque  regna.      (Die  Zahl  seiner 
Regierungsjahre  ist  zu  hoch  auf  50,  statt  46  angegeben). 
+)   Gl.  3:  s.  Yspaniam.  ^ 

++)  Gl.  3  (deren  Anfang,  wie  es  scheint,  fehlt):  et  modo  [M  Hs.] 
divertit  se  ad  aciem  maximam,  quam  subiecerunt  Greci  propter 
exercitum  missum  a  rege  Guillelmo  tempore  Andronici;  quia  An- 
dronicus  misit  exercitum  Grecorum  contra  exercitum  regis,  et 
succubuerunt;  set  revera  interfectus  est  Andronicus  et  sublimatus 
Ysaac,  exercitus  regis  prodiciose  [inprodiciose  Hs.]   captus. 

"'■■fT)  Gl.  3:  Andronicus  ad  regna  se  regere  [so  corrupt  die  Hs.],  quia  tribus 
annis  et  dimidio  regnavit,  postquam  plures,  de  quibus  determina- 
verat,  decapitavit.     (Vgl.  oben  S.   160). 

a)  domini  5.  b)  's.  inf.  dist.'  fehlt  5.  c)  'veniens'  setzt  hinzu  5. 
d)  bestia  3.  e)  caput  et  pedes  3.  f)  monetur  1;  'm.  1.  h.'  am  Rande 
ergänzt  2.  g)    b.   conf.   et  r.  3.  h)  'Et  —  revelabitur'  fehlt  4. 

i)  regiones  5.  k)  'et'   corrigiert  in  'ut'   1;    'ut  u.'  fehlt  3;  'unum'  fehlt 

2.  5.  1)  Veniet  2.  3.  4.  —  In  2  hiervor  die  Ueberschrift:  Recapitu- 
lacio  ad  ea  que  dixerat  de  capcione  Bizanzie  et  restauracione.       m)  Fehlt 

3.  5.  n)  extoUeretur  1  ;  extolletur  3.  o)  occidant  5.  p)  agnis  3. 
q)  oberrant  2.  r)  congregatio  1.  s)  'phsitacus'  immer  1.  t)  gal- 
lina  3.         u)  irruetque  4.         v)  natus  3. 

1)  Es  ist  König  Wilhelm  II.  gemeint,  der  von  seiner  Gemahlin 
Johanna  von  England  keine  Kinder  hatte,  aber  nur  23  Jahre  (1166 — 
1189),  nicht,  wie  der  Autor  meint,  33  Jahre  regierte. 

11* 


164  0.  Holder -Egger. 

et  comprehensa  ^  aquila,  cuius  nomen  Y.^-i,  scripta  V  apici- 
bus,  inextiraabiliter'^  sibilans<^  ministrum  iniquitatis  destruat, 
ursura  conterat,  capud  evellat,  sceptrura  eius  possideat,  latera 
psitaci  hyrcina**  calliditate  abigantur^'*. 

Eritque^  alia«  gallina  generis ''•***  eius,  cui  dabit  gallum 
Germanicum.  Hie  descendet  in  rugitu'  sicut  ursus,  evim  de- 
vorat  carnes  optiraas,  hereditatem  psitaci  possidebit,  filios"^ 
regis  appositi'-^  obtenebrabit,  gloriam  Siculorum  annullabit, 
donee  tres'"  pedes  sexque"  polices  consumentur.  Oculos  eius 
gallina  claudet  supervivetque"-^. 

Post  hec  autem,  cum  aquilamP-^  obtenebrabit  liyrcus^^ 
puUumque^^^  abiget  *>,  ascendenf  in  conspectu  altissimi  Bican- 
cie^  scelera,  et'  trinodum  numen"  effusum  sanguinem  et 
physis  ofFendiculum  abhominabitur,  et  reliquie-^  destructionis^ 
ursi  LXX  pedes  ^  conducent  per  aquas  Adriaticas  filium 
aquile  et  potantes^  paucissimos>'  sponseque  latus  ^;  et  cum 
pullus  vorabitur^-Sj   corrucnt  in  Bicanciani^,  decus  et  gloriam 


*)  Gl.  3:  id  est  executione  Andronici. 
**)  Gl.  3:  s.  propter  perditionem   baronum. 
***)  Gl.  3:  s.  imperatiix  (Constanze,  Gemahlin  Heinrichs  VI.) 
+)  Gl.  3 :  s.  post  mortem  Henrici  imperatoris  sexti. 
++)  Gl.  3:  s.  Alexius. 

+++)  Gl.  3:  s.  Alexium  filium  Ysaae.  (Vgl.  oben  S.  160.) 
*+)  Gl.  3:  id  est  Venetiei,  qui  destructi  fuerunt  olim  ['ab'  zu  ergänzen] 
urso  LXX  pedum,  silicet  a  Tutila,  de  quo  narrat  ['Gregorius'  ist 
wohl  zu  ergänzen]  in  tercio  libro  ['Dialogorum'  wohl  zu  ergänzen]. 
Totila  ist  hier  mit  Attila  verwechselt,  aber  auch  so  ist  diese  Er- 
klärung schwerlich  richtig. 

a)  compressa  2.  4;  compossa  3.  b)   .X.  2;  'nomen  Y'  fehlt  3, 

wo    'V  scripta'.  c)    'sib.    —    conterat'    fehlt  2;    'ut'    setzt    hinzu    5. 

d)  hirci  4;    hyrcinam  colliditur  5;  yrcina  calliditatem  3.  e)  'anibig.' 

corr.    in    'abig.'    1 ;    fehlt   3.  f j     Hiervor    in    2    Ueberschrift :     Item 

recapitulacio    ad    psitacum.  g)    altera    2.    3.    5.    B.  h)    coloris    5. 

i)  rugitum  4.  k)  filiosque  4.  1)  oppositi  3.  m)  sex  1;  fehlt  5. 

n)  pol.  sexque  4.  o)  supervenietque  5.  p)  aquila  3.  q)  abigerit  4. 
r)  ascendet  1.  s)  Bisancii  4.  5.  t)  Fehlt  4.  u)  numer  1;  vinum  2; 
numerum  3.  v)  Fehlt  1;  'destr.   —  aquile'  fehlt  3.  w)  pedum  5; 

unten  S.  167  'pedis'.  x)  potestates  3;  portantes  5.  Dass  'potantes'  die 
richtige  Lesart  ist,  wird  durch  die  Stelle  oben  S.  161  bestätigt.  Es  ist 
eine  absichtlich  verdunkelnde  Wortverdrehung,  wie  so  viele  andere  hier. 
Bedeuten  soll  es  wohl  die  'principes'  des  Kreuzzuges.  y)  paucissimas  4. 
z)  vocabitur  3.         a)  Bisancium  4;  Bisantio  5. 

1)  Ysaae  Angelus.        2)  Tancreds.        3)  Das  ist  Ysaac  Angelus,  wie 
oben.  4)  Den  Cardinallegaten,   aber   ein  solcher  nahm  an  dem  Zuge 

selbst  nicht  Theil.  Peter  von  Capua  kam  erst  später  im  J.  1204  aus 
Syrien  nach  Constantinopel.  5)   Alexius  IV.     Er  wurde  am  8.  Febr. 

1204  von  Murzuflus   getüdtet. 


Italienische  Prophetieen  des   13.  Jahrhunderts.  I.  165 

subvertent  ipsius;  denigrabitur^  aurum,  sanctum  prophana- 
bitur,  flammis  tradentur  edificia,  decus  femineum  decalvabitur, 
et  ve  resonabit  undique.  Excipiet"  columpna  vindictam*; 
non  erit  hyrcis'^  dux  auf^*  gallus  in  Bicanciam^;  nee«  erit  pax 
nee«  consolatio  nee  f  decus,  set  derisus  et  siibsannatio,  usque 
dum  XLIIII'"'  pedes  novemque  ?  poliees  semique  pertranseant  ^ 
Et  hoc  erit  signum**. 

Venient  in  postremis  diebus  due  stelle  lucidissime***,  de 
quibus  prediximus  ^,  in  peccatis  mortuos  suscitantes,  similes 
stelle  priori +,  quatuor  animalium  habentes  faciem,  resistentes 
bestie,  de  qua  dixiraus,  aquisque  draconis  annunciantes  nomen 
et  legem''  agni,  abhominationis  excidium*  et  examen,  mino- 
rabunt''  aquas  draconis',  set  debilitabuntur  in  panis  afflictione™ 
et  exurgent  in  robore  fortiori. 

Et"  veniet  aquila++  habens  capud  unum  et  pedes  UK^, 
cuius  color+++  sicut  pardi,  pectus  sicut  vulpis,  et  cauda  sicut 
leonis^,  et  dicet:  'pax',  ut  pacifice  capiat.    Mamilliso-*^  sponse 


')  Gl.  3 :    qiiod    fiiit  in  Mortifero  [lies :    Morciflo],  qui  fuit  precipitatus 
per  colunipnam  per  comitem  Flandie. 

**)  Gl.   1 :    silicet    in    mundo,    antequam    restituatur    Constantinopolim, 
quia   venient   due    stelle.    —    Gl.  3 :   videlicet   restaurationis,  silicet 
quod  sequitur  de  duobus  [so  Hs.]    stellis. 
***)  Gl.   1 :  duo  ordines  religiosissimi. 

+  )  Gl.  3:  s.  Paulo. 

^^)  Gl.  3 :  s.   imperator  Fridericus. 
■*■++)  Gl.  1 :  id    est   varius   in   sermonibus   et    operibus,    liniendo    blandis 
sermonibus,    ut   sua   mala  opera    non  appareant,    vel   quia   in   fine 
ferocior  erit. 

*+)  Gl.  1 :  Mamillis  sponse  agni  lactatus  est  Fr.,  quia  mortuo  Henrico 
imperatore  Constantia  mater  eius,  cum  ipsa  moreretur,  recommen- 
davit  eum  ecclesie,  quem  tamquam  filium  edueavit;  Ottonem  impe- 
ratorem  deposuit,  hunc  ad  ultimum  provexit  ad  Romani  imperii 
diadema.      Et    hoc  est  quod  dicit:   'usque    dum  accrescat  ei  capud 

a)  denigrabunt  3.  b)  Excipietque  2.  4.  c)  hyrcus  1.  4.  c*)  et  4. 
d)    Bigancia  3;    Bisantium    4;    Bisantio    5.  e)    non    5.  f)    aut  4; 

non    5.  g)    octo    3.    5.  h)    n.    legemque    3.    5;     n.    agni    et    1.    4. 

i)  'meritorum'  setzt  hinzu  4.        k)  minorabit  4.        1)  Fehlt  5.  m)  affli- 

tionem  et  exurget  4.    "      n)  Hiervor  Ueberschrift  in  2 :  Item  recapitulacio. 
o)  Mamillas  4 ;  mamillae  5. 

1)  S.  oben  S.  161,  n.  1.  2)  Oben  S.  162  f.  3)  Auch  diese  Zahl  ist 
falsch,  denn  Friedrich  II.  wurde  nicht  ganz  volle  56  Jahre  alt,  er  regierte 
in    Sicilien    (das    ist    das    erste    caput)    nicht    voll  53  Jahre.  4)  Diese 

Worte  sind  Apoc.  13,2  nachgebildet,  wo  es  von  der  bestia  de  mari 
ascendens,  welche  schon  Innocenz  IV.  in  seinem  berühmten  Schreiben  mit 
Friedrich  II.  verglich,  heisst:  similis  erat  pardo,  et  pedes  eius  sicut  pedes 
.  ursi,  et  os  eius  sicut  os  leonis.  An  verschiedenen  Stellen  der  pseudo- 
joachitischen  Schriften  wird  diese  bestia  ernsthaft  auf  Friedrich  II.  gedeutet. 


166  0,  Holder  -  Egger. 

agni  lactabitur,  usque  dum  accrescat  ei^  capud  raaius  in  Ene- 
aden  terciumque  minus,  eruntque  sibilantia*  a  Germanicis 
usque  Tyrum.  Et  dabitur  ei  galliua  una  ex  Mauris»  alteraque 
Orientalist,  et  duo  pulIi-*,  ex  quibus  vorabit''  unum-*,  set** 
reviviscet,  sicut"^  inferius  distinguemus  5.  Et  tercia  gallina 
Britannica*,  parietque  pulium  et  iterum  et^  iterum.  Et  quarta 
Germanica,  que  pariet  pulium  et  iterum '.  Et  quinta  Galli- 
cana*',  de  qua  inferius  distinguemus  f. 

Porro  secus  Eridanum  nidus  eius  VII  scribetur  litteris*, 
cuiusS  receptaculo'^  Ligures'"  eoaraque'  zonam  conteret  armis*^ 
modicis,  calliditate  plurima.  ]\Iediumque  capud  +  Ligurum 
tenui  bello  quassabit  propter  blasphemantes  agnum »  et  propter 
peccata.     Secundus^^   nomine',    tercius    numero    exurgef"    in 

maius',  id  est  Romanura  imperium,  'terciumque  capud  minus',  id 
est  regnum  lerosolimitamim.  Et  sie  est  aquila  triceps,  id  est 
habens  tria  capita,  id  est  tria  regna. 

*)  Gl.  1 :  silicet  ipsa  tria  regna,  quia  ipse  scribet  se  imperatorem 
Roraanum,   regem   lerusalem  et  Sicilie. 

**)  Gl.  1 :  in  filiis.  Aber  die  Stelle  bedeutet  wohl  vielmehr:  Es  wird 
dem  Kaiser  ein  anderer  Sohn  Namens  Heinrich  geboren  werden. 
***)  Gl.  1 :  Quidam  dividunt  Lombardiam  in  quatiior  partes,  silicet 
Liguriam,  Emiliam,  Alpes  Cocie  et  Flamineam,  asserentos  Liguriam 
quicquid  est  inter  Adam  et  Lambrum,  Emiliam  quicquid  est 
a  Ticino  [Ricino  Hs.]  ultra  Padum  versus  meridiem  usque 
Renum  et  usque  mare;  Alpes  Cocie  a  Macra  usque  ad  vallem 
lüde,  in  qua  est  civitas  Victimilia.  Reliquum  vero  dicunt  Flami- 
niam.  Alii  autem  dicunt,  et  forte  melius,  Liguriam  partem  Ytalie, 
cuius  confinia  sunt  Verona,  Mantua,  Ferraria,  Bononia,  niontes 
convicini  Bononie  usque  Limum  comprehensis  ipsis  montibus  exclu- 
sive,  mare  Ligusticum  usque  ad  vallem  lüde,  Taurinum,  Cumas  et 
frons  Theotonie  usque  Veronam.  Huic  oppinioni  videtur  consonare 
quod  sequitur  in  textu:  'portas  Ligurum  cohartabit",  nisi  forte  per 
portas  Ligurum  civitas  lanua  non  immerito  intelligatnr. 
+)  Gl.  3   (die  aber  an  falscher  Stelle  steht):  s.  Mediolanum. 

++)  Gl.  1  :  Quia  duo  tautum  fuerunt  de  domo  sua  Fr.,  quorum  nutritus 
ab  ecclesia  est  secundus,  tercius  numero,  quia,  cum  de  domo 
Viporengorum  [inporengorum  Hs.]  fuerint  tres  imperatores,  filius 
ecclesie,  immo  privignus,  est  tercius.  —  Gl.  3 :  s.  in  nomine  a  primo 
Friderico. 

a)  eius  maius  caput  3.  b)  vorabunt   1.  c)  's.  inf.  dist.'  fehlt  5. 

d)  Das  zweite  'et  it.'  fehlt  2.  3.  4.  5.  c)  gallina  4.         f)  'de  —  dist.' 

fehlt  5.  g)  eius  5.        h)  receptaculum  4.        i)  eamque  2 ;  Romaque  3 ; 

Italiam  4.  k)  annis  4.  1)  Fehlt  2.  3.  4,  5;  aber  siehe   die  Glosse 

in  3.        m)   'vero'  setzt  hinzu  2.   5;    ex.   num.  vero  4;   'enim'  setzt  hinzu  3. 

1)  Constanze  von  Arragonien.       2)  Isabella  (lolanthe)  von  Jerusalem. 
3)    Heinrich    und    Konrad.  4)    Indem    er   Heinrich     gefangen    nimmt. 

5)    Ich  weiss  nicht,  wo    das  unten  geschehen  sein  soll.  6)    Elisabeth 

von    England.  7)    Von    einer    deutschen    Concubine    hatte    Friedrich 

Enzio    und    Katharina.  8)    Cremona.  9)    Wegen    der   in  Mailand 

herrschenden  Ketzerei. 


Italienische  Prophetieen   des   13.  Jahrhunderts.  I.  167 

intellectu  et  rebellione^  maiori  et^  blasphemabit*^  agnum  et 
testamentum •*  eius;  eritque  subsistencia  et"  ve.  Portas  Ligu- 
rum  eoartabit,  nidum  philosophantium  '  minorabit,  florem  Emilie 
deflorabit  propter  physis  oflfendiculum.  Porro  congregatio  in 
aquis  Adriaticis  ^  ex  desolatione  ursi  LXX  pedis^  eoartabitur, 
non  frangetur,  usque  dum  veniants  duo  hyrci*",  qui  diminuant 
aurum  eius.  Voluntas  eius*  ad  Britanos',  ut  Trinacrira'^ 
sapiant^-**,  appetitus'"  in  Eneaden",  optimates  eius  decalvabit; 
gallinacius°-3  apponetur,  tria  nomina***  silebunturP.  Oculus''' 
eius"?  in  insidiis  sponse,  manus'"  eius  ad  monilia  eius,  ut  diri- 
piat^  cultum  ipsius,  fovens  ignem  in  gremio  eius,  conteratque  ' ; 
fietquebrevi"  restauratio,  usque  dum  ^  sponsaminuatur"'  digitis^, 
alas  debilitet*;  aquile  volatus  ad  Danaos;  unum+T  capiid  aceres- 
ceti'  nee  sibilabit,  et  ex  primis  unum  mortificabitur^,  set  sibi- 
labit«.    Hyrci  non  balabunt',  donec  pes^  unus  novemque  poli- 


*)  Gl.  3 :  s.   aquila  Anglicus. 
**)  Gl.  3 :  id  est  servire  sciant  sicut  Sicilia. 

***)  Gl.  1 :  siKcet  lex,  ius  et  fax  [d.  i.  fas]  apud  ipsum  Fr.,  vel  veritas, 
Caritas  et  fides  quoad  multos.  —  Auch  in  4  Gl. :  ius,  fas,  lex. 
Aber  sollten  die  tria  nomina  nicht  die  Dreieinigkeit  bedeuten,  und 
der  Satz  sieh  darauf  beziehen,  dass  die  Römer  im  J.  1234.  vom 
Papste,  den  sie  vertrieben  hatten,  gebannt  wurden? 
+)  Gl.  3:  Coniuntim  intelligas  verba  vatis  [vates  Hs.]  ad  illud  verbum: 
'tercia  fiet  restauracio',  quia  omnino  ista  precedent  restauracionem, 
++)  Gl.  3  :  Hie  videtur  velle,  quod  transibit  in  Bizanciam,  in  Constan[ti- 
nopoli]  unum  caput,  silicet  unum  regnum,  accrescet  ei.  Hoc 
[Hie  Hs.]  non  sibilabit,  quia  non  intitulabitur  de  ipso  regno,  et  de 
primis  regnis  amictet  unum  [das  von  Jerusalem]  et  non  amictet 
intitulationem  ipsius. 

a)  in  reb.  minori  3.  b)  Fehlt  4.  c)  blasphemabunt  5.  d)  testi- 
monium  2.   5.  e)  sed  2,  f)  pedes  4  (wie  oben  S.    164);   pedum   5. 

g)  venient  2.  h)  ursi,  übergeschrieben  'vel  yrci'  3.  i)  Britones  2.  3.  5.  B. 
k)  tinacrim  2.   3.  1)  Fehlt  5.  m)    'ipsius'    fügt  hinzu  2;    'eins'  fügt 

hinzu  5.  n)  Eneade   1;  Eneadum  4  wie  immer.  o)  galUna  cuius  3; 

gallina  eius  4.  p)  silebunt  4.  q)  'eius'  fehlt  4;  'in'  fehlt  3.  r)  manus- 
que  2.  s)  deripiat  2.  t)  conteretque  1.  u)  brevis  2.  5.  v)  quo  4. 
w)  minetur  2;  minuetur  vel  minetur  3.  x)  digitos  5.  y)  arescet  5. 

z)  pedes  3 ;  unus  pes  2. 

1)  Bologna.  Eine  beinahe  gleichlautende  Stelle  aus  einer  Sibylle 
citiert  Matheus  Paris,  Cron.  mai.,  SS.  XXVIII,  217.  2)  Venedig.  Siehe 
oben  S.   164.         3)  Siehe  über  diese  Stelle  oben  S.   147.  4)  Das  soll 

wohl  heissen :  Es  wird  während  der  Vakanz  des  römischen  Stuhles  füi* 
kurze  Zeit  Ruhe  eintreten,  die  Zahl  der  Cardinäle  wird  dann  sehr  gering 
sein,    Friedrich    wird    das    römische    Gebiet    angreifen.  5)    Das    Reich 

(caput),  welches  mortificabitm-,  ist  jedenfalls  das  lerosolymitanische.  Welches 
aber  Friedrich  II.  zuwachsen  soll,  wüsste  ich  nicht.  6)  Das  heisst  wohl: 
Aber  er  wird  den  Titel  eines  Königs  von  Jerusalem  beibehalten.  7)  An 
anderen  Stellen  freilich  bedeuten  die  'hyrci'  die  Griechen,  dieser  Satz  kann 


168  0.  Holder -Egger. 

ces  semique  premensurati  discurrant;  Ligur  gallus  cantabit'. 
Species  virginura  concupiscetur^*;  pullus  debachabitur,  pars 
nidi  manu  proxima''  denigrescet,  pena  nomini  consonabit<=; 
dolor  intestinus  urgebit  aquilam,  menbra  capiti  coniungentur; 
hyrcus  iugalis**  in  Bicanciam*^  reducetur^,  hyrcus*"  balabit, 
gallus  +  cantabit,  aquila  revolabit,  pullos  plorabit«',  pullum 
revorabit,  trina^^-^^  fiet  restauratio  f*;  hinc Trinacris s  requies  aquile, 
donec  veniat**  Gallicana '  gallina^.  Oculos  eins  morte  claudet'' 
abscondita  supervivetque  • ;  sonabit  et">  in  populis":  'Vivit, 
non°  vivit',  unoP  ex  pullis^  pullisque  pullorum  superstite^. 
Hinc  galli  cantus  usque  Trinacrira""  audietur+^+. 

Post  hec  autem  veniet  altera  aquila  ^  Habens  pedes  XX!!!!""" 
et  capita  duo,  eruntque  sibilantia,  set  in  Eneaden  minirae^; 
cui  accrescent^  tria  capita,  ex  quibus  sibilabit'  unum".     Cuius 


*)  Gl.  3:   id  est:    fiet  scisma  propter  concupiscenciam  virginum,  quas 
ministri  eius  occupabunt. 
**)  Gl.   3  :  id  est  sub  iugo  positus. 
'*')  Gl.   3  :  id  est  imperator  Grecus. 

^)  Gl.  3 :  id  est  patriarcha  Constantinopolitanus. 
++)  Gl.  3 :  id  est  imperii  Constantinopolitani,  patriarche  et  ecclesie  Ro- 
mane vel  imperii  Constantinopolitani  [constituti  Hs.]  et  ecclesie  Ro- 
mane et  Ytalie. 
+++)  Gl.  3 :  obediet  ei  [dem  Papst]  regnum  usque  in  Siciliam. 

a)  concupiscet  3.         b)  propria  4.        c)  consonabitur  3.        d)  Bisan- 
tium  4.   5.  e)  vorabit  3.  4   ('et'  setzt  zu  3) ;   vocabit  5.  f)  tcreia  3. 

f )    'membra   capiti    coniungentur'   wiederholt   hier   4.  g)    tincacris    2. 

h)  veniet  3.  4.  i)  gallina  Gallicana  1.  k)  concludet  5.  1)  super- 
bietque  3,  m)  Fehlt  2.  n)  populos  5.  o)  et  non  3.  5.  B,  und  so 
aucli  Salimbene  an  drei  Stellen.  p)  immo  2.  q)  superstat  3.  r)  tina- 
crini  1.  2;  ad  Tr.  4.       s)  crescent  4.       t)  de  q.  non  balabit  4.       u)  unus  3. 

sich  aber  nur  auf  die  Vakanz  des  päpstlichen  Stuhles  von  1241,  Nov.  10 
bis  1243,  Jan.  25.  beziehen,  die  freilich  nur  1  Jahr  T'/a  Monate,  nicht, 
wie    hier  gesagt  wird,    1  Jahr  9Vj  Monate  dauerte.  1)  D.  h.  es  wird 

ein  Genuese  (Innocenz  IV)  Papst  werden.  2)  S.  oben  S.  161,  N.  1.  Auch 
die    folgenden  Sätze    weiss    ich  nicht  zu  erklären.  3)  S.  oben  S.   166. 

Friedrich  heirathete  zuletzt  Bianca  Lancia,  aber  diese  war  keine  Französin 
und  starb  vor  ihm.  Da  muss  allerdings  schwer  verständlicher  Irrthum  vor- 
liegen. 4)  Wenn  hier  gesagt  wird,  dass  nur  ein  Sohn  Friedrich  über- 
leben wird,  während  noch  Konrad,  Manfred,  Heinrich,  Enzius  lebten,  so 
hat  der  Verf.  vielleicht  sagen  wollen  'einer  der  vorbezeichneten  pulli'. 
5)  Das  soll  jedenfalls  Konrad  IV.  sein,  der  Ende  1250  beinahe  23  Jahre 
alt  war  (allerdings  nicht  24,  wenn  mit  den  'pedes'  hier  das  Lebensalter, 
nicht  wie  sonst  die  Regierungszeit  bezeichnet  werden  soll).  Seine  beiden 
Reiche  sind  wohl  Deutschland  und  Burgund,  und  es  wachsen  ihm  nach 
dem  Tode  Friedrichs  das  lombardische,  sicilische  und  das  Reich  von 
Jerusalem  zu.  6)  D.  h.  er  wird  nicht  Kaiser  sein. 


lalienische  Prophetieen   des   13.  Jahrhunderts.   I.  169 

color  sicut  ursi  et  pedes  sicut  leonis  et  cauda  sicut  serpentis*. 
Dabitur  ei  gallina  orientalis  alteraque  eoa ',  et^  VII  pulli. 
Adiciet''  autem  sibi  hyreum  tricipitem,  blasphemantem  agnum 
et*=  sponse  capud  et  latera,  ignemque  fovebit  in  gremio*^ 
sponse.  Et  erunt  ei  tres  adulteri  unusque  legittimus,  quem 
aliosque^  vorabit  unus.  Cui  erunt  tria  nomina  blasphemie. 
Cantus  eius^  abhominatio  ascendens  in  conspectu  altissimi,  et 
finis  eius  interitus. 

Hincsleo  afFectus  macie  ex  cavernis  terre  rugiet,  habens 
capud  unum  et  pedes  LXXII  leenamque  luxuriosissimam*», 
plenam  mendaciis  et  nominibus  blasphemie,  catulos'  novem. 
Hie'*  irruet  in  aquilara  associantem  •  sibi  alium  hyreum"" 
orientis  bicipitem  pedumque  XX,  conteret  vorabitque  hyreum 
et  V  pullos  aquile,  eruntque  unus  et  una.  Hinc  hyrcus  triceps 
in  auxiliura  aquile  leonem  debilitabit  et  duos  ex  catulis  vorabit. 
Porro  leenam"  hyrcus  occupans  decalvabit,  et  erii°  leonis  in- 
dignatio  et  debilitas,  usque  dum  profugos  congreget  et  potan- 
tesP,  irruetque"!  in  aquilam  "■  et  hyreum  s,  resumpta  virtute 
aquilam  hyrcumque'  conteret.  Capud  unum  partemque  maio- 
ris"  demens  aquile^  et  imponens  sibi  simul^^  cum  uno  ex 
hyrci  capitibus''  abigensque  utrumque>'  zonam  Ytaliam  possi- 
debit,  sponse  ^  monilia  reparabit,  gallinam  ^  occupans  cum 
obprobrio  restituet.  Sibilabit  autem  aquila  duosque  reges'' 
fortissimos  in  subsidium'^  evocabit*',  irruentque"  in  leonem, 
prevalentes  in  ipsum,  usque  dum  claudat*^  dies  aquila,  leoque 
resurgets. 

Post  hec''  veniet  pardus  fiiius  aquile**  habens  capita  duo 


')  Gl.   in  3    überaus    corrumpiert :     Serpens     caudam    circumducit    ia 

varias  partes  corporis,  in  caput,  et  demonstrat  eum   [demostrü  cum 

Hs.]   qui  varius  est  et  volubilis  in  effeetum  operum,  et  concedit  adesse 

finis  promissi,  ille  incedit  ad  inicium  et  medium  et  per  verba  deducit. 

")  Am  Rande  später  hinzugefügt  1 :  Nota  de  Cunrado  seeundo. 

a)  alt.  faciet  3.  b)  Addiciet  2.  4.  c)  Fehlt  3.  d)  sp.  gr.  2.  3. 
e)  leg.  qui  alios  3.  5.  f)  est  3;  et  5;  fehlt  1.  g)  Hie  3.  4.  h)  luxu- 
riosam  4.  5.  i)  et  c.  2.  k)  Hinc  1.  1)  assumentem  3,  m)  Fehlt  5. 
n)  vor.  pet  leonem  3.  o)    Fehlt  3;    'et    —  debilitas'  hat  5  schon  vor 

'Porro'.  p)  potentes  1 ;  potestates  4.  q)  irruentque  2.  r)  aquilis  3. 
s)  in  yrcum  2 ;  yrcus  3.  t)  aquila  yrcum  3.  u)  maiorem  5.  v)  Am 
Rande  ergänzt  1.  \v)  Fehlt  1;  cum  uno  simul  4  ('sibi'  fehlt).  x)  cum 
hyrco  uno  capita  5.  y)  ambigensque  utramque   1.  z)  sponseque   1. 

a)  et  g.  3.  b)    duos    leones  5.  c)    auxilium   1.  d)    vocabit  5. 

e)  irruetque  3,  f)  claudit  3.  g)  resurgat  4;  '1.  res.'  fehlt  5.  h)  'autem' 
setzt  hinzu  5. 

1)  Konrad  hatte  nur  eine  Gemahlin,  Elisabeth  von  Baiern,  und  nur 
einen  Sohn.  Von  hier  an  weiss  ich  die  Prophezeiungen  nicht  mehr  mit 
den  Vorgängen  zusammen  zu  reimen.     Siehe  oben  S.   149. 


170  0.  Holder  -  Egger. 

pedesque^  XVI;  hinc  leo  simul  cum  catulis  rugitum  dabunf* 
surgentque  in  ipsum;  debilitabit  leonem  pardus  et  duos  ex 
catulis  devorabit,  partem  capitis,  quam  aquile*  subtraxerat, 
evellet  pardus.  HinC^  leo  arte  fotus«  apellinea  ^  nons  resur- 
get**,  donec  leena'  virili  animo  pardam  pardumque  percutiat, 
et  triumphans  in  ipsum  non  modice  capud  unum  evellet  ini- 
ponetque  leoni.  Hinc  leo  resumpta  virtute  pardum  vorabit, 
et  non  erit  ultra  semen  aquile. 

Leonis  vero  rugitum'^  pertimescent  Danay,  venietque 
Bicanciam',  et  rursus""  prophanabitur",  nee"  erit  ultra  gloria 
eius.  Hyrcus  triceps  tria  amittet  capita,  et  non  erit  ultra? 
semen  ipsius.  Porro  leo  hyrcos  tributo  supponet,  nee  hyrcus 
balabit*!,  nee  gallus  concinet,  set  erit  hyrcorum  subsannatio, 
humiliatio'",  sponsaraque  non  sponte  pertimescent.  Dividetur 
autem  in  sceptra  quatuor  sese  vorantia*  locus  Danauni.  Et 
conteret  leo  regiooem  Asye,  ut  capita  bestie  debilitet '  et  con- 
fringat";  agnum  collocabit^  in  sceptrum  bestie,  et  usque  huc 
sedes^^  eius,  et  modicum  teinpus  erit. 

Post''  abhominationera  sequetur>'  exaraen;  signa  precedent, 
erit''  in  elementis  quatuor  extra  morem  coloris  cursusque 
mutatio.  Epiphanos^  erit  ut  aer  quandoque  croceus,  quan- 
doque  piceus'',  nunc  viridis,  nunc  sardineus  <=  apparebit.  Set 
sintliius''  nunc^  in  X,  nunc  in  III1<"",  nunc  in  duas  partes 
scindetur,  luna  cum  sole  concurret*";  et  obstupescent  terrigene^ 
cum  viderint  Stellas  sanguineas.  ItemS  tellus  sudorem  emittef*, 
per  loca  fontes  sanguinei '  emanabunt,  eritque  terribilis  com- 
niotionis  indiciuni.  p]rit  enim'^  regnorum  invicem'  concussio "", 
sedium  occupatio,  terremotus  et  fames.  Matres  in  panis 
cupidinem"  iilios**  et  ülias  humiliabunt  in  stuprum.  Ignis 
ardebit  ferventius  rautato  colore,  et  per  loca  et  provincias 
penitus  extinguetur.  ]\Iare  in  turbine  terribili  usque  ad  ver- 
ticesP  montium  procellas  emittet^  et  nunc  in  summum,   nunc 


a)  et  pedes  3.         b)  dabit  4.  5.       c")  aquila  3.       d)  'Hinc  —  leoni'^ 
fehlt  3.  e)  leo  fortis  4.  f)  appellinea   1;  apollinea  2;  apolitam  5; 

fehlt  4.       g)  Fehlt  5.  h)  snrget  4.       i)   'ursi'  setzt  hinzu  5.        k)  rugi- 

tus    2.  1)    Bisantiuni    4 ;    in   Bisantium    5.  m)    ursus    3 ;    cirsus  5. 

n)    proplianabit    2 ;   propalabitur    3.  o)    non  5.  p)  Fehlt    2.  3,  4. 

q)  bellabit  2.        r)  et  hum.  5.  s)  vorantiura  4.  t)  'deb.   et'   fehlt  3. 

u)  constringat  2;  confringatur  3.  v)  colebit  3.  w)  scd  s  2;  pedes  3. 
x)  Hiervor  Ueberschrift  in  2:  Recapitulacio  ad  ea  que  dixerat  de  abhomi- 
nacione    et    examine.  y)     consequetur    4.  z)    'enim'    setzt    zu    5. 

a)  ephyphanos   1  ;    in  3   Gl. :    s.  superna  apparicio ;    'Ep     erit    ut'    fehlt  5. 

b)  pasenus  5.  c)  cardineus  3.  d)  sinxhius  2 ;  cinthais  3 ;  'Set  —  scin- 
detur' fehlt  5.  e)  Fehlt  3.  f)  concurrent  2.  3 ;  conferetur  5.  g)  'I.  t.  s, 
era.'  fehlt  5.  h)  'sanguineum'  setzt  hinzu  1.  i)  sanguine  3.  k)  Eritque  4. 
1)  Fehlt  4.  m)  confusio  3.  n)  cupidine  1 ;  egestate  5.  o)  filias 
et   filios  4.         p)  verticem  3.  5.         q)  procellis  eminebit  4. 


Italienische  Prophetieen   des   13.  Jahrhunderts.  I.  171 

in  yma  descendet^.  Fontes  irrigui  per  loca  desiccabuntur. 
Hinc  ex  incursu  draconis  Tibridis^  aqua  tumeseet,  edificia 
concutiet,  apellineo«^  ingenio*  sopietur^.  Set^  et^  rebus  ordo 
mutabitur.  Nam"  crescent  contumelie  sponseque  contumaeia; 
femine  vulgos  debachabuntur*»  in'  viros,  plures  sequentur 
unum.  Viri  non  erubescent  in  plateis  concubitum  muliebrem''. 
Item^  saerum'  undique  prophanabitur,  eritque  doctrina  sub 
silentio.  Aves»"  et  animalia  extra  morem  agent.  Nara  bos 
mutato  mugitu"  equi  dabit  hinnitum<>,  equus  ruderP  emittefi 
aselli.  Aves  cantu  mutato  in  similitudinem  animalium  rugi- 
tum  ^  dabunt.  Hec  autem  omnia  abhominationis  sunt  indicia  % 
cui  ordo  non  erit '. 

Et  cum"  tria  signa**  venient,  sciant  terrigene,  quoniam 
prope  est.  In  Eneaden  mulier  centenaria  apellineo^  subsidio 
geminos  pariet.  Flamen  igneum  emanabit  ab  Ethna***  inco- 
lasque  vorabit.  Hinc  in  montibus  niveis  duo  coUes  corruent, 
aperietur  tellus  ibidem  in^^  voraginem,  et  vapor  niveus*  usque 
ad  celosy  ascendet*. 

Post  hec  fiet  multarum  gentium  bestialiter  viventium  con- 
gregatio,  orbe''  in  X  sceptra  divisio^;  precedent^  turpissimi 
concubitus  conceptus*',  abhominatio '^  capud  ipsorum.  Tunc 
reges  plurimos«  morte  afficiet,  quosdam  sub  •"  iugo  submittet; 
sponsa+   silebit,   gallus^''  raucescet,     fietque   agni    contumelia. 


*)  GL  3 :  arte  videlicet  Salomonis. 

*')  Gl.  3 :  s.  Signa  que  secuntur. 

"*)  Gl.  3:  Mongibellnm. 

+)  Gl.  3 :  s.  ecclesia  Romana. 

++)  Gl.  3:  s.  papa. 

a)    ascendet    3.  b)   tribidis    3  mit  Gl.:    vel  Tiberiadis  vel  Galiläa 

mare.        c)  apellanio  3  mit  Gl.:  id  est  ludaico ;  appelline  4;   appellatio  5. 

d)  sepietur  3;  sopitur  5.  e)  Fehlt  5.  f)  in  4.  g)  vultu  1;  fehlt  3.  5. 
h)  debachabunt  viros  1.  i)  'alias  debilitabunt  in'  fügt  hinzu  4.  k)  muli- 
erum  1.  1)  u.  s.  1.  m)  et  aves  3.  n)  'mugitu  —  mutato'  am 
Rande  ergänzt  2.  o)  hinnitus  3.  p)  So  3  (das  Wort  ist  in  dieser 
Form  noch  unbekannt,  welche  aber  durch  die  Lesart  von  2  bestätigt  wird, 
während  4.  5  offenbar  corrigiert  haben);  rüdes  2;  rudmm  1  ;  ruditum  4.  5. 
q)  dabit  5.  r)  Aves  animalium  vocem  d.  5.  s)  inicia  3.  t)  est  3. 
u)  'cum  eo'  setzt  zu  5.  v)  apollineo  2.  3.  4;  apollicey  5.  w)  et  3. 
x)  igneus  3.  5.  y)  celum  3.  z)  orbem  2;  orbis  5.  a)  diviso  3.  4; 
dividetur  5.          b)  precedet  2.  3.  4.        c)  Fehlt  4.     ,  d)  abhominabilis  5. 

e)  multos  5.         f)  Fehlt  3.  4  (wo  'summittet  iugo'). 

1)  Diese  Stelle  bezieht  sich  ohne  Zweifel  auf  den  gewaltigen  Berg- 
sturz im  Thal  von  Maurienne  bei  Chambery  im  Jahr  1248.  Siehe  darüber 
Salimbene  ed.  Parm.  p.  147.  150;  Matheus  Paris,  Cron.  Mai.  und  Hist. 
Angl.,  SS.  XXVin,  301.  424;  Martin.  Oppav.,  SS.  XXII,  472;  Girard  de 
Fracheto,  SS.  XXVI,  588. 


172  O.  Holder -Egger. 

Set^  celum  ignisque''  et  elementa  videbuntur  in  abhomina- 
tionis*'  testimonium,  ut  prodigia  faciat**,  Stellas  denigret  et® 
perfectos  debilitet,  Apellas*  revoeet,  ut*^  vetera**  renovet  et 
renovata***  repellat».  Et  clamabunt**  plures  et'  innumeri,  qui 
delebuntur''  ab  agno:  'Hie  est  testamentarius'.  Os  et  palatum 
eius  usque  ad  celos ',  et  manus  suas  extendet,  ut  apprehendat 
altissimum.  Et  cum  viderint  terrigene'"  sanctorum  excidium, 
scandalum  perfeetorum ",  vestes  humiliatas+  dare  testimoniuni, 
clamabunt  et  dicent:  'Ve,  ve!  diutina"  derisio,  etP  nonne  hie 
est,  quem  'i  prescii  nunciaverant  "■  ?'  Et  ^  dicent  latera  eius ' :  'Ubi 
sunt  qui  agnum  exaltaverant "  in  leonem?  Nonne^'  hie  est  iilius 
altissimi?'  Et  aperiet  abhominatio  os  suum"'  in  contumeliam 
agni,  ut  nomen  eius'^  deleat,  et>'  sibi  primevam^  superbiam 
applicabit.  Et^  dicens^^  verba  intollerancie^  conscribetur  "^ 
undique  sceleribus  et  nominibus  blasphemie,  donec  tres  pedes 
semique  abbreviati  discurrant.  Et  apparebit  veritas  et  iusticia, 
omnesque  abhominationem  ^  abicient  et  convertentur  ad  agnum. 
Aquam+++  profitebuntur  Apelle^,  et  non  erit  diversa  professio, 
set   una*^  concordias,  grex  unus  ideraque**  ovile. 

Porro  in  proximo'  erit  examen,  signaque  precedent''. 
Sol  sepi.ssimc  pacietur  eclipsim  et  in'  inmensum  extuans  in- 
colas  Egypti  perimet.  Eujjhrates'"  desiccabitur  usque  ad  tor- 
rentem  tenuissimum,  Ethna*^  in  partes"  duas  patebit,  vocemque" 
dabit  AvernusP,   eti   tres  partes  habitantium  Trinacrim""  peri- 


*)  Gl.  4:  Hebreos. 
*')  Gl.  3 :  s.  lex  vetus. 
"*)  Gl.  3 :  s.  lex  nova. 
■•■)  Gl.   3:  s.   religiöses. 

++)  Gl.  3 :   sive    ipse  intelligens,    vel  verba,    que  tolerari  non  poterunt, 
cum  diceret  se  filium  altissimi. 
+++)  Gl.  3:  s.  baptismum. 
'^)  Gl.  3  :  id  est  Mungibellum  Sicilie. 

a)  sed  et  5.  b)  ignis   1.  c)   abominacionibus  3.        d)  faciet  2; 

fugiant  3;  fingant  5.  e)  Fehlt  1.  f)  Fehlt  4 ;  et  5,  g)  rep.  ren.  4. 
h)    exclamabunt    3.         i)    etiam    2;    'pl.  et'  fehlt  5.  k)  delabuntur  3. 

1)  celum  4.  m)  sanct.  terr.  2.  n)  'scand.  perf.'  fehlt  5.  o)diutinä2; 
diuturna  3.  p)  Fehlt  4;  et  non  est  5.  q)  'quem  —  Nonne  hie  est' 
fehlt  5.  r)  nuuciarant  2.  4.  s)  'Et  —  leonem'  vom  Glossator  über- 
geschrieben 3  mit  der  Bemerkung:  littera  est.  t)  'lat.  eius'  fehlt  3. 
u)  exaltaverunt  3.  v)  et   nonne  3.  w)  Fehlt  2 — 5.  x)  agni  1. 

y)    deleatur   s.    5.  z)  suppremam  4.  a)  Fehlt  3.  4.  5 ;   edicens  4. 

b)  'intoll.  —  blasphemie'  fehlt  5.  c)  conscribentur  3.  d)  abomina- 
tiones  3.  4.  e)  'appelle'  hier  1.  2;  Gl.  4:  ludei.  f)  humana  3.  g)  con- 
cordantia  1.  h)  unumque  1.  il  P.  maximum  erit  3.  k)  precedant  3. 
1)    Fehlt   4.    5.         m)   Eufraten    2 ;   Euphratem    5.          n)    duas   partes   1. 

c)  voce  3.  p)  a  mortuis  2.  q)  Fehlt  5.  r)  'Tinacrim'  hier  1.  2; 
Trinacriam  5. 


Italienische  Prophetieen  des   13.  Jahrhunderts.  I.  173 

mentur,  Faron  horribiliter^  pertumescet^  et  loca  vicina  sub- 
vertet.  Hinc  '^  mare  usque  ad  yma  descenclet,  pisces  congre- 
gabuntur  in  unum  dabuntque  rugitum^.  Hinc^  celum  in 
quatuor  f  partes  aperietur,  et?  vocem  dabunt  tonitrua,  et  andient 
terrigene'^  minas  examinis,  et*'  inefFabilia  concinentur  '  in  tiiba. 
Et  nuncii  venient  inreprehensibiles  nunciantes  rerum  excidium 
et  dicentes:  'Fiat  humiliatio,  fiat  penitudo!  Conterantur''  qui 
excesserant,  ut'  avertatur  furor,  convertatur  et""  agnus.'  Hinc^ 
per  loca  apparebunt  voragines,  maior  pars  animalium  morietur. 
Aves  iiniverse  corruent  in"  yma  exhorrentque"  volatum.  Set? 
et  humanuni  genus  erit  exanime  et  antra  subibit,  reiciens 
pecuniasfi,  et  inextimabiliter  contremiscet.  CoIIes  corruent, 
titubabunf  montes,  et  luna  in  nigredinem  convertetur.  Et 
venient*  in  conspectu  agni  abhominatio  peccatorum  et  rJtionis 
appetitus,  et  descendet  ignis  terribilis.  qui  universa  creata 
usque  ad  ethera  concremabit.  Et  non  erit  solare  lunareve*^ 
iubar,  non"  montes  aut  colles  nee  hominum  habitatio  erit  in 
terris,  et  non  habundabit  ultra  iniquitas  et^  peccatum,  set 
veniet  e  celo  vox  tube  terribilis  advocans  universos,  ut  veni- 
ant  in  examen.  Fiet  autem  ineffabiliter  corporis  et  anime 
reintegratio,  ut  utrumque  simul  retributionem  glorie  suscipiat^^ 
sive  penam.  Tunc  apparebunt  cuncti^  reges  et  principes  et 
videbunt  agnum"  in  throno  terribili,  ut  retribuat  universis, 
necy  erit  divitis  inopisve^  discretio^,  set  examinatio  meritorum. 
Tunc  scelera  patefient^,  tunc  timor  et  «^  tremor  horrorque  vora- 
ginis,  qua  demonstrabitur^  in  vindictam,  concutiet^  universos, 
ut  dentibus  strideant  et  oculis  lacrimentur.  Extendentque  ^ 
manus  ad  preces,  nee  erit  agnus  flexibilis,  set  horribilis  in 
vindictam.  In  conspectu  eins  ignis  et  tonitrua,  merita  cum 
peccatis;  a  dextris  eiuss  benedictio,  maledictio  procedet^  a 
leva.  ludicabit  autem  bonos  et  malos,  ut  illos  sursum'  elevet, 
hos  autem  in  sortem  demonum  voret'^  avernus. 

Explicit  über  Sibille  Erithee  Babyllonice'. 


a)    mirabiliter  3.  b)  pertimescet  1;  intumescet  5.  c)  Hie  3; 

fehlt  5.  d)  mngitum  5.  e)  Fehlt  5.  f)  p.  q.  2.  5.  g-)  'et  v.  d.  t.  et'  fehlt  5. 
h)  homines  5.  i)  continentur  2.  3;  continebuntur  1.  k)  Convertantur 
qui  excesserunt  3.  1)  et  4;    avertantur  3.  m)  Fehlt  4.  n)  'in 

—  Colles  corruent'  fehlt  5.  In  folgendem  ist  manches  in  5  wegg^elassen 
und  manches  geändert,  was  ich  nicht  einzeln  anführe.  o)  exhorrescen- 

tesque  4.  p)  Fehlt  1.  q)  penas  2.        r)  turbabunt  3.        s)  veniet  4. 

t)  luneve  2.  3.  4;  luminare  5.  u)  Fehlt  3.  v)  n;  (neque)  1.  w)  reci- 
piat  1.  5;  danach  'glorie'  am  Eande  ergänzt  1.  x)  iuncti  2;  victi  3; 

vincti  5.  y)  non  1.  z)  inopis  divitisque  1 ;  inopisque  5.  a)  distinc- 
cio    2.    3.  5.  b)   't.  sc.  patebunt'  am  Rande  ergänzt  1.  c)  Fehlt  4. 

d)    demonstrabuntur    1.  e)    'concuciet  —  vindictam'  vom  Glossator  am 

Rande  ergänzt  3  mit  der  Vorbemerkung :  littera  est.  f )  extendensque  3 ; 
Extendetque   4 ;    extenduntque  5.  g)    enim   3.  h)    procedit    3.    5. 

i)  sursim  1,  k)  roret  2.  1)  So   1  ;  Expliciunt  capitula  libri  primi 


174  0.  Holder  -  Egger. 

II.    Verba  Merlini. 

Ueber  die  Merlinphropliezeiung  habe  ich  schon  oben  das 
nöthige  gesagt,  habe  hier  nur  noch  die  Hilfsmittel  aufzuführen, 
vermittelst  deren  ich  den  Text  gemacht  habe. 

A.  Handschrift  der  Bibliothek  Vittore  Emmanuele 
in  Rom  14.  S.  Pantaleone  31,  membr.  8^,  64  Blätter  enthaltend; 
von  mehreren  Händen  saec.  XHI  ex.  in  Italien  geschrieben. 
Fol.  1 — 6,  die  ursprünglich  nicht  zu  dieser  Hs.  gehören,  ent- 
halten Vergils  Belogen  mit  Glosse.  —  Fol.  7 — 27'.  Liber 
Bernardini  Silvestris  de  microcosmo  et  raegacosmo.  Fol.  27' 
noch  von  der  vorigen  Hand  ein  zvveitheiliges  Gedicht  zum 
Lobe  und  Tadel  des  Weibes:  '0  rosa  tenuis,  odore  gracilis'. 
'Femina  sordida,  fcmina  fetida'.  —  Fol.  29 — 39  von  anderer 
Hand  die  pseudojoachitische  Fxpositio  Sibillae  Erithreae  et 
Merlini  wie  in  der  Brüsseler  Hs.  —  Fol.  39 — 44'  die  Lectura 
Isaie  super  oneribus  ebenfalls  wie  in  der  Brüsseler  Hs.  Diese 
wird  aber  hier  nur  als  'Prima  distinctio'  bezeichnet,  und  es 
schliesst  sich  SSecunda  distinctio  ad  eundem'  (Heinrich  VI) 
fol.  44' — 47  als  zweiter  Theil  der  Schrift  daran.  —  Es  folgt 
fol.  47.  Alius  tractatus.  <Quia  semper  in  stipendiariis  propriis' 
nur  7  Zeilen.  Danach  fol.  47 — 49  mit  der  Ueberschrift 
'loachim'  wie  in  der  Brüsseler  Hs.  (oben  S.  152) :  'Tenebre  erant 
super  faciem  abyssi  —  —  qui  sub  novo  militant  tcstamento 
conveniunt''.  —  Fol.  49.  Die  Verba  Merlini.  —  Fol.  49'. 
Die  Sibilla  Samia  (unten  S.  177).  —  Fol.  49'— 51.  Die  kürzere 
Kecension  der  Sibilla  Erithrea.  —  Fol.  51' — 57'.  Noch  eine 
zweite  kürzere  Exposition  des  (Pseudo)  loachim  der  Sibilla 
Erithrea  und  des  ]\Ierlin  an  Heinrich  VI.,  die  mit  der  obigen  zu 
Anfang  ziemlich  übereinstimmt,  dann  stark  von  ihr  abweicht. 
Scheint  Ueberarbeitung  der  ersten.  Sie  schliesst:  'ut,  quemad- 
modum  tuus  filius  veniet  pupillus  ad  solium,  sie  depopulatis 
filiis  verget  ad  occasum. 

Conclusio. 

Hec  exposita  sunt  secundum  tres  prophetas,  I\Ierlinum, 
Samiam  et  Eritheam.  Verum  aliqua  pretermittuntur,  que 
veri  prophete  re  .  .  . '  Non  ut  his  dictis  barbarorum  fidem 
adhibeas,  ut  domesticorum  eloquia  prostrata  fundas'. 


de  excerptis  de  libro  primo  prophetie  Sibille  Erithee  2 ;  keine  Unter- 
schrift 3.  4;  Extraeta  in  bibliotheca  sancti  Georgii  maioris  Venetüs.  Finis 
prophetiae  Sibillae  Eritheae  5. 

1)  Darin  fol.  40':  Per  Liguriam  et  totam  pene  prorsus  Ytaliam  sub 
angelo  quinto  secta  Patarenorum  enormior,  designata  in  bnicis  pariter  et 
lociistis,  de  fumo  sapientie,  utique  secularis,  ascendit,  quorum  pestis  adeo 
infideles  inficit  et  infeeit,  ut  mori  querentibus  fugiat  mors  ab  eis.  Aehn- 
liche  Stellen  über  die  Patareni  finden  sich  viele  in  den  pseudojoachitischen 
Schriften.  2)  Nicht  lesbar  (ob  'reprobant'?).  Auch  'non  ut'  ist  undeutlich, 
könnte  vielleicht  'Nota  vero'  gelesen  werden.  Ein  hinter  'Non'  über- 
geschriebenes Wort  ist  nicht  lesbar. 


Italienische  Prophetieen  des   13.  Jahrhunderts.  I.  175 

Danach  mit  der  Ueberschrift  'lohachim': 

Cum  fuerint  anni  completi  mille  ducenti 
Et  seni  decies  post  partum  virginis  alme, 
Tunc  Antichristus  nascetur  demone  plenus  ^ 
Laus  Christo  detur,  operis  quod  fiois  habetur. 
Von  fol.  57'   wieder  alles  von   anderer  Hand.      Der  Rest  der 
Handschrift  enthält  verschiedene  Excerpte,  Sentenzen,    Versus 
notabiles  aus  Horaz'  Ars  poetica,  Lucan,  Prosper  etc. 

Die  Handschrift  hat  zahllose  und  sehr  seltene  Abbre- 
viaturen, ist  mit  blasser  Tinte  geschrieben  und  häufig  recht 
schwer  zu  lesen. 

B.  In  der  Handschrift  der  Pariser  Nationalbibliothek 
Lat,  n.  3319,  saec.  XIV — XV.  steht  die  Merlinprophetie  mitten 
im  Text  der  kürzeren  Recension  der  Sibilla  Erithrea.  Am 
Schluss  derselben  steht  die  Sibilla  Samia.  Herr  A.  Molinier 
hat  diese  Stücke  daraus  freundlichst  für  mich  abgeschrieben. 

Dritte  Text-Ueberlieferung  ist  die  bei  Salimbene  Fol.  359 
(ed.  Parm.  p.  175)  corrigiert  nach  der  Vatikanischen  Original- 
handschrift von  dessen  Chronik. 

Eine  vierte  Ueberlieferung  endlich  ergiebt  sich  aus  den 
oben  genannten  pseudojoachitischen  Schriften,  namentlich  aus 
der  Expositio  Sib.  Erithreae  et  Merlini,  wo  so  viele  Stellen 
des  letzteren  citiert  werden,  dass  man  das  dem  PseudoJoachim 
vorliegende  Merlin-Exemplar  fast  vollständig  herstellen  kann. 
Uebrigens  geht  aus  drei  Stellen  desselben  hervor,  dass  er 
mehrere  Exemplare  des  jMerlin  gekannt  hat,  da  er  verschiedene 
Lesarten  darin  anführt.  Und  wenigstens  eins  seiner  Exemplare 
muss  schon  durch  Zusätze  vermehrt  gewesen  sein.  Denn  er 
citiert  folgende  Merlin- Worte,  welche  in  den  obigen  drei 
Exemplaren  nicht  vorkommen:  'Surget  yrcus  Veneri  (?)  castri, 
qui  alienum  gallum  abiciet,  federabitur  aquiloni,  colligabit  sibi 
aquilam'.  Das  scheint  einer  Fortsetzung  der  Prophezeiung 
entnommen  zu  sein. 

Verbat   Merlini. 
Primus  F.s   in  pilis   agnus,   in  villis  leo,   erit  depopulator 
urbium.    In  iusto*  proposito  terminabit  inter^  corvum  et  cor- 

1)  Diese  Worte  stehen  im  Liber  additamentorum  des  Matheus  Paris, 
SS.  XXVIII,  209,  mit  der  Jahrzahl  1250  statt  1260,  fragmentarisch  mit 
der  Jahrzahl  1300  am  Schluss  von  Joachims  Interpretatio  in  leremiam 
ed.  Colon,  p.  386.  Albert  von  Stade,  SS.  XVI,  341  kannte  sie  in  der 
Form,  welche  unsere  Hs.  bietet.  2)   So  A,  in  B  am  Rande  'Merlinus'; 

'Dicta    Merlini    de    primo    Friderico    et    secundo'    Sal.  3)    'Fridericus' 

schreibt  Salimbene  aus,  der  angebliche  Merlin  hat  aber  natürlich  wie 
stets  in  dergleichen  Prophetieen  nur  die  Anfangsbuchstaben  gesetzt,  wie 
auch  PseudoJoachim  immer  hat.  4)  'isto'  Sal.  falsch,  nämlich  auf  dem 

Kreuzzuge.         5)  'in'  Sal.     Corvus  und  cornix   scheinen  zwei  Ortsnamen 


176  0.  Holder -Egger. 

nicem.  Vivet  in  ^  H.,  qui  occidet  in  portis  Melatii'.  Secundus 
autem^  F.*  insperati  et  mirabilis  ortus.  Inter  capras  agnus 
laniandus,  non  absorbendus  ab  eis,  Tumescet  lectus  eius  et 
fructifieabit  in  proximis  s  Maurorum «,  et  respirabit  in  eis, 
Deinde '  sanguine  suo  involvetur,  non  tarnen  diu  intingetur^. 
Verumtamen  nidificabit^  in  ipso  i<*.  Tertio  tarnen '^  nido  ex- 
altabitur  qui  precedentes  vorabiti^.    Erit  leo  rugiens  inter  suos. 

Multum  confidet  in  prudentia  sua,  Disperget  filios  Gay- 
tan  '3.  Romam  disgregabit  et  rainuet.  Spiritum  i*  tenebit  in 
lerosolimis.  In  XXXII  annis  corruet'*.  Vivet  in  prosperitate 
[sua  18]  sexaginta  duobus  ''  annis. 

Bis  >*  quinquagenarius   lene   tractabitur  i^.     Romam   torvo 

zu  bedeuten.  Und  östlich  vom  Saleph  liegt  Kongos,  das  alte  Corycus, 
an  welches  gedacht  sein  könnte.  Doch  finde  ich  dieses  nicht  in  den 
Kreuzzugsquellen  erwähnt.  Für  das  zweite  Wort  weiss  ich  keine  plau- 
sible Conjectur,  wenn  mau  nicht  an  Iconium  denken  will.  1)  'Veniet 
inde'  A,  aber  sowohl  Sal.  wie  Joach.  haben  mit  B  'Vivet  in',  was  letz- 
terer dahin  erklärt,  dass  Friedrich  I.  in  Heinrich  VI.  'velut  in  succes- 
sore  legitimo  supervixit'.  2)  So  Sal.  und  Joach.;  'Melatie'  A;  'Mela- 
cii'  B.  Es  ist  jedenfalls  Milazzo  an  der  Nordwestkiiste  Siciliens  gemeint, 
und  es  soll  damit  wohl  die  ganze  Nordecke  Siciliens  bezeichnet  werden, 
wo  Heinrich  VI.  auf  der  Jagd  erkrankte,  und  auf  der  Messina  liegt,  wo 
er  starb.  3)  'See.  F.  erit'  Joach.  Siehe  die  Exposition  dieser  Stelle 
bei  Sal.  fol.  215.  358  c  (ed.  Parm.  p.  15  f.  175)  und  bei  Pseudojoacliim. 
4)  Vgl.  oben  S.  175  Anm.  3.  5)  'Maur.  prox.'  B.  6)  Indem  er  Con- 
stanze von  Aragonien  heirathet,  die  ihm  einen  Sohn  gebiert.  7)  'Deni- 
que'  B.  8)  Danach  heirathet  er  Isabella  von  Jerusalem  (1225),  die 
aber  bald  (1228)  stirbt.  Der  Verf.  meint,  sie  sei  mit  Friedrich  II.  ver- 
wandt gewesen.  9)  'radificabit'  Sal.,  aber  Joach.  wie  die  Hss.  —  Er 
erhält  von  Isabelle  einen  Sohn,  Konrad,  10)  'nidificabit.  In  ipso 
tamen  tertio'  A;  aber  so  wie  im  Text  B.  Sal.  u.  Joach.  11)  'autem' 
Joach.  12)  Aus  der  dritten  Ehe  mit  Elisabeth  von  England  wird 
ein  Sohn  (Heinrich)  hervorgehen,  welcher  die  Herrschaft  erlangen 
wird,  oder  der  die  andern  überleben  wird.  Das  muss  vor  dem  Tode 
Heinrichs  (f  1253)  geschrieben  sein.  13)  So  B;  'gaytä'  A  und  die 
Hss.  des  Joach. ;  'Ceylau'  Sal.  PseudoJoachim  bezieht  diese  Stelle  auf 
die  Verpflanzung  sicilischer  Sarracenen,  14)  'et  spir,'  B.  16)  Dieses 
bezieht  sich  offenbar  auf  die  Absetzung  durch  das  Concil  von  Lyon  (1245). 
Die  Jahrzahl  ist  von  der  Krönung  zum  römischen  König  (1212,  Dec.  9) 
an  gerechnet.  Von  da  an  sind  32V2  Jahre  bis  zur  Absetzung.  Salim- 
bene  fol.  31 1^  (ed.  Parm.  p.  106)  und  PseudoJoachim  beziehen  diese  Zahl 
auf  die  Zeit  von  der  Kaiserkrönung  (1220)  ab  bis  zu  seinem  Tode.  Das 
sind  aber  nur  30  Jahre  und  einige  Wochen.  16)  So  Sal.  und  Joach.; 
fehlt  A.  B.  17)  'LXXn'  Sal.;  PseudoJoachim  hat  die  Zahl  62,  fügt 
aber  hinzu,  dass  andere  Exemplare  72  haben.  Der  Prophet  muss  offenbar 
das  Geburtsjahr  Friedrichs  nicht  gekannt  haben,  denn  er  wurde  nur 
(1194,  Dec.  26,  geboren)  nicht  volle  56  Jahre  alt.  18)  'et  bis'  Sal. 
und  Joach.  19)  Ich  weiss  diese  Stelle  nicht  recht  zu  erklären,  da 
einmal  nicht  klar  ist,  ob  'bis'  mit  dem  Verbum  oder  mit  'quinquag.'  zu 
verbinden  ist,  da  ferner  der  Pseudo-Prophet  offenbar  eine  irrige  Meinung 
über  Friedrichs  .A.lter  hatte.    Die  Erklärungen,  welche  Salimbene  fol.  311  <= 


Italienische  Prophetieen  des   13.  Jahrhunderts.  I.  177 

oculo  respiciet.  Viscera  sua  contra  i  se  videbit.  In  tempore  ^ 
suo  mare  saneto^  sanguine  rutilabit.  Et  venient  eomunes 
adversarii  usque  Parthonopen  *.  Deinde  collecto  per  eum  ab 
aquilone  presidio  ^  effusionem  sparsi  sanguinis  vindicabit^. 
Et  ve  illis  qui  ad  vasa  non  poterunt  habere  recursum ' !  Et 
postquam  XVIII.  anno^  crismatis  erit,  mouarchiam  in  oculis 
invidorum  tenebit.  In^  exitu  suo  frustrabuntur  in  eo'"  omnes 
qui  maledixerunt '1  sibi. 


III.    Sibilla  Samia. 

Wie  schon  oben  S.  174  f.  angegeben,  steht  die  meines 
Wissens  bisher  garnicht  bekannte  Samische  Sibylle  in  den 
Handschriften 

A)  Vittore  Emmanuele  14.  S.  Pantaleone  31,  saec.  XIII  ex. 

B)  Paris  Lat.  n.  3319,  saec.  XIV— XV. 
PseudoJoachim   kannte   sie,   er   citiert   sie   einmal   in   der 

Expositio  Sib.  Erithreae  et  Merlini  als  Sibilla  Cretensis,  ein- 
mal als  Sibilla  Samia  in  der  Lectura  lesaiae  super  oneribus. 
In  den  oben  S.  174  citierten  Schkissworten  der  kürzeren  Ex- 
position der  Erithrea  der  Handschrift  von  S.  Pantaleone  ist 
gesagt,  dass  auch  die  Sib.  Samia  darin  erklärt  sei. 

Ihre  Prophezeiungen  sind  so  durchaus  dunkel,  dass  ich 
nicht  in  der  Lage  war,  eine  Erklärung  zu  versuchen. 


(ed.  Parm.  p.  107)  und  Pseudojoachim  an  zwei  Stellen  in  der  Erklärung" 
der  Sibylle  und  des  Merlin  und  an  einer  dritten  in  der  Interpret,  in 
lerenaiam  eap.  34  (ed.  Colon.  1577.  p.  366,  wo  aber  die  Stelle  total  ver- 
dorben ist.  Sie  lautet  nach  der  Brüsseler  Hs.:  'mirum,  quoreiodo  Mer- 
linus  eum  bis  quinquagenarium  fore  describit,  nisi  post  quinquagenarium 
numeruni  'bis  V  qui  legis  intelligas  et  non  centenarium')  geben,  sind 
offenbar  nicht  zutreffend.  Nimmt  man  nach  dem  Vorigen  an,  dass  der 
Autor  meinte,  Friedrich  sei  1188 — 89  geboren,  so  kommt  man  mit  der 
Zahl  50  auf  1238 — 39.  Vielleicht  soll  die  Stelle  heissen:  Als  fünfzigjähriger 
wird  er  zweimal  excommuniciert  sein  (er  wurde  1239,  März  20,  zum 
zweiten  Male  excommuniciert),  indem  die  Excommunication  als  Heilmittel 
zu  seiner  Besserung  gefasst  wird,  oder  die  Wendung  auch  ironisch  ge- 
meint   ist.       Denn    'lene'    ist   jedenfalls    Adverb,    nicht    Dativ    von    'lena'. 

I)  'extra'  Sal.;  und  Joacb.  kennt  beide  Lesarten:  'extra  se  vel  contra 
se',  doch  ist  die  der  Hss.  jedenfalls  die  richtige.  Die  Stelle  bezieht  sich 
auf  die  Rebellion  Heinrichs  VII.  2)  'autem'  setzt  zu  B.  3)  'sang. 
sancto'  Sal.;  'sanctorum  sang.'  B  und  Joach.  —  Das  bezieht  sich  auf  die 
Seeschlacht  von  1241,  Mai  3  und  den  Fang  der  Cardinäle  und  Prälaten, 
Diesen  Satz  führt  Mattheus  Paris,  SS,  XXVIII,  217,  aus  einer  Prophetia 
Sibille  magne  an,  4)  'Parthenopen'  B;  'u.  ad  Parth.'  Sal.  5)  'pre- 
sidium'  A.  6)  Ich  weiss  nicht,  welches  Ereignis  der  Verf.  hierbei  im 
Auge  hatte,  7)  'pot,  recursare'  B.  8)  'in  octavo  decimo  anno'  B ; 
'ab  anno'  Sal.         9)  'et  in'  Sal.         10)  'in  eo'  fehlt  B;  'omnes'  fehlt  Sal, 

II)  'raaledixerint'  Sal.  und  Joach. 

Neues  Archiv  etc.     XV.  ]  2 


178  0.  Holder -Egger. 

Sibilla   Samia». 

Excitabitur^  Romanus  contra  Romanum,  et  Romanus 
Romano  3  substituetur  Rome*. 

Leunculus*  surget  et  montium«  petet  caeumina.  lungetur 
vulpi  et  clamidabitur  pelle  pardi'. 

AUeviabuntur  virge  «  pastorum.  Solatium  eorum  erit  in  ocio. 

Turbabuntur  seduli  et  orabunt,  et  in  lacrimis  multorum 
erit  requies. 

Hurailis»  arridet'»  furibundo>i,  et  furor  extinguens  palpabit. 

Novus  grexi2  semper  ad  tumulum  ",  et  qui  nudabuntur'* 
in  ventre  tenui  eibo  cibabuntur. 

Frustrata  est  spes  sperantium  »*,  et  requies  consolantium, 
in  quo  pariet  fiduciam. 

Qui  in  tenebris  ambulaverunt  ad  lucera  redibunt. 

Que  diversa  erunt  per  diversa'«  consolidabuntur. 

Non  modica  nubes  incipiet  pluere  '^,  quia  natus  est  immu- 
■tator'8  seeuli. 

Leo  substituetur"»  agnis,  et  agni  leones  depredabuntur^o. 

Surget  furor  contra  principera,  et  simplicitas  attenuata 
spirabit^i, 

Decus  convertetur  in  dcdecus,  et  gaudium  multorum  erit 
luctus. 


1 1   'Samica'  undeutlich  A.         2)   'Exitabitur'  A.  3)  'Romanum'  A. 

4)  'Kome'  fehlt  B.  —  PseudoJoachim   citiert  diese  Worte  so:  'et  Romanus 
substitutus  Romano  Romam   inminuet'.  5)  'Leonculus'  B.  6)  'petet 

niontium'  B.  7)  Diese  Worte  kommen  in   des  PseudoJoachim   'Lectura 

lesaiae  super  oneribus'  vor.         8)  Uebergeschrieben  in  A.         9)  Hull'  A. 
10)    'vel    alludef    setzt    zu    B.  11)    'furibunda'    A.  12)    'gres'    A. 

13)   'cumulum'   A.  14)    'mundabuntur'   B.  15)    Auch    diese    Worte 

kommen    bei    PseudoJoachim    vor.  16)     'per  div.'    zweimal    in    B.    — 

'consolidantur'  A.  17)    Fehlt    A.  18)    'natus    immutatio',    danach    e 

übergeschrieben   A.  19)    'sustituetur'    A.  20)    'deprecabuntur'    A. 

21)   'sperabit'  B. 


V. 


Miscellen 


12' 


I 


Nachträge  zu  den  Ostgotliisclien  Studien. 

Vou  Theodor  Mommsen. 

Zu  Neues  Archiv  XIV  S.  461.  Was  hier  über  die  vicarii 
der  Gotheuzeit  gesagt  ist,  stimmt  nicht  mit  den  Ergebnissen, 
zu  welchen  zwei  junge  Gelehrte,  Charles  Diehl  in  Nancy  i  und 
Ludo  Hartmann  in  Wien  2,  die  kürzlich  das  byzantinische 
Regiment  über  Italien  eingehend  untersucht  haben,  freilich 
unter  sich  wieder  abweichend,  gelangt  sind;  und  ich  bin  da- 
durch veranlasst  auf  die  Frage  zurückzukommen,  um  so  mehr 
als  ich  eine  vor  Jahren  von  mir  darüber  gemachte  und  von 
den  Genannten  angezogene  Bemerkung  als  unhaltbar  zu  be- 
zeichnen habe. 

Die  Nichtexistenz  des  Vicariats  von  Italien  in  der  ost- 
gothischen  Zeit  glaube  ich  erwiesen  zu  haben;  das  Fehlen 
einer  dafür  geeigneten  Formel  bei  Cassiodor  reicht  in  der 
That  allein  schon  dazu  aus.  Aber  wenn  in  byzantinischer 
Zeit,  und  zwar  nachdem  Mailand  in  die  Hände  der  Langobarden 
gekommen  war,  die  Rede  ist  von  einem  Johannes  vir  magni- 
ficus,  der  nach  Genua  kommt  praefecturae  vices  illic  acturus 
als  Nachfolger  eines  Vigilius,  qui  vices  illic  ante  hunc  prae- 
fecturae  gessit^,  so  kann  ich  nur  gegen  Hartmann  (S.  40) 
Diehl  (S.  161)  darin  beitreten,  dass  dies  ein  ständiger  Beamter 
gewesen  sein  muss;  darauf  führt  sowohl  die  Nachfolge  wie 
die  Nennung  nicht  des  praefectus,  sondern  der  praefectura. 
Andererseits  aber  steht  nichts  der  Annahme  entgegen,  dass 
bei  der  Ordnung  Italiens  Justinian  den  comes  Italiae  wieder 
beseitigt  und  den  vicarius  Italiae  hergestellt  hat. 

Dass  nach  der  Eroberung  Galliens  der  Vicariat  für  Gallien 
von  Theoderich  wiederhergestellt  ward,  ist  unbestreitbar  und 
unbestritten"*;  und  diese  Thatsache  allein  Sviderlegt  Hart- 
raanns  Meinung,   dass   in  der  ostgothisehen  Zeit  der  Vicariat 


1)  Etudes  sur  radministration  Byzantine  daus  l'exarchat  de  Ravenne. 
Paris  1888.  2)  Untersuchung'en  zur  Geschichte  der  byzantinischen  Verwal- 
tung in  Italien.  Leipzig-  1889.  3)  Gregorius  ep.  9,  35,  gerichtet  an 
den  damals  in  Genua  residirenden  Bischof  von  Mailand.  4)  Var.  8,   16. 


182  Th.  Mommsen. 

principiell  beseitigt  gewesen  ist.  Es  zeigt  sich  vielmehr  wieder 
recht  deutlich,  dass  in  dem  Gebiet  Theoderichs  das  römische 
Verwaltungsschema,  so  wie  dessen  materielle  Voraussetzungen 
vorhanden  waren,  von  Rechtswegen  in  Kraft  trat.  Auch  das 
Fortbestehen  des  vicarius  urbis  Romae  in  gothischer  und 
byzantinischer  Zeit  leugnet  Hartmann  (S.  39)  sicher  mit 
Unrecht.  Die  bei  Cassiodor  6,  15  für  denselben  aufgestellte 
Formel  kann  nicht,  wie  er  meint,  auf  den  vicarius  prae- 
fecturae  urhis  bezogen  werden,  einmal  weil  der  vicarius  der 
praefectura  praetorii  und  der  vicarius  der  praefectura  urbis 
titular  verschieden  sind  und  die  cassiodorische  Formel  wie 
überhaupt  so  namentlich  in  der  Titulatur  nur  auf  den  ersteren 
passt,  zweitens  weil  der  vicarius  des  praefectus  urbi  lediglieh 
in  der  diocletianischen  Uebergangszeit  vorkommt  und  nach  dem 
Ausweis  der  notitia  dign.  wie  nach  allen  anderen  Quellen  später- 
hin ein  solches  Amt  nicht  mehr  bestanden  hat'.  —  Die  An- 
nahme, dass  die  Competenz  des  Vicarius  urbis  Romae  im  Laufe 
dieser  Periode  eine  andere  geworden  sei,  habe  ich  früher 
vertreten »  und  Diehl  (S.  161)  wie  Hartmann  (S.  144)  haben 
mir  darin  beigestimmt;  doch  lilsst  sich  dafür  ein  genügender 
Beweis  nicht  erbringen.  Nach  den  diocletianisch-constan- 
tinischen  Ordnungen  hat  der  vicarius  urbis  Romae  eine 
zweifache  Competenz:  er  hat  theils,  als  den  praefecti  urbi 
neben-,  aber  nicht  untergeordnet,  die  secunda  iudicia  in 
der  Stadt  Rom,  theils  ist  er  Oberinstanz  für  die  zehn  süd- 
italischen Provinzen.  Beides  ist  Avahrscheinlich  geblieben. 
Wenn  er  nach  Cassiodors  Angabe  intra  quadragesimum  sacra- 
tissimae  ui-bis  iura  custodit,  so  kann  diese  sonst  nicht  bekannte  * 
Competenzgrenze  füglich  auf  seine  städtische  Function  bezogen 
werden  und  dafür  schon  vor  der  gothischen  Zeit  bestanden 
haben,  während  andererseits  es  sich  nicht  erweisen  lässt,  dass 
er  in  gothischer  Zeit  nicht  auch  noch  in  gewissen  Beziehungen 
als  Oberinstanz  für  Süditalien  fungirt  hat,  obwohl  allerdings 
davon  geradezu  nichts  zum  Vorschein  kommt  und  deren  Vor- 
steher namentlich  in  Steuersachen  direct  vom  praefechis  prae- 
torio  ressortiren. 

Ich  muss  also  dabei  bleiben,  dass  in  Rom  es  auch  jetzt 
noch  Avie  früher  drei  kaiserliche  Stellen  ersten  Ranges  gab, 
den    agens    vices   praefecti  praetorio*,    seit   dieser    selbst  in 


1)  Dies  ist  in  den  memorie  dell'  instituto  2,  308  fg.  gezeigt  worden. 
Die  Verschiedenheit  des  bei  Vacanz  des  Amtes  oder  Abwesenheit  des 
Beamten  eintretenden  agens  vices  praefecti  urbis  von  dem  ständigen  vica- 
rius praefectiirae  urbis  habe  ich  dort  ebenfalls  entwickelt.  2)  Rom. 
Feldmesser    2,    203.      Dagegen    Bethmann -Hollweg    Civilprozess    3,    63. 

3)  Hartmann  S.  144  macht  indess  aufmerksam  auf  die  Stelle  bei  Grego- 
rius  dial.  3,  18:  fuit  quidam  in  Campaniae  partibus  intra  quadragesimum 
Eomanae   urbis   miliarium  nomine  Benedictus  .   .   .     Totilae   regis    tempore. 

4)  Ostgoth.    Stud.  S.  463.  491.      Zu    dieser   Kategorie    gehört   wohl    der 


Nachträge  zu  den   Ostgothischen  Studien.  183 

Ravenna  residirte,  den  praefectus  urhi  und  den  vicarius 
urbis  Romae^.  Bei  Vacanz  des  Amtes  oder  Behinderung  der 
Beamten  tritt  für  die  beiden  letzten  ein  agens  vices  ein'. 

Zu  S.  466  A.  4.  Was  hier  über  die  Reactivirung  des 
comes  domesticorum  nach  Theoderichs  Tode  bemerkt  ist,  be- 
ruht auf  einer  Interpolation  des  Briefes  8,  12,  auf  die  ich  erst 
später  aufmerksam  geworden  bin.  Derselbe  giebt  die  Amts- 
stellung des  Adressaten  Arator  v.  i.  in  der  Aufschrift  nicht 
an ;  sie  wurde  gefolgert  aus  den  Worten  des  Textes :  te  comi- 
tivae  domesticorum  illustratum  honore  decoramus,  die  trotz 
ihrer  verwirrten  Fassung  nicht  wohl  anders  verstanden  werden 
konnten.  Aber  diese  Fassung  findet  sich  nur  in  den  ge- 
ringeren Handschriften;  die  beste,  die  Brüsseler,  zum  Theil 
unterstützt  durch  die  Londoner,  liest:  te  comitiis  domesticorum, 
illustratum  isto  honore  decoramus;  wonach  also  Arator,  nach- 
dem er  vorher  durch  die  comitia  (das  heisst  die  comitiva) 
domesticorum  zum  lUustrat  gelangt  war,  jetzt  nach  Theode- 
richs Tode  ein  anderes  Amt  empfängt.  Welches  dies  ist, 
spricht  Cassiodor  nicht  aus;  es  muss  eines  der  minderen  der 
ersten  Klasse  gewesen  sein,  da  Arator  dieser  bereits  angehört, 
aber  in  dem  Briefe  nur  von  seinem  Vater  und  von  der  Vor- 
stufe der  Beamtenlaufbahn ,  der  Advocatur  die  Rede  ist, 
auch  am  Schluss  ihm  bei  fernerem  Wohlverhalten  höhere  Stel- 
lungen verheissen  werden.  Aber  was  der  Brief  verschweigt, 
sagt  uns  die  Subscription  des  von  demselben  Mann  verfassten 
und  dem  Papst  Vigilius  im  J.  544  überreichten  Poems  de 
actihus    apostolorum ;    es    heisst    hier:    ohlatus    hie    codex   ah 

Johannes  vir  magnißcus  in  Jiac  urbe  locum  praefectorum  servans  bei 
Gregor  dial.  .3,  10.  4,  52;  desgleichen  der  Dulcitius,  den  als  agens  vices 
des  praepositus  (oder  vielmehr  praefectus  praetorio:  Jaffe-Kaltenbrunner 
1775)  Italiae  Johannes  derselbe  Gregorius  ep.  10,  21  erwähnt  und  der  ohne 
Namennennung  noch  bei  ihm  10,  52  vorkommt:  ut  cautiones  agentluvi  vices 
lohannis  praefecti  simul  et  Palatini  huc  transmittere  deheat.  Wenn  Diehl 
S.  160  A.  11  darüber  bemerkt,  que  le  titre  de  praefectus  simul  et 
palatinus  est  peu  clair,  so  ist  übersehen,  dass  das  letzte  Wort  hier  nicht 
Standesbezeichnung,  sondern  der  10,  51  genannte  Palatinus  patricius 
gemeint  und  hier  von  dessen  Vertreter  und  dem  des  Präfecten  Johannes  die 
Rede  ist.  Ein  gleichnamiger  Mann  wird  erwähnt  in  der  Veroneser  Biogra- 
phie des  Papstes  Symmachus  (Duchesne  liber  pontif.  p.  46).  Noch  weniger 
durfte  Diehl  den  Johannes  vir  clarissimus  palatinus  des  Briefes  10,  26, 
einen  Steuerbeamten  der  dritten  Rangklasse,  mit  jenem  praefectus  praetorio 
identificiren.  1)  Dass  man  den  Crescentius,  den  Papst  Gregor  ep.  10,  46 
als  vicarius  noster  bezeichnet,  zu  einem  Reichsbeamten  dieser  Benennung 
zu  machen  pflegt,  während  vicarii  der  Bischöfe  oft  genug  vorkommen, 
hat  viel  Verwirrung  gestiftet.  2)  Ein  solcher  des  Vicars  ist  Georgius 

comes  et  agens  vices  Marcellini  vicarii  in  dem  Briefe  Papst  Pelagius  I. 
von  558/560  (Jaife  -  Kaltenbrunner  reg.  n.  1021  mit  dem  Nachtrag  von 
Löwenfeld;  Ewald  in  diesem  Archiv  5,  555). 


184  Th.  Mommsen. 

Aratore  inlustri  excomite  domesticorum  excomite  privatarum 
viro  religioso  suhdiacono  sanctae  ecclesiae  Romanae^.  Also 
ist  die  comitiva  privatarum  gemeint  und  hat  Arator  diese 
im  J.  526  von  Athalarich  erhalten,  worauf  er  dann  in  den 
geistlichen  Stand  übertrat  und  achtzehn  Jahre  später  in  Rom 
als  Subdiaconus  thätig  war. 

Zu  S.  487  A.  7  a.  E.  Es  hätte  hier  darauf  hingewiesen 
werden  sollen,  dass  Gregorius'  (hist.  Franc.  2,  38)  Bericht  über 
Chlodovechs  Consulat  wesentlich  correct  ist:  ah  Anastasio 
imperatore  codicillos  de  consulatu  accepit  et  in  hasilica  heati 
Martini  tunica  hlattea  indutus  et  chlamyde,  imponens  vertice 
diadema.  Der  Versuch  dem  Frankenkönig  einen  Platz  in 
den  Fasten  zu  verschaffen,  der  noch  kürzlich  gemacht  worden 
ist,  wäre  allerdings  besser  unterblieben  (vgl.  Krusch  in  dieser 
Zeitschrift  12,  299);  aber  neben  den  jetzt  wieder  das  ganze 
Jahr  hindurch  fungirenden  und  in  der  Datirung  ausschliess- 
lich verwendeten  consules  ordinarii  (Staatsrecht  2^,  93)  stehen 
in  dieser  Epoche  die  titularen  sowohl  in  den  Erlassen  des 
Ostreichs  {cod.  Inst.  10,  32,  67,  1.  12,  3,  3.  4),  wie  auch  bei 
Cassiodor  {var.  6,  10  und  sonst)  und  in  zahlreichen  bis  in 
späte  Zeit  hinaljreichenden  byzantinischen  Bleisiegeln.  Dass  an 
diese  hier  zu  denken  ist,  beweist  die  dafür  technische  Erwähnung 
der  codicilli.  Ungenau  ist  allein  die  Nennung  des  Diadems, 
das  Chlodovech  nur  als  König,  nicht  als  Consul  getragen  haben 
kann.  Ebenso  hat  Gregor  in  den  folgenden  Worten:  ab  ea  die 
tamquam  consul  ant  Augustus  est  vocitatus  den  Augustus  mit 
Unrecht  hereingezogen.  Der  Titel,  der  dem  Honorarconsul 
zukommt,  ist  ex  consule  *  und  in  diesem  Sinne  muss  Gregors 
tamquam  consul  aufgefasst  werden.  Proconsul,  wie  in  einem 
Theil  der  Handschriften  der  lex  Salica  Chlodovech  genannt 
Avird,  kann  weder  mit  v.  Sybel  (Rhein.  Jahrb.  4,  86;  histor. 
Zeitschrift  56,  399)  von  einem  durch  den  Kaiser  des  Ostens 
dem  fränkischen  König  übertragenen  Proconsulat  über  Gal- 
lien verstanden,  noch  mit  Waitz  (Verf.  gesch.  2,  1^,  47)  auf 
das  Honorarconsulat  bezogen  werden ;  wenigstens  wird  dies 
titular    nie    also    bezeichnet.       Es    ist    doch    wohl    nichts    als 


1)  Diese  vollständige  Fassung  giebt  Sirmond  (zum  Ennodius  p.  349 
der  Vogelschen  Ausgabe)  nach  einer  Handschrift  von  Reims;  in  anderen, 
zum  Beispiel  der  Berner  von  Hümer,  Wiener  Stud.  2,  79  angeführten, 
steht    bloss    ab    Aratore    suhdiacono.  2)    So    heissen    in   justinianischer 

Zeit  Narses  (C.  VI,  1199)  und  Solomon  (C.  VIII,  1863.  4677),  die  beide 
nur  das  Honorarconsulat  bekleidet  haben  können.  Die  wirklich  in  Function 
gewesenen  Consnln  dagegen  nennen  sich  ex  consule  ordinario,  wie  z.  B. 
Decius  486  (C.  X,  6850),  Boethins  Consul  522  in  der  Subscription  einer 
seiner  Schriften,  Mavortius  Consul  527  in  derjenigen  der  horazischen 
Epoden  und  Cassiodor  selbst. 


Nachträge  zu  den  Ostgothischen  Studien.  185 

Schreiberversehen  für  das   allein  in  den  Zusammenhang  pas- 
sende praecelsus. 

Zu  S.  489  A.  4.  S.  490  A.  2.  Aus  Versehen  ist  Sym- 
machus  hier  als  Consul  des  J.  522  bezeichnet  und  nicht  als 
Consul  des  J.  485.  Danach  dürfte  caput  senatus  nicht  einen 
von  dem  Herrscher  bestellten  Vormann  des  Senats  bezeich- 
nen, sondern  einfach  den  nach  der  senatorischen  Rangordnung 
an  der  Spitze  stehenden  Senator. 

Zu  S.  505.  Die  richtige  Auffassung  der  Stellung  Theode- 
richs bestätigt  sich  weiter  durch  den  aus  derselben  entwickelten 
Exarchat,  dessen  Entstehung  übrigens  Hartmann  in  der  oben 
angeführten  Schrift  in  allem  Wesentlichen  richtig  dargelegt 
hat.  Wenn  der  Gothenkönig  als  ständiger  mag  ister  militum 
in  Italia  für  Byzanz  functionirt  hatte,  so  musste  nach  dem 
Sturz  der  Gothenmacht  dieses  Amt  wieder  in  der  durch  das 
byzantinische  Schema  gegebenen  Form  besetzt,  für  den  neu 
gewonnenen  Reichstheil  ein  oberster  Militärchef  ohne  Lebens- 
länglichkeit und  Erblichkeit  bestellt  werden.  Auch  in  Africa,  das 
freilich  formell  vom  Reiche  getrennt  gewesen  war,  lagen  nach 
dessen  Wiedereroberung  die  Verhältnisse  ganz  ähnlich.  Der  Sache 
nach  ist  dies  auch  dort  wie  hier  geschehen;  Belisar,  Solomon, 
Johannes  in  Africa,  Belisar,  Narses,  Smaragdus  in  Italien  sind 
wesentlich  die  in  Thracien  wie  im  Orient  als  magistri  militum 
bezeichneten  Obercommandanten.  Was  sie  von  diesen  unter- 
scheidet, ist  hauptsächlich  die  Titulatur.  Zwar  für  Africa  gilt  nicht 
einmal  dies,  insofern  dort  die  Inschriften  namentlich  den  Solo- 
mon einfach  magister  militum  nennen  und  diese  Benennung 
hier  erst  nach  längerer  Zeit  abgekommen  ist '.  Aber  im 
byzantinischen  Italien  erscheint  der  Magistertitel  in  solchem 
officiellen  Gebrauche  nicht,  wahrscheinlich  weil  er,  nach  Aus- 
weis der  Briefe  Gregors,  dort  häufig  an  Offiziere  niederen  Ranges 
vergeben  ward  und  daher  den  Oberfeldherrn  nicht  hinreichend 
charakterisirte.  Hier  hat  einige  Zeit  das  Amt  bestanden  ohne 
officielle  Titulatur  —  wenigstens  können  wir  für  Belisar  keine 
nachweisen  und  legt  Narses,  von  dem  wir  Inschriften  besitzen  ^^ 
sich  nur  Rangtitel  (vir  gloriosissivius ,  vir  excellentissimus, 
2)atricius)  bei ;  insofern  unrichtig,  obwohl  sachlich  zutreffend 
betrachten   die    späteren  Byzantiner   schon   ihn   als   Exarchen. 


1)  Die  in  Karthago  zum  Vorschein  gekommene  Inschrift  des  Ex- 
archen von  Italien  Smaragdus  (C.  VIII,  10529),  welche  sowohl  Diehl 
(S.  171)  wie  Hartmann  (S.  114)  anführen,  ist  nach  Reinachs  Zeu^niss, 
der  den  Stein  gesehen  hat,  eine  in  Rom  angefertigte  und  nach  Tunis 
exportirte  Copie  derjenigen  der  Phokassäule  (Eph.  ep.  V  p.  538). 
2)  C.  I.  L.  VI,   1199.  X,  8045,  14. 


186  Th.   Mommsen. 

Das  Wort  exarchus,  welches  diese  Lücke  ausfüllt,  bezeichnet 
in  der  reinen  Graecität  den  Anheber,  insbesondere  den  Vor- 
sänger und  hat  in  besserer  Zeit  keine  militärische  Fär- 
bung; dagegen  in  einem  Erlass  Justinians  vom  J.  545  >  spricht 
der  Kaiser  von  'unseren  Exarchen'  in  der  Weise,  dass  diese 
Benennung,  wie  in  älterer  Zeit  das  lateinische  clux,  den  zeitigen 
Commandoführer  ohne  Rücksicht  auf  dessen  Rangstellung  be- 
zeichnet ;  und  wie  dies  der  Grundbedeutung  des  Wortes  wohl 
entspricht,  so  wird  enuntiativ  das  italische  übercommando 
correct  und  genügend  dadurch  charakterisirt.  Sicher  als  Titel 
begegnet  das  Wort  zuerst  in  der  vor  kurzem  von  Rossi  ans 
Licht  gezogenen  Inschrift  des  Julianus  tbt^QXos  'l[TO/.iag]  vom 
J.  589 2  und  von  da  an  ständig;  es  muss  zuerst  diesem  oder 
einem  seiner  nächsten  Vorgänger  officiell  beigelegt  worden  sein. 
Es  ist  wohl  richtig,  was  Hartmann  (S.  30)  sagt,  dass  die 
Macht  des  Exarchats  ausging  von  dem  Specialmandat  für  die 
Führung  des  Gothenkrieges,  aber  der  Exarch  ist  kein  ausser- 
ordentlicher Weise  bestellter  Befehlshaber,  sondern  der  ordent- 
liche Militärcommandant  des  byzantinischen  Italiens.  Civilcom- 
petenz  liegt  an  sich  in  dem  Amte  nicht;  es  wird  dies  schon 
dadurch  gefordert,  dass  dem  Exarchen  wenigstens  das  ganze 
sechste  Jahrhundert  hindurch  der  praefectvs  praetorio  Italiae 
zur  Seite  steht.  Aber  das  Uebergreifen  der  Militärbehörden  in 
die  Civilverwaltung  wird  durch  das  Wesen  des  damaHgcn 
Regierungssystems  gewissermassen  gefordert ;  und  wenn  in  Africa 
der  magister  müitum  Solomon  zugleich  sich  praefectvs  praetorio 
nennt  und  für  ihn  also  die  oberste  Militär-  und  die  oberste 
Civilverwaltung  formell  combinirt  worden  sind,  so  haben  seine 
titellosen  oder  betitelten  italischen  Amtsgenossen,  ohne  Zweifel 
durch  Specialmandat,  sachlich  häufig,  vielleicht  regelmässig  eine 
analoge  Stellung  erhalten  und  den  praefectiis  praetorio  mehr 
als  Unterbeamten  denn  als  Collegen  behandelt.  Insofern  sagt 
Hartmann  weiter  nicht  unrichtig,  dass  der  Exarch  bald  der 
Träger  der  kaiserlichen  Centralverwaltung  in  Italien  gewor- 
den ist*;  aber  es  ist  doch  nicht  zu  übersehen,  dass  der  für 
die  gesammte  römische  Spätzeit  massgebende  Grundgedanke 
der  Scheidung  der  civilen  und  der  militärischen  Competenzen 
principiell  auch  diese  Institution  beherrscht  hat. 


^       1)  Nov.   130.  2)  Rossi  inscr.  christ.   2  p.  455;    Hartmann  S.  111. 

Das  älteste  Schriftstück,  in  dem  das  Wort  auf  das  italisclie  Obercommando 
anprewandt  wird,  ist  das  Schreiben  des  Papstes  Pelagius  11.  vom  J.  584 
(JaflFe  -  Kaltenbrunner  n.  1052).  3)  Schärfer  noch  und  also  noch  minder 
zutreffend  ist  die  gleiche  Auffassung  bei  Diehl  (S.  15  fg.)  entwickelt; 
nach  ihm  ist  das  Exarchat  zwischen  572  und  576  als  combinirte  militärisch- 
civile  Centralstelle  eingerichtet  worden. 


Bemerkungen  zu  den  Papstbriefen  der  Britischen 

Sammlung. 

Von  Theodor  Mommsen. 

Jaffe-K.  631;  Löwenfeld,  Epp.  Pont.  Rom.  S.  2  n.  3; 
Ewald,  Neues  Archiv  V,  509  n.  3.  In  dem  Adressaten  Probus 
hat  Ewald  mit  Recht  den  episcopus  Carmeianensis  erkannt, 
der  an  den  römischen  Synoden  501.  502  theilnahm.  Gemeint 
ist  der  Distriet,  welcher  in  der  Not.  dignitat.  occ.  e.  12,  18 
also  aufgeführt  wird :  procurator  rei  privatae  per  Apuliam  et 
Calahriam  sive  saltus  Carminianensis,  auch  in  der  interpolir- 
ten  Fassung  des  liber  coloniarum  (grom.  p.  261)  in  der  Form, 
dass  zu  dem  ager  Collatinus,  den  der  bessere  Text  zwischen 
Arpanus  und  Siponttnus  verzeichnet,  hier  zugeschrieben  ist: 
Olli  et  Carmeianus.  Der  Ort  ist  wahrscheinlich  Carmignano 
in  (dem  ehemaligen)  Calabrien  zwischen  Lecce  und  Nardo. 
Dass  die  Oertlichkeit  als  kaiserliche  Domäne  ausserhalb  der 
municipalen  Organisation  stand,  zeigt  die  Notitia;  darauf  kann 
der  conductor  domus  regie  bezogen  werden,  obwohl  dessen 
Pachtbezirk  nicht  nothwendig  in  der  Diöcese  des  Probus  ge- 
sucht werden  muss. 

Jaffe-K.  648;  Löwenfeld  a.  a.  O.  S.  4  n.  7;  Ewald  a.  a.  O. 
S.  513  n.  12.  Der  episcopus  Valvensis  ist  derjenige  des  alten 
Corfinium,  dessen  Sprengel  zu  Gelasius  Zeit  schwerlich  schon 
mit  dem  von  Sulmo  vereinigt  war;  Salerno  bei  Ewald  muss 
Schreibfehler  sein.  Ob  das  in  dem  Briefe  erwähnte  Potentia 
die  lucanische  Stadt  ist  (Potenza)  oder  die  picenische  (bei 
Recanati),  ist  nicht  auszumachen;  beide  liegen  von  Corfinium 
weit  ab. 

Jaffe-K.  705  (vgl.  663);  Löwenfeld  a.  a.  O.  S.  9  n.  17; 
Ewald  a.-  a.  O.  S.  517  n.  30.  Den  vicus  Chientinus  nennt 
die  Inschrift  C.  I.  L.  IX,  5804,  gefunden  in  Civitanuova  in 
Picenum  zwischen  Osimo  und  Fermo;  ob  derselbe  mit  der  in 
älterer  Zeit  mehrfach  genannten  Ortschaft  Cluana  zu  identifi- 
ciren  ist,  steht  dahin. 

Jaffe-K.  713;  Löwenfeld  a.  a.  O.  S.  9  n.  18;  Ewald  a.  a.  O. 
S.  519  n.  38.  Der  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  mit  dem  an- 
conitanischen  grenzende  Bisthumssprengel  der  ecclesia  Camis- 
cana  kann  wohl  kein  anderer  sein  als  der  des  südlich  nächst 


188  Th.  Mommsen. 

angrenzenden  Territoriums  von  Numana,  obwohl  die  Aende- 
rung  ziemlieh  weit  abliegt. 

Jaffe-K.  981;  Löwenfeld  a.  a.  O.  S.  14  n.  25;  Ewald  a.  a.  O. 
S.  540  u.  9.  Auf  Grund  des  schon  früher  bekannten  Frag- 
ments dieses  Briefes  (Mansi,  Coli,  concil.  IX,  734)  haben  die 
Neapolitaner  Topographen  (zuletzt  Corcia,  Storia  delle  due 
Sicilie  II,  97)  den  nur  hier  genannten  vicus  Fenicolensis  mit 
dem  vico  di  Pantano,  südöstlich  von  Castel  Volturno  in  Cam- 
panien  identificirt.  Jetzt,  wo  das  Schreiben  vollständig  vor- 
liegt, sehen  wir,  dass  es  von  zwei  benachbarten  Sprengein 
handelt,  der  ecclesia  Vxdturnina  vel  vici  Feniculensis  und 
der  ecclesia  Pariensis  fwofür  bei  ]\Iansi  Parisiensis  gedruckt 
ist).  Bei  der  letzteren  kann  wohl  nur  gedacht  werden  an  das 
alte  Liternum,  jetzt  Torre  di  Patria;  ob  die  handschriftliche 
Ueberlieferung  danach  zu  ändern  oder  Patria  aus  Paria  ver- 
dorben ist,  Aveiss  ich  nicht  zu  entscheiden.  Der  vicus  Feni- 
colensis muss  in  oder  bei  Castel  Volturno  gesucht  werden; 
vielleicht  hat  die  jetzt  gangbare  Identificirung  hier  einmal  das 
Richtige  getroffen. 

Jaffe-K.  966;  Löwenfeld  a.  a.  0.  S.  20  n.  39;  Ewald  a.  a.  O. 
S.  561  n.  70.  71,  Der  preshyter  Turinatis  ecclesiae,  welche 
zur  Diöcese  von  Spoleto  geh'irt,  kann  unmöglich  ein  Priester 
von  Todi  sein,  das  eine  eigene  Diöcese  bildet.  Aber  nachzu- 
Aveisen  weiss  ich  jene  Ortschaft  nicht. 


Bemerkungen  zu  den  Papstbriefen  der  Britischen. 

Sammlung. 

Von   H.   Bresslaii. 

Jaffe-L.  4538;  Löwenfeld,  Epp.  Pont.  Rom.  inedit.  S.  45 
n.  87;  Ewald,  Neues  Archiv  V,  340  n.  67.  Dies  Stück  ist 
von  Ewald  nach  seiner  Stellung  in  den  Excerpten  der  Briti- 
schen Sammlung  zu  1063  angesetzt  und  darnach  auch  von 
Löwenfeld  in  den  Regesten  eingereiht  worden.  Diese  An- 
setzung  ist  wenigstens  für  den  zweiten  Theil  des  Stückes,  die 
mit  'item'  eingeführte  Notiz  über  die  Absetzung  des  Bischofs 
Michael  von  Pesaro  unmöglich.  Denn  Michaels  Vorgänger 
Dominicus,  den  Gams  zu  1062  ansetzt,  kommt  nicht  nur  in 
den  Unterschriften  von  Jaffe-L.  4565  vom  6.  Mai  1065,  (s.  unten 
S.  190),  sondern  sogar  noch  1070  in  der  Lateransynode  vom 
15.  Mai  (Mansi  XIX,  998;  vgl.  Jaffe,  Reg.  pontif.  I'',  585) 
vor.  Seine  Entsetzung  durch  Alexander  IL  wiegen  Ver- 
schwendung von  Kirchengut  kann  also  nur  in  die  Zeit  von 
1070—73  fallen. 

Jaffe-L.  4559,  Löwenfeld  a.  a.  O.  S.  48  n.  96;  Ewald  a.  a.  0. 
S.  337  n.  45.  Alexander  IL  theilt  in  diesem  Schreiben  dem 
Mailänder  Clerus  mit,  er  habe  einen  Bischof  ('frater  noster') 
Lanfrank  wegen  des  ihm  zur  Last  gelegten  Verbrechens  ('cri- 
men, tantum  tamque  execrabile  flagicium')  in  Untersuchung 
gezogen,  aber,  da  er  zum  Bekenntnis  nicht  habe  bewogen 
werden  können,  ihm  gestattet  sich  durch  einfachen  Eid  zu 
reinigen.  Der  Eid  scheint  bei  Erlass  des  Schreibens  noch 
nicht  geleistet  zu  sein,  da  der  Papst  sagt:  'ante  presentiam 
nostram  ...  ab  huius  criminis  obiectione  se  defensurum 
remisimus'.  Es  bleibt  zu  fragen:  wer  ist  der  Angeklagte? 
Ewald  hat  sich  ebenso  wie  Löw^enfeld  in  der  Ausgabe  der 
Epistolae  jeder  Vermuthung  darüber  enthalten,  letzterer  da- 
gegen in  den  Regesten  an  einen  Bischof  von  Belluno  gedacht. 
Hier  wird  in  der  That  bei  Gams  ein  'Lanfrancus  de  Madde- 
burgh'  angeführt,  der  bis  1070  gesessen  haben  soll.  Eine  Ur- 
kunde von  ihm  kenne  ich  nicht;  die  Angabe  geht  jedenfalls 
auf  lokale  Ueberlieferung  zurück,  und  dass  hier  ein  Magde- 
burger zum  Bisthum  gelangt  ist,  ist  nicht  unwahrscheinlich: 
auch    die     beiden    Vorgänger    Albuin     und    Hezimann    sind 


190  H.  Bresslau. 

Deutsche.  Aber  der  Name  ist  entschieden  irrig;  schon  bei 
Miari,  Dizionario  storico-artistico-letterario  Bellunese  S.  164  S. 
findet  sich  ein  Ansatz  zum  richtigen,  indem  er  hier  heisst 
^Lanfranco  o  Walfraco  di  Magdeburgo',  und  die  correcte 
Namensform  giebt  uns  der  'Liber  pontificalis'  Gundekars  von 
Eichstädt,  SS.  VII,  249,  wo  unter  den  1057  — 1075  gestorbenen 
Bischöfen  Wolfram  von  Belluno  aufgezählt  wird.  Fällt 
damit  Löwenfelds  Vermuthung,  so  möchte  ich  an  Lanfrank 
von  Chiusi  erinnern,  der  zeitlich  gut  passt.  Gams  giebt  ihm 
<iie  Sedenzzeit  von  1066  —  1098;  er  kommt  aber  schon  1065 
als  'Lanfrancus  Clusinae'  (so  ist  statt  'Elusinae'  natürlich  zu 
lesen)  'urbis  episcopus'  vor  in  Jaffe-L.  4565,  dessen  Unter- 
schriften, wie  Löwenfeld  mit  Recht  bemerkt,  auf  ein  verlorenes 
zweites  Original  zurückgehen  müssen  und  sich  durchweg  als 
zuverlässig  bewähren.  Dann  kann  ich  ihn  in  Urkunden  von 
1068.  1072.  1075/76.  1094.  zuletzt  im  Juni  1098  (Liverani, 
Ducato  di  Chiusi  S.  279)  nachweisen.  Für  die  Beziehung 
unseres  Briefes  auf  ihn  spricht  nun  die  Urkunde  Jaffe-L.  4657, 
ein  Brief  an  den  Clerus  von  Chiusi,  aus  dem  wir  erfahren, 
dass  die  Geistlichen  dieser  Kirche  auf  einem  römischen  Concil 
ihren  Bischof  der  Simonie  angeklagt  haben.  Der  Papst,  heisst 
es,  habe  die  Sache  in  Untersuchung  gezogen,  sie  aber  seiner 
Zeit  nicht  entscheiden  können  und  sie  deshalb  'ad  nostrara 
iterum  audientiam  deferendam'  vertagt.  Dann  sei  die  Sache 
wiederholt  verhandelt,  schliesslich  aber  in  Chiusi  selbst  der 
Streit  zu  Gunsten  des  Bischofs  entschieden.  Von  einem 
Reinigungseid  des  Bischofs  ist  dabei  nicht  die  Rede,  aber  das 
beweist  natürlich  nichts  gegen  seine  Identität  mit  dem  in 
unserem  Brieffragment  genannten;  der  Eid  kann  erlassen,  es 
kann  auch  für  unnöthig  erachtet  sein  ihn  in  einem  Brief  an 
den  Clerus  von  Chiusi,  der  ja  bei  der  eventuellen  Ableistung 
desselben  in  Chiusi  zugegen  gewesen  sein  muss,  ausdrücklich 
zu  erwähnen.  Halte  ich  also  den  in  unserem  Fragment  ge- 
nannten Lanfrank  so  lange  für  den  Bischof  von  Chiusi,  als 
nicht  ein  anderer  gleichnamiger  und  gleichzeitiger  italienischer 
Bischof  nachgewiesen  wird,  so  muss  das  Fragment  in  1068 
gesetzt  werden,  da  das  Concil,  auf  welchem  der  Bischof  an- 
geklagt wird,  offenbar,  wie  auch  Löwenfeld  annahm,  das 
Frühjahrsconcil  von  1068  ist.  Diese  veränderte  Einreihung 
ist  nicht  unmöglich;  das  Fragment  steht  in  der  britischen 
Sammlung  zwischen  zwei  Briefreihen,  von  denen  die  erste  in 
1064.  1065,  die  zweite  in  1063  gehört.  Schon  Ewald  S.  348 
liess  es  danach  unentschieden,  ob  das  Fragment  in  1065  oder 
in  1063  zu  setzen  sei;  es  ist  aber  sehr  wohl  denkbar,  dass 
der  Sammler,  ehe  er  mit  n.  46  zu  1063  zurückkehrte,  in 
unserem  Fragment  n.  45  auch  noch  ein  erheblich  späteres 
Stück    anschloss.      Stimmt  man    diesen  Darlegungen   zu,    so 


Bemerkungen  zu  den  Papstbriefen  der  Britischen  Sammlung.      191 

bleibt  nur  noch  zu  fragen,  woher  die  Notification  der  vor- 
läufigen päpstlichen  Entscheidung  in  einem  Process  gegen  den 
Bischof  von  Chiusi  an  den  Mailänder  Clerus  zu  erklären  ist». 
Diese  Frage  lässt  sich  einfach  dahin  beantworten,  dass  der 
Papst  wohl  ein  Interesse  gehabt  haben  kann,  den  ihm  so  nahe- 
stehenden Führern  der  antisimonistischen  Partei  in  Mailand, 
die  von  der  in  offenem  Concil  erhobenen  Anklage  jedenfalls 
gehört  hatten,  seinen  Entschluss  bekannt  zu  geben  und  zu 
motiviren.  Ich  würde  es  aber  auch  nicht  für  undenkbar  halten, 
dass  die  Adresse  unseres  Fragments  überhaupt  falsch  ist,  dass 
dasselbe  nach  Chiusi  gerichtet  war,  und  dass  die  Adresse 
^clero  Mediolanensi'  durch  irgend  ein  Versehen  aus  dem  in 
der  britischen  Sammlung  unmittelbar  folgenden  Stücke  n.  46, 
welches  an  Landulf  und  Ariald  von  Mailand  gerichtet  ist,  vor- 
weggenommen wäre. 

Jaffe-L.  4616;  Löwenfeld  a.  a.  O.  S.  56  n.  114;  Ewald 
a.  a.  O.  S.  342  n.  77.  Den  Adressaten  dieses  Briefes,  Odol- 
ricus  episcopus,  wusste  Ewald  nicht  unterzubringen,  hat  ihn 
aber  dann  S.  596  durch  Missverständnis  einer  Mittheilung 
von  mir  nach  Passau  versetzt,  wo  damals  Altmann  Bischof 
ist.  Dann  hat  Löwenfeld  an  Padua  gedacht;  und  hiergegen 
ist  nichts  einzuAvenden,  da  in  Padua  von  1064—1080  (nicht 
1083,  wie  Gams  will,  vgl.  Berthold  SS.  V,  326)  ein  Bischof 
Udalrich  regiert,  offenbar  ein  Anhänger  Hildebrands,  den  Bonizo 
(Jaffe  Bibl.  II,  675)  'vir  valde  eloquentissimus',  Wido  von 
Ferrara  aber  (SS.  XII,  172)  'vitiorum  omnium  sentina'  nennt, 
und  der  1079  päpstlicher  Legat  war  (Jaffe  II,  557.  SS.  V, 
322.  436).  Doch  ist  zu  bemerken,  dass  bei  unserem  Briefe 
auch  an  einen  Bischof  Udalrich  vonPavia  gedacht  werden  kann, 
den  Gams  gar  nicht  kennt.  Dieser  lässt  1057—1072  in  Pavia 
einen  Henricus  Astarius  regieren,  der  urkundlich  überhaupt 
nicht  nachweisbar  ist  und  dessen  Existenz  ich  dahingestellt 
sein  lasse,  während  doch  Oudalricus  von  Pavia  innerhalb  der 
angeblichen  Regierungszeit  dieses  Heinrich  1057  Oct.  5  und 
1062  Dec.  12  nachgewiesen  werden  kann  (SS.  VII,  246.  Mansi 
XIX,  1024).  Sein  Nachfolger  Wilhelm  findet  sich  zuerst,  so 
viel  ich  sehe,  1073,  Jaffe  Bibl.  II,  23. 

Jaffe-L.  4618;  Löwenfeld  a.  a.  O.  S.  56  n.  115;  Ewald 
a.  a.  O.  S.  342  n.  79.  Alexander  IL  zeigt  der  Märkgräfin  Adelheid 
von  Turin  an,  dass  Wido  von  Mailand  auf  der  Synode  des 
bischöflichen  Amtes  enthoben  sei,  und  dass  der  'electus  von 
Asti'  'cum  a  non  episcopo  minime  sit  benedictus,  sed  potius 
maledictus'  nicht  als  Bischof  betrachtet  werden  könne.     Der 


1)  Dieselbe  Frage  würde,  beiläufig  bemerkt,  auch  aufzuwerfen  sein, 
wenn  Löwenfelds  Deutung  auf  Belluno  zuträfe.  Denn  dieses  Bisthum  ge- 
hört ebensowenig  wie  Chiusi  zur  Mailänder  Kirchenprovinz. 


192  H.  Bresslau. 

'non  episcopus',  von  welchem  der  Erwählte  von  Asti  ordiniert 
ist,  ist  offenbar,  wie  auch  Ewald  und  Löwenfeld  annahmen, 
Wido  selbst;  die  Ordination  für  Asti  muss  also,  da  dieser  auf 
der  Frühjahrssynode  von  1066  excoramuniciert  ist,  nach  diesem 
Zeitpunkt  erfolgt  sein.  Nun  bemerkt  Ewald  zu  unserem  Briefe 
a.  a.  O.  S.  342  N.  8:  'nach  Gams  ist  in  Asti  von  1046—1072 
Bischof  Girelmus,  was  sich  schwer  mit  dem  obigen  Briefe 
vereinigen  lässt'.  Einen  Versuch  zur  Lösung  dieses  Wider- 
spruchs macht  er  nicht;  auch  Löwenfeld  ist  nicht  weiter  darauf 
eingegangen.  In  Wirklichkeit  aber  existiert  die  Schwierigkeit 
gar  nicht;  vielmehr  ist  die  Annahme  von  Gams  einfach  un- 
begründet. Die  Bischofsreihe  in  Asti  ist  unter  Heinrich  III. 
nicht  ganz  leicht  zu  construieren.  Peter,  der  1040  oder  1041 
ernannt  ist,  kommt  bis  1043  vor,  Ilist.  patr.  monum.  Chartae 
I,  552,  Ficker,  Forscli.  zur  ital.  Reichs-  und  Rechtsgesch.  IV,  85 
n.  60;  I\Iiscellanea  di  storia  italiana  XI,  159.  Dann  linde  ich  1044 
Guillielmus,  1046  Wibertinus  und  1049  Wido  als  Bischof  von 
Asti  genannt  (Hist.  patr.  monum.  Chartae  I,  555.  Ughelli 
V,  760;  Beyer,  Mittelrhein.  Urkundenb.  I,  385);  aber  alle  drei 
Stücke  sind  schlecht  überliefert  und  die  Namensformen  unzu- 
verhlssig.  Erst  von  1054  an  (vgl.  Ficker  IV,  88)  ist  Girel- 
mus sicher  nachweisbar,  und  dieser  kommt  nun  bis  1065 
mehrmals  vor,  zuletzt  am  17.  Rlai  (nicht  März)  jenes  Jahres 
(Hist.  patr.  monum.  Ch.  I,  609).  Später  begegnet  er  nicht 
mehr,  und  es  ist  also  keinerlei  Hindernis  vorhanden,  nach 
unserem  Briefe  1066  oder  1067  eine  Erledigung  des  Stuhles 
und  eine  Weihe  dos  NeugcM-ählten  oder  anderweit  eingesetzten 
durch  Wido  von  Mailand  anzunehmen.  In  den  Zusammenhang, 
den  unser  Brief  andeutet,  gehören  nun  aber  ZAvei  Chroniken- 
stellen, die  ihn  erläutern  und  durch  ihn  erläutert  werden. 
Einmal  eine  Nachricht  Arnulfs  von  Mailand  III,  9:  'Per  idem 
tempus  (d.  h.  unter  Heinrich  IV)  ad  instar  Papiensium  Asten- 
ses  quoque  datum  sibi  reprobaverunt  episcopum,  sed  prudentia 
comitissae  Adeleidae,  militaris  admodum  dominae,  post  longi 
temporis  conflictus,  incensa  tandem  urbe,  contempto  altero 
quem  elegerant,  priorem  suscipiunt'.  Die  zweite  ist  eine  Notiz 
eines  Astenser  Copialbuches,  des  Codex  Malabayla,  heraus- 
gegeben von  Sella  in  den  Atti  dell'  accad.  de'  Lincei  ser.  II, 
Bd.  V,  58;  hier  heisst  es:  'anno  domini  1070.  8.  Kai.  Mail 
civitas  Astensis  capta  fuit  a  comitissa  Alaxia'.  Danach  lässt 
sich  der  Verlauf  dieses  Streites  deutlich  ei'kennen,  1066  oder 
1067  ist  nach  dem  Tode  des  Girelmus  ein  neuer  Bischof  wahr- 
scheinlich unter  dem  Einfluss  der  Adelheid,  welcher  die  Grafen- 
rechte in  Asti  zustanden  (meine  Jahrbücher  Konrads  II,  Bd.  I, 
368)  eingesetzt  worden.  Dieser  wird  von  Wido  von  Mailand 
geweiht,  von  den  Bürgern  aber  verworfen.  Der  Papst  ver- 
weigert in   unserem  an  Adelheid  gerichteten   Schreiben   seine 


Bemerkungen  zu  den  Papstbriefen  der  Britischen  Sammlung.     193 

Anerkennung,  Adelheid  aber  erzwingt  dieselbe  1070  durch  die 
Einnahme  der  Stadt,  Der  von  ihr  begünstigte  Bischof  ist 
dann  offenbar  Ingo,  der  1072  am  23.  Mai  zuerst  mit  diesem 
Titel  nachweisbar  ist  (Hist.  patr.  monum.  Ch.  I,  632),  und  dessen 
gutes  Verhältnis  zu  Adelheid  mehrere  Urkunden  der  letzteren, 
in  denen  er  Zeuge  ist,  darthun.  Ueber  sein  späteres  Ver- 
halten und  seinen  Tod  vgl.  Lehmgrübner,  Benzo  von  Alba 
S.  48.  49. 

Jaffe-L.  5380;  Ewald  a.  a.  O.  S.  359  n.  25.  Petrus  von 
Pistoja,  den  Gams  1086 — 1107  ansetzt,  finde  ich  allerdings 
zuerst  genannt  1086  Juni  15  (Zaccaria,  Bibliotheca  II,  297). 
Er  wird  aber  schon  1085  gewählt  sein ;  denn  eine  Urkunde, 
die  sein  Vorgänger  Leo  im  April  1085  ausstellt  (Camici,  Serie, 
Flor.  1777  S.  71),  ist  wahrscheinlich  dessen  letztwillige,  auf 
dem  Krankenlager  getroffene  Verfügung,  da  sie  von  einem 
Cleriker  Martin  'vice  predicti  episcopi  rogatu  eius'  unter- 
fertigt ist.  Erfahren  wir  nun  durch  Bernold  SS.  V,  443,  dass 
1085  in  Pistoja  ein  Gregorianer  ordiniert  ist,  so  ist  das  unfrag- 
lich auf  Petrus  zu  beziehen,  und  unser  Brieffi-agment,  in 
welchem  Urban  den  Bischof  trotz  uncanonischer  Wahl  und 
Consecration  anerkennt,  ist  um  so  interessanter:  es  zeigt,  wie 
man  einem  treuen  Parteigenossen  gegenüber  sich  über  canoni- 
sche Bedenken  leicht  hinwegsetzte.  Unter  diesen  Umständen 
wird  denn  auch  unser  Fragment  wohl  mit  den  Stücken 
Jaffe-L.  5383,  Löwenfeld  n.  126,  Ewald  n.  30,  in  welchen  eine 
solche  Nützlichkeitspolitik  der  Kirche  weiter  erörtert  und  an 
dem  Beispiel  Daimberts  von  Pisa  illustriert  wird,  zu  einem 
Erlass  zusammengehören. 


Neuea  Archiv  etc.    XV.  13 


Zur  Benutzung  des  Sulpicius  Severus  im  Mittelalter. 

Von  M.   Manitiiis. 

Ich  hatte  im  'Neuen  Archiv'  XIV,  1G5  ff.'  darauf  hin- 
gewiesen, dass  die  Schriften  des  Sulpicius  Severus  über  St.  Mar- 
tinus  im  Mittelalter  sehr  häutig  für  die  Biographie  und  die 
Heiligenlegende  benutzt  worden  sind.  Ich  kann  zu  dem  dort 
Aufgeführten  weiteres  hinzufügen,  was  insofern  nicht  ganz  ohne 
Interesse  sein  dürfte,  als  die  meisten  der  unten  vermerkten 
Vitae  mehr  der  eigentlichen  Biographie  als  der  späteren  Legende 
angehören.  Ein  weiteres  Eindringen  in  die  Acta  Sanctoi'ura 
dürfte  zwar  in  dieser  Beziehung  gleichfalls  erspricsslich  sein, 
aber  doch  nur  für  die  eigentliche  Literaturgeschichte  des  Mittel- 
alters etwas  abwerfen.  —  Kenntnis  des  Sulpicius  Severus  lässt 
sich  nun  bei  folgenden  Schriften  feststellen: 

An  so  von  Lobbes  schreibt  in  der  Vita  Ursmari  einen 
Theil  der  Vorrede  1,  7 — 9  zur  Vita  Martini  wörtlich  ab;  prol. 
(Mabillon  Acta  SS.  III,  242)  'vel  quid  ipse  gesserit  in  episco- 
patus  fastigio  sublimatus,  quaravis  enim  ad  o.  i.  nequaquam  p.  p. 
at  ea  in  quibus  ipse  conscius  tantura  fuit  n.  q.  —  latere  voluit; 
nos  autem  sufficere  credimus,  si  tantum  excellentiora  notamus; 
simul  et  —  consulendura  est  —  alioquin  melius  est  tacere  quam 
falsa  dicere'.  Hieraus  ergiebt  sich,  dass  die  Vita  Martini  schon 
vor  ihrer  Benutzung  durch  Einhart  im  Frankenreiche  ver- 
breitet Avar. 

Altfrid  benutzt  in  der  Vita  Liudgeri  (Mabillon  Acta  SS. 
V,  17.  SS.  II,  403  ff.)  gleichfalls  den  Prolog  der  V.  Martini; 
prol.  'charitate  cogente  animum  ad  illud  scribendura  appuli, 
quia  nefas  putabam  tanti  viri  latere  virtutes'  =  V.  Martini  J ,  5. 


1)  Zu  den  von  mir  zu  Beckers  'Catalogi  bibliothecarum  antiqui'  Neues 
Archiv  XIII,  635  Anm.  gemachten  Nachträgen  kommt  Folgendes  hinzu: 
Verzeichnis  aus  Scheiern  SS.  XVII,  623;  aus  Köln  Zeitschr.  f.  deutsch. 
Alterthum  XIX,  466;  aus  Posen  bei  Zeitz,  Progr.  von  Pforta  1883,  S.  5; 
die  Bibliothek  auf  fol.  la  des  cod.  Paris.  8069  s.  X  vel  XI,  cf.  Riese 
anthol.  lat.  II,  XIV  n.  9.  Das  Verzeichnis  aus  Kremsmünster  s.  XIV. 
SS.  XXV,  675  und  669;  aus  Constanz  s.  IX,  Serapeum  I,  84,  Mona  An- 
zeiger VII,  419;  aus  St.  Riquier  (Geschenk  Gervins)  d'Achery,  Spicilegium 
II.  351. 


Zur  Benutzung  des  Sulpicius  Severus  im  Mittelalter.  195 

In  noch  frühere  Zeit  gehört  die  Vita  S.  Wilfridi  auct. 
Eddio  Stephane  (Mabillon  Acta  SS.  V^  635).  Hier  heisst 
es  in  der  Vorrede  'Obseero  itaque  eos  qui  lecturi  sunt,  ut  fidem 
dictis  adhibeant.  .  .  .  Neque  enim  me  quicquam  audaci  teme- 
ritate  nisi  quod  compertum  et  probatum  a  fidelibus  sit  scrip- 
sisse  arbitrentur,  alioquin  tacere  quam  falsa  dicere  maluissem', 
Das  stammt  beinahe  wörtlich  aus  V.  Martini  1,  9.  Daraus 
geht  hervor,  dass  diese  Schrift  in  sehr  früher  Zeit  zu  den 
Angelsachsen  gelangt  ist,  wie  ich  auch  schon  ihre  Benutzung 
durch  Aldhelm  erwies. 

Odilo  benutzt  in  der  Transl.  S.  Sebastiani  den  Epilogus 
zur  V.  Martini;  prol.  (Mabillon  Acta  SS,  V,  363)  ^quod  quidem 
nee  ipse  si,  vulgo  ut  aiunt,  Homerus  emergeret,  explere 
posset'.  Diese  Worte  sind  ohne  Zweifel  auf  die  ganz  ähnliche 
Stelle  V.  Mart.  26,  3  zurückzuführen. 

Adso  schreibt  in  der  Vita  Basoli  einige  Stellen  aus  der 
V.  Martini  ab;  c.  1  (Mabillon  Acta  SS.  II,  62)  'quia  tantae 
materiae  meritis  et  ingenio  impares  viribus  fracti  succumbimus': 
V.  Mai't.  26,  1 ;  ib.  'cui  etiamsi,  ut  gentilium  figmenta  referunt, 
Homerus  aut  Tullius  Cicero  rediret  ab  inferis,  non  posset 
verbis  includere  omne  ut  gestum  est  opus  divinae  virtutis' : 
26,  3;  c.  7  p.  64  *non  tarnen  sacram  adolescentiam  vitiis  sub- 
diderat,  quibus  illa  aetas  nimium  implicari  solet.  .  .  .  Circa 
pauperes  tanta  ei  liberalitas  erat,  ut  .  .  .  id  totum  praeter 
quotidianum  victum  stipendiis  effunderet  miserorum' :  V.  Mart. 
2,  6.  8. 

In  der  Vita  S.  Anstrebe rtae  abbat.  Pauliac.  (Mabillon 
Acta  SS.  III,  1,  24)  heisst  es  'cui  nimirum  ut  opinor  ipse 
Homerus,  si  ab  inferis  emergeret  seu  mirae  eloquentiae  Tullius 
tanta  virtutum  copia  devictus  succumberef;  dies  ist  gleichfalls 
aus  V.  Mart.  26,  3  genommen. 

In  der  Vita  Salabergae  abbat.  Laudun.  gehen  die  Worte 
in  c.  2  (Mabillon  Acta  SS.  II,  405)  'Igitur  Salaberga  in  sub- 
urbano  Leucorum  oppido  .  .  .  secundum  saeculi  dignitatem 
clarissima  parentibus  non  infimis  .  .  .  exstitit  oriunda  auf 
V.  Martini  2,  1  zurück. 

In  dem  Chronicon  Turonense  (Martene  et  Durand 
vet.  SS.  ampl.  coli.  V,  923  ff.)  wird  die  Vita  Martini  excerpt- 
weise  wiedergegeben. 

Der  Verfasser  der  Vita  Petri  abb.  Cluniac.  (Martene  et 
Durand  VI,  1187  ff.)  benutzt  gleichfalls  die  V.  Martini  in 
ziemlich  ausgiebiger  Weise. 

Desiderius  Casinensis  benutzt  in  den  Miracula 
S.  Benedicti  eine  Stelle  aus  den  Dialogen ;  prol.  (Mabillon  Acta 
SS.  VI,  434)  'Nam  si  omnia  quae  vel  ipse  vidi  vel  quae  mihi 
relata  fuere  per  ordinem  referre  velim,  dies  me  ut  aestimo 
antequam  sermo  deficeret':  Dial.  I,  19,  6. 

13* 


196  M.  Manitius. 

In  der  Epistula  Leodicensium  ad  Traiectenses,  Jaflfe, 
Bibl.  V,  379  heisst  es  'de  b.  Martino  Turonensi  dicit  Severus 
scriptor  vitae  eius  quod  coram  discipulis  suis  saepius  fatebatur^ 
minorem  gratiam  in  faciendis  virtutibus  se  habuisse  post 
assuraptum  episcopatum  quam  ante'.  Diese  Stelle  ist  ge- 
nommen aus  Dial.  II,  4,  1. 

Auch  aus  diesem  kleinen  Beitrage  dürfte  hervorgehen, 
wie  gern  man  sich  in  der  mittelalterlichen  Biographie  an  die 
älteren  Muster  angelehnt  hat  und  wie  wenig  Vertrauen  die- 
selbe verdient. 


Tironisches  und  Kryptographisches. 

Von  Wilhelm  Schmitz. 

Ein  mir  befreundeter  Benediktiner  in  der  Abtei  der  h.  M. 
Magdalena  zu  Marseille,  ein  vir  tironianus,  hatte  vor  einiger 
Zeit  die  Freundlichkeit,  mich  auf  die  sechs  Zeilen  tironischer 
Noten  aufmerksam  zu  machen,  welche  in  der  Hs.  von  Laon 
444  saec.  IX  auf  fol.  275^'°  vorhanden  sind.  Ein  Facsimile 
dieser  Noten  findet  sich  im  I.  Bande  des  Kataloges  der  Hss. 
der  französischen  Departementalbibliotheken  zu  p.  234.  Ueber 
die  Laoner  Hs.  ist,  ausser  in  dem  gen.  Katalog,  ausführlich 
gehandelt  worden  von  Miller  in  den  Notices  et  extraits 
XXIX,  2,  1880,  p.  1—230  (die  tir.  Noten  sind  p.  112  erwähnt) 
und  zuletzt  von  Goetz  und  Gundermann  in  der  Vorrede  zum 
Vol.  II  des  Corpus  Glossariorum  latinorum  p.  XXVI  ff. 

'Viribus  unitis'  ist  meinem  Freunde  und  mir  die  folgende 
Lesung  der,  soviel  uns  bekannt,  bisher  noch  nicht  entzifferten 
Noten  gelungen.  Der  Name  des  Schreibers  der  Hs.  verbirgt 
sich  freilich  auch  jetzt  noch.  Die  Worte  für  die  transscri- 
bierten  Noten  sind  in  Cursivdruck  wiedergegeben. 

Graecarum '  glossas  Domino  donante  peregit 

H.2  tihimet  frater  servire  jparatus; 

iVamque  geris  vittas  longo  quo  tempore,  felix 

Pontijicale  decus  m.ultum(\\xe.  tenere  saluhre^. 
5     Ex  hinc*  ad  caeli  valeas  conscendere  qulmen 

ac  regem  regum^  cum  sanctis  cernere  Christum. 
AMEN. 
Ueber  die  Bedeutung  der  unter  der  sechsten  Zeile  stehenden 


1)  sc.  vocum.  2)  Hincmarus?  3)  Satzgefüge  und  Sinn:  Nam- 
que  quo  tempore  longo  geris  vittas,  felix  pontificale  decus  (sc.  geris)  et 
ut  raultum  sustineas  salubre.  Uebrigens  ist  die  Note  für  decus  hier  im 
Anscliluss  und  auf  der  Unterlage  von  decens  (Grut.  111;  Not.  Bern.  40, 
112;  Kopp,  Palaeogr.  crit.  II,  93)  verwendet;  sonst  bedeutet  die  hier  be- 
gegnende Form  dedecus  (Gr.  111;  NB.  40,  111;  K.  a.  a.  0.).  4)  Bei 
hinc  fehlt  in  dem  Facsimile  der  Punkt  unter  der  Note,  vgl.  K.  II,  154. 
5)  Regem  regum:  beide  Noten  gebildet  auf  der  v  e  r  b  a  1  e  n  Unterlage  von 
regis,  regit,  regere,  K.  II,  310,  nicht  auf  der  nominalen  von  rex,  regis, 
K.  II,  328.  312. 


198  Wilhelm  Schmitz. 

Buchstaben  a  IB  6  IT  hatte  ich  die  Vermuthung  geäussert, 
dass  darin  vielleicht  Zahlenbezeichnungen  enthalten  seien. 
Mein  Freund  schreibt  mir  über  dieses  'petit  Systeme  de  crypto- 
graphie  du  IX®  S.  entre  amis':  ^  .  .  .  Vous  etes  sur  la  voie 
pour  deviner  1'  a  IB  6  IT.  C'est  tout  simplement  Amen, 
mais  je  ne  l'aurais  pas  'devine  si  je  n'avais  trouve  l'explication 
meme  ä  la  fin  du  ms.  sous  un  titre  ainsi  concu :  per  alfabetum 
numerorum  grecorum  fit  frequenter  scriptio  epistolarum   inter 

duos  ita:   a  B.  T  etc (§•  ^.     Quelle   est  la  12«   lettre 

de  l'alphabet  en  latin?  M;  la  lä® ?  N.  IB  represente  donc 
M,  IT  N. 


Zu  den  Gedichten  des  Paulus  Diaconus. 

Von  Ludwig  Traube. 

Unter  den  Gedichten  des  Paulus  Diaconus  findet  sich 
das  folgende  (bei  Dümmler,  Poetae  Karol.  I,  XXVI.  III, 
S.  62): 

Midta  legit  paucis,  qui  lihrum  praedicat  istum: 

hoc  servus  fecit,  Karolo  rege,  tuus. 
sie  una  ex  multis  nunc  fiat  ecclesia  tempUs: 
det  David  vires  scilicet  ipse  deus. 

Dümmler  setzt  darunter  als  Erklärung:  'midta  —  deus 
claudunt  epistolam,  qua  Paulus  excerpta  ex  libris  Pompeii 
Festi  facta  Carolo  regi  dedicavit'.  Wäre  dies  eine  gute  Ueber- 
lieferung,  so  könnte  der  Auszug  aus  Festus  den  Paulus  Dia- 
conus zum  Verfasser  nicht  haben.  Denn  Paulus  war  ein 
denkender  Mensch,  kannte  seine  Grammatik  und  baute  seine 
Verse  nicht  schlechter  als  seine  gebildeten  Zeitgenossen.  Von 
diesen  Versen  aber  sind  die  beiden  ersten  stellenweise  ohne 
Sinn,  ohne  Konstruktion  und  Prosodie,  die  beiden  letzten  von 
so  eigenthümlicher  Färbung,  dass  wir  fragen  müssen:  wer 
denn  überhaupt  dem  Gedanken  hier  kann  man  vieles  in 
tvenigen  Worten  lesen  den  merkwürdigen  Wunsch  anschliessen 
konnte  so  möge  auch  die  Vielheit  der  Kirche  zu  einer 
Einheit  werden.  Unter  David  fügt  der  Dichter  hinzu,  und 
auch  diese  Bezeichnung  Karls  d.  Gr.  ist  Paulus  Diaconus 
durchaus  fremd. 

Man  wird  darnach  nicht  erstaunt  sein  zu  vernehmen,  dass 
diese  Verse  in  der  That  nicht  von  Paulus  Diaconus,  auch 
nicht  von  einem  Zeitgenossen  sind,  dass  sie  überhaupt  in  den 
Handschriften  der  Festusexcerpte  nicht  stehen,  sondern  direkt 
aus  der  Hexenküche  Caspars  von  Barth  stammen.  Von  diesem 
übernahm  sie  Otfried  Müller,  von  Müller  Bethmann,  aus  Beth- 
manns  Papieren  druckte  sie  Waitz  leider  so  ab,  dass  es  den 
Anschein  gewann  als  stammten  sie  aus  der  guten  Festusüber- 
lieferung  im  clm.  14734,  und  so  musste  auch  Dümmler  ge- 
täuscht werden. 


200  Ludwig  Traube. 

Bei  V.  Barth  (Adversaria  XXXIX,  5)  heisst  es:  'sed 
nee  egregium  nobis  Carmen  praetereundum  est,  quod  in  scripto 
codice  offendimus,  Pauli  ipsius  puto,  vel  in  laudem  eius  com- 
positum, nam  cum  epistola  eius  ad  Carolum  regem  optime 
convenit  huic,  est  vero  hoc',  es  folgen  die  Verse,  aber  im  2. 
schreibt  er  Carole,  im  3.  eclesia,  im  4.  sehr  gelehrt  dat  David 
vires  MS.  scet.  scilicet  ipse  deus ;  er  fährt  fort:  'scriptum  vero 
antiquitus  docere  mihi  videtur,  quod  Carolum  David  vocat, 
qui  suo  potissimum  aevo  illo  nomine  concelebratus  est.  Vide 
carmina  Albini,  Hilperici  et  alia  eius  temporis'.  Diese  Kennt- 
nis, deren  er  sich  auch  Adv.  XLV,  8  rühmt,  war  ihm  offenbar 
Veranlassung,  die  Verse  zu  ersinnen.  Es  musste  ihm  dabei 
begegnen,  eclesia  statt  ecclesia  zu  messen  und,  während  er 
dem  Gedicht  durch  einen  Soloecismus  das  nöthige  Zeitkolorit 
zu  geben  vermeinte,  gerade  einem  Paulus  Diaconus  den 
Vocativ  rege  aufzubürden.  Vers  1  und  2  aber  mussten  ja 
wohl  so  dunkel  werden,  wenn  der  Verfasser  selbst  nicht  genau 
wusste,  ob  er  dies  Gedicht  oder  zu  seinem  Preis  ein  anderer 
es  verfasst  habe. 

Sicher  dagegen  gehört  dem  Paulus  Diaconus  der  grammati- 
sche Rhythmus  (bei  Dümmler  Appendix  ad  Paulum,  Poetae 
Karol.  I,  S.  625).  Das  Bild  der  beim  Versbau  beobachteten 
Regeln  ist  freilich  durch  einige  gegen  die  Handschrift  vorgenom- 
menen Umstellungen  etwas  getrübt:  so  darf  21,  1  vocalihus 
desinit  und  S.  G28.  3,  l  sapio  sapii  (nicht  sapui)  ebensowenig 
umgestellt  werden  als  etwa  Paulus  S.  3G.  I,  11,  3  invenerit  domi- 
onis  und  ebenda  12,  1  steterit  solium.  Vgl.  auch  meine  'Karo- 
lingischen Dichtungen'  S.  113.  Ich  hebe  noch  einige  weitere 
Anstösse.  3,  2  atque  eius  ist  mit  der  lis,  zu  halten :  d.  h. 
speciei.     8,  3  ist  zu  lesen  'hesV  et  statt  her  et. 

10,  3  cadens  mit  der  Hs. :  d.  h.  est  und  10,  2  ist  das 
Komma  zu  tilgen. 

.  .  •  T  TT 

17,  2  consonaniibus  'i'  iuncta  mit  der  Hs. 

18,  3  zu  ergänzen:  ut  est  'ahdidi'  [et  'dbdo']  sie  dictum 
accipimus. 

20,  1.  2  ist  zu  schreiben: 

venit  iam  secunda  forma  in  (formam  Hs.J  textu  (toustu  Hs. 

vgl.  22,  \)  vicesima. 
in   'uVque   (nonaque   lis.)   terminalis   (-ris  Hs.J,   litteris   quo 

'li   sonet  (modus  resonet  Hs.J. 

21,  2.  3  ist  zu  ergänzen: 

quae  ut  prima  in  'vi    exit  nee  tarnen  [est]  hißda: 

est  exemplum  'eo'  Hvi'  et  'queo    similiter. 
hifidus  misst  Paulus  richtig  auch  S.  35.  XVIH,  1. 

22,  1  textus  für  textu;  2  scripti  tenus  mit  der  Hs.:  es 
gehört  eius  textus  scripti  zusammen. 


Zu  den  Gedichten  des  Paulus  Diaconus.  201 

S.  628.  1,  1  species  mit  der  Hs. 

2,  3  super  (supra  Hs.  vgl.  9,  2)  nonam  Ho'  (o  Hs.  vgl. 
9j  3J  ^vV  mutans. 

Die  letzte  Strophe  ist  etwa  so  zu  ergänzen: 
Istas  si  quis  quadragmta  [species  relegeritj 
[litteras  priores  quaerat  deposco]  humUiter : 
[sie,  si]  quid  certe  [debejturf,  cid  mox  intellegitur.] 

Das  von  W.  Meyer  erkannte,  übrigens   auch  in  der  Hs. 
vorgezeichnete  Akrostichon  ist  nämlich  PAVLVS  FECI. 


Zur  Lex  Romana  Raetica  Curiensis. 

Von  .Max  Conrat  (Cohn). 

Die  von  Pertz,  MG.  LL.  I,  524  —  527,  herausgegebene 
Sammlung  des  Cod.  Mediol.  Anibros.  bibl.  O.  55,  welche  den 
Titel  'Incipit  capitula  seeundum  Lodoiei  impef'ris  filius  Lothaii 
imphr.'  führt,  verdient,  auch  nachdem  Boretius,  Capit.  i.  Lan- 
gobardenreich S.  192 — 195,  in  derselben  eine  planlose  Com- 
pilation  verschiedener  Stücke  (Concilienschlüsse,  Capitularien, 
Ansegis)  nachgewiesen  hat,  aus  dem  folgenden  Grunde  Be- 
achtung. Die  Kapitel  20,  21  und  42  (wiederabgedruckt  in 
der  ed.  Boretius  p.  337,  n.  11 — 13)  stellen  sich  nämlich  als 
Stücke  der  Lex  Romana  Raetica  Curiensis  dar  (XXIII,  25 
und  26.  Paul.  1,  19,  1;  1,  207);  trotz  einzelner  Abweichungen 
ist  daran  nicht  zu  zweifeln.  Damit  ist  erwiesen,  dass  Texte 
dieser  vielunistrittenen  Lex  in  einer  Handschrift  lombardischen 
Ursprungs  und  lombardischer  Bestimmung,  was  bezüglich  des 
Cod.  Ambros.  zweifellos  und  allgemein  anerkannt  ist,  auf- 
treten. Weitere  Schlüsse  lehne  ich,  zumal  nach  den  neuesten 
Ausführungen  Zeumers  in  der  Z.  d.  Sav.  Stift,  f.  RG.  G.  A. 
IX,  1  fF.,  ausdrücklich  ab,  zweifele  indes  nicht,  dass  sie  werden 
gezogen  werden. 

Cap.  19  der  Sammlung  (n.  10  in  ed.  Boretius  a.  a.  O.) 
ist  Epit.  Aegid.  C.  Th.  4,  5,  1.  Als  ein  weiterer  Text  dieses 
Epitome  (Paul.  2,  2,  1)  stellt  sich  ein  apokryphes  Capitular 
des  über  Papiensis,  in  ed.  Boretius  p.  219,  n.  18  dar. 


Zur  Geschichte  der  Kirche  S.  Maria  Latina 
in  Jerusalem. 

Von  Reinhold  Röhricht. 

Aus  einem  Briefe  des  verstorbenen  Grafen  Paul  Riant  an 
Herrn  Dr.  S,  Löwenfeld  erfuhr  der  Herausgeber  von  dem 
letzteren,  dass  im  Archivio  civico  zu  Palermo  (Q.  9;  H.  10) 
sich  zwei  päpstliche  Urkunden  befänden',  welche  der  oben  ge- 
nannten Kirche  alle  ihre  Besitzungen  diesseit  und  jenseit  des 
Meeres  bestätigen,  was  für  die  Geschichte  jener  uralten  Abtei 
von  grosser  Wichtigkeit  sein  rausste,  da  bisher  an  der  Hand 
der  Chroniken  und  gelegentlicher  Erwähnungen  in  Urkunden 
nur  eine  ungefähre  Feststellung  ihres  Besitzstandes,  Vollständig- 
keit aber  nicht  möglich  war  2.  Da  nun  auch  in  Kaiserurkunden 
von  jener  Abtei  die  Rede  ist  und  darin  auch  ihre  Besitzungen 
in  Italien  aufgezählt  werden,  so  muss  die  Kenntnis  jener  Pri- 
vilegien auch  für  die  Kaisergeschichte  von  Werth  sein,  zumal 
sie  wohl  zu  den  ältesten  Zeugnissen  über  die  genannte  Kirche 
gehören.  Der  Herausgeber  wandte  sich  daher  an  Herrn  Prof. 
Dr.  K,  Schottmüller  in  Rom,  und  dieser  schickte  in  wenig 
Tagen  die  gewünschten  Kopien,  welche  Herr  Ludwig  Bresslau, 
Professor  an  der  Universität  in  Palermo,  angefertigt  hat;  beiden 
Herren  gebührt  dafür  der  herzlichste  Dank. 

Die  erste  Urkunde  ist  von  Hadrian  IV.  (21.  April  1158), 
die  zweite  von  Alexander  III.  und  zwar,  wie  Herr  Dr.  Löwen- 
feld mir  auf  Grund  einer  genauen  Prüfung  der  Unterschriften 
gütigst  mittheilte,  vom  8.  März  1173;  sie  wiederholt  wörtlich 
den  ersten  Text  mit  einigen  Varianten,  die  demselben  als 
Noten  beigefügt  sind.  (A). 

Adrianus  episcopus  ^  servus  servorum  Dei  dilectis  filiis 
Amelio,  abbati  ecclesiae  sanctae  Mariae  Latina,  eiusque  fratri- 
bus  tarn  praesentibus  quam  futuris  regulärem  vitam  professis  * 
imperpetuum. 

1)  Vgl.  Winkelmann  im  N.  Archiv  III,  638  u.  Riant  in  'Les  archives 
de  rOrient  latin'  I,   708.  2)  Die  Identificirung  der  transmarinen  Orts- 

namen mit  den  heutigen  ist  von  dem  Herausgeber  in  der  Zeitschr.  d. 
Deutsch.  Palästina-Vereins  1889,  Heft  1  versucht  worden ;  ebenda  weitere 
Nachweise.         3)  Hs.:  'quartus'.         4)  Hs.:  'dilectis'. 


204  Reinhold  Röhricht. 

Religiosis  votis  annuere  et  ea  operis  exhibitione  complere 
officium  nos  invitat  suscepti  legiminis  et  ordo  videtur  exigere 
rationis.  Ea  propter,  dilecti  in  Domino  filii,  vestris  iustis 
postulationibus '  clementer  annuimus  et  praefatam  ecclesiam,  in 
qua  divino  mancipati  estis  obsequio,  sub  beati  Petri  et  nostra 
protectione  suscipimus  et  praesentis  scripti  privilegio  com- 
munimus.  In  primis  siquidem  statuentes,  ut  ordo  monasticus, 
qui  secundum  Deum  et  beati  Benedicti  regulam  in  ipsa  ecclesia 
institutus  esse  dinoscitur,  perpetuis  ibidem  temporibus  in- 
violabiliter  observetur,  praeterea  quascunque  possessiones,  quae- 
eunque  bona  eadem  ecclesia  in  praesentiarum  iuste  et  canonice 
possidet  aut  in  futurum  concessione  pontiticum,  largitione 
regum  vel  principum,  oblatione  fidelium  seu  aliis  iustis  modis, 
procurante  Domino,  poterit  adipisci,  firma  vobis  vestrisque 
successoribus  et  illibata  permaneant,  in  quibus  haec  propriis 
duximus  exprimenda  vocabulis:  stationes  videlicet,  quae  Latinae 
sunt  contiguae,  furnum,  palacium  iuxta  portam  sancti  Stephani 
a  plaga  australi,  quasdara  doraos  post  illud  palacium,  domos 
supra  raurum  urbis  iuxta  idem  palacium  usque  ad  secundam 
turrem  murorum  et  ex  altera  parte  ecclesiam  sancti  Stephani 
iuxta  viam,  quae  ab  Hierusalem  duxit  Neapolim,  iiospitale  iuxta 
eandem  viam,  hortum  inter  eandem  ecclesiam  et  Hyerusalera, 
alios  hortos  et  vineas,  quas  habetis  in  territorio  Hyerusalem 
cum  decimis  earum,  casale  Beifair  ^  cum  vineis  suis,  terris  et 
decimis  earum,  dimidium  casale  sancti  Euthimii''  iuxta  Beth- 
lehem cum  terris  suis  et  cum  decimis  earum,  casale  unum  in 
territorio  Blongegarde  \  quod  privilegio  comitis  Amarrici* 
vobis  est  confirmatum,  in  Lyda  sex  carrucatas  terrae,  domos, 
hortos,  ecclesiam  latinam  in  loppen  cum  domibus  et  uno  horto 
et  cum  tribus  carrucatis  terrae  et  cum  decimis  earum,  turrem 
Latinae  in  territorio  Caesareae  cum  pertinentiis  suis,  in  eodera 
territorio  casale,  quod  fuit  Eustachii,  cum  pertinentiis  suis, 
terram  in  Cocto«,  terras  quoque  et  possessiones,  quas  privi- 
legiis  dominorum  Caesareae  confirmatas  legitime  possidetis, 
centum  bizantios  Nea])oli  singolis  annis,  unam  ecclesiam  in 
Berito''  cum  hortis  suis,  terra  et  decimis  earum,  unam  eccle- 
siam in  Gibileto  et  hortum,  ecclesiam  latinam  in  Monte  pere- 
grino  cum  horto  uno,  terris,  vineis  et  decimis  earum,  campum 
unum  Tripoli  et  materam^  unam,  ecclesiam  latinam  paro- 
chialem  in  Laudicea^,  ecclesiam  sancti  Nicolai  cum  possessioni- 
bus  earum,  dimidiam  partem  theatrii '"  et  horti,  qui  in  eo  est, 


1)  Hs. :  'postulantibus'.  2)  A:  *vel  facircum  cum  vineis'.  3)  Hs.: 
'Euchymii'.  4)  A:  'Blancogarde'.  5)  A:  'Armarici'  d.  i.  Amalrici,  des 
Grafen  von  Jaflfa  (später  König  A.  I.  v.  Jerusal.).  6)  A:  'Cacto'  d.  i. 

Caco,  heute  Kakun.         7)    Hs. :    'Bento'.         8)   A:  'maceram'  d.  i.  wohl 
'massaria',  Oelpresse.         9)  A:  'et'.  10)  A:  'teatri'. 


Zur  Geschichte   der  Kirche  S.  Maria  Latina  in  Jerusalem.      205 

duo  casalia  in  territorio  Antiochiae  Leotreh  et  Soccam  •  cum 
molendinis  quibusdam  iuxta  territoria  illorum  casalium  et  per- 
tinentiis  et  terras  earum  cum  decimis  suis,  Latinam  in  An- 
tlochia cum  horto  uno  et  decimis  illius  horti,  in  suo*  unam 
ecclesiam  sancti  lohannis,  hortum  et  terram  cum  decimis 
eorum,  casale  unum  Faxias^  cum  possessionibus  suis  et  deci- 
mis, unum  casale  Valcorenum  ■*  cum  possessionibus  suis,  decem 
libra[s]  5  piscium  in  piscaria  agresti,  quadraginta  solidos  in 
porto  Emme«  singulis  mensibus,  in  Sidonia  duo  casalia  cum 
pertinentiis  suis,  in  castello  Arabiae  quatuor  carrucatas  terrae 
et  domos  et  in  Geram '  sex  carrucatas  terrae  et  domibus. 
In  Sicilia^  ecclesiam  sancti  Philippi  de  Argirion  cum  par- 
rocliiali  iure  totius  castelli  et  decimis  territorii  castelli  decimas 
Scarpelli,  ecclesiam  sancti  Petri  de  Vacaria  cum  villa  et 
parochiali  iure  et  decimis,  ecclesiam  sancti  Philippi  de  Capicio 
cum  decimis  possessionum  suarum,  ecclesiam  et  villam  sancti 
Petri  de  Rasacambra  cum  decimis  possessionum  suarum, 
ecclesiam  sancti  Nicolai  de  Sacco^  cum  decimis  possessionum 
suarum,  casale  sancti  Caloiari  cum  pertinentiis  suis,  in  Cala- 
bria  ecclesiam  sancti  Petri  de  lazena  >o,  ecclesiam  sancti  Eliae 
cum  obedientiis  et  decimis  possessionum  suarum,  ecclesiam 
sancti  Laurentii  iuxta  Licium  cum  decimis  possessionum  sua- 
rum, [abbatiam  sancti  Sepulchri  Aquaependentis] ".  Prohi- 
bemus  autera,  ut  nuUi  ecclesiasticae  vel  seculari  personae  liceat 
indebitas  et  iniustas  exactiones  in  praefata  ecclesia  exercere, 
sive  12  novalium  vestrorum,  quae  ^^  propriis  manibus  aut  sumpti- 
bus  Colitis,  sive  de  nutrimentis  vestrorum  animalium  decimas 
a  vobis  nullus  praesumat  exigere,  sepulturam  omniaque  uni- 
versi  loci  et  baptismalium  ecclesiarum  eins  liberam  esse  con- 
cedimus,  ut  eorum  devotioni  et  extremae  voluntati,  qui  se  ibi 
sepelliri  deliberaverint,  nisi  forte  excommunicati  sint  vel  inter- 
dicti,  nullus  obsistat,  salva  iustitia  parochialium  ecclesiarum, 
de  quibus  mortuorum  corpora  assumuntur.  Liceat  autem  vobis 
ecclesiasticos  vel  laicos  liberos  et  absolutes  in  monasteriis  vestris 
ad  religionem  suscipere  et  eos  absque  contradictione   aliqua 


1)  A:  'Scotiethet  et  lovan'.  2)  A:  'chice'  (??).  3)  A:  'Fardo'. 
4)  A : 'Valtorentum'.  5)  A:  'listra'.  6)  A:  'termine'.  7)  A:*ingeros'. 
8)  Zur  Ergänzung'  und  Vergleichung  der  hier  gebotenen  Aufzählung  ist 
die  Urkunde  Heinrich  VI.  (30.  Dec,  1194)  heranzuziehen  (Huillard-Bre'- 
holles  I,  12;  Toeche,  Heinrich  VI,  S.  671,  n.  306),  die  von  Constanze 
(Palermo  Octob.  1198)  bestätigt  ward  (Pirri,  Sicilia  sacra  II,  1246; 
Winkelmann  (Acta  inedita  I,  70 — 1,  n.  75;  Böhmer-Ficker,  Reg.  imperii 
n.  528).  9)  A:  'Saccacum'.  10)  A:  'lachina'.  H)  []  Fehlt  bei  A. 
lieber  diese  Kirche  in  Aquapendente  vgl.  Riant,  'La  donation  de  Hugues, 
marquis  de  Toscane,  au  St.  Sdpulcre',  Paris  1884  ('Me'm.  de  l'acad.  des 
inscr.'   XXXI   B,    151—195),    Separatabzug   23  ff.  12)    Hs.:  'sane'. 

13)  Hs.:  'quos'. 


206  Keinhold  Eöhricht. 

sepellire.  Obeunte  vero  te  nunc  eiusdem  loci  abbate  vel  tuo- 
rum  quolibet  successorum,  nullus  ibi  qualibet  subreptionis 
astutia  seu  violentia  praeponatur,  nisi  quem  fratres  communi 
consensu  vel  fratrum  pars  sanioris  consilii  secundum  Dei 
tiraorem  et  beati  Benedicti  regulam  providerint  eligendum. 
Electum  vero  venerabilis  frater  noster^  Hyerosoliraitanae  eccle- 
siae  patriarca  benedicat.  si  ei  ad  apostolicae  sedis  et  Roinanae 
ecclesiae  praesentiara  venire  difficile  fuerit.  Decernimus  ergo, 
ut  nulli  omnino  horainura  liceat  praefatam  ecciesiara  temere 
perturbare  aut  eius  possessiones  auferre  vel  oblatas  temere 
minuere  aut  aliquibus  vessationibus  fatigare,  sed  ^  omnia  in- 
tegra  conserventur  eorum,  pro  quorum  gubernatione  et  sub- 
stentatione  concessa  sunt,  usibus  omnimodis  profutura,  salva 
in  Omnibus  apostolicae  sedis  auctoritate^  [et  Hyerosolimitani 
patriarchae  canonica  iustitia]  ♦.  Si  qua  igitur  in  futurum 
ecclesiastica  secularisve  persona  hanc  nostrae  constitutionis 
paginam  sciens  contra  eam  temere  venire  tentaverit,  secundo 
tertiove  commonita,  si  non  5  satisfactione  congrua  emendaverit, 
potestatis  honorisque  sui  dignitate  careat  reamque  se  divino 
iudicio  existere  de  perpetrata  iniquitate  cognoscat  et  a  sacra- 
tissimo  corpore  ac  sanguine  Dei  et  Domini  redemptoris  nostri 
lesu  Christi  reus «  existat  atque  in  estremo  examine  divinae 
ulcioni"  subiaceat,  cunctis  autem  eidem  loco  sua  iura  servan- 
tibus  sit  pax  Domini  nostri  lesu  Christi,  quatenus  et  hie  fruc- 
tum  bonae  actionis  percipiant  et  apud  Christum «  iudicem 
praemia  aeterna  ^  pacis  inveniant,     Amen,  Amen,  Amen. 

(In  der  Rota):  Oculi  mei  semper  ad  Dominum  sanctus 
Paulus  sanctus  Petrus  Adrianus  P.  P.  IUI.  Ego  Julius  pres- 
byter  card.  tit.  S.  ]\Iarcelli.  Ego  Octavianus  presb.  card.  tit. 
S.  Caeciliae.  Ego  Astaldus  presbyt.  card.  tit.  .S.  Priscae.  Elgo 
Gerardus  presb.  card.  tit.  S.  Stephani  in  Caelio  Monte.  Ego 
Adrianus  Cath.  Eccles.  Episcopus.  Ego  Imarus  Tusculus 
episcopus.  Ego  Gregorius  Sabinensis  episcopus.  Ego  Oddo 
diacon.  card.  tit.  S.  Georgii  ad  velum  aureura.  —  Ego  Johan- 
nes presb.  card.  tit.  S.  Anastasiae.  Ego  Albertus  presb.  card. 
tit.  Ö.  Laurentii  in  Lucina.  Ego  Guglielmus  presb.  card.  tit. 
S.  Petri  ad  Vincula  .  .  tit.  Eudoxiae.  Ego  Cinthius  diac.  card. 
S.  Adriani.  Ego  Raimundus  diac.  card.  S.  Mariae  in  Via 
lata.  Datum  per  manum  Rolandi  sanctae  Romanae  ecclesiae 
presb.  card.  et  cancellarii  XI.  kalendas  maii  indictione  VII. 
incarnationis  dominicae  anno  millesimo  centesimo  quinqua- 
gesimo  octavo,  pontificatus  vero  domini  Adriani  papae  IUI. 
anno  IUI. 


1)  A:  'vester'.  2)  A:  'illabata  omnia  et'.  3)  Hs. :  'authoritate'. 
4)  [1  Fehlt  bei  A.  5)  A:  'nisi  praesumptionem  suam  digna  satisfactione 
correxerit,  potestatis'.         6)  A:  'aliena  fiat'.  7)  A:  'districtae  ulcionis' 

(sie).         8)  A:  'districtum',         9)  A:  'aeternae'. 


Nachrichten^. 


1.  Bei  der  Abtheilung  Leges  ist  Herr  Vi  clor  Krause 
aus  Liegnitz  mit  dem  1.  Mai  dieses  Jahres  als  Hilfsarbeiter 
eingetreten.  Für  die  Abtheilung  Epistolae  hat  Herr  Dr.  Ludo 
Moritz  Hartmann  die  Fortsetzung  und  Vollendung  der 
Ausgabe  des  Registrum  Gregorii  I.  übernommen. 

2.  Von  der  Abtheilung  Scriptores  sind  erschienen  in 
der  Quartserie :  Scriptorum  rerum  Merovingicarum  T.  H,  her- 
ausgegeben von  B.  Krusch,  in  der  Octavserie:  Thietmari 
Merseburgensis  episcopi  chronicon,  herausgegeben  von 
F.  Kurze. 

3.  Von  den  Geschiehtschreibern  der  deutscheu  Vorzeit 
sind  neuerdings  erschienen:  Thegans  und  des  Astronom us 
Biographieen  Ludwigs  d.  Frommen^  übersetzt  von  Jasmund, 
2.  Auflage,  neu  bearbeitet  und  wesentlich  umgestaltet  von 
Wattenbach,  Nithards  vier  Bücher  Geschichten,  übersetzt 
von  Jasmund,  S.Auflage,  neu  bearbeitet  von  Wattenbach, 
Rudolfs  und  Meginharts  Translatio  S.  Alexandri,  über- 
setzt von  Richter,  2.  Auflage,  neu  bearbeitet  von  Watten- 
bach. 

4.  Seitens  des  Vorsitzenden  der  Centraldirektion  ist  an 
zuständiger  Stelle  darauf  hingewiesen  worden,  dass  bei  dem 
allmählich  unerschwinglich  gewordenen  Preis  der  Gesammt- 
ausgabe  der  Monumenta  dieselbe  nur  auf  grösseren  öffent- 
lichen Bibliotheken  angeschafft  werden  könne,  von  den  Gym- 
nasial-Bibliotheken  aber  nur  sehr  wenige  in  der  Lage  sein 
würden,  sich  ein  Exemplar  zu  beschaffen.  Dagegen  sei  die 
Zahl  der  Lehrer  nicht  gering,  welche  auf  der  Universität 
Quellenstudien  in  der  deutschen  Geschichte  getrieben  haben 
und  dieselben  auch  später  zum  Besten  der  Wissenschaft  und 


1)  Die  Nachrichten  sind  durch  den  Band  fortlaufend  numeriert.  Alle 
nicht  mit  einer  Namensunterschrift  oder  Namenschiffre  versehenen  Nach- 
richten rühren  von  dem  unterzeichneten  Redacteur  her.       H.  Br esslau. 


208  Nachrichten. 

zur  Vertiefung  ihrer  Studien  fortsetzen  möchten.  Für  diese 
Lehrer  lasse  sich  ein  leicht  zugängliches  Hilfsmittel  in  der 
unter  dem  Titel:  'Scriptores  rerum  Germanicarum  in  usum 
scholarum'  in  Hannover  erscheinenden  Sammlung  von  Hand- 
ausgaben deutscher  Geschichtsquellen  des  Mittelalters  finden, 
welche  z.  Z,  gegen  40  Bände  oder  Hefte  umfasst  und  im 
Ladenpreise  etwa  60  Mark  kostet.  Da  es  zweckmässig  und 
im  Interesse  der  Lehrer  scheint,  dieser  Anregung  zu  folgen, 
so  hat  der  Kultusminister  die  Provinzial- Schulkollegien  be- 
auftragt, darüber  zu  berichten,  wie  viele  und  welche  Lehr- 
anstalten im  Stande  sein  würden,  eine  einmalige  Ausgabe  von 
etwa  60  Mk.  zu  dem  angegebenen  Zweck  zu  tragen.  Die 
Fortsetzung  der  Sammlung  würde,  da  jährlich  nur  etwa  ein 
Band  erscheint,  der  betreflfenden  Anstalt  nur  noch  eine  Jahres- 
ausgabe von  1  bis  3  Mk.  verursachen. 

5.  Im  Monatsblatt  des  Alterthumsvereins  zu  Wien  1889 
n.  3  wird  S.  23  eine  Bibliotheksordnung  aus  Kloster- 
ueuburg  saec.  XV  mitgetheilt,  welche  u.  a.  Regeln  über 
das  Ausleihen  von  Büchern  enthält. 

6.  Am  23.  Mai  d.  J.  sind  in  London  diejenigen  Hand- 
schriften der  Hamilton- Sammlung,  welche  die  preussische 
Staatsregierung  nicht  zu  behalten  wünschte,  etwa  60  an  der 
Zahl,  versteigert  worden.  Der  Erlös,  zusammen  mit  dem  Er- 
trage von  30  anderen,  meist  rainderwerthigen  Handschriften, 
betrug  über  15000  Pfd.  Sterling.  Am  höchsten,  mit  1700  Pfd. 
Sterl.  ist  der  französische  Boccaccio  bezahlt  worden,  das  angel- 
sächsische Evangeliar  hat  1500,  der  französische  Diodor  1000, 
das  Officium  S.  Mariae  mit  Miniaturen  von  Geofroy  Tory 
1230  Pfd.  Sterling  gebracht.  Der  Auctionskatalog,  er- 
schienen bei  Sotheby,  Wilkinson  &  Hodge  ist  mit  schönen 
Textillustrationen  —  Miniaturen  und  Initialen  aus  den  Hand- 
schriften —  ausgestattet;  beigegeben  sind  demselben  zwölf 
Lichtdrucktafeln,  darunter  auf  T.  1  ein  prachtvolles  Blatt  aus 
dem  mit  Gold  auf  Purpurpergament  geschriebenen  ags.  Evan- 
geliarium.  Unter  den  Textillustrationen  ist  S.  9  ein  Bild  aus 
einem  römischen  Breviar  s.  XII;  aber  worauf  Wattenbach 
uns  aufmerksam  macht,  die  Inschrift  ist  falsch  gelesen  und 
das  Bild  falsch  erklärt.  Es  ist  die  h.  Felicitas  mit  ihren 
sieben  Söhnen,  welcher  der  verehrende  Mönch,  es  könnte 
wohl  der  Abt  sein,  das  Buch  darbringt.  Auf  seinem  Spruch- 
band steht,  was  S.  10  fälschlich  auf  Papst  Alexander  III.  be- 
zogen wird: 

Alexandre  pater  bone,  suscipe  quod  tibi  fidus 
Servus  Reinfridus  fert,  et  iuvet  hunc  tua  mater. 
Also   gehört  der  Codex   einem  Alexanderstift  an;    der  Name 
Reinfridus   kommt  in   Niederdeutschland  am  häufigsten  vor 


Nachrichten.  209 

und  das  würde  auf  Wildeshausen  a.  d.  Hunte  führen,  doch 
weiss  ich  nicht,  ob  hier  ein  Propst  oder  Mönch  dieses  Namens 
nachzuweisen  ist. 

7.  Von  der  werthvollen  Urkunden-  und  Handschriften- 
sammlung des  Herrn  Jules  Desnoyers  in  Paris,  die  nach 
dessen  Tod  in  den  Besitz  der  Pariser  Nationalbibliothek  über- 
gegangen ist,  verdanken  wir  Leopold  Delisle  einen  mit 
gewohnter  Vortrefflichkeit  gearbeiteten  Katalog.  Wir  er- 
wähnen von  den  Handschriften  n.  18  Summa  notariae  des 
Johannes  von  Bologna  (gedruckt  nach  einer  Münchener  und 
einer  Königsberger  Hdschr.  Quell,  und  Erörter.  z.  bair.  und 
deutschen  Gesch.  IX,  603  ff.),  n.  20  ein  Blatt  aus  einer  Oro- 
siushdschr.  saec.  IX,  n.  21.  22  Briefe  Clemens  IV,  n.  23 
Briefe  und  Urkundenbuch  Urbans  IV,  n.  26  Cisterzienser 
Statuten,  n.  38  Originalurkunden  für  Cluny,  darunter  Böhmer 
Reg.  Karol.  1527  (Rudolf  III.  von  Burgund),  Jaffe-L.  4169 
(Leo  IX.),  15542  (Urban  III.),  n.  39  Schriften  über  Cluny, 
darunter  die  Chronik  des  Franciscus  de  Rivo,  der  Planctus 
lotsaldi,  ein  Brief  des  Petrus  Damiani  an  Cluny  u.  a.  m.,  n.  44 
italienische  Originalurkunden,  darunter  Wilhelm  Herzog  von 
Apulien  (1123  October). 

8.  In  den  Sitzungsberichten  der  Wiener  Akademie  philos. 
histor.  Cl.  B.  CXVII  Jahrg.  1888  xi  beschreibt  v.  Schulte 
5  ehemals  dem  Kloster  Weingarten  angehörende 
Handschriften  canonistischen  Inhaltes,  welche  aus  der 
königl.  Handbibliothek  zu  Stuttgart  in  die  öffentliche  über- 
gegangen sind  (vgl.  Neues  Archiv  X,  600.  XI,  215).  Aus 
n.  113  s.  VIII,  von  der  ein  Facsimile  beigefügt  ist,  wird  S.  6 
eine  wichtige  Notiz  aus  dem  J.  580  wortgetreu  abgedruckt, 
welche  in  den  SS.  rerum  Langob.  p.  25,  N.  3  von  Waitz  nur 
aus  früheren  Drucken  wiederholt  worden  war.  In  dem  Cod. 
n.  112  s.  XI  ist  die  Sammlung  des  Ansegisus  vollständig 
enthalten,  der  sich  noch  einige  kirchliche  Satzungen  dieser 
Zeit  anschliessen,  ohne  in  den  M.  Gr.  berücksichtigt  worden 
zu  sein.  Aus  derselben  Handschrift  theilt  v,  S.  (S.  21)  eine 
'Urkunde'  (vielmehr  einen  Brief)  des  Dogen  Petrus  Candia- 
nus  II.  von  Venedig  an  König  Heinrich  I.  und  den  Erz- 
bischof Hildebert  von  Mainz  mit,  ohne  zu  bemerken,  dass 
derselbe,  von  dem  sich  hier  nur  die  erste  Hälfte  findet,  be- 
reits vollständig  aus  einer  Genter  Hs.  von  mir  veröffentlicht 
worden  ist  (Gesta  Berengarii  S.  157).  In  den  Mittheilungen 
des  Instituts  für  Österreich.  Geschichtsforsch.  VII,  336  hat 
V.  Ottenthai  überdies  darauf  aufmerksam  gemacht,  dass  dieser 
Brief  schon  früher  im  Auszuge  bekannt  war  (Quellen  u.  Erört. 
zur  bair.  und  deutschen  Gesch.  I,  410)  und  zu  den  Akten 
der  Erfurter  Synode,  mithin  in's  Jahr  932,  gehört;  (vgl.  dazu 

Neues  Archiv  etc.    XV.  14 


210  Nachrichten. 

Reo-esten  zur  Gesch.  der  Juden  in  Deutschland  n.  123.  124. 
H.  B.)  In  der  Stuttgarter  Hs.  folgt  darauf  ein  ganz  fremd- 
artiger Canon.  Die  in  n.  107  (S.  27)  enthaltenen  Schriften 
ßemolds  sind  für  die  M.  G.  bereits  benutzt  worden.  In 
n.  108  s.  XI — XII  findet  sich  die  Ingelheimer  Synode  von 
948  und  die  Augsburger  von  952,  wie  in  n.  114,  über  welche 
Weiland  früher  gehandelt  hat  (s.  Neues  Arch.  XI,  636).    E.  D. 

9.  Im  Archief  voor  nederlandsche  Kerkgeschiedenis  II, 
127  ff.  theilt  II.  G.  Kleyn  aus  einer  Handschrift  saec.  XVI 
Bücherverzeichnisse  aus  Kloster  Eginond  mit,  die  'ex 
pluribus  antiquis  libris'  zusammengestellt  sind.  An  erster  Stelle 
stehen  die  Bücher,  welche  Egbert  von  Trier  (977—993)  dem 
Kloster  geschenkt  hat:  darunter  ein  'psalterium  teutonice  glo- 
satum'  und  Vitae  SS.  Eucharii,  Valerii,  Materni.  Sehr  reich 
sind  die  Erwerbungen  des  5.  Abtes  Stephau  (gest.  1105): 
darunter  Gesta  Langobardorum  cum  vita  ßrendani  abb.  et 
gesta  Alexandri  magni,  Historia  Liutbrandi  Tycinensis  et 
libello  (!)  Theodoli;  Gesta  Francorura  cum  vita  Karoli,  ein 
'liber  coniurationum',  eine  lex  Salica,  eine  'invectiva  Henrici 
in  Hildebranduni  papam',  Gallicana  historia,  Ratherius.  Unter 
den  Erwerbungen  des  8.  Abtes  Walther  ist  hier  nur  eine 
'Historia  de  profectione  lerosolimitana  XII  libri  in  uno  volu- 
mine', offenbar  Albert  von  Aachen,  zu  erwähnen. 

10.  In  der  Römischen  Quartalschrift  III,  31  ff.  veröffent- 
licht P.  Batiffol  vier  Bibliothek skataloge  basilianischer 
Klöster  in  Unteritalien  1)  einen  Katalog  griechischer  und 
lateinischer  Handschriften  saec.  XVII  von  S.  Elia  di  Carbone 
in  der  Basihcata,  2)  einen  Katalog  griechischer  Handschriften 
von  1579  von  S.  Pietro  Spina  in  Calabrien,  3)  einen  Katalog 
saec.  XVH  der  griechischen  Handschriften  von  S.  Salvatore  in 
Palermo,  4)  einen  Katalog  von  1462  des  Klosters  Grotta-ferrata. 

11.  Bei  der  Bedeutung,  Avelche  die  'Scriptores  historiae 
Augustae'  für  die  Anfänge  der  deutschen  Geschichte  haben, 
mag  auch  an  dieser  Stelle  auf  eine  an  scharfsinnigen  Beob- 
achtungen reiche  Untersuchung  von  H.  Dessau  im  Hermes 
Bd.  XXIV,  337  ff.  hingewiesen  wei'den,  welche  den  Nachweis 
versucht,  dass  die  unter  dieser  Gesammtbezeichnung  bekann- 
ten, angeblich  von  sechs  Autoren  aus  der  ersten  Hälfte  des 
4.  Jahrh.  herrührenden  Biographieen  von  Kaisern,  kaiserlichen 
Prinzen  und  Gegenkaisern  in  Wirklichkeit  von  einem  Ver- 
fasser in  den  letzten  Jahrzehnten  dieses  Jahrhunderts  ange- 
fertigt worden  seien. 

12.  Im  Rhein.  Museum  f.  Philologie  N.  F.  XLIV,  369  ff. 
zeigt  C.  Fr  ick,  dass  die  Handschrift  des  Victor  Tunnu- 
nensis  und  Johannes  Biclarensis,  die  Scaliger  für  seine 
Ausgabe   benutzt  hat,   identisch  ist  mit  dem  Leidener  Codex 


Nachrichten.  211 

Bon.  Vulcanii  n.  20,  11^,  einer  von  dem  Jesuiten  A.  Schott 
in  Toledo  nach  einem  dort  vorhandenen  Codex  angefertigten 
Abschrift,  welche  dieser  an  Marcus  Welser  sandte  und  welche 
auch  Canisius  für  seine  editio  princeps  vom  J.  1600  benutzte. 

13.  Im  Programm  des  Gymnasiums  zu  Heilbronn  (1888 
n.  554)  untersucht  Prof.  Lechler  die  Erlasse  Theodorichs  in 
Cassiodors  Varien  I — V  nach  den  drei  Gesichtspunkten: 
1)  welchen  Antheil  der  König  an  ihnen  hatte,  2)  ob  die  Er- 
lasse uns  in  ihrer  ursprünglichen  Gestalt  vorliegen,  3)  nach 
welchem  Princij)  sie  zusammengestellt  sind. 

14.  In  den  Sitzungsber.  der  Wiener  Akad,  phil.  bist. 
Cl.  B.  CXVII,  Jahrg.  1888,  xii.  bringt  M.  Manitius  'Bei- 
träge zur  Geschichte  frühchristlicher  Dichter  im  Mittelalter'. 
Ohne  Anspruch  auf  Vollständigkeit  wird  theils  in  Erwähnun- 
gen, theils  in  Citaten  oder  Nachahmungen  die  Bekanntschaft 
mit  folgenden  Dichtern  das  Mittelalter  hindurch  verfolgt:  For- 
tunatus,  Orientius,  Sedulius,  Augustinus,  Avitus,  Dracontius, 
Prosper,  Carmen  adv.  Marcionem,  Boetius,  Prudentius,  Hymni 
Ambrosiani,  Sidonius.  E.  D. 

15.  Im  Philologus  N.  F.  I,  562  ff.  veröffentlicht  der- 
selbe 'Beiträge  zur  Geschichte  römischer  Prosaiker  im  INIittel- 
alter'.  In  ähnlicher  Weise  wie  in  der  eben  angeführten  Arbeit 
wird  hier  die  Benutzung  von  Solinus,  Tacitus,  dem  jüngeren 
Plinius  und  Cornelius  Nepos  verfolgt. 

16.  Von  Grünhagen's  verdienstlichem  Wegweiser  durch 
die  schlesischen  Geschichtsquellen  ist  die  zweite  Auflage  er- 
schienen. 

17.  In  den  Sitzungsberichten  der  Pariser  Academie  des 
inscriptions  et  helles  lettres  XVII  (1889),  30  ff",  handelt  Ch. 
Nisard  über  die  Beziehungen  des  Venantius  Fortuna- 
tus  zur  h.  Radegunde  und  zu  der  Aebtissin  Agnes. 

18.  In  den  Verhandlungen  der  Berliner  anthropologischen 
Gesellschaft,  Sitzung  vom  17.  Nov.  1888,  S.  508—532,  ist  ein 
Vortrag  von  R.  Virchow  gedruckt:  'Reiseergebnisse  auf  dem 
Wege  der  Langobarden'.  Im  Anschluss  an  den  kurzen 
Bericht  des  Paulus  Diaconus  wird  nach  genauester  Unter- 
suchung der  Oertlichkeit  nachgewiesen,  dass  sie  nur  über  den 
Predil-Pass  gekommen  sein  können,  und  verschiedene  topo- 
graphische Bemerkungen  von  Bethmann  zu  Paulus  werden 
berichtigt  (vgl.  Mitth.  des  Inst,  für  österr.  Geschichtsf.  I,  299). 

W.  W. 

19.  In  den  Mittheil,  des  Instit.  f.  österr.  Geschichtsforsch. 
X,  417  ff.  macht  M.  Manitius  eine  Reihe  beachtenswerther 
Bemerkungen    zu   den  Ann.  Laurissen s.   maiores:   über 

14* 


212  Nachrichten. 

romanische  Worte  im  ersten  bis  788  reichenden  Theil  der 
Annalen,  über  Bekanntschaft  des  Autors  mit  der  Rechts-  und 
Urkundensprache,  über  Benutzung  von  Actenstücken  (nament- 
lich über  das  Verfahren  gegen  Tassilo),  über  die  Aufzeich- 
nung vorher  angesagter  und  nachher  niclit  immer  eingehaltener 
Weihnachts-  und  Osterfeiern  des  Königs  (M.  ist  hier,  an- 
scheinend ohne  meine  Ausführungen  in  den  Jahrb.  Konrads  II. 
Bd.  II,  426  ff.  zu  kennen,  auf  denselben  Gedanken  gekommen, 
den  ich  dort  für  das  11.  Jahrh.  eingehender  verfolgt  habe), 
über  die  Benutzung  von  Itineraraufzeichnungen  des  Königs 
durch  den  Annalisten  u.  s.  w. 

20.  Die  SS.  XV,  2,  1269  ff.  von  Sauerland  herausgegebenen 
W  e  i  h  e  n  o  t  i  z  e  n  von  St.  M  a  x  i  ra  i  n  hat  Pfarrer  Nick,  dem 
diese  Ausgabe  noch  nicht  bekannt  sein  konnte,  aber  auch  die- 
jenige Delisles  in  der  Bibl.  de  l'ecole  des  chartes  1884  S.  578  ff. 
unbekannt  geblieben  ist,  aus  einer  ehemals  Maximiner  Hand- 
schrift angeblich  saec.  XI,  offenbar  derselben,  Avclche  auch 
Wilthem  und  Novillan  neben  dem  jetzt  Pariser  Codex  benutzt 
haben,  in  den  Studien  und  Mittheilungen  aus  dem  Benedictiner- 
orden  X,  82  ff.  veröffentlicht,  leider  ohne  anzugeben,  wo  die 
Handschrift  sich  jetzt  befindet. 

21.  In  der  Revue  historique  Bd.  XL,  S.  41 — 48  hat 
Julien  Havet  meine  in  dieser  Zeitschrift  Bd.  XIV,  S.  377 
— 418  veröffentlichten  'Studien  über  Rodulfus  Glaber'  theils 
zustimmend,  theils  abweisend  besprochen.  Während  er  zu- 
gesteht, dass  das  Werk  nicht  in  Cluny,  wo  der  Autor  in  den 
dreissiger  Jahren  des  11.  Jahrhunderts  lebte,  sondern  in 
St.  Germain  d'Auxerre  abgeschlossen  wurde,  giebt  er  dem 
27.  cap.  der  Vita  Wilhelmi  eine  neue  Interpretation,  wodurch 
der  Anfang  der  Historien,  statt  nach  Dijon,  nach  Cluny  ver- 
legt wird.  Werden  hierdurch  einige  Schwierigkeiten,  welche 
die  frühere  Auslegung  bieten,  vermieden,  so  ergeben  sich  da- 
für andere,  wie  ich  gelegentlich  nachzuweisen  gedenke.  Hatte 
ich  sodann  zu  zeigen  gesucht,  dass  die  Chronik  nicht  in  einem 
Zuge  geschrieben,  sondern  einzelne  Stücke  später  eingeschoben 
seien,  und  dass  man  dem  Werke  eine  'gewisse'  Ordnung  und 
Disposition  nicht  absprechen  könne  —  gegenüber  der  sonst 
bemängelten  Planlosigkeit  —  so  habe  ich  doch  nicht  behaupten 
wollen,  was  mir  Havet  vorwirft,  es  wäre  ursprünglich  ein 
Werk  'd'une  ordonnance  parfaite'  gewesen  und  ebenso  muss 
ich  mich  dagegen  verwahren,  dass  ich  die  mir  am  ungehörigen 
Platze  erscheinenden  Stücke  'sans  autre  preuve'  als  spätere 
Einschübe  beseitigt  hätte  —  dabei  zugegeben,  dass  nicht  jeder 
meiner  Gründe  durchschlagend  ist.  Gern  erkenne  ich  an, 
dass  die  auf  Abt  Wilhelm  bezüglichen  Capitel  der  Historien 
nach  dessen  Tode  geschrieben,  bleibe  aber  dabei,  dass  sie  vor 
der  Vita  Wilhelmi  verfasst  sind.  Ernst  Sackur. 


Nachrichten.  213 

22.  In  einem  umfangreichen  Werke  (172  S.),  dessen  Titel 
ist:  'Lambert  von  Hersfeld  der  Verfasser  des  Carmen  de 
bello  Saxonico'  (Göttingen  1889)  sucht  A.  Pannenborg 
abermals  seine  schon  früher  entwickelte  und  ausführlich  be- 
handelte, seitdem  aber  allgemein  verworfene  Ansicht  zu  ver- 
theidigen,  welche  der  Titel  ausspricht.  Mit  dem  von  neuem 
versuchten  Beweis  werde  ich  mich  an  anderer  Stelle  beschäf- 
tigen. Hier  habe  ich  nur  auf  den  'Kachtrag'  einzugehen,  den 
P.  hinzufügte,  als  ihm  meine  Ausgabe  des  Carmen  bekannt 
wurde.  Da  er  nämlich  sah,  dass  auch  ich  seine  Meinung 
durchaus  verwarf,  hat  ihn  das  so  gewaltig  erregt,  dass  er 
offenbar  seiner  nicht  mächtig  war,  als  er  im  Nachtrag  diese 
Thatsache  constatierte.  Deshalb  kann  ich  darüber  hinweg- 
gehen, Avenn  er  z,  B.  behauptet,  ich  hätte  Wiederholungen 
(er  meint  öftere  Wiederkehr  derselben  Wendungen)  bei  Lam- 
bert nicht  gefunden.  Eine  Behauptung,  die  durch  keine  meiner 
Aeusserungen  begründet  ist.  Dann  aber  bringt  er  ein  'Bei- 
spiel' für  meine  'Textkritik'.  Er  tadelt  nämlich,  dass  ich  nach 
einer  der  von  mir  benutzten  Collationen  angegeben  habe, 
'Hennenburc'  sei  in  der  Hs.  in  'Heimenburc'  corrigiert,  wäh- 
rend die  Hs.  thatsächlich  keine  Correctur  an  der  Stelle  habe. 
Nun  wird  Jedermann,  der  mehrere  Collationen  einer  Hs.  zu 
benutzen  hat,  selbstverständlich  der  folgen,  Avelche  ausdrück- 
lich eine  Correctur  angiebt,  wenn  sie  auch  in  den  andern 
nicht  erwähnt  ist.  Im  übrigen  ist  es  ganz  gleichgültig,  ob 
die  Hs.  da  eine  Correctur  hat  oder  nicht ;  es  m  u  s  s  an  der 
Stelle  auf  Grund  von  Lambert  und  Ann.  Altah.  'Heimenburc' 
emendiert  werden,  darf  nicht  'Hennenburc'  gelesen  werden, 
wie  Pannenborg  meint.  An  dieses  'Beispiel  meiner  Textkritik' 
knüpft  er  den  Vorwurf,  ich  hätte  'eingestandenermassen'  die 
Hs.  nicht  gesehen.  Und  er  thut  dies  mit  folgenden  Worten: 
'Das  Ansehen  der  MG.  kann  nicht  gewinnen,  wenn  der  Heraus- 
geber eines  vielumstrittenen  Werkes  die  einzige  vorhandene 
und  sehr  leicht  zugängliche  Handschrift,  welche  er  in  der 
Praefatio  genau  beschreibt,  nicht  einmal  an  solchen  Stellen, 
wo  seine  Gewährsmänner  von  einander  abweichen,  selbst  ein- 
zusehen sich  gemüssigt  findet'.  Diese  Hs.  des  16.  lahrhun- 
derts  (!)  war  von  G.  H.  Pertz,  G.  Waitz  und  Ph.  Jaffe  colla- 
tioniert.  Nach  drei  solchen  Gewährsmännern,  deren  Colla- 
tionen allerdings,  wie  regelmässig  alle  Collationen,  in  neben- 
sächlichen Dingen  von  einander  abwichen,  wäre  es  das  über- 
flüssigste von  der  Welt  gewesen,  eine  nochmalige  Zusendung 
der  Hs.  von  Hamburg  hierher  zu  erbitten,  da  an  keiner  Stelle 
auch  nur  der  geringste  Zweifel  blieb  über  die  in  den  Text 
zu  setzende  Lesung.  Zudem  enthalten  die  oben  citierten  Worte 
zwar  keine  formelle,  aber  eine  virtuelle  Unwahrheit.  Wir  haben 
nämlich  neben  der  Hs.  einen  alten  Druck,  welcher   aus    dem- 


214  Nachrichten. 

selben  alten  Codex  wie  die  Hs.  geflossen  und,  wie  ich  das 
ausgesprochen  habe,  besser  ist  als  die  Hs.  Diese  ist  also 
keineswegs  die  einzige  Quelle  der  Ueberlieferung,  wie  es  nach 
jenen  Worten  scheinen  sollte,  sondern  eine  zweite  minder  gute. 
Ferner  habe  ich  nicht  'eingestanden',  die  Hs.  nicht  gesehen 
zu  haben,  sondern,  wie  das  hundertfach  in  den  MG.  und 
anderen  Editionen  geschieht,  gesagt,  dass  ich  die  Collationen 
Andrer  und  deren  Beschreibung  der  Hs.  benutzt  habe,  und 
nur  Jemand,  der  keine  richtige  Vorstellung  von  solchen 
Arbeiten  hat,  kann  mir  daraus  einen  Vorwurf  machen  wollen. 
Sollte  aber  dennoch  durch  meine  Ausgabe  des  Carmen  das 
Ansehen  der  ]MG.  geschädigt  werden,  was  ich  im  übrigen 
doch  nicht  befürchte,  so  würde  die  Schuld  dafür  A.  Pannen- 
borg tragen.  Denn  —  sein  Ausfall  zwingt  mich  dazu,  das 
zu  sagen  —  er  war  jahrelang  mit  dieser  Ausgabe  von  Seiten 
der  MG.  beauftragt.  Als  sein  ]\Ianufecript  zum  Druck  gefor- 
dert wurde,  war  die  Ausgabe  nicht  fertig.  Als  er  darauf 
erkrankte,  haben  wir  den  Druck  des  Bandes  Monate  lang 
unterbrochen,  um  auf  seine  Wiederherstellung  und  die  Liefe- 
rung seines  Manuscriptes  zu  warten;  als  er  dann  hergestellt 
war,  hat  er  uns  die  ihm  seiner  Zeit  gelieferten  Materialien 
ohne  eine  Entschuldigung  oder  Angabe  eines  Grundes  zurück- 
geschickt und  die  Bearbeitung  verweigert.  Deswegen  war 
ich  gezwungen,  die  Ausgabe  zu  übernehmen.  Nachdem  sie 
gedruckt  war,  hat  A.  Paunenborg  wieder  wegen  Bearbeitung 
des  Carmen  angefragt.  0.  H.-E. 

23.  Eine  fleissige,  nur  mit  etwas  zu  grosser  Sicherheit 
auftretende  Leipziger  Dissertation  von  Ernst  Strelau  behan- 
delt: 'Leben  und  Werke  des  ]\Iönchs  Bernold  von  St.  Bla- 
sein'. Besonders  ausführlich  werden  die  Opuscula  Bernolds 
besprochen,  wobei  nicht  unerhebliche  Gründe  dafür  geltend 
gemacht  werden,  dass  die  bis  1076  entstandenen  Jugendschrif- 
ten, der  Briefwechsel  mit  Alboin,  die  Vertheidigung  der  römi- 
schen Decrete  von  1075  und  der  Briefwechsel  mit  Bernhard 
nicht  in  Constanz,  sondern  in  St.  Blasien  vcrfasst  seien,  so 
dass  also  Bernold  schon  in  den  siebziger  Jahren  hier  Mönch 
gewesen  sei.  Die  Datierungen  der  einzelnen  Opuscula,  die 
S.  vorschlägt,  sind  aber  nicht  durchweg  so  sicher,  wie  er 
glaubt:  er  operiert  zu  viel  mit  dem  argumentum  ex  silentio, 
d.  h.  mit  der  Erwägung,  dass  Bernold  dies  oder  jenes  Ereignis 
hätte  erwähnen  müssen,  wenn  es  ihm  zur  Zeit,  als  er  diese 
oder  jene  Schrift  verfasste,  schon  bekannt  gewesen  wäre.  Der 
zweite  Theil  der  Arbeit  giebt  eine  Kritik  der  Chronik  Ber- 
nolds, namentlich  seit  1077,  wobei  S.  dem  Autor  absichtlich 
falsche  Darstellung  der  Thatsachen  zum  Vorwurf  macht.  Die 
oberflächliche  und  absprechende,  freilich  ganz  in  dem  neueren 


Nachrichten.  215 

Dissertationen-Stil  gehaltene  Anmerkung  hinsichtlich  der  letzten 
Untersuchungen  über  die  Quellen  Hermanns  von  Reichenau 
(S.  75,  N.  3)  wäre  besser  fortgeblieben :  sie  zeigt  nur,  dass 
der  Verfasser  sich  mit  jenen  Untersuchungen  nicht  gründlich 
genug  beschäftigt  hat. 

24.  In  der  Württerabergischen  Vierteljahrsschrift  für 
Landesgeschichte  XL  (1888)  hat  J.  A.  Giefel  eine  neue 
Edition  der  Ellwanger  und  Neresheim er  Geschichts- 
quellen besorgt.  Die  Ausgabe  —  auch  unter  dem  Titel: 
Württembergische  Geschichtsquellen  IL  —  enthält:  Ermenrici 
Vita  Hariolfi,  Ann.  EUwangenses,  Ann.  Neresheiraenses,  Chron. 
Elwacense,  Calendarium  et  Necrologium  Elwacense.  Bisher 
unbekannt  ist  nur  das  Calendarium. 

25.  Eine  Jenenser  Dissertation  von  1888  von  "Walter 
Meyer,  'Das  Werk  des  Kanzlers  Gislebert  von  Mons, 
besonders  als  verfassungsgeschichtliche  Quelle  betrachtet',  ent- 
hält nichts  neues  von  Erheblichkeit. 

26.  Emil  Michael,  'Salimbene  und  seine  Chro- 
nik. Eine  Studie  zur  Geschichtschreibung  des  dreizehnten 
Jahrhunderts'  (Innsbruck  1889)  behandelt  das  Leben  Sahm- 
benes  und  liefert  Beiträge  zur  Charakteristik  desselben  und 
seines  Werkes.  Im  Schlusscapitel  geht  er  auch  auf  die  Quellen 
der  Chronik  und  die  damit  zusammenhängenden  so  schwieri- 
gen kritischen  Fragen  ein,  hat  deren  Lösung  indess  nicht 
gefttrdert.  O.  H.-E. 

27.  Im  Archivio  stör.  ital.  Ser.  5,  III,  1  ff.  veröffentlicht 
G.  F.  Gamurrini  aus  Cod.  Vatic.  Urbin.  1738.  bisher  unbe- 
kannte, von  verschiedenen  Händen  des  13.  und  14.  Jahrhun- 
derts eingetragene  Annalen  von  Orvieto,  beginnend  mit 
einem  Verzeichnis  der  Podestä  1194—1222,  auf  welches  dann 
annalistische  Aufzeichnungen  seit  1161  folgen.  Das  Ganze 
macht  in  dem  Abdruck  einen  etwas  confusen  Eindruck  und 
bedarf  erneuter  Untersuchung. 

28.  Im  vierten  Bande  von  Böhmers  Fontes  hat  bekannt- 
lich A.  Huber  nach  einer  Abschrift  Böhmers  den  ersten  bis 
1254  reichenden  Theil  einer  Chronik  von  Viterbo  von 
Fra  Francesco  di  Andrea  di  Viterbo  abgedruckt;  die  Fort- 
setzung, welche  bis  1450  reicht,  zuletzt  nur  kurze  Notizen 
bietend,  hatte  Böhmer  nicht  copiert,  und  es  ist  deshalb  sehr 
willkommen,  dass  jetzt  der  ganze  Text  aus  der  auch  schon 
von  Böhmer  benutzten  Originalhandschrift  der  Bibl.  Angelica 
von  Conte  F.  Cristofori  im  Archivio  storico  per  le  Marche 
e  per  Umbria  IV,  261 — 338.  mitgetheilt  worden  ist. 


216  Nachrichten. 

29.  In  einem  Aufsatz  über  deutsche  Dantestudien  des 
letzten  Jahrzehend  (Ztschr.  f.  vergleichende  Literaturgesch. 
und  Renaissanceliteratur  N.  F.  II,  298  ff.)  wendet  sich 
F.  X.  V.  Wegele  in  lebhafter  Polemik  gegen  eine  Reihe  von 
Ausführungen  Scheffer-Eoichorsts  in  dessen  Buch  'Aus  Dantes 
Verbannung';  insbesondere  macht  er  Bedenken  gegen  die  An- 
nahme Scheffers  hinsichtlich  der  Entstehungszeit  von  Dantes 
Schrift  *De  monarchia'  geltend. 

30.  Als  zweiter  Band  der  von  dem  Istituto  storico  ita- 
liano  herausgegebenen  'Fonti  per  la  storia  d'Italia  ist  erschie- 
nen die  Historia  lohannis  de  C  er  menate,  herausgegeben 
von  L.  A.  Ferrai  (Rom  1889).  Die  Einleitung  giebt  eine 
Biographie  des  Verfassers,  der  noch  am  9.  März  1344  als 
lebend  nachgewiesen  wird,  und  behandelt  die  Handschriften 
des  Werkes.  Ausser  dem  einzigen  bis  jetzt  bekannten  Codex 
werden  noch  zwei  Abschriften  eines  verlorenen  Codex  del 
Chiesa  nachgewiesen,  die  bis  cap.  42  gehen  und  eine  ältere 
Rcdaction  des  Werkes  repräsentieren,  welche  auch  die  Lücke 
in  der  Ausgabe  Muratoris  (cap.  15  und  16)  ausfüllt.  Der 
Edition  wird,  soweit  sie  reicht,  diese  ältere  Redaction,  die 
auch  von  Morigia  benutzt  ist,  zu  Grunde  gelegt. 

31.  Eine  namentlich  culturhistorisch  nicht  uninteressante 
deutsche  Schrift  des  14.  Jahrb.,  die  Gründungsgeschichte 
des  Dominicanerinnen-Klosters  Oetenbach  (gestiftet  zwi- 
schen 1230  und  1240)  mit  angehängten  Biographieen  einiger 
Schwestern  haben  H .  Z  e  1 1  e  r  -  W  e  r  d  m  ü  1 1  e  r  und  J.  B  ä  c  h- 
told  aus  einer  Nürnberger  Handschr.  saec.  XV  im  Züricher 
Taschenbuch  N.  F.  XII  (1889)  S.  213  ff.  herausgegeben. 

32.  In  der  Zeitschrift  für  Geschichte  des  Oberrheins  1889, 
S.251  giebt  A.  Schulte  Berichtigungen  und  Nachträge  zu  den 
Ortsnamenbestimraungen  in  den  Notitiae  S.  Georgii  in 
Nigra  silva  (SS.  XV,  2,  1002  ff.).  Nur  kann  ich  nicht  zu- 
geben, dass  mit  der  proprietas  S.  Mariae  (S.  1009,  Z.  30) 
eine  Besitzung  von  Reichenau  gemeint  sein,  und  dass  Adel- 
giseshoven  heute  Auttagershofen  hcissen  könne.  Das  Cimberen 
(S.  1011,  Z.  4)  kann  ebensogut  irgend  ein  anderes  der  vielen 
Zimmern  jener  Gegend  wie  Herrenzimmern  sein.     O.  H.-E. 

33.  Die  Chronik  des  Apollo  v.  Vilbel,  von 
Dr.  Jos.  Rübsam  (Sonderabdr.  a.  d.  Zts,  d.  V.  f.  hess.  Gesch. 
N.  F.  Bd.  XIV)  Fulda  1889.  Der  Abdruck  dieser  leider 
unvollständig  erhaltenen  Aufzeichnungen  nach  der  in  der  Bibl. 
des  bisch.  Seminars  zu  Fulda  wiedergefundenen  Handschrift 
ist  willkommen;  für  die  Jahre  von  1499  bis  1525  enthalten 
sie  nicht  unwichtige  Nachrichten.  Die  eingeschobenen  Col- 
lectaneen  über  die  alte  Geschichte  von  Fulda  sind  unbedeutend: 


Nat-hrichten.  217 

der  Chronist  Adrian  S.  59  wohl  nur  eine  Dittographie  des  zu 
demselben  falschen  J.  1007  nach  Trithemius  angeführten  Marian. 
Zu  Rabans  Epitaph.  S.  47  hätte  Dümmlers  Ausg.  Poet.  Lat. 
II,  242  angeführt  werden  sollen.  Beachtenswerth  sind,  wie  der 
Herausgeber  hervorhebt,  zahlreiche,  leider  ganz  kurze,  Ver- 
weisungen auf  die  alte  Chronik,  welche  auch  Brower,  doch 
vielleicht  nicht  mehr  nach  dem  Original,  häufig  benutzt  hat. 
Sie  reichte  von  Ratgar  (oder  früher)  bis  zu  Konrad  v.  Hanau 
(1372—1382)  und  war  also  im  16.  Jh.  noch  vorhanden.     W.  W. 

34.  Von  Prof.  Max  Conrat  (Cohn)  ist  die  erste  Lieferung 
eines  gross  angelegten  Werks  'Greschichte  der  Quellen  u.  Lite- 
i'atur  des  römischen  Rechts  im  Mittelalter'  erschienen 
(Leipzig,  Hinrichs  1889).  Die  vorliegende  Lieferung  giebt 
sehr  reichhaltige  Nachweisungen  über  die  Benutzung  der  römi- 
schen Rechtsbücher  in  kirchlichen  und  weltlichen  Rechtsquellen 
des  Mittelalters.  Für  uns  von  besonderem  Interesse  ist  die 
im  5,  Abschnitte  begonnene,  in  dem  vorliegenden  Heft  noch 
nicht  abgeschlossene  Untersuchung  über  die  Bekanntschaft 
mittelalterlicher  Annalisten  und  Chronisten  mit  dem  römischen 
Recht.  —  lieber  die 'Lex  legum  brebiter  facta',  s.  N.  A. 
Bd.  XIV,  211  n.  40,  berichtet  Max  Conrat  ausführlicher  in 
der  Ztschr.  der  Savignystiftung  f.  Rechtsgesch.  Germanist. 
Abtheilung  X,  230  ff.  Ein  Abdruck  des  kurzen,  aber  merk- 
würdigen Textes  ist  beigegeben. 

35.  Griovanni  Tamassia  sucht  in  einer  Schrift  'La 
fonti  deir  editto  di  Rotari'  (Pisa  1889)  die  Quellen  des  Edictus 
Rothari  auf  und  trägt  als  solche  eine  grosse  Anzahl  Stellen 
zusammen,  welche  theils  den  Quellen  des  römischen  und  west- 
gothischen  Rechts,  theils  biblischen  und  kirchlichen  Quellen 
entnommen  sind.  Darunter  sind  manche  bisher  unbeachtete 
werthvolle  Parallelstellen.  Doch  geht  der  Verf.  in  der  Auf- 
spürung von  Verwandtschaften  und  Anklängen  vielfach  zu  weit; 
z.  B.  S.  55: 

C.  357  (Ed.  Roth):  Si  quis 
campum  alienum  asto  cum  pe- 
culio  suo  delierit  aut  spicas 
manibus  evellerit,  conpo- 
nat  sol.  V. 

oder  S.  72: 

C.  31  (Ed.  Roth.):  Walapaus 
est,  qui  se  furtim  vestimen- 
tum  alium  induerit  aut  se 
Caput  latrocinandi  animo  aut 
faciem  transfiguraverit. 

Es  sind  das  Stellen  die  durchaus  nichts  mit  einander  zu 
schaffen  haben.      Ref.  selbst  hat  zuerst  (vgl.  Brunner,  RG.  I, 


Dig.  XLVII,  7,  7,  §  2:  Si 
quis  radicitus  arborem  evelle- 
rit ...  §  3:  Sive  suis  mani- 
bus, sive  dum  iraperat  servo. 


Deuteron.  XXII,  5:  Non  in- 
duetur  mulier  veste  virili, 
nee   vir  utetur  veste   feminea. 


218  Nachrichten. 

S.  369,  A.  6)  auf  die  Verwandtschaft  zwischen  Stellen  des 
Edictus  und  der  Lex  Visigoth.  aufmerksam  gemacht  und  freut 
sich,  dass  der  Verfasser  auch  noch  in  dieser  Richtung  weitere 
Parallelen  aufgefunden  hat,  möchte  aber  doch  vor  einseitiger 
Uebertreibung  der  vergleichenden  Methode  warnen.  —  Bei- 
läufig bemerkt,  ist  kein  Grund  in  c.  349:  'De  porcus  si  in 
isca  alterius  paverit',  entsprechend  L.  Vis,  VIII,  5,  1  statt 
'isca'  'silva'  zu  vermuthen,  da  isca  =  esca  und  dieses  technisch 
für  Viehfutter  und  speciell  für  die  Eichelmast  der  Schweine 
ist;  vgl.  Ducange  s.  v.  esca.  K.  Zeumer. 

36.  Eine  Schrift  von  Carlo  Canetta  'I  rapporti  della 
Lex  Romana  Utinensis  con  la  Lex  Alamannorum'.  Milano 
(Vallardi)  1887  wird  in  der  D.  Zeitschr.  f.  Geschichtswissen- 
schaft I,  S.  216  nebst  einer  Recension  derselben  Nuova  Antol. 
3.  ser.  vol.  XIII,  362 — 364,  angeführt,  ist  aber  dem  Unter- 
zeichneten (auch  durch  den  Buchhandel)  nicht  zugänglich 
geworden.  K.  Zeumer. 

37.  In  der  'Historia  general  del  derecho  Espafiol'  von 
E.  de  Hinojosa  I  (JMadrid  1887)  werden  I,  356—365  die 
westgothischen  Rechts  quellen  behandelt  unter  sorgfältiger 
Berücksichtigung  auch  der  deutschen  Litteratur.  S.  360  wird  in 
der  Anmerkung  die  Publication  lange  vorbereiteter  Arbeiten 
des  D.  Jose  Garcia  über  die  Avestgothische  Antiqua  und  be- 
sonders einer  neuen  Lesung  und  Ergänzung  der  Pariser  Frag- 
mente in  Aussicht  gestellt.  Citiert  wird  eine  frühere  Abhand- 
lung des  Sr.  Garcia:  Lex  primitiva  de  los  visigodos  y  de- 
scubrimiento  de  algunos  de  sus  capitulos,  Madrid  1861,  welche 
in  Deutschland  kaum  bekannt  geworden  sein  dürfte  und  nach 
des  Verfassers  Angabe  die  neuerdings  von  Brunner  Avieder  zu 
Ehren  gebrachte  Ansicht  Gaupps,  nach  welcher  die  Antiqua- 
fragmente der  Gesetzgebung  Euriclis  angehören,  mit  eigenen 
Gründen  vertritt.  K.  Zeumer. 

38.  Ein  bisher  unbekanntes  westgothisches  Gesetz  von 
König  Theudis  546,  anscheinend  als  Novelle  zur  Lex  Ro- 
mana Wisigothorum  erlassen,  findet  sich  in  der  vor  einiger 
Zeit  zu  Leon  entdeckten  Handschrift  dieses  Rechtsbuches. 
Der  ziemlich  umfangreiche,  aber  leider  lückenhafte  Text  des 
Gesetzes  ist  herausgegeben  von  Francisco  de  Cärdenas  im 
Boletin  de  la  real  academia  de  la  historia  zu  Madrid,  XIV.  Bd., 
S.  478fr.  K.  Zeumer. 

39.  L.  von  Rockinger  veröffentlicht  in  den  Abhand- 
lungen der  bairischen  Akademie,  bist.  Classe  XVIII,  2.  Abth. 
den  zweiten  Theil  seiner  Studien  über  die  Abfassung  des 
'Kaiserlichen  Land-  und  Lehnrechts',  Avorin  der  XachAveis  ver- 
sucht Avird,    dass   der  '  Schwabenspiegel'   nicht  nach  der 


Nachrichten.  219 

Wahl  Rudolfs,  sondern  vielmehr  nicht  lange  nach  der  Wahl 
Richards  entstanden  sei.  Am  Schluss  der  Arbeit  wird  die 
Vermuthung  ausgesprochen,  dass  der  bis  1267  nachweisbare 
Bamberger  Domscholastiker  Magister  Jakob  der  Verfasser  des 
Rechtsbuches  sei.  Eine  Ergänzung  zu  dieser  Untersuchung 
bildet  eine  Abhandlung  desselben  Verfassers  in  den  Sitzungs- 
berichten der  bairischen  Akademie  phil.  und  bist.  Gl.  1889. 
S.  120  ff.,  welche  bereits  vom  dritten  Viertel  des  13.  Jahr- 
hunderts Spuren  der  Benutzung  des  Schwabenspiegels  nach- 
zuweisen versucht.  —  Gegen  die  Ergebnisse  Rockingers  hat 
sich  O.  Redlich  an  mehreren  Stellen  einer  sehr  beachtens- 
werthen  Abhandlung  über  die  Anfänge  K.  Rudolfs  (Mitth.  d. 
Instituts  f.  österr.  Geschichtsforsch.  X,  341  ff.)  ausgesprochen; 
er  hält  an  der  Datierung  Fickers  fest. 

40.  Im  Neuen  Archiv  f.  sächsische  Gesch.  und  Alter- 
thumskunde  X,  83  ff.  giebt  H.  Er  misch  sehr  sorgfältige  Zu- 
sammenstellungen über  die  sächsischen  Stadtbücher 
des  Mittelalters. 

41.  Die  Geschichte  der  vaticanischen  Handschrift  des 
Liber  diurnus  verfolgt  J.  Giorgi  im  Arch.  della  R.  So- 
cietä  Romana  di  storia  patria  XII,  641  ff. ;  er  macht  wahr- 
scheinlich, dass  sie  zu  der  Reisebibliothek  des  885  in  Nonan- 
tola  gestorbenenen  Papstes  Hadrian  III.  gehört  hat,  nach 
seinem  Tode  dort  zurückgeblieben  und  von  da  in  die  Biblio- 
thek von  S,  Croce  di  Gierusalemme  gekommen  ist.  Erst 
Ende  des  18.  Jahrhunderts  —  G.  vermuthet  1798/99  —  ist  der 
Codex  in  das  vaticanische  Archiv  übertragen.  In  Nonantola 
noch  ist  er  von  dem  anonymen  Verfasser  der  Vita  Hadrianil 
Nonantulana  benutzt  worden. 

42.  Unmittelbar  nach  dem  Erscheinen  von  Sickels  Aus- 
gabe des  Liber  diurnus  ist  aus  der  Ambrosiaaa  zu  Mai- 
land die  Kunde  von  einer  zweiten,  oder  den  verschollenen 
Claromontanus  mitgerechnet,  dritten  alten  Hdschr.  des  ältesten 
päpstlichen  Formularbuchs  gekommen;  A.  Ceriani  berichtet 
darüber  in  den  Rendiconti  del  R.  Instituto  Lombardo  Ser.  II 
vol.  XXII,  fasc.  IX;  vgl.  auch  Sickel  im  Anzeiger  der  Wiener 
Ak.  phil.  bist,  Classe  vom  5.  Juni  1889.  Die  Hdschr.,  welche 
aus  Bobbio  stammt,  gehört  noch  dem  9.  Jahrhundert  an;  aus 
den  Katalogen  war  ihre  Bedeut^^ng  nicht  zu  erkennen;  nur 
Montfaucon,  ßibliotheca  bibliothecarum  I,  159  hat  sie  in  einer 
von  allen  Forschern,  die  sich  mit  dem  Gegenstande  beschäftigt 
haben,  übersehenen  Notiz  als  Diurnus  Rom.  bezeichnet.  Sie 
enthält  21  Quaternionen;  der  erste  Quaternio  und  das  erste 
und  letzte  Blatt  von  Quat.  IX  fehlen,  so  dass  der  Text  in 
form.  9  des  Vaticanus  beginnt.     Bestand  und  Anordnung  der 


220  Nachrichten. 

Formulare  entsprechen  dem  Claromontanus ;  die  drei  Formulare 
n.  19 — 21,  welche  dort  durch  ein  Schreiberversehen  übersprungen 
sind  (vgl.  Sickel,  Liber  diurnus  S.  XXXIII,  mein  Handbuch 
der  Urkundenlehre  I,  622  N.  4),  sind  hier  vorhanden;  am 
Schluss  bietet  der  Ambrosianus  drei  Formulare  mehr,  als  der 
hier  verstümmelte  Claromontanus;  Ceriani  hat  sie  abgedruckt. 
Die  Lesarten  von  A.  stimmen  bald  mit  C,  bald  mit  V.  über- 
ein. Ein  Abdruck  der  neuen  Handschrift  ist  in  Aussicht  ge- 
stellt; bis  zum  Erscheinen  desselben  will  Sickel,  dessen  Aus- 
führungen über  die  beiden  Recensionen  des  Diurnus  im 
Uebrigen  durch  die  neue  Hdschr.  nur  bestätigt  werden,  auch 
die  Fortsetzung  seiner  Prolegoraena  vertagen.  Schon  jetzt 
möchte  ich  aber  darauf  aufmerksam  machen,  dass  durch  die 
neue  aus  Bobbio  stammende  Handschrift  auch  das  Privileg 
Honorius  I.  für  dies  Kloster,  Jaffti-E  2017,  das  mit  form.  77 
des  Lib.  diurnus  bekanntlich  auffallend  übereinstimmt,  erneuter 
Prüfung  bedürftig  wird. 

43.  Zu  meiner  Edition  des  Diurnus.  Als  diese 
ausgegeben  werden  sollte ,  war  es  mir  nicht  möglich,  den 
Druck  behufs  Berichtigung  etwa  untergelaufener  Fehler  noch- 
mals mit  der  vaticanischen  Handschrift  vergleichen  zu  lassen. 
Ich  habe  dies  bei  erster  Gelegenheit  nachgeholt.  Herr 
M.  Tangl  hat  sich  der  Mühe  der  Collation  unterzogen,  und 
ich  selbst  habe  dann  die  von  ihm  beanstandeten  Stellen  nach- 
geprüft. Daraufhin  gebe  ich  folgenden  Nachtrag  zu  den 
früher  zusammengestellten  Corrigcnda: 

1.  Verbesserungen  zu  dem  Text  S.  1  — 131. 
'reliquie'  lies  Wiqui^' 
'cartulis'                 „                'chartulis' 

'iii-'  ,,  ^iiu; 

'imbecillitate'  „  'inbecillitate* 

'indictioiie  iubemus  te'  „  'iubemus  te  indictione 

'exoptate'  „  'et  optate' 

'facies'  „  'facias' 

'et  damnaverunt'  „  'atque  damnaverunt' 

'Dioscurus'  „  'Dioscorus' 

'pon[tifi]c[um]'  „  'pon[ti]fic[um]' 

2.  Verbesserungen  zu  den  Noten: 

Zu  S.  26,5  'auctoritoritate  V.'   Zu  S.  49«  'con-  ||  conservando  V.' 
Zu  S.  7O9  411am]  11  in  rasura  V.' 

3.  Der  Angabe  von  Verbesserungen  zu  S.  132i_9  muss 
ich  vorausschicken,  dass  vor  etwa  zwei  Jahren  der  Einband 
der  Handschrift  repariert  und  dabei  das  von  fol.  103  erübrigende 
Bruchstück  geglättet  worden  ist,  wodurch  die  auf  dem  am 
meisten  beschädigten  Rande  stehenden  Schriftreste  etwas  mehr 
als   früher  der  Fall    war  sichtbar    geworden   sind.     Das  gab 


S.    8,5 

statt 

S.  26„ 

J7 

S.  29„ 

V 

S.31,a 

?5 

S.  42,5 

n 

S.  54,3 

» 

S.  63  5 

)j 

S.  73,2 

» 

S.  98,0 

» 

S.  108,. 

57 

Nachrichten.  221 

Herrn  J.  Giorgi  Anlass,  in  seiner  vortrefflichen  Abhandlung 
'Storia  esterna  del  codice  Vaticano  del  Diurnus  (Archivio 
della  R.  Societä  Rom.  XI.)'  S.  23  eine  von  der  meinigen  ab- 
weichende Entzifferung  vorzuschlagen.  Nach  wiederholter 
Prüfung  des  Fragments  stimme  ich  jetzt  in  drei  Fällen  Giorgi 
bei,  weiche  aber  in  drei  andern  von  ihm  ab.  Ohne  verhehlen 
zu  wollen,  dass  nicht  überall  volle  Sicherheit  zu  erzielen  ist, 
verzeichne  ich  unter  Angabe  der  Schriftzeilen  des  Blattfrag- 
mentes, was  wohl  anders  als  in  meiner  Ausgabe  zu  lesen  ist, 
nämlich  fol.  lOSa  'salvatori',  ib.  „  'que  h.',  fol.  IGSj  '[pr]out' 
(dass  dann  's'  folge,  vermag  ich  nicht  zuzugeben),  ib.  9  Hur  ven.' 

Sickel. 
(Auf  den  Wunsch  des  Verfassers  aus  Mitth.  des  Inst,  für 
österr.  Geschichtsforsch.  X,  468  hier  abgedruckt.) 

44.  Von  erhebhcher  Bedeutung  ist  eine  in  den  lateini- 
schen Lections  -  Katalogen  der  Universität  Göttingen  für  das 
Sommersemester  1888  und  das  Wintersemester  1888/9  ver- 
öffentlichte Abhandlung  von  W.  Meyer  aus  Speyer  über  die 
alsAvellana  bekannte  Brief-  und  Canonensammlung.  über- 
einstimmend mit  Ewald  weist  M.  die  Ansicht  Maassens,  dass 
die  Sammlung  von  Gregor  I.  herrühre,  ab  und  zeigt  dann  — 
dies  auch  gegen  Ewald  —  dass  sie  den  Namen  Avellana  über- 
haupt mit  Unrecht  führt,  da  der  aus  Fönte  Avellana  stammende 
Codex  nur  eine  Abschrift  des  Cod.  Vatic.  3787  ist.  An  diesen 
Nachweis  schhesst  sich  der  Abdruck  der  ältesten  und  wichtig- 
sten Stücke  der  Sammlung  an,  der  von  sehr  werthvoUen  Er- 
läuterungen begleitet  ist. 

45.  Über  eine  wichtige  Entdeckung,  die  M.  Tangl  ge- 
macht hat,  berichtet  derselbe  in  den  Mitth.  d.  Inst.  f.  oesterr. 
Geschichtsf.  X,  464  ff.  Es  handelt  sich  nicht  nur  um  ein 
zweites  Exemplar  des  von  Erler  edirten  Liber  cancellariae 
apostolicae,  das  in  Cod.  Ottob.  lat.  911  vorliegt,  sondern, 
was  wichtiger  ist,  um  noch  ein  zweites,  gleichfalls  1380  von 
Dietrich  von  Niem  angelegtes  und  bis  1560  fortgesetztes 
Kanzleibuch  in  Cod.  XXXV.  69  der  Bibl.  Barberini.  Eine 
ausführlichere  Untersuchung  darüber  wird  in  Aussicht  gestellt. 

46.  Im  Archivio  della  R.  Societä  Romana  di  storia  patria 
XII,  381  ff  behandelt  A.  Gabrielli  die  Briefe  Cola  di 
Rienzi's  mit  einer  Einleitung  über  die  mittelalterliche  Epistolo- 
graphie  im  allgemeinen  und  über  die  wichtigsten  italienischen 
und  französischen  Summae  dictaminis  von  Albericus 
von  Monte  Gas  sin o  an.  S.  407  f.  findet  sich  ein  Ver- 
zeichnis der  Werke  des  Buoncompagno  von  Florenz  mit 
Angabe  von  Handschriften,  in  denen  sie  erhalten  sind.  Von 
den  neueren  Arbeiten  auf  diesem   Gebiete   scheinen  G.  einige 


222  Nachrichten. 

besonders  wichtige,  so  die  Untersuchungen  Bethmann-Hollwegs 
über  die  Artes  notariae,  Kaltenbrunners  über  Berard  von 
Neapel,  Valois'  über  den  cursus  der  päpstlichen  Kanzlei  un- 
bekannt geblieben  zu  sein. 

47.  Die  Constantinische  Schenkung  ist  seit  den 
im  N.  A.  XIV,  214  n.  51  und  444  n.  137  erwähnten  Arbeiten 
von  Weiland  und  Brunner-Zeumer  %väederum  der  Gegenstand 
lebhaftester  Beschäftigung  gewesen.  Ausser  einem  schon  1888 
in  Luthardts  Zeitschr.  f.  kirclil.  Wissensch.  und  kirchl.  Leben 
S.  201  if.  erschienenen  Aufsatze  von  Hauck  haben  wir  zu 
verzeichnen  eine  Untersuchung  von  Scheffer-Boichorst 
in  den  ]\Iitth.  des  oesterr.  Instit.  X,  302  ff,  zwei  eigene  Schriften 
von  J.  Friedrich,  'Die  Constantinische  Schenkung'  (Nörd- 
lingen  1889,  Beck)  und  W.  Martens  'Die  falsche  General- 
concession  Constantins  d.  Gr.'  (München,  Stahl  1889),  endlich 
einen  hierher  gehörigen  Abschnitt  in  K.  Lamprechts  Schrift 
'Die  römische  Frage  von  König  Pippin  bis  auf  Kaiser  Ludwig  den 
Frommen  (Leipzig,  Dürr  1889).  Wir  müssen  uns  schon  aus 
Rücksichten  des  Kaumes  damit  begnügen,  diese  Arbeiten  hier 
zu  erwähnen,  auf  eine  eingehende  Besprechung  der  zum  Theil 
sehr  weit  auseinandergehenden  Ansichten,  die  in  denselben  ent- 
wickelt sind,  aber  verzichten. 

48.  Sehr  sorgfältige,  auf  eingehendem  Handschriftenstudium 
beruhende  Untersuchungen  über  'die  Formular  buch  er  aus 
der  Kanzlei  Kudolfs  von  Habsburg'  hat  J.  Kretz- 
schmar  veröffentlicht  (Innsbruck,  Wagner  1889).  Das  Haupt- 
ergebnis ist,  dass  alle  rudolfinischen  Formularsammlungen 
durch  verschiedene  Mittelglieder  hindurch  auf  eine  von  dem 
königlichen  Notar  Andreas  von  Rode  angelegte  Sammlung  zu- 
rück gehen. 

49.  In  der  Deutschen  Literaturzeitung  1889  n.  29  habe 
ich  EAvalds  Ausgabe  des  Regist r um  Gregorii  I.  ange- 
zeigt und  —  nach  Mittheilungen  S.  Löwenfelds  und  M.  L. 
Hartmanns  —  eine  Uebersicht  über  die  Bedeutung  der  für  die 
Hdsclu-r.  gebrauchten  Siglen  gegeben,  die  ich  im  Interesse  der 
Benutzer  der  Edition  hier  wiederhole. 


R  1     =  Casinensis  71. 
R  la  =  Paris.  2281. 
R  Ib  =  Urbin.  99. 
R  2     =  Trevir.  171. 
R  3     =  Sangah.  670. 
R  4    =  Escor,  d.  I  1. 
R  5    =  Lauren tiau.  541. 


r  1  =  Paris.  2279. 
r  2  =  Paris.  11674. 
r  3  =  Vatican.  620. 
r  4  =  Paris.  2282. 
r  5  ==  Paris.  14300. 
r  7  =  Gothan.  132. 
R*  1  =  Colon.  95. 
R*  2  =  Paris.  2283. 
R*  3  =  Monac.  18024. 


Nachricliten.  223 


R*  4  =  Monac.  22204. 
R*  5  =  Trec.  43. 
P'  1  =  Colon.  95. 
P*  2  =  Vatican.  617. 


Pa  1  =  S.  German.  169  (ver- 
loren.) 
Pa  2  =  Bamberg.  601. 
Pb  1  =  Colon.  92. 
Pb  2  =  Vindob.  934. 

50.  M.  Prou's  Ausgabe  der  Register  Honorius  IV 
ist  mit  der  4.  Lieferung,  welche  die  Einleitung  enthält,  abge- 
schlossen. —  Vom  Regestum  Clementis  papae  V.  der 
vaticanischen   Ausgabe   sind   annus  VIII.   und  IX.  erschienen. 

51.  In  der  Römischen  Quartalschrift  HI,  43  flf.  theilt 
P.  M.  Baum  garten  unter  dem  Titel  'Der  annus  quartus 
registri  LI  rbani  papae  IV.'  23  Registerbriefe  dieses  Papstes 
aus  der  Zeit  vom  5. — 23.  September  1264  mit. 

52.  Der  dritte  Band  der  Monum.  Vaticana  Historiam 
regni  Hungariae  illustrantia  (Budapest  1888)  enthält  349 
Urkunden  Bonifaz  IX.  von  1389 — 1396^  herausgegeben 
von  G.  Fraknoi. 

53.  Das  Historische  Jahrbuch  X,  334  ff.  ist  reich  an 
Polemik ;  an  dieser  Stelle  sind  zu  erwähnen  die  schon  Bd.  XIV, 
446  n.  126  angekündigte  Erwiderung  Löwenfelds  gegen 
ßaumgartens  Aufsatz  über  unbekannte  Papstbriefe  vor 
1198,  sowie  längere  Auseinandersetzungen  zwischen  Kauf- 
mann und  Denifle  im  Anschluss  an  die  Bd.  XIV,  633 
n.  212  erwähnte  Recension  des  letzteren  über  Kaufmanns  Gesch. 
der  Universitäten. 

54.  In  der  'Collection  de  textes  pour  servir  ä  l'etude 
et  ä  l'enseignement  de  l'histoire',  welche  den  Octavausgaben 
der  MG.  entspricht,  sind  erschienen:  'Lettres  de  Gerbert 
(983 — 997)  publiees  avec  une  introduction  et  des  notes  par 
Julien  Ha ve f.  Paris,  Picard.  1889.  Die  Einleitung  behandelt 
in  eingehendster  Weise  Gerberts  Leben  bis  zu  seiner  Besteigimg 
des  päpstlichen  Stuhls,  um  dadurch  eine  sichere  Grundlage 
für  die  Anordnung  der  sämmtlich  undatierten  Briefe  zu  gewinnen. 
Daran  schliesst  sich  eine  Untersuchung  der  Handschriften  und 
der  älteren  Ausgaben,  welche  nach  jetzt  nicht  mehr  vorhan- 
denen Codices  gemacht  sind.  Havet  gelangt  so  zu  folgendem 
Resultat :  Gerbert  hatte  ein  Heft,  in  welches  er  seine  Brief- 
concepte  schrieb.  Der  Text  L  (d.  h.  der  Leydener  Cod. 
Vossius  lat.  40.  n.  54)  bietet  eine  treue  Copie  dieses  Auto- 
graphs,  welche  in  St.  Mesmin  bei  Orleans  unter  dem  Pontificat 
Silvesters  für  seinen  Freund  Constantin  angefertigt  wurde. 
Der  Text  stellt  die  erste  Redaktion  des  Autors  dar. 

55.  Die  oben  n.  47  erwähnte  Schrift  von  K.  Lamp recht 
enthält   ausser  dem  sich  mit  dem  Constitutum  Constantini  be- 


224  Nachrichten. 

schäftigenden  Schlussabschnitt  sehr  eingehende,  vielfach  zu 
neuen  Ergebnissen  gelangende  Untersuchungen  über  die  Ver- 
sprechungs-  und  Schenkungsurkunden  sowie  die 
Pacta  der  älteren  Karolinger  mit  der  Curie. 

56.  In  der  Zeitschrift  für  Geschichte  des  Oberrheins 
N.  F.  IV,  S.  296  veröffentlicht  P.  Scheffer-Boichorst 
nach  einer  im  Bezirksarchiv  des  Unterelsass  betindlichen  Ab- 
schrift ein  Diplom  Otto's  IL  für  das  Kloster  Erstein  vom 
24.  Mai  974,  Avelches  uns  bei  der  Ausgabe  der  DD.  O.  II. 
entgangen  ist.  Ich  selbst  mache  auf  den  Abdruck  aufmerk- 
sam, weil  ich  erst  nach  Vollendung  des  Schlussbandes  der 
Diplome  der  Ottonen  die  bis  dahin  etwa  noch  auftaiichenden 
und  von  uns  noch  nicht  gekannten  Stücke  in  einem  Nachtrage 
zusammenzufassen  gedenke.  Sickel. 

57.  In  der  Württembergischen  Vierteljahrsschrift  für 
Landesgesch.  XI  behandelt  S.  205  ff.  Dr.  Schneider  die 
Weingartener  Urkundenfälschungen  (Aveitere  Belege  für  die 
Entstehung  des  Stiftungsbriefes  und  der  ältesten  Königsurkunden 
um  1274)  und  S.  218  ff.  G,  Bossart  die  ältesten  Urkunden 
von  Kloster  Murrhardt. 

58.  Ausser  dem  eben  erwähnten  Diplom  Ottos  II.  ver- 
danken wir  P.  Scheffer-Boichorst  die  Publication  noch 
einiger  anderer  bisher  unbekannter  und  nicht  unwichtiger  Ur- 
kimden.  Aus  dem  Bezü-ksarchiv  des  Unterelsass  stammt  ein 
interessantes  und  sicher  echtes  Privileg  Leo's  IV.  für  Kloster 
Erstein  vom  28.  April  850  und  eine  Fälschung  für  dasselbe 
auf  den  Namen  der  Kaiserin  Irmgard,  angeblich  von  853  (beide 
mit  dem  Diplom  Otto's  zusammen  veröffentlicht),  sowie  ein 
Privileg  Fried  rieh's  II.  für  die  Juden  in  Regensburg  von 
1216,  in  welchem  eine  Urkunde  Friedrich's  I.  wahrscheinüch 
von  1182  transsumiert  ist  (Mitth.  d.  Inst.  f.  österr.  Geschichtsf. 
X,  459  ff.).  Drei  andere  Urkk.  Friedrich's  I.  für  Balerne 
von  1157,  für  S.  Michele  di  Passignano  von  1177  und  für  das 
Nonnenkloster  Sindeisberg  von  1158  sind  der  Stadtbibliothek 
zu  Besancon,  dem  Florentiner  und  wiederum  dem  Strassburger 
Bezirksarchiv  abgewonnen;  aus  dem  letzteren  wird  ferner  die 
bisher  nicht  bekannte  Datierung  von  St.  4171 :  Hagenau,  Aug.  21 
mitgetheilt  (a.  a.  O.  X,  295  ff.). 

59.  Als  Festschrift  zum  Jubiläum  des  Vereins  f.  hamburg. 
Gesch.  hat  O.  Rüdiger  eine  Abhandlung  'Barbarossas 
Freibrief  für  Hamburg  vom  7.  Mai  1189'  erscheinen 
lassen  (Hamburg,  Gräfe  1889),  der  eine  photolithographische 
Abbildung  der  Urk.  beigegeben  ist.  Die  letztere  lässt  aber 
sehr  bestimmt  erkennen,  was  dem  Vf.  entgangen  ist,  dass  wir 
es  nicht  mit  einem  Original,  sondern  mit  einer  Nachzeichnung 


Nachrichten.  225 

des   13.  Jahrhunderts   zu   thun  haben,    die   noch   eingehender 
weiterer  Untersuchung  bedarf. 

60.  In  der  Römischen  Quartalschrift  II,  36  flF.  theUt 
P.  Batiffol  aus  einer  römischen  Handschrift  ein  Verzeichnis 
von  Papstprivilegien  für  basilianische  Klöster  —  darunter 
mehrere  bisher  unbekannte  Stücke  —  und  aus  einem  Copial- 
buch  von  S.  Salvatore  zu  Messina  acht  Königsurkunden, 
eine  von  Heinrich  VI.,  zwei  von  Constanze  und  fünf  von 
Friedrich  H.,  für  dies  Kloster  mit,  die  bisher  unbekannt 
oder  nur  unvollständig  bekannt  waren.  Bei  dem  Diplom 
Heinrich's  VI.  fehlt  der  Hinweis  auf  Stumpf  4903  und  die 
dort  verzeichneten  Stellen. 

61.  In  der  Ztschr.  f.  Gesch.  der  Juden  in  Deutschland 
veröffentHcht  M.  Stern  III,  243  ein  Privileg  Albrecht'sl. 
von  1299  für  die  Juden  in  Dortmund  und  III,  250  eine  Ur- 
kunde Friedrich's  III.  von  1470,  durch  welche  eine  all- 
gemeine Versammlung  der  deutschen  Juden  berufen  wird. 

62.  Ein  auch  von  Aventin  benutztes  Schreiben  Cle- 
mens V.  an  Albrecht  I.  vom  October  1305,  das  für  die 
Geschichte  der  Verhandlungen  des  Königs  mit  dem  Papst  von 
erheblicher  Wichtigkeit  ist,  im  Register  des  letzteren  aber  fehlt, 
hat  E.  V.  Oefele  in  einem  Niederaltaicher  Copialbuch  auf- 
gefunden und  in  den  Sitzimgsberichten  der  Münchener  Aka- 
demie 1889  S.  271  ff.  herausgegeben. 

63.  Im  'Geschichtsfreund'  1888  S.  127  ff.  findet  sich  eine 
Abhandlung  von  P.  Odilo  R  i  n  g  h  o  1  z  über  die  Geschichte  von 
Einsiedeln  imter  Abt  Johann  I.  mit  zahlreichen  ürkunden- 
beilagen.  Darunter  von  Kaiserurkunden  St.  671.  1712.  3105. 
3456.  Böhmer,  Reg.  Lud.  Bav.  n.  108,  alle  nach  den  Origi- 
nalen. 

64.  Vom  Cartulaire  de  Cluny,  herausgegeben  von 
Bruel,  ist  der  4.  Band  (1027—1090)  erschienen.  Der  Band 
enthält  an  Königsurkunden  St.  2378  (nach  dem  Original)  imd 
St.  2757,  ausserdem  eine  Anzahl  Papsturkimden  von  Jo- 
hann XIX.  an,  und  ein  Diplom  Rudolfs  von  Burgund  von 
1029,  s.  oben  n.  7. 

65.  Vom  Codex  dipl.  Saxoniae  regiae,  Erster 
Haupttheil  ist  der  zweite  von  0.  Posse  bearbeitete  Band  er- 
schienen, welcher  die  Urkunden  der  Markgrafen  von  Meissen 
und  Landgrafen  von  Thüringen  von  1100 — 1195  enthält.  Als 
Beilagen  schmücken  den  Band  verkleinerte  Abbildungen  der 
Urk.  Markgraf  Konrads  d.  Gr.  von  1118,  welche  der  Heraus- 
geber jetzt  für  echt  hält,  und  einiger  Blätter  aus  dem  Rein- 
nardsbrunner  Epistolarcodex. 

Neues  Archiv  etc.     XV.  15 


226  Nachrichten. 

66.  Die  Publication  eines  Urkundenbuchs  der  Stadt 
Bochum  beginnt  F.  Darpe  im  Programm  des  städtischen 
Gymnasiums  daselbst  (1889,  n.  333).  Der  vorliegende  Ab- 
schnitt enthält  150  Stücke  von  1298—1508. 

67.  Die  Urkunden  des  Stadtarchivs  von  Breis  ach  ver- 
zeichnet der  Stadtarchivar  Poinsignon  in  den  Älittheilungen 
der  Badischen  historischen  Commission  n.  II. 

68.  Im  Arch.  della  R.  Societa  Romana  di  storia  patria 
Xn,  696  fF.  berichtet  der  Präsident  der  Gesellschaft,  G.  Tom- 
massini, über  die  bisher  getroffenen  Vorbereitungsmassregeln 
für  das  von  der  Gesellschaft  beschlossene  grosse  Unternehmen 
des  Codex  diplomaticus  Urbis. 

69.  Der  Codice  diplomatico  Sulmonese,  heraus- 
gegeben von  N.F.  Faraglia  (Lanciano  1888)  enthält  313  Stücke 
von  1042 — 1502.  Kaiserurkunden  sind  nicht  dabei;  die  älteste 
Papsturkunde  ist  von  Innocenz  II.  1138,  März  25.  In  n.  36, 
einem  Protocoll  über  einen  Streit  zwischen  dem  Bischof  Sigi- 
nulf  von  Valva  und  dem  Kloster  S.  Mariae  de  Mammonaco 
legen  die  Mönche  'instrumentum  Caroli  regis'  vor,  das  aber 
verworfen  wird  und  berufen  sich  auf  eine  Entscheidung  Gre- 
gors VII,  haben  aber  keine  Urkunde  darüber.  1188  besitzen 
sie  dann  'rescripta  tam  Caroli  imperatoris  quam  Gregorii  VII', 
die  aber  von  Clemens  III.  nicht  anerkannt  werden  (n.  41), 

70.  Die  lang  erwartete  Ausgabe  des  'Tabularium  Casi- 
nense'  ist  mit  einem  ersten  Bande  begonnen  worden,  welcher 
den  Titel  'Codex  diplomaticus  Caietanus'  führt  und  die 
Urkunden  Gaetas  bis  1053  enthält.  Als  Herausgeber  werden 
die  'monachi  S.  Benedict!  archicoenobii  Montis  Casini'  genannt, 
ohne  dass  ein  Name  angegeben  wäre;  die  Jahreszahl  1887  auf 
dem  Titelblatt  bezeichnet  wohl  den  Beginn  des  Druckes,  denn 
ausgegeben  ist  der  Band  erst  in  diesem  Jahr.  Die  Urkunden 
werden  in  der  Orthographie  und  Interpunction  der  Vorlagen 
—  gegen  deutsche  Gewohnheit  —  abgedruckt,  mag  es  sich 
um  Copieen  oder  Originale  handeln,  daher  denn  auch  nicht 
einmal  die  Eigennamen  grosse  Anfangsbuchstaben  erhalten, 
was  sehr  störend  ist.  Auch  sonst  wird  die  deutsche  Literatur 
ignoriert:  ich  finde  nur  einmal  'Sichel'  (sie)  citiert,  aber  weder 
Stumpf  noch  Böhmer  oder  Jaffe  und  seine  Fortsetzer.  So  ist 
es  denn  gekommen,  dass  von  den  zwei  Königsurkunden  des 
Bandes  (n.  81  und  n.  102  =  St.  1204  und  1199)  die  erste 
Otto  II.  und  dem  Jahr  982  statt  Otto  III.  und  dem  Jahre  999 
zugewiesen  Avird:  auch  der  Druck  in  Stumjjfs  Acta  und  alle 
gegen  die  Echtheit  beider  Stücke  erhobenen  Bedenken  sind 
den  Herausgebern  unbekannt.  Richtig  bestimmt  sind  die 
beiden  Originale  Leos  IX.  Jaffe-L.  4274.  4275;  bei  dem  letz- 


Nachrichten.  227 

teren  Brief  möchte  man  aber  gern  wissen,  wo  im  Or.  die 
Adresse:  'I.  episeopo  etc.'  steht.  Wahrscheinlich  ist  es  eine 
Rückennotiz,  doch  hätte  das  gesagt  werden  sollen.  Auch  gegen 
die  Ansetzung  mancher  gaetanischen  Urkunden  sind  Zweifel 
berechtigt,  so  gleich  gegen  das  erste  Stück  des  Bandes,  das 
unmöglich  in  787  gehören  kann.  Alles  in  allem  steht  die 
Ausgabe  nicht  auf  der  Höhe  der  heutigen  italienischen  For- 
schung. Dagegen  scheint  der  Druck  im  ganzen  zuverlässig 
zu  sein.     Beigegeben  sind  sechs  Tafeln  mit  Schriftproben. 

71.  Auf  Pola  bezügliche  Urkunden  des  erzbischöflichen 
Archivs  zu  Ravenna  werden  mitgetheilt  im  Archivio  della 
soc.  Istriana  di  archeol.  e  storia  patria  IV,  3  ff.   253  ff. 

72.  Eine  beachtenswerthe  Arbeit  ist  die  'Histoire  de  la 
Constitution  de  la  ville  de  Dinant'  von  H.  Pirenne  (Gand 
1889),  die  erste  neuere  Specialarbeit  über  die  Verfassungs- 
geschichte einer  belgischen  Stadt.  An  dieser  Stelle  verdient 
sie  Erwähnung  wegen  ihrer  eingehenden  Untersuchung  der 
merkwürdigen  Aufzeichnung  über  die  Rechte  des  Grafen  von 
Namur,  welche  Waitz  in  den  Urkk.  zur  deutschen  Verfas- 
sungsgesch.2  S.  20  abgedruckt  hat. 

73.  In  den  Schriften  des  Vereins  für  Gesch.  des  Boden- 
sees XVI,  30  ff.  erläutert  Graf  F.  Zeppelin  in  eingehender 
Ausführung  den  Constanzer  Vertrag  Friedrichs  I.  von 
1153. 

74.  Das  Neue  Archiv  f.  Sachs.  Gesch.  X,  1  und  2,  ent- 
hält auf  S.  22  die  bisher  ungedruckten  drei  Concepte  eines 
zwischen  Friedrich  v.  Meissen  und  Heinrich  v.  Kärnten  abge- 
schlossenen Vertrages,  nebst  zwei  anderen  aus  den  Originalen 
mitgetheilten  Urkunden.  Der  Herausgeber  Wold.  Lippert 
weist  in  genauer  Darstellung  der  Vorgänge  von  1307  bis  1310 
nach,  dass  jener  Vertrag,  dessen  wirkliche  Ausfertigung  unbe- 
kannt ist,  dem  J.  1310  angehören  muss.  W.  W. 

75.  In  der  Revue  Historique  XXXIX,  325  ff.  bespricht 
Frantz  (!)  Funck-Brentano,  gegen  Scheffer  -  Boichorst, 
Brosien  und  Bergengrün  polemisierend,  eine  zuerst  von  Bou- 
taric  herausgegebene,  nun  wiederabgedruckte  Aufzeichnung 
über  die  Beziehungen  von  Frankreich  zu  England  und  Deutsch- 
land unter  Philipp  dem  Schönen.  Indem  er  die  Aufzeichnung 
lediglich  als  eine  Reihe  schnell  hingeworfener  Notizen  charak- 
terisiert, vertheidigt  er  deren  Glaubwürdigkeit  gegen  die  Ein- 
wendungen der  deutschen  Forscher.  Der  Schlusssatz,  welcher 
davon  spricht,  dass  man  die  deutschen  Forscher  hindern  müsse, 
sich  eine  'histoire  du  moyen  äge  de  leur  facon'  zurecht  zu 
machen,  ist  einfach  abgeschmackt. 

15* 


228  Nachrichten. 

76.  Im  Anhang  zu  der  fleissigen  Dissertation  von  Jac. 
Schwalm,  Die  Landfrieden  in  Deutschland  unter  Ludwig 
dem  Baiern  (Göttingen  1889)  werden  z.  Th.  sehr  interessante 
Landfriedensurkunden  aus  dieser  Zeit  abgedruckt. 

77.  In  der  Westdeutschen  Zeitschrift  VIII,  81  flf.  geben 
J.  Priesack  und  J.  Schwalm  dankenswerthe  und  er- 
schöpfende Nachricht  über  den  Inhalt  des  wichtigen,  von 
Böhmer,  Ficker,  Winkelraann  u.  a.  schon  vielfach  benutzten 
Conceptbuches  des  Rudolf  Losse  im  Staatsarchiv  zu 
Darmstadt. 

78.  Im  Archiv  für  Literatur-  und  Kirchengeschichte  V,  1 
giebt  Fr.  Ehrle  die  Acten  des  über  den  Nachlass  Papst  Cle- 
mens V.  von  Johann  XXII.  geführten  Processes  heraus 
und  behandelt  den  Verlauf  dieses  Processes.  O.  H.-E. 

79.  In  der  Zeitschrift  des  Aachener  Geschichtsvereins 
Bd.  IX  druckt  R.  Pick  aus  dem  Aachener  Stadtarchiv  eine 
grosse  Anzahl  von  Urkunden,  meist  Fehdebriefe  des 
14.  und  15.  Jahrhunderts  ab,  die  inhaltlich  und  formell  Be- 
achtung verdienen.  Das  älteste  Stück  ist  vom  J.  1302  und 
bemerkenswerther  Weise  auf  Papier  geschrieben. 

80.  Im  Zusammenhange  mit  dem  oben  n.  65  erwähnten 
Urkundenbuch  steht  die  sehr  werthvoUe  Publication  Posses, 
'Die  Siegel  der  Wettiner  bis  1324  und  der  Landgrafen 
von  Thüringen  bis  1247'  (Leipzig,  Giesecke  u.  Devrient 
1888),  fünfzehn  Tafeln  mit  ganz  vortrefflichen  Siegelbildern 
in  Lichtdi'uck,  die  nach  den  photographischen  Aufnahmen  des 
Herausgebers  hergestellt  sind. 

8L  In  meinen  'Karolingischen  Dichtungen'  Berlin  1888 
habe  ich  übersehen,  dass  das  von  mir  S.  1 — 45  besprochene 
Gedicht  des  Angelsachsen  ^öelwulf  über  Aebte  und  Mönche 
eines  nicht  näher  bezeichneten  Klosters,  welches  aber  in  Be- 
ziehung zu  Lindisfarne  gestanden  haben  muss,  nach  Dümmlers 
Ausgabe  in  den  Poetae  Karolini  I  eine  andere  durch  Th.  Ai-nold 
1882  in  Rerum  ßritannicar.  medii  aevi  SS.  part.  75  als  Anhang 
zu  Symeon  von  Durham  erlebt  hat,  so  wie  umgekehrt  Arnold 
die  Ausgabe  Dümmlers  entgangen  ist. 

Mir  unbekannt  gebliebene  Hss.  benutzt  er  nicht,  es  geht 
ihm  vielmehr  die  Kenntnis  der  besten  ab ;  auch  finde  ich  die 
Emendation  fast  an  keiner  Stelle  gefordert,  während  die  mit 
mehr  Aufmerksamkeit  gepflegte  Interpunktion  sich  vor  der  in 
den  Poet.  Karol.  auszeichnet.  In  der  Einleitung  p.  XXXII  ff. 
glaubt  Arnold  festgestellt  zu  haben,  dass  das  unbekannte  Kloster 
-^öelwulf  s  Craike  bei  York  sei  oder  sein  könne.  Er  hat  dabei 
übersehen,  dass  es  nach  2E6.  cap.  VI  v.  24  am  Meer  gelegen 
haben  muss.    Wenn  ihm  XV,  33  und  XX,  13  laetatur  clerus 


Nachrichten.  229 

in  urbe  bedeutungsvoll  auf  die  Nähe  York's  hinzuweisen 
scheint,  so  wiederhole  ich  (vgl,  a.  a.  O.  S.  18),  dass  der 
betreffende  Vers  mechanisch  aus  Aldhelm  herübergenommen  ist. 

Ludwig  Traube. 

82.  Nach  der  Revue  critique  1889  n.  15,  S.  300  hat 
Omont  in  der  Sitzung  der  Societe  des  antiquaires  de  France 
am  27.  März  1889  über  zwei  Blätter  einer  Cheltenham-Hs. 
vorgetragen,  welche  von  einer  Sammlung  lateinischer  Verse 
des  Reginbert  von  Reichen  au  aus  der  Zeit  vor  842  allein 
übrig  geblieben  sind. 

83.  Im  Archiv  für  latein.  Lexicographie  VI,  265  giebt 
L.  Traube  einige  Ergänzungen  zu  den  Bemerkungen  Dümm- 
lers  über  die  Sprache  des  Diacons  Mico,  vgl.  N.  A.  IV,  516  ff. 

84.  Fecunda  ratis  ist  der  Gesammttitel  der  Sprich- 
wörtersammlung des  11.  Jahrhunderts,  deren  beide  Theile 
'Prora  et  puppis'  heissen,  und  aus  der  bisher  nur  einzelne 
Bruchstücke  bekannt  waren.  F.  Voigt  hat  der  Dichtung 
ihren  wahren  Titel  zurück  gegeben  und  von  dem  ganzen  nach 
der  einzigen  Handschrift  eine  sehr  sorgfältige  Ausgabe  veran- 
staltet (Halle,  Niemeyer  1889),  in  der  zu  den  alten  Glossen 
zahlreiche  neue  Erklärungen  und  Parallelstellen  hinzutreten; 
zu  V.  1  macht  Dümmler  auf  Fortunat  Carm.  VII,  5,  34;  7,  35; 
Ermoldi  in  laud.  Pippin  v.  127  (Poet.  Carol.  H,  83)  aufmerksam. 
Die  Einleitung  behandelt  sehr  ausführlich  das  Leben  des  Autors, 
im  welchem  der  Herausgeber  mit  Recht  den  Lütticher  Cleriker 
Egbert  bei  Sigeb.  de  SS.  eccl.  c.  146  erkannt  hat.  Dabei 
fallen  beachtenswerthe  Untersuchungen  über  die  Lütticher 
Schulen,  über  Adalbold  von  Utrecht  und  Wazo  von  Lüttich 
ab;  gewiss  nicht  richtig  aber  ist  es,  wenn  V.  S.  XXXII  n.  3 
die  Angaben  Anselms  von  Lüttich  über  Wazo's  Begegnung 
mit  Pilgrim  von  Köln  und  Aribo  von  Mainz  und  über  seine 
Candidatur  für  den  Mainzer  Erzstuhl  verwirft,  um  eine  Zeit- 
bestimmung desselben  Autors  zu  retten.  Will  V.  die  von  mir 
vorgeschlagene  Erklärung  der  neun  Monate,  die  Anselm  Wazo 
am  Hofe  Konrad's  zubringen  lässt,  nicht  annehmen,  so  muss 
er  die  Zeitangabe  verwerfen,  denn  gerade  in  solchen  Dingen 
ist  Anselm  ungenau;  wie  er  aber  jene  beide  Nachrichten  hätte 
erfinden  oder  wie  das  'Gerücht'  von  denselben  hätte  entstehen 
sollen,  ist  ganz  unabsehbar.  —  Auf  p.  XXVII  der  Einleitung 
hätte  Aegidius  von  Orval  nicht  mehr  nach  der  Ausgabe  von 
Chapeaville,  sondern  nach  derjenigen  der  MG.  citiert  werden 
sollen. 

85.  Im  Anzeiger  der  Zeitschrift  f.  deutsche  Alterthums- 
kunde  XV,  195  bespricht  L.  Traube  eingehend  die  Bd.  XIV, 
448  n.  157   erwähnte  Ausgabe  des  Amarcius  von  M.  Mani- 


230  Nachrichten. 

tius  mit  sehr  zahlreichen  Textverbesserungen.  Auch  stellt  er 
mit  gewichtigen  Gründen  die  Züricher  Herkunft  des  Dichters 
in  Abrede  und  hält  für  glaublich,  dass  er  der  Speyerer  Schule 
angehörte. 

86.  Im  Programm  des  Bugenhagen  -  Gymnasiums  zu 
Treptow  a.  d.  Rega  (1889,  n.  138)  behandelt  H.  Doerks  die 
Chronologie  und  die  historischen  Beziehimgen  der  Sprüche  des 
Bruders  Wernher. 

87.  In  den  Sitzungsberichten  der  Berliner  Akademie 
1889  n.  XIX.  bespricht  A.  Tobler  die  in  einer  Meerman- 
schen (jetzt  Berliner  Hs.)  enthaltene  altfranzösische  Ueber- 
setzung  von  Predigten  des  h.  Bernhard,  darunter  drei 
Stücke,  deren  lateinische  Originale  bisher  nicht  aufgefunden 
sind.     Zwei  von  diesen  und  zwei  andere  sind  abgedruckt. 

88.  In  einem  Excurse  zu  seiner  Abhandlung  'Die  lora- 
bardische  Politik  Friedrichs  I.  und  die  Gründung  von  Ales- 
sandria' (Programm  des  Progymnasiums  zu  Gross-Licliterfelde 
1889  n.  76)  kommt  G.  Matthaei  auf  die  schon  früher  von  ihm 
behandelte  Aufzeichnung  über  die  königlichen  Tafel- 
güter (Böhmer  Fontt.  III,  397  f.)  zurück  und  unterstützt 
seinen  Nachweis,  dass  dieselbe  in  die  Zeit  Heinrichs  IV.  ge- 
hört, mit  neuen,  m.  E.  überzeugenden  Argumenten. 

89.  In  der  Zeitschrift  f.  deutsche  Geschichtswissenschaft 
I,  448  ff.  besorgt  G,  Sommerfeldt  eine  neue  Ausgabe  des 
merkwürdigen,  zuerst  von  Prowe  (s.  Bd.  XIV,  440  n.  114) 
edierten  Einnahmeregisters  Erzbischof  Balduins 
von  Trier  vom  J.  1311.  Sein  Text  bietet  einige  nicht 
unerhebliche  Verbesserungen,  in  Folge  deren  sich  auch  die 
Chronologie  der  Eintragungen  anders  gestaltet. 

90.  In  der  Römischen  Quartalschrift  III,  73  werden 
Rechnungen  über  das  Schreiben  und  Einbinden  päpst- 
licher Bücher  aus  dem  Jahre  1374  mitgetheilt.  Der  Buch- 
binder des  Papstes  ist  ein  Jude:  'Padonus  de  Agathe  iudeus 
habitator  Avinion.' 

91.  Von  der  neuen  Ausgabe  des  'Liber  censuum 
ecclesiae  Romana e'  des  Conti us  camerarius  von  Paul 
Fabre,  welche  einen  Theil  der  'Bibliotheque  des  ocoles 
francaises  d'Athcnes  et  de  Rome'  bildet,  ist  die  erste  Liefe- 
rung bei  Thorin  in  Paris  erschienen.  Der  Text  ist  von  einem 
ungemein  reichhaltigen  und  ausführlichen  Commentare  be- 
gleitet, für  den  mit  grossem  Fleisse  die  vaticanischen  Archi- 
valien ausgenutzt  sind.  Im  Text  sind  die  späteren  Zusätze 
zu  dem  ursprünglichen  Liber  censuum  von  1192  durch  den 
Druck  gekennzeichnet;  die  UebersichtHchkeit  desselben  wird 
durch  das  üeberwiegen  des  Commentars  leider  beeinträchtigt. 


Nachrichten.  231 

92.  Eine  sehr  sorgfältig  gearbeitete  und  trefflich  aus- 
gestattete Schrift  von  S.  Ristelhuber,  Heidelberg  et  Stras- 
bourg. ^Recherches  sur  les  etudiants  alsaciens  ä  l'universite 
de  Heidelberg  1386  ä  1662  (Paris,  Leroux  1888)  stellt  auf 
Grund  fleissiger  archivalischer  Nachforschungen  zahlreiche 
biographische  Notizen  über  die  in  den  Heidelberger 
Universitätsmatrikeln  vorkommenden  Elsässer  zu- 
sammen. 

93.  Sehr  interessante  Baurechnungen  des  Halber- 
städter Doms  aus  dem  Jahr  1367  veröffentHcht  G.  Schmidt 
im  Programm  des  Halberstädter  Gymnasiums  (1889  n.  221). 
In  der  Woche  Mariae  Magdalenae  haben  die  Gesellen  gestrikt, 
'propter  messem  volentes  pretium  case  (der  Bauhütte)  multi- 
plicasse,  sed  non  potuerunt:  idem  postmodum  successive 
revertebantur'. 

94.  Ein  wichtiges  Necrolog  oder  richtiger  Verbrüde- 
rungsbuch des  Klosters  S.  Salvatore  und  S.  Giulia  zu  Brescia 
hat  A.  Valentini  in  den  Schriften  des  Ateneo  di  Brescia 
(Brescia  1887)  herausgegeben.  Eingehend  bespricht  das  Buch 
E.  Mühlbacher  in  den  Mitth.  d.  Inst.  f.  österr.  Geschichtsf, 
X,  469  ff.  indem  er  zeigt,  wie  mangelhaft  leider  die  Aus- 
gabe ist. 

95.  In  den  Abhandlungen  der  Berliner  Akademie  1888 
behandelt  W.  Wattenbach  ein  in  einer  Handschrift  der 
Kirchenbibliothek  von  St.  Nicolai  zu  Greifswald  überliefertes, 
sehr  interesantes  Handbuch  eines  schlesischen  Ketzer- 
inquisitors aus  dem  Anfang  des  15.  Jahrhunderts. 

96.  Auch  von  der  zweiten,  bedeutend  vermehrten  und 
umgestalteten  Auflage  von  Ces.  Paoli's  vortrefflichem  Pro- 
gramme di  paleografia  lat.  e  di  diplomatica  hat  C.  Lohmeyer 
eine  deutsche  Uebersetzung  gegeben  (Innsbruck,  Wagner  1889), 
die  dankbar  aufgenommen  werden  wird.  Sie  ist  geschickt 
gemacht;  aber  der  schon  einmal  von  Wattenbach,  Jahres- 
bericht der  Geschichtswissenschaft  VIII,  303  gerügte  Ueber- 
setzungsfehler  kehrt  auch  hier  wieder.  C.  Paoli  lässt  die 
jüngere  Capitale  von  der  älteren  sich  durch  'maggiore  artificio' 
unterscheiden:  das  heisst  nicht  durch  grössere  Kunstfertigkeit, 
sondern  durch  grössere  Künstlichkeit. 

97.  Ueber  das  oben  n.  6  erwähnte  angelsächsische 
Evangeliar  in  der  Hamilton -Sammlung  handelt  W.  Wat- 
tenbach in  den  Sitzungsberichten  der  Berl.  Akademie  1889 
S.  134  ff.  und  unterstützt  seine  im  N.  A.  VHI,  343  ff.  aus- 
gesprochene Vermuthung  darüber  durch  zutreffende  Aus- 
fühi-ungen  über  die  älteren  Majuskelhandschriften  überhaupt. 


232  Nachrichten. 

98.  Ein  anderes  prächtiges  Evangeliar  —  Ms.  1045  der 
Bibliothek  von  Arras  —  (beschreibt  L.  Del i sie  in  seiner 
Schrift  'L'evangeliaire  de  St.  Vaast  d'Arras  et  la  calligraphie 
Franco  -  Saxonne  du  IX.  siecle'  (Paris,  Champion  1888),  die 
mit  wunderschönen  Heliogravüren  ausgestattet  ist.  Auf  f.  15 
kommt  eine  merkwürdige  Mischung  von  Schriftformen  vor: 
griechische  und  Runenbuchstaben  zwischen  lateinischen.  Der 
Verf.  zählt  19  meist  aus  nordfranzösischen  oder  niederländischen 
Kirchen  stammende  Handschriften  verwandten  Characters  auf 
—  zu  ihnen  zählt  er  auch  das  Hamilton  -  Evangeliar  —  und 
schlägt  für  die  in  ihnen  vorkommende  Schrift  und  Ornamentik 
die  Bezeichnung  'style  franco -saxon'  vor. 

99.  Im  Correspondenzblatt  der  Westdeutschen  Zeitschr, 
VII,  232  ff.  beschreibt  Ad.  Reiners  das  Troparium  von 
Prüm  und  seinen  Bilderschmuck  (Cod.  Paris,  f.  1.  9448),  eine 
reich  illustrierte  Sammlung  von  liturgischen  Gesängen  aus 
dem  Ende  des  10.  und  dem  Anfang  des  11.  Jahrh. 

100.  Im  'Hermes'  XXIV,  393—401  berichtet  Mommsen 
über  die  älteste  Hs.  der  Chronik  des  Hieronymus,  einen  bis- 
her ganz  unbeachtet  gebliebenen  Uncialcodex  des  6.  Jahrh.  der 
Oxforder  Bodleiana,  früher  dem  Collegium  Clermont  in  Paris 
gehörig,  welche  den  vollständigen  Marcellinus  mit  Fortsetzung 
bis  548  enthält  und  für  Text  und  Orthographie  des  Hierony- 
mus die  erste  Stelle  einnimmt.  Sie  wurde  in  Schönes  Aus- 
gabe nicht  benutzt.  E.  D. 

101.  Im  'Hermes'  XXIV,  161  ff.  handelt  A.  Reuter 
eingehend  über  die  Berner  Hs.  363  schottischen  Ursprunges, 
deren  Entstehungszeit  er  ganz  richtig  bestimmt,  ohne  jedoch 
von  der  neuen  Ausgabe  der  darin  enthaltenen  Gedichte  des 
Sedulius  Scotus  in  den  Poetae  Carol.  III,  232—237  und 
von  den  Erörterungen  im  N.  A.  IV,  317  Kenntnis  zu  nehmen, 
welche  ihm  seine  Mühe  erleichtei't  haben  würden.         E.  D. 


VI. 

Der  Streit 

der 

Bisthiiraer  Arles  iiiidVieiine 

um  den 

Primatus  Galliarum. 

Von 

Wilhelm  Gundlach. 

(Dritter  Theil,  Schluss  und  Beilagen.) 


Nunes  Archiv  etc.    XV.  16 


III.    Die  EntWickelung  des  gallischen  Primates. 

hjs  kann  keinem  Zweifel  unterliegen,  dass  in  kleinerem 
Bereiche  zunächst  nicht  Arles,  sondern  Vienne  die  massgebende 
Stadt,  der  massgebende  Bischofsitz  gewesen  ist;  denn  nach 
Vienne  ist  die  Provinz  als  staatlicher  Verwaltungsbezirk  be- 
nannt imd  darum»  auch  mit  dieser  Stadt  als  Hauptort  von 
der  Kirche  angenommen  worden.  So  begegnet  in  der  'Notitia 
dignitatum'2  die  Angabe:  'Procurator  gynaecii  Arelatensis  pro- 
vinciae  Viennensis';  so  lautet  die  erste  in  den  Synodalacten^ 
nachweisbare  Unterschrift  eines  Bischofs  von  Arles:  ^Marinus 
episcopus,  Salamas  presbyter,  Nicasius,  Afer,  Ursinus  et  Petrus 
diacones  de  civitate  Arelatensium  provincia  Viennensi';  ja 
selbst  zu  einer  Zeit,  in  welcher  die  kirchliche  Eintheilung  nicht 
mehr  mit  der  ursprünglich  von  Staats  wegen  gültigen  sich 
deckte,  wird  doch  wenigstens  die  alte  Form  noch  festgehalten, 
indem  Hilarius  von  Ai'les  im  Jahre  441  die  Beschlüsse  der 
Synode  von  Orange  unterzeichnet:  'Ex  provincia  Viennensi 
Aj-elatensis  civitatis  Helarius  episcopus'  etc.  und  ganz  ähnlich 
auf  der  im  nächsten  Jahre  abgehaltenen  Synode  von  Vaison 
verfährt*.  Forscht  man  nach  der  Veranlassung,  welche  die 
staathche  Ordnung  der  Provinzen  hat  durchbrechen  lassen,  so 
ist  hier  abermals  der  Staat  in  Anspruch  zu  nehmen*. 


1)  Dass  die  staatliclie  Hauptstadt  einer  Provinz  auch  die  kirchliche 
sein  soll,  ist  wiederholt  festgesetzt  worden:  zuerst  durch  das  Concilium 
Nicaenum  im  vierten  Canon  (Mansi  II,  670);  die  nämliche  Bestimmung 
des  Concilium  Antiochenum  I.  ist  schon  N.  A.  XIV,  329  Anm.  1  an- 
geführt worden.  2)  ed.  Seeck  p.  151.  3)  Es  ist  die  erste  Synode 
zu  Arles:  Mansi  II,  476.  4)  Maassen ,  Quellen  I,  951.  952;  von  den 
in  den  Handschriften  der  gallischen  Synodalacten  befindlichen  Provinzen- 
Verzeichnissen,  nach  welchen  Arles  in  der  Regel  als  Bestandtheil  der 
Provinz  Vienne  erscheint,  habe  ich  N.  A.  XIV,  333  Anm.  1  schon  ge- 
sprochen. 5)  Von  der  Entstehung  und  Entwickelung  des  Arier  Pri- 
mates handelt  ausführlich  Loening:  Geschichte  des  deutschen  Kircheu- 
rechts  I,  370  ff.,  mit  dessen  Ausführungen  ich  mich  hier  auseinanderzusetzen 
habe,  kürzer  Hinschius:  System  des  katholischen  Kirchenrechts  I,  588  ff. 
Die  jüngste  von  französischer  Seite  herrührende  Darlegung  dieser  Ver- 
hältnisse findet  sich  in  der  neuen  Ausgabe  der  Histoire  generale  de  Lan- 
gued'oc  I,  409  ff. 

16* 


236  Wilhelm  Gundlach, 

Am  Ausgang  des  viei'ten  oder  am  Eingang  des  fünften 
Jalirhunderts  sah  sich  der  Praefectus  praetorio  Galliens,  welcher 
in  Trier  seinen  Sitz  hatte,  bei  der  drohenden  Haltimg  der  Ger- 
manenstämme genöthigt,  in  grosserer  Ferne  von  der  gefähr- 
deten Rheingrenze  sein  Hoflager  aufzuschlagen:  er  Hess  sich 
in  Arles  nieder  und  erhob  damit  die  Stadt  zum  Hauptort  des 
ganzen  gallischen  Landes '.  Diese  Massregel  brachte  nach 
kirchenrechtlicher  Satzung  ^  den  Bischof  der  neuen  Hauptstadt 
in  Gegensatz  zu  dem  bisherigen  MetropoUten  der  Provinz 
Vienne ;  sie  konnte  aber  weiterhin  dem  Bischof  von  Ai-les  auch 
Ansprüche  kirchlicher  Hoheit  über  das  ganze  Gallien  eingeben  3. 
Dass  der  so  merkwürdig  begünstigte  Bischof  unverzüglich 
seines  Vortheils  sich  bewusst  Avurde,  beweist  die  im  Jahre  401 
in  Turin  abgehaltene  Synode:  ihre  Acten  lehren,  dass  der 
Bischof  von  iVi-les  sofort  die  Metropolitangewalt  in  der  Provinz 
sich  beimass,  dass  die  um  einen  Schiedsspruch  angegangene 
Synode  aber  nicht  wagte,  zwischen  dem  nicht  anzufechtenden 
alten  Metropoliten,  dem  Bischof  von  Vienne,  und  dem  nach 
unverwerfliclier  canoni scher  Bestimmung  neu  hervortretenden 
Metropoliten,  dem  Bischof  von  Arles,  zu  entscheiden,  sondern 

1)  Alle  Belege,  dass  schon  vor  dieser  Zeit  ein  gallischer  Bischof 
sich  eines  Vorrangs  vor  seinen  Amtsbrüdern  erfreut  hätte,  sind  nicht 
stichhaltig;  so  weist  Loening  I,  367  Anm.  2  eine  Stelle  der  Kirchen- 
gcschichte  des  Eusebius  zurück  (V,  23:  Migne,  Patrol.  graec.  XX,  494), 
in  welcher  gedacht  wird  'ecclesiarum  Galliae  .  .  .,  quibus  praeerat  Ire- 
naeus'  (von  Lyon),  und  die  Schlussfolgerung  aus  dem  Briefe  Cyprians 
von  Karthago  au  den  römischen  Bischof  (Mansi  I,  895),  worin  erwähnt 
wird,  dass  der  Bischof  Faustinus  von  Lyon  und  die  übrigen  gallischen 
Bischöfe  sich  nach  Rom  gewendet  haben,  um  die  Absetzung  des  dem 
Novatianismus  verfallenen  Marcian  von  Arles  zu  erlangen  —  die  Schluss- 
folgerung, als  sei  dieser  Bischof  den  gallischen  Amtsgenossen  zu  mächtig 
gewesen,  um  von  ihnen  allein  abgesetzt  zu  werden.  Ebenso  wenig  er- 
giebt  die  Nachricht  etwas,  dass  Constantin  drei  gallische  Bischöfe,  den 
Maternus  von  Köln,  Reticius  von  Autun  und  Marinus  von  Arles,  zu  Richtern 
in  der  Donatistischen  Streitigkeit  bestellt  habe  (v.  Hefele,  Conciliengesch. 
12,  199),  oder  der  Umstand,  dass  Marinus  von  Arles  die  erste  Arier 
Synode  des  Jahres  314  geleitet  habe  (ebenda  S.  202);  denn  abgesehen 
davon,  dass  der  Vorsitz  keineswegs  sicher  ist  —  zwar  in  der  Aufschrift 
des  an  Silvester  gerichteten  Synodalschreibens  eröflhet  der  Name  des 
Marinus  die  Reihe  der  Absendernamen  (Mansi  II,  469),  aber  nicht  bei 
den  Unterschriften  (ibidem  p.  476)  — ,  muss  nicht  nothwendig  dieser  im 
vierten  Jahrhundert  nur  einmal  zu  beweisende  Vorsitz  auf  einen  Vorrang 
des    Bisthums    Arles    zurückgeführt    werden.  2)  Vgl.    S.  235    Anm.   1. 

3)  Eine  Analogie  zu  dem  Arier  Primat  bildet  der  des  Bischofs  von 
Thessalonich  (vgl.  Hinschius  I,  583  —  588);  seine  Entstehung  schildert 
Justinian  (Nov.  XI)  folgendermassen:  'Postea  autem  Attilanis  temporibus, 
eiusdem  locis  devastatis,  Apennins  praefectus  praetorio  de  Sirmitana  civi- 
tate  in  Thessalonicam  profugus  venerat:  tunc  ipsam  praefecturam  et  sacer- 
dotalis  honor  secutus  est,  et  Thessalonicensis  episcopus  non  sna  auctori- 
tate,  sed  sub  umbra  praefecturae  meruit  aliquam  praerogativam*. 


Avles  und  Vienne.  237 

beiden  Parteien  einen  Vergleich  vorschlug».  Da  keinem  der 
streitenden  Bischöfe  mit  diesem  Vorschlage  geholfen  war,  das 
Anskunftsmittel  also,  dessen  sich  die  gallischen  Bischöfe  bisher 
in  ihren  Streitigkeiten  zu  bedienen  pflegten:  das  Urtheil  ihrer 
Amtsbrüder,  nichts  genutzt  hatte,  verfiel  der  Bischof  von  Arles 
darauf  —  es  war  Patroclus,  der  vertraute  Freund  des  Magister 
militum  Constantius  — ,  eine  Macht  auf  den  Kampfplatz  zu 
rufen,  mit  deren  Beistand  er  hoffen  durfte,  die  Anerkennung 
seiner  ihm  durch  einflussreiche  Verbindungen  weltlicherseits 
gewährleisteten  kirchlichen  Hoheit  von  seinen  Amtsgenossen 
zu  erzwingen :  Patroclus  wandte  sich  an  den  römischen  Bischof; 
er  wusste  ihn  völlig  für  sich  zu  gewinnen.  Zosimus,  der  die 
Bedeutimg  des  an  ihn  ergehenden  Rufes  wohl  zu  würdigen 
verstand,  sprach  dem  Bischof  von  Arles  als  Metropolitangebiet 
nicht  nur  die  Provinz  Vienne,  sondern  auch  noch  die  beiden 
Narbonner  Provinzen  zu  2  und  erkannte  ausserdem  das  Recht 
des  Bisthums  Arles  auf  zwei  Pfarreien  an,  welche  von  dem 
engeren  geschlossenen  Metropolitangebiet  entlegen  waren.  Diese 
der  Eigenschaft  Arles'  als  Provinzhauptstadt  entsprechenden 
Zugeständnisse  wurden  aber  noch  weiter  getrieben,  indem  Arles 
auch  als  Hauptort  des  ganzen  gallischen  Landes  zu  seiner 
Rechnung  kam.  Zosimus  räumte  dem  Bischof  das  Recht  ein, 
jeden  gallischen  Geistlichen  für  eine  grössere  Reise  mit  der 
erforderlichen  Ausweisbescheinigung  zu  versehen  und  alle  kirch- 
lichen Streitigkeiten  zu  entscheiden,  wofern  nicht  ihre  Bedeutung 
das  Urtheil  des  römischen  Bischofs  erheische.  Alle  diese  Be- 
fugnisse waren  nicht  etwa  nur  dem  Patroclus  persönlich,  sondern 
der  Arier  Kirche  gewährt;  denn  der  Papst  begründete  seine 
Verfügung  mit  der  von  ihm  anerkannten  Trophimus- Legende: 
er  führte  die  Vorrechte  des  Bisthums  auf  seinen  ersten  Bischof 
zurück,  welcher  im  Auftrage  des  apostolischen  Stuhles  das 
ganze  gallische  Land  dem  Christenthum  gewonnen  habe^,  stellte 


1)  'Si  placet  memoratarum  urbium  episcopis'  heisst  es  im  zweiten 
Canon  (vgl.  N.  A.  XIV,  329  Anm.  2);  dass  die  Synode  sich  um  ein 
Urtheil  herumdrückte,  geht  auch  aus  der  unklaren  Bestimmung  'Nachbar- 
städte' hervor,  mit  welcher  jede  der  Parteien  sich  zufrieden  geben  sollte. 
2)  Wenn  auch  das  Vorgehen  des  Papstes  gegen  die  Canones  zu  Verstössen 
scheint  ('Per  unamquamque  provinciam  ius  metropolitanos  singulos  habere 
debere,  nee  cuiquam  duas  esse  subiectas'  J.-K.  362;  vgl.  auch  Conc.  Nicaen. 
c.  6:  Mansi  II,  671),  so  kann  doch  geltend  gemacht  werden,  dass  jedenfalls 
die  zweite  Narbonner  Provinz,  welche  noch  im  Jahre  401  von  der  Turiner 
Synode  dem  Bischof  Proculus  von  Marseille,  einem  Bisöhof  einer  anderen 
politischen  Provinz,  zugesprochen  werden  konnte  (Mansi  III,  860),  im 
fünften  und  sechsten  Jahrhundert  als  Kirchenprovinz  nicht  selbständig 
gewesen  ist  (vgl.  N.  Ä.  XIV,  332  Anm.  2).  3)  Es  heisst  in  J.-K.  328: 

'metropolytane  Arelateusium  urbi  vetus  Privilegium  minime  derogandum 
est,  ad  quam  primum  ex  ac  sedes  Trophymus  summns  antestis,  ex  cuius 
fönte  tote  Galliae  fidei  rivolos  acciperunt,  directus  est'.    Auf  Grund  dieser 


238  Wilhelm  Gundlach. 

also  für  Arles  einen  ähnlichen  rechtsbegründenden  Heros  auf,  wie 
ihn  Rom  in  dem  heiligen  Petrus  besass'.  So  klug  berechnet 
diese  Freigebigkeit  des  Papstes  auch  war  —  denn  die  Bischöfe 
von  Arles  konnten  keinen  Fussbreit  Landes  ihrem  Primate 
erkcämpfen,  ohne  zugleich  für  Rom  thätig  zu  sein  — ,  so  war 
doch  die  Erfindung  des  göttlichen  Rechts  für  die  neue  Ein- 
richtung eine  um  des  päpstUchen  Vortheils  willen  bedenkliche 
Beigabe,  weil,  darauf  gestützt,  thatkräftige  Bischöfe  von  Arles 
um  die  Geneigtheit  des  jeweiligen  Papstes  sich  kaum  mehr  zu 
kümmern  brauchten. 

Ob  deshalb  der  Nachfolger  des  Zosimus,  Bonifatius  L, 
Erfolg  hatte,  als  er  seine  Arles  begünstigende  Hahung*  aufgab 
und  das  Recht  des  Hilariiis  von  Narbonne,  in  der  ersten  Nar- 
bonnei'  Provinz  die  Bischöfe  zu  ordinieren,  anerkannte  —  er 
verurtheilte  die  von  dem  Bischof  von  Arles  in  Lodeve  vor- 
genommene Weilie  (J.-K.  362:  422  Febr.  9)  — ,  ob  Coelestin  I. 
gegen  die  ungewöhnliche  MetropoHtangewalt  des  Bisthums 
Arles 3  durchdrang,  als  er  die  Bestimmung  des  Concilium  Ni- 
caenum  erneuerte,  dass  in  jeder  Provinz  nur  der  eingesessene 
Metropolit  schalten  solle  ('Sit  concessis  sibi  contentus  unus- 
quisque  limitibus;  alter  in  alterius  provincia  nihil  praesumat' 
J,-K.  369:  428  Juli  26)*,  muss  um  so  mehr  bezweifelt  werden. 


Fiction  kann  Zosimus  davon  reden,  dass  der  Bischof  von  Arles  die  drei 
Provinzen,  'siouti  sem per  habuit' (rechtlich), 'ad  pontificium  suum  revocet' 
(thatsJlchlicb);  darum  muss  auch  der  Bischof  Hilarius  von  Narbonne  seine 
MetropoHtangewalt  von  dem  apostolischen  Stuhle  'subrepticie'  erhalten 
haben  (J.-K.  332)  und  das  an  die  Turiner  Synode  gerichtete  Ansinnen 
der  Bischöfe  Proculus  und  Simplicius,  ihnen  in  der  zweiten  Narbonuer 
bez.  der  Vienner  Provinz  Metropolitanbefugnisse  zu  übertragen,  'indecens 
ausus  et  in  ipso  vestibulo  resecandus'  (J.-K.  334)  genannt  werden. 
1)  Die  Litteratur  über  den  heiligen  Trophimus  verzeichnet  Loening  I, 
469  Anm.    1.  2)  Der  Papst  verordnet  (J.-K.  349:  419  Juni  13),  dass 

über  Maximus  von  Valence  Patroclus  (als  Vorsitzender)  und  die  übrigen 
gallischen  Bischöfe  Gericht  halten  sollen.  3)  Der  Papst  bezieht  sich 

ausdrücklich  auf  die  Entscheidung  des  Bonifatius:  'ut  decessoris  nostri 
data  ad  Narbonensem  episcopum  continent  constituta'.  4)  An  sich  will 

eine  derartige  Verfügung  nicht  viel  besagen;  denn  gerade  durch  die  Be- 
günstigung des  einen  Bischofs  konnte  die  Begehrlichkeit  der  andern  so 
gereizt  werden,  dass  eine  Erinnerung  an  die  Schranken  des  Rechts  an- 
gebracht war;  so  sagt  Zosimus,  nachdem  er  dem  Bisthum  Arles  in  der 
Magna  charta  so  viel  gewährt  hat:  'Omnes  sane  admonemus,  ut  quique 
finibus  territoriisque  suis  contenti  sint;  ham  barbara  et  impia  ista  confusio 
est,  aliena  praesumere'.  Wie  es  aber  auch  darum  stehen  mag,  Loening 
geht  entschieden  zu  weit,  indem  er  die  Verfügung  sofort  mit  ihrer  Aus- 
führung gleichsetzt  und,  ohne  zu  beachten,  dass  die  Primatialgerechtigkeit 
des  Bisthums  Arles  gar  nicht  von  Bonifatius  und  Coelestin  angetastet 
worden  war,  (I,  472)  urtheilt:  'Von  einer  kirchlichen  Obergewalt  des 
Bischofs  von  Arles  über  die  südgallischen  Provinzen  war  nicht  mehr  die 
Rede,  die  Selbständigkeit  einer  jeden  Provinz  anerkannt'. 


Arles  und  Vienne.  239 

als  der  im  Jahre  429  zum  Bischof  von  Arles  erhobene  Hilarius 
die  seinem  Bisthum  zustehenden  Rechte  in  weitestem  Umfange 
selbst  gegen  den  apostolischen  Stuhl  in  Anspruch  nahm  und 
behauptete. 

Es  ist  unschwer  zu  erkennen,  wie  der  Zusammenstoss 
zwischen  Bischof  und  Papst  herbeigeführt  wurde.  Kraft  jener 
Vollmacht,  welche  dem  Bischof  von  Arles  durch  Zosimus 
ertheilt  worden  war:  der  kirchlichen  Händel  der  gallischen 
GeistHchkeit  zu  warten  i,  nahm  sich  Hilarius  der  gegen  Celi- 
donius  —  Besancon  wird  als  seine  Stadt  bezeichnet  —  laut 
gewordenen  Beschuldigungen  an.  Da  es  sich  herausstellte, 
dass  der  Verklagte  in  der  That  eine  Wittwe  geheirathet  und 
vor  seinem  Eintritt  in  den  geistHchen  Stand  als  Staatsbeamter 
Todesurtheile  gefällt  hatte  2  —  schon  jeder  einzelne  der  beiden 
Makel  genügte,  ihn  als  Bischof  unmöglich  zu  machen  — ,  so 
ward  er  seiner  Würde  entkleidet.  Celidonius  eilte  nach  Rom. 
Hilarius  folgte  ihm,  aber  nicht  um  den  Papst  —  Leo  der 
Grosse  sass  damals  auf  dem  Stuhle  Petri  —  als  Schiedsrichter 
z-waschen  sich  und  Celidonius  anzunehmen,  sondern  mit  dem 
unverhohlenen  Verlangen,  bei  dem  Papste  mit  seinem  befugten 
Vorgehen  einen  Rückhalt  zu  finden  S;  er  bestand  hartnäckig 
auf  seinem  Schein,  dem  ihm  durch  die  Magna  charta  der  Arier 
Kirche  verbrieften  Rechte,  wie  sehr  man  ihm  auch  zusetzen 
mochte,  und  als  ihm  der  böse  Wille  des  päpstlichen  Anhangs 
fühlbar  nahe  trat,  machte  er  sich  wieder  auf  und  davon*. 

Wenn  auch  die  Rechtmässigkeit  des  gegen  Celidonius  ein- 
geschlagenen Verfahrens  dem  Bischof  von  Arles  nicht  bestritten 
werden  kann,  so  ging  er  doch  darin  zu  weit,  dass  er  die  ober- 
richterliche Befugnis  verneinte,  Avelche  auch  Zosimus  bei  'magnae 
causae'  dem  apostolischen  Stuhle  vorbehalten  hatte.  Wenn  Leo 
hier  eingesetzt  hätte,   so  wäre   es  ihm  möglich  gewesen,   bei 


1)  'Ad  cuius  —  des  Bischofs  von  Arles  —  notitiam,  si  quid  illic 
—  von  'totae  Galliae'  ist  vorher  die  Rede  gewesen  —  negotiorum  emer- 
serit,  referri  censemus,  nisi  magnitudo  causae  etiam  nostrum  requirat 
examen':  J. -K.  328.  2)   'Celidonium  internuptam    suo  adhibuisse  con- 

sortio  .  .  .  saeculi  administratione  perfunctum  capitali  aliquos  condem- 
nasse    sententia'    (Vita  Hilarii    c.  XVI:    Leonis   opp.  II,  332).  3)  Er 

erklärte  ihm:  'se  ad  offieia,  non  ad  causam  venisse,  protestandi  ordine 
non  accusaudi  quae  sunt  acta  suggerere;  porro  autem,  si  aliud  velit, 
se  non  futurum  esse  molestum':  Leonis  opp.  II,  333.  4)  Nur 
so  ist  der  zusammenfassende  Bericht  der  Vita  Hilarii  zu  verstehen:  'quod 
solus  tantos  sustinuit,  quod  nequaquam  minantes  expavit,  quod  inquirentes 
edocuit,  quod  altercantes  vicit,  quod  potentibus  non  cessit,  quod  in  dis- 
crimine  vitae  positus  communioni  eins,  quem  cum  tantis  viris  daranaverat, 
coniungi  nullatenus  acquievit,  quod,  custodibus  appositis,  hiemis  rigore 
saeviente ,  quos  ratione  non  flexerat,  credidit  relinquendos':  Leonis 
opp.  II,  333. 


240  Wilhelm  Gundlach. 

auch  noch  so  schroffem  Auftreten  den  Rechtsboden  nicht  zu 
verlassen;  so  aber  verlor  ihn  auch  der  Papst  unter  seinen 
Füssen.  Ohne  Zweifel  gereizt  dui'ch  die  rücksichtslose  Art, 
in  welcher  der  Bischof  von  Arles  jedes  Einspruchsrecht  Roms 
abwies  > ,  stellte  Leo  seinerseits  jedes  Recht  des  Hilarius  in 
Abrede,  indem  er  behauptete,  die  jetzt  noch  von  Hilarius  be- 
rufenen Rechte  seien  seiner  Zeit  dem  Patroclus  von  Arles  nur 
auf  Lebenszeit  zuerkannt  und  später  auch  ausdrücklich  dem 
Bisthum  Arles  aberkannt  Avorden  ^.  Dessenungeachtet  will  der 
Papst  in  seinem  Briefe  an  die  Bischöfe  der  Provinz  Vienne 
den  Anschein  erwecken  —  was  mit  dem  Berichte  der  Vita 
Hilarii  unvereinbar  ist  — ,  als  hätte  noch  ein  gesetzmässiges 
Verfahren  stattgefunden:  Hilarius  hätte  nichts  Stichhaltiges 
für  sich  vorbringen  können^,  Celidonius  aber  'manifesta  testium 
responsione'  nachgewiesen,  dass  er  nicht  der  Gatte  einer  Wittwe, 
also  zu  Unrecht  seiner  bischöflichen  Würde  beraubt  worden 
sei ;  darum  sei  er  auch,  so  meldet  Leo,  in  sein  Bisthum  wieder 
eingesetzt  worden.  Aber  der  Papst  hat  noch  einen  anderen 
Bischof  gegen  die  Ueberp-iffe  des  Hilarius  zu  schützen:  durch 
eine  Beschwerde  der  Bürger  des  Geschädigten  unterrichtet, 
behauptet  Leo,  Hilarius  liätte  dem  nur  erst  erkrankten  Bischof 
Projectus  schon  einen  Nachfolger  geweiht;  er  maclit  dem  Hi- 
larius im  Anschluss  hieran  überhaupt  zum  Vorwurf,  dass  er 
mit  einem  bewaffneten  Gefolge  in  unanständiger  Schnelligkeit 
entlegene  Provinzen  durchziehe,  plötzlich  erscheine,  um  Bischöfe 
zu  weihen,  und  die  Geweihten  selbst  mit  Gewalt  in  ihre  Bischof- 
städte einführe,  dass  er  also  die  den  Metropoliten  zustehende 
Befugnis  in  ganz  Gallien  sich  anmasse.  Leo  steuert  diesem 
Unwesen,  indem  er  in  jenem  Einzelfalle  dem  Projectus  A^deder 
seine  Würde  verbürgt,  seinen  von  Hilarius  geweihten  Neben- 
buhler aber  verstösst,  indem  er  weiter  die  Machts^ollkommen- 
heit  jedes  Metropoliten  in  seiner  Provinz  wieder  herstellt  und 
den  Hilarius  jeglichen   Rechtes,    Synoden  zu  halten   und  zu 


1)  Leo  führt  in  dem  Briefe  an  die  Bischöfe  der  Provinz  Vienne 
(J. -K.  407)  an,  Hilarius  habe  gefrevelt,  'ipsius  quoque  beatissimi  Petri 
reverentiam  verbis  arrogantioribus  minuendo';  er  betheuert: 
'Doluimus ,  fateor,  fratres,  et  hunc  eius  mentis  tumorem  medelis 
patientiae  nostrae  curare  tentavimus ;  nolebamus  etenim  ea  illi  exacerbare 
vulnera,  quae  suae  animae  insolentibus  subinde  serraonibus  in- 
fligrebat'.  2)  'Id,  quod  nullus  decessorum  ipsius  ante  Patroclum  habuit, 

quid  usurpat;  cum  et  ipsum,  quod  Patroclo  a  sede  apostolica  temporaliter 
videbatur  esse  concessum,  postmodum  sit  sententia  meliore  sublatum?' 
Mit  der  'sententia  melior'  dürfte  Leo  nur  die  oben  besprochenen  Ver- 
fügungen der  Päpste  Bonifatius  und  Coelestin  meinen,  die  aber  allein  die 
Metropolitaubefugnis,  die  Ordinierung  der  Bischöfe,  in  der  ersten  Nar- 
bonner  Provinz  betreifen.  3)  'Hilarius  rationabile,    quod  in  sanctorum 

coucilio  sacerdotum  posset  respondere,  non  habuit'. 


Arles  und  Vienne.  241 

Gericht  zu  sitzen,  in  anderen  Provinzen  beraubt,  ihm  auch 
nicht  einmal  in  seiner  eigenen  irgend  einen  Bischof  zu  weihen 
mehr  gestattet. 

Wer  sich  nun  auch  über  den  Zwiespalt  hinwegsetzen  möchte, 
in  welchem  das  Vorgeben  Leo's,  ordentliches  Gericht  gehalten  zu 
haben,  mit  der  entschiedenen  Ablehnung  des  Hilarius,  zum  An- 
kläger sich  herzugeben,  steht,  der  wird  doch  billig  daran  Anstoss 
nehmen  müssen,  dass  der  Papst  von  den  beiden  gegen  Celido- 
nius  erhobenen  Vorwürfen  den  einen  gar  nicht  erwähnt  und  den 
andern  lediglich  auf  Grund  einer  parteiischen  Aussage  —  denn 
die  Zeugen  waren  ohne  Zweifel  von  CeHdonius  nach  Rom  mit- 
gebracht —  als  unzutreffend  bezeichnet.  Und  was  die  Pro- 
jectus  -  Angelegenheit  anlangt,  so  liegt  auch  hier,  mag  immer- 
hin Hilarius  durch  unangemessene  Hast  sich  vergangen  haben, 
das  Uncanonische  eines  Verfahrens  klar  zu  Tage,  welches  auf 
eine  schi-iftliche  Anzeige  liin  angestellt  und  gegen  einen  Ab- 
wesenden durchgeführt  wird^.  Wie  also  im  einzelnen  das 
Vorgehen  des  Papstes  ein  unbefugtes  genannt  werden  muss, 
so  ist  auch  seine  ganze  Auffassung  der  Von-echte  des  Bisthums 
Arles  unhaltbar  und  die  durch  diese  Auffassung  bedingte  Ent- 
scheidung gegen  Hilarius  hinfällig  2. 

Leo  selber  mochte  sich  nicht  viel  von  der  auf  die  Ge- 
rechtigkeit sich  gründenden  Kraft  seiner  Verfügung  ver- 
sprechen —  auf  diesen  Gedanken  kommt  man,  wenn  man  ihn 
alsbald  die  welthche  Gewalt  für  seine  Zwecke  in  Bewegung 
setzen  sieht.  Er  erwirkte  von  den  Kaisern  Theodosius  H. 
und  Valentinian  IH.  einen  Erlass,  welcher  dem  Präfect  Aetius 
die  Durchführung  der  Anordnungen  Roms,  insbesondere  — 
nach  päpstlichem  Antrage,  welcher  um^iderleglich  die  Ohn- 
macht des  apostolischen  Stuhles  bezeugt  —  darauf  zu  halten 
aufgab,  'ut,  quisquis  episcoporum  ad  iudicium  Romani  anti- 
stitis  evocatus  venire  neglexerit,  per  moderatorem  eiusdem  pro- 
vinciae  adesse  cogatur'. 


1)  Leo  sagt  zwar  erst:  'Quid  hie  fraternitas  vestra  sentiat,  eupe- 
remus  audire',  aber  er  fährt  sogleich  fort:  'quamquam  de  vestris  aniinis 
nostra  non  debeat  sententia  dubitare',  und  sagt  dann  geradezu:  'Nos  .  .  . 
et  male  ordinatum  subraoveri  et  episcopum  Proieetum  in  suo  sacerdotio 
permanere  debere  decrevimus'.  Die  auf  Hilarius  bezüglichen  Worte 
Leo's:  'Cum  quaerei-etur  ad  causam,  turpi  fuga  se  credidit  subtrahendum' 
glaube  ich  nur  auf  den  Projectus-Fall    beziehen    zu  sollen.  2)  Gegen 

die  Rechtmässigkeit  der  von  Leo  ergehenden  Verfügung  hat  schon  Perthel 
(Papst  Leo's  I.  Streit  mit  dem  Bischof  von  Arles:  Illgen,  Zeitschrift  f. 
d.  bist.  Theologie  1843,  II,  32.  34)  Bedenken  erhoben;  indessen  kann 
die  viel  besprochene  Aeusserung  Leo's:  'Mansisset  namque  in  illum  — 
den  Celidonius  —  prolata  sententia,  si  obiectorum  veritas  extitisset'  unmög- 
lich als  eine  bedingte  Anerkennuner  des  von  Hilarius  beanspruchten  Rechts 
angesehen  werden ;  vgl.  Loening  I,  482  Anm.   2. 


242  Wilhelm  Gundlach. 

Aber  selbst  das  Einsehreiten  der  kaiserlichen  Gewalt  ver- 
mochte nicht  den  Trotz  des  Bischofs  von  Arles  zu  beugen; 
zwar  hat  man  das  behauptet  und  dafür  auf  die  Angabe  der 
Vita  Hilarii  sich  berufen  i :  'totum  se  ad  placandum  tunc  ani- 
mum  sancti  Leonis  inclinata  humilitate  convertit'^;  aber  wenn 
wirklich  Hilarius  sich  bedingungslos  unterwerfen  wollte,  wozu 
brauchte  es  dann  zweier  Gesandtschaften,  von  welchen  wir 
hören  3 1  konnte  das  nicht  schon  durch  die  erste  erreicht  werden? 
Und  was  muss  man  vollends  von  der  Unterwerfung  des  Hilarius 
halten,  wenn  noch  bei  Gelegenheit  der  zAveiten  Gesandtschaft* 
der  Präfect  Auxiliaris  an  ihn  schreiben  konnte:  'Locutus  sum 
etiam  cum  sancto  papa  Leone.  Hoc  loco,  credo,  aliquantum 
animo  perhorrescis :  sed  cum  propositi  tui  tenax  sis  et 
semper  aequalis  nulloque  commotionis  feile  rapiaris,  sicut  nullis 
extolleris  illecebris  gaudiorum,  ego  nee  minimum  quidem  factum 
beatitudinis  tuae  arrogantiae  raemini  contagione  fuscari.  Sed 
impatienter  ferunt  homines,  si  sie  loquamur,  quomodo  nobis 
conscii  sumus.  Aures  praeterea  Romanorum  qnadam  teneri- 
tudine  plus  trahuntur:  in  quam  si  se  sanctitas  tua  sub- 
i  n  d  e  d  e  m  i  1 1  a  t ,  p  1  u  r  i  m  u  m  tu,  nihil  p  e  r  d  i  t  u  r  u  s ,  a  c- 
quiris'.  Ich  glaube  danach  das  'placare  animum  sancti  Leonis', 
was  dem  Hilarius  nachgesagt  wird ,  nicht  anders  deuten  zu 
können,  als  dass  der  Bischof  die  Anerkennung,  welche  er 
früher  nicht  hatte  ertrotzen  können,  nun  in  Güte  zu  erreichen 
hoffte,  dass  er  aber,  von  seinem  Recht  durchdrungen,  selbst 
bei  diesen  Unterhandlungen  nicht  eben  rücksichtsvoll  zu 
AVerke  ging. 

Niemals  mit  dem  starrköpfigen  Hilarius,  sondern  erst  mit 
seinem  gefügigen  Nachfolger  Ravennius  ist  ein  Abkommen  er- 
zielt worden,  welches  den  Papst  wie  den  Bischof  befriedigen 
konnte ;  und  zwar  ging  der  Anstoss  dazu  von  neunzehn 
Suffraganbischöfen  des  kürzlich  verstorbenen  von  Rom  so 
schwer  getroffenen  Hilarius  aus.  Es  musste  den  eigenwilligen 
Papst  sonderbar  berühren,  eine  so  grosse  Zahl  gallischer  Bi- 
schöfe sich  offen  zu  der  von  Zosimus  aufgenommenen  Tro- 
phimus -Legende  bekennen  und  als  recht  und  billig  fordern 
zu  hören,  dass,  Avie  der  apostolische  Stuhl  kraft  des  heiligen 
Petrus  über  alle  Kirchen  die  Obmacht  in  Anspruch  nehme,  so 
auch  die  Arier  Kirche  um  des  heiligen  Trophimus  willen  den 


1)  So  Loening  (I,  488  Anm.   l)  gegen  Hiuschius  (I,  589),    welcher 
ohue  Zweifel  Recht  hat.  2)  Leonis  opp.  II,  334.         3)  'Misit  primitus 

sanctnm  Ravennium  tunc  presbyterum,  postmodum  proprium  successorem, 
deinde  sanctum  Nectarium  sanctumque  Constantium  praecipuos  sacer- 
dotes':    Leonis  opp.  II,  334.  4)  'Sanctos  Nectarium    et  Constantium 

sacerdotes  de  beatitudinis  tuae  parte  venientes  digna  admiratione  suscepi' 
heis.st  es  im   Anfang  des  Briefes:  Leonis  opp.  II,  334. 


Arles  und  Vicnne.  243 

Vorrang  in  den  gallischen  Landen  wieder  erhalte,  welcher  ihr 
jetzt  von  dem  ßisthum  Vienne  verkümmert  werde.  Der 
Bescheid,  welchen  Leo  auf  diese  Bitte  ertheilte,  macht  ganz 
den  Eindruck,  als  sei  dem  Papste  die  Gelegenheit  willkommen 
gewesen,  das  einst  Arles  angethane  Unrecht,  so  weit  er  sich 
für  sein  Ansehen  davon  keinen  Schaden  versjDrach,  Avieder  gut 
zu  machen.  Er  will  sich  zwar  mit  der  Erkenntnis  salvieren, 
dass  eigentHch  die  gleiche  Bedeutung  Vienne  und  Arles  zu- 
komme i;  er  bedauert  dabei  aber  beinahe,  Vienne  begünstigt 
zu  haben;  denn  nur  um  sich  nicht  mit  sich  selbst  in  Wider- 
spruch zu  bringen,  seine  einst  zu  Grünsten  des  ßisthums  Vienne 
erlassene  Urkunde  nicht  ganz  ausser  Kraft  zu  setzen  2 ,  findet 
er  den  Bischof  von  Vienne  mit  vier  Suffraganstühlen  ab :  alle 
übrigen  der  Provinz  —  und  das  war  der  Löwenantheil ,  weil 
auch  die  Provinzen  Narbonensis  II.  und  Alpes  Maritimae  dazu 
gehörten*  —  wurden  dem  Bischof  von  Arles  als  Metropolitan- 
gebiet überwiesen.  Von  der  Primatialge walt  ist  in  dieser 
Urkunde  nicht  die  Rede;  aber  stillschweigend  hat  Leo  auch 
sie  dem  Bischof  von  Arles  wieder  zugebilligt*. 

So  imverrückbar  seit  dieser  Zeit  die  Grenzen  sind,  in 
welchen  der  Arier  Bischof  die  Metropolitanhoheit  auszuüben 
hat,  so  veränderlich  ist  das  Gebiet,  in  welchem  sein  Primat 
zm-  Geltung  kommen  soll*;  aber  bei  diesen  durch  staatliche 
Wandelungen  bedingten  Schwankungen  ist  doch  soviel  zu  er- 
kennen, dass  während  des  fünften  und  sechsten  Jahrhunderts 
von  aUen  gallischen  Bischöfen  nur  der  von  Arles  der  ständige 
Vertrauensmann  des  Papstes  ist,  dass  allein  die  Inhaber  des 
Bisthums  Arles  mit  der  Vertretung  Roms  den  gaUischen  Bi- 
schöfen gegenüber  6  und,   nachdem  der  zum  Christenthum  be- 


1)  Die  Stelle  habe  ich  schon  N.  A.  XIV,  263  Anm.  5  beigebracht. 
2)  'Viennensem  civitatem  .  .  .  inhonoratam  penitus  esse  non  patimur, 
praesertim  cum  de  receptione  privileg-ii  auctoritate  iam  nostrae  dispositionis 
utatur,  qua  potestatem  Helario  episcopo  ablatam  Viennensi  episcopo 
eredidemus  depotandam':  J.-.K.  450.  3)  Vgl.  N.  A.  XIV,  332  Anm.  2. 

4)  Vgl.  N.  A.  XIV,  264.  5)  Die    genaueren   Angaben    findet   man   in 

der  Einleitung:  N.  A.  XIV,  264 — 272.  6)  Die  Behauptung  Loening's 
(II,  79) :  'Der  Bischof  von  Arles  führte  trotz  des  päpstlichen  Vicariates 
und  gallischen  Primates  doch  auf  den  fränkischen  Nationalconcilien  nicht 
den  Vorsitz,  selbst  wenn  er  persönlich  anwesend  war',  habe  ich  schon 
(N.  A.  XIV,  331 — 342)  allgemein  als  unstatthaft  dargethan.  Um  hier 
auch  auf  Einzelheiten  einzugehen,  so  beruht  die  Annahme,  ein  anderer 
Bischof  als  der  von  Arles  habe  auf  den  Synoden  zu  Orle'ans  (V,  549) 
und  Paris  (IV,  573)  den  Vorsitz  gehabt,  auf  verderbter  Ueberlieferung. 
Weiter  ist  der  Einwurf  Loening's,  welcher  in  Paris  im  Jahre  553  den 
Bischof  von  Arles  die  Geschäfte  leiten  sieht:  'Im  Jahre  553  hatte  Sapaudus 
von  dem  Papste  den  Vicariat  noch  nicht  erhalten,  der  ihm  erst  557 
übertragen  wurde',  auf  eine  unrichtige  Grundauffassung  des  Arier  Primates 
zurückzuführen;    denn   der  Primat  stand,    wie    ich  oben  ausgeführt    habe, 


244  Wilhelm  Gundlach. 

kehrte  Chlodovech  i  und  seine  Söhne  das  gallische  Land  er- 
obert hatten,  auch  den  merowingischen  Königen  gegenüber 
betraut  worden  sind.     Die  Mannhaftigkeit,  mit  welcher  hinfort 


dem  Bisthum  Arles  schon  um  des  heilig'en  Trophimus  willen  zn,  seines 
Bepfründers,  der  das  Christenthum  in  Gallien  heimisch  gemacht  hatte:  es 
bedurfte  also,  nachdem  diese  Theorie  einmal  von  Rom  aus  anerkannt 
war,  gar  keiner  besonderen  Uebertragung  mehr.  Endlich  ist  die  Deutung, 
welche  der  Vorsitz  des  Sapaudus  auf  der  SjTiode  zu  Valence  (II,  584) 
erfährt:  'Valence  lag  an  der  Grenze  des  Metropolitansprengeis  von  Arles' 
unhaltbar,  weil  bei  diesem  Grundsatz  der  auf  der  Synode  anwesende 
Bischof  von  Lyon  ungefähr  dasselbe  Recht  wie  Sapaudus  gehabt  hätte,  und 
vollends  Evantius  von  Vienne,  der  auch  zugegen  war,  als  Metropolit  des 
Bisthnms  Valence,  doch  wohl  am  meisten  berufen  gewesen  wäre.  Wenn 
dann  Loening  die  Ausführung,  dass  der  Arier  Primas  thatsächlich  ohne 
Macht  gewesen  sei,  vervollständigt  durch  die  Behauptung  (S.  81),  er  habe 
von  der  Befugnis,  die  Bischöfe  des  ihm  unterstellten  Bereiches  zu  Synoden 
zu  berufen,  keinen  Gehrauch  gemacht,  oder  doch  diejenigen  Synoden, 
welche  er  leitete,  nicht  berufen,  so  ist  dagegen  geltend  zu  machen,  dass 
die  zweite  in  Arles  gehaltene  Synode  ausdrücklich  das  Berufungsrecht 
des  Bischofs  von  Arles  anerkennt  ('Ad  Arelatensis  episcopi  arbitrium 
synodus  congreganda'),  wie  ich  oben  (N.  A.  XIV,  334)  genauer  ausein- 
andergesetzt habe,  dass  auch  das  Schweigen,  welches  in  den  Synodal- 
acten  zuweilen  über  den  Urheber  der  Versammlung  beobachtet  wird,  noch 
nicht  zu  der  Folgerung  Loening's  berechtigt,  sondern  eher  durch  die  auf 
der  Synode  zu  Orange  (I,  441)  getroffene  Verabredung  (Mansi  VI,  440) 
erklärt  wird  —  und  zwar  ist  zu  beachten,  dass  dieses  Uebereinkommen  nur 
mit  Bewillienng  des  Vorsitzenden,  des  Bischofs  Hilarius  von  Arles,  hat 
zu  Stande  kommen  können  — :  'ut  nullus  conventus  sine  alterius  con- 
ventus  deiiuntiatione  solvatur;  itaque  soquenti  anno  .  .  .  die  decimo 
quinto  Kalendas  Novembres  Luciano  —  'lustiano'  bez.  'lustiniano'  bieten 
die  beiden  von  mir  benutzten  Codices  Philippsiani  —  in  Arausico  terri- 
torio  conventum  habebimus',  wonach  also  eine  Berufung  gar  nicht  mehr 
nöthig  war;  dass  es  schliesslich  unbilli£r  ist,  die  von  den  Landesherren 
berufenen  Synoden  (Paris  11,  Valence  II)  gegen  den  Arier  Primat  vor- 
zubringen, weil  nicht  immer  das  Primatgebiet  genau  durch  die  Landes- 
grenzen umschrieben  wurde,  dass  schon  unter  diesem  Gesichtspunkt  der 
dem  Bischof  von  Arles  nicht  streitig  gemachte  Vorsitz  auf  solchen  Synoden 
genugsam  für  die  Wirksamkeit  des  Primates  zeugt.  Um  die  dem  Bischof 
von  Arles  ertheilte  Vollmacht,  Streitigkeiten  der  Bischöfe  unter  einander 
zu  schlichten,  als  eine  wirkungslose  hinzustellen,  bezieht  sich  Loening 
ferner  auf  die  zweite  Synode  zu  Lyon,  'welche  unter  dem  Vorsitz  des 
Bischofs  von  Vienne  im  Jahre  567  stattfand  und  der  nur  Bischöfe  bei- 
wohnten aus  dem  Vicariatsbezirke',  die  aber  trotzdem  bestimmte,  'dass  Strei- 
tigkeiten von  Bischöfen,  die  derselben  Provinz  angehören,  von  der  Provinzial- 
synode  entschieden  werden  sollen,  Streitigkeiten  von  Bischöfen  aber,  die 
verschiedenen  Provinzen  angehören ,  gemeinschaftlich  von  den  beider- 
seitigen Metropoliten'.  Ohne  darauf  einen  besonderen  Werth  zu  legen, 
dass  die  Synode  von  dem  natürlichen  Gegner  des  Bischofs  von  A\^es 
bestimmt  wird,  verweise  ich  auf  die  Besprechung,  welche  diese  Synode 
schon  oben  (N.  A.  XTV,  342)  erfahren  hat:  da  der  Zweifel  statthaft  ist, 
ob  Arles  im  Jahre  567  auch  dem  Landesherrn  der  auf  der  Synode  an- 
wesenden Bischöfe  unterthan  war,    so   habe   ich   zugegeben,    dass  wegen 


Arlcs  und  Vienne.  245 

die  Arier  Primaten  der  Versuchung  widerstanden,  in  den 
Balmen  des  Hilarius  mit  der  eigenen  Unabhängigkeit  die  Selb- 
ständigkeit der  gallieanischen  Kirche  anzustreben,   der  treue 


ungünstiger  staatlicher  Gliederung  des  Landes  der  Primat  zeitweise 
matt  gesetzt  wurde,  und  damit  schon  den  Schluss  abgewiesen,  dass  es 
stets  sich  so  verhalten  habe.  Die  dem  Bischof  von  Arles  aufgegebene 
Berichterstattung  über  die  Kirchen  Galliens  nach  Rom  lässt  Loening  zwar 
gelten,  bemängelt  aber,  was  mir  keineswegs  durch  die  Verfügungen  der 
Päpste  verboten  scheint,  'dass  auch  andere  Bischöfe  unmittelbar  mit 
Anfragen  sich  an  den  Papst  wenden  konnten,  der  ohne  Vermittelung 
des  Bischofs  von  Arles  mit  ihnen  verkehrte'.  Was  die  dem  Primas  zu- 
stehende Ertheilung  der  Epistolae  formatae  angeht,  so  steift  sich  Loening 
darauf,  'dass  weder  in  den  Canones  der  fränkischen  Concilien ,  noch  in 
den  Berichten  über  einzelne  Reisen  jemals  erwähnt  wird,  dass  die  Er- 
laubnis des  Bischofs  von  Arles  eingeholt  werden  müsse  oder  worden  sei'; 
er  macht  sich  also  das  'argumentum  ex  silentio'  zu  Nutze,  dem  eine  bün- 
dige Kraft  nicht  beigemessen  werden  kann,  und  bezweifelt  endlich,  als 
er  mittheilen  muss,  dass  der  Papst  sich  für  die  Wahrung  des  besonderen 
Gerichtsstandes  seines  Vicars  bei  dem  Könige  Childebert  verwandt  habe 
(J. -K.  948),  ob  der  Schritt  des  Papstes  auch  erfolgreich  gewesen  sei. 
Das  sind  die  Gründe,  welche  Loening  zu  der  Ansicht  vermocht  haben, 
dass  die  Primatialherrlichkeit  des  Bischofs  von  Arles  im  fünften  und 
sechsten  Jahrhundert  nicht  anerkannt  worden  ist,  —  sie  sind,  das  glaube 
ich  gezeigt  zu  haben,  theils  gegenstandslos,  theils  nicht  so  kräftig,  dass 
ein   Schluss,    wie    ihn  Loening    gezogen    hat,    zulässig   ist.  1)  In  der 

Frage,  wann  Chlodovech  zum  Christenthum  übergetreten  ist,  habe  ich 
mich  auf  Grund  eines  der  austrasischen  Briefe,  welchem  übrigens  schon  vor 
mir  eine  ausführliche  Erörterung  in  der  Bibl.  de  l'ecole  de  chartes  1866, 
11,  59  (vgl.  auch  Waitz,  Verfassungsgesch.  IP,  i,  38  Anm.  2  und  Loening 
II,  7  Anm.  1)  zu  Theil  geworden,  zu  der  Auffassung  bekannt  (N.  A. 
XIII,  382),  dass  der  Frankenkönig  den  bedeutungsvollen  Schritt  schon 
vor  der  Eroberung  Galliens  gethan  habe.  Um  dieser  Auffassung  Raum 
zu  schaffen,  habe  ich  die  bisher  allgemein  als  richtig  anerkannte  Angabe 
Gregor's  (Hist.  Franc.  II,  31:  'Rex  ergo  prior  poposcit  se  a  pontifeci  — 
dem  Bischof  Remigius  von  Reims,  also  in  Reims  —  baptizare')  zu  der 
seines  Zeitgenossen  Nicetius  von  Trier  (Ep.  Austr.  VIII:  '(Hlodoveus)  ad 
domni  Martini  limina  cecidit  et  baptizare  se  sine  mora  promisit'  —  wobei 
das  'promisit'  als  'permisit'  aufzufassen  ist;  vgl.  MG.  Epp.  III,  122  not.  b) 
in  Gegensatz  gebracht  und  die  eine  durch  die  andere  bekämpft.  Seitdem 
habe  ich  erkannt,  dass  man  diesen  Widerspruch  schon  wohl  empfunden 
und  zu  beseitigen  gestrebt  hat,  indem  man  annahm  —  Dubos  (Hist.  crit. 
de  l'etablissement  de  la  monarchie  fran?.  1735,  II,  505)  hat  das  auf- 
gebracht und  Junghans  (Childerich  und  Chlodovech,  1857,  S.  57)  und 
die  Verfasser  der  Kirchengeschichten  Deutschlands,  Rettberg  (I,  276), 
Friedrich  (II,  62)  und  Hauck  (I,  108),  haben  es  einer,  vom  andern  über- 
nommen — ,  dass  ein  Schreiber  den  ursprünglichen  Wortlaut  'ad  divae 
Mariae  limina',  auf  Reims  bezüglich,  zu  'ad  d.  M.  limina'  abgekürzt 
und  ein  zweiter  das  in  'ad  domni  Martini  limina' verlesen  hätte.  Nun, 
man  braucht  sich  nur  wenig  mit  Handschriften  abgegeben  zu  haben,  um 
zu  wissen,  dass  ein  vereinzeltes  'divae  Mariae'  niemals  in  'd.  M.'  verkürzt, 
dass  ein  einmaliges  'd.  M.'  niemals  zu  'domni  Martini'  aufgelöst  werden 
kann.     Der  Widerspruch  bleibt  also  bestehen.     Ist  mithin  die  Ablehnung 


246  Wilhelm  Gundlach. 

Eifer,  mit  welchem  sie  dem  apostolischen  Stuhle  dienten,  ward 
auch  durch  die  Verleihung  eines  äusseren  Ehrenzeichens  an- 
erkannt :  die  vier  Bischöfe  von  Arles,  welche  in  den  Epistolae 
Arelatenses  des  sechsten  Jahrhunderts  genannt  werden:  Caesa- 
rius,  Auxanius,  Aurelianus '  und  Sapaudus  sind  von  ihren 
päpstlichen  Gönnern  mit  dem  Pallium  ausgestattet  worden. 

Wenngleich  das  nur  als  etwas  Aeusserliches  erscheinen 
mag  —  dass  das  Pallium  eine  nicht  zu  unterschätzende  Be- 
deutung in  der  Primatfrage  hat,  zeigt  das  Verhalten  Gregors 
des  Grossen  2, 


beider  Naclirichten,  nach  welchen  der  zu  taufende  Chlodovech  der  Herr 
der  Stadt  Reims  bez.  Tours  sein  müsste,  befugt,  so  dürfte  die  Triftigkeit 
meiner  Auffassung  auch  noch  von  anderer  Seite  wahrscheinlich  zu  machen 
sein.  Wir  hören  insbesondere  von  Gregor,  aber  von  ihm  nicht  allein, 
dass  einige  katholische  Bischöfe  im  Reiche  der  arianischen  Westgothen 
und  Burgunder  in  hochverrätherische  Beziehungen  zu  Chlodovech  traten 
und  ihm  so  die  Eroberung  des  Landes  wesentlich  erleichterten;  wir  hören 
davon  in  einer  Weise,  dass  die  Hinneigung  zu  dem  fränkischen  Eroberer 
als  eine  allgemein  verbreitete  gelten  muss  (H,  23:  'Interea  cum  iam 
terror  Francorum  resonaret  in  bis  partibus  et  omnes  eos  araore  deside- 
rabili  cupirent  regnare';  II,  35:  'Multi  iam  tunc  ex  Galliis  habere 
Francos  dominos  summo  desiderio  cupiebant').  Daran  ist  gewiss  nichts 
Aufrälliges,  wenn  man  sich  Chlodovech  als  christlich- katholischen  König 
denkt;  aber  ungereimt  dürfte  es  doch  sein,  den  gallischen  Bischöfen  eine 
Parteinahme,  bei  welcher  sie  Leib  und  Leben  aufs  Spiel  setzten,  für 
einen  heidnischen  König  anzudichten.  Das  aber  wäre  mindestens  bei 
einer  Gelegenheit  der  Fall.  Gregor  erzählt  im  Anschluss  an  die  oben 
angezogenen  Worte,  nach  welchen  der  Wunsch  nach  der  Frankenherr- 
Bchaft  allgemein  war  (II,  23),  dass  dem  Bischof  Aprunculus  von  Langres 
die  Burgunden  nach  dem  Leben  standen:  'Quo  ad  cum  perlato  nuntio, 
nocte  a  castro  Divionensi  per  murum  demissus,  Arvernus  advenit  ibique 
iuxta  verbum  Domini,  quod  posuit  in  ore  sancti  Sidonii,  undecimus  datur 
episcopus'.  Da  nun  Gott  sein  Wort  nur  dem  lebendigen  Sidonius  in  den 
Mund  gelegt  haben  wird,  Sidonius  aber  bald  nach  484  gestorben  ist 
(Wattenbach,  Geschichtsq.  I^,  85),  so  müsste  die  allgemeine  Anhänglich- 
keit, welcher  Aprunculus  zum  Opfer  fällt,  dem  heidnischen  Chlodovech, 
der  nach  der  herkömmlichen  Angabe  erst  496  Christ  wurde,  gegolten 
haben.  Im  übrigen  dürfte,  selbst  wenn  man  dem  Eroberer  Galliens  auch 
keinen  weiten  staatsmännischen  Blick,  sondern  nur  den  Instinct  barbari- 
scher, erst  mit  dem  Ganzen  zu  sättigender  Habgier  beilegt,  ihm  von 
vorn  herein  klar  gewesen  sein,  dass  erst  durch  seinen  Uebertritt  zum 
Katholicismus  seine  Eroberung  den  einflussreichen  Bischöfen  des  Landes 
annehmbar  und,  soweit  sie  unter  arianischer  Herrschaft  standen,  erstre- 
benswerth    wurde.  1)   Wenn   Nicolaus    I.    daran    erinnert   (vgl.    N.  A. 

XIV,  270),  dass  auch  das  fünfte  ökumenische  Concil  den  Arier  Primat 
anerkannt  habe,  so  muss  ich  gestehen,  etwas  Derartiges  in  den  Acten 
nicht  gefunden  zu  haben;  ich  mache  indessen  darauf  aufmerksam,  dass 
die  Acten  in  griechischer  Fassung  verloren  gegangen  sind,  gegen  die 
uns  erhaltenen  lateinischen  aber  schon  der  Vorwurf  der  Unechtheit  und 
UnvoUständigkeit  erhoben  worden  ist;  vgl.  v.  Hefele  Conciliengesch.  II', 
855—863.         2)  Ueber  das  Pallium  spricht  Hinschius  II,  25.  26. 


Arles  und  Vienne.  247 

Es  ist  zuvörderst  daran  zu  erinnern,  dass  Symmaclius, 
der  erste  Papst,  welcher  einem  Bischof  von  Arles  die  An- 
legung des  Palliums  gestattet  hat,  in  der  von  ihm  eigenhändig 
geschriebenen  Ankündigung  ausdrücklich  bemerkt,  dass  in 
ganz  GaUien  keinem  andern  Bischof  die  nämliche  Vergünsti- 
gung zu  Theil  werden  solle  K  Den  auf  dieser  Beschränkung 
beruhenden  Werth  haben  auch  die  auf  Symmachus  folgenden 
Päpste  gewahrt,  welche  in  die  Lage  kamen,  einem  Bischof 
von  Arles  das  Pallium  zu  ertheilen:  Vigihus  und  Pelagius  I.; 
jedenfalls  ist  nicht  nachzuweisen,  dass  noch  irgend  ein  anderer 
Bischof  des  Landes  der  beregten  Auszeichnung  theilhaftig  ge- 
worden ist.  Wird  nun  auch  gerade  von  Gregor  dem  Grossen 
die  Regel  durchbrochen,  so  ist  doch  an  der  Art,  wie  es  ge- 
schieht, zu  erkennen,  dass  eine  besondere  Ausnahme  gemacht, 
also  die  Regel  auch  von  ihm  beobachtet  wird. 

Nachdem  er  im  Jahre  595  dem  Bischof  Vergilius  von 
Arles  *  mit  dem  Vicariat  des  apostoHschen  Stuliles  auch  den 
Gebrauch  des  Palliums  zugesprochen  hatte  ^,  ward  er  von  dem 
Verlangen  der  Königin  Brunhilde  überrascht,  ihrem  Günst- 
ling*, dem  Bischof  Syagrius  von  Autun  —  einem  einfachen 
Bischof  —  das  Pallium  zu  verleihen  5.  Obgleich  etwas  nach 
abendländischem  Brauche  Unerhörtes  dem  Papste  angesonnen 
wurde,  glaubte  er  doch  nicht  ohne  Schädigung  der  lürche  die 
Bitte  der  Königin  ablehnen  zu  dürfen;  er   bedang  sich  aus, 


1)   J.-K.  764:    'Caritati    tuae   tantummodo    per   omnes    GalH- 
canas    regiones    uteudi    pallei    concessimus    facultatem'.  2)    Ob    auch 

Licerius,  der  Nachfolger  des  Sapaudus  und  Vorfahr  des  Vergilius  im  Bis- 
thuin  mit  dem  Vicariat  und  seinem  Wahrzeichen,  dem  Pallium,  bewidmet 
worden  ist,  davon  ist  keine  Kunde  auf  uns  gekommen.  Nicht  unmöglich 
wäre  es,  dass  Licerius,  welcher  nur  von  586  bis  588  das  Bisthum  inne- 
gehabt hat,  verstorben  ist,  ehe  es  zu  einer  förmlichen  Uebertragung  kam; 
denn  z.  B.  Vigilius  erklärt  (J.-K.  912:  543  October  18)  auf  die  Bewer- 
bung des  Auxanius  um  das  Pallium,  dass  erst  der  Kaiser  darum  befragt 
werden  müsse  ('De  his  vero,  quae  Caritas  vestra  tarn  de  usu  pallei  quam 
de  aliis  sibi  a  nobis  petiit  debere  concedi,  libenti  hoc  animo  etiam  in 
praesenti  facere  sine  dilatione  potuimus,  nisi  cum  christianissimi  domni, 
filii  nostri,  imperatoris  hoc,  sicut  ratio  postulat,  voluissemus  perficere, 
Deo  auctore,  notitia'),  und  erst  nachdem  über  18  Monate  darüber  hin- 
gegangen sind  (545  Mai  22:  J.-K.  913),  bewilligt  er  ihm  in  aller  Form 
den  erbetenen  Schmuck.  Ueber  den  bisher  noch  immer  nicht  genügend 
geklärten  Rechtsgrund,  kraft  dessen  der  Kaiser  bei  der  Verleihung  des 
Palliums  angegangen  werden  musste,  s.  Loening  II,  92—94.  3)  J.-E. 
1374:  'iuxta  antiquum  morem'  hatte  der  Bisehof  von  Arles  beides  in 
Anspruch  genommen,  und  Gregor  willfahrt  ihm  mit  der  Erklärung:  'ne  .  .  . 
vobis  quicquam  de  debito  honore  subtrahere  .  .  .  videamur';  aber  er 
zuerst  fügt  die  Beschränkung  hinzu:  'quo  (pallio)  fraternitas  tua  intra 
ecclesiam    ad  sola  missarum   sollemnia  utatur'.  4)    'vestrum  proprium' 

nennt  ihn  Gregor  Brunhilde  gegenüber  J.-E.  1743;  vgl.  Loening  II,  90. 
5)  J.-E.  1491 :  597  Sept. 


248  Wilhelm  Gundlach. 

dass  eine  Synode  zur  Bekämpfung  der  Simonie  unter  Leitung 
des  Bischofs  von  Autun  stattfinden  sollte ',  und  machte  sich 
sofort  den  Einfluss  des  Syagrius  zu  Nutze,  indem  er  von  ihm 
verlangte,  die  Austreibung  zweier  nach  Gallien  geflüchteter 
Bischöfe  Italiens  ^  und  die  Befriedigung  des  Bischofs  von  Turin, 
dessen  Sprengel  um  einige  Pfarreien  widerrechtlich  geschmälert 
worden  war«,  bei  seiner  Beschützerin  auszmvnken;  er  fand 
dann  in  dem  Eifer,  den  der  Bischof  von  Autun  angeblich  an 
den  Tag  gelegt,  die  Verkündigung  des  Evangeliums  im  Angeln- 
lande zu  unterstützen*,  einen  schicldichen  Vorwand,  ihn  mit 
dem  gewünschten  Pallium  auszustatten,  Hess  es  aber  dann  bei 
diesem  äusserlichen  Schmuckstück  noch  nicht  bewenden,  son- 
dern verfügte  —  und  das  ist  bezeichnend  für  die  Bedeutung, 
welche  das  Pallium  in  den  Augen  Gregors  hatte  — ,  dass  der 
Bischof  von  Autun  nach  seinem  Metropohten  vor  allen  übrigen 
einfachen  Bischöfen  der  Provinz  auf  den  Synoden  seinen  Sitz 
haben  und  seine  Unterschrift  abgeben  sollte  *. 

Dass  Gregor  nicht  leichtfertig  bei  der  Vergabung  der  in 
dem  Palhum  bestehenden  Auszeichnung  war,  ist  Aveiterhin  aus 
der  Ablehnung  ersichtlich,  welche  Desiderius  von  Vienne  er- 
fuhr. Dieser  Bischof  trat  mit  dem  Anspruch  hervor,  dass 
seiner  Kirche  'quaedam  ohm  privilegia'  !von  dem  apostolischen 
Stuhle  gewährt  Avorden  seien,  dass  die  Bischöfe  von  Vienne 
auch  des  Gebrauches  des  Palliums  sich  erfreut  hätten.  Gregor 
aber  erwiderte  ihm,  dass  er  im  Archive  ohne  Erfolg  hätte 
nachforschen  lassen «  und  darum  dem  Bischof  aufgeben  müsse, 


1)   J.-E.  1743.  47.  48,  51:    599  Juli.  2)   J.-E.  1752:    599  Juli. 

3)  J.-E.  1754:   599  Juli.  4)  'pro  eo,  quod  se  in  ea  praedicatione,  quae 

Anglorum  geuti,  auctore  Domino,  facta  est,  dovotum  veliementer  exhibuit': 
J.-E.  1743.  5)  'ut,  metropolitae  suo  per  omnia  loco  et  honore  servato, 
ecclesia  civitatis  Augustodunae,  cui  omnipotens  Deus  praeesse  te  voluit, 
post  Lugdunensem  ecciesiam  esse  debeat  et  bune  sibi  locum  ac  ordinem 
ex  nostrae  auctoritatis  indulgentia  vindicare':  J.-E.  1751.  Die  einem 
Bischof  widerfahrene  Auszeicbnung  wurde  aber  nicht  allen  seinen  Nach- 
folgern zu  Theil;  denn  Leo  IV.  lehnt  die  Verleihung  des  Palliums  an 
Alteus  von  Autun,  für  welchen  Kaiser  Lothar  sich  verwandt  hatte,  mit 
der  Begründung  ab,  'quoniara,  quod  ab  ipso  sanctissimo  papa  Gregorio, 
usque  ad  haec  tempora  nostra  factum  minime  recordamur,  facere  non 
potuimus':  J.-E.  2603,  und  erst  wieder  Johann  VIII.  gewährt  dem  Adal- 
garius  auf  die  Fürsprache  Karls  des  Kahlen  den  erwünschten  Schmuck 
(J.-E.  3063).  Die  ausnahmsweise  und  gelegentlich  erfolgte  Bevorzugung 
eines  Bischofs  von  Autun  hat  ohne  Zweifel  jene  Ansprüche  gezeitigt, 
welche  in  der  oben  S.  85  Anm.  3  mitgetheilten  Fälschung  zum  Ausdruck 
kommen;  dass  man  den  Brief  auf  den  Namen  des  Silvester  fälschte,  hat 
seinen  Grund  wohl  darin,  dass  der  zeitgenössische  Bischof  von  Autun, 
Reticius,  unter  den  iudices  erscheint,  welche  Constantin  in  der  Donatisten- 
Angelegenheit  ernannt  hat;  vgl.  oben  S.  236  Anm.   1.  6)  Dieser  Be- 

scheid beweist,  die  Vollständigkeit  des  päpstlichen  Archives  vorausgesetzt. 


Arles  und  Vienne.  249 

die  Beweisstücke,  die  in  seiner  Kirche  verwahrt  würden,  ihm 
zu  unterbreiten ». 

Um  jeden  Zweifel  daran  auszuschliessen,  dass  er  trotz  der 
Aufträge,  die  er  gelegentlich  dem  Bischof  von  Autun  ertheilt 
hatte,  trotz  der  umfassenden  Vollmacht,  mit  welcher  er  den 
Augustin  nach  England  sandte,  die  Rechte  des  Bisthums  Arles 
aufrecht  erhalte,  nahm  er  eine  Anfrage  Augustins  zum  Anlass 
und  grenzte  genau  seinen  Machtbereich  von  dem  des  Bischofs 
von  Arles  ab  ^. 

Unter  diesen  Umständen  Avird  man  annehmen  dürfen,  dass 
Bonifatius  IV.,  welcher  in  die  Fusstapfen  Gregors  des  Grossen 
trat,  als  er  auf  Verwendung  der  Könige  Theudebert  IL  und 
Theoderich  IL  dem  Bischof  Florian  von  Arles,  dem  Nach- 
folger des  Vergilius,  im  Jahre  613  'iuxta  antiquam  consuetu- 
dinem'  das  Pallium  ertheilte^,  auch  damit  den  Fortbestand  der 
Primatialrechte  des  Bisthums  Arles  anerkannt  hat,  zumal  er 
hinzufügte :  'privilegiorum  tuorum  scilicet  integritate  servata  *. 

Die  Kundgebung  des  vierten  Bonifatius  zu  Gunsten  des 
Arier  Primates  ist  die  letzte,  welche  einerseits  mit  anderen 
päpstlichen  Erlassen  im  Zusammenhange  steht,  andererseits 
von  der  jüngsten  für  Arles  zeugenden  Synode,  der  von  Valence 
(II,  584),  nicht  allzuweit  entfernt  ist  ^ ;  dass  mit  Florian  die 
Primatialgewalt  des  Bisthums  Arles  zu  Ende  geht,  nachdem 
sie  zwei  volle  Jahrhunderte  in  der  gallicanischen  Kirche  wirk- 
sam gewesen,  dafür  lassen  sich  zwei  Gründe  geltend  machen. 

Wenn  es   schon  für  jede  Gewalt  ein  Unglück  ist,   keine 


die  Unechtheit  der  ersten  neun  vor  dem  Jahre  599  angeblich  entstan- 
denen Epistolae  Viennenses.  1)  'Quod,  quia  vobis  magnopere  poscitis 
reformari,  in  ecclesiae  nostrae  scrinio  requiri  fecimus,  et  inveniri  nihil 
potuit.  Sed  ...  in  requirendis  cartis  ecclesiae  vestrae  vigilantius  curam 
impendite  et,  si  qua  exinde  scripta  inveniri  potuerint,  quae  nos  valeant 
informare,  huc  curae  vestrae  sit  transmittere;  nam  qui  nova  concedimus, 
vetera  libentissime  reparamus'  (J.-E.  1749:  599  Juli).  Mit  einer  ganz 
ähnlichen  Bitte  behelligte  Aetherius  von  Lyon  bald  danach  (601  April- 
Juni)  den  Papst,  wofern  die  Gleichartigkeit  der  Abweisung  dafür  sprechen 
kann:  'De  eo  vero,  quod  ecclesiae  vestrae  concedendum  ex  antiqua 
consuetudine  deposcitis,  requiri  in  scrinio  fecimus,  et  nihil  inventum  est. 
Unde  nobis  epistolas  ipsas,  quas  vos  dicitis  habere,  transmittite,  ut  ex 
eis,    quid    concedendum    est,    colligamus  (J.-E.    1830).  2)  J.-E.   1843; 

vgl.  N.  A.  XIV,  269  und  281  Anm.  1.  3)  Loening  ist,  wie  ich  glaube, 
mit  Recht  der  Meinung  (II,  76.  77),  dass  die  Verwendung  der  fränki- 
schen Könige  bei  den  Päpsten,  um  den  Bischöfen  von  Arles  den  Vicariat 
übertragen  zu  lassen,  in  Wahrheit  eine  Genehmigung  ist;  die  Folgerung 
indessen  aus  der  Florianus- Angelegenheit,  'dass  seit  dem  Anfang  des 
siebenten  Jahrhunderts  die  fränkischen  Könige  ihre  Genehmigung  zur 
Ernennung  eines  päpstlichen  Vicars  nicht  mehr  ertheilt  haben',  kann  ich 
nicht  zu  der  meinigen  machen.  4)  J.-E.  2001.  2002.  5)  Ueber  die 
Unterschriften  der  fünften  Pariser  Synode  (614)  vgl.  N.  A.  XIV,  338. 
Neues  Archiv  etc.    XV.  17 


250  Wilhelm  Gimdlaeli. 

•Erfolge  aufweisen  zu  können,  so  musste  doppelt  nachtheilig 
für  die  bevorrechtete  Stellung  des  Bisthums  Arles  ausschlagen, 
dass  der  Nachfolger  des  Florian,  Theodosius,  durch  seinen 
Lebenswandel  die  öffentliche  Missbilligung  seiner  Amtsbrüder 
herausforderte.  Seine  Angelegenheit  wurde  auf  der  Synode  in 
Chälons-sur-Saöne  verhandelt,  zu  welcher  im  Jahre  644*  auf 
Befehl  König  Chlodovechs  IL  achtunddreissig  Bischöfe  imd 
sechs  Stellvertreter  unter  dem  Vorsitz  des  Bischofs  Canderich 
von  Lyon  zusammentraten.  Da  Theodosius  sich  der  Verant- 
wortung entzog,  seine  Vergehen  aber  zweifellos  gemacht  wer- 
den konnten  durch  beglaubigte  Schriftstücke,  in  welchen  der 
Bischof  Busse  gethan  zu  haben  erklärte  2,  so  richtete  die 
Synode  an  ihn  ein  Schreiben  des  Inhalts,  dass  sie  ihm  die 
bischöfliche  Würde  entzöge,  bis  er  sich  einer  SjTiode  zur 
Verantwortung  stellen  würde'.  Ob  nun  die  versammelten 
Bischöfe  ihren  Wahrspruch  durchzuführen  vermochten  oder 
nicht,  darauf  kommt  nichts  an ;  in  Theodosius  war  der  Primat 
der  Bischöfe  von  Arles  sogar  am  nachhaltigsten  für  den  Fall 
getroffen,  dass  Theodosius  trotz  der  Synode  in  seiner  Würde 
sich  behauptete-*. 

Aber  selbst  für  einen  vorwurfsfreien  Oberhirten,  einen 
thatkräftigen  ]\Iann  wäre  es  schwer,  Avenn  nicht  unmöglich  ge- 
wesen, die  Rechte  seines  Bisthums  zii  Avahren;  denn  das  Jahr- 
hundert, von  der  eben  berührten  Synode  in  Chälons  an  ge- 
rechnet, das  Zeitalter  des  Niederganges  der  Merowinger  und 
des  Aufkommens  der  Karohnger  ist  für  das  Frankenreich  eine 
Zeit  innerer  Zersetzung  und  äusserer  Gefahrdung  namentlich 
durch  den  ungestüm  andrängenden  Islam.  Gerade  das  Nach- 
barland des  spanischen  Sarazenenreiches,  das  südliche  Gallien, 
das  will  sagen,  der  engere  ^Machtbereich  des  Arier  Primates, 
wurde  von  den  Mohammedanern  heimgesucht,  Arles  selbst  noch 
drei  Jahre  nach  der  Schlacht  bei  Toiu'S,  dem  Erlösung  brin- 
genden Siege  Karls  des  Hammers,  auf  kurze  Zeit  von  den 
Arabern  erobert.  Es  ist  bei  dieser  Lage  der  Dinge  begreif- 
lich, dass  ein  Jahrhundert  hindurch  keine  grösseren  Synoden 
stattfanden,    auf  welchen   der  Bischof  von  Arles   seinen  Vor- 


1)  Das  Jahr  steht  nicht  ganz  fest;  vgl.  v.  Hefele,  Conciliengesch. 
IIP,  92.  2)  'Multa  adversus  vos  et  de  indecenti  vita  et  de  excessn 
cauonum  .  .  .  pervulgata  narrantur;  nam  et  scripta,  qualiter  vos  coustitit 
poenitentiam  fuisse  professos,  vestra  manu  vidimus  et  coiuprovincialium 
vestrorutu  manibus  roborata':  Mansi  X,  1195.  3)  Das  Urtheil  gründete 

sich  auf  die  canonische  Vorschrift:  'Qui  publice  poenitentiam  profitetur, 
episcopalem  cathedram  nee  tenere  nee  regere  potest',  welche  zuerst  von 
der  ersten  in  Toledo  gehaltenen  Synode  (Mansi  III,  998)  erlassen,  dann 
öfter  wiederholt  worden  ist.  4)  Trichaud  (Hist.  d'Arles  II,  164)  spricht 
von  einer  Urkunde,  'par  laquelle  il  est  prouve',  que  Th^odose  fit  comme 
mctropolitain  la  visite  de  sa  province  l'an  648.' 


Arles  und  Vienne.  251 

rang  hätte  zur  Geltung  bringen  können  ^,  class  selbst  zwischen 
dem  zerrütteten  Frankenreiche  und  dem  römischen  Bischof, 
nach  den  uns  erhaltenen  Belegen  zu  schliessen^^  die  Verbin- 
dung Jahrzehnte  hindurch  unterbrochen  blieb. 

Als  dann  wieder  ein  Papst  in  regelmässigen  Verkehr  mit 
dem  Reiche  der  Franken  trat  —  es  war  Gregor  II.,  welcher 
im  Jahre  716  seine  nach  Bayern  gehenden  Gesandten  mit  einer 
Anweisung  ausstattete  (J.-E.  2153)  — ,  kommt  mit  Bayern  jener 
Länderkreis  zur  Sprache,  in  welchem  ein  päpstlicher  Vicar 
ganz  neuer  Art  sein  vornehmstes  Wirkungsfeld  angeAviesen 
erhielt. 

Während  die  Bischöfe  von  Arles  in  Kraft  des  Rechtes, 
welches  ihnen  der  heilige  Trophimus  verlieh,  zunächst  einer 
gebietenden  Stellung  auf  beschränktem  Gebiete  als  Metro- 
politen sich  erfreuten  und  dann  auch  den  Primat  in  Gallien 
als  eine  ihnen  zustehende  Würde  in  Anspruch  nahmen  und 
darum  erst  von  den  Päpsten  auch  mit  dem  Vicariat  des  apo- 
stolischen Stuhles  betraut  wurden,  war  Bonifatius  seit  jener 
Zeit,   da   er   sich   dem  heiligen  Petrus  zu   eigen   gab   (722)3, 


1)  leb  führe  nicht  die  sogenannten  Concilia  mixta  als  einen  Grund 
für  das  Aufhören  des  Arier  Primates  an;  denn  ich  gebe  zwar  zu,  dass 
seit  der  zweiten  Hälfte  des  siebenten  Jahrhunderts  auf  den  Synoden  der 
König  oder  sein  Stellvertreter  zugegen  sein  konnte  (Loening  II,  138), 
glaube  aber  nicht,  überzeugt  durch  die  Ausführung  Loenings  (II,  140 
Anm.  1),  dem  jetzt  auch  Waitz  (Verfassungsgesch.  II*,  ii,  204  A.nm.  1)  zu- 
stimmt, 'dass  schon  am  Ende  des  sechsten  Jahrhunderts  an  Stelle  der 
Synoden  die  Concilia  mixta  getreten  seien,  zu  denen  sich  die  Bischöfe 
und  die  weltlichen  Grossen  des  Reiches  versammelten,  um  gemeinsam 
die  Gesetze  auch  für  die  Kirche  zu  berathen'  —  eine  Einrichtung,  welche, 
wenn  sie  wirklich  vorhanden  gewesen  wäre,  die  Befugnisse  wie  der 
Bischöfe  so  des  Primas  hätte  beeinträchtigen  müssen.  Unter  Karl  dem 
Grossen  freilich  —  aber  bis  zu  seiner  Zeit  reicht  die  Wirksamkeit  des 
Arier  Primates  gar  nicht  —  ist  (ich  will  nicht  sagen:  die  Kirche  so  ver- 
weltlicht, sondern  vielmehr)  der  Staat  so  verkirchlicht,  dass  Karl  auch 
schon  als  König  die  Leitung  von  Synoden  (Regensburg  792,  Frankfurt 
794)  selber  in  die  Hand  nimmt.  2)  Nach  der  Begabung  Florians  mit 
dem  Pallium  ist  erst  Martin  I.  (J.-E.  2059)  der  nächste  und  im  siebenten 
Jahrhundert  der  einzige  Papst,  welcher  mit  einem  Frankenkönige  in 
Verbindung  tritt:  er  übersandte  im  Jahre  649  dem  Bischof  Amandus  von 
Mastricht  die  Acten  des  gegen  den  Monotheletismus  gehaltenen  Concils 
und  forderte  ihn  auf,  den  König  Sigebert  zur  Abordnung  einiger  Bischöfe 
zu  bewegen,  welche  die  für  den  Kaiser  bestimmte,  als  Vertretung  des 
christlichen  Abendlandes  geplante  Gesandtschaft  vervollständigen  sollten. 
Dass  Martin  den  Bischof  von  Mastricht  als  Vermittler  wählte,  ist  damit 
zu  erklären,  dass  Amandus  den  König  getauft  hatte,  also  bei  ihm  wohl 
in    besonderen    Gnaden    stand.  .3)  Die  früheste  Erwähnung    des  Vica- 

riates  dürfte  in  dem  Briefe  J.-E.  2174  (726  November  22)  enthalten  sein, 
in  welchem  Gregor  II.  sagt:  '(Deus)  te  illis  in  regionibus  vice  nostra  ex 
apostoüca  auctoritate  pergere  fecit'. 

17* 


252  Wilhelm  Gundlach. 

durch  die  nach  freier  Wahl  erfolgte  Ernennung  seitens  des 
Papstes  vor  allen  Dingen  der  Vertreter  des  apostolischen 
Stuhles,  mochte  er  nun  Bischof  oder  Erzbischof  (c.  732)  heissen; 
er  übte  als  Vicar  erst  thatsächlich  die  Eechte  eines  Primas 
aus,  ehe  er  im  Verfolg  seiner  Wirksamkeit  das  Erzbisthum 
Mainz  als  festen  Sitz  zuerkannt  (764?)  und  gegen  das  Ende 
seines  Lebens  auch  ein  Metropolitangebiet  zugesprochen  erhielt, 
welches  zum  grössten  Theil  aus  den  von  ihm  erst  dem  Christen- 
thum  gewonnenen  oder  darin  befestigten  Landen  bestand  *  — 
ohne  dass  damit,  Avie  billig,  seinen  Nachfolgern,  den  Mainzer 
MetropoHten,  auch  ein  Recht  auf  den  päpstlichen  Vicariat  zu- 
gestanden worden  Aväre.  Die  Vollmacht  des  Bouifatius,  durch 
nichts  beschränkt,  so  lange  sie  im  Namen  des  Papstes  und  im 
Kahmen  der  kirchlichen  Gesetzgebung  ausgeübt  wurde,  kam 
am  deutlichsten  darin  zum  Ausdruck,  dass  er  im  Jahre  744 
drei  Erzbischöfe  für  Ronen,  Reims  und  Sens  weihte ^  und 
sammt  ihrer  Bestätigung  Pallien  für  sie  vom  Papste  erbat  ^. 
Zwar  war  auch  das  Gebiet,  Avelches  selbstverständlich  den 
späteren  Metropolitanbereich  des  Erzbisthums  Mainz  umfasste, 
in  Gallien  nicht  eingeschränkt^;  indessen  scheint  es,  als  habe 
sich  Bonifatius  mit  den  nördlichen  Gegenden  des  heutigen 
Frankreich    begnügt*;    jedenfalls    kann    meines    Wissens    der 


1)  In  der  Urkunde  des  Zacharias  (J.-E.  2292:  751  Nov.  4)  heisst  es 
von  der  Mainzer  Kirclie :  'liabens  etiam  snb  se  has  quinque  civitates,  id 
est  Tungris,  Coloniam,  Worinaciam,  Spiratiam  et  Trectis,  et  omnes  Ger- 
nianiae  gentes,  quas  tua  fraternitas  per  tuain  praedicationem  Christi 
lumen    cognoscere   fecit'.  2)  J.-E.   2270:   744  Juni  22,  3)  Gleich- 

zeitig mit  dem  Aufkommen  des  neuen  Yicariats  erhielt  auch  das  Pallium 
eine  neue  Bedeutung:  fortan  hatte  jeder  Äletropolitanbischof  nicht  nur 
das  Recht,  sondern  auch  die  Pflicht,  das  Pallium  sich  zu  verschaffen; 
denn  Bonifatius  stellte  den  Grundsatz  auf,  dass  jeder  Metropolit  um  das 
Pallium  wie  um  ein  Wahrzeichen  seiner  Bestätigung  in  llom  nachzu- 
suchen habe  ('metropolitanos  pallia  ab  illa  sede  querere'  in  dem  Briefe 
an  Cudberht:  Jafte,  Bibl.  III,  201),  und  die  Päpste  nahmen  diesen 
Grundsatz  an ;  so  schob  Johann  VIII.,  als  er,  wie  noch  zu  erwähnen  sein 
wird,  den  Primat  des  Bischofs  von  Arles  bestätigte  und  dabei  wörtlich 
den  Brief  Gregors  des  Grossen  J.-E.  1375  wiederholte,  in  die  Neuaus- 
fertigung iJ.-E.  3149)  die  Worte  ein:  'Cui  —  dem  Bischof  von  Arles  — 
etiam  iniunximus,  ut  nullum  archiepiscopum  in  bis  partibus  sine  pallio 
a  Romano  pontifice  directo  consecrationem  facere  permittat  et  facientes 
nostra  auctoritate  arguat'.  —  Die  Meinung,  dass  Bonifatius  als  Stellver- 
treter des  Papstes  Pippin  gesalbt  habe,  bekämpft  Waitz :  Verfassungsgesch. 
III^,  67.  4)  Zacharias  entscheidet  auf  eine  Anfrage  (J.-E.  2271:  744 
Nov.  5):  'Non  solum  Baioariam,  sed  etiam  omnem  Galliarum  pro- 
vinciam,  donec  te  divina  iusserit  superesse  maiestas,  nostra  vice  per 
praedicationem  tibi  iniunctam,  quae  reppereris  contra  christianam  reli- 
gionem  vel  canonum  instituta,  spiritaliter  stude  ad  normam  rectitudinis 
reformare'.  5)  Die  Bischöfe,  welche  Zacharias  im  Jahre  748  anredet: 
'Habetis  itaque  nostra  vice  .  .  .  sanctissimura  ac  reverentissiraum  Bonifatium, 


Arles  und  Vieiine.  253 

Beweis  nicht  erbracht  werden,  dass  er  auch  das  südliche  Frank- 
reich in  Idrchlicher  Botmässigkeit  hielt'. 

Wenn  Bonifatius,  durch  das  Papstthum  erhoben  und  ge- 
halten, die  Herrschaft  Roms  zu  befestigen  und  auszubreiten 
die  Aufgabe  hat,  so  sind  nun  die  drei  fränkischen  Erzbischöfe, 
Avelche  man  als  Vicare  nach  ihm  aufgestellt  oder  aufzustellen 
versucht  hat,  durch  das  Kaiserthum  emporgebracht  worden  in 
der  Absicht,  durch  sie  der  kaiserlichen  Macht  Ansehen  in  den 
fränkischen  Theilreichen  zu  verschaffen. 

Kaiser  Lothar  I.  war  es,  welcher  zuerst  auf  den  Gedanken 
kam,  die  ganze  fränkische  Kirche  unter  einem  heimischen 
Oberhaupte  zusammenzufassen  und  durch  dieses  ihm  ergebene 
Haupt  seinen  Z^vecken  dienstbar  zu  machen.  Er  wandte  sich 
an  Sergius  II.  mit  dem  Antrage,  dem  Erzbischof  Drogo  von 
Metz  2,  einem  Sohne  Karls  des  Grossen,  den  Vicariat  zu  über- 


fratrem  nostrum,  archiepiscopum,  apostolieae  sedis  legatum  et  nostram 
praesentantem  vicem'  (J.-E.  2287)  gehören,  soweit  es  französische  sind, 
dem  Norden    des  Landes    an.  1)   Auf  den  Vicariat  der  Erzbischöfe 

von  Mainz,  wie  er  zuerst  von  Leo  VIII.  dem  Erzbischof  Friedrich  über- 
tragen ('ut  sitis  noster  vicarius  et  missus  in  cunctis  regionibus  totius 
Germaaiae,  ut,  ubicumque  episeopos,  presbyteros,  diaconos  vel  monachos 
contra  canones  et  constituta  sanctorum  patrum  sive  contra  ecclesiasticam 
regulam  excessisse  repperietis,  apostolica  auetoritate  iuxta  canones  et  in- 
stituta  sanctorum  patrum  illos  corrigere  et  ad  viam  veritatis  reducere  non 
omittatis'.  J.-L.  3613:  937  —  939)  und  von  Marinus  II.  (J.-L.  3631:  946), 
Agapit  IL  (J.-L.  3668:  955)  und  Benedict  VIL  (J.-L.  3784:  975  März) 
bestätigt  und  erweitert  worden  ist,  so  dass  er  'in  partibus  totius  Ger- 
maniae  Galliaeque'  Geltung  haben  sollte,  gehe  ich  darum  nicht  näher 
ein,  weil  'Gallia'  hier  ohne  Zweifel  nicht  Frankreich  bedeutet,  sondern, 
aus  der  Bestimmung  in  einem  alsbald  anzuführenden  Briefe  Leos  IV. 
zu  folgern,  das  Zwischenland  zwischen  'Francia'  und  'Germania',  das 
will  sagen:  vornehmlich  die  Rheinlande  bezeichnet.  Aus  demselben 
Grunde  bleibt  auch  der  Primat  der  Erzbischöfe  von  Trier  von  der  Be- 
trachtung ausgeschlossen,  von  welchen  der  Erzbischof  Dietrich  zuerst 
durch  Johann  XIII.  mit  Vorrechten  ausgestattet  ist  ('Treverensis  presul 
post  .  .  .  apostolicum  legatum  primum  inter  alios  pontifices  locum  obti- 
neat,  et,  si  missus  Romanae  ecclesie  defuerit,  similiter  post  imperatorem 
sive  regem  sedendi,  sententiam  edicendi  et  sinodale  iudicium  canonice 
promulgandi  primatum  habeat,  utpote  in  illis  partibus  (sc.  Gallia  Ger- 
maniaque)  vicarius  nostre  sedis  apostolice  merito  constitutus'  J.-L.  3736: 
969  Januar  22;  vgl.  danach  J.-L.  4151 :  1047  October  1  und  4758 :  1066 
— 1073).  Die  angebliche  Verfügung  Silvesters  I.,  nach  welcher  der  Erz- 
bischof von  Trier  'super  Gallos  spiritualem  et  Germanos  prioratum' 
empfing,  ist  eine  Fälschung:  J. -K.  179,  und  der  Anspruch,  welchen 
Thietgaud  von  Trier  auch  Hinkmar  von  Reims  gegenüber  erhob,  Primas 
der  beiden  belgischen  Provinzen  zu  sein,  hat  keinerlei  Berechtigung; 
vgl.  Schrörs,  Hinkmar  S.  70,  71  (Hinschius,  Kirchenrecbt  I,  608  [Mainz], 
609   [Trier],  612  [Köln]).  2)  Drogo  führte,  wie  schon  seine  Vorgänger 

Chrodegang  (vgl.  Görres  in  Picks  Zeitschrift  für  rhein.-westfäl.  Gesch. 
II,  371.  372)  und  Angilram  (vgl.  den  55.  Canon  der  Frankfurter  Synode 


254  Wilhelm  Guudlach. 

tragen.  Der  Papst  ging  wirklich  darauf  ein;  er  übermachte 
dem  Erzbischof  1  im  Jahre  844^  die  Vertretung  des  aposto- 
lischen Stuhles  in  allen  Ländern  jenseits  der  Alpen  mit  der 
Befugnis,  die  Beschlüsse  der  Provinzialsynoden  zu  bestätigen, 
bei  Streitigkeiten  die  Berufung  nach  dem  Gericht  des  Metro- 
politen anzunehmen  und  entweder,  wenn  die  Entscheidung  der 
ihn  berathenden  Bischöfe  einhellig  sei,  zu  erledigen  oder  nach 
Rom  zu  verweisen,  allgemeine  Synoden  anzusagen  und  abzu- 
halten, kurz  über  die  ganze  Kirche  eine  Oberaufsicht  zii  führen 
und  ilu-en  Frieden  im  Innern  wie  gegen  Eingriffe  der  Herr- 
scher zu  schirmen '.  Aber  noch  in  demselben  Jahre  lehnten 
die  nach  Verncuil  berufenen  Bischöfe  des  Reiches  Karls  des 
Kahlen  die  Oberherrschaft  Drogos  ab,  indem  sie  zwar  so  höf- 
lich waren,  ihn  als  den  bedingungsweise  geeignetsten  für  die 
Würde  zu  bezeiclmen,  seine  Anerkennung  aber  von  der  Zu- 
stimmung möglichst  aller  Bisch<ifc  in  Gallien  und  Germanien 
abhängig    machten  ■* ;    und   Drogo   war  verständig   genug,    auf 


des  Jahres  794:  Boretius,  Capitul.  I,  78)  den  erzbiscliöfliclien  Titel, 
ohne  Rletropolitea    zu    sein.  1)    'quia    Serenissimi    atque    i)iissimi    filii 

nostri,  niagni  impcratoris  Hlotharii,  eiusque  fratrum,  dilectissimoruin  filio- 
rum  nostroruni,  Illudovici  et  Caroli  reg-uin,  avuncuhis  est',  sag't  der  Papst 
J.-E.  258C  :  844  Juni.  2)   Dass  Drogro  sclion  vor  diesem  Jahre  wieder- 

holt den  Vorsitz  auf  Synoden  führt:  in  Diedenhofen  835  fHincmari  de 
praedestinatione  dissertatio  posterior:  Migne,  Patrol.  lat.  CXXV,  390)  und 
in  In<;:ellieim  840  (MG.  SS.  XIII,  474)  ist  jedenfalls  im  Grunde  auf  die 
kaiserliche  Befugnis,  Synoden  zu  leiten,  zurückzuführen,  eine  Befug^nis, 
die  Karl  der  Grosse  schon  als  König  ausübte  (vgl.  oben  S.  251  Anm.  1), 
welche  der  Kaiser  demgemäss  auch  Bischöfen  übertragen  konnte;  so 
werden  die  Leiter  der  auf  Karls  Geheiss  im  Jahre  813  in  Arles  abge- 
haltenen Reformsynode,  Johanu  von  Arles  und  Nibridius  von  Narbonne, 
genannt  'venerabiles  missi  gloriosissimi  ac  piissimi  domini  nostri'  (Mansi 
XIV,  57;  vgl.  Waitz,  Verfassungsgesch.  IIP,  570).  Es  ist  für  den  Vica- 
riat  Drogos  bezeichnend,  dass  noch  in  dem  Jahre  der  Verleihung  im 
October  Drogo  den  Vorsitz  auf  der  Synode  zu  Yutz  nicht  auf  Grund 
seines  Rechtes  als  Vicar,  sondern  nach  dem  eben  berührten  Herkommen 
führt,  wofern  man  der  Ueberschrift  der  Acten  trauen  darf:  'Secuntur 
capitula,  quae  acta  sunt  in  synodo  secus  Teudonis  villam  habita  in  loco, 
qui  dicitur  ludicium,  quando  tres  fratres,  gloriosi  principes,  Hlotharius 
videlicct,  Hludovicus  et  Karolus,  simul  convenerunt  .  .  .,  cui  synodo 
Drogo  Metensis  episcopus  praesedit  consensu  eorundem 
regum'    (MG.  LL.  I,  380).  3)    Ueber    den    Primat    Drogos    handeln 

Dümmler,  Gesch.  des  ostfränk.  Reiches  P,  252.  253,  Schrörs,  Hinkmar 
S.  50.  51  und  v.  Hefele,  Conciliengesch.  IV'^,  85  Anm.  2.  4)  'De  praelatione 
reverendissimi  Drogonis  detinire  aliquid  non  audemus,  nisi  expectandum, 
quam  maximus  cogi  potest  Galliae  Germaniaeque  conventus  et  in  eo 
metropolitanoruni  reliquorumque  antistitum  inquirendum  esse  consensum, 
cui  resistere  nee  volumus  nee  valemus.  Nobis  tamen,  si  quid  tale  alicui 
comitti  potest  ('Avenn  überhaupt  etwas  Derartiges  jemand  übertragen 
werden  könne',  übersetzt  Schrörs  S.  51  richtig),  et  non  alia  quam  quae 
praetenditur   latet  causa,   illi   potissimum   convenire  videtur,   qui   et  com- 


Arles  und  Vienne.  255 

die  Ausübung  eines  Amtes  fortan  zu  verzichten,  welches  nicht 
den  Frieden  hcätte  schützen  können,  sondern  Unfrieden  in 
Kirche  und  Reich  hätte  anstiften  müssen. 

Der  zweite  Versuch,  welchen  Lothar  machte,  betraf  den 
Erzbischof  Hinkmar  von  Reims.  Nachdem  der  Kaiser  den 
willensstarken  Kirchenfürsten  dadurch  für  seine  Sache  zu  ge- 
Avinnen  unternommen  hatte,  dass  er  ihm  im  Jahre  847  das 
Palhum  von  Leo  IV.  verschaffte  >,  trat  er  vier  Jahre  darauf  an 
den  Papst  mit  dem  Begehren  heran,  er  möchte  dem  Erzbischof 
von  Reims  den  täglichen  Gebrauch  des  Palliums  gestatten  und 
ihm  den  Vicariat  des  apostohschen  Stuhles  im  Frankenlande 
übertragen.  Aber  ob  Leo  ihm  auch  als  eine  besondere  Ver- 
günstigung, die  niu'  ihm  und  keinem  anderen  zu  Theil  werden 
sollte  2,  das  Pallium  ohne  Einschränkung  verlieh,  von  dem 
Vicariate  wollte  er  nichts  wissen;  er  wies  eine  Bewidmung 
aus  dem  Grunde  von  sich,  dass  der  Vicariat  schon  vergeben, 
von  Sergius  IL  an  Drogo  verheben  worden  sei  ^. 


munione  sacerdotii  nobis  et  excellentiae  vestrae  propinqnitatis  privilegio 
sociatur'  (MG.  LL.  I,  385).  1)  Flodoard.  Bist.  Rem.  III,  2:  MG.   SS. 

XIII,  476.  2)  J.-E.  2608.  3)  'Antecessor  noster,    dommis  Sergius 

papa,  vestra  deprecatione  compulsus  Drog'oni  archiepiscopo  hanc  auctori- 
tatem  seu  potestatem  coucessit  et  pontificale  praeceptum  constituit,  ut 
omnis  Franciae,  Galliae  seu  Germaniae  arcliiepiscopos,  episcopos,  abbates 
.  .  .  iusto  moderamine  iudicaret':  J.-E.  2607.  Wenn  auch  seit  dieser 
Zeit  Hinkmar  nur  mit  solchen  Ansprüchen  hervortrat  —  soweit  die  vor- 
handenen Belege  ein  Urtheil  gestatten  — ,  welchen  nach  den  Zeitläuften 
entsprochen  werden  konnte  ■ —  Benedict  III.  (J.-E.  2664)  und  Nicolaus  I. 
(J.-E.  2720)  bestätigen  ihm  mit  den  Vorrechten  des  Erzbisthums  Reims 
im  Wesen  nur  die  ungeschmälerte  Metropolitangewalt  — ,  so  ist  damit 
doch  noch  nicht  erwiesen,  dass  Hinkmar  damals  nicht  nach  Höherem, 
nach  einem  Primate  über  sämmtliche  gallischen  Kirchen  strebte.  Jeden- 
falls gehört  jener  gefälschte  Brief  des  Papstes  Hormisda  (J. -K.  866), 
worin  dem  Bischof  Remigius  von  Reims  der  Vicariat  im  Reiche  Chlodo- 
vechs  überantwortet  wird,  seiner  Entstehung  nach  in  die  Zeit  Hinkmars, 
mag  man  von  seinem  unmittelbaren  Antheil  an  der  Fälschung  halten,  was 
man  will  Tvgl.  Schrörs  S.  509—511);  und  bezieht  sich  gleich  Hinkmar 
auf  den  Brief  nur  in  der  Absicht,  zu  zeigen,  dass  ihm  die  Metropolitan- 
gewalt in  der  Provinz  zukomme  fSchrörs  S.  250  Anm.),  so  dürfte  daraus 
doch  nur  zu  folgern  sein,  dass  Hinkmar  sich  in  die  Zeitverhältnisse  zu 
schicken  verstand.  Darum  scheint  mir  der  Angriff,  welchen  Schrörs 
(ebenda)  in  dieser  Frage  auf  Dümmler  (I*,  529)  unternommen,  nicht  be- 
gründet, die  Meinung,  welche  Schrörs  vertritt:  'In  Wirklichkeit  ist  Hink- 
mar sich  in  jenem  Punkte  immer  gleich  geblieben'  durch  den  Hinweis 
Hellers  (Allgem.  Deutsche  Biographie  XII,  441)  auf  den  von  Lothar 
beabsichtigten  Reimser  Vicariat  unhaltbar  zu  sein;  denn  wenn  Schrörs 
diesen  Einwand  unwirksam  machen  will  durch  die  Ausführung :  'Es  han- 
delt sich  dort  nicht  um  einen  Primat  des  Reimser  Stuhles,  sondern  um 
einen  persönlichen  Vicariat,  nicht  über  die  gallischen,  sondern  über 
sämmtliche  fränkischen  Kirchen,  nicht  um  einen  Plan  Hinkmars,  sondern 
des  Kaisers  zu  politischen  Zwecken',  so  ist  dagegen   einzuwerfen,   dass  der 


256  Wilhelm  Giindlach. 

Man  hätte  nun  meinen  sollen,  dass  Karl  der  Kahle,  der 
Landesherr  Hinkmars,  als  er  die  Kaiserkrone  erlangte,  auf 
den  Plan  Lothars  zurückgekommen  Aväre  und  den  ihm  er- 
gebenen Erzbischof  zum  Vicar  des  apostolischen  Stuhles  hätte 
ernennen  lassen.  Das  traf  aber  nicht  ein.  Z^var  gelüstete  es 
auch  den  neuen  Kaiser,  die  !Macht  der  Kirche  für  sich  auszu- 
nutzen: er  setzte  im  Jahre  876  bei  Johann  .VIII.  für  Gallien 
und  Germanien  die  Bestellung  eines  neuen  Vicare  durch  mit 
der  Vollmacht,  ^den  gesamraten  Verkehr  zwischen  dem  römi- 
schen Stuhle  und  diesen  Ländern  zu  vermitteln,  alle  päpst- 
lichen Erlasse  den  dortigen  Bischöfen  zur  Nachachtung  raitzu- 
theilen  und  über  alle  wichtigeren  und  schwierigeren  Angelegen- 
heiten nach  Rom  zu  berichten' ' ;  aber  nicht  Hinkmar,  dessen 
Eigenwille  dem  Kaiser  unbequem  zu  werden  drohte,  war  der 
Erwählte,  sondern  der  nachgiebige  Ansegis,  Erzbischof  von  Sens, 
der  noch  vor  wenigen  Jahren  als  Abt  von  St.  IMichael  in  dem 
Sprengel  Beauvais  ein  Untergebener  Hinkmars  gewesen  war  2. 
Als  nun  auf  der  ersten  Synode ',  welche  Karl  als  Kaiser  hielt, 
in  Ponthion  gleich  in  der  Eröffiiungssitzung  der  Vicariat  des 
Erzbischofs  von  Sens  verkündet  und  dabei  von  den  versam- 
melten Bischöfen  verlangt  wurde,  ohne  Verzug  der  päpstlichen 
Anordnung  Gehorsam  zu  geloben,  gaben  sie  alle  bis  auf  den 
diensteifrigen  P^rzbischof  Erothar  von  Bordeaux  eine  Antwort, 
die  nur  äusserlich  zustimmte,  im  Wesen  aber  eine  deutliche 
Verwahrung  gegen  den  Vicariat  enthielt'*;  und  darauf  beharrten 


Primat  des  Reimser  Stuhles  nur  durch  einen  persönlichen  Vicariat  zu 
haben  war,  dass  in  den  sUmmtlichen  fränkischen  Kirchen  doch  auch  die 
gallischen  beschlossen  sind,  und  dass  Hinkmar,  obgleich  der  Plan  zu- 
nächst nicht  sein  eigener  war,  doch  damit  einverstanden  sein  musste  — 
was  übrigens  Schrörs  S.  57  selber  angiebt  —  und  sicherlich  den  politi- 
schen Zwecken  des  Kaisers  zum  Trotz  seine  besondere  Auffassung  des 
Vicariates  zur  Geltung  gebracht  hätte  —  was  Schrörs  ebenfalls  S.  57 
vortrefflich  auseinandersetzt.  Nachdem  ein  Hinkmar  mit  der  Metropolitan- 
gewalt  hatte  vorlieb  nehmen  müssen,  kann  es  nicht  auffallen,  dass  auch 
seine  Nachfolger  es  nicht  weiter  zu  bringen  vermochten ;  erwähnenswerth 
ist  nur,  dass  Urban  H.  dem  Erzbischof  von  Reims  das  Recht  zusprach, 
die  französischen  Könige  zu  salben  (J. -L.  5415:  1089  December  25). 
1)  Dümmler  IP,  400.  2)    Schrörs    S.  358.     Das    Zugeständnis    wurde 

dem  Papste  jedenfalls,  wie  Schrörs  S.  359  mit  Recht  darlegt,  durch  die 
Erwartung  erleichtert,  'dass  die  Durchführung  dieses  Planes  an  dem 
Widerstände  der  betheiligten  Factoren  scheitern  würde';  kam  aber  An- 
segis wirklich  zu  Ansehen,  dann  konnte  er  ja  immer  noch  dazu  benutzt 
werden,  wie  Dümmler  IP,  400.  401  ausführt,  'im  Sinne  Pseudo-Isidors  die 
Metropolitangewalt  zu  brechen  und  jenen  stolzen  Unabhängigkeitssinn  der 
gallischen  Erzbischöfe  zu  vernichten' ;  also  auf  keinen  Fall  hatte  der 
Papst  viel  zu  wagen.  3)  Vgl.  Dümmler  II^,  407,  Schrörs  S.  360,  von 
Hefele  IV^,  516.  4)  'ut,  servato  singulis  metropolitanis  iure  privilegü 

secundum    sacros  canones  et   iuxta  decreta   sedis  Roraanae   pontificum  ex 


Arles  und  Vienne.  257 

sie  trotz  aller  Anstrengungen,  welche  der  Kaiser  und  die 
Legaten  des  Papstes  machten,  auch  in  der  letzten  Sitzung'. 
An  diesem  Widerstände,  dessen  Seele  Hinkmar  war,  scheiterte 
das  ganze  Unternehmen ;  es  ist  nicht  bekannt,  dass  der  Kaiser 
oder  der  Papst  ein  anderes  Mal  überhaupt  auch  nur  versuch- 
ten, ihrem  Vicar  Anerkennung  zu  verschaffen;  ja  Rom  ver- 
leugnete ihn  sogar  in  aller  Form,  nachdem  er  sich  auf  einer 
Gesandtschaftsreise  mit  dem  Markgrafen  Lambert  von  Spoleto, 
einem  Widersacher  des  Papstes,  eingelassen  hatte  2. 

Die  Verleugnung  des  Ansegis  unter  Brief  und  Siegel  war 
die  Ernennung  eines  neuen  päpstlichen  Vicars  noch  bei  Leb- 
zeiten des  alten.  Als  Johann  VIII.  im  Jahre  878  in  Arles 
weilte,  erneuerte  er  die  Hoheitsrechte  des  Arier  Erzbisthums, 
den  Primat  und  Vicariat  über  alle  Kirchen  'que  sub  regno 
Galliarum  sunt',  indem  er  zwei  Briefe  Gregors  des  Grossen 
fast  wörtlich  in  einer  Neuausfertigung  für  den  Erzbischof  Ro- 
staing  bestätigte '.  Aber  den  todten  Formen  sprach  die  leben- 
dige Entmckelung  Hohn;  damit  dass  der  Papst  auch  den  Satz 
Gregors  wieder  aufnahm :  'singulis  .  .  .  metropolitis  secundum 
priscam  consuetudinem  ]>roprio  honore  servato'  *,  zeigte  er, 
dass  das  Ganze  nur  ein  Gastgeschenk  an  seinen  Wirth,  den 
Erzbischof  von  Arles,  war  5,  dass  es  ihm  selbst  nicht  ernstlich 


eisdem  sacris  canonibus  proitiulgata,  domni  lobannis  papae  apostolici 
iussionibus    oboedirent':    Ann.    Bertin.    p.   129.  1)    Wenn    es    auch    im 

siebenten  Capitulum  der  Synodalacten  mit  Beziehung'  auf  den  Vicariat 
des  Ansegis  heisst :  'Nos  unanimiter  omni  devotione  laudamus  et,  ut  ita 
ipse  primatum  teneat  Galliae  et  Germaniae,  decernimus  et  sancimus' 
(MG.  LL.  I,  535),  und  wenn  auch  in  den  Unterschriften  Ansegis  vor 
den  Erzbischöfen  Galliens  unterzeichnet,  so  klärt  uns  Hinkmar  über  den 
Werth  dieser  Capitula  auf,  indem  er  sie  (Ann.  Bertin.  p.  131)  nennt: 
'capitula  a  missis  apostolici  et  ab  Ansigiso  et  eodem  (Belgivagorum  epi- 
scopo)    Odone    sine    conscientia    synodi    dictata'.  2)    Schrörs 

S.  372.  Odorannus  verfälscht  in  seiner  Chronik  die  Primatialangelegen- 
heit,  indem  er  an  die  in  der  vorigen  Anmerkung  aus  den  .Synodalacten 
mitgetheilten  Worte  noch  anhängt  (Migne,  Patrol.  lat.  CXLII,  col.  771): 
'cunctique  successores  eius  in  propria  urbe'.  Es  dürfte  auch 
nichts  als  eine  weitere  Ausspinnung  der  Fälschung  sein,  wenn  er  zum 
Jahre  999  an  die  Nachricht  von  dem  Tode  des  Sewinus  die  Bemerkung 
knüpft:  'Hie  ab  urbe  Roma  per  manum  lobannis  papae  archiepiscopale 
pallium,  quo  antecessores  eius  infulati  sunt,  et  primatum  Galliae 
suseepit',  mag  auch  immer  dieser  Sewinus  die  Synode  in  Reims  991  ge- 
leitet haben  (vgl.  v.  Hefele,  Conciliengesch.  IV^,  638),.  und  ganz  ähnlich 
auch  noch  über  Leothericus  zum  Jahre  1032  berichtet.  3)  J.-E.  3148. 

3149;   Vorlagen  sind   die  Briefe  J.-E.   1374.   1375.  4)   Man  vergleiche 

damit  die  Antwort,  welche  die  Bischöfe  auf  der  Synode  zu  Ponthion  dem 
Kaiser  gaben:  oben  S.  256  Anm.  4.  Auch  Schrörs  S.  421  ist  der  Mei- 
nung, dass  durch  diesen  Vorbehalt  jeder  Erfolg  der  Verfügung  abge- 
schnitten war.  5)  Ich  halte  politische  Beweggründe,  welche  Dümmler 
(HP,  79),  V.  Noorden  (Hinkmar  S.  371)  und  Schrörs  (S.  421)  annehmen 


258  Wilhelm  Gundlach. 

um  die  Erneuerimg  des  Vicariates  zu  thun  war.  Darum  ist 
auch  auf  der  Synode,  welche  unmittelbar  nach  der  Bestätigung 
in  Troyes  zusammentrat,  von  dem  Erzbischof  als  Vicar  mit 
keiner  Silbe  die  Rede:  Rostaing  Avird  zwar  in  den  Acten  ge- 
nannt —  er  bringt  die  immer  häufiger  werdenden  Trans- 
lationen zur  Sprache  — ;  aber  nicht  er,  sondern  Hinkmar  von 
Reims  ist  ohne  Zweifel  die  massgebende  Persönlichkeit  unter 
den  Bischöfen,  da  in  dem  Protocoll  sich  der  Ausdruck  hndet: 
'Hincmarus  Remorum  archiepiscopus  vice  synodi  respondit''; 
darum  ist  auch  nicht  einmal  in  dem  beschränkten  Gebiete  der 
Provence  von  einem  Vorrange  des  Erzbischofs  von  Arles  etwas 
zu  spüren;  denn  als  der  Graf  Boso  in  Mantaille  (870)  zum 
König  erwählt  wurde,  unterzeichnet  nicht  Rostaing  an  erster 
Stelle  das  darüber  noch  erhaltene  Schriftstück  2,  sondern  der 
Erzbischof  Otramnus  von  Vienne ;  als  Boso  dann  in  Lyon  zum 
König  des  Reiches  Arclatc  gekrönt  wurde,  war  es  nicht 
Rostaing,  welcher  die  Handlung  vorzunehmen  hatte,  sondern 
Aurelian  von  Lyon  3;  und  wenn  man  etAva  sich  darauf  stützen 
möchte,  dass  der  Paiist  mit  der  Erhebung  Bosos  nicht  einver- 
standen war-»,  so  stellt  sich  dadurch  doch  die  vSache  für  Arles 
nicht  günstiger;  als  nämlich  im  Jahre  890  mit  Billigung  Roms 
Ludwig,  Bfisos  Sohn,  auf  den  Thron  erhoben  Avurde  —  es 
geschah  auf  der  Synode  zu  Valencc  — ,  war  nicht  Rostaing, 
sondern  wiederum  Aurelian  von  Lyon  die  leitende  Persön- 
lichkeit *. 

Nachdem    die   Arier   Kirche    zwei   Jahrhunderte   hindurch 
bis  in  das  siebente  hinein  den  Primat  in  Gallien  und  daraufhin 


möchten,  für  ausgeschlossen;  denn  Iiätte  Johann  'dem  Grafen  Boso  zu 
Gefallen'  die  Bestätig^ung-  dem  Erzbischof  von  Arles  j^ewährt,  dann  wäre 
doch  wohl  zu  verlangfen,  dass  man  mindestens  in  dem  kleinen  Gebiete 
des  Grafen,  in  der  Provence,  den  Vorran;»  des  Erzbischofs  zum  Ausdruck 
kommen    sähe;    vgl.    darüber    oben.  1)    Mansi    XVII,   346;    auch    die 

Unterschriften  (Mansi  XVII.  App.  p.  187)  eröffnet  Hinkmar,  und  Rostaing 
ist  erst  der  fünfte  unter  den  gallischen  Metropoliten,  v.  Hefele  scheint 
an  der  Wirksamkeit  des  neuen  Arier  Vicariates  festzuhalten ,  wenn  er 
V.  Noorden,  der  S.  358  das  Auftreten  des  Rostaing  auf  der  Synode  be- 
fremdlich findet,  darüber  belehrt  (Conciliengesch.  IV^,  529  Anm.  1), 
'dass  der  Erzbischof  nur  Vorrechte  hatte,  wenn  der  Papst  abwesend 
war,  wie  der  General  vicar  nur  'absente  episcopo'  denselben  vertritt'. 
2)  MG.  LL.  I,  547:  es  muss  allerdings  zugegeben  werden,  dass  die 
Reihenfolge    der    Unterschriften    in    Unordnung    gerathen    ist.  3)   Vgl. 

Dümmler  IIP,   126.  4)  Vgl.  v.  Hefele  IV2,  550.  5)  'Convenimus 

in  civitatem  Valentiam ,  domnus  scilicet  Aurelianus  Lugdunensis  sedis 
archiepiscopus  necnon  et  domnus  Rostagnus  urbis  Arelatensis  archiepi- 
scopus' etc.  (Mansi  XVIII,  95;  vgl.  Dümmler  IIP,  333).  —  Nach  der  oben 
vertretenen  Anschauung  habe  ich  keinen  Anlass,  der  Verwerfung  jenes 
Briefes  zu  widersprechen,  in  welchem  noch  im  zehnten  Jahrhundert 
Johann  XIII.  die  Arier  Kirche  beschützt,  'quae  priucipatum  et  caput 
obtinet  ceterarum   ecclesiarum,  secunda  a  Romana  sede'  (J.-L.  3743). 


Arles  und  Vienne.  259 

auch  den  Vicariat  des  apostolischen  Stuhles  ausgeübt  hatte, 
nachdem  man  im  achten  und  neunten  Jahrhundert  päpsthche 
Vicare  bestellt  oder  zu  bestellen  versucht  hatte,  welchen  damit, 
dass  ihnen  zwar  nur  persönlich,  aber  ausschliesslich  ^  die  Ver- 
tretung Roms  aufgegeben  war,  auch  der  Primat  in  dem  Vica- 
riatsbezirke  —  und  das  war  in  der  Theorie  mindestens  das 
ganze  Gallien  —  zufiel,  war  es  Gregor  VIT.  vorbehalten,  einen 
Vicariat  eigener  Art  auszubilden  und  dadurch  weiterhin  einem 
Primate  neuer  Beschaffenheit,  dem  Theilprimate  in  Gallien, 
zum  Leben  zu  verhelfen. 

Man  kann  die  erwähnten  Aufträge,  Avelche  Gregor  der 
Grosse  dem  Bischof  Syagrius  von  Autun  gab,  als  die  fi'ühe- 
sten  Versuche  des  Papstthums  auffassen,  einen  eingesessenen 
gallischen  Bischof  als  Legaten  des  apostolischen  Stuhles  zu 
verwenden.  Nach  dieser  Zeit  kamen  die  Legaten  immer  mehr 
in  Aufnahme;  es  Avaren  zumeist  einheimische  Geistliche  oder 
Angehörige  der  Römischen  Kirche,  aber  auch  andere,  welche 
gerade  den  Päpsten  durch  ihre  Brauchbarkeit  sich  empfahlen; 
und  sie  wm'den  entweder  mit  einer  einzelnen  Aufgabe  betraut 
oder  erhielten  eine  umfassende  Thätigkeit  unbestimmter  Dauer 
zugewiesen;  wenngleich  auch  die  päpstlichen  Bevollmächtigten 
der  ersten  Art  'vice'  des  apostolischen  Stuhles  zu  Werke 
gingen  ^,  so  kam  ihnen  doch  nur  die  Bezeichnung  'legati'  oder 
'missi'  zu;  'vicarii'  Avurden  in  der  Regel  nur  die  umfassend 
und  dauernd  beschäftigten  Legaten  genannt.  Nachdem  das 
zehnte  Jahrhundert  verhältnismässig  wenig  Beispiele  geliefert 
hatte  3,  kam  das  Legatenwesen  unter  Gregor  VII.  zu  hoher  Ent- 
wickelung:  von  ihm  wurde  der  Bischof  Hugo  von  Die  im 
Jahre  1074  mit  dem  Vicariat  in  Gallien  bewidmet.  Aber  das 
w^ar  nicht  mehr  das  Amt,  welches  Leo  IV.  vor  Augen  hatte, 
als  er  den  um  den  Vicariat  für  Hinkmar  werbenden  Kaiser 
abschlägig  beschied*;  sondern  —  wie  schon  aus*  den  Worten 
hervorgeht,    mit  welchen   Gregor    die   Ernennung    Hugos    der 


1)  Das  wird  durch  die  Beg-ründung-  erwieset],  mit  welcher  Leo  IV. 
die  Bestallung  Hinkmars  zum  Vicar  abweist;  vgl.  oben  S.  255  Anm.  3. 
Dass  noch  zu  Lebzeiten  des  Ansegis  der  Erzbischof  von  Arles  zum  Vicar 
ernannt  wird,  zeigt  schon  das  Auflcommen  einer  neuen  Anschauung. 
2)  So  sagt  Hinkmar  von  den  päpstlichen  Legaten  Johann  von  Toscanella 
und  Johann  von  Arezzo,  welche  den  Ansegis  von  Sens  bei  der  gallischen 
Geistlichkeit  einzuführen  bestimmt  waren,  einmal  (Ann.  Bertin  p.  130): 
'misit  imperator  vicarios  apostolici  increpare  durius  archiepiscopos';  in 
den  Unterschriften  der  Synode  zu  Ponthion  nennt  sich  freilich  nur  An- 
segis 'vicarius',  während  die  beiden  Johann  sich  als  'legati'  bezeichnen 
(MG.  LL.  I,  533).  Umgekehrt  verfährt  Bernhard  von  Pavia  in  seiner 
Summa,  indem  er  (I,  22  ed.  Laspeyres)  bestimmt:  'Legatus  dicitur,  cui 
aliqua  patria  vel  provincia  regenda  committitur,  ut  vice  eins  fungatur, 
a    quo    destinatur'    (nach    Hinschius    I,    512    Anm.    2).  3)    Hinschius 

I,  507;  vgl.  auch  S.  508—513.         4)  Vgl.  oben  S.  255  Anm.   3. 


260  Wilhelm  Gundlach. 

galHcanischen  Geistlichkeit  bekannt  machte  ^  —  der  Papst  be- 
gab sich  keineswegs  des  Rechtes,  neben  diesem  Vicar  auch 
noch  andere  Legaten  in  GaUien  zu  bescliäftigen;  imd  zAvar 
verfuhr  er  dabei  so,  dass  er  ganz  nach  Gutdünken  entweder 
einige  Geschäfte  durch  andere  Vertrauensmänner  selbständig 
regeln  liess^,  oder  für  Aufgaben,  welche  er  seinem  Vicar 
stellte,  ihm  andere  Legaten  beiordnete*.  Es  ist  bei  dieser 
Theilung  der  Gewalt  ohne  weitei'cs  klar,  dass  im  Schatten 
eines  solchen  Vicariates  ein  Primat  nicht  mehr  gedeihen  konnte : 
es  bedurfte  dazu  noch  eines  besonderen  Schöpferwortes  des 
Oberherrn  der  galHcanischen  Kirche. 

Im  Jahre  1079  verlieh  Gregor  Vll.  dem  Erzbischof  Gebuin 
von  Ly(Tn  und  seinen  Nachfolgern  im  Erzbisthum  den  Primat 
in   den   vier  Provinzen  Lyon,  Pouen,  Tours  und  Sens*,   gab 


1)  'Dilectum  filintn  nostrutn,  TTunfonem  Diensem  episcopum,  ob  aec- 
clesiasticae  utilitatis  di  versa  nejrocia  in  Gallias,  vices  nostras  exequu- 
turutn,  mittimus':  J.-L.  4849.  2)  So  träfjt  er  dem  Erzbiscliof  Manasse 

von  Reims  auf,  den  ungfehorsamen  Biscliof  Rof^er  von  Chalons  zum  Ge- 
horsam zu  mahnen  und,  falls  er  halsstarrig  bleibe,  zu  bannen;  'si  vero', 
fährt  er  fort,  'legati  nostri  ad  Galliarum  partes  usque  ad  Kalendas 
Octobris  ieriiit,  ante  praesentiam  illorum  se  paratum  ad  expurgationem 
suam  praesentare  procurct'  f.J.-L.  4937:  1075  März  4),  oder  er  verheisst 
dem  Erzbischof  Rudolf  von  Tours,  welcher  sich  Beschwerde  führend  nach 
Rom  gewandt  hat :  'aut  nosmet  ipsi  ad  vos  transiemus  aut  tales,  qui 
hanc  causam  sincera  exploratione  discutiant  atque  diffiniant,  mittere  pro- 
curabimus'  (J.-L.  5021:  1077  März  1)  —  in  beiden  Fällen  kann  es  sich 
unmöglich  um  Hugo  von  Die  handeln.  Mit  Namen  werden  andere  Le- 
gaten aufgeführt,  indem  Gregor  z.  B.  dem  Bischof  Hugo  von  Die  an- 
weist, 'Robortum  Flandrensem  comitem  ab  Huberte  legato  nostro 
et  Hugone  Lingonensi  episcopo  .  .  .  excommnnicatum'  vom  Banne  zu 
lösen,  falls  er  ungerecht  gebannt  ist  (J.-L.  5086:  1078  November  25), 
oder  indem  er,  .darüber  ungehalten,  dass  Landerich,  Bischof  von  Macon, 
dem  Petrus  von  Albi  'in  confirmatione  privilegiorum  Cluniensis  ecclesiae 
...legationem  nostram  ferenti'  ungehorsam  gewesen,  dem  Bischof 
wie  dem  Abt  von  Clugny  zur  Pflicht  macht,  Frieden  zu  halten,  'donee 
coram  vicario  nostro,  Diensi  episcopo,  huiusmodi  lis  religiosarum  persona- 
nim    consilio    terminetur'  (J.-L.  5182:   1080).  3)    So    kündigt    er    dem 

Könige  Wilhelm  I.  von  England  an,  dass  er  in  der  Angelegenheit  des 
Bischofs  Juhellus  von  Dol  'confratrem  nostrum  Hugonem,  venerabilem 
Diensem  episcopum,  et  dilectum  filium  nostrum  Hubertum,  sanctae  Ro- 
manae  ecclesiae  subdiaconum,  et  ipsum  etiam  Teuzonem  monachum' 
senden  werde  (J.-L.  5027:  1077  März  21),  so  sclireibt  er  an  Hugo  von 
Die  in  der  Angelegenheit  des  Bischofs  Gerhard  von  Kamerich:  'Stude  .  .  ., 
ut  .  .  .  confratrem  nostrum  Lingonensem  episcopum  convenias,  et  com- 
muni  consilio,  ubi  vobis  melius  videbitnr,  synodum  instituite' (J.-L.  5033 : 
1077  Mai  12),  so  fordert  er  endlich  den  Bischof  Rainer  von  Orleans  auf, 
sich  zu  verantworten:  'coram  legatis  nostris,  Hugone  videlicet  episcopo 
Diensi  et  Hugone  abbate  C'Iuniacensi  necnon  et  Rogerio  subdiacono 
nostro'  (J.-L.  5075:  1078  April  24)  u.  s.  w.  4)  Vgl.  Hinschius  I,  599 
und  V.  Hefele- Knöpfler,  Conciliengesch.  V*,  225. 


Arles  lind  Vienne.  261 

sich  aber  den  Anscliein,  als  bestätige  er  nur  eine  Würde,  die 
schon  von  seinen  Vorgängern  den  Lyoner  Metropoliten  über- 
tragen worden  sei',  und  forderte  die  Erzbischöfe  der  drei  be- 
trotfenen  Provinzen  auf,  ihrem  Primas  gehorsam  zu  sein.  Da 
den  drei  Bischöfen  der  Beweis  dafür,  dass  Lyon  in  früheren 
Zeiten  in  ihren  Provinzen  den  Vorrang  besessen  habe,  ebenso 
unerhndlich  sein  mochte,  wie  er  es  heute  noch  ist  2,  so  setzten 
sie  der  päpstlichen  Anordnung  entschiedenen  Widerstand  ent- 
gegen; und  das  Schicksal  auch  dieses  Primates  Aväre  nicht 
zweifelhaft  gewesen,  wenn  nicht  der  thatkräftige  Bischof  Hugo 
von  Die  zum  Erzbischof  von  Lyon  befördert  worden  wäre. 
Im  Jahre  1094  auch  von  Urban  11.  mit  dem  Vicariat  belehnt  3, 
war  er  mit  Eifer  darauf  aus^  die  Macht  seines  Lehnsherrn  zu 
Gunsten  seiner  Kirche  auszubeuten.   Nachdem  seine  Ansprüche 


1)  'dignitatem  ab  antecessoribus  nostris  concessam  ecclesiae,  cui, 
Deo  auctore,  praeesse  dinosceris'  (J.-L.  5125:  1079  April  19);  ähnlich 
wird  von  dem  Primat  als  'per  annorum  longa  curricula'  bestehend  in  J.-L. 
5126    (1079  April  20)    gesprochen.  2)    Hinschius    führt    zwar  (I,  599 

Anm.  9)  —  allerdings  nur  um  die  angesehene  Stellung  des 
Bisthums  zu  belegen  —  nach  dem  Vorgange  de  Marens  an,  dass 
Kaiser  Lothar  L  in  einer  Urkunde  des  Jahres  854  die  Lyoner  Kirche 
'sacra  et  prima  Galliarum  ecclesia'  nennt;  aber  was  will  diese  Bezeich- 
nung in  einer  Kaiserurkunde  besagen!  Und  selbst  wenn  das  Protocoll 
der  894  in  Chälons  gehaltenen  Synode  (Mansi  XVIII,  127),  in  welchem 
der  Erzbischof  von  Lyon  'primas  totius  Galliae'  geheissen  wird,  unantast- 
bar wäre,  so  käme  auch  dieser  Bestimmung  keine  rechtliche  Bedeutung 
zu,  weil  auf  der  Synode  nur  Suffraganbischüfe  Lyons  versammelt  waren, 
welche  ihrem  Metropoliten  diesen  Titel  streitig  zu  machen  sich  nicht 
unterfangen  konnten.  Ueber  die  Berechtigung  des  Lyoner  Primats  dürfte 
man  sich  ernsten  Bedenken  hingeben,  wenn  Gregor  VII.  in  sein  an  die 
Erzbischöfe  gerichtetes  Schreiben  einen  Abschnitt  aus  einem  der  pseudo- 
isidorischen  Briefe  (Hinschius,  Decret.  Pseudo-Isidor.  p.  79.  80)  wörtlich 
übernimmt  und  Urban  II.  gar  die  Unterwerfung  des  Erzbischofs  von  Sens 
fordert,  'quia  et  catalogorum  auctoritas  et  sedis  apostolicae  id  ipsum 
contestabatur  auctoritas'  (J.-L.  5600:  1095  December  1).  Da  de  Marca 
(p.  153)  darauf  aufmerksam  gemacht  hat,  dass  unter  der  'catalogorum 
auctoritas'  der  'catalogus  civitatum'  verstanden  sei,  welcher  in  der  Col- 
lectio  Isidori  dem  Papste  Anaclet  zugeschrieben  werde,  so  habe  ich  da- 
nach gesucht,  aber  das  Städteverzeichnis  selbst  nicht,  sondern  nur  eine 
Stelle  gefunden,  welche  mit  dem  'catalogus'  in  Verbindung  gebracht 
werden  kann.  Es  heisst  nämlich  in  dem  dritten  Briefe  des  Anaclet 
(Hinschius,  Decret.  Pseudo-Isidor.  p.  83),  nachdem  Rom  als  'prima', 
Alexandria  als  'secunda'  und  Antiochia  als  'tertia  sedes'  bezeichnet  ist: 
'Reiiquas  vero,  ut  praediximus,  quodammodo  prolixitatem  vitantes  apo- 
stolice  vobis  conscriptas  diresimus'.  Ich  bedauere  die  Erfolglosigkeit 
meines  Nachforschens  um  so  mehr,  als  der  von  Urban  angeführte  Kechts- 
titel  offenbar  derselbe  ist,  auf  welchen  in  zwei  Vienner  Briefen  (J.-K.  177 
und  J.-L.  5024)  Bezug  genommen  wird;  vgl.  oben  S.   76.  3)  'SoUici- 

tudinis  nostrae  vices  et  agendorum  consiliorum  providentiam  strenuitati 
tuae  pure  simpliciterque  commisimus'  (J.-L.   5523:  1094  Mai  16). 


262  WÜhelm  Gundlact. 

schon  auf  vielen  Provinzialsynoden  behandelt  worden  waren  >, 
wurde  der  Papst  selbst  auf  der  Synode  zu  Clermout  veran- 
lasst, gegen  die  unbotmässigen  Erzbischöfe  von  Sens  und 
Kouen  einzuschreiten :  dem  halsstarrigen  Richer  von  Sens  ward 
der  Gebrauch  des  Palliums  untersagt  und  die  Metropolitan- 
gewalt  entzogen,  und  dem  abwesenden  Erzbischof  von  Ronen 
dieselbe  Straie  augedrolit,  wenn  er  nicht  binnen  drei  j\Ionaten 
nach  Empfang  der  Aufforderung  seine  Unterwerfung  anzeige  *. 
Aber  trotz  aller  Strenge  drang  der  Papst  noch  nicht  durch, 
AVährend  der  Erzbiscliof  von  Ronen  sich  gefügt  zu  haben 
scheint,  war  es  nöthig,  gegen  Richer  von  Sens  noch  zweimal 
die  von  dem  Papste  über  ihn  verhängten  Strafen  zu  wieder- 
holen s.  Und  auch  das  half  schliesslich  nicht;  Richer  starb, 
um  seiner  Aufsessigkeit  willen  mit  dem  Jnterdict  belegt.  Ja 
sein  Naclifolger  Danubert  hatte  nicht  übel  Lust,  seinem  Bei- 
spiel zu  folgen;  bei  ihm  brachte  es  indessen  die  persönliche 
Verwendung  des  Papstes  dahin,  dass  er  endlich  den  Primat 
des  Erzbischofs  von  Lyon  anerkannte*.  Nur  widerwillig  ge- 
horsam und  eifersüchtig  darauf  bedacht,  dass  der  Primas  keine 
Uebergritfe  sich  erlaube,  ist  er  vorzüglich  geeignet^  die  Grenzen 
der  Befugnisse  des  neuen  Primates  kennen  zu  lehren. 

Gregor  VIL  hatte  seiner  Zeit  dem  Erzbisthum  Lyon  die 
PrimatialgCAvalt  über  die  vier  Provinzen  mit  der  jMassgabe  zu- 
gestanden, *ut  hac  vidclicet  provinciae  condignam  oboedientiara 
L.ugdunensi  ecclesiae  exhibeant  et  honorem,  quem  Ronumi 
pontihces  reddendum  esse  scriptis  propriis  praeüxerunt,  humi- 
liter  et  devote  persolvant,  salva  in  omnibus  apostolicae  sedis 
reverentia  et  auctoritate' *.  Als  nmi  der  Erzbischof  Johann 
von  Lyon  im  Jahre  1112  sich  beikommen  liess,  eine  Synode 
nach  Anse  auszuschreiben  —  'de  fide  et  de  investituris  laico- 
rum'  sollte  dort  verhandelt  werden  —  und  auch  den  Erz- 
bischof von  Sens  mit  seinen  Suffraganen  dazu  zu  entbieten, 
Hessen  ihm  diese  eine  von  Ivo  von  Chartres  verfasste  Absage 
zukommen,  in  welcher  sie  ausführten:  'Nusquara  .  .  .  reve- 
renda  patrum  sanxit  auctoritas,  nusquam  hoc  servare  consuevit 
antiquitas,  ut  primae  sedis  episcopus  episcopos  extra  provinciam 
propriam  positos  invitaret  ad  concilium,  nisi  hoc  aut  apostolica 
sedes  imperaret,  aut  una  de  provincialibus  ecclesiis  pro  causis, 
quas  intra  provinciam  terminare  non  poterat,  primae  sedis 
audientiam  appellaret';  sie  stützten  sich  dabei  auf  Entschei- 
dungen des   Clemens  und  Anaclet,  welche   dafür  waren:   'ita 


1)  Urban  nennt  die  Beschwerde  Hugos  'querelam  .  .  .  mnltis  iam 
ante  provincialibus  conciliis  agitatam'  (J.-L.  5600 :  1095  December  1). 
2)  J.-L.  5600.  3)  'Cum  Riclierius  Senonensis  archiepiscopus  synodali 
defiuitioni  minime  acquievisset,  in  Turonensi  pariter  ac  Nemausensi  con- 
cilio  per  tuam  est  industriam  repetita':  Urban  II.  an  Hugo  von  Lyon 
J.-L.  5788:  1099  April  24).         4)  J.-L.  5788.         5)  J.-L.  5125. 


Arles^vind  Vienne.  263 

demum  mdicium  episcoporum  ad  primates  esse  referendura,  si 
ad  eorum  audientiam  fuerit  appellatum'  ^ 

In  dieser  verkümmerten  Befugnis,  welche  also  nur  dem 
Primas  verstattete,  die  Berufung  der  in  seinem  (iebiete  sess- 
hafteu  Bischöfe  anzunehmen,  ward  der  Theilprimat  der  Lyoner 
Kirche  von  Paschal  II.  ^  und  Calixt  II.»  bestätigt  4. 

Nicht  als  Theilprimate,  sondern  als  Theilvicariate  sind  die 
rein  persönlichen  Machtvollkommenheiten  des  Erzbischofs  Bern- 
hard von  Toledo,  soweit  er  für  Gallien  in  Betracht  kommt  5, 
und  des  Bischofs  Girard  von  Angouleme  ^  zu  bezeichnen.  Denn 
wenn  auch  Urban  II.  den  Erzbischof  ßerengar  von  Tarragona 
an  die  ihm  bei  seiner  Erhebung  auferlegte  Bedingung  erin- 
nert: 'ut  tam  tu  quam  universi  provinciae  Tarraconensis  epi- 
scopi  Toletano  tam  quam  primati  debeatis  esse  subiecti',  so 
folgt  doch  bald  die  Begründung:  'quia  ei  nostrae  sollicitudinis 
vices  in  Hispania  universa  et  in  Xarbonensi  provincia  mini- 
strandas  iniunximus'  ^,  und  derselbe  Papst  stellt  denselben 
Erzbischof  Bernhard  von  Toledo  in  einem  andern  Schreiben 
der  Geistlichkeit  in  Spanien  und  der  Provinz  Narbonne  als 
den  Vertreter  des  apostolischen  Stuhles  vor^.  Was  die  Be- 
fugnis des  Bischofs  von  Angouleme  betrifft,  so  verkündet 
Paschal  IL  den  Geistlichen  und  Fürsten  'per  Bituricensem, 
Burdegalensem,  Auscitanam,  Turonensem  ^  atque  Britannicam 
provincias' :  'vices  nostras  fratri  carissimo  Girardo  Engolismensi 
episcopo  commisimus';  in  die  Rechte  des  Vicars  wird  dabei  aus- 
drücklich die  Vollmacht  beschlossen,  die  Bischöfe  des  ihm 
unterstellten   Gebietes    zu   Synoden    zu   berufen  ^o,    und    diese 

1)  Mansi  XXI,  78.  79.  2)  J.-L.  6510:  1116  März  14.  3)  J.-L. 
6888:   1121   Januar  5.  4)  Ueber    die  Ansprüche    der  Erzbischöfe    von 

Bourges  in  früheren  Jahrhunderten  urtheilt  Hinschius  (I,  597)  mit  Recht: 
'Es  wird  sich  zur  Zeit  Nicolaus  I.  wahrscheinlich  nur  um  einen  Versuch 
der  Erzbischöfe,  auf  Grund  der  politischen  Bedeutung  der  Stadt  ihrer 
Kirche  auch  eine  höhere  kirchliche  Stellung  zu  verschaffen,  gehandelt 
haben'.  Die  Zeit,  in  welcher  der  Titel  'primas  Aquitaniae'  der  Wirklich- 
keit entsprach,  ist  in  dieser  Abhandlung  nicht  mehr  beachtet  worden. 
5)  Vgl.  Hinschius  I,  600.  601.  6)  Vgl.  Hinschius  I,  510.  7)  J.-L. 
5465:  1092  April  25.  8)  J.-L.  5643:  1096  April  25.  Als  Urban  den 
zum  Erzbischof  von  Narbonne  beförderten  Bischof  Bertrand  von  Nimes 
in  seiner  neuen  Würde  bestätigte  (J.-L.  5688:  1097  November  6),  sprach 
er  ihm  zugleich  eine  Primatialgewalt  in  der  zweiten  Narbonner  Provinz, 
deren  Vorort  Aix  ist,  zu  (J.-L.  5689.  5690);  aber  dieser  Versuch,  einen 
neuen  Theilprimat  zu  begründen,  scheint  an  dem  Widerstände  des  Erz- 
bischofs von  Aix  zunichte  geworden  zu  sein;  vgl,  Hinschius  I,  600.  601. 
9)  Die  Provinz  Tours  hat  also  zur  Zeit  Paschais  II.  und  Calixts  IL  den 
Erzbischof  von  Lyon  zum  Primas,  dagegen  den  Bischof  von  Angouleme 
zum   Vicar.  10)    'Nee   sollicitudinem ,    fratres    carissimi,    pigeat,    cum 

necessitas  ecclesiasticae  vitilitatis  exegerit,  synodales  cum  eo  celebraro 
conventus,  quos  nimirum  convocandi  nos  ei  vice  nostra  potestatem  indul- 
simus'  (J,-L.  6262:    1110  April  14). 


264  Wilhelm  Gundlach. 

ganze  Bestallung  unter  Bezugnahme  auf  Paschais  Vorgang  von 
Calixt  II.  im  Jahi-e  1120  erneuert  i. 

Die  bis  zum  dritten  Jahrzelmt  des  zwölften  Jahrhunderts 
verfolgte  Entwickelung  des  Primates  in  GaUien  ergiebt  auch 
ihrerseits,  dass  die  Epistolae  Viennenses,  welche  die  Errichtung 
eines  Theilprimates  über  die  sieben  Provinzen  des  südHchen 
Galliens  schon  dem  Papste  Silvester  I.  (J.-K.  177),  dem  An- 
fang des  vierten  Jahrhunderts,  andichten,  frühestens  am  Ende 
des  elften  Jahrhunderts  entstanden  sein  kiinnen,  zu  einer  Zeit, 
in  welcher  zum  ersten  Mal  ein  galhscher  Theilprimat  ins  Leben 
trat.  In  gleicher  Weise  dem  geschichtlichen  Werdegang  Hohn 
sprechend  ist  das  Vorgeben  der  Vienner  Briefe,  als  hätten  die 
Erzbischöfe  von  Viennc  als  Primaten  von  Nicolaus  I.  an  auch 
immer  den  Vicariat  des  apostolischen  Stuhles  besessen;  denn 
obzwar  nur  dreimal,  von  Kicolaus  I.  (J.-E.  2877),  Gregor  VII. 
(J.-L.  5024)  und  Calixt  IL  (J.-L.  G822),  ausdrücklich  die  Ueber- 
tragung  des  Vicariates  gemeldet  wird,  so  tritt  er  doch  stets 
als  die  Krone  aller  Vienner  (Jerechtsame  hervor ^ 5  und  die 
anderen  Bestätigungen  der  erzbischötlichen  Machtvollkonnucn- 
heit  sind  mit  Fleiss  so  allgemein  gehalten'',  dass  damit  jeden- 
falls auch  die  Vertretung  des  apostolischen  Stuhles  angegeben 
werden  soll-*. 

Von  einer  Einzelheit  zu  reden,  so  wh-d  die  letzte  Urkunde 
der  Vienner  Sammlung  dadurch  auch  als  Fidschung  aufgezeigt, 
dass  von  den  acht  Provinzen,  welche  als  Vienner  Vicariatsgebiet 
von  Calixt  IL  bezeichnet  werden,  drei:  Bourges,  Bordeaux  und 
Auch,  unmittelbar  danach  von  demselben  Papste  dem  Bischof 
von  Angouleme  als  Vicariatsbezirk  überwiesen  werden:  eine 
wie  hohe  ^Meinung  man  auch  von  der  Freiheit  der  Päpste 
haben  mag,  mit  ihren  Legaten  zu  schalten,  die  Unmöglichkeit 
dürfte  einleuchtend  sein,  dass  dieselben  Provinzen  am  25.  Fe- 
bruar dem  einen  Vicar  und  am  16.  October  desselben  Jahres 
dem  andern  von  dem  nämlichen  Papste  als  Theile  eines  be- 
schränkten Amtsbereiches   bestätigt  werden.     Da  nun  zu   den 


1)  J.-L.  6865:   1120  October  16.         2)  Vgl.  oben  S.  72.         3)  Vgl. 
oben  S.  76 — 78.  4)   Hugo  von  Flavigny,    dessen  Chronik   die    Beein- 

flussung von  Vienner  Seite  auch  durch  die  Aufnahme  eines  Vienner 
Briefes  (vgl.  oben  S.  12)  verräth,  berichtet  (MG.  SS.  VIII,  356):  'For- 
mosus  vices  suas  Barnoino  Vienuensi  commisit,  qui  fuit  frater  Bosonis 
regis'.  Die  höchste  Vorstellung  von  der  kirchlichen  Bedeutung  der  Stadt 
Vienne  soll  vielleicht  erregt  werden,  wenn  es  in  der  Vorrede  der  an- 
geblich 892  in  Vienne  gehaltenen  Synode  heisst:  'missa  domni  Formosi 
apostolici  congregata  synodo  apud  Viennam,  metropolim  Galliae' 
(Mansi  XVIII,  121)  und  in  der  Vorrede  einer  andern  Vienner  Synode 
des  Jahres  1060  dem  Worte  'Viennae'  der  Satz  angehängt  ist:  'quae 
est  metropolis  Galliae'  (Mansi  XIX,  925). 


Arles  und  Vienne.  265 

gefälschten  angeblich  jüngeren  Stücken  die  älteren  sich  dar- 
stellen wie  die  für  sie  zurecht  gemachte  Ahnenreihe,  so  ist 
auch  diesen  damit  schon  das  Urtheil  gesprochen:  sie  werden 
im  einzelnen  als  Erfindungen  gekennzeichnet  durch  die  gröb- 
liche Unwissenheit,  in  welcher  ihr  Ei'finder  über  die  Entwicke- 
lung  des  Primates  und  Vicariates  in  Gallien  befangen  ist. 

Das  Endergebnis  der  auf  den  Gegensatz  der  Bisthümer 
Arles  und  Vienne  gewandten  Untersuchung  ist  die  Erfahrung, 
dass  zwar  mederholt'  die  Bischöfe  von  Vienne  den  Bischöfen 


1)  Nach  der  Turiner  Synode,  welche  zuerst  mit  dem  Streit  der  beiden 
Bisthümer  'de  primatus  honore',  d.  h.  um  die  Metropolitanhoheit  in  der 
Provinz  sich  zu  befassen  hatte  (vgl.  N.  A.  XIV,  329),  gab  die  durch 
Leo  I.  erfolgte  Erniedrigung  des  Hilarius  von  Arles  (vgl.  N.  A.  XIV,  262 
und  oben  S.  239)  dem  Bischof  von  Vienne  willkommene  Gelegenheit, 
sein  Metropolitangebiet  fast  über  die  ganze  alte  Vienner  Provinz  auszu- 
dehnen :  nur  so  ist  es  zu  verstehen,  wenn  er  sich  beschwerend  Leo  an- 
geht: 'Arelatensem  episcopum  ordinationem  sibi  Vasensis  antistetis  usur- 
passe'  (J.-K.  450)  und  die  Arles  getreuen  Bischöfe  gegen  Vienne  sich 
erklären:  'quae  sibi  nunc  inpudenter  ac  notabiliter  primatus  poscit  in- 
debetos'  ('Memores  quantum').  Die  von  Leo  dann  vorgenommene  Schei- 
dung der  Provinzen  Arles  und  Vienne  hielt  aber  die  Bischöfe  von  Vienne 
nicht  ab,  nach  einer  Vergrösserung  ihres  knapp  bemessenen  Bereiches 
zu  streben;  so  weihte  Mamertus  von  Vienne  im  Jahre  463  in  Die,  einer 
Stadt,  die  seinem  Nebenbuhler  zugefallen  war,  einen  Bischof,  um  sofort 
von  der  Ahndung  ereilt  zu  werden  (J.-K.  556.  557.  55S);  Avitus  wusste 
sogar  bei  Anastasius  II.  eine  von  Symmachus  wieder  beseitigte  Mehrung 
seines  Metropolitangebietes  durchzusetzen  —  Loening  geht  zu  weit  mit 
der  Behauptung  (I,  530):  'Anastasius  II.  hob  die  Entscheidung  Leos 
wieder  auf  und  erkannte  dem  Avitus  als  Metropoliten  der  Provinz  Vienne 
das  Recht  zu,  alle  Bischöfe  derselben  zu  bestätigen  und  zu  weihen';  denn 
Symmachus  sagt  nur  (J.-K.  754):  'inter  Arelatensem  et  Viennensem 
ecclesiam  aliquod  de  ordinandis  episcopis  in  vicinis  civitatibus 
oriri  luctamen,  illa  re  videlicet  faciente,  quod  decessor  noster  sancte 
recordationis  Anastasius  .  .  .  aliqua  contra  veterum  consuetudinem  ius- 
serit  observari'  — ;  und  auch  Pelagius  I.  scheint  auf  einen  Uebergriff  des 
Vienner  Bischofs  anzuspielen,  wenn  er  (J.-K.  941),  durch  eine  Mittheilung 
des  Bischofs  Sapaudus  von  Arles  betroffen,  seiner  Verwunderung  Ausdruck 
leiht,  'qua  ratione  tam  nova  res  fuerit  usurpata',  und  dem  Sapaudus 
empfiehlt,  für  einen  Sachwalter  zu  sorgen,  falls  etwa  der  Usurpator  den 
apostolischen  Stuhl  für  sich  anrufen  sollte;  ja  noch  am  Ende  des  achten 
Jahrhunderts  hatte  die  Frankfurter  Synode  den  von  neuem  sich  erheben- 
den Streit  der  Erzbischöfe  von  Arles  und  Vienne  um  die  ihnen  zustehen- 
den Suffragane  zu  schlichten  (vgl.  N.  A.  XIV,  330).  Gerade  auf  dem 
Gebiete  der  Metropolitanhoheit  scheint  dann  auch  das  grossartige  Fäl- 
schungswerk der  Epistolae  Viennenses  dem  Erzbisthum  den  einzigen  greif- 
baren Vortheil  eingetragen  zu  haben;  denn  die  Notitia  Coelestini,  welche 
in  der  ersten  Hälfte  des  dreizehnten  Jahrhunderts  angefertigt  ist  (vgl. 
Neher,  Kirchliche  Geographie  und  Statistik,  Erste  Abtheilung  I,  551), 
zählt  als  Suffraganbisthümer  Viennes:  Valence,  Viviers,  Die,  Grenoble, 
Maurienne  und  Geneve  auf  (ebenda  S.  483)  —  also  wirklich  auch  jene 
drei  (Die,  Viviers,  zuvor  dem  Bisthum  Arles  unterworfen,  und  Maurienne; 
Noues  Archiv  etc.    XV.  18 


266  Wilhelm  Gundlach. 

von  Arles  Theile  des  Metropolitangebietes  streitig  gemacht 
haben,  dass  aber  um  den  Primat  in  Crallien  —  wenn  man  den 
Anspruch  des  Desiderius  von  Vienne  auf  das  PaUium»  ausser 
Acht  lässt  —  niemals  zwischen  beiden  Bisthümern  ein  Kampf 
stattgefunden  hat. 

S  c  h  1  u  s  s. 

Die  Bedeutung*  der  Epistolae  Arelatenses. 

In  der  angestelken  Prüfung  ist  die  Arier  ßriefsammlung 
als  eine  lautere  Quelle  erfunden  Avorden;  ihi-e  Bedeutung  für 
die  allgemeine  Geschichte  und  die  Geschichte  des  fränkisch- 
deutschen Reiches  klar  zu  stellen,  dazu  möchte  ich  mir  noch 
wenige  Worte  erlauben. 

Nachdem  im  Jahre  343  das  Concil  von  Sardica  den  Be- 
schluss  gefasst  hatte,  dass  ein  seines  Amtes  entsetzter  Bischof 
von  der  Provinzialsynode  an  den  römischen  Bischof  Berufung 
einlegen  dürfe,  um  von  ihm  die  Wiederaufnahme  des  Verfah- 
rens vor  einer  andern  Synode  zu  erreichen  2,  und  das  zweite 
ökumenische  Concil  von  Constantinopel  im  Jahre  381  den 
Vorrang  Roms  im  Abendlande  durch  den  dritten  seiner  Sätze 
angenommen  hatte ',  nachdem  in  Gallien  selbst  schon  die  erste 
Arier  Synode  des  Jahres  314  dafür  ins  Mittel  sich  gelegt  hatte, 
indem  sie  bestimmte,  dass  überall  auf  Erden  das  Osterfest 
an  demselben  Tage  nach  Römischer  Weismig  gefeiert  wer- 
den sollte*,  trat  Innocenz  I.  in  seinen  Briefen  an  Victricius 
von  Ronen  (J.-K.  286)  und  Exsuperius  von  Toulouse  (J.-K. 
293)  ort'en  mit  dem  Anspruch  hervor,  auch  in  Gallien  die 
Obmacht  Roms  anerkannt  zu  wissen '.  Aber  es  fehlte  viel, 
dass  das  Ansehen,  welches  Rom  genoss,  um  dessentwiUen  man 
sich  gern  in  schwierigen  kirchlichen  Fragen  bei  dem  römi- 
schen Bischof  Auskunft  holte,  sich  in  eine  Herrschaft  hätte 
umsetzen  sollen,  der  jedermann  gehorsam  war.  So  stand  es 
zu  Anfang  des  fünften  Jahrhunderts,  als  Zosimus  jenen  Bund 
mit  dem  Bischof  von  Arles  einging,  von  welchem  die  ältesten 
Briefe  der  Arier  Sammlung  Kunde  geben:  dass  der  Papst  dem 
Bischof  einen  Primat  gründe  und  aufrecht  erhalte,  und  der 
Bischof  sich  und  dem  Papste  die  gallicanische  Kii-che  unter- 


vg\.  oben  S.  63  Anm.),  um  welche  in  den  Vienner  Briefen  die  Zahl  der 
wahren  Vienner  Suffraganbisthümer  vermehrt  worden  ist  (vgl.  oben  S.  75 
Anm.  1),  und  ein  anderer  Anlass  für  diese  Erwerbung  als  die  gefälschte 
Urkunde  Calixts  II.  (J.-L.  6822),  gleichsam  der  letzte  Spross  einer  trüg- 
lich  bis  in  die  fernste  Vergangenheit  hinaufgeführten  Sippe,  dürfte  nicht 
aufzufinden    sein.  1)    Vgl.    oben    S.    248.  2)    Mansi    III,    7;    vgl. 

Loening  I,  452  —  454.  3)  Mansi  III,  559.         4)  Mansi  II,  471;  vgl. 

V.  Hefele,  Conciliengesch.  P,  205.         5)  Vgl.  Loening  I,  460—462. 


Arles  und  Vienne.  267 

werfe.  Da  beide  Parteien  sich  wohl  auf  ihren  Vortheil  ver- 
standen und,  abgesehen  von  dem  bald  wieder  ausgeglichenen 
Zerwürfnis,  welches  Leo  den  Grossen  mit  Hilarius  von  Arles 
so  hart  aneinander  brachte,  im  Einvernehmen  blieben,  wurde 
in  der  That,  Avie  die  Epistolae  Arelatenses  bezeugen,  der  Zweck 
des  Primates  erreicht:  'Die  oberste  richterliche  und  Gesetz- 
gebungsgewalt des  Papstes  wurde  im  fünften  Jahi'hundert  in 
Gallien  nicht  mehr  bestritten'  i.  Als  dann  die  Merowinger 
das  galHsche  Land  eroberten,  trat  eine  Wandelung  in  dem 
Verhältnis  des  Papstes  zur  gallicanischen  Kirche  ein.  'Die 
wichtigste  Veränderung,  welche  das  Kirchenrecht  infolge  der 
Gründung  des  fränkischen  Staates  erfuhr,  bestand  darin,  so 
lehrt  Loening  (II,  62),  'dass  die  Kirche  der  unmittelbaren 
Einwirkung  des  Papstes  entzogen  wurde  und  sie  aus  der  voll- 
ständigen Unterordnung  unter  den  römischen  Stuhl,  in  welche 
sie  im  Laufe  des  fünften  Jahrhunderts  gerathen  war,  heraus- 
trat: ohne  dass  das  Band,  welches  die  Kirchen  des  Abendlandes 
mit  Rom  verknüpfte,  völlig  gelöst  worden  wäre,  wurde  doch 
dem  Papste  die  Befugnis  entzogen,  in  die  inneren  ^'Verhältnisse 
der  gallischen  Kirche  einzugreifen.  Unter  diesen  Umständen 
musste  der  Papst  besonderen  Anlass  haben,  seine  Verbindung 
mit  dem  gallischen  Primas  nur  noch  enger  zu  gestalten,  um 
durch  ihn  gewissermassen  in  den  fränkischen  Reichsverband 
einzutreten;  und  sicherlich  ist  es  kein  Zufall,  dass  der  erste 
in  den  Arier  Briefen  genannte  Papst,  welcher  mit  einem  Mero- 
winger in  Berührung  kam,  Vigilius,  dem  Bischof  von  Arles 
die  'vices'  des  apostolischen  Stuhles  übertrugt.  Vigilius  ist  es 
auch,  von  welchem  eine  ausdrückliche  Würdigung  der  von 
dem  Bischof  von  Arles  zu  Gunsten  Roms  entwickelten  Thätig- 
keit  verlautet ;  er  verheisst  nämlich  ^  dem  neu  bestellten  Bischof 
Auxanius,  welcher  um  eine  Bestätigung  der  Vorrechte  seiner 
Kirche  nachgesucht  hatte,  nur  für  den  Fall  eine  Erfüllung 
seiner  Bitte,   dass  er  in  aUen  Stücken  seinem  Vorfahr  Caesa- 


1)  In  diesem  Endurtheil  bin  ich  mit  Loening  (I,  492)  vollkommen 
einverstanden,  aber  nicht  in  der  Erklärung,  wie  die  Anerkennung  Roms 
zu  Stande  gebracht  worden  ist;  nicht  indem  Leo  den  Trotz  des  Hilarius 
brach  —  was  gar  nicht  der  Fall  war  — ,  sondern  indem  er  nach  dem 
Tode  des  Hilarius  mit  dem  Arier  Primas  einen  Ausgleich  suchte,  hatte 
er  Erfolg.  Ausserdem  scheint  mir  die  Meinung  Loenings,  welcher  der 
von  Leo  gegen  Hilarius  erwirkten  Verfügung  des  Theodosius  und  Valen- 
tinian  einen  viel  zu  hohen  Werth  beilegt,  (I,  492) :  'So  war  die  gallische 
Kirche  mit  Hülfe  der  Staatsgewalt  und  durch  kaiserliches  Gesetz  dahin 
gebracht,  die  kirchliche  Obergewalt  des  Bischofs  von  Rom  anzuerkennen', 
in  Widerspruch  zu  stehen  mit  dem,  was  er  S.  487  einräumt:  'Allerdings 
war  die  Schwäche  der  Reichsregierung  nicht  im  Stande,  in  allen  schon 
von  Barbaren  überschwemmten  Provinzen  des  Reiches  das  Gesetz  auch 
zur  Ausführung    zu   bringen'.  2)  J.-K.  914:  545  Mai  22.  3)  J.-K. 

912:  543  October  18. 

18* 


268  Wilhelm  aundlach. 

rius  nacheifere  und  sich  auch  als  einen  getreuen  Parteigänger 
des  apostolischen  Stuhles  erweise  •.  In  welcher  Ai't  aber  der 
von  Vigilius  gefeierte  Caesarius  zu  Werke  gegangen  war,  mag 
man  an  einem  einzigen  Beispiele  ermessen.  Die  unter  dem 
Vorsitz  des  genannten  Bischofs  abgehaltene  dritte  Synode  zu 
Vaison  hat  unter  anderen  Bestimmungen,  welche  nach  römi- 
schem Vorbilde  eine  einheitliche  Ordnung  des  Gottesdienstes 
anstreben 2j  auch  folgende  Verfügung  getroffen:  'Et  hoc  nobis 
iustum  visum  est,  ut  nomen  domini  papae,  quicumque 
sedi  apostolicae  praefuerit,  in  nostris  ecclesiis  recitetur''. 
Wenn  man  nach  diesem  einen  Belege  das  Vorgehen  des  Bischofs 
von  Arles  sich  vorstellt,  dann  begreift  man  in  der  Tliat  die 
Gunst,  Avelche  ihm  der  apostolische  Stuhl  zuwandte,  dann  ist 
fürwahr  nicht  umsonst  gerade  Caesarius  von  Arles  als  der  erste 
abendländische  Bischof  dui'ch  die  Palliumverleihung  ausge- 
zeichnet worden. 

Dass  die  Mühe  der  Arier  Primaten  keine  geringe  war, 
die  gallicanischen  Bischöfe  gegen  ihre  Thätigkeit  sich  nur  zu 
oft  spröde  verhielten,  dafür  ist  der  fromme,  d.  h.  vor  allen 
Dingen  kirchlich  gesinnte  Bischof  Gregor  von  Tours  ein  un- 
verwerflicher Zeuge,  indem  er  in  seiner  Ilistoria  Francorum 
vornelimlich  die  p]ntwickehmg  der  gallischen  Kirche  von  ihrem 
Ursprung  an  behandelt  und  als  aufmerksamer  Zeitgenosse  bis 
auf  das  erste  Jahr  des  Papstes  Gregor  des  Grossen  fortführt. 

Im  ersten  Kapitel  des  zweiten  Buches  •*  wird  von  Bricius, 
dem  Nachfolger  des  heiligen  Martin  auf  dem  Bischofstuhl  von 
Tours,  erzählt,  dass  er  von  den  Einwohnern  seiner  Stadt  ver- 
trieben wurde  und,  um  eine  Wiedereinsetzung  zu  erlangen, 
sich  nach  Rom   an  den  Papst  wandte.     Aber   so  wenig  küm- 


1)  'Si  .  .  .  decessoris  tui  ill;i,  quae  a  sede  apostolica  de  funda- 
mento  petrae  dominicae  doctrinae  bona  suscipiens  actibus  exequavit, 
imitare  volueris  et  a  sedis  apostolicae  in  nulle  deviaveris  constitutis, 
sicut  scriptum  est,  coronam  sino  dubitatione  percipies,  quam  dedit  Deus 
diligentibus  se'  etc.  2)  Canon  III:    'Et  quia  tarn    in    sede  aposto- 

lica quam  etiam  per  totas  orientales  atque  Italiae  provincias  dulcis  et 
nimium  salutaris  consuetudo  est  intromissa,  ut  Kyrie  eleison  frequen- 
tius  cum  grandi  afifectu  et  compunctione  dicatur,  placuit  etiam  nobis,  ut 
in  Omnibus  ecclesiis  nostris  ista  tarn  sancta  consuetudo  .  .  ,  in- 
tromittatur  .  .  .'  Canon  V:  'Et  quia  non  solum  in  sede  apostolica, 
sed  etiam  per  totum  orientem  et  totam  Africam  vel  Italiam  ...  in 
Omnibus  clausulis  post  'Gloria':  'Sicut  erat  in  principio'  dicitur,  etiam  et 
nos  in  universis  ecclesiis  nostris  hoc  ita  dicendum  esse  decerni- 
mus'  (Mansi  VIII,  727).  3)  Canon  IV.  (Mansi  VIII,  727).  Die  Ehrerbie- 
tung-, zu  welcher  Caesarius  seine  Suflfraganbischöfe  Rom  gegenüber  an- 
hielt, kann  man  auch  aus  der  Form  herauslesen,  in  welcher  Contumeliosus 
seine  Unterschrift  giebt:  'Contumeliosus  ita  consensi  in  omnibus,  ut,  cum 
sanctus  papa  Urbis  suam  oblatam  dederit,  recitemus  ante  altarium  Domini'. 
Ueber  die  Synode  vgl.  auch  Loening  I,  544.         4)  VgL  auch  X,  31, 


Arles  und  Vienne.  269 

merte  das  die  Widersacher  des  Vertriebenen,  dass  sie  ihm 
sofort  einen  Nachfolger  gaben  und,  als  dieser  bald  darauf 
starb,  abermals  'in  sua  malitia  perdurantes'  den  Bischofstuhl 
besetzten.  Bricius  dagegen,  so  berichtet  Gregor,  'kam  nach 
Eom,  erzählte  alles  dem  Papste,  was  er  erduldet  hatte,  wohnte 
beim  Stuhle  der  heiligen  Apostel,  sang  dort  unablässig  die 
Messe  und  beweinte  alles,  was  er  gegen  den  Heiligen  Gottes 
gefehlt  hatte' 1  —  und  das  that  er  sechs  lange  Jahre  hindurch; 
denn  erst  im  siebenten  Jahre  kehrte  er  zurück,  imd  obwohl 
versehen  'cum  auctoritate  papae  illius',  verdankte  er  seine 
Wiederaufnahme  doch  nm',  me  es  scheint,  dem  Umstände, 
dass  der  Bischof  von  Tours  gerade  bei  seiner  Ankunft  ge- 
storben war  2. 

Mag  nun  diese  Erzählung  richtig  sein  oder  nicht,  so  viel 
ist  mit  Sicherheit  aus  ihr  zu  entnehmen,  dass  Gregor  von 
Tours  in  der  Zeit  seines  Vorgängers  Bricius  —  er  gehört  dem 
Ende  des  vierten  und  der  ersten  Hälfte  des  fünften  Jahrhun- 
derts an  —  einen  Machtspruch  des  Römischen  Bischofs  für 
eine  gallische  Kirche  nicht  als  verbindlich  hinstellen  konnte 
oder  wollte. 

Das  zweite  hier  anzuführende  Beispiel'  gehört  in  eine 
Zeit,  welche  nur  zwei  oder  drei  Jahrzehnte  vor  dem  Papst- 
thum  des  ersten  Gregor  liegt*. 

Die  Bischöfe  Salunius  von  Embrun  und  Sagittarius  von 
Gap,  so  erzählt  Gregor  von  Tours  (V,  20),  waren  von  einer 
in  Lyon  zusammenberufenen  Synode  ihrer  bischöflichen  Würde 
entkleidet  worden.  Beschwerde  führend  gingen  sie  ilu'en  König 
Guntram  an  und  erlangten  von  ihm  die  Erlaubnis,  nach  Rom 
zu  ziehen,  um  vom  Papste  die  Aufhebung  ihrer  Verurtheilung 
zu  erwirken.  Der  Papst  —  Johann  HI.  war  es  —  verfügte 
in  der  That  in  seinem  an  den  König  gerichteten  Schreiben, 
dass  Salunius  und  Sagittarius  wieder  in  ihrer  bischöflichen 
Würde  herzustellen  seien,  und  König  Guntram  gab  dieser 
Weisung  Folge.  'Dies  ist  der  einzige  bei  Gregor  vorkom- 
mende. Fall',  bemerkt  W.  von  Giesebrecht  dazu  5,  'dass  von 
der  Entscheidung  einer  Synode  an  den  römischen  Papst  appel- 
liert wird;  dass  diese  Berufung  durch  den  König  geht  und 
durch  ihn  auch  nur  die  Entscheidung  des  Papstes  zur  Geltung 
kommt,  geht  aus  der  Erzählung  selbst  hervor.  Als  die  Bischöfe 
später  durch  eine  zweite  Synode  abgesetzt  wurden,  ist  deshalb 


1)  W.  V.  Giesebrecht,  Zehn  Bücher  fränkischer  Geschichte  I^,  46. 
2)  Vgl.  Loening  I,  464.  3)  Sonst  haben  wir  nur  noch  Angaben,  welche 
der  Heiliglieit  der  ewigen  Stadt,  der  Wunderkraft  ihrer  Apostelgräber 
gelten,  wenn  z.  B.  (VI,  6  und  X,  1)  Geistliche  nach  Rom  gesandt  wer- 
den, um  Reliquien  zu  holen.  4)  Loening  handelt  davon  II,  84.  85. 
5)  Ä.  a.  O.  12,  257  Anm. 


270  Wilhelm  Gundlach. 

von  einer  abermaligen  Appellation  an  den  römischen  Papst 
gar  keine  Rede  mehr'. 

Da  die  Bricius- Angelegenheit  vielleicht  in  die  Zeit  des 
zu  Rom  in  Gegensatz  gerathenen  Hilarius  von  Arles  föUt,  die 
Lyoner  Synode  aber,  welche  Salunius  und  Sagittarius  verur- 
theilt,  die  des  Jahres  567  ist,  in  welchem,  wie  N.  A.  XIV,  342 
erAvähnt  ist,  sich  nicht  feststellen  lässt,  dass  Guntrara  der 
Landesherr  des  Bischofs  von  Arles  ist,  so  kann  man  in  beiden 
Fällen  ein  Eingreifen  des  galhschen  Primas  nicht  erwarten; 
beide  Beispiele  dienen  nur  dazu,  die  wenig  günstige  Haltung 
der  gallicanischen  Kirche  dem  römischen  Bischof  gegenüber 
zu  erläutern. 

Eine  weitere  Bestätigung  dafür  liefert  noch  ein  unschein- 
barer Vorgang,  liefern  die  Worte,  welche  bei  der  Begegnung 
eines  Boten  des  Bischofs  von  Bordeaux  mit  König  Charibert 
gewechselt  worden.  In  der  Historia  Francorum  (IV,  26)  ^  er- 
öffnet der  Bote  das  Zwiegespräch  mit  den  Worten:  'Sei  ge- 
grüsst,  ruhmreicher  König,  der  apostolische  Stuhl  entbietet 
Deiner  Herrlichkeit  den  reichsten  Segenswunsch'  f'Sedis  enim 
apostolica  eminentiae  tuae  salutem  mittit  uberrimam').  Da 
sagte  der  König:  'Bist  Du  etwa  nach  Rom  gereist,  dass  Du 
mir  einen  Gruss  vom  Papste  zu  Rom  bringst?'  'Nein',  sagte 
der  Priester,  'Leontius  [der  Bischof  von  Bordeaux]  entbietet 
mit  seinen  Mitbischöfen  Dir  den  Vatergruss'  u.  s.  w.». 

Selbst  das  noch  in  solchen  Aeusserlichkeiten  hervor- 
brechende Selbstgefühl  der  gallisclien  Bischöfe  lässt  auf  die 
Schwere  des  Kampfes  schliessen,  den  die  Bischöfe  von  Arles 
zu  führen  hatten;  dass  sie  ihn  siegreich  bestanden,  dass  sie 
eine  A\'irksamkeit  weltgeschichtlicher  Bedeutung  entfaltet  haben, 
indem  sie  die  Macht  des  Papstthums  in  die  gallicanische  Kirche 
einfühi-ten  und  in  ihr  heimisch  machten,  dafür  sind  die  Epi- 
stolae  Arelatenses  ein  sprechendes  Denkmal. 

Aber  auch  für  die  fränkisch  -  deutsche  Geschichte  haben 
sie  einen  hohen  Werth. 


1)  W.  V.  Giesebrecht    a.  a.  O.  I',  180.  2)   Die  Wörter   'aposto- 

latus'  und  'apostolicus',  auf  gallische  Bischöfe  angewendet,  finden  sich 
auch  sonst  noch  gelegentlich  in  den  uns  erhaltenen  Briefsammlungen;  so 
in  den  Briefen  des  Sidonius  (vgl.  den  Index  MG.  Auctt.  antiquiss. 
VIII,  453),  des  Faustus  (ibidem  p.  270.  273.  274.  291.  317.  326  u.  s.  w.), 
des  Avitus  (z.  B.  Auctt.  antiquiss.  VI,  ii,  89),  in  den  prosaischen  Briefen 
des  Fortunatus  (Auctt.  antiquiss.  IV,  i,  1.  49.  52.  101.  107.  112.  293; 
IV,  II,  27.  49),  in  den  austrasischen  Briefen  (z.  B.  Ep.  VI.  XXI)  und  in 
den  Briefen  des  Desiderius  von  Cahors,  der  sich  selbst  'servus  servorum 
Dei'  nennt  (I,  4.  5.  10.  12.  15  —  nicht  wie  in  den  bisherigen  Ausgaben 
'peccator'  —  II,  8  ;  auch  Elegius  von  Noyon  bezeichnet  sich  II,  6  so), 
nämlich  in  I,  11.  13;  II,  3.  5.  6.  7.  9.  13.  15.  16.  17.  20.  Ganz  ge- 
wöhnlich ist  bekanntlich  in  den  merowingischen  Diplomen  'apostolicus 
vir  et  pater  noster'  die  Bezeichnung  eines  fränkischen  Bischofs. 


Arles  und  Vienne.  271 

Die  Arier  ßriefsammlung  ist  unter  allen  diejenige,  welche, 
auch  nur  äusserlich  betrachtet,  aus  der  Zeit  der  römischen 
Kaiser  in  die  Zeit  der  MeroAvingischen  Könige  hinüberführt; 
indem  am  Anfang  ein  Schriftstück  der  noch  in  Gallien  herr- 
schenden Kaiser  Honorius  und  Theodosius  II.  dargeboten  wird, 
dann  aber  Briefe  mitgetheilt  werden,  in  welchen  die  Könige 
Theodebert  I.  und  Childebert  I.  theils  erwähnt,  theils  als 
Empfänger  angegeben  sind  i,  eröffnen  unverkennbar  die  Epi- 
stolae  Arelatenses  die  Reihe  der  für  die  fränkische  Geschiente 
in  Betracht  kommenden  Briefe. 

Und  noch  eine  innere  Beziehung  auf  die  deutsche  Ge- 
schichte ist  ersichtlich. 

Man  hat  bisher  stets  den  ersten  Erzbischof  von  Mainz, 
Winfried-Bonifatius,  als  den  ersten  Primas  der  später  deutschen 
Gebiete  bezeichnet,  indem  man  lediglich  die  zusammenhängende 
Entwickelung  der  päpstlichen  Macht  in  Deutschland  von  unseren 
Tagen  bis  auf  ihre  Anfänge  zurückverfolgte.  Nicht  gesehen  hat 
man  dabei  immer 2,  dass  es  schon  vor  Winfried-Bonifatius 
Primaten  des  austrasischen  Reiches,  also  auch  der  Rheinlande, 
des  eigentlichen  Bereiches  des  Bonifatius,  gegeben  hat  eben  in 
den  Bischöfen  von  Arles,  da  ihnen  von  den  Päpsten  als  Pri- 
matialgebiet  auch  das  austrasische  Reich  zugewiesen  worden 
ist.  Es  ist  Zeit,  dass  diese  aus  den  Epistolae  Arelatenses  zu 
entnehmende  Thatsache  anerkannt  werde,  wenn  nicht  heute 
noch  verstärkt  der  Vor-wTirf  Geltung  haben  soll,  den  Eriedrich 
der  Grosse  gegen  den  Geschichtsforscher  seiner  Tage  erhoben 
hat  in  dem  Urtheil:  'Bei  Ereignissen,  die  Folgen  gehabt  haben, 
wird  er  weit  umständlicher  verweilen,  als  bei  solchen,  welche 
sozusa^-en  ohne  Nachkommenschaft  verbHchen  sind '3. 


1)  Von  Theoderich  I.  handelt  in  einem  Briefe  Vigilius  (J.-K.  906), 
von  Childebert  I.  der  nämliche  Papst  in  fünf  Schreiben  (J.-K.  913.  914. 
918.  919.  925);  Papst  Pelag-ius  erwähnt  den  zuletzt  angeführten  König 
in  drei  Briefen  (J.-K.  941.  943.  947)  und  widmet  ihm  unmittelbar  vier 
Schreiben  (J.-K,  942.  945.  946.  948).  2)  In  keiner  'Kirchengeschichte 

Deutschlands'  habe  ich  davon  ein  Wort  gefunden  —  nicht  bei  Rettberg 
(Göttingen  1846),  nicht  bei  Friedrich  (Bamberg  1867.  1869)  und  auch 
nicht    bei    Hauck    (Leipzig    1887).  3)    'De    la    litterature    allemande' 

(Deutsche  Litteraturdenkmale  des  18.  und  19.  Jahrhunderts  XVI)  p.  28. 


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Arles  und  Vienne.         '  275 

n. 

Ueber  die  Unterschriften  in  den  Acten  gallischer 

Synoden. 

Die  Verwerthung  der  Unterschriften,  welche  in  den  Acten 
gallischer  Synoden  sich  finden,  zu  Folgerungen,  welche  den 
Rang  der  auf  den  Synoden  anwesenden  Bischöfe  angehen,  hat 
zur  unerlässlichen  Voraussetzung,  dass  die  Reihenfolge  der 
Unterschriften  durch  Gesetze  geregelt  war.  So  unverbrüchlich 
ich  sie  nennen  möchte,  man  hat  bisher  diese  Auffassung  sich 
doch  nur  mit  dem  Vorbehalt  zu  eigen  gemacht,  dass  im  ein- 
zelnen häufig  Abweichungen  eintreten.  Darum  fällt  mir  die 
Aufgabe  zu,  gegen  diesen  Vorbehalt  die  Ordnung,  nach  welcher 
die  Unterzeichnungen  abgegeben  Avurden,  zu  entwickeln  und 
—  wenigstens  an  einigen  Beispielen  —  die  Störungen  zu  er- 
klären. 

Die  Meinung,  zu  welcher  Friedrich  bei  der  Besprechung 
der  Synode  von  Paris  (V)  sich  bekennt  (Drei  unedierte  Concilien 
S.  17),  lässt  sich  mit  seinen  eigenen  Worten  also  wiedergeben: 

'Die  Metropoliten  des  Frankenreichs  stehen  meistens  an 
der  Spitze  der  Synodalunterschriften.  .  .  Es  entgeht  mir  zwar 
nicht,  dass  mitunter  eine  kleine  Unordnung  in  den  Subscriptionen 
vorkomme,  manchmal  Erzbischöfe  nach  Bischöfen  unterzeich- 
neten; allein  es  geschah  nur  ausnahmsweise.  An  der  Schwelle 
des  neuen  Jahrhunderts,  noch  im  Jahre  599,  hatte  ja  Papst 
Gregor  der  Grosse  in  einem  Briefe  an  Syagrius  von  Augusto- 
dunum  ausdrücklich  alle  Unordnungen  in  den  Unterschriften 
der  Concilien  verboten :  von  nun  an  sollte  eine  Ordnung  inne- 
gehalten werden,  einerseits  nach  dem  Vorrange  der  einzelnen 
Kirchen,  andererseits  nach  dem  Weihealter' i. 

Indem  sich  Friedrich  diese  Verfügung  für  die  Erläuterung 
der  Pariser  Synode  zu  nutze  macht,  aber  nur  zu  bald  ein- 
sehen muss,  dass  damit  allein  nicht  auszukommen  ist,  weist  er 
noch  auf  andere  Gesichtspunkte  hin,  unter  welchen  die  Unter- 
schriften geordnet  sein  könnten :  nach  dem  Metropolitanverband, 
nach  dem  Lebensalter  und  nach  dem  Alter  der  Bisthümer,  um 


1)  Die  Meinung  Loenings  in  dieser  Frage  lautet  folgendermassen 
(II,  143):  'Was  den  Vorsitz  auf  den  National-  und  Particularconcilien 
betriflft,  so  wurde  derselbe  immer  von  einem  der  Metropoliten  geführt; 
jedoch  scheint  keine  feste  Regel  darüber  bestanden  zu  haben,  welchem 
der  auf  dem  Concil  anwesenden  Metropoliten  der  Vorsitz  zukomme:  weder 
der  Metropolit,  zu  dessen  Verband  der  Versammlungsort  des  Concils  ge- 
hörte, noch  der  Metropolit,  in  dessen  Bisthum  (Erzdiöcese)  das  Concil 
zusammentrat,  hatten  ein  Recht  darauf,  noch  gab  das  Ordinationsalter, 
welches  nach  der  Vorschrift  Papst  Gregors  des  Grossen  die  Rangordnung 
der  Bischöfe  auf  dem  Provinzialconcil  bestimmen  sollte,  einen  solchen 
Anspruch'. 


276  Wilhelm  Gundlach. 

schliesslich,  da  auch  das  nicht  aushilft,  zuzugeben,  dass  über- 
haupt kein  planmässiges  Verfahren  zu  entdecken  sei. 

Wenn  es  richtig  wäre,  was  Friedrich  lobend  zugesteht, 
dass  Garns  bei  den  spanischen  Bischöfen  auf  den  Synoden  von 
Elvira,  Arles  und  Sardica  eine  Anordnung  nach  dem  Alter 
ihrer  Bischofsitze  nachgewiesen  hätte',  dann  müsste  diesem 
Grundsatz  eine  ernste  Würdigung  gewidmet  werden.  Wer 
aber  den  Auseinandersetzungen  des  von  Friedrich  aufgerufenen 
Gewährsmannes  folgt,  der  wird  wahrnehmen,  dass  der  ver- 
meinthche  Nachweis  auf  die  dürftigen  und  unzuverlässigen  An- 
gaben über  die  Stiftung  der  ältesten  Kü'chen,  auf  überaus 
deutungsfähige  Legenden  sich  gründet,  also  schliesslich  nur  die 
willkürlichen  Annahmen  des  Beweisenden  zur  Unterlage  hat  — 
eine  Wahrnehmung,  welche  um  so  weniger  zu  einer  Zustim- 
mung geneigt  machen  dürfte,  als  Gams,  Avelcher  eingestandener- 
massen  selbst  früher  eine  Ordnung  nach  dem  Ordinationsalter 
annahm  und  die  Abweichungen  davon  ungenauer  Ueberlieferung 
zuschrieb,  mindestens  von  einer  Liste  der  in  Sardica  an- 
wesenden Bischöfe  auch  bei  seiner  geänderten  Ansicht  noch 
zugiebt  (S.  182),  dass  die  Bischöfe  wahrscheinlich  nach  dem 
Alter  ihrer  Ordination  imterschrieben.  Ist  also  in  Ansehung 
besonderer  Verhältnisse  die  Wirksamkeit  des  auf  das  Grün- 
dungsjahr weisenden  Satzes  für  die  Synoden  zu  Elvira,  Arles 
imd  Sardica  entsclueden  zu  bestreiten,  so  kommt  noch  eine 
allgemeine  Erwägung  hinzu,  welche  die  Brauchbarkeit  des 
Satzes  auf  das  ärgste  herabdrückt:  Hätte  jemals  an  Stelle  des 
Gesetzes,  dass  bei  der  Unterschiüft  stets  der  früher  ordinierte 
Bischof  dem  später  ordinierten  vorgeht,  eines  Gesetzes,  welches 
mit  seiner  jeder  Zeit  leicht  zu  erfüllenden  Vorbedingimg  — 
der  Feststellung  des  Zeitpunktes  der  Ordination  —  Ordnung 
und  Frieden  verbürgte,  der  von  Gams  verfochtene  Grundsatz 
Geltung  gehabt,  dann  wäre  ja  —  selbst  schon  in  der  Zeit  der 
angeführten  drei  Synoden  —  unter  den  Bischöfen  des  Haderns 
kein  Ende  gewesen. 

Ohne  dann  den  Gesichtspunkten,  welche  Friedrich  angiebt, 
die  Untersclu'iften  könnten  nach  dem  Lebensalter  der  Bischöfe 
oder  nach  dem  Metropolitanverband  sich  gefolgt  sein,  besondere 
Beachtung  zu  schenken,  da  kein  einziges  Beispiel  dafür  bei- 
zubringen ist,  wende  ich  mich  gegen  die  Auffassimg  Friedrichs, 
dass  erst  Gregor  der  Grosse  wieder  durch  seinen  an  Syagrius 
von  Autun  gerichteten  Brief  eine  sti'engere  Folge  der  Unter- 
schriften anbefohlen  habe. 

Der  Papst  will  gar  nicht,  wie  man  nach  den  Worten 
Friedrichs  annehmen  muss,  eine  Verfügung  treffen,  welche  auf 
die  ganze  Kirche   sich  bezieht;   er  hat  lediglich  die  Provincia 


1)  Die  Kirchengeschichte  von  Spanien  II,  Erste  Abtheilung,  S.  173  ff. 


Arles  und  Vieiine.  277 

Lugdunensis  im  Auge,  wenn  er  in  seinem  Schreiben  (J.-E.  1751) 
den  mit  dem  Pallium  bewidmeten  Bischof  von  Autun  im  Range 
erhöht  und  ihm  unmittelbar  nach  dem  Metropoliten  —  dem 
Bischof  von  Lyon  —  Sitz  und  Stimme  auf  den  Synoden  und 
damit  auch  die  Stelle  in  den  Unterschriften  zuweist,  des  weiteren 
aber  bestimmt:  'ceteros  .  .  .  episcopos'  —  derselben  Provinz 

—  'secundum  ordinationis  suae  tempus  sive  ad  considendum 
in  concilio,  sive  ad  subscribendum  vel  in  quahbet  alia  re  sua 
attendere  loca';  mithin  ist  auch  nicht,  wie  Friedrich  meint,  eine 
Erneuerung  des  Grundsatzes  von  Gregor  in  Absicht  genommen, 
vielmehr  nur  davon  die  Pede,  dass  es  für  die  Sufft-aganbischöfe 
der  Provinz  Lyon  in  ihrer  Rangordnung  auf  den  Synoden  bei 
dem  herkömmlichen  Brauche  sein  BcAvenden  haben  solle.  Wir 
gewinnen  in  dieser  aus  dem  Jahre  599  stammenden  Verfügung 
des  Papstes  ein  unantastbares  Zeugnis  dafür,  dass  füi'  die  hier 
in  Betracht  kommende  Zeit  —  mindestens  doch  für  das  sechste 
Jahrhundert  und  wohl  auch  für  das  fünfte  —  die  Bischöfe 
'secundum  ordinationis  suae  tempus'  die  Synodalacten  zu  unter- 
schreiben gehalten  waren. 

Als  leitender  Grundsatz  genommen,  ergiebt  diese  Fest- 
setzung, ergiebt  der  ganze  Brief  Gregors  im  einzelnen  unzwei- 
deutig, dass  —  nach  dem  dauernd  oder  jeweihg  bestellten,  mit 
der  Einberufung  betrauten  Vertreter  des  apostolischen  Stuhles 

—  in  erster  Reihe  die  Metropolitanbischöfe  die  Synodalacten 
zu  unterzeichnen  hatten  je  nach  der  Stelle,  welche  ihnen  die 
sich  folgenden  Zeitpunkte  ilu'er  Ordination  anwiesen,  dass, 
nach  demselben  Gesichtspunkt  geordnet,  die  Bischöfe  sich  ihnen 
anreihten,  dass  endlich  auch  nach  dem  Ordinationsalter  der 
Bischöfe  die  etwa  anwesenden  Abgesandten  —  ohne  Rücksicht 
darauf,  welchen  Rang  die  Stellvertreter  einnahmen,  ob  es 
Diaconen,  Presbyter  oder  Aebte  waren  —  mit  ihren  Unter- 
schriften den  Bescliluss  machen  mussten. 

Woran  erkennt  man  denn  mtn,  dass  die  Untersclu-iften 
innerhalb  der  drei  Klassen  der  Metropoliten,  Bischöfe  und  Stell- 
vertreter nach  den  angegebenen  Regeln  geordnet  sind? 

Wenn  nicht  die  Gunst  des  Zufalls  es  gestattet,  für  jeden 
der  Unterzeichneten  das  genaue  Datum  seiner  Ordination  aus 
sonst  vorhandenen  Nachrichten  zu  ermitteln,  —  und  das  dürfte 
kaum  jemals  für  alle  gleichmässig  der  Fall  sein  —  dann  bleibt 
nur  ein  Merkmal  übrig:  dieselbe  Reihenfolge  derselben  Bischöfe 
in  den  Unterschriften  einer  zweiten  Synode,  welche  in  unregel- 
mässigem Abstände  von  einander  noch  andere  Theilnehmer 
aufweist  als  die  erste. 

Um  diese  Aufstellung  zu  begründen,  muss  ich  erörtern, 
wie  sich  denn  die  Unterschriften  in  den  Acten  ausnahmen; 
ich    muss     hier,     von    dem    Schriftbefunde    handelnd,     eine 


278  Wilhelm  Gundlach. 

Untersuchung  anstellen,   welche  in  das  Gebiet  der  Urkunden- 
lehre gehört. 

Leider  hat  sich  von  den  gallischen  Synoden  des  fünften 
und  sechsten  Jahrhunderts  kein  ProtocoU  im  Original  erhalten, 
von  welchem  die  Verhandlung  ausgehen  könnte.  Das  älteste 
Schriftstück  dieser  Art,  welches  in  einer  allgemein  zugäng- 
lichen Abbildung  zu  Gebote  steht,  glaube  ich  in  einer  Tafel 
des  Nouveau  traite  de  diplomatique  (tome  V,  p.  464.  465)  aus- 
findig gemacht  zu  haben:  sie  stellt  die  Unterschriften  einer 
Urkunde  dar,  Avelche  mit  den  Acten  der  im  Jahre  862  ge- 
haltenen Synode  von  Pitres  im  Zusammenhange  steht  und  ins- 
besondere auch  in  der  Unterfertigung  ebenso  wie  die  Synodal- 
acten  behandelt  zu  sein  scheint.  Wenn  das  Auge  sich  an  das 
zunächst  unentwirrbar  scheinende  Gewimmel  der  Namen  ge- 
Avöhnt  hat,  dürfte  man  wahrnehmen,  dass  im  ganzen  eine  An- 
ordnung in  vier  neben  einander  stehende  Columnen  durch- 
geführt und  nur  in  der  dritten  davon  abgewichen  ist,  indem 
hier  zweimal  zwei  Namen  auf  einer  Zeile  nebeneinander  gestellt 
sind.  Da  die  Musterung  der  einzelnen  Namen  zeigt,  dass 
Wanilo  von  Sens  und  Aeneas  von  Paris  zwiefach  ihre  Unter- 
schrift gegeben  haben:  das  erste  Mal  durch  Abgesandte,  das 
zweite  j\Ial  mit  eigener  Hand,  dass  ferner  der  Bischof  Agius 
von  Orleans  imd  sein  Nachfolger  Gualtarius  die  Acten  miter- 
zeichnet  haben,  so  ist  es  klar,  dass  von  den  nachträglich 
hinzugefügten  Unterschriften*  diejenigen  unterschieden  werden 
müssen,  welche,  auf  der  SjTiode  selbst  ertheilt,  hier  ausschliess- 
lich in  Betracht  kommen.  Sie  werden  jedenfalls  von  Hinkmar's 
eröffnet,  der  nach  einem  Chi-Rho-Zeichen  in  dieser  Form  unter- 
schreibt: 'Ilincmarus  sanctae  metropolis  ecclesiae  Remorura 
episcopus  subscripsi'.  Wenn  diese  Unterschrift  auch  nicht  in 
grösseren  Buchstaben  ausgeführt  ist,  als  die  anderen,  so  ist  sie 
doch  so  weit  auseinandergezogen,  dass  unter  ihr  zwei  Columnen 
sich  ansetzen  können,  in  deren  erster  zunächst  die  ]\Ietropolitan- 
bischöfe  von  Tours   und  Ronen   und   dann   noch   drei   andere 


1)  Wenn  man  bedenkt,  dass  die  Urkunde  den  abwesenden  Bischöfen 
und  Aebten  nicht  nach  ihrem  Range  zur  Unterschrift  vorgelegt  wurde  — 
selbst  schon  die  Vertreter  des  Wanilo  und  Aeneas  sind  offenbar,  nach 
der  Stelle  ihrer  Unterschrift  zu  urtheilen,  nicht  in  Pitres  gegenwärtig  ge- 
wesen — ,  sondern  dass  andere  Umstände  dafür  massgebend  waren,  so  wird 
man  sich  einerseits  nicht  wundern,  dass  jedes  freie  Plätzchen  —  über, 
neben  (in  der  zweiten  und  vierten  Columne)  und  unter  den  ursprünglichen 
Unterschriften  —  ausgenutzt  wurde,  andererseits  aber  auch  nicht  erwarten, 
dass  nun  aus  diesem  Wirrwarr  noch  von  irgend  jemandem  der  Rang  aller 
Unterzeichneten  herausgelesen  werden  kann.  Gerade  diese  auffallende 
Unregelmässigkeit,  welche  keineswegs  jedem  Deutungsversuche  widerstrebt, 
dürfte  ein  Beweis  für  die  Echtheit  der  Urkunde  sein,  was  immer  (nach 
Mansis  Bemerkung   XV,  633.  634  nota)    dagegen    vorgebracht  sein   mag. 


Arles  und  Vienne. 


279 


Bischöfe,  in  deren  zweiter  sechs 
Bischöfe,  alle  ungefähr  in  der  näm- 
lichen Fassung  wie  Hinkmar,  unter- 
zeichnen, während  die  dritte  Co- 
lumne  nicht  in  gleicher  Höhe, 
sondern  eine  Zeile  tiefer  begin- 
nend, ursprünglich  überhaupt  nur 
zwei  Namen,  die  der  Bischöfe 
Hunfridus  (Morinensis)  und  Isaac 
(Lingonensis)  enthalten  zu  haben 
scheint '. 

Indem  ich  die  räumliche  Ver- 
theilung  der  Unterschriften,  wie 
sie  in  dem  Eschatocoll  dieser  Ur- 
kunde erscheinen,  als  ein  Muster 
auch  für  die  Unterschriften  der 
Synodalacten  vorangehender  Jahr- 
hunderte ansehe,  will  ich  nicht 
behaupten,  dass  die  Form  der 
Unterschriftszeile  nun  auch  in  allen 
Stücken  der  im  neunten  Jahrhun- 
dert übhchen  geglichen  habe ;  denn 
es  ist  mir  lediglich  um  die  Folge 
der  Unterschriften,  um  ihre  Ab- 
setzung in  Columnen  zu  thun. 

Wenn  wir  in  der  Ueberliefe- 
rung  stets  auch  die  ursprüngliche 
Raumvertheilung  erhalten  sähen, 
dann  wäre  es  oft  möglich,  die 
echte  Aufeinanderfolge  der  Bischöfe 
nach  ihrem  Ordinationsalter  zu  er- 
kennen ;  so  aber  ist  nicht  nur  von 
den  späteren  Abschreibern,  son- 
dern vielleicht  schon  von  Schrei- 
bern auf  den  Synoden  selbst  die 
Columnenordnung  verlassen  und 
dafüi*  entweder  die  ununterbro- 
chene Folge  der  Unterschriften  in 
fortlaufenden  Zeilen  gewählt  oder 
mit  jeder  neuen  Zeile  auch  eine 
neue  Unterschrift  begonnen  wor- 
den. Denn  es  ist  anzunehmen, 
dass  von  dem  Originalprotocoll 
mit  den  eigenhändigen  Unter- 
schriften der  Theilnehmer,  welches 
ohne    Zweifel    dem   Vorsitzenden 


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280  WUhelm  Gundlach. 

verblieb",  gleich  auf  der  Synode  selbst  für  alle  Theilnehmer 
Abschriften  angefertigt  worden  sind  —  für  die  anwesenden 
Bischöfe  von  den  sie  begleitenden  Geistlichen  ^^  für  die  ab- 
wesenden von  den  \^eUeicht  auch  zur  Abschrift,  nicht  nur  zur 
Unterschrift  entsandten  Stellvertretern  — ;  und  dass  schon  dabei 

—  in  Folge  der  allgemeinen  Bekanntschaft,  auf  welche  die  Theil- 
nehmer unter  den  Standesgenossen  ihrer  Zeit  rechnen  konnten 

—  die  Unterschriften  als  der  weniger  wesentliche  Bestandtheil 
der  Acten  bisweilen  ganz  fortgelassen',  oder  doch  —  um  die 
Namen  der  Bischofsstädte  —  verkürzt"*  oder  in  anderer  Weise 
verändert  wurden  5^  dass  auch  auf  ihre  ranggemässe  Reihen- 
folge kein  grosser  Werth  gelegt  wurde,  ist  meines  Erachtens 
so  einleuchtend,  dass  nicht  erst  spätere  Abschreiber  allein  für 
die  Abweichungen  in  den  von  einer  Synode  vorhandenen 
Bischofslisten  verantwortlich  zu  machen  sind.  Wenn  aber  das 
OriginalprotocoU  späteren  Abschreibern  zuhanden  kam,  dann 
war  gerade  die  Columnenordnrmg  ganz  danach  angethan, 
Irrungen  vielfacher  Art  zu  veranlassen,  da  bei  folgerichtigem 
Vorgehen  zuweilen  die  einzelnen  Zeilen  durch  alle  Columnen 
hindurch  abgeschrieben,  oder,  wofern  —  wie  in  der  besprochenen 
Urkunde  —  die  Unterschriften  der  zweiten  Columne,  nicht  die 
Zeilen  der  ersten  Columne  weiter  foi'tsetzten,  sondern  zwischen 
ihnen  standen,  Unterschriften  ausgelassen  und  etwa  ausgelassene 
an  unrechter  Stelle  nachgetragen  wurden,  bei  Avillkürlichem 
Vorgehen  aber,  das  man  ja  wohl  auch  in  Anschlag  bringen 
muss,  eine  Verwirrung  angerichtet  ward,  welche  jeden  Heil- 
versuches spottet. 

Um  also  Ordnung,  das  will  sagen  dieselbe  Folge  derselben 
Bischöfe  in  die  uns  überlieferten  Unterschriften  der  Synodal- 
acten  zu  bringen,  Avird  man  darauf  ausgehen  müssen,  die  Co- 
lumnen des  Originalprotocolls  wiederherzustellen.  Hat  man 
das  für  zwei  Synoden  mit  dem  Ergebnis  durchgeführt,  dass  in 
der  Folge  der  einzelnen  Bischöfe  die  beiden  Listen  sich  ein- 
ander entsprechen,  dann  darf  man  sicher  sein,  dass  man  damit 
ihre  durch  die  Ordination  bestimmte  Rangordnung  gefunden 
hat,   falls  die  Reihe   der  sich  entsprechenden  Bischöfe  wenig- 


1)  Die  nämliche  Anschauung  hat  auch  Lippert  in  seinem  ohen  erwähnten 
Aufsatze  (N.  A.  XIV,  12  Anm.  5)  geäussert.  2)  Man  vergleiche  die  Unter- 
schriften der  Synoden  von  Orange  (441)  und  Vaison  (442),  welche  Maassen 
(Quellen  I,  951.  952)  aus  dem  Codex  Coloniensis  mittheilt:  hier  geben 
die  Bischöfe    auch    die  Geistlichen   ihres  Gefolges   an.  3)  Die  Acten 

der  Synode  zu  Vaison  (442)  sind  nur  in  der  Cölner  Handschrift  unter- 
zeichnet, allen  anderen  Ueberlieferungen  fehlen  die  Unterschriften  (Maassen 
a.  a.  O.)  4)  Man  halte  die  Unterschriften  der  Synode  zu  Orange  (441), 
wie  sie  von  Maassen  angeführt  werden,  zusammen  mit  dem  Druck  bei 
Mansi  (VI,  441).  5)  Auch   die   oben    berührten  Fälschungen,  welche 

den  Vorsitz  betreffen,  sind  so  leicht  erklärlich. 


Arles  und  Vienne.  281 

stens  in  der  einen  Liste  mit  neuen  ßischofsnamen,  welche  nicht 
in  der  andern  Liste  zu  finden  sind,  in  unregehnässigem  Ab- 
stände durchsetzt  ist.  Denn  unter  der  Voraussetzung,  dass  die 
Verwirrung  stiftenden  Abschi'eiber  planmässig  verfahren  sind, 
d.  h.  stets  die  Zeilen  und  nicht  die  Columnen  wiedergegeben 
haben',  mussten  ihre  Abschriften  sich  folgendermassen  gestalten: 
1.  Wenn  in  den  Originalprotocollen  zweier  Synoden  bei 
einer  beliebigen  Anzahl  Unterschreibender  die  Reihe  derselben 
ununterbrochen  war  —  von  keinem  Namen  gestört  wurde, 
welcher  in  der  andern  Liste  sich  nicht  finden  Hess  —  dann 
wurden : 

a.  bei  ungleicher  Zeilen-  und  ungleicher  Columnenzahl  ^  und 

b.  bei  ungleicher  Zeilen-  und  gleicher  Columnenzahl' 

die  Stellen  derselben  Bischöfe  in  den  Abschriften  ver- 
schoben, 

c.  bei  gleicher  Zeilen-  und  beliebiger  Columnenzahl,  aber 

dieselben  Bischöfe  von  den  Abschreibern  zwar  an  ver- 
schiedener Stelle,  indessen  in  der  nämlichen  Folge  unter- 
gebracht •*. 

Der  letzte  Fall  könnte  dazu  verführen,  die  Reihenfolge  der 
Bischöfe,  wie  sie  fälschlich  von  den  Abschreibern  angegeben 
ist,  für  zuverlässig  anzusehen,  Avenn  nicht  der  gleiche  Abstand 
der  in  dem  ersten  Synodalprotokoll  nicht  vorhandenen  Unter- 
schriften —  K  an  vierter,  L  an  achter,  M  an  zwölfter  Stelle 
—  Verdacht  erregen  müsste.  Nur  wenn  die  letzte  Columne 
nur  eine  Unterschrift  bietet  —  K  —  dann  Hegt  auch  zu  dem 


1)  Wenn  ich  im  allgemeinen  angeben  soll,  in  wie  viele  Columnen 
man  die  Unterschriften  angeordnet  habe,  so  möchte  ich  nicht  zwei,  wie 
Lippert  a.  a.  O.  S.  30  Anra.  2,  sondern  bei  irgend  zureichender  Menge 
mindestens  drei  als  das  allgemein  Passende  bezeichnen. 

2)  A  D  G 
B  E  H 
C              F  I 

wurde  wiedergegeben  als 
ADG  BEH  CFI;  dagegen 

3)  Die  Unterschriften  des  ersten  Protocolls,  welche  ebenso  wie  in  der 
vorigen  Anmerkung  abgeschrieben  wurden,  hatten  dann  gegen  sich 
aus  dem  zweiten  Protocoll,  dessen  vierte  Columne  fortzulassen  ist: 
AEI  BFK  CGL  DHM.         4)  Die  Unterschriften: 


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B 

F 

K 

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C 

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D 

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als  AEIN  BFKO  CGLP  DHMQ. 


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D 

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K 

B 

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H 

L 

C 

F 

I 

M 

ergaben  zwar  für  das  erste  Protocoll:  ADG  BEH  CFI  und  das  zweite: 
ADGK  BEHL  CFIM,  sodass  z.  B.  B  in  der  Abschrift  des  ersten  Proto- 
colls an  vierter,  in  der  des  zweiten  Protocolls  an  fünfter  Stelle  steht; 
da  aber  die  aus  dem  zweiten  Protocoll  vor  B  wiedergegebene  Unterschrift 
K  im  ersten  Protocoll  nicht  vertreten  ist,  so  ist  wenigstens  die  Folge  der 
den  beiden  ProtocoUen  gemeinsamen  Unterschriften  dieselbe. 
l\eues  Archiv  etc.     XV.  19 


282  Wilhelm  Gundlach. 

leisesten  Verdachte  kein  Anlass  vor.  Zum  Glück  dürfte  es 
indessen  kaum  vorgekommen  sein,  dass  gerade  nur  die  jüngsten 
Bischöfe,  welche  zuletzt  zu  unterzeichnen  hatten,  einer  Synode 
ferngeblieben  sind, 

2.  Wenn  die  Reihe  der  Unterzeichnenden  in  dem  einen 
Synodalprotocoll,  gegen  die  Unterschriften  eines  anderen  Pro- 
tocolls  gehalten,  unterbrochen  ist,  d.  h.  ausser  einer  Anzahl  der 
nämlichen  Namen  als  Unterbrechungen  ihrer  Reihe  noch  andere, 
welche  in  dem  andern  Protocoll  nicht  vorhanden  sind,  aufweist 
oder  einige  vermissen  lässt,  welche  in  dem  andern  sich  finden, 
oder  Ueberschüsse  und  Lücken  zugleich  zeigt,  dann  muss  — 
wenn  nicht  ein  seltener  Zufall  den  nämlichen  Unterschriften 
dieselbe  Stelle  verschafft  —  die  Folge  der  einzelnen  Unter- 
zeichnungen selbst  schon  bei  gleicher  Zeilen-  und  Columnen- 
zahl  in  den  Abschriften  gestört  werden  >.  — 

Man  darf  also,  so  oft  die  Theilnehmerlisten  zweier  Synoden 
dieselben  Bischöfe  in  derselben  Folge  erkennen  lassen  und  da- 
bei wechselseitig  Ueberschüsse  und  Lücken  haben,  der  Ueber- 
zeugung  sich  hingeben,  dass  die  Abschreiber  jede  Columne  erst 
bis  zu  Ende  wiedergaben,  ehe  sie  zu  der  nächsten  übergingen. 

Dieser  Grundsatz,  die  Frucht  der  unter  Nummer  2  er- 
wogenen Verhältnisse,  wird  fast  immer,  ein  Ergebnis  jener 
dreifachen  Möglichkeit,  deren  unter  Nummer  1  gedacht  worden 
ist,  fast  niemals  zur  Anwendung  kommen  —  wofür  auch  die 
beiden  hier  nun  zu  besprechenden  Beispiele  ein  Beleg  sein 
können. 

Indem  ich  zuerst  die  in  den  Acten  der  Synoden  von  Riez 
(439),  Orange  (441)  und  Vaison  (442)  ersichtlichen  Unter- 
schriften vornehme  *,  gehe  ich  von  der  zuerst  genannten  Synode 


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werd 

en. 

1)    Um    gleich    den   verwickeltsten  Fall    zu    nehmen,    so    meine   ich, 
würden  doch  die  Unterschriften : 

A  E  K 

B  G  N 

D  I  Q 

von  dem  Abschreiber  in  der  Folge: 
AEK  BGN  DIQ;  dagegen 

2)  An  handschriftlichen  Hilfsmitteln  habe  ich  für  diese  Untersuchungen 
benutzt  den  Cod.  Paris,  lat.  12097  (Corb.  26)  s.  VI.  VII.,  nach  welchem 
ich  von  Herrn  A.  Molinier  iu  Paris  die  Beantwortung  einiger  Fragen  er- 
beten habe,  den  Cod.  Colon.  212  s.  VII.,  welcher,  von  mir  selbst  in 
Berlin  untersucht,  wie  die  angeführte  Pariser  Handschrift  auch  für  heraus- 
zugebende Briefe  in  Betracht  kommt,  und  ausserdem  die  beiden  jetzt  in 
Berlin  befindlichen  Codd.  Phillipp.  1745  (Meerm.  578)  s.  VI.  VII.  und 
1743  (Meerm.  576)  s.  VII.  VIII:  wenn  also  auch  nur  eine  kleine  Anzahl 
von  Handschriften  herangezogen  worden  ist,  so  sind  es  doch  die  ältesten, 
welche  überhaupt  für    den    erwähnten  Zweck   in  Frage  kommen    können. 


Arles  und  Vienne.  283 

aus  —  ein  Verfahren^  welches  wegen  der  kleinsten  Theilnehmer- 
zahl  dieser  Synode  auch  dann  empfehlenswerth  wäre,  wenn  die 


Was  die  zuletzt  angeführte  Handschrift  anlangt,  so  bat  Maassen  (Quellen 
I,  638  und  Bibl.  Erster  Theil,  IV  (England)  S.  171.  172)  geglaubt,  ohne 
dass  es  ihm  vergönnt  war,  die  Handschrift  selbst  einzusehen,  den  Nach- 
weis führen  zu  können,  dass  sie  der  von  Sirmond  benutzte  Codex  sancti 
Remigii  Remensis  ist.  Wenn  nun  auch  anerkannt  werden  muss,  dass  in 
der  That,  wie  Maassen  ausführt,  eine  grosse  Anzahl  Synodalacten,  welche 
von  Sirmond  als  Inhalt  der  fraglichen  Handschrift  gegeben  werden,  nach 
den  vorliegenden  Beschreibungen  in  dem  in  Rede  stehenden  Cod.  Phillipp. 
sich  finden,  so  ist  doch  dagegen  schon  geltend  zu  macheu,  dass  in  dieser 
Beziehung  unter  den  Handschriften,  welche  Syuodalacten  enthalten,  manche 
Aehnlichkeit  besteht,  die  nicht  den  Schluss  auf  Identität  zulässt.  Was 
mich  aber  vollends  bestimmt,  gegen  die  Gleichsetzung  des  Cod.  Phillipp. 
1743  mit  dem  Cod.  sancti  Remigii  mich  zu  erklären,  ist  eine  Wahr- 
nehmung, auf  Grund  welcher  ich  nachweisen  zu  können  meine,  dass  dieser 
Cod.  Phillipp.  der  Cod.  sanctae  Maria  e  Remensis  des  Sirmond  ist. 
Jener  merkwürdige  Brief,  welcher  von  italienischen  Geistlichen  an  frän- 
kische nach  Constantinopel  reisende  Gesandte  gerichtet  ist  und  ihnen 
Milderung  in  dem  Schicksal  des  Papstes  Vigilius  und  des  Bischofs  Datius 
von  Mailand  —  beide  sind  in  Folge  des  Drei -Kapitel -Streites  in  Con- 
stantinopel gefangen  gehalten  —  herbeizuführen  ans  Herz  legt  ('Ita  se'), 
findet  sich  nach  Sirmonds  Angabe  (Conc.  I,  2ü3)  in  dem  Cod.  sanctae 
Mariae  Remensis.  Wenn  ich  nun  nach  vielen  vergeblichen  Bemühungen, 
den  Codex  zu  ermitteln,  zufällig  den  Brief  in  dem  Cod.  Phillipp.  1743 
entdeckt  habe,  so  will  ich  darauf  noch  nicht  allein  die  Auffassung  gründen, 
dass  der  Cod.  Phillipp.  der  bisher  verloren  geglaubte  Codex  sanctae 
Mariae  Remensis  ist,  so  wahrscheinlich  das  auch  daraufhin  schon  sein 
mag.  Zu  dem  erwähnten  Briefe:  'Ita  se'  bemerkt  nämlich  Sirmond  ein- 
leitungsweise: 'Quae  in  sancti  Petri  .  .  .  basilica  per  vim  contra  illum'  — 
das  ist  der  Papst  Vigilius  —  'gesta  commemorat,  eadem  ipsa  confirmantur 
in  ipsius  Vigilii  epistola  XV.,  quae  cum  mutila  sit  in  vulgatis 
exemplaribus,  integra  extat  in  codice  ms.  sanctae  Mariae 
Remensis,  ex  quo  et  haue  quoque  nostram  —  'Ita  se'  —  deprompsi- 
mus".  Der  angezogene  Vigilius  -  Brief  ist  ohne  Zweifel  das  von  Mansi 
(IX,  50)  als  XV.  zum  Abdruck  gebrachte  Schreiben:  'Dum  in  sanctae' 
J.-K.  931.  Nun  findet  sich  aber  dieser  selbe  Brief,  welcher  nach  dem 
Codex  Lucensis  (Mansi  IX,  51  nota  c)  —  jedenfalls  einem  Mitgliede 
der  'vulgata  exemplaria'  —  in  verkürzter  Ausdehnung  nur  bis  zu  den 
Worten:  'ab  ipso  fuerat  allata  pariter  designaret'  reicht,  in  dem  Cod. 
Phillipp.  1743  fol.  276 — 281  und  zwar  in  vollständigem  Wortlaut,  welcher 
über  die  angegebene  Stelle  hinausgeht,  an  derselben  aber  —  von  Sirmonds 
eigener  Hand?  —  die  Bemerkung  zeigt,  dass  hier  der  Brief,  p.  503,  tom.  2, 
schliesse  —  ohne  Zweifel  in  der  Ausgabe  der  Concilia  Generalia  des 
Binius  (Colonia  Aprippina,  1606)!  Wenn  nun  in  der  Vollständigkeit 
dieses  Vigilius-Briefes:  'Dum  in  sanctae'  und  in  dem  Vorhandensein  des 
Schreibens:  'Ita  se'  unterscheidende  Merkmale  der  Handschrift  zu  er- 
blicken sind  —  was  mir  nach  Sirmonds  Worten  nicht  zweifelhaft  ist  — , 
dann  dürfte  damit  die  Identität  der  Handschrift  mit  dem  Codex  sanctae 
Mariae  Remensis  des  Sirmond  erwiesen  sein. 

19* 


284 


Wilhelm  Gundlach. 


Versammlung  von  Riez  auch  nicht  am  fi'ühesten  von  den  drei 
angegebenen  Zusammenkünften  üele. 

Vergleicht  man  die  Bischöfe,  welche  439  unterschrieben  ', 
mit  den  auf  der  Synode  zu  Vaison  als  Theilnehmer  aufgeführten, 
so  erhält  man  auf  beiden  Seiten  mit  einer  einzigen  Ausnahme 
genau  dieselbe  Reihenfolge:  die  Ausnahme  trift't  den  Bischof 
Auspicius  von  Vaison,  welcher  in  der  Versammlung  des  Jahres 
442  nach  der  Kölner  Handschrift  —  und  nur  an  sie  halte  ich 
mich  hier  —  mit  seiner  Unterzeichnung  die  Reihe  der  Unter- 
schriften eröffnet.  So  auffallend  diese  Anführung  ist,  so  bietet 
sie  doch  auch  die  Handhabe,  die  Columneu  herzustellen  und 
damit  die  befremdliche  Stellung  zu  erklären.  Nimmt  man 
nämlich  an,  dass  die  Unterschrift  des  Bischofs  von  Vaison  die 
zweite  Columne  begann  und  nur  durch  eine  etwas  höhere 
Stellung  über  der  von  dem  Vorsitzenden,  dem  Bischof  Hilarius 
von  Arles,  bei  seiner  Unterzeichnung  eingehaltenen  Linie  den 
Schreiber  dazu  bewog,  zuerst  die  Unterschrift  des  Auspicius 
abzuschreiben,  dann  lassen  sich  die  Unterschriften  der  einund- 
zwanzig anwesenden  Bischöfe,  zu  welchen  noch  die  zweier  ab- 
wesender hinzukommen,  in  drei  Columnen  vertheilen,  von 
welchen  die  erste  für  die  Metropolitanbischöfe  von  Arles  und 
Vienne  und  die  fünf  ersten  einfachen  Bischöfe  zur  Unterzeich- 
nung ausreichte,  sodass  also  Auspicius  von  Vaison,  welcher 
die  zweite  Columne  einführt,  an  die  achte  Stelle  aller,  an  die 
sechste  der  einfachen  Bischöfe  gehört  2.  Dass  mit  dieser  Aende- 
rung  das  Richtige  getroffen  ist,  ergiebt  eine  Gegenüberstellung 
der  Bischofslisten  von  Riez  und  Vaison,  von  welchen  die  erstere, 
uns  ohne  die  Namen  der  Bischofstädte  überliefert,  nun  auch 
darum  in  erwünschter  Weise  vervollständigt  werden  kann: 


1)  Wenn  ich  nichts  weiter  angebe,  habe  ich  Veranlassung,  dem  von 
Mansi  mitgetheilten  Wortlaut  zu  folgen. 

2)  6.  Auspicius  Vasensis 
I.  Helarius  Arelatensis 

7,  Severus  Venciensis 
II.  Claudius  Viennensis 

8.  Valerianus  Cimel. 


1.  Constantianus   Carp. 

ö.  Constantius  Ucet. 

2.  Severianus  Eturamine 

3.  Armentarius  Antipol.    10.  Nectarius  Aven. 

4.  Audentius  Vocons.       11.   Asclepius  Cavell. 


13.  Salonius  Genevensis 

14.  Agustalis  Telonensis 

15.  Theudorus  Foroiul. 


16.  Maximus  Reiensis 

17.  lustus  Arausicensis 

18.  Ingeuuus  Ebred. 


5.  lulius  Aptensis 


12.  Ceretius  Gratianop.    19.  Superventor 


a.  Claudius  Saliniensis 

b.  Cariatho  Valentiniensis. 


Arles  und  Vienne. 


285 


Riez  (439) 
I.  Hilarius  (Ai'elatensis) 


Vaison  (442) 
I.  Helarius  Arelatensis 
II.  Claudius  Viennensis 

1.  Constantianus  Carpentorat. 

2.  Severianus  Eturamine' 

3.  Armentarius  Antipolitanus 

4.  Audentius  Voconsiensis 

5.  lulius  Aptensis 

6.  Auspieius  Vasensis 

7.  Severus  Venciensis 

8.  Valerianus  Cimelensis 

9.  Constantius  Uceticensis 

10.  Nectarius  Avemiicensis 

11.  Asclepius  Cavellicensis 

12.  Ceretius  Gratianopolitanus 

13.  Salonius  Genevensis 

14.  Agustalis  Telonensis 

15.  Theudorus  Foroiuliensis 

16.  Maximus  Reiensis 

17.  lustus  Arausicensis 

18.  Ingenuus  Ebredunensis 

19.  Superventor 

a.  Claudius  Saliniensis 

b.  Cariatho  Valentiensis. 
Dass    die   Reihenfolge   der   nämlichen   Bischöfe   in   beiden 

Listen  dieselbe  ist,  dabei  aber  in  Riez  die  Bischöfe  Arcadius 
und  Claudius  anwesend  sind,  welche  nicht  auch  der  Synode  zu 
Vaison  persönlich  beiwohnen,  und  umgekehrt  in  Vaison  Con- 
stantianus, Armentarius,  Constantius,  Ceretius,  Salonius,  Agu- 
stalis, lustus,  Ingenuus  und  Superventor  erschienen  sind,  ohne 
eigenhändig  die  Acten  der  Synode  von  Riez  zu  unterzeichnen, 
ist  mir  ein  Beweis  dafür,  dass  von  den  Abschreibern  hier  nach 
der  Amtsdauer  die  Folge  der  Bischöfe  genau  wiedergegeben 
und  auch  dem  Bischof  Claudius  im  Jahre  439,  im  Jahre  442 
aber  dem  Bischof  Constantianus,  welche  442  bezw.  439  sich 
vertreten  lassen,  die  ihnen  zukommende  Stelle  angewiesen  ist. 
Wenn  man  nun  mit  der  so  aus  den  Acten  dieser  beiden 
Synoden  gewonnenen  Bischofsliste  an  die  Unterschriften  der 
im  Jahre  441   abgehaltenen  Synode  zu  Orange  herantritt,   so 


1.  Severianus  (Eturamine) 

2.  Audentius  (Voconsiensis) 

3.  lulius  (Aptensis) 

4.  Arcadius  2 

5.  Auspieius  (Vasensis) 

6.  Severus  (Venciensis) 

7.  Claudius  (Saliniensis) 

8.  Valerianus  (Cimelensis) 

9.  Nectarius  (Avennicensis) 
10.  Asclepius  (Cavellicensis) 


11.  Theudorus  (Foroiuliensis) 

12.  Maximus  (Reiensis) 


a.  Constantianus  (Carpentorat.) 


1)  Diesen  Stadtnamen  —  denn  so  ist  das  Wort  wohl  aufzufassen  — 
weiss  Maassen  (Quellen  I,  953)  nicht  unterzubringren;  ich  auch  nicht. 
2)  Das  kann  der  Bischof  von  Vence  dieses  Namens  nicht  sein,  da  Severus 
das  genannte  Bisthum  vertritt. 


286  Wilhelm  Gundlach. 

findet  man  —  ich  wähle  wiederum  die  Ueberlieferung  der 
Kölner  Handschrift  —  eine  Reihe,  welche  von  der  ermittelten 
bedeutend  abweicht.  Ich  führe  sie  in  berichtigter  Folge  so 
auf,  wie  sie  in  den  Abschriften  hätte  wiedergegeben  werden 
sollen,  indem  ich  durch  die  vor  jeden  Namen  gesetzte  Zahl 
die  Stelle  bezeichne,  welche  er  in  der  Kölner  Handschrift  ein- 
nimmt: 

(I.)  Helarius  Arelatensis 
(U.)  Claudius  Viennensis 
(HL)  Euchei'ius  Lugdunensis 

2.)  Constantianus  Carpentoratensis 

3.)  Audentius  Vocontiensis 

(5.)  lulius  Aptensis 

(6.)  Agrestius  Lecentiensis 

(4.)  Auspicius  Vasensis 

^7.)  Necterius  Avenionensis 

(8.)  Ceretius  Gratianopolitanus 

(1.)  Salonius  Genevensis 

(13.)  Agustalis  Telonensis 

(9.)  Theudorus  Foroiuliensis 

(10.)  Maximus  Reiensis 

11.)  lustus  Arausicensis 

12.)  Tngenuus  Ebredunensis 

(a.)  Claudius  Saliniensis. 

Um  nun  die  echte  Folge  der  Bischöfe,  zugleich  aber  auch 
ihre  durch  die  Nummern  angegebene  Aufeinanderfolge,  welche 
die  Kölner  Handschrift  bietet,  auf  eine  und  dieselbe  Grund- 
form zurückzuführen,  glaube  ich  folgende  Vertheilung  der  Unter- 
schriften im  Originalprotocoll  annehmen  zu  müssen; 

I.  Helarius        2.  Constantianus  3.  Audentius 


n.  Claudius       5.  lulius  6.  Agrestius 

ni.  Eucherius     7.  Necterius  8.  Ceretius 

9.  Theudorus  10.  Maximus 
1 .  Salonius 

11.  lustus  12.  Ingenuus 
13.  Agustalis 


4.  Auspicius 


a.  Claudius. 

Ist  dieses  Bild  der  Wirklichkeit  entsprechend,  dann  dürfte 
damit  die  stillschweigend  geraachte  Vorbedingung,  unter  welcher 
die  oben  gebotenen  theoretischen  Erörterungen  angestellt  sind 
—  dass  die  Unterschriften  stets  untereinander  in  Columnen 
angeordnet  waren  — ,  als  nicht  unter  allen  Umständen  erfüllt 


Arles  und  Vieune.  287 

ei'wiesen  sein,  um  so  die  Regelung  durch  einen  neuen  unberechen- 
baren Umstand  noch  schwieriger  erscheinen  zu  lassen'.   — 

Das  zweite  Beispiel  liefern  die  Unterschriften,  welche  den 
Satzungen  der  Synoden  zu  Carpentras  (527),  Orange  (II,  529) 
und  Vaison  (II,  529)  angefügt  worden  sind.  Wenn  man  die 
drei  Listen,  so  wie  sie  in  dem  Codex  Phillipp.  1745  —  auch 
hier  wie  überall  ohne  die  Namen  der  Bischofstädte  —  mit- 
getheilt  werden,  neben  einander  stellt: 


1)  Ich  glaube  indessen,  mindestens  für  die  Metropolitanbischöfo  die 
Ordnung-  der  Unterschriften  in  Coluranen  festhalten  und  beispielsweise  die 
Verwirrung,  welche  in  die  Unterschriften  der  Synode  zu  Paris  (614)  ge- 
kommen ist,  durch  die  Annahme  erklären  zu  sollen,  dass  die  fünf  Metro- 
politen von  Arles  (1),  Lyon  (2),  Vienne  (3),  Ronen  (4),  Trier  (5)  in  der 
ersten  Columne,  die  von  Bourges  (6),  Bordeaux  (7),  Sens  (8),  Reims  (9), 
Eauze  (10)  in  der  daneben  stehenden  zweiten  Columne  unterzeichneten, 
dass  der  Abschreiber  das  Ende  der  ersten  Columnenreihe  aber  nicht  er- 
kannte, sondern  in  die  zweite  Columnenreihe,  welche,  nothwendig  bei  der 
ungewöhnlich  grossen  Anzahl  der  Theilnehmer,  unterhalb  der  ersten  sich 
ansetzte,  hineingerieth  und  ihrer  ersten  Columne  die  Namen  des  Proardus 
von  Bes;in(jon  und  Solacius  von  Köln,  als  vermeintlicher  unmittelbarer 
Rangnaehfolger  der  ersten  fünf  Metropoliten  entnahm.  Es  entspricht  das 
auch  ganz  meiner  Auffassung  von  der  Würde  der  drei  Bistliümer  Trier, 
Köln  und  Besanfon  im  sechsten  und  Anfang  des  siebenten  Jahrhunderts; 
denn  ich  habe  schon  auf  Grund  der  Epistolae  Austrasicae  an  anderem 
Orte  (N.  A.  XIII,  370  ff.)  die  einflussreiche  Stellung  der  Bischöfe  von 
Trier,  mindestens  des  Nicetius  und  seines  Nachfolgers,  im  austrasischen 
Reiche  hervorgehoben,  sodass  ich  gegen  Rettberg  mit  Friedrich  (Kirchen- 
geschichte Deutschlands  I,  407)  die  Metropolitanhoheit  dieses  Bisthums 
anerkennen  möchte,  während  ich  Köln  und  Besannen  in  der  angegebenen 
Zeit  nur  als  einfache  Bisthümer  betrachte.  Dann  sind  vielleicht  auch  die 
Unterschriften  der  Synode  von  Clermont  (535)  —  hier  kommt  der  Cod. 
Paris,  lat.  12097  in  Betracht  — ,  auf  welche  Friedrich  (Drei  unedierte 
Concilien  der  Merovingerzeit  S.  20)  zum  Beweise  dafür  sich  beruft,  dass 
selbst  anerkannte  Metropoliten,  wie  der  Bischof  von  Reims,  nach  ein- 
fachen Bischöfen  unterzeichneten,  so  in  Ordnung  zu  bringen,  dass  man  sie 
—  ich  gebe  ihre  uns  überlieferte  Stelle  stets  durch  eine  davor  gesetzte 
Zahl  an  —  in  fünf  ursprünglich  neben  einander  gepflanzte  Columnen 
also  zerlegt: 

I.  II.  III. 

(1.)  Honoratus  Bitur.  (2.)  Gallus  Arvernensis  (3.)  Gregorius  Lingon. 

(6.)  Flavius  Remensis  (8.)  EleuteriusLutensis  (10.)  Lupus   Catalaun. 

(7.)  NicetiusTrevirensis  (9.)  Dalmatius  Rutensis  (11.)  Domitianus  Colon. 

IV.  V. 

(4.)  Hilarius  Gaballitanus        (5.)  Ruricius  Lemovicensis 

(12.)  Venantius  Vivariensis  (14.)  Desideratus  Veredunensis 

(13.)  Hesperius  Metensis  (15.)  Gramaticus  Vindonissensis. 


288 


Wilhelm  Grundlach. 


Carpentras  (527) 
I.  Caesarius ' 

1.  Contumeliosus ' 

2.  lulianus* 

3.  Cyprianus* 

4.  Constantius* 

5.  Philagrius® 

6.  Porcianus» 

7.  Eucherius'o 

8.  Gallicanus  >' 

9.  Prosper»* 

10.  Alethius«* 

11.  Uranius  i^ 

12.  Heracliusi* 

13.  Lupercianus  '^ 

14.  Principius*^ 

15.  Vinderaialis  20 


Orange  (ü,  529) 

Vaison  (II,  529) 

I.  Caesarius 

I.  Caesarius 

1.  Contumeliosus 

1.  Iiilianus 

2.  Constantius 

2.  Constantius 

3.  Cyprianus 

3.  Cyprianus 

4.  Philagrius 

5.  Maximus ' 

4.  Maximus 

5.  Poreianus 

6.  Praetextatus  9 

7.  Eucherius 

6.  Eucherius 

8.  Eucherius '» 

7.  Gallicanus 

8.  Prosper 

9.  Alethius 

10.  Heraclius 

9.  Heraclius" 

11. 


10.  VindemiaHs 


Lupercianus 

12.  Principius 

13.  Vindemialis 

so  stimmt  die  Folge  der  Bischöfe  überall  zusammen,  nur  dass 
in  der  ersten  Liste  Cyprianus  dem  Constantius  vorangeht, 
während  er  in  den  beiden  andern  ihm  folgt.  Wenn  man  das 
auch,  gestützt  auf  die  beiden  andern  Listen,  als  einen  Fehler 
bezeichnen  darf,  so  ist  diese  eine  Abweichung  doch  nicht  be- 
deutend genug,  um  darauf  hin  die  ganze  Folge  verwerfen  zu 
lassen :  es  ist  ja  möglich,  dass  selbst  schon  im  Originalprotocoll 
dieser  Fehler  gemacht  worden  ist. 


1)  Bischof  von  Arles.  2)  Bischof  von  Riez.  3)  Bischof  von  Car- 
pentras. 4)  Bischof  von  Toulon.  5)  Bischof  von  Gap.  6)  Bischof  von 
Cavaillon.  7)  Bischof  von  Aix.  8)  Bischof  von  Dig'ne.  9)  Bischof 
von  Apt.  10)  Bischof  von  Avignon.  11)    Dass    der    Bischof   dieses 

Namens,  welcher  529  erscheint,  dem  Bisthum  Grasse  -  Anfihes  zug^ehören 
sollte,  ist  darum  unmög-lich,  weil  er  —  die  Richtigkeit  der  mito-etheilten 
Listen  vorausgesetzt  —  als  ein  erst  nach  527  ordinierter  Bischof  —  denn 
Agroecius  ist  noch  527  Bischof  der  Stadt  —  ganz  am  Ende  der  Bischofs- 
reihe hätte  unterzeichnen  müssen.  12)  Bischof  von  Embrun.  13)  Bischof 
von   Vence.  14)  Bisehof  von  Vaison.  15)  In   den  von   Gams  ver- 

öffentlichten 'Series  episcoporum'  hahe  ich  einen  Bischof  dieses  Namens 
für  die  Zeit  von  527   bis  529  nicht  finden  können.  16)    Bischof  von 

Saint-Paul-trois-chäteaux.  17)    Dieser    Name    fehlt,    wie    mir    Herr 

A.  Molinier  raittheilt,  in  der  Liste  des  Cod.  Paris,  lat.  12097;  sonst  aber 
kommt  sie  ganz  mit  der  von  mir  benutzten  des  Cod.  Phillipp.  1745  über- 
ein. 18)  Bischof  von  Frejus.  19)  Der  so  heissende  Bischof  von 
Carpentras  kann  das  nicht  sein,  da  im  Jahre  527  noch  Julianus  das 
Bisthum  inne  hat;  ein  anderes  Bisthum  weiss  ich  für  ihn  nicht  ausfindig 
zu  maclieu.          20)  Bischof  von  Orange. 


Arles  und  Vienne. 


289 


Bei  der  in  diesen  drei  Listen  herrschen- 
den Einhelligkeit,  welche  ihre  Echtheit 
verbürgt,  wäre  es  nun  unnöthig,  auch  noch 
die  Vertheilung  der  Bischofsnamen  in  der 
Urschrift  sich  vorzuführen,  wenn  es  nicht, 
wie  ich  glaube,  dadurch  anginge,  einzelne 
abweichende  Ueberlieferungen  zu  erklären. 

Ausser  dem  einzigen  Canon,  welcher 
auf  der  Synode  zu  Carpentras  vereinbart 
und  unterzeichnet  w^orden  ist,  findet  sich 
bei  den  Acten  auch  noch  ein  Brief,  welchen 
die  Anwesenden  an  den  Bischof  Agroecius 
von  Antibes  richteten  und  nach  der  üeber- 
lieferung  Mansis  (VIII,  708)  in  der  Folge 
L  3.  4.  6.  8.  10.  12.  14.  1.  2.  5.  7.  9. 
11.  13.  15  unterschrieben.  Die  Entstehung 
dieser  Verschiebungen  begreift  man,  wenn 
etwa  folgendermassen  die  Namen  der  Bi- 
schöfe am  Ende  des  Briefes  vertheilt  waren : 


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und  nun  der  Abschreiber  nicht  columnen-,  sondern  zeilenweise 
die  Unterschriften  wiedergab. 


290  Wilhelm  Gundlach. 

Die  Folge  der  auf  der  Synode  zu  Orange   gegenwärtigen 
Bischöfe,  welche  Mansi  (VIII,' 718)  also  anführt:  I.   1.  2.  3.  7. 
8,  10.  12.  4.  5.  6.  9.  11.  13,  entsteht,  wofern  etwa  bei  dieser 
Anordnung  im  OriginalprotocoU: 
I.  Caesarius 

1.  lulianus  4.  Philagrius 

2.  Constantius  5.  Maximus 

3.  Cyprianus  6.  Praetextatus 

7.  Eucherius 

8.  Eucherius  9.  Alethius 

10.  Heraclius  11.  Lapercianus 

12.  Principius  13.  A^indemialis 

der  Abschreiber  verkannte,  dass  mit  der  als  3  bezeichneten 
Unterschrift  die  erste  Columne  zu  Ende  war,  dass  die  un- 
mittelbar darunter  stehende  garnicht  die  zweite  Columne  aus- 
machte, und  nun  als  zusammengehörig  die  Unterschriften  nieder- 
schrieb, so  Avie  sie  unter  einander  gestellt  waren. 

Was    endlich   die  Theilnehmer  der  S^Tiode   zu  Vaison  an- 
betrifft, so  kommt  die  von  Mansi  (VIII,  727)  ihnen  zugetheilte 
Aufeinanderfolge:   I.   1.   2.   3.   4.  5.   9.  6.  7.  8.  10  zu  Stande, 
falls  in  der  Urschrift  folgende  Ordnung  beliebt  war: 
I.  Caesarius  3.  Cyprianus  6.  Eucherius 

1.  Contumeliosus  4.  Maximus  7.  GalHcanus 

2.  Constantius  5.  Porcianus  8.  Prosper 

9.  Heraclius  10.  Vindemialis, 
und  der  Abschreiber  die  unter  die  drei  Columnen  gesetzte  und 
darum  erst  nach  ihr  aufzmiehmende  neunte  Unterschrift,  da 
sie  zugleich  zwischen  der  zweiten  und  dritten  Columne  stand, 
nach  der  zweiten  wiedergab.  — 

»  Ohne  den  Gegenstand  erschöpfen  zu  wollen  '  —  denn  es 
war  mir  auch  bei  der  Auswahl  der  Beispiele  vornehmlich  um 
das  Bisthum  Arles  und  seine  Suffragane  zu  thun  — ,  glaube 
ich  die  abschliessende  Behandlung  dieser  überaus  schwierigen 
die  Unterschriften  betreffenden  Fragen  den  Herausgebern  der 
für  die  Monumenta  Germaniae  unternommenen  Sammlung 
gallischer  Synodalacten  überlassen  zu  sollen:  so  -sdel  dürfte 
aber  doch  schon  klar  geworden  sein,  dass  in  den  Unterschriften 
die  Metropoliten  von  den  einfachen  Bischöfen  sich  stets  streng 
geschieden,  dass  selbst  innerhalb  dieser  Klassen  die  einzelnen 
ihren  nach  dem  Zeitpunkt  der  Ordination  sich  regelnden  Rang 
mit  kaum  nennenswerthen  Ausnahmen  immer  genau  gewahrt 


1)  Verweisen  will  ich  noch  darauf,  dass  auch  aus  den  Unterschriften 
der  Synoden  zu  Mäcon  (I,  681),  Lyon  (III,  583)  und  Valence  (II,  584), 
schon  so  wie  sie  Mansi  bietet,  eine  einheitliche  Bischofsliste  sich  ge- 
winnen lässt. 


Arles  und  Vienne.  291 

haben.  Ob  nun  aber  auch  sorgsam  beachtete  Satzungen  dar- 
über bestanden,  in  Avelcher  Folge  die  einzelnen  Theilnehmer 
einer  Synode  an  das  Protocoll  heranzutreten  hatten,  um  ihre 
Unterschrift  abzugeben:  da  es  nicht  auch  gesetzlich  geregelt 
war,  sondern  nur  von  einem  keinesweges  ausschliesslichen 
Brauche  zu  reden  ist,  dass  untereinander  die  Unterschriften 
geordnet  werden  sollten,  so  wäre,  selbst  wenn  noch  heute  die 
OriginalprotocoUe  uns  zu  Gebote  ständen,  nicht  immer  an 
einer  Synode  allein  die  gesetzmässige  Aufeinanderfolge  der 
Bischöfe  mit  Sicherheit  zu  erkennen  —  eine  Erwägung,  welche, 
wie  keine  andere  schlagend,  die  Vergleichung  mit  anderen 
Listen  als  unumgänglich  nöthig  erkennen  lässt. 


Nachtrag'. 

N.  A,  XIV,  286  ist  irrthümlich  die  Fortsetzung  der  5.  Anmer- 
kung abgestossen  worden:  'eins  zu  niedrig  bezeichnet:  LIII 
und  Lim  statt  LIV  und  LV.  Auch  in  dieser  Handschrift 
wird  der  IV.  Brief  durch  'item  alia  epistola'  eingeführt  und 
der  VI.  ausdrücklich  durch  'explicit'  beschlossen;  wie  in 
dem  Codex  5537  ist  ferner  neben  der  Nummer  des  letzten 
Briefes  'exempla  epistolae'  zu  finden,  was,  wie  ich  oben 
S.  278  Anm.  2  schon  vermuthet  habe,  vielleicht  aus  'expli- 
ciunt  epistolae'  verschrieben  ist'. 

Zu  dem  zAveiten  Theile  meiner  Arbeit,  welcher  in  diesem 
Bande  S.  10 — 102  veröffentlicht  ist,  verweise  ich  auf  Bress- 
laus  'Handbuch  der  Urkundenlehre  für  Deutschland  und 
Italien',  und  zwar 

zu  S.  28  auf  I,  69.  70:  über  Privilegien  und  Briefe  seit  Ha- 
drian  I., 

zu  S.  31  auf  I,  66:  über  die  Briefform  der  ältesten  Papst- 
urkunden, 

zu  S.  33  auf  I,  99:  wo  Bresslau,  nachdem  er  einen  Theil  der 
neuerlichen  Erörterungen  über  die  päpstlichen  Registerbücher 
als  wenig  ergiebig  für  die  Diplomatik  bezeichnet  hat 
(98  Anm.  1 :  'Manche  der  dabei  mit  grosser  Lebhaftigkeit 
aufs  ausführlichste  besprochenen  Punkte  sind  diplomatisch 
von  sehr  geringer  Bedeutung'),  seine  Auffassung  also  be- 
stimmt: 'Ganz  besonders  schwer  zu  entscheiden  ist  die  Frage, 
ob  die  Registrierung  .  .  .  nach  den  Concepten  .  .  .  oder  nach 
den  ausgefertigten  Originalen  erfolgte.  Sie  lässt  sich  mit 
voller  Sicherheit  weder  für  alle  Zeiten,  noch  auch  nur  für 
eine  bestimmte  Periode  beantworten,  und  es  ist  nicht  einmal 
wahrscheinlich,  dass  zu  einer  bestimmten  Zeit  in  dieser  Be- 
ziehung ganz   gleichmässig  verfahren   sei.     Hinsichtlich  der 


292  Wilhelm  Gundlaeh. 

älteren  Register  vor  dem  13.  Jahrhundert  spricht  allerdings 
die  überwiegende  Wahrscheinlichkeit  dafür,  dass  die  Regi- 
strierung in  der  Regel  nach  den  Concepten  erfolgt  sei'. 

Zu  S.  49.  50  auf  I,  823:  über  fortlaufende  Tageszählung  nach 
heutiger  Art  in  Briefen  Gregors  L,  S.  829  über  die  Datie- 
rung nach  Consulatsjahren,  831  nach  Indictionen,  836  nach 
Kaiserjahren. 

Zu  S.  53  auf  I,  70  Anm.  2:  wo  Bresslau  eine  genaue  Unter- 
suchung über  die  Briefdatierung  in  Aussicht  stellt. 


VII. 


Handschriftliche  Ueberlieferung  und  Quellen 


der 


Chronik  Reginos  und  seines  Fortsetzers. 


Von 


F.  Kurze. 


J 


Um  für  eine  neue  Ausgabe  der  Chronik  Reginos  und 
seines  Fortsetzers,  mit  deren  Vorbereitung  ich  gegenwärtig 
beschäftigt  bin,  die  nöthige  Unterlage  zu  gewinnen,  sehe  ich 
mich  veranlasst,  eine  Darlegung  der  handschriftlichen  Ueber- 
lieferung  und  —  als  Ergänzung  zu  den  Arbeiten  von  H.  Ermisch» 
und  J.  Werra*  —  eine  kurze  Untersuchung  über  die  Quellen 
vorauszuschicken. 

I.    Die  Handsctiriften. 

Die  Originalhandschrift  Reginos  ist  verloren,  und  es  giebt 
auch  keine  unmittelbare  Abschrift  mehr  davon.  Die  zahl- 
reichen mittelbaren  Abschriften  hat  schon  Pertz^  in  zwei 
KJassen  getheilt,  in  Handsclri'iften  mit  und  ohne  Fortsetzung. 
Während  er  den  Hss.  ohne  Fortsetzung  den  Vorzug  gab,  hat 
Ermisch  nachzuAveisen  gesucht,  dass  die  andere  Klasse  einen 
ursprünglicheren  Text  gebe.  Ohne  mich  fürs  Erste  auf  eine 
Untersuchung  der  Richtigkeit  dieses  Satzes  einzulassen,  will 
ich  die  Klasse  mit  Fortsetzung  A,  die  andere  ß  nennen,  da 
die  Bezeichnung  A  zugleich  an  den  Namen  des  wahrschein- 
lichen Verfassers  der  Fortsetzung,  des  späteren  Erzbischofs 
Adalbert  von  Magdeburgs  erinnert. 

Da  in  Anbetracht  dessen,  dass  manche  Hss.  am  Ende  ver- 
stümmelt sind,  das  Vorhandensein  der  Fortsetzung  als  einziges 
Merkmal  für  die  Unterscheidung  der  beiden  Klassen  nicht  aus- 
reicht, so  hat  bereits  Pertz  sich  nach  andern  Kennzeichen  um- 
gesehen und  als  besonders  bezeichnend  sehr  richtig  eine  Stelle 
zum  Jahre  892  herausgefunden.  Hier  fehlen  (SS.  I,  p.  604, 
1.  12 — 14)  in  der  Klasse  B  die  Worte  'in  quo  tamen  non  diu- 
tius  immoratus  aemuHs  agentibus  Richarium  fratrem  Gerhardi 
et  Mahtfridi  in\adiosum  mei  negotii  successorem  sustinui', 
welche  doch  augenscheinlich  echt  sind;  die  Klasse  A  dagegen 


1)  H.  Ermisch,  'Die  Chronik  des  Eegino  bis  813',  Göttingen  1872. 
Diese  überaus  fleissige  und  gründliche  Abhandlung,  welche  auch  eine 
vollständige  Zusammenstellung  des  bis  daliin  über  Reginohandschriften 
bekannt  gewordenen  giebt,  ist  mir  für  meine  ganze  Arbeit  von  grösstem 
Nutzen    gewesen,    auch    wo    ich    sie    nicht   besonders    als   Quelle    anführe. 

2)  J.   Werra,    'Ueber   den    Continuator    Reginonis',    Diss.    Leipz.    1883. 

3)  Vorrede  zur  Ausgabe,  SS.  I,  p.  537  ff. 


296  F.  Kurze. 

lässt  die  folgenden  Worte  'Obsecro  autem  —  querelam'  (1.  14 
— 23),  die  durch  den  Ausfall  eines  oder  mehrerer  Blätter  des 
Originals,  welche  Reginos  Rechtfertigung  enthielten,  sinnlos 
geworden  sind,  wie  es  scheint,  absichtlich  aus.  Aus  dieser 
Stelle  schon  erhellt,  dass  die  verschiedenen  Hss.  ohne  Fort- 
setzung gleichfalls  nicht  unmittelbar  aus  dem  Original  abge- 
leitet sind,  sondern  von  einer  Hs.  abstammen,  in  welcher  die 
Worte  'in  quo  —  sustinui'  schon  fehlten,  und  welche  wir  im 
engern  Sinne  als  Handschrift  B  bezeichnen  wollen. 

Besonders  bezeichnend  sind  femer  u.  a.  folgende  Stellen: 
p.  546  b  26  hat  A:  'Treveris  sanctus  Agricius  confessor  et 
episcopus  insignis  effulsit,  qui  beatum  ]\Iaximinum  dignum  sibi 
instituit  successorem',  ebenda  1.  34:  ^Cuius  (Paulini)  corpus 
Treverim  reportatum  usque  hodie  in  quadam  cripta  nulHs  ali- 
unde  sustentaculis  nitens  divino  nutu  mirabiliter  in  aere  de- 
pendet',  und  p.  6ü5  1.  1:  'cuius  corpus  Treverim  deportatum 
apud  sanctum  Maximinum  est  sepultum';  denn  alle  diese  Stellen, 
sowie  p.  546  b  14—22,  wo  von  der  Stiftung  der  Trierer  lürche 
erzählt  Avird,  fehlen  in  der  ganzen  Klasse  B  und  sind  offenbar 
Zusätze  des  Fortsetzers,   der  ja  Mönch  von  St.  Maximin  war. 

Auf  Grund  dieser  Merkmale  ist  es  möglich,  die  Zugehörig- 
keit jeder  einzelnen  Hs.  zu  der  einen  oder  andern  Klasse 
genau  festzustellen.  Gehen  wir  daher  nun  auf  die  einzelnen 
näher  ein. 

A.  Handschriften  mit  Fortsetzung.  Die  Hs.  A,  d.  h.  die 
Originalhandschrift  Adalberts,  in  Trier  geschrieben  und  968 
jedenfalls  mit  nach  Magdeburg  genommen',  ist  verloren;  Ab- 
schriften von  ihr  sind: 

AI.  Hs.  der  Münchener  Hof-  und  StaatsbibUothek 
n.  6388,  unter  den  ehemals  Freisinger  Hss.  n.  168^  Sie 
enthält,  an  die  Originalhandschrift  des  Liudprand  angebunden, 
die  Chronik  Reginos  mit  Fortsetzung  auf  ursprünglich  etwas 
mehr  als  17  Bogenlagen.  Davon  sind  die  2. — 4.  Lage  ver- 
loren gegangen,  desgleichen  das,  was  hinter  der  17.  Lage  noch 
folgte,  —  wir  wissen  nicht,  wie  viel.  Mit  dem  Ende  dieser 
Lage  schliessen  die  bisherigen  Ausgaben,  und  da  keine  Regino- 
handschrift  weiter  reicht,  und  der  letzte  Satz  an  sich  gar  nicht 
verstümmelt  ist,  so  haben  die  Herausgeber  gar  nicht  gemerkt, 
dass  noch  etwas  fehlt.  Der  sächsische  Annähst  aber  bringt  in 
unmittelbarem  Anschluss  daran  zum  Jahre  967  noch  ein  län- 
geres Stück,  das,  wie  zuerst  Waitz  bemerkte  (SS.  VI,  620 
N.  24),  nur  dem  Continuator  Reginonis  entlehnt  sein  kann. 
Dies  Stück  hat  Büdinger  daher  auch  seiner  üebersetzung  des- 


1)  Vgl.    unten  A  3.  2)    Eine    genaue  Beschreibung    der  Hs.    bei 

Ermisch  S.  20  —  22:  er  bezeichnet  sie  mit  M;   die  Zahlen  6338  und  188 
enthalten  aber  Druckfehler. 


Handschriftl.  Ueberlieferung  u.  Quellen  Reginos  u.   s.  Forts,     297 

selben  angefügt,  und  gegen  eine  Anmerkung  von  Pertz  zu 
Büdingers  Uebersetzung  (S.  32)  hat  Waitz  seine  Zugehörig- 
keit des  Näheren  festgestellt  i. 

Eine  wichtige  Zeitbestimmung  dieser  Hs.,  welche  ich  selbst 
verglichen  habe,  ergiebt  die  Federprobe  auf  fol.  121  oben: 
ABRAM  EPISCOPOPUS  (so  !),  denn  da  Bischof  Abraham  von 
Freising  993  (oder  994)  gestorben  ist,  so  rauss  die  Hs.  zwi- 
schen 968  und  993  geschrieben  sein  und  ist  daher  ohne  Zweifel 
die  älteste  Hs.  dieser  Klasse.  Auf  ihi-e  grosse  Wichtigkeit  hat 
erst  Ermisch  hingewiesen,  während  Pertz  die  Hs.  zwar  ge- 
kannt, aber,  von  vereinzelten  Fällen  abgesehen,  nicht  benutzt 
hat,  weil  er  schon  vollständige  Vergleichungen  der  von  ihr 
abhängigen  Österreichischen  Hss.  besass.  Ermisch  dagegen 
überschätzt  wieder  ihren  Werth:  die  Hs.  ist  von  mehreren 
Schreibern  recht  ungleich  hergestellt,  stellenweise  fast  fehler- 
frei, längere  Stücke  aber  auch  ziemlich  lüderlich.  Ihre  Be- 
deutung für  uns  besteht  besonders  darin,  dass  sie  häufig  der 
einzige  vollständige  Vertreter  der  Klasse  A  ist.  Originalhand- 
schrift des  Continuators  ist  sie  aber  nicht;  vergeblich  hat 
Sickel^  in  ihr  nach  den  aus  der  Kanzlei  bekannten  Schrift- 
zügen des  Trierer  Adalbert  gesucht;  nachher  w^erden  wir  auch 
sehen,  dass  die  Hss,  A2  (Parisinus  5018)  und  A3  (AnnaUsta 
Saxo)  von  ihr  unabhängig  sind. 

Abhängig  von  AI  sind  folgende  Hss.: 

Ala.  Hs.  der  Wiener  Hofbibliothek  n.  408,  elften 
Jahrhunderts 3,   ehemals  zu  Admont,   von  Pertz    mit  7   be- 

Z61CilUGij 

A  Ib,  Hs.  der  Wiener  HofbibHothek  n.  538,  XII.  Jahrb., 
bei  Pertz  n.  9.  Auf  dem  Vorsteckblatte  enthält  sie  die  Worte : 
*Kstf  Ikber  ptinft  ad  sbn  Mbrkbm  Chotov.',  d.  h.  'Iste  Über 
pertinet  ad  san  Mariam  Chotovicensem',  ist  also  aus  Göttweih. 

Ale.  Hs.  der  Wiener  Hofbibliothek  n.  639,  vom  An- 
fang des  XIII.  Jahrhunderts,  aus  Victring,  bei  Pertz  n.  10. 

Aid.  Hs.  der  Klosterbibliothek  zu  Klosterneuburg, 
XII.  Jahrh,,  bei  Pertz  n.  11, 

A  le.  Hs.  der  Wiener  Hofbibliothek  n,  3522,  XV.  Jahi-h., 
bei  Pertz  n.  12. 

Alf,  Hs.  der  Estensischen  Bibliothek  zu  Modena  vom 
Jahre  1093,  nur  das  erste  Buch  enthaltend,  an  die  Gesta 
pontificLim  angeschlossen. 


1)  Göttinger  Gel.  Nachrichten  Jahrg.  1871,  S.  370  f.;  vgl.  Werra,  S.  55 
Anm.  2)    Mittheilungen    des    Instituts    für    österreichische    Geschichts- 

forschung,   Ergänzungsband  I,  362.  3)   Die  genaueren  Angaben    über 

die  Wiener  Hss.,  soweit  sie  sich  nicht  schon  bei  Pertz  und  Ermisch  finden, 
verdanke  ich  Herrn  Privatdocenten  Dr.  Herzberg-Fränkel  in  Wien,  welcher 
auch  grössere  Stücke  der  ehemals  Göttweiher  Hs.  für  mich  verglichen  hat. 
Neues  Archiv  etc.     XV.  20 


298  F.  Kurze. 

Die  Abhängigkeit  der  fünf  österreichischen  Hss.  von  A  1, 
•welche  schon  Pertz  (Archiv  V,  763,  SS.  I,  542)  erkannte, 
ergiebt  sich,  wie  Waitz  bemerkt,  schon  daraus,  dass  keine  von 
ihnen  weiter  reicht,  als  bis  dahin,  wo  AI  abbricht;  die  grosse 
Lücke  im  ersten  Theil  von  A  1  findet  sich  allerdings  nicht  in 
diesen  Hss.,  ist  also  jüngeren  Ursprungs.  Einen  weiteren  Be- 
weis bietet  z.  B.  die  Stelle  p.  573  1.  40,  wo  die  Worte  'per 
vos'  in  A  1  wie  in  Ala — e  (bei  Pertz  7.  9 — 12)  gleichraässig 
fehlen,  Avährend  A2  und  3  'per  te'  haben.  Ebenso  fehlen 
p.  600  1.  16  in  Ala — e  die  Worte  'Thanai  tenus',  die  in  A3 
vorhanden  sind  —  A2  reicht  nicht  so  weit  — ,  während  AI 
hier  eine  Lücke  von  entsprechender  Länge  hat.  Aehnliche 
Fälle  lassen  sich  noch  mehr  zusammen  stellen,  und  bei  der 
Vergleichung  von  A  1  habe  ich  gefunden,  dass  in  den  meisten 
Fällen,  wo  ich  eine  abweichende  Lesart  zu  notieren  hatte,  die- 
selbe schon  von  Pertz  für  die  Hss.  7.  9 — 12  (Ala — e)  notiert 
war.  Häufig  freilich  schienen  aucli  die  Hss.  7.  9 — 12  überein- 
stimmend von  A  1  abzuweichen :  die  Vei'gleichung  der  Hs. 
Alb  (9),  welche  Herr  Dr.  Herzberg  -  Fränkel  mir  für  eine 
grosse  Anzahl  solcher  Fälle  freundlich  besorgt  hat,  ergab 
jedoch,  dass  der  von  Pertz  zusammengestellte  Imtische  Ap- 
parat vielfach  ungenau  und  unzuverlässig  ist,  und  dass  die 
Annahme  der  Abhängigkeit  nirgends  wesentliche  Schwierig- 
keiten findet. 

Ueber  die  Hs.  in  I^Iodena  steht  mir  eine  kurze  Notiz  des 
verstorbenen  Joh.  Heller  mit  Collation  der  Praefatio  zu  Ge- 
bote, welche  sich  im  Archiv  der  INIonumenta  vorfand.  Danach 
erweitert  diese  Hs.  die  Ueberschrift ,  die  in  den  andern  Hss. 
lautet:  'Incipit  prcfatio  operis  subsequentis',  wie  AI  um  fol- 
gende Worte:  'chronicae  videlicet,  quam  Regino  quondam 
abbas  Pruniensis  composuit'.  Ebenso  hat  die  Hs.  1.  7  mit 
AI  'probetur'  gegen  'approbetur'  der  übrigen  Hss.,  und  1.  18 
'stilum'  gegen  'stilo'  der  übrigen.  Die  Hs.  ist  also  sicherlich 
abhängig  von  AI. 

In  welchem  verwandtschaftlichen  Verhältnis  die  sechs  Hss. 
A  la — f  zu  einander  stehen,  ist  für  eine  Ausgabe  von  geringer 
Wichtigkeit,  denn  da  ims  A  1  selbst  erhalten  ist,  so  kommen 
die  daraus  abgeleiteten  Hss.  höchstens  für  die  Ergänzung  der 
dort  fehlenden  drei  Lagen  in  Betracht.  Da  ich  sie  jedoch 
nicht  selbst  einsehen  konnte,  so  habe  ich  auf  ihre  Vergleichung 
verzichtet,  als  ich  in  der  Hs.  A2  genügenden  Ersatz  gefunden 
hatte.  Gewiss  ist,  dass  Alb — e  (9 — 12)  unter  sich  näher  ver- 
wandt sind:  das  ergiebt  sich  schon  aus  der  Stelle  zum  Jahre 
899,  wo  alle  andern  Hss.,  auch  AI  und  Ala,  lesen:  'in 
Odingas,  ubi  et  pater  eius  tumulatus  iacet',  Alb — eaber:  'in 
Radispona,    in   basilica   sancti  Heramerammi   martyris,   quem 


Handschriftl.  tJeberlieferung  u.  Quellen  ßeginos  u.  s.  Forts.  299 

ipse,  dum  vixit,  multum  veneratus  est' i.  So\ael  man  aus 
Pertz'  Apparat  ersehen  kann,  scheint  A  Ib  (9)  die  Quelle  der 
drei  jüngeren  Hss.  TA  Ic — e)  zu  sein,  Ale  (12)  aber  ist  sicher- 
lich Abschrift  von  Aid  (11).  Will  man  also  die  Lücke  in  AI 
aus  den  Abschriften  ergänzen,  so  hat  man  sich  nm-  an  Ala 
und  b  zuhalten;  leider  ist  Ala,  die  älteste  Abschi'ift,  zugleich 
die  am  nachlässigsten  geschriebene. 

A2.  Hs.  der  National-Bibliothek  zu  Paris  n.  5018.  Ich 
habe  diese  Hs.,  welche  Pertz  nicht  benutzt  hat,  vollständig 
verglichen:  sie  ist  der  Schrift  nach  aus  der  zweiten  Hälfte  des 
XL  Jahrhunderts  und  enthält  auf  der  ersten  und  der  letzten 
Seite  von  einer  Hand  des  XI.  Jahrh.  die  Bemei'kung  'LIßER 
SCI  STEPHANI'.  Das  Wort  'Stephani'  ist  zwar  an  beiden 
Stellen  ausradiert,  aber  an  der  zweiten  noch  zu  erkennen,  und 
an  der  ersten  hat  ein  Schreiber  des  XII.  Jahrh.  zwischen 
'Liber'  und  'sancti'  mit  kleineren  Buchstaben  eingeschaltet: 
'Steph";  auch  hat  dieselbe  Hand  des  XII.  Jahrh.  darüber  ge- 
schrieben: 'liber  sancti  stephani  historic.  Quicumque  hoc  nega- 
vit,  anathema  sit'.  Die  Worte  's.  st.  h.'  sind  allerdings  auch 
hier  wegradiert  und  nur  nach  einzelnen  Spuren  des  'st'  und  'h' 
von  mir  ergänzt.  Auf  derselben  Seite  haben  sich  P.  Pithou 
und  Jac.  Aug.  Thuanus  als  spätere  Besitzer  eingetragen  In 
späterer  Zeit  angebunden  sind  hinten  noch  die  8  ersten  Blätter 
einer  Hs.  IX.  —  X.  Jahrhunderts  von  Bedas  Schrift  'de  sex 
huius  s^culi  etatibus',  welche  bis  zu  den  AVorten  'Honorius 
cum  Theodosio  minore  fratris  sui'  reichen.  Die  Peginohand- 
schrift  enthält  die  Chronik  bis  'iterato  crudeliter'  im  J.  867 
(p.  578  1.  8)  und  bricht  hier  plötzlich  ab  oben  auf  fol.  76', 
ohne  irgendwie  verstümmelt  zu  sein. 

Die  Zugehörigkeit  dieser  Hs.  zur  Klasse  A  beweisen  die 
oben  angeführten  Stellen  auf  p.  546b  der  Ausgabe  von  Pertz, 
ihre  Unabhängigkeit  von  AI  z.  ß.  schon  p.  556a  10,  wo  A  1 
abweichend  liest:  'illum  regem  vocarique  potestatemque  habere', 
A2  und  3  aber  richtig  mit  B:  'illum  regem  vocari,  qui  pote- 
statem  haberet'.  Ferner  fehlen  p.  575  1.  41  in  AI  und  den 
von  ihr  abhängigen  Hss.  die  Worte  'sanctae  ecclesiae',  p.  560a 
1.  48  das  Wort  'honorifice',  p.  570  1.  13  'aequo',  nicht  aber  in 
A2  und  3;  und  ähnliche  Stellen  finden  sich  noch  viele. 

Ueber  eine  Hs.  A2*  s.  u.  Bl. 

A3.     Der  sächsische  Annalist,  welcher  seine  Quellen 


1)  Ausführlich  handeln  über  diese  Stelle  Waitz,  Gott.  Gel.  Nachr. 
1871,  S.  369  f.  und  Ermisch  S.  15  f.:  beide  kommen  zu  dem  Resultat, 
dass  die  Kasur,  welche  A 1  an  dieser  Stelle  hat,  für  die  Sache  ganz 
gleichgültig  ist.  Die  Randbemerkung:  'perdes  omnes,  qui  loquuntur 
mendacium',  welche  hundert  Jahre  jünger  ist  als  der  Text,  kommt  gar 
nicht  iu  Betracht,  da  ihr  Verfasser  so  wenig,  wie  wir,  wissen  konnte,  was 
vorher  auf  der  radierten  Stelle  stand. 

20* 


300  F.  Kurze. 

grÖsstentheils  wörtlich  ausschreibt,  hat  auch  Reginos  Chronik 
vom  Jahre  741  an  in  dieser  Weise  stark  benutzt  und  ist  daher 
unter  den  Hss.  derselben  mit  aufzuzählen  (n.  8  bei  Pertz) », 
Von  grösster  Wichtigkeit  ist  er  namentlich  für  die  Fortsetzung, 
da  uns  hier  bald  alle  andern  Hss.  ausser  A 1  verlassen,  und 
selbst  diese,  wie  Avir  sahen,  am  Ende  verstümmelt  ist.  Die 
Unabhängigkeit  des  Annalisten  von  AI  geht  schon  daraus 
hervor,  dass  er  den  Schluss  der  Fortsetzung  noch  enthält,  der 
in  AI  bereits  fehlte,  als  Ala  geschrieben  wurde.  Weitere 
Beweise  bieten  die  bei  A2  aufgeführten  Stellen. 

Als  Compilator  hält  sich  der  Annalist  natürlich  nicht 
immer  mit  der  Treue  eines  Abschreibers  an  den  Text  der 
Vorlage,  namentlich  hat  er  seine  eigene  durchgeführte  Schrei- 
bung der  häutigsten  Eigennamen  und  erlaubt  sich  auch  sonst 
kleine  Aenderungen,  Aus^lassungen  und  Umstellungen;  wo  also 
seine  Lesart  gegen  A 1  allein  steht,  kann  sie  nur  unter  be- 
sonderen Umständen  Berücksichtigung  linden,  avo  sie  aber 
durch  Uebereinstimmung  mit  A2  oder  B  gestützt  wird,  trägt 
sie  sehr  zur  Ermittelung  des  Textes  der  verlorenen  Hs.  A  bei. 

Auch  die  Magdeburger  Annale n  (SS.  XVI)  haben 
unsere  Chronik  und  ihre  Fortsetzung  benutzt,  jedoch  mit 
solcher  Freiheit,  dass  sie  für  den  kritischen  Apparat  nicht  zu 
verwerthen  sind.  Wir  sehen  jedoch  daraus,  dass  es  noch  im 
XII.  Jahrhundert  in  Sachsen  eine  Hs;  mit  Fortsetzung  gab, 
und  es  ist  nicht  unmögUch,  dass  dies  die  Originalhandschrift 
des  Fortsetzers  (A)  selbst  gewesen  ist,  welche  der  Erzbischof 
Adalbert  doch  wanrscheinlich  mit  nach  Magdeburg  gebracht 
hatte  K  Der  heilige  Stephan,  Avelchem  die  Hs.  A  2  ursprüng- 
lich gehörte,  dürfte  dann  der  von  Halberstadt  sein :  an  Weihen- 
stephan zu  Freising  ist  deshalb  nicht  zu  denken,  weil  man  in 
dieser  Stadt  schon  die  Hs.  A 1  hatte,  von  welcher  A  2  unab- 
hängig ist. 

B.  Die  Handschrift  B,  d.  h.  die  gemeinsame  Quelle  aller 
Hss.  ohne  Fortsetzung,  ist  wie  die  Hs.  A  verloren.  Wie  dort, 
haben  wh'  aber  auch  hier  drei  selbständige  Vertreter  der 
Klasse : 

B  1.  Hs.  der  Klosterbibliothek  zu  Ein  sie  dein  n.  359, 
vom  Ende  des  X.  Jahrhunderts.  Diese  Hs.,  welche  Pertz  nicht 
benutzt  hat  (vgl.  Archiv  III,  234)  habe  ich  vollständig  ver- 
glichen und  als  die  älteste  und  beste  der  Klasse  befunden. 
Eigentlich  möchte  man   sie  zunächst  der  Klasse  A  zuweisen. 


1)  Herausgegeben  von  Waitz,  SS.  VI,  542 — 777  nach  der  Original- 
handschrift zu  Paris.  2)  In  Trier  war  sie  wenigstens  nicht  mehr,  ala 
B2  geschrieben  wurde.  Auch  von  Magdeburg  scheint  sie  freilich  bald 
nach  Adalberts  Tode  fortgekommen  zu  sein,  da  Thietmar  von  Merseburg 
die  Fortsetzung  Reginos  sicherlich  nicht  gekannt  hat. 


Handschriftl.  Ueberlieferung  u.  Quellen  Reginos  u.   s.  Forts.    301 

denn  sie  entliält  die  Fortsetzung  bis  zu  den  Worten  'Capri- 
montem  obsidione'  im  J.  939  auf  p.  618  1.  15,  und  da  mit 
diesen  Worten  kein  Satz,  wohl  aber  gerade  die  15.  Lage  der 
Hs.  scbliesst,  so  ist  es  höchst  wahrscheinlich,  dass  ursprünglich 
noch  mehi'ere  Lagen  folgten,  die  den  Rest  der  Fortsetzung 
enthielten.  Dennoch  entscheiden  alle  die  oben  angeführten 
Stellen  für  Zugehöi'igkeit  zu  B ;  so  fehlen  die  auf  Trier  be- 
züglichen Zusätze  des  Fortsetzers,  ebenso  zum  J.  892  die 
Worte  'in  quo  —  sustinui';  dafür  enthält  sie  die  Worte  'Ob- 
secro  —  querelani'  und  zeigt  auch  sonst  beständig  die  engste 
Verwandtschaft  mit  ß  2  und  3.  Es  bleibt  also  nur  übrig,  an- 
zunehmen, dass  die  Hs.  aus  zwei  Vorlagen  zusammengeschrie- 
ben ist:  die  Chronik  aus  B,  die  Fortsetzung  aus  einer  Hs.  der 
Familie  A.  Dass  die  Einsiedler  Hs.  hier  von  der  Münchener 
(A  1)  unabhängig  ist,  zeigen  folgende  Stellen:  sie  hat  p.  615  1.  16 
'fatigatus',  616  1.  4  'et  Gisalb.'  und  L  14 'Hiberniam'  wie  A3; 
A  1  dagegen  liest  'fugatus',  nur  'Gisalb.'  und  'Hibernam'.  Da 
sie  sich  nun  dem  Alter  nach  zwischen  A 1  imd  A  3  einreiht, 
A2  aber  die  Fortsetzung  nicht  mehr  enthält,  so  will  ich  das 
in  der  Einsiedler  Hs.  enthaltene  Stück  der  Fortsetzung  mit  A  2* 
bezeichnen. 

Von  B  1   abhängig  sind  folgende  Hss. : 

B  la.  Hs.  der  National -Bibliothek  zu  Paris,  n.  5016, 
XI.  Jahrh.  (n.  6  bei  Pertz),  eine  Prachthandschrift  auf  vorzüg- 
lichem Pergament  mit  breiten  Rändern  und  sorgfältig  in  Mennig 
ausgeführten  Anfangsbuchstaben.  Pertz  sah  in  dieser  Hs.  den 
Hauptvertreter  einer  besonderen  Gruppe,  die  eine  eigenartige 
Mittelstellung  einnehme  zwischen  den  beiden  Hauptldassen. 
Es  schien  daher  nöthig,  sie  zur  Vergleichung  kommen  zu 
lassen;  auf  den  ersten  Blick  zeigte  sich  aber,  dass  sie  eine 
Abschrift  der  Einsiedler  ist,  was  Ermisch  schon  richtig  ver- 
muthet  hatte,  ohne  jene  näher  zu  kennen.  Die  Pariser  Hs. 
schliesst  nämlich  mit  denselben  Worten  'Caprimontem  obsi- 
dione' wie  B  1 ,  aber  ohne  verstümmelt  zu  sein,  mitten  auf  der 
Seite.  Zu  grösserer  Sicherheit  habe  ich  bei  der  Vergleichung 
der  Einsiedler  Hs.  die  Pariser  immer  zur  Hand  gehabt  und 
mich  überzeugt,  dass  die  wesentlichen  Abweichungen  der 
ersteren  sich  stets  in  der  letzteren  wiederfinden.  Als  beson- 
ders bezeichnende  Stellen  will  ich  noch  folgende  erwähnen: 
p.  546a  61  hat  Bl  die  Worte  'apud  Augustam  Afra  in 
Rhetia  provincia'  zunächst  ganz  ausgelassen,  dann  über  das 
Folgende  'Nicea  Bithyniae  Theodora  cum  filiis'  übergeschrie- 
ben: 'apud  Augustam  Afra',  aber  ohne  ein  Zeichen,  wohin 
dies  gehört,  und  so,  dass  man  glauben  kann,  der  Zusatz  sei 
erst  nach  'filiis'  einzuschalten ;  B  la  liesst  daher  auch  'Nicea 
B.  T.  c.  filiis,  apud  Aug.  Afra'.  P.  553b  26  hat  Bl  für 
'multa  instantia'  verschrieben  'rnula';  B  la  macht  daraus 'mala': 


302  F.  Kurze. 

p.  556a  63—66  hat  ßl,  veranlasst  durch  das  zweimalige 
'Aquitaniam  ingressus',  die  "Worte  'per  Narbonam  —  Aqn.  ingr.' 
ausgelassen;  dieselben  felilen  auch  in  B  la. 

Zwei  Hss.,  welche  Ermisch  S.  25  mit  Pertz  noch  hierher  setzt, 
habe  ich  nicht  für  nöthig  befunden,  näher  zu  untersuchen: 

B  Ib.  Hs.  der  ehemaligen  Abtei  Muri,  XII.  Jahrh.,  enthält 
eine  Compilation  aus  Regino,  Hermann  von  Reichenau,  Bernold  und 
Berthold,   im  Anschluss  daran  die  sogenannten  Ann.  S.  ßlasii*. 

B  Ic.  Hs.  des  Klosters  Engelberg,  Mitte  des  XII.  Jahr- 
hunderts, eine  Abschrift  der  vorigen. 

B2.  Hs.  der  St.  Johannis-  oder  Ministerialbibliothek  zu 
Seh  äff  hausen  n.  109,  vom  Ende  des  X.  Jahrhunderts  (n.  1 
bei  Pertz).  Zum  Beweis  der  Unabhängigkeit  dieser  und  der 
folgenden  Hss.  von  B  1  genügt  schon  der  Umstand,  dass  sie 
von  der  Fortsetzmig  gar  nichts  enthalten.  Dazu  kommt  z.  B., 
dass  sowohl  B  2  als  B  3  p.  546a  61  und  556a  63-66,  wo  B  1 
und  sein  Anhang,  wie  wir  sahen,  einiges  ausgelassen  hat,  den 
unverkürzten  Text  bieten.  Die  Unabhängigkeit  von  B3  ist 
dadurch  ausser  Frage  gestellt,  dass  dort  der  Schluss  der 
Chi'onik  fehlt,  während  B2  vollständig  ist. 

Umgekehrt  ist  zu  beweisen,  dass  B2  nicht  Vorlage  von 
B  1  und  B  3  gewesen  sein  kann.  An  Beweisstellen  steht  hier 
die  grösste  Auswahl  zu  Gebote :  so  fehlen  p.  549b  28  die 
Worte:  *llac  peste  Pelagius  papa  extinctus  est',  die  in  A2 
(AI  fehlt  mir  hier),  Bl  und  B3  zu  lesen  sind  und  also 
unzweifelhaft  zum  Texte  gehören.  Ganz  dasselbe  gilt  p.  550a  53 
von  den  Worten:  'Post  sanctum  Columbanum  in  Luxovium 
Attalus  abba  efficitvir',  welche  hinter  'aedificavit'  einzuschalten 
sind.  Besonders  bezeichnend  ist  die  in  allen  Hss.  verderbte 
Stelle  p.  600  1.  43  —  600  1.  1:  sie  heisst  in  den  andern  Hss. 
mit  kleinen  Abweichungen:  'CapiUum  usque  ad  uitem  (für 
'cutem')  ferro  caedunt;  super  illos  ire,  consistere,  meditari  ac 
colloqui  solent'^  in  B2  aber  ist  sie  offenbar  durch  Ausfall 
einer  Zeile  weiter  verderbt  in:  'Capillum  usque  ad  uitem  tari 
ac  colloqui  solent'.  Auch  sonst  weist  B2  Ideine  Lücken  und 
Umstellungen  in  grosser  Zahl  auf. 

Zugleich  geht  daraus  hervor,  dass  man  der  Hs.,  welcher 
Pertz  den  aUergrössten  Werth  beimass,  diese  Bedeutung  mit 
Ermisch  absprechen  muss.  Doch  ist  ihr  Werth,  da  fast  jede 
der    15  Lagen   von    einem    andern   Schreiber  2,    oft    eine    von 


1)  Diese  von  Pertz  noch  benutzte  Hs.  ist  seit  der  Aufhebung  des 
Klosters  (1841)  verschollen  und  von  Bresslau  und  Waitz  bei  den  Vor- 
arbeiten für  die  Edition  des  Chron.  Suev.  univ.  (vgl.  SS.  XIII,  62)  ver- 
geblich gesucht  worden.  Doch  mag  sie  au  dieser  Stelle  erwähnt  werden, 
weil  noch  nicht  alle  Hoffnung  auf  ihre  Wiederauffinduug  aufgegeben  zu 
werden    braucht.  2)  Die    ganze    Vorlage    scheint    gleich    unter    eine 

grössere  Anzahl  von  Schreibern  ausgetheilt  worden  zu  sein,  die  nun  gleich- 


Handschriftl.  Ueberlieferung  u.   Quellen  Reginos  u.   s.  Forts.    303 

mehreren,  geschrieben  ist,  für  die  einzelnen  Theile  sehr  ver- 
schieden; viele  Lagen  sind  fast  fehlerlos,  manche  wimmeln 
wieder  von  allerlei  Versehen.  Unverdienterweise  ist  die  Hs. 
dadurch  bei  Ermisch  in  Missachtung  gerathen,  weil  er  sie  für 
alle  Fehler  des  ersten  Theils  der  Pertz'schen  Ausgabe  verant- 
wortlich macht;  aber  Pertz  hat  aus  ihr  nur  in  zahlreichen 
Fällen  den  Text  verändert  —  man  kann  nicht  immer  sagen, 
verbessert  — ,  als  Grundlage  aber  einfach  die  letzte  Ausgabe 
benutzt.  Auf  die  Herkunft  der  Hs.  gestattet  vielleicht  das  erste 
Blatt  einen  Schluss.  Hier  stehen  von  einer  Hand  des  aus- 
gehenden X.  Jahrhunderts  die  8  Hexameter: 

'Nini  Semiramis,  quae  tanto  coniuge  felix 
Plurima  possedit,  sed  plura  prioribus  addit 
Non  contenta  suis  nee  totis  finibus  orbis, 
Expidit  a  patrio  privignura  Trebeta  regno : 
5  Profugus  insignem  nosti'am  qui  condidit  urbem, 
Treberis  huic  nomen  dans  ob  factoris  amorem. 
Quae  Caput  Europae  cognoscitur  anteritate: 
Filius  huius  Ero  patris  haec  epigi'ammata  pono'. 
Dazu  fügen  Hände  des  XI.  Jahrhunderts  noch  2  Hexameter 
'Cuius  ad  inferias  hie  cum  Jove  Mars  tenet  aras 
Sidere  concordi  pax  est  non  dissocianti' 
und  nach  einer  leergelassenen  Zeile  3  Distichen: 

'Exul  Arimaspes  hac  Martis  in  arce  quiesco, 
Belgica  Roma  mei  non  mea  digna  fuit. 
Im-e  bono,  meritorum  nobilitate,  triumphis, 
Dii  tueantur,  ei  par  nisi  Roma  nichil. 
5  Vulneror,  Epte  reo,  consul  primusque  senatus, 

Hie  gaudete,  mei,  sie  meruisse  mori'. 
Diese  Verse  finden  sich  auch  in  den  'Gesta  Treverorum' 
(SS.  Vni),  die  Hexameter  p.  131,  die  Distichen  p.  136,  und 
zwar  sollen  die  ersteren  von  einer  Marmortafel  entnommen 
sein;  auch  Otto  von  Freising  citiert  in  seiner  Chronik  (SS.  XX) 
I,  8  die  Verse  bis  'Treveris  et  caetera  als  ein  'nostris  ibi  tem- 
poribus  repertum  et  in  lapide  sculptum  epitaphium'J.   Die  Hs. 

zeitig  neben  einander,  jeder  ein  bestimmtes  Stück,  abschrieben.  Mehr- 
fach ist  dabei  unten  auf  der  Seite  Raum  übrig  geblieben,  in  andern  Fällen 
musste  der  Rand  zu  Hülfe  genommen  werden;  häufig  haben  die  Schreiber, 
um  ganz  genau  auszukommen  und  sicher  zu  gehen,  offenbar  die  Zeilen- 
abtheilung  der  Vorlage  beibehalten.  Aehnliches  ist  bei  der  Einsiedler  Hs. 
stellenweise  zu  beobachten;  durch  Vergleichung  von  B  1  und  B2  —  leider 
habe  ich  sie  nicht  neben  einander  gehabt  —  würde  sich  also  vielleicht 
für  längere  Strecken  die  Zeilenabtheilung  der  verlorenen  Hs.  B  fest- 
stellen lassen.  1)  Einzeln  kommen  diese  Verse  auch  in  dem  Codex 
Udalrici  u.  271.  272  (Jaffd,  Bibl.  rer.  Germ.  V,  459)  und  in  der  Hs.  der 
Königin  Christine  497  f.  71  zu  Rom  vor;  s.  Pertz  Archiv  XII,  284; 
s.  auch  Jahrb.  der  Alterthumsfr.  im  Rheinlande  L,  228.  An  dem  ersteren 
Orte  werden  sie  ebenfalls  als  Steinschriften  bezeichnet. 


304  F.  Kurze. 

stammt  also  höchst  wahrscheinlich  aus  Trier  und  war  eben 
diejenige,  welche  der  Verfasser  der  Gesta  Treverorum,  dessen 
Hauptquelle  Regino  war,  benutzte.  Auf  der  Rückseite  des- 
selben Blattes  steht  noch  von  einer  Hand  des  XI,  Jahrh. : 
'Ostendit  sanctus  Gamaliel  per  visum  Luciano  sacerdoti  tres 
calatos  aureos  rosis  rosis  (sie)  refertos  et  quartum  argenteum 
croco  plenum  et  dixit:  hi  sunt  nostri  loculi  et  nostre  reliquiae, 
hie  autem  sanguineas  habens  rosas  loculus  es  (sie)  sancti  Ste- 
phani,  qui  solus  ex  nobis  martirio  meruit  coronari'.  Darunter 
von  einer  jüngeren  Hand:  'V.  id.  Martii  Ropertus  oecisus  fr 
C.  et  H.  ann  MCXXVIII.  düica  G.'  (?)  • ;  wer  aber  dieser 
Ruopertus  war,  habe  ich  nicht  ermitteln  können. 

Von  ß  2  stammt  eine  grosse  Anzahl  von  Hss.  ab,  deren 
Abhängigkeit  jedoch  nicht  so  leicht  zu  erweisen  ist. 

B  2a.  Hs.  des  Britischen  Museums  zu  London,  in  der 
Sammlung  des  Lord  Arundel  n.  390.  Pertz  kannte  sie  noch 
nicht.  Ermisch  dagegen  meinte,  sie  sei  'wohl  die  älteste  Hs. 
ohne  cont.  und  verdiene  entschieden  Beachtung'.  In  der  That 
ist  die  Schrift  nach  der  im  'Catalogue  of  mss.  in  the  British 
Museum,  new  series'  I,  Tafel  II  mitgetheilten  Probe  wohl  sicher 
noch  dem  X.  Jahrh.  zuzuweisen  2,  wohin  sie  auch  Lappenberg 
setzte  f  Arch.  VII,  382),  während  man  bei  B  2  eher  zwisclien 
dem  Ende  des  X.  und  dem  Anfang  des  XI.  Jahrhunderts 
schAvanken  kann. 

Aus  Pertz'  Apparat  schon  ist  deutlich  die  enge  Verwandt- 
schaft der  Hss.  aus  Schaffliausen  (1),  Karlsruhe  (2)  und  Trier  (3) 
zu  ersehen ;  die  Trierer  aber  erwies  sich  sofort  (s.  u.  B  2b) 
als  eine  Abschrift  der  Arundel -Hs.  Dass  nun  die  Londoner 
nicht  etwa  Vorlage  der  Schaffhäuser  und  Karlsruher  Hss.  ge- 
wesen sein  konnte,  ergab  sich  aus  den  zahlreichen  Abweichungen 
der  ersteren  an  Stellen,  wo  die  letzteren  den  echten  Text  bie- 
ten, zur  Genüge;  in  der  Schaff häuser  aber  die  gemeinsame 
Vorlage  sehen  zu  wollen,  schien  sowohl  in  Hinsicht  auf  das 
vielleicht  höhere  Alter  der  Londoner  bedenklich,  als  auch  des- 
halb, weil  die  Karlsruher  Hs.  unmöglich  (s.  u.  B  2i)  unmittel- 
bar aus  der  Schaffhäuser  abgeschrieben  sein  kann.  Aus  diesen 
Gründen  glaubte  ich  eine  jetzt  verlorene  gemeinsame  Quelle 
der  drei  Hss.  annehmen  zu  müssen,  und  habe  daher  die  Karls- 
ruher selbst  vollständig  verglichen,  während  die  Arundel- Hs. 
auf  Kosten  der  Monumenta  von  Herrn  J.  H.  Jeayes  im  Briti- 
schen Museum  gleichfalls  fast  vollständig  für  mich  verglichen 
worden  ist.  Jeder  Versuch,  an  irgend  einer  Stelle  aus  den 
di'ei   Hss.    die   Lesart   ihrer   verlorenen  Vorlage    herzustellen, 


1)  Der  11.  März  1128  war  der  erste  Fastensonntag.  2)  Vgl.  auch 
Dümmler  'Gesch.  d.  ostfr.  Reichs'  III,  169  f.  Anm.  2,  wo  die  Grabschrift 
des  im  J.  886  gefallenen  Grafen  Heinrich  aus  dieser  Hs.  mitgetheilt  wird. 


Handschriftl.  Ueberlieferung  u.  Quellen  Reginos  u.  s.  Forts.    305 

führte  aber,  von  Kleinigkeiten  abgesehen,  immer  wieder  zu 
dem  Ergebnis,  dass  in  der  gesuchten  Vorlage  dasselbe  gestan- 
den haben  müsste ,  was  in  ß  2  wirklich  steht ,  so  dass  ß  2 
eine  ganz  unnatürlich  genaue  Abschrift  einer  mit  Fehlern  ziem- 
lich stark  behafteten  Vorlage  hcätte  sein  müssen.  Dazu  kommt, 
dass  die  mit  rother  Schrift  in  B  2  am  Rande  eingetragenen 
Verweise  auf  den  Inhalt  der  betreffenden  Stellen,  wie  p.  549b 
^De  visiolne  gund|rammi  re|gis'  oder  p.  551b  unten  'De  filio| 
dagob|  regis  re|sponden|ti  aman|do  epo|  airi'  oder  p.  557b  unten 
'De  missisl  adriani|  pape  ad|  regem',  die  hier  ganz  den  Ein- 
druck der  Oi'iginalität  machen,  sich  in  der  Arundel-Hs.  eben- 
falls finden,  aber  meist  zusammenhängender  geschrieben,  wie 
man  sie  eben  aus  einer  Vorlage  abschreibt.  Wenn  nun  schliess- 
lich z.  B.  p.  547b  67  für  'prius'  ß  2  mit  einer  gewöhnlichen 
Abkürzung  schreibt  'pus',  die  beiden  andern  aber  'pius', 
p.  548b  70  für  'Gisulfum'  B  2  'gisulfulfum',  die  Karlsruher  Hs. 
aber  'gisulfalfum'  und  die  Londoner  'gisilulfum',  wenn  p.  549a  64 
für  'qui  genuit  Dagobertum'  B2  hat  'qui  genibertum',  die 
beiden  andern  aber  die  drei  Worte  auslassen,  Avenn  p.  603  1.  4 
für  'substiterunt'  B2  zuerst  'substerunt'  schreibt  und  dieses 
durch  ein  übergeschriebenes  'n'  in  'substernunt',  dann  durch 
Tilgung  des  'n'  imd  Hinzufügung  von  'it'  in  'substiterunt' 
ändert,  die  Karlsruher  Hs.  aber  dafür  'subsiternunt'  aufweist, 
und  wenn  endhch  p.  601  1.  8  die  Hs.  B  2  für  'descensus'  liest 
'decensus',  woraus  eine  andere  Hand  'decursus'  gemacht  hat, 
und  dieses  'decursus'  sich  in  den  beiden  andern  Hss.  wieder- 
findet, so  kann  es  wohl  kaum  noch  einem  Zweifel  unterliegen, 
dass  B2  die  gemeinsame  Quelle  der  Londoner  und  Karls- 
ruher Hss.  ist. 

Von  B2a,  der  Arundel-Hs.,  gilt  nun,  was  Ermisch  S.  16  f. 
von  der  Trierer  Hs.  sagt,  dass  sie  den  Text  der  Vorlage  nicht 
eben  treu  wiedergiebt,  sondern  ihn  vielfach  grammatisch  zu 
verbessern  und  unverständliche  Sätze  zu  bei'ichtigen  sucht, 
aber  auch  sonst  sich  manche  Abweichungen  erlaubt.  Und  da 
wir  die  Hs.  zur  Herstellung  des  originalen  Textes  nicht  nöthig 
haben,  so  kann  ims  diese  Eigenschaft  nur  willkommen  sein, 
insofern  als  sie  es  ermöglicht,  die  von  B2a  abhängigen  Hss. 
mit  Leichtigkeit  zu  erkennen.     Deren  sind  sechs  bekannt: 

B2b.  Hs.  der  Stadtbibliothek  zu  Trier  n.  1286,  43, 
im  J.  1084  zu  Prüm  geschrieben'  (n.  3  bei  Pertz).  Diese  Hs., 
welche  Reginos  Chronik  auf  den  ersten  sechs  Lagen,  nach  ihr 
noch  Einhards  'Vita  Caroli'  und  'Annales',  sowie  Thegans  'Gesta 


1)  Nach  einer  Notiz  auf  dem  letzten  Blatte,  welche  Pertz  p.  539 
abgedruckt  hat.  Ueber  die  Schicksale  der  Hs.  findet  sich  auf  dem  ersten 
Blatte  ein  ausführlicher  Bericht,  welchen  Pertz  ebenfalls  nach  Witten» 
bachs  Mittheilung  dem  Inhalte  nach  wiedergiebt. 


306  F.  Kurze. 

Ludowici'  enthält  1,  ist  die  älteste  Abschrift  von  B2a;  den 
Nachweis  der  Abhängigkeit  werde  ich,  um  mich  nicht  wieder- 
holen zu  müssen,  unter  B2e  für  die  Hss.  B2b— e  zusammen 
führen,  Ihrer  Herkunft  aus  Prüm  wegen  hat  die  Hs.  eine 
Zeit  lang  sogar  für  das  Original  gegolten,  und  noch  Wytten- 
bach  hielt  sie  für  eine  Abschrift  desselben;  wir  sehen  jetzt, 
dass  sie  erst  im  vierten  Gliede  davon  abstammt. 

B2c.  Hs.  der  National  Bibliothek  zu  Paris  n.  5922, 
XH.  Jahrb.,  aus  dem  Marienkloster  zu  Otterberg  in  der 
Rheinpfalz 2.  Die  Hs.  endet  'in  Tullensi  urbe';  ein  Stück  dar- 
aus (p.  590—594  der  Ausgabe)  hat  Herr  Bibliothekar  A.  Moli- 
nier  in  Paris  für  mich  verglichen. 

B2d.  Hs.  der  Cotton- Bibliothek  im  Britischen  Museum 
zu  London  Tiberius  c.  XI,  aus  dem  Kloster  Egmond,  ent- 
hält auf  fol.  43 — 118  Reginos  Chronik,  angeblich  vom  Ende 
des  XII.  Jahrh.3;  einzelne  wichtige  Stellen  daraus  hat  Herr 
Jeayes  in  London  für  mich  nachgesehen. 

B2e.  Hs.  des  Collegs  Corpus  Christi  zu  Cambridge 
n.  139,  deren  genauere  Kenntnis  ich  der  Güte  des  Herrn 
A.  Rogers  in  Cambridge  verdanke,  enthält  nur  Auszüge,  und 
zwar  bis  zum  J.  74G  ohne  wesentliche  Lücken;  dann  folgen 
kurze  wörtlich  entlehnte  Stellen  aus  den  Jahren  776,  799, 
801,  803,  804  und  807,  und  noch  kürzere  Bemerkungen  zu 
den  Jahren  809,  810,  812  und  813,  ferner  etwas  reichhaltigere 
zu  842,  809,  871,  875-77  und  884-97  =  883—96,  endigend 
mit  'imperator  creatur'  (p.  607  1.  10),  endhch  zu  1002  =  901 
bis  'extinguitur    (p.  609  1.  39). 

Ein  besonders  auffälliges  Kennzeichen  für  die  Verwandt- 
schaft der  Hs.  B2a  bietet  der  Schluss  der  Chronik  'Otbertus 
in  Strazburgensi  civitate  et  Druogo  in  Tullensi',  welchen  sie 
durch  Hinzufügung  des  Wortes  'urbe'  erweitert;  ebenso 
schliessen  B  2b  (was  Pertz  übersehen  hat,)  und  c  'in  Tullensi 
urbe',  B  2d  'in  Tullensi  civitate',  während  B2e  schon  früher 
endigt.  Einen  untrüglichen  Beweis  giebt  ferner  die  schon 
erwähnte  Stelle  p.  600  1.  43—601  1.  1,  wo  B2a  die  unver- 
ständlichen Worte  der  Vorlage  (B2)  'Capillum  usque  ad 
uitem  tari  ac  colloqui  solent'  verbessert  in  'Caballos  supra 
modum  temptare  solent';  ebenso  haben  B2b  (nur  'temptari'), 
d  und  e,  B2c  ist  an  dieser  Stelle  nicht  nachgesehen.  Von 
andern  Stellen  erwähne  ich  nur  folgende :  p,  544b  55 — 56  für 

1)  Vgl.  Pertz  Archiv  XI,  299.  2)  Vgl.  Archiv  VII,  403,  Ermisch 
p.    27.  3)    Die    genaueste    Beschreibung    dieser    Hs. ,    vi^elche    u.    a. 

fol.  1  —  19  Einhards  Vita  Caroli,  fol.  125—141  die  Jahrbücher  von 
Xanten  und  fol.  141  — 169  die  von  Egmond  enthält,  findet  man  in  Pertz' 
Vorreden  zu  den  Ausgaben  der  Annales  Xantenses  (SS.  II,  217  f.)  und 
Egraundani  (SS.  XVI,  442);  da  die  Hs.  Autograph  der  letzteren  sein  soll, 
so  muss  sie  wohl  aus  dem  Kloster  Egmond  stammen. 


Handsehriftl.  Ueb  erlief  er  ung  u.  Quellen  Reginos  u.   s.  Forts,    307 

'apud  Miceriam  Aquileia'  der  Vorlage  (B2)  lesen  B2a, 
b  und  d  'apud  Miceriam  Aquileiam',  B2e  'apud  Niceam  Aqui- 
leam',  B  2c  ist  hier  nicht  verglichen;  p.  592  1.  27  für  'vulgus 
non  tantum  inorme,  quantuin  disciplina  militari  nudatum' 
haben  B2a,  b  und  c  (B2d  und  e  sind  für  diese  Stellen 
nicht  verglichen)  'vulgus  disciplina  pugnandi  penitus  igna- 
rum',  ebenda  1.  33  für  'iuxta  patrem  in  Lorasham  coenobio' 
'in  Lorosam  i.  p.  in  coen.',  ebenda  1.  38  für  'quae  non  tantum 
inmatura  quam  inhonesta  mors'  'quae  tam  inmatura  mors', 
p.  539  1.  1  für  'domo  regiae'  'regno',  1.  17  für  'obsidere  ex- 
ortus  est,  sed  conatus  eins'  'obs.  conatus  est,  sed  voluntas 
eius'  u.  s.  w. 

B2f.  Collation  einer  ehemals  dem  St.  Godehards- Kloster 
zu  Hildesheim  gehörigen,  jetzt  verschollenen  Hs.,  von  Mei- 
bom dem  Aelteren  nach  einem  Exemplar  der  Regino-Ausgabe 
von  Pistorius  angefertigt'.  Dass  diese  Hs.  von  B2a  ab- 
stammte, beweisen  die  Lesarten,  welche  Pertz  aus  Meiboms 
Heft  in  seinen  Apparat  aufgenommen  hat;  p.  577  1.  38  hat 
der  Codex  S.  Godehardi  'seditiosis  sunt  munitissima,  praebent 
tarnen  itinerantibus  difficilem  ingressum'  (für  'sedit.  munitis- 
simum  praebebant  receptaculum ,  et  regi  exercituique  eius 
propter  concava  vallium  et  praerupta  montium  artissima  iti- 
nera  et  diff.  ingr.'),  ebenso  B2a,  nur  ohne  Hamen'  und  mit 
'iterantibus'  für  'itinerantibus';  ferner  erhöht  der  Cod.  S.  God. 
von  hier  an  (867  für  866)  die  Jahreszahlen  um  1,  wie  B2a 
und  sein  Anhang,  p.  588  1.  6  hat  er  'perprudens'  für  'calli- 
dissimus',  p.  590  1.  29  fehlt  'et  regnis',  ebenda  1.  33  liest  er 
'cum  utrorumque  hostes  sepe  inter  se  decertassent'  (für  'cum 
utruraque  hostes  saepe  temptassent'),  p.  591  1.  10  'lorasam' 
und  p.  592  1.  9  'Saxi'  (für  'Saxo')  ganz  wie  B2a.  Gegen  die 
Identität  der  Hs.  des  heil.  Godehard  mit  B2a,  welche  man 
sonst  versucht  sein  möchte  zu  veimuthen,  spricht  aber  ausser 
der  angeführten  Abweichung  auf  p.  577  1.  38  auch  die  Lesart 
'hora'  für  'Jora'  (p.  559b  4),  welche  Ermisch  p.  23  n.  6  aus 
Meiboms  Collation  anführt;  denn  die  Arundel-Hs.  hat  hier 
so  deutlich  'iora',  dass  auch  ein  Lesefehler  Meiboms  nicht  an- 
zunehmen ist. 

Zu  den  Abschriften  von  B2a  gehörte  ferner 
B2g.  Die  verlorene  Hs.  des  Klosters  Gross -St.  I\rartin 
zu  Köln,  von  welcher  nur  noch  vier  Blätter  vorhanden  sind, 
die  von  Bücherdeckeln  der  ehemaligen  Klosterbibliothek  ab- 
gelöst worden  sind  und  sich  seit  1885  im  Stadtarchiv  zu  Köln 
befinden  2.    Erhalten  sind  die  vier  äusseren  Blätter  einer  Lage 


1)  In  der  königlichen  Bibliothek    zu  Hannover  XI,  692.  2)    Am 

Rande   der   sechsten  Seite   steht:    'Liber   monasterii    divi  Martini    maioris 
in  Colonia.    Anno  1609'.    Herr  Stadtarchivar  Professor  Dr.  Höhlbaum   in 


308  F.  Kurze. 

von  ursprünglich  acht  Blättern,  welche  von  'dehonestati' 
p.  573  1.  3  im  J.  865  bis  'Gerraaniam'  p.  575  1.  23  im  J.  866 
und  von  'mox  absque  difßcultate'  p.  580  1.  21  im  J.  868  bis 
'cum  etiam'  p.  583  1.  1  im  J.  870  reichte.  Die  erhaltenen 
Blätter  haben  ein  ziemlich  grosses  Format,  24  cm  hoch  und 
17,4  cm  breit,  mit  32  Zeilen  auf  der  Seite,  die  32.  Zeile  aber 
ist  unten  weggeschnitten;  die  Schrift  ist  die  des  XI,  Jahr- 
hunderts. Dass  die  Kölner  Hs.  zur  Klasse  B  gehörte,  beweist 
p.  573  1.  31  das  fehlende  'quoque',  ebenda  1.  46  'quomodo' 
für  'quoquomodo',  p.  573  1.  23  das  fehlende  'que',  denn  diese 
Fehler  sind  der  Klasse  B  eigenthümlich;  p.  582  1.  12  — 13 
lässt  das  fehlende  'tarnen  —  episcopum'  auf  Abkunft  von  B  2 
schliessen,  die  Jahreszahlen  870  und  871  für  869  und  870  aber 
zeigen,  dass  die  Hs.  von  B2a  abstammt,  denn  innerhalb  der 
Familie  B  hat  nur  die  Arnndel-Hs.  und  ihr  Anhang  von  866 
an  (p.  577  1.  42)  um  1  erhöhte  Jahreszahlen.  Dazu  stimmt, 
dass  die  Fragmente  p.  580  1.  40  für  'finita  igitur  missarum 
sollompnia'  mit  B2a  'finito  ig.  miss.  officio'  lesen,  und  dass 
p.  581  1.  31  'nepotem'  hier  wie  in  B2a  fehlt.  Da  in  B2b, 
c  und  d  eine  entsprechende  Lücke  nicht  vorhanden  ist,  so 
muss  Avohl  eine  verlorene  Hs.  angenommen  werden,  von  welcher 
nur  diese  Bruchstücke  übrig  geblieben  sind. 

Dies  wird  die  Hs.  gewesen  sein,  welche  Marianus  Scotus 
benutzte,  da  er  längere  Zeit  dem  Martinskloster  angehört  hat'. 

B  2h.  Papier-Hs.  der  Universitätsbibliothek  zu  Glossen 
n.  650.  Nach  Woilands  Beschreibung  im  Neuen  Archiv  IV,  73 
war  die  Hs.,  die  im  XV.  und  XVI.  Jahrh.  geschrieben  ist, 
einst  officielles  Handbuch  des  Domkapitels  zu  Speier.  Von 
Regino  enthält  sie  nur  ein  Stück  ^751 — 813)  auf  fol.  88  —  97, 
dazu  die  Grabschrift  des  Grafen  Heinrich,  die  sich  sonst  nur 
in  B2a  findet;  für  diesen  Tlieil  ist  die  Hs.  also  unmittelbar 
aus  der  Arundel-Hs.  abgeschrieben. 

Abhängig  von  B2,  nicht  aber  von  B2a,   sind  ferner: 

B2i.  Hs.  der  Grossherzoglichen  Hofbibliothek  zu  Karls- 
ruhe n.  CCXXXII,  ehemals  zu  Reichen  au,  aus  der  zweiten 
Hälfte  des  XI.  Jahrhunderts  (n.  2  bei  Pertz.)  Die  Hs.  fährt 
nach  'cum  armatis  occurrit'  im  Jahre  773  (p.  558a  9)  unver- 
mittelt fort  mit  'Cum  vero  audissent'  im  J.  794  (p.  561b  10); 
von  hier  aus  geht  es  weiter  bis  'Huius  faccionis  fuere  prin- 
cipes'  im  J.  801  (p.  563a  9),  dann  setzt  der  Schreiber  wieder 
ein  mit  'Post  haec  eodera  anno'  im  J.  783  fp.  559b  72)  und 
fährt  von  hier   fort  bis  zum  Ende   des  J.  795  (p.  561b  31), 


Köln  war  so  freundlich,  mir  die  gewünsclite  Auskunft  über  die  Frag- 
mente zu  ertheilen  und  mir  dieselben  nach  Halle  zur  Ansicht  zu  schicken. 
1)  Dass  dessen  Vorlage  der  Trierer  Hs.  (B  2b)  nah  verwandt  war,  zeigt 
Ermisch  S.  28,  Anm.  2. 


Handschriftl.  Ueberlieferung  u.  Quellen  Eeginos  u.   s.  Forts.    309 

so  dass  er  also  ein  Stück  (p.  561b  10—31)  zum  zweiten  Male 
abschreibt.  Nachdem  er  dieses  Irrtliums  gewahr  geworden, 
überspringt  er  das  Folgende  und  beginnt  wieder  mit  dem 
J.  802  (p.  563a  52),  also  mit  Auslassung  eines  Stücks  zum 
J.  801  (p.  563a  9  —  51).  Man  wird  Ermisch  Recht  geben 
müssen,  dass  derartige  Fehler  sich  nur  erklären  lassen,  wenn 
der  Schreiber  dieser  Hs.  eine  Vorlage  benutzte,  deren  Blätter 
an  dieser  Stelle  in  Unordnung  gerathen  waren.  Diese  Voraus- 
setzung trifft  aber  bei  der  SchafFhäuser  Hs.  (B  2)  nicht  zu ; 
die  fraglichen  Stellen  treffen  hier  nirgends  mit  dem  Ende 
eines  Blattes  oder  gar  einer  Lage  zusammen,  sondern  stehen 
meist  gerade  mitten  auf  der  Seite.  Unmittelbar  aus  B2 
kann  also  die  Karlsruher  Hs.  nicht  abgeschrieben  sein;  dass 
sie  gleichwohl  von  B2  abhängig  ist,  hoffe  ich  unter  B2a 
bewiesen  zu  haben;  wir  müssen  also  annehmen,  dass  ein 
Mittelglied  verloren  gegangen  ist,  welches  Abschrift  von  B2 
und  Vorlage  von  B2i  war.  Dies  mag  vielleicht  die  Hs. 
ohne  Fortsetzung  gewesen  sein,  welche  nach  Mabillon,  der 
sie  noch  selbst  gesehen  haben  will,  in  Gembloux  mit  der 
ganzen  dortigen  Bibliothek  durch  eine  Feuersbrunst  unter- 
gegangen ist  1. 

Die  Reichenau-Karlsruher  Hs.  muss  im  XV.  und  XVI.  Jahr- 
hundert eine  der  bekanntesten  Regino-Hss.  gewesen  sein,  da 
sie  sowohl  zwei  Hss.  dieser  Zeit  als  Vorlage  gedient  hat,  als 
auch  der  ersten  Ausgabe,  auf  welcher  alle  folgenden  fussen, 
zu  Grunde  gelegt  worden  ist.     Diese  Hss.  sind: 

B2k.  Papier -Hs.  der  Stadtbibliothek  zu  Augsburg 
n.  223,  Ausgang  des  XV.  Jahrh.^,  und 

B21.  Rapier -Hs.  der  Harley- Sammlung  im  Britischen 
Museum  zu  London  n.  3676,  XVI.  Jahrb.,  aus  der  Peutinger- 
schen  Bibliothek.  Diese  Hs.  ist  allerdings  überhaupt  keine 
gewöhnliche  Abschrift,  sondern  eine  gelehrte  Arbeit  des 
XVI.  Jahrb.,  welche  den  Text  der  Hs.  B2i  aus  der  Mün- 
chener (AI)  oder  einer  ihrer  Abschriften  corrigiert  und  fort- 
gesetzt nat;  sie  könnte  also  vielleicht  ebenso  richtig  als  Alg 
aufgeführt  werden. 

B3.  Hs.  der  Nationalbibliothek  zu  Paris  n.  5017,  aus 
der  Mitte  des  XI.  Jahrh. ;  die  Aufschrift  'Liber  sancti  Arnulphi' 
lehrt,  dass  sie  aus  Metz  stammt.  Die  Hs.  reicht  nur  bis  zu 
den  Worten:  'Siquidem  cives,  qui  partibus  eius  favebant, 
portas'  im  J.  905  (p,  611  1.  1)  und  schliesst  so,  ohne  selbst 
verstümmelt  zu  sein,  mitten  im  Satze.  Da  auch  im  J.  903 
die  Worte  'cum  sociis  —  palatio'  (p.  610  1.  25)  fehlen  und 
eine  Zeile   dafür   leergelassen   ist,    so   ist  zu  vermuthen,  dass 


1)   Mabillou,    Annales    ordinis  S.  Benedicti  III,   p.  329.  2)  Vgl. 

Ermisch  a.  a.  O.,  S.  25  n.  28. 


310  F.  Kurze. 

die  Vorlage  verstümmelt  war;  es  müssten  die  fehlenden  Worte 
'cum  —  palatio'  als  letzte  Zeile  der  vorletzten  Seite  verloren 
gegangen  sein  und  ausserdem  etwa  noch  zwei  Blätter  am 
Schluss  gefehlt  haben.  Dass  B3  von  Bl  und  B2  unab- 
hängig ist,  wurde  schon  unter  B2  bewiesen;  B3  kann  also 
recht  wohl  eine  unmittelbare  Abschrift  der  verlorenen  Hs.  B 
sein,  welche  sonach  in  der  Mitte  des  XI.  Jahrh.  bereits  am 
Schluss  nicht  mehr  vollständig  gewesen  sein  könnte. 

Abschriften  von  B  3  sind  : 

B3a.  Hs.  der  Eger  ton -Sammlung  im  Britischen  Museum 
zu  London  n.  810,  XIL— XIII.  Jahrh.,  nach  einer  Aufschrift 
des  XVIII.  Jahrh.  aus  der  Bibliothek  der  Fugger  erworben. 
Die  Hs.,  in  welcher  Herr  J.  H.  Jeayes  in  London  einige 
Stellen  für  mich  nachzusehen  die  Freundlichkeit  gehabt  hat, 
endigt  genau  mit  denselben  Worten  wie  B3;  auch  hat  sie 
an  der  fast  in  allen  Hss.  verderbten  Stelle  p.  544b  55—57, 
wie  B3:  *apud  Aquileiam  Ilerraagoras  episcopus,  Fortunatus 
diaconus,  Xuceria  Felix  cum  Constantia';  für  die  gleichfalls 
überall  verderbte  Stelle  p.  GOO  1.  43  —  601  1.  1  dagegen  hat 
sie  direct  im  lustin  Heilung  gesucht  und  liest  mit  geringer 
Abweichung  ganz  wie  Pertz:  'Capillum  usque  ad  cutem  ferreo 
(für  'ferro')  caedunt;  equis  omni  tempore  vectantur,  super 
illos  ire,  meditari,  consistere  ac  colloqui  solent'. 

B3b.  Die  Urschrift  der  Metzer  Annalen',  in  der 
Mcermann'schen  Bibliothek,  die  kürzlich  nach  Berlin  gekom- 
men ist,  n.  746,  vom  Anfang  des  XII.  Jahrh.  (n.  4  bei  Pertz). 
Dass  der  Metzer  Annalist  Reginos  Chronik  aus  der  Äletzer 
Hs.  kannte,  ist  beinahe  selbstverständlich;  dazu  kommt,  dass 
die  Annalen  Regino  nur  bis  zum  J.  903  einschliesslich  be- 
nutzen, also  gerade  so  weit,  wie  B3  reicht,  nur  mit  Weg- 
lassung des  verstümmelten  Anfangs  von  905,  und  dass  sie 
p.  600  1.  43  —  601  1.  1  gerade  wie  B  3  haben:  'Capillos  usque 
ad  verticem  ferro  caedunt,  super  illos  ire,  consistere,  metari 
ac  colloqui  solent'.  Auch  die  längeren  Stellen,  die  SS.  I, 
p.  191  — 193  als  Zusätze  der  Metzer  Annalen  (dort  mit  9b  be- 
zeichnet) zu  Einhards  Jahrbüchern  gedruckt  sind,  sind  aus 
der  Hs.  B3  abgeschrieben,  wo  sie  von  einer  Hand  des 
XII.  Jahrh.  auf  die  Ränder  geschrieben  sind. 

B3c.  Hs.  der  bischöflichen  Bibliothek  zu  Durham 
C.  IV.  15  2  enthält  einen  Theil  der  Metzer  Annalen  und  den 
Regino  oder  wahrscheinlich  nur  die  in  die  Metzer  Annalen 
aufgenommenen  Stellen  des  Regino,  nach  dem  gedruckten 
Katalog  bis  898  und  1000  — 1005;  wahrscheinlich  also  be- 
ziehen sich  die  mit  1000 — 1005  bezeichneten  Stücke  in  Wirk- 


1)  Vgl.  Waitz  im  Neuen  Archiv  IV,  589;  Ausgaben  von  Du  Chesne 
III,  262-333,  SS.  I,  314—336.         2)  Archiv  VII,  102.  384. 


Handschriftl.  Ueberlieferung  u.   Quellen  Reginos  u.   s.  Forts.    311 

lichkeit  auf  die  Jahre  899 — 903,  höchstens  bis  905.  Die  Hs. 
gehört  daher  sicherlich  hierher,  vielleicht  als  Abschrift  von  B3b. 

In  der  Collegialbibliothek  zu  Eaton  bei  Windsor  befindet 
sich  noch  eine  Kegino-Hs.,  n.  3279.  380',  nach  einer  mir  von 
Herrn  Jeayes  in  London  vermittelten  Mittheilung  des  Herrn 
Bibliotheksvorstehers  aber  nur  ein  Auszug  über  die  Thaten 
der  Normannen  von  812  bis  892,  der  bei  Du  Chesne,  'historiae 
Normannorum  scriptores',  p.  7 — 14  abgedruckt  ist. 

Ein  kleines  Stück  aus  Regino  enthält  auch  die  Vatican- 
Hs.  n.  1992  ^  aus  dem  XI.  Jahrh,  nach  'Historiarum  losephi 
libri  numero  VH'  auf  fol.  171'  — fol.  172,  nämlich:  'Anno 
dominicae  incarnationis  DCCCLXXIH.  rex  Karolus  Ande- 
cavensem  obsedit  urbem.  Nanque  Norhmanni'  (p.  585  1.  21) 
—  'multo  peiora  et  inmaniora,  quam  antea,  perpetrarunt 
(p.  586  1.  7).  Eodem  anno  inestimabilis  locustarum  multitudo 
ab  Oriente  paene  pervastavit  Galliam'  (p.  585  1.  5 — 6). 

Verschollen  ist  die  Hs.,  welche  nach  Gatterer ^  in  der 
Bibliothek  des  Collegs  Cläre  Hall  in  Cambridge  aufbewahrt 
wurde  und  mit  den  Worten  endigte:  'Explicit  chronica  Regi- 
nonis  Pruraiensis  abbatis  de  gestis  Francorum'.  Herr  A.  Rogers 
in  Cambridge,  welchen  ich  um  Auskunft  bat,  hat  mit  Hülfe 
des  Herrn  Universitätsbibliothekar  Robertson  die  Bibliothek 
danach  durchsucht,  aber  keine  Spur  davon  gefunden.  Ver- 
schollen ist  desgleichen  die  1772  in  Muri  aufgefundene  Hs., 
welche  Hohenbaum  van  der  Meer  theilweise  verglichen  hat*. 
Dagegen  ist  es  wohl  ein  Irrthum  Gatterers,  wenn  er  glaubte, 
dass  noch  andere  Hss.  in  Holland  vorhanden  seien*. 

Erhalten  sind  sonach  von  jeder  Klasse  drei  selbständige 
Hss.  8;  von  der  Masse  der  übrigen  kommen  bei  der  Herstel- 
lung des  Textes  höchstens  für  die  grosse  Lücke  der  Hs.  A  1 
noch  die  Hss.  A  la  und  b  in  Betracht.  Aus  den  drei  Hss. 
Bl  — 3   ergiebt  sich   durchweg   ohne    Schwierigkeit   der  Text 


1)   Archiv  VII,   103.  2)    Bethmann,    Archiv    XII,    230.      Reiffer- 

scheid,  "Wiener   Sitzungsberichte  LXIII,   704.  3)    Hist.    Bibl.  X,  251. 

4)  Archiv  III,   235.     V,   767.  Ermi.sch   S.   29.  5)   Hist.   Bibl.  VIII,   12. 

6)   Zur  Veranschaulichung'    diene    folgender   Stammbaum;    die    eingeklam- 
merten Zahlen  bezeichnen  die  von  Pertz  benutzten  Hss. : 
R 


B 


1 22*3(8)  1  2(1) 

a(7)         b(9)  I  a(6)      b 

0(10)     d(llj  f  cbT3")cdefgh 

e(12)  'k 


312  F.  Kurze. 

der  verlorenen  Hs.  B:  nicht  mit  gleicher  Sicherheit  lässt  sich 
der  der  verlorenen  Hs.  A  herstellen,  da  wir  meist  nur  AI 
und  A2  oder  AI  und  A3  neben  einander  haben  und  öfters 
auch  auf  A 1  allein  angewiesen  sind,  A 1  aber  nicht  immer 
zuverlässig,  und  A3  nicht  eigentlich  Abschrift  ist.  Wo  diese 
Hss.  unter  einander  übereinstimmen,  haben  wir  den  Text 
von  A;  wo  sie  von  einander  abweichen,  wird  in  den  meisten 
Fällen  B  den  Ausschlag  geben,  insofern  als  man  annehmen 
kann,  dass  diejenige  Hs.  der  Klasse  A,  welche  mit  B  über- 
einstimmt, die  Lesart  der  verlorenen  Hs.  A  am  treuesten 
wiedergiebt. 

Wo  sich  verschiedene  Lesarten  der  Klassen  A  und  B 
gegenüberstehen,  haben  wir  für  einen  grossen  Theil  des 
Werkes  eine  entscheidende  Instanz  an  den  Quellen  Reginos, 
insofern  er  sie  wörtlich  abgeschrieben  hat.  Da  zeigt  sich 
nun,  dass  der  Schreiber  von  B  ein  gewöhnlicher  Abschreiber 
war,  der  wohl  in  der  Rechtschreibung  sich  manche  Freiheiten 
gestattet,  aber  sonst  sich  getreu  an  seine  Vorlage  hält,  der 
von  A  aber  ein  denkender  Leser,  der  beim  Abschreiben 
weniger  Versehen  aus  Nachlässigkeit  oder  Flüchtigkeit  be- 
geht, aber  öfters  mit  BcAvusstsein  von  der  Vorlage  abweicht. 
Wo  also  bei  Abweichungen  zwischen  A  und  B  die  unmittel- 
bare Entscheidung  nicht  eingeholt  werden  kann,  werden  wir 
so  zu  entscheiden  haben,  dass  wir  kleine  Nachlässigkeiten 
eher  dem  Schreiber  der  Hs.  B,  bewusste  Aenderungen  eher 
dem  von  A  zutrauen.  Gewisse  Willkürlichkeiten  sind  dabei 
unvermeidlich. 

IL    Die  QueUen. 

a.  Ueber  die  Quellen  Reginos  hat  Ermisch  mit  solcher 
Gründlichkeit  gehandelt,  dass  ich  seine  Untersuchung  nur 
durch  einzelne  Zusätze  und  Berichtigungen  zu  ergänzen  brauche. 

Der  'Liber  pontificalis'  hat  seither  eine  treffliche  Ausgabe 
erfahren  durch  den  Abbe  L.  Duchesne;  den  Text  von  Reginos 
Papstkatalog,  der  in  Pertz'  Ausgabe  ausserordentlich  verderbt 
ist,  habe  ich  auf  Grund  der  umfassenden  Hss.-Collationen 
natürlich  mit  grösserer  Sicherheit  wiederherstellen  können,  als 
es  Ermisch  mit  geringeren  Hülfsmitteln  vermochte;  so  ist  es 
jetzt  keine  Kunst,  die  richtige  Lösung  der  Frage  zu  finden, 
an  welcher  Ermisch  mit  grösstem  Fleiss  und  Scharfsinn  ver- 
geblich gearbeitet  hat.  Er  glaubte  als  Quelle  Reginos  einen 
Papstkatalog  neben  dem  'Liber  pontificalis'  annehmen  zu 
müssen;  indessen  Reginos  Katalog  stimmt  in  Reihenfolge  und 
Regierungsdauer  der  Päpste  mit  keinem  der  zahlreich  erhal- 
tenen Papstkataloge,  sondern  nur  mit  dem  Liber  pontificalis 
selbst  überein;  und  zwar  setzt  uns  Duchesnes  Ausgabe  sogar 


Handschriftl.  Ueb erlief erung  u.  Quellen  iReginos  u.  s.  Forts.  313 

in  den  Stand,  die  Hs.  zu  erkennen,  welche  Eegino  benutzte, 
nämlich  den  Codex  Parisinus  n.  13729  s.  IX.  (B  2  bei  Duchesne). 

Was  den  Brief  des  Papstes  Stephan  IIL  und  die  nach- 
folgende Erzählung  auf  p.  556a  57  —  b38  betrifft,  so  hat  Sim- 
son  1  bewiesen,  dass  Reginos  Quelle  die  'Revelatio  facta  sancto 
papae  Stephano'  war,  welche  sich  als  Anhang  zur  ^Vita 
S.  Dionysii'  bei  Surius  'De  prob,  sanctorura  bist.'  V,  658  ge- 
druckt findet.  Die  wörtliche  Üebereinstimmung  ist  sogar  noch 
grösser,  als  Simson  bei  der  bisherigen  fehlerhaften  Gestalt  des 
Textes  annehmen  konnte. 

Für  die  Gesta  Dagoberti  benutzte  Regino  eine  verlorene 
Hs.,  verwandt  mit  der  Jenaer  Hs.  s.  XIV.  (in  den  SS.  rer. 
Merov.  II,  396  ff.  cod.  2a  genannt),  wie  u.  a.  die  Lesart 
'quinquaginta  für  'quingenta'  (p.  552a  42)  zeigt;  für  den  Liber 
historiae  Francorum  die  Londoner  Arundel-Hs,  n.  375  s.  IX. 
(in  den  SS.  r.  M.  II,  215  ff.  cod.  B  la),  die  aus  der  Gegend 
der  Ardennen  stammt:  oft  hat  er  gerade  nur  die  Randbemer- 
kungen derselben  benutzt,  z.  B.  p.  547b  43  =  c.  15:  'Ubi  Clodo- 
veus  Alamannos  tributarios  sibi  fecit'.  Seine  Hs.  des  Paulus 
Diaconus  gehörte  zu  der  Gruppe,  welche  in  der  neuen  Ausgabe 
der  Monumenta  mit  G  bezeichnet  wird,  und  war  mit  G  5  am 
nächsten  verwandt.  Die  Beda-Hs.,  welche  er  benutzte,  ist 
gleichfalls  verloren ;  sie  stand  den  Ausgaben  von  Basel  und 
Köln  und  dem  Sicard  näher,  als  den  erhaltenen  Hss. 

Die  beiden  Briefe  Gregors  I.  an  Leander,  welche  Ermisch 
unter  Reginos  Quellen  stellt,  hatte  dieser  sicher  nicht  im  Ori- 
ginal, schwerlich  auch  in  einzeln  umherirrenden  Abschriften, 
sondern  jedenfalls  in  einer  grösseren  Sammlung.  Eine  der 
verbreitetsten  Sammlungen  von  Decretalen  und  Concilienacten 
war  aber  die  Collectio  Hispana  2,  welche  auch  fast  ganz  in 
die  pseudo-isidorianische  Sammlung  aufgenommen  ist.  In  der 
That  enthält  die  Collectio  Hispana  von  der  ungeheuren  Menge 
gregorianischer  Briefe  nur  fünf,  nämlich  drei  an  Leander, 
darunter  die  beiden  von  Regino  benutzten,  einen  an  König 
Reccared  und  einen  an  den  Subdiacon  Petrus.  Auch  andere 
Stücke  dieser  Sammlung  hat  Regino  benutzt,  so  zuerst  die 
zahlreichen  Briefe  des  Papstes  Leo  I.  P.  547a  52  —  55  sagt 
er:  'Huius  (Theodosii)  temporibus  Leo  magnus  apostolicam 
optinuit  cathedram;  ad  quem  (Theodosium  Leo)  et  ad  Pul- 
ceriam  augustam  multa  super  Eut-cetis  errorem  scribit';  damit 
sind  die  Briefe  n.  41  und  45  der  Sammlung  (an  Theodosius) 
und  n.  42.  43.  46  und  48  (an  Pulcheria)  gemeint.  Die  fol- 
genden Worte   (1.  55  —  56):    'Flavianus    Constantinopolitanus 


1)  Forschung-en  XIX,  175 — 180.  2)  'Collectio  canonum  ecclesiae 
Hispanae',  Madrid  1808,  und  'Epistolae  decretales  ac  rescripta  pontificura 
Romanorum',  Madr.  1821. 

Neues  Archiv  etc.     XV.  21 


314  r.  Kurze. 

episcopus  Eüticen  dampnat'  beziehen  sich  auf  Leos  Briefe 
n.  37  und  38  an  Flavian  und  die  dazwischen  eingelegte  Ant- 
wort desselben.  Wenn  dann  Regino  1.  65  fortfährt:  'Leo  epi- 
scopus Martiano  raulta  fidei  dogmata  scribit',  so  hat  er  dabei 
die  Briefe  n.  50.  51.  53.  55.  57.  58  und  59  im  Auge.  Einen 
besonders  deutlichen  Beweis  für  die  Benutzung  der  Acten- 
stücke  bietet  aber  die  unmittelbar  folgende  Stelle:  'Anatolius 
episcopus  Constantinopolitanus  Euticetis  errorera  dampnat  et 
a  Leone  papa  arguitur,  quod  contra  Nicenum  conciliuni  Antio- 
cenam  et  Alexandrinam  ecclesias  sibi  subdere  voluisset'.  N.  56 
der  Sammlung  trägt  nämlich  die  Ueberschrift :  'Epistola  Leonis 
ad  Anatolium  Constantinopolitanum  episcopum,  in  qua  impri- 
mis  eundem  episcopum  de  fide  in  Chalcedonensi  conciho  laudat", 
deinde  arguit  illum,  quod  contra  Nicaenam  synodum  Alexan- 
drinam atque  Antiochenam  ecclesias  sibi  subdere  voluisset'. 
So  mag  Regino  vielleicht  auch  bei  den  folgenden  Bemerkun- 
gen, p.  547b  4:  'Huic  Leoni  Leo  papa  plurima  scribit'  und 
ebenda  1.  15—16:  'Felix  papa  dampnavit  Acatium  Constantino- 
politanum episcopum  et  Petrum  .Vlexandrinum',  Avelche  ganz 
aus  den  Gesta  pont,  Rom.  entnommen  sein  können,  an  den 
sehr  langen  Brief  Leos  'ad  Leonem  augustum'  (n.  60)  und  an 
die  'Epistola  Felicis  ad  Acacium  Constantinopohtanum  episco- 
pum' (n.  80  der  Sammlung)  gedacht  haben.  P.  549b  34  hat 
Kegino  vielleicht  aus  dem  Briefe  Gregors  'ad  Reccaredum 
regem  Gothorum'  (n.  100)  den  Namen  des  Königs,  welchen 
Beda  Richard  nennt,  in  Rachared  verbessert.  Ebenda  1.  40 — 44 
giebt  er,  wie  erwähnt,  den  Inhalt  zweier  Briefe  Gregors  an 
Leander  (n.  98  und  99)  wieder.  Endlich  sind  noch  p.  550a 
12—19  die  Acten  des  vierten  und  fünften  Concils  zai  Toledo 
benutzt.  Die  Stelle  lautet:  'Circa  haec  tempora  Sisenandus 
et  post  eum  Chintilla  in  Ilispania  regnaverunt.  Horum  tem- 
poribus  synodus  bis  habita  est  in  urbe  Toletana,  ubi  plurima 
de  hde  catholica  et  religione  christiana  promulgata  sunt  et 
scripto  roborata.  Sub  his  etiam  regibus  Isidorus  Hispalensis 
ecclesiae  episcopus  lloruit,  nuUi  modernorum  doctorum  post- 
ponendus,  qui  multa  de  fidei  regulis  ecclesiasticisque  disciplinis 
disputavit'.  Die  Acten  des  vierten  Concils  beginnen:  'Dum  .  .  . 
religiosissimi  Sisenandi  regis  Hispaniae  atque  Galliae  sacer- 
dotes  apud  Toletanam  urbem  in  nomine  Domini  convenis- 
semus',  die  des  fünften:  'Apud  urbem  Toletanam  diversis  ex 
provinciis  Hispaniae  sacerdotes  Domini  .  .  .  gratiarum  actiones 
omnipotenti  Domino   persolvimus   propter   .   .   .   gloriosi  prin- 

1)  Erläutert  werden  diese  Worte  durch  den  Eingang  des  Briefes: 
.  .  .  'ab  universal!  ecclesia  perniciosissimi  erroris  nocte  depulsa  ineflfa- 
biliter  gaudeamus  .  .  .,  sicut  etiam  epistulae  tuae  textus  eloquitur,  ut 
secundum  apostolicam  doctrinam  id  ipsum  dicamus  omnes  et  non  sint  in 
nobis  Schismata', 


Handschriftl,  Ueberlieferung  u.  Quellen  Reginos  u.   s.  Forts.    315 

cipis  nostri  Chintilani  regis  initia';  an  der  Spitze  der  Unter- 
schriften des  vierten  steht:  'Ego  Isidorus  in  Christi  nomine 
eeelesiae  Hispalensis  metropolitanus  episcopus  haec  statuta 
subscripsi'.  Für  'Chintilani'  haben  einige  Hss.  'Chintilae',  und 
nur  hier  findet  sich  der  Name  dieses  Königs  in  derselben 
Form,  wie  bei  Regino. 

Es  ist  also  nicht  zu  leugnen,  dass  Regino  die  Acten  der 
vierten  und  fünften  Synode  von  Toledo  und  von  den  Briefen 
Leos  I.  und  Gregors  I.  gerade  diejenigen  benutzt  hat,  welche 
in  die  CoUectio  Hispana  aufgenommen  sind.  Ob  er  nun  diese 
Sammlung  ganz  in  Händen  gehabt  hat,  ist  damit  noch  nicht 
entschieden:  ebenso  gut  kann  ein  Auszug  daraus  seine  Quelle 
gewesen  sein,  der  nur  wenige  der  wichtigsten  Synodalacten 
und  die  Decretalen  der  bedeutendsten  Päpste  enthielt.  Das 
Letztere  ist  vielleicht  sogar  wahrscheinlicher,  denn  die  ganze 
Sammlung  enthält  doch  noch  ungeheuer  viel  Material,  welches 
Regino  ganz  unbeachtet  gelassen  hat.  Möglicherweise  war 
dieser  Auszug  verbunden  mit  einer  Abschrift  der  erwähnten 
'Revelatio  facta  sancto  Stephano  papae'  und  der  Sammlung 
von  Actenstücken  aus  dem  neunten  Jahrhundert,  welche  unten 
zu  besprechen  sein  wird. 

Die  Stellen  in  dem  unselbständigen  Theile  der  Chronik, 
deren  Herkunft  hiernach  noch  unerklärt  bleibt,  sind  zum 
grossen  Theil  kurze  Notizen  über  hervorragende  Männer  der 
Kirche,  wie  sie  sich  auch  häufig  bei  Beda  finden  und  hieraus 
vielfach  von  Regino  aufgenommen  sind.  Oft  sind  es  nur 
Namen  mit  den  aus  Beda  entlehnten  stehenden  Wendungen 
'clari  habentur,  'fulget'  u.  s.  w.,  in  einzelnen  Fällen  längere 
Notizen.  Man  möchte  zuerst  mit  Ermisch  (S.  70)  vermutnen, 
'dass  unserm  Autor  für  solche  und  ähnliche  Angaben  eine  Art 
über  de  illustribus  viris  vorlag';  aber  Ermisch  fährt  selbst 
sogleich  fort:  'keine  Spur  deutet  darauf  liin,  dass  dieses  eins 
der  uns  überlieferten  war'.  Auch  haben  die  Werke  von  Hie- 
ronymus,  Gennadius,  Isidor  und  Ildefons  einen  so  wesentlich 
andern  Inhalt,  dass  die  Annahme,  eine  ähnliche  Schrift  sei 
Reginos  Quelle  gewesen,  sehr  unwahrscheinlich  wird.  Für 
einige  längere  Stellen  solcher  Art  hat  Ermisch  (S.  64  f.)  drei 
Heiligenleben  als  Quellen  richtig  erkannt,  nämlich  Wandal- 
berts  Vita  S.  Goaris  für  p.  550a  20 — 25,  Jonas'  Vita  S.  Colum- 
bani  für  p.  550a  49 — 57  und  p.  550b  35,  und  Godescalks  Vita 
S.  Lamberti  für  p.  552b  68-72. 

Neben  diesen  darf  man  aber  zunächst  unbedenklich  auch 
die  ältere  Vita  S.  Arnulfi '  als  Quelle  gelten  lassen,  was  Ermisch 
(S.  70)  für  unsicher  hält,  weil  die  Notiz  p.  552a  1  'Arnulfus 
episcopus  et  Romaricus   abba   clari  habentur'   bei  Regino   an 

1)  Acta  Sanctorum  Juli  IV,  435—440;    SS.  rer.  Mer.  II,  426—446. 

21* 


316  F.  Kurze, 

falscher  Stelle  hinzugesetzt  sei,  eine  zweite  p.  550a  39  'huius 
(Theodeberti)  regis  maior  domus  fuit  sanctus  Arnolfus'  nur 
eine  unvollkommene,  imd  eine  dritte  p.  550b  70  'et  saneti 
Arnulfi  Metensis  episcopi  consiliis  commendatur  (Dagobertus)' 
gar  keine  Bestätigung  in  der  Vita  linde.  Indessen  für  die 
zweite  Stelle  bietet  nicht  nur  der  von  Ermisch  angeführte  §  4 
der  Vita  einen  Beleg:  'ut  sex  provinciae,  quas  et  tunc  et  nunc 
totidem  agunt  domestici,  sub  illius  amministratione  solius  rege- 
rentur  arbitrio',  sondern  noch  deutlicher  §  8:  'sie  deinceps 
episcopales  gestans  infulas,  ut  etiara  domesticatus  solicitudinem 
atque  primatum  palatii  ac  si  nolens  teneret'.  Der  dritten  Stelle 
entspricht  aber  ^  17  der  Vita:  'Clotharius  tanta  eum  lide  et 
araore  dilexit,  ut,  cum  prolem  suam  Dagobertuni  in  princi- 
patus  sui  culmiue  sublimasset,  eidem  regnum  ad  gubernandum 
et  filium  ad  erudiendura  in  manu  tradidisset'.  Auch  die  Haupt- 
stelle p.  552a  1  stammt  ilu-em  Inhalt  nach  aus  der  Vita,  in 
welcher  Romarich  öfters  (§  6.  19.  22)  genannt  wird,  obwohl 
nicht  ausdrücklich  mit  der  Bezeichnimg  'abba.  Leugnen  lässt 
sich  freilich  nicht,  dass  diese  Notiz  an  unrechter  Stelle  steht, 
denn  schon  vorher  ist  p.  551b  62  der  Tod  Arnolfs  nach  den 
Gesta  Dagobert!  berichtet  Avorden.  Aber  man  braucht  daran 
keinen  Anstoss  zu  nehmen,  wenn  von  diesen  aus  untergeord- 
neten Quellen  entnommenen  Bemerkungen  einmal  eine  nicht 
am  richtigen  Orte  eingefügt  ist. 

Man  muss  sich  nur  gegenwärtig  halten,  in  welcher  Weise 
der  erste  Theil  der  Chronik  zusammengestellt  ist.  Bei  der 
grossen  Zahl  verschiedenartiger  Quellen  konnte  der  Verfasser 
nicht  einfach  die  Handschriften,  welche  er  benutzte,  neben  ein- 
ander vor  sich  liegen  haben  und  nun  bald  aus  dieser,  bald 
aus  jener  ein  Stück  wörtlich  oder  verkürzt  aufnehmen,  son- 
dern er  niusste  sich  allerlei  Auszüge  anfertigen,  die  dann  zu 
ordnen  und  mit  einander  zu  verknüpfen  waren.  Beweis  dafür 
ist  schon  sein  Verhältnis  zu  Ado ;  während  das  Martyrologium 
die  Märtyrer  unter  ihren  Gebm-tstagen  (richtiger  Sterbetagen) 
verzeichnet,  ordnet  sie  Regino  chronologisch  nach  den  Kaisern, 
unter  welchen  sie  gelitten,  und  innerhalb  dieser  Gruppen  nach 
den  Leidensorten.  Diese  völlig  andere  Ordnung  konnte  er 
unmöglich  sofort  in  Reinschrift  herstellen ;  er  brauchte  zunächst 
einen   genauen  Auszug  aus  Ado,  wobei  er  vielleicht,  wenn  er 

}>raktisch  verfuhr,  für  jeden  Kaiser  ein  besonderes  Blatt  an- 
egte,  auf  welchem  er  die  Märtyrer,  die  unter  seiner  Regie- 
rung litten,  verzeichnete;  nun  erst  konnte  er  den  Inhalt  dieser 
Blätter  an  den  geeigneten  Stellen  seiner  Chronik  unterbringen 
und  dabei  zugleich  die  Märtyrer  nach  ihren  Leidensorten  zu- 
sammenstellen. Dabei  ist  es  nicht  zu  verwundern,  wenn  ein- 
mal ein  Name  an  falscher  Stelle  oder  gar  doppelt  aufgeschiie- 
ben  wurde.     Ich  sehe  darin,   dass  die  heilige  Serapia  sowohl 


Handschriftl.  Ueberlieferung  u.  Quellen  Reginos  u.  s.  Forts.    317 

unter  Trajan  als  unter  Hadrian  aufgezählt  wird,  nicht  mit 
Ermisch  ein  Zeichen  doppelter  Vorlage.  Sehr  leicht  konnte 
es  geschehen,  dass  Regino  den  Namen  zuerst  auf  einem  fal- 
schen Blatte  verzeichnete  und  es  später  vergass,  ihn  gehörig 
zu  tilgen ;  bei  der  Uebertragung  in  die  Reinschrift  fand  er  ihn 
dann  doppelt  vor.  Auf  dieselbe  Art  mit  Concepten  zu  arbeiten 
deutet  es,  wenn  im  zweiten  Theile  ganz  dasselbe  Ereignis,  die 
Rückkehr  der  Normannen  aus  der  Somme  und  ihre  Fest- 
setzung in  Loewen,  mit  fast  ganz  denselben  Worten  sowohl 
zu  884  als  zu  886  erzählt  wird. 

Man  braucht  also  die  Notiz  über  Arnolf  deshalb,  weil  sie 
an  unrechter  Stelle  eingeschaltet  ist,  noch  nicht  für  eine  falsch 
übernommene  Randbemerkung  oder  für  den  Zusatz  eines  Inter- 
polators  zu  halten,  zumal  da  sie  in  allen  Hss.  steht ;  höchstens 
könnte  sie  Regino  selbst  am  Rande  hinzugefügt  haben,  und 
das  würde  doch  nichts  gegen  die  Benutzung  der  Vita  Arnulfi 
beweisen. 

Da  nun  unserm  Autor  sonach  eine  ganze  Reihe  von 
Heiligenleben  zu  Gebote  gestanden  hat,  so  wäre  es  wunderbar, 
wenn  das  Leben  des  heiligen  Pauhnus  von  Trier  *  nicht  dar- 
unter gewesen  wäre.  Wir  haben  also  auch  dieses  unter  Re- 
ginos Quellen  zu  rechnen,  wie  es  auch  Ermisch  (S.  69)  für  wahr- 
scheinlich hält,  obwohl  nur  zAvei  ganz  kurze  Stellen  (p.  546b  50: 
^uccessor  S.  Maximini  episcopi'  und  546b  54:  'inde  Treveris 
reportatur')  aus  der  Vita  (§  5  und  §  15)  entnommen  sind. 

Aber  auch  noch  von  anderen  Heiligenleben  sind  deutliche 
Spuren  bei  Regino  zu  finden.  Die  Notiz  p.  547a  62:  ^Severus 
episcopus  Treveris,  Policronius  Virduni,  Albinus  Catalaunensis 
discipuli  sancti  Lupi  clari  habentur',  welche  Pertz  mit  Unrecht 
eingeklammert  hat,  weil  sie  in  der  Schaffhäuser  Hs.  fehlt, 
stammt  aus  der  Vita  S.  Lupi  ^^  die  in  §  3  den  heiligen  Lupus 
Bischof  'urbis  Trecassinae'  nennt  und  in  §  11  'Pulchronium 
episcopum  ecclesiae  Veredunensis',  'sanctum  Severum  Treviris 
ordinatum'  und  'Alpinum  Cathalaunicae  pontificem  civitatis' 
als  seine  Schüler  erwähnt.  Die  Nachricht  p.  552b  39 — 41 :  'in 
Galliis  Audoenus  Rotomagensis ,  Eligius  Noviomensis,  Sulpi- 
cius  Bituriacensis  episcopi  clari  habentur'  hat  ihren  Ursprung 
zunächst  in  den  Gesta  Dagob.  c.  51,  wo  die  drei  unter  anderen 
fränkischen  Bischöfe  genannt  werden,  aber  ohne  Angabe  ihrer 
Bisthümer.  Die  Sitze  des  Audeon  und  Eligius  fand  Regino  in 
der  Vita  S.  Eligii',  welche  von  Audoen  verfasst  ist;  von  Sul- 
picius  Severus  von  Bourges,  der  hier  gemeint  ist,  hat  sich  keine 
Vita  erhalten,  vielleicht  besass  unser  Chronist  die  des  Sulpi- 
cius  Pius*. 


1)    Acta    SS.    Aug.    VI,    676.  2)    Acta    SS.    Jul.    VII,    69  f. 

3)  D'Achery,  spicilegium  V,  176.         4)  Acta  SS.  lan.  II,  165  f. 


318  F.  Kurze. 

Regino  hatte  also  eine  so  grosse  Sammlung  von  Heiligen- 
leben zu  seiner  Verfügung,  dass  man  sich  wohl  für  berechtigt 
halten  darf,  auch  die  übrigen  Notizen  ähnhcher  Ali;  auf  solche 
Quellen  zurückzuführen.  Diese  Stellen  sind:  p.  547a  15 f. 
'Martinus   Turonorum   episcopus    virtutum    gloria    fulget'    und 

31  'Sanetus  Martinus   episcopus    ad  celestia   transit',    ebenda 

32  f.  'Sev'erinus  episcopus  Coloniae  Agrippinae  clarus  habetur, 
Lucatium  Theodorus  episcopus'  und  64  f.  'Aurelianis  Anianus 
episcopus  fidget',  547b  45  'Atrabatis  Vedastus  episcopus  ordi- 
natur  a  sancto  Remigio',  548b  46  ^Albinus  episcopus  Andegavis 
clarus  habetur',  549b  50  'Abrincatis  Patemus  episcopus,  civis 
Pictaviensis,  nitescit'  und  p.  556a  40  'Waltfredus  abba  in  Italia 
clarescit'.  Danach  ist  also  noch  die  ßenutzimg  der  Vitae  Mar- 
tini", Severini^,  Theodori'',  Aniani^^  Vedasti^,  Albini  und 
Paterni  ^,  und  Walfridi '  anzunehmen. 

Endlich  ist  für  den  ersten  Theil  des  Werkes  noch  einer 
Schrift  zu  gedenken,  welche  Regino  selbst  (562a  71  f.)  citiert, 
der    Visio    Wettini    von    Heito*.      Die    Stelle    über   Augustin 

&.  547a  33—35  dürfte  aus  Ado  V.  Kai.  Sept.  stammen,  die  über 
oethius  p.  547b  62  —  65  aus  dessen  Consolatio  philosophiae. 
Für  aen  zweiten  Theil  seiner  Chronik  von  813  an  war 
Regino  zum  grössten  Theil  auf  mündliche  Ueberlieferung  und 
eigene   Erinnerungen   angewiesen.     Er   sagt   aber   doch    selbst 

f).  566  1.  65,  dass  er  neben  dem  'ex  relatione  patrum'  Ge- 
lörten  einiges  auch  für  diesen  Theil  'in  chronicorum  libris 
adnotata'  gefunden  habe.  Und  es  ist  auffällig,  dass  inmitten 
der  grössten  chronologischen  VerA^irrung  immer  wieder  ein- 
zelne richtige  Zeitbestinnnungen  auftauchen.  Man  wird  da- 
durch zu  der  Annahme  geftüirt,  dass  ihm  Avenigstens  ganz 
kurze  Annalen  vorgelegen  haben,  welche  den  Wechsel  der 
Aebte  von  Prüm  und  der  Erzbischöfe  von  Trier,  die  Todes- 
jahre der  Herrscher  und  Aelmliches  enthielten.  In  einer  Ma- 
drider Hs.  sind  uns  solche  Annalen  aus  Prüm  am  Rande  von 
Ostertafeln  erhalten ",  welche  allerdings,  wie  allseitig  anerkannt 
wird,  nicht  die  von  Regino  benutzten  selbst  sind,  aber  uns 
doch  wahrscheinlich  ein  verkürztes  Bild  derselben  geben.  Bis 
zum  Jahre  860  zeigen  sie  die  engste  Verwandtschaft  mit  den 
Annalen  von  Stablo '",  und  da  beide  Annalenwerke  von  ein- 
ander  unabhängig   smd,   so  geht   auch  daraus  hen-or,    dass  es 


1)  Sulpicii   Severi    opera    ed.  C.  Halm,  Wien   1866.         2)  Acta  SS. 
Oct.  X,  56  —  59.  3)  Acta  SS.  Mai  IV,  329.  4)  Theiner,  S.  Aignan, 

Paris  1832,  p.  13  und  37  und  Surius  V,  417  oder  >XI,  374.  5)  Acta 
SS.  Febr.  I,  782.  6)  Auetore  Fortunato,  MG.  Auct.  ant.  IV  2,  27—37. 

7)  Acta  SS.  Febr.  II,  842.  8)  MG.  Poetae  lat.  II,  267  —  275.  9)  Nach 
einer  Abschrift  von  Löwe  zuerst  im  Neuen  Archiv  XII,  403  —  407  her- 
ausgegeben von  Goldmann,  nachher  in  den  MG.  SS.  XV,  1289  —  92. 
10)  SS.  XIII,  39  —  43. 


Handschrift!.  Ueberlieferung  ii.  Quellen  Regiiios   u.   s.  Forts.    319 

noch  ältere  Prümer  Annalen  gab,  die  beiden  als  Quelle  dienten. 
Der  Annalist  von  Stablo  seheint  dieselben  also  ausgeschrieben 
zu  haben,  als  sie  etwa  bis  zum  Jahre  860  reichten;  sie  müssen 
aber  noch  weiter  fortgefülirt  sein,  etwa  bis  in  die  Zeiten  Re- 
ginos.  Die  erhaltenen  Annalen  der  Madrider  Hs.  geben  die 
Todestage  der  Kaiser  Karl  III.  und  Arnolf  und  der  Könige 
Odo  und  Zuendibolch,  sowie  den  Einsetzungstag  Reginos  i  an, 
setzen  aber  dabei  Karls  und  Arnolfs  Tod,  sowie  die  Einsetzung 
des  Abtes  Richari  unter  falsche  Jahre  *.  Sie  können  also  nicht 
wohl  selbst  gleichzeitige  Aufzeichnungen  sein,  sondern  scheinen 
auch  hier  noch  aus  den  älteren  gleichzeitig  aufgezeichneten 
Annalen  geschöpft  zu  haben.  Von  922  an  sind  sie  in  Lüttich 
fortgeführt,  und  Holder- Egger  *  hat  die  ansprechende  Ver- 
muthung  aufgestellt,  dass  der  Abt  Richari  sie  von  Prüm  mit- 
genommen habe,  als  er  922  Bischof  von  Lüttich  wurde;  ich 
möchte  glauben,  dass  erst  Richari  damals  diese  Ostertafeln  mit 
den  annalistischen  Randnoten  aus  dem  älteren  Exemplar  der 
Prümer  Kirche  habe  abschreiben  lassen,  um  sie  mit  nach 
Lüttich  zu  nehmen. 

Aus  den  älteren,  jetzt  verlorenen  Annalen,  die  wahrschein- 
lich ein  wenig  reichhaltiger  waren,  scheint  Regino  Folgendes 
entnommen  zu  haben: 

818  den  Tod  des  Königs  Bernhard  von  Italien; 

829  den  Tod  des  Abtes  Tancrad  von  Prüm  und  Marc- 
wards  Nachfolge'*; 

840  den  Tod  des  Kaisers  Ludwig  und  Lothars  Nachfolge; 

841  die  Schlacht  bei  Fonteniacum  ^ ; 

847  den  Tod  des  Bischofs  Hetti  von  Trier«  und  Thiet- 
gauds  Nachfolge; 

851  den  Tod  der  Königin  Irmingard ; 

853  die  Plünderung  der  Stadt  Tours  und  Zerstörung  der 
dortigen  Martinskirche  durch  die  Normannen,  sowie  die  Ein- 
setzung des  Abtes  Eigil  von  Prüm  (an  Marcwards  Stelle) ; 
ferner  vielleicht  die  Flucht  des  l^rinzen  Pippin  von  Aquitanien 
aus  Soissons '' ; 

855  den  Rücktritt  des  Kaisers  Lothar  und  seinen  Tod  zu 
Prüm  am  29.  Sept.; 

860  den  Rücktritt  des  Abtes  Eigil  und  Ansbalds  Nach- 
folge 8 ; 

869  den  Tod  Lothars  am  8.  August»; 


1)  '.  .   .  Kai.  lun.';    die  Zahl    ist  in  der  Handschrift  weggeschnitten. 
2)   886    und    895    statt   888    und    899.  3)    SS.  XV,   1290.  4)    Die 

Annalen  von  Stablo  (S)  setzen  dies  Ereignis  zum  J.  826,  die  der  Ma- 
drider Hs.  (M)  zu  828.  5)  'in  campo  Fontenih'  M.  6)  Die  Namen 
Hetti  und  Trier  fehlen  in  S  und  M.  7)  Dies  Letzte  fehlt  freilich  in  S 

sowohl    als   in    M.  8)    S    und   M    erzählen   nur   Ansbalds   Einsetzung, 

S  zum  Jahre  859.         9)   M  setzt  die  Nachricht  zu  870  ohne  Datum, 


320  F.  Kurze. 

873  die  Heusclireckenplage  in  Franki'eich  im  August ' ; 

874  vielleicht  den  Tod  des  Kaisers  Ludwig  imd  die  Krö- 
nung Karls  des  Kahlen*; 

876  den  Tod  Ludwigs  am  28.  August*  und  die  Schlacht 
bei  Andernach  am  8.  October; 

877  den  Tod  Karls  des  Kahlen  am  6.  October*; 

878  die  Mondfinsternis  am  16.  und  die  Sonnenfinsternis 
am  29.  October  5; 

880  den  Tod  Karlmanns  infolge  eines  Schlagflusses  'VIL 
Non.  Apr.'  (für  'XL  Kai.')«; 

881  Karls  Kaiserkrönung; 

882  die  Zerstörung  Prüms  durch  die  Normannen  am  Drei- 
königstage, LudAvigs  Tod  'XIII.  Kai.  Febr.' ',  und  wahrschein- 
lich auch  die  Plünderung  Triers  am  5.  April; 

883  den  Tod  des  westfränkischen  Ludwig,  den  Tod  Ber- 
tulfs von  Trier  am  2.  Februar,  die  Einsetzung  seines  Nach- 
folgers Patbod  am  8.  April  und  des  Bischofs  Ruodbert  von 
Metz  am  22.  April»; 

886  den  Tod  Ansbalds  von  Trier  am  12.  Juli  und  Fara- 
berts  Nachfolge  am  6.  August»; 

888  Karls  IIL  Tod  am  12.  Januar  >o; 

895  Zuendibolchs  Ernennung  zum  König  von  Lothringen ; 

896  Amolf's  Kaiserkrönung; 

898  Odos  Tod  am  3.  Januar; 

899  Aniolfs  Tod  am  29.  November'»; 

900  Zuendibolchs  Tod  am  13.  August. 

Neben  diesen  Annalen  besass  Regino  noch  eine  Samm- 
lung von  Actenstücken,  zumeist  auf  Lothars  Ehehandel 
bezüglich.  Docuraente,  aus  welchen  er  direct  kleinere  oder 
grössere  Stücke  mittheilt,  sind  folgende: 


1)  M  erzählt  dieselbe  zu  874,  ohne  den  Monat  zu  nennen.  2)  Diese 
Ereignisse  g^ehören  freilich  in  das  J.  875 ;  bei  der  eigenthümlichen  Be- 
schaffenheit der  Annalen  könnte  sich  Regino  ja  aber  leicht  um  ein  Jahr 
versehen  haben,  zumal  da  er  das  Jahr  875  überhaupt  auslässt.  In  M  steht 
nichts  davon.  3)  Das  Datum  fehlt  in  M.  4)  M  hat  nur  'in  mense  Octobr.' 
und  setzt  das  Ereignis  übrigens  zu  876.  5)  M  giebt  kein  Datum,  son- 
dern sagt  nur,  dass  beides  'uno  eodemque  mense'  geschehen.  6)  M  hat 
nur:    'Carromannus    moritur'.  7)    So  ist  der  Text    zu  berichtigen,    ob- 

wohl alle  Hss.  'XIII.  Kai.  Sept.'  haben;  Ludwig  starb  am  20.  Januar 
(vgl.  Dümmler  'Geschichte  des  Ostfränkischen  Reichs'  III,  164),  und  so 
muss  auch  Regiuo  geschrieben  oder  doch  gemeint  haben,  da  er  die  Nor- 
mannen 'audita  morte  regis'  Trier  'Nonas  Apr.'  verwüsten  lässt.  Der 
Fehler  erklärt  sich  palaeographisch  sehr  leicht  durch  Verwechselung  der 
ganz  gewöhnlichen  Abkürzungen  feb  und  seB.  M  erzählt  mehr  allgemein: 
'Gens  Normaunorum  totum  regnum  Francorum  incendio  cremavit;  eodem 
anno  Ludowicus  frater  Caroli  imperatoris   moritur'.  8)  M  hat  von  dem 

allen  nur:  'Hludowicus  rex'.  9)  M  lässt  die  Data  aus.  10)  M  setzt 
dies  noch  zu  886.  11)  M  stellt  dies  zu  995. 


i 


Handschriftl.  Ueberlieferung  u,  Quellen  Reginos  u.  s.  Forts.   321 

1.  Die  Acten  der  dritten  Synode  zu  Aachen  vom  29.  April 
862»;  zunächst  benutzte  er  unter  dem  J.  864  p.  572,  1.  4—10 
den  Wortlaut  von  Absatz  IV  und  VI  des  Actenstücks  zur 
Darstellung  der  Vorgänge  auf  dieser  Synode,  dann  theilt  er 
1.  12—18  die  schliessliche  Entscheidung  der  Versammlmig  nach 
Absatz  X  mit. 

2.  Der  ßannbrief  des  päpstlichen  Legaten  Arsenius  gegen 
Engeltrud,  die  treulose  Gemahlin  des  Grafen  Boso,  aus  dem 
Jahre  865,  doch  ohne  Datum  ^ :  Eegino  giebt  daraus  (a.  866) 
p.  573,  37—574,  1  wörtlich  den  Eid  wieder,  den  Engeltrud  zu 
Worms  in  die  Hände  des  Legaten  ablegte,  und  benutzt  auch 
sonst  von  p.  573,  35  —  574,  13  fast  durchweg  den  Wortlaut 
des  Briefes  für  seine  Erzählung, 

3.  Der  Brief  des  Papstes  Nicolaus  an  den  König  Karl 
vom  25.  Januar  867  s:  Regino  theilt  (a.  866)  p.  574,  24— 
575,  19  ziemlich  umfangreiche  Stücke  daraus  wörtlich  mit. 

4.  Die  Bannbulle  des  Papstes  Nicolaus  gegen  Waldrada 
vom  13.  Juni  866*:  Regino  giebt  davon  (a.  866)  p.  575,  26—48 
einen  sehr  genauen  Auszug. 

5.  Der  Brief  des  Papstes  Nicolaus  an  den  König  Lothar 
vom  J.  867  ohne  Datum  5,  von  Regino  p.  576,  1  —  577,  2  fast 
ganz   aufgenommen,    nur  durch  einige  Auslassungen  verkürzt. 

6.  Der  Brief  des  Königs  Lothar  an  den  Papst  Hadrian  IL, 
ohne  Datum,  wahrscheinlich  aus  dem  Februar  868  ^ :  Regino 
hat  grosse  Stücke  daraus  zum  J.  868  p.  579,  20—44.  Ob  er 
auch  das  Antwortschreiben  des  Papstes,  das  uns  nicht  erhalten 
ist,  besass,  wie  Dümmler '  annimmt,  muss  ich  dahingestellt 
sein  lassen;  die  Antwort,  welche  er  den  Papst  ertheilen  lässt, 
kann  er  sich  sehr  wohl  auch  selbständig  so  zurecht  gelegt 
haben. 

Ein  Actenstück,  welches  Regino  benuzt  zu  haben  scheint, 
obwohl  er  es  nirgends  ganz  wörtlich  ausschreibt,  ist  ferner  noch 

7.  der  Brief  des  Papstes  Nicolaus  an  die  ostfränkischen 
Bischöfe  vom  31.  October  867*.  Ich  setze  die  verwandten 
Stellen  zur  Vergleichung  neben  einander: 


Nicolaus    bei    Mansi    333  D 
'Quando  Phinees  .  .  .  imitati 
estis?'  fragt  der  Papst  die  Bi- 
schöfe, indem  er  sie  ihrer  Lau- 
heit wegen  schilt. 

334  B:  'cum  Engeltrudis  uxor 
Bosonis  comitis,   ad  Gallias 


Regino  866  (p.  575,20):  'Ac- 
census  .  .  .  sanctissimus  ponti- 
fex  zelo  Dei,  quo  fuerat  Ei- 
ne e  s »  sacerdos  quondam  in- 
flammatus'. 

866  (p.  573 ff.).:  'Engildrudam 
quoque,  uxorem  quondam  Bo- 


1)   Bei  Mansi,    'Conciliorum    collectio'  XV,  611  ff.  2)  Mansi  XV, 

326  f.       3)  Mansi  XV,  318—321.       4)  Mansi  XV,  380—382.       5)  Mansi 
XV,  321—324.         6)  Mansi  XV,  831—832.  7)  Dümmler  a.  a.  O.  II, 

228,  Anm.  1.         8)  Mansi  XV,  333—342.         9)  Vgl.  4.  Mos.  25,  11. 


322 


F.  Kurze. 


relicto  proprio  viro  cum  ad- 
ultero  adultera  transmigrasset' : 


sonis  comitis,  .  .  .,  quia  pro- 
prium deseruerat  maritum  et 
Wangerum  suum  vasallum  in 
G  a  1 1  i  a  s  secuta  fuerat' ; 

864  (p.  571,22— 34):  _'Gunt- 
harium  itaque  Coloniensis  urbis 
pontificem  .  .  .  caecus  caeco 
ducatum  prestans'  (572,   19  f.): 


335  D:  'Sed  ille  (Lotharius) 
horum,  Theutgualdi  et  Gunt- 
harii  tunc  episcoporum  .  .  . 
auctoritate   fretus,   legatos   no- 

stros  non  prestolans,  publicoJ'His  ita  patratis  Waldrada  iam 
festoque  nuptiarum  ritu  cele-  in  publicum  procedit,  . . .  omnis- 
brato  Waldradam  sibi  iure  ma-  j  que  regia  aula  residtat  Waldra- 
trimonii  sociavit'.  idam  reginam  esse'. 

335  E  erwähnt  Nicolaus  'conventum,  qui  penes  urbem 
Metensem  congi-egabatur',  nändich  die  Sjmode,  die  in  An- 
wesenheit der  Legaten  Rodoald  und  Johannes  im  J.  863  ge- 
halten wurde;  desgleichen  336D:  'cassato  primum  adulteris 
favente  concilio,  quod  apud  ]\Ietensium  urbem  congregatum 
fuisse  supra  commemoravimus';  dadurch  mag  Begino,  welcher 
von  dieser  S^Tiode  nichts  Aveiss,  veranlasst  worden  sein,  die 
Aachener  Synoden  von  860,  in  Avelchen  Thietbergas  Unwürdig- 
keit  ausgesprochen  wurde,  nach  Metz  zu  verlegen '.  Weiter 
heisst  es 


Nie.  335E— 336A:  'Sed  cor- 
ruptis,  immo  et  ad  favorem 
ßuam  traductis   legatis  nostris'. 

336  B:  'Tandemque  (Theut- 
gualdus  et  Guntharius)  per- 
venientes  nostro  sunt  conspectui 
.  .  .  praesentati  et  .  .  .  li bel- 
lum offerentes  perhibuerunt 
nee  minus  nee  aliter  quidquam 
se  gessisse,  nisi  ut  oblatus  vide- 
batur  conti nere  libellus.  Quo 
accepto  ac  coram  episcoporum 
nostrorum  coetu,  qui  nobiscum 
aderat,  atque  coram  ipsis,Theut- 
gualdo  scilicet  et  Gunthario,  re- 
censito'  .  .  . 

336D:  ^communi  con- 
sensu  cassato  .  .  concilio  .  .  . 
in  eos  .  .  depositionis  sen- 
tentiam  dedimus  et,  si  iuxta 
precedentem  consuetudi- 
nem   aliquid   de  ministerio 


Reg.  865  (p.  572,  26  f.):  'qm 
(legati)  in  Franciam  venientes, 
pecunia  corrupti  magis  fave- 
runt  iniquitati,  quam  aequitati'. 

865  (p.  572,  39-43):  'cum 
in  presentiam  Nicolai  papae 
venissent,  libellum  obtule- 
runt,  in  quo  contineban- 
tur  gesta  sinodalia.  Qui  cum 
a  notario  coram  omnibus  reci- 
tatus  esset,  interrogavit  ponti- 
fex,  si  haec  scripta  verbis  con- 
firmarent.  Responderunt,  incon- 
veniens  videri,  ut,  quod  propriis 
manibus  roboraverant ,  verbis 
infirmari  mallent'. 

865(p.  572,  45-573,  3):  'ad 
sinodura,  quam  papa  congre- 
gaverat,  sunt  accersiti,  ubi 
eorum  dampnata  et  anathemi- 
zata  sunt  scripta  et  ipsi  Omni- 
bus adiudicantibus  episco- 


1)  864  (p,  571,  35):  'Concilium  Mettis  convocant'. 


Handschriftl.  Ueberliefernng  ii,  Quellen  Reginos  u.   s.  Forts.    323 

sacro  deinceps  forte  tetigis-[pis,    presbiteris   ac   diaconibus 
sent,  excommunicavimus'.  sunt  depositi  et  omni  eccle- 

338C:  'Ecce  quae  in  ecclesia  siastica  dignitate  privati  .  .  . 
Christi  Theutgualdiis  et Guntlia-  (1.  12  — 16):  Thietgaudus  de- 
rius  operati  sunt  et  operantur,  positionis  suae  a  sede  apo- 
praeter   illa,    quae    Guntharius  stolica  prolatam  sententiam 


specialiter     commisit     divinum 
tangendo  ministerium'. 


.patienter  ferens  iuxta  pre- 
cedentem  eonsuetudinem 
niliil  omnino  de  sacro  mini- 
sterio  contingere  presump- 
sit;  Guntharius  vero  .  .  .  veti- 
tum  sibi  officium  usurpare  ausu 
temerario  non  expavit'. 
Namentlich  die  letzte  Stelle  setzt  wolil  die  Benutzung  dieses 
Documentes  ausser  Zweifel,  welches  dann  Beginos  Hauptquelle 
für  das  Jahr  865,  den  ersten  Theil  von  864  und  den  Anfang 
von  866  gewesen  sein  muss;  es  genügt  aber  doch  noch  nicht 
zur  Erklärung  der  ganzen  Erzählung.  Die  Namen  Hagano 
und  Rodoald '  fand  ßegino  in  keinem  der  angeführten  Acten- 
stücke,  ebenso  wenig  die  Nachricht,  dass  sich  die  abgesetzten 
Bischöfe  an  den  Kaiser  gewandt  hätten,  der  sich  damals  in 
der  Gegend  von  Benevent  aufgehalten  habe.  Auch  sonst  setzt 
der  ausführliche  und  hier  und  da  von  der  päpstlichen  Dar- 
stellung ein  wenig  abweichende  Bericht  zum  J.  865  noch  eine 
andere  schriftliche  Quelle  voraus.  Ueber  diese  wird  die  fol- 
gende Stelle  einiges  Licht  verbreiten: 

Regino  a.  865  (p.  573,  3—11) :  'Qui  (Thietgaudus  et  Gunt- 
harius) tam  turpiter  dehonestati  Ludowicuni  imperatorem,  fra- 
trem  Lotharii  regis,  ademit,  qui  ea  tempestate  ßeneventanis 
morabatur  in  partibus,  scriptis  ac  dictis  vociferantes  se  iniuste 
esse  depositos,  ipsi  imperatori  et  omni  sanctae  ecclesiae  iniu- 
riam  esse  factam,  cum  numquam  auditum  sit,  vel  uspiam 
lectum,  quod  ullus  metropolita  sine  conscientia  principis  vel 
presentia  aliorum  metropolitanorum  fuerit  degradatus.  Adie- 
cerunt  insuper  multa  alia,  blasphemantes  eundem  papam,  quae 
hie  superfluum  duximus  enumerare,  existimantes  eiusdem  se 
imperatoris  adminiculo  simul  et  intercessionis  ope  et  criminis 
obiecti  abolere  notam  et  pristinae  dignitatis  recuperare  statum'. 
Aus  den  Wendungen  'scriptis  vociferantes'  und  'multa,  quae 
hie  superfluum  duximus  enumerare',  geht  doch  wohl  hervor, 
dass  Regino  ein  Schreiben  der  beiden  Bischöfe  in  den  Händen 
hatte.     Dass   sie    zu  Rom   einige  Zeit    auf  die  Entscheidung 

1)  So  nennt  Regino  die  beiden  Legaten,  die  863  an  Lothar  ge- 
schickt wurden :  es  waren  Eodoald  von  Porto  und  Johann  von  Cervia, 
aber  auch  Hagano  von  Bergamo  war  zugegen,  und  er  gab  in  der  That, 
wie  Kegino  richtig  erzählt,  den  Rath,  die  Bischöfe  Günther  und  Thietgaud 
nach  Rom  zu  schicken  (vgl.  Dümmler  II,  67  f). 


324  F.  Kurze. 

warten  mussten,  sagen  dieselben  auch  in  der  noch  im  J.  864 
gegen  den  Papst  erlassenen  Schmähschrift  > ;  ebenda  beschweren 
sie  sich  auch,  dass  ihre  Absetzung  in  Abwesenheit  aller  andern 
Metropoliten  und  Mitbischöfe  erfolgt  sei.  Hier  fehlt  aber  be- 
sonders der  Gesichtspunkt,  dass  durch  ihre  Absetzung  nament- 
lich auch  die  Rechte  des  Kaisers  beeinträchtigt  worden  seien. 
Ich  vermuthe  daher  die  gesuchte  Quelle  in  ihrem  verlorenen 
Schreiben  an  den  Kaiser,  in  welchem  sie  natürlich  nicht  ver- 
säumt haben  werden,  diesen  Punkt  gehörig  hervorzuheben. 

Möglicherweise  waren  diese  Actenstücke  verbunden  mit 
dem  oben  erwähnten  Auszuge  aus  der  spanischen  Concilien- 
vmd  Decretalensammlung.  Es  liesse  sich  Avenigstens  recht  Avohl 
verstehen,  wenn  ein  Geistlicher  des  neunten  Jahrhunderts  das 
Bedürfnis  empfunden  hätte,  diese  Sammlung  von  Documenten, 
in  welchen  das  Wirken  des  Papstes  Nicolaus  so  glorreich  her- 
vortrat, mit  den  erreichbaren  Decretalen  der  grossen  Päpste 
Leo  I.  und  Gregor  I.  und  den  Besclilüssen  des  vierten  Con- 
cils  von  Toledo,  die  als  das  Werk  Isidors  von  Sevilla  er- 
schienen, zusammenzustellen. 

Zum  Jahre  889  entlehnt  Regino  aus  Justin  II,  2 — 3  und 
XLI,  2  —  3  und  Paulus  Diaconus  I,  1  einige  Stellen^  die  ihm 
auf  die  Ungani  zu  passen  scheinen,  obwohl  sie  sich  eigentlich 
auf  die  Scythen  und  Germanen  beziehen. 

Andere  schriftliclie  Quellen  scheint  er  für  diesen  Theil 
seiner  Chronik  nicht  gehabt  zu  haben.  Dass  die  mündliche 
Ueberlicferung,  welcher  er  sonst  folgte^  besonders  reichlich  für 
die  Angelegenheiten  des  westfränkischen  Reichs  und  der  Bre- 
tagne floss,  hat  Dümmler  schon  in  der  Vorrede  zu  seiner 
Uebersetzung  hervorgehoben  und  durch  die  nahen  Beziehungen 
des  Klosters  Prüm  zu  Meaux,  der  Heimat  seiner  ersten  Mönche, 
und  zu  seinen  bretonischen  Besitzungen,  die  es  vom  Herzog 
Salomon  erhalten,  erldärt, 

b.  Als  Quellen  des  Continuator  Reginonis  für  den 
ersten  Theil  der  Fortsetzung  nennt  Büdinger  in  seiner  Ueber- 
setzung die  Annales  Colonienses,  Sangallenses  maiores,  S.  Maxi- 
mini, Hersfeldenses,  Alamannici  und  besonders  die  Annales 
Augienses.  Dagegen  hat  J.  Werra  a.  a.  O.  nachzuweisen  ge- 
sucht, dass  der  grösste  Theil  des  Inhalts  der  Fortsetzung  bis 
zum  Jahre  939  auf  erweiterte  Annales  Augienses  zurückzu- 
führen seien. 

In  der  That  finden  sich  alle  Nachrichten  der  Reichenauer 
Jahrbücher  bis  auf  zwei  Kleinigkeiten'  vollständig  beim 
Cont.  Reg.  wieder,  und  zwar  fast  durchweg  wörtlich:  indessen 


1)  In  Hincmars  Annalen  (SS.  I)  a.  864  mit  einem  Sendschreiben  an 
die   lothringischen  Bischöfe.  2)  Zu  913:    'Hug   abbatiam  (Augienaem) 

successit'  und  931:  'et  profectus  est  (rex)  iu  Qalliam'. 


Handschriftl.  tJeberlleferung  u.  Quellen  Reginos  u.  s.  Forts.    325 

bilden  sie  hier  doch  noch  nicht  die  Hälfte  des  gesammten 
Stoffs,  und  die  Annahme  eines  'vollständigeren  und  erweiter- 
teren Exemplai's',  durch  welche  Werra  (S.  74)  das  Uebrige 
erklären  will,  erscheint  mh'  ganz  widersinnig.  Entweder  hatte 
der  Cont.  Reg.  ein  vollständigeres  Exemplar:  dann  müssten 
die  erhaltenen  Ann.  Aug.  ein  recht  sonderbarer  Auszug  daraus 
sein,  der  die  eine  Hälfte  der  Nachrichten  seiner  Vorlage  ein- 
fach ausgelassen,  die  andere  wörtlich  aufgenommen  hätte;  oder 
die  erhaltene  Form  der  Ann.  Aug.  ist  die  ursprüngliche,  und 
der  Cont.  Reg.  hatte  ein  durch  Zusätze  erweitertes  Exemplar 
derselben  —  S.  75  spricht  Werra  nur  noch  von  erweiterten 
Annalen  — :  dann  müsste  irgend  ein  Unbekannter  nach  dem 
Jahre  939,  bis  zu  welchem  die  Annalen  reichen,  dieselben  mit 
allerlei  Zusätzen  aus  verschiedenen  Quellen  bereichert  haben, 
wobei  mir  ganz  unerfindlich  ist,  warum  man  diese  Arbeit 
nicht  lieber  dem  Cont.  Reg.  selbst,  als  einem  unnachweisHchen 
Unbekannten  zutrauen  soll. 

Werra  glaubt  vor  allem  deshalb  'der  Annahme  so  vieler 
verschiedenartiger  Quellen'  nicht  mehr  zu  bedürfen,  weil  er 
bewiesen  zu  haben  meint,  dass  wir  'einmal  genöthigt'  sind, 
'ein  erweitertes  Exemplar  der  Ann.  Aug.  als  Quelle  für  den 
Cont.  Reg.  anzunehmen'  (S.  75).  Für  diese  Nothwendigkeit 
finde  ich  aber  bei  ihm  keinen  andern  Beweis,  als  den  Satz 
auf  S.  74,  dass  'der  Cont.  Reg.  neben  dem  genauesten  Fest- 
halten au  dem  Texte  der  Aug.  fast  überall  wesentliche  und 
bestimmte  Zusätze,  besonders  von  Namen  der  Personen  und 
Orte,  und  bedeutende  Ergänzungen'  zeige:  indessen  dies  ist 
eben  die  Thatsache,  die  der  Erklärung  bedarf,  aber  doch  noch 
kein  Beweis  für  Werras  Erklärungsversuch.  Eine  'glänzende 
Bestätigung'  seiner  Annahme  findet  Werra  in  der  Vergleichung 
der  Ann.  Aug.  und  des  Cont.  Reg.  zum  J.  939;  denn  es  sei 
unmöglich,  'dass  die  kurzen,  abgerissenen  und  wirren  An- 
gaben' der  Annalen  'vom  Cont.  Reg.  unter  möglichster  Bei- 
behaltung des  vorhandenen  Wortlauts  in  einen  verhältnis- 
mässig so  guten  und  geordneten  Zusammenhang  gebracht 
worden  seien,  ohne  dass  ihm  eine  bessere  und  ausführlichere 
Ueberlieferung  zur  Seite  gestanden  habe'.  Die  Annalen  be- 
richten zum  Jahre  939:  'Otto  rex  ibat  in  Lotheringos  usque 
ad  Caprimontem.  Interea  Ludowicus  rex  Gallie  invasit  Alsa- 
tiam.  Tunc  rex  Otto  revertens  venit  ad  Prisacam  et  obsedit 
eam;  et  Ludowicus  discessit.  Interim  vero  Eberhart  dux 
occisus  est  et  Gisilbertus  dux  in  Reno  submersus  mortuus  est. 
Postea  rex  ibat  cum  exercitu  in  Lutheringos  et  omnes  suo 
subiugavit  imperio  praeter  Metensem  episcopum.  Nee  non  et 
frater  eius  Heinricus  proiectis  armis  venit  ad  eum'.  Dass 
diese  Angaben  kurz  und  abgerissen  sind,  will  ich  zugeben; 
wirr   sind  sie  nicht.     Sie  widersprechen   nirgends    dem    aus- 


326  F.  Kurze. 

führlichen  Bericht  des  Continuators ;  die  stärkste  Abweicliimg 
in  der  Darstellung,  welche  vorkommt,  liegt  darin,  dass  die 
Annalen  zu  der  Nachricht  von  Ottos  Rückkehr  aus  Frankreich 
nach  dem  Elsass  und  von  der  Belagerung  Breisachs  einfach 
hinzusetzen:  'et  Ludowicus  discessit',  während  wir  beim  Cont. 
Reg.  genauer  lesen,  dass  Otto  den  westfränldschen  König  ver- 
trieben und  nun  erst  Breisach  belagert  habe.  Einen  Wider- 
spruch kann  ich  aber  auch  darin  nicht  finden.  Die  Angaben 
der  Annalen  sind  für  den,  der  den  wahren  Sachverhalt  ge- 
nauer kennt,  vollkommen  Idar  und  verständlich,  und  Adalbert 
—  denn  er  ist  doch  der  Cont.  Reg.  —  hatte  diese  Ereignisse 
als  junger  Mönch  von  St.  ]\Iaximin  im  Herzen  Lothringens 
selbst  miterlebt.  Im  Jahre  U68  ist  er  Erzbischof  geworden 
und  981  gestorben;  mag  er  wirklich  erst  920  geboren  sein, 
so  zählte  er  im  J.  939  doch  immerhin  schon  gegen  19  Jahre, 
wahrscheinlich  aber  war  er   noch  wenigstens  fünf  Jahre  älter. 

Es  liegt  also  nicht  der  geringste  Grund  für  die  Annahme 
eines  erweiterten  Exemplars  der  Reichenauer  Annalen  vor. 
Vielmehr  hat  es  grosse  Wahrscheinlichkeit,  dass  gerade  das 
ims  erhaltene  Exemplar,  welches  dem  Erzbischof  Wilhelm  von 
Mainz  gehörte,  dem  Continuator  vorgelegen  hat,  schon  des- 
halb, weil  Adalbert  dem  Erzbischof  so  nahe  stand ;  dazu  kommt, 
dass  die  zu  954  von  Wilhelm  eigenhändig  in  die  Annalen  ein- 
getragene Notiz  vom  Tode  seines  Vorgängers  und  seiner  eigenen 
Wahl  und  Weihe  sich  beim  Cont.  Reg.  wiederfindet,  allerdings 
ohne  die  genauen  Data. 

Wii'  müssen  uns  nun  nach  andern  Quellen  umsehen  und 
werden  dazu  am  passendsten  die  von  ßüdinger  aufgestellte 
Liste  einer  Prüfung  imtcrziehen.  Einverstanden  bin  ich  mit 
Werra,  wenn  er  die  Annales  8.  Maximini'  von  dieser 
Reihe  aussclüiesst.  An  den  wenigen  Stellen,  welche  einige 
Uebereinstimmung  zeigen  2,  hat  der  Cont.  stets  die  vollständi- 
geren Nachrichten,  imd  da  die  Annalen  bis  987  reichen,  so 
sind  sie  wahrscheinlich  auch  jünger;  dass  sie  ihrerseits  den 
Continuator  nicht  benutzt  haben,  erklärt  sich  daraus,  dass 
Adalbert  sein  Geschichtswerk,  wie  es  scheint,  im  J.  968  mit 
nach  Sachsen  genommen  hat. 

Auch  darin  gebe  ich  ^^'erra  Recht,  dass  er  die  Annale s 
Alamannici  nicht  als  Quelle  des  Cont.  Reg.  gelten  lassen 
will.  Diese  sind  von  882  an  in  zwei  ganz  verschiedenen  Re- 
dactionen  vorhanden  3.  Die  ausführlichere,  durch  den  Codex 
Modoetiensis  und  den  Codex  Veronensis  vertreten,  reicht  bis 
zum  J.  912  und  enthält  mehrere  Notizen,  die  sich  in  kürzerer 
Fassung  beim  Cont.  Reg.  wiederfinden*,  nämlich  zu  907  vom 

1)  Mon.  Germ.   SS.  IV,  p.  6  sq.  2)  Werra  hat  sie  auf  S.  60  zu- 

sammengestellt. 3)    Neben    einander    abgedruckt    SS.  I,    p.   52  —  55. 

4)  Zusammengestellt  bei  Werra  S.  68 — 69, 


Handschriftl.  Ueberlieferung  w.  Quollen  Eeginos  u.   s.  Forts.    327 

Tode  des  Herzogs  Liutpold,  zu  910  von  der  Niederlage  der 
Franken  und  Baiern  gegen  die  Ungarn  und  dem  Tode  des 
Grafen  Gebehard  und  zu  912  von  dem  Tode  des  Königs 
Ludwig  und  der  Erwählung  des  neuen  Königs  Konrad;  die 
letzteren  Ereignisse  berichtet  der  Cont.  Reg.  zwar  richtig  zu 
911,  doch  könnte  er  ja  die  Jahreszahl  aus  den  Ann.  Aug. 
berichtigt  haben.  Aber  mit  Recht  findet  es  Werra  äusserst 
unwahrscheinlich,  dass  der  Cont.  Reg.  so  'wenige  Notizen 
mitten  aus  den  reichen  Nachrichten  der  alamannischen  An- 
nalen  herausgenommen  und  mit  den  seinigen  zusammen- 
geschweisst  habe,  ohne  sich  um  die  unmittelbar  daneben  ste- 
henden Mittheilungen  zu  kümmern,  und  ohne  dass  man  irgend 
einen  Grund  für  diese  Auswahl  auffinden  könnte'.  Die  andere 
Redaction,  welche  aus  St.  Gallen  stammt',  ist  bis  911  viel 
kürzer,  reicht  aber  bis  926,  und  während  sie  bis  911,  wenn 
sie  hier  endete,  allenfalls  als  Quelle  des  Cont.  Reg.  angesehen 
werden  könnte,  obwohl  sie  nicht  viel  mehr  enthält  als  die 
Reichenauer  Annalen,  so  gilt  für  das  Stück  912 — 926  derselbe 
Einwand,  den  wir  gegen  die  Benutzung  der  ausführlichen 
Redaction  geltend  machen  mussten. 

Dagegen  finden  sich  eben  die  Nachrichten,  welche  zu 
der  Annahme  einer  Benutzung  der  Annales  Alamannici  An- 
lass  gaben,  auch  in  den  Jahrbüchern  von  Laubach* 
und  bilden  für  die  Jahre  907 — 912  fast  deren  einzigen  Inhalt. 
Deutlich  erkennt  man  die  Notizen  zu  den  Jahren  908  und  910, 
verschmolzen  mit  den  kurzen  xA.ngaben  der  Ann.  Aug.,  die 
durchaus  leitende  Quelle  sind,  beim  Cont.  Reg.  wieder: 

Ann.  Aug.  907:  'Baioarii  et      Cont.  Reg.  907: 'Bawarii  cum 
ab  Ungariis  interficiuntur'.  Ungariis  congressi  multa  caede 

Ann.  Laub.  908:  'Ungari  bei-  prostrati  sunt,  in  qua  congres- 
lum  contra  Bauworios  inex-  sione  Liutbaldus  dux  occisus 
superabile  fecerunt,  et  Liut-  est' 
baklus  dux  eorum  comitesque 
atque  episcopos  quam  plurimos 
illorumque  supersticiosa  super- 
bia  crudeliter  occisa  est'. 

Ann.  Aug.  910:  'Franci  ab 
Ungaribus  aut  occisi  aut  fugati 
sunt'. 

Ann.  Laub.  910:  'Ungari  bel- 
lum cum  Alaraanis  fecerunt 
victoriamque  habuerunt,  et 
Gozpertus    comes    occisus    est 


Cont.  Reg.  910:  'Franci  in 
confinio  Bawariae  et 
Franciae  Ungariis  congressi 
miserabiliter  aut  victi  aut  fu- 
gati sunt.  In  quo  proelio 
Gebeardus  comes  interiit  re- 
lictis'  etc. 


1)  Neu  herausgegeben  von  C.  Henking  ans  der  Original -Hs.  zu 
Zürich,  'Mittheilungen  zur  vaterländischen  Geschichte'  XIX,  S.  224 — 265. 
2)  SS.  I  neben  den  Ann.  Alam.  gedruckt. 


328  F.  Kurze. 

parsque  populi  magna  occisa 
est.  Et  in  ipso  itinerecum 
Francis  pugnaverunt,  Gebe- 
harclum  ducem  et  Liutfredum 
aliosque  quam  plurimos,  Ba- 
woariis  victoriam  ex  parte 
tenentibus,  occiderunt  prae- 
damque  abstulerunt'. 

Zu  907  berichten  die  Ann.  Laub,  nur  den  Tod  Adalberts, 
den  Regino  richtiger  schon  unter  906  erzählt  hatte;  zu  909 
haben  sie  gar  nichts,  zu  911  nur  eine  Nachricht  über  den 
Tod  des  Grafen  Burchard  und  seines  Bruders  Adalbert,  welche 
der  Cont.  Reg.  allerdings  nicht  aufgenommen  hat.  Ausserdem 
erzählen  sie  nur  noch  zum  J.  912,  mit  welchem  sie  schliessen: 
^Iterum  Ungari  Alamanniam  Franciamque  invaserunt  atque 
ultra  Rhcnum  et  Magicampum  usque  in  Arhaugiam  devasta- 
bant  ac  sine  damno  reversi  sunt'.  Den  Kern  hiervon  giebt 
der  Cont.  Reg,  zu  912  mit  den  Worten  wieder:  'Ungarii 
iterum  nullo  resistente  Franciam  et  Turingam  vastaverunt'. 

Mit  Unrecht  hat  Werra  die  Benutzung  der  grösseren 
St.  Galler  Annaleni  geleugnet.  Natürlich  kann  der  Cont. 
Reg.  von  diesen  Annalen,  die  jetzt  bis  1056  reichen,  nur 
einen  Theil  vor  sich  gehabt  haben.  Nun  hat  schon  Ild.  v.  Arx 
in  der  ersten  Ausgabe  einen  Abschnitt  nach  dem  J.  918  an- 
gesetzt, bis  zu  welchem  die  Verwandtschaft  mit  den  alaman- 
nischen  Annalen  reicht.  In  dem  zweiten  Theile  finde  ich 
keine  Beziehungen  zum  Cont.  Reg.  mehr,  wohl  aber  im  ersten 
bis  918.  Zur  Vergleichung  setze  ich  das  betreffende  Stück 
der  Annalen  hierher: 

907. 

908.  'Baioariorum  omnis  exercitus  ab  Agarenis  occiditur. 
Adalbero  episcopus  cum  magno  apparatu  et  multis  donis  venit 
ad  monasterium  sancti  Galli. 

909.  Agareni  in  Alamanniam. 

910.  Adalbero  episcopus  obiit.  Agareni  cum  Alamannis 
et  Francis  pugnaverunt  eosque  vicerunt;  et  Norici  partem 
ex  eis  occiderunt. 

911.  Stella  cometis  apparuit.  Hludowicus  rex  filius  Arnolfi 
regis  obiit;  et  domnus  Chuonradus  regnum  accepit. 

912.  Chuonradus  rex  in  festivitate  sancti  Stephani  ad 
vesperum  venit  ad  monasterium  sancti  Galli.  Eodem  anno 
Notkerus  magister  obiit. 

913.  In  purificatione  sanctae  Mariae  transacta  festivitate 
ad  vesperum  grande  miraculum  contigit,  ut  stellae  miro  modo 


1)  Herausgegeben  von  Ild.  v.  Arx  SS.  I,  p.  72—85,  neu  von  C.  Hen- 
king  a.  a.  O.,  265—323. 


Handschriftl.  Ueb erlief erung  u.  Quellen  Reginos  u.  s.  Forts.    329 

usque  ad  mediam  noctem  inter  se  volitabant.  Eodem  anno 
nix  iramanis  cadens  Idibus  Aprilis  ebdomadam  paschae  per- 
duravit.  Hatho  archiepiscopus  obiit.  Et  Otpertus  episcopus 
occiditui*.  Agareni  Alamanniam  intraverunt.  Erchanger  et 
Perehtolt  frater  eius  et  Udalricus  eomes,  auxiliante  illis  nepote 
eorum  Arnolfo  optimo  duce  Baioariorura,  totum  exereitum 
eorum   iuxta  Ine  lluvium  penitus  occiderunt  nisi  XXX  viros. 

914.     Salomon  episcopus  captus  est. 

915. 

916.  Erchanger  et  frater  eius  Perehtolt  et  Liutfrid  capti 
et  occisi  sunt.    Wiberat  reclusa  est. 

917. 

918,     Chuonradus  rex  obiit  ante  natale  Domini'. 

Daraus  stammen  freilich  nur  folgende  Stellen  des  Cent. 
Reg.:  '911.  Ludowicus  rex,  filius  Arnolfi  imperatoris,  obiit; 
eui  Cuonradus  ...  in  regno  successit. 

912.  Hatho  archiepiscopus  obiit  i. 

913.  Otbertus  Strazburgensis  episcopus  occiditur*. 

914.  Salomon  episcopus  captus  est'. 

Wenn  aber  Werra  sich  daran  stösst,  dass  der  Cont.  Reg. 
auch  hier  aus  einer  Fülle  von  Nachrichten  nur  so  wenige  auf- 
genommen haben  sollte,  so  übersieht  er,  dass,  wenn  man  die 
Erwähnungen  der  Himmelserscheinungen  zu  911  und  913  und 
die  Localnachrichten  zu  908.  910.  912  und  916  abzieht,  welche 
unseren  Autor  nicht  interessierten,  nur  solche  Notizen  übrig 
bleiben,  welche  er,  wenn  auch  in  kürzerer  Fassung,  schon 
den  Ann.  Aug.  entlehnt  hatte  (vgl.  a.  908.  909.  910.  913.  916 
und  918). 

Die  Kölner  Annalen  dagegen  können  wir  ruhig  von 
der  Liste  streichen,  denn  in  ihnen  findet  sich  keine  Stelle, 
welche  die  Annahme  nöthig  machte,  dass  der  Cont.  Reg.  neben 
den  Jahrbüchern  von  Reichenau,  Laubach  und  St.  Gallen  auch 
sie  benutzt  hätte. 

Ueber  die  Hersfelder  Annalen  ist  seither  eine  gründ- 
liche und  scharfsinnige  Arbeit  von  H.  Lorenz  ^  erschienen, 
welcher  zugleich  eine  Wiederherstellung  des  Textes  giebt. 
Es  kann  nun  als  erwiesen  betrachtet  werden,  dass  nicht  die 
Annalen  Quelle  des  Cont.  Reg.  gewesen  sind,  sondern  um- 
gekehrt der  Cont,  Reg.  den  Annalen  als  Hauptquelle  für  das 
zehnte  Jahrhundert  gedient  hat.  Ausser  den  von  hier  ent- 
lehnten Nachrichten  hat  der  Annalist  nur  wenige  Notizen,  zu- 
meist über  die  Folge  der  Hersfelder  Aebte.    Selbst  die  Nach- 


1)    Zur   Berichtigung    der   Jahreszahl    stand    dem    Cont.    Reg.    noch 
eine    andere  Quelle    zu  Gebote,   von  welcher    unten    die  Eede    sein  wird. 

2)  Fälschlich    hat    Pertz    in    der    Ausgabe    diese    Notiz    zu    914    gesetzt. 

3)  Hermann  Lorenz,  'Die  Annalen  von  Hersfeld',  Dissert.  Leipz.  1885. 

Neues  Archiv  etc.     XV.  22 


330  F.  Kurze. 

rieht  zu  918:  'Cuonradus  rex  fuit  in  Herolfesfelde'  kann  aus 
dem  Cont.  Reg.  stammen,  der  darüber  viel  ausführlicher  be- 
richtet. 

Dessenungeachtet  muss  der  Continuator  eine  Quelle  aus 
der  nächsten  Nähe  Hersfelds  gehabt  haben,  in  der  er  der- 
artige Localnachrichten  fand,  Lorenz  denkt  (S.  75)  an  'kurze 
lediglich  localgeschichtliche  Notizen,  die  in  Hersfeld  im  An- 
fang des  X.  Jahrhunderts  aufgezeichnet  wurden'.  Zahlreichere 
Spuren  weisen  jedoch  übereinstimmend  mit  grosser  Deutlich- 
keit nach  Fulda:  so  die  Nachrichten  von  dem  Besuche  der 
Ungarn  in  Fulda  zu  915,  von  Conrads  Bestattung  in  Fulda 
zu  919,  von  den  Fuldaer  Aebten  Haycho  und  Hildibert  zu 
923  und  929  und  von  der  Gefangenschaft  des  Erzbischofs 
Friedrich  in  Fulda  939 — 940.  Auf  luidischen  Ursprung  deutet 
gleichfalls  die  Notiz  über  den  Tod  des  Herzogs  Otto  zu  912: 
denn  zu  912  wird  Ottos  Tod  auch  in  den  späteren  Fuldaer 
Totenannalen  gestellt,  während  das  Ereignis  sonst  nur  von 
den  Corveyer  Jahrbüchern  richtig  unter  912  verzeichnet  wird. 

Ich  nehme  also  verlorene  Fuldaer  Jahrbücher 
von  gleicher  Knappheit,  wie  etwa  die  von  Corvey  und  Rei- 
chenau  sind,  als  Quelle  des  Cont.  Reg.  an:  auf  diese  sind  dann 
jedenfalls  auch  die  Notizen  über  die  Mainzer  Erzbischöfe  zu 
912.  926  und  936,  über  die  Anwesenheit  des  Königs  in  Hers- 
feld am  Johannistag  918,  über  den  Einfall  der  Ungarn  in 
Ostfranken  924  und  über  die  Erfurter  Synode  936  zurückzu- 
führen ;  desgleichen,  wenn  sie  den  Tod  des  Herzogs  Otto  be- 
richteten, wahrscheinlich  auch  die  Nachrichten  über  Heinrich 
und  sein  Haus  zu  919.  920.  921.  923.  928—931  und  934—939. 
Die  Annalen  scheinen  von  936  an  etwas  reichhaltiger  gewesen 
zu  sein  und  mit  dem  J.  939  geschlossen  zu  haben.  Höchstens 
könnten  noch  die  Notizen  über  Friedrichs  Entlassung  von 
Fulda  940  und  die  sächsische  Verschwörung  941,  allenfalls 
auch  noch  über  die  Aussöhnung  des  Königs  Otto  mit  seinem 
Bruder  Heinrich  ihnen  entnommen  sein.  Man  braucht  aber 
hierfür  überhaupt  keine  schriftliche  Quelle  mehr  anzunehmen. 

Ob  Adalbert  ausserdem  noch  eine  rheinfränkische  oder 
lothringische  Quelle  hatte,  aus  welcher  die  Nachrichten  aus 
Speier  913,  Worms,  Metz  und  Köln  923,  Bonn  924,  Metz  und 
Strassburg  925,  Metz  und  Duisburg  927  und  Trier  928,  sowie 
über  die  westfränkischen  Wirren  zu  921.  922.  924  und  925 
geflossen  sein  könnten,  wird  sich  schwerlich  entscheiden  lassen. 


VlIL 

Die  älteste  Translatio 

des  heil.  Dionysius. 

Von 

L.  von  Heinemann. 


22 


In  dem  Chr.  Baioar.  des  Veit  Arenpeckh  III,  c.  12,  Pez, 
Thesaur.  anecdot.  III,  3,  col.  128,  begegnet  uns,  wie  bereits 
Hirsch,  Jahrb.  Heinrichs  II,  Bd.  I,  S.  416,  bemerkte,  eine 
Translationsgeschichte  des  heiligen  Dionysius  von  St.  Denis 
nach  Regensburg,  welche  auf  eine  ursprünglichere  und  ältere 
Relation  zurückzugehen  scheint  als  diejenige,  welche  uns  in 
der  von  Köpke  herausgegebenen  Translatio  S.  Dionysii, 
SS.  XI,  p.  343-371,  vorliegt.  Diese  Recension  der  Ueber- 
tragung  des  heil.  Dionysius  selbst  schien  verloren  gegangen 
zu  sein.  Hirsch  machte  nur  auf  die  nahe  Verwandtschaft  des 
von  Arenpeckh  mitgetheilten  Fragmentes  mit  der  späteren, 
weit  phrasenreicheren  Translatio  S.  Dionysii  aufmerksam, 
woraus  er  auf  eine  Abhängigkeit  dieser  letzteren  von  der  Veit 
Arenpeckh  vorliegenden  Recension  schloss. 

Es  ist  mir  nun  gelungen,  jene  ältere  Form  der  Translatio 
S.  Dionysii  in  einer  jüngst  von  der  Wolfenbüttler  Bibliothek 
aus  dem  Besitze  des  Herrn  Schulrath  Dr.  H.  Dürre  erwor- 
benen Hs.  (Nov.  534.  3)  aufzufinden,  aus  welcher  ich  dieselbe 
unten  raittheile. 

Die  Hs.  gehört  durchgehends  dem  15.  Jahrb.  an.  Sie 
ist  zweispaltig  geschrieben  und  enthält  in  ihrem  ersten  Theile 
(f.  1 — 48')  ein  Psalterium,  darauf  folgt  von  einer  anderen 
Hand  geschrieben  auf  fol.  40—57'  die  Translatio  S.  Dionysii, 
sodann  fol.  58  die  Stelle  aus  Ekkehards  Chronik  (SS.  VI,  p.  196), 
wo  dieser  zum  J,  1052  über  die  durch  Leo  IX.  in  Regens- 
burg erfolgte  Bestätigung  der  Reliquien  des  hl.  Dionysius  be- 
richtet. Daran  schliesst  sich,  fol.  58  Sp.  2  —  fol.  59'  Sp.  1, 
der  gefälschte  Brief  Leos  IX.,  in  welchem  der  Papst  unter 
dem  7.  Oct.  1052  von  Regensburg  aus  dem  König  von  Frank- 
reich und  der  französischen  Geistlichkeit  seinen  Entscheid  in 
dem  Reliquienstreite  zwischen  St.  Emmeram  und  St.  Denis  zu 
Gunsten  des  ersteren  Klosters  kundgiebt  (Mansi,  Conc.  Coli. 
XIX,  col.  674—676,  Jaffe-L.  4280).  Weiter  folgt,  fol.  59' 
Sp.  1  —  fol.  60'  Sp.  2,  eine  denselben  Gegenstand  behandelnde, 
gleichfalls  gefälschte  Urkunde  Heinrichs  III.  von  demselben 
Datum,  welche  ich  unten  mittheile.  Den  Beschluss  machen 
eine  Notiz  über  den  Tod  Karls  des  Gr.,  eine  Erzählung  von 
einer    heiligen    Aurelia^    der    Tochter    eines    Frankenkönigs, 


334  L.  von  Heinemann. 

welche  unter  dem  Abte  Ramwold  nach  St.  Emmeram  kam  und 
dort  im  J.  1027  als  Einsiedlerin  verstarb ' ;  annalistische  Be- 
merkungen und  Fundationsnotizen  auf  bayerische  Klöster  be- 
züglich, endlich  von  verschiedenen  Händen  saec.  XV  geschrieben 
vier  Bullen  aus  dem  14.  und  15.  Jahrh.  Die  Schlussschrift 
lautet:  'Finitum  per  Leonhardum  Pauholcz  de  Operkouen» 
anno  Domini  1481,  in  die  sancti  Magni  confessoris  (Sept.  6). 
Die  Translatio  S.  Dionysii  selbst  ist,  wie  bereits  bemerkt, 
offenbar  dieselbe  Relation,  welche  Arenpeckh  von  den  Mönchen 
von  St.  Emmeram  zum  Zwecke  der  Verwerthung  bei  einer 
Darstellung  der  bayerischen  Geschichte  empfangen  zu  haben 
bekundet'.  Doch  hat  Arenpeckh  nur  die  sagenhafte  Erzäh- 
lung von  der  Uebertragung  des  h.  Dionysius  nach  Regens- 
burg durch  den  Kaiser  Arnulf  aufgenommen.  Die  Geschichte 
der  späteren  Wiederauffindung  der  Reliquien  und  der  bewei- 
senden Inschriften  im  J.  1049  theilt  er  nicht  mit.  Gerade 
dieser  Theil  unseres  Berichtes  aber  ist  um  so  wichtiger,  als 
der  Verfasser  der  von  Köpke  edierten  Translatio  ebenfalls 
nur  die  Geschichte  des  Raubes  und  der  Ueberführung  der 
Reste  des  heil.  Dionysius  zur  Zeit  Arnulfs  erzählt.  Wenig- 
stens in  den  beiden  Hss.,  welche  J.  B.  Kraus  bei  seiner 
Edition*  benutzte  und  welche  indirect  auch  die  Grundlage 
der  Ausgabe  in  den  Monumenten  bilden,  und  ebenso  in  der 
später  wieder  aufgefundenen  Münchener  Hs.  des  11.  Jahrb.* 
bricht  die  Darstellung  im  Anfang  des  zweiten  Theiles,  in  der 
Erzählung  der  Auffindung  der  Reliquien  zu  St.  Emmeram  im 
11.  Jahrh.,  plötzlich  ab,  da  entweder  dem  Verfasser  selbst 
oder  doch  dem  späteren  Abschreiber  die  Hand  erlahmte. 
Jedenfalls  ist  dieser  Theil  der  Translationsgeschichte  bisher 
nicht  bekannt  geworden.  Enthält  somit  die  von  mir  auf- 
gefundene Translatio  eine  Reihe  nicht  unwichtiger,  bisher  un- 
bekannter historischer  Nachrichten,  so  ist  doch  auch  der  erste, 
weniger  Neues  bietende  Theil  nicht  ohne  Interesse.  Denn 
bei  einem  Vergleich  desselben  mit  der  von  Köpke  mitgetheilten 


1)    Vgl.    über     diese    Erzählung    Coelestini    Ratisbona    raonast.    ed. 
loh,  Bapt.  Kraus  4.  Aufl.  (1752)  p.   108—113.  2)   Offenbar  derselbe, 

der  die  Chronik  der  bayerischen  Herzöge  des  Andreas  von  Regensburg  fort- 
setzte; vgl.  Lorenz,  GQ.  I^,  S.  192.  3)  Chr.  Baioar.  III,  c.  12,  1.  c. 
p.  128:  'Quoraodo  autem  et  qualiter  pretiosissimae  reliquiae  S.  Dionysii 
ex  Gallia  Ratisponara  venerint,  subsequens  docet  bistoria,  quam  ex  mona- 
sterii  predicti  S.  Emmerami  coenobitis  percepi,  quae  sequitur  et  est  talis'. 
—  Arenpeckh  scheint  sogar  dieselbe  oder  eine  sehr  ähnliche  Hs.  wie  die 
mir  vorliegende  benutzt  zu  haben,  da  er  Ende  des  Cap.  12  auch  jene 
Ekkehardstelle,  die  auf  die  Translatio  in  unserem  Codex  folgt,  wörtlich 
aufgenommen  hat.  4)  De  translatione  corporis  S.  Dionysii  Areopagitae. 
Ratispon.  1750.  5)  S.  Wattenbach  in  den  SB.  der  Münchener  Akad. 
1873  S.   710  u.  Forsch,  z.   Deutschen  Gesch.  XIII  S.  393  ff. 


Die  älteste  Translatio   des  heil.  Dionysins.  335 

Translatio  erweist  sich  diese  einfach  als  eine  Ausschmückung 
unserer  Relation,  worauf  schon  Hirsch  auf  Grund  des  von 
Arenpeckh  angeführten  Fragmentes  aufmerksam  gemacht  hat. 
Hiervon  kann  man  sich  leicht  überzeugen,  wenn  man  beide 
Texte  neben  einander  hält.  Ausserdem  bekundet  der  Verfasser 
der  späteren  Translatio  selbst,  dass  ihm  Aufzeichnungen  von 
Seiten  des  Abtes  Reginward  bei  seiner  Arbeit  zur  Verfügung 
gestellt  worden  seien ',  und  an  einer  Stelle,  wo  er  sich  auf 
diese  Aufzeichnungen  beruft*,  erkennt  man  deutlich,  dass  es 
unser  Translationsbericht  gewesen  sein  muss,  welcher  ihm 
vorlag.  Wenn  der  Vei'fasser  weiter  die  Aebte  von  St.  Denis 
und  Reims  als  seine  Gewährsmänner  anführt*,  so  muss  die 
Wahrheit  dieser  Angabe  dahin  gestellt  bleiben.  Jedenfalls  hat 
er  ausser  einigen  historischen  Notizen,  welche  er  der  Chronik 
des  Regino  entnahm  und  mit  denen  er  sagenhafte  Elemente 
und  den  ihm  vorliegenden  Translationsbericht  in  merkwürdig 
verkehrter  Weise  verquickte,  sachlich  fast  gar  nichts  seiner 
Hauptvorlage  hinzugefügt,  sondern  diese  nur  stilistisch  in 
phrasenhafter  und  schwülstiger  Weise  ausgeschmückt  und  er- 
weitert, so  dass  die  bisher  allein  bekannte  Translatio  S.Dionysii 
nach  der  Auffindung  der  älteren  selbständigen  Fassung  einen 
historischen  Werth  nicht  mehr  beanspruchen  kann.  Uebrigens 
scheint  die  spätere  Bearbeitung  in  der  That  auf  Befehl  des 
Abtes  Reginward,  der  von  1048  — 1064  die  Abtei  St.  Emmeram 
regierte,  verfasst  zu  sein.  Denn  da  nach  Auffindung  des 
Münchener  Codex'*  feststeht,  dass  die  Abfassung  des  Werkes 
schon  im  11.  oder  spätestens  zu  Anfang  des  12.  Jahrh.  statt- 
gefunden haben  muss,  so  sehe  ich  keinen  Grund,  die  Angaben 
in  dem  Dedicationsschreiben  an  den  Abt  Reginward  in  Zweifel 
zu  ziehen.  Die  einfache  und  schmucklose  erste  Aufzeichnung 
mochte  Reginward  nicht  genügen  und  so  betraute  er  einen 
seiner  Mönche  mit  der  Neubearbeitung  der  älteren  Translations- 
erzählung. 

Schon  hieraus  geht  hervor,  dass  die  von  mir  mitzuthei- 
lende  Translatio  S.  Dionysii  sehr  bald  nach  der  Auffindung 
der  Gebeine  dieses  Heiligen  im  J.  1049,  wovon  der  Verfasser 
noch  ausführlich  berichtet,  niedergeschrieben  sein  muss.  Die 
Zeit  der  Abfassung  lässt  sich  aber  aus  dem  Texte  selbst  noch 


1)  SS.  XI,  p.  355:  'partim  etiam  tuis  chartis,  quibus  rogatus  annuo, 
perdidici'.  2)  Ibid.:  'sed   ut   ex   chartis  tuis  agnovi,  nondum  garrula 

levitas  eorum  cessat,  qui  contendunt  hunc  quem  tenes  Dionysium  Areopa- 
gitam  non  esse,  sed  Chorintbiorum  episcopum,  quem  constat  confessorem 
fuisse  et  fatentes  martyrem  Parisiensem  negant  Atheniensem'.  —  Das  be- 
zieht sich  auf  den  letzten  Theil  der  unten  mitgetheilten  Translatio  (c.  13 — 17), 
welchen  der  Verfasser  der  späteren  Darstellung  in  dem  Briefe  an  Regin- 
ward umfassend  benutzt  und  ausgeschrieben  hat.  3)  Ibid.  p.  352. 
4)  S.  oben  S.  334  Anm.  5. 


336  L.  von  Heinemann. 

genauer  bis  auf  Tage  bestimmen.  Die  Translatio  ist  ge- 
schrieben im  J.  1049 »  und  zwar  nach  dem  9.  October  dieses 
Jahres,  da  dieser  dem  Dionysius  Areopagita  heilige  Tag  nach 
der  Erzählung  der  Translatio  in  dem  erwähnten  Jahre  bereits 
festlich  begangen  werden  ist  2.  Ja,  nach  einer  Stelle  müssen 
mindestens  schon  zwei  Wochen  nach  dem  Feste  des  heil. 
Dionysius  verflossen  gewesen  sein^  ehe  unser  Bericht  nieder- 
geschrieben ward^.  Andererseits  ergiebt  sich  aus  dem  Schluss 
des  zehnten  Capitels*,  dass  die  Abfassung  der  vorhergehenden 
Capitel  vor  den  angeblichen  Translationstag  des  Heiligen 
(II.  non.  Dec.)  anzusetzen  ist.  Die  Grenzen  der  Entstehungs- 
zeit unserer  Schrift  sind  somit  c.  25.  October  —  4.  December 
1049,  und  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  war  sie  zur  öffent- 
lichen Verlosung  am  Translationstage  bestimmt. 

Der  Verfasser  unseres  Berichtes  war  ein  Mönch  von 
St.  Emmeram.  Er  bezeichnet  sich  verschiedentlich  ausdrück- 
lich als  Mitglied  dieser  Congregation  5.  Der  Auffindung  der 
Gebeine  des  heil.  Dionysius  im  J.  1049  wohnte  er  selbst  bei, 
da  er,  wie  es  scheint,  schon  damals  zur  Erstattung  eines 
schriftlichen  Berichtes  über  dieses  Ereignis  in  Aussicht  ge- 
nommen w^orden  war*'.  Als  dann  später  bei  der  Wegräumung 
von  Mauerwerk  jene  die  Existenz  der  Gebeine  des  heiligen 
Dionysius  in  Regensburg  beweisenden  Inschriften  gefunden 
wurden,  war  es  unser  Autor,  welcher  diese  Denkmäler  den 
Ungläubigen  und  Zweifelnden  unter  dem  Clerus  und  dem 
Volke  in  der  Stadt  Regensburg:  zur  Prüfung  vorlegte^.  Aus 
alle  dem  erhellt,  Avie  eng  der  Verfasser  des  Berichtes  mit  der 
Inscenesetzung  des  Dionysiusschwindels  selbst  verknüpft  ge- 
wesen ist. 

Bei  dem  Versuche,  die  Person  des  Verfassers  genauer 
festzustellen,  liegt  es  nahe,  an  den  berühmten  Othloh  zu  denken, 
der  in  der  That  ungefähr  von  1032 — 1062,  also  zur  Zeit  jener 
Wiederauffindung  der  Dionysiusreliquien,  an  welcher  der  Ver- 


1)  C.  11:  'usque  ad  instantem  patefactae  translationis  annum,  qui 
est  millesimus  quadragosimiis  nonns'.  2)  C.  9 :  'Factum  est  autem  post 
haec,  ut  sancti  Dionysii  solempuitas,  quae  septima  idus  Oetobris  colenda 
imminebat.  .  .  .  Nos  igitur  patroiii  nostri  Dionysii  .  .  .  festa  veneratione 
promptissima  .   .   .  celebrantes'.   ...  3)    C.    10:    'Nam    cum    mox   post 

nataliciam  patroni  nosti-i  diem  omni  instantia  omnique  devotione  iuvenes 
et  senes  nostri  in  destruendo  et  deportando  opus  murale  .  .  .  unanimiter 
laborassent  duasque  ebdomadas  in  hoc  labore  complevissent'  etc.  4)  'Sed 
et  translationis  eins  diem,  cuius  ho  die  festa  recolimus,  apertissime  in 
eadem  inspicimus'.  5)  Z.  B.  C.  10:   'Sed  nos,  sancti  Emmerami  ceno- 

bitae',  etc.  und  öfters.  6)   C.  8:  'Et  accedens   abbas   unacum   fratribus 

paucis,  quorum  etiam  unus  eg'o,  qui  hoc  scribo,  ut  eo  veracius  quo  magis 
intereram    affirmare    possim,   locum   aperuimus'    etc.  7)    C.   10 :    'Ideo 

autem  dixi:  'omnes  pene',  quia  scio,  utpote  qui  hosla  pides  ad  monasteria 
orbana  post  inventionem  primus  presentavi',  etc. 


Die  älteste  Translatio   des  heil.  Dionysius.  337 

fasser  unserer  Translatio  so  thätigen  Antheil  genommen  zu 
haben  bekundet,  in  dem  Kloster  St.  Emmeram  als  Mönch 
lebte. 

Für  diese  Vermuthung  haben  wir  allerdings  nur  innere 
Bev/eise.  Erstens  mochte  es  nahe  liegen,  dem  damaligen 
Seholasticus  und  bereits  berühmten  Schriftsteller  eine  derartige 
darstellende  Arbeit  wie  unsere  Translatio  aufzutragen.  Er 
war  damals  in  St.  Emmeram  der  vorzüglich  berufene  Mann 
dazu.  Sodann  aber,  vergleichen  wir  unseren  Translations- 
bericht mit  den  dem  Othloh  bestimmt  zugeschriebenen  Werken, 
so  ist  eine  gewisse  Verwandtschaft  sowohl  in  der  ganzen  An- 
schauungsweise als  auch  in  dem  stilistischen  Ausdrucke  un- 
verkennbar. 

Man  hat  mit  Recht  bei  Othloh  das  Streben  nach  ge- 
schichtlicher Wahrheit  und  den  Sinn  für  historische  Kritik 
rühmend  hervorgehoben'.  Auch  dem  Verfasser  unserer  Trans- 
latio wird  man  ein  für  die  damalige  Zeit  seltenes  Verständnis 
für  die  Fragen  der  historischen  Kritik  nicht  absprechen,  wenn 
man  die  Auseinandersetung  über  die  verschiedenen  heih'gen 
Dionysii  am  Schluss  seiner  Abhandlung  ^  näher  ins  Auge 
fasst.  Ferner  war  Othloh  bekannthch  ein  heftiger  Gegner  der 
Bischöfe  von  Regensburg,  deren  Gewaltthätigkeiten  gegen  das 
Kloster  er  so  oft  und  so  heftig  beklagt  und  geisselt.  Auch 
in  unserer  Translatio  wird  der  Beraubung  und  Bedrückung 
des  St.  Emmeramsklosters  durch  die  Regensburger  Bischöfe 
zu  wiederholten  Malen  mit  heftigen  Worten  und  grosser  Ent- 
rüstung gedacht.  Und  nicht  nur  inhaltlich,  sondern  auch  for- 
mell ähnelt  unsere  Uebertragungsgeschichte  unverkennbar  den 
sonstigen  Werken  Othlohs.  Ich  kann  die  Einzelheiten  hier 
nicht  des  Genaueren  anführen,  welche  diese  Uebereinstimmung 
beweisen.  Dafür  ist  vielmehr  der  allgemeine  Eindruck  Aus- 
schlag gebend,  welchen  man  gewinnt,  wenn  man  die  Trans- 
latio mit  einzelnen  der  Werke  Othlohs  in  stilistischer  Hinsicht 
vergleicht.  Erwähnen  will  ich  nur,  dass  man  auch  in  der 
Translatio  die  Vorliebe  Othlohs  für  die  Verstärkung  des  Reci- 
prokpronomens  durch  die  Silbe  *met'  verfolgen  kann,  dass 
gewisse  Lieblingsausdrücke  und  -Wendungen  Othloh's.  wie  z.  B. 
'ut  reor',  'interiora  et  exteriora',  'opus  murale',  Verbindungen 
mit  'non  tam,  quam'  und  Aehnliches  auch  in  der  Translatio 
sich  häufig  finden.  Auch  begegnen  wir  in  der  Translatio 
einem  nicht  gerade  häufigen  Bibelcitat  ('nihil  in  terra  est  sine 
causa'),  welches  in  der  Vorrede  zur  Vita  S.  Wolfgangi  wieder- 
kehrt. 

Dazu  kommt  schliesslich  noch  ein  Letztes.  Schon  Hansiz, 
Germania   sacra   prodr.   III,    p.    103   und   nach   ihm    Hirsch, 


1)  Wattenbach,  GQ.  II*,  p.  61.         2)  C.  13  — 17. 


338  L.  von  Heinemann. 

Jahrb.  Heinrichs  II,  I  S.  23  Anm.  3,  haben  die  Ansicht  ver- 
treten, dass  die  St.  Emmeramer  Urkundenfälschungen,  durch 
welche  die  Abtei  die  Exemtion  von  der  bischöflichen  Gewalt 
zu  erreichen  bemüht  war  und  dieselbe  auch  später  wirklich 
erreichte',  in  derselben  Zeit  entstanden  seien  wie  jene  Fabel 
von  der  Uebertragung  des  heil.  Dionysius  nach  S.  Emmeram, 
In  dem  Liber  Visionum  erzählt  nämlich  Othloh  selbst,  dass 
Heinrich  III.  das  Kloster  St.  Emmeram  in  königlichen  Schutz 
genommen  habe  und  zwar  auf  Grund  der  inzwischen  auf- 
gefundenen Privilegien  des  Klosters  *.  Diese  'privilegia  mona- 
sterii  interim  inventa'  können  wohl  nur  jene  gefälschten  Ur- 
kunden Karls  des  Gr.,  Ludwigs  des  Fr.*,  Arnulfs*  gewesen 
sein,  durch  welche  die  Exemtion  des  Klosters  von  der  bischöf- 
lichen Gewalt  erstritten  werden  sollte;  denn  nur  in  diesen  Fäl- 
schungen ist  die  Rede  davon,  dass  die  Aussteller  das  Kloster 
in  ihren  königlichen  oder  kaiserlichen  Schutz  genommen  hätten. 
Somit  wäre  die  Existenz  dieser  Privilegien  schon  zur  Zeit 
Heinrichs  III.  um  die  Mitte  des  11.  Jahrh,  erwiesen,  wozu 
vortrefflich  passt,  dass  dieselben  in  die  Sammlung  des  Udalrich 
von  Bamberg  bereits  aufgenommen  worden  sind.  Sie  sind 
aber  auch  wahrscheinlich  damals  erst  entstanden,  da  sie 
erst  damals  plötzlich  'aufgefunden'  wurden  und  vorher  nie  von 
ihnen  die  Rede  ist,  man  sich  früher  nie  auf  sie  beruft.  Es 
liegt  daher  die  schon  von  Hansiz  und  Hirsch  ausgesprochene 
Vermuthung  nahe,  dass  Othloh,  der  dieser  ofefälschten  Privi- 
legien zuerst  Erwähnung  thut,  bei  ihrer  Abfassung  die  Hand 
im  Spiele  gehabt  habe.  Hierzu  kommt,Vdass  man  einen  Zu- 
sammenhang des  Dionysiusschwindels  mit  dem  Ringen  der 
Abtei  nach  Exemtion  von  der  bischöflichen  Gewalt  in  einigen 
der  gefälschten  Urkunden  zu  verfolgen  vermag.  In  dem  an- 
geblichen Briefe  Leos  IX.  nämlich,  in  Avelchem  er  dem  König 
von  Frankreich  die  Erhebung  der  Gebeine  des  heil.  Wolfgang 
und  die  Anerkennung  der  Reliquien  des  heil.  Dionysius  im 
Kloster  St.  Emmeram  zu  Regensburg  anzeigt,  heisst  es,  obwohl 
der  Satz  ganz  und  gar  nicht  in  den  sonstigen  Zusammenhang 
hinein  passt:  *quae   (sc.  ecclesia   S.  Emmerami)  quidem  inibi 


1)  Verprl.  Zirngfibl,  Abhandl.  über  den  Exemptionsprocess  des  Gottes- 
hauses St.  Emmeram  mit  dem  Hochstift  Regensburg.  Neue  bist.  AbhdI. 
der   bair.  Akad.  d.  Wissenschaften.     Bd.  I.     1804.  2)    Othloni   Liber 

Visionum,  Visio  Xu,  SS.  IX,  p.  382:  'Inter  haec  namque  bonae  memo- 
riae  caesar  Heinricus,  huius  parvuli  regis  modo  regnantis  Heinrici  pater, 
nisibus  omnimodis  tractavit,  qualiter  eundem  locum  a  durissimo  Pharaonis 
imperio,  id  est  ab  episeopi  potentia  eriperet.  Sed  illo  talia  tractante  prae- 
diaque  quaedam  ab  episcopo  Gebehardo  ablata  restituente,  postremo  etiam 
propter  amorem  Dei  et  propter  privilegia  monasterii  nostri  interim  inventa 
in    regiam    potestatem    idem    monasterium    recipiente'    etc.  3)    Mühl- 

bacher RK.  n.  3  43.  980.  4)  Mon.  Boica  XXXP,  p.  148,  n.  73. 


Die  älteste  Translatio   des  heil.  Dionysius.  339 

sita  est,  atque  ab  omni  subiectione  ac  iurisdictione  Hbera  et 
exempta  ad  ius  et  proprietatem  beati  Petri  apostolicaeque 
sedis  immediate  pertinere  dignoscitur  oblatione  videlicet  ex- 
cellentissimi  Romanorum  imperatoris  Caroli  Magni  ac  po- 
sterorum  ipsius,  qui  eidem  hactenus  successerunt  seu  in  imperio 
seu  in  regno'.  Und  in  der  eng  mit  dieser  Fälschung  zu- 
sammenhängenden ebenfalls  unechten  Urkunde  Heinrichs  III. 
vom  7.  October  1052,  welche  dem  Inhalte  nach  im  Wesent- 
lichen mit  dem  Briefe  Leos  übereinstimmt  und  die  ich  im 
Anhange  zum  ersten  Male  mittheile,  lautet  der  betreffende 
Passus:  'Quam  quidem  serenissimus  Karolus  Magnus,  proavus 
scilicet  eiusdem  Arnolfi,  ad  honorem  principis  apostolorum  ac 
martiris  memorati  regali  suraptu  ac  liberalitate  fundavit,  impe- 
riali  eandem  donatione  sublimans  atque  immediate  apostolicae 
sedis  eam  regimini  subiiciens  et  tutelae,  statuens  illam  sedis 
episcopalis  in  urbe  iam  dicta  sociam  esse  perpetuam  et  soro- 
rem,  ac  paribus  privilegiorum  honoribus  coaequari'. 

Nun  lässt  sich  die  Entstehungszeit  dieser  Fälschungen 
allerdings  nicht  genau  bestimmen.  Wir  können  nur  sagen, 
dass  sie  vor  der  Mitte  des  14.  Jahrh.  entstanden  sein  müssen, 
da  Heinrich  von  Herford  in  seiner  Chronik  '  den  Brief  Leos  IX. 
schon  erwähnt.  Wenn  aber  Othloh,  wie  bereits  bemerkt,  in 
der  zwölften  Vision  berichtet,  dass  Heinrich  III.  das  Kloster 
St.  Emraeram  in  königlichen  Schutz  genommen  habe,  so  könnte 
man  auf  den  Gedanken  kommen,  dass  das  Privileg  Hein- 
richs III,  welches  Othloh  an  der  erwähnten  Stelle  im  Sinne 
zu  haben  scheint,  die  von  uns  unten  mitzutheilende  Fälschung 
sei.  Denn  obwohl  nicht  direct  davon  die  Rede  ist,  dass  Hein- 
rich das  Kloster  in  seinen  Schutz  nahm,  so  ist  doch  das 
Wesentliche,  die  Exemtion  von  der  bischöflichen  Gewalt,  klar 
und  deutlich  auch  in  diesem  Falsificate  hervorgehoben.  Mag 
dem  aber  sein  wie  ihm  wolle,  mag  auch,  wie  mir  wahrschein- 
lich scheint,  sowohl  der  Brief  Leos  IX.  als  die  Urkunde  Hein- 
richs III.  erst  später,  etwa  im  12.  Jahrh.,  in  St.  Emmeram 
gefälscht  sein  ^,  so  erhellt  doch  auch  aus  diesen  Trugstücken, 
wie  man  im  Kloster  sich  des  Zusammenhangs  der  Auffindung 
der  Gebeine  des  heil.  Dionysius  mit  dem  durch  falsche  Pri- 
vilegien geführten  Kampfe  um  die  Exemtion  des  Klosters  von 
der  bischöflichen  Gewalt  wohl  bewusst  war.  Und  dieser 
innere  Zusammenhang  verkörpert  sich  uns  in  der  Person  des 
Scholasticus  Othloh,    der   nicht  nur   an  der  Wiederauffindung 


1)  Ed.  A.  Potthast  p.  68.  2)  Es  ist  nämlich  auffallend,  dass  beide 
Stücke,  wenn  sie  schon  im  11.  Jahrh.  entstanden,  nicht  wie  die  übrigen 
im  Codex  Udalrici  Aufnahme  gefunden  haben.  —  Der  Ausdruck  'barones' 
in  der  Urkunde  Heinrichs  III.  weist  gleichfalls  auf  spätere  Entstehung 
dieser  Fälschung. 


340  L.  von  Heinemann.  ■_ 

der  Reliquien  und  der  angeblichen  die  Existenz  des  heiligen 
Dionysius  zu  St.  Emmeram  beweisenden  Inschriften  theilnahm 
und  den  ersten  Bericht  über,  dieses  Ereignis  verfasste,  sondern 
auch  die  zu  jenem  Kampfe  um  die  Exemtion  nothwendigen 
Rüstzeuge  schmiedete  in  Gestalt  jener  gefälschten  kaiserlichen 
Privilegien  für  das  Kloster. 

Ist  diese  Vermuthung  richtig,  so  ergäbe  sich  hieraus 
vielleicht  eine  Erklärung  für  die  Entweichung  Othlohs  aus 
St.  Emmeram  im  J.  1062.  Wie  er  selbst  erzählt  >,  war  er 
von  einigen  jüngeren  Mönchen  seines  Klosters  bei  dem  Bischof 
Gebhard  III.  angeklagt  worden  und  in  Folge  der  Nach- 
stellungen des  Bischofs  und  seiner  Anhänger  sah  er  sich 
schliesslich  gezwungen,  Regensburg  zu  verlassen  und  nach 
Fulda  überzusiedeln.  Ueber  den  Grund,  weshalb  Othloh  dem 
Bischof  Gebhard  in  so  hohem  Maasse  verhasst  war,  erfahren 
wir  nichts.  Nach  unseren  obigen  Ausführungen  könnte  man 
auf  die  Vermuthung  kommen,  dass  die  Feinde  Othlohs  diesen 
bei  dem  Bischof  als  den  Verfertiger  jener  falschen  Privilegien 
für  St.  Emmeram  anklagten  und  dass  er,  in  Folge  dessen  von 
Gebhard  mit  glühendem  Hasse  verfolgt,  schliesslich  aus  dem 
Kloster  nach  Fulda  entwich. 


Translatio  S.  Dionysii'^. 

Quod  audivimus  et  vidimus,  quod  oculis  nostris  per- 
speximus  et  manus  nostrae,  licet  indignae,  contrectaverunt,  de 
corpore  preciosissimi  Dionysii  martiris  et  episcopi  primi  Athe- 
niensium,  apostoli  autem  Gallicarum  provinciarum,  in  quibus 
etiam  apud  Parisius  urbem  martirii  gloriosum  consummavit 
triumphum,  una  cum  sociis  suis  Rustico  et  Eleutherio :  de 
huius,  inquam,  ossibus  quod  vidimus  et  audivimus  vobis,  o 
fratres  et  concives  cunctique  Christi  et  sanctorura  eins  vene- 
ratores,  annuntiamus,  ut  et  vos  de  tanti  martiris  patrocinio 
nobiscum  societatem  habeatis  tantique  patroni  beneficia  copiosa 
nobiscum  coramuni  voto  exqniratis.  Hoc  autem  quod  vidimus 
et  audivimus  vobisque  anuntiare  cupimus,  quemadmodum  vide- 
licet  eiusdem  sanctissimi  martiris  ossa  in  Galliae  procul  remo- 


1)  Liber  de  temptatione,  SS.  XI,  p.  389:  .  .  'quin  iramo  a  fratribus 
quibusdam  iuvenibus,  quibus  displicebam ,  apud  episcopum  accusatus, 
varias  mihi  minas  ab  illo  illiusque  familiaribus  agi  saepius  audissem ; 
tunc  petita  ab  abbate  licentia,  ad  monasterium  Fuldense,  quasi  cito  rever- 
suriis,  perrexi'.  2)    Ich    bemerke,    dass  ich  die  Orthograpliie   der  Hs. 

im  Allgemeinen  in  der  Ausgabe  beibehalten  habe,  nur  statt  'ei'  für  'ti' 
und  'e'  für  'ae'  am  Schlüsse  sowie  'y'  für  'i'  habe  ich  die  im  11.  Jahrh. 
gebräucliliehere  Form  hergestellt. 


Die  älteste  Translatio   des  heil.  Dionysius.  341 

tis  partibus  olim  venerabiliter  humata  in  contiguis  iam  tempo- 
ribus  Ratisponara  Bawariae  urbem  metropolitanam  et  in  sancti 
Emmerammi  martiris  ecclesiam  intra  eiusdem  urbis  muros 
sitam  sint  translata.  Verumtamen  ea  primitus,  quae  tarn  ex 
nostrarum  quam  ex  illorum,  qui  ex  Gallia  ad  nos  veniebant, 
relatione  lideli  comperimus ,  deinde  vero  tamquam  veritatis 
fundamento  ac  parietibus  ex  sermone  latiori  auditae  rei  sup- 
positis,  illa  quae  visu  exinde  comprehendimus,  prout  ipse,  qui 
totius  sapientiae  fons  et  fundamentum  constat,  cordi  nostro 
inuiittere  dignatur,  edificii  raore  pauca  verba  superponentes, 
proferre  cupimus.  Inter  haec  etiam  lectorem  petimus,  ne  forte 
propter  stili  vel  eloquii  nostri  ruseitatem  minus  credat  minusve 
libenter  attendat  materiae  tantae  sublimitatem, 

l.ä  Arnolfo  igitur  imperatore,  filio  Karlomanni  regis 
Bawariae,  inter  reges  et  imperatores,  sicut  in  chronicis  legitur, 
faraosissime  regnante,  miracula  ac  signa  beati  Emmerammi 
martiris,  qui  in  urbe  supradicta  Ratispona  corporaliter  requies- 
cit,  adeo  ubique  et  maxime  infra  circumiacentis  provinciae 
terminos  divulgabantur  tantaque  veneratione  habebantur,  ut 
non  solum  principes  atque  optimates  Germaniae  illius  exquire- 
rent  patrocinia,  verum  etiam  idem  imperator  prae  omnibus 
regni  sui  locis  venerabilibus  amaret  et  efflagitaret  eiusdem 
martiris  beneficia.  Quia  enim  sibi  in  Bawariae  finibus  ex 
hereditate  patris  supradicti  Karlmanni,  qui  eiusdem  Bawariae 
rex  specialiter  vocatus  legitur  et  sepultus  in  loco  quodara 
Ottinga  nominato  quiescit,  predia  provenerant  maxima,  atque 
occasione  huiusmodi  aliquantum  detentus  sepissirae  necnon 
libentissime  in  eadem  commoratus  est  provincia:  idcireo  ex 
parte  contigit,  ut  contiguum  sancti  Emmerammi  monasterium 
orationis  causa,  ut  dictum  est,  frequentaret  patrocinioque  eins 
se  in  Omnibus  commendaret.  Et  quia  toto  corde  precibus 
eius  se  commendavit,  erat  proficiens  et  succrescens  ac  quo- 
cumque  se  verterat  superavit. 

2.  Factum  est  autem,  ut  idem  imperator  in  occidentalia 
Galliae  regna  cum  exercitu  pergeret,  et  superatis  omnibus 
inimicis,  contra  quos  bellum  ceperat,  ad  urbem  Parisius  veni- 
ret  ibique  prope  eandem  urbem  in  herbidis  locis,  quia  tempus 
estivum  erat,  tentoria  figens  aliquamdiu  resideret.  Interea 
vero  cum  ibidem  moraretur  et  de  diversis  provinciae  ipsius 
rebus  atque  locis  familiarissimos  suos  alloqueretur,  cepit  etiam 
cum  eis  consilium  agere,  quomodo  alicuius,  sancti  corpus 
maximeque  sancti  Dionysii  exinde  posset  acquirere.  Tunc 
uno   quoque   pro   viribus   suis   respondente,    clericus    quidam 


a)  Die  Zahl  der  Capitel  fehlt  c,  doch  ist  immer  ein  Absatz  heim 
Anfange  eines  Capitels  und  stets  der  Raum  für  eine  später  nicht  aus- 
geführte Anfangsinitiale  frei  gelassen. 


342  L.  von  Heinemann. 

personae  et  scientiae  celebris,  nomine  Gilipertus»,  qui  regi 
erat  fidissimus  quique  eadem  regione  extitit  oriundus,  huius- 
modi  verba  est  locutus:  *Si  consilium  meum  audire  et  pro- 
bare, o  cesar,  dignaris,  spero  me,  opitulante  Deo,  tuis  satis- 
faeere  votis.  Publice  ergo  simula  temet  nimis  offensum  erga 
me,  sed  clam  auri  copiam  mihi  trade.  Cumque  hoc  fuerit 
factum,  fugiam  quasi  a  te  expulsus  ad  sancti  Dyonisii  ceno- 
bium,  ut,  quibuscumque  modis  valebo,  vota  tua  ibi  expiebo'. 
Haec  igitur  simulatio  idcirco  excogitata,  ut  rei  ipsius  suspicio 
omnis  videretur  ablata,  regi  placuit.  Dehinc  clericus,  clam 
accepto  auro,  velut  expulsus  nimiumque  tristis  fugit,  et  oflFen- 
8um  sibi  regem  omnimodo  indicans,  ad  cenobii  supradicti  ab- 
batem  venit.  A  quo  benigne  susceptus  exponit  sui  causam 
adventus  pariterque  suplieiter  rogat,  ut  pro  Dei  amore  suaque 
oblatione,  si  quam  forsitan  illo  dignam  possit  presentare,  tam 
ipse  quam  congregatio  sancta  sibi  subdita  pro  se  dignetur 
orare.  'Nichil  est',  inquiens,  'quod,  ut  credo,  denegetur  orationi- 
bus  vestris,  utpote  qui  tanto  patrocinio,  illo  equidem  sanctis- 
simo  Dyonisio ,  suffulti  estis.  Quamobrem ,  quia  non  vacua 
manu  vobis  pro  rae  exorantibus  apparebo,  apud  eundem  patro- 
num  vestrum  pro  me  afFectu  sincero  et  vos  precor  intercedite 
et  michi  id  ipsum  facere  locum  et  tempus  hie  commorandi 
prestate'.  Haec  et  hiis  similia  clerico  proferente,  ostendit  ab- 
bati  pondus  ingens  auri,  dicens  se  promisisse  sancto  Dionisio 
idem  aurum  offerre.  Videns  autem  abbas  tantum  auri,  nimium 
letus  efficitur,  et  omnia  quae  petiit  clericus  poUicebatur^.  Mox 
velut  hospes  gratissimus  suscipitur  et  cum  omni  humilitate 
ibidem  per  triduum  hospitatur,  nemine  versutiam  illius  suspi- 
cante.  Post  haec  humiliter  postulat  ostendi  sibi  locum,  in  quo 
ponat  aurum,  quod  soli  sancto  Dyonisio  fuerit  promissum. 
Quam  petitionera  abbas,  quia  satis  avidus  erat  auri,  libentis- 
sime  suscipiens*^  cum  ad  sancti  Dyonisii  sepulcrum  duxit. 
Ceterum  clericus  versutia  plenus  explorandi  gratia,  an  ipsius 
sancti  seu  alterius  sepulcrum  idem  foret,  diutius  perquirens, 
abbate  vero  econtra  affirmante,  aurum  tunc  demum  iuposuit, 
et  oratione  facta,  una  cum  abbate  discessit.  Deinde^  etiam,  ut 
in  cunctis  aptior  existeret,  precio  dato  refectionem  sumptuo- 
sam  monachis  exhibens  privatim  et  communiter  eorum  se 
orationibus  commendavit  ipseque  simul  orationi  continuo  vacare 
simulavit,  adeo  ut  etiam  in  nocte  tertia  adventus  sui,  quam 
furto  sacratissirao  iam  oportunam  esse  credebat,  quasi  pro 
orationis  furtivae  gratia  licentiam  peteret  una  cum  custodibus 
noctu  commorandi  in  ecclesia.  Quod  dum  facile  impetraret, 
utpote  qui  in  nullo   suspectus   videbatur,   potus   copiam  tam- 

a)  Gisilbertus  nachträglich  am  Rande  hinzugefügt  c.         b)  poUicebatos 
eorr.  poUicebatur  c.       c)  suspiciens  später  corr.  suscipiens  c.       d)  Dein  c. 


jDie  älteste  Translatio  des  heil.  Dionysius.  343 

quam  caritatis  occasione  custodibus  attulit  et  exhortans  illos 
satis  bibere  aliquamdiu  cum  eis  resedit.  Custodes  vero  id 
quod  petebantur  libentissime  executi  et  in  ebrietate  magna 
resoluti,  sopore,  ut  lieri  solet  ebriis,  gravissimo  deprimuntur. 
Postquam  clericus  inspeetione  studiosa  haec  persensit,  mox 
vota  sua  prosperari  credens,  primum  quidem  ad  ianuam,  quae 
claustri  parte  monachis  specialem  introitum  prebet,  properavit 
eamque  cautissime  pessuio  seu  vecte  clausit.  Deinde  intro- 
ducens  viros  duos  totidem  peras  gestautes  in  ecclesiam  cum 
eis  vadit  ad  locum  sibi  satis  premonstratum.  Dum  vero 
fodiendi  sumptu  aperientes  tumulum  beatissimi  Dyonisii  ossa 
abstulerunt  et  dexteram  quidem  in  unam,  sinistram  partem 
ossium  eorundem  in  alteram  peram  ponentes  citius  ab  ecclesia 
exierunt  sicque  cum  eisdem  onerati  peris  ad  regem  venerunt. 
At  ille  pro  hac  re  nimium  gaudens  Deo  gratias  egit  et  mox 
eundem  clericum  assumpto  secum  sacratissimo  furto  ad  urbem 
quandam  dicionis  suae  precepit  celeriter  proficisci  ibique  semet 
prestolari. 

3.  Cum  autem  ad  matutinas  laudes  monachi  exurgere 
cepissent  et  in  ecclesiam  more  insolito  obseratam  intrare 
nequivissent,  admirantes  valde  cucurrunt*  et  ex  altera  parte 
monasterii  intraverunt.  Deinde  non  invento  clerico,  confestim 
arbitrantes  aliquas  ecclesiae  res  ab  eo  sublatas  scrutati  sunt 
sollicite,  quid  contingeret  deesse.  Et  perscrutantes  omnia  in- 
venerunt  sanctissimi  patroni  sui  tumulum  ablatis  ossibus  iam 
apertum.  Mox  omnis  ille  locus  fletu  planctuque  repletur,  sed 
et  res  miranda  atque  liorrenda  illic  monstrabatur.  Nam  sicut 
a  quodam  venerabili  viro,  scilicet  incluso  adhuc  superstite  et 
omnimodo  huic  seculo  abrenuntiante,  qui  quondam  in  Gallia 
commoratus  et  profectus  ad  sancti  Dionisi**  cenobium  ab  eius- 
dem  monasterii  abbate  didicit,  comperimus,  mox  ut  sanctis- 
sima  eiusdem  Dyonisii  ossa  exinde  furto  supradicto  sunt  ab- 
lata,  omne  illud  monasterium  tanta  caligine  tantisque  tene- 
brosis  nebulis  per  biduum  tegebatur,  ut  vix  alter  alterum 
videre  posset  miserabilisque  Horror  omnes  cenobitas  invaderet. 
De  cuius  videlicet  viri  Dei  narratione  plenius  postmodum  in- 
dicaturi  nunc  Interim  ad  priora  revertamur. 

4.  Igitur<=  abbas  supradicti  monasterii  pro  certo  coniciens, 
a  quo  tale  furtum  patratum  sit,  venit  ad  Arnolfum  imperato- 
rem  et  supplicibus  verbis  compellat  eum  dicens:  'Redde  nobis, 
cesar  benignissime,  quae  tibi  de  rebus  nostris  furtivo  allata 
sunt  munere.  Miserere  nobis,  queso,  clementissime  regum,  et 
redde,  quem  a  clerico  accepisti  nequissimo,  loci  patriaeque 
nostrae  patronum  Dyonisium'.  Ad  haec  Imperator,  quasi  per- 
motus  de  obiecta  furti  culpa,  respondit  dicens,  nee   se  fateri 

a)  Später  corr.  cucurrerunt  c.  b)  So  hier  c.  c)  Fubulo  füg(^ 

hinzu  Pez. 


344  L.  von  Heinemann. 

vel  negare  velle  de  hiis,  pro  quibus  tarn  procaciter  iniuria- 
retur,  Abbas  vero  diu  eadem  repetens  verba  et  eadem  a 
cesare  accipiens  responsa  tandem  obsecrare  cepit.  'Si  hoc', 
inquiens,  'non  mereor  itnpetrare,  ut  sanctissimi  patroni  uostri 
corpus  tibi  absque  dubio  allatum  minime  digneris  redonare, 
hane  saltim  gratiam  nobiscum  facias^  ut  numquam  fama 
publica  inuotescat,  quia  a  loco  nostro  sit  raptus  et  tibi  allatus. 
Nam  si  publicatum »  fuerit,  locus  profecto  noster  destruetur. 
Unde  tantae  compatiens  miseriae^  locum  noli  nostrum  prorsus 
destruere,  sed  ita  letitiae  tuae  incrementa  contempera,  ut  et 
nobis  aliquam  gaudendi  spem  relinquas'.  Haec  et  hiis  similia 
abbate  ad  regem  flebiJiter  loquente,  tandem  imperator  preci- 
bus  multimodis  atque  querimoniis  illius  ad  misericordiam 
motus  talia  fertur  verba  protulisse:  'lam  quidem  non  nego, 
michi  delatum  tliesaurum  preciosum,  quem  queritis,  sed  hoc 
nimirum,  quoniam  non  reddo,  sciatis,  petitionem  autem  illam, 
quam  pro  silenda  patroni  vestri  direptione  protulistis,  quan- 
tumcumque  valeo,  diebus  vitae  meae  adimplebo  cunctis'.  Haec 
audiens  abbas,  licet  non  ad  integrum,  aliquatenus  tarnen  ira- 
petrans,  pro  quibus  regem  interpellavit,  quasi  letus  a  facie 
eins  abscessit  et  obtinuisse  se  simulans,  pro  quo  veniebat, 
peris  quibusdam  cum  honestate  magna  super  equum  composi- 
tis,  tamquam  in  eis  corpus  patroni  sui  ablatum  referret,  redie- 
bat.  Postea  vero,  ne  vulgo  veritas  patefieret,  evacuatum  sancti 
Dyonisii  raonuraentum  desuper  contexit,  omnimodo  ita  ut 
prius  erat  adornavit.  Porro  imperator,  peragratis  Galliae 
partibus,  prout  voluit,  cum  triumpho  et  gloria  necnon  cum 
muneribus  maximis  ad  propria  rediit  secumque  minus  divul- 
gata,  ut  promiserat,  veneratione  sancti  Dyonisii  ossa  usque 
ad  extrema  vitae  suae  detinebat.  Cum  autem  in  Ratisponense 
urbe,  dilectissima  videlicet  regni  sui  sede,  positus  infirmaretur, 
obtulit  et  eadem  sancti  Dyonisii  ossa  venerando  sancto  Emme- 
ramo  suamque  coronam,  pene  omnia,  que  in  libris  ac  orna- 
mentis  regalibus  habere  visus  est,  sicut  et  adhuc  in  eiusdem 
sancti  Emmerami  cenobio  probari  potest,  in  quo,  ut  preter- 
mittam  alios  plures  libros  manu  benedocta  scriptos  aureisque 
literis  precapitulatos,  unum  illius  plenarium  detinetur,  tale  an** 
diflicile  usquam  inveniri  possit  equale.  Sed  et  ipsius  cibo- 
rium  miro  ac  precioso  auri  gemraarumque  opere  constructum 
adhuc  ibidem  reservatur^     Ad  ultimum  etiam  idem  imperator 


a)  So  Fez;  publicum  cum  c.         b)  cui  Pez. 

1)  Cf.  Ärnoldus  de  S.  Emmerammo  I,  c.  5,  SS.  IV,  p.  551 :  'In  quo 
(palatio)  erat  ciborium  quadratum,  cuius  auro  tectum  tabulatum,  fasti- 
gium  serto  gemmarum  redimitum.  .  .  .  Erant  etiam  in  eo  evangeliorum 
libri  plenarii,    auro  et  gemmis   tecti,   scripti   picti,    ac    omnimodis    ornati. 


Die  älteste  Translatio  des  heil.  Dionysius.  345 

sepulturae  suae  locum  in  ecclesia  sancti  Emmerami  disponens 
corporis  et  animae  suae  eidem  sancto  committit  i.  Inter  haec 
mirandum  et  pro  exemplo  mortalibus  eunctis  predicandum, 
quod,  cum  plerique  homines  sobole  propria  carentes  in  here- 
des  alienos  predia  divitiasque  suas  potius  quam  in  Deum 
transmittant,  hie  vero  imperator  eximius  nee  filium  suura, 
nomine  Ludowicum,  quem  regni  successorem  reliquid,  in  orna- 
meutis  rebusque  predictis  divinae^  hereditati  pretulit.  Talis 
erat  finis  Arnolfi  imperatoris. 

5.  Haec  vero  quae  de  sancti  Dyonisii  translatione  ab  eo 
facta  diximus,  partim  a  nostratum,  partim  quoque  inciusi,  de 
quo  superius  mentionem  fecimus^^  relatione  tideli  comperimus. 
Sed  quia  huius  viri,  videlicet  inclusi,  memoria  iam  denuo  a 
nobis  facta  est,  restat,  ut  iuxta  promissum  ea,  quae  ex  ore 
eius  audivimus,  plenius  disseramus,  presertim  cum  et  hoc  im- 
primis  polliciti  scimus,  prius  audita  deinde  visa  de  patroni 
nostri  translatione  euarrare.  Ergo  huiusmodi  verba  idem  in- 
clusus  profert:  'Cum',  inquid,  'domina  mea,  nomine  Mahthilt, 
sicut  mortalibus  multis  est  notum,  ante  decenniura  Gallorum 
regi  ex  Francia  data  esset  in  matrimonium^,  veni  sepius  ad 
illam.  Et  quoniam  utrique,  dominae  scilicet  et  regi,  satis 
acceptus  fui,  sicut  ab  illis,  ita  et  ex  aliis  familiaribus  suis 
amabar,  in  quibuscumque  regni  sui  locis  versabar,  Interea 
quoque  accidit,  ut  ad  sancti  Dyonisii  cenobium  urbi  Parisio 
proximum  frequenter  venirem.  Eiusdem  vero  cenobii  abbas, 
cum  de  me  rege  prius  sibi  referente  audiret,  tam  ob  regis  et 
reginae  quam  propter  hospitalitatis  amorem  niemet  benigne 
suscepit  et  cum  omni  caritate  atque  familiaritate  nunc  dua- 
bus,  interdum  vero  tribus  ebdomadibus  secum  retinuit.  Unde 
factum  est,  ut  sepe  solus  mecum  residens  de  diversis  familia- 
riter  interrogaret  rebus.  Quibus  etiam  huiusmodi  interrogatio- 
nem  aliquando  addidit  dicens:  ''Quia  igitur,  o  amice,  de  te 
audivi  plurima  loca  tibi  esse  nota,  numquid,  rogo,  Germa- 
niam  et  Bavariam  seu  urbem  quondam  nomine  Ratisponam 
agnoscis?"  Cui  cum  responderem:  "Etiam,  domine",  inter- 
rogando  adiecit  dicens:  ''Nostine  et  illud  sancti  Emmerammi 


a)  divini  c. 


E  quibus  unus  est  cubitalis,  opere,  precio,  pondere  siquldem  talis,  ut  ei 
non  facile  inveniri  possit  aequalis'.  Die  Stelle  hat  der  Verfasser  unserer 
Translatio  offenbar  gekannt.  —  Ueber  das  Evaugeliar  Arnulfs  s.  Riezler, 
Gesch.  Baierns  I,  S.  631.  1)  Cf.  Arnoldus  1.  c,  Hirsch,  Jahrb.   Hein- 

richs n,  I,  S.  417.  2)  C.  3.  3)  Der  Verfasser  meint  wohl  Mathilde, 
die  Tochter  Kaiser  Konrads  II,  welche  mit  König  Heinrich  I.  von  Frank- 
reich verlobt  war,  diesen  aber  niemals  heirathete,  da  sie  vorher  (1034) 
verstarb. 

Neues  Archiv  etc.     XV.  23 


346  L.  von  Heinemann. 

monasterium  in  urbe  eadem  situm?"  Et  ego  ad  eum: 
"Optime".  At  ille:  ''Et  in  quo",  inquit,  "loco  ibi  sanctus 
Dyonisius  reqiiiescat?"^  Tum  vero  ex  corde  intimo  ingemes- 
cens  satisque  lacrimans  alt:  "Nequaquam  pro  dolor",  inquit, 
"quoniam  olim  hinc  per  furtum  ablatus  est.  Quamvis  enim 
ita  ut  a  te  ab  aliis  quoque  falso  credatur,  aput  nos  tarnen, 
qui  in  hoc  cenobio  conversamur,  veritas  non  ignoratur,  utpote 
quorum  patribus  miseria  contigit  tanta,  Ceterum  nisi  te 
michi  familiarissimum  crederem,  talia  tibi  minime  pateface- 
rem.  Unde  etiam,  quomodo  idem  sanctus  noster  patronus 
ablatus  fuerit,  iam  tibi  pandere  volo.  Fuit',  inquiens,  "rex 
quidam^  in  Germania,  nomine  Arnolfus,  qui  veniens  in  pro- 
vinciam  hanc  cum  exercitu  niulto,  postquam  circumquaque 
positas  urbes  circuivit,  ad  haec  etiam  loca  profectus  ante 
proximam  civitatem  in  amenis  pratis**  castra  est  metatus". 
Öicque  omnia,  peue  ut  a  nobis  superius  prolata  sunt,  indicavit 
sibimet  narrasse  et  hoc,  quod  nos  preterraisimus,  in  line  ser- 
raonis  addidisse :  "Postquam",  inquit,  "idem  rex  hinc  discessit, 
in  ipso  campi  herbidi  loco,  ubi  primitus  perae  cum  ossibus 
sanctissimis  oneratae  solotenus  deponebantur,  miracula  tanta 
coruscare  ceperunt,  ut  monasterium  celebre,  sicut  hodie  cer- 
nitur,  inibi  construeretur,  in  quo  multitudine  monachorum  con- 
gregata  laudis  divinae  inolescit  cottidie  cura.  Nunc  igitur 
quoniam  tibi  tanta  de  patrono  nostro  secreta  reseravi,  fac  pro 
quantavis  mercede,  quod  postulo.  Vade  ergo  ad  predictum 
sancti  Emmerammi  monasterium  et  diligenter  explorans,  ubi 
illic  altare  sancti  patroni  nostri  sit,  michi  renunctiato.  Nam 
si  ita  feceris,  premium  procul  dubio  maximum  a  rae  con- 
sequeris".  Cuius  petitioni  ego  quidem,  fateor,  poUicitus  sum 
libenter  parere,  sed  quia  in  hanc  provinciam  et  in  urbem 
Ratisponam  veniens,  nichil  omnino  de  sancti  Dyonisii  vel 
nomine  audivi,  quid  eidem  abbati  illo  iterum  transmigrans 
renuntiarem,  nescivi.  Idcirco  quotienscumque  ab  eo  dehinc 
interrogabar,  preces  illius  me  oblitum  esse  fatebar.  Et  forsitan 
divina  dispositione  facta  sunt  haec,  ut  nee  adhuc  patroni  tanti 
translatio  divulgaretur  nee  per  me  tam  dampnosa<=  exploratio 
perficeretur'. 

6.  Huiusmodi  itaque  inclusus  profert  dicta.  Unde  quia 
et  proxime  et  procul  positorum  concordat  sententia,  et  nos, 
qui  hucusque  dubitavimus,  quodammodo  compelliraur  talia 
credere  et  memoria  literarum  aliis  transmittere.  Non  solum 
namque  alii  infra  et   extra   urbem  positi  de  hac  translatione 


a)  quidem  c.         b)  poutis  später  corr.  pratis  c.         c)   dapnosa  c. 

1)  Hier  scheint  etwas  zu  fehlen  wie  etwa:  Und  als    ich    darauf  ant- 
wortete: Der  heilige  Dionysius  ruht,   denke  ich,  in  Euerm  Kloster? 


Die  älteste  Tranelatio  des  heil.  Dionysius.  347 

dubitaverunt,  sed  etiam  nostrorum  quorundam  antecessorum 
in  sancti  Emmerammi  cenobio  conversantium  dubitatio  tanta 
fuit,  ut,  quia  nulla  litterarura  auctoritate,  sed  tantum  antiquo- 
rum  relatione  affirmabatur,  more  beatissirni  Thomae  apostoli 
dicerent,  nullatenus  se  posse  vel  debere  credere,  quod  nulla 
patrum  coruscatio  posterorum  traderet  memoriae,  nisi  forte 
ipsa  veneranda  sancti  Dyonisii  ossa  viderent.  Hoc  autem, 
quia  non  tarn  dubitandi  quam  investigandi  gratia  fecerunt, 
Deo  disponente,  contigit,  ut  sicut  per  apostoli  supradicti  dubi* 
tationem  plurimi  solidati  sunt  ad  tidem  ita  quoque,  si  tarnen 
de  intimis  conf'erendum  est  suppremis,  dubitatio  ista  ad  mul- 
torum  utilitatem  definiretur. 

7.  Quidara  namque  ex  congregatione  nostra  fratres  pre- 
cipui  ad  hoc  electi,  ut  huius  rei  veritatera  perquirerent,  in- 
venerunt  omnia  eiusdem  martiris  ossa  in  loco  suo  posita.  Ad 
haec  etiam  miraculum  quoddam  ibi  accidit,  quod  indicari 
oportet,  ßinisque  denique  sacculis  inventis,  in  quorum  uno 
Caput,  in  alio  vero  ossa  cetera  seperatim  involuta  fuerunt, 
sacculum  minorem,  in  quo  caput  erat,  ignorantes  adhuc,  quid 
intus  foret,  aliquantisper  a  loculo  procul  posuerunt.  Cum 
autem  in  sacculo  maiori  ossa  universa  excepto  capite  in- 
venientes  et  nondum  minori  enodato  procul  posito  caput  peni- 
tus  deesse  estimantes,  nimio  luctu  afficerentur:  subito  ille,  in 
quo  caput  erat,  sacculus  per  se  motus  et  elevatus  a  loco  ceteris 
ossibus  adiungebatur.  Quo  enodato,  Deo  gratias  egerunt  et 
pro  miraculi  visione  et  pro  corporis  integri  inventione.  Tum 
vero  Caput  aliaque  ossa  in  uno  sacculo  posuerunt. 

8.  Haec  igitur  ossiura  venerabilium  sancti  Dyonisii  in- 
vestigatio  facta  est  sub  abbatis  Richolfi  tempore '.  Sed  quo- 
niam  sub^  eodem  abbate  episcoporura  maximeque  primi  Gebe- 
hardi*  persecutio  super  sancti  Emmerammi  cenobium  adeo 
crassabatur,  ut  eiusdem  cenobii  ornamenta  resque  variae  ab 
eo  auferrentur,  abbas  monacbique*^  plures  expellerentur,  hü, 
qui  in  monasterio  remanebant  vel  exeuntes  rediebant,  propter 
rapinas  multiplices  suspecti,  id  quod  rei  simile  erat,  ne  forte 
sanctorum  reliquiis*=  una  cum  ecclesiae  rebus  ablatis  raona- 
sterium  penitus  destrueretur,  ocultari  potius  quam  diflamari 
aliquid  de  sancti  Dyonisii  translatione  censebant,  dicentes^ 
quod**,  si  a  devastaotibus  episcopis  audiretur,  mox  ipsum  cor- 
pus   prorsus    alienaretur.      Ünde    factum    est,    ut    per    multos 


a)  Coniectur ;    ab    eodem   ablate    episcopatum    c.  b)    monachus   c. 

c)  reliquis  c.  d)  quasi  c. 

1)  Nach  den  kleinen  S.  Emmeramer  Annaleu,  SS.  I,  p.  94,  ward 
Richold  im  J.  1006  Abt  und  resignierte  im  J.  1028  wegen  Blindheit. 
2)  Von  Regensburg,  der  994 — 1023  regierte. 

23* 


348  L.  von  Heinemanru 

annos  non  solum  translationis  suae  memoria  nulla  ageretur, 
sed  nee  natalis  eius  dies,  qui*  alio  loco  festivius  quam  a 
nobis  festive  celebretur,  quousque  ante  annos,  ut  reor,  oeto 
quidam  congregationis  nostrae  frater,  tunc  quidem  celerarius 
satis  cautus,  nunc  autem  Brulensis*  abbas,  nomine  Wisilius, 
hoc  ab  abbate  illius  temporis  et  a  fratribus  suis  exegit,  ut  vel 
officium  plenum  de  saucto  Djonisio  agerent.  Quo  impetrato, 
nichil  amplius  veneratiouis  de  eo  actum  est,  donoc  nuperrime, 
anno  videlicet  ab  incarnatione  raillesimo  quadragesimo  nono, 
sub  tertio  eiusdem  nominis  presule  Gebhardo  ^  et  abbate  Regin- 
wardo*  dissensio  quedam  inter  nos  suborta  est,  dicentibus 
quibusdam,  maximum  loci  huius  esse  periculum,  quod  tem- 
pore tanto  sanetissimi  patroni  nostri  Dyonisii  festa  veneratione 
debita  minime  agerentur,  dicentibus  aliis,  non  oportere  sub 
temporibus  istis  hoc  publicari,  quod  patres  nostri  hucusque 
voluerunt  celare.  'Nonne',  inquiunt,  'locus  iste  ideo  pene  est 
iam  destructus,  quia  in  rebus  suis  constat  diffamatus?  An 
non  invidia  maxima  cunctis  loci  huius  persecutoribus^  potest 
ex  hoc  inolescere,  quod  tanti  thesaurum  corporis  audiunt  hie 
requiescere?  Quanti  celebres  sanctique  patres  nos  in  loco  hoc 
precesscrunt,  qui  talia  ocultare  quam  manifestare  maluerunt!' 
Cumque  huiusmodi  dissensio  inter  nos  aliquantulum  esset,  ab- 
bas aliique  fratres  nonnulli  in  consilio  superiori  consistentes 
censuerunt,  primitus  quidem  cum  omni  diligentia  venerabilium 
ossium  integritatem  culturamque  debere  investigari,  quo  facto, 
quid  deinde  faciendum  sit,  cito  posse  diffiniri.  Et  accedens 
abbas  una  cum  fratribus  paucis,  quorum  etiam  unus  ego,  qui 
hoc  scribo,  ut  eo  veracius^  quo  magis  intereram,  affirmare 
possim,  cum  veneratione  debita  locum  aperuimus  et  in  eo  non 
solum  supradicta*^  martiris  ossa  omnia  in  uno,  ut  olim  repo- 
ßita  sunt,  sacculo  atque  singula  dexterae  partis  ossa  cum 
literis  alligatis  notata  oculis  nostris  vidimus,  manibus  nostris, 
licet  indignis,  contractavimus,  sed  etiam  aliorum  sanctorum 
reliquias  reperimus,  inter  quas  sancti  cuiusdam  nomine  Teren- 
garii«'  brachium  inventum  est.  Ex  cuius  videlicet  sancti 
nomine  numquam  hactenus  in  tot  Germaniae  provinciis  audito 
partim  argumentabamur,  quia,  sicut  postea  a  quodam  de  Galliae 
partibus  adveniente  accepimus,  idem  brachium  cum  sancti 
Dyonisii  corpore  de  Galliae  partibus  constat  translatum.  Epi- 
stola  autem  non  in  sacculo,  sed  postmodum  in  loco  secretis- 
simo  reperiebatur,  id  est  prope  tumulum^  sancti  Emmerammi, 


a)   quid    alia  loca   c.         b)   perseductoribus   c.         c)  vera   cicius  c. 
d)  supradicte  c.         e)  so  c.  wohl  für:  Bereugarii.         f)  titulum  c. 

1)  Bruehl  in  Baiern,  B.  Stadtamhof.      2)  Von  Begensburg.      3)  Regiert 
von  1048—1064. 


Die  älteste  Translatio  des  heil.  Dionysius.  349 

ubi,  prout  priores  nostri  testantur,  quondam  in  persecutionis 
tempore  ideo  fuerit  absconsa,  ne  forte,  si  sacratissima  aufer- 
rentur  ossa,  nullatenus  inveniretur  epistola.  Hinc  itaque  ab- 
bas  supradictus  rnia  cum  fratribus  nimium  gavisus  cum  con- 
silio  communi  decrevit,  ut  ammodo  patroni  nostri  Dyonisii 
annua  celeberrima  festa  celebrarentur.  Deinde  quoque  ad 
episcopi'  notitiam  referuntur.  At  ille  gaudens  ad  monaste- 
rium  pergens,  postquam  iterum  loculo^  vidit,  quod  audivit, 
mox  obseratum^  eundem  loculum  sigillavit  et  abbati  licen- 
tiam  petenti,  ut  in  ecclesiae  huius  plaga  occidentali  murus 
destrueretur,  et  auxilia,  ut  ibi  edificium  aliquod  patrono  tanto 
dignum  aptaretur,  licentiam,  sicut  petebatur'=,  dedit,  auxilia 
promisit. 

9.  Factum  est  autem  post  haec,  ut  sancti  Dyonisii 
solerapnitas,  quae  septima  idus  Octobris  colenda  prope  im- 
minebat,  devotissimo  nisu  tunc  primum  a  nobis  celebrata 
pluribus  vicinis  maximeque  literatis  occasionem  preberet  de- 
trahendi  et  oblatrandi,  quoniam  videlicet  nos  undique  falsati, 
quem  nulla  literarum  auctoritas  demonstraret  nos  habere,  illius 
velut  spiritalis  patroni  festivitatem  videremur  celebrare,  qui, 
etiam  si  sanctorum  aliquem  eiusdem  nominis,  non  tarnen  illum 
Dyonisium,  quem  nos  habere  iactaremus,  id  est  Ariopagitam, 
haberemus.  'Quomodo^',  inquiunt,  'fieri  potest^,  ut  tarn  pre- 
cipuus  sanctus  de  tam  longinquis  Galliae  partibus  huc  affer- 
retur?'  Haec  et  hiis  similia  improperia  ebulliebant,  quasi  non 
ipsi  multo  nequius  dubitarent  invidendo,  quam  nos  olim  dubita- 
verimus  ignorando  et  exquirendo  de  hiis  omnibus.  Qui  enim  per 
ignorantiam  dubitat,  veritatis  rationem  audiens  libenter  inquirit, 
ut  inteHigat.  Econtra,  qui  per  invidiam  dubitat,  ipsis  malitiae 
et  invidiae  suae  tenebris  obcecatus  veritatis  lucide  rationi  detra- 
here  studet,  antequam  audiat.  Sed  de  hoc  satis  dictum.  Nos  ^ 
igitur  patroni  nostri  Dyonisii,  illius  scilicet  Ariopagitae,  de  quo 
nos  certissimos  liber  ipsius  efficit,  festa  veneratione  promtis- 
sima,  sicut  iam  prediximus,  celebrantes  sperabamus,  non  solum 
minime  nichil  errasse,  verum  etiam  presentis  et  futurae  felici- 
tatis  gaudia  exinde  percepturos  esse  et  hoc  quod  literarum 
auctoritate  nondum  s  fuerat  de  eiusdem  patroni  translatione 
revelatum,  per  aliquod  aptum  adhuc  revelari  posse  signum, 
cui  nemo  invidorum  et  detrahentium  contradicere  prevaleret. 
Quam  ob  rem  Dei  omnipotentis  dementia,  quae  omnia  pro  tem- 
pore moderatur,  quaeque  omnibus  in  se  sperantibus  plus  quam 


a)  nachträglich  über  geschrieben:   loculis  c.         b)  obsecrtü  c,  nachher 
obseratum  am  Rande  hinzugefügt.  c)  pat.  corr.  pet.  c.  d)  Quo  c. 

e)  so  später  übergeschrieben,  post  c.         f)  Flos  c.         g)  dum  c, 

1)  Gebhards  III.  von  Regensburg, 


350  L.  von  Heinemann. 

petant  aut  intelligant  exhibere  dignatur,  nos  in  sanctissimi 
famuli  sui  veneratione  laborantes  et  obprobria  irrisorum  ex- 
probrantiuraque  ideo  sustinentes  mirabiliter  ab  omnimoda 
suspecti  erroris  obiectione  eripuit. 

10.  Nam  cum  mox  post  natalicium  patroni  nostri  diem 
omni  instantia  oranique  devotione  iuvenes  et  senes  nostri  in 
destruendo  et  deportando  opus  murale,  ubi,  sicut  supra  dictum 
est,  eidem  patrono  nostro  dignius  receptaculum  construendum 
foret,  unanimiter  laborassent  duasque  ebdomadas  in  hoc  labore 
coraplevissent,  repente  inter  lapidum  destructorum  aggerem 
magnum,  quem  rastris  iniectis  effodere,  divellere  ac  preparare 
deportantibus  certaverunt,  quadrangulum  lapidem  scriptum, 
iam  advesperascente  die,  invenerunt.  Quo  invento,  astantes 
illic  universi  fratres  tarn  pro  miraculi  curiositate  quam  legendi 
studio  convenerunt.  In  quo  nimirum  lapide,  licet  aliquantisper 
a  vetustate  vel  caicis  invectione  deletis,  apertis  tamen  adhuc 
literis  scriptum  erat:  'Emmeraramus  Aquitanus  et  Dyonisius 
Ariopagita  hie  requiescunt  sub  Arnolfo  imperatore  et  Odone 
rege' '.  Hie  autem  Odo,  ut  in  chronica  legitur,  rex  fuit  Gal- 
liae.  Cumque  scriptura  hac  perlecta  omnes  simul,  acsi  e 
celo  fuerit  missa,  gauderemus  ac,  mane  facto,  Deo  gratias  et 
laudes,  ut  mos  est  pro  miraculis  divinis,  et  ipsi  cantu  publico 
agere  et  raatriculariis  clericis  ac  sanctimonialibus  manifestare 
censeremus;  cum,  inquam,  huiusmodi  consilium  difineretur  et 
ex  nobis  unus  lapidem  predictura  ferens  in  urbem  mitteretur: 
interea  fratribus  quibusdam  operi  supradicto  instantibus,  in- 
ventus  est  et  lapis  alius,  in  quo  scriptum  erat:  'Sub  Eubolone 
abbate  monasterii  sancti  Dyonisii  Gisalpertus  furatus  est'. 
Tunc  etiam  et  ille  lapis  sine  mora  priori  additus^  raittitur 
clericis  demonstrandus.  Quibus  visis,  omnes  pene  alacriter 
Deo  gratias  egerunt  et  congratulari  pariter  omnimodo  cepe- 
runt.  Ideo  autem  dixi:  'omnes  pene',  quia  scio,  utpote  qui 
hos  lapides  ad  monasteria  urbana  post  inventionem  primus 
presentavi,  quibusdam  hominibus,  non  dico  ullis  in  habitu 
secularii  constitutis,  sed,  quod  nequius  est,  specialem  vitam 
professis  tantam  perfidiae  notam  tunc  inesse,  ut  non  solum 
Deo  gratias  minime  exhiberent,  sed  etiam  velut  muti  effice- 
rentur.  Qui  scilicet  adhuc  ita  invidiae  morbo  laborant,  ut 
Signum  tantum  irrideant,  dicentes  lapides  descriptos  non  ita, 
ut   iam  dictum  est,   inventos,   sed  a  nobis  ficte  effectos.     Sed 


a)  abditus  c. 


1)  Diese  Inschriften  waren  lange  Zeit  nocli  im  Kloster  vorhanden; 
cf.  Kraus  'De  translatione  corporis  S.  Dionysii  Ariopagitae'.  Ratisb.  1750 
p.  117.  SS.  XI,  p.  344.  Der  Schrift  nach  gehörten  auch  sie  dem 
11.  Jahrhundert  an. 


Die  älteste  Translatio   des  heil.  Dionysius.  351 

nos,  sancti  Emmerammi  cenobitae,  cum  de  huiusmodi  invidia 
tenacissima  et  obiectione  falsissima  certi  simus,  tanto  maiores 
promtioresque  grates  Deo  necnon  sancto  Dyonisio  tune  egi- 
mus,  quanto  oportuniorum  et  mirabiliorum  scripturae  gladiis 
armatos  contra  omnem  tarn  futurorum  quam  presentium  erau- 
lorura  detractionem  lapideam  lapideis  eciam  Hteris  pro  eius- 
dem  sancti  Dyonisii  qualitate  atque  translatione  nos  muniunt. 
Inter  haec  quoque  non  inmerito  notandum  videtur,  quantum 
gratiarum  actio  pro  beneficiis  iam  concessis^  aput  Deum  opti- 
neat,  quia,  cum  pro  illius  prioris  inventione  notati  lapidis 
Deo  gratias  exhibendas  necdum  actu,  sed  tantum  consilio  dif- 
fineremus,  mox  dispensatione^  divina,  sicut  credimus,  inventus 
est  et  alius  lapis  unius  eiusdemqne  rei  planior  testis.  Postea 
vero,  ut  ex  summae  trinitatis  deitate  beneficia  tanta  prestari 
palam  daretur  intelligendum,  evolutis  duobus  aut  tribus  diebus 
invenitur  etiam  lapis  tertius,  in  quo  scriptum  erat:  'Quinta 
nonas  lulii  i  furatus  est.  Huc  venit  pridie  nonas  Decembris 
tempore  Tutonis  episcopi'.  Porro  tantae  vetustatis  erat  omnium 
eorundem  lapidum  scriptura,  ut  absque  [dubio  <=]  ante  annorum 
multorura  curricula,  ut  adhuc  probari  potest,  videatur  facta. 
Cuius  nimirum  scripturae  brevitati  nichil  deesse  cognoscimus 
in  hiis,  quae  aut  nos  aliquando  vel  alii  dubitabant  de  sancto 
Dyonisio,  quoniam,  quis  fuerit  aut  unde  aut  sub  quorum 
regum  et  episcopi  [regimine  <=]  huc  translatus  fuerit,  in  ea  cer- 
nitur.  Sed  et"*  translationis  eius  diem,  cuius  hodie  festa  re- 
colimus,  apertissirae  in  eadem  inspicimus. 

11.  Si  quis  autem  curiose  inquirit,  sub  quo  anno  incar- 
nationis  Domini  haec  fuerit  facta  translatio,  hoc  modo  coni- 
cere  poterit:  Computet  ergo  ab  anno  nongrentesimo,  in  quo 
predictus  imperator  Arnolfus  sexta  idus  Decembris  obiit*, 
usque  ad  instantem  patefactae  translationis  annum,  qui  est 
millesimus  quadragesimus  nonus,  et  eundem  inveniet  centesi- 
mum  quinquagesimum  annum  esse.  Dehinc  quia  nequaquam 
credibile  videtur,  ut  idem  imperator,  priusquam  infirmitatis 
molestia  preventus  inminere  sibi  extremum  vitae  suae  diem 
existimaret  vel  sancti  Dyonisii  ossa  vel  ceteras  donationes 
supra  scriptas  prorsus  a  se  alienatas  sancto  Emmerammo  ob- 
tulerit,  colligat  translationis  diem  in  lapide  scriptum :  'pridie 
nonas  Decembris',  qui  est  quintus  dies  ante  sexta  idus  De- 
cembris«,  et   inveniet  procul   dubio,   quia   in   uno   eodemque 


a)    concesis   c.  b)   dispensaccione   c.  c)   das   Wort  fehlt    c. 

d)  in  c.         e)  Decembrys  hier  c. 

1)  V.  N.  lUN.  nach  der  Inschrift,  die  Kraus  wiedergiebt,  vgl.  SS. 
XI,  344.  2)  Ueber  den  Todestag  Kaiser  Arnulfs  vgl.  Hirsch  a.  a.  O. 
S.  412.  413. 


352  L.  von  Heinemann. 

anno  atque  raense  et  translatio  est  sancti  Dyonisii  et  obitus 
cesaris  Arnolfi.  Cum  ergo  tenearaus  translationis  huius  annum 
centesimum  quinquagesimum ,  attendamus  quoque,  quantum 
Deo  donante  possimus,  quid  misterii  salutaris  numerus  con- 
tineat  talis.  Quia  enim,  ut  scriptum  est,  nichil  in  terra  sit 
sine  causa',  credi  oportet,  hunc  etiam  annorum  numerum  tam 
perfectum  aliquam  nobis  miseris  sancti  Emraerammi  cenobitis 
et  ex  intimorum  et  extraneorum  hostium  afflictione  per  annos 
multos  iam  contritis  causam*  salutis  exprimere.  Intimos  autem 
eos  appello,  qui  nos  interius,  id  est^  spiritualiter  vel  intra  nos 
positi  seu  etiam  quicumque  eiusdem  propositi  homines  hostili- 
tate  aliqua  nos  impugnant,  extraneos  «=  vero,  qui  in  aliena, 
hoc  est  in  seculari^  vita  degentes  exterioris  hominis  subsidia 
necessaria  aufferre  satagunt.  Haec  autem  de  presenti  sancti 
Dyonisii  anno  sunt  notata. 

12.  Quid  autem  ex  hoc  possumus  sentire,  quod  lapides 
prescripti  in®  tam  inopinato  loco  tamque  antiquo  muro  occul- 
tati  et  per  tempora  tanta  minime  ex  eiusdem  muri  destructione 
investigati  in  anno  quoque  hoc  tam  proxime  post  sancti  pa- 
troni  nostri  natah'cia  studiose  celebrata  sunt  inventi?  Sed 
michi  videtur  credibilius  nutu  dumtaxat  divino  pro  corporis 
tanto  thesauro  hactenus  occultato  et  super  negligentia  posito 
nunc  autem  revelando,  eosdem  lapides  subito  et  factos  et  pro- 
latos  esse.  Si  enim  ex  industria  humana  descripti  olim  et  in 
muro  absconditi  dicantur,  quomodo  convenit,  ut  homo  quilibet 
iidelis  rem  tantam  atque  ^  veneratione  maxima  dignamS  forte 
ocultare  potius  quam  monstrare  conaretur,  presertira  cum 
ille  nesciret,  si  destructo  quandoque  muro  eosdem  lapides 
homo  aliquis  inveniret,  nisi  forte  spiritu  prophetiae  plenus 
hie  quod*"  futurum  erat  ipse  quoque  presciverat.  Quod  vide- 
licet,  si  ita  est,  nichilominus  dico  nutu  factum  divino.  Quamvis 
autem  iuxta  pravitatis  meae  intellectum  dixerim,  neutrum 
tamen  herum  affirmare'  presumo,  sed  occulto  Dei  iudicio 
relinquens  hoc  solummodo  affirmare  queo,  quia,  sicut  legitur 
in  ewangelio,  discipulis  duobus  euntibus  ad  castellum  Eraaus 
evenisse,  ut  dominus  lesus  corporaliter  loqueretur  cum  eis  2, 
tamen,  quia  de  illius  resurrectione  adhuc  diffidebant  et  laudi- 
bus  dignis  minus  recolebant,  non  est  agnitus  ab  eis,  postquam 
vero  cum  in  hospitalitatis  devotione  utcumque  exquirere  cepe- 
runt,  presentiam  ipsius  agnoscere  citius  meruerunt:  ita  quo- 
que nobis  aliquatenus  accidisse  videtur.  Nam  cum  sancti 
Dyonisii  corpus  tam  patres''  nostri  quam   nos  ex  antiquorum 

a)  causa  c.  b)  idem  c.  c)  extranes  c.  d)  secularii  c.  e)  vitam  c. 
f)  quo  c.  g)  digna  c.  h)  quot  c.  i)  queo  quia  sicut  legitur  in 

ewangelio  hinzugefügt,  dann  getilgt  c.  k)  partes,  später  corr.  patres  c. 

1)  Vgl.  lob.  5,  6.         2)  Vgl.  Luc.  24. 


Die  älteste  Translatio   des  heil.  Dionysius,  353 

relatione  fidelissima  hie  esse  sciremus  et  tarnen  ob  negligen- 
tiam  seu  propter  obiectionem  aliquorum  invidentium  vel  igno- 
rantium  venerationem  debitam  ei  impendere  dubitaremus,  nulla 
translationis  eins  scripta,  nulla  agnitionis  litteratoriae  signa 
dubitationi  universae  opponenda  apparuerunt;  quasi  enim  de 
illo  fuit  ambigere,  nullam  ei  venerationis  certitudinem  impen- 
dere. Postquam  vero,  omni  negligentia  remota,  venerari  et 
exquirere  patrocinia  eeperamus,  confestim  ea  quae  actenus 
ocultata  fuerant,  in  literis  invenire  merueramus,  id  est  quis 
esset  et  quando  vel  per  quem  huc  translatus  fuisset. 

13.  Ad  haec  igitur,  cum  apud  nonnullos  non  tarn  questio 
quam  affirmatio  agitetur  de  hoc  sancto  Dyonisio,  qui  huc 
translatus  est  Parisio ,  quod  non  sit  Ariopagita,  ideo  scilicet 
facile  errantes,  quia  multi  eiusdem  nominis  esse  leguntur: 
necessarium  reor  verbula  aliqua  hie  adnectere,  per  quae  sin- 
gulorura  differentiam  lector  prudens  citius  valeat  agnoscere. 
Quamvis  enim  abbas  Hiltwinus  epistolam  copiosara  de  huius 
sancti  viri  qualitate  et  differentia  scripserit',  nos  tamen  illis, 
aput  quos  forte  non  habetur  haec  predicti  abbatis  prolixa 
epistola,  Domino  annuente,  breviter  satisfacere  conamur  de 
eodem  Dyonisio,  et  hoc  non  ex  aliquibus  ignotis  vel  modernis, 
sed  ex  antiquis  et  probatissimis  sacrae  scripturae  auctoribus. 
Igitur  Djonisios  quatuor  in  ecclesiastica  Eusebii  historia* 
legimus,  quorum  etiam  prinium  in  actibus  apostolorum  *  in- 
venimus.  Hü  quidem  omnes  celebres  eximiique  sanctae  eccle- 
siae  doctores,  sed  tamen  quidam  eorum  teraporum  varietate 
longe  ab  invicem  distabant,  quidam  vero  sub  uno  tempore 
degebant.  Primus  namque  Dyonisius  Ariopagita,  a  loco,  cui 
aput  Athenas  preerat,  diotus,  Paulo  apostolo  predicante  Athe- 
niensibus,  Claudii  cesaris''  tempore  conversus  legitur,  scriptura 
ita  dicente^:  Qnidam  viri  adherentes  ei  crediderunt,  in  quihus 
et  Dyonisius  Ariopagita  et  midier,  nomine  Damaris^  quae, 
sicut  in  capitularibus  actuum  apostolorum  *  legitur,  uxor  eius- 
dem ^  Dyonisii  extitit.  Et  ut  cognoscatur,  sub  quo  cesare 
talia  gesta  sint,  scriptura  subiung:it  dicens^:  eo  quod  prece- 
pisset  Clanditis  discedere  omnes  Indeos  a  Roma.  De  eodem 
quoque  Dyonisio  in  tertio  necnon  in  quarto  ^  ecclesiasticae 
historiae^  libro  refertur.  In  tertii  quidem  capitulo  quarto  ita 
invenies^:    Memoratur    autem    ex    comitihus    Pauli    Crescens 


a)   hyst.    'öfter   c.         b)   cesarys   c,         c)    wiederholt,   aber  dann   ge- 
tilgt c.  d)  legitur  hinzugefügt,  aher  dann  getilgt  c. 

1)  Hiltwini  Vita  S.  Dionysii,    Mii^ne  Patrol.  Lat.   CVI,    col.   14—50. 
2)  Act.  17,  34.  3)  Act.  18,  2.  4)  Eusebii  bist.   eccl.  III,  14;  Migne 

Patrol.  Graeca  XX,  col.  221.  Doch  nahm  der  Verf.  diese  Stelle  vielleicht 
aus  dem  Briefe  an  Ludwig  den  Fr.  in  der  Einleitung  zur  Vita  S.  Dio- 
nysii Hiltwins,  wo  dasselbe  Citat  uns  begegnet. 


354  L.  von  Heinemann. 

quidem  ad  Gallias  esse  profectiis,  Linus^  vero  et  Clemens  in 
urbe  Roma  prefuisse  ecclesiae,  qui  comites  et  adiutores  eins 
fuisse  oh  ipso  Patdo  perhibentur,  sed  et  Dyonisium  Ariopa- 
gitam  aput  Athenas,  quem  Lucas  describit  primum.  Pavlo 
predicante  credidisse,  inter  socios  eins  fuisse  et  ecclesiae 
Atheniensium  constat  sacerdotium  suscepisse.  In  quarti  autem 
libri  capitulo  vigesimo  111°  de  ipso  Dyonisio  reperies  ',  alte- 
rum  quendam  Dyonisium,  Chorinthiensera  episcopum  videlicet, 
descripsisse  hoc  modo,  quod  Dyonisius  Ariopagita,  qui  ab 
apostolo  Paulo  instructus  credidit  Christo,  primus  aput  Athenas 
ab  eodem  apostolo  episcopus  fuerit  ordinatus.  Tertius  autem 
Dyonisius  Alexandriae  urbis  episcopus  et  quartus  eiusdem 
nominis,  qui  pontifex  Romanus,  sub  Galieno  cesare  post  pre- 
dictum  Marcum  quarto  decimo  ambo  claruerunt.  Quintus 
etiam  Dyonisius  quidam  abbas  extitit,  qui  longo  post  pre- 
dictos  tempore  sub  lustiniano  cesare  damit. 

14.  Dyonisius  namque  Atheniensis,  qui  et  Ariopagita, 
ut  pretermittam  quod  predictus  Hiltwinus  cum  XX''  V  an- 
norum  tunc  esse,  quando  dominus  et  salvator  noster  cruci- 
fixus  est,  in  eiusdem  Dyonisii  epistola  quadam  ad  Policarpum 
Srairneorum  episcopum  scripta  legisse  semet  testatur^,  tarn 
provectae  etatis  erat,  quando  apostolo  Paulo  conversus  ad- 
herere  cepit,  ut  et  uxore  et  civitatis  suae  principntu  iam 
potiretur.  Huiusmodi  quippe  cura  etate  indiget  admodum 
raatura.  Quod  cum  ita  sit,  computemus  diligenter  ab  ipso 
conversionis  suae  anno,  qui  Claudii  nonus  vel  octavus  ex- 
titerat,  usque  ad  Marci  Antonini  octavum  annum,  quo  Dyoni- 
sius Chorinthiensis  claruisse  describitur,  et  inveniemus  paulo 
minus  [C'JXX''  annos.  Nam  licet  annorum,  quos  ante  con- 
versionem  habuit,  numerus  diffinitus  ex  actuum  apostolorum 
leetione  minime  comprehendatur,  ex  eo  tarnen,  ut  dictum  est, 
non  solum  animi,  sed  etiam  etatis  ipsius  maturitas  intimatur, 
quod  et  uxoratus  et  tantae  civitatis  iudex  erat  ita  verendus, 
ut  Atheniensesc  de  sancti  Pauli  predicatione  sine  illo  nichil 
diffinivisse  dicantur.  Sic  enim  scriptum  est  3:  Et  apprehensum 
eum  ad  Ariopagum  duxerunf.  Haec  autem  indicia  vel  testi- 
monia,  quae  sancti  Dyonisii  Ariopagitae  necdum  conversi  eta- 
tem  provectam  declarant,  idoo  diligenti  et  repetito  sermone 
demonstrare  studemus,  ut  his,  qui  eundem  Ariopagitam  in 
etate  huiusmodi  iam  constitutum  usque  ad  Marci  Antonini 
tempora  perdurasse  sub  eoque  in  episcopatu  Chorinthiensi  cla- 


a)  Finus  später  corr.  Linus  c.        b)  fehlt  c.        c)  Atheniensis  später 
corr.  Athenienses  c. 

1)  Eusebii  bist.  eccl.  IV,  c.  23;  1.  c.  XX,  col.  383  sq.       2)  Epist.  Hil- 
duini  im  Anfange  der  Vita  S.  Dionysii,  Migne  1.  c.  col.  16.       3)  Act.  17,  19. 


Die  älteste  Translatio  des  heil.  Dionysius.  355 

ruisse  contendunt,  erroris*  sui  quantitatem  coram  oculis  ex- 
positam  detegamus.  Porro  si  haec  eadem  beati  Lucae  testi- 
monia,  quae  licet  sub  incerto  annorum  numero,  in  provectiori 
tarnen  etate  ante  conversionem  suara  beatum  Dyonisium  ex- 
titisse  approbant,  eonferre  velimus  verbis  Hiltwini,  quibus 
eundem  in  die  passionis  dominicae  XX''  V  annorum  fuisse 
testatur,  tune  profecto,  utriusque  testimoniis  nullatenus  dis- 
crepantibus,  etatis  illius  numerum  certissimum  invenire  pote- 
rimus.  Si**  enira  cuiuslibet  etas  ratione  numeri  explanati  seu 
aliquibus  indiciis  vel  argumentis  eircumstantibus  matura  asse- 
ratur,  nil  dissonare  videtur.  Quapropter  computantes  ab  ipso 
dominicae  passionis  anno,  qui,  sicut  leronimus  scribit',  Tyberii 
cesaris  octavus  X"^  erat,  usque  ad  Claudii  octavuni  vel  nonum 
annum,  inveniemus  absque  dubio  plus  quam  XV  annos  hoc 
modo.  Nam  sub  Tyberio,  qui  XX  duobus  regnavit,  restant 
quatuor.  [Quatuor]'^  annos  [sub  Caligula]  habes,  qui  similiter 
iuncti  octo  faciunt.  Hiis  quoque  si  illos  VIII  Claudii  annos 
ante  conversionem  sancti  Dyonisii  transactos  adieceris,  XVI 
annos  habebis.  Deinde  nichilominus  XVI  ad  XX''  V  con- 
numerans  quadraginta  unum  invenies.  Igitur  annorum  etas 
tantorum  in  conversionis  suae  initio  sancto  inerat  Dyonisio. 
Quorum  scilicet  annorum  numerus  suprascriptis  centum  XX" 
annis  adiunctis  plus  quam  centum  LX'»  explicat  annos.  Ergo 
quicumque  post  tanta  annorum  curricula  hominem  quempiam 
solummodo  illa  mundi  etate  prima  in  negotiis  humanis,  non 
dico  iam  claruisse,  sed  interfuisse,  tantum  affirmare  satagit, 
rem  nimirum  ridiculo  potius  quam  fide  dignam  asserere 
videbitur. 

15.  Dyonisiorum  quoque  nullus  nisi  Ariopagita  vitam 
hanc  martirio  consummasse,  sed  nee  sub  beati  Clementis  papae 
temporibus  fuisse  memoratur,  quia  idem  Clemens  apostolorum 
contemporalis  et  discipulus,  sicut  Eusebius  scribit^,  quarto 
quidem  Domitiani  anno  apostolicae  sedis  apicem  conscendit. 
Sed  cum  in  ea  annos  novem  complevisset,  sub  Traiano  ^,  qui 
Domitiano  Nervaeque  successit,  qui  longo  ante  Marcum  An- 
toninum  Dyonisio  Corinthiensi  contemporalem  regnavit,  ex 
hac  vita  per  martirium  subtractus  est.  Ecce,  quanta  inter 
utrosque  Dyonisios  annorum  distantia;  ecce,  quis  eorum  martir 
necnon  beato  Clementi  contemporalis  fuisse  describitur.  Unde 
palam    datur    intelligi,    quia  ab   eodem   demente   nequaquam 


a)  errores  c.  b)  Sine  c.  c)  die  Stelle  ist  völlig  verderbt;    das 

Eingeklammerte  habe  ich  dem  Sinne  entsprechend  ergänzt.       d)  Troiano  c. 

1)  Hieronymi  Chr.  ap.  Migne  Patrol.  Lat.  XXVII,  col.  671.        2)  Hist. 
eccl.  III,  c.  lö. 


356  L.  von  Heinemann. 

Dionisius  alius,  nisi  qui  sibi  contemporalis  extitit,  in  Galliam 
missus  est.  Si  autem  pro  eo,  quod  nee  Eusebius  neque  leroni- 
mus  huius  missionis  vel  passionis  memoriam  facit,  scriptor 
ignotus  tamquam  iure  contempnendus  obicitur,  statira  imper- 
territus  respondebo  nee  ignotum  neque  contempnendum  rei 
tantae  scriptorem  ideo  esse,  quia  sanctissimura  papam  Gre- 
gorium  auetorera  antiphonarii  primum  antiphonas  quasdam 
de  eiusdem  scriptoris  historia  nosco  excerpsisse,  in  quibus 
beatum  Dyonisium  et  a  sancto  demente  in  Galliam  missum 
et  ibidem  passum  fuisse  modulando  perhibet.  Et  ut  ipsius 
rei  textum  ostendara,  antiphona  quidem  una  missionem  ex- 
primens  dicit':  Sanctus  Dyonisms,  qui,  tradente  heato  de- 
mente Petri  apostoli  svccessore,  verbi  divini  semina  gentibits 
parturienda  susceperat.  Alia^  autem  sui  sociorumque  eius 
passionem  nichilorainus  enarrans  ait^:  Beata  nimium  et  Deo 
nostro  grata  societas,  inter  quos  nee  primus  alter  potuit  esse 
nee  tertius,  sed  trinitatem  confitentes  tunc  ^  meruerunt  deco- 
rari  martirio. 

16.  Itaque  cum  antiphonae  prioris  verba  protuleris,  pro- 
fecto  non  quemvis  dementem,  sed  illum,  qui  Petri  apostoli 
successor  et  discipulus  erat,  Dyonisium  etiam  non  quemlibet, 
sed  sibi  contemporalem,  quem*^  utique  nusquam  alium  nisi 
Ariopagitam  esse  leges,  ad  Galliae  gentes  transmisisse  com- 
pulsus  fateberis.  Rursum  cum  subsequentis  verba  pronunctia- 
veris,  necesse  est,  si  tamen  fidelis  qui  [haeC^  narrat],  eundem 
Dyonisium,  quod  de  nullo  altero,  nisi  fallor,  invenies,  raartirii 
finera  subisse  fatearis.  Eaedem^  vero  antiphonae  non  solum 
in  modernis,  sed  etiam  in  antiquis  antiphonariis  inveniuntur, 
utpote  ab  huius  carminis  auctore  proiatae.  Ideoque  quod 
tantus  ac  talis  vir  scribit  in  suo  carmine,  nulli  licet  dubitare, 
etiamsi  ipsius  historiae,  de  qua  scriptum  est,  auctor  ignoretur. 
Non  solum  autem  in  carmine,  sed  etiam  in  homelia  quadam 
huius  viri  mentionem  facit  idem  sanctus  Gregorius  ita  scri- 
bens:  Fertur,  inquit^,  Dyonisms  Ariopagita^  antiquus  vide- 
licet  et  venerahilis  pater,  dicere,  quod  ex  minoribus  anglorum 
agminibns  foris  ad  explendum  ministeriuni  vel  visibiliter  vel 
invisibiliter  mittuntur.  Quem  enim  veneratione  tanta  anti- 
quum  siraul  et  venerabilem  nominans  scribit  in  sua  omelia, 
ambigendum  minime  videtur,  quin  eundem  venerari  conatus 
fuisset  in  melodia.     Sed  esto,  ut  nequaquam  ipse,  quem  dici- 


a)  Alii  c.  b)  trium  Migne.  c)  quid  c.  d)  dies  oder  etwas 

Aehnliches  muss  hier  ausgefallen  sein.         e)  Eadem  c. 

1)   Gregorii  Magni    Liber  Responsalis,    Migne  Patrol.  Lat.  LXXVIII, 
col.  807.  2)   Ibid.    col.  808.  3)   Homilia   XXXIV,   Migue   Patrol. 

Lat.  LXXVI,  col.  1252. 


Die  älteste  T^anslatio  des  heil.  Dionysius.  357 

mus  papa  Gregorius,  sed  alter  aliquis  vel  eius  discipulus  sub 
antiquis  degens  temporibus  autiphonas  supradictas  composuerit, 
non  tarnen  idcirco  vel  ipsam  vetustissimam  passionis  ex  qua 
excerptae  sunt  historiam  ^  seu  easdem  antiphonas  per  semet 
minus  idoneas  censemus,  quia,  quolibet  auctore  fuerint  pro- 
latae,  per  hoc  quidem,  quod  ubique  in  saneta  ecclesia  absque 
ulla  falsitatis  suspitione  et  reprehensione  actenus  legendo  can- 
tandoque  constant  frequentatae,  amodo  quoque  retinendae 
sunt  pro  maxima  auctoritate.  Quis  ergo  talis  perfidiae  tantae- 
que  temeritatis  extat,  ut,  ubi  scriptura  sacra  taliter  concordat, 
ibi  nos  errasse  arguat,  nisi  forte  aliquae  retractiones  et  contro- 
versiae  scripturarum  sanctarura  robustiores  habeantur  apud 
alios,  quae  lateant  nos.  Sed  de  hiis,  ut  arbitror,  sufficienter 
dictum. 

17.  Proinde  et  hoc  dicendum  puto,  quia  venerabilis  Beda, 
de  quo  erroris  huius  auctoritas  maxime  suborta  videtur,  licet 
in  aliis  dictis  suis  doctor  satis  cautus  existat,  in  explanatione 
tamen  actuum  apostolorum  de  hoc  Dyonisio  Ariopagita,  qui 
per  apostoli  Pauli  predicationem  credidisse  scribitur,  ineaute 
disputat  asserens  eundem  Dyonisium  Corinthiorum  esse  epi- 
scopum  1.  Cui  scilicet  assertioni  non  solum  Eusebius  in  eccle- 
siastica  historia'-^  et  sanctus  leronimus  in  libro  illustrium 
virorum',  sed  etiam  ipse  Beda  in  sua  cronica*  contradicit, 
cum  eos  secutus  Dyonisium  Corinthiensem  episcopum  Marco 
Antonino  contemporalem  esse  describit.  Eadem  quoque  assertio 
quam  facile  advertatur  mendosa  fore,  supra  diximus.  Pro- 
ferendum  est  et  illud,  quod  in  martyrologio  quodam  invenitur 
scriptum,  Ariopagitam  scilicet  Dyonisium  sub  Adriano  cesare 
fuisse  passum*,  ubi  necesse  est  fateri,  aut  falsum  esse,  quod 
sanctus  Gregorius  Deo  hominibusque  notissimus  et  antiquiori- 
bus  scripturis  consentiens  scribit,  seu  quod  ille  scriptor  ignotus 
sacraeque  scripturae  contrarius  dicit.  Ceterum  nos  in  tam 
scrupulosa  et  diversa  re  viam  regiam  incedere  cupientes,  cer- 
tiori  tam  in  hac  quam  in  omnibus  controversiis  auctori  cre- 
dendum  esse  non  ambigimus.  Alioquin  si  hoc  ita  foret,  ut 
iuxta  illum  scriptorem  ignotum  Dyonisius  Ariopagita,  qui  erat 
inter  ceteros  huius  nominis  primus,  sub  Adriano  cesare  mar- 
tirizaretur,  nullus  profecto  Dyonisiorum  a  beato  demente  papa 
in  Galliam   mitteretur,   utpote  qui   longo  ante  omnes,  excepto 


a)  hyst.  c. 

1)  Bedae  Expos.  Act.  apost.  c.  17,  Migne  Patrol.  Lat.  XCII,  col.  981. 
Doch  nahm  der  Verf.  vielleicht  auch  diese  Stelle  aus  Hilduiiis  Brief  an 
Ludwig-   den  Fr.    c.  8,    Migne   1.   c.    col.  17.  2)    Li.   c.    oben   p.  353. 

3)  C.  27,  Migne  Patrol.  Lat.  XXIII,  col.  645.         4)  Die  Stelle  habe  ich 
nicht  gefunden.         5)  Cf.  Epist.  Hilduini  c.  8,  1.  c.  col.  19. 


358  L.  von  Heinemann, 

Ariopagita,  ex  hac  vita  secessit.  Inter  haec  etiam  attendere 
oportet,  quoniam  uterque,  Beda  videlicet  et  ille  ignotus  mar- 
tyrologii  scriptor,  non  solum  auctoribus  aliis,  sed  etiam  sibi- 
met  ipsis  in  assertionibus  suis  discordant,  Nam  de  uno 
eodemque  Dyonisio  Ariopagita  scribentes,  alter  quidem  eum 
sub  Marco  Antonino  Corinthiensera  episcopura  fuisse  pro- 
nunctiat,  alter  vero  longe  ante  ipsius  Marci®  tempora  sub 
Adriano  passum  esse  enarrat.  Ex  quorura  narrationis  dis- 
cordia  aperte  monstratur,  neutrura  in  hac  sententia  creden- 
dum,  sed  potius  hiis,  qui  nullatenus  sibi  discordantes  Dyoni- 
sium  Ariopagitam  beato  Clementi  papa  contemporalem  ab  eo 
ad  Galliarum  gentes  transmissum  fuisse  describunt''.  Unde 
quia  iuxta  veritatis  vocem »  in  ore  duornm  vel  trium  testium 
stahit  omne  verhum,  haec  quoque  dicta  nostra  trium  saneto- 
rum  patrum,  id  est  Lucae,  Eusebii  et  Gregorii,  testimoniis 
sufticiant  esse  coraprobata.  Quod  si  quis  forsitan  ista  reprehen- 
dens  robustiora  denionstraverit  testimonia,  eum«'  libentissime 
auseultabimus  et  consentientes  gratanter  fidem  accommodabi- 
mus.  Interim  vero,  donec  illa  proferantur,  liceat  precamur 
absque  afflictu  nos  credere  atque  fateri,  quoniam  illum  pri- 
mum  Dyonisium,  Atheniensem  scilicet  episcopum,  quem  a 
beato  demente  in  Galliam  missum  esse  attestamur,  non  im- 
merito  post  translationem  exinde  factam  pro  patrono  vene- 
ramur. 


II. 

1052,  Oetober  7.    Regensburg. 

Kaiser  Heinrich  III.  bekundet,  dass  in  seiner  und  vieler 
Fürsten  Gegenwart  Papst  Leo  IX.  den  Streit  über  die  Reli- 
quien des  heil.  Dionysius  zu  Gunsten  des  St.  Emmerams- 
klosters  zu  Regensburg  entschieden  habe,  nachdem  er  sich 
von  der  Existenz  der  Gebeine  des  Heiligen  in  jenem  Kloster 
überzeugt  hatte. 

Heinricus  Dei  gracia  Romanorum  imperator  et  semper 
augustus  regibus,  archyepiscopis ,  episcopis,  abbatibus,  duci- 
bus,  marchyonibus,  comitibus  ac  baronibus  universisque  Roma* 
norum  subiectis  atque  devotis  imperio  graciam  suam  et  omne 
bonum. 

Quamvis  sanctorum  et  amicorum  Dei  subsidia,  ubicumque 
sollicite  requirantur,  fidelibus  nusquam  desixit,  ibi  tarnen  eia- 
dem   eadem   specialius  et  creduntur  pariter  et  sperantur  ad- 


a)  Marcy  c.         b)  describitur  c.         c)  i  c. 
1)  Deut.  19,  15. 


Die  älteste  Translatio   des  heil.  Dionysius.  359 

esse,  ubi  eorura  ossa  sacrata  vel  corpora  requiescunt,  que 
sibi  reddenda  in  die  novissimo  beata  inmortalitate  vestita 
felici  exspectatione  ac  desiderio  prestolantur,  ut  purissimis 
animabus  aliquando  caro  eadem  societur  in  tructu  mercedis,  • 
qui  in  huius  vite  laboribus  ut  inmeritum  obediens  et  mini- 
sterium  illis  prebuit  et  iuvamen:  nimirum  ista  credentes,  loca, 
in  qiiibus  sanctissiiuas  locaverunt  exuvias,  et  devota  visita- 
cione  requirimus  et  celebri  studio  veneramur,  ut  illorum  pia 
memoria  sanctitatis  afFectum  amplius  et  perteccius  igniat  et 
inflammet  et  nostri  cordis  ignaviam  prorsus  excuciat  et  tor- 
porem,  tantoque  benigna  eorum  exaudicione  nos  faciat  dignio- 
i*es,  quanto  iervencior  estus  atque  instancia  fuerit  invocandi. 
Hec  nos  idcirco  dixisse  noveritis,  quia  cum  doctrinarum  ac 
meritorum  beatissimi  patris  Ariopagite  Macharii  Dyonisii  nos 
tam  fama  quam  leccio  permovisset^  ut  corpus  eins  sanctum 
ac  venerabile  ^,  ubicumque  locorum  id  esse  constaret,  honorare, 
requirere,  venerari  studiosissime  flagraremus,  disponente  Deo, 
perutilis,  sicut  exitus  demonstravit,  super  eodem  corpore  nobis 
obstitit  ambiguitas,  cum  Franci  id  se  babere  constanter  asse- 
rerent,  ßatispona  vero  precipua  et  principalis  urbs  urbium 
Noricarum  cum  incolis  suis  constancius  testaretur,  dictum  cor- 
pus per  illustrem  Arnoltum  quondam  imperatorem  translatum 
ex  Francia  in  ecclesia  sanctissimi  martiris  Emmerami  esse 
depositum.  Quam  quidem  Serenissimus  Karolus  Magnus,  proa- 
vus  scilicet  eiusdem  Arnolti",  ad  honorem  principis  apostolo- 
rum  ac  martiris  memorati  regali  sumptu  ac  liberalitate  fun- 
davit,  imperiali  eandem  donacione  sublimans  atque  inmediate 
apostolice  sedis  eam  regimini  subiciens  et  tutele,  statuens 
illam  sedis  episcopalis  in  urbe  iam  dicta  sociam  esse  perpe- 
tuam  et  sororem  ac  paribus  privilegiorum  honoribus  coequari. 
Cum  igitur  hec'=  scrupulosa  dubietas  diutina  nos  hesitacione 
suspenderet  ac  pro  neutra  parcium  sineret  diftiuire,  nos  hoc 
incertum  ulterius  non  ferentes  divinitus  inspirati  sanctissimum 
papani  Leonem  nonum  ad  rei  discussionem  atque  ad  litem 
hanc  evocavimus  terminandam.  Qui  nostris  peticionibus  se 
inclinans  uecnon  et  errori  compaciens  ovium  creditarum  boni*^ 
pastoris  exemplo,  ad  urbem  Katisponensium  nobiscum  acce- 
dere  non  despexit,  translatoque  corpore  beati  Wolfgangi  epi- 
scopi  civitatis  eiusdem,  aliisque  omnibus,  quorum  gracia  venerat, 
rite  dispositis,  ad  nodum  memorate  dubietatis  tinaliter  dissol- 
vendum  diligenti  scrutinio  vertebatur.  Nobis  igitur  multisque 
presentibus  archyepiscopis,  episcopis  ac  abbatibus  aliisque  pre- 
latis  ecclesiarum  velud  alter  Salomon  inter  Francie  Ratis- 
poneque  discordiam  scrupulosam  tamquam  mulieribus  super 
filio  litigantes  verus  et  medius   arbiter  intersedit  reique  omni- 

a)  veneiabilem  corr.  venerabile  c.  h)  Arnolfii  c.  c)  hoc  c. 

d)  boae  c. 


360  L.  von  Heinemann, 

modam  veritatem  omni  qua  debuit  dilygencia  provestigans, 
beati  Dyonisii  ossa  venerabilia  intra  beatissimi  Emmerammi 
ecclesiam  pretaxatam  infallibiliter  comperit  integraliter  con- 
tineri,  perque  Francorum  legatos,  qui  et  ipsi  omnibus  hiis 
presentes  intererant  ac  oculotenus  aspexerant  veritatem,  toti 
rem  gestam  Francie  promulgavit,  omne^  ambiguum  eradi- 
cans.  Nos  quoque  pre  gaudio  lacrimantes  tarn  papaliter  quam 
fideliter  hortabatur,  ut  imperiales  super  hoc  nostre  epistoie  in 
oranem  Germanie  terram  exirent  et  in  fines  eiusdem  apostolice 
diffinicionis  litere  mitterentur  et  verba,  quatenus  omnes  Ale- 
mannigene  tante  gracie  se  exhibeant  non  ingratos,  sed  voce 
simul  et  corde  tripudiantes,  apostoli  Pauli  discipulum  et  here- 
dem  intra  se  invenisse  se  gaudeant  et  exulteut  eiusque  cor- 
poris sacras  venerandasque  reliquias  cum  spiritu  humilitatis 
animo  contrito,  visitacione  devota  non  desinant  frequentare  ab 
uno  precipuoque  de  fontibus  salvatoris  aquas  gracie  salutaris 
in  gaudio  haurituri.  Quod  nos  quoque  diligencius  exequentes 
universitatem  vestram  monemus  attencius  et  hortamur,  ut  non 
in  vacuum  graciam  Dei  recipiatis,  sed  Gallorum  apostolum 
ac  doctorem,  quibus  illum  vivura  habere  concessum  est,  Ger- 
mania nostra  recipiat  vel  defunctum  eiusque  intra  se  ossa 
gaudeat  conf'overi,  quem  habere  se  socium  et  concivem  omnis 
sanctorum  in  celis  exercitus  gratulatur. 

P'acta  vero  est  determinacio  ista  de  iam  dictis  anno  ab 
incarnacione  domini  nostri  Icsu  Christi  ÄILIP,  presentibus 
Beidingo  luvavensis  ecclesie  archyepiscopo,  Dominico  patri- 
archa  de  Venecia,  Humberto  sancte  Kuline^  ecclesie  episcopo, 
Otkero  Perusine  ecclesie  episcopo,  Gebhardo  Katisponensis 
ecclesie  episcopo.  Severe  Bragensi  episcopo;  indiccione  quinta, 
nonas  Octobris,  in  ecclesia  sancti  Emmerammi  Ratispone'. 

Die  Zeugenreihe  dieser  gefälschten  Urkunde  stimmt  im 
Wesentlichen  überein  mit  den  Angaben  in  den  Notis  S.  Em- 
merammi saec.  XII,  SS.  XVII,  p.  572:  'Anno  ab  Incarna- 
tione  Domini  1052.  dompno  papa  Leone  nono  et  Beidingo 
luvavensis  ecclesie  archiepiscopo  aliisque  episcopis,  Gebe- 
hardo  scilicet  Ratisponensis  aecciesiae  antistite  et  Severo 
Pragensis  ecclesiae  episcopo  et  Humperto  sanctae  Rufinae 
ecclesiae  presule  et  Otkero  Perusine  ecclesie  episcopo  et 
Gebehardo  Eistetensis  ecclesiae,  qui  postea  papa  effectus 
est,  episcopo  simulque  patriarcha  Dominico  Gradensis  ecclesie 
presentibus  et  imperatore  Heinrico  tercio  translatum  est 
corpus  sancti  Wolfgangi';  und  noch  genauer  mit  Auct. 
Ekkeh.  Altah.,  SS.  XVII,  p.  364:  '.  .  presentibus  Beidingo 
luvavensis    ecclesie    archiepiscopo    et    Dominico    patriarcha 


a)  cotenoe  c.         b)  Rosine  c. 


Die  älteste  Translatio  des  heil.  Dionysius.  361 

de  Venetiis  et  Gebhardo  Ratisponensi,  Humperto  sancte 
Rufine  ecclesie,  Otkero  Perusine  ecclesie,  Severe  Pragensi, 
Gebhardo  Aureatensi  episcopo,  presente  etiam  serenissirao 
imperatore  Heinrico  tercio'.  —  Ob  aber  ein  directer  oder 
indirecter  Zusammenhang  zwischen  diesen  Notizen  und 
unserer  Fälschung  vorliegt,  das  lässt  sich  schwer  feststellen. 
Das  Plus,  welches  sowohl  die  Notae  als  Auct.  Ekk.  Altah. 
vor  der  Zeugenreihe  der  Fälschung  voraus  haben,  scheint 
eine  Entlehnung  jener  Namen  aus  der  Zeugenreihe  der  ge- 
fälschten Urkunde  von  Seiten  der  genannten  Autoren  aus- 
zuschliessen.  Doch  können  alle  drei  Quellen  auf  eine 
Translationsnotiz,  die  in  St.  Emmeram  aufgezeichnet  wurde, 
zurückgehen. 


Neues  Archiv  etc.     XV.  24 


IX. 

Die  Purpurarlmnde  Konrad  III. 

für  Gorvei. 

Von 

P.  Rehr. 


24' 


Die  Purpururkunden  der  deutschen  Kaiser  sind  neuerdings 
Gegenstand  erhöhten  Interesses  geworden,  seit  Th.  von  Sickel 
in  seiner  Abhandlung  über  das  Privilegium  Otto  I.  für  die 
Römische  Kirche  vom  J.  962  das  älteste  und  wichtigste  der 
uns  erhaltenen  Exemplare  untersucht  und  die  Frage,  ob  das- 
selbe als  ein  aus  der  Kanzlei  hervorgegangenes  Präcept  gelten 
könne,  entschieden  verneint  hat.  Hatte  schon  Watten bach 
(Schriftwesen '^  S.  216)  darauf  hingewiesen,  dass  solche  Pracht- 
stücke nicht  eigentlich  aus  der  kaiserlichen  Kanzlei  hervor- 
gegangen seien,  welche  dazu  wohl  gar  nicht  befähigt  war, 
so  hat  Sickel  das  von  Neuem  betont.  Indem  er  ferner  bezüg- 
lich der  beiden  Purpururkunden  der  ottonischen  Zeit,  des  Pri- 
vilegs Otto  I.  für  die  Römische  Kirche  und  der  Dotalurkunde 
Otto  II.  für  seine  Gemahlin  Theophanu,  in  der  That  hierfür 
den  Beweis  erbrachte,  hat  er  aus  diesen  Ergebnissen  des 
Weiteren  geschlossen,  dass  auch  in  den  folgenden  Jahrhun- 
derten diejenigen,  welche  Diplome  in  Goldschrift  zu  haben 
wünschten,  sich  ihrer  eigenen  Kalligraphen  bedient  haben'. 
Aber  gegen  dieses  von  Sickel  gewonnene  Resultat  ist  ein 
Widerspruch  erhoben  worden.  Während  Sickel  mit  Recht 
verlangte,  dass  die  Entstehung  dieser  Purpururkunden  von 
Fall  zu  Fall  zu  untersuchen  sei  und  dass  die  Frage,  ob  sie 
Elaborate  der  Kanzlei  seien  oder  nicht,  nur  durch  die  Fest- 
stellung ihres  Verhältnisses  zu  den  gleichzeitigen  Präcepten 
beantwortet  werden  könne,  hat  von  Pflugk- Harttung  eine 
Theorie  aufgestellt,  welciie  in  diesen  wenigen  durch  drei  Jahr- 
hunderte verstreuten  Prachturkunden  eine  eigene  von  Laien, 
zumal  von  den  Kaisern  und  den  süditalienischen  Fürsten  an- 
gewandte Urkundengruppe  erblickt  und  welche  aus  gewissen 
zufälligen  Uebereinstiramungen  folgert,  dass  sie  sammt  und 
ßonders  aus  der  kaiserlichen  Kanzlei  hervorgegangen  seien'. 
Für  Jeden,  der  mit  dem  Urkundenwesen  der  Ottonen 
vertraut  ist,  kann  über  den  Werth  jener  Pflugk -Harttungschen 
Theorie,  insofern  sie  die  beiden  Ottonischen  Purpururkunden 


1)  Privilegium  Otto  I.  S.  10.  2)  Das  Privilegium  Otto  I.  für  die 
Römische  Kirche,  Forschungen  zur  Deutschen  Geschichte  XXIV,  S.  567 
—581. 


366  P.  Kehr. 

betrifft,  kein  Zweifel  bestehen,  und  es  ist  in  der  That,  nach- 
dem Sickel  selbst  diese  neue  Lehre  von  den  Purpururkunden 
als  haltlos  zurückgewiesen  hat',  kein  Grund  vorhanden,  noch 
einmal  auf  diese  Frage  zurückzukommen.  Dagegen  hat  bis- 
her noch  nicht  festgestellt  werden  können,  welche  Bewandtnis 
es  mit  den  beiden  späteren  uns  erhaltenen  Purpururkunden,, 
der  Lothar  IIL  für  Stablo  (Stumpf,  Reg.  3353)  und  der  Kon- 
rad in.  für  Corvei  (Stumpf,  Reg.  3543),  habe,  ob  dieselben 
aus  der  Kanzlei  hervorgegangen  seien  oder  nicht  ^. 

Um  eine  solche  Untersuchung  anstellen  zu  können,  be- 
dürfte es  einer  umfassenden  Vergleichung  der  Schrift  in  diesen 
beiden  Prachtstücken  mit  der  in  den  gleichzeitigen  Präcepten 
Lothars  und  Konrads,  Dieser  Aufgabe,  so  erwünscht  ihre 
Lösung  auch  wäre,  um  die  letzten  Zweifel  über  die  Unrichtig- 
keit der  Theorie  v.  Pflugk-Harttungs  zu  beseitigen,  habe  ich 
mich  leider  nicht  unterziehen  können.  Doch  glaube  ich, 
wenigstens  was  die  Urkunde  Konrad  IIL  anlangt,  aus  inneren 
Gründen  wahrscheinlich  machen  zu  können,  dass  sie  schwer- 
lich aus  der  Kanzlei  hervorgegangen  ist.  Indem  ich  die 
inneren  Merkmale  dieser  Urkunde  untersuchte  und  ihrer  Ent- 
stehung sowie  ihrem  Verhältnis  zu  den  gleichzeitigen  Prä- 
cepten Konrad  III.  nachging,  ward  mir  nicht  allein  wahr- 
scheinlich, dass  jene  lediglich  ein  Duplicat  sei;  ich  erkannte 
ausserdem,  dass  es  mit  den  Urkunden  Konrad  III.  für  Corvei 
überhaupt  besondere  Bewandtnis  habe  und  dass  sie  ein  für 
den  Diplomatiker  sehr  lehrreiches  Beispiel  anomaler  oder 
wenigstens  nicht  gewöhnlicher  Beurkundung  darböten.  Und 
da  sie  auch  sonst  für  die  Geschichte  Wibalds  nicht  ohne 
Interesse  sind,  glaube  ich  hier  den  Sachverhalt  kurz  darlegen 
zu  sollen. 

Ueberdies  ist,  was  v.  Pflugk-Harttung  über  unser  Diplom 
bemerkt  3,  unzureichend.  Auch  die  anderen  neueren  Benutzer 
desselben  haben  so  gut  wie  nichts  für  die  Kritik  desselben 
gethan  und  sind  in  der  Erkenntnis  der  wirklichen  Sachlage 
weit  hinter  den  älteren  Herausgebern  zurückgeblieben. 

Es  handelt  sich  um  eine  Schenkung  Konrad  III.  an  Corvei, 
welche  in  inhaltlich  verschiedener  Ausdehnung  und  in  ver- 
schiedenen Ausfertigungen  vorliegt.  In  der  einen  Urkunde 
schenkt  Konrad  die  beiden  Reichsklöster  Kemnade  und  Fisch- 
beck (Stumpf,  Reg.  3544,  welche  Urkunde  ich  mit  A  bezeich- 
nen will),  in  der  anderen  ist  nur  von  der  Schenkung  von 
Kemnade  an  Corvei  die  Rede  (Stumpf,  Reg.  3543  ^  B).  Ab- 
gesehen   von    anderen   Abweichungen,    auf   welche    ich   noch 


1)  Bella  diplomatica  ohne  Ende?  in  Mitth.  des  österr.  Institut» 
VI,  S.  325—374;  insbesondere  S.  366  ff.  2)  Vgl.  auch  Bresslau,  ür- 
kuüdenlehre  I,  S.  903.         3)  Forschungen  XXIV,  S.  575. 


l 


Die  Purpururkunde  Konrad  in.  für  Corvei.  367 

später  werde  eingehen  müssen,  ist  B,  welches  übrigens  ganz 
die  gleichen  Daten  wie  A  trägt,  demnach  die  Schenkung 
minderen  Inhalts.  Aber  gerade  diese  geringere  Schenkung  ist 
in  mehrfachen  Ausfertigungen  auf  uns  gekommen  und  ist  durch 
Purpur  und  Gold  verewigt  worden.  Hat  man  aber  früher  die 
sehr  bedeutenden  Abweichungen  und  Differenzen  zwischen  A 
und  B  wohl  beachtet,  wenn  auch  nicht  zu  erklären  gewusst, 
so  hat  sich  keiner  der  Neueren  bemüssigt  gefunden,  dieser 
Frage  näher  zu  treten.  Meint  Bernhardi:  'Beide  Diplome 
(St.  3543  und  3544)  sind  im  Wesentlichen  gleichlautend' ',  so 
können  wir  uns  nur  über  seine  Auffassung  von  Wesentlichem 
und  Unwesentlichem  verwundern,  denn  wir  finden,  dass  die 
beiden  Urkunden  gerade  im  Wesentlichen  zweien.  Auch  der 
neueste  Herausgeber  Phihppi*  hat  die  beiden  Diplome  so 
unübersichtlich  abgedruckt,  dass  der  Benutzer  mehr  verwirrt 
als  aufgeklärt  wird  und  gut  thut,  sich  in  den  älteren  Aus- 
gaben zu  orientieren  3.  Dagegen  hatte  schon  Baring,  der  nur 
ß  kannte  und  von  A  nur  durch  den  Druck  bei  Schaten 
wusste,  an  den  Abweichungen  der  beiden  Diplome  von  ein- 
ander so  sehr  Anstoss  genommen,  dass  er  Schaten  vorwarf: 
'videtur  illum  studio  omisisse  ea  quae  fortasse  pro  praesenti 
rerum    statu    minus    grata   fuerunt'*.      Und    ähnlich    urtheilte 


1)  Jahrbücher  der  Deutschen  Geschichte.  Konrad  III.  S.  557  Anm.  53. 
2)  Die  Kaiserurkunden  der  Prov.  Westfalen  II,  302  n.  225.  Obendrein 
hat  Philipp!  an  den  Kopf  dieses  Diploms  ein  Regest  gesetzt,  das  die 
Verwirrung  noch  erhöht.  Er  redet  von  einer  Privilegienbestätigung  der 
Klöster  Corvei  und  Herford,  aber  in  der  Urkunde  ist  weder  von  einer 
Privilegienbestätigung  noch  von  Herford  die  Rede.  3)  Ich  führe  daher 
die  Drucke  hier  an:  Stumpf,  Reg.  3544  =  A  (Originaldiplom  im  k.  Geh. 
Staatsarchiv  zu  Berlin):  Schaten,  Ann.  Paderbr.  ed.  1,  I,  177  aus  Orig.  = 
ed.  2,  II,  536  =  Paullini,  Hist.  Visbecc.  61  —  Lünig,  RA.  XVIIP,  91 
aus  Orig.  —  Martene,  Coli.  II,  602  aus  Orig.  —  Falke,  Cod.  trad.  Corb. 
906  n.  410  aus  Orig.  —  Chron.  Gotwic.  I,  345  Facsimilefragment. 
Stumpf,  Reg.  3543  =  B  (Originaldiplom  im  k.  Staatsarchiv  zu  Berlin  (B  '); 
Fragment  einer  zweiten  Ausfertigung  ebenda  (ß*);  Ausfertigung  auf  Pur- 
purpergament mit  Goldschrift  ebenda  (B  3),  so  nach  Stumpf,  während 
H.  Hofrath  von  Sickel,  welcher  seiner  Zeit  in  Berlin  eine  Untersuchung 
dieser  Exemplare  anstellen  wollte,  die  Güte  hatte  mir  mitzutheilen,  dass 
sich  zur  Zeit  bloss  die  Purpururkunde  im  Berliner  Staatsarchiv  befände): 
Paullini,  Hist.  Visbecc.  57  aus  B^  =  Paullini,  Diss.  hist.  104.  —  Lünig, 
RA.  XIX,  908  n.  4  aus  B».  —  Ludewig,  Rel.  VII,  511  n.  50  aus  B  3. 
—  Baring,  Clavis  dipl.  25  aus  Abschrift  und  CoUation.  —  Falke,  Cod. 
trad.  Corb.  907  n.  411  aus  B'.  —  Erhard,  CD.  Westf.  II,  46  n.  259 
aus  B'  mit  den  Varianten  von  A.  —  v.  Heinemann,  CD.  Anhalt.  I,  248 
n.  332  aus  B  ».  —  Wilmans,  Westf.  KU.  11,  302  n.  225  aus  B^  mit  den 
Varianten  von  A  und  B^.  4)  In  der  That  hat  in  der  Mitte  des  18  Jh. 
zwischen  Braunschweig  und  Corvei  wegen  Kemnade  ein  bis  in  den  An- 
fang des  17.  Jh.  hinaufreichender  Prozess  gespielt,  in  dem  Job.  Stephan 
Pütter   gegen    eine  Corveyache  Deduction  von  1765:    Gründlicher  Unter- 


368  P.  Kehr. 

V.  Wersebe  (Ueber  die  niederländischen  Colonien  II,  S.  534), 
der  in  einer  sehr  ausführlichen  Anmerkung  die  Echtheit  unserer 
Urkunden  angreift:  'Ueberhaupt  können  diese  zwei  Urkunden 
als  an  einem  Tage  ausgefertigte  OriginaHen  nicht  wohl  be- 
stehen''. 

In  der  That  ergeben  die  Abweichungen  der  Texte  der 
beiden  Urkunden  A  und  B,  abgesehen  von  dem  verschiedenen 
Umfange  der  Schenkung,  dass  sie  unmöglich  zu  gleicher  Zeit 
ausgestellt  sein  können,  obwohl  sie  mit  gleichen  Daten  ver- 
sehen sind.  An  drei  Stellen  zeigt  nämlich  ß  Bestimmungen 
und  Zusätze,  welche  zum  Theile  dem  Wortlaute  in  A  zuwider- 
laufen oder  ihm  fehlen. 

Zunächst  weichen  die  beiden  Texte  in  der  Bestimmung 
ab,  welche  die  Pflichten  Corveis  an  das  Reich  regelt.  Wäh- 
rend es  in  A  heisst:  'Sane  ad  prefata  duo  loca  (Kerainada  et 
Visbike';  in  B:  'Sane  de  prefato  loco  sc.  Keminada)  neque 
milicia  neque  ullum  servitium  nobis  aut  regno  debebatur  et 
quoniam  Corbeiensi  monasterio  tam  in  milicia  quam  in  ser- 
vitio  ad  honorem  regni  et  defensionem  sanct^  ecclesi^  dignitas 
coUata  est,  nos  iudicio  principum  ad  coron^  nostr§ 
augmentum,  sicut  prescriptum  est,  manere  dece mi- 
ni us'  —  ist  in  B  der  gesperrt  gedruckte  Nachsatz  wie  folgt 
verändert:  'ex  con sensu  fratrum  et  ministerialium 
ipsius  ^ccclesi^  statu iraus,  utproaugmento  prefati 
monasterii,  quod  ecclesi^  Corbeiensi  in  perpetu am 
possessionem  tradidimus,  ad  debitum  regis  servi- 
tium VI  marc^  aut  servitium  VI  marcarum  regno 
de  abbatia  Corbeiensi  persolvantur.  Atque  hanc 
nostr^  auctoritatis  donationem  ex  iudicio  princi- 
pum regni  nos  tri,  sicut  prescriptum  est,  manere  in 
Perpetuum  decernimus'.  Offenbar  wird  in  B  das  völlige 
Gregentheil  der  in  A  getroffenen  Bestimmung  angeordnet.  In 
A  wird  bestimmt,  dass  Corvei  auch  nach  der  Unterwerfung 
von  Kemnade  imd  Fischbeck  unter  dasselbe  in  dem  alten  Ver- 
hältnisse zum  Reiche  bleiben  solle,  dass  also  durch  die  Schen- 
kung die  Lasten  Corveis  in  keiner  Weise  vermehrt  werden 
sollten;  in  ß  wh'd  dagegen  Corvei  zur  Zahlung  einer  be- 
stimmten Geldsumme  verpflichtet.     Wie  will  man  einen  solchen 


rieht  über  die  hochfürstlich  Corveyische  Gerechtsame  auf  Kemnaden  u.  s.w. 
(Höxter  1765  in  fol.)  im  braunschweigischen  Auftrage  eine  Schrift  hat 
erscheinen  lassen:  Ungrund  der  Corveyischen  Ansprüche  auf  das  ehe- 
malige Kloster  Kemnade  u.  s.  w.  (Braunschweig  1769),  auch  in  Pütters 
Rechtsfälle  II*»,  S.  277—307,  ebenda  S.  307—326  auch  eine  Sextuplik 
an  das  Kammergericht  aus  Pütters  Feder.  Die  Corveysche  Deduction 
habe  ich  leider  nicht  einsehen  und  feststellen  können,  ob  auch  auf  unser 
Diplom  darin  Rücksicht   genommen   igt.  1)    Im  Uebrigen  sind  seine 

Einwendungen  belanglos. 


Die  Purpururkunde  Konrad  III.  für  Corvei.  369 

Widerspruch  bei  der  Annahme  gleichzeitiger  Ausfertigungen 
erklären? 

Doch  bevor  ich  auf  diese  Frage  eingehe,  erledige  ich  die 
beiden  andern  Zusätze.  In  A  heisst  es:  —  'quoniam  sepe 
nominata  monasteria  Keminada  et  Visbeke  non  iam  mona- 
steria,  sed  Omnibus  pretereuntibus  viam  in  peccatis  communia, 
corrigi  post  multos  labores  non  potuerunt  et  quoniam  Cor- 
beiensi  monasterio  vicina  sunt'  —  dagegen  wird  in  B,  indem 
natürlich  überall  statt  der  beiden  Klöster  nur  Kemnade  ge- 
nannt wird,  vor  das  zweite  'et  quoniam'  eingeschoben:  'si  qui- 
dem  multis  religiosis  et  precipue  Mindensi  epi- 
scopOjincuiusparrochiasitumest,  idem  monaste- 
rium  iianc  operam  iniunxeramus,  ut  inibi  divina 
religio  et  sacr^  conversationis  cultus  instituere- 
turetrite  observaretur'  — .  Von  Beziehungen  des  Königs 
zum  Bischof  von  Minden,  dem  Diözesanbischof  von  Kemnade 
beluifs  Reorganisation  desselben  vor  dem  J.  1147  wissen  wir 
nichts.  Vor  allem  aber,  warum  fehlt  dieser  Zusatz  in  A? 
Dass  diese  Einschaltung  keine  zufällige  sein  kann,  sondern 
sich  auf  ganz  bestimmte  Verhältnisse  und  Ereignisse  beziehen 
muss,  liegt  auf  der  Hand.  Ist  demnach  an  Gleichzeitigkeit 
der  beiden  Schenkungsurkunden  nicht  zu  denken^  so  taucht 
die  Frage  auf,  wann  die  mit  diesen  Zusätzen  versehene  Ur- 
kunde entstanden  ist. 

Vor  deren  Beantwortung  erwähnen  wir  noch  den  dritten 
und  wichtigsten  Zusatz.  In  der  zweiten  Hälfte  von  B  findet 
sich  folgender  selbständiger  Satz  eingeschoben,  welcher  in  A 
gänzlich  fehlt:  'Advocatiam  vero  sepe  fati  loci,  id 
est  Keminada,  et  omnium  prediorum  ibidem  per- 
tinentium,  quam  vir  illustrisHeinricusduxSaxo- 
ni§  a  nostra  et  predecessorum  nostrorum,  regum 
videlicet  seu  imperatorum,  manu  habuerat,  tra- 
didimus  iam  dicto  Corbeiensi  monasterio  nee  non 
prenominato  abbati  Wiboldo  suisque  successori- 
bus  canonice  et  regula riter  ordinatis  in  perpe- 
tuum,  ipso  duce  consentiente  et  annuente  et  ean- 
dem  advocatiam  de  manu  ipsius  abbatis^  hominio 
prius  ei  cum  iuramento  fidelitatis  propter  id 
ipsum  facto,  sponte  et  [ultro]  recipiente'.  Von  der 
Vogtei  aber  ist  in  A  überhaupt  nirgends  die  Rede. 

Um  den  Nachweis  zu  führen,  dass  in  der  That  zwischen 
der  Ausfertigung  der  beiden  Urkunden  A  und  B  geraume  Zeit 

felegen,  dass  ferner  ganz  bestimmte  Ereignisse  zur  Aufnahme 
er  eben  angeführten  Zusätze  in  ß  veranlasst  haben,  dass 
endlich  A  das  frühere  und  B  das  spätere  Diplom  ist,  muss 
ich  auf  die  Geschichte  der  Beurkundung,  über  weL  he  uns  der 
gleichzeitige  Bericht  des  Chronographus  Corbeiensis   und   die 


370  P.  Kehr. 

Briefe  des  Abtes  Wibald  (ed.  JafFe,  Monumenta  Corbeiensia) 
unterrichten,  zurückgreifen. 

Vielleicht  würde  eine  paläographische  Untersuchung  dieser 
Urkunden  auf  kürzerem  AVege  diesen  Nachweis  erbringen 
können,  wenn  sie  zu  erweisen  vermöchte,  dass  der  Ingrossator 
von  St.  3543  im  Jahre  1147  noch  nicht  in  der  Kanzlei  thätig 
war.  Aber  bisher  steht  nur  fest,  dass  A  und  ß  von  ver- 
schiedenen Männern  geschrieben  sind  (nach  Philippi,  Westf. 
KU.  II,  S.  306).  Ich  glaube  diesen  Umstand  besonders  hervor- 
heben zu  sollen,  da  er  indirect  meine  Beweisführung  unter- 
stützt. Denn  es  ist  immerhin  auffallend,  dass  zwei  für  den- 
selben Empfänger  bestimmte  Urkunden,  welche  am  gleichen 
Tage  ausgestellt  sein  sollen,  von  verschiedenen  Ingrossatoren 
mundiert  worden  sind. 

Wenn  nun  meine  Annahme,  welche  ich  im  Folgenden  zu 
erweisen  versuche,  dass  die  beiden  Urkunden  trotz  der  gleichen 
Daten  nicht  gleichzeitig  sein  können,  dass  vielmehr  B  später 
als  A  entstanden  sein  muss,  richtig  ist,  so  könnte  B  nur  als 
Neuausfertigung  erklärt  werden.  In  der  That  sind  die 
Fälle,  in  denen  die  Kanzlei  dem  gleichen  Empfänger  zwei 
oder  mehrere  inhaltlich  verschiedene  Ausfertigvmgen  einer  und 
derselben  Schenkung  oder  Verleihung  hat  zukommen  lassen, 
nicht  selten.  Dass  sie  der  späteren  Urkunde  dann  die  Datie- 
rung der  älteren  gab,  die  jüngere  also  rückdatierte,  lässt  sich 
auch  sonst  als  dem  Brauche  der  Kanzlei  nicht  widersprechend 
mit  Beispielen  belegen ».  In  der  Regel  war  allerdings  der 
Grund  zu  einer  Neuausfertigung,  dass  in  dieser  über  die  erste 
Urkunde  hinausgehende  Rechte  verliehen  wurden.  In  unserem 
Falle  verhält  es  sich  freilich  umgekehrt,  die  Neuausfertigung 
B  hat  nicht  eine  Besserung  des  ursprünglichen  Präcepts  A, 
sondern  eine  Minderung  zum  Inhalt. 

Der  Chronographus  Corbeiensis  (Jaffe  S.  54  ff.)  erzählt, 
dass  Abt  Wibald  Ende  Januar  1147  in  Fulda  beim  Könige 
die  von  den  Corveiern  längst  gewünschte  Schenkung  der  beiden 
Reichsklöster  Kemnade  und  Fischbeck  durchsetzte.  Doch  han- 
delte es  sich  zunächst  nur  um  einen  vorläufigen  Akt,  indem 
der  König  die  rechtskräftige  Beurkundung  auf  den  Tag  zu 
Frankfurt,  welcher  Mitte  März  die  deutschen  Fürsten  um  den 
König  versammeln  sollte,  verschob.  Der  Vorakt  selbst  bestand 
in  der  Belehnung  per  anulum^. 

1)  Vgl.  Ficker,  Beiträge  zur  Urkundenlehre  I,  S.  179  ff.  Bresslau, 
Urkundenlehre  I,  S.  664  ff.  — •  Als  besonders  lehrreiche  Beispiele  führe 
ich,  ausser  den  von  Bresslau  erwähnten,  DDO.  I.  241*  und  241b  und 
DDO.  IL  35a  und  35b  an.  2)  Chron.  Corb.  S,  55:  'abbaciolas  duas 

Kymenaden  et  ei  vicinam  Visbike  coucessit  ac  per  anulum  gemmario 
lapide  condecorosum  ad  nos  transmisit'.  Auf  dem  Tag  zu  Frankfurt, 
berichtet    der  Chron.  S.  59 :    'iterabant   ergo   reges  hanc  tradicionem  per 


Die  Purpururkunde  Konrad  III.  für  Corvei.  371 

Jedoch  der  Ausführung  der  Schenkung  stellten  sich  mannich- 
fache  Hindernisse  entgegen.  Zwar  gelang  es  Wibald  noch  vor 
dem  Frankfurter  Tag  auf  Grund  eines  königlichen  Mandates, 
das  ein  Gesandter  Konrads  überbrachte,  von  Kemnade  Besitz 
zu  nehmen.  Dagegen  vereitelten  die  Ministerialen  des  Herzogs 
Heinrich  von  Sachsen  und  des  Grafen  Adolf  von  Schauenburg 
Wibalds  Versuch,  sich  auch  in  Fischbeck  festzusetzen. 

Günstiger  gestalteten  sich  für  Wibald  die  Dinge  in  Frank- 
furt. Die  Fürsten  stimmten  bis  auf  Graf  Adolf  von  Schauen- 
burg dem  Plane  des  Königs  zu;  das  Fürstengericht  entschied, 
dass  kleinere  Reichsklöster,  Avelche  dem  Reiche  nichts  zu 
leisten  hätten,  rechtmässig  einem  grösseren  Reichskloster  ver- 
liehen werden  könnten,  und  so  ward  bestimmt,  dass  durch  die 
Schenkung  der  beiden  Reichsklöster  an  Corvei  das  Pflicht- 
verhältnis desselben  zum  Reiche  unverändert  bleiben  und  dem- 
selben durch  die  Vergrösserung  keine  neuen  Lasten  entstehen 
sollten  1. 

So  ward  die  Schenkung  trotz  der  Intriguen  der  abgesetzten 
Aebtissin  von  Kemnade  und  trotz  des  Widerstandes  ihres  Ver- 
wandten, des  Grafen  Adolf  von  Schauenburg,  vollzogen.  Die 
Schenkungsurkunde  selbst  beschreibt  ausführlich  den  Akt  der 
Uebergabe  ^.  Sie  trägt  die  Daten :  'Actum  anno  dominic^  in- 
carnationis  MCXLVII,  indictione  X,  anno  vero  domni  Cuon- 
radi  secundi  regis  invictissimi  VHH;  data  Frank enewort ;  in 
Christo  feliciter  amen^. 


anulum'.  Ausführlicher  noch  berichtet  die  Schenkungsurkunde  selbst  über 
den  Akt  der  Uebergabe:  'de  nostro  atque  regni  iure  —  transegimus  et 
firmavimus  super  reliquias  corporis  s.  Viti  m.  per  aureum  donationi» 
nostrae  anulum'.  1)  Chron.  S.  58:  ' —  si  posseut  dari  legitime  cellule 
regales  regali  et  maiori  ecclesie,  de  qua  et  regnum  sumeret  nonnuUa 
obsequia,  cum  et  de  minoribus  preter  nominis  solam  gloriam  nulla  pro- 
venirent  regno  profutura'.  Der  lückenhafte  Bericht  des  Chronographus 
deutet  die  Entscheidung  des  Fürstengerichtes  nur  an,  dagegen  belehrt 
uns  die  Urkunde  A  selbst  über  dieselbe  :  'Sane  ad  prefata  duo  loca  ne- 
que  milicia  neque  ullum  servitium  nobis  aut  regno  debebatur  et  quoniam 
Corbeiensi  monasterio  tarn  in  milicia  quam  in  servitio  ad  honorem  regni 
et  defensionem  sanctae  ecclesiae  dignitas  collata  est,  nos  iudicio  princi- 
pum  ad  coronae  nostrae  augmentum,  sicut  prescriptum  est,  manere  de- 
cernimus'.  2)    Ganz    analoge  Vorgänge    finden   sich    auch   bei  andern 

Schenkungsurkunden  an  Bischöfe  oder  Aebte.  Ich  verweise  auf  St.  3392 
(Beyer,  Mittelrhein.  ÜB.  I,  S.  565),  St.  3571  (Origin.  Guelf.  III,  S.  438 
nr.  16),  St.  3681  (Mon.  Boica  XXIXa,  S.  311  nr.  485),  St.  4075  (Heine- 
mann, CD.  Anhalt.  I,  S.  360  nr.  497).  Vgl.  auch  Bresslau,  Urkunden- 
lehre I,  S.  699.  3)  Auffallend  ist  die  Umstellung  des  actum  und  data 
in  A,  während  in  B  die  übliche  Reihenfolge  hergestellt  ist  (vgl.  Ficker» 
Beitr.  I,  S.  155).  Auch  die  Zahl  der  Königsjahre  IX  statt  X  ist  be- 
merkenswerth,  da  die  gleichzeitigen  Präcepte  für  Corvei  resp.  Herford 
(St.  3541,  3542)  die  richtige  X  aufweisen.  Möglicherweise  deuten  beide 
Anomalien  auf  die  bereits  Ende  Januar  zu  Fulda  ßtattgefundene  Hand- 
lung hin. 


372  P.  Kehr. 

Die  Uebereinstimmung  des  Berichtes  des  Chronographus 
mit  dem  Inhalte  von  A  verbürgt,  dass  diese  die  ursprüngliche, 
Mitte  ]\Iärz  1147  zu  Frankfurt  ausgestellte  Urkunde  ist.  Von 
Kemnade  allein  ist  nirgends  die  Rede.  Ist  somit  die  nur  die 
Schenkung  von  Kemnade  enthaltende  Urkunde  B  zweifellos 
die  spätere,  so  entsteht  die  Frage,  welcher  Zeit  und  Avelchen 
Verhältnissen  diese  ihre  Entstehung  verdankt.  Darüber  giebt 
freilich  der  Chronographus,  der  bald  darauf  in  seinem  Bericht 
abbricht,  ohne  noch  einmal  auf  diese  Verhältnisse  zurück- 
zukommen und  den  weiteren  Verlauf  der  Dinge  anzudeuten, 
keine  Auskunft.  Aber  er  giebt  uns  noch  einige  für  die  Stel- 
lung Heinrichs  des  Löwen  zu  dieser  Frage  werthvolle  Auf- 
schlüsse, welche  für  die  spätere  Entwickelung  sehr  wichtig  sind. 

Herzog  Heinrich,  welcher  vom  Reiche  die  Obervogtei 
über  Kemnade  und  Fischbeck  innehatte,  scheint  mit  der  In- 
corporation  der  beiden  Klöster  nicht  einverstanden  gcAvesen 
zu  sein.  Schon  als  Wibald  sich  nach  der  Abmachung  von 
Fulda  in  Kemnade  und  Fischbeck  festzusetzen  versuchte, 
setzten  ihm  die  Ministerialen  des  Herzogs  offenen  Widerstand 
entgegen.  Dass  der  Vogt  von  Fischbeck,  Adolf  von  Schauen- 
burg,  auf  dem  Tage  zu  Frankfurt  alles  aufbot,  die  Schenkung 
zu  verhindern,  wird  schwerlich  ohne  Zustimmung  des  Herzogs 
geschehen  sein.  Unter  den  Namen  der  Mitglieder  des  Fürsten- 
gerichts suchen  wir  endlich  den  des  Sachsenherzogs  vergeblich. 
AVälirend  man  aber  in  Frankfurt  verhandelte,  geschahen  in 
Kenniade  Dinge,  welche  im  Zusammenhang  mit  den  früheren 
Ereignissen  betrachtet,  die  Absicht  Heinrichs,  die  Ausführung 
der  Schenkung  um  jeden  Preis  zu  vereiteln,  deutlich  erkennen 
lassen.  Dietrich  von  Ricklingen,  welcher  schon  vorher  den 
Corveiern  alle  möglichen  Schwierigkeiten  und  Hindernisse  in 
den  Weg  gelegt  und  den  Liten  von  Kemnade  verboten  hatte, 
den  Befehlen  des  von  Wibald  daselbst  eingesetzten  Propstes 
zu  gehorchen,  befahl  jetzt  unter  Berufung  auf  einen  Befehl 
seines  Herzogs  dem  Propste  und  den  Corveiern  Mönchen,  das 
Kloster  sofort  zu  räumen.  Nicht  nur  Fischbeck,  auch  Kemnade 
drohte  so  der  Herzog  den  Corveiern  streitig  zu  machen. 

]\Iit  diesem  Vorgehen  der  Ministerialen  des  Herzogs  steht 
freilich  in  Widerspruch,  dass,  wie  der  Chronographus  weiter 
berichtet,  die  von  Frankfm-t  unter  der  Führung  des  Propstes 
Ad  albert  zurückkehrenden  Mönche  behaupteten,  Herzog  Hein- 
rich habe  in  Frankfurt  auf  die  Vogtei  über  Kemnade  und 
Fischbeck  verzichtet  und  sie  dann  vom  Abte  Wibald  zu  Lehen 
erhalten.  Ob  nun  Heinrich  ein  Doppelspiel  getrieben  oder  ob 
die  Corveier  dieses  Gerücht  nur  verbreiteten,  um  ihre  Erwer- 
bung zu  sichern  und  ihren  Bedränger  Dietrich  von  Ricklingen 
zu  entwaffnen,  lässt  sich  nicht  mehr  entscheiden;  aber  den 
Thatsacheu  entspricht  der  Bericht  des  Chronographus  nicht. 


Die  Purpururkunde  Konrad  Ell.  für  Corvei.  373 

Noch  liegt  das  Mandat  vor,  in  welchem  der  König  den  Herzog 
auffordert,  auf  die  Vogtei  über  Kemnade  und  Fischbeck  zu 
Gunsten  von  Corvei  zu  verzichten'.  In  demselben  heisst  es: 
'Cuius  (Wibaldi)  ob  insigne  meritura  quod  fideli  servitio  de 
regno  meruit,  secundum  peticionem  predecessoris  sui  et  ob- 
secrationem  Corbeiensis  ecclesiae  duo  monasteria  feminarum, 
in  quibus  monastica  religio  iara  defecerat,  Kaminade  scilicet 
et  Visbike,  ad  reformandam  in  eis  divini  cultus  religionem  ex 
iudicio  principum  sibi  et  Corbeiensi  ecclesiae  iure  pro- 
prietario  in  perpetuam  possessionem  contulimus,  salvo  iure 
tuae  advocationis  quod  habes  in  eisdem  locis'.  Da  der  König 
auf  den  Spruch  der  Fürsten  Rücksicht  nimmt,  kann  das  Mandat 
nicht  in  den  Januar  1147  gesetzt  werden,  wie  Jaffe  vorschlug, 
sondern  es  kann  erst  während  oder  nach  dem  Frankfurter  Tag, 
gleichzeitig  mit  der  Beurkimdung  der  Schenkung  oder  bald 
nach  derselben  erlassen  sein.  Wahrscheinlich  ist  es  sogar  erst 
nach  dem  Tage  zu  Frankfurt  und,  wie  die  Natur  des  Mandats 
bedingt,  als  Herzog  Heinrich  bereits  in  die  Heimath  zurück- 
gekehrt war,  an  diesen  erlassen  worden. 

Heim-ich  fügte  sich  jedoch  nicht  völlig  dem  Befehl  des 
Königs,  Er  verzichtete  keineswegs  auf  die  Vogtei  über  beide 
Klöster,  sondern  nur  auf  die  über  Kemnade.  Er  stellte  in 
Braunschweig  ein  Document  aus,  in  welchem  er  diesen  Ver- 
zicht auf  die  Vogtei  über  Kemnade  beurkundete  und  in  der- 
selben bezeugte,  dass  er  sie  dann  vom  Abte  Wibald  wieder 
zu  Lehen  genommen  habe  2.  Die  Urkunde  trägt  als  Datum 
das  zehnte  Jahr  der  Regierung  Konrads,  weist  somit  ebenfalls 
auf  die  dem  Reichstag  zu  Frankfurt  folgende  Zeit  hin. 

Auf  diese  Urkunde  Heinrichs  nimmt,  wie  wir  sahen,  der 
dritte  Zusatz  in  B  über  die  Vogtei  Rücksicht,  die  Neuausferti- 
gung kann  mithin  erst  nach  dem  Frankfurter  Tag  aus- 
gestellt sein. 

Ihre  Entstehung  jedoch  fällt  in  noch  spätere  Zeit,  wie 
die  Briefe  Wibalds  ergeben.  Wie  ein  rother  Faden  zieht  sich 
durch  diese  die  leidige  Klage   um   die   beiden  Klöster;    Jahre 


1)  Jaffe,  Ep.  Wibaldi  S.  107  n.  30,  auch  bei  Martene,  Coli.  II  S.  207, 
Orig.  Guelf.  III,  S.  427  n.  5,  Wilmans,  Westf.  KU.  U,  S.  295  n.  222. 
2)  Schalen,  Ann.  Paderbr.  I,  S.  722,  auch  Falke,  Cod.  trad.  Corb.  S.  909 
n.  412;  Orig.  Guelf.  III,  S.  428  n.  6;  Lacomblet,  Niederrhein.  ÜB. 
II,  S.  49  n.  262.  Auf  diese  Urkunde  Heinrichs  nimmt  das  Mandat  Kon- 
rads vom  J.  1150  Bezug,  in  welchem  er  Heinrich  au  seine  Wibald  gegen- 
über eingegangenen  Verpflichtungen  mahnt.  'Volumus  etiam  industriam 
tuam  meminisse,  quoniam  advocatiara  Kaminatensem,  quam  a  nobis  hacte- 
nus  habueras,  ex  nostra  peticione  de  manu  Corbeiensis  abbatis  recepisti' 
(Ep.  Wib,  S.  370  n.  247).  Also  auch  hier  ist  nur  von  dem  Verzichte 
auf  die  Vogtei  über  Kemnade,  nicht  aber  auch  auf  die  über  Fischbeck 
die  Rede. 


374  P.  Kehr. 

lang  war  das  ganze  Streben  des  bedeutenden  Mannes  darauf 
gerichtet,  seine  Rechte  auf  jene  geltend  zu  machen  und  seine 
Ansprüche  durchzusetzen. 

Wibald  hatte  mit  seinem  LiebHngswunsch  nirgends  Glück. 
Das  Schlimmste  war,  dass  Papst  Eugen  III.  sich  keineswegs 
geneigt  zeigte,  ihn  in  dieser  Angelegenheit  zu  unterstützen. 
Gereizt  durch  die  ohne  sein  Wissen  erfolgte  Uebernahme  der 
Abtwürde  von  Corvei  zu  der  von  Stablo,  verweigerte  er 
Wibald,  als  dieser  gleich  nach  dem  Frankfurter  Hoftage  im 
Frühjahr  1147  als  Gesandter  Konrads  an  den  damals  in  Frank- 
reich weilenden  päpstlichen  Hof  ging,  trotz  lebhafter  Empfeh- 
lung des  Königs  rundwegs  die  nachgesuchte  Bestätigung  der 
Schenkung,  und  Wibald  musste  froh  sein,  dass  der  Papst  sie 
nicht  geradezu  cassierte*.  Ebenso  erfolglos  blieb  auch  das 
Gesuch  der  Corveier  Mönche  an  den  Papst  und  dessen  Kanzler 
Guido'.  Oefter  noch  hat  Wibald  seine  Bitte  um  Bestätigung 
der  beiden  Klöster  wiederholt.  So  Ende  1147,  wie  aus  den 
zahlreichen  Empfehlungsschreiben  einiger  befreundeter  Geist- 
lichen und  weltlicher  Grossen  hervorgeht*.  Trotzdem  ist  auch 
auf  diesen  energischen  Bittsturm  Wibalds  die  erhoffte  Be- 
stätigung nicht  erfolgt.  Der  Papst  begnügte  sich  in  einem 
Mandat  vom  5.  April  1148  dem  Erzbischof  von  Bremen  und 
den  Bischöfen  von  Minden  und  Verden  einzuschärfen,  dass  sie 
für  die  Zurückgabe  der  dem  Kloster  Kemnade  entzogenen 
Güter  Sorge  tragen  sollten-*.  Noch  Jahre  lang  scheint  es  bei 
diesen  unklaren  Verhältnissen  geblieben  zu  sein*.  Aber 
schliesslich  siegte  doch  die  Zähigkeit  Wibalds,  zumal  als  seine 
diplomatische  Thätigkeit  dem  päpstlichen  Stuhl  immer  mient- 
behrlicher  wurde.  AVie  es  scheint  hat  Wibald  seine  Wünsche 
erreicht,  als  er  als  könighcher  Gesandter  Ende  1151  am  päpst- 
lichen Hofe  weilte.     Im  Februar  1152   schrieb   er  seinen  Cor- 


1)  Der  Empfehlungsbrief  des  Königs  mit  der  Bitte  um  Bestätigung 
der  Schenkung  bei  Jaff^,  Ep.  Wibaldi  S.  113  n.  34.  Die  Entscheidung 
Eugens  s.  ebenda  S.  125  n.  46  und  47:  'sufficere  nobis  dicentes  (die  Car- 
dinäle)  et  hoc  esse  ex  magna  domni  papae  gratia,  quod  nobis  non  inter- 
dicebat  ipsa  loca,  quod  sicut  non  confirmabat,  sie  nee,  quod  factum 
fuerat,  infirmabat'.  2)  Ep.  Wib.  S.  116  n.  36;  S.  118  n.  37.  3)  Ep. 
Wib.  S.   144  —  151  n.  68—75.  4)    Ep.  Wib,   S.  157   n.  83    (Jafife-L. 

6412).  5)  Im  Frühjahr   1150  beklagte  sich  Wibald  von  Neuem  beim 

Papste,  dass  die  Güter  von  Kemnade  verloren  gegangen  seien  und  dass 
der  Bischof  von  Minden  sogar  die  Ausübung  des  Gottesdienstes  daselbst 
verhindere  (Ep.  Wib.  S.  374  n.  251).  Er  erreichte,  dass  der  Papst  dar- 
auf von  Neuem  Mandate  an  den  Bischof  von  Minden  und  den  Erzbischof 
von  Bremen,  wahrscheinlich  auch  an  Heinrich  den  Löwen  und  Bischof 
Hermann  von  Verden  erliess,  in  denen  er  seine  früheren  Befehle  wieder- 
holte (Ep.  Wib.  S.  397-399  n.  269—271  (Jaffe-L.  6525  —  6528).  Aber 
auch  hier  hören  wir  nichts  von  einer  Bestätigung  oder  auch  nur  Anerkeu- 
nung  der  Schenkung. 


Die  Purpururkunde  Konrad  III.  für  Corvei.  375 

veiem:  'Sicut  enim  rerum  ipsarum  consequentia  manifestabit, 
in  omni  petitione  nostra  tarn  privatarum  quam  publicarum 
renim  clementer  exauditi  sumus,  ita  ut  neque  in  privilegiis 
neque  in  epistolis  pro  nostra  oportunitate  impetrandis  ullam 
difheultatem  sustinuerimus''.  Bereits  am  9.  Januar  1152  hatte 
Eugen  auf  Wibalds  Ansuchen  nochmals  Mandate  an  den  Erz- 
bischof Hartwig  von  Bremen  und  die  Bischöfe  von  Verden 
und  Minden  und  einen  Empfehlungsbrief  an  Herzog  Heinrich 
von  Sachsen  gerichtet  2.  In  dem  Mandat  an  den  Bischof  von 
Verden  finden  wir  den  ersten  Hinweis  auf  die  Anerkennung 
der  Zugehörigkeit  von  Kemnade  zu  Corvei*. 

Dass  Eugen  III.  in  der  That  schHesslich  die  Schenkung 
von  Kemnade  an  Corvei  bestätigt  hat,  geht  aus  den  späteren 
Urkunden  der  Nachfolger  Eugen  III.  und  aus  der  Bestätigungs- 
urkunde Friedrich  I.  (St,  3626)  hervor,  in  der  es  heisst:  'Kemi- 
nade  quemadmodum  et  a  reverendo  patre  nostro  papa  Eugenio 
per  auctoritatis  sue  Privilegium  eidem  Corbeiensi  ecclesie 
confirmatum  esse  dinoscitui''^.  Aber  es  ergiebt  sich  auch  zu- 
gleich aus  diesen  Nachurkunden,  dass  Eugen  III.  nur  die 
Schenkung  von  Kemnade  bestätigt  hat,  nicht  aber  auch  die 
von  Fischbeck.  Diesem  werden  vielmehr  wenige  Jahre  später 
von  Hadrian  IV.  seine  Freiheiten  als  einem  freien  Kloster, 
das  nur  unter  päpstlichem  und  kaiserlichem  Schutz  stehen  solle, 
bestätigt  5. 

Fast  ebenso  langer  Mühen  bedurfte  es,  ehe  es  Wibald 
gelang,  den  Widerstand  seiner  mächtigen  Nachbaren  zu  über- 
winden. In  Wibalds  Briefen  spiegelt  sich  der  unerfreuliche 
Zustand  Deutschlands  in  den  letzten  Jahren  Konrad  III.  deut- 
lich wieder.  Wie  tief  war  die  königliche  Gewalt  gesunken, 
dass  sie  nicht  einmal  im  Stande  w^ar,  die  Ausführung  einer 
durch   ein   feierliches   Privileg   verliehenen    Schenkung    durch- 


l)Ep.  Wib.  S.  492  n.  364.  Die  privilegia  weisen  deutlich  auf  die 
Bestätignngsurkunde  hin,  während  unter  den  epistolae  wohl  die  gleich- 
zeitigen Mandate  zu  verstehen  sind.  2)  Ep.  Wib.  S.  485  n.  352; 
S.  489.  490  n.  359—360;  S.  488  n.  358  (Jaffe-L.  6603,  6606,  6609— 
6611).  3)  Ep.  Wib.  S.  489  n.  359:  'Kaminatensis  ecclesiae  quae  ad 
ius  ipsius  (Wibaldi)  spectare  dinoscitur'.  4)  In  Hadrian  IV.  Urkunde 
für  Corvei  vom  J.  1155  (Jafte-L.  6842)  werden  die  Corvei  unterworfenen 
Klöster  aufgezählt:  'Monasterium  quoque  in  Groninge  et  monasterium  in 
Kemnade  numquara  ab  eodem  Corbeiensi  alienentur  coenobio,  sed  per 
ipsius  loci  abbatem  semper  regantur  et  salubriter  sub  monasticae  dis- 
ciplinae  ordinentur  regula'.  5)  Jaffe-L.  7043:  'Sanximus  quoque  ut 
ipsum  monasterium  nuUi  omnino  personae  in  beneficium  quibuslibet  occa- 
sionibus  aliquando  concedatur,  sed  semper  sub  protectione  Romanorum 
pontificum  atque  imperatorum  vel  regum  defensione  permaneat'.  [Nach 
dem  Druck  bei  Finke,  Papsturkunden  Westfalens  I,  43  n.  117  und  den 
zugehörigen  Anmerkungen  unterliegt  allerdings  die  Echtheit  dieses  Pri- 
vilegs für  Fischbeck  schweren  Bedenken.     H.  B.] 


376  P.  Kehr. 

zusetzen!  Welch  ein  unheilvolles  Schauspiel  schildern  Wibalds 
Briefe,  wie  die  zähe  und  rastlose  Erwerbungssucht  der  Geist- 
lichkeit mit  der  rohen  und  gewaltthätigen  Habsucht  der  welt- 
lichen Grossen  in  erbittertem  Kampfe  rang,  und  wie  auch 
die  geistlichen  Mächte  uneins  unter  einander  und  neidisch  auf 
die  Erwerbung  des  Andern  sich  gegenseitig  bekämpften!  Nicht 
allein  bei  den  weltlichen  Territorialherren  stiess  Wibald  auf 
den  heftigsten  Widerstand,  der  mächtigste  Gegner  erwuchs 
ihm  unter  seinen  Standesgenossen,  in  dem  Bischof  Heini-ich 
von  Minden, 

So  lange  König  Konrad  im  Orient  weilte,  war  Wibald 
des  schützenden  Rückhaltes  bar  und  seinen  Gegnern  noch 
weniger  als  sonst  gewachsen.  Von  einer  Behauptung  seiner 
Ansprüche  konnte  zu  dieser  Zeit  keine  Rede  sein.  Als  dann 
Konrad  von  seiner  Kreuzf^ihrt  heimkehrte,  füllte  sich  Wibalds 
Herz  mit  neuen  Hoffnungen.  Von  ihm  erwartete  er  Hülfe  und 
Unterstützung.  In  einem  langen  Schreiben,  in  welchem  er  den 
zurückkehrenden  König  begrüsste,  führte  er  über  die  ihm 
widerfahrene  Unbill  Klage.  Dieser  Brief  ist  lehrreich,  insofern 
er  die  thatsächliche  Lage  der  Dinge  um  die  Mitte  des  Jahres 
1149,  also  zwei  Jahre  nach  der  Schenkung  erkennen  lässt. 
Wibald  beschAverte  sich,  dass  er  in  Kemnade  sich  nur  müh- 
sam habe  behaupten  können,  und  dass  ihm  dort  besonders  der 
Bischof  von  Minden  Hindernisse  in  den  Weg  gelegt  habe.  Er 
klagte  ferner,  dass  er  in  Fischbeck  in  Folge  des  Widerstandes^ 
welchen  ihm  derselbe  Bischof  und  der  Klostervogt  Adolf  von 
Schauenburg  dort  entgegensetzten,  noch  nicht  einen  Fussbreit 
habe  in  Besitz  nehmen  können '.  Die  Antwort  des  Königs 
aber  war  kühl,  wenn  er  auch  seine  Schenkung  in  ihrem  vollen 
Umfange  aufrecht  erhielt  und  Wibald  seinen  Schutz  versprach  2. 
In  der  That  ist  es  auch  trotz  allen  Drängens  des  Abtes  zu 
keinem  energischen  Eingreifen  seitens  des  Königs  gekommen. 
Zwar  erliess  er  ein  Mandat  an  den  Bischof  von  Minden,  aber 
das  hatte  keinen  Erfolgt.  Auch  ein  zweites  Mandat  machte 
keinen  Eindruck^.  Trotz  dreimaliger  Citation  vor  den  König 
und  trotz  päpstlicher  Intervention  *  gab  der  hartnäckige  Bischof 

1)  E.  Wib.  S.  301  n.  180:  'Conquerimur  autem  serenitati  vestrae, 
quod  Mindensis  episcopus  plurimum  nos  gravat  et  hactenus  impedivit  de 
his  rebus  quas  Corbeiensi  aecclesiae  attribuistis,  Kaminatam  videlicet  et 
Visbick.  Et  in  Kaminata  quidem,  ubi  fratres  nostros  iussu  vestro  ordina- 
veramus,  divinum  officium  celebruri  prohibuit;  de  cuius  possessionibus 
mediam  fere  partem  amisimus.  In  loco  vero  Visibick  nun  quam 
intravimus  nee  passum  pedis  de  tota  possessione  ibi  per- 
tinente  adhuc  obtinuimus,  prohibente  hoc  Mindensi  episcopo  et 
comite  Adulfo  de  Scowenborch ;  ubi  etiam  ipse  Mindensis  episcopus  res 
monasterii  per  fratres  Cappenbergenses  ordinavit'.  2)  Ep.  Wib.  S.  302 

n.   181.  3)  Ep.  Wib.   S.  307   n.    187.  4)   Ep.  Wib.  S.  311  n.   191. 

5)  Ep.  Wib.  S.  310  n.  190  und  S.  398  n.  270  (Jaff^-L.  6527). 


Die  Purpururkunde  Konrad  III.   für  Corvei.  377 

erst  nach  längeren  Verhandlungen  nach'.  Aber  auch  Wibald 
musste  sich  zu  theilweisem  Verzicht  auf  seine  bislang  so  zäh 
festgehaltenen  Ansprüche  verstehen.  Nach  einem  Briefe  Wibalds, 
den  er  im  Herbste  1 149  an  seinen  Vertrauten,  den  Fredesloher 
Mönch  lohannes,  schrieb,  hat  der  König  den  Abt  zu  Weih- 
nachten 1149  zur  endgültigen  Entscheidung  über  Fischbeck 
nach  Aachen  beschieden,  ' —  ut  ibi  de  obtinenda  aecclesia  de 
Visbick  mandatura  ipsius  accipiamus' 2.  Was  für  eine  Ent- 
scheidung dort  getroffen  worden  ist,  ist  uns  nicht  überliefert 
worden.  Aber  es  kann  keinem  Zweifel  unterliegen,  dass  sich 
Wibald  zum  Verzichte  auf  Fischbeck  hat  entschliessen  müssen. 
Denn  seit  dem  Ende  des  Jahres  1149  ist  von  diesem  EJoster 
keine  Rede  mehr,  die  Klagen  Wibalds  gelten  fortan  nur  noch 
Kemnade.  Jenes  war  der  am  heissesten  umstrittene  Gegen- 
stand des  langjährigen  Streites  gewesen.  Heinrich  der  Löwe 
hatte  wohl  auf  die  Vogtei  über  Kemnade,  nicht  aber  auf  die 
über  Fischbeck  verzichtet ;  sein  Untervogt  Adolf  von  Schauen- 
burg  und  Dietrich  von  Ricldingen  setzten  den  Corveiern  ge- 
waltthätigen  Widerstand  entgegen,  der  Bischof  von  Minden 
bekämpfte  mit  allen  Mitteln  Wibalds  Versuche  dort  ein- 
zudringen, der  Papst  endlich  erkannte  bloss  die  Incorporation 
von  Kemnade  an;  solchen  Hindernissen  gegenüber  konnte 
Wibald  auf  der  Behauptung  seiner  Ansprüche  nicht  bestehen. 
So  mag  er  in  der  Hoöhung,  wenigstens  die  Anerkennung  des 
Besitzes  von  Kemnade  zu  erhalten,  auf  Fischbeck  verzichtet 
haben  3.  Bald  darauf  schloss  auch  der  langjährige  Gegner 
Wibalds,  Bischof  Heinrich  von  Minden,  mit  ihm  Frieden-*. 
Der  Bischof  erkannte  um  die  Mitte  des  Jahres  1150  Wibald 
im  Besitze  von  Kemnade  an. 

Bis  zum  Ausgange  des  Jahres  1149  lässt  sich  so  der  Streit 
um  die  Schenkung  vom  Jahre  1147  verfolgen  und  frühestens 
zu  dieser  Zeit  kann  die  neue  Urkunde,  welche  Wibald  die 
definitive  Anerkennung  von  Kemnade  brachte,  entstanden  sein. 
Doch  sprechen  manche  Andeutungen  in  den  Briefen  Wibalds 
dafür,  dass  der  König  nicht  sofort  die  Schenkung  in  ihrem 
minderen  Umfange  erneuert  hat  und  den  Wünschen  Wibalds 
nicht  allzusehr  entgegenkam.  Zwar  erinnerte  Konrad  den 
Sachsenherzog  an  seine  Corvei  gegenüber  übernommenen  Ver- 
pflichtungen und  ermahnte  ihn.  den  Abt  zu  schützen*.  Er 
trat  ferner  persönlich  gegen  Wibalds  ärgsten  Bedränger  unter 


1)    Ep.  Wib.   S.  303  n,   183;  S.  308  n.   188;  S.  386  n.   260;   S.  389 
n.  262;    S.  391  —  393    n.   263  —  265.  2)   Ep.  Wib.  S.  318    n.  200. 

3)  Vielleicht  ist  Wibald  damals  für  den  Verzicht  auf  Fischbeck  vom 
König'  dadurch  entschädigt  worden,  dass  dieser  ihm  eine  Schuld  von 
300  Mark  erliess,  vgl.  Ep.  Wib.  S.  341   n.  222.  4)  Ep.  Wib.   S.  404 

n.  278.         5)  Ep.   Wib.  S.  370  n.  247. 

Neues  Archiv  etc.     XV.  25 


378  P.  Kehr. 

den  sächsischen  Grossen  Dietrich  von  Eicklingen  ein ' ;  aber 
diese  Gunstbezeugungen  waren  immer  abhängig  von  dem 
jeweiHgen  Einflüsse  AVibalds  am  königlichen  Hofe.  Als  dieser 
während  der  Verhandlungen  des  Königs  mit  Wibald  behufs 
Uebemahme  der  römischen  Gesandtschaft  stiegt,  und  als  Wibald 
sich  bereit  erklärte,  als  Gesandter  an  den  päpstlichen  Hof  zu 
gehen,  konnte  er  energischer  seine  Forderungen  wiederholen. 
Ende  1150  schrieb  er  dem  Könige,  dass  er  von  ihm  Abstellung 
seiner  Klage  erwarte';  im  Frühjahr  1151  traf  er  am  könig- 
liehen Hofe  ein.  Auf  dem  Hoftage  zu  Nürnberg  —  1151 
März  18,  gerade  4  Jahre  nach  jenem  Tage  zu  Frankfurt  —  ist 
dann  auch  über  die  Corveier  Angelegenheiten  berathen  worden. 
Fehlt  uns  nun  auch  jede  genauere  Nachricht  über  den  Gegen- 
stand dieser  Verhanalungen,  so  glaube  ich  doch  sie  auf  die 
endgültige  Entscheidung  und  auf  die  urkundliche  Erneuerung 
der  Schenkung  von  Kemnade  beziehen  zu  dürfen*,  um  so 
mehr  als  sich  dann  an  diese  unmittelbar  die  päpstliche  Be- 
stätigung angeschlossen  hat.  Noch  im  Herbste  desselben  Jahres 
ging  Wibald  als  Gesandter  Konrads  an  die  Curie,  ausgerüstet 
mit  einem  Empfehlungsschreiben  des  Königs,  in  welchem  dieser 
um  Bestätigung  der  Corveier  Privilegien  bat  —  'ut  .  ,  .  tam 
in  privilegiis  suis  confirmandis  quam  in  aliis  petitioni- 
bus  benigne  exaudiatis*.  Ich  habe  bereits  festgestellt,  dass 
die  Bestätigung  der  erneuerten  Schenkung  durch  Eugen  HI. 
in  der  That  bald  darauf,  wahrscheinlich  im  Januar  1152,  statt- 
gefunden hat. 

So  misslich  es  auch  ist,  über  die  Entstehung  eines  Diploms 
ohne  eine  Untersuchimg  seiner  äusseren  Merkmale  zu  urtheilen, 
in  unserem  Falle  verbürgen  meines  Erachtens  die  Widersprüche 
zwischen  A  und  B  und  die  Nachrichten,  welche  uns  Wibald 
selbst  in  seinen  Briefen  bietet,  vollauf  das  von  mir  gewonnene 
Ergebnis,  dass  St.  3543  eine  erst  im  Jahre  1151  zu 
Stande   gekommene  Neuausfertigung   des   bereits 


1)  Ep.  Wib.  S.  404  n.  277.  2)  Ende  August  1150  schrieb  Konrad 
an  Wibald  (Ep.  Wib.  S.  408  n.  280) :  'Mullas  iniurias  et  gravia  damna, 
quae  non  solum  toto  anno  preterito,  set  etiam  ad  presens  in  con- 
tumeliam  regni  et  nostram  sustines,  cappellano  tuo  H.  referente,  ad  ple- 
num  intelleximus;  et  tempore  oportuno  in  bis  complanaudia  pro  debito 
nostro    tibi    assistemus'.  3)    Ep.  Wib.  S.  428  n.  300.  4)  Wibald 

schreibt  1151  März  an  den  Prior  Heinrich  von  Corvei  (Ep.  Wib.  S.  452 
n.  323):  'Quid  de  causa  nostra  in  curia  (Nurenbergensi)  sit  actum,  tam 
ex  litteris  domini  nostri  regis  ad  conventum  missis  quam 
ex  viva  legatorum  nostrorum  voce  plenius  poterls  addiscere'.  Ich  hebe 
die  'litterae  regis'  mit  Absicht  hervor,  wenngleich  sich  nicht  mit  Sicher- 
heit behaupten  lässt,  dass  unter  den  'litterae'  die  neuen  Ausfertigungen 
des  Präceptes  über  Kemnade  zu  verstehen  seien;  aber  es  ist  dem  Zu- 
sammenhange und  der  Lage  der  Dinge  nach  nicht  unmöglich.  6)  Ep. 
Wib.  S.  480  n.  346. 


Die  Purpururkunde  Konrad  EH.  für  Corvei.  379 

im  März  1147  zu  Frankfurt  ausgestellten  St.  3544 
ist.  In  der  That  entsprechen  auch  die  inhaltlichen  Bestim- 
mungen der  Neuausfertigung  vollkommen  der  Lage  der  Dinge 
in  den  Jahren  1150  und  1151.  Hatte  sich  der  Rechtstitel, 
welcher  die  ursprüngliche  Schenkung  Wibald  auch  auf  Fisch- 
beck  gewährte,  trotz  aller  Zähigkeit  einem  Widerstände  gegen- 
über, wie  ihn  die  Grossen  des  Landes  und  der  Bischof  von 
Minden  den  Ansprüchen  Corveis  entgegensetzten,  bei  der  lauen 
Unterstützung,  welche  der  König  gewährte,  endlich  bei  der 
Weigerung  des  Papstes,  den  Corveiern  beide  Klöster  zu  be- 
stätigen, schliesslich  nicht  aufrechterhalten  lassen,  so  musste 
es  Wibald  unter  diesen  Umständen  bereits  als  einen  grossen 
Gewinn  betrachten,  dass  er  sich  wenigstens  in  dem  Besitze 
Kemnades  hatte  behaupten  können.  Doch  mag  dem  ehrgeizigen 
und  zähen  Manne  der  Verzicht  auf  Fischbeck  schwer  genug 
geworden  sein,  wenn  auch  ihn  zuweilen  bittere  Reue  über  seine 
Pläne  beschlichen  hat'. 

Der  Lage  der  Dinge  nach  war  es  in  der  That  immer 
noch  ein  grosser  Gewinn,  dass  es  Wibald  gelang,  durch  eine 
nochmalige  Beurkundung  des  Aktes  von  Frankfurt,  die  freilich 
den  veränderten  Verhältnissen  Rechnung  tragen  musste,  sich 
den  Besitz  von  Kemnade  zu  sichern.  So  allein  finden  die  Zu- 
sätze, welche  die  neue  Ausfertigung  erhielt,  ihre  Erklärung. 
Dass  sie  zum  Theil  Corvei  nicht  sonderlich  günstig  waren, 
kann  uns  jetzt  nicht  Wunder  nehmen.  Der  erste  Zusatz  in 
der  Neuausfertigung  hob  zunächst  die  Bestimmung,  welche 
Corvei  von  einer  Erhöhung  seiner  Lasten  an  das  Reich  be- 
freite, auf  und  ordnete  statt  dessen  die  Zahlung  einer  Geld- 
summe an  den  König  an.  Dass  man  ferner  mit  offenbarer 
Beziehung  auf  den  langjährigen  Streit  Wibalds  mit  seinem 
Rivalen,  dem  Bischof  von  Minden,  der  Mandate  des  Königs  an 
den  Bischof  in  der  neuen  Ausfertigung  Erwähnung  that,  dass 
man  endHch  den  Verzicht  Heinrichs  von  Sachsen  auf  die  Reichs- 
vogtei  über  Kemnade  und  seine  Belehnung  mit  derselben  durch 
Wibald  ausdrücklich  aufnahm,  lag  im  Hinblick  auf  die  dar- 
über gepflogenen  Verhandlungen  nahe.  Ihre  Erwähnung  ge- 
währte Wibald  gewissermassen  eine  grössere  Bürgschaft  und 
vertrat  eine  Art  Anerkennung  des  Besitzes  von  Kemnade 
seitens  der  beiden  ehemaligen  Gegner. 

Nach  diesen  Ausführungen  wird  auch  die  Entstehung  der 
Purpururkunde  in  anderem  Lichte  erscheinen.     Musste  es  bei 

1)  So  schreibt  er  einmal,  Ende  1149,  an  seinen  Vertrauten  Johannes 
von  Fredesloh  (Ep.  Wib.  S.  317  n.  200):  'Veruna  in  quantas  miserias,  in 
quantas  vexationes  animi  et  corporis,  in  quanta  rerum  nostrarum  detri- 
menta  per  hoc  consiliura  inciderimus,  non  solum  tua  intelligentia,  quae 
rebus  propinqua  est,  set  etiam  tota  regni  Theutonici  universitas  clamore 
super  nos  famosissimo   cognovit'. 

25* 


380  P.  Kehr. 

der  Annahme  der  Gleichzeitigkeit  beider  Ausfertigungen  un- 
verständlich bleiben,  dass  Wibald  die  mindere,  ungünstigere 
Schenkung  in  Purpur  und  Gold  verewigen  Hess  und  nicht  die 
umfangreichere,  werthvollere,  so  wird  man  jetzt  anerkennen 
müssen,  dass  er  nach  so  -säelen  und  langen  Kämpfen  zum  Ziele 
gelangt  allen  Grund  hatte,  durch  jenes  Prachtstück  den  end- 
lichen Sieg  zu  feiern. 

Ich  komme  nun,  nachdem  ich  die  Entstehung  der  Ur- 
kunden St.  3544  und  St.  3543  und  ihr  Verhältnis  zu  einander 
dargelegt  habe,  auf  den  Kernpunkt  der  eigentlichen  Streitfrage 
zurück,  ob  die  Purpururkimde  als  Kanzleiausfertigung  zu  be- 
trachten sei  oder  nicht.  Dass  in  dieser  Frage  das  letzte  Wort 
nur  eine  paläographisch  -  diplomatische  Untersuchung  der  be- 
treffenden Stücke  sprechen  kann,  sagte  ich  schon.  Aber  Avir 
können  wenigstens  eine  Reihe  schwerwiegender  Wahrscheinlich- 
keitsgründe gegen  die  Auffassung  v.  Pflugk-Harttungs  geltend 
machen,  aus  denen  sich  ergiebt,  dass  jene  Purpururkunde 
nur  auf  den  Charakter  einer  kalligraphischen  Ausfertigung 
Anspruch  machen  kann.  Zunächst  ist  zu  wiederholen,  dass 
St.  3543  in  mindestens  drei  Ausfertigungen  erhalten  ist.  Zwei 
von  diesen  (ß '  und  B  ^)  sind  in  der  regelmässigen  Form  der 
Präcepte  ausgestellt,  die  eine  ist  allerdings  nur  fragmentarisch 
erhalten  und  von  den  Herausgebern  nicht  weiter  berücksichtigt 
worden.  Jene  vollständig  erhaltene  Ausfertigung  (B')  ist  vöUig 
kanzleigemäss,  trägt  das  am  rechten  Rande  stark  beschädigte 
Königssiegel  Konrad  III.  (Heffner,  S.  45  Taf.  3  n.  32  —  Philippi 
in  'Westf.  KU.'  II,  Taf.  2  n.  22)  und  ist  zAveifellos  als  die  erste 
Ausfertigung  zu  betrachten.  Neben  diesen  beiden  in  gewöhn- 
licher Präceptform  ausgestellten  Urkunden  ist  jetzt  noch  die 
Purpururkunde  B^  erhalten,  deren  Abweichungen  von  den 
anderen  Exemplaren  lediglich  orthographischer  Natur  sind, 
während  ein  zweites  unbesiegeltes  Exemplar  mit  Goldschrift 
auf  Purpur  verloren  gegangen  sein  soll '. 

Dass  die  Kanzlei  Konrad  III.  von  einer  und  derselben 
Urkunde  vier  Ausfertigungen,  davon  zwei  in  so  prachtvoller 
Ausstattung,  ausgestellt  haben  soll,  ist  doch  zum  mindesten 
unwahrscheinlich.  Können  wir  uns  auf  Stumpfs  Angaben  in 
den  Regesten  verlassen,  so  ist  kein  zweiter  Fall  bekannt,  dass 
die  Kanzlei  Konrads  III.  zwei  oder  mehrere  Ausfertigungen 
eines  und  desselben  Diploms  einem  Empfänger  ausgefolgt  hat  2. 


1)  Wattenbach,  Schriftwesen  S.  216.  2)  Nur  St.  3563  liegt  nach 

Stumpf  in  zwei  Originalen  vor.  Aber  hier  handelt  es  sich  um  einen 
Gütertausch  zwischen  Würzburg  und  Ebrach,  über  den  jede  der  inter- 
essierten Parteien  ein  Diplom  erhielt.  Ganz  derselbe  Fall  liegt  bei 
St.  3425  für  Basel  und  S.  Blasien  vor,  den  Stumpf  übersehen  hat 
(s.  Bresslau,  Dipl.  centum  S.  119  n.  79  und  S.  187).  Vgl.  auch  Bresslau, 
Urknndenlehro  I,  S.   664  Anm,  4. 


Die  Pixrpurnrkimde  Konrad  III.  für  Corvei.  381 

Wir  werden  ferner  mit  der  Unwahrscheinlichkeit  rechnen 
müssen,  dass  die  Kanzlei  sich  besondere  Chrysographen  ge- 
halten habe;  wir  werden  vielmehr  mit  Wattenbach  und  Sickel 
annehmen  müssen,  dass  die  Kanzlei  kaum  in  der  Lage  war, 
solche  Kunstproducte  herzustellen.  Allerdings  steht  die  Schrift 
der  Purpururkunde  der  diplomatischen  Schrift  der  gewöhn- 
lichen Präcepte  Konrads  sehr  nahe,  wie  insbesondere  eine 
Vergleichung  derselben  mit  dem  Facsimile  von  St.  3544  im 
Chron.  Gotwic.  ergiebt.  Aber  daran  ist  kein  Anstoss  zu 
nehmen,  da  der  Chrysograph  sich  selbstverständlich  eines  der 
Präcepte  Konrads  III.  als  Vorlage  bedienen  musste.  Kurz, 
alles  spricht  dafür,  dass  die  Purpururkunde  in  Corvei  oder 
wenigstens  ausserhalb  der  Kanzlei  angefertigt  worden  ist.  Ob 
dieselbe  dann  von  der  Kanzlei  beglaubigt  und  damit  als 
Originalexemplar  anerkannt  worden  ist,  vermögen  wir  freilich 
nicht  mehr  zu  entscheiden ».  Der  Ueberlieferung  nach  soll 
allerdings  die  Purpururkunde  eine  Goldbulle  gehabt  haben. 
Aber  keiner  der  Herausgeber  hat  sie  mehr  gesehen  und  die 
Nachricht  selbst  ist  nicht  ohne  Bedenken  2. 


1)  Philippi  bemerkt  nur,  dass  das  Monog'ramm  in  der  Purpururkunde 
nicht  eigenhändig  vollzogen  sei,  worauf  natürlich  gar  kein  Gewicht  zu 
legen    ist.  2)    Die    Seidenfäden    sind    übrigens    noch    erhalten    (nach 

Philippi).  Die  Nachricht  geht  auf  Kleinsorgen  zurück.  Er  will  (Kirchen- 
gesch.  von  Westfalen  II,  S.  38)  die  Bulle  mit  der  Legende  'Conradus 
rex  Romanorum.  Roma  caput  mundi  tenet  orbis  froena  rotundi'  noch 
gesehen  haben.  Aber  Kleinsorgen  ist  ein  schlechter  Gewährsmann.  Denn 
er  erzählt  (ebenda  II,  S.  44),  dass  das  Privileg  Friedrich  I.  für  Corvei 
(St.  3626)  mit  goldenen  Buchstaben  geschrieben  und  mit  einem  anhän- 
genden goldenen  Siegel  bestätigt  gewesen  mit  der  Legende:  'Fridericus 
Roraanorum  rex.  Roma  caput  mundi  tenet  orbis  froena  rotundi'.  Wenn 
wir  nicht  geradezu  annehmen,  jene  Prachturkunde  Friedrich  I.  sei  ver- 
loren gegangen,  so  muss  uns  die  Beschreibung  Kleinsorgens,  da  uns  das 
Original  von  St.  3626  erhalten  ist,  sehr  bedenklich  erscheinen  (vergl. 
Bresslau,  Urkundenlehre  I,  S.  903  Anm.  2).  Heineccius,  De  veter.  sigill. 
S.  34  zweifelt  die  Nachricht  nicht  mit  Unrecht  an.  Noch  verdächtiger 
wird  die  Erzählung  von  der  Goldbulle  Konrad  III.  durch  das  Gesehichtchen, 
das  uns  Paullini,  Hist.  Visb.  S.  57  auftischt,  die  Bulle  sei  1634  bei  der 
Eroberung  von  Höxter  verloren  gegangen,  wogegen  schon  v.  Wersebe, 
Niederl.  Colon.  II,  S.  352  sehr  triftige  Einwände  erhebt.  Ich  erwähne 
noch,  dass  Wibald  beim  Regierungsantritte  Friedrieh  I.  die  Anfertigung 
des  Stempels  für  goldene  Bullen  übertragen  wurde  (Ep.  Wib.  S.  505 
E.  376  und  S.  506  n.  377;  vgl.  auch  S.  589  n.  456  und  Bresslau,  Ur- 
kundenlehre I,  S.  926). 


X. 


Miscellen. 


Handschriften  der  vormaligen  königlichen  Hand- 
bibliothek in  Stuttgart. 

Nachlese    zu  N.  A.   X,  600. 
Von  L.  Weiland. 

Durch  die  Güte  der  Herren  Oberbibliothekar  Dr.  Heyd 
und  Bibliothekar  Prof.  Dr.  Schott,  denen  ich  an  dieser  Stelle 
meinen  wärmsten  Dank  ausspreche,  war  es  mir  im  September 
1889  vergönnt,  den  trefflichen  handschriftlichen  Catalog  jener 
werthvoUen  Sammlung  einzusehen  und  eine  Anzahl  Hand- 
schriften zu  untersuchen. 

Für  die  Zwecke  der  Monumenta  kommen  ausser  den 
Bd.  X,  600—602  aufgeführten  Handschriften  etwa  noch  fol- 
gende in  Betracht. 

Hist.  nr.  1  —  17  (20  vol.)  Werke  und  Sammlungen  Bucelins. 
In  nr.  3  sub  V:  Vita  s.  Gerardi  ep.  et  martiris  Hungariae 
apostoli  nuncupati.  Nr.  5  enthält  besonders  Weingarten  be- 
treffende Sachen  und  wäre  vielleicht  noch  genauer  nach  Eesten 
alter  Stücke  zu  untersuchen. 

*Hist.  nr.  18  folim  Weingart.)  mbr.  4»  saec.  X— XI. 
fol.  1:  losephus  in  antiquitatum  libri  primi  cap.  VI.  dicit 
Abraham  autem  habuit  u.  s.  w.  fol.  1'  der  Canon  des  Hiero- 
nymus:  Regnum  Assyriorum.  Primus  omnis  Asiae  u.  s.  w. 
bis  zum  Tode  des  Valens:  sepulturaque  caruit.  Dann  die  Be- 
rechnung bis_:  Fiunt  ab  Adam  usque  XIIII.  Valentis  annuna 
omnes  anni  VDLXXVIIII.  Item  secundum  Africanum  —  qui 
Antoninus  cognominatus  est  anni  CLXXXIIII.  —  Darauf  noch 
2  Blatt  Canones:  Papst  Coelestin  L,  Leo  I.,  Concil.  Carthag. 
Neocaesar.,  Augustin;  ohne  Werth. 

Hist.  nr.  47  saec.  XV.  et  XVI.  Literae  emtionum,  trans- 
actionum,  donationum  monasterii  Schamhaupt  in  Bavaria. 

Hist.  nr.  59  eh.  Necrologium  monasterii  S.  Johannis  Bapt. 
in  Veldkirch. 

Hist.  nr.  95  saec.  XIV.  in.     Nicolaus  de  leroschin. 

Jur.  et  polit.  nr.  48  saec.  XV.     Schwabenspiegel. 

*Jur.  et  polit.  nr.  105  (Weingart.)  mbr.  saec.  XI.  Pseudo- 
isidor.  Brief  des  P.  Damasus  =  Jaffe -Kaltenbrunner  243. 
Darauf  auf  31  Blatt  32  Briefe  Gregors  d.  Gr.;  erster:  Bacaudo 


386  L.  WeUand. 

episcopo  Formiensi,  Et  temporis  necessitas  =  Jaff^- Ewald 
1075;  zweiter:  Anthemio  subdiaeono.  Insinuatum  nobis  est 
=  J. -E.  1091 ;  letzter:  Syagrio,  Hetherio  etc.  episcopis  Galliae. 
Caput  nostrum  quod  =  J. -E.  1747. 

*Jur.  et  polit.  nr.  108  saec.  X — XI.  Reginonis  libri  de 
synodalibus  causis,  beschrieben  von  v.  Schulte  in  Wiener  S.  B. 
CXVII,  29,  conform  dem  von  mir  in  Ztschr.  für  Kirchenrecht 
XX,  455  beschriebenen  älteren  cod.  jur.  et  polit.  114,  aber 
nicht  von  diesem,  sondern  von  einer  gemeinsamen  Vorlage 
abgeschrieben. 

Patres  nr.  1  saec.  X.     Recognitiones  S.  Clementis. 

Patres  nr.  59  saec.  XII.  Homiliae  Leonis  M.  fol.  1  Verse 
auf  Friedrich  I.  (s.  unten  S.  394.) 


Zu  Petrus  de  Ebulo. 

Von  Ernst  Sackur. 

Ed.  Winkelmann  hat  in  der  Einleitung  zu  seiner  Ausgabe 
des  Petrus  de  Ebulo  *  mit  genügender  Sicherheit  nachgewiesen, 
dass  die  in  Bern  befindliche  Bilderhandschrift  des  italienischen 
Poeten  als  die  ursprüngliche  zu  betrachten  ist,  die  zwar  von 
der  Hand  eines  wenig  gebildeten  Schreibers  geschrieben  ^,  doch 
von  ihm  selbst  durchcorrigiert  und  ergänzt  wurde.  Der  Heraus- 
geber hat  femer  angesichts  der  zahlreichen  Correcturen,  der 
nicht  seltenen  unvollständigen  Verse,  der  nur  bis  fol.  25  vor- 
handenen Capitelüberschriften  mit  Recht  den  unfertigen  Cha- 
racter  des  Codex  hervorgehoben*.  Derselbe  ist  uns  aber  auch 
nicht  vollständig  erhalten.  Sind  einige  Blätter,  wie  das  Lagen- 
verhältnis lehrt,  noch  während  der  Arbeit  herausgenommen*, 
so  sind  andere  erst  nach  der  Vollendung  verloren  gegangen 
oder  gewaltsam  zerstört  worden,  wie  sich  aus  dem  Umstände 
ergiebt,  dass  mehrere  Bilder,  deren  jedes  sonst  in  der  Handschrift 
einer  Textseite  entspricht,  zu  der  vorhergehenden  Dichtung 
nicht  mehr  passen.  Hieraus  ist  eine  Reihe  von  Unregelmässig- 
keiten, die  heute  aufi'allen,  zu  verstehen.  Anderes  harrt  jedoch 
noch  der  Erklärung,  wie  die  Ueberlieferung  des  IH.  Buches, 
welches  im  Gegensatz  zu  den  vorhergehenden,  Thatsächliches 
berichtenden  Theilen,  der  Apotheose  Heinrichs  VI.  gewidmet 
sein  sollte,  wie  es  denn  auch  allein  überschrieben  ist:  Incipit 
über  tercius  ad  honorem  et  gloriam  magni  imperatoris. 

Während  der  Bestand  des  bis  fol.  36  incl.  reichenden 
I.  Buches  in  der  Folgezeit  anscheinend  nicht  gelitten  hat,  so 
sind  uns  das  H.  und  HI.  in  mangelhaftem  Zustande  erhalten. 
Bereits  zwischen  fol.  38  und  fol.  39  fehlt  ein  Blatt,  welches 
auf  der  Bildseite  die  Illustration  zu  fol.  38',  der  Anrede  des 
Archidiacon  Aldrisius  von  Salerno  an  seine  Mitbürger,  und  im 
Text  die  Schilderung  der  Zerstörung  Salernos  durch  Hein- 
rich VI.  im  September  1194  enthalten  haben  muss^.  Zwischen 
fol.  42  und  43  wird  das  Blatt  vermisst,   welches  im  Text  die 


1)  Leipzig  1874,  S.  8  ff.  2)  Das  ersieht  man  aus  den  ziemlich 

zahlreichen  vom  Corrector  übersehenen  Fehlern.         3)  Winkelmann  S.  7, 
4)  Winkelmann  S.  6.         5)  Vgl.  Toeche,  Jahrb.  Heinr.  VI,  S.  335. 


388  Ernst  Sackur. 

Verschwörung  der  Grossen  von  Salerno  darstellte,  zu  der  wir 
die  Illustration  haben '.  Der  Schluss  des  Buches  ist  der  Ver- 
herrlichung der  am  26.  December  1194  zu  Jesi  in  der  Mark 
Ancona  erfolgten  Geburt  Friedrichs  II.  ge^\^dmet.  Das  ist 
das  letzte  im  Text  erwähnte,  sicher  zu  datierende  Ereignis, 
und  Winkelmann  hat  mit  Rücksicht  darauf  den  Abschluss  der 
ersten  beiden  Bücher,  welche  das  Werk  anfangs  anscheinend 
nur  enthielt,  auf  ungefähr  Ostern  1195  angesetzte  Auf  dem 
Bilde  des  fol.  45  findet  sich  jedoch  die  Inschrift:  'Imperatrix 
Siciliam  repetens  benedictum  filium  suum  ducisse  dimisit'  als 
Erklärung  zu  einer  Illustration,  welche  die  Kaiserin  zu  Pferde 
darstellt,  einer  Frau  ein  Wickelkind  reichend.  Constanze  er- 
hielt nun  erst  auf  dem  Ostern  1195  zu  Bari  abgehaltenen 
Reichstage  die  Regentschaft  über  Sicilien  übertragen  und  erst 
in  Folge  dieser  Festsetzung  nahm  sie,  nachdem  sie  den  Knaben 
der  Herzogin  von  Spoleto,  der  Gemahlin  Konrads  von  Urs- 
lingen,  überlassen,  ihren  Aufenthalt  in  Palermo'.  Auf  der 
Textseite  desselben  Blattes  wird  eine  Geschichte  aus  dem 
frühesten  Jugendleben  des  königlichen  Kindes  erzählt,  wie  ein 
iberischer  Fischer  demselben  einen  Fisch  überbringt,  den  der 
Knabe  —  bene  dispensante  magistro  —  so  theilte,  dass  er 
sich  zwei  Drittel  zurückbehielt,    dem  Vater  das   letzte   über- 


1)  Toeche    S.    343.  2)  Ausgabe    S.   13.  3)  Toeche,    Jahrb. 

Heinr.  VI,  S.  350.  352.  Vgl.  die  Regesten  der  Kaiserin  S.  694,  Winkel- 
mann, Philipp  von  Schwaben,  S.  497.  Ders.,  Forsch,  z,  D.  Gesch.  XVIII, 
S.  480.  Toeche  verwechselt  nur  Konrad  von  UrsHngen  mit  Markward 
von  Anweiler.  Vgl.  Gesta  Innoc.  III,  c.  21.  Ficker,  Forsch,  z.  Reichs- 
u.  Rechtsgesch.  Italiens  II,  S.  245,  meint,  dass  Konrad  eine  Italienerin 
geheirathet  habe.  Aus  dem  'repetens'  der  Inschrift  könnte  man  vielleicht 
den  Schluss  ziehen,  dass  Constanze  von  Unteritalien  heraufkam:  es  würde 
das  der  Thatsache  entsprechen,  dass  sie  selbst  am  2.  April  1195  in  Bari 
war.  Sie  würde  dann  im  Sommer  noch  einmal  nach  Mittelitalien  zurück- 
gekehrt sein,  um  ihren  Sohn  unterzubringen.  In  Palermo  ist  sie  erst 
von  Oct./Nov.  1195  an  nachzuweisen.  Vgl.  Toeche  S.  694.  Auf  fol.  44 
wird  in  dem  Verse:  'Ex  hinc  Rogerius,  hinc  Fredericus  eris'  deutlich  auf 
die  beiden  Namen  des  Prinzen  Friedrich  Roger  hingewiesen.  Bekanntlich 
erhielt  er  zuerst  den  Namen  Constantin;  er  wurde  unter  diesem  Namen 
noch  Ende  1196  in  Frankfurt  zum  Könige  gekrönt  (Winkelmann,  Phil, 
von  Schwaben,  S.  11;  Toeche  S.  444).  Winkelmann,  Ausg.  d.  Petrus 
S.  15,  meint  nun,  unser  Dichter  habe  durch  sein  Gedicht  bestimmend 
auf  die  angeblich  erst  1197  bei  der  Taufe  erfolgte  Namensänderung  ein- 
gewirkt. Mir  scheint  so  viel  sicher,  dass  Friedrich  II.  bei  den  Italienern 
schon  viel  früher  Roger  oder  Roger  Friedrich  genannt  worden  ist.  Hätte 
Petrus,  der  eine  ganz  besondere  Vorliebe  für  Wortspiele  und  Wort- 
auslegungen zeigt  (vgl.  I,  24,  49,  428),  den  Namen  Constantin  gekannt, 
er  würde  gewiss  nicht  verfehlt  haben ,  ihn  in  Beziehung  auf  die  Mutter 
Constantia  und  seine  etymologische  Bedeutung  dichterisch  zu  verwerthen. 
In  der  That  werden  für  den  Namen  Constantin  nur  die  Ann.  Stadenses 
und   Reinhardbr,,  keine  italienische  Quelle  angeführt. 


Zu  Petrus   de  Ebulo.  389 

sandte.  Die  Frühreife  des  jungen  Prinzen  noch  so  hoch  an- 
geschlagen, so  kann  man  einen  derartigen  Vorgang  doch  un- 
möghch  in  die  allerersten  Lebensmonate  setzen,  in  denen  man 
ihn  auch  kaum  schon  mit  Fischen  tractierte.  Was  endlich  für 
eine  spätere  Fertigstellung  des  zweiten  Buches  spricht,  ist  auch 
der  Umstand,  dass  auf  dem  dasselbe  beschliessenden  Dedi- 
cationsbild  fol.  46,  dem  merkwürdigerweise  kein  entsprechender 
Text  vorangeht,  'Corradus  cancellarius'  den  Dichter  offenbar 
bei  Heinrich  einführt.  Als  Kanzler  erscheint  Koni'ad  nun  erst 
am  30.  März  1195 1;  im  Sommer  desselben  Jahres  erhält  er 
die  Legation  des  Reiches  über  Sicilien  und  in  dieser  hervor- 
ragenden amtlichen  Eigenschaft  Konrads  scheint  Petrus  dessen 
Gunst  sich  erworben  zu  haben.  Ich  meine  also,  alles  in  allem 
genommen,  die  Abfassung  dieser  Schlussstücke  des  IL  Buches 
doch  später  als  Winkelmann  ansetzen  zu  müssen,  in  das  Ende 
1195  oder  den  Anfang  des  folgenden  Jahres. 

Schon  der  Umstand,  dass  stets  eine  Textseite  einem  pas- 
senden Bilde  entspricht,  würde  zwischen  fol.  45  und  fol.  46 
wieder  einen  Ausfall  vermuthen  lassen:  wie  aber,  wenn  wir 
im  III.  Buche,  und  zwar  an  ganz  ungeeigneter  Stelle^  die  Dedi- 
cationsverse  wirklich  finden? 

Das  III.  Buch  beginnt  auf  fol.  46'  mit  der  Anrufung  der 
'summa  sapientia  patris':  dem  entspricht  das  Bild,  welches  diese 
mit  der  'mappa  mundi',  der  Weltkarte,  darstellt.  Sodann  besingt 
Petrus  in  vergilischer  imd  ovidischer  Art  die  Zeit,  'que  sextum 
sexto  tempore  cernit  herum',  d.  h.  1196  (fol.  47' j.  Auch  hier 
ist  das  passende  Bild  vorhanden.  Nun  (fol.  48')  stellt  der 
Dichter  an  die  Muse  verschiedene  Fragen: 

Die  mea  Musa,  precor,  genuit  qui  nobihs  alvus 

Henricum  vel  que  dextra  cubile  dedit? 
Que  superum  nutrix  dedit  ubera,  quis  dedit  artes? 

Quis  puero  tribuit  scire  vel  arma  viro? 
Quave  domo  genitus  fuerit  puer,  aurea  proles, 
Quis  pater,  unde  parens,  die  mea  Musa,  precor! 

Die  folgenden  Abschnitte  sind  der  Beantwortung  dieser 
Fragen  gewidmet.  Zwar  scheint  es  noch  nicht  dahin  zu  ge- 
hören, wenn  Petrus  unmittelbar  nach  den  angeführten  Versen 
fortfährt : 

Est  domus  etherei  qua  ludunt  tempora  veris, 
um  darauf  die  Amtsthätigkeit  des  Kanzlers  Konrad  und  Mark- 
walds von  Anweiler  in  diesem  Hause   zu  feiern.     Man  müsste 
denn  annehmen,  der  Dichter  habe  Heinrichs  Wiege  nach  Sicihen 


1)  Toeche  S.  599;  L.  v.  Borch,  Gesch.  d.  kais.  Kanzlers  Konrad, 
Innsbruck  1882,  S.  15,  63.  Bei  St,  4910a  mit  XIV.  Kl.  Jul.  ist  die 
Datierung  unsicher.  Vgl.  Winkelmann,  Forsch,  z.  D.  Gesch.  XVIII,  S.  479, 
Boehmer-Ficker,  Reg.  imp.  V,  p.  2,  Bresslau,  Urkundenlehre  I,  S.  380. 


390  Ernst  Sackur, 

verlegt,  worauf  die  Erwähnung  der  Tons  Arethuse'  hinweist. 
Jedenfalls  muss  aber  auf  dem  folgenden  fol.  49  die  Schilderung 
des  Palastes  mit  seinen  Gemälden  —  vielleicht  spricht  der 
Dichter  noch  von  dem  vorerwähnten,  es  wird  dies  nicht  ganz 
klar  —  auf  die  Frage  nach  dem  Vaterhause  bezogen  werden, 
denn  fol.  50'  fährt  Petrus  fort: 

lllic  diva  parens,  superum  sapientia  mater 
Uberis  Henrico  munera  digna  dabat, 
worauf  er   dann  als  die  Erzieherinnen  des  Kaisers    die  sieben 
freien  Künste    und   die  Tugenden   in   allegorischer  Weise  ein- 
führt,  um  Heinrich   schhesslich   mit  Alexander   und  Cäsar  zu 
vergleichen.     Mit  den  Worten: 

Dicitur  Henricus;  latet  hac  in  voce  triumphus, 
Quod  latet,  in  partes  littera  ducta  parit 
deutet  er  auf  ein  fol.  52'  stehendes  Akrostichon  auf  Heinrich. 
Das  Folgende  passt  nun  ganz  und  gar  nicht  mehr.  Ein 
Blatt  felJt  ottenbar  vollständig  und  von  fol.  51  ist  nur  ein 
Fetzen  vorhanden.  Das  hier  zum  Theil  noch  erhaltene  Bild, 
welches  einen  Notar  mit  einer  Pergamentrolle  darstellt,  hat 
auf  keinen  Fall  Bezug  zu  dem  vorhergehenden  Text.  Das 
Textfragment  auf  fol.  51'  enthält,  nach  dem  gegenüberstehenden 
Bilde  auf  fol.  52  zu  urtheilen,  eine  Anrede  des  Kanzlers  Konrad 
an  die  'proceres  regni',  während  die  Verse  fol.  52  die  Dedi- 
cation  an  den  Kaiser,  in  der  Heinrich  wieder  mit  Salomo, 
Alexander  und  Cäsar  verglichen  wird,  nebst  dem  erwähnten 
Akrostichon  enthalten,  das  übrigens  bereits  vor  dem  zweiten 
Zuge  Heinrichs  VI.  von  1194  gedichtet  zu  sein  scheint.  Beide 
Blätter  fol.  51  und  52  gehören  der  Hand  des  Verfassers  an. 
Diesen  Dedicationsversen  steht  nun  fol.  53  ein  ganz  unpassendes 
Bild  gegenüber:  der  Kaiser  ist  von  den  virtutes  umgeben;  die 
Inschrift  ist:  'Fortuna  rogat  virtutes  esse  in  consorcio  eorum, 
set  repulsam  passa  est'.  Unzweifelhaft  hat  es  ein  Stück  ge- 
geben, welches  das  Ansuchen  der  Fortuna  und  die  Antwort 
der  Virtutes  in  Versen  zum  Ausdruck  brachte,  denn  auf  der 
Rückseite  des  fol.  53  haben  ^^^r  das  Seitenstück  dazu: 

Inclita  regales  crispans  sapientia  vultus 
Aspera  fortune  talia  vei^ba  dedit, 
dem  entsprechend  man  auf  dem  dazugehörigen  Bilde  liest: 
'Sapientia  convicians  fortune'.  Der  ganze  Zusammenhang  würde 
dunkel  bleiben,  wenn  wir  nicht  annähmen,  es  habe  einen  Ab- 
schnitt gegeben,  in  welchem  dargestellt  wurde,  wie  zu  den 
Künsten  und  Tugenden  sich  auch  Fortuna  an  Heinrich  heran- 
drängt, um  sowohl  von  jenen,  als  von  der  göttlichen  Weisheit 
zurückgewiesen  zu  werden.  Man  sieht  aber  ferner,  wie  die 
allegorische  Apotheose  des  Herrschers  bis  zu  Ende  durchgeführt, 
in  ganz  überraschender  Weise  durch  die  von  der  Hand  des 
Dichters  geschriebenen  Blätter  fol.  51  und  52  unterbrochen  wird. 


Zu  Petrus   de  Ebulo.  391 

Angesichts  der  Thatsache  nun,  dass  sowohl  Dedieations- 
bild,  als  der  dazugehörige  Text  sich  an  verschiedenen  und 
zwar  unpassenden  Stellen  finden,  angesichts  des  gekennzeich- 
neten Zusammenhangs  im  III.  Buch,  der  durch  die  angeführten 
Stücke  zerrissen  wird,  kommt  man  mit  dem  Hinweis,  dass 
das  ganze  III.  Buch  einem  Concept  gleiche,  in  welchem  der 
Dichter  die  gerade  fertigen  Stücke,  wie  sie  der  Zeit  nach 
folgten,  eintrug,  nicht  aus,  wie  auch  das  Akrostichon  erwähnt 
wird,  bevor  es  im  Texte  sich  findet.  Hier  hat  eine  Ver- 
schiebung der  Lagen  stattgefunden,  wie  ich  sofort  darlegen 
werde. 

Das  dritte  Buch  nimmt  die  siebente  und  achte  Lage  ein, 
und  zwar  stellt  der  Bestand  nach  Winkelmanns  Angabe  sich 
folgendermassen  dar: 

Siebente  Lage:  Achte  Lage; 


1.  fol.  51     4.  fol.  54 

2.  fol.  52    3.  fol.  53 


1.  fol.  46  (6.) 

2.  fol.  47     5.  fol.  50 

3.  fol.  48    4.  fol.  49 
UrsprüngKch  war  nun   meines  Erachtens   das  Verhältnis 

ein  anderes:  beide  Lagen  bildeten  nämlich  eine  einzige,  und 
zwar  war  die  letzte  um  die  vorhergehende  so  herumgelegt, 
dass  wir  nachstehende  Keihenfolge  der  Blätter  erhalten: 

1.  fol.  51     10.  fol  54 

2.  fol.  52      9.  fol.  53 

3.  fol.  46     (8.) 

4.  fol.  47       7.  fol.  50 

5.  fol.  48      6.  fol.  49 

Nach  diesem  Schema  stellt  sich  folgende  Ordnung  her: 
An  den  Schluss  des  zweiten  Buches  gelangen  noch  die 
Blätter  51,  52.  Auf  diese  Weise  bringen  wir  die  Widmungsverse 
mit  dem  dazugehörigen  Bilde  (fol.  46)  zusammen  und  entfernen 
zugleich  die  störenden  Stücke  zwischen  fol.  50  und  53,  so  dass 
das  III.  Buch  ein  einheithches  Gepräge  gewinnt.  Dem  ein- 
zelnen Blatte  46  entspricht  das  fehlende  Blatt  8  dieser  Lage. 
Nun  hatten  wu'  schon  oben  constatiert,  dass  zu  dem  Bilde  auf 
fol.  53  der  Text  fehle:  durch  dieses  Zusammentreffen  erhalten 
wir  eine  Bestätigung  für  unsei'e  Anordnimg.  Indem  die  Dedi- 
cationsverse  noch  ins  II.  Buch  gerückt  werden,  wird  die  zuerst 
von  Winkelmann  ausgesprochene  Vermuthung,  dass  das  Gedicht 
des  Petrus  de  Ebulo  anfänglich  nur  die  beiden  ersten  Bücher 
umfasste,  zur  Gewissheit.  Aber  noch  etwas  anderes  ergiebt 
sich  daraus.     Die  Widmung  kann,  wie  aus  dem  Verse: 

Sextus  ab  equivocis  sexto  quod  scriberis  evo 
hervorgeht,   erst  1196  geschrieben  sein:  somit  folgt,  dass  das 
zweite  Buch  vor  diesem  Jahre   nicht  zum  Abschluss  gelangte. 
Wir  haben  schon  oben  nachgewiesen,  dass  Winkelmanns  An- 
setzung  auf  Ostern  1195  als  zu  früh  angenommen  werden  muss. 


392  Ernst  Sackur. 

Sehr  characteristisch  ist  nun  die  auf  fol.  51'  fragmentarisch 
erhaltene  Rede  des  Kanzlers  Konrad  an  die  Grossen  des  Reichs. 
Seine  Erwähnung  geht  jetzt  dem  besprochenen  Dedicationsbilde 
voran;  höchst  "wahrscheinlich  waren  die  verlorenen  Partieen  ge- 
eignet, über  sein  Verhältnis  zu  Petrus  näher  Aufschluss  zu  geben. 
In  dem  erhaltenen  Fragment  ermahnt  der  Kanzler  die  sici- 
lischen  Barone,  dem  Kaiser  die  Treue  zu  halten,  damit  die 
vernarbte  Wunde  nicht  noch  einmal  aufbreche.  Niemand  möge 
wegen  der  erduldeten  Verbannung  den  ^Mitbürgern  lästig  fallen, 
womit  allem  Anschein  nach  auf  die  von  Heinrich  in  Folge  der 
Verschwörung  von  1194  verfügten  Verbannungen  hingewiesen 
wird '.  Man  wird  diese  Rede  ohne  Zweifel  in  Konrads  Amts- 
periode vom  Sommer  1195  bis  zum  Herbst  1196  setzen  müssen. 
Bei  welcher  Gelegenheit  oder  zu  welchem  Zwecke  sie  jedoch 
gehalten  Avurde,  entzieht  sich  unserer  Kenntnis.  Sicher  ist, 
dass  vorher  ein  Blatt  fehlt,  also  zwischen  der  sechsten  und 
siebenten  Lage,  das  noch  der  ersteren  angehört  haben  dürfte. 
Hier  sind  die  Blätter  folgendermassen  vertheilt: 

1.  fol.  40     8.  fol.  45 

2.  fol.  41     7.  fol.  44 

3.  fol.  42  (6.) 

(4.)  5.  fol.  43 

Die  Lage  besteht  also  aus  vier  Bogen;  da  nun  die  vierte 
und  fünfte,  sowie  die  siebente  je  fünf  zählen,  so  wäre  von 
vornherein  auch  bezüglich  der  sechsten  die  Präsinn ption  dafür. 
Aber  selbst  für  den  Fall,  dass  fol.  4G  gleich  auf  fol.  45  folgte, 
wie  in  der  bisherigen  Anordnung,  müsste  ja  nach  fol.  45  ein 
Ausfall  angenommen  werden.  Allerdings  fehlt  an  der  ent- 
sprechenden Stelle,  zwischen  fol.  39  und  fol.  40,  nichts,  aber 
wenn  man  annimmt,  dass,  wie  dies  bei  unserer  Handschrift 
einige  Male  der  Fall,  schon  während  der  Arbeit  ein  Blatt  heraus- 
geschnitten Avurde,  so  ist  der  spätere  Verlust  des  damit  zu- 
sammenhängenden  um    so  leichter  zu  erklären. 

Wir  dürfen  nun  eine  Vermuthung  bezüglich  des  Inhaltes 
des  zwischen  fol.  45  und  51  fehlenden  Blattes  Avagen.  Das 
folgende  Bild,  von  dem  nur  ein  Fragment  vorhanden,  zeigt 
eine  Person  auf  erhöhtem  Sitze,  unter  der  der  'populus'  und 
ein  'notarius'  zu  sehen  ist,  welcher  eine  Pei'gamentrolle  mit  den 
Worten :  *dux.  comes.  princeps'  hält  2.  Vermuthlich  stellte  es 
die  Neuordnung  der  sicilischen  Verhältnisse  auf  dem  Reichstage 
von  Bari  dar,  nach  welchem  Heinrich  das  Königreich  verliess. 
Die  Legation  des  Kanzlers  Konrad  wäre  dann  etwa  das  letzte, 
das  dieses  Buch  erwähnt  haben  dürfte. 

Der  Dichter  schrieb  die  letzten  Blätter  des  H.  Buches  mit 
eigener  Hand.     Hatte  er  das  Frühere  einem  Schreiber  in  die 


1)  Vgl.  Toeche  S.  345,  .352.         2)  Winkelmann  S.  81. 


Zu  Petrus  de  Ebulo.  393 

Feder  dictiert  bis  zu  jenen  jubelnden  Hymnen  auf  die  Geburt 
des  jungen  Friedrich,  so  fühlte  er  sich  vielleicht  nachträglich 
noch  selbst  veranlasst,  die  genannten  Zusätze  zu  machen,  um 
namentlich  auch  seinen  Gönner,  den  Kanzler  Konrad,  nicht 
zu  vergessen.  Inzwischen  war  der  Kaiser  im  Juni  1196  von 
Deutschland  gen  Italien  aufgebrochen.  Mit  Schrecken  sahen 
ihn  die  Sicilianer  sich  dem  Süden  des  Landes  nähern  i.  Da- 
mals in  der  allgemeinen  Angst  war  es  anscheinend,  dass  der 
Poet  die  Musen  abdankte  und  die  göttliche  Weisheit  für  seine 
widerlichen  Dithyramben  zu  Hülfe  rief,  'damit  die  Muse 
ihrem  Kaiser  gefalle' 2.  Hatte  er  dem  III.  Buche  den  Titel  ge- 
geben; 'ad  honorem  et  gloriam  magni  imperatoris',  so  war  es 
ganz  eonsequent,  wenn  er  in  der  prosaischen  Widmung  und 
Subscriptio  bemerkte :  'hunc  librum  ad  honorem  augusti  com- 
posui'3,  was  sich  aber  eben  nur  auf  das  III.  Buch  bezog,  da 
er  die  beiden  ersten  Bücher  schon  mit  der  poetischen  Dedi- 
cation  geschlossen  hatte. 

Ob  Petrus  dem  deutschen  Herrscher  unsern  Codex  wirk- 
lich überreichte,  muss  zweifelhaft  bleiben.  Wohl  aber  können 
wir  begreifen,  wie  jemand  darauf  kommen  konnte,  die  letzte 
Lage  auseinanderzunehmen.  Vielleicht  der  Dichter  selbst, 
vielleicht  ein  Anderer  mochte  es  nun  unpassend  finden ,  dass 
die  Zueignungsverse  sich  nicht  am  Schluss  des  ganzen  Werkes, 
sondern  am  Ende  des  II.  Buches  vorfanden.  Und  wenn  dann 
wieder  Jemand  bemerkte,  dass  die  vor  der  Dedication  stehen- 
den Stücke  nicht  in  den  Rahmen  passten,  warum  sollte  er 
nicht,  an  dem  Wirrwar  verzweifelnd,  seine  Zuflucht  zu  einem 
radicalen  Mittel  genommen  und  ärgerlich,  was  ihn  befremdete, 
zerrissen  haben? 


1)  Toeche  S.  451.  2)  v.   1462:  'Possit  ut  augusto  Musa  placere 

suo'.  3)  Winkelmann  hätte  daraus  also   nicht  den  Titel  für  das  ganze 

Carmen  herleiten  sollen,    wie   Wilh.  Arndt  bereits  in  der  Jen.   Litteratur- 
zeitung  1874,  S.  743  mit  Recht  bemerkte. 


Neues  Archiv  etc.       XV  26 


Verse  auf  Kaiser  Friedrich  I. 

Mitgetheilt  von  L.  Weiland. 

Auf  fol.  1  der  Handschrift  Patres  nr.  59  der  ehemaligen 
königlichen  Handbibliothek  in  Stuttgart  (jetzt  der  Öffentlichen 
Bibliothek  einverleibt),  welche  die  Homilien  Leos  des  Gr.  von 
einer  Hand  des  12.  Jh.  enthält,  hat  ein  Schreiber  dei-selben 
Zeit  folgende  Verse  eingetragen: 

Ortu  Teutonicus  Komanus  rex  Fridericus 

Augusti  nomcn  pacis  possedit  et  omen. 

Pollens  consilio  cessit '  certaniine  nullo ; 

Dissona  compegit,  dum  prelia  plura  peregit. 

Discordes^   stravit,  quia  tempora  pacis  amavit. 

Huius  honore  boni  non  impar  erat  Salomoni. 

Felix  felicem  plantavit  ad  astra  radicem. 

More  rose  vernans,  bene  subdita  regna  gubernans, 

Largus  erat  dando,  depressos  quosque  levando. 

Clerum  dilexit,   raonitis  hunc  optime  rexit. 

O  quam  dementem  monachi  sensere  parentem ! 

Hunc  deus  elegit,  per  cum  miranda  peregit. 

Ut  dicam  breviter,  summum  vite  subit  iter: 

Signum  namque  crucis  tollendo  fit  assecla  lucis. 

Bellator  fortis  adiit  Christi  loca  mortis, 

ßarbaricam  gentem  iam  dudura  cuncta  tenentem 

Exstirpare  volens;  sed  summa  potentia  nolens 

Id  per  eum  fieri  nee  nomen  tale  mereri, 

Hunc  rapit  ut  stultum,  quod  mirandum  puto  multum. 

Milleno  cum  centeno  novies  quoque  deno 

Anno  migravit,  animam  deus  ipse  beavit. 

Etwa  in  der  Mitte  der  Hds.  findet  sich  nachfolgender 
Hymnus  auf  den  hl.  Georg  mit  Neumen: 

Versus   sancto   Georgio. 
Martir  egregie,  deo  dilecte,  ad  te  clamantium  voces  tuo- 
rum  propicius  audi,   sancte  Georgi.      Tu  per  innumera  mortis 
tormenta  triumpho  nobili  promeruisti  martyria  militie  signifer 


1)   cesit  cod.  2)  disscordes  cod. 


Verse   auf  Kaiser  Friedrich  I.  395 

esse.  Vana  iudicasti  gaudia  mundi  et  transitorie  dulcia  vite 
memor  Christi  tui  mente  liquisti.  Unde  pro  meritis  fulges  in 
celis  ut  inter  sydera  sol  atque  luna  certus  premii  pro  quo 
certasti.  Ora  pro  famulis  tibi  devotis  et  coram  iudice  veniam 
posce,  ne  nos  iudieio  dampnet  extremo.  (T)rinitati  decus 
honor  et  virtus  inseparabili  laus  unitati  consors  imperium  omne 
per  evum.     Amen. 


26' 


Lateinische  Gedichte  des  XII.  Jahrhunderts. 

Mitgetheilt  von  J.  Werner. 

Ausser  schon  bekannten  Versen  von  Hildebert  und  Mar- 
bod '  enthält  die  Hs.  C  58/275  auf  der  Wasserkirche  in  Zürich 
eine  Anzahl  ähnlicher,  bisher  wohl  ungedruckter  Gedichte. 
Die  gegen  das  Ende  des  XII.  Jahrhunderts  mit  vielen  Ab- 
kürzungen in  Frankreich  geschriebene  Hs.  umfasst  in  ihrem 
jetzigen  lückenhaften  Zustande  noch  370  Seiten  mit  Doppel- 
coluranen.  Die  ersten  4  Lagen  fehlen  völlig,  so  dass  die  Hs. 
mit  der  V.  Lage  beginnt,  die  wie  die  übrigen  (bis  zur  XXX.) 
auf  dem  untern  Rande  des  ersten  Blattes  mit  der  Zahl  be- 
zeichnet ist.  Aber  auch  im  Folgenden  ist  kaum  eine  Lage 
vollständig.  Von  der  XXX.  Lage  an  erscheint  eine  andere 
Hand,  die  bis  zum  Schlüsse  reicht  und  den  Text  besonders 
gegen  das  Ende  durch  Abkürzungen  zusammendrängt. 

Man  könnte  geneigt  sein,  die  folgenden  Gedichte,  soweit 
dieselben  unter  solchen  von  Hildebert  und  Marbod  stehen, 
diesen  beiden  Dichtern  zuzuschreiben,  umsomehr  als  sie  in 
der  Anlage  und  im  Versbau  mit  jenen  Achnlichkeit  haben. 
Obwohl  unter  diesen  Versen  auch  zwei  Grabschriften  auf  Abä- 
lard  stehen,  deren  eine  von  ihm  selbst  verfasst  sein  soll,  so 
wird  man  doch  nicht  so  weit  gehen  dürfen,  die  Liebesgedichte 
auf  sein  Verhältnis  zu  Ileloise  zu  beziehen  ^. 

Unter  dem  anderweitigen  Inhalt  der  IIs.  ist  zu  nennen: 
Ein  Bruchstück  des  Carmen  de  pondcribus  (Riese,  Anth.  1. 
nr.  486  vv.  69—163),  ein  grösseres  Stück  (vv.  1 — 949)  der 
Periegesis  von  Priscian  mit  dem  Titel:  Incipit  periegesis. 
Prisciani  gratici  (=  grammatici).  translata  de  aliis  libris  or- 
mistarum  (=  orbis  terrarum)  feliciter;  Florilegien  aus  Persius, 
Ovidius  und  Horatius.  Nicht  zu  vergessen  sind  die  von  Graff, 
Wackernagel,  Pfeiffer  und  Hofmann  herausgegebenen  deutschen 
Stücke,  die  von  Wackernagel  herausgegebenen  Vagantenlieder 
(Haupt  Zs.  V).  Daneben  lesen  wir  das  13.  der  von  Mone 
(Anzeiger  VII.  p.  111)  herausgegebenen  Gedichte:  Latebat  in 
scriptura.     Auch  haben  wir  darin  ein  weitläufiges  Glossarium, 


1)  Vgl.  Bd.  XIV,  S.  421.  2)  Vgl.  Hubatscb,  Die  lat.  Vaganten- 

lieder S.   8. 


Lateinische  Gedichte   des  XII.  Jahrhunderts.  397 

zum  Theil  Auszug  aus  Isidor  und  längere  Partieen  aus  dem 
Carmen  de  aequivocis,  ein  kurzes  Carmen  de  figuris,  einige 
Epitaphien,  die  bekannten  Verse  über  den  Nuramus  (vgl.  No- 
vati,  Carmina  medii  aevi  p.  39—41)  und  über  die  Weiber 
(vgl.  Anzeiger  f.  K.  d.  d.  V.  1878,  XX,  Sp.  257)  nebst  werth- 
losen  Dingen. 

Es  folgt  nun  der  Text  der  Gedichte: 

I. 

Audi,  faex  iuvenum,  cuius  sunt  verba  venenum, 

Cuius  opus  caenum,  cuius  cor  stercore  plenum. 

Quis  sis,  ipse  vide:  mala  sie  tua,  non  mea,  ride, 

Vel  potius  plora,  meliorarique  labora. 
5  Tempore  nocturno  vigilas,  dormisque  diurno, 

Laudas  incestos  et  detestaris  honestos, 

Paucis  contentos  contemnis,  amas  opulentos, 

Infortunatos  premis,  extollisque  beatos; 

Tristis  laeta  vides  et  cernens  tristia  rides; 
10  Mens  in  momento  duplici  tua  concita  vento 

Vult  quod  nolebat,  non  vultque,  quod  ante  volebat. 

Pransus  te  iuras  gustasse  nihil,  neque  curas, 

Cum  sis  ipse  satur,  quicumque  fame  moriatur. 

Frangeris  adversis,  et  prosperitate  superbis; 
15  Nuptas  corrumpis,  scortis  data  foedera  rumpis; 

Ut  fera  concumbis,  solitus  non  parcere  lumbis; 

Mavis  stuprari  quam  quae  solet  inde  lucrari; 

Mentiri  mavis  quam  portum  längere  navis, 

Deditus  usuris  es  non  sine  crimine  furis, 
20  Adiunctus  scurris  cum  fenore  parta  ligurris. 

Convivas  ambis,  semesaque  fercula  lambis. 

Vina  prius  potas  et  faeces  postea  totas. 

Inde  comesta  vomis,  ac  vina  recondita  promis. 

Ecce  tuae  sordes:  alios  qua  fronte  remordes? 

II. 

Obiurgatio   amatoris   puerorum.» 
Sordidus  et  foedus  nimis  est,  et  foetet  ut  hoedus, 
Cuius  amas  tactus,  turpis  sibi  culcitra  factus, 
Quem  quotiens  audes  digitis  emungere,  gaudes. 
Et  quasi  munus  habes,  cum  te  maculat  sua  labes. 


I.  fol.  1  u.  col.  II.  1:  fex.  2:  zenum.  9:  Ifta.  12:  prans- 
sus  —  nichil.  15:  federa.  19:  Detitus.  19:  crumine.  20:  liguris 
(per  compend.).         22  :  feces. 

II.  fol,  2  r.  col.  I.  1:  Sorditus  et  fedus.  1:  fetet  ut  hedus. 
3:  quociens. 

1)  Vgl.  Neues  Arch.  XIII,  S.  358. 


398  J.    Werner. 

5  Cum  quo  dum  flumen  petis,  ut  lavet  unda  bitumen, 
Non  undis  mundas  te,  sed  tu  polluis  undas. 
Non  inpune  feres,  quod  sordibus  eius  adhaeres 
Nee  metuas  dorsum,  quia  tendo  minas  aliorsum. 
Sis  lieet  inberbis,  utar  pro  verbere  verbis: 

10  Verbera  cessabunt,  sed  plus  te  verba  gravabunt; 
Fies  infamis  nostris  per  saecula  grammis, 
Dum  nox  atque  dies  durabunt,  fabula  fies. 
Exponam,  quare  te  nullus  debet  amare: 
Pinguior  es  vaeca,  foetes  ut  mota  cloaca, 

15  Estque  tibi  vultus  nimio  pallore  sepultus, 

Vertex  inplumis,  plenum  caput  undique  strumis, 
Obsita  frons  rugis,  in  lumine  laerima  iugis, 
Aures  expansae,  ceu  vasis  fictilis  ansäe, 
Nasus  culpandus,  quoniam  brevis  atque  repandus, 

20  Os  dilatatum,  dens  livens,  putre  palatura, 
Est  in  gingivis  tineis  caro  saucia  vivis, 
Nigrescunt  scabra  rubigine  pallida  labra, 
Barbatura  mentum  vastant  aniraalia  centum, 
De  silva  colli  possunt  pascentia  toUi, 

25  Demissis  humeris  non  vir,  sed  virgo  videris, 
Dortis  confertos  cubitos  geris  atque  lacertos 
Brachia  sive  manus  quales  vel  qualia  nanus, 
In  nodis  spinae  veteris  stant  signa  ruinae. 
Sectus  subtile  nil  constat  habere  virile. 

30  Aequas  ventre  nates,  laterum  turnet  utraque  crates, 
Sic  tua  pinguedo  turget  quadramine  foedo 
Dicere  quäle  femur,  quam  foeda  verenda  veremur. 
In  genibus  grossis  gibbus  protuberat  ossis, 
Cruribus  in  macris  ignis  rubet  inpetus  acris 

35  Erraatus  talis,  pes  osseus  est  bipedalis. 

Turpia  cuncta  foris,  intus  pars  nulla  decoris: 
Nullus  enim  morum  fuit  unquam  deteriorum. 
Ergo  cum  sit  ita,  beilos  attingere  vita, 
lam  propter  bellos  perdes  quandoque  gemellos. 

III. 

Dissuasio   imtempestivi   amoris   sub   assumpta 
p  a  r  a  b  0 1  a. 
Mens  mea  tristatur,  virtus  raea  debilitatur, 
Corpus  tabescit,  flet  vena,  medulla  liquescit. 
Feste  mutatur,  facies  mea  flendo  rigatur. 


7:  adheres.         11:  scta.         14:  fetes,  18:  anse.        26:  confertas. 

27:  llillnanus.  30:  Equas.  31:  fedo.  32:  feda.  33:  J  gnib; 
—  gybbus. 

m.  fol.  41.  r.  col.  IL     Tit.:  pata.  3:  ma. 


Lateinische  Gedichte   des  XII.  Jahrhunderts.  399 

Nec  satis  effundo  lacrimas,  quibiis  intus  abundo, 
5  Cum  via  nuUa  datur,  qua  quo  volo  perveniatur. 

Prorsus  despero  rem,  quam  contingere  quaero : 

Nec  desisto  tamen,   nec  habet  mea  cura  levamen, 

Claudus  agens  leporem  frustra  consumo  laborem, 

Inproba  testudo  cervum  sequor  et  mihi  ludo. 
10  Sed  neque  sie  cesso,  nec  dat  furor  otia  fesso. 

O !  si  quid  nossem,  per  quod  desistere  possem, 

Quam  felix  fierem,  si  quod  volo  nolle  valerem ; 

Nolle  sed  ex  toto,  nequaquam  dupHce  voto. 

Langueo  quippe  volens,  medieinam  cogito  nolens. 
15  Sed  quod  nolo  volo,  rursura  quoque  quod  volo  nolo*. 

In  me  divisus,  de  me  mihi  concito  risus, 

Risus  exosos,  risus  tristes  lacrimosos. 

Numquid  in  hoc  tabo  putrescens  semper  amabo? 

Aut  quis  erit  finis  tantis,   bone  Christe,  ruinis? 
20  Num  semper  prisco  cupiam  me  tradere  visco, 

Et  semel  egressus  rursus  laqueis  dare  gressus? 

Dilexi  multas  parvas  puer  et  vir  adultas; 

Dilexi  multos  parvos  puer  et  vir  adultos. 

Quodquod  dilexi  falso  conamine  flexi. 
25  Aetas  conslmilis^  decor  et  risus  puerilis, 

Aspectus  laetus,  vox  dulcis,   sermo  facetus 

Quas  affectabat  facile  sibi   conciliabat. 

Nunc  dispar  aetas  cogit  viciis  dare  metas: 

Nec  bene,  si  cupiam,  quod  eram,  tunc  denuo  fiam. 
30  Lascivum  pectus  non  debet  habere  senectus 

Et  contemptibilis  solet  esse  libido  senilis. 

IV. 

Omine  felici  te  Musa  salutat  amici, 

Te  mea  musa  canit,  tibi  soli  ludere  gestit. 

Ludere  cum  gestit,  te  mea  Musa  canit. 
Te  cantare  paro,  laudans  te  carmine  raro. 
5       Ludere  si  cupiat,  te,  mea  Musa,  canat: 
Es  nam  digna  coli,  quia  nescis  cedere  soli. 

Ergo  si  sapiat,  te  mea  Musa  canat. 
Non  puto,  mortalis  quod  vivat  femina  talis: 

Hanc  tu  iure  canis,  si,  mea  Musa,  sapis. 
10  Crederis  aut  Phyllis  fore,  vel  Venus,  aut  Amaryllis, 


4:  habundo.  6:  quero.  8:  Claudens.  10:  ocia.  15:  rüsum. 
17:    Rirus  aus  Risus  corr.  19:    bne  xpe  25 — 27:   auch  fol.  4  r. 

col.  II.  als  Schluss  des  Epitaphium  Achillis  (Meyer  1614,  Riese  630). 
30  sq. :  auch  fol.  4  u.  col.  II. 

IV.  fol.  5  r.  col.  I.     10:  phillis  —  amarillis, 

1)  Vgl.  oben  I,  v.   11. 


400 


J.  Werner. 


Ergo  si  quid  amo  ludere,  te  resono. 
Tu  Ledae  vultum,  dignum  quoque  Pallade  cultum 
Induis,  et  si  quid  Leda  natura  reliquit, 
Pulcrius  hoc  totum  geris,  o  dulcissima,  tecum. 
15  Ergo  tuum  vultum  laudans  saepissime,  multum 

Carmine  te  nostro,  dulcis  amica,  cano 


Forma  tibi, 
Cum  Paridis 


quasi  luno  sibi 
dea  iudiciis 


fore  tunc  voluisset, 
nimis  indoluisset. 


te  semper  adornat, 
colit  atque  reformat. 

tua  forma  relucet. 
se  saepe  remiscet. 

trahit,  urit  et  angit, 
sinit  esse  quod  angit. 

quam  mente  requiro 
quam  mente  requiro. 

carmine  scribo, 
corde  recondo. 

quia  cura  latenter 
patiturque  frequen- 
ter. 

Nam  crucior        mihi  quando  sopor     dat  habere  quietem, 
Et  vigilat,  modicamque  negat     mihi  cura  quietem. 

Cor  lacerat,         raentemquegravat,     mihi  pervigil  hostis, 
Saevus  amor       qui  cuncta,  reor,       sibi  subdit  ut  hostis. 


Forma  decens 
20  Quam  miro 

Purpureis 
Cui  niveus 

His  aniraum 
Nee  laetum 

25  Et  pereo 
Et  doleo 

Mente  requiro 
Carmine  laudo, 

Nocte,  die 
30  Corda  raovet 


cultusque  recens 
tua  caro  modo 

ornata  notis 
color,  et  nitidus 

vaga  cura  meum 
cor  cura  meum 

quia  te   careo 
cum  non  video 

te,  cui  miro 
teque  sub  irao 

careo  requie 
mens  unde  dolet 


35  Sic  moritur 
Tunc  animo 

Namque  sibi 
Et  nolens 


cum  sol  oritur, 
stat  cura  meo, 


mens,  utque  dies  fit, 
mihi  nulla  quies  fit. 


mens  maesta  mei      te  plangit  abesse, 
fit  saepe  dolens,        quia  te  seit  abesse. 


Ergo  veni,  nostroque  redi  solamen  amori 

40  Inpositura  gravi  finem  requiemque  labori. 


18  :    iudiis.  20  :  mirä. 

dolet,  aestuat  ardet  et  angit. 


Nach  V.  24  noch:    Cor  patitur,  plangit, 
37:  mesta. 


i 


Lateinische  Gedichte   des  XII.  Jahrhunderts.  401 

V. 

Dulcis  araica  mea,  specio.sior  es  Galathea, 

Gloria,  flos,  speculum,  lux  atque  decus  nmlierum, 
Unica  spes  vitae,  dulcis  amica^  meae, 

Unica  dilecta,  praecellis  araoena  virecta  > ; 
5  Pulcrior  es  flore,  plus  omni  suavis  odore, 

Pulcrior  ac  Chrysis,  plus  omnibus  antea  visis, 

Plus  Helena  pulcra,  plus  quam  Venus  esset  et  ultra, 

Et  plus  quam  Phyllis,  luno,  Venus  aut  Amaryllis  ^ 

Plus  etiam  Dana,  plus  quam  foret  ipsa  Diana. 
10  In  terra  nulla  fuit  unquam  pulcrior  illa, 

Immo  nee  qualis  nee  abhinc  erit  altera  talis. 

Quae  modo  sunt  vel  erunt,  cedunt  tibi,  quaeque  fuerunt. 

Testeque  Fortuna  tu  pulchrior  omnibus  una, 

Lucifer  ut  stellis,  sie  es  praelata  puellis^. 
15  Testor  et  est  verum,  quod  sis  pulcherrima  rerum. 

Euge  decus  mundi,  sexus  regina  secundi, 

Cura  meae  mentis,  tocius  gloria  gentis, 

Femina  regalis,  maiestas  imperialis, 

Nynpha  salutaris  merito  fore  diva  putaris, 
20  Gemma  puellarum,  splendor  generalis  earum, 

In  media  plebe  splendens  velut  aurea  Phebe, 

Nobilior  lauro,  puro  rutilitantior  auro, 

Mollior  es  pluma,  matura  mitior  uva. 

Et,  si  concedis,  teneris  lascivior  (h)edis. 
25  Elegi  solam  totam  sine  labe  decoram. 

Non  habitura  parem,  nisi  fugitura  sodalem, 

Haec,  tibi  succincte  quae  scripsi,  mente  relinque 

Atque  memor  pro  me  semper  sub  corde  repone; 

Gaudia  neque  vafer  nostri  subducat  adulter; 
30  Sisque  memor  dulcis,  mea  bella  puella,  sodalis, 

Hec  tu  ne  vento  tradas,  dilecta,  memento : 

Vive  vale  semper^  te  plus  me  non  colit  alter. 

VI. 

Vivere  non  possum  sine  te,  neque  vivere  tecum, 

Istud  namque  timor  inpedit,  illud  amor. 
O !  utinam  sine  te  vel  tecum  vivere  possem. 


V.  fol.  5  r.  col.  II.  1:  galatea.  4:  amena.  6:  crisis.  Nach 
V.  6  ist  V.  5  wiederholt:  Phis  etiam  flore,  pl.  7:  phillis  —  amarillis. 
Nach  V.  9  sind  wiederholt  v.  7  (aber  'Thais')  für  'Venus'  und  v.  6  :  Plus 

quoque  quam  grisis  pl.         16:  ^  ^  27:  Hae.         31:  dilecta. 

VI.  fol.  6  r.  col.  I. 

1)  Vgl.  Verg.  Aen.  VI,  638.  2)  Vgl.  oben  IV,   10.  3)  Ovid, 

Metam.  IV,  56. 


402  J.   Werner. 

Sed  mallem  tecum  vivere  quam  sine  te. 
5  Instar  solis  ave!  toeius  luminis  atque 
Ut  flos  cum  lauro,  sicut  cristallus  in  auro, 
Sic  luces  forte  mulierum  sola  cohorte. 
Sol  superat  lunam,  mulierum  tuque  figuram. 
Corpore  nunc  absum,  sed  sensu  sedulus  adsum, 
10  Qui  tibi  sit  fidus,  non  hospes,  sed  sit  amicus, 

Utque  patet,  levis  est  aut  tua  nuUa  fides. 
Nara  tibi  si  qua  fides,  amor  aut  mens  ullus  inesset 

Esset  mox  aliquo  cognitus  indicio. 
Die  mihi,  num  poteris  aliquod  mihi  dicere  factum, 
15       Unde  tuus  verus  esse  probetur  amor. 
Si  pignus  verbis  bene  conmendatur  amoris, 

A  te  multa  qui  dem  sunt  data  verba  mihi. 
Sed  certe  solis  stultum  puto  credere  verbis, 

Vera  solet  veris  rebus  inesse  fides. 
20  Saepe  tibi  scripsi,  si  quid  scripsisse  valeret, 

Et  tibi  si  prosit,  scribere  dulce  putem. 
Saepe  tibi  scripsi,  semel  et  tua  scripta  recepi: 

Te  precor,  ut  nobis  non  levis  esse  velis; 
Aut  si  versus  amor  tuus  est  in  taedia  nostri, 
95       Et  breviter  scribas  tu  mihi,  quid  cupias. 
Ulterius  animum  noli  suspendere  nostrum. 
Si  te  vis  ut  amcm,  fateor,  te  semper  amabo, 

Et  quamvis  nolis  cura  perennis  eris. 

VII. 

Ad   fugitivum. 
Omnia  vilescunt,  artusque  dolore  liquescunt, 
Non  opus  exponi,  tolercnt  quae  dura  coloni, 
Sensus  marcescit,  corpus,  vox,  atque  tabescit: 
Ergo  revertaris,  ne  mortem  promerearis. 

5  Mors  a  te  fugiat,  optata  reversio  fiat, 
Quae  mentem  reparet  conversio  sola  placeret; 
Hanc  dominus  donet,  ne  mens  aegrota  laboret. 
Oro.deum,  vivum  quod  te  mihi  reddat  amicum, 
Insanae  menti  tu  consule  iam  pereunti. 

10  NuUus  erit  finis  ubi  pessima  regnat  Erinis, 
Et  vere  finis  non  est,  ubi  regnat  Erinis, 
Scripta  mihi  desunt,  quia  cordi  tristia  praesunt. 
Quid  loquar  absenti,  me,  pro  dolor!  et  fugienti? 
Quid  iuvat  absentes  lacescere  versibus  aures? 

15  Durior  es  lapide  factus,  dum  quaereris  a  me: 
Non  te  saxosum  valeo  superare  remotum. 


16:  conmendantur.  18:  soH'.         24:  tedia. 

VII.  fol.  11  u.  col.  II.     7:  egrota.  13:  doror. 


Lateinische  Gedichte  des  XII.  Jahrhunderts.  403 

Convenias  mecum,  faciam  te  non  fore  tecum; 
Multa  loqui  vellem  tecum,  si  tempus  haberem 
Et  loca,  quae  nostris  congruerent  lacrimis. 
20  Haec  quia  non  dantur,  pro  me  mea  scripta  loquantur, 
Et  sit  pro  viva  kartula  voce  mea. 
Ei  mihi,  quid  merui^  quod  nuUa  licencia  fandi 

Tecum  secretis  est  habitura  locis. 
Si  mihi  privatim  non  vis  concedere,  saltim 
25       Concedas  kartae  dicere  pauca  meae : 

Flava  prius  Rhenum  sua  flumina  rebar  in  Histrum 

Vertere,  quam  soli  te  mihi  nolle  loqui. 
Qua  ratione  tibi  modo  sim  magis  ipse  pudori 
Quam  prius,  omnino  dicere  non  potero. 
30  Venerat  hoc  ex  te^  quicquid  tibi  displicet  in  me: 
Nonne  probasti  mea?   cur  modo  carpis  ea? 
Tunc  ego  gemma  fui,  tunc  flos,  tunc  lilia  campi; 

Tunc  quoque  nulla  fuit  orbe  mei  similis. 
Illud  idem,  quod  eram,  modo  sum,  nisi  virgo;  nee  umquam 
35       Id  fieri  potero:  quod  sine  fine  fleo. 

Hoc  ego  nocte  die  fleo,  quod  non  fata  tulere 

Cum  dulci  vitam  virginitate  meam. 
Fraude  triumphare  nihil  est  nisi  laude  carere 
Pollicitando  mihi  bona  plurima  saepe  dedisti, 
40       Proque  bonis  sumpta  sunt  mihi  multa  mala. 
Saepe  tui  causa  mihi  sunt  data  verbera  plura 
Mollibus  et  membris  vix  pacienda  meis. 
Verbera  quam  membris  nocuit  plus  fama  pudoris, 
Verbera  sunt  levius  quam  mihi  verba  pati. 
«  Quod  dedit  ante  iocum  modo  dat  mihi  fundere  fletum. 

VIII. 

Conpar  nulla  tibi  me  teste  valet  reperiri: 
Lucifer  ut  Stellas  >  superatve  Diana  puellas, 
Sic  tu  consocias  superas  probitate  catervas. 
Praestas  vicinis,  praestant  ut  lilia  spinis 
5  Virtutes  in  te  posuerunt  munia  cunctae: 
Verum  fata  bene  tua  tempora  disposuere; 
Nox  sine  te  longa,  lucetque  dies  odiosa, 
Si  processisses,  stellarum  prima  fuisses. 
Conveniant  medici  terra  quacumque  periti 
10  Et  medicinarum  expandent  iura  suarum. 

Tu  dabis  antidotum,  sanabis  me  quoque  totum. 


28:  ipsae.         31:  prob.  Omnia  facta  mea?         38:  nichil. 
VIII.  fol.   12  r.  col.  I.     3:  consotias.         5:  menia. 

1)  Vgl.  oben  V,  v.  14. 


404  J.  Werner. 

Sed  forsan  dices:  'herbarum  non  mihi  vires 
Sufficiunt,  pla^ae  per  quae  sopiantur  amarae'. 
Non  sunt  quaerendae  silvis  aut  montibus  herbae, 

15  Sed  geris  intra  te  medicamina  congrua;  quare 
Ne  peream,  propera;  pereundi  tu  mihi  causa. 
Nura  tibi  divitias  mea  mors  praestabit  opimas? 
Numquid  morte  mea  caeli  penetrabis  amoena 
Gaudia,  cum  vitae  verae  perdant  homieidae? 

20  Numquid  legisti,  vel  ventis  lecta  dedisti, 
Poenas  inmites  homicidis  esse  perennes? 

IX. 
'Avertat  poenas  deus  et  tibi  donet  amoenas 
Sedes,  sed  mecum :  qnia  volo  vivere  tecum', 
Dicebat  quidam  moribundani  questus  araicam. 
'Aut  moriar  tecum,  vel  debes  vivere  mecum. 
5  Stet  tibi  mens  eadem,  mihi  stare  scias  et  eandem, 
Tempus  prolixum  nee  certo  cardine  fixum. 
Hoc  decernatur,  decretum  perficiatur. 
Laeticiae  flores  facient  cessare  dolores. 
Ex  hoc  verbo  spem,  veram  nondum  teneo  rem. 

10  Sed  qui  spe  gaudet,  ipsam  rem  denique  prendet. 
Sum  laetus  de  spe,  reddar  laetissimus  ex  re. 
Quae  sit  res  illa,   non  est  opus  edere  lingua; 
Dulcior  est  omni,  poterit  quod  dulce  vocari. 
Dulcior  ista  re  si  res  extet,  meditare, 

15  Dulcior  in  terra  res  non  conprenditur  illa, 
Dulcedo  cuius  hnmanos  edoraat  artus: 
Saepius  haec  repetens,  nimium  me  vulnero  demens'. 

X. 
Si  cuiquam  capto  vel  taetro  carcere  clauso 
Proximus  illius  vel  quis  dixisset  amicus: 
Gras  dimitteris,  haec  ultra  non  patieris, 
Annorum  mille  noctem  fore  diceret  ille, 
5  Ac  pro  spe  nimia,  nox  insomnis  foret  illa. 
Si  fuerit  verbis  amor  aut  medicabilis  herbis, 
Omnia  portarem,  quo  tela  cruenta  fugarem. 
Non  est  quo  fugiam  vel  cuius  munere  vivam, 
Corpore  laxatus,  graviter  sum  corde  ligatus. 

10  Non  horresco  iugum  nee  pondus  id  est  mihi  durum. 

XI. 
Omnia  postpono,  te  pectore  diligo  toto, 
Tu  mundanarum  fons  vivus  deliciarum. 


IX.  fol.   12  r.  col.  I.  15:  conprehenditnr. 
X.  fol.   12  r.  col.  IL     7:  t?la. 

XI.  fol.  12  u.  col.  I.  11:  sydera.  —  Nach  17  folgt  der  aus  Mar- 

bod  bekannte  Vers:  Missa  tibi  soli  multis  ostendere  noli. 


Lateinische  Gedichte  des  XII.  Jahrhunderts.  405 

Te  colo,  te  cupio,  peto  te,  lassatus  anhelo, 
Ad  te  suspiro  moribundus^  teque  requiro, 
5  Concite  succurre  ruituro,  dicque :   'resurge, 
Nunc  ego  sanabo  morbum,  maestumque  levabo, 
Tantum  convaleas,  sospes,  laetus  quoque  vivas!' 
Verum  praecellis  nectar  me  iudice  mellis 
Est  potus  nullus  tanto  duleedine  fultus. 

10  Qui  non  vilescat  illi,  quem  semper  inescat 
Omnis  factura  Christi:  sol,  sidera,  luna^ 
Celles  et  montes,  valles,  mare,  flumina,  fontes, 
Tempestas,  pluviae,  nubes,  ventique,  proceliae, 
Cauma,  pruina,  gelu,  glacies,  nix,  fulgura,  rupes, 

15  Prata,  nemus,  frondes,  arbustum,  gramina,  flores 
Exelamando  vale  mecum  praedulce  sonate. 
Non  precor  extremum,  sed  quod  perduret  in  aevum. 

XII. 

Carmina  misisti:  quod  amat  mea  Musa  dedisti; 

Aes,  aurum  squalent,  carmina  sola  valent. 
Carmine  leniti  tenet  Orpheus  antra  Cociti, 

Dantque  locum  Manes  Cerbereique  canes. 
5  Carmine  placavit,  quod  quisque  mali  toleravit; 

Fit,  quod  erat  rabies,  carmine  summa  quies. 
Nulli  .  .  res  nulli  metuere  dolores. 

Nulla  furente  domo  verbera  sensit  homo. 
Inmemores  poenae,  quos  constrinxere  catenae^ 
10       Inmemores  irae  fecit  amore  lyrae. 

Multis  multa  modis,   dum  carmina  copulat  odis 

Orpheus  ante  deos,   carmine  vicit  eos. 
Dum  sua  fila  regit,  mortem  ridere  coegit: 

Miraque  res  fuerat,   quod  sibi  risus  erat. 
15  Arte  lyraeque  sonis  mutatur  et  ira  Plutonis, 

Mutat  iura  dei,  dum  miseretur  ei. 
Quasque  timent  misere  Furias  simulacra  videre, 

Viderunt  Furias  tunc  simulacra  pias. 
Nullam  mente  fera  respexit  iniqua  Megera, 
20       Miranturque  rei,  quod  pavor  absit  ei. 
Ad  Ijricos  cantus  ita  conticuit  Radamantus, 

Quod,  cum  vox  sonuit,  quaestio  nulla  fuit. 
Obstupuit  Cloto  fusoque  coloque  remoto, 

Nee  dat  laeva  coli  vivere  sive  mori. 
25  Interea  rores  nuUos  hausere  sorores: 

Dum  lyra  concrepuit,  poena  remissa  fuit. 
Inmemor  ad  cytharae  modulamina  pestis  amarae 


XII.  fol.   12  u.  col.  I.     7:  do  lo.         9:   penf  —  katenf.  13:  fila 

über  der  Linie  zugesetzt.  17:  timet.  17:  simulachra. 


406  J.  Werner, 

Vultur  dat  Tytio  vivere  dente  pio. 
Ixionisque  rota,  montis  de  vertice  mota, 
30       Carmen  ut  audierat,  volvi  destiterat. 

Tuque,  propinquarura  male  quem  fuga  Fallit  aquarum, 

Tantale,  si  speres,  flumina  nou  peteres. 
Sisiphus  auscultat  modo  nee  sua  saxa  volutat, 

Sed  stupet,  Orphei  quid  lyra  dicat  ei. 
35  Ergo  per  umbriferos  saitus  Rodopeius  heros 

Carminibus  Stigiam  non  pavet  ire  viam. 
Ergo  per  horrentes  populos  umbrasque  sileutes 

Carminibus  vadit  regnaque  mortis  adit. 
Per  loca  concessum  tenuit  duce  carmine  gressum, 
40       In  quibus  est  fletus,  nox,  labor  atque  metus. 
Non  pavet  obscuras  facies  turpesque  figuras, 

Sed  magis  arridet,  cum  fera  monstra  videt: 
Intuitus  mutant  torvos,  blandeque  salutant; 

Dat  rota  Tartarei  signa  favoris  ei. 
45  NuUus  eum  terret,  sed  ei,  ne  devius  erret, 

Significant  pariter,  qua  teneatur  iter. 
Undique  funduntur  et  ad  Orphea  quoque  feruntur: 

Utque  Plutona  deum,  sie  comitantur  eum; 
Nara  dum  concineret,  cava  dum  loca  voce  repleret, 
50       Quemlibet  a  propriis  traxerat  officiis: 

Milia  iunguntur  modulataque  verba  sequuntur, 

Nee  strepitu  vocum  praepediere  iocum; 
Sed,  nostro  more,  psallentis  vatis  ab  ore 

Quisquis  ibi  stabat,  murmura  nulla  dabat; 
55  Nee  lovis  ante  thorura  tantus  magis  ordo  deorum 

Suscipit  aetherei  seria  verba  dei. 
Sic  infernorum  tenet  Orpheus  ora  deorum, 

Sic  rabiem  demit,  sie  fera  corda  premit: 
Eurydicen  tutus  per  inania  regna  secutus, 
60       Terra  quibus  finit,  stagna  Karonis  init. 
Carminibus  sociis  transuavit  stagna  Karonis 

Imperioque  dei  redditur  uxorei. 

XIII. 

Versus   de   duobus   languentibus. 

Roma  duos  habuit;  res  est,  non  fabula  vana, 
Auetores  perhibent  et  pagina  Quintiliana. 
Fugerat  non  geminos  labor  unus  percutiendi, 
Sic  fuerant  similes  forma  specieque  videndi. 


29:  Yxionisque.  48:  conmitantur.  49:  uoce  loca.  55:  anto. 
69 :    Euriden. 

Xni.  fol.  15  r.  col.  II.  Eine  Hs.  dieses  Gedichtes  weist  Pertz,  Archiv 
VIII,  p.  410  nach.         Tit.:   languntib; 


Lateinische  Gedichte   des  XII.  Jahrhunderts.  407 

5  Et  sie  miscuerat  color  unus  utrumque  decorum, 
Quod  vox  sola  foret  discretio  sola  duorum. 
Quos  ita  naturae  manus  ingeniosa  potentis 
Finxerat  ex  anima  vel  corporeis  elementis, 
Ut  meminisse  queat  nihil  in  rerum  genitura, 

10  Cui  sit  tantus  nonos,  vel  tarn  speciosa  figura. 
Hos  tarnen  exeoluit  elementis  sie  moderatis, 
Ut  nihil  esset  eis  de  labe  superfluitatis. 
Turpis  ad  hos  puer  ante  lovem  qui  pocula  ponit, 
Turpis  eris  Memnon,  et  tu  quoque  turpis  Adonis. 

15  Feliciterque  diu  vixisset  uterque  iuventa, 
Ni  foret  ante  diem  sibi  lux  vitalis  adempta. 
Sed  rota  fortunae^  numquam  rarove  fidelis, 
Non  sinit,  ut  vivat  homo  longo  tempore  felix. 
Cum  velit  humanae  pacem  turbare  quietis, 

20  Invehit  infirmis  mala  corporis,  invida  laetis. 
Sic  igitur  sicut  similes  parilesque  fuere, 
Sic  paribus  fatis  incepit  utrumque  movere 
Una  mali  species,  eadem  natura  doloris, 
Unus  quippe  modus  et  eisdem  scilicet  horis. 

25  Qui  nunc  ergo  genas  et  nunc  ornaverat  ora, 
Et  color  et  sanguis  secessit  ad  interiora. 
Quinque  iacent  sensus  in  corpore  mortificati, 
Cernere  vix  possunt  oculi  languore  gravati. 
Non  valet  escarum  guttur  sentire  sapores, 

30  Non  sentit  tractanda  manus,  neque  naris  odores. 
Surdae  sunt  aures  et  deficit  usus  earum ; 
Sic  ablita  iacet  rerum  natura  suarum. 
At  pater,  inde  dolens,  inplorat  opem  medicorum; 
Et  venere  duo:  Graecus  fuit  alter  eorum. 

35  Ergo  per  urinas  et  venis  saepe  notatis 

Quaerunt,  unde  fluant  tantae  mala  debilitatis. 
Sed  nee  in  urinis  vel  pulsibus  inspicientes 
Morborum  causas  potuerunt  scire  latentes. 
Falluntur  medici,  perit  et  sollertia  Graeca: 

40  Saevit  adhuc  morbusque  latens  et  passio  caeca. 

'Quis  modus  his  morbis?  quis  finis  ad  hos  cruciatus?' 
Sic  pater  ad  medicos;  respondet  uterque  rogatus: 
'Cum  simili  morbo  videamus  utrumque  gravari, 
Causa  latet  morbi,  neuterque  potest  relevari, 

45  Ni  prius  alterius  in  visceribus  videamus, 

Quis  sit  et  unde  fluat  dolor,  unde  modo  dubitamus'. 
Tunc  pater  haec  fieri  cernens  opus  atque  necesse, 


9.   12:  nichil.  14:  mnon.  20:  letis.  23:  Vna  mala  mali. 

25:  'ergo'  compendio  Script,  supr.  lin.  add.        28:  längere.         33:  iplorat. 
34:  uene.  35:  sepe.  36:  Qverü.  39:  gca.  40:  Sevit  ceca. 

44:   neutq;  pse. 


408  J.  Werner. 

Maluit  unius  quam  nullius  pater  esse. 

Ergo  de  quo  medici  quemcumque  magis  voluerunt 

50  Membra  secant,  sedemque  mali  per  viscera  quaerunt. 
Inveniunt  causamque  mali  morburaque  latentem 
Sic  alium  curant  simili  languore  iacentem. 
At  raater  gavisa  parum  de  sospite  nato 
Semper  in  alterius  nati  dolet  anxia  fato, 

55  Et  plangens  alium  velut  a  genitore  necatum, 
Iuris  in  causam  patrem  trahit  ante  senatum. 
Femina,  sicut  erat  magis  ad  lites  animata, 
Sic  prior  inquit:  *Eram  geminorum  prole  beata; 
Nunc  peto,  quod  minus  est  mihi  de  numero  geminorum, 

60  Quem  pater  extinxit  et  iniqua  manus  medicorum. 
Ferro,   non  morbo  periit  puer  ille  peremptus, 
Cum  sua  fortassis  curaret  utrumque  iuventus. 
Aeger  erat,  dicunt;  tamen  ex  hoc  non  morietur, 
Cum  suus  ex  ipso  frater  morbo  relevetur. 

65  Responsurus  ad  haec  surgit  pater  atque  profatur, 
Seque  parat  verbis  legaliter  ut  tueatur, 
Femineae  sortis  satis  ostendens  levitatem. 
Dum  modo  damua  videns  uec  tendit  ad  utilitatem. 
*Ni  videant  medici  prius  unius  interiora, 

70  Curarent  neutrum,  sed  utrumque  trahat  gravis  hora. 
Arguor,  unde  magis  posset  laus  nostra  venire: 
Nam  minus  est  unum  quam  duos  velle  perire. 
Si  duo  contingant  aliquando  pericula  dura, 
Ex  Ulis  facimus  minus  et  levius  nocitura.' 

75  Res  nimc  facta  fuit  et  disceptatio  talis, 
Difinivit  eam  sententia  iudicialis. 

XIV. 

Contra  Romanorum   avariciam. 

Vae  tibi,  Roma  vorax!  absorbens  cuncta  Charybdis, 

NuUaque,  cum  numquam  sis  saturanda,  vomens! 
Quod  Caput  ecclesiae  te  constituere  priores, 
Provida  cura  minus,  sed  pia  forte  fuit. 
5  Idolatras  Paulus  cunctos  profitetur  avaros: 
Non  es  avara  quidem  tu,   sed  avaritia. 
Venalem  sapiens  animam  testatur  avari, 
Atque  scelestius  hoc  asserit  esse  nihil. 
Vendere  nulla  timet,  qui  vendere  sustinet  illam, 
10       Qua  nihil  in  cunctis  carius  esse  docet. 
Hoc  a  principio  morbo  semperque  laboras. 


49:  medicis.  50:  querüt.  52:    curat  —  langore.  63:  Eger. 

70:  uterque.         72:  minoris. 

XIV.  fol.  3  r.  col.  I.       1:  caribdis.  5:   Ydolatras.  8:   nichil. 

11 :  i)cipio. 


Lateinische  Gedichte  des  XII.  Jahrhunderts.  409 

Tales  rectores  sunt  populusque  tuus. 
Strata  frequens  est  hospitibus  Romana  dolosis, 
ßoma  dolis  plena  est,  experiendo  scio. 
15  Si  tibi  quid  remanet,  quod  non  rapuere  dolosi, 
Subripiet  dolus  hoc:  experiendo  scio. 
Illic  invenies  oracula  Delpnica  semper, 
Ambiguosque  deos,  experiendo  scio. 
Quisquis  habet  causam:  det  munera,  scripta  requirat, 
20       Ad  firmamentum  suscipit  arabigua. 

Ut  facile  infirmet  quicquid  firmaverat  ante 

Scriptor,  ab  adversa  munera  parte  ferens. 
-Proh  dolor  atque  pudor !  pudor  omnis  religionis ! 
Omnibus  in  tanto  Roma  fit  obprobrio. 
25  Ut  clament  cuncti:  Romae  venalia  cuncta, 
Pervertique  illic  omnia  muneribus. 
Dicat  idolatram  cum  Babilon  tibi  Paulus  avarum 

Non  es  avarä  quidem  tu,  sed  avaricia. 

Et  sapiens  perhibet  nil  esse  scelestius  illo, 

30       Venalem  qui  habet  seque  animamque  suam. 

XV. 
Mos  est  Romanis  in  causis  cottidianis, 
Si  sonat  ante  fores  bona  vita,  scientia,  mores, 
Non  exauditur;  si  nummus,  mox  aperitur. 
Audito  nummo,  quasi  viso  principe  summo, 
5  Dissiliunt  valvae,  nihil  auditui'  nisi:  'salve!' 
Accurrunt  turbae,  tota  fit  plausus  in  urbe, 
Papa  simul  plaudit,  quia  nemo  libencius  audit. 
Nummus  procedit,  loquitur,  pater  audit,  oboedit, 
Omnia  concedit,  sine  testibus  omnia  credit, 

10  Quicquid  vult,  praestat,  tamen  haec  distinctio  restat, 
Ut  bene  pensetur,  nummatus  in  igne  probetur, 
Ignibus  exustus  colitur  pro  martyre  iustus; 
Sique  rogarentur,  Pauli  prius  ossa  darentur. 
Gratior  est  Petro,  redit  omnis  gratia  retro 

15  Ne  petat  abscessum,  pater  hunc  vocat  ilico  fessum. 
Atque  manu  captat,  captum  vicinius  aptat, 
Parte  locat  dextra;  sed  pauper  ti'uditur  extra. 
'Accipe!'  'sume!'  *cape!'  ti-ia  sunt  gratissima  papae. 
'Nil  do',  *nil  praesto',  nequeunt  succurrere  maestoi. 


16:  h—         17:  delfica.  25:  rome.         27:  ydolatram. 

XV.  foL  3  r.  col.  II.       5:    nichil.  8:    obedit.  10:    distincio. 

12:  martire.  16:  captatü. 

1)  Verse  18  und   19  auch  in  Carm.  bur.  XXIa,  v.  4.  5 ,   nnd  18  bei 
Zingerle,  Sitzungsber.  d.  Wien.  Akad.  1866,  Bd.  54,  S.  315. 


Neues  Archiv  etc.     XV.  27 


Eine  ungedruckte  Urkunde  Konrads  IV. 

Mitgetheilt  von  Ernsl   Pricdlaender. 

In  einer  vor  einigen  Jaliren  als  Depositum  in  das  König- 
liche Geheime  Staats -Archiv  gelangten  Siegelsamnilung  be- 
iinden  sich  eine  Anzahl  Originalurkunden,  darunter  atich 
mehrere  königliche  und  päpstliche,  die  allerdings  grösstentheils 
bereits  gedruckt  sind.  Zu  den  Königsurkunden  gehören  u.  a. 
die  beiden  Diplome  Adolfs  vom  7.  März  und  14.  April  1296 
für  die  Klöster  Schillen  und  Buch,  Avelche  jetzt  nach  Dresdener 
Originalen  —  Avr.hrscheinlich  doch  zweiten  Ausfertigungen  — 
bei  Böhmer -Ficker,  Acta  imp.  sei.  S.  385  und  bei  Winkel- 
mann, Acta  imp.  ined.  II,  168  herausgegeben  sind.  Unediert 
scheint  dagegen  noch  der  folgende  Brief  (epistola  clausa)  Kon- 
rads IV.  zu  sein,  av elcher  zwar  verstümmelt  ist,  doch  zum 
grösseren  Theile  noch  entziflert  werden  konnte.  Er  steht  im 
Zusammenhang  mit  dem  Briefe  vom  April  1243  bei  Herquet, 
Urkundenbuch  der  Reichsstadt  Mühlhausen,  S.  29,  Nr.  98. 

König  Konrad  empfiehlt  die  Brüder  des  Deutschen  Ordens  in 
der  Neustadt  bei  Mühlhausen  der  Stadtgemeinde. 

Museums  -  Urkunden  Nr.  3.     Orig.   Perg. 

Augsburg,  März  [1244]. 

Conradus  divi  augusti  imperatoris  Fr.  filius  Dei  gracia 
ßomanorum  in  regem  electus  semper  augustus  et  heres  regni 
lerusalem  [scultetoj  et  universis  civibus  de  Mulhusen  fidelibus 
suis  graciam  suam  et  omne  bonum.  Katam  et  inconvulsam  ab 
Omnibus  imperii  fidelibus  servari  volentes  graciam,  quam  do- 
minus et  pater  noster  Romanorum  Imperator  simul  et  nos 
fecimus  [de]  ecclesia  nove  civitatis  |apud]  Mulhusen  [erga] 
fratres  domus  Theutonieorura  dilectos  fideles  nostros,  prout  in 

paterno  ac  nostro  privilegio plenius  continetur,    man- 

damus   et   districte   devotioni  vestre   precipimus   per    graciam 

domini  et  patris   nostri quatinus    prefatis   fratribus, 

circa  quos  tam  ipse  dominus  et  pater  noster  quam  nos  spe- 
cialem bcnivolenciam  gerimus  et  affectum,  quod  in  ea  parte 
factum  esse  dinoscitiu',  studeatis  firmiter  observare.  Alias  ha- 
bentes  eosdem  fratres  prout  apud  vos  requisierunt  ex  parte 
nostra  ob  honorem  paterni  nominis  atque  nosti'i  in  suis  negociis 
propensius  commendatos.  Datum  apud  Augustam ,  mense 
Marcii,  11^  indictione. 

Fragmeute  des  rückwärts  aufgedrückten  Siegels  sind  eriialten. 


Zur  Chronologie  der  Briefe  Gregors  I. 

Von  L.  M.  Hartmann. 

J.  Weise  hat  in  seiner  Schrift:  'Italien  und  die  Lango- 
hardenherrscher  von  568  bis  628'  (Halle  1887) »  Untersuchungen 
über  eine  Anzahl  von  Briefen  Gregors  I.  angestellt,  hinsichtlich 
deren  chronologischer  Ansetzung  er  mehrfach  zu  Ergebnissen 
gelangt  ist,  welche  von  denjenigen  P.  Ewalds  abweichen.  Als 
Fortsetzer  der  von  Ewald  begonnenen  Ausgabe  des  Registi-um 
Gregorii  I.  liegt  es  mir  ob,  mich  mit  diesen  Untersuchungen 
und  Ergebnissen  kurz  auseinanderzusetzen,  ohne  dass  ich  dabei 
die  Absicht  verfolgte,  Weises  ganzes  Buch  einer  Besprechung 
und  Beurtheilung  zu  unterziehen. 

Ewald  ging  von  der  handschriftlichen  Ueberlieferung  der 
Briefe  aus  und  stellte  zunächst  fest,  dass  drei  von  einander 
unabhängige  Sammlungen  existieren,  von  denen  je  zwei  theil- 
weise  dieselben  Briefe  enthalten,  während  andere  jeder  von 
ihnen  eigenthümlich  sind.  Die  Reihenfolge  der  übereinstim- 
menden Briefe  ist  in  jeder  der  Sammlungen  im  Wesentlichen 
die  gleiche,  so  dass  es  keinem  Zweifel  unterliegen  kann,  dass 
die  drei  Sammlungen  auf  eine  gemeinsame  Quelle  zurückgehen, 
die,  wie  aus  handschriftlichen  und  sonstigen  Beweisen  hervor- 
geht, das  päpsthche  Register  sein  muss.  Ewald  konnte  daher, 
indem  er  die  übereinstimmenden  Briefe  als  feste  Punkte  ansah 
und  zwischen  diese  die  drei  Reihen  der  jeder  der  drei  Samm- 
lungen eigenthümlichen,  in  jeder  zwischenliegenden,  Briefe  ein- 
schob, die  Ordnung  des  Registers  bis  zu  einem  gewissen  Grade 
reconstruieren.  Zur  genaueren  zeitlichen  Fixierung  dienten 
dann  die  nicht  wenigen  handschriftlich  überlieferten  Tages-  und 
Monatsdaten,  deren  Bedeutung  Ewald  zuerst  untersuchte  und 
feststellte. 

Eine  solche  —  ich  möchte  sagen  mechanische  —  Unter- 
suchung schliesst  natürlich  Irrthümer  im  Einzelnen  nicht  aus. 
Die  Möglichkeit,  dass  hier  oder  da  der  Zufall  sein  Spiel  ge- 
trieben, dass  der  Abschreiber  ein  Versehen  begangen  hat,  muss 
immer  im  Auge   behalten  werden.     Eine  fernere  Fehlerquelle 

1)  Vgl.  im  allgemeinen  über  dieselbe  die  Recension  Holder -Eggers, 
D.  Litt.-Z.   1888,  S.  520  ff. 

27* 


412  L,  M.  Hartmann. 

könnte  aber  bei  einer  Registerbenutzung  auch  entstehen,  wenn 
man  das  Eintragedatum  und  das  Datum  der  Ausstellung  gleich- 
setzen wollte.  Eine  Ausgabe,  die  sich  die  Aufgabe  stellt,  das 
Register  Gregors,  soweit  es  die  Ueberlieferung  zulässt,  wieder- 
herzustellen, muss  sich  viel  genauer  an  die  Ewaldschen  Unter- 
suchungen halten,  als  eine  historische  Darstellung,  die  mög- 
licher Weise  in  einem  oder  dem  anderen  Falle  nachweisen 
kann,  dass  die  Ordnung  der  Eintragung  von  der  der  Aus- 
stellung abweicht.  Wie  weit  diese  Abweichungen  gehen  können, 
dafür  haben  wir  für  das  gregorianische  Register  nur  wenige 
Anhaltspunkte  %  und  es  wäre  gewiss  verkehrt,  wollte  man  auf 
dieses  ohne  Weiteres  anwenden,  was  für  die  Register  der 
späteren  Zeit  gilt.  Ein  Unterscliied  der  Daten  von  mehr  als 
einigen  Wochen,  eine  Vermengimg  von  Briefen  aus  mehreren 
Monaten  wird  sicherlich  nicht  regelmässig,  sondern  nur  die 
Ausnahme  gewesen  sein,  und  die  ßeweislast  wird  zu  tragen 
haben,  wer  die  Eini'ede  gegen  den  allgemeinen  Grundsatz  der 
Anordnung  geltend  macht. 

Ganz  verschieden  von  Ewalds  Verfahren  ist  das  Verfahren 
Weises.  In  dem  sicherlich  richtigen  Bestreben,  die  einzelnen 
überlieferten  Thatsaehen  ursächlich  zu  verketten  imd  die  fehlenden 
Verbindungsglieder  aufzuhnden,  geht  Weise  so  weit,  dass  ihm 
die  Erklärung,  die  er  aufstellt,  als  nothwcndig  erscheint,  die 
Möglichkeit  zur  Gewissheit  wird,  ohne  dass  er  alle  übrigen 
IMöglichkeiten,  die  vorliegen,  bedenkt.  Ich  will  es  dahingestellt 
sein  lassen,  ob  es  geschmackvoll  ist,  zu  sagen,  dass  Rosimunde, 
als  sie  sich  dem  Perideus  hingab,  ihn  'nur  durch  ausserordent- 
liche Selbstverleugnung'  gewann  (S.  24)  —  aber  es  scheint 
mir  durchaus  verkehrt,  wenn  Weise  behauptet,  Romanus  habe 
Perusia  genommen,  bevor  er  in  Rom  eintraf,  während  die 
Quellen  die  entgegengesetzte  Reihenfolge  bezeugen,  auf  Grund 
dessen,  dass  dies  jeder  behaupten  müsse,  'der  Romanus  als 
tüchtigen  Feldherrn  anerkennt'  (S.  173).  Wir  können  aus 
Wallensteins  Fähigkeiten  und  Charakter  auf  die  Wahrschein- 
lichkeit einer  oder  der  anderen  geheimen  Unternehmung  schliessen 
und  vermuthen,  warum  er  diese  oder  jene  TruppenbcAvegung 
ausführen  Hess,  —  aber  auf  Grund  des  vermutheten  Feldherrn- 
genies des  Romanus,  eines  Mannes,  von  dem  wir  nicht  mehr 
wissen,  als  Avas  sich  auf  einer  Seite  zusammenstellen  lässt, 
und  auf  Grund   von   militärischen  Verhältnissen,    die   Avir   nur 


1)  S.  Ewald,  N.  A.  III,  595:  zwei  wahrscheinliche  Abweichungen, 
da  zwei  Briefe,  deren  Tag^csdaten  uns  als  17.  und  22.  Juni  überliefert 
sind,  zum  Monate  Juli  eingetragen  sind.  —  Dagegen  spricht  die  nach- 
trägliche Eintragung  einiger  Briefe  mit  ihrem  wirklicheu  älteren  Datum 
und  auch  ein  ausdrücklicher  Vermerk  des  Registrators,  der  einen  Brief 
später  einschiebt,  für  das  Streben  nach  Ordnung. 


Zur  Chronologie  der  Briefe  Gregors  I.  413 

in  äusserst  lückenhafter  Weise  kennen,  die  einzige  Quellen- 
nachricht abzuändern,  die  wir  über  eine  Thatsache  besitzen, 
das  ist  doch  etwas  zu  gewagt. 

Aehnlicher  Art  sind  manche  Gründe,  die  W.  gegen 
Ewaldsche  Datierungen  vorbringt.  Ein  Brief  an  den  Exarchen 
von  Afrika  (J. -E.  1785)  darf  nicht,  wie  Ewald  gemäss  den 
Handschriften  annimmt,  im  Juli  geschrieben  sein,  weil  Gregor 
sonst  'auch  die  damals  in  Afrika  wüthende  Pest  hätte  erwähnen 
müssen'  (S.  221).  Von  den  Briefen  J.-E.  ^J06-7  sagt  W.: 
^Nimmer  konnte  er  (Gregor)  damit  bis  in  den  Juli  warten, 
wie  die  Herausgeber  der  Briefe  durchM'eg  wollen.  Es  handelte 
sich  doch  dabei  um  die  Beantwortung  bezw.  Erfüllung  kaiser- 
licher Sendungen  bezw.  Wünsche  vom  April.'  (S.  238.)  Es 
ist  nicht  nothwendig,  zu  erwähnen,  dass  es  eine  Unzahl  von 
Ursachen,  z.  B.  Reisevorbereitungen  desUeberbringers,  des  neuen 
Nuntius,  giebt,  die  möglicher  Weise  eine  Verzögerung  herbei- 
führen konnten.  —  Noch  schlimmer  erscheint  mir  die  Argu- 
meutierung,  durch  die  W.  die  Ewaldsche  Ordnung  (Ew.  S.  528) 
der  drei  auf  den  Abschluss  des  Waffenstillstandes  vom  Herbste 
598  bezüglichen  Briefe  anficht  und  die  Ordnung  der  Mauriner, 
die  sich  auf  keinen  handschriftlichen  Nachweis  stützen  kann^ 
aufrecht  zu  erhalten  sucht.  Der  Grvmd  für  W.'s  Ansicht  ist, 
'dass  sich  der  Papst  mehr  und  eher  dem  Königspaare  zu  Dank 
verpflichtet  fühlte,  als  dem  Curator ,  und  dass  er  deshalb  auch 
ohne  Zweifel  zuerst  an  jenes  und  dann  erst  an  diesen  ge- 
schrieben habe!'  (S.  211.)  Gleichwohl  kann  man  gerade  hier 
auch  aus  dem  Inhalte  der  Briefe  nachweisen,  dass  die  Ewaldsche 
Anordnung  die  richtige  ist.  Zur  Zeit  der  Abfassung  von 
J.-E.  1568  nämlich  ist  der  Vertrag  zwischen  dem  Exarchen 
und  dem  Langobardenkönige  zwar  schon  abgeschlossen;  der 
König  hatte  aber  auch  Gesandte  nach  Rom  und  Benevent  ge- 
schickt, die  den  Papst  zum  Beschwören  des  Vertrages  und  den 
Herzog  von  Benevent  zum  Anschlüsse  bewegen  sollten.  Gregor 
schreibt  den  Brief  u.  a.  deshalb  nach  Ravenna,  damit  der 
König  von  dort  aus  bestimmt  werde^  von  dem  Verlangen,  dass 
der  Papst  persönlich  schwören  solle,  abzustehen.  In  J.-E.  1591, 
an  Agilulf,  dagegen  heisst  es  schon:  'ducibus  vestris  per  diversa 
loca  et  maxime  in  his  partibus  (d.  h.  Spoleto  und  Bene- 
vent) constitutis  vestris  praecipiatis  epistolis,  ut  hanc  pacem, 
sicut  promissum  est,  sumraopere  custodiant'.  Also  hat 
sich  der  Herzog  von  Benevent  schon  angeschlossen,  und  die 
Ueberbringer  der  Briefe  an  den  König  und  die  Königin  sind 
offenbar  dieselben,  die  einige  Wochen  vorher  von  Rom  nach 
Benevent  gereist  waren,  um  dann  wegen  der  endgültigen  Ver- 
handlungen mit  Gregor  wieder  nach  Rom  zurückzukehren  (daher 
'antequam  homines  ipsi  ab  Arogis  revertantur'  J.-E.  1568). 
Weises  Auffassung   der  besprochenen  Briefe   zwingt  ihn  auch 


414  L.  M.  Hartmann, 

J. -E.  1650  fF.,  Briefe,  die  eine  Waffenruhe  zwischen  Arogis 
von  Benevent  und  den  Kaiserlichen  bezeugen,  um  3  Jahre  zu 
verschieben  (S.  232).  Alles,  -weil  Gregor  zuerst  an  den  König 
und  dann  erst  an  den  Curator  schreiben  musste! 

Man  hat  wohl  das  Recht,  sich  zu  wundern,  wenn  Ewalds 
schlagenden  Argumentationen  Einwände  von  der  Art,  wie  die 
beispielsweise  angeführten,  entgegengestellt  werden.  Das  Er- 
staunen wächst,  wenn  man  bei  Weise  liest,  dass  E"vvald  seine 
nach  den  Handschriften  vorgenommene  Einordnung  von  J. -E. 
1576-9  'ohne  Grund'  (S.  217),  die  von  J.-E.  1821  'willkür- 
lich' (S.  230),  die  von  J.-E.  1677.  1679  'ohne  stichhaltigen 
Grund'  (S.  193)  vorgenommen  habe.  Auf  S.  218  Anm.  35 
sagt  Weise:  'weshalb  Ewald  dieses  Schreiben  (J.-E.  1642) 
nicht  vom  Herbst,  sondern  vom  Frühling  599  datierte,  bleibt 
dunkel',  obwohl  Ewald  seine  Gründe  dafür  auf  S.  523  ff.  und 
529  seiner  Abhandlung  darlegt.  Eben  so  wenig  Aveiss  Weise 
(S.  218  Anm.  32j,  warum  Ewald  den  Brief  J.-E.  1668  anders 
eingeordnet  hat,  als  die  Mauriner,  obwohl  er  sich  in  der  Ab- 
handlung Ewalds  dai'über  hätte  belehren  können.  Schon  diese 
auch  nur  beispielsweise  angeführten  Thatsachen,  vollends  aber 
seine  schneidigen  Ausführungen  gegen  Ewald  auf  S.  209 — 211, 
die  sonst  beinahe  unverständlich  wären,  beweisen,  dass  Weise 
die  Beweisführung  Ewalds  nicht  derjenigen  eindringenden  Be- 
achtung gewürdigt  hat,  die  sie  wohl  von  einem  Gegner  ver- 
dient hätte.  Wenn  Weise  (S.  210)  'speciell'  auf  Cap.  VI.  der 
Ewaldschen  Abhandlung  verweist,  so  hat  er  überseiien,  dass 
das  Capitel  eigentlich  nur  die  Resultate  der  Abhandlung  ent- 
hält und  ohne  die  vorausgehende  Argumentation  (Cap.  I — V, 
namentlich  Cap.  V.)  nahezu  unverständlich  bleiben  muss. 
Hätte  er  diese  ersten  Capitel  genauerer  Untersuchung  gewür- 
digt, so  zAveifle  ich  nicht,  dass  er  nicht  von  Ewald  in  jedem 
einzelnen  Falle,  in  dem  die  j\Iauriner  die  Ordnung  der  alten 
Handschriften  umstiessen,  noch  einen  Gegenbeweis  verlangt 
hätte.  Er  hätte  auch  nicht  die  Coditication  des  15.  Jahrhunderts 
und  die  Versuche  der  Benedictiner  als  Autoritäten  angerufen, 
sondern  versucht,  seine  historische  Darstellung  mit  der  von 
Ewald  hergestellten  Quelle  in  Einklang  zu  bringen. 

Die  angeführten  Stellen  sind  natürlich  nicht  die  einzigen, 
in  denen  Weises  aprioristische  Vermuthimgen  und  die  Ver- 
nachlässigung von  Ewalds  begründeter  Neuordnung  Unheil  an- 
zurichten drohen.  So  verschiebt  er  die  Ordnung  der  Briefe 
J.-E.  1408.  1411  — 14  auf  Grund  der  Betrachtung,  dass  es 
nicht  wahrscheinlich  ist,  dass  der  Papst  seinem  Nuntius  in 
Ravenna,  bald  nachdem  er  abgereist  ist,  eine  Instruction  nach- 
sendet; auf  Grund  der  Vermuthung,  dass  mit  den  Worten 
'partes  istae  —  in  gravi  periculo  sunt  positae'  das  Unglück 
'erst   in  Aussicht  genommen'  wird,   das   in  J.-E.  1413  schon 


Zur  Chronologie  der  Briefe  Gregors  I.  415 

geschehen  ist,  nämlich  die  Gefangennehmung  vieler  Bewohner 
Canipaniens ;  und  auf  Grund  dessen,  dass  er  Ewalds  Nachweis 
(S.  561  ff.)  vernachlässigte ,  dass  das  Datum ,  das  in  den  Hs. 
auf  J.-E.  1412  folgt,  nicht  zu  diesem  Briefe  gehört,  sondern 
Ueberschrift  für  die  folgenden  Briefe  ist. 

Auch  wenn  man  den  Satz  liest  (S.  212):  ^So  lange  er 
(Ewald)  nicht  irgend  einen  Beweis  dafür  bringt,  dass  ep. 
42  und  43  aus  ihrer  bisherigen  Umgebung  zu  nehmen 
und  in  den  Anhang  ihrer  2.  Indiction,  Oct.  bezw.  Nov.^  598, 
zu  setzen  sind,  soll  er  sie  an  der  alten  Stelle  belassen',  ist 
es  nicht  möglich,  Weises  Ansicht  auf  andere  Ursachen  zurück- 
zuführen. Denn  Ewald  hat  seine  Gründe  für  die  Datierung 
auf  S.  528  seiner  Abhandlung  dargelegt,  während  für  die  bis- 
herige Anordnung  nichts  als  die  Tradition  der  Ausgaben  spricht. 
Alles  lässt  sich  sehr  gut  mit  dem  EAvaldschen  Datum  ver- 
einigen: der  erste  Waffenstillstand  dauerte  bis  Herbst  599; 
Gregor  mahnte  daher  im  Juli  zur  Vorsicht  für  den  Fall,  dass 
er  nicht  verlängert  werden  sollte;  J.-E.  1785  spricht  von  einem 
neuen  Stillstande  bis  März  601. 

Vor  dem  Abschlüsse  des  ersten  Waffenstillstandes  war  ein 
neuer  Exarch,  CaUinicus,  nach  Italien  gekommen.  Seine  An- 
kunft ist  nach  der  Ewaldschen  Briefordnung  596  oder  späte- 
stens in  den  Anfang  597  anzusetzen.  Weise  setzt  den  Tod 
seines  Vorgängers  auf  Grund  der  Angabe  des  Rubeus,  eines 
Schriftstellers  des  ausgehenden  16.  (sie!)  Jahrhunderts,  nicht 
vor  den  April  598  und  meint  dann,  dass  die  Kenntnisnahnie 
von  der  Erledigung  des  Postens  in  Constantinopel  und  die 
Ankunft  des  CaUinicus  in  Italien  vor  Ende  Mai  erfolgt  sei, 
obwohl  wir  wissen,  dass  ein  Bote  von  Ravenna  nach  Constan- 
tinopel und  zurück  mindestens  3  Monate  brauchte  (Agnell. 
c.  132).  Eben  so  verfehlt  ist  natürlich  eine  andere  Berechnung 
Weises  (S.  193  Anm.  98),  in  der  angenommen  wird,  dass  ein 
Brief  in  14  Tagen  von  Rom  nach  Constantinopel  gelangen  konnte, 
während  er  anderswo  (S.  226  Anm.  85)  eine  viel  zu  lange 
Reisedauer  von  Rom  nach  Ravenna  annimmt.  Nicht  Averth- 
voller  sind  die  Argumente,  die  V/eise  an  verschiedenen  Orten 
(S.  207.  211.)  aus  der  numerisch  ungleichen  Vertheilung 
der  Briefe  gegen  Ewald  zu  gewinnen  sucht.  Denn  wenn  es 
anerkannt  ist,  dass  wir  nicht  das  vollständige  Register  Gregors, 
sondern  wahrscheinlich  nur  den  kleineren  Theil  der  in  dem- 
selben enthaltenen  Briefe  vor  uns  haben,  wenn  Ewald  ferner 
nachgewiesen  hat,  dass  vier  Indictionen  in  zwei  Sammlungen, 
die  übrigen  nur  in  einer  Sammlung  vertreten  sind  —  so  ist 
das  Erklärungsgrund  genug  für  eine  ungleiche  Vertheilung. 

Noch  anderer  Art  sind  die  Einwendungen,  die  W.  gegen 
die  Einordnung  des  Briefes  J.-E.  1356  unter  die  Briefe  vom 
1.  Juni  595  vorbringt  (S.  189).     Da  er  die  formellen  Gründe, 


416  L.  M.  Hartmann. 

die  Ewald  dazu  bewogen,  wie  er  selbst  eingesteht,  nicht  kennt, 
hält  er  es  für  möglich,  diesen  Brief  als  im  Januar,  die  anderen 
als  im  Juni  geschrieben  anzusehen.  Sein  Grund  ist,  dass 
Gregor  nicht  im  Juni  an  einen  hohen  Geistlichen  in  Constan- 
tinopel  schreiben  konnte,  ohne  des  in  den  anderen  Briefen 
lebhaft  besprochenen  Streites  über  den  Titel  des  Patriarchen 
von  Constantinopel  zu  erwähnen.  Aber  es  hätte  W.  doch  auf- 
fallen soUen,  dass  Gregor  sagt.  Alles,  was  ihn  bedrücke,  könne 
er  nicht  in  einem  kurzen  Briefe  darlegen;  der  Diacon  Sabi- 
nianus  werde  alles  Nähere  zu  des  Adressaten  Kenntnis  bringen. 
Ebenfalls  zum  1.  Juni  sind  von  Ewald  eine  Keihe  von  Brief- 
paaren angesetzt  worden,  die  Weise  auseinanderreissen  möchte, 
weil  er  es  für  unmöglich  hält,  dass  zur  gleichen  Zeit  je  zwei 
Briefe  verschiedenen  Inhalts  an  dieselben  Personen  geschrieben 
worden  sind.  Man  wird  zugeben  müssen,  dass  die  Erscheinung 
überall,  avo  sie  vorkommt,  auffallend  ist,  wenn  auch  ein  solches 
Verfahren  durchaus  nicht  als  unmöglich  angesehen  werden 
kann.  Allein  die  gleichzeitige  Eintragung  in  das  Register  lässt 
sich  auch  erklären,  wenn  einige  Tage  zwischen  der  Abfassung 
von  zwei  Briefen  liegen,  wenn  es  aber  derselbe  Bote  war,  der 
die  verschiedenen  Briefe  zu  überbringen  hatte.  Es  wäre  mög- 
lich, dass  man  die  Briefe  erst  registrieren  liess,  nachdem  man 
sie  dem  Boten  übergeben  hatte.  (S.  Ew.  S.  602  ff.)  —  An- 
dererseits finden  wir  die  zwei  Briefe  1666  und  1674,  die,  wie 
Weise  (S.  219)  richtig  bemerkt,  zusammengehören,  im  Register 
zwar  beide  unter  dem  Monate  Mai  eingetragen,  aber  durch 
mehrere  andere  Briefe  von  einander  getrennt.  Schon  Ewald 
wies  in  der  2.  Auflage  der  Jaffeschen  Regesten  auf  diese  Un- 
regelmässigkeit der  Eintragung  hin,  liess  sie  aber  getrennt, 
weil  die  handschriftliche  Ueberlieferung  es  wahrscheinlich  macht, 
dass  das  Versehen  schon  im  Originalregister  begangen  worden 
ist.  Das  Verdienst,  dies  Versehen  nochmals  betont  zu  haben, 
wollen  wir  Weise  gern  zugestehen. 

Auch  in  Bezug  auf  den  Adressaten  des  Briefes  J. -E.  1459 
können  wir  Weise  beistimmen,  der  annimmt  (S.  201),  dass 
dieser  nicht  ein  nicht  bekannter  und  wenig  wahrscheinlicher 
Fortunatus,  Bischof  von  Fano,  gewesen  sein  dürfte,  sondern 
der  bekannte  Fortunatus,  Bischof  von  Neapel.  Diese  Conjectur 
wird  unterstützt  von  der  Handschrift  Rl,  die  blos:  Fortunato 
epo.  ohne  Ortsbezeiclmung  über  den  Brief  setzt.  Dass  der 
Adressat  von  J. -E.  1620,  wie  Weise  (S.  209)  meint,  der  ero- 
gator  Domnellus  war,  ist  möglich,  lässt  sich  aber  nicht  be- 
weisen; denn  die  Anrede,  die  W.  als  Beweis  anführt,  pflegte 
verschiedenen  Persönlichkeiten  höheren  Ranges  gegenüber  ge- 
braucht zu  Averden. 

Die  vorstehenden  Bemerkungen  hatten  nicht  den  Zweck, 
jede  einzelne  der  von  Weise  vorgebrachten  Ansichten  zu  prüfen 


Zur  Chronologie  der  Briefe  Gregors  I.  417 

oder  zu  widerlegen.  Es  wäre  vielleicht  noch  der  Mühe  werth 
hervorzuheben,  dass  W.  ganz  entgegen  alledem,  was  wir  wissen 
und  muthmassen  können,  annimmt,  dass  schon  'bald  nach  dem 
Ableben  des  Papstes,  jedenfalls  vor  dem  Jahre  641 ,  'einzelne 
Theile  des  Briefregisters  jenes  Papstes  ob  ihres  die  damaligen 
Verhältnisse  klärenden  Inhaltes  als  Sammlungen  veröffentlicht 
wurden'  (S.  1 65) ;  dass  er  der  eigenthümlichen  Meinung  ist, 
dass  Gregor  nur  zu  Lebzeiten  des  Exarchen  Romanus  über 
die  'perversitas  iudicum'  habe  klagen  können  (S.  205).  Aber 
es  sollte  hier  nur  betont  werden,  dass  die  von  Ewald  diesen 
Angriffen  gegenüber  eingenommene  Position  zu  stark  ist,  als 
dass  sie  durch  die  Watfen  seines  Gegners  gefährdet  werden 
könnte. 


Bruchstücke  aus  dem  'Liber  Cancellariae  Aposto- 
licae'  nach  einer  bisher  unbekannten  Handschrift. 

Von  H'ilh.  AUmann. 

Von  der  Universitäts- Bibliothek  zu  Basel  ist  mir  im 
Sommer  1 889  zu  Studien  über  d.as  Baseler  Concil  u.  a.  die  Hand- 
schrift A  IV.  20  auf  das  Breslaucr  Staatsarchiv  gesandt  worden. 
In  derselben  erregte  ein  mit  der  nicht  ganz  zuti-effenden  Ueber- 
schrift:  'Taxe  litterarum  apostolicamm  lo/iannis  pape  XXII.* 
versehenes  Stück  (fol.  264'"— 266'')  meine  Aufmerksamkeit. 
Nachdem  ich  mich  davon  überzeugt  hatte,  dass  dasselbe  in 
dem  Buche  E.  von  Ottenthals:  'Die  päpstlichen  Kanzleiregehi 
von  Johannes  XXII.  bis  Nicolaus  V.'  (Innsbruck  1888)  nicht 
enthalten  sei,  sah  ich  darauf  hin  den  von  G.  Erler'  heraus- 
gegebenen 'Liber  Cancellariae  Apostolicae  vom  Jahre  1380' 
(Leipzig  1888)  näher  an  und  fand  daselbst  jenes  Stück  auf 
S.  172  ff.  Eine  nähere  Vergleichung  beider  Texte  ergab,  dass 
der  Baseler  nicht  aus  der  von  Erler  zu  Grunde  gelegten 
Pariser  Handschrift  (Cod.  lat.  4160)  stammen  kann,  sondern 
einer  anderen,  von  der  Pariser  abweichenden  Fassung  des 
'Liber  cancellariae  apostolicae'  entnommen  sein  muss.  Be- 
stätigt wurde  dies  durch  den  Umstand,  dass  das  sogenannte 
Provinciale  ^,  welches  den  ältesten  Bestandtheil  des  'Liber  can- 
cellariae apostolicae'  bildet  und  auch  in  unserer  Baseler  Hand- 
schrift (auf  fol.  349'"  — SöS"")  sich  vorfindet,  gleichfalls  von  der 
Fassung  der  Pariser  Handschrift  (Erler  S.  19  ff.)  abweicht, 
und  zwar  nicht  blos  in  Aeusserlichkeiten ». 

Das  schon  mehrfach  gedruckte  und  in  vielen  Handschriften 
überlieferte  '  Provinciale'  nach  unserer  Baseler  Hs.  zum  Abdruck 


1)  Das  vortreffliche  Register,  welches  Ottenthai  seiner  Publication 
beigegeben  hat,  lässt  ein  Register  bei  Erler  um  so  mehr  vermissen;  auch 
erklärende  Anmerkungen  wären  vielfach  sehr  erwünscht.  2)  Vgl.  darüber 
Bresslau,  Handbuch  der  Urkundenlehre  I,  253  ff.  Das  Provinciale  war 
ursprünglich  nur  ein  nach  Provinzen  geordnetes  Verzeichnis  sämmtlicher 
Erzbischöfe  und  Bisthümer  der  katholisclien  Christenheit.  3)  Auch  von 

der  durch  Weidenbach,  '  C.ilendarium  liistorico  -  christianum  medii  et  novi 
aevi'  (Regen.sburg  1855),  Ö.  264  ff.,  mitgetheilten ,  von  der  Pariser  ver- 
schiedenen Fassung  des  Provinciale  weicht  der  Text  der  Baseler  Hs. 
vielfach  ab. 


Bruckstücke  aus  dem  'Liber  Cancellariae  Apostolicae'.      419 

zu  bringen,  erscheint  indessen  unnölhig^;  ich  möchte  nur  die 
Zusammenstellung  der  geistlichen  Orden,  welche  sich  am 
Schlüsse  (fol.  3b3^)  befindet,  mittheilen,  da  dieselbe,  so  viel 
ich  sehe,  den  bisher  bekannten  Texten  des  'Provinciale'  nicht 
angehängt  ist  und  auch  sonst  nicht  bekannt  zu  sein  scheint. 
Aus  dem  Bruchstück  der  Constitution  Johanns  XXII. 
gebe  ich  eine  Anzahl  von  Varianten  zu  Erlers  Abdruck;  die 
Zusätze  und  die  den  Sinn  ändernden  Lesarten  vollständig,  von 
den  anderen  und  den  Auslassungen  eine  Auswahl,  welche  zur 
Charakterisierung  der  Hs.  ausreichen  wird. 

I.    Verzeichnis  der  geistlichen  Orden. 

Sequitur  modo  convenienter  videre  de  ordinibus  et  reli- 
gionibus  cristianitatis  et  eorura  nominibus  per  Romanam  ec- 
clesiam  approbatis  et  qui  ex  eis  dicuntur  mendicantes  et 
qui  non. 

1.    Primo    denen   mendicantibus: 

Ordo  sancti  Blasii;  et  Caput  vocatur  archimandrita 

Ordo  sancti  Benedicti 

Ordo  sancti  Cisterciensis 

Ordo  Cluniacensis 

Ordo  P^'emonstratensis 

Ordo  sancti  Augustini 

Ordo  cruciferorum  cum  Stella 

Ordo  sancte  Marie  cruciferorum 

Ordo  sancti  Petri  confessoris  de  Magella 

Fratres  dominici  sepulcri  ordinis  sancti  Augustini 

Ordo  Cartusiens/s 

Ordo  Vallis  umbrose  [Vallombrosa  in   Tosca7ia] 

Ordo  Camaldulensz« 

Ordo  Grandimontenszs 

Ordo  fontis  Ebrandi  [Fontevrauld,  östl.  v.  Saumur] 

Ordo  vallis  scolarum 

Ordo  vallis  Caulium  [Val  des  Choux] 

Ordo  Florentinns 

Ordo  humiliatorum 

Ordo  sancti  Guilrelmi 

Ordo  sancti  Victoris 

Ordo  Montis  oliveti 

Ordo  Sempnigani  [?] 

Ordo  sancte  trinitatis  et  redempcionis  captivorum. 

2.    Mendicancium    ordines  sunt  hi.i  vi  de  licet: 
Ordo  fratrum  predicatorum 
Ordo  fratrum  minorum 
Ordo  fratrum  heremitarum  sancti  Augustini 

1)  Vgl.  hierzu  auch  Bresslau  a.  a.  O.,  S.  253  A.  3. 


420  W.  Altmann. 

Ordo  beate  Marie  de  monte  Carmelo 

Ordo  fratrum  servorura  beate  Marie  ordinis  Angustini. 

3.    De   ordinibus   miliciarum: 
Ordo  sancti  lohannis  lerosoliwitani 
Ordo  sancte  Marie  Theotonicorum 
Ordo  milicie  sancti  lacobi  de  spata  in  Ispania 
Ordo  milicie  Calatranensj's  sub  regula  Cisterciensi 
Ordo  milicie  lesu  (Jristi 

Ordo  milicie  beate  Marie  virginis  gloriose,  quem  appro- 
bavit  papa  Urbanus  IV.  \126'1—126'4\. 

II.  Varianten  zu  der  Constitution  Johanns  WH.  'Pater  Familias'. 

Erler:  S.  172  Z.  12:  dirigens  familiam. 
S.  172  Z.  17 :  devient.     Nos  sane 
S.  182  letzte  Textzeile:  preparatis  opus  est. 
S.  183  Z.  13:  priventur  perpetuo  scriptorie.    Et  super  hoc. 
S.  183  Z.  20:  statim  rescribant  eciam  ante  quascunque 

alias,  nisi  pro  litteris  curie  fuerint  occupati. 
S.  183  Z.  28:  scriptorum  litterarum  ipsarum  sine  distri- 

butione. 
S.  183  Z.  34:  scribere  et  illas  impetranti  eas. 
S.  184  Z.  1 :   ipsas   remitiere    sibi    teneantur.     Et    qui 

hoc  non  servaverit  per  unum  mensem  ab  officio  sus- 

pendatur. 
S.  184  Z.  17:  se  in  aliis  negociacionibus  occupandi. 
S.  184  Z.   18:  nimis  festinanter  vel  nimis  inordinate. 
S.  184  Z.   19:    rescribi   mandentur   (verbessert  aus   re- 

scribende). 
S.  184  Z.  22:  datum  diei. 
S.  184  Z.  23:  datum  apponere  teneatur. 
S.  184  Z.  26:  sine  dato  restituerit,   per  unum  mensem 

ab  officio  suspendatur. 
S.  185  Z.  2 :  simpliciter  vel  additorie. 
S.  185  Z.  25:  hinter  'mandantes'  folgt  folgender  in  der 

Pariser    Hs,    fehlender    Absatz:     Litera    que    incipit 

'dignum   arbitrium'    taxatur    ad    20   Turonenses   item 

narracio   vacacionis   beneficii   vel  permutacio  in  dicta 

littera  expriraatur. 
S.  185  Z.  27:  beneficio  regulari  eciam  cum  translacione. 
S.  185  Z.  29:  si   tempore   datum  (!)    non  sit   alteri  ius 

quesitum  16  Turonenses,   nisi  exprimatur  modus  vo- 

cacionis  et  tunc  usque  ad  'volentes'  computantur  cen- 

tum  dicciones  pro  uno  grosso  Turonensi.    De  eligendo 

confessore  etc. 
S.  185  Z.  33:   statt  des  Abschnitts  'de  indulgentia  ple- 

naria'  so :   de  absolucione   in  mortis  articulo  pro  una 


Bruchstücke  aus  dem  'Liber  Cancellariae  Apostolicae'.      421 

persona  Turonenses  14.     De  eodem  pro  viro  et  uxore 
Turonenses  16. 

De  altari  portatili  pro  una  persona  Turonenses  10. 
De  eodem  pro  viro  et  uxore  Turonenses  10. 

S.  185  Z.  36:  ante  diem. 

S.  185  Z.  37:  per  confessorem. 

S.  186  Z.  2:  recedendi  de  curia  concessa  prelato. 

S.  186  Z.  4:  <nobilis'  -fehlt. 

S.  186  Z.  14:  carnes  concessa  religiosis. 

S.  186  Z.  23:  Romana  curia  Turonenses  12.  Et  si  fiat 
executoria  Turonenses  18.  Der  folgende  Absatz:  'de 
concessione  officii'  etc.  fehlt. 

S.  186  Z.  28:  de  visitandis  per  se  Turonenses  12.  De 
manus  porrigentibus  adiutriees  per  se  Tm-onenses  10. 

S.  186  Z.  36:  addantur  duo  Turonenses. 

S.  187  Z.  3:  quod  minus  f!)  consecracionis  impendatur. 

S.  187  Z.  5:  et  quod  inpendatur  munus  benediccionis 
eciam  in  partibus  pro  abbate  Turonenses  10. 

S.  187  Z.  6:  addantur  pro  quolibet  ordine. 

S.  187  Z.  9:  'ponatur  seu'  fehlt. 

S.  187  Z.  16:  singiüis  aliorum  tantidem  addatur^  et  sie 
secundum  magis  et  minus  huiusmodi  litterae  taxa- 
buntur. 

Littera  super  defectu  natalium  videlicet  quod  de 
presbyterorum  ad  ordines  et  beneficia  promovendi 
simpliciter  Turonenses  12. 

S.  187  Z.  25:  procuratores. 

S.  187  Z.  28:  vor  'de  dispensatione'  steht  noch^  was  im 
Parisinus  fehlt :  pro  archiepiscopo  vero  graciosa  Turo- 
nenses 20,  et  executoria  taxatur  Turonenses  22. 

S.  187  Z.  29:  prohibito  Turonenses  12.  Et  si  fuerint 
excommunicati  racione  matrimonii  iam  contracti  (so 
zu  lesen  statt  'contractorum') ,  absolvantur  seu  com- 
mittatur  eorum  absolucio,  adduntur  Turonenses  8. 

S.  187  Z.  31:  'vel'  bis  'Turonenses'  fehlt. 

S.  187  Z.  36:  prioratu  Turonenses  12,  et  quandoque 
Turonenses  18. 

S.  188  Z.  2:  vor  'de  conservatoria'  steht  noch:  de  quo- 
cumque  beneficio  simplici  Turonenses  12. 

S.  188  Z.  4:  vor  'pro  archiepiscopo'  steht  noch:  et  si 
pro  pluribus  pro  qualibet  persona  duo  Turonenses 
addantur.    Pro  episcopo  et  diocesi  süa  Turonenses  40. 

S.  188  Z.  5:  concilii  Biennensis  Turonenses  30.  'Ad 
hoc  nos  Dens'  etc.  vel  'militanti  ecclesie'  si  fuerit  per- 
petua  Turonenses  50.  Et  si  conservatoria  pro  toto 
ordine   et  omnibus  membris  eins  Turonenses  centum. 

S.  188  Z.  8 :  Die  beiden  Absätze  'Quod  episcopus'  und 


Il 


422  W.  Altmann. 

'De  dando'  fehlen;   ebenso  der  Absatz   'De  patiente 
defectum'  und  der  Absatz  'De  habilitatione  illius'. 

S.  188  Z.  32:  pallii  adduntur  io  taxacionibus  predictis 
duo  Turonenses.  —  Auf  diesen  Absatz  folgt  der  oben 
fehlende:  'De  paciente  defectum'. 

S.  188  Z.  36:  vel  colleetas  seu  alias  execuciones  Turo- 
nenses 12.  De  subsidio  moderato  Turonenses  16. 
Et  pro  executoria  si  fiat  Turonenses  18. 

S.  189  Z.  3:  pro  forma  communi  pauperum  qua  incipit 
'eonstitutus'. 

S.  189  Z.  7:  hnearum  et  non  ultra. 
Mit  den  "Worten :  'pro  qualibet  linearum'  schliesst  der  Text 
der  Baseler  Hs. 


Nachrichten. 


102.  Die  Centi-aldirection  der  M.  G.  hat  einen  schmerz- 
lichen Verlust  erlitten.  Am  3.  September  1889  starb  auf  einer 
Badereise  in  Kissingen,  avo  er  Erholung  von  längerem  Leiden 
suchte,  unser  College  Julius  Weizsäcker.  Geboren  zu 
Oehringen  im  Württembergischen  Franken  am  28.  Februar 
1828,  zu  Tübingen  und  BerHn  gebildet  mit  frühzeitiger  Hin- 
neigung zum  Deutschen  Norden,  wirkte  er  nach  einander  an 
den  Hochschulen  München,  Erlangen,  Tübingen,  Strassburg, 
Göttingen,  Berhn  als  ein  eifriger  und  gern  gehörter  Lehrer  der 
Deutschen  Geschichte,  vorzugsweise  des  ]\Iittelalters.  Mitglied 
der  Centraldirection  an  Stelle  von  Nitzsch  seit  Ostern  1885, 
nahm  er  an  unsern  Verhandlungen  lebhaften  und  verständnis- 
vollen Antheil,  ohne  sich  je  unmittelbar  an  unsern  Arbeiten 
zu  betheiligen.  Mittelbar  gehörte  er  jedoch  zu  unseren  wirksam- 
sten Mitarbeitern,  insofern  seine  Lebensaufgabe,  die  grossartige 
Sammlung  der  Deutschen  Reichstagsakten  seit  König  AVenzel, 
die  er  im  Auftrage  der  Münchener  historischen  Commission 
übernommen  hatte,  ja  eigentlich  auch  in  den  Kreis  der  Monu- 
menta  Germaniae  fallen  würde.  Diese  entsagungsvolle  Thätig- 
keit  nahm  ihn  so  vollständig  in  Anspruch,  dass  ihm  zu  dar- 
stellenden Arbeiten  oder  Untersuchungen  kaum  irgend  welche 
Müsse  übrig  blieb,  wie  auch  seine  ursprüngliche  vielver- 
sprechende Beschäftigung  mit  Karolingischer  Kirchengeschichte 
dagegen  völHg  hatte  in  den  Hintergrund  treten  müssen.  Ob- 
gleich ein  Freund  heiterer  und  zwangloser  Geselligkeit,  war  er 
doch  häufig  eine  Beute  düsterer  Stimmungen  und  musste  die 
Freudigkeit  zm"  Ai'beit  einem  oft  siechen  Körper  abringen. 
Vgl.  über  ihn  R.  Reuss   in  der  Revue  Historique  XLI,  371  ff. 

E.  D. 

103.  Von  der  Abtheilung  Leges  ist  erschienen  die  Schluss- 
lieferung des  V.  Bandes,  enthaltend:  Lex  Romana  Rae- 
tica  Curiensis  ex   editione  Karoli  Zeumer.     Die  Folio- 


424  Nachrichten. 

Serie  der  Leges  ist  damit  abgeschlossen.  Von  der  Abtheilung 
Antiquitates  ist  erschienen:  Necrologia  Germaniae  II. 
Dioecesis  Salisburgensis.  Pars  prior.  Edidit  Sigis- 
mundus  Herzberg-Fraenkel. 

104.  Von  den  Geschichtsschreibern  der  deutschen 
Vorzeit  sind  in  neuer,  von  W.  Wattenbach  besorgter 
Bearbeitung  erschienen:  die  Vita  Anskarii  et  Rimberti 
(in  erster  Auflage  von  Laurent,  mit  Vorwort  von  Lappenberg), 
die  Annales  Fuldenses  et  Xantens  es  (in  erster  Auflage 
von  Rehdantz)  und  die  Auswahl  aus  Liudprands  Werken 
(in  erster  Auflage  von  Osten-8acken).  Weitergeführt  ist  die 
Sammlung  durch  zwei  neue  Uebersetzungen :  die  der  Jahr- 
bücher Vincenz'  von  Prag  und  Gerlachs  von  Mühl- 
hausen von  G.  Grandaur  und,  was  ganz  besonders  will- 
kommen ist,  die  der  Geschichte  Friedrichs  III.  des 
Aeneas  Sylvius  von  Th.  Ilgen.  Von  der  letzteren  ist 
in  einem  stattlichen  Bande  bis  jetzt  die  erste  Hälfte  erschienen ; 
der  üebersetzung  ist  die  Ausgabe  Kollars  zu  Grunde  gelegt; 
die  Einleitung  handelt  lichtvoll  über  die  verschiedenen  Re- 
dactionen  der  Schrift  und  gelangt  zu  Ergebnissen,  welche  mehr- 
fach über  diejenigen  V.  Bayers  hinausgehen,  besonders  durch 
Herbeiziehung  des  Cod.  Chisianus  J.  VII,  248. 

105.  Von  den  Jahresberichten  der  Geschichts- 
wissenschaft, die  jetzt  unter  J.  Jastrows  alleiniger  Re- 
daction  mit  erfreulichster  Schnelligkeit  gefördert  werden,  sind 
der  IX.  und  X.  Jahrgang  (1886  und  1887)  erschienen. 

106.  Im  Jahrbuch  des  Vereins  für  Alterthumsfreunde  im 
Rheinlande  87,  207  steht  ein  Bericht  über  die  von  der  Bel- 
gischen Regierung  erworbenen  Hss.  der  Bibliothek  von 
Cheltenham. 

107.  Auf  die  Anregung  E.  von  Ottenthals  hat  die  k.  k. 
Centralcommission  zur  Erforschung  und  Erhaltung  der  Kunst- 
und  historischen  Denkmale  eine  Inspection  der  kleineren,  noch 
unerforschten,  insbesondere  der  Kirchen-  und  Gemeinde- 
archive Tirols  durch  E.  v.  Ottenthai  und  O.  Redlich 
vornehmen  lassen  und  die  bis  jetzt  gewonnenen  Ergebnisse  in 
einer  neuen  periodischen  Publication  u.  d.  T.  'Mittheilungen  der 
dritten  (Archiv-)  Section  der  k.  k.  Centralcommission  u.  s.  w. 
veröfi'entlicht,  von  welcher  uns  der  erste  Band  (Wien,  Kabasta 
&  Voigt,  1889)  vorliegt.  Ist  auch  der  Inhalt,  wie  man  begreift, 
grösstentheils  localgeschichtlicher  Natur,  so  bietet  die  fleissige 
und  sehr  sorgfältige  Arbeit  doch  auch  manches  von  allgemeinem 
Interesse,  auf  das  hier  hingewiesen  sei:  so  eine  Or.-Urkunde 
Gebhards  von  Trient  von  1113  (in  Telfs,  n.  53)^  ein  Transsumpt 
des  sog.  Vigiliusbriefs  für  Kaltem  (n.  974),  ein  Verzeichnis  der 


Nachrichteu.  425 

im  12.  Jh.  beginnenden  Papstprivilegien  von  Gries  (n.  462  ff.), 
Regesten  nngedruckter  Kaiserurkunden  (Heinrieh  VII,  1311 
Febr.  11,  n.  850,  Ludwig  der  Baier  1322  Mai  3,  n.  860),  dazu 
Notizen  über  einzelne  tirolische  Necrologien. 

108.  Den  N.  A.  XIV,  437  n.  99  erwähnten,  in  einer  Würz- 
burger Hs.  überlieferten  Dialogus  super  auctoribus  des  Konrad 
von  Hir schau  hat  jetzt  G.  Schepss  in  einer  sorgfältigen 
Ausgabe  (Würzburg,  Ötuber,  1889)  publiciert. 

109.  In  den  Studien  und  Mittheilungen  aus  dem  Bene- 
dictiner-  und  Cisterzienserorden  X,  248  ff.  454  ff.  veröffentlicht  A. 
Goldmann  interessante  Briefe  Mabillons  an  den  Cardinal 
Leander  Colloredo. 

110.  In  der  Wiener  Ausgabe  der  Kirchenväter  (Corpus 
scriptorum  ecclesiasticorum  latinorum)  vol.  XX.  ist  erschienen 
der  erste  Theil  der  Werke  des  Tertullian.  Auf  dem  Titel- 
blatt werden  der  verstorbene  August  Reifferscheid  und 
G.  Wissowa  als  Herausgeber  genannt;  nach  der  Vorrede 
haben  ausserdem  Alexander  Reifferscheid,  Wilhelm  Hartel  und 
Adolf  Harnack  an  der  Vollendung  des  von  dem  erstgenannten 
fast  druckfertig  hinterlassenen  Manuscripts  mitgewirkt. 

111.  Als  Separatdruck  aus  Archeografo  Triestino  Bd.  XV. 
ist  uns  zugegangen  eine  sehr  eingehende  Untersuchung  von 
Carlo  Tanzi  über  die  Chronologie  der  Schriften  des  En- 
no dius.  Im  Anhang  dazu  weist  der  Vf.  aus  Tristano  Calchi 
einen  verlorenen  Papyrus  aus  der  Zeit  0  dovakars  nach: 
ausgestellt  ist  die  Urkunde  von  Flavius  Paulus  Andreas  vicarius 
Mediolani. 

112.  Im  Anzeiger  für  schweizer.  Gesch.  1889,  S.  377  hält 
G.  Meyer  von  Knonau  gegen  G.  Heer  an  seinem  früheren 
Standpunkt  hinsichtHch  der  Vita  Fridolini  fest.  Vgl. 
N.  A.  XIV,  627  n.  177. 

113.  Im  N.  A.  I,  413  wurde  berichtet,  dass  Herr  Dr. 
Holder  im  Kloster  St.  Paul  in  Kärnten  den  einst  von  Pertz 
vergebhch  gesuchten  Cod.  Sanblasianus  der  Annales  Laures- 
hamenses  wieder  aufgefunden  habe.  Dieser  ist  nun  in  dem 
Jahresbericht  des  Stifts  (Sep.-Abdr.  St.  Paul,  im  Selbstverlage 
des  Stifts,  1889)  herausgegeben  von  P.  Eberhard  Katz  als 
'Annalium  Laureshamensium  Editio  emendata  secundum  codicem 
S.  Paulensem  XXV  —.'  Die  aus  Reichenau  stammende 
Hs.  ist  peinlich  genau  abgedruckt,  mit  den  Varianten  des 
Wiener  Fragments  und  des  Fragm.  Chesnianum  der  Vat.  Biblio- 
thek. Mehr  als  erforderlich  eingehende  paläographische  und 
grammatische  Bemerkungen   werden  wenig  Leser  finden,    die 

Neue»  Archiv  etc.    XV.  28 


426  Nachrichten. 

Erörterungen   über   das   Verhältnis   zum   Fragm.    Chesn.   nicht 
ohne  Widerspruch  bleiben.  W.  W. 

114.  In  derZeitschr.  f.  Geschichtswissensch.  II,  156  f.  kommt 
H.  Ulmann  auf  die  zuletzt  von  v.  Bippen  (s.  N.  A.  XIV,  629 
n.  191)  besprochene  Stelle  der  Ann.  Lauriss.  und  Ein- 
hardi  über  die  Hinrichtung  der  Sachsen  782  zurück;  er  inter- 
pretiert die  Ann.  Lauriss.  dahin,  dass  nur  die  Rädelsführer  Karl 
ausgeliefert  Avären,  deren  unmöglich  4500  gewesen  sein  könnten. 
Nicht  glücklich  ausgedrückt  aber  ist  es,  wenn  er  die 
Vermuthung  ausspricht,  der  Vf.  der  Ann.  Lauriss.  habe  in 
Folge  falschen  Lesens  -seiner  Vorlage  ein  paar  Nullen  zu  viel 
entnommen'.  Wer  Ulmann  nicht  kennt,  könnte  dabei  auf  den 
Gedanken  kommen,  er  glaube  an  die  Anwendimg  arabischer 
Ziffern  in  karolingischen  Annalen.  — ■  In  Ann,  Lauriss.  774 
will  Ulmann  statt  'foederatione'  lesen  'foide  (oder  foidae)  ratione'. 

115.  Nur  dem  Titel  nach  bekannt  geworden  sind  uns  bis 
jetzt  die  folgenden  Schriften:  Colini  Baldeschi,  Liudprando 
vescovo  di  Cremona  (Giarre  1889).  —  G.  Cavriani,  Nuovi 
schiarimenli  alla  vita  di  S.  Anselmo  vescovo  di  Lucca 
desunti  dal  manoscritto  di  Rangerio  recentemente  pubblicato  dal 
Dr.  Vincenzo  de  la  Fuente  (Torino  1889)  —  L.  Zdekauer, 
Studi  pistoiesi  (^^Siena  1889;  soll  ein  Beitrag  zur  Kritik  der 
I  storie  pistolesi   sein). 

116.  Eine  um  das  Jahr  1000  entstandene  Schrift  'Die 
Heiligen  Englands'  hat  F.  Lieb  ermann  in  musterhaft 
sorgfältiger  Ausgabe  (Hannover,  Hahn  1889)  in  angelsächsischem 
Text  und  alter  lateinischer  üebersetzung  ediert.  Die  Ein- 
leitung handelt  über  die  Entstehungsgeschichte  und  Zusammen- 
setzung der  Schrift,  deren  erster  Theil  aus  der  kentischen 
Königslegende  stammt,  während  der  zweite  auf  Wessex  weist. 

117.  'Untersuchungen  zur  Geschichte  Kaiser  Konrads  IL' 
von  J.  V.  P  fl  ugk- IIa  r  ttung  sind  hier  zu  erwähnen,  weil 
der  Verfasser  darin  im  Anschluss  an  seine  früheren  Erörte- 
rungen für  die  Glaubwürdigkeit  des  Ademar  vonChabannes 
in  dem,  was  er  über  deutsche  Dinge  berichtet,  und  die  geringe 
Vertrauenswürdigkeit  des  Wipo,  als  höfischen  Geschichts- 
schreibers, eintritt.  Das  Buch  ist  voll  der  wüthendsten  per- 
sönlichen Polemik  gegen  H.  Bresslau,  den  zeitigen  Redacteur 
dieser  Zeitschrift,  einer  Polemik,  die  nur  geeignet  ist,  dem 
Verfasser  in  der  Beurtheilung  der  Leser  zu  schaden,  selbst, 
wenn  man  etwa  geneigt  sein  sollte,  in  diesem  oder  jenem  der 
von  ihm  vertheidigten  Punkte  ihm  beizustimmen.     O.  H.-E. 

118.  Die  Beilage  zum  Jahresbericht  des  Gymnasiums  zu 
Offenburg  (1889  Progr.  n.  580)  enthält  von  Prof.  J.  May:  Ij  eine 
Untersuchung  über  Abfassungszeit  und    Glaubwürdigkeit  von 


Nachrichten.  427 

Wiberts  Vita  Leonis  IX.  mit  Nachweisimg  der  benutzten 
Bibel  stellen  und  einzelnen  Beiträgen  zur  Textkritik,  2)  Bei- 
träge zur  Kritik  von  Paul  von  Bernrieds  Vita  Gregorii  VII., 
3)  kurze  Bemerkungen  zu  Wipo,  welche  auf  Halbverse  in 
den  Gesta  Chuonradi  aufmerksam  machen  und  einige  Emen- 
dationen  zum  Tetralogus  vorschlagen,  die  nur  z.  Th.  annehmbar 
erscheinen. 

119.  Im  Archiv  des  Vereins  f.  Gesch.  des  Herzogthums 
Lauenburg  II,  100  ff.  giebt  Handelmann  einen  neuen  Com- 
mentar  zu  der  vielberufenen  Stelle  über  den  limes  Saxonicus, 
Adam  Brem.  II,  15. 

120.  In  den  'Bijdragen  voor  vaderlandsche  geschiedenis 
en  oudheidskunde'  3.  reeks  5.  deel  wird  die  Discussion  über 
die  Geschichtsquellen  vonKlosterEgmond  durch  J.  Kappeyne 
van  de  Capello,  R.  Fruin  und  S.  Pols  fortgesetzt.  Fruin  publi- 
ciert  bei  dieser  Gelegenheit  die  holländische  Grafenliste  aus 
dem  Adalbertsbuch  der  Abtei  Egmond  nach  dem  Codex  des 
Balduinus  de  Haga  (saec.  XVI.). 

121.  Eine  kurze  Uebersicht  über  die  Hersfelder  H  isto- 
riographie  giebt  die  erste  Beilage  zu  der  fleissigen  Schrift 
von  Ph.  Hafner  'Die  Reichsabtei  Hersfeld  bis  zur  Mitte  des 
13.  Jahrhunderts'  (Hersfeld,  Schmidt,  1889).  Die  dritte  Bei- 
lage enthält  eine  ungedruckte  Urkunde  des  Abtes  Heinrich 
von  Hersfeld  für  Markgraf  Friedrich  den  Freidigen  vom 
23.  Juli  1292. 

122.  Von  Anonymi  Ges  ta  Francorum  et  aliorum 
Hi  erosolymitanorum.  Mit  Erläuterungen  herausgegeben 
von  H.  Hagenmeyer'  ist  die  erste  Hälfte  (Heidelberg  1889) 
erschienen,  mit  ausführlicher,  das  TVerk  in  allen  Beziehungen 
erörternder  Einleitung.  Der  Text  beruht  auf  zahlreichen,  bis- 
her grösstentheils  unbenutzten  Handschriften,  deren  Collationen 
Graf  Riant  dem  Herausgeber  zur  Verfügung  stellte.  Die  Er- 
läuterungen überschreiten  aber  leider  derart  alles  Mass,  dass 
die  Benutzung  des  Werkes  durch  sie  mehr  erschwert  als  ge- 
fördert wird.  O.  H.-E. 

123.  Von  Paul  Mitzschke  ist  jetzt  Sigebotos  Vita 
Paulinae  (Gotha,  F.  A.  Perthes,  1889.  Auch  unter  dem 
Titel:  Thüringisch-sächsische  Geschichtsbibliothek.  Band  I. 
Paulinzelle)  aus  einer  Handschrift  saec.  XV.  der  Grossherzog- 
lichen Bibliothek  zu  Weimar  herausgegeben  und  durch  viele 
Anmerkungen,  sowie  durch  beinahe  zu  ausführliche  Excurse 
erläutert.  Das  bisher  für  verloren  gehaltene  Werk  ist  eine 
wichtige  Bereicherung  für  die  Geschichte  des  quellenarmen 
Thüringer  Landes.  0.  H.-E. 

28* 


428  Nachrichten. 

124.  Im  Hist.  Jahrbuch  X,  748  setzt  G.  Hüffer  seine 
gegen  Druffel  polemisierenden  Erörterungen  über  die  Glaub- 
würdigkeit des  Liber  miraculorum  des  h.  Bernhard 
von  Ölairvaux  fort. 

125.  In  einer  Studie  über  das  Chronicon  Hanoniense  des 
Gislebert  von  Mons  erweist  K.  Huygens  (Revue  de 
rinstruction  publique  en  Belgique.  T.  äXXII,  Gand  1889, 
Livr.  5),  dass  Gislebert  Dinge,  die  für  das  Interesse  seines 
Herrn,  des  Grafen  Balduin  V,  ungünstig  sind,  verschweigt 
oder  in  falschem  Lichte  darstellt.  O.  H.-E. 

126.  In  der  Zeitschr.  f.  Gesch.  des  Oben-heins  N.  F.  VI, 
456  ff.  behandelt  P.  Scheffer-ßoichorst  den  Notar  Frie- 
drichs I.  Burchard,  von  dem  die  Chron.  regia  Colo- 
niensis  zwei  Briefe  mittheilt.  Mit  Waitz  imd  Lehmann 
erklärt  er  sich  gegen  die  Annahme,  dass  Burchard  der  Vf.  der 
Kölner  Königschronik  sei,  hält  dagegen  für  möglich,  dass  in 
der  ersten  Fortsetzung  derselben  eine  von  ihm  herrührende 
Kreuzzugsgeschichte  benutzt  worden  sei.  Demnächst  führt 
Scheffer  aus,  dass  dieser  Notar  Burchard  von  dem  mehrfach 
mit  ihm  für  identisch  erklärten  Strassburger  Vitzthum  gleichen 
Namens,  der  1175  als  Friedrichs  Gesandter  an  den  Hof  Sala- 
dins  geschickt  wurde,  zu  unterscheiden  sei. 

127.  Eine  scharfsinnige  Untersuchung  von  J.  Marx 
(Berlin,  Speyer  &  Peters,  1889)  behandelt  dieVi  ta  GregoriilX. 
Der  Vf.  zeigt,  dass  der  erste  grössere  Theil  der  Schrift  bis 
zur  Belagerung  Fienevents  gegen  Ende  1239,  der  Schluss  nicht 
vor  Ende  Juni  1240  geschrieben  ist;  der  Autor  muss  Mitglied 
der  päpstlichen  Kammer  gewesen  sein,  wahrscheinlich  war  es 
der  Kämmerer  Johann  von  Ferentino  selbst.  Bemerkenswerth 
ist  der  Nachweis,  dass  in  der  Schrift  die  rhythmischen  Gesetze 
des  Cursus  beobachtet  worden  sind. 

128.  Bei  Successori  le  Monnier  in  Florenz  ist  von  I  s  i  d  o  r  o 
del  Lungo  eine  biUige  Schulausgabe  der  Chronik  und  der 
Canzone  morale  des  Dino  Compagni  erschienen;  der  Text 
der  Chronik  nach  der  Ashburnham-Hs.  Vorrede  und  Com- 
mentar  sind  ein  Auszug  aus  der  grossen  Ausgabe  del  Lungo's. 

129.  Im  'Anzeiger  f.  Schweiz.  Geschichte'  1889  S.  381  ff. 
veröffentlicht  Th.  von  Liebenau  nach  Cod.  D  IV.  10 
der  Universitätsbibliothek  Basel  Mittheilungen  über  die 
Chronica  cuiusdam  fratris  Minorum  Heinrici. 
Der  grössere  Theil  ist  Copie  der  Flores  temporura,  Redaction 
A,  SS.  XXIV,  230  ff.,  dann  folgt  eine  Fortsetzung  von  1292 
bis  1475.  Ein  Einschiebsel  über  Rudolf  von  Rheinfelden  als 
Ahnherrn  der  Habsburger,  ein  anderes  über  Konrad  IV.,  ein 
drittes  über  Rudolf  von  Habsburg  und  seine  Nachfolger  wer- 


Nachrichten.  429 

den  mitgetheilt,  ebenso  eine  Origo  ducum  Austriae  nunc  tem- 
poris  existentium  von  1475. 

130.  In  der  Biliotheque  de  l'ecole  des  chartes  L,  245 
bespricht  Fu  nck-Brenta  no  Heycks  Ausgabe  des  Nico- 
laus von  Bitronto  mit  Berichtigung  einer  Anzahl  von 
Versehen  nach  der  Pariser  Hs. 

131.  E.  Maunde  Thompson,  Principal  librarian  of 
the  British  Museum,  hat  in  einem  Quartband  von  340  S. 
(Oxford  Clarendon  Press,  1889)  das  Chronicon  Galfridi  le 
Baker  de  Swinburne  von  1303  bis  1356  herausgegeben 
nach  den  beiden  einzig  bekannten  Hss.  Bodley  761  und 
Cotton  App.  LH.  ;  nach  jenem  hat  Dr.  Giles  1847  einen 
fehlerhaften  Abdruck  gegeben.  Hier  finden  wir  die  bekannte 
Genauigkeit  und  Sorgfalt  T.'s,  in  der  Einleitung  eine  Unter- 
suchung über  den  Verfasser  und  Widerlegung  der  früheren 
Ansicht  von  einem  französischen  Original  und  der  Autorschaft 
des  Thomas  de  la  More,  nach  dem  Text  einen  ausführlichen 
Commentar  und  ein  Register.  Für  deutsche  Geschichte  kommen 
die  Berührungen  mit  Ludwig  dem  Baier  und  mit  Flandern 
in  Betracht.  W.  W. 

132.  Eine  sehr  ausführliche  Anzeige  von  Erlers  Bio- 
graphie des  Dietrich  von  Nie  heim  giebt  K.  V.  Sauer- 
land in  den  'Mittheilungen  des  Instit.  f.  österr.  Geschichts- 
forschung', X,  637—658. 

133.  Eine  umfangreiche  und  sehr  wichtige  Publication 
sind  die  'Quellen  und  Forschungen  zur  Gesch.  des 
Konstanzer  Konzils'  von  H.  Finke  (Paderborn,  Schö- 
ningh  1889).  Unter  den  Quellen  ist  wohl  das  werthvollste 
Stück  das  in  zwei  vaticanischen  Hss,  überlieferte  Tagebuch 
des  Cardinais  Fiilastre,  aber  auch  im  übrigen  verdienen  die 
neuen  Quellen,  sowie  die  sorgfältigen  kritischen  Erörterungen 
des  Vf.  vollste  Beachtung.  Hier  mag  nur  noch  darauf  hin- 
gewiesen werden,  dass  auch  Finke  gegen  Erler  an  der  Autor- 
schaft Di  e  trieb  s  von  Nieheim  für  die  Tractate  'De  modis 
uniendi'  und  'De  necessitate  reformationis'  festhält  und  dieselbe 
mit  neuen  sehr  ins  Gewicht  fallenden  Gründen  stützt. 

134.  H.  Delehaye  veröffentlicht  in  der  'Revue  des 
Questions  Historiques'  XLVI,  5  ff.  eine  eingehende  Studie 
über  Wibert  von  Gembloux.  S.  12  ff.  sind  die  Hss. 
seiner  Briefe  zusammengestellt. 

135.  Von  einer  Incunabel  der  Königlichen  Universitäts- 
Bibliothek  zu  Halle  (Kr.  1030  fol.  Johannes  de  Imola,  super 
Clementinas,  Venetiis  1480)  sind  kürzlich  zwei  Doppelblätter 
einer  in  Italien  Ende  des  13.  Jahrhunderts  geschriebenen  Hand- 


430  Nachrichten. 

Schrift  der  Briefe  des  Petrus  de  Vinea  flib.  I.  ep.  11 — 
18,21 — 24)  abf^elöst  worden,  welche  auf  dem  inneren  vorderen 
und  hinteren  Deckel  aufgeklebt  waren.  Die  Per-amentblätter, 
24  Cm.  hoch,  18  (resp.  23)  Cm.  breit,  enthalten  46  Zeilen 
auf  der  Seite,  rothe  Üeberschriften  und  Initialen :  zwischen 
S.  4  und  5  fehlt  ein  drittes  Blatt  (ep.  19,  20  u.  Anfang  der 
grossen  Encyclica  ep.  21).  Ep,  16  und  17  befinden  sich  in 
umgekehrter  Reihenfolge  als  in  den  Drucken.  Das  Fragment 
reicht  von  pa]ci  provideat  in  ep.  11,  p.  125  der  Ausgabe  von 
1566  bis  quam  vos  ep.  18,  143,  4  v.  u.,  sowie  von  prejteri- 
torum  stipendiorum  ep.  21  1.  c.  162,  4  bis  leviter  elevatus 
ep,  24  (die  Kaiser  Friedrich  zugeschrieben  ist,  nicht  Manfred) 
1.  c.  180,  1  V,  u.  Die  Handschrift  war  in  Bücher  getheilt 
und  die  einzelnen  Briefe  gezählt,  die  Nummern  XXII.  und 
XXIII.  sind  noch  erhalten.  M.  Perlbach. 

136.  E.  von  Ottenthai  untersucht  in  den  'Mitthei- 
lungen des  Instituts  f.  österr.  Geschichtsforschung'  X,  611  ff. 
die  Quellen  der  angeblichen  Urkunde  Johanns  XIII.  für 
Meissen  (Jaffe-L.  3724)  und  führt  aus,  dass  dieselbe  nicht  nur 
interpoliert,  sondern  nach  dem  Muster  der  Hersfelder  Urkunde 
JafFe-L.  3723  gänzlich  gefälscht  sei. 

137.  In  der  Zeitschrift  für  Kircheprecht  XXII.  (N.  F. 
VII),  400  fF.  vertheidigt  K.  Panzer  seine  Ansicht,  dass 
Nicolaus  II.  nach  Erlass  des  Papst wahldecrets  von 
1059  im  folgenden  Jahre  aufs  neue  über  die  Papstwahl  de- 
crctiert  und  das  Recht  des  Königs  stillschweigend  eliminiert 
habe,  gegen  Scheffer-Boichorst  und  v.  Pflugk-Harttung  mit 
neuen  eingehenden  Erörterungen. 

138.  Von  der  beachtenswertlien  Schrift  M.  Souchons 
'Die  Papstwahlen  von  Bonifaz  VIII.  bis  Urban  VI.  und  die 
Entstehung  des  Schismas  1378'  C  Braunschweig,  Goeritz  1888) 
sind  für  unsere  Zwecke  besonders  einige  Beilagen  zu  er- 
wähnen. Die  erste  giebt  eine  dankenswürdige  Zusammen- 
stellung der  Cardinäle  von  Coelestin  V.  bis  zum  Tode 
Gregors  XL,  die  zweite  ein  bisher  unbekanntes  Schreiben 
des  Cardinais  Napoleone  Orsini  an  Philipp  von 
Frankreich  über  den  Zustand  der  römischen  Kirche  beim 
Tode  Clemens  V.  Ein  Excurs  erweist  —  in  Uebereinstim- 
mung  mit  Hinschius  u.  A.  —  die  Unechtheit  der  angeblichen 
Professio  fidei  Bonifaz'  VIII. 

139.  In  den  Mittheilungen  des  Inst.  f.  österr.  Geschichts- 
forsch.  X,  587  ff.  veröffentlicht  W.  Lipper t  im  Anhang  zu 
einer  Abhandlung  über  die  bisher  imbekannte  Thätigkeit  des 
Ritterordens  von  Santiago  für  das  heilige  Land  eine  Reihe 
von  Papst-  und  anderen  Urkunden  über  die  auch  in  Deutsch- 


Nachrichten .  43 1 

land  und  dessen  östlichen  Nachbarländern  veranstalteten  Samm- 
lungen zu  Gunsten  des  Ordens. 

140.  Der  erste  Band  des  ^Jahrbuchs  der  Gesellschaft  für 
lothringische  Geschichte  und  Alterthumskunde'  (Metz,  Scriba, 
1889),  mit  welchem  dieser  neu  gegründete  Verein  sich  aufs 
beste  eingeführt  hat,  enthält  eine  Reihe  diplomatisch  wichtiger 
Beiträge  von  Archivdirector  Dr.  Wolfram:  1)  kritische  Be- 
merkungen zu  den  merovingischen  und  karolingi sehen 
Urkunden  des  Arnulfsklosters  mit  Abdruck  der  Urkunden 
Hugos,  des  Sohnes  Drogos,  von  715,  der  Königin  Hildegard 
von  783  und  Ergänzungen  zu  den  mangelhaften  Drucken 
anderer  Stücke  und  einer  Untersuchung  über  die  Unechtheit 
der  ältesten  Stücke ;  2)  eine  Untersuchung  über  die  Urkunden 
der  Gräfin  Eva  (950)  und  ihres  Sohnes  Udalrich  (958),  aus  der 
sich  u.  a.  ein  Beitrag  zur  Datierung  der  Vita  S.  Arnulfi 
ergiebt ;  3)  eine  Untersuchung  über  die  ältesten  Papsturkunden 
für  das  Arnulfskloster  mit  Abdruck  der  Privilegien  Calixts  II.  und 
Innocenz'  II;  4)  ungedruckte  Kaiser  Urkunden  Ottos  III. 
für  Mouzon  997  Apr.  6;  Heinrichs  III.  für  St.  Magdalena  zu 
Verdun  1056  (Extract);  Friedrichs  I.  für  das  Leprosenhaus  zu 
Metz  1160  Febr.  12;  Ottos  IV.  für  St.  Nicolaus  zu  Metz  1210 
Mai  4;  Friedrichs  II.  für  die  Leute  von  Hui  1214  Dec.  19; 
desselben  Mandat  an  die  Stadt  Metz  1215  Aug.  22  (fran- 
zösische Uebersetzung) ;  5)  Regesten  der  im  Bezirks-  und 
Hospitalarchiv  zu  Metz  befindlichen  Papsturkunden  von 
1049 — 1399,  darunter  zahlreiche  inedita,   das   erste   von  1147. 

141.  W.  Erben  bespricht  in  den  Mittheilungen  des  Inst. 
für  Österr.  Geschichtsforschung  X,  607  ff.  die  Urkunde  Ar- 
nolfs  für  Salzburg  (Mühlb.  1801),  weist  nach,  dass  der  Kanzlei 
Ottos  IL  eine  jetzt  verlorene  Fassung  derselben  vorgelegen 
hat  (wonach  in  dem  Druck  von  DO  II,  165,  Mon.  Germ.  DD  II, 
185,  die  Entlehnungen  anders,  als  geschehen  ist,  hätten  be- 
zeichnet werden  sollen),  zeigt  aber,  dass  auch  diese  Fassung 
unecht  war  und  erst  unter  Erzbischof  Friedrich  angefertigt 
worden  ist. 

142.  P.  Kehr  behandelt  in  einem  umfangreichen  Werke 
nach  allen  Seiten  hin  'Die  Urkunden  Ottos  HL'  (Inns- 
bruck, Wagner,  1890).  Ueber  viele  Einzelheiten  der  Aus- 
führungen Avird  sich  erst  nach  dem  Erscheinen  der  neuen  Aus- 
gabe jener  Diplome  von  Sickel  urtheilen  lassen;  was  die 
allgemeinen  Erörterungen  des  Vf.  betrifft,  so  möchte  ich  hier 
nur  den  Bemerkungen  S.  265  ff.  über  den  Begriff  der  Fälschung 
entschieden  widersprechen,  die  mir  schon  deshalb  nicht  zutreffend 
erscheinen,  weil  sie  das  juristische  Moment,  das  in  diplomatischen 
Dingen  so  grosse  Beachtung  verdient,  allzuwenig  berück- 
sichtigen.    Ich  behalte  mir  vor,  auf  diese  nicht  nur   methodo- 


432  Nachrichten. 

logisch,   sondern  auch  für  die  praktische  Kritik  wichtige  Frage 
gelegentlich  eingehender  zurückzukommen. 

143.  In  der  Westdeutschen  Zeitschr.  VIII,  232  handelt 
P,  Joerres  über  die  falschen  Urkunden  Heinrichs  II. 
für  St.  Maximin  und  zeigt,  dass  die  Angabe  von  einer 
Einziehung  von  6656  Hufen  Klostergutes  durch  den  Kaiser  auch 
sachlich  unglaubwürdig  ist.  Seinen  übrigen  Ausführungen  kann 
ich  nicht  zustimmen,  insbesondere  nicht  denen  über  die  Zeit 
der  Fälschung;  Joerres  hat  meine  Beweisführung,  obwohl  er 
sie  'unwiderleglich'  nennt,  doch  nicht  ganz  richtig  verstanden: 
sie  steht  und  fällt  mit  dem  Nachweis,  dass  die  gefälschten 
Urkunden  des  II.  Jahrhunderts  und  der  Text  der  echten  Ur- 
kunde von  1116  von  einer  Hand  herrühren;  darum  und 
nicht  um  ein  Hervorgegangensein  aus  der  gleichen  diploma- 
tischen Schule,  oder  wie  Joerres  es  sonst  nennt,  handelt  es 
sich  in  Wirklichkeit. 

144.  Der  fleissigen  Untersuchung  von  R.  K allmann  über 
die  Beziehungen  des  Königreichs  Burgund  zu  Kaiser  und  Reich 
von  Heinrich  III.  bis  auf  die  Zeit  Friedrich  I.  (Jahrbuch  f. 
schweizer.  Geschichte)  ist  ein  Excurs  beigegeben,  welcher  mit 
gewichtigen  Gründen  —  denen  freilich  Meyer  von  Knonau 
nicht  zustimmt  —  ausführt,  dass  der  verfälschten  Rüggisberger 
Urkunde  Heinrichs  IV.  St.  2788  eine  echte  Vorlage  zu 
Grunde  gelegt  sein  muss. 

145.  Im  Anhang  (Beilage  V.)  zu  seiner  Schrift  'Fehm- 
gericht  imd  Inquisition'  (Giessen ,  Ricker,  1889)  versucht 
F.  T  hu  dich  um  die  Unechtheit  der  vielberufenen  Urkunde 
Friedrichs  1.  über  die  Verleihung  eines  Theiles  des  Herzog- 
thums  Westfalen  und  Engern  an  Köln  vom  13.  April  1180 
zu  erweisen.  Die  durchaus  misslungene  Beweisführung  steht 
auf  einem  Boden,  den  die  neuere  diplomatische  Kritik  längst 
überwunden  hat ;  es  mag  zur  Charakteristik  derselben  genügen, 
hier  anzuführen,  dass  der  Verfasser  schreibt  'ob  es  im  12.  Jahrh. 
auch  sonst  noch  vorkam,  dass  solche  unbedeutende  Ministerialen 
(er  meint  den  Schenk  Konrad  von  Schipf,  den  Marschalk  Hein- 
rich von  Pappenheim  und  den  Kämmerer  Sigebod  von  Groitsch) 
in  kaiserlichen  Urkunden  von  solcher  Wichtigkeit  als  Zeugen 
genannt  werden,  kann  ich  nicht  beurtheilen;  jedenfalls  verdient 
es  eine  Prüfung,  ob  im  12.  Jahrhundert  die  Ritter  von  Pappen- 
heim bereits  Marschalke  wai-en,' 

146.  In,  einer  Ideinen  Schrift  'Due  documenti  greci  inediti 
della  Certosa  di  S.  Stefano  del  Bosco'  (Napoli,  Detken,  1889) 
veröfFenthcht  Nicola  Parisio  zwei  griechische  Schenkungs- 
urkunden des  Malgerius  de  Altavilla  von  1116  und  1156  für 
jenes  Kloster  und  vertheidigt  im  Anschluss  daran  die  Echtheit 


Nachrichten.  433 

des    Privilegs    Friedrichs    IL    von   1212   (BF.   667),    in 
welchem  jene  Schenkungen  bestätigt  werden. 

147.  In  derZeitschr.  für  Geschichte  der  Juden  in  Deutsch- 
land III,  302  ff.  veröffentlicht  H.  Bresslau  eine  Anzahl  un- 
gedruckter Kaiserurkunden,  Rothenburger  Juden  betreffen  d : 
Karl  IV.  1355  Dec.  31  ;  Wenzel  1382  Juni  4  und  1395  Jan.  14; 
Sigmund  1414  Aug.  27,  1434  April  14;  Maximilian  1517  JuK  7. 

148.  Im  Anhang  zu  der  Schrift  von  V.  Domeier,  Die 
Absetzung  Adolfs  von  Nassau  (Berlin,  Mayer  &  Müller,  1889) 
werden  die  Quellen  der  Absetzungsurkunde  Adolfs 
nachgewiesen ,  wobei  zwar  nicht  alle  von  dem  Vf.  hervor- 
gehobenen Anklänge  beweisend  sind,  jedenfalls  aber,  Avas  von 
erheblichem  Interesse  ist,  gezeigt  wird,  dass  namenthch  das 
Decret  Innocenz'  IV.  über  die  Absetzung  Friedrichs  IL,  und 
zwar  in  der  Form,  wie  es  in  den  über  VI.  der  Decretalen 
Bonifaz'  VIII.  aufgenommen  war,  als  Vorlage  gedient  hat. 

149.  Neue  Urkundenbücher:  1)  G.  Schmidt, 
Urkundenhuch  des  Hochstifts  Halberstadt  und  seiner  Bischöfe. 
IV.  Band  (1362—1425),  Leipzig,  Hirzel,  1889.  —  2)  Wirtem- 
bergisches  Urkundenhuch  Bd.  V,  Stuttgart,  Köhler,  1889,  ent- 
hält die  Fortsetzung  der  Urkunden  von  1252 — 1260  und  eine 
erhebliche  Anzahl  Nachträge,  darunter  ein  Fuldaer  Stück  von 
835  und  ein  Kirchberger  von  1028. 

150.  Zum  Wettin-Jubiläum  hat  O.  Posse  u.  d.  T.  'Die 
Hausgesetze  der  Wettiner  bis  zum  Jahre  i486'  (Leipzig  1889) 
die  wichtigsten  Urkunden  zur  Geschichte  des  Hauses 
Wettin  auf  109  prächtigen  Lichtdruck-Tafeln  nach  seinen 
eigenen  Photographien  herausgegeben. 

151.  Vom  Registrum  Farfense  von  J.  Giorgi  und 
N.  Balzani  ist  der  4.  Band  (1009 — 1069)  erschienen. 

152.  Von  Mühlbachers  Regesten  des  Kaiserreichs 
unter  den  Karolingern  ist  die  Schlusslieferung  des  ersten 
Bandes  erschienen;  sie  enthält  ausser  dem  Schluss  der  Regesten 
(bis  918)  eine  vortreffliche  und  sehr  reichhaltige  Einleitung, 
dann  eine  Vergleichungstabelle  mit  Böhmer  und  Sickel  und  die 
Nachträge  und  Berichtigungen  zu  dem  ganzen  Bande. 

153.  Von  Ladewigs  Regesten  zur  Geschichte  der  Bischöfe 
von  Constanz  ist  die  dritte  Lieferung  (bis  1264),  von  Aronius' 
Regesten  zur  Geschichte  der  Juden  in  Deutschland  gleichfalls 
die  dritte  Lieferung  (bis  1226)  erschienen. 

154.  In  den  Mittheilungen  aus  dem  Stadtarchiv  in  Köln, 
Heft  17,  wird  die  Registrierung  des  Inhalts  der  stadtköl- 
nischen Copialbücher  für  die  Jahre  1435—1440,  ebenda 


434  Nachricliten. 

Heft  18  das  Inventar    des  Urkunden archivs   der  Stadt 
Köln  für  die  Jahre  1421 — 1430  fortgesetzt. 

155.  Die  Biblioteca  storica  italiana  Bd.  V  enthält  Re- 
gesten der  Grafen  von  Savoyen  von  902 — 1253  von 
J.  Carutti.  Leider  kehrt  der  unglückselige  Irrthum^  durch 
welchen  Humbert  Weisshand  von  Savoyen  zum  Connetable 
des  Reiches  von  Burgund  gemacht  wird  —  ein  Amt,  das  es 
nie  gegeben  hat  —  auch  hier  wieder. 

156.  Das  Istituto  storico  italiano  hat  auf  den  Antrag 
Monaci's  die  Herstellung  eines  grossen  italienischen 
Regesten  Werks,  eines  'Repertorio  diplomatico  italiano',  in 
Aussicht  genommen.  Vgl.  den  Bericht  über  die  Verhandlungen 
im  Archivio  storico  ital.  V.  4,   134  f. 

157.  In  der  Ztschr.  f.  Gesch.  des  Oberrheins  N.  F.  IV, 
392  veröffentlicht  Baumann  eine  Urkunde  des  Reichs- 
hofgerichts  von  c.  1276.  Das  Siegel  hat  auch  hier  schon 
eine  deutsche  Legende. 

158.  C  Cipolla  behandelt  in  den  'Miscellanea  di  storia 
italiana  II,  12  in  umfangreicher  Erörterung  die  Verhältnisse 
von  Asti  unter  Bischof  Audax  um  die  Wende  des  9,  und 
10.  Jahrhunderts.  Den  Anlass  zu  dieser  Erörterung  geben 
zwei  bisher  ungedruckte  Notariatsurkunden,  aber  auch 
einige  italienische  Diplome  (BRK  1329.  1374.  1465  und 
ein  D.  Rudolfs  IL  von  924)  gelangen  dabei  zur  Besprechung. 

159.  In  der  Westdeutschen  Zeitschr.  f.  Gesch.  u.  Kunst 
VIII,  81  ff.  geben  J.  Priesack  und  J.  Schwalm  eine 
genaue  Uebersicht  über  den  Inhalt  des  für  die  Geschichte 
des  14,  Jahrhunderts  so  wichtigen  Conceptbuchs  des 
Trierischen  Officials,  späteren  Mainzer  Dekans  und  Rathes 
Karls  IV.,  Rudolf  Losse,  das  im  Darmstädter  Archiv 
beruht. 

160.  M.  Conrat  hat  einen  kurzen  Bericht  über  einzelne 
Ergebnisse  seiner  Revision  der  die  Exceptiones  des  Petrus 
bezw.  seine  Quellen  enthaltenden  Hss.  als  Manuscript  drucken 
lassen. 

161.  In  den  Wiener  Sitzungsberichten  Bd.  118  nimmt 
L.  von  Rockinger  seine  Berichterstattung  über  die  Unter- 
suchung von  Hss.  des  Schwabenspiegels  wieder  auf. 

162.  In  der  Revue  Historique  XLI,  241  ff.  veröffent- 
licht Ch.  Nisard  einen  gut  geschriebenen  literarhistorischen 
Essai  über  Venantius  Fortunatus. 

163.  Im  Rheinischen  Museum  f.  Philologie  XLIV,  540  ff. 
finden    sich    Bemerkungen    von    M.    Manitius    über    späte 


Nacliricliten.  435 

lateinische    Dichter,    darunter    auch     zu     Fortunatus    und 
Columban. 

164.  Weitere  Besprechungen  von  Manitius'  Amarcius- 
Ausgabe  liefern  Wattenbach,  Deutsche  Literaturzeitung 
1889,  Sp.  1381,  und  G.  Voigt  in  der  Wochenschr.  f.  klass. 
Philologie'  1889  n.  11. 

165.  In  den  Atti  e  memorie  della  R.  deput.  di  storia 
patria  per  le  provinc,  di  Romagna  3,  VII,  130  ff.  veröffentlicht 
F.  Bertolini  aus  einer  Hs.  des  Escorial  O.  III.  17  drei 
Gedichte  saec.  XIII.  zur  Geschichte  des  grammatischen 
Studiums  in  Bologna.  Alle  drei  beziehen  sich  auf  den  Tod 
eines  mag.  Ambrosius,  dessen  Nachfolger  ein  mag.  Gerardus 
ist.  Dem  Ambrosius  wird  ein  Werk  u.  d.  T.  'Margarita'  zu- 
geschrieben. Der  Text  der  rhythmischen  und  gereimten  Ge- 
dichte ist  stark  verderbt.  I,  88  hat  der  Herausgeber  gegen 
Rhythmus  und  Sinn  ein  'non'  eingeschoben,  auch  v.  65  ist 
die  von  ihm  vorgenommene  Umstellung  unnöthig. 

166.  Im  Archeografo  Triestino  XV,  1  flf.  giebt  A.  Hortis 
ein  im  Jahre  1330  von  einem  Venetianer  verfasstes  Gedicht 
über  den  Frieden  von  Venedig  heraus. 

167.  Der  zweite  Band  von  J.  v.  Döllingers  Beiträgen 
zur  Sektengescliichte  des  Mittelalters  (München,  Beck,  1890) 
enthält  eine  grosse  Anzahl  höchst  interessanter  Traktate  und 
Aufzeichnungen  über  Albigenser,  Waldenser,  Katharer  u.  s.  w., 
die  nur  z.  Th.  bisher  bekannt  waren. 

168.  Marcel  Fournier,  La  nation  allemande  ä  l'universite 
d'Orleans  au  XIV.  siecle  (Nouvelle  Revue  bist,  du  droit  frangais 
et  etranger  1888,  S.  386—431).  —  Werthvolle  Erläuterungen 
und  Anmerkungen  zu  den  hier  mitgetheilten  Documenten  von 
Loersch  und  Höhlbaum  geben  die  Mittheilungen  aus  dem 
Stadtarchiv  von  Köln,  Heft  17,  S.  123  ff. 

169.  In  den  Wiener  Sitzungsberichten  Bd.  118  berichtet 
Luschin  von  Ebengreuth  über  seine  Untersuchungen  in 
bolognesischen  Archiven  zur  Geschichte  deutscher  Rechtshörer 
in  Italien. 

170.  Als  VI.  Publication  der  Gesellschaft  für  Rheinische 
Geschichtskunde  ist  erschienen:  Die  Trierer  Ada-Handschrift, 
bearbeitet  und  herausgegeben  von  K.  Menzel,  P.  Corssen, 
H.  Janitschek,  A.  Schnütgen,  F.  Hettner,  K.  Lamprecht. 
(Leipzig,  Dürr,  1889.)  In  einem  kurzen  Vorwort  begründet 
Lamprecht_,  der  die  Leitung  des  grossartigen  Unternehmens 
übernommen  hat,  den  Standpunkt  der  Herausgeber.  Um  ein 
sicheres  Resultat  zu  erhalten,  mussten  sich  eine  paläographische, 
eine  textkritische   und    eine   kunsthistorische   Untersuchung  in 


436  Nachrichten. 

ihren  Ergebnissen  ergänzen  und  bestätigen.  Um  der  Ada-Hs. 
den  richtigen  Platz  anweisen  zu  können,  musste  man  auch 
andere  wichtige  karolingische  Hss.  in  den  Kreis  der  Betrach- 
tung ziehen.  So  kam  es,  dass  Abschnitt  11.  —  der  ßibeltext, 
von  Corssen  —  und  Abschnitt  IIL  —  die  künstlerische 
Ausstattung:  1)  Charakter  der  karolingischen  Buchmalerei,  2)  die 
hervorragendsten  Schulen  karolingischer  Buchmalerei,  3)  Be- 
schreibung der  künstlerischen  Ausstattung  der  Ada-Hs.  von 
Janitschek  —  zu  zusammenfassenden  Abhandlungen  über 
die  karolingischen  Bibelhss.  ausgestaltet  wurden.  Die  Art,  wie 
die  Resultate  dieser  beiden  Capitel  einander  bestätigen,  ist 
höchst  interessant.  —  Mittelpunkt  des  Abschnitt  I.  —  Codex 
und  Schrift  von  Menzel  —  bildet  die  Ada-Hs.  selbst.  Für 
eine  zusammenfassende  Darstellung  fehlte  es  hier  noch  zu  sehr 
an  Vorarbeiten.  Der  kunsthistorisch  interessante  Einband- 
deckel ist  von  Schnütgen  und  Hettner  in  einem  IV.  Capitel 
behandelt.  Bei  der  Auswahl  der  Tafeln  war  man,  dem  Texte 
entsprechend,  bemüht,  ein  möglichst  grosses  Vergleichungs- 
material zu  liefern.  Tafel  1 — 17  führen  uns  den  ganzen  künst- 
lerischen Sclunuck  der  Ada-Hs.  in  vorzüglicher  Nachbildung 
vor.  4  Tafeln  sind  in  Farbendruck.  Abbildungen  nach  anderen 
Hss.,  die  ebenso  wie  die  Ada-Hs.  der  Schule  von  Metz  ange- 
hören, nach  dem  Godesscalc-Evangelistar  (Paris),  dem  Harley- 
Evangeliar  (London),  dem  Evangeliar  von  Abbeville  und  dem 
zu  Soissons  bringen  die  Tafeln  von  25 — 34,  während  Tafel 
18 — 23  Hss.  der  Schola  Palatina  —  dem  Evangeliar  der 
Wiener  Schatzkammer  und  dem  im  Domschatz  zu  Aachen  — , 
Tafel  24  einer  Hs.  der  Schule  von  Tours,  der  Bamberger 
Bibel,  geA\ddmet  sind.  Die  Schule  von  Rheims  (das  Ebo- 
Evangeliar  zu  Epernay)  ist  uns  durch  2  Tafeln  vergegenwär- 
tigt, ebenso  der  Codex  millenarius  zu  Kremsmünster,  der 
keiner  bestimmten  Schule  einzuordnen  ist.  R.  St. 

171.  Während  des  Druckes  dieser  Blätter  geht  uns  die 
Trauerkimde  von  dem  Tode  Wilhelms  von  Giesebrecht 
zu,  der  in  der  Nacht  vom  17.  auf  den  18.  December  d.  J.  in 
München  verschieden  ist.  Wir  behalten  uns  vor,  auf  das 
schmerzliche  Ereignis,  durch  das  die  Centraldirection  nun 
schon  zum  zweiten  Male  in  diesem  Jahre  schwer  getroffen 
worden  ist,  im  nächsten  Heft  zurückzukommen. 


XI. 

Reise  nach  Nord- Frank  reich 

im  Frühjahr  1889. 

Von 

Ernst   Sackur. 


Neues  Archiv  etc.     XV.  29 


Als  gegen  Ende  vorigen  Jahres  von  der  Leitung  der 
Scriptoresabtheilung  der  Monumenta  Germaniae  die  Herausgabe 
der  Annales  Hannoniae  des  Franciscaners  Jacques  de  Guise 
beschlossen  wurde,  stellte  sich  die  Nothwendigkeit  heraus,  auch 
die  in  Valenciennes  befindliche,  lauge  für  das  Original  gehaltene 
Handschrift  dieser  grossen  Compilation  zur  Herstellung  des 
Textes  heranzuziehen.  Da  die  städtische  Bibliothek  von  Va- 
lenciennes Handschriften  nicht  versendet,  wurde  mir  der  Auf- 
trag ertheilt,  die  Vergleiclmng  an  Ort  und  Stelle  vorzunehmen. 
Bei  der  grossen  Anzahl  von  Bibliotheken  im  nördlichen  Frank- 
reich und  der  Reichhaltigkeit  derselben  an  werthvollen  Manu- 
scripten  bot  sich  auch  die  Gelegenheit,  für  die  anderen  Ab- 
theilungen der  Monumente  nothwendige  Arbeiten  zu  erledigen. 
Am  letzten  Tage  des  April  verliess  ich  des  Abends  Berlin, 
um  mich  zunächst  über  Aachen  nach  Maastricht  zu  begeben, 
wo  ich  am  Nachmittage  des  1.  Mai  eintraf.  Es  galt  hier  eine 
Nachvergleichung  einer  in  sehr  zerstörtem  Zustande  über- 
lieferten Urkunde  Ottos  III.,  (Stumpf  n.  885),  die  auf  dem 
dortigen  Provinzialarchiv  bewahrt  wird,  für  die  Abtheilung 
der  Diplomata  zu  besorgen.  Das  Archiv  liegt  in  der  St.  Pieter- 
straat  in  der  ehemaligen  Franziscanerkirche,  wo  für  die  reichen, 
wohlgeordneten  Schätze  desselben,  sowie  für  ihre  Benutzer 
sehr  schöne  Räume  vorhanden  sind.  Von  9 — 3  Uhr  täglich 
geöffnet,  wird  es  von  Sr.  Hochwürden  Herrn  Pastor  em.  Jos. 
Habets  geleitet.  Herr  Habets  empfing  mich  mit  grosser  Freund- 
lichkeit, räumte  mir  einen  Platz  in  seinem  Privatarbeitszimmer 
ein  und  stand  mir  während  mehrerer  Stunden  mit  Rath  und 
That  zui'  Seite.  Es  sei  mir  hier  verstattet,  dem  genannten 
Herrn,  der  an  jener  Urkunde  ein  besonderes  Interesse  nahm, 
Aveil  er  sie  in  einem  demnächst  erscheinenden  Werke  über 
die  Archive  der  Reichsabtei  Thorn  veröffentlichen  wird,  meinen 
wärmsten  Dank  für  seine  Hülfe  auszusprechen. 

Am  selben  Tage  noch  verliess  ich  Maastricht  und  reiste 
über  Brüssel  nach  Valenciennes.  Hier  langte  ich  während 
der  Nacht  zum  3.  Mai  an  und  konnte  am  folgenden  Morgen 
sofort  meine  Arbeiten  beginnen.  Noch  in  demselben  Gebäude 
gelegen,  als  zur  Zeit,  da  Herr  Dr.  Holder-Egger  sie  benützte ', 


1)  Vgl.  Neues  Archiv  II,  S.  215. 

29 


440  Ernst  Sackur. 

steht  die  Bibliothek  jetzt  des  Morgens  von  10 — I2V2,  des 
Abends  von  5— TVaUnr  den  Besuchern  offen.  Seit  dem  Tode 
des  letzten  Bibliothekars,  des  auch  um  die  Monumenta  ver- 
dienten Herrn  Cromback,  d.h.  seit  etwa  2  Jahren,  Avird  die  Biblio- 
thek provisorisch  von  einem  jüngeren  Herrn,  M.  Maurice 
Henault,  ancien  eleve  de  l'ecole  des  chartes,  geleitet,  ein 
Zustand,  der  voraussichtlich  demnächst  in  einen  definitiven 
übergehen  wird.  Herr  Henault  zeigte  mir  alsbald  das  freund- 
lichste Entgegenkommen.  Auf  meine  Klagen  über  die  kurze 
Arbeitszeit,  die  freihch  für  die  Bedürfnisse  der  Stadt  voll- 
kommen ausreicht,  bemühte  er  sich  selbst  bei  dem  Herrn 
Maire  und  dem  Herrn  Administrator  der  Bibliothek  für  mich 
um  die  Erlaubnis,  ausserhalb  der  Bibliothekstunden  im  Stadt- 
hause Handschriften  benutzen  zu  dürfen.  Hier  arbeitete  ich 
denn  in  den  Nachmittagsstunden  vom  ersten  Tage  ab,  erst 
im  Bureau  eines  höheren  Magistratsbeamten,  des  Herrn  Four- 
nier,  dessen  Gefälligkeit  ich  nicht  genug  rühmen  kann,  dann 
in  dem  ein  Stockwerk  höher  gelegenen  Stadtarchiv.  Diese 
Erlaubnis  war  mir  gleich  in  den  ersten  Tagen  um  so  werth- 
voller,  als  die  Schliessung  der  Bibliothek  vom  5. — 7.  Mai  aus 
Anlass  der  hundertjährigen  Wiederkehr  des  Tages,  an  welchem 
durch  Ludwig  XVI.  die  Generalstände  zusammenberufen  wurden, 
die  kaum  begonnenen  Arbeiten  in  unliebsamer  Weise  miterbrach. 
So  war  ich  die  nächsten  fünf  Wochen  in  Valenciennes  thätig. 
Gehörte  der  lange  Aufenthalt  in  der  wenig  Abwechslung 
bietenden  Fabrikstadt  nicht  zu  den  angenehmsten  während 
meiner  Reise,  so  bin  ich  Herrn  Henault,  sowie  den  städtischen 
Behörden,  zu  um  so  grösserem  Dank  verpflichtet,  dass  sie  mir 
Gelegenheit  verschafften  durch  verlängerte  Arbeitszeit  ihn  nach 
Möglichkeit  abzukürzen.  Vor  allem  benützte  ich  hier  die  aus  drei 
Bänden  bestehende  Handschrift  des  Jacques  de  Guise  n.  784 
(Mangeart  n.  578)",  die  wahrscheinlich  noch  zu  Lebzeiten  des 
Verfassers,  der  1399  starb,  bei  den  Recollecten  zu  Valenciennes 
geschrieben*  und  vielleicht  von  ihm  selbst  noch  durchgesehen 
wurde'.  Leider  ist  der  letzte  Band  auf  furchtbare  Weise  von 
den  Ratten  zerfressen*,    so  dass  hier   die  Bücher   16  —  18  nur 


1)  Herr  Dr.  Holder-Egger  hat  N.  Arch.  X,  S.  216  bereits  darauf 
aufmerksam  gemacht,  dass  in  der  Valencienner  Bibliothek  diejHand- 
schriften  neu  geordnet  sind  und  dass  in  dem  Handexemplar  des  Man- 
geart'schen  Catalogs  daselbst  die  neuen  Nummern  mittelst  Handpresse 
beigesetzt    sind.  2)    So    glaube    ich    den  Schreiber   der  beiden  letzten 

Bände  in  demjenigen  einer  Urk.  vom  22.  Mai  1393  unter  den  im  Valen- 
cienner Stadtarchiv  befindlichen  Urkunden  der  Minderbrüder  sicher  erkannt 
zu  haben  (G.   215).  3)  Allerdings  finden  sich  kleine  Nachträge,  unge- 

■wiss   ist   freilich,    ob  sie  vom  Verfasser  herrühren.  4)  Und  nicht  ver- 

brannt, wie  Heller,  N.  Arch.  H,  S.  314  angiebt.  Auch  ist  es  der  obere 
Theil,  und  nicht  der  untere  der  Blätter,  der  zerstört  ist. 


Reise  nach  Nord-Frankreich.  441 

ganz  fragmentarisch  erhalten  sind.  Ich  collationierte  sodann 
Milos  Gedicht  'de  sobrietate'  mit  der  Handschrift  n.  564 
(M.  n.  395),  in  der  das  Gedicht  von  zwei  verschiedenen  Hän- 
den geschrieben  und  von  einem  späteren  Leser  durchcorrigiert 
wurde.  Für  eine  Abschrift  davon  muss  die  etwas  jüngere 
Handschrift  n.  518  (M.  n.  396)  gelten,  die  in  allen  Aeusser- 
lichkeiten  der  erstgenannten  entspricht '  xmd  nur  einige  wenige 
Randnoten  mehr  hat^.  Hugbalds  Gedicht  'de  laude  calvorum' 
Avurde  mit  dem  aus  St.  Amand  stammenden  Codex  saec.  X 
n.  354  (M.  n.  288)  verglichen,  wobei  sich  herausstellte,  dass 
•der  Herausgeber  Desilve  die  zahllosen  Verbesserungen  und 
Umstellungen  einer  modernen  Hand  einfach  in  den  Text  gesetzt 
hatte.  Aus  derselben  Handschrift  schrieb  ich  ein  Gedicht, 
bestehend  aus  386  Hexametern  ab,  dessen  Verfasser  ein  Mönch 
von  St.  Amand,  wahrscheinlich  der  in  dem  Werke  genannte 
Fulquin  ist,  und  auf  das  ßethmann  bereits  aufmerksam  gemacht 
hatte'.  Es  ist  ein  Zwiegespräch  zwischen  dem  Dichter  und 
der  Muse,  in  dem  der  erstere  unter  reuevollen  Anklagen  sich 
beschuldigt,  sein  Kloster  heimlich  verlassen  zu  haben.  Ferner 
verglich  ich  die  'Vita  S.  Amandi'  des  Milo  nebst  den  Versen 
des  Vulfagus  mit  den  beiden  Valencienner  Handschriften 
n.  564  (M.  n.  395)  und  607  (M.  n.  461)  und  ebenso  Baude- 
munds älteste  Vita  des  Heiligen  sammt  den  'suppletiones  Milonis' 
mit  dem  durch  zahlreiche  Bilder  gezierten  Cod.  von  St.  Amand 
saec.  XI  ■*  und  theilweise  mit  dem  daraus  geflossenen  saec.  XII, 
der  mit  noch  grösserer  Bilder-  und  Farbenpracht  ausgestattet 
ist.  Aus  dem  grossen  Legendär  der  Valencienner  Bibliothek 
saec.  XII  n.  667  ff.  (M.  n.  471)  verglich  ich  die  Vita 
S.  Bavonis  mit  dem  Texte  Mabillons  und  die  eben  auszugs- 
weise in  den  M.  G.  SS.  XV,  p.  796  ff.  herausgegebene  Vita 
S.  Humberti  Maricolensis  nachträglich,  während  die  eben  dort 
befindliche  Vita  S.  Aldegundis  *  sich  als  die  spätere  des  Hug- 
bald ,  sowie  die  Passio  S.  Salvii  martiris "  als  die  des 
Valencienner  Märtyrers  herausstellte.  Schliesslich  unterzog  ich 
die  von  Arndt  edierte  älteste  Vita  S.  Hugberti  einer  Nach- 
vergleichung  mit  dem  ältesten  vorhandenen  Codex,  n.  640 
(M,  n.  469)  und  schrieb  die  in  n.  191  (M.  n.  152)  auf  die 
Vita  S.  Launomari  folgenden  Miracula  des  Heiligen  ab.    Auch 


1)  Unrichtig  ist  jedoch,  wie  N.  Arch.  IV,  S.  523  bemerkt  ist, 
dass  der  Vers  'Si  bene  te  tua  laus  taxat  sua  laute  tenebis'  auf  die  beiden 
poetischen  Wi'Imungen  folge;  er  steht  in  beiden  Handschriften  nach  dem 
ersten  Gedicht:  'Karolo  imperatori  Augusto  Hucbaldus  Aurea  lux  etc.' 
2)  Aber  sie  fehlen  «uch  in  Nr.  564  nicht,  wie  nach  N.  Arch.  IV, 
S.  524  scheinen  könnte.  3)  Archiv  XI,  S.  523.  4)  n.  607  (M.  n.  461) 

fol.  1.  5)   Fol.  39'  ohne  die  'epist.  dedicat.'  beginnt:    'Miseratio  divine 

bonitatis  etc.'  6)    Fol.  74.      Die    in    n.  668   (M.  n.  471,  II)    fol.  186' 

befindliche  Vita  Hugonis  ist  eine  Vita  des  Hugo  von  Grenoble. 


442  Ernst  Sackixr. 

für  die  Epistolaeabtheilung  war  einiges  zu  erledigen:  so  die 
CoUation  der  in  alten  Handschriften  des  8.  und  9.  Jahrhunderts 
n.  253  (M.  n.  337),  242  (M.  n.  187)  und  76  (M.  n.  74)  i 
befindlichen  Alcuinbriefe,  sowie  die  in  moderner  Abschrift  des 
17.  Jahrhunderts  (n.  176,  M.  n.  238)  erhaltenen  beiden 
Briefe  des  Lupus  an  Hinkmar  von  Rheims  und  Karl  den 
Kahlen.  Endlich  collationierte  ich  aus  n.  66  (M.  n.  44)  ein 
kurzes  Fragment  und  einen  Brief  Sigwalds  von  Aquileja  an 
Karl  den  Grossen,  beides  für  ßethmann  bereits  abgeschrieben, 
von  neuem.  Von  bisher  unbekannten  kleineren  Stücken 
copierte  ich  ausser  dem  Gedicht  des  Fulquin  ein  Verzeichnis 
der  im  Jahre  1 132  nach  St.  Amand  transferierten  Reliquien 
und  einen  Brief  des  Abtes  Absalon  von  St.  Amand  an  die 
Chorherren  von  St.  Servatius  in  Maastricht,  in  welchem  den 
letzteren  für  die  Pflege  eines  Elnoner  Mönches,  der  bei  ihnen 
gestorben,  gedankt  und  den  Adressaten  ein  Confraternitäts- 
bündnis  vorgeschlagen  wird.  Ich  untersuchte  endlich  einige 
Handschriften  im  Interesse  Jacques  de  Guise,  über  dessen 
Person  oder  Familie  ich  etwas  zu  erfahren  hoffte,  leider  erfolg- 
los, konnte  jedoch  aus  zwei  Urkunden  des  Valencienner 
Communalarcliivs  (G.  212  und  213)  wenigstens  feststellen, 
dass  sein  Bruder  Johann  ebenfalls  Magister  der  Theologie, 
Curatus  an  der  Kirche  St.  Gery  und  Canonicus  von  Antoing 
und  Soignies,  und  im  Jahre  1392  nicht  mehr  am  Leben  war. 
Die  Thatsache,  dass  ein  Bürger  Jean  Wafflars  von  Fresne- 
sur  l'Escaut  zum  Seelenheil  der  beiden  Brüder  urkundet,  lässt 
vielleicht  an  eine  Verwandtschaft  mütterlicherseits  denken. 

Nach  Beendigung  der  Arbeiten  in  Valenciennes  fuhr  ich 
am  6.  Juni  nach  Douai,  wo  ich  mich  während  der  Bibliothek- 
stunden —  täglich  von  11—5  Uhr  —  des  liebenswürdigsten 
Entgegenkommens  der  Herren  Riviere  und  Abbe  Horoy  zu 
erfreuen  hatte.  Ich  collationierte  hier  ein  paar  Stücke  der  Vita 
Amandi   des  Baudemund   mit    dem  Cod.  n.  857,   während  die 


1)  Diese  Handschrift  saec.  IX  ex.  oder  X  in.  enthält  Alcuins  'expositio 
S.  Joh.'  auf  102  fol.  Die  beiden  Briefe  der  Gisela  und  Rotrud  von  und 
an  Alcuin  und  die  'Capitula  in  expos.  8.  Joh.'  bilden  eine  Lage  aus  vier 
Blättern  bestehend,  die  zu  allerletzt  geschrieben  und  dann  angeheftet 
wurde.  Man  sieht  das  an  dem  flüchtigen  Charakter  der  Schrift,  welche 
den  letzten  Seiten  des  Werks  mehr  als  den  ersten  ähnelt.  Sehr  lange 
Zeilen,  je  31  auf  der  Seite,  bräunliche  Tinte,  kleine  Schrift.  Merkwürdig 
ist  das  Monogramm  Kisela,  das  der  Schreiber  fol.  2  (hier  bis  auf  den 
äusseren  Rand  und  die  Querlinien  ausradiert)  fol.  23,  37,  53,  71,  85,  101 
immer  an  dieselbe  Stelle,  in  die  Mitte  des  unteren  Siitenrandes  hinmalt. 
Vgl.  das  Facsimile  bei  Mangeart.  Auf  fol.  74  steht  ganz  unten  auf  der 
Seite,  von  derselben  Hand,  aber  nachträglich  eingetragen,  der  Brief 
Alch.  Opp.  1617,  col.  589  und  590.  Fol.  5  beginnt  das  Werk,  sehr 
schöne  Initiale  I,  schwarz  und  braun. 


Reise  nach  Nord-Frankreich.  443 

Vita  des  Milo  sich  nicht  in  der  Handschrift  fand,  wie  man 
nach  Arndts  Angabe  annehmen  musste*.  Meine  besondere 
Aufmerksamkeit  erregte  der  aus  Marchiennes  stammende 
Cod.  850  saec.  XUI  in.,  der  neben  andern  auf  das  Kloster 
der  hl.  Rictrud  bezüglichen,  bereits  bekannten  Stücken  einige 
bisher  ungedruckte  enthält,  so  eine  Translation  des  hl.  Jonatus, 
die  ich  excerpierte,  eine  Chronik  von  Marchiennes,  die  ich 
abschrieb  und  ein  Polyptichum  der  Abtei,  aus  dem  ich  ebenfalls 
Auszüge  machte.  Ueber  alle  diese  Stücke  folgen  weiter  unten 
nähere  Nachrichten.  Ich  verglich  sodann  ein  paar  Theile  der 
Vita  Autberti,  deren  von  Surius  nur  ganz  verstümmelt  wieder- 
gegebenen Schluss,  die  Translation  der  hl.  hl.  Gaugericus 
und  Autbertus  nach  Magdeburg,  sowie  den  Bau  einer  neuen 
Kirche  in  Cambrai  betreffend,  ich  abschrieb.  Endlich  copierte 
ich  einen  fragmentarischen  Bericht  über  Translationen  von 
Reliquien  nach  Marchiennes. 

Nach  einem  kurzen  Aufenthalt  in  Paris  während  der  Pfingst- 
feiertage,  den  ich  benützte,  um  mich  über  die  dortige  Guise- 
handschrift  und  ihre  Versendung  zu  informieren,  reiste  ich 
am  11.  Juni  über  Douai  und  Lille  nach  St.  Omer.  Die  dor- 
tige in  der  Rue  Gambetta  gelegene  Bibliothek  ist  nur  fünf- 
mal in  der  Woche  je  drei  Stunden  geöffnet  und  zwar  Montag 
und  Dienstag  von  11 — 2,  Mittwoch,  Donnerstag  und  Freitag 
von  9 — 12.  Es  wurde  mir  jedoch  von  Herrn  Bibliothekar 
Lauwereyns  de  Rosendaele  dankenswerther  Weise  gestattet, 
auch  die  übrige  Zeit  unter  Aufsicht  des  Appariteurs  die  reichen 
Schätze  von  St.  Bertin  zu  benützen,  sodass  ich  die  Arbeiten 
rasch  fördern  konnte.  Hier  war  ich  namenthch  für  die  Sammlung 
der  Heiligenleben  aus  der  Merovingerzeit  thätig :  ich  coUationierte 
die  Viten  der  hl.  hl.  Ansbertus  (n.  764),  Wulframnus  (n.  765)  ^ 


1)  Vgl.  Neues  Archiv  II,  S.  268  und  IV,  S.  524.  Anscheinena  nur 
Abschrift  von  Valenciennes  n.  607.  Die  Vita  des  Milo  ist  allerdings 
im  Inhaltsverzeichnis  aufgeführt,  steht  aber  in  der  Handschrift  nicht. 
Was  Arndt  a.  a.  O.  aus  fol.  14'  abdruckt:  'Prolato  libello  —  militavit'  ist 
nichts  als  der  Anfang  der  'Suppletiones  Milonis',  hinzugefügt  ist  nur  der 
Schluss  'regnante  domino  nostro  lesu  etc.'  —  Was  sonst  das  Inhaltsver- 
zeichnis ankündigt,  fehlt  bis  auf  das  fol.  15 — 17  stehende  'Argumentum 
etc.'  völlig.  Ueber  den  weiteren  Inhalt  s.  'Catalogue  des  man.  des  dep.' 
VI,  p.  608.  2)  Der  Cod.  enthält  auf  fol.  7  und  101  zwei  Initialen,  I 
und  L,  die  dem  Charakter  nach  dem  I  des  Alcuincod.  von  Valenciennes 
n.  76  entsprechen.  Namentlich  scheint  das  I  mit  seinen  eigentümlichen 
Verschlingungen  dasselbe  zu  sein  und  auf  eine  Schule  zurückzugehen. 
Charakteristischer  Weise  enthält  die  Handschrift  von  St.  Bertin  zahlreiche 
auf  Tours  und  den  hl.  Martin  bezügliche  Stücke.  Der  Inhalt  derselben 
ist  im  'Catal.  des  man.  des  dep.'  HI,  p.  345  nicht  vollständig  angegeben. 
Ich  ergänze  hier:  fol.  1  'Incipit  de  gestis  Severi  presbiteri.  Severus 
presbiter  cognomento  Sulpicius  Aquitaniae  provinciae  —  sanguine  Christi 
tuo   solvuntur   prisca   piacla'.      Fol.  132 — 135  Verse   und  Inschi'iften  aus 


444  Ernst  Sackur. 

Winocus  und  die  kostbar  geschriebene  des  hl.  Audomarus, 
die  ich,  durch  ßethmann  irregeführt,  leider  erst  spät  als  die 
dritte  der  bei  den  ßollandisten  gedruckten  Viten  des  Heiligen 
erkannte,  ferner  ein  paar  Stücke  der  'Vita  S.  Petri  Tarant.' 
und  der  in  derselben  Randschrift  befindlichen  Fortsetzung  der 
'Flandria  Generosa'.  Endlich  schrieb  ich  aus  einer  Sammlung 
von  Canones  (n.  194)  den  dort  befindlichen  *sermo  synodalis', 
die  Acten  des  Conzils  von  Seligenstadt,  und  eine  am  Schluss 
der  Handschrift  eingetragene  Aufzeichnung,  den  Friedensab- 
schluss  zwischen  Heinrich  V.  und  Paschalis  H.  betreffend,  ab 
und  unterwarf  die  schon  von  Bethraann  gedruckten  'Capitula 
conc.  Tribur.'  und  die  Genealogie  Ottos  von  Hammerstein  einer 
Revision'.  Von  St.  Omer  machte  ich  am  20.  Juni  einen  Aus- 
flug nach  dem  nahen  ßoulogne,  um  die  dortige  Uebersetzung 
des  Jacques  de  Guise  (n.  149)  in  Augenschein  zu  nehmen. 
Es  ist  dies  die  im  Jahre  1446  auf  Veranlassung  des  Simon 
Nokart  für  den  Herzog  Philipp  von  ßurgund,  Grafen  vom 
Hennegau  angefertigte  Uebertragung,  die,  wenn  auch  unvoll- 
ständig, schon  1531  im  Druck  erschien.  Dieselbe  schliesst 
mit  dem  1244  erfolgten  Tode  der  Johanna  von  Constantinopel, 
da  der  Uebersetzer  sich  offenbar  scheute,  die  nur  theilweise 
im  Original  noch  behandelte  Regierung  ihrer  Schwester  Mar- 
garethe  in  die  französische  Bearbeitung  erst  hineinzuziehen. 
Die  ßoulogner  Handschrift  ist  prächtig  geschrieben,  mit  zahl- 
reichen vlämischen  Miniaturen  von  hohem  Kunstwerth  ausge- 
stattet, besteht  aber  leider  nur  aus  dem  ersten  (ßuch  I — VII) 
und  dem  dritten  Theil  (ßuch  XV— XXI).  Am  nächsten  Tage 
kehrte  ich  von  St.  Omer  noch  einmal  nach  Douai  zurück, 
um  daselbst  den  folgenden  Sonnabend,  an  welchem  die  Bibliothek 
von  St.  Omer  geschlossen  ist,  noch  auszunützen.     Von  da  aus 


der  Basilica  St.  Martin  in  Tours.  Fol.  135  'De  mensura  basilicae.  Ba- 
silica  sancti  Martini  abest  a  civitate  —  hege,  ut  credas,  crede,  ut 
vivas  in  ^ternum'.  Fol.  142'  u.  143  wieder  Verse  aus  St.  Martin.  Fol. 
165   der  Hymnus  auf  den  hl.   Wulframnus.     Beginnt: 

Audite  pantes  monachi 

Exempla  aiidros  fervidi 

Qui  de  Francorum  principe 

Poli  conscendit  atria  etc. 
Bemerkenswert!!  sind  nur  die  zahlreichen  eingefloehtenen  g-riechischen 
Worte.  Auf  dem  Schlussblatt  fol.  174'  allerlei  Feder-  und  Schriftproben. 
1)  Ich  bemerke  hier  gelegentlich,  dass  n.  731  nicht,  wie  in  N.  Arch.  II, 
S.  320  wohl  nur  verdruckt  ist,  dem  XIV.,  sondern  dem  XVI.  Jahrhundert 
angehört.  Die  Handschrift  enthält  auf  42  beschriebenen  Blättern  eine  bis 
ans  Ende  des  XV.  Jahrhunderts  reichende  Geschichte  von  Flandern.  Es 
folgen  7  leere  Blätter  mit  Buchstabenzählung.  Auf  fol.  c'  Brief  Clemens  VII. 
an  Karl  V.:  'Aliqua  sunt,  quae  nobis'  v.  25.  Juni  1526  Rom.  Fol.  h' 
Clemens  VII.  an  Erasmus  von  Rotterdam :  'Ex  litteris  tuis  et  ex  eo  libro, 
quem  ad  nos'  etc.  Rom  1522. 


Reise  nach  Nord-Frankreich.  445 

trat  ich  am  24.  die  Rückreise  an,  auf  der  ich  mich  nur  noch 
einen  Tag  in  Mons  aufhielt.  Es  galt  hier  in  der  Stadtbibliothek, 
die  in  der  Rue  des  Gades  gelegen,  früh  von  9V2  — 12,  Nach- 
mittags von  3 — 7  ülu'  geöifnet  ist,  die  vorhandenen  Hand- 
schriften, Uebersetzungen  und  Auszüge  des  Hennegauischen 
Annalisten  zu  untersuchen '.  Ich  sah  und  verglich  einige 
Stücke  des  ersten  Theils  der  'Annales  Hannoniae'  (Bch,  I— VH) 
in  n.  121/289  2,  geschr.  1453,  untersuchte  die  von  Reiffenberg 
aufgeführte,  von  Bethmann  aber  übersehene  (vgl.  Archiv  IX, 
S.  297)  Handschrift  n.  120/145  saec.  XVII,  welche  einen 
Auszug  aus  der  oben  bezeichneten  franz.  Uebersetzung  sämmt- 
licher  drei  Theile  enthält,  femer  die  franz.  Uebersetzung  des 
2.  Theils  (Bd.  VIH— XIV),  1450  geschr.',  sowie  die  späteren, 
Bearbeitungen  und  Auszüge  enthaltenden  franz.  Codices  saec. 
XVI,  n.  167/155  und  174/144.  Von  Mons  reiste  ich  am  25. 
Abends  über  Brüssel  nach  Berlin,  wo  ich  am  folgenden  Tage 
wieder  eintraf. 

Beilagen. 

1.  Douai  n.  795  saec.  XII.  Heber  den  Inhalt  vgl. 
'Catal.  des  manusc.  des  dep.'  VI,  p.  484.  Auf  fol.  139—140 
steht  eine  unvollständige  Chronik  der  franz.  Könige.  Beginnt: 
'Franci  origine  Troiani'  und  endet  fol.  140:  'Anno  dominice 
incarnationis  MXXX  defuncto  rege  Roberto  Henricus ,  iilius 
eius,  regnavit  annis  fere  XXV.    Huius  mater  Constantia  maxi- 


1)  In  dem  alten  geschriebenen  und  theilweise  grossen  Unsinn  ent- 
haltenden Catalog,  den  man  mir  in  Mons  vorlegte,  sind  die  alten  und 
neuen  Zahlen  bemerkt,  die  man  bei  der  Bestellung  beide  angiebt.  Ich  habe 
die  alte  Bezeichnung  zuerst  genannt.  2)    Die    Hs.    wurde    mir    nachher 

dankenswerther  Weise  nach  Berlin  gesandt.  3)  Ueber  diese  drei  Hand- 
schriften vgl.  auch  'Meraoires  et  publications  de  la  societe  du  Hainaut', 
VII  (aunee  1846—1847)  p.  198  ff.  In  der  zuletztgenannten  n.  122/290 
ist  zu  lesen:  'Toutes  les  corrections  de  ce  livre  ont  estes  faictes  de  et 
par  le  main  de  Jehan  Waukelin  translateur  de  tous  les  trois  volumes'. 
Somit  kennen  wir  den  Namen  des  für  Philipp  von  Burgund  arbeitenden 
Uebersetzers.  Wauquelin  ist  auch  sonst  bekannt.  Ein  Bürger  von  Mons, 
wurde  er  von  den  burgundischen  Herzögen  häufig  zu  Compilationen  oder 
Uebersetzungen  herangezogen,  die  P.  Meyer,  'Girart  de  Roussiilon',  Paris 
1884,  p,  CXLII  aufzählt.  Diese  Thätigkeit  fällt  in  die  vierziger  und  den 
Anfang  der  fünfziger  Jahre.  Hachez  führt  in  den  'Annales  du  cercle 
archdol.  de  Mons'  (1887)  p.  186  aus  einer  Rechnung  von  1445  die  Summe 
von  12  Pfd.  an  'k  Jean  Wacquelin  demeurant  k  Mons  eii  Haynault  pour 
don  k  luy  fait,  quant  yl  est  venu  devers  Monseigneur  k  Lille  pour 
aucunes  affaires  touchant  la  translacion  de  pluseurs  hystoires  des  pays 
de  mon  dit  seigneur'.  Dass  er  Guise  übersetzt  hat,  blieb  beiden  unbe- 
kannt: es  ist  um  so  interessanter,  als  seine  1447  verfasste  prosaische  Be- 
arbeitung des  Girart  de  Roussiilon  Bekanntschaft  mit  Guise  verräth,  was 
Meyer  richtig  bemerkte. 


446  Ernst  Sackur. 

mam  regni  positionem  in  suam  post  fimus  mariti  .  .  .'  Eine 
weitere  Benutzung  dürfte  unnöthig  sein,  da  das  Fragment  aus 
Hugo  von  Fleury,  Andreas  von  Marchiennes  und  Sigebert  ^ 
compiliert  ist.  Die  zwei  folgenden  Blätter  sind  herausgeschnitten. 
Auf  dem  letzten  fol.  141  liest  man  noch  folgende  Translations- 
geschichten: reliquiis.]  quibus  locus  ille  fixiget  insignis,  secum 
asportare  desiderans,  suis  et  suorum  precibus  amicorum,  abbate 
scilicet  sancti  Medardi  Ingranno  *  interveniente,  qui  nionachus 
inibi  et  prior  extiterat  et  ecclesi^  Marcianensi  aliquandiu 
honeste  prefuerat,  sed  precepto  domini  pap(^  Eugenii  III. 
ad  occlesiam  Suessionensem  sancti  Medardi  regendam  vel  potius 
restaurandam  assuniptus  est.  Divina  favente  gi'atia  tam  abba- 
tem,  quam  fratres  omnes  valde  benignes  invenit  miro  et  inef- 
fabili  modo  sue  petitioni  annuere  gestientes.  Mane  igitur 
facto  post  missas  abbas  ipse  eiusdem  loci,  lohannes*  nomine, 
in  sancta  sanctorum  per  se  ipsum  ingressus,  ipso  dispensante, 
ipso  distribuente,  nobis  presentibus  divite  gaza  nostras  replevit 
manus,  dans  incomparabilem  thesaurum  certis  tvtulis  assigna- 
tum,  quod  cuius  esset,  sicut  subscriptum  est:  Digitum  unius 
Innocentis,  qui  adhuc  cum  corio  apparet  et  ungue,  qui  videlicet 
recens  natus  et  percussus,  sicut  ab  ore  eins  audivimus,  nimi- 
rum  mox  aruit,  quia  non  habebat  humorem,  Digitum  sancti 
Gentiani  martyris.  Tres  dentes  trium  martyrum  Cypriani,  Cris- 
pini  et  Crispiniani.  De  ossibus  Sebastiani  martyris.  De  ossi- 
Dus  Theodori  martyris  cum  sociis  suis.  De  ossibus  Panchratii 
martyris.  De  ossibus  Vitalis  et  Marcialis  martyrum.  De  ossi- 
bus Leodegarii  episcopi  et  martyris.  De  ossibus  Lamberti 
episcopi.  De  fascia  sancti  Pauli  apostoli.  De  vestimentis 
sancti  lohannis  evangeliste.  De  ossibus  sancti  Nicholai  epi- 
scopi et  confessoris.  De  digito  sancti  Eligii  Noviomensis  epi- 
scopi, in  quo  insolitum  aliquid  valde  apparuit,  quia,  cum  inte- 
grum illum  nobis  dare  nolens  partiri  vellet  abbas,  per  medium 
fracto  inter  manus  post  sexcentos  et  eo  amplius  annos  depo- 
sitionis  ipsius  adhuc  medulla  in  osse  erat.  Cuius  in  testi- 
monium,  sicut  et  ossis,  pia  largitate  participes  nos  fecit.  De 
ossibus  sancti  Lupi  episcopi  et  confessoris ,  qui  caducum 
morbuni  habentibus  et  ipsum  requirentibus  integram  sanitatem 

Erestare  solet.  De  ossibus  sancti  Evremundi  confessoris.  De 
rachio  sancti  Ratberti  Paschasii  cardinalis  [levite^]  urbis  Rome 
et  abbatis  Corbeic,  qui  luculentum  librum  de  corpore  et  san- 
guine  Domini  et  alia  volumina  insignis  auctoritatis  edidit.  De 
ossibus    sancte    Cristin§!    virginis    et    martyris.       Quod    autem 


1)   Hier    sind    die  Jahre    1006,   1023,   1026,  Roberts  Beziehungen  zu 
Deutschland  betreffend,  ausgeschrieben.  2)   1148 — 1177.  3)  I.  von 

Marchiennes  1158 — 1182  nachzuweisen.    Gallia  christ.  III,  397.       4)  Ueber 
der  Zeile  von  andrer  Hd.;  auf  der  Zeile  Rasur. 


Keise  nach  Nord-Frankreich.  447 

favore  divino,  non  humano,  et  certo  miraculo  nobis  thesaurus 
iste  collatus  fuerit,  ex  hoc  liquido  constat,  quod  post  discessum 
nostrum  mox  dolor  ingens  et  meror  magnus  fratres  invasei'it, 
ineffabiliter  p^nitentes  supei'  dono,  quod  dederant  et  quod 
die  eadem  prompta  et  alaeri  voluntate  nobis  feeerant.  Recept^ 
sunt  autem  sancte  reliqui^  pridieKal.  Octobris  in  festivitate  sancti 
Michahelis  et  apud  nos  condite  cum  sollempni  processione  et 
gaudio  universorum,  sicut  qui  letantur  in  messe  vel  sicut 
exultant  victores  capta  preda,  quando  dividunt  spolia. 

Anno  Domini  MCLXXII.  temporibus  predicti  abbatis 
allate  sunt  a  Colonia  reliqui^  sanctorum  martyrum  et  sancta- 
rum  virginum  a  duobus  istius  ^cclesi§  monacliis,  Martino  vide- 
licet  et  Andrea',  quas  ex  dono  Philippi  archiepiscopi^  et  decani 
seu  prepositi  ecclesi^  sancti  Petri  et  abbatis  sancti  Heriberti 
Tuicii»  acceperunt.  De  sancto  Ignatio  episcopo  et  martyre, 
de  sancto  Vincentio  martyre,  de  sancto  Ciriaco  papa  et  mar- 
tyre, de  sancto  lacobo  episcopo  Antiocheno  martyre,  de  sancto 
Simplicio  Ravennate  episcopo  martyre.  Digitum  sancti  Traiani 
martyris  ex  legione  Tebea.  De  sancto  Pantulo  episcopo  et 
martyre.     De  sancto  ■*.  .  .  . 


2.  Douai  n.  850  (früher  799).  Pgmt. -S»  saec.  XIII  in. 
Beschreibung  der  Handschrift  von  Bethmanu*  und  im  Catal.  des 
depart.  VI,  p.  596.  FoL  87'  'Prologus  super  miracukimß,  quo  do- 
minus illustravit  confessorem  suum  lonatum  abbatem  sanctissi- 
mura'.  Beginnt:  'Assurgat  unanimis  in  laudibus  conditoris  sacr^ 
reHgionis  concentus  Martianensis  —  per  sancti  lonati  pretiosi  con- 
fessoris  Christi  et  abbatis  merita  designaverit,  dihgentius  per- 
videamus'.  Das  ganze  Stück  schhesst  fol.  99'  4n  resolabile  domi- 
cilium  hie  et  in  evuni  permanet,  id  est  in  secula  seculorum. 
Amen.'  Es  handelt  sich  nicht,  wie  ßethmann  meint,  um  eine 
Geschichte  des  Klosters  kurz  nach  dem  Tode  des  Grafen  Karl 
(1127)  unter  dem  Abt  Jonatus,  sondern  um  die  Translation  des 
ersten  Abtes  von  Marchiennes,  Jonatus,  nach  dem  Dorfe  Salia- 
cus,  'ubi  sciebant  affuturum  maiorem  impetum  hostium'.  Den 
Schwulst  und  die  Weitschweifigkeit  des  Werkes  rügten  bereits 
die  Bollandisten ',  die  auch  hervorhoben,  dass  der  wesentliche 
Inhalt  des  Stückes  in  den  Miracula  S.  Eictr.,  Acta  SS.  Mai 
III,    p.  106,    zu    weit    klarerer    Darstellung    gelangt    sei.     Sie 

1)  Wohl  der  bekannte  Andreas  von  M.  2)  116.7—1197.  3)  Hier 
steht  am  Eand  von  deis.  Hd.:  'Tiiicium  dicitur  castellum  ultra  Reuum, 
eo    quod    ab    liostibus    tueatur    Coloniam'.  4)   Uie    nächste  Zeile    halb 

•weggeschnitten  und  radiert.  Dagegen  liest  man  noch  auf  den  Rand 
hinausgeschoben:  'Foillani  episcopi  et  mr(!)  .  .  Gaii  Albanensis  mr.  epo 
et  .  .'         5)    Archiv  VIII,    S.   427.  6)  Vom   Rubricator   verbessert   in 

'miraculo'.  7)  Acta  SS.  Aug.  I,  p.  75. 


448  Ernst  Sackur. 

citierten  einiges  Wenige  'ex  grandi  Ms,  pag.  24  in  fol.,  quod 
annexum  dicitur  operi  Gualberti  monachi  de  vita  et  miraculis 
S.  Rictrudis'.  In  den  Mirac.  S.  Rictr.  II,  §  32  ist  aber  der 
Name  des  hl.  Jonatus  nicht  genannt;  es  wird  nur  von  den 
Reliquien  der  hl.  Rictrud  und  ganz  allgemein  denen  anderer 
Heiligen  gesprochen.  An  die  Ermordung  des  Grafen  Karl 
wird  auch  hier  angeschlossen.  Das  kleine  Werk,  von  dem 
wir  hier  sprechen,  steht  aber  sicher  in  keiner  Abhängigkeits- 
beziehung zu  den  Miracula;  es  hat  die  deutliche  Aufgabe,  die 
Verehrung  für  den  hl,  Jonatus  in  Fluss  zu  bringen  und  dürfte 
nicht  gar  zu  lange  nach  dem  Ereignis  zu  Brügge  entstanden 
sein,  unter  dessen  Eindruck  der  Verfasser  oßenbar  schreibt. 
Ob  ihm  jedoch  die  Vita  Karoli  a.  Waltere  '  ganz  fremd  ge- 
blieben ist,  kann  man  mit  Sicherheit  nicht  behaupten^  da  sich 
trotz  des  Mangels  wörtlicher  Uebereinstimmungen ,  doch  ge- 
wisse Annäherungen  constatieren  lassen.  In  einer  sehr  schwül- 
stigen Einleitung  beklagt  der  Autor  die  Ermordung  Karls  und 
die  dadurch  hervorgerufenen  Wirren:  diesen  Abschnitt  und 
aus  der  Mitte  heraus  ein  Stück  von  allgemeinerem  Interesse, 
Klagen  über  die  Bedrücker  des  Klosters  enthaltend,  habe  ich 
excerpiert. 
Fol.  88.  Tractatus  ipsius  miraculi  de  candelis  ex- 
tinctis,  sed  c^Iesti  lumine  reaccensis'. 
Sub  ea  igitur  tempestate,  qua  miserabili  fraude  suo- 
rum  seu  proditione  cecidit"',  periit  subiitque  repentinum 
ictum,  quasi  reus  capitalis  sententiat^,  Karolus  illustris  comes 
Flandri?,  necessitate  ingenti  fratres  compulsi  Marcenienses, 
sevientes  bellon^  *,  sanctum  de  secretioribus  abditis  eduxei-unt 
lonatum  eumque  cum  honore  decenti  premiserunt  ad  tute- 
lam  possossionum  sustentationi  corpore?  viris  Dei  necessa- 
riarum,  ne  forte  paterent  ex  toto  pred§  faucibusque  luporum 
avidius  incendiis,  rapinis,  exuviis  bonorum  inhiantium,  virga, 
baculo^  immo  columpna  immobili,  non  tarn  patri^,  quam  sancte 
matris  ^cclesi?,  videlicet  Karolo,  utriusque  sexus  qui  erat  re- 
fugium  et  maxime  pauperum,  nusquam  apparente,  non  iam 
latenter,  sed  aperte  sevientium.  Contendebant  enim  ac  miseri 
misere  congaudebant,  se  licenter  ac  cupide  exire  de  cavernis 
suis,  in  quibus  hactenus  et  diu  latuerant,  quoad  viveret  rector 
et  amator  bonorum,  terror  et  violentus  oppressor  malorum, 
cuius  probitati,  liberalitati,  animositati  viri  sanguinum  et  dolosi 
nimis   invidebant,    quo    subsistente  longeque  manus  porrigente 


1)  Sie  ist  unmittelbar  nach  dem  Tode  des  Grafen  geschrieben.  Vgl. 
Wattenbach,  Deutschi.  Geschichtsquellen  5.  Aufl.  II,  S,  288.  2)  Ueber- 
schrift  roth.  3)   1127,    2.  März.  4)    So!     Dass  der  Tod  des    Grafen 

zu  grossen  Unruhen   und  Räubereien  Anlass    gegeben,   berichtet  auch  die 
Vita  Karoli  c.  43,  SS.  XII,  p.  557. 


Reise  nach  Nord-Frankreich.  449 

et  male  agere  oppido  timuerant.  Quem  cum  alio  modo,  alio 
tempore,  alio  conamine  persequi  non  auderent,  in  tempore 
pacis  sacrat^  et  a  sanetis  patribus  Institut?  in  soUempnibus 
ieiuniis,  in  quadragesimalibus  observantiis,  in  monasterialibus 
insigniis  sancti  Donatiani  ßrugensis  viri  iniqui  et  coniurati 
insurrexerunt  non  tam  in  egregium  Karolum  comitem,  quam 
in  suam  suorumque  pernitiem,  obprobrium  in  proprium  et 
confusionem.  Dum  enim  pro  more  suo  idem  non  sine  luctu 
nominandus  comes  Karolus  misse  sacramentis  interesset,  dum 
psalmos  p^nitentiales  in  codicello  sibi  familiari  preeineret*, 
dum  etiam  devote  orando  cor  suum  Domino  effunderet  et  In- 
terim ^lemosinam  cum  distributione  numraorum  fratribus 
pauperibus  oportune  inportune  se  ingerentibus  perficeret*,  ex 
inproviso  a  suis  non  tam  famulis,  quam  traditoribus  perversis 
et  Flamingis  ferocissimis  pro  iustitia  p^nam  excepit.  Quodque 
est  absurdum  et  nimis  §  natura  dictum,  ne  dicam  factimi, 
nimium,  inquam,  ac  monstruosum,  acsi  in  ultionem  pacis, 
quam  tuebatur  omnimodis,  cervix  eius  perpulchra  cruore  sui 
pro  dolor !  ferrum  ^  audacis  pre  aliis  cuiusdam  ßulcardi  *  et 
insanientis  ad  mortem  usque  infeliciter  sibi  etiam  ipsi,  qui  hoc 
idem  scelus  perpetravit,  sicut  non  longe  postea  claruit,  illinuit. 
Sed  quoniam  non  est  nostri  propositi  per  singula  evolvere, 
quomodo  propter  iniquitatem  facti  in  stuporem  et  sibilum  et 
in  omnimodam  plebis  abiectionem  condigna  et  exquisita  mul- 
tati  sunt  ultione,  quidam  confixi  in  pariete  abstracta  prius 
cute,  continuato  a  capitis  vertice  usque  ad  inguina  vulnere, 
quidam  in  altum  erecti,  extensi  et  depressi  totum  corpus  rota- 
rum  vertigine^,  pars  maxima  horribili  saitu  de  eadem,  qua 
conspiraverant,  conglobati  factiones  suas  contueri,  inmensa 
Brugensis  arcis  altitudine «,  quomodo  etiam  plerique  eorum 
mancis  sive  truncatis  manibus  cum  lacertis,  tibiis  cum  pedibus 
perforatis,  poplitibus  traiectis,  sudibus  suspensi  in  immundis 
locis  capite  deorsum  verso  turpi  morte  periere',  iccirco  rem 
in  medio  derelinquimus,  necnon  de  substitutione  subsequentis 
comitis  Guuillelmi  *,  videlicet  filii  Eoberti  predecessoris  comitis 
Normannie,  a  Ludovico  rege  Francie  facta,  Flandigenarum 
climata  post  mortem  Karoli  sub  ditione  sua  cuncta  redigente, 
conatu  frustrato  Henrici  regis  Angli^^,    qui    felicibus    actibus 

1)  Vgl.  Walteri  Vita  Karoli  comitis  c.  25,  SS.  XII,  p.  549;  Gnal- 
berti  passio  Karoli  c.  12,  ib.  p,  568,  und  c.  15,  p.  569;  AnoDymi  vita 
c.  6,  ib.    p.  621.  2)    Seine    Freigebigkeit    und    Wohithätigkeit   rühmt 

auch    die   Vita  Walters    c.  11    a.    a.  O. ,    p,    544.  3)    undeutlich    ge- 

schrieben. 4)  In  der  Vita  des  Walterus  Bnrehardus  genannt,  in  der 
Passio  Karoli  comitis  des  Gualbertus  heisst  er  Borsiardus,  in  der  Vita 
des  Anonymus  Borchardus.  5)  Vgl.  Vita  Karoli   c.  42   a.  a.   O.  p.  556. 

6)  Vgl.  Vita  Karoli  c.  50  a.  a.  O.  p.  559.  7)  Vita  Karoli  c.  33  a.  a.  O. 

p.  352  'partim  patibulis  appensi,  partim  in  cloacas  iactati*.  8)  Wilhelm 
Clinton.  9)   Heinrich  I. 


450  Ernst  Sackur. 

nepotis  a  se  exheredati,  ut  iniquus  patruus ' ,  non  cessabat 
invidere,  cuius  patrem  eundemque  fratrem  suum  diuruis  nexi- 
bus  captivitatis  addictum  regnique  sui  iura  seu  monarchiam 
Normannicam  nietuebat  amittere.  H§c.  inquam,  et  similia  non 
enodamus,  potius  aliis  tractanda  proponimus.  Sed  et  quomodo 
sustinuerit  idera  iuvenis,  scilieet  Wilelmus  coraes  substitutus 
non  solum  tinitimas,  verum  etiara  alienas  congressiones  et  tarn 
procul  positas,  quam  proximas  et  crebras  phalanges,  tiu-mas 
atque  legiones  in  subversionem  sui  suorumque  ae  totius  pro- 
vintie  sibi  commissi  properantes,  concertantes  et  absque  fere 
intermissione  novis  rebus  insistentes,  reticemus.  Non  tamen 
preterire  debuimus  casum  non  tarn  rectoris  principisque  ex- 
cellentis,  quam  casum  amiei  familiaris  nostrique  protectoris.  qui 
ex  quadam  industria  et  singulari  diligentia  nichil  ferme  detri- 
menti  patiebatur  inesse  rebus,  quas  noverat  famulari  beate 
Kictrudi  eiusque  lili^,  Deo  consecrate  virgini  Eusebie.  Qui 
prudens  vir  atque  disertus,  ut  nichil  supra  tam  pie  tamque 
benigne  responsa  prociamantium  religiosorum  virorum  rebus 
ipsis  prefectorum  aceipiebat,  quod  sine  gemitu  ac  merore 
possunt  et  ipsi  referre,  multociens  oecupatus  militia,  stipatus 
armis  latera,  properans  et  intendens  ad  aiia  cognita  seu  visa, 
fratrum  ]\Iarceniensium  presentia  ilico  subsistebat,  atque  auditis 
querelis  decursisque  alternatim  privatis  causis  iudiciariis  ^  vel 
statin!  iustitiam  exercebat^  vel  certam  iustitiam  dieraque  certum 
iusticir  determinabat.  Sepenumero  etiam  presentiam  suam 
ipsis  militibus  subtrahebat*  atque  cum  eisdem  fratribus  se 
medium  innectens  fainiliariter  de  necessariis  negotiis  sermonem 
conserebat,  vitasque  necuon  origines  ac  progenies  vel  merita 
sanctorum  ]\Iarcenis  quiescentium  et  precipue  beate  llictrudis 
sancteque  Eusebie,  eius  videlicet  nat^,  inquirebat,  quarum 
nobilitatem  nobilis  et  ipse  avido  pectore  reponebat  et  tenaci 
memorie  conmendabat  sueque  sollerti  inquisitioni  de  precipuo 
et  primo  fundatore  nostri  cenobii  sub  beato  Amando,  de  sancto 
videlicet  lonato  confessore  Chi'isti  egregio  et  monialibus  sibi 
subrogatis  pro  castigat§  vit§  merito  in  abbatem  ministro  sibi 
satis  fieri  deposcebat.  Demum  omnem  diligentiam  suam  abbati 
nostro,  tunc  temporis  venerabili  atque  amabili  Amando  ^,  quem 
valde  venerabatur  et  diligebat,  pariterque  fratribus  sub  eodem 
karissimo  patre  operam  religioni  dantibus  affuturam  procul 
dubio  spondebat.     Igitur  simulac  breviter  attigimus  vel  potius 


1)  Vgl.  V.  Karoli  c.  44  'a  patruo  suo  Henrico  Änglorum  rege  — 
impie  exheredatum'.  2)  Von  der  Hand  des  Schreibers  über  der  Zeile 
nachgetragen.  3)  'exerebat'  hs.  4)  Vgl.  Walteri  Vita  c.  12:  'In  qui- 
bus  hunc  ordinem  sepius  observabat,  ut,  si  quando  clerici  vel  monachi 
liergiosi  necessitate  aliqua  cogente  in  sua  curia  causas  agere  haberent, 
aornm  ante  alia  et  querelas  audiret  et  causas  terminaret,  et  sie  demum 
ad  alia  ae  tractanda  converteret".         5)   1116  —  c.  1133. 


Reise  nach  Nord-Frankreich.  451 

deflevimus  casum  inmeritura,  repentinum  interitura  patroni  ac 
defensoris  nostri,  Karoli  videlicet  comitis  excellentissimi,  reflec- 
tamus  interius  ad  merita  sancti  lonati  gloriosi  confessoris  Christi 
exequenda,  nobis  a  Domino  pio  previsore  nostro  vice  Karoli 
protectoris  nostri  vigilantissimi  ad  tutelam  rerum  nostrarum 
deputati,  quem  Deus,  ut  crediraus,  ad  maiorem  terrorem  incu- 
tiendum  hostibus  undique  sevientibus  declaravit  signo  subse- 
quenti. 

Fol.  97'.  Nee  bis  tarnen  contenti,  pro  dolor!  pessima 
pestis  bomo  homini,  bomines,  non  ut  bomines,  immo  ut  apri, 
tauri  vel  leones  seu  qu§libet  fer§  insan^  et  silvestris  aggressi 
quosdara  illorum  compedibus  alligandos,  manicis  ferreis  astrin- 
gendos  pro  suramula  rerum  sine  niiseratione  patibulis  affigen- 
dos  a  suis  natis,  coniugibus  et  parentum  complexibus  submo- 
verunt  et  dolentes  desolatosque  captivaverunt ,  quosdam 
vulneribus  inflictis  crudeliter  affecerunt  et  terram  de  cruore 
eorum  effuso  infecerunt,  quosdam  vero  verberibus  diutinis 
vexatos,  stilla  sanguinis  artus  perfusos  multisque  debonesta- 
mentis  certamini  male  addictos,  viriliter  tamen  agentes  ac  tarn 
pro  animabus,  quam  pro  rebus  fortiter  dimicantes  longo  a  se 
non  sponte  tamen  abiecerunt.  Qui  vero  non  fuerunt,  licet 
amissis  rebus,  detractati  et  captivati  Saliacensium  equ§  sub- 
clamabant  se  reos  satis  infelices  et  miseros  omnique  calamitate 
iuste  substratos  ac  substernendos,  quia  dimiserant  a  se  sanctas 
inconsulte  reliquias,  conterentes  nimirum  atque  obsistentes 
malignorum  maligno  capiti,  que  repellebant  nee  sinebant  calca- 
neum  inimici  sibi  appropinquare '  vel  usquequaque  obesse.  Pro- 
inde  iterum  atque  iterum  inclamabant  conquerentes,  flentes  atque 
eiulantes  auxilium  Domini  et  sanctissimi  confessoris  sui  lonati, 
sed  praecipue  sanctissime  virginis  Eusebie,  cuius  familiäre 
contubernium  babebant  in  villa  Saliacensi  ex  antiqua  prede- 
cessorum  regum  donatione,  eorum  scilicet,  qui  sacram  sacra 
baptismatis  unda  virginem  sponsamque  spetiosissimam  Deo 
initiavere.  Dicebantque  ad  alterum :  'Quid  igitur  faciemus? 
Paulo  ante  dapifero  Balduino  vices  patrocinii  usurpante  super 
nos,  pondera  argenti  probati  igneque  examinati  §qua  trutina 
marcarum  bissena  libravimus,  nunc  de  preda  reducenda  eidem 
forsitan  maiore  parte  iara  consumpta  centenarium  numeram 
in  bis  quinquagenis  solidis  integrum  exsolvemus  et  totidem  aut 
eo  amplius  patrono  antecessori  Hugoni  scilicet  Hoisgiensi,  ad 
hoc  nos  in  sua  cogenti,  facturum  pacem  in  proximo  cum  Willelmo 
recens  comite  Substitute,  velimus  nolimus,  nee,  ut  remur,  accep- 
turo,  immo  dedignaturo  parva  de  nostris  sumere  deferemus. 
Minatur  enim  tormenta,  cruces  et  verbera,  si  non  remetiamur  * 
quantocius  eandem   et  maiorem   summara,   quam   et  dapifero, 

1)  'appropaire'  hs,         2)  Ueber  der  Linie. 


452  Ernst  Sackur. 

cupide  locatam  in  interiori  cordis  eius  arca.  Si  sie  futurum 
est,  c^lorum  Rex  et  Domine,  cur  vit§  reservamur?  Unde 
nobis  alimenta  et  parvulis  nostris?  lam  fere  ad  nichilum 
redacti  sumus.  Sea  cur  frustra  conquerimur?  Omni  hora  de 
vita  periclitabimur,  nisi  nobis  sacrarura  protectio  reliquiarum 
ac  tutum  referatur'.  Verum  enimvero  rector  Marcenensium 
coenobitarum  precavens  sibi  de  futuris  casibus  et  maxime  de 
alternatione  sui  coraitatus  Flandrigenitarum  commotionibus 
ac  seditionibus,  non  consensit  ulterius  de  sacris  referendis  ossi- 
bus  tarn  supplicibus  quam  simplicibus,  devotis  quamvis,  pre- 
cibus,  ne  forte  sevitia  nostium  ac  temeritate  alias  transferretur 
aut  rainoris  diligentia  detrimento  coUideretur  lonatus  confessor 
sanctissimus,  qui  tarn  pio  favore  non  sinebat  vexari  suos  supra 
modum  mundanis  turbinibus,  Si,  qu?  vero  inferuntur  hiper- 
bolice  vel  tropica  dictione,  figura  scilicet,  qu^  excedit  fidem, 
ad  exaggerandara '  utique  fit  nimiam,  quam  patitur  conventus 
fidelium  de  morte  et  pro  morte  Karoli  victoriosi  principis  et 
incliti  comitis  Flandri^,  de  cuius  casu  iniusto,  teraerario  et  in- 
proviso  pauca  prelibavimus,  desolationem,  cuius  a  suis  iniuste 
necati  vice  velut  functus  legatione  apud  Saliacensem  provin- 
tiam  depellendo  hostium  inquietudinem  sanctus  confessor  Christi 
lonatus  consulti  iuris  per  aliquod  spatium  temporis  §quam 
executus  est  rationem :  quocirca  supraraemorati  Saliacenses 
magis  et  magis  instabant  et  a  precibus  sanctum  invocantes 
lonatum,  ut  ad  se  referretur,  non  cessabant.  Crescebant  enim 
mala  cotidie,  quibus  ultra  modum  resolvebatur  cor  eorum, 
presertim  cum  quosdam  neque  indulgere  quadragesime  ceme- 
rent,  quin  arma  contra  se  et  in  sui  perniciem  deferrent,  bella 
seditiose  atque  insidiose  comraoverent,  trin?  quoque  parti  troni 
male  2  divisi  climatis  Flandrig  trium  comitum  dominationem 
pr^ter  solitum  instituercnt.  Verum  h§c  et  alia  mortis  stipen- 
dia,  malorum  dispendia,  incommoda  perplurima  consecuta 
sunt  de  iniusta  nece  Karoli  Flandriarum  comitis  egregii,  cuius 
meminisse  continua  pr§ce,  summo  cum  favore  decet  conventura, 
quacumque  diffusus  est  per  orbem  terrarum  fidelis  populi. 
Sed  de  nis  hactenus,  que  implendis  fastis  pr§  multitudine  sui 
gestorum  melius  reserv^antur  scriptoribus'. 

Buzelin  in  der  Gallo-Flandria »  und  ßeauchamps  in  seiner 
Dissertation  'De  antiquitate  Marcianensi'  eitleren  häufig  für 
die  Anfänge  von  Marchiennes  ein  Chron.  Marehianense  *.   Dieses 


1)  'exag-gerandum'  lis.;  über  'dum'  steht  '1  a  =  vel  a*.  Der  Schreiber 
hat  wahrscheinlich  nicht  deutlich  lesen  können;  in  der  That  muss  '-dam* 
emendiert  werden.  2) 'cronimale' hs.  3)  Douai  1624.  Diebetreffenden 
Citate  stehen  und  sind  entnommen:  lib.  I,  c.  41,  p.  203  (aus  c.  7),  p.  205 
(c.  18  XL.  c.  10),  p.  219  (aus  dem  Epilogus);  lib.  II,  c.  20,  p.  334  u.  336 
(c.  2),  p.  337  (c.  7),  p.  338  (c.  5),  4)  Gedr.  in  seiner  Ausgabe  des  An- 
dreas von  Marchiennes,  Douai  1633  u.  zwar  p.  482  (c.  2),  p.  501/602  (c.7). 


Reise  nach  Nord-Frankreich.  453 

Werk,  aus  dem  auch  die  BoUandisten  ein  paar  kleine  Stücke 
druckten',  bildet  in  dem  genannten  Codex  der  Bibliothek  von 
Douai^  den  Anfang  einer  Gruppe  von  Marcianensischen  Ge- 
schichtsquellen (fol.  103'),  die  in  der  Handschrift  auf  einander 
folgen  und  von  einander  nicht  getrennt  werden  können.  Nach 
der  Vorrede,  die  von  Buzelin  schon  theilweise  wiedergegeben, 
fragte  der  Abt  Simon,  der  von  1199 — 1202  die  Abtei  leitete, 
einst  in  der  Fastenzeit,  nach  einer  Geschichte  oder  einem  Ver- 
zeichnis der  Aebte.  Als  ein  Mönch  —  wie  sich  aus  dem 
Folgenden  ergiebt,  der  bekannte  Chronist  Andreas  —  das  Vor- 
handensein einer  derartigen  Aufzeichnung  verneinte,  aber  hin- 
zufügte, dass  er  aus  Chroniken,  Geschichten  und  Berichten 
manches  auswendig  wisse,  Hess  sich  der  Abt  einen  Vortrag 
halten,  nach  dessen  Beendigung  er  dem  Andreas  zum  Vorwurf 
machte,  dass  er  nicht  lieber  dies,  anstatt  der  Thaten  der 
Könige  und  Kriege  der  Kaiser  niedergeschrieben  habe.  Ob 
nun  Andreas  selbst,  was  mir  wahrscheinhch  ist  3,  oder  ein 
anderer  den  Wunsch  des  Abtes  zu  erfüllen  sich  vornahm,  geht 
aus  der  Vorrede  zu  dem  Werkchen  nicht  ganz  deutlich  hervor. 
Der  Verfasser  bemerkt  aber,  dass  er  aus  Annalen,  Chroniken, 
Heihgenleben  und  der  Bisthumsgeschichte  von  Cambrai  ge- 
schöpft, das  letzte  sogar  mit  eigenen  Augen  gesehen  habe. 
Wir  müssen  somit  annehmen,  dass  er  sein  Werk  weiter  habe 
führen  wollen,  als  es  geschehen ;  es  schliesst  nämlich  mit  dem 
Ende  der  Merovinger  und  die  geplante  Geschichte  von  Mar- 
chiennes  ist  abgesehen  von  ein  paar  Bemerkungen,  die  sich 
auf  eine  spätere  Zeit  beziehen,  eigentlich  nichts  anderes,  als 
eine  Gründungsgeschichte  geworden  ■*.    Ist  damit  der  historische 

1)  Aus  c.  2  und  6  in  den  Acta  SS.  Febr.  I,  p.  303.  2)  Die  BoUan- 
disten hatten  anscheinend  denselben  Codex  zur  Verfügung.  Auch  in  dem 
ihren  folgte  nämlich  das  'Poleticum  Marceniensis  coenobii'  auf  die  Chronik 
und  war  unvollständig,  wie  es  auch  in  dem  unseren  nicht  ganz  erhalten 
ist.  (Vgl.  Acta  SS.  Mai  III,  p.  80).  In  demselben  ist  jedoch  die  Ueber- 
schrift  'Chronicon  March.'  modern.  3)  Und  was  Buzelin  annimmt.  Die 
BoUandisten  entscheiden  sich  dagegen,  weil  in  der  Vorrede  der  Autor,  nach- 
dem er  zuerst  in  dritter  Person  von  Andreas  und  dessen  Unterredung  mit 
dem  Abte  gesprochen,  alsdann  in  der  ersten  weiter  fortfährt.  Das  ist  jedoch 
in  keiner  Weise  durchschlagend,  während  anderes  dafür  spricht.  Man  ver- 
gleiche nämlich  die  logische  Verbindung  der  Sätze:  'Multi  ex  fratri- 
bus  nostris  iam  ante  (d.  h.  vor  dem  Abte)  id  ipsum  petierant  non 
ferventer,  sed  tepide,  unde  et  ille  segnis  fuit  in  operis  executione. 
Igitur  secundum  abbatis  venerabilis  imperium  —  aliqua  dicemus 
etc'  Danach  scheint  derjenige,  welcher  den  Bitten  der  Brüder  nicht 
Gehör  gab,  doch  identisch  mit  dem  Autor,  der  den  Befehlen  des  Abtes 
wich.  Sodann  weist  die  Beherrschung  der  Frankengeschichte  und  die 
Anlehnung  an  Andreas  auf  diesen  selbst  als  Verfasser  hin,  während  wir 
doch  keine  Veranlassung  haben,  anzunehmen,  es  habe  damals  in  Mar- 
chiennes  zwei  so  geschichtskundige  Mönche  gegeben.  4)  Ebensowenig 
weiss  ich,  was  er  aus  den  Gesta  episc.  Camerac.  entnommen  haben 
Neues  Archiv  etc.    XV.  30 


454  Ernst  Sackur. 

Werth  der  Arbeit  auf  ein  Mininuim  reduciert*,  da  für  die 
ältesten  Zeiten  um  das  Jahr  1200  eben  auch  nur  die  Viten 
der  heiligen  Rictrud,  Eusebia,  Amandus  und  Amatus,  die 
Miracula  S.  Rictrudis  und  S.  Eusebiae,  die  uns  noch  vorliegen, 
benutzt  wurden,  so  überrascht  doch,  abgesehen  von  der  Be- 
nützung der  Wunder  der  hl.  Eusebia,  die  wörtlich  aufge- 
nommen sind,  die  immerhin  selbständige  Form,  in  der  die  Er- 
zählung fortläuft.  Der  Verfasser  beherrschte  den  Stoff  an- 
scheinend frei,  und  da  bis  auf  die  angeführte  Ausnahme  die 
wörtlichen  Anlehnungen  an  die  Quellen  nicht  gerade  stark 
sind,  auf  der  andern  Seite  diese  wieder  von  einander  abhängig, 
so  ist  es  nicht  immer  leicht  mit  Bestimmtheit  zu  sagen,  woher 
gerade  die  eine  oder  andere  Nachricht  geflossen.  Die  frän- 
kische Königsgeschichte  bis  zu  dem  letzten  Merovinger  ist 
mit  den  Anfängen  des  Klosters  verflochten,  dessen  Begründer, 
wie  die  hl.  Rictrud  und  deren  Gemahl  Aldebakl,  der  Ueber- 
lieferung  nach  mit  dem  Fürstenhause  verwandt  waren.  Hier 
zeigt  sich  ganz  deutliche  Verwandtschaft  mit  der  Chronik  des 
Andreas,  den  ich  um  so  eher  auch  für  den  Verfasser  des 
kleineren  Werkes  halten  möchte,  als  die  selbständige  Be- 
handlung des  Stoffes  auch  hier  auf  einen  Verfasser  schliessen 
lässt,  der  mit  der  politischen  Geschichte  dieser  Zeit  gut  ver- 
traut war.  Später,  wahrscheinlich  erst  im  XIV.  Jahrhundert, 
wurde  unsere  Gründungsgeschichte  von  ]\[archiennes  von  neuem 
compiliert  mit  der  Vita  und  den  Mirac.  S.  Rictr.,  der  Vita 
Amati,  namentlich  Sigebert  und  Andreas.  Der  Bearbeiter 
hatte  natürlich  nicht  erkannt,  dass  ein  Theil  dieser  Quellen 
schon  einmal  hineingearbeitet  war  und  schob  jetzt  dafür  ganze 
Stücke  fast  wörtlich  ein.  Diese  Schrift  ist  uns,  wenigstens  zum 
grossen  Theil  erhalten  bei  Jacques  de  Guise,  Annales  Hanno- 
niae  XI,  c.  10  — 16,  c.  18 — 22,  der  sie  als  Historia  Marchia- 
nensis  einführt.  Dass  diese  Compilation  aber  nicht  erst  von  ihm 
herrührt,  geht  deutlich  daraus  hervor,  dass  Guise  seine  latei- 
nischen Quellen  stets  wortgetreu  mit  dem  Herkunftsvermerk  an- 
führt *  tmd  so  mosaikartig  aneinanderreiht;  ferner  aber  kehren 
die  Sigebertstellen  wörtlich  nach  dem  Urtext  an  andern  Orten 


könnte;  höchstens  die  aus  der  Vita  S.  Amati  entlehnte  Stelle,  die  sich 
auf  die  Beziehungen  des  Amatus  und  des  Maurontus  erstreckt.  Aber 
diesen  Abschnitt  fand  er  ja  in  der  Vita  S.  Amati,  die  er  auch  sonst 
benutzt.  1)    Die    Acta  SS.  Mai  III,  p.   80    urtheilen:     'In    hoc    autem 

chronieo  nihil  relatu  dignum  reperimus,  quod  ab  Hucbaldo  (in  der  Vita 
S.  Rictrudis)  et  dicto  auctore  anonymo  (seil.  Miraculorum  S.  Rictr.)  sive 
Gualberto    non    fuerit    accuratius    deductum.'  2)    Es  will  nichts  sagen, 

dass  er  auch  in  dieser  Geschichte  von  Marchiennes  einige  Mal  den  Namen 
Sigeberts  voranstellt.  Er,  der  den  Sigebert  ganz  ausschrieb,  hatte  ein- 
fach in  der  Compilation  diesen  Autor  wiedererkannt. 


Reise  nach  Nord-Frankreich.  455 

bei  ihm  wieder^,  so  dass  man  klar  erkennt,  dass  sie  ihm  das 
eine  Mal  anderweitig  überliefert  wurden.  In  diese  Compilation 
gingen  dann  einige  der  Zusiltze  und  Interpolationen  über,  die 
sich  in  dem  Marchienner  Codex  des  Sigebert  saec.  XIV  (Cod. 
Duac.  n.  798)  entsprechend  der  von  Guise  erhaltenen  Hist. 
Marchian.  finden. 

Brevis  epilogus  sequentis  opusculi^. 

Cum  quadam  die  in  diebus  quadragesime  post  lectionem 
collationis  dumnus  abbas  Symon  huius  Marcianensis  ecclesie 
abbas  XXI"*  cum  quibusdam  fratribus  de  rebus  necessariis 
haberet  colloquium,  fortuitu  interrogavit,  si  haberemus  abba- 
tum  huius  monasterii  gesta  vel  scriptum  cathalogura.  Cui 
unus  respondit,  hec  in  scriptis  non  haberi,  tamen  ex  relatione 
antiquorum  et  quibusdam  cronicis  ac  historiis  de  ecclesie  prima 
constructione,  de  beate  Rictrudis  adventu,  de  sanctimonialium 
regimine,  de  monasterii  conbustione  a  Northmannis  tunc  paga- 
nis  facta  et  inhabitantium  interfectione,  de  sanctimonialium^ 
erectione  et  monachorum  restitutione  cordetenus  aliqua  se 
scire.  Cumque  aliqua  inde  pro  tempore  retulisset,  domnus 
abbas  illi,  qui  hec  narrabat^  mansueta  voce  dixit:  Magis  hec 
eum  scribere  debuisse  ad  utilitatem  filiorum  huius  ecclesie, 
quam  gesta  regum  et  bella  imperatorum  in  chronicis  compo- 
nere.  Hoc  vespere,  hoc  mane  facto  idem  pater  secundo  repe- 
tiit.  Multi  ex  fratribus  nostris  iam  ante  id  ipsum  petierant 
non  ferventer,  sed  tepide,  unde  et  iile  segnis  fuit  in  operis 
executione.  Igitur  secundum  abbatis  venerabilis  imperium  licet  * 
inculto  sermone  de  statu  ecclesie  nostre  aliqua  dicemus,  sed  et 
de  temporibus  regum  aliquid  interseremus  et  de  vita  specia- 
lium  sanctorum  nostrorum  pauca  scribemus.  Quod  si  quis- 
quam  istud  opusculum  rusticanum  oblique  oculo  reprehenderit 
forsitan  aut  riserit,  compositionis  istius  auctor  hoc  parvipendit, 
quia  nee  laudem  minis  aftectat^  nee  vituperationem  curat,  nee 
lucrum  inde  requirit.  Collegimus  autem  hec  prima,  que  scri- 
bimus,  ex  annalibus  et  chronicis  ac  sanctorum  gestis  et  ponti- 
ficum  Cameracensium  actis.  Postrema  perspeximus  oculis 
nostris.  Nunc  igitur  quod  venerabilis  patris  iniungit  sagacitas, 
implere  debet  humilis  monachi  obedientia  sancti  spiritus  ad- 
iuvante  gratia. 

Fol.  104.  Capitulum  I.  De  ortu  beati  Amandi  fundatoris 
ecclesie  Marcianensis  ^. 

Fol.  104'.  II.  Quo  tempore  et  sub  quo  rege  fundata  sit 
ecclesia  Marcianensis. 

Fol.  105.   Quomodo  beata  Rictrudis  venerit  in  Gallias.    III. 

1)  XI,  18  zu  661,  657,  658,  662,  666  (sämmtlich  schon  XI,  9), 
679  (=  XI,  22)  ;  XI,    19  zu  679   (=  XI,  22),  685  (XI,  40).  2)  Roth 

wie  sämmtliche  Ueberschriften.         3)  Von  hier  andere  Hand.        4)   'Lias' 
Hs.;  vgl.  S.  462.         5)  Von  hier  wieder  Hand  1. 

30* 


456  Ernst  Sackur. 

Fol.  105'.  Habitabant  tunc  in  ea  ^  Gethe^  qui  alio  nomine 
Gotbi  dicuntur,  gens  bellicosissima  et  militari  exereitatione 
egregia.  Et  qui  vult  plenius  scire,  hec  gens  que  fuerit,  librum 
legat  de  actibus  Getharum,  quem  Jordanis  episcopus  Ravenna- 
tis  scripsit  ....  Dux  igitur  Adalbaldus  in  Wasconiam  pro- 
fectus  beatam  Rietrudem  puellam  alto  sanguine  ortam  vidit, 
dilexit,  legitimam  uxorem  duxit  et  in  bis  ultimis  Gallie  finibus 
secum  adduxit.  Fuit  ai;tem  filia  Hernoldi  clarissimi  et  for- 
tissimi,  cognomento  Nobilis,  de  gente  Getharum.  Cuius  gesta 
militaria  rithmice  composita  et  eius  fratrum  ^  adhuc  decan- 
tantur  in  f)alaciis  regum  et  theatris  populorum. 

De  reedificatione  Duacensis  castri  et  liberis,  quos  beata 
Rictrudis  genuit.    IUI. 

Fol.  106'.  De  ducis  Adalbaldi  interfeetione  et  beate  Rictru- 
dis conversione.    V. 

Fol.  107'.  De  situ  Mareianensi  et  constructione  ^  cenobii 
et  dedicatione  ecclesie.    VI. 

Marcianensis  igitur  locus  circumfluentibus  aquis  et  palustri 
harundine  circumdatur,  tellus  arenosa  et  in  reducto  sinu  pau- 
lulum  eminentior.  Ad  aquilonarem  eius  plagam  extenditur 
grandis  silva  liguorum  gerrainantium  hinc  et  inde  abilis  mate- 
riei  ad  quecumque  volueris  clausure,  abilis  ad  conficiendos 
rogos,  utillima  usibus  divcrsis.  Ad  australem  partem  fluvius 
Scarpi  per  tiues  contiguos  orientem  versus  mediterraneus  labi- 
tur.  Ex  utraque  parte  huius  fluminis  prata  adiacent  larga  et 
undique  diffusa  et  satis  superque  abundantissime  palustris 
herba.  Omnis  circuraiacens  terra  licet  colentibus  angusta  et 
rara,  quia  fluminis  alveus  moUi  lapsu  dcfluens  atque  molendi- 
norum  sclusis  obsistentibus  pigrior  efFectus  frequenti  alluvione 
redundans  quondam  humum  tructiferam  nunc  in  amnem  pro- 
ducit  et  generat  paludera.  Ad  orientalem  Marcianensis  ville 
partem  cenobio  rite  composito  et  a  duobus  venerabilibus  episco- 

f)is  Autberto  videlicet  et  Amando  monasterio  in  honore  aposto- 
orum  Petri  et  Pauli  sexto  Kl.  Novenbris  soUempniter  dedicato 
nobilis  matrona  Rictrudis  voti  corapos  uni versa,  que  sibi  residua 
videbantur  esse,  testamentum  legitimum  faciens  perpetuo  iure 
possidenda  liberaliter  sanctis  Dei  et  eidem  contulit  monasterio. 
Obtulit  quoque  secum  tres  filias  suas  virgines  infantulas  regi 
Christo  celesti  sponso  fore  carissimas. 

Fol.  108.  Quot  beate  Rictrudis  causa  in  loco  monachorura 
sanctimoniales  Substitute*  sint.    VII. 

Fol.  108'.  De  conversione  beati  Mauronti  et  exilio  beati 
Amati  archiepiscopi.    VIII. 

1)  Seil.  Wasconia.  2)  In  dem  Hernold  und  seinen  Brüdern  haben 
wir  wohl  den  Ernaud  de  Gironde  und  dessen  Brüder  zu  verstehen,  die  in 
den  'Geste  de  Gariu  de  Monglane'  mit  dem  Sagenkreis  des  Wilhelm  von 
Orange  verschmolzen  sind.  Vgl  G.  Paris,  La  litte'rature  franfaise  au 
moyen  age  (Paris  1888),  S.  62.       3)  'construtione'  Hs.       4)  'austitute'  Hs. 


1 


Reise   nach  Nord-Frankreich.  457 

Fol.  109'.  De  situ  Hamaticensi  et  antiqua  dignitate  eius- 
dem  loci.    IX. 

Fol.  110.  De  transitu  beati  Amati,  qui  est  Idus  Sept.,  et 
sepultura  eins  in  Meurivilla.    X. 

Fol.  110'.  Cur  beatus  Maurontus  possessionem  matris 
sibi  relictam  detruncaverit  et  beatum  Amatum  inde  heredem 
fecerit.    XL 

De  obitu  sancte  Gertrudis  et  promotione  beate  Eusebie 
virginis.    XII. 

Fol.  111'.     De  obitu  beate  Rictrudis  et  sepultura.    XIII. 

Fol.  112.  De  testamento,  quod  fecit  ecelesie  Marcianensi. 
XIIII. 

Fol.  112'.     De  transitu  beate  Eusebi§  virginis.    XV. 

Fol.  114.  De  edificatione  ^cclesi^  sancte  Marie  in  loco 
Hamaticensi  et  translatione  sancte  Eusebie  prima.    XVI. 

Fol.  114'.    De  secunda  translatione  secunda  (sie!).    XVII. 

Fol.  115.  De  transitu  beati  Mauronti  abbatis  et  sepultura. 
XVIII. 

Fol.  115',  luxta  sepulchrum  eius  >  extitit  puteus,  quem 
suis  manibus  fodisse  traditur  et  usque  hodie  puteus  sancti 
Mauronti  vocatur.  Antiquis  temporibus,  ut  scriptum  invenimus  ^, 
aqua  huius  putei  intirmis  illis,  qui  morbo  scroellarum  detur- 
pabantur,  salubris  fuisse  perliibetur.  Kam  ex  eadem  aqua 
bibebant  et  ulcera  lavabant  et  ex  ulceribus  vermes  cadebant. 
Tempore  etiam  abbatis  Amandi^  quidam  monachus  nomine 
Folquinus,  qui  illo  tempore  scriptor  erat  satis  bonus,  infirmitate 
unius  pedis  valde  affligebatur.  Qui  fide  plenus  aqua  liuius 
putei  pedem  infirmum  abluit  et  statim  convaluit.  Et  ne  ali- 
quis  hec  legens  putet  hoc  esse  falsum,  ego  qui  scribo,  vidi 
monachum  predictum  et  domnum  Widonem  liuius  loci  sub- 
priorem  hoc  ipsum  testantem.  Igitur  post  predictorum  sanc- 
torum  in  Christo  dormitionem  lonati  videlicet  atque  Mauronti 
et  beate  matrone  Rictrudis  prima  prefuit  abbatissa  in  cenobio 
Marcianensi  filia  eius  Clothsendis.  Cui  successerunt  alle, 
quarum  nomina  preter  unius  nescimus,  per  CCC  et  XXII  annos 
monasterii  regimen  optinentes,  ab  anno  V°  Hildeberti  regis 
usque  ad  XXVIIII  Roberti,  filii  Hugonis  Capet*. 
Nomina  quorundam  sanctorum,  qui  fuerunt  beate 
Rictrudis  tempore  in  regno  Francorum.    XIX. 

Dignum  duximus  indicare  posteris  nomina  quorundam 
sanctorum,  qui  beate  Rictrudis  tempore  regnum  Francorum 
illustrarunt  sua  sanctitate. 


1)  Des  MauroDtus.         2)  Vgl.  Mirac.  S.  Rictr.  §  25  a,  a.  O.  p.  95. 
3)    1116  — c.  1133.  4)    Vgl.    Ann.    March.    1024.      Bei   Andreas    von 

Marchiennes  (SS.  XXVI,  p.  207)  wird  die  Zahl  bestimmt:  'Anno  XXVIII 
Roberti  regis'  etc. 


458 


Ernst  Sackur. 


S.  Livinus  ep.  et  martyr. 
S.  Foillanus  ep.  et  martyr. 
S.  Leodegarius  Augustudunensis 

ep.  et  martyr. 
S.  Theodardus  Treiectensis  ep. 

et  martyr. 
S.    Lambertus    eiusdem    urbis 

ep.  et  martyr. 
S.    Genesius    Liigdunensis    ar- 

chiep. 
S.     Audoenus     Rothomagensis 

archiep. 
S.    Ansbertus     eiusdem    urbis 

archiep. 
S.  Amatus  Senonensis  archiep. 
S.    Wlfrannus    eiusdem    urbis 

archiep. 
S.    Austregisilus      Bituricensis 

archiep. 
S.  Amandus  Treiectensis  ep. 
S.  Hubertus  eiusdem  urbis  ep. 
S.  Wilbrordus  Ultraiectensis  ep. 
S.  Autbertus  Cameracensis  ep. 
S.   Vindicianus  eiusdem    urbis 

ep. 
S.  Audomarus  Moi'inensis  ep. 
S.    Aicharius    Noviomensis    et 

Toniacensis  ep. 
S.  Eligius  et 
S.  ]Mummolenus  earundem  urbi- 

um  epp. 
S.  Ursmarus  ep. 
S.  Erininus  ep. 

S.  Drausius    Suessionensis   ep. 
S.  Sulpitius  Bituricensis  ep. 
S.  Faro  Meldensis  ep. 
S.  Salvius  Anbianensis  ep. 
S.  Arnulfus  Mettensis  ep. 
S.  Feriolus  Uticensis  ep. 
S.  Modericus  Aridensis  ep. 
S.  Vigor  Baiocensis  ep. 
S.  Eucherius  Aurelianensis  ep. 
S-  Bavo  quondam  comes. 
Ö.    Cohimbanus    abbas    Luxo- 

viensis. 


S.    Eustasius    abbas    eiusdem 

loci. 
S,  Agilus  abbas  Resbacensis. 
S.   Philibertus    abbas   Gimegi- 

ensis. 
S.  Aichardus  abbas  ibidem. 
S.  Wandregisilus  abbas  Fonta- 

nellensis. 
S.  Waningus  confessor. 
S.  Gislenus  abbas  Cellensis. 
S.  Landelinus  abbas   Crispinii. 
S.  Wlmarus  abbas  Altimontis. 
S.  Humbertus  abbas  Maricolis. 
S.  lonatus  abbas  Marcianensis. 
S.  Maurontus  abbas  Broilensis. 
S.  ßertinus  abbas  Sithiensis. 
S.  Richarius  abbas  Centule. 
S.  ludocus  abbas. 
S.  Winnocus  abbas. 
S.  Walcricus  abbas. 
S.  Killianus  ex  episcopo  abbas, 
S.  Vltanus  abbas  Montis  sancti 

Quintini. 
S.  Furseus  confessor. 
S.  Etto  confessor. 
S.  Eurardus  confessor. 
S.  Vincentius  conf.  de  Songeiis  '. 
Eodem   tempore    floruit    vene- 

rabihs  presbiter  et  monachus 

Beda  in  Anglia  doctor  egre- 

gius  et  vita  sanctissimus. 
S.  Eusebia  virgo  Hamaticensis. 
S.  Gertrudis  virgo  Nivialensis, 
S,  Aldegundis   virgo   Malbodi- 

ensis. 
S.    Ragenfledis    virgo    Donini- 

ensis. 
S.    Hunegimdis    virgo    Humo- 

lariensis. 
S.  Maxelendis    virgo   Camera- 
censis. 
S.  Balthildis  regina,  uxor  C]o- 

dovei  regis  Francorum. 
S.  Itta  mater  sancte  Gertrudis 

Nivialensis. 


1)  Undeutl.  verbess.  durch  einen  Strich  in  'Songeiis'. 


i 


Reise  nach  Nord-Frankreich. 


459 


S.    Waldetrudis,    soror    sancte       dis  Nivialensis,  Andelennsis, 

Aldegundis,  uxorS.Vincentii.       uxor  Ansigisi  ducis'. 
S.     Gertrudis     vidua     Marcia-  S.    ßerta    Blanziacensis,    uxor 

nensis.  Sigefridi  comitis. 

S.  ßegga,    soror  sancte  Getru- 

Horum  sanctorum  nomina,  vitas  et  gesta  auetor  huius 
opusculi  legit  et  neminem  sanctum  descripsit,  quem  in  sanc- 
torum gestis  sanctum  scriptum  non  invenerit. 

Nomina  pontificum  Romanorum  et  Regum. 
Et  quia  Salomon  dicit  ^  ^gloria  patris  filius  sapiens',  iustum 
est,  ut  pontiiices  Romanos  et  Francorum   reges,   qui   tempore 
beate  Rictrudis  fuerunt,  posteris  indicemus. 

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1)  So  zu  lesen  an  der  etwas  unleserlichen  Stelle,  wie  mir  Herr 
Riviere  nachträglich  noch  freundlichst  mittheilte.  2)  Cf.  Prov.  10,  1. 
3)  Diese  Bemerkung  von  anderer,  etwas  späterer  Hand  mit  dunklerer 
Tinte  zugefügt  an  derselben  Stelle. 


460  Ernst  Sackur. 

Fol.  117'.  Quod  post  transitum  sancte  Rictrudis 
eius  filie  sanctimoniales  prefuerunt.  XX. 
Clothense»  igitur  filia  sancte  Rictrudis  abbatissa  Marcia- 
nensi  defuncta,  [ecclesiaj^  ab  anno  Domini  septingentesimo 
usque  ad  raillesimura  XXIIII  per  sanctimoniales  est  admini- 
strata.  Per  tam  longa  temporum  spacia  magnam  rerum  sua- 
rum  iacturam  pertuHt  Marcianensis  ecclesia  per  ferainarum 
mollitiem^,  per  barbarorum  et  Northmannorum  incursionem, 
per  principum  et  tyrannorura  avaritiam,  qui  ^cclesi^  agros 
iniuste  et  violenter  suis  agris  copulaverunt.  Cernit  hoc  et 
sentit  in  presenti  ^cclesia,  cum  in  castro  Duacensi  sibi  proximo 
nichil  preter  V  solidos  et  I  denariura  ad  marsupium  compa- 
randum  de  turre  coraitis*,  qu§  quondam  fuit  domus  beate 
Rictrudis,  accipit,  et  quod  servi  et  ancille  eius  a  theloneo  sunt 
liberi.  Quamvis  profectus  nobis  nullus  sit  modo,  si  inter  cetera 
compouamus,  quod  de  Orceis  s  assertione  certissiraa  refertur, 
tarnen  nichil  obstat,  si  presentium  futui'orumque  noticie  insi- 
nuamus  non  solum,  que  veraciter  constant,  vel  que  ipsi  con- 
spexisse  potuimus,  verum  etiam  que  ab  aliis  fideli  narratione 
audivimus.  Sunt  adhuc  hodie  longevi  temporis  persone  non 
contempnende,  que  narrant  et  veraciter  profitentur,  quod  non- 
dum  centenarius  annorum  numerus  evo  evolutus  est,  quam 
beate  faraule  Dei  Rictrudis  ecclesia  Marcianensis  Orceiarura 
predium  sicut  et  cetera  supradicta  iure  legittimo  possidebat^, 
nuUo  resistente,  nuUo  penitus  refragante,  sed  abbatissa,  que 
tunc  locum  regere  videbatur,  potens  erat  tribuere  et  auferre  et 
ad  omnes  ecclesiasticos  usus  eiusdem  predii  cuncta  secundura 
nutum  suum  redigere  et  disponere.  Nunc  vero  amissionis 
huiusce  dispendium  dolens  ecclesia  sustinet  et  longanimiter 
ferens  prestolatur  humiliter  misericordiam  Dei  et  consolationem 
Spiritus  sancti.  Aliud  quoque  infortunium  huic  simile  quadam 
ex  parte,  sed  isto  gravius  suimet  quantitate  in  anteriori  ali- 
quanto  iam  contigit  etate.  Referunt  namque,  qui  hoc  optime 
noverunt  quod  in  comitatu  Flandrens!  pagus  opulentissimus 
sit  cum   appenditiis  suis,  quem  Rinengas'  forte  lingua  eorum 


1)  'Clothense  —  certissima  refertur'  v.  Hd.  2,  bis  'antiquitas'  wieder 
eine  andere,   dann  bis  zum  Schluss  wieder  Hd.   2.  2)  Fehlt.     So  oder 

'abbatia'  nothwendig'  zu  ergänzen.  3)  Vgl.   Mir.   S.   Rictrudis  I,  §  14, 

Acta  SS.  Mai  III,  p.  92.  4)  Vgl.  Mir.  S.  Riet.  I,  §  14:  'Supersedeo 
narrare  propter  fastidium  legentium  innuraera,  quae  Marchianensi  eccle- 
siae  per  harum  tam  longam  inhabitationem  acciderunt,  scilicet  amissionem 
Orchiensis   villae,    Duacensis  redditus,    silv§  de  Rinengis'.  5)    Orchies 

(arr.    de    Douai,    cant.    d'Orchies).  6)    Bis    hierher   v.  Buzelin,    Gallo- 

Flandria   p.  340   citiert.  7)  Mir.  S.  Rictr.  II,  §  75    (Mai  III,    p.  116): 

'Rinenga,  ut  supradictum  est,  villa  fuit  eiusdem  sanctae:  ubi  de  ilia  sub 
magna  veneratione  non  solum  ab  incolis  loci  illius,  sed  a  vicinis  quoque 
memoria   iugiter   retinetur'.      Im   J.ahre    1046    besass   March.    'decima    de 


I 


Reise  nach  Nord-Frankreich.  461 

nominavit  antiquitas.  Hunc  domine  nostre  Rictrudis  asserimt 
fuisse  et  iureiurando  confirmant,  qiiod  ab  antiquis  diebus  in 
usibiis  famulantium  ecclesie  universi  consuetudinarii  redditus 
exinde  huc  deferebantur  plenoque  copia  cornu  ministrans  hila- 
riter  stipendariis  necessaria  diffundebat.  Procedente  vero  tem- 
poi'e  potestatum  dominantium  violentie  g-ravi  cupiditatis  spiri- 
tu  afflatorum  primum  istud,  postmodum  illud  de  abbatie  honore 
ac  venustate  utcumque  resecantes  miserabili  perditionis  sue 
facinore  omnia  subripuere. 

Fol.  118.  De  fine  regni  Merovingorum  et  successione 
Karlensium.    XXI. 

Endet  fol.  118'  mit  den  Worten  'Pipinus,  filius  Karoli 
Martelli,  maior  domus  unctus  est  in  regem  et  Merovingorum 
regnum  fecit  iinem'.  Auf  fol.  119  folgt  von  andrer  Hand  eine 
kurze  Aufzeichnung  über  Einkünfte  des  Stifts. 


Wie  schon  bemerkt,  hat  der  Verfasser  seinen  ursprüng- 
lichen Plan,  eine  Geschichte  der  Abtei  bis  auf  seine  Zeit  zu 
schreiben,  nicht  ausgeführt,  vielleicht  aus  Mangel  an  Quellen, 
da  er  von  den  späteren  Zeiten  nichts  anderes  zu  berichten 
wusste,  als  die  Reform  vom  Jahre  1024.  Wenn  er  im  vor- 
letzten Capitel  nun  gerade  auf  die  wirthschaftliche  Lage  des 
Klosters  eingeht,  so  mochte  auch  sein  Interesse  schon  eine 
Richtung  genommen  haben,  die  er  in  einem  andern  Werke 
weiter  verfolgte.  Vielleicht  lag  hierin  der  Grund,  wenn  er 
seine  Geschichte  abbrach  und  sich  einem  andern  Gegenstande 
zuwandte.  Der  Abt  befiehlt  wieder,  dass  ein  Werk  über  die 
Lage  und  den  Status  der  Abtei  geschrieben  werde,  um  Strei- 
tigkeiten über  Besitzungen,  wie  sie  häufig  entstehen,  entschei- 
den zu  können.  Es  ist  derselbe  Mönch,  der  gehorcht,  aber 
er  hält  es  für  nothwendig,  einen  Theil  des  früher  Geschriebenen 
wieder  aufzunehmen,  und  so  bemerken  wir  denn,  dass  der 
Autor  mit  einigen  Auslassungen  die  ganze  Gründungsgeschichte 
von  Marchiennes  nochmals  wiederholt.  Neu  ist  dabei  nur  ein 
Abschnitt  auf  fol.  126',  in  dem  auf  die  schlechten  Menschen 
und  Bedrücker  der  Klöster  gescholten  wird,  ein  Abschnitt, 
der  sich  aber  als  wörtlich  aus  den  Mirc.  S.  Eusebiae,  §  7  ge- 
nommen erweist;  ferner  die  Einleitung,  welche  die  Noth- 
wendigkeit  des  neuen  Werkes  motiviert,  wie  das  daraus 
excerpierte   und  weiter  unten  abgedruckte  Stück  zeigen  wird. 


Rinenga'  nach  einer  Urk.  Balduins  des  Bärtigen  im  Cart.  de  Marchiennes 
(Bibl.  nat.  lat.  Nouv.  acq.   1204),    p,  145.      1123  bestätigt  Calixt  II.  dem 

Kloster  Marchiennes  u.  a.:  'De  villa  Rinenga omnem   decimationem'. 

Duvivier,  Recherches  sur  le  Hainaut  ancien  II,  p.  529.   —  Reninghe  (arr. 
d'Ypres,  cant.  d'Elverdinghe). 


462  Ernst  Saekur. 

Dieser  eben  charakterisierte  Theil  sehliesst  fol.  130  mit  den 
Worten  :  M'n  omni  tempore  desei'viant'  mit  dem  Testament  der 
hl.  Eictrud.  Dann  aber  beginnt  fol.  130'  das  Polyptichum, 
welches  das  Vorhergehende  offenbar  nm'  einleitete.  Das  Poly- 
ptichiim  ist  kein  trockenes  systematisches  Güterverzeichnis 
nebst  den  Angaben  der  Leistungen  und  Pflichten  der  Kloster- 
leute, sondern  eine  eingehende  Beschreibung  des  früheren  und 
augenblicklichen  Besitzes  der  Abtei  nach  Lage  und  Verhält- 
nissen, nach  eigener  Kenntnis,  Urkunden  und  andern  Quellen, 
wie  den  Mirac.  S.  Rictrudis,  geschildert.  Auch  hier  ist  die 
Gründungsgeschichte  benützt  worden.  Etymologien,  alte  Tradi- 
tionen und  Legenden  werden  gelegentlich  angeknüpft,  ein- 
mal sogar  über  archäologische  Funde  berichtet,  dazwischen 
werden  allerdings  die  Rechtsverhältnisse  und  Abgaben  der 
Frohnder  und  hospites,  sowie  die  Rechte  der  klösterlichen 
Hofbeamten  aufgeführt.  Leider  sehliesst  das  interessante  Werk 
unvollständig.  Diese  ausführlicheren  Beschreibungen  und  ge- 
legentlichen Anknüpfungen  habe  ich  excerpiert.  Eine  voll- 
ständige Ausgabe  hat  Herr  Riviere',  Bibliothekar  in  Douai, 
in  Aussicht  genommen. 

Fratribus  Marceniensis  coenobii  congruum  visum  est,  ut 
suggererent  abbati,  quatinus  de  positione  loci,  de  constitutione 
abbatie  et  de  his,  que  ad  eam  pertinere  videntur,  de  quibusdam 
etiam,  qu^  aliquando  per  seriem  preteriti  temporis  forte  contige- 
rant,  aliqua  iuberet  conscribi  et  nescientibus  ea  patefieri,  ut  con- 
tentiones  sepius  obort§,  qu?,  sicut  ait  apostolus,  ^ad  nichil  utiles 
sunt*',  possent  funditus  exterminari.  Igitur  secundum  abbatis 
imperium  licet  inculto  serraone  de  his  aliquantulum  collectum 
est,  sed  et  de  vita  et  actibus  specialium  sanctorum  ^  nostrorum 
succincte  commemoratum  est.  Nam  in  alio  opere  plenius  ac 
diffusius  cuncta  inveniri  fas  est.  Noverit  ergo  prudens  lector 
nos  non  h^c  assumpsisse  fastu  eloquenti§  facundioris,  sed 
oboedientia  et  studio  communis  utilitatis.  Qnod  si  quis  piam 
istud  opusculum  rusticanum  ohliquo  oculo  reprehenderit  forsitan  aut  riserit, 
compositionis  istius  auctor  penitus  hoc  parvipendit,  quia  nee  laudem  nee 
vituperationem  nee  lucriim  nec  pecuniam  inde  exigit  vel  requirit  *.  Verum 
si  quis  eorum,  ad  quos  pertinet,  deposito  superciho  quod  scriptum 
est  legere  curaverit  et  emolumenti  quippiam  vel  commodi  inve- 
nire  potuerit,  scriptor  inde  valde  gavisus  erit,  quoniam  eius  in- 
tentio  in  hoc  maxime  fuit,  quando  primum  animum  ad  scribendum 
appulit.     Nullus  ergo  succenseat,  si  antiquiora  aliqua  recentiori 


1)  Der  mich  durch  einige  nachträgliche  Mittheilungen  noch  zu  beson- 
derem Dank  verpflichtete.  2)  2.  Thim.  2,  14.  3)  'sanctorum  nostro- 
rum' aus  der  ersten  Vorrede  zu  ergänzen.  4)  Vgl.  die  Vorrede  zur 
Chronik, 


Reise  nach  Nord-Frankreich.  463 

stilo  comprehensa  sint,  nichil  enim  frivolum,  nicliil '  fallaciter 
commentatum,  nichil  fictum  digestuni  est  hie,  nisi  quocl  ex 
annaHbus,  ex  chronicis,  ex  excerptione  eorum,  qii§  in  descrip- 
tionibus  de  vita  quorundam  sanctorum,  vel  in  gestis  Cameracen- 
sium  pontificum  repperiimtur,  seu  quod  personarum  fideHum 
idonea  relatione  et  veraci  assertione  compertiim  est. 

Oritur  etiam  frequenter  contentio  et  grandis  rixa  de  agro- 
rum  Hmitibus,  de  decimis  ecclesiarun),  de  censuali  conditione 
ab  altero,  de  possessione  loci  sub  manu  finna  ad  prefixum 
terminum  constituta,  de  cansis  communibus  in  beneficio  ali- 
quibus  traditis  vel  ceteris  huiiismodi.  Ad  h§c  omnia  sedanda 
ac  rite  coraponenda  veritas,  iustitia  et  eorum,  qu^  fuerunt  vel 
qu9  contigit  forte  evenisse,  recordatio  certissima  plurimum 
valent.  Oportet  itaque,  ut  universi,  quibus  sua  defendere  et 
tueri  iustissimum  constat,  annales  veteres  gestaque  antiquorum 
diligenter  et  memoriter  recolant,  quatinus  contra  causidicos  et 
violentos  alienorum  appetitores  validum  defensionis  murum 
opponere  queant. 

Fol.  ]30'.     Poleticum  Marceniensis  cenobii. 

In  primis  est  situs  eiusdem  loci  cum  habitationibus  et 
mansionibus  suis  regularibus  et  ecclesiasticis  arboretum  proxi- 
mum  pomorum,  pirorum  et  aliorum  fructuum  hortus  amplissi- 
mus  .... 

Omnis  circumiacens  terra  licet  colentibus  angusta  et  rara,  quia 
fluminis  alveus  molli  lapsu  defluens  atque  molendinorum  sclusis  obsisten- 
tibus  pigrior  effectus  frequenti  alluvione  redundans  qnondam  humum 
fructiferam  nunc  in  amnem  producit  et  generat  paludem.  At  vero 
ipsius  fluminis  meatus  a  Brachiorum  2  luco  usque  ad  Wasconis 
curvam,  cuiuscumque  sit  littus  ex  utraque  parte,  proprie  est 
Marceniensis  gcclesi§,  excepto  quod  contra  Warlennii»  angu- 
lum  domino,  cuius  est,  tres  tantummodo  piscium  lacunas  palis 
et  viminibus  componere,  statuere  et  habere  licet*.  A  predieta 
quoque  curva,  qu§  est  in  confinio  Labennii  usque  ad  prefixum 
limitem  talis  iuris  aqua  probatur,  ut  sagenarum  et  retiorum 
piscatio  et  sacci  piscatorii  über  sit  cursus.  Huic  fluvio*,  qui 
per  fines  contiguos  orientem  versus  mediterraneus  labitui-,  SCriptores, 
qui  pridem  fuerunt,  ultimam  sillabam  detraxerunt. 


1)  'nichi'  Hs.  2)  Les  Bocquiaux  bei  Marchiennes?  3)  Warlaing 
östl,  von  Marchiennes.  4)  Vgl.  Urk.  Balduins  d.  Bärtigen  v.  1046  für 
Marchiennes:  'Seiendum,  quod  piscatio  fluminis  Scarpi  a  "Wasconis  curva 
usque  ad  Brachiorum  locum  propria  sit  eiusdem  ecclesi^,  cuiuscumque  sit 
litus  ex  utraque  parte,  excepto  quod  domno  Warlennii  in  angulo  suo  licet 
habere  tres  tantummodo  lacunas  palis  et  viminibus  compositas'.  (Bibl. 
nat.  Nouv.  acq.   1204,  p.   145).         5)  La  Scarpe. 


464  Ernst  Sackur. 

Fol.  131'.  Si  propter  hostium  incursus  populus  terrf 
nocivos  aditus  et  irruptiones  periculosas  roborea  saltus  con- 
gestione  sepire  voluerit,  nisi  per  licentiara  abbatis  hoc  fieri 
non  licet.  Concessa  autem  potestate  et  forti  mnnitione  com- 
posita  omnis  regio  a  latrunculorum  infestatione  tuebitur.  Si 
autem  post  aliquot  tempus  pacis  requies  divinitus  provenerit, 
terrore  sublato  et  securitate  reddita,  moles  illa  omnisque  con- 
geries  neque  villici  neque  aliorum  aliquorum  erit,  sed  in 
dominicos  usus  redigetur. 

Fol.  133.  Hoc  etenim  diligenter  considerandum  firmi- 
terque  conservandum  est,  quod  neque  comes  neque  advocatus 
neque  aliquis  potens  neque  aliqua  iudiciaria  potestas  locum 
habet  in  universis,  que  utcumque  superius  collecta  sunt  inferi- 
usque  colligenda.  Non  licet  eis  infra  h§c  convivia  pr?parare 
nee  j)lacita  teuere  nee  denariorum  vel  pecuni^  collectionem 
ab  incolis  exigere  neque  uUam  violentiam  inferre.  Omnes 
forenses  caus§  vel  si  aliqua  qu^rela  repente  oborta  fuerit,  per 
vilicum,  per  constitutos  iuratosque  iudices  iuste  legittimeque 
finietur.  Si  necessitas  fuerit  ad  abbatis  audientiam  referetur. 
Qui  nunc  advocatus  >  inmerito  nuncupatur,  honorifico  nomine 
olim  defensor  ^cclesif  laudabiliter  vocabatur,  quoniam  sapien- 
tia,  ratione,  armis  etiam,  si  ita  res  exegisset,  omnia,  qu§ 
erant  ccclesi?,  viriliter  defendebat  et  vigilanter  protegebat. 
Rapax  non  erat  nee  inferiorum  expoliator,  sed  qui  ad  sui 
tutelam  pertinere  videbantur,  quecumque  habere  poterant, 
sine  auferendi  ^  timore  secure  possidebant.  De  his  vero,  qui 
modo  sunt,  ideo  dictum  est  'advocatus  inmerito  nuncupatur', 
quia  nee  nominis  proprietas  admittit,  ut  huius  appellatione 
vocabuli  fungatur,  donec  ad  adiuvandum  et  succurrendum  ab 
his,  qui  inferius  iniuriam  patiuntur,  fuerit  invitatus,  hoc  est 
advocatus.  Administrationis  istius  utilis  profectus  his  tempo- 
ribus,  heu!  in  contrarium  versus  est.  Nam  afflictis  et  meren- 
tibus,  facultatula  sua  expoliatis,  inclamantibus  auxilium,  nuHum 
omnino  confertur  solatium.  Voces  invocantium  is,  qui  advo- 
catus dicitur,  dissimulat  audire,  quem  herum  districtissimum 
vindicem  celerrime  oportuerat  esse.  Non  eripit  inopem  de 
manu  fortiorum  eius,  egenum  et  pauperem  a  diripientibus 
eum.  Post  tantam  autem  sui  desidiam  in  subveniendis  paupe- 
ribus  irruunt  subito  nimia  inpudentia  officiales  eius,  lupi 
vespertini,  repentini  raptores  in  desolatos  subditos,  denariorum 


1)  Einen  Vopt  hatte  Marchiennes  seit  dem  Jahre  1038,  Vgl,  die 
Urk.  Balduins  IV.  von  Flandern  bei  Warnkönig,  Flandr.  Staats-  und 
Rechtsffeschichte  III,    2,  Nachtrag  S.   (5).  2)   So  von  ders.  Hd.  corr. 

aus  'offerendi'. 


Reise  nach  Nord-Frankreich.  465 

collectionem  exigunt  in  servitio  domini  sui  ad  bibendum  vinum 
et  ad  miscendam  ebrietatem », 

Nunc^  vero  ad  supradictum  Amagiensem'  locum,  quid 
iure  pertineat,  convertamus  explicandum.  Silva  de  Giuro, 
Silva  de  Erleverceis  *,  Gisloldi  saltus  ^  adiacet,  unicuique  sibi 
adherens  usque  ad  extremum  confinium  aquosa  et  peue  invia 
palus.  Sciendum  vero  est,  quod  silva  de  Giuro  pertinet  tan- 
tum  ad  custodiam  viliei,  de  qua  nee  vendere  nee  dare  ei 
conceditur,  sed  rusticis  ad  domos  construendas  et  ad  ignem 
concedimus  faciendum.  Hec  autem  omnia  sub  tutela  Ama- 
giensis  prepositi  permaneant  semper.  Trans  fluvium  est 
viculus  Alnus «  nuneupatus  ad  alendos  greges  cuiuscumque 
generis  aptissimus,  de  lignis  et  materie  nundinarum  portus 
indeficiens,  Duacense  castrum  et  provintialia  loca  in  eircuitu 
lignorum  copia  et  domorum  culminibus  indesinenter  adimplens. 
Non  solum  hune  viculum,  sed  et  Marceniensem  et  Amagiensem 
situm  sie  natura  protulit,  ut  in  eircuitu  eorum  undam  super- 
fluam  pariter  gigneret  et  lutosum  bitumen. 

Fol.  134'.  Erat  etiam  Warlennium  supradictum  quoddam 
vicinum  pr^diolum  ad  sanctos  pertinens  iuxta  quod,  ut  fama 
est,  minoris  prudentie  minusque  provida  qu^dam  abbatissa'' 
cuidam  militi  de  genere  suo,  quod  non  oportuerat,  inconsulte 
donavit  et  exinde  sibi  §cclesi^que  dampnum  non  modicum 
insipienter  ingessit.  Idem  vero  locus  modo  quidem  desertus 
et  sine  habitatore  inanis  videtur  et  vacuus.  Porro,  si  rursus 
incol^  redeuntes  ibi  degerent,  ^cclesi^  Amagiensis,  sicut  iam 
fuerant,  parroechiani  essent  de  vivis  et  mortuis,  de  decimis 
c^terisque  istiusmodi.  Si  autem  de  forensibus  causis  inibi 
forte  quippiam  contingeret,  videlicet  de  banno,  de  furto,  de 
teloneo,  de  iuvento  vel  de  bis  similibus  ad  prepositum  mona- 
sterii  et  ad  eins  vilicum  nichilorainus  pertineret.  —  — 

Fol.  135  leider  Vs  unten  mit  der  Scheere  abgeschnitten. 
Auf  fol.  135'  liest  man: 


1)  Ueber  die  Vögte  wird  in  mittelalterlichen  Quellen  fortwährend 
geklagt.  Vgl.  besonders  Abbonis  Coli.  can.  c.  2.  Charakteristische  Bei- 
spiele für  die  Raubsucht  und  Rücksichtslosigkeit  der  Advocati  bieten 
Mirac.  S.  Benedicti  (ed.  Certain)  VI,  c.  3;  bez.  Corbies  eine  Urk.  Ro- 
berts II.  V.  1016  b.  Marlene,  Collect,  ampl.  I,  p.  379,  bez.  Senones  eine 
solche  Adalberos  II.  von  Metz  v.  Jahre  1000  in  Gallia  ehr.  XIII,  instr. 
461.  2)  Von  'Nunc  —  semper'  andere  Hand.  3)  Heute  'Wandig- 

nies-Hamage'.  4)  Statistique   archeolog.  du  De'p.  du  Nord   (1867)  II, 

S.  650:  'La  cour  et  le  vivier  de  Eleverchies  sur  le  fosse  de  Riulai 
venant  de  la  Scarpe  jusqu'ä,  ce  vivier'.  5)  Wohl  der  Wald,  der  in  der 
S.  463    N.  4   angeführten    Urk.    'Gislaufait'   genannt    wird.  6)    Alnes. 

7)  Judith.     Vgl.  Mir.  S.  Rictr.  c.  14,  a.  a.  O.  p.  92. 


466  Ernst  Sackur. 

multij  plicia  et  grandia^  sub  terris  inventa  satis  evidens 
ostendunt  indicium,  licet  superne  non  appareant  ruine  raoeni- 
orum.  Inveniuntur  quoque  in  profundo  telluris  sepe  urceoli 
fictiles,  scutul^  rubri  coloris  fuco  vermiculate,  necnon  et  am- 
puU^  vitre^,  in  quibus  aliquantis  quidam  liquor  continetur  ita 
perspieuus,  sicut  lacrima,  in  aliquantis  vero  crematorum  cada- 
verum  cineres  et  ossillula,  sed  et  erroris  sui  et  superstitionis 
eon'.  .  .  . 

Folgt  fol.  136' — 137'  c.  20  der  Gründungsgeschichte  von 
'Quamvis  profectus  —  —  subripuere'. 

Fol.  137'.  In  Remegiis^  Iterum  possessionis,  de  qua 
agitur,  terre  ac  silv^  portio  non  adeo  modica  continetur, 
quam  unus  de  mansionaticis  saneti  Amandi  quinque  solidorum 
annuo  censu  sibi  retinere  videbatur.  Hie  census  raro  aut  vix 
aut  nunquam  persolvebatur  ex  integro.  Erat  ergo  maioris 
pr^tii  sine  utilitate  talis  conditio  ignominiosa.  Insuper  et  in 
circuitu  degentes  viam  publicam  a  suis  finibus  arcobant  et 
per  istius  terrg  nostr?  medium  contentiose  intorquebant.  Suam 
terram  undique  finetenus  studiose  excolebant,  istam  vero  ad 
animalium  suorum  pastum  violenter  sine  pretio  usurpabant. 
Hinc  querimonie,  illinc  sepius  contentiones  et  rix^.  Fateban- 
tur,  quibus  tiebat  iniuria,  commodius  ac  satius  fore  rem  peni- 
tus  non  haberi,  quam  cum  tali  dedecore  aliquid  possideri. 
Castellani,  id  est  advocati,  auctoritas  neque  terror  neque  patro- 
cinium  neque  sufFragium  his  incommoditatibus  nuUatenus  opi- 
tulabatur.  Inter  hgc  quidam  Godefridus  vir  seculo  satis 
idoneus,  iustitiarum  comitis  et  causarun)  fiscalium  infra  pro- 
vintia  praepositus  et  procurator  strenuus.  'Si  h^c',  inquit,  'terra, 
quando  vobis  neque  honori  neque  utilitati  c^dit,  miclii  in 
beneficio  daretur,  Homo  abbatis  efficerer  manibus  et  sacra- 
raento  et  fidelitate  suus  essem,  tam  de  me,  tarn  de  equis  meis 
famulatum  condignum  presto  haberet  maximeque  cuncta,  qu^ 
ecclesi^.  esse  noscuntur  et  undecumque  contigua  sunt  et  ad- 
herent  comitatui,  fideliter  protegerem,  supportando  etiara  for- 
tuitas  incursiones  et  incolarum  offensiones  auxiliando  semper 
adessem'.  Itaque  inito  communi  consilio  et  super  hoc  corro- 
borato  ab  omnibusque  laudato  ita  factum  est  et,  qu^  hinc 
dicta  sunt,  eo  tenore  beneficiata  sunt  ei.  De  his  ita  dixisse 
sufficiat. 

In  eminentiori  pene  loco  Austrovantensis  •*  pagi  a  longe 
conspicabilis  posita  est  viila  tempore  belli  armatorum  advers^ 
partis  utrinque  quasi  specula  cotidiana  Asconium  ^,  vel  magis 


1)  Wohl  'saxa'  zu  ergänzen.  Wie  aus  fol.  136  hervorg-elit,  war  zu- 
letzt von  'beuruii  municipio'  (Beuvry,  cant.  d'Orchies)  die  Rede.  2)  'con- 
ditoria'?  3)    Reumegys     bei    St.    Amand.  4)    'Austrevantensi'  Hs. 

5)  Abscon  (arrond.  de  Valenciennes,  cant.  de  Bouchain). 


Beise  nach  Nord-Frankreich.  467 

Absconditum,  ut  fertur,  olim  nuncupata  huiusmodi  videlicet 
causa.  Romanorum  exercitus  virtutis  su^  robore  Gallia  occu- 
paverat,  et  qu^dam  pars  eorum  optima  qu^que  et  precipua 
sibi  eligens  incolendo  terras  gentium  possidebat.  Postquam 
vero  lulio  C^sari  sors  obtigisset,  ut  occidentalis  orbis  piagas 
Roman^  reipublie^  pugnando  atque  domando  penitus  subige- 
ret,  marinos  etiam  fines  contingens  triumphando  oeceanum 
transfretaret,  quamvis  cum  ingenti  labore  et  diversis  preliorum 
certaminibus  universa  perdomuit.  Cumque  orbe  subacto  om- 
nibusque  superatis  et  rite  compositis  vexilla  victricia  retor- 
quens  Romam  cum  triumpho  iam  redire  decrevisset,  electam 
iuventutem  et  strenuam  pugnatorum  militiam  ex  omni  Gallia 
cum  duodecim  legionibus  suis  collegit  et  precipue  propter 
futuram  Thessalici  belli  congressionem,  ad  quam  anxius  toto 
conamine  mentis  festinare  videbatur.  Qui  vero  ex  supradicto 
pago  in  Lac  expeditione  assignati  sunt,  ex  militaribus  stipen- 
diis  sufficientes  copias  habentes,  domesticas  aut  privatas  pecu- 
nias  in  sapradicta  villa  terra  curaverunt  abscondere  et  Abscon- 
diti  nomen  eidem  vill^  signanter  imponere,  ut  in  reditu  sui » 
in  hanc  fortasse  patriam  seu  ipsi  seu  posteri  eorum  ex  signi- 
ficatione  norainis  recti  tramitis  linea  ad  occulta  reconditarum 
pecuniarum  latibula  sine  errore  valerent  attingere.  H^c  est 
ethimologia  nominis,  quod  Abscon  corrupto  modo  appellunt. 
Ita  esse,  ut  dicimus,  quorundam,  qui  ante  nos  fuerunt,  relatione 
didicimus,  qui  etiam  hoc  scriptum  se  invenisse  fatebantur. 

Fol.  140'.  Quid  inter  h^c  animadvertis,  quid,  inquam, 
censes,  huius  opusculi  lector,  opidulorum,  viculorum  villarumque 
proportiones  significare?  Noveris  utique  domin§  RICTRVDIS 
generaliter  quondam  universa  fuisse,  unde  hec  residua  sibi 
particulariter  adhuc  conprobantur^  esse.  Verum  autem  ipsamet 
et  in  vita  sua  more  suo  hilariter  ea  distribuit  aliis,  liec^  proce- 
dente  tempore  de  ^cclesia  abstracta  quibusdam  causis  exigen- 
tibus  beneüciata  sunt  militibus  viris.  Quicumque  enim  gesta 
Francorum  legere  voluerit  et  ea  diligentius  scrutatus  fuerit, 
inveniet  procul  dubio  Francorum  regni  virtutem  quasi  aliqua- 
tenus  degeneratam  aliquando  extitisse  inpotentem  ad  superan- 
dum  vel  resistendum  aliorum  regnorum  viribus  aliarumque 
nationum  gravibus  et  crebris  incursionibus.  Danorum  siqui- 
dem  barbara  gens  aquilonaris,  scilicet  populus  ferocissimus, 
cum  valida  manu  et  grandi  robore  ac  bellico  apparatu  olim 
de  sedibus  suis  egressi  vastos  pelagi  gurgites  et  magnos  unda- 
rum  cumulos  inperterrito  animo  superantes  infinita  navium 
multitudine  oeceanum  undique  pertexerunt.  Qui  procellosum 
equor    motu  instabile,    cunctis    pr^ter    eos    nimium    terribile, 

1)  So  Hs.         2)  'conprobante'  Hs.         3)  'hoc'  Hs. 


468  Eirost  Sackur. 

velut  cognatam  sibi  terram  confidenter  ingressi,  ventorum  in- 
cursu,  velis  tumentibus  longe  lateque  laxata  classe  pervagantes, 
cum  fuisset  in  animo  Stationen!  figere  post  laborem,  ubi  volun- 
tas  vel  magis  oportunitas  prestabat,  dente  tenaci  anchora  fun- 
dabant  naves. 

Hinc  frequenter  irruptione  feroci  Gallorum  fines  hostiliter 
penetrantes,  modo  Morinorum  urbem^  usque  ad  fundamenta 
diruunt,  civibusque  ferro  peremptis,  suburbana  illius  igne 
penitus  consuraunt,  modo  Ambianis  per  Sumnam^j  Novioni^ 
per  Isam*,  modo  per  Sequanara  Parisius  appulsi  urbes, 
castella  ^cclesiasque  subvertunt,  predis  ac  rapinis  nocte  dieque 
insistunt,  strages  innumeras  sine  eessatione  perpetrant  nullique 
parcentes  etati  vel  sexui,  multa  milia  horainum  ferro  diverso- 
que  modo  interficiunt  et  omnia  usque  ad  consuraptionem  de- 
populantur.  His  cladibus  tantisque  mortium  generibus  Gallo- 
rum reges  et  palatii  proceres  impares  ad  consulendum  seu  ad 
arcendum  de  regno  malum  publicum  *  ruine  istius  et  intole- 
rabilis  desolationis  patrie  pertesi  pessimum  iniunt  consilium 
su^que  anim^  mortiferura.  Persuadent  etenim  regibus,  ut, 
quoniam  infinitus  hostiura  numerus  fines  suos  violenter  irru- 
perat  et  qu^que  preeipua  regni  usque  inliabitantium  necem 
sibi  oecupaverat,  militum  atics  et  numero  et  fortitudine  ad 
prelium  longe  inferiores  [congregent^J,  subtrahant  interim  de 
possessionibus  ecclesiarum,  quod  superat,  et  virisfortissimis''  per 
beneficiadividant,  distinctis  ordinibus  novusopponaturexercitus, 
tribunis,  centurionibus,  cohortibus  cunctisque  ad  bella  promptis- 
simis,  quatinus  adaucta  pugnatorum  militia  bestes  prostrati  viri- 
liter  superentur  et  regnum  deinceps  ab  extraneis  nationibus 
valido  prcsidio  tueatur.  Nefand?  huius  occasionis  causa,  sicut 
retulerunt,  qui  hoc  ita  opinati  sunt,  de  heriditate  sanctorum  Dei 
non  formidaverunt  plurima  impudenter  auferre  et  fidelium 
Christi  victualia  ausi  sunt  dampnabiliter  imminuere. 

Fol,  142.  Battingeiarum  *  prediolum  non  est  pretere- 
undum,  quod  in  Hainaunensi  comitatu  situm  constat  et  con- 
fine  est  Montensis  comitis  fisco,  qui  Waldreacus»  nuncupatur.  .  . 

Fol.  142'.  In  supradicta  silva  quernas  arbores  natura 
prius  non  protulerat,  sed  humilis  com§  passim  silvestria  vir- 
gulta  aliarumque  diversarum  frondium  densitatem.  Ut  autem 
rusticorum  simplicitas  audet  asserere,  una  dierum  beata  Eusebia 
virgo  superveniens  vestisque  pelliti^  manicam  collecta  glande 
pleuam   gestans   visa  est  aptissime  serere  et   locis   nemorosis 

1)  Boulogne.  2)  Somme  fl.  3)  So  Hs. ;  Noyon.         4)  Oise  fl. 

5)    'puplicum'  Hs.  6)    Fehlt  Hs.         7)    Darüber  von  derselben  Hand, 

wie    scheint:    'robustissimis'.  8)    Battignies-lez-Binehe    (Belg.,    arr.  de 

Charleroi,  cant.  de  Binche).  9)  Waudrez  (Belg.,  arr.  de  Charleroi,  cant. 
de  Binche). 


Reise  nach  Nord-Frankreich.  469 

simulque  infra  limites  suos  in  patentibus  campis.  Quod  semen 
oportunum  virginali  pugillo  satum  tellus  fidelis  suscipiens  et 
natural!  gremio  confovens  in  modico  tempore  recentem  silvam, 
qu§  prius  non  fuerat,  divinitus  protulit  et  innumerabiles  quer- 
cus  giandiferas  vasto  robore  ad  aeris  alta  sustulit.  Hac  de 
causa,  hoc  est  de  sanct^  virginis  pellitia,  sicut  ferunt,  inditum 
sibi  nomen  esse,  ut  diceretur  eadem  silva  in  pellitiis  de  pellitiis, 
quod  nomen  ^ternum  adhue  possidet  et  in  reliquum  semper 
pos[sidebitij. 

3.  Douai  n.  864,  Pgmt.  saec.  XII/XIII  4».  217  fol. 
enthält  eine  Sammlung  von  Heiligenleben.  Fol.  113:  'Incipit 
prologus  in  Vita  sancti  Auberti  episcopi  Cameracensis.'  Fol.  114: 
'Explicit  prologus.  Incipiunt  capitula.'  Fol.  114':  'Incipit 
Vita  sancti  Autberti  Cameracensis  episcopi.'  Die  Vita  ist  be- 
deutend reichhaltiger  als  der  Druck  des  Surius,  mit  dem  sie 
bis  c.  12  incl.  übereinstimmt.  Es  folgt  dann  fol.  120  ein  Ab- 
schnitt über  den  hl.  Vincentius,  die  hl.  Waldetrud  u.  s.  w. 
mit  den  Worten  beginnend:   'Erat  tunc  temporis  vir  quidam 

nobilis  Maldegarius  nomine usura  dominici  talenti  adqui- 

sivit'.  Vermuthlich,  weil  er  das  dort  berichtete  schon  ander- 
weitig, nämlich  im  Leben  des  hl.  Vincentius  abgedruckt,  hatte 
Surius  den  Theil  fortgelassen.  An  c.  13  (nach  Surius'  Zählung) 
wird  dann  fol.  123  angeschlossen:  'Sed  quia  nos  ex  antiquis 
scripturis  vetus  prophetice  visionis  exemplum  huic  operi  intro- 
duximus,  hoc  fortasse  auditoris  sollertia  a  nobis  exigit,  qua 
rerum  similitudine  he  due  sibi  visiones  altrinsecus  responde- 
ant  etc.'  Folgen  eine  Reihe  mystischer  Betrachtungen  bis 
fol.  124' :  'de  terrenis  ad  celestia  transire.  Sed  nos  ad  pro- 
positum  revertamur'.     Hier  kommt  die  Handschrift  wieder  mit 

Surius  zusammen:  'Beatus  itaque  pontifex  tali  revelatione 

deputavit'  c.  14,  worauf  nach  der  handschriftlichen  Ueberlie- 
ferung   wieder  ein  neuer  Abschnitt  mit  den  Worten  beginnt: 

'Verum  expleto  aliquo  tempore colloquentes  reversi  sunt 

in  sua',  der  kirchenrechtliche  Erörterungen  gegen  die  Aus- 
übungen geistlicher  Rechte  durch  Laien  und  ein  Citat  aus 
der  Vita  Fursei  enthält,  Stücke,  die  Surius  wohl  deshalb 
unterdrückt  hat,  weil  sie  für  das  Leben  des  hl.  Autbertus 
nichts  Neues  eintrugen  i.  Nach  dem  mit  Surius  c.  14  überein- 
stimmendem  Schluss  enthält   die  Handschrift  nun  noch   den 


1)  Bis  'pos.'  fol.  142'  unten;  das  Uebrige  fehlt.  2)  Im  Wesentlichen 
mit  dieser  Handschrift  stimmt  St.  Omer  n.  698  membr.  8<>  saec.  XII. 
Doch  fehlen  die  oben  erwähnten  mystischen  Erörterungen  nach  c.   13  von 

'Sed  quia  nos ad  propositum  revertamur',  ferner  nach  den  Worten  : 

'interdicere  videantur'  die  kirchengeschichtliche  Begründung  'Quod  nimi- 
rum  in  veteri  testamento  —  —  divine  dispositionis  offerre  presumpsit'. 
Der  Anhang  über  die  Translation  etc.  fehlt  ganz. 

Neues  Archiv  etc.    XV.  31 


470  Ernst  Sackur. 

vollständigen  Anhang  zur  Vita  über  die  Translation  der  hl. 
hl.  Gaugericus  und  Autbert  nach  Magdeburg  und  die  Restau- 
ration des  St.  Autbertklosters  in  Cambrai  unter  den  Bischöfen 
Erluin  und  Gerard,  sicher  den  werthvollsten  Abschnitt  des 
ganzen  Werkes,  den  Surius  nur  ganz  kurz  wiedergegeben 
hatte.  Ein  Auszug  daraus  findet  sich  in  den  Gesta  episc.  Came- 
rac.  I,  c.  77  (78),  SS.  VII,  p.  430.  Einen  Theil  hatte  aber 
Jacques  de  Guise  wörtlich  nach  seiner  Art  IX,  c.  46  u.  47 
(ed.  Fortia  Bd.  VIII,  S.  38 — 44)  aufgenommen,  ohne  dass  er 
hier  die  verdiente  Beachtung  gefunden  hätte. 

Fol.  126.  Evoluto  autem  aliquo  temporum  spatio,  post- 
quara  Otto,  gloriosus  princeps  atque  pacificus  Imperator, 
Heinrici  regis  filius,  regnum ',  quod  a  patre  minus  pacatum 
acceperat,  sedatis  hostibus  multa  in  pace  composuisset  necnon 
orientalium  rex  Francorum  ac  patricius  Romanorum  appella- 
tus  esset,  cepit  animosius  circa  ecclesiastice  dispensationis 
officia  pio  sollicitudinis  excrcitio  occupari  ecclesiasque  Dei, 
ubi  deerant,  construere,  ubi  vero  aut  vetustate  conlapse  aut 
gentium  infestatione  destructe  fuerant,  datis  ex  proprio  erario 
pecuniis,  reparare  adeo,  ut  preter  opera,  que  plurima  ad  regni 
decorem  et  commoditatem  pertinentia  diversis  in  locis  exple- 
verat,  quatuordeciui  pontificalis  magnificentie  sedes^  constru- 
eret,  inter  quas  urbcm  quandam  metropolim  condidit,  que 
usitato  vocabulo  Magadaburc  nuncupatur.  Que  civitas  Sclavos 
a  Saxonibus,  qui  illi  conterraini  sunt,  disparat.  In  qua  cum 
multos  gentilium  a  cultura  idolatrie  ad  fidera  catholicam  con- 
verti  compelleret,  et  totam  pene  provintiam  raonasteriis  et 
ecclesiis  refertam  nobilitaret,  atque,  statutis  per  singula  loca 
ministris,  res  in  usus  famulantium  regia  raunificentia  donaret, 
hoc  tandem  indigere  videbatur,  ut  ex  sanctorum  pigneribus 
aliunde  requireret,  quibus  locus  ipse  et  adversus  gentium  in- 
festationes  et  spirituales  inquietudines  muniretur  et  ad  pro- 
merenda  divina  beneticia  aptaretur.  Que  cum  multa  ab  epi- 
scopis  suis  impetrasset  et  plurima  ex  reraotis  provintiis  anxius 
exposceret,  audivit  Fulbertum  venerande  memorie  episcopum, 
qui  eo  tempore  Cameracensis  ecclesie  plebem  cura  pervigili 
regebat*,  super  hac  re  maxime  regis  desiderium  pusse  implere, 
felicem  eins  sedis  civitatem ,  que  duorum  confessorum ,  Aut- 
berti videlicet  atque  Gaugerici,  presentibus  patrociniis  sufFulta 
nulla  imminentis  iacture  pericula  formidabat,  felicem  Magada- 
burc urbem,  si  horum  corpora  divina  Dei  voluntate  habere 
contigisset.  Id  autem  licet  ad  optinendum  regi  facile  videretur, 
suberat  tamen  causa  raaior,  que  episcopi  animum  erga  regem 
ad  prestanda,  que  vellet,  attencius  inclinaverat,  ea  scilicet,  quod 


1)    'regü'    Hs.  2)    Zehn    Bisthümer    und    ein    Erzbisthum.     Vgl. 

Dümmler,  Otto  der  Grosse  I,  S.  551.         3)  934—956. 


Reise  nach  Nord-Fr ankr eich.  471 

ipse  domniis  Imperator  inter  multa  alia;  que  ei  regia  libera- 
litate  dona  concesserat,  abbatiam  beati  Gaugerici,  que  ante 
consularis  potentie  dominatu  male  tenebatur,  liberam  episcopo 
habendam  donaverat^,  que  usque  in  hodiernum  pontificali  se 
gaudet  faveri  gracia,  que  barbarico  vexabatur  imperio.  Igitur 
licet  regis  potentia  hoc  facile  impetrare  potuisset,  tamen  beni- 
volentiam  episcopi  potius  experiendam  arbitratus  predicta  sibi 
Corpora  dari  poposcit.  Episcopus  vero  regis  petitionem  gra- 
tanter  excipiens,  sed  peticionis  effectum  multa  argumentatione 
dissimulare  querens,  tandem  ne  ingratus  beneficiis  superioribus 
videretur,  licet  invitus  se  facturum,  quod  tantus  princeps  po- 
stulaverat,  pollicetur.  Verum  inexperta  sanctorum  voluntate 
periculosum  sibi  et  provincie  sue  pernitiosum  fore  metuebat, 
si  sanctos  Christi  confessores  a  suis  sedibus  removere  presu- 
meret,  per  quos  Cameracensis  civitas  felix  in  propagine,  fer- 
tilis  in  gramine,  et  temporalem  meruerat  salutem  et  supernam 
sperabat  beatitudinem.  Itaque  inter  amorem  regis  et  timorem 
divine  offensionis  anxius  episcopus  paucos,  quos  secretiores 
consilii  adiutores  elegerat,  sibi  adhibuit  et  ceteris  ignorantibus 
duorum  corpora  sacerdotum,  Theoderici  videlicet  venerabilis 
urbis  ipsius  episcopi  et  alterius,  cuius  nomen  memorie  non 
occurrit,  detectis  sepulchris,  accepit,  qu§  regi  donanda  esti- 
mavit,  cum  quibus  et  aliquos  articulos  beati  de  corpore 
Auberti  preciosas  reliquias  ei  concessit  provida  consilii  ratione, 
ne  et  civitas  Cameracensis  suis  patronis  viduaretur  neve  epi- 
scopus mendacii  culpam  in  se  transfudisse  videretur.  Letus 
igitur  imperator,  rebus  ad  votum  succedentibus,  gloriosas 
reliquias  suscepit  easque  in  monasterio,  quod  ipse  miro  arti- 
ficio  construxerat,  in  supra  memorata  urbe  locavif^,  sane  non 
sine  nutu  divini  consilii,  scilicet  ut  et  Cameracensis  civitas, 
que  confinium  imperii  eius  a  Francis  disterminat,  et  Magada- 
burc,  que  alio  confinio  sub  regno  eius  Sclavos  a  Germania 
eliminat,  beati  viri  munite  presidio  tamquam  forti  circumdate 
rauro  tuerentur.  lam  vero  fama  huiusmodi  tocius  Germanie 
fines  occupaverat,  que  sanctos  confessores  a  finibus  Galileis 
evectos  adeo  affirmabat,  ut  nuUi  incredibile  videretur,  quod 
tarn  celeberrime  opinionis  nuntia  testabantur.  Sed  illis  aliud 
opinio  favebat,  nobis  aliud  veritas  servabat.  Nam  nostris 
temporibus  contigit  quendam  vite  venerabilis  urbis  ipsius 
archidiaconum ,  nomine  Auffridum,  inter  multa,  que  per  loca 
sanctorum  distribuerat,  beato  Gaugerico  scrinium  unum  auro 
vel  argento  manu  artificis  decoratum  fabricasse ,  in  quo  con- 
fessoi'is  menbra  nobilius  reconderentur.  Superveniente  igitur 
die,  quo  mutationis  ministerium  expleri  debuisset,   venerabilis 


1)  Gesta  ep.  Camer.    I,   c.  73,    SS.  VII,    p.  427.  2)  Bis  hierher 

von  Jacques  de  Guise  aufgenommen. 

31* 


472  Ernst  Sackur. 

presul  Erluinus,  qui  tunc  Camerace  plebis  curam  agebat^, 
non  adeo  ociosus,  preciosi  menbra  corporis  diligenter  perscru- 
tatus,  preciosum  corpus  maxima  ex  parte  invenit. 

Sed  et  tempus  advenerat,  quo  vetusta  templi  edificia,  in 
quo  beatum  Autbertum  tumulatum  fuisse  supra  narravimus, 
renovari  atque  amplificari  rerum  oportuna  necessitas  commo- 
nebat,  qua  videlicet  tempestate  idem  episcopus  Erluinus  adhuc 
ipsius  statum  regebat.  Hie  procurante  Godefrido  quodata 
suo  archidiacono  et  ex  censu  proprio  sumptus  operis  suppe- 
ditante  monasterium  ipsum  maiori  arabitu  edificii  nobilitare 
studuit^  et  ministros,  qui  ibi  cotidiano  officio  deservirent, 
deputavit  piurimaque  rebus  ecclesie  in  usus  famulantium 
ipse  superaddidit.  Sed  cum  in  eo  esset,  ut  sacrum  corpus 
sedibus  suis  restituere  deberet,  morte  preventus  inperfec- 
tum  opus  reliquit.  Post  cuius  transitura  domnus  Gerardus 
episcopus  ecclesie  ipsius  gubernacula  suscepit^.  Qui  peractis 
Omnibus,  que  minus  ante  parata  fuerant,  monasterium  ipsum 
cum  magna  cleri  ac  populi  raultitudine  in  honorem  domini 
et  memoriam  beati  Pauli  apostoli  die  Kalendarum  Octobrium 
consecravit  sanctumque  corpus  suis  sedibus  decenter  restituit 
anno  dominice  incarnationis  millesimo  quintodecimo,  ordina- 
tionis  vero  ipsius  tercio,  indictione  tercia  decima,  regnante  im- 
peratore  Henrico.  Sed  inter  agendum  domno  episcopo  visum 
fuit,  quod  scrinium,  in  quo  sanctum  corpus  iacebat  quodque 
sui  vetustate  resolutum  erat,  renovare  sanctumque  thesaurum 
in  eo  recondere  deberet.  Quod  cum  sollicitius  expleret,  inve- 
nit quosdam  ab  integro  corpore  articulos  defuisse,  quos  mul- 
torum  testimonio  et  insuper  rei  ipsius  manifesto  indicio 
intelleximus  per  Fulbertum  episcopum  regi  poscenti  donatos. 
Est  autem  locus  ille  haud  longe  ab  ecclesia  beate  et  gloriose 
genitricis  Marie  intra  muros  urbis  ipsius  situs,  in  quo  recta 
tide  petentibus  beato  ac  venerabili  Christi  confessore  Autberto 
intercessore  beneficia  prestantur  divina,  regnante  Deo  et  salva- 
tore  nostro  lesu  Christo,  cui  est  cum  eterno  Patre  et  Spiritu 
sancto  virtus  et  honor,  gloria  et  imperium,  laus  et  potestas 
per  infinita  secula  seculorum  Amen. 

St.  Omer.  n.  698  membr.  S»  saec.  XII  67  fol.  (Vgl. 
Archiv  VIII,  S.  414;  Catalogue  des  man.  des  dep.  III,  p.  305  u. 
oben  p.  492,  N.  2),  Auf  dem  ersten  Blatt  (Schmutzblatt) 
steht  folgendes  Reliquienverzeichnis  manu  saec.  XIII.: 

He  reliquie  continentur  in  capsa  sancte  Austraberte  vir- 
ginis.     De  sancto  Cosma  martyre.     De  sancto  Ciriaco  martyre. 

1)  995—1012.  2)  Vgl.  Gesta  episc.  Camerac.  c.  113  (SS.  VII, 
p.  450):  'Huius  praeceptione  Godefridus  suus  quidam  archidiaconus  mona- 
sterium sancti  Autberti,  quod  intra  muros  urbis  est,  amplioravit'.        3)  1012. 


Reise  nach  Nord-Frankreich.  473 

De  kasula  sancti  Wlframmi  et  dalmadice.  De  [vela'Jmine 
sancte  Austraberte  virginis.  De  legione  Tebeorum.  Sancti 
Ansberti  episcopi.  De  cilicio  sancte  Amalberge  virginis. 
Teodori  martyris.  Reliquie  de  sepulcro  Domini  et  de  sepulcro 
Epenilde  et  reliquie  sancti  Bertini  abbatis  et  de  sancto  Urbano 
et  de  sancta  Margarete.  De  sancta  Ursula.  De  virginibus 
Colonie.  Reliquie  sancti  Petri.  Celestini  pape.  Item  reliquie 
sancti  Petri.  De  sancto  Bertino.  De  sancto  Folquino.  Deus 
sancte  Austraberte  virginis.  De  sancta  Cecilia,  De  barba 
sancti  Macharii  archiepiecopi.  De  sepulcro  sancte  Marie  vir- 
ginis. De  sancto  Maximo  episcopo.  De  sancto  Geronimo. 
De  sancto  Daniele  propheta.  De  sancto  Severino  episcopo. 
De  sancto  velamine  sancte  Aldegundis  virginis.  De  sancto 
Georgio  martyre.  De  sancto  Brictio  episcopo.  De  corpore 
sancti  Wlframmi  archiepiscopi.  De  Hgno  Domini.  De  oleo 
sancti  Demetrii.  De  capillis  apostolorum  Petri  et  Pauli.  Et 
reliquie  plurimorum  sanctorum ,  quorum  nomina  apud  nos 
ignorantur  ^. 

Fol.  48'  ist  am  Rande  unten  (saec.  XIII)  eingetragen: 

Leiardis 

Gyvederd  de  Quene.     Leuardis,  filia  sua.     Ermiard  filia. 
Godehild  et  Ermeniard,  filia  sua.   Fredesindis,  matertera  Ermen- 

de  Bikene  filia  sua 

iardis,     Leyiard  cognata  sua.      Fraborg.     Humborg.     Isborg, 

filius  eius.  filius  eius  filius  Leyardis.  filius 

Adam.        Adam.        Bodinus.       luwain.       Ingeliard.       Eusta- 

eius 

eius.  Ermeniard  et  Boinus  filius  eius  et  Ermeniard  et  Matildis 
sorores.  Christiana,  filia  Fresendis.  VI.  Idus  Mai.  obiit 
Lamrainus  de  Rubrue;  et  Merzman  et  Christiana  uxor  eius 
recepti  sunt  in  beneficiis  et  orationibus  ecclesie  quasi  fratres 
et  sorores  VI.  Kl.  Augusti  per  manum  Walteri  cantoris. 


1)  Loch  im  Pergament.  2)  Auf  derselben  Seite  steht  von  einer 
Hand  des  XIV.  Jahrh.  noch  Verschiedenes  geschrieben,  ohne  historischen 
Werth. 


XII. 


Bericht 


über 


einig'e  Reisen  nach  Italien, 


Von 


H.  Simonsf'eld. 


Um  für  die  Geschichtschreiber  Venetiens  aus  dem  13. 
Jahrhundert,  welche  in  unseren  Monumenten  noch  Aufnahme 
finden  sollen,  die  nöthigen  Nachforschungen  und  Vergleichun- 
gen  vorzunehmen,  trat  ich  Anfangs  September  1887  eine  Reise 
nach  Friaul  an,  die  durch  einen  häuslichen  Unfall  eine  bedau- 
erliche Unterbrechung  erfuhr.  Erst  am  11.  October  langte 
ich  in  Udine  an,  wo  ich  für  die  bei  De  Rubels,  Monum. 
eccl.  Aquil.  veröfi'entlichten  Aquilejer  Patriarchen -Chroniken 
nach  alten  Handschriften  fahnden  wollte.  Denn  Dr.  Joppi,  der 
bekannte  Bibliothekar  der  Biblioteca  Comunale  zu  Udine, 
hatte  mir  auf  meine  vorherige  Anfrage  geantwortet,  die  von 
Rubeis  benützten  'alten'  Handschriften  müssten  seiner  Ansicht 
nach  allerdings  noch  vorhanden  und  wohl  in  Cividale  zu 
finden  sein,  wie  dort  auch  das  Original  der  Annales  Foroiu- 
lienses  abbreviati  noch  existiere. 

Leider  war  Dr.  Joppi  bei  meiner  Ankunft  in  Udine  nicht 
anwesend,  die  Communalbibliothek  nicht  zugänglich,  so  be- 
schloss  ich  sogleich  in  Cividale  selbst  mein  Glück  zu  ver- 
suchen. Bibliothek  und  Archiv  des  Capitels  sind  nun  städtisch 
geworden,  und  der  Zugang  war  —  in  Abwesenheit  des  Biblio- 
thekars —  nur  durch  die  Freundlichkeit  eines  eigens  herbei- 
geholten jüngeren  Magistrats-Beamten  möglich,  der  mir  dann 
gerne  die  Durchsicht  der  Handschriften  gestattete.  Von  jenen 
Chroniken  war  nichts  zu  sehen,  hingegen  fand  ich  in  der  That 
am  Ende  eines  alten  Nekrologiums  s.  XIV  (n.  43)  die  Ann. 
Foroiul.  abbrev.,  die  ich  an  diesem  und  dem  folgenden  Tage 
zu  collationieren  nicht  unterlassen  wollte,  da  ich  mich  bald 
überzeugte,  dass  Rubeis  den  Abdruck  keineswegs,  wie  Beth- 
mann  behauptet  hat  (cf.  SS,  t.  XIX,  p.  194)  correct  besorgt 
hat,  sich  vielmehr  mancherlei  Lesefehler  hat  zu  Schulden 
kommen  lassen.  Einige  durch  Schmutz  unleserliche  Stellen 
konnte  ich  mit  Hülfe  eines  Sudes  gekochter  Galläpfel  entzifi"ern. 

In  Venedig  habe  ich  dann  (wie  auch  später  Weihnachten 
desselben  Jahres)  noch  ein  paar  Tage  auf  der  Markus- 
Bibliothek  gearbeitet  und  hier  die  Sammelhandschriften 
Gl.  X  lat.  n.  132;  Gl.  XIV  lat.  n.  46,  49,  81  für  die 
Aquilejer  Chroniken  durchgenommen  und  verglichen.  Denn 
auch  hier  hatte  es  sich  bald  herausgestellt,  dass  Rubeis  durch- 
aus nicht   zuverlässig  ediert  hat.     Es   lässt  sich  leicht  nach- 


478  H.   Simonsfeld. 

weisen,  dass  er  sogar  einzelne  Sätze  aus  Parteirück- 
sichten auf  die  Republik  Venedig  ausgelassen 
hat,  worin  dieser  Nachtheiliges  enthalten  war.  Da  ältere  Hand- 
schriften mir  bis  dahin  nicht  bekannt  waren,  schien  es  nöthig,  die 
bezeichneten  jüngeren,  so  schlecht  und  fehlerhaft  sie  auch  sind, 
zu  coUationieren.  Auch  die  bei  der  Ausgabe  in  den  Monu- 
menten auffallenderweise  gar  nicht  benutzten  Handschriften 
der  Annales  Foroiulenses  in  Cod.  X  lat.  132  und  XIV,  46 
habe  ich  dann  noch  verglichen  und  feststellen  können,  dass 
sie  keineswegs  die  vom  Notar  Antonius  Bellonus  geschriebe- 
nen Copien  der  Ann.  Foroi.  sein  können,  sondern  nur  Ab- 
schriften nach  seiner  Abschrift. 

Erst  im  Frühjahr  des  folgenden  Jahres  1888  konnte  ich 
meine  Arbeiten  auf  einer  neuen  Reise  fortsetzen,  die  mich 
zuerst  wieder  nach  Udine  führte.  Ich  fand  hier  bei  Dr. 
Joppi  die  freundlichste  Aufnahme  und  durfte  trotz  der  Ferien 
in  der  Charwoche  nach  Belieben  auf  der  Communal- 
Bibliothek  arbeiten.  Joppi  brachte  mir  sogleich  alle  auf 
der  Bibliothek  vorhandenen  (leider  nicht  mit  Signaturen  ver- 
sehenen) meist  jüngeren  Handschriften  der  Aquilejer  Chroniken, 
darunter  besonders  einen  grossen  Sammelband:  'Anecdota 
Foroiuliensia  collecta  (1730)  a  loh.  los.  Liruti',  der  für  seine 
Copien  alte  Handschriften  s.  XIII  und  XIV  benutzt  haben 
will. 

Durch  die  Vermittlung  Joppi's  erhielt  ich  dann  auch  Zu- 
tritt zu  Archiv  und  Bibh'othek  des  Domkapitels  und  fand 
hier  unter  Beihiilfe  Joppi's  zwei  ältere  Handschriften  saec.  XV 
in  dem  Codex  'Miscellanea'  n.  23  und  'Rerum  Foroiuliensium 
Collectio  n.  29',  in  dem  letzteren  überdies  das  Autograph  der 
Annal.  Foroiul.  des  Bellonus,  das  ich,  auch  hier  den  ganzen 
Tag  arbeiten  dürfend,  zu  collationieren  nicht  versäumte.  Ich 
werde  darüber  weiter  unten  noch  ausführlicher  berichten. 

Nach  den  Osterfeiertagen  habe  ich  dann  zwei  Tage  in 
Padua  mit  der  Vergleichung  der  'Chronica  patriarch.  Aquil,' 
s.  XVI  Cod.  n.  98  auf  der  Universitätsbibliothek  und 
mit  der  Abschrift  der  kleinen  von  Cipolla  im  Archivio  Veneto 
tom.  XVII  pag.  195  citierten  'Cronica  illorum  de  la  Scala'  (1250 
bis  1341)  in  der  Bibliothek  des  Seminario  n.  403  (A5) 
verbracht,  um  hierauf  vom  5. — 10.  April  auf  der  Comraunal- 
bibliothek  (Bertoliana)  zu  Vicenza  zu  arbeiten. 

Hier  sichei'te  mir  schon  meine  frühere  Bekanntschaft  mit 
dem  Bibliothekar  (Don  Bortolan)  und  Professor  Morsolin  die 
beste  Aufnahme,  und  ich  konnte  die  Arbeitsstunden  von  10 — 3 
auf  9 — 6  Uhr  ausdehnen.  Es  galt  hier  die  schon  früher  an 
dieser  Stelle  (Neues  Archiv  Bd.  XII,  S.  218  ff.)  verzeichneten 
Handschriften  des  Gerardus  Maurisius,  Antonius  Godi  und 
Nicolaus  Smereghus  näher  zu  untersuchen  und  zu  vergleichen, 


Bericht  über  einige  Reisen  nach  Italien.  479 

WOZU  dann  noch  (aus  dem  handschriftlichen  Katalog)  drei 
andere  kamen:  1)  G.  7.  5.  27  chart.  4°  saec.  XVII  (XVIII) 
die  Chronik  des  Godi  etc.  enthaltend,  wahrscheinlich  Abschrift 
von  2)  G.  6.  8.  8.  chart.  4°  s.  XVI  (von  der  Hand  Giberto's 
de  Cavalcabobus),  worin  ausser  der  Chronik  Godi 's  noch 
das  'Compendium  Rerum  Vicentinai'um',  das  auch  in  G.  7. 
9.  15  steht,  und  zuletzt  'Historia  Translationis  Coronae  Do- 
mini de  Regno  Constantinopolitano  ad  regem  Franciae'  und 
3)  G.  6.  8,  9  Chart.  4»  s.  XVII  (von  der  Hand  Silvestro 
Castellini's)  wiederum  die  Chronik  Godi's,  vielleicht  Abschrift 
von  G.  7.  9.  15. 

Am  11.  April  habe  ich  alsdann  auf  der  Communal- 
bibliothek  in  Verona  einen  Tag  gearbeitet  und  die  von 
CipoUa  im  Archivio  Veneto  t.  XVII  verzeichneten  Veroneser 
Chroniken  eingesehen,  die  in  Cod.  815  überlieferten  Stücke 
'Syllabus  potestatum'  und  die  Chronik  des  Romano  abzu- 
schreiben begonnen,  da  beide  —  bisher  ungedruckt  —  in  die 
Monumenta  gehören.  Der  Verfasser  der  letzteren  Chronik 
meldet  übrigens  den  Tod  seines  Bruders  Matheus  de  Romano 
nicht,  wie  Cipolla  angibt,  zum  Jahre  1302,  sondern  1303. 
Von  der  völligen  Abschrift  musste  ich  wegen  der  Kürze  der 
mir  zugemessenen  Zeit  Abstand  nehmen. 

Den  folgenden  Tag  verweilte  ich  in  Brescia,  da  mir 
Bibliothekar  Bortolan  in  Vicenza  gesagt  hatte,  er  glaube,  dass 
auch  auf  der  Stadt-Bibliothek  zu  Brescia  ('Quiriniana')  Hand- 
schriften der  Vicentiner  und  Aquilejer  Chroniken  vorhanden 
seien  —  was  sich  aber  als  irrig  erwies,  F.  III.  4  misc.  2 
'Indicazioni  dei  Patriarchi  d'Aquileia'  beginnt  erst  nach  Lodo- 
vicus  de  Tech.  Aus  dem  Handschriftenkatalog  notiere  ich 
hier  noch: 

A.  in.  13.   Raymundus  de  Pennafort.     Summa. 

B.  II.  13  memW.  s.  XI.  Mercator  Isidorus.  Collectio 
epistolarum  et  decretorum  summorum  pontificum  et 
patrum. 

B.  VI.  28,  C.  VI.  24,  G.  VI.  4.  Chronik  des  Jacobus 
Malvezzi  mit  Fortsetzungen. 

Wegen  der  Notiz  in  Bd.  XII  des  alten  Archivs  S.  628: 
'Bisthum- Archiv  mit  vielen  noch  nicht  untersuchten  Hand- 
schriften' Hess  ich  mich  auch  dorthin  geleiten  und  durfte 
trotz  Abwesenheit  des  Bibliothekars  in  den  Schränken  nach- 
sehen, fand  aber  lauter  Lehensbücher  des  Bisthums  und  der- 
gleichen und  keine  anderen  Handschriften. 

In  Mailand  war  es  meine  erste  Sorge,  Schritte  zu  thun, 
um  in  die  Bibliothek  des  Fürsten  Trivulzio  zu  gelangen, 
in  welcher  ich  für  die  Abtheilung  der  Scriptores  die  Handschrift 
n.  1339  s.  XV  der  Annales  Cremonenses  vergleichen  sollte. 
Der  Fürst  war  gerade  nach  Rom  verreist,  und  da  seit  dem  Tode 


480  H.  Simonsfeld. 

des  Conte  Porro,  eines  Verwandten  des  Fürsten  (der  den  trefflichen 
Katalog  der  Bibliothek  veröffentlicht  hat),  kein  Bibliothekar 
mehr  angestellt  worden  war,  sagte  mir  der  Verwalter,  es  sei 
ganz  unmöglich  die  Bibliothek  zu  benützen;  nicht  einmal  der 
Sohn  des  Fürsten  könne  die  Erlaubnis  dazu  geben.  Ich  Hess 
mich  dadurch  nicht  abschrecken  und  wandte  mich  sogleich 
brieflich  an  den  Fürsten  selbst,  ihm  Zweck  und  Absicht  meiner 
vorzunehmenden  Arbeit  auseinandersetzend. 

Auf  der  Ambrosiana  collationierte  ich  dann  die  beiden 
Handschriften  (s.  N.  Arch.  Bd.  Xu  S.  219)  des  Antonius  Godi 
und  Nicolaus  Smereghus  D.  223.  P.  inf.  und  I.  211  und  in 
ersterer  noch  die  von  Muratori  SS.  t.  XVI  veröffentlichte 
Recension  der  Aquilejer  Chronik.  Ausserdem  waren  hier  auf 
der  Ambrosiana  einige  kleinere  Sachen  für  die  Abtheilung 
Epistolae  und  der  Leges  zu  besorgen  und  dann  für  die  letztere 
auf  Wunsch  des  Herrn  Prof.  Weiland  in  dem  Archiv  der  Kirche 
S.  Ambro  gio  eine  Canones-Samralung  aufzusuchen  und  zu 
untersuchen,  was  dank  der  Empfehlung  des  Präfekten  der 
Ambrosiana,  Herrn  Ceriani,  und  der  Freundlichkeit  des  Archi- 
vars in  den  Stunden  vor  und  nach  der  Ambrosiana  erledigt 
werden  konnte. 

Inzwischen  war  auch  von  dem  Fürsten  Trivulzio  Antwort 
eingetroffen,  der  mir  in  der  liebenswürdigsten  Weise  die  Er- 
laubnis ertheilte,  die  bezeichnete  Handschrift  nach  meinem 
Belieben  einzusehen,  was  schliesslich  nach  einigen  unliebsamen 
Erörterungen  mit  dem  Herrn  Verwalter,  der  neue  Schwierig- 
keiten wegen  der  Zeit  erheben  wollte,  dank  dem  Entgegen- 
kommen eines  jüngeren  Bediensteten  ebenfalls  in  den  Stunden 
vor  und  nach  der  Ambrosiana  ausgeführt  werden  konnte. 

So  konnte  ich  mit  einiger  Befriedigung  Donnerstag  den 
12.  April  Abends  Älailand  verlassen,  um  mich  nach  Gubbio 
zu  begeben,  wo  ich  auf  der  dortigen  Stadtbibliothek 
(Sperelliana)  die  alte  Handschrift  des  Petrus  Cantinelli,  des 
Fortsetzers  des  Tolosanus,  vergleichen  wollte. 

Ich  muss  hier  einfügen,  dass  ich  für  die  Neu-Ausgabe 
des  letzteren,  welche  mir  Geh.  Reg.-Rath  Waitz  nach  Beendigung 
des  'Chronicon  Venetum  vulgo  Altinate'  übertrug,  bereits 
früher  im  Jahre  1881  in  Italien  gearbeitet  hatte.  Es  war  mir 
damals  darum  zu  thun,  eine  oder  die  alte  Handschrift  des 
Tolosanus  aufzufinden,  welche  nach  Mittarelli,  Rerum  Faven- 
tinarum  Scriptores  im  Besitze  der  Familie  Ferniani  in  Faenza 
gewesen  war  und  nach  meiner  Ueberzeugung  dort  noch  sich 
befinden  musste.  Zwar  gab  der  damalige  städtische  Biblio- 
thekar von  Faenza  mir  auf  meine  diesbezügliche  Anfrage  eine 
verneinende  Antwort,  aber  ich  beschloss  doch  selbst  in  Faenza 
nachzusehen.  Als  ich  im  September  1881  dorthin  kam,  war 
die  Familie  Ferniani  verreist,  eine  Durchsicht  der  Bibliothek, 


Bericht  über  einige  Reisen  nach  Italien.  481 

soweit  sie  offen  zugänglich  war,  nicht  von  dem  gewünschten 
Erfolg  begleitet.  Hingegen  habe  ich  damals  in  dem  Kapitel- 
Archiv  die  in  dem  sogenannten 'Liber  Rubens'  des  Bernardo 
Azzurini  überlieferten  Bruchstücke  aus  Tolosanus  nicht  ohne 
Vortheil  verglichen  und  ebenso  alsdann  in  Bologna  auf  der 
Universitätsbibliothek  die  Handschrift  n.  81  (früher 
Aula  n.  B.  Caps.  91)  s.  XVIII  des  Tolosanus.  Von  Venedig 
aus,  wohin  ich  mich  wegen  anderer  Arbeiten  begeben  hatte, 
schrieb  ich  nochmals  an  den  Grafen  Ferniani  in  Faenza  wegen 
jener  alten  Handschrift  und  erhielt  bald  darauf  die  frohe 
Nachricht,  sie  sei  gefunden  und  stehe  mir  zur  Verfügung, 
sobald  ich  komme.  Und  wie  wurde  ich  dann  aufgenommen! 
Der  Graf  (Annibale  Ferniani)  nahm  die  Handschrift  und  mich 
selbst  mit  auf  seine  in  der  Nähe  der  Stadt  gelegene  Villa,  wo 
ich  mich  mit  derselben  beschäftigen  konnte,  wie  ich  wollte. 
Dank  der  Intervention  des  jetzigen  Direktors  des  Staats- 
archives  in  Bologna,  des  bei  uns  ja  wohlbekannten  C  Mala- 
gola,  durfte  ich  sogar  auch  mit  dem  Sud  gekochter  Galläpfel 
operieren,  und  so  gelang  es  mehrere  Lücken  bei  Mittarelli 
und  in  der  neuen  Ausgabe  (in  den  Documenti  di  storia  ita- 
liana  tom.  VI)  zu  ergänzen  und  manche  Lesarten  zu  verbessern. 

Aehnliche  Unterstützung  ward  mir  diesmal  in  G  u  b  b  i  o  zu 
Theil.  Der  Bibliothekar  (Can.  L.  Banchetti)  nahm  die  Hand- 
schrift III.  XVIII.  A  14  in  seine  Wohnung,  und  so  konnte  ich, 
von  Früh  bis  Abend  (freilich  angestrengtest)  arbeitend,  innerhalb 
5  Tage  meine  Aufgabe  erledigen.  Leider  ist  der  Zustand  der 
Handschrift,  wie  ihn  schon  Mittarelli  geschildert,  ein  höchst  be- 
dauernswerther :  es  sind  halbe  und  ganze  Blätter  weggerissen, 
andere  wegen  der  darüber  geschütteten  Galläpfeltinktur  (bei 
Baumwollenpapier!)  absolut  unlesbar.  Einige  Stellen  konnte 
ich  durch  Anwendung  einer  leichteren  Tanninlösung  entziffern, 
wie  überhaupt  auch  hier  manche  Correcturen  an  dem  Druck 
vornehmen. 

Unter  diesen  Umständen  schien  es  wünschenswerth,  auch 
die  jüngeren  Handschriften  des  Cantinelli  heranzuziehen.  Erst 
auf  einer  neuen  Reise  im  Herbst  des  Jahres  188  9  konnte 
dies  geschehen,  da  meine  Stellung  an  der  hiesigen  Bibliothek 
mir  nur  einen  Monat  Urlaub  im  Jahr  gewährt. 

Ich  begann  meine  Arbeiten  am  2.  September  auf  der 
Communalbibliothekzu  Verona  (geöffnet  von  9—4  Uhr) 
mit  der  Fortsetzung  und  Vollendung  (siehe  oben)  der  Abschrift 
des  'Syllabus  potestatum'  und  der  Chronik  des  Romano  aus 
Cod.  n.  815,  der  auch  die  von  Cipolla  früher  im  Archivio 
Veneto  tom.  IX  veröffentlichten,  von  mir  nochmals  verglichenen 
'Annales  Veronenses  veteres'  enthält.  Cipolla  ist  gerade  mit 
dem  Druck  dieser  und  anderer  Veroneser  Chroniken  für  die 
'Monumenti'  der  Deputazione  Veneta  di  storia  patria  beschäftigt. 


482  H.  Simonsfeld. 

In  der  Chronik  des  Romano  hat  er  eine  Stelle  übersehen  oder 
früher  nicht  mitgetheilt,  wo  der  Verfasser  schon  zum  Jahre 
128Ü  von  seinem  Bruder  Matheus  spricht:  fol.  31:  (1286)  'Item 
eodem  anno  et  die  Dominico  4.  exeunte  lulio  Johanna,  filia 
domini  Mathei  de  Romano  fratris  mei,  ivit  ad  maritum  scilicet 
ad  Manfredinum,  filium  domini  Egidii  de  Piis'.  Ferner  habe 
ich  aus  Cod.  n.  827  andere  kurze  Veroneser  Annalen  und  die 
'Cronachetta  Guarienti'  (vgl.  CipoUa   a.  a.  O.)  abgeschrieben. 

Vom  11.  bis  18.  September  habe  ich  hierauf  in  Bologna 
gearbeitet  theils  auf  der  Municipal-Bibliothek  (Biblio- 
thekar Fratij,  theils  auf  der  Universitäts-Bibliothek 
(Bibliothekar  Guerini),  wo  ich  überall,  hier  besonders  auch 
durch  die  Vermittlung  meines  Freundes  Malagola,  der  liebens- 
würdigsten Förderung  und  Erleichterung  meiner  Studien  mich 
erfreuen  durfte.  Auf  der  Universitätsbibliothek  fand  sich 
ausser  der  von  Bethmann  (Archiv  XII,  574)  citierten  Hand- 
schrift n.  379  des  Cantinelli  noch  eine  zweite  n.  3838(1), 
ebenso  auf  der  Municipalbibliothek  ausser  der  bei  Luigi  Frati, 
Opere  della  bibliogrutia  Bolognese,  che  si  conservano  nella 
biblioteca  municipale  di  Bologna  (1888)  vol.  I  col.  393  auf- 
geführten (n.  3143'*^)  17.  K.  II.  48  eine  weitere  in  17.  G.  I. 
26.  Zwar  gehören  alle  diese  Handschriften  erst  dem  vorigen 
Jahrhundert  und  einer  Zeit  an,  wo  das  Original  in  Gubbio  bereits 
verderbt  war;  aber  die  Vergleichung  derselben  war  doch  inso- 
fern von  Vortheil  und  wichtig,  weil  ich  hier  manche  Lesarten 
bestätigt  fand,  die  ich  bei  dem  schlechten  Zustand  des  Origi- 
nals fast  mehr  nur  ahnen  als  entziffern  hatte  können. 

In  Padua  widmete  ich  einen  Tag  der  Durchsicht  einiger 
Handschriften  der  Universitäts-Bibliothek:  1)  n.  1151 
membr.  s.  XV,  zuerst  einen  Martinus  Polonus  bis  Albrecht 
und  Benedict  XL  (mit  späterer  Fortsetzung  —  1494),  dann 
den  'tractatus  de  statu  et  mutatione  Romani  imperii  per  domi- 
num Landulfum  de  Columpna',  ferner  einen  kurzen  Riccobal- 
dus  'Incipit  Cronica  extracta  de  archivo  ecclesie  Ravenne 
compilata  a  Ricobaldo  Ferrariensi.  Dum  derelicta  non  sponte  . .' 
und  endlich  die  Veroneser  Chronik  des  Parisius  von  Cereta 
mit  Fortsetzung  enthaltend,  wovon  mir  der  Anfang  beachtens- 
werth  scheint:  'Nota  quod  in  quodam  libro  qui  est  in 
ecclesia  s.  Andree  de  Mantua  inveni  sie  fore  scriptum  etc.', 
wo  also  wahrscheinlich  das  Original  der  Annales  Veronenses  et 
Mantuani  (cf.  SS.  t.  XIX  p.  19)  zu  suchen.  2)  n.  114  chart. 
s.  XVII  (XVIII)  'Liber  regiminum  Paduae',  aber  in  italienischer 
Uebersetzung,  daher  für  uns  nicht  in  Betracht  kommend.  Eine 
Nachforschung  im  städtischen  Archiv  (im  Museo  Civico)  nach 
einer  alten  Handschrift  des  'Liber  regiminum'  (Muratori  Antiqui- 
tates  medii  aevi  tom.  IV  col,  1121  ff.),  aus  welcher  nach  einer 
früher  von  mir  gemachten  Notiz  eine  spätere  Abschrift  in  'Rerum 


Bericht  über  einige  Reisen  nach  Italien.  483 

Foroiuliensium  collectio  n.  29'  des  Domkapitels  zu  Udine 
(s.  oben)  genommen  sein  sollte  (ex  Pergameno  emisso  ex 
Archyvo  Paduae  exemplavi  ego  Johannes  Vanni  de  Honistis?) 
—  blieb  erfolglos. 

Hingegen  ist  der  Codex  der  Markusbibliothek  in 
Venedig  CI.  X  lat.  n.  69  membr.  s.  XIV  ex.  oder  XV  in. 
eine  alte  vollständigere  Handschrift  des  'Liber  regiminum', 
den  ich  am  Schluss  meiner  Reise  noch  verglichen  habe,  wie 
auch  Cl.  X  lat.  n.  287  chart.  s.  XV  für  das  Verzeichnis  der 
Podestä  von  Padua,  das  Muratori  SS.  t.  VIII  col.  365  ff.  ver- 
öffentlicht hat.  Cl.  X  lat.  280  'Annales  Paduae'  erwies  sich 
als  eine  spätere  Compilation. 

Endlich  fand  sich  im  Staatsarchiv  (ai  Frari)  zu 
Venedig  auch  noch  das  Original  der  von  Verci,  Storia  della 
Marca  Trivigiana  VII,  152  veröffentlichten  Veroneser  anna- 
listischen Notizen  in  'Mani  Morte.  Monasterio  dl  S.  Zaccaria. 
Busta  n.  2,  Fase.  n.  8  Catastico  dei  Beni  in  Ronco'  tom.  I 
fol.  66.        ^         ^ 

Indem  ich  mir  vorbehalte,  über  eine  und  die  andere  Hand- 
schrift später  genauere  Mittheilung  zu  machen,  erübrigt  mir 
hier  nur  mehr,  allen  denen,  die  mich  bei  diesen  Nachfor- 
schungen so  eifrig  und  thätig  unterstützt  haben,  nochmals 
auch  an  dieser  Stelle  öffentlich  herzlichsten  Dank  abzustatten. 


Beilage: 

Bemerkungen  zu  den  Annales  Foroiulienses. 
Wie  ich  bereits  oben  angedeutet  habe,  hat  man  bei  der 
Ausgabe  der  Annales  Foroiulienses  in  unseren  Monumenta 
Germ,  histor.  es  leider  unterlassen,  auf  die  Handschriften 
zurückzugehen.  In  der  Meinung,  De  Rubels  habe  seine  Aus- 
gaben zuverlässig  besorgt,  hat  man  sich  begnügt,  seinen  Ab- 
druck der  Annales  in  den  Monumenta  ecclesiae  Aquileiensis 
hauptsächlich  zu  Grunde  zn  legen,  obwohl  man  von  dem 
Original  oder  der  Handschrift,  welche  Rubeis  selbst  benutzte, 
Kenntnis  hatte  oder  zu  haben  glaubte.  Rubeis  hatte  nämlich 
angegeben  1,  er  habe  die  Annalen  aus  einer  eigenhändigen 
Abschrift  des  Notars  Antonius  Bellonus  entnommen  ^  (der  in 
der  Mitte  des  16.  Jahrhunderts  in  Udine  lebte),  und  auf  Grund 
der  Angaben  Valentinelli's  im  Archiv  für  Kunde  österreichischer 
Geschichtsquellen  *  nahm  man  an,  dieses  Autograph  des  Bello- 
nus sei  noch  auf  der  Markusbibliothek  in  Venedig  vorhanden, 
ohne  dass   man  aber,   wie  es    scheint,  über   dasselbe   nähere 

1)  Monum.  eccl.  Aq.    Appendix  p.  4.  2)  'exseripsimus  ex  Codice 

propria  Antonii  Belloni  Notarii  Utinensis  manu  exarato'.        3)  Bd.  XVIH 
S.  331  ff. 


484  H.  Simonsfeld. 

Erkundigung  eingezogen  hätte.  Sogar  zwei  Handschriften 
der  Mareiana  wurden  dafür  angeführt':  Cl.  X  lat.  n.  132 
c.  90—109  und  Cl.  XIV  lat.  n.  46  c.  234—59—3262. 

Aber,  wie  ich  mich  zu  überzeugen  Gelegenheit  hatte, 
diese  Annahme  ist  irrig:  keine  der  beiden  eben  genannten 
Handschriften  enthält  das  Autograph  des  Bellonus.  Cl.  X, 
132  enthält  c.  90 — 109  eine  Abschrift  der  Annal.  Foroiul. 
von  der  Hand  des  Rubeis;  XIV,  46  c.  234 — 259  nur  eine 
Copie  des  Autographes  des  Bellonus.  Es  fehlen  hier  die 
Schlussworte  (M.  (i.  SS.  XIX  pag.  222  lin.  39) :  'Descriptum 
per  me  Antonium  Bellouum  notarium';  beim  Beginn  der  Ab- 
schrift heisst  es  ausdrücklich:  'Exemplum'.  Was  Valentinelli 
zu  seiner  falschen  Ansicht  verleiten  konnte,  ist  nur  der  Um- 
stand, dass  das  auch  hier  (in  XIV,  46)  überlieferte  Vorwort 
des  Bellonus  mit  den  Worten  schliesst :  'Antonius  Bellonus 
notarius''.  Hätte  aber  Valentinelli  die  Handschrift  mit  dem 
Druck  bei  Rubeis  verglichen,  so  würde  er  leicht  gefunden 
haben,  dass  der  Passus  'Constantinus  Savorgnanus  etc.  — 
Prato  d'Attirais',  welchen  Rubeis  am  Rand  des  Codex  des 
Bellonus  fand*,  hierin  der  Handschrift  XIV,  46  ganz  fehlt, 
in  X,  132  aber  (der  eigenhändigen  Abschrift  des  Rubeis)  gar 
nicht  am  Rande,  sondern  im  Text  steht. 

Das  von  Rubeis  benutzte  Autograph  des  Bellonus  habe 
ich,  wie  oben  (S.  478)  erwähnt,  vielmehr  in  einer  Hand- 
schrift des  Kapitelarchivs  zu  Udine  'Rerum  Foroiulien- 
sium  collectio  n.  29'  gefunden  —  nur  leider  nicht  voll- 
ständig, sondern  nur  denjenigen  Theil,  der  (in  der  Ausgabe  der 
Monumente)  von  p.  213 lin.  21  bis  zum  Schluss  reicht.  Rubeis 
hat  aber  auch  selb  st  nicht  mehr  von  dem  Autograph 
des  Bellonus  gehabt!  und  es  entspricht  nicht  der  Wahr- 
heit, wenn  er  bei  seiner  Ausgabe  der  Ann.  For,  in  den  Mon. 
Eccl.  Aq.  (s.  oben)  den  Schein  zu  erwecken  sucht,  als  habe 
er  sie  ganz  aus  dem  Autograph  des  Bellonus  entnommen. 
Denn  in  eben  jener  seiner  Abschrift  Cl.  X  lat.  132  der  Mar- 
kusbibliothek findet  sich  (in  der  Ausgabe  der  Mon.  SS.  pag.  213 


1)    Cf.  Mon.    Gem.  SS.  t.  XIX  pag.  195.  2)  Eine  Vergleichung 

mit  Valentinelli's  Aufsatz  ergiebt,  dass  das  Citat  nicht  ganz  richtig  ist, 
indem  bei  Cl.  XIV  lat.  n.  46  dort  nur  angegeben  ist  c.  234 — 59.  Da 
in  den  Mon.  a.  a.  O.  ein  paar  Zeilen  weiter  unten  für  das  sogenannte 
'Compendium  chronicae  Passerinae'  (ein  von  Petrus  Passerinus  verfasster 
Auszug)  die  nämliche  Handschrift  Cl.  XIV  lat.  n.  46  c.  200—210—3  28 
(also  die  gleiche  Seitenzahl)  angeführt  wird,  muss  jeder  aufmerksame  Leser 
stutzig  werden  und  Verdacht  über  die  Richtigkeit  des  Citates  schöpfen,  3)  Ich 
notiere  hier  gleich  zwei  Differenzen  zu  diesem  Vorwort.  Statt  SS.  XIX 
pag.  195  lin.  22  'insculptam'  steht  hier  XIV,  46:  'inscriptum',  statt  (lin.  23) 
'forsan'  'forsam'.  4)  Monum.  Eccl.  Aquil.  App.  p.  28  n.  a)  'In  m argine 
haec  habentur';  cf.  Mon.  Germ.  bist.  SS.  t.  XJX  pag.  208  n.  a. 


Bericht  über  einige  Reisen  nach  Italien.  485 

lin.  21)  am  Rand  der  verrätherische  Passus:  'quae  sequun- 
tur,  propria  manu  Belloni  descripta  sunt!'  —  völlig  ent- 
sprechend also  dem  oben  geschilderten  heutigen  Umfange  des 
Autographs  des  Bellonus  im  Codex  des  Capitelarchives  zu 
üdine. 

Eben  dieser  Codex  des  Capitelarchives  enthält  nun  aber 
ferner  vor  dem  Autograph  des  Bellonus  noch  ein  weiteres 
Bruchstück  der  Ann.  For.  in  Abschrift  von  ziemlich  alter 
Hand,  d.  h.  saec.  XV,  und  eben  diese  Abschrift  hat  Rubeis 
für  den  ersten  Theil  der  Ann.  For.  benützt.  Denn  hier 
(fol.  15')  findet  sich  jene  oben  angeführte  Randbemerkung 
'Constantinus  Savorgnanus  etc.'  (cf.  Mon.  Germ.  XIX,  208  N.  a). 

Das  Fragment,  das  also  hier  im  Codex  des  Capitel- 
archives steht,  geht  bis  pag.  215  lin.  2  (der  Monumentenaus- 
gabe) Varete  (st.  Warettae).  Ich  war  aber  zuletzt  noch  so 
glücklich,  in  einer  anderen  (nicht  näher  bezeichneten)  Hand- 
schrift der  Communalbibliothek  zu  Udine »  auch  den  Schluss 
dazu  zu  finden,  und  gerade  dieser  Schluss  hier  ist  von  nicht 
zu  unterschätzender  Bedeutung,  denn  er  enthält  einige  wich- 
tige Bemerkungen. 

Zu  dem  Passus  (Monumentenausgabe  pag.  220  lin.  48) 
'De  briga  facta  in  Civitate.  Anno  1315  etc.'  ist  nämlich  hier 
(fol.  34')  von  alter  Hand  am  Rande  bemerkt:  'Ex  libro 
anni versariorum  capituli  Civitaten(sis)'.  Und  in 
derThat  stimmt  alles  Folgende  (wie  weit,  werden  wir 
sogleich  sehen)  was  man  bisher  nicht  bemerkt  hat,  wörtlich 
mit  den  Annales  abbreviati  (bei  Rubeis),  die  bekannt- 
lich am  Ende  des  noch  erhaltenen,  in  Cividale  befindlichen 
liber  anniversariorum  oder  Nekrologiums  2  stehen.  Dadurch 
wird  aber  die,  wie  ich  nachträglich  sehe,  schon  von  O.  Lorenz^ 
geäusserte  Vermuthung,  dass  die  Arbeit  der  beiden 
Brüder  Julian  und  Johannes  vielleicht  schon  1315 
abbreche,  meines  Erachtens  vollauf  bestätigt  und  zur  Ge- 
wissheit erhoben  —  wie  denn  in  der  That  der  Charakter  der 
Aufzeichnungen  hier  sich  ändert,  kürzer  wird  und  überdies 
gerade  vor  1315  der  vorausgehende  Satz  unvollständig  ist*. 
Von    1315  ab    haben   wir   also  nur  die  Ann.  abbrev.  vor 


1)  Wie  mir  Herr  Bibliothekar  Joppi  inzwischen  mittheilt,  sind  die 
lateinischen  Handschriften  der  Communalbibliothek  von  Udine  nun  in 
zwei  'buste'  aufgestellt,  von  denen  die  erste  alle  'Cronache  patriarcali'  ent- 
hält. Nr.  1  ist  das  obig-e  Fragment  der  Annales  Foroiulienses.  2)  Cf. 
oben  meinen  Bericht  S.  477.  3)  Deutschlds.  Gesch.  Qu.  11,  261.  4)  Zu 
allem  Ueberfluss  sehe  ich  endlicli  noch,  dass  auch  bei  Muratori  SS. 
t.  XXIV  col.  1227  dieser  letzte  Theil  als  'Ex  libro  anniversariorum  etc.' 
entnommen  deutlich  bezeichnet  ist  !  Offenbar  ist  der  von  Muratori  benutzte 
Codex  des  Abtes  losephus  Binius  unsere  Udineser  Handschrift  (cf.  folgende 
Seite  N.  2). 

Neues  Archiv  etc.     XV.  32 


486  H.   Simonsfeld. 

uns  und  einzelne  Differenzen,  die  sich  etwa  jetzt  noch  bei 
einer  Vergleichung  des  betreffenden  Stückes  der  Monumenten- 
ausgabe mit  der  Ausgabe  der  Ann.  abbr.  bei  Rubeis  ergeben, 
verschwinden,  wenn  man  nach  Einsicht  des  Nekrologiums 
selbst  einen  verbesserten  Text  der  Ann.  abbr.  vor  sich  hat. 
I^ui'  bei  dem  (letzten)  Jahre  1331  geht  das  Original  der  Ann. 
abbr.  weiter,  hat  einige  Sätze  mehr,  als  es  hier  der  Fall  ist. 
Hingegen  sind  aber  auch  die  folgenden  Nachrichten, 
die  in  der  Monumentenausgabe  fpag.  222)  als 'Notae  Passe- 
rinae',  bei  Rubeis  aber  (pag.  37  j  als  aus  dem  'libretto  D.  lo- 
hannis  lacobi  de  Venustis'  stammend  bezeichnet  sind,  zum 
grösseren  Theil  lediglich  entnommen  aus  jenem  alten  Nekro- 
logium  in  Cividale. 

Zum  besseren  Verständnis  und  zur  grösseren  Deutlich- 
keit will  ich  hier  genau  -wiedergeben,  wie  diese  letzten  Nach- 
richten in  dieser  Udineser  Handschrift  und  besonders  in  welcher 
Reihenfolge  sie  überliefert  sind.  Nach  'intraverunt'  (Monu- 
mentenausgabe pag.  222  lin.  2)  folgt  hier  sogleich: 

1348  (lin.  28)    Erdbeben   und  Pestilenz   =  Rubeis  pag.  42 

n.  X  (Anfang)    und   pag.  43  Spalte  1  (Mitte)  aus  dem 

Xekrologium ;  dann 
1364  Tod  des  Franciscus  de  Vrauspergo  =  Rubeis  pag.  42 

n.  X,   2    (Spalte   2,    untere    Hälfte)     aus    demselben 

Nekrologium'. 
1364  Zerstörung   des  Castells  Zuccula   durch  Ludwig  della 

Torre  =  Schiuss   von   n.  X,  2    bei  Rubeis    pag.  44 

nach  dem  zweiten  Absatz  (von  Rubeis  weggelassen,  im 

Nekrologium  aber  noch  erhalten). 
Und  nun  erst  folgen  hier  in  dieser  Udineser  Handschrift ^  die 
Worte:  'In  libreto  Ser  lo.  lac'.  de  Venustis'  und  dann 
1345  Plures  de  Utino  —  peccatis  (lin.  26), 
1345  Domnus    patriarcha    —    comiti    (lin   27).  De  morte  et 

sepultura    domini   lacobi   lilii  Pelegrini   (fehlt    ganz 

in  der  Monumentenausgabe);  dann 

1343  Combustio  Canipae  —  domorum  (lin  22). 

1344  Domnus  patriarcha  —  Civitatem  (lin.  23 — 25). 
Diese  letzten  Notizen  aber  sind  durch  eine  Klammer  ura- 
sclilossen  und  ein  dazugesetztes  b)  und  a)  deutet  an,  dass 
die  Notizen  umzustellen  sind.  Dies  ist  von  späteren 
Benutzern  dieser  Handschrift  nicht  gesehen  oder  nicht  richtig  ver- 
standen worden.     Denn  in  dem  Autograph  des  Bellonus''  steht 

1)  Wobei  auch  zu  bemerken  ist,  dass  hier  im  Nekrologium  eine 
andere  Hand  einsetzt,  als  die,  welche  noch  den  vorausgehenden  Passus 
aus    dem  Jahre    1348    schrieb.  2)    Dieselbe  Reihenfolge    hat  Muratori 

a.  a.  O.   col.  1229—30.  3)    Cf.   auch  Rubeis    pag.  37;    in   der   Monu- 

mentenausgabe ist  dies  durch  die  Herstellung  der  chronologischen  Reihen- 
folge verwischt. 


Bericht  über  einige   Reisen  nach  Italien.  487 

nach  den  Worten   'In  libretto  etc,'   noch   an   erster  Stelle   die 
Notiz  'Flures   de  Utino  etc.'   aus  dem  Jahre  1345  (wie  in  der. 
üdineser  Handschrift)   und  dann   folgen   die   Nachrichten   aus 
den  Jahren  1343  (—1345). 

Aus  eben  dieser  Reihenfolge  in  der  Üdineser  Handschrift 
erhält  nun  aber  auch  die  Bemerkung  des  ßellonus  '  erst  ihre 
p]rklärung  und  wird  erst  verständlich:  'Hucusque  Passerinus 
seu  quisquis  fuerit  (nicht  fuit)  alius'  ^  —  bis  hierher,  d.  h.  eben 
bis  1364  (entsprechend  der  üdineser  Hdschr.),  und  dann  erst 
folgen  noch  die  paar  Notizen  aus  dem  'libretto  des  lo.  lac. 
de  Venustis'  (die  ßellonus  nur  ungeschickterweise  in  seinem 
Autograph  der  chronologischen  Reihenfolge  zuliebe  auch  an 
unrechter  Stelle  eingeschoben  hat).  Es  ist  also  ganz  unrich- 
tig, wenn  Arndt  aus  den  Worten  'in  libretto  etc.'  gefolgert 
hat,  es  sei  einleuchtend,  dass  Bellonus  seine  Abschrift  der  Ann. 
For.  aus  diesem  libretto  des  lo.  lac.  de  Venustis  entnommen 
habe.  Nach  den  obigen  Auseinandersetzungen  wird  man  vielmehr 
sagen  dürfen,  die  Vorlage  des  ßellonus  sei  eben  dieser  Codex 
Utinensis   oder  ein  demselben  ganz  nahe  verwandter  gewesen. 

Was  die  übrigen  Handschi'iften  betrifft,  so  ist  jedenfalls 
zunächst  der  Codex  des  Bellonus  Vorlage  für  Rubeis  (Codex  der 
Marciana  Cl.  X  lat.  132)  gewesen,  der  daneben  ja  aber  auch 
(cf.  oben  S.  485)  den  Cod.  Utinensis  benutzt  hat.  Am  schwierig- 
sten ist  es,  über  den  Codex  der  Marciana  Cl.  XIV  lat.  46  und 
sein  Verhältnis  zu  den  übrigen  Handschriften  ins  Reine  zu 
kommen.  Bezeichnend  ist,  dass  auch  ihm  bei  1345  die  Worte : 
'De  morte  —  Pellegrini'  fehlen  und  überhaupt  am  Schluss  die 
Ordnung  dieselbe  verkehrte  ist^  wie  bei  ßellonus,  so  dass  man 
annehmen  möchte,  auch  er  gehe  auf  des  Bellonus  Autograph 
(und  damit  wenigstens  indirect  auf  den  Codex  Utinensis)  zu- 
rück. Daneben  scheint  er  aber  auch  das  Original  selbst  oder 
eine  aus  demselben  geflossene  andere  Handschrift  noch  benutzt  zu 
haben,  da  ein  paar  Worte  und  Lesarten  allein  hier  überliefert 
sind*.  Oder  sein  Autor  —  Passerinus?  —  hat  aus  anderen 
Quellen  noch  Einiges  hinzugefügt,  wie  in  der  That  sich  leicht 
nachweisen  lässt,  dass  einzelne  Ausdrücke  und  Wendungen 
ohne  allen  Zweifel  von  dem  Autor  der  Handschrift  selbst  nach 
eigenem  Gutdünken  umgewandelt  wurden,  so  z.  B.  vitam  age- 
rent  st.  ducerent,  ut  fatebatur  st.  dicebatur,  viam  st.  stratam 
u.  s.  w. 

Nehmen  wir  also  an,  der  Codex  Utinensis  (=  1)  sei  abge- 
schrieben von  dem  uns  unbekannten  Original  x,  das  Autograph 

1)  Monumentenausg.  p.  222  n.  c ;  cf.  Eubeis  p.  28.  2)  Die  Worte 
'seu  —  alius'  sind  (im  Autograph  des  Bellonus)  mit  hellerer  Dinte  bei- 
gesetzt und  mit  eben  dieser  dann  auch  die  Worte  'Descriptum  per  me 
A.   Belionum    notarium'    geschrieben.  3)    Cf.    unten    zu  p.  213  1.  27, 

217  1.   14. 

32* 


488  H.   Simonsfeld. 

des  ßellonus  (=  2)  sei  eine  directe  oder  indirecte  Abschrift 
von  1,  während  es  selbst  wieder  Vorlage  war  soAvohl  für  Rubeis 
(=  3),  der  daneben  1  direct  benutzt,  als  für  die  Abschrift 
im  Cod.  Marcianus  XIV,  46  (=  4),  der  daneben  eine  auf 
das  Original  direct  zurückgehende  Vorlage  y  vor  sieh  gehabt 
oder  aus  anderer  Quelle  Einzelnes  hinzugefügt  zu  haben 
scheint,  dann  ergiebt  sich  folgender  Stammbaum : 

X  (Original) 


(1)  Cod.  Utin. 
Ant.  Bellonus  (2)       Rubeis  {o) 


Rubeis  (3)  Cod.  Marcianus  (4) 

Wiederholen  wir  also  das  Ergebnis  dieser  Untersuchung: 
die  Arbeit  der  Brüder  lulianus  und  Johannes  reicht  bis  1315 
(excl.) ;  von  da  an  hat  die  Nachrichten  bis  1331  imd  dann  von 
1348  —  l364Passerinus  ^seu  quisquis  fuerit  alius'  (am  wahrschein- 
lichsten aber  doch  Passerinus)  aus  dem  Cividaleser  Nekrolo- 
gium  hinzugefügt  und  dieser  schliesslich  aus  einer  anderen 
Handschrift  (des  lo.  lac.  de  Venustis)  noch  ein  paar  Notizen 
aus  den  Jahren  1343  —  1345  beigegeben. 

Auch  textlich  in  Bezug  auf  die  einzelnen  Lesarten  ergiebt 
nun  eine  Vergleichung  aller  dieser  Handschriften  mit  dem 
jetzigen  Druck  mancherlei  Differenzen.  Vieles  was  in  den 
Noten  als  bei  Rubeis  fehlend  angeführt  wird,  findet  sich  über- 
all; um  ein  recht  bezeichnendes  Beispiel  anzuführen:  p.  208 
lin.  18—21:  der  Passus  über  die  den  Venetianern  von  den 
Genuesen  beigebrachte  Niederlage  im  September  1298  steht 
sowohl  in  allen  übrigen  Handschriften,  wie  auch  insbesondere 
in  der  Abschrift  von  der  Hand  des  Rubeis  im  Cod.  132  Cl.  X 
lat.  der  ]\Iarkusbibliothek  fol.  99  und  ist  von  Rubeis  beim 
Druck  gewiss  nur  aus  Rücksicht  auf  die  Venetianer  unter- 
drückt Avorden.  Ungerecht  hingegen  ist  die  Beschuldigung, 
Avelche  Arndt  gegen  Rubeis  erhebt,  dass  er  die  Reihenfolge 
der  Jahre  gestört  habe,  die  im  Codex  autographus  zweifels- 
ohne richtig  gewesen  sei,  da  auch  die  Ann.  abbrev.  überall 
die  richtige  aufzeigten.  Alle  Handschriften  weisen  dieselbe 
Unordnung  in  der  Reihenfolge  der  Jahre  auf,  wie  der  Druck 
bei  Rubeis,  der  das  übrigens  selbst  auch  wohl  gemerkt.  Denn 
in  dem  Autograph  des  Rubeis  (==  3)  findet  sich  zweimal  eine 
darauf  bezüghche  Randbemerkung:  'redit  scriptor  in  seriem 
chronol.'  und:  4terum  series  chronol(ogica)  interrump(itur)  et 
infra  saepius'.     Aus  welchem  Grunde  dieses  chronologische 


Bericht  über  einige  Reisen  nach  Italien.  489 

Durcheinander  entstanden  ist,  vermag  ich  nicht  anzugeben  und 
wird  sich  bei  dem  Fehlen  des  Originals  auch  nicht  mehr  fest- 
stellen lassen.  Vielleicht  waren  spätere  Eintragungen  oder 
Versehen  der  Abschreiber  daran  Schuld,  eine  sachliche  Ver- 
theilung  des  Stoffes  gab  dazu  wohl  kaum  Veranlassung. 
Uebrigens  kommen  auch  in  den  Ann.  abbrev.  einzelne  Ab- 
weichungen von  der  Reihenfolge  vor  und  die  bessei'e  Ordnung 
in  diesen  beweist  insofern  nichts,  als  der  Verfasser  der  Ann. 
abbr.  ja  leicht  selbst  die  ihm  nöthig  scheinenden  Umstellungen 
vornehmen  konnte.  In  Cod.  4  sind  übrigens  dabei  einige 
Sätze  (p.  209,  7 — 24  und  211,  18 — 27)  ganz  verloren  gegangen! 

Es  ist  hier  nicht  der  Platz,  nun  etwa  alle  Varianten  der 
Handschi'iften  oder  Correkturen  an  dem  Druck  wiederzugeben, 
nur  die  Avichtigeren  sollen  hier  im  Folgenden  mitgetheilt 
Averden,  wobei  ich  die  jetzige  Ordnung  in  der  Monumenten- 
ausgabe beibehalte. 

p.  196  1.  32  ist  zu  lesen:  infra  viginti  dies  initium  st.  dies. 
Initium. 

p.  196  1.  38  quidam  st.  quibusdam. 

p.  197  1.  5  dieDominico  tercio  intrante  Aprili  st.  decimo 
tercio,  was  vollkommen  richtig  ist  und  auch 
mit  den  Ann.  abbr.  übereinstimmt. 

p.  197  1.  14  procurato  tarnen  prius  per. 

p.  197  1.  17  postea  Civit.  confirmatum. 

p.  198  1.    2  die  4.  lulii. 

p.  198  1.  11  arborum  atque  frondes  cum  plantibus  (1; 
plantis  4). 

p.  198  1.  12  ut  fatebatur  st.  ferebatur. 

(p.  198  1.  28  sicut  burgus  pontis  st.  cum.). 

p.  199  1.  17  potente  Cormons   comiti   (was    ganz  richtig). 

p.  199  1.  25  inter  domnum  R. 

p.  200  1.    2  destruxit  indifferenter. 

Ueber  die  Theuerung  1276/77  hat  Cod.  4  eine  von  allen 
anderen  Handschriften  abweichende  Lesart:  (p.  200  1.  8:  et 
tantum  silligo  et  pluris,  surcum  24  et  26  denariis.  Item  die 
sabbati  15.  Februarii  i  silligo  et  faba  42  et  44,  milium  37,  sur- 
cum 28  et  quia  ascendebat  iinaliter  positum  fuit  (etc.  =  p.  200 
l  U). 

p.  200  1.  15  communiter  et  concorditer  (st.  generaliter). 

p.  200  1.  24  que  tunc  cudebatur,  differret  (4). 

p.  200  1.  29  diesmannis  (st.  diocesanis  in  allen  Hand- 
schriften). 

p.  200  1.  40  habiturus  (hiturus  st.  habendum  1 ;  habita- 
turus  4). 


1)   Dieses    Datum    stimmt   aber   nicht;    denn   der    15.  Februar    1277 
fiel  auf  einen  Montag. 


490  H.   Simonsfeld. 

p.  201  1.  17   1279  falle  Handschriften). 

p.  201  1.  30  De  verra  Istriae  cum  Venetis. 

p.  201  1.33  Veneti  detinebant  iniuste»  lustinopolim. 

p.  202  1.  1  plures  conventus  Civitatis  .  .  .  Francisci  vene- 
runt  (st.  convenerimt  Civitatem  ....  Fran- 
cisci. Venerunt)  4  =  Ann.  abbrev. 

p.  202  1.  17  Florem  st.  Florendam. 

p.  202  1.  19  Lenardinam  st.  ßemardinam. 

p.  202  1.  24  die  sabbati  7.  intrante  Oct.  (st.  6,  richtig).  De 
morte  sonescalchi  R(aimundi)  patriarche  (st. 
Rubei  son.) 

p.  202  1.  27  Merquarducii(Marquardusii4st.Merquanducii). 

p.  202  1.  36  nach  missam  in  4  eingeschoben :  et  qu,  (Lücke, 
Dominicus?)  1246  fuit  in  santos  (sie)  rela- 
tus  ab  Innocentio  P.  IUI. 

p.  203  1.  5  Quae  curia  duravit  octo  diebus  ludi  et  curia- 
les  4 ;  diebus.  Lutrici  et  curiales  1  und  3  (st. 
diebus.  ßurgenses  et  curiales), 

p.  203  1.  19  usque  ad  XXV  seu  XXVI  1,  usque  ad 
annum  XXVII  4,  usque  ad  XXV  3. 

p.  203  1.  26  debuerint  st.  debuerunt. 

p.  203  1.  30  voce  praeconia  st.  preconis. 

p.  203  1.  45  castrum  Mucou  1,  Muceu  4  (st.  Mucon). 

p.  204  1.  26  fulungi  (st.  fulugni). 

p.  204  1.  34  curtina  (st.  cortina). 

p.  204  I.  35  Cirvignani  (st.  Cerv.)  und  so  später. 

p.  204  1.  38  Istrie  cum  Venetis  per  d.  R(aymundum  st. 
reverendissimum). 

p.  204  1.  49  per  se  (zweimal  st.  pro  se). 

p.  205  I.    1  millia  (zweimal  st.  mille). 

p.  205  1.  1 1  ut  Tergestinis  (st.  Tergestum). 

p.  205  1.  15  8.  die  intrante  lunio  (st.  7). 

p.  2Ö5  1.  24  pre  nimia  festinatione  et  solicitudine  (st.  per 
nimiara  etc.). 

p.  205  1.  26  que  orania  quasi  .  .  .  (Lücke)  Tergestini. 

p.  205  1.  37  quasi  decem. 

p.  205  1.  40  deinde  inceperunt  (st.  cep.). 

p.  205  1.  45  terrae  predictae. 

p.  205  1.  46  acceperunt  (st.  ceperunt), 

p.  206  1.    8  Muquou  1,  Muchou  4  (st.  Muquon). 

p.  206  1.  20  qui  elegerat  (st.  elegit). 

p.  206  1.  51  quoniam  domnus  Odolricus  (st.  qua). 

p.  207  1.  2  Art.  fil.  dom.  Francisci  de  Favulis,  Vidottum 
de  Fagedis  et  alios  1,  Art.  fil.  d.  Fedrici  de 
Varmo,  .  .  .  (Lücke)  filium  d.  Francisci  de 
Favulis,  Vidottum  de  Fagedis  4. 


1)  Fehlt  bei  Rabeis  wieder  aus  Rücksicht  auf  die  Yenetianer. 


Bericht  über  einige  Keisen  nach  Italien.  491 

p.  207  1.  16  Girardo  (st.  Gerardo). 

p.  207  1.  25  esse  concordes  (st.  se  concordare). 

p.  207  1.  32  ripaCormou  1  (und  3),  Cormori4(8t.  Cormor). 

p.  207  1.  39  Neapoli  et  Bonifatius  papa  electus  fuit  4. 

p.  208  1.  3  die  10.  exeunte  (st.  5)  lunio  (st.  lanuario)  4, 
ebenso  1.  6. 

p.  208  1.  12  supra  Utinura  (st.  super). 

p.  208  1.  18  lanuensium  (st.  Gen.)  und  so  später. 

p.  208  1.  21  plurimi  per  lanuenses  predictos. 

p.  208  1.  27  versus  occidentem  und  darüber:  meridiem  1.  3. 

p.  208  1.  35  Oymg  (st.  Oyng). 

p.  208  1.  36  Basalgella  1.  3,  Basalgiela  4,  Basaldella  3  am 
Rand. 

p.  208  1.  50  Buia  cum  st.  Buianum. 

p.  209  1.    6  qui  confirmatus. 

p.  209  1.  21  de  cuua  (curia?)  maiori  1  (st.  cruce). 

p.  209  1.  27  eo  quod  dicebatur  (st.  dicebat). 

p.  209  1.  46  castra  destrui  (st.  dirui). 

p.  209  1.  47  Domini  currente. 

p.  209  l.  48  continuis  diebus  (st.  continue). 

p.  210  1.  18  die  5  intrante  lulio  (st.  lunio  alle  Hdschr. !). 

p.  210  1.  22  curtina  (st.  cort.),  extunc  (st.  tunc). 

p.  211  1.  15  Rosaciis  (st.  Rosacis). 

p.  211  1.  39  Ortumburch  1.  3,  Ortumburg  4. 

p.  211  1.  45  die  6.  Augusti  (st.  4.  Aug.). 

p.  211  1.48  domini  .  .  .  (Lücke)  ducis. 

p.  212  1.  11  Miduna  (st.  Meduna). 

p,  212  1.  24  quod  relaxaret  (st.  qui)  1. 

p.  212  1.  42  Nicolaus  de  ßudrio. 

p.  212  1.  45  in  qua  etiam  combusti  fuerunt  (st.  in  qua 
ecclesia  combusserunt), 

p.  213  1.  27  recludi  (st.  retrudi)  1.  2.  3.  4;  et  Lupum 
Pessimum  nepotem  d.  Asquini  fecit  recludi  4. 

p.  214  1.    5  diei  hoc  modo  1  (ohne  Lücke). 

p.  214  1.  6—9  De  grandi  tempestate  —  damnum,  vorhan- 
den in  1  und  3;  fehlen  in  2  und  4. 

p.  214  1.  15  de  Glemona  (st.  Glemonae). 

p.  214  1.  28  cum  Paulo  Boyani  (st.  Boyano). 

p.  214  1.  38  indicavit  (st.  denunciavit). 

p.  214  1.  41  de  Neuuas  (st.  de  treuvis)  1.  2.  4;  Neuuis 
und  am  Rand:  an?  Neuuas  3  (Neuhaus?). 

p.  215  1.     2  domini  (st.  dominae)  1.4. 

p.  215  1.  17  ivit  Glemonam  (st.  fuit  Glemone), 

p.  215  1.  23  Gramoulanum  (st,  Grammolanum). 

p.  215  1.  25  videlicet  die  sabb.  (st.  ipso). 

p.  215  1.  29  Domno  vero  patriarcha. 

p.  215  1.  34  Tolanum  (st.  Troianum). 


492  H.  Simonsfeld. 

p.  215  1,  42  ipsam  habuerunt  (st.  ipsum). 

p.  215  1.  42  et  ipsa  depredata  (st.  ipsam  depredantes). 

p.  216  1.    2  ille  (st.  iUi)  1. 

p.  216  1.    4  in  Castro  Montrial  (st.  castrum). 

p.  216  1.  11  ivit  Aquileiam   (st.  fuit  Aquilegiae)  1  und  4. 

p.  216  1.  16  Aq.  ecclesie  (st.  curie). 

p.  216  1.  21  Babanic  1.  2,  Bubaniz  4  (st.  Babanich). 

p.  216  1.  22  ivit  Placentiam  (st.  fuit  Placentie). 

p.  216  1.  24  facta  concordia  (st,  conventione). 

p.  216  1.  28  De  locustis  1  =  2  (längere  Redaktion),  2.  3.  4 

=  1  (kürzerer  Passus). 
p.  216  1.  29  maximo  (st.  magno)  2. 
p.  216  1.  45  et  etiam  volebat. 
p.  216  1.  50  Grazani  (st.  Grezani)  1.  4. 
p.  217  1.    4  quis  suus  erat  1.  2.  4. 
p.  217  1.  14  die   6.    exeunte  Novembri   (st.   Septembri)   4 

(scheint  das  Richtige,  da  im  Vorhergehenden 

auch  Ereignisse  des  Novembers    1309  erzählt 

werden), 
p.  217  1.  15  Artencam  (st    Artiniam)  1.  4,  Arth»  2. 
p.  217  1.  16  dimisit  (st.  demisit )  2.  3 ;  permisit  4. 
p.  217  1.  21   quam  pecuniam  (st.  cui  pec). 
p.  217  1.  29  licet  (st.  cum). 

p.  217  1.  31  iuvaret  quilibet  (st.  iuvare  quemlibet). 
p.  217  1.  46  Pertestang  1.  2.  4  (st.  Pertestans). 
p.  218  1.  11  iverunt  (st.  fuerunt)   1.  2;  ivit  4. 
p.  218  1.  15  exierunt  (st.  recesserunt)  1.  2.  4. 
p.  218  1.  21  Arisperch  (st.  Ansperch)  1.  2.  4. 
p.  218  1.  32  CO  quod  (st.  quia). 
p.  218  I.  36  illustris  dominus  1.  4. 
p.  218  1.  39  Susayns  (st.  Susanis)  1.  2;  Susans  4. 
p.  218  1.  41  die  20.  Nov.  (st.  2.  Nov.)  4  (irrig  entstanden 

aus  2^*  Nov.,  wie  z.  B.  in  1  geschrieben), 
p.  218  1.48  terminis  fst.  taxis)   1.  2. 
p.  219  1.  15   rediit  inde   (st.   enhn   =  2)  d.  comcs  die  1, 

rediit  tarnen  d.  comes  die  4. 
p.  219  1.  20  quia  (st.  quin), 
p.  219  1.  22  Arquat  (st.  Arquar)  1.  2.  4. 
p.  219  1.  27  commode  interesse(st,  commode.Interea)1.2.4. 
p.  219  1.39  et   etiam   precibus   (st.   et  ex  parte)  1.  2.  4; 

et  ex  partibus  3. 
p.  219  1.  43  bene  (benevole  4)  et  gratiose. 
p.  220  1.    5  factum  fuit  in  Civ. 
p.  220  1.  12  Artencam    (st.    Arteniam)    1,    Arthencani    2, 

Artheneam  4. 
p.  220  1.  15  ivit  ante  Gl.  (st.  fuit)  1.  2.  4. 
p.  220  1.  23  prescripto  (st.  predicto). 
p.  220  1.  30  lulio  et  liberata  fuit  tali  4. 


\ 


Bericht  über  einige  Reisen  nach  Italien.  493 

p.  220  1.  32  steterunt  (st.  debuerunt)  1.  2,  statiierunt  4. 

p.  220  L  32  pro  damnis  habitis  1.  2.  3. 

p.  220  1.  36  Uli  domini  de  Mui-ucio  1.  2,  Morutio  4. 

p.  220  1.  41  Cumpice  1,  Zumpite  (?)  2,  Zumpis  (corr.)  3, 

Zumpittae  4. 
p.  221  1.    1  filii  (St.  filiis)  1. 
p.  221  1.    1  Grisimpach  1,  Grisipach  2.  4. 
p,  221  1.    6  super  turrim  (st.  supra)  1.  3.  4. 
p.  221  1.    8  EberstajTi  1.  2.  4. 
p.  221  1.    8  cum  dominorum  (st.  dominis)  1.  2.  4. 
p.  221  1.  15  strassinatus  (st.  strascin.). 
p.  221  1.  26  die  2.  Nov.  (st.  12)  4. 
p.  221  1.  28  u.  33  Dintilinum,  Dintilini  (st.  Vintil.)  1. 
p.  221  1.  30  Daynesius  (st.  Dionysius)    1.  2.  4  =   Annal. 

abbrev. 
p.  221  1.  37  tripud  1,  tripud.  2,  tripudiando  4  (st.  tripudii). 
p.  221  1.  45  die  5.  intr.  (st.  15)  4. 
p.  221  1.  46  ßartholomeus   1    (bth'eus),    2   (undeutlich)    4 

(st.  Petrus)  =  Ann,  abbrev. 
p.  221  1.  47  furtive  (st.  furtim)  1.  2.  4. 
p.  222  1.    1  et  hi  (st.  ii)  1.  4. 
p.  222  1.  23  Pinzanura   et   eodem  anno   secuta  est  deditio 

Pinzani  4. 
p.  222  1.  23  Celano  1,  Colano  2.  4  (st.  Colacio), 
p.  222  1.  24  accipiendum  (st.  accipiendam)  1. 
p.  222  1.  29  scripturis  (st.  scriptis)  4, 
p.  222  1.  30  Vrauspergo  (st.  Urauspergo). 
p.  222  1.  32  Matheusius  (st.  Matthiusius)  1  =  Necrol.  Ci\dd. 

(Eubeis  p.  43"). 

p.  222  1.  34  accipiebant  (st.  accipientes)  4. 

p.  222  1.  35  princeps  dominusque   serenus    dominus   1  = 

Necrol.  Civid.  (cf.  unten). 
*  * 

Im  ÄDschluss  hieran  mochte  ich  noch  mehrere  der  wich- 
tigeren Varianten  und  Ergänzungen  zu  dem  Abdruck  der 
Annales  abbreviati  bei  Rubeisi  aus  dem  Original  im 
Cividale  hier  beifügen,  das  sich,  wie  oben  2  erwähnt,  am  Schluss 
des  mehrerwähnten  alten  Nekrologiums  (Nr.  43)  findet, 
p.  37^^  1267  (st.  1257):  impositus  fuit  primus  lapis  domina- 
rum  Cellarum. 

1268  (3.  Juli) :  per  insidias  ei  impositas  (st.  interp.) 

1269  (letzte  Zeile):  Wodoh-icus  (st.  Woldoricus). 
p.  38»  1270:  ut  fatebatur  (st.  ferebatur). 

1272:  dirrui  fecit  pontem. 
p.  38^  1276:  deferendo  queque  (st.  quidquid). 

1)  Monum.  Eccl.  Aq.  Appendix  p.  37  ff.  2)   Cf.  S.  477. 


494  H.   Simonsfeld. 

p.  38^  1276:  et  tarnen  (st.  tantum). 

1277    (die  lovis  5.  ex.  Maio):  cum  prelatis,  diesmannis 

et  nunciis. 
1277    (die    11.  intr.  Sept.):  amputari  sententialiter. 
1278:  afflictu  (st.  confl.) 

1283  (vorletzte  Zeile) :  Venetos  qui  detinebant  iniuste 
lustinopolim  et  alias  terras  Istrie  et  iura  spec- 
tantia  ad  ecclesiam  Aquilegense  m. 

p.  39«  1283:  solvi  deberentur  20  solidi  (st.  debere  20  solidos). 

1284  (die  lov.  ex.  lan.):  conventus  Civitatis  .  .  .  vene- 
runt  (st.  convenerunt  Civitatem  .  .  .  Vener,), 
emerant  st.  eraerunt;  ipsi  st.  tunc. 

1284  (die  4.  lun.):  S.  Clarae  primo  (st.  Dominae),  soro- 
ribus  olira  de  Poloneto  (st.  consororibus  alias  de 
dicto  Pol.),  et  eas  consecravit. 

1287:  equitum   st.   equorum,    patrera  episcopum    st.  p. 
Dominum, 
p.  40*  1294:  apud  Aquilam  st.  Apuliam. 

1299  (in  m.  Maii):  pro  ampliando  quod  erat  par- 
vum  nimis. 

1299  (in  f.  S.  loh.  ßapt.) :  et  proieeit  ad  terram  crucem 
(st.  pervenit  ad  tertiam  crucem);  dixerant  (st. 
dixerunt). 

1300:  peccatorum    suoinim  excepto  peccato  usure. 

1301:  grossis  st.  grossa. 
p.  40''  1305    (in  f.  S.  Blas.):  pomiferis  st.  pro  miseris. 

1305  (ult.  lunii) :  extrinseci  fecerant  (st.  extrinsece 
fecerunt) ;  armatorum  st.  armati. 

1306:  Ouinstain  st.  Ouystain;  obsedit  st.  obsederunt; 
ante  terciam  st.  auroram ;  et  fratres  de  ßudrio; 
nach  et  plures  nur  Platz  für  wenige  Worte:  et 
fuerunt  Ütinum  ducti;  dann  sogleich:  illos  de 
Budrio;  den  Passus  Deinde  Dominus  —  in  Ka- 
rinthiam  hat  Rubeis,  da  er  die  verblassten  Worte 
nicht  lesen  konnte,  aus  den  grossen  Annalen  er- 
gänzt; carcerari  st.  recludi;  die  Dominico  ver- 
blasst,  ich  lese:  maximo. 
(letzte  Zeile):  Porpeti  qui  tamen  .  .  . 
p.  41*  1308:  Walterpertoldo  st.  Wartp.;  Luvisini  st.  Luisini; 
Thomasutus  st.  Thomasinus ;  proieci  fecit  st.  per- 
cuti  f. 

1309:  statim  obsedit  Zucculam;  proiciebatur  st.  percu- 
tiebatur  (vorletzte  Zeile), 
p.  41''  (3.  Zeile):  in  de  recessit. 

(5.  Absatz):  ille  de  Parisio  st.  illi  de  Sacillo. 

1309  (de  m.  hm.):  ubi  etiam  (st.  et) ;  dampnum  blada 
corredendo,  fenum  etherbas  inmomento. 


Bericht  über  einige  Reisen  nach  Italien.  495 

p.  41'»  1309    (die  2  post  f.  S.  Mart.) :  intravit  (st.  intraverunt) 

Utinum  per  portam  Grazani  (st.  Grez.);  omnibus 

portis    terre    excepta   illa   Grazani   quam   (st. 

quia)  —  d.  d.  N.  proiecerat  (st.  perexerat)  timens 

quod   advenit   (st.   advenire),   omnes    conversi 

sunt  in  fugam  .  .  .   remanserunt  XIII  mortui. 

1309:  sunt  (st.  fuerint)  ditati. 

p.42ä  (1315):  die  quarto  decimo  (st.  quintodec.)  intrante  April. 

1315:  (die  13.  intr.  lul.):  apud  domum  (st.  ad);  Eber- 

stayn  st.  Erbest. 
1320 :  Vintilinum  st.  Vincil. ;  preliari  st.  preliare ;  Hermo- 
lianus et  Daynesius  (st.  Hermolaus  et  Daynetius); 
keine  Lücke  vor  patriarcha. 
p.  42*»  1323:  hora  vespertina  tripudii;  in  Tervisio. 

1327:  in  dicto  burgo  et  fregit  hostia  ecclesie  et 
duxitbancum  cumlibris,  calice  et  para- 
mentis  et  omnia; 

revoluta  sunt  et  pons  Civitatis  ex  saxis  et 
lapidibus     confectus     dirruitur,     unde 
magnum    fuit    dampnum;    et    tamen  Dei 
gratia  nullus  mortuus   est    nisi    mulier 
una   bene   LX    annorum    et  ultra,    quam 
aqua   conduxit    (ein  Wort    unlesbar)    super 
monumentum   sancti    Marci(?)   in   eccle- 
sia  supradicta. 
1331:  Pogna  st.  Progna;  hü  (st.  ii)  qui  primo;  extrinseci 
(st.  extrinsece)   ballistabant;  proieientes  vasa 
(?  st.  praecipitantes   casas);   posita   (st.  positae); 
terga  verterunt. 
Der  bei  Rubeis  App.  p.  44  vor  n.  X,  3  ausgelassene  Passus 
vom  Jahre  1364»  lautet: 

Egregius  princeps  dominusque  serenus  dominus  Ludovicus 
de  la  Turri  divino  auxilio  fultus  cum  suorum  fidelium  solicita 
cura  fecit  ruinari  funditus  castrum  Cucule  dominorum  de  Speg- 
numbergo  vigente  nobili  fortitudine  illustrissime  Civitatis  Austrie 
generosorum  grandis  probitatis  virorum.  Cum  eorum  commu- 
nitatis  gente  audaci  primopili  quoque  semper  ferientes  omnium 
aliarum  terrarum  et  locorum  virtutis  ac  gloriose  fidelitatis 
triumphale  perpetuum '  obtinent  principatum,  dum  christianorum 
natalicius  domini  milesimus  trecentesimus  sexagesimus  annus 
probaretur  et  quartus,  inditio  secunda  ac  mensis  Novembris 
lux  esset  vigesiraa  quarta. 

1)  Cf.  oben  S.  486  nnd  Monumentenausgabe  p.  222  lin.  35.  2)  Un- 
deatlich. 


XIII. 


Ueber  die  Columban-Briefe. 


Von 


Wilhelm  Gundlach. 


I. 

Die  prosaischen  Briefe. 

A.   Die  Leberlieferung. 

Als  Briefe  des  Begründers  der  Klöster  Luxeuil  und  Bobbio, 
des  Abtes  Columba  oder  Columbanus,  sind  zuerst  in  den 
^CoUectanea  sacra',  welche  von  dem  Minoriten  Patrik  Fleming 
herrühren,  aber  erst  nach  seinem  Tode  von  einem  Ordensbruder, 
Thomas  Sirin,  im  Jahre  1667  herausgegeben  sind  (p.  108—164)  ', 
die  folgenden  fünf  Schreiben  veröffentlicht  worden: 

1.  an  einen  ungenannten  Papst:  'lam  diu  omnes', 

2.  an  Bischöfe  und  Geistliche  Galliens,  welche  zu  einer 
Synode  zusammengetreten  sind:  'Gratias  ago  Deo', 

3.  an  die  in  Luxeuil  zurückgelassenen  Mönche  und  ihren 
Leiter  Attala:  'Pax  vobis  sicut', 

4.  an  Papst  Bonifatius  IV.  und  seine  Geistlichkeit :  *Quis 
poterit  glaber', 

5.  an  Papst  Gregor  I. :  'Gratia  tibi  et'. 

Dazu  hat  Bruno  Krusch  in  dieser  Zeitschrift  (X,  84)  einen 
in  der  Pariser  Handschrift  16361  gefundenen  Brief  hinzugefügt : 


1)  Ausführlicher  lautet  der  Titel  des  mir  von  der  Königlichen 
Bibliothek  in  München  gütigst  nach  Berlin  übersandten  Werkes :  *R.  p.  f. 
Patricii  Flemingi  Hiberui  ordinis  fratrum  minorum  strictioris  observantiae 
olim  sacrae  theologiae  lectoris  Collectanea  sacra  seu  sancti  Columbani 
Hiberni  abbatis,  magni  monachorutn  patriarchae,  monasteriorum  Luxo- 
viensis  in  Gallia  et  Bobiensis  in  Italia  aliorumque  fundatoris  et  patroni, 
necnon  aliorum  aliquot  e  veteri  itidem  Scotia  seu  Hibernia  antiquorum 
sanctornm  acta  et  opuscula,  nusquam  antehac  edita,  partem  ab  ipso  bre- 
vibus  notis,  partem  fusioribus  commentariis  ac  speciali  de  monastica 
sancti  Columbani  institutione  tractatu  illustrata  .  .  .  per  v.  a.  p.  f. 
Thomam  Sirinum  in  Lovaniensi  collegio  sancti  Antonii  de  Padua  eiusdem 
ordinis  et  provinciae  Hiberniae  s.  theologiae  lectorem  iubilatum  recens 
castigata  et  aucta'.  Aus  der  'Brevis  notitia  de  collectore'  geht  hervor, 
dass  Fleming  die  Collectanea  schon  im  Jahre  1631  druckfertig  hatte. 
Die  Maxima  bibliotheca  veterum  patrum  (Lugduni  1677)  liefert  im  XII. 
Bande  p,  24 — 32  einen  Nachdruck,  welcher  um  die  erläuternden  An- 
merkungen verkürzt  ist. 


500  Wilhelm  Gundlach. 

6.  an  einen  Papst,  wahrscheinlich  Bonifatius  IV.:  'De 
soUempnitatibus  et*'; 

und  endlich  möchte  ich  ein  von  Fleming  (p.  77)  als  ein  Kapitel 
der  Instructio  Columbans  geführtes  Stück  als  reinen  Brief  in 
Anspruch  nehmen,  also  noch  aufzählen: 

7.  an  einen  ungenannten  Schüler :  'Cum  iam  de' '. 

Um  das  zur  Herausgabe  der  ersten  fünf  Briefe  und  des 
siebenten  erforderliche  handschriftliche  Material  zu  beschaffen, 
habe  ich  mich  zunächst  an  eine  von  Krusch  (N.  A.  IX,  147 
Anm.)  gemachte  Angabe  gehalten:  'Die  Handschrift  der  Briefe 
Columbans  Avar  ehemals  in  Bobbio  und  ist  jetzt  wohl  in  Turin: 
Univers.  Bibl.  n.  78  in  8"  s.  X. ;  eine  Abschrift  enthält  der 
Sangall.  1346  s.  XVII.'  Aber  die  Güte  des  Herrn  Professors 
Grafen  Carlo  Cipolla  in  Turin,  welcher  mit  rühmenswerther 
Geneigtheit  sich  der  Wünsche  der  MG.  annahm,  hat  mich 
darüber  belehrt,  dass  nur  eine  einzige  Handschrift  der  Turiner 
Universitäts -Bibliothek,  der  aus  dem  zehnten  Jahrhundert 
stammende  Codex  G.  V.  38  —  so  lautet  die  neue  Bezeichnung 
der  von  Krusch  angeführten  Handschrift  —  in  Betracht  kommen 
kann,  dass  darin  die  ersten  fünf  Briefe  aber  nicht  enthalten 
sind.  Denn  obgleich  die  Ueberschrift  (fol.  90) :  'In  nomine 
sancte   trinitatis  über  epistolarum  sancti  Columbae  abbatis 

1)  Dass  dieses  ohne  Verfassernamen  überkommene  Schreiben  in 
Wahrheit  von  Columban  herrührt,  dafür  hat  Krusch  (a.  a.  O.  S.  88)  sich 
schon  mit  Recht  auf  das  ähnliche  irische  Latein  der  Columban-Briefe 
berufen  und  weiter  geltend  gemacht,  dass  die  Worte  'hanc  scribiciunculam 
diviti  pauper,  peregrinus  tibi  scribere  non  timui'  mit  der  Aufschrift  des  4.  an 
Papst  Bonifatius  gerichteten  Briefes  Columbans  verglichen  werden  darf, 
wo  es  heisst:  'extremus  primo,  peregrinus  indigenae,  pauperculus  prae- 
potenti  .  .  .  scribere  audet  Bonifacio  patri  Palumbus'.  Ausserdem  kann 
aber  wohl  noch  angeführt  werden,  dass  der  Gedanke,  welcher  das  Prius 
der  'veritas'  zum  Gegenstande  hat  und  in  die  Worte  gekleidet  ist:  'ut 
veritas  figuram  .  .  .  praecedat',  auch  am  Schlüsse  des  5.  Briefes  begegnet: 
'semper  antiquior  est  veritas,  quae  illum  (sc.  errorem)  reprehendit',  ferner 
dass  die  Bezeichnung  'umbralis  observancia'  der  falschen  Auffassung  in 
der  Osterfrage  etwa  dem  in  'tenebrosum'  zusammengefassten  Urtheil  d^ 
5,  Briefes  entspricht,  dass  endlich  in  einer  Erörterung  über  die  Kirchen- 
feste auf  die  'octava  beatitudo'  verwiesen  wird  und  ihre  Erwähung  auch 
in  dem  2.  der  Osterfrage  gewidmeten  Briefe  begegnet.  2)  Krusch  hat 
gemeint  (N.  A.  X,  84),  in  der  Pariser  Handschrift  13440  noch  einen 
andern,  bisher  unbekannten  Columban-Brief  gefunden  zu  haben,  welcher 
mit  den  Anfangsworten:  'O  tu  vita  humana  fragilis  et  mortalis'  auf  das 
fünfte  Kapitel  der  Instructio  verweise;  da  indessen  Krusch  die  Identität 
beider  Stücke  ausdrücklich  in  Abrede  gestellt  hat,  indem  er  bemerkte: 
'Der  Inhalt  scheint  sich  mit  dem  fünften  Sermo  des  Columban  bei  Rossetti, 
Bobbio  illustrato  II,  38  de  vanitate  humanae  vitae  :  'O  tu  vita  quantos 
decepisti,  quantos  seduxisti  etc.'  ungefähr  zu  decken'  und  'dürfte  noch 
unbekannt  sein',  so  habe  ich  mir  von  Herrn  A.  Molinier  eine  Abschrift 
des  fraglichen  Stückes  verschafft,  aber  wahrnehmen  müssen,  dass  bis  auf 
geringfügige  Verschiedenheiten  das  Stück  eben  das  fünfte  Kapitel  der 
Instructio  Columbans  ist. 


Ueber  die  Columban-Briefe.  501 

incipit'  dreizehn  briefähnliche  Abschnitte  einführt  und  (foL  124) 
die  Nachschrift :  'Finiunt  epistolae.  Ora  pro  me  quicumque 
legeris,  iit  Domini  misericordiam  habere  merear'  sie  gegen  die 
folgenden  Stücke  abgrenzt,  so  behält  doch  ein  vor  der  erwähnten 
Ueberschrift  stehender  Vermerk:  'Incipit  instructio  sancti 
Columbani  abbatis  ad  monachos  de  sede'  Recht:  es  sind  die 
dreizehn  Kapitel  der  Instructio.  Daran  schliesst  sich  (fol.  124), 
angekündigt  durch:  'Incipit  de  octo  vitiis  principalibus',  das 
von  Fleming  (p.  104)  abgedruckte  Stück:  'Octo  sunt  vitia 
principalia',  dann  (fol.  125)  nach  der  Bemerkung:  'Incipit  de 
penitentia'  der  erste  Theil  des  von  Fleming  (p.  91)  so  genannten 
'Liber  seu  ti-actatus  de  modo  seu  mensura  poenitentiarum' : 
'Poenitentia  vera  est',  darauf  ohne  Vorwort  der  siebente  Columban- 
Brief:  'Cum  iam  de'  und  endlich  (fol.  128)  gleichfalls  ohne 
Einleitung  der  zweite  Theil  der  Schrift  de  modo  seu  mensura 
poenitentiarum :  'Diversitas  culparum'  ohne  Abschluss,  da  fol.  130 
jetzt  das  letzte  der  Handschi'ift  ist,  die  folgenden  aber  verloren 
gegangen  sind. 

Unter  diesen  Umständen  war  ich  für  die  ersten  fünf  Binefe 
auf  die  späte  Sanct- Galler  Handschrift  und  auf  die  wenig- 
jüngere  Editio  princeps  angewiesen. 

Zuerst  von  der  Ausgabe  Flemings  zu  reden,  so  sind  dafür 
von  ihm  selbst  zwei  Handschriften  des  Klosters  Bobbio  benutzt 
worden:  die  eine  enthielt  die  dreizehn  Kapitel  der  Instructio 
und  die  vier  aus  der  Turiner  Handschrift  angeführten  Stücke, 
die  andere  die  unter  1  —  4  aufgezählten  Briefe  ^ 

Die  Verwandtschaft,  welche  die  erste  Handschrift  in  der 
Zahl  der  Abschnitte  mit  dem  Turiner  Codex  bekundet,  erstreckt 


1)  In  der  Maxima  bibl.  Lugd.  ist  (XII,  2)  wahrscheinlich  aus  einem 
Briefe  Flemings  eine  Mittheilung  angeführt,  welche  die  Ergiebigkeit  der 
Bibliothek  des  Klosters  Bobbio  an  Columban-Schriften  und  -Schriftstücken 
zum  Gegenstande  hat:  'Commentaria  .  .  .  sancti  Columbani  in  evangelia 
extitisse  non  ita  pridem,  si  recte  memini,  intellexi  ex  ipso  Bobiensis 
coenobii  bibliothecario  sene,  qui  et  alia  plura  sancti  Columbani  monu- 
menta  sub  Paulo  V.  partim  Romam,  partim  Mediolanum  ex  eodem  mona- 
sterio  transportata  conquestus  fuit;  ex  quibus  pro  memoria  tanti  patris  et 
fundatoris  tantum  remansit  —  illius  senis  industria  —  codex  ille,  in 
quo  .  .  .  Sermenes  continentur  cum  Regula  monastica  et  Libro  poeniten- 
tiarum, item  alius  liber,  in  quo  ipsius  sancti  epistolae  aliquot  collectae 
extant'.  Das  Schreiben  Pauls  V.  (1618  Nov.  3),  in  welchem  dem  Kloster 
Bobbio  der  Dank  des  Papstes  für  die  übersandten  Codices  ausgesprochen, 
aber  auch  die  Mahnung  enthalten  ist:  'ut,  si  qui  alii  restant,  ad  nos 
mittatis,  vel,  si  ex  aliis  monasteriis  nobis  curare  alibs  valetis,  omnino 
curetis',  hat  Peyron  in  seiner  Schrift  Ciceronis  oratt.  fragm.  p.  XXIV  und 
auch  Rossetti  im  dritten  Bande  seines  Werke  Bobbio  illustrato  p.  132 
abgedruckt;  aus  dem  angehängten  Verzeichnis  der  nach  Rom  verschenkten 
Handschriften  ist  leider  nicht  zu  ersehen,  ob  auch  Columban-Briefe  in 
einer  enthalten  waren. 

Keues  Archiv  etc.     XV.  OO 


502  Willielm  Gundlach. 

sich  aber  nicht  auch  auf  die  Reihenfolge;  denn  aus  den  Be- 
merkungen, welche  Fleming  den  einzelnen  Stücken  voran- 
geschickt hat,  geht  hervor,  dass  den  dreizehn  Kapiteln  der 
Instructio  als  14.  Stück  'Octo  sunt  vitia',  als  15.  'Cum  iam  de' 
und  endhch  an  16.  und  17.  Stelle,  freilich  von  einander 
geschieden,  'Poenitentia  vera  est'  und  'Diversitas  culparum' 
folgten.  Es  heisst  nämlich  (p.  77) :  'Relatis  hactenus  instructio- 
nibus  —  die  Kapitel  der  Instructio  sind  gemeint  —  in  eodem 
codice  ßobiensi  subditur  tractatulus  de  octo  principalibus 
vitiis  .  .  .  ,  quem  immediate  sequitur  .  .  .  sermo  sub  exhor- 
tationis  titulo' '  —  das  ist  der  Brief  'Cum  iam  de'.  Die  14. 
Stelle  wird  dem  tractatulus  de  octo  vitiis  mid  die  15.  Stelle 
dem  Briefe  'Cum  iam  de'  auch  durch  die  Bemerkung  (p.  104) 
bestätigt:  'canones  illi  poenitentiales  —  die  Stücke  'Poeni- 
tentia  vera  est'  und  'Diversitas  culparum'  —  hunc  ipsum  ti*acta- 
tulum  in  dicto  codice  cum  instructione  decimaquarta  praemissa 
—  in  der  Ausgabe  Flemings  beginnt  das  14.  Stück:  'Cum  iam 
de'  —  consequuntur'.  Die  Platzbestimmung  wird  vervollstän- 
digt p.  92,  wo  von  dem  Schriftchen  de  modo  seu  mensura 
poenitentiarum  angegeben  ist:  'sequitur  in  illo  codice  instructio- 
nera  supra  positam  ordine  quintodecimam^  sub  hac  solum 
inscriptione :  'Incipit  de  poenitentia  .  .  .  Dividitur  autem  prae- 
sens Columbani  opusculum  in  duos  tractatus;  primus  incipit: 
'Poenitentia  vera  est',  secundus  ibi :  'Diversitas  culpanmi'.  Dass 
die  Turiner  Handschrift  von  der  Vorlage  Flemings  verschieden 
ist,  wird  auch  durch  die  Fassung  verbürgt,  falls  man  die  Ueber- 
schrift:  'exhortatio'  (des  Briefes  'Cum  iam  de'),  welche  in  dem 
Turiner  Codex  fehlt,  und  z.  B.  (in  demselben  Stücke)  die 
Wendung:  'quibusdam  perfectio  efticitur',  welche  in  der  noch 
vorhandenen  Handschrift  am  Ende  durch  'morum'  verv'ollstän- 
digt  wird,  als  scheidende  Besonderheiten  ansieht, 

Ueber  die  zweite  von  Fleming  benutzte  Handschrift  heisst 
es  (p.  108)  nur:  'Quae  sequuntur  .  .  .  sancti  Columbani  epi- 
stolae    ...    ex    pervetusto,    sed    mendoso    satis    bibliothecae 


1)  Indem  er  dann  weiter  von  dem  Sermo  sagt:  'videtur  awtem  ad 
instar  epistolae  fuisse  directus  a  Columbano  ad  quendam  ministrum  suum', 
erkennt  er  richtig  die  wahre  Eigenschaft  des  Stückes,  welche  von  Gallandi 
(Bibl.  vet.  patr.  XII,  342),  dem  Nachtreter  der  Maxima  bibl.  Lugd.,  und 
von  Migne  (Patrol.  lat.  LXXX,  256),  dem  Nachahmer  Gallandis,  dadurch 
verwischt  worden  ist,  dass  das  Stück  ohne  weiteres  als  vierzehntes  Kapitel 
der  Instructio    geführt    wird.  2)    Die  Zahl    muss    offenbar    in   'quartam 

decimam'  umgewandelt  werden,  denn  die  von  Fleming  als  'Instructio  XV.' 
(p,  82)  gebrachte  Auseinandersetzung:  'In  ecclesia  Dei'  steht  in  keiner 
Bobienser  Handschrift  ('nee  eins  exemplar  in  codicibus  Bobieusibus  repe- 
rire  potui').  Hertel  (Zeitschrift  für  die  bist.  Theol.  XLV,  425)  erwähnt, 
dass  diese  Predigt  schon  für  unecht  gehalten  worden  ist,  'da  sie  in 
keinem  Codex  eich  findet,  sondern  nur  von  Lucas  Wading  mitgetheilt  ist'. 


Ueber  die  Columban-Briefe.  503 

Bobiensis  codice  transsumptae  sunt,  cuius  mendas  abstergere 
nos  prohibet  correctiorum  exemplarium  penuria'  *.  Es  ist 
dabei  zu  bemerken,  dass  wenigstens  die  vier  ersten  Briefe 
wohl  nach  ihrer  Folge  in  der  Handschrift  angeordnet  sind  2, 
dass  aber  der  5.  Brief  'Grratia  tibi  et'  gar  nicht  von  Fleming 
veröffentlicht,  sondern  von  dem  Herausgeber  seiner  nachge- 
lassenen Collectanea,  Sirin,  aus  einer  anderen  Handschrift  hin- 
zugefügt worden  ist  3. 

Die  dem  siebzehnten  Jahrhundert  angehörende  Papier- 
handschrift der  Stiftsbibliothek  zu  Sanct-Gallen  n.  1346*  ent- 
hält in  der  Abschrift  des  Jodocus  Metzler  nach  acht  leer 
gelassenen  Blättern  auf  den  ersten  58  Seiten  die  dreizehn 
Kapitel  der  Instructio  Columbans,  eingeführt  durch  die  Be- 
merkung: 'Incipiunt  instructiones  seu  epistolae  sancti  Colum- 
bani   abbatis   transcriptae   ex    manuscripto    codice    monasterii 

1)  Fleming'  hat  aber  Nachricht  von  dem  Vorhandensein  noch  anderer 
Columban-Briefe;  denn  er  fahrt  alsbald  weiter  fort:  'Porro  praeter  iam 
memoratas  et  hie  subiectas  epistolas  extant  aliae  plures  eiusdem  sancti 
tum  ad  Gregorium  Magnum,  tum  ad  praefatum  Bonifaeium  (IV.)  trans- 
missae,  quarum  omnium  non  est  adhuc  nobis  facta  copia'.  2)  'CoUec- 

tor  ...  in  iis  collocandis  spectasse  videtur  ordinem,  quo  eas  in  manu- 
scripto invenit',  sagt  Sirin  p.  160.  3)  Sirin  bemerkt  über  den  5.  Brief 
p.  157:  'Ceterum  epistolae,  ut  hie  iacet,  sensum  in  multis  evertunt  mendae 
crebrae  et  fere  inemendabiles  nisi  collatione  melioris  manuscripti,  quae 
causa  fuisse  videtur  P.  Flemingo  eam  in  sua  collectione 
praetereundi;  verum  ego  seorsim  repertam,  quia  nimis  sero 
ceteris  epistolis  iam  tunc  imprimi  coeptis  adiungendam 
resolvi,  eam  malui  .  ,  .  prodire  etc.'  —  Einige  wenige  Stellen  in  der 
Editio  princeps  könnten  zu  der  Annahme  verleiten,  dass  der  Herausgeber 
für  den  2.  3.  und  4.  Brief  noch  andere  als  die  eine  Handschrift,  zu 
welcher  er  sieh  bekennt,  gehabt  und  nachträglich  aus  ihnen  am  Rande 
Lesarten  vermerkt  habe:  es  heisst  nämlich  zu  der  Wendung  des  2.  Briefes 
*ut  omnes  mundum  horremus'  am  Rande  'al.  horreamus'  und  im 
3.  Brief  zu  'licet  materiae  magnitudine  protendi  longius  compellitur' 
an  der  Seite  'al.  compellatur'  —  zumal  in  dieser  Weise  in  früheren 
Jahrhunderten  Lesarten  eingeführt  zu  werden  pflegten.  Aber  da  'hor- 
reamus' und  'compellatur'  die  regelrechten  von  'ut'  und  'licet'  erforderten 
Conjunctive  sind,  so  wird  schon  dadurch  der  Verdacht  erregt,  dass  es 
lediglich  Verbesserungsvorschläge  des  Herausgebers  sind.  Befestigt  wird 
man  in  dieser  Auffassung  durch  eine  andere  Stelle  des  3.  Briefes;  indem 
hier  nämlich  dem  Spruche:  'Qui  enim  non  congregat,  ait  Dominus  maus, 
dispergit'  ein  'al.  mecum'  an  die  Seite  gegeben  ist,  wird  damit  nur  die 
Lesart  der  Vulgata  (Luc.  XI,  23)  zum  Ausdruck  gebracht.  Sicher  aber 
handelt  es  sich  nur  um  eine  Emendation  im  4.  Briefe,  wo  man  zu  'in 
diebus  .  .  .  ante  etenim  ac  retro  ineomparabilibus'  am  Rande  'al.  et  iam' 
liest;  denn  in  der  Note  ww  bemerkt  Fleming  'ita  — ■  etenim  —  codex 
manuscriptus ;  sed  putarem  per  mendam  irrepsisse  etenim  pro  etiam'. 
Unter  diesen  Umständen  wird  man  auch  in  dem  nämlichen  Briefe  'al. 
tamen',  'al.  nuncupato'  und  'al.  nitar'  nur  als  Aenderungsvorschläge 
für  'tantum',  'nancto'  und  'inter'  ansehen  dürfen.  4)  Die  Handschrift 
habe  ich  selbst  hier  in  Berlin  verglichen. 

33* 


504  Wilhelm  Gundlach- 

Bobiensis,  litteris  Hibernicis  confecto'  und  abgeschlossen  mit: 
'Hie  finiunt  sermones  sive  epistolae  sancti  Columbani'.  Dann 
folgt  noch  auf  p.  58  die  Angabe:  'Scripsit  praeterea  sermonera 
de  caritate  Dei  et  proximi',  und  daran  schliessen  sich,  wenn 
ich  die  einzelnen  Stücke  mit  Nummern  bezeichnen  darf,  an 
15.  16.  18.  19.  20.  21.  Stelle  die  Briefe  'Fax  vobis  sicut' 
(p.  60),  'Cum  iam  de  fp.  70),  'lani  diu  omnes'  (p.  74),  'Gratias 
ago  Deo'  (p.  77),  'Quis  poterit  glaber'  (p.  88)  und  'Gratia  tibi 
et'  (p.  109):  ihr  Anschluss  an  die  Instructio  ist  durch  das  14. 
Stück  'In  ecclesia  Dei'  (p.  58)  und  ihre  Reihe  nur  dm'ch  das 
17.  Stück  'Octo  sunt  vitia'  (p.  73)  unterbrochen,  und  nach 
diesem  Stück  für  die  vier  letzten  Briefe  die  gemeinsame  Ueber- 
schrift  eingeschoben:  'Sequuntur  epistolae  quaedam  sancti 
Columbani  scriptae  ad  diverses'. 

p]s  ist  nicht  wahrscheinlich,  dass  alle  diese  Stücke  in  der- 
selben Handschrift  gestanden  haben,  aus  welcher  Metzler  die 
dreizehn  Kapitel  der  Instructio  abgeschrieben  hat.  Dass  aber 
die  Handschrift,  in  welcher  er  die  letzten  Briefe  fand,  auch 
dem  Kloster  Bobbio  angehörte,  sagt  er  wiederholt  selbst  in 
einer  Anzahl  von  Randbemerkungen:  so  oft  er  nämlich  etwas 
erheblich  anderes  in  den  Text  aufnalmi,  als  seine  Vorlage  ihm 
darbot '.      Diese  Vorlage   dürfte,   da  Metzler  im  ganzen  einen 


1)  In  dem  Briefe  'Quis  poterit  plaber'  glaubt  Metzler  zu  einem 
Satze  'homo',  zu  einem  andern  'iudicio',  zu  einem  dritten  'conipetit'  er- 
gänzen zu  müssen:  er  thut  es  im  Texte,  bemerkt  aber  am  Rande:  'In 
Bob.  omissum  bomo',  'In  Bob.  omissa  vox  iudicio',  'In  Bob.  non  babetur 
haec  vox  competit';  oder  in  demselben  Briefe  scbeiiit  ibm  das  Wort 
'acuta'  überflüssigf  zu  sein:  er  lässt  es  im  Texte  fort  und  sagt  dazu  am 
Rande:  'In  Bob.  inserebatur  acuta';  er  treibt  dies  Verfahren  so  weit,  dass 
er  in  dem  nämlichen  Briefe  sogar  eine  mehrere  Zeilen  umfassende  Stelle, 
welche  er  nicht  verstand,  im  Texte  einfach  übergeht  und  sie  an  den 
Rand  mit  der  Vorbemerkung  setzt:  'In  Bob.  inserebantur  haec  omnia 
absque  sensu'.  Wenn  er  nun  auch  einfache  Aenderungen  angiebt  —  so  hat  er 
noch  immer  in  demselben  Briefe  im  Texte  'audent',  'nescio',  am  Rande 
'Bob.  audere',  'Bob.  nesciens'  etc.  — ,  so  ist  er  doch  nicht  über  dem  Ver- 
dachte erhaben,  dass  er  bisweilen  stillschweigend  den  ihm  überlieferten 
Wortlaut  geändert  hat ;  er  lässt  z.B.  im  2.  Briefe  'ad  computa  arcta',  das 
ebenso  entbehrlich  wie  nicht  gleich  verständlich  ist,  ohne  weiteres  fort, 
ferner  im  3.  Briefe  den  von  Fleming  unvollständig  gebotenen  Satz :  'Id- 
circo  et  tu,  si  me  istorum  persecutio'  und  in  der  Wendung  'minime  repu- 
tatur'  das  Wort  'minime'  über  welclies  Fleming  sagt:  'posui  minime  loco 
alicuius  vocabuli  similis  ita  mendose  exarati,  ut  legi  aut  intelligi  facile 
nequeat'.  Dringend  ist  auch  der  Ärgwohn,  dass  Metzler  willkürlich 
geändert  habe,  im  2.  Briefe  bei  der  Wendung  'austeriore  vita,  quae 
maiorem  haberet  mercedem',  da  Fleming  hier  'licet'  —  also  'Heere' 
feil  sein  —  mit  dem  ungewöhnlichen  Accusativ  des  Preises  hat,  und  im 
3.  Briefe  bei  den  Worten  'per  Studium  nostrum,  officii  nimirum  legi- 
timi',  weil  Fleming  hier  für  'nimirum'  ein  auffallendes  'rem'  bietet,  dieser 
Ausdruck  aber  durch  eine  andere  Stelle  (im  6.  Briefe):  'Roma  sui  iterum 


Ueber  die  Columban-Briefe.  505 

etwas  besseren  Wortlaut  überliefert  als  Fleming,  mit  der  von 
Fleming  benutzten  zweiten  Handschrift  zwar  nicht  identisch, 
aber  doch  namentlich  auf  Grund  einiger  ebenmässig  verderbter 
Stellen  nahe  verwandt  sein.  Nur  nahe  Verwandtschaft,  nicht 
Identität  mit  Metzlers  Vorlage  möchte  auch  der  ersten  Hand- 
schrift Flemings  —  Metzler  hat  z.B.  auch  wie  Fleming  die 
nicht  um  'morum'  ergänzte  Redensart  'quibnsdam  perfectio 
efficitur'  —  und  der  Handschrift  Sirins  zu  erkennen  sein. 

Die  besondere  Hoffnung,  an  dem  1795  veröffentlichten 
Werke  Benedetto  Rossettis  'ßobbio  illustrato'  eine  Stütze  für 
die  Ausgabe  der  Columban-Briefe  zu  finden,  Avird  getäuscht; 
denn  die  Berührungen,  welche  zwischen  dem  von  Rossetti 
gebotenen  Wortlaut  des  Briefes  'Cum  iam  de'  und  dem  der  Turiner 
Handschrift  statthaben  —  unter  anderem  heisst  auch  die  mehr- 
fach berührte  Wendung  bei  Rossetti  vollständig  'quibusdam 
perfectio  efficitur  morum'  —  beweisen,  dass  Rossetti  den  erwähnten 
Turiner  Codex  benutzt  hat,  wenn  auch  die  vier  auf  die  In- 
structio  folgenden  Stücke  stillschweigend  in  der  Weise  umge- 
stellt sein  mögen,  dass  die  beiden  innerlich  zusammengehörenden 
Ausführungen,  welche  bei  Fleming  die  kleine  Abhandlung  de 
modo  poenitentiarum  bilden:  'Poenitentia  vera  est'  und  'Diver- 
sitas  culparum',  den  Beschluss  machen.  Fällt  also  schon  für 
den  einen  hier  in  Betracht  kommenden  Brief  'Cum  iam  de' 
eine  Hülfeleistung  Rossettis  darum  aus,  weil  die  von  ihm  benutzte 
Handschrift  noch  selbst  zur  Verfügung  steht,  so  lässt  er  es 
vollends  bei  den  fünf  anderen  Briefen  an  sich  fehlen;  denn 
schon  die  Fassung  seiner  Anmerkungen  bezeugt  es,  dass  er 
nur  einen  —  durch  zahlreiche  Fehler  entstellten  —  Nachdruck 


rem  sustineret  contemptus'  —  also  'res'  =  Aeusserung,  Bethätigung, 
Probe  —  sich  stützen  lässt.  Vollends  deutlich  aber  wird  die  Willkür 
Metzlers  im  4.  Briefe,  da  Fleming  hier  hat:  'deleat  Dens  tale  semen  et 
nutriat  grege  suo'  (verbessert  in  'greges  suos'),  Metzler  aber  zuerst 
auch  'nutriat'  niederschreibt,  dann  aber  das  Wort  ausstreicht  und  dahinter 
ein  zu  dem  folgenden  Ablativ  passendes  'arceat  a'  aufnimmt.  Dass 
Metzler  aber  dabei  doch  einen  besseren  Text  vor  sich  gehabt  hat  als 
Fleming,  dürfte  daraus  zu  erschliessen  sein,  dass  er  in  den  ausgedehnten 
Stellen,  welche  Columban  im  5.  Briefe  aus  dem  vorgeblich  von  Anatolius 
verfassten  Canon  paschalis  und  dem  auch  Gennadius  beigelegten  (vgl. 
Krusch  im  N.  A.  IX,  124)  Liber  de  dogmatibus  ecclesiasticis  anführt, 
genauer  mit  den  von  Columban  benutzten  Vorlagen  übereinkommt,  als 
Fleming.  —  Bei  dieser  Gelegenheit  möchte  ich  darauf  aufmerksam  machen, 
dass  der  unter  dem  Namen  des  Anatolius  bekannte  Canon  paschalis  als 
untergeschoben  angefochten  worden  ist  (Ideler,  Handbuch  der  Chronol. 
II,  230,  Krusch  im  N.  A.  IX,  145);  wie  dem  auch  sein  mag,  da  Columban 
den  Canon  in  seinem  frühesten  Briefe  am  Ende  des  sechsten  Jahrhunderts 
bereits  benutzt  —  was  schon  Krusch  (Studien  zur  christl.  mittelalterl, 
Chronol.  S.  319)  bemerkt  hat  — ,  so  kann  unmöglich,  wie  man  gemeint 
hat  (vgl.  Ideler  a.  a.  O.),  der  Canon  erst  in  der  ersten  Hälfte  des  siebenten 
Jahrhunderts  entstanden  sein. 


506  Wilhelm  Gundlach. 

der  Bibliotheca  veterum  patrum  Gallandis  geliefert  hat,  der 
seinerseits  wieder  durch  Vermittehing  der  Maxima  bibliotheca 
Lugdunensis  auf  Fleming  zurückgeht. 

Da  nun  Rossetti  schwerlich  ohne  Noth  zu  einem  Nachdruck 
eich  verstanden  hat,  so  dürfte  die  Folgerung  annehmbar  sein, 
dass  zu  seiner  Zeit  in  Bobbio  bez.  in  Turin  auch  diejenige 
Handschrift  nicht  mehr  vorhanden  war,  welche  nach  der  unter 
Paul  V.  erfolgten  Verzettelung  der  Klosterbibliothek  noch 
Fleming  für  vier  Columban-Briefe  benutzt  hat.  Wann  die 
Handschrift  abhanden  gekommen  ist,  wo  sie  sich  jetzt  befindet, 
bez.  ob  sie  zu  Grunde  gegangen  ist,  habe  ich  nicht  in  Erfah- 
rung bringen  können. 

Bei  dieser  Sachlage  gestaltet  sich  der  Plan  für  die  Her- 
ausgabe der  Briefe  so,  dass  für  die  ersten  fünf  die  von  Metzler 
gefertigte  Abschrift  eines  Bobbienser  Codex  zu  Grunde  zu 
legen  und  dazu  die  Editio  princeps  Fleming-Sirins  heranzu- 
ziehen, für  den  7.  Brief  die  Turiner  Handschrift  G.  V.  38  * 
und  für  den  6.  die  Pariser  16361  zu  benutzen  ist. 

ß.    Die  Enlstehungszeit. 

Um  zu  erkennen,  zu  welcher  Zeit  die  nicht  datierten 
Briefe  Columbans  entstanden  sind  ^,  ist  es  nöthig,  die  Lebens- 
geschichte des  Heiligen,  wie  sie  von  Jonas  aufgezeichnet  worden 
ist',  in  kurzen  Zügen  vorzuführen. 

Nach  einer  in  Irland  verbrachten  Jugend  fuhr  Columban, 
neunzehn  oder  neunundzwanzig  Jahre  alt*,  mit  zwölf  Genossen 
nach  der  Bretagne  hinüber  und  betrat  bald  darauf  ^  den  Boden 
des  austrasisch-burgundischen  Reiches  8.   Von  dem  Könige  dieses 


1)  Wie  die  Nachrichten  üher  diese  Handschrift,  so  verdanke  ich 
auch  ihre  Vergleichung  mit  dem  Briefe  'Cum  iam  de'  der  Güte  des 
Herrn    Professors   Grafen  Carlo  Cipolla    in  Turin.  2)    Bei    diesen   und 

den  Ausführungen  des  nächsten  Abschnitts  habe  ich  mich  mit  G.  Hertels 
Arbeit:  'lieber  des  heiligen  Columba  Leben  und  Schriften,  besonders  über 
seine  Klosterregel'  in  der  nach  Illgen  und  Niedner  von  Kahnis  heraus- 
gegebenen 'Zeitschrift  für  die  historische  Theologie',  45.  Band,  Jahrgang 
1875,    S.   396  ff,    auseinanderzusetzen.  3)    Mabillon  Acta  SS.  saec.  II, 

5 — 29.  4)  'Vicesimum  ergo  aetatis  annum  agens'  (p.  9);  in  der  Ueber- 

setzung  der  Vita  (Geschichtschreiber  der  deutschen  Vorzeit  XI,  113 
Anm.  2)   wird  die  Lesart  'tricesimum'  bevorzugt.  5)  'Paullisper  ibidem 

—  in  der  Bretagne  —  morantes'  (p.  9).  6)  Die  Nachricht  der  Vita,  dass 
Sigebert  damals  König  gewesen  sei  ('Pervenit  .  .  .  Sigeberti  regis  ad 
aulam,  qui  eo  tempore  duobus  regnis  Austrasiorum  Burgundionumque  in- 
clitus  regnabat  Francis'),  wird  durch  die  Angabe,  dass  er  über  Austrasien 
und  Burgund  geherrscht  habe,  als  falsch  hingestellt:  entweder  war  e» 
Sigebert,  dann  herrschte  der  König  aber  nicht  auch  über  Burgund,  oder 
es  war  derjenige  austrasische  König,  welcher  seit  593  auch  Burgund  in 
seiner  Gewalt  hatte,  dann  war  es  Childebert  II.,  der  Sohn  Sigeberts. 


Ueber  die  Columban-Briefe.  507 

Reiches  zum  Bleiben  aufgefordert,  Hess  er  sich  zunächst  im 
Wasgenwalde  in  Anegray  nieder;  er  gründete  dann,  als  die  Zahl 
seiner  Mönche  wuchs  %  etwa  acht  Meilen  von  der  ersten  Stiftung 
entfernt  das  Kloster  Luxeuil  und,  als  auch  das  sich  unzulänglich 
erwies  ^,  ein  drittes  in  Fontanae.  Als  nach  dem  Tode  Chil- 
deberts  11.  (596/597)  das  aiistrasisch-burgundische  Reich  unter 
die  beiden  Söhne  des  abgeschiedenen  Königs  vertheilt  wurde 
und  Austrasien  an  Theodebert  II.  kam,  gerieth  Columban  unter 
die  Herrschaft  Theoderichs  II.,  welchem  ßurgund  zugefallen 
war  3.  Die  Heftigkeit,  mit  welcher  Columban  gegen  die  Aus- 
schweifungen des  jungen  Königs  auftrat  und  auf  ein  Ehebündnis 
mit  einer  ebenbürtigen  Gemahlin  drang*,  brachte  ihn  aber 
nicht  nur  mit  Theoderich,  sondern  auch  mit  des  Königs  Gross- 
mutter Brunhilde  in  Streit,  welche  durch  eine  rechtmässige 
Gemahlin  ihres  Enkels  aus  ihrer  Stellung  Verstössen  zu  werden 
fürchtete  5.  Schon  durch  die  entschiedene  Weigerung  Colum- 
bans,  die  unehelichen  Söhne  Theoderichs  zu  segnen*,  auf  das 
höchste  erzürnt,  machte  sich  Brunhilde  ein  Schreiben  Colum- 
bans,  welches  den  rückfälligen  König  mit  dem  Bann  bedrohte ', 
zu  Nutze,  um  gegen  den  anmasslichen  Abt  die  Würdenträger 
des  Reiches,  insbesondere  die  Bischöfe  aufzubringen  *.  Es  kam 
zu  der  Entscheidung,  dass  Columban  entweder  das  Land  zu 
räumen  oder  seine  Rechtgläubigkeit  zu  beweisen  habe  ®.  Als 
ihn  der  König  persönHch  davon  in  Kenntnis  setzte,  vergass 
Columban  so  weit  jede  Rücksicht,  dass  er  drohte,  Theoderich 
und  sein  ganzes  Haus  werde  in  Kürze  vernichtet  werden '" ; 
er  verstand  sich  nur  zu  der  Erklärung,  dass  er  einzig  der 
Gewalt  weichen  würde.     Daraufhin   wurde  er  auf  Befehl  des 


1)  'Cumque  iam  multorum  monachorum  societate  densaretur'  (p.  12). 
2)  'cernens  .  ,  .  uiiius  —  eines  neuen  ist  wohl  zu  verstehen  —  coe- 
nobii  septa  tantam  conversantium  cohortem  absque  difficultate  non  teuere' 
(p.  13).  3)  'Theodericus  ergo,  qiiia  in  termino  regni  sui  beatum  Colum- 
banum  haberet,   gratulabatur'  (p.  18).  4)   'cur  concubinarum  adulteriis 

misceretur  et  non  potius  legitimae  coniugis  solamine  frueretur'  (p.  18). 
5)  'Verebatur  enim,  ne,  si,  abiectis  concubinis,  reginam  aulae  praefecisset, 
dignitatis    atque    honoris    sui    modum    amputassel'    (p.  18).  6)    'filios 

Theodorici,  quos  de  adulterinis  permixtionibus  habebat,  ad  virum  Dei 
adducit'    (p.  18).  7)    'Columbanus    litteras    ad    eum   verberibus    plenas 

direxit  comminaturque  excommunicationem,  si  emendare  dilatando  non 
vellet'    (p.  18).  8)  'episcoposque    sollicitare    aggressa  est,    ut  eins  reli- 

gionem  detrahendo  et  statum  regulae,  quem  suis  custodienduna  monachis 
indiderat,    macularent'    (p.  18).  9)    'Obtemperantes    igitur    auliei    .  .   . 

regis  animum  contra  vinim  Dei  perturbant  cogentes,  ut  aut  cederet  aut 
religionem  probaret'  (p.  18.   19).  10)   Bezeichnend  ist  die  Erwiderung 

Theoderichs:  'Martyrii  coronam  me  tibi  illaturum  speras:  non  esse  me 
tantae  dementiae  scias,  ut  hoc  tantum  perpetrem  scelus ;  sed  potioris 
consilii  tibi  scias  utilia  paraturum,  ut,  qui  ab  omnium  saeculariuin  more 
desciscis,  qua  veneras,  ea  via  repedare  studeas'  (p.  19). 


508  Wilhelm  Gundlach. 

Königs  von  Baudulf  verhaftet  und  bis  auf  weiteres  nach  ße- 
san9on  in  Gewahrsam  gebracht».  Dass  Columban  sich  seiner 
leichten  Gefangenschaft  2  durch  die  Flucht  entzog,  musste  seine 
Lage  nur  verschlimmern.  Zwar  scheint  man  zuvörderst,  wenn 
Columban  gutwiUig  sich  gefügt  hätte,  nur  die  Gefangenschaft 
haben  wiederherstellen  wollen ' ;  da  er  aber  aufsessig  blieb, 
ward  er  festgenommen,  um  unter  sicherer  Bedeckung  bis  an 
die  natürliche  Grenze  des  Reiches,  bis  nach  Nantes  geführt 
und  dann  in  sein  Vaterland  zurückbefördert  zu  werden*.  Das 
geschah,  Avie  Jonas  erzählt,  nachdem  Columban  neunzehn  volle 
Jahre  im  Wasgenwalde  gehaust  hatte*.  In  Nantes,  wo  Colum- 
ban sich  eine  Zeit  lang  aufhielt«,  gelang  es  ihm,  seinen  auf- 
gezwungenen Begleitern  zu  entkommen;  er  begab  sich  zu 
König  Chlothar,  dessen  Gebiet  im  Norden  des  burgundischen 
an  der  Seeküste  belegen  war',  und  erhielt,  in  der  Absicht, 
durch  das  Reich  Theodeberts  über  die  Alpen  nach  Italien  zu 
ziehen,  von  dem  Könige  sicherndes  Geleit  8.  Aber  bei  Theode- 
bert  angelangt«,  Hess  Columban  sich  bewegen,  unter  der  heid- 
nischen Bevölkerung  des  austrasischen  Reiches  das  Christen- 
thum  zu  predigen :  er  wählte  Bregenz  zu  seinem  Aufenthalts- 
orte und  reiste  über  Mainz  rheinaufwärts  dahin  ab.  Dass 
Columban  diesen  Aufenthalt  nothgedrungen  verlängerte  und 
dann  nothgedrungen  abbrach,  ist  aus  den  Worten  des  Jonas 
zu    entnehmen,   welcher    trotz  aller  Erfolge    und  Pläne  seinen 


1)  '(Baudulfus  Columbanum)  penes  Vesontionense  oppidum  ad  exsu- 
landum  perducit,  quoadusque  renalis  sententia,  quod  voluisset,  decerneret' 
(p.  19).  2)  Dass  sie  leicht  war,  ist  darum  anzunelimen,  weil  niemand 

die  Flucht  hinderte  und  der  fliehende  Columban  einige  seiner  Mönche 
um  sich  hatte:  'cum  nullus  contrarius  exsisteret,  ipse  per 
mediam  urbem   cum  suis  ad  monasterium   regreditur'  (p.  20).  3)   Es 

wird  ausdrücklich  berichtet,  die  nach  Luxeuil  entsandte  Schaar  habe  den 
Auftrag  gehabt,  'ut  rursum  virum  Dei  ...  ad  pristinum  revocent  prorsus 
eiilium',  und  forner,  als  Columban  im  Widerstände  zu  beharren  erklärte, 
sei  der  eine  Führer  der  Schaar,  der  Graf  Bertar,  zum  Könige  zurück- 
gekehrt. 4)  'custodibus,  qui,  quousque  ditionis  regno  pelleretur,  non 
eum  relinquerent;  inter  quos  Ragamundus  erat  primus,  qui  eum  Namnetis 
usque  perduxit'  (p.  20).  'SuflFronius,  Namnetensis  urbis  episcopus,  una 
cum  Theudoaldo  comite  iuxta  regis  imperium  beatum  Columbanum  navi 
ßusceptum  ad  Hiberniam  destinare  praeparabat'  (p.  24).  5)  'Egressus 
ergo  vir  sanctus  cum  suis  vicesimo  anno  post  incolatum  eremi  illius' 
(p.  21).  6)  Es  wird  zweimal  berichtet:  'ibi  aliquantisper  moratus' 
(p.  23)  und  'Moratus  ergo  ibi  paullulura'  (p.  24).  7)  'ad  Chlotharium, 
Hilperici  filium,  qui  Neustrasiis  Francis  regnabat  ...  ad  Oceanura  posi- 
tis,  pergit'  (p.  24).  8)  'ut  per  Theodeberti  regnum,  si  valeret,  ad  Ita- 
liam,  Alpium  iuga  transcendens,  perveniret.  Datis  ergo  comitibus,  qui 
eum  usque  ad  Theodebertum  perducerent'  (p.  24).  9)  Wir  hören,  dass 
Theudebert  auch  gegen  andere  Flüchtlinge  aus  Luxeuil  sich  hülfreich 
bewies:  'lam  enim,'  sagt  Jonas  p.  25,  'multi  fratrum  post  eum  ex  Luxo- 
vio  venerant,  quos  velut  ex  hostium  praeda  recipiebat'. 


Ueber  die  Columbau-Briefe,  509 

Heiligen  doch  Italien  nicht  vergessen  lässt '  und  die  endliche 
Uebersiedelung  mit  erneuerter  von  Theoderich  drohender  Ge- 
fahr in  Verbindung  bringt  ^r  als  nämlich  der  Gönner  Colum- 
bans,  Theudebert,  sein  Leben  und  an  seinen  Bruder  sein  Reich 
verloren  hatte.  Von  dem  Langobarden-König  Agilulf  freund- 
lich empfangen  und  zunächst  am  Hofe  zurückbehalten  3,  ward 
Columban  durch  die  Schilderung  der  anmuthigen  Lage  des 
Ortes  ßobbio  dem  klösterlichen  Leben  Avieder  zugeführt:  er 
begründete  das  vielberufene  Kloster  und  starb  hier  nach  einem 
Jahre*  am  21.  November*. 

Mit  diesem  Lebenslaufe  lässt  nun  die  erste  deutliche  Be- 
rührung der  2.  der  oben  S.  499  aufgezählten  Briefe  erkennen, 
in  welchem  Columban  die  zu  einer  Synode  zusammengetretenen 
Bischöfe  und  Geistlichen  bittet,  ihn  doch  'in  his  silvis',  wo  er 
zwölf  Jahre  zugebracht  habe,  zu  dulden,  der  Vorladung  aber 
die  Folge  verweigert  und  schriftlich  seine  Rechtgläubigkeit  in 
der  Osterfrage  vertheidigt.  Es  leuchtet  danach  sofort  ein,  dass, 
wenn  auch  Jonas  über  die  Osterfrage,  als  den  hauptsächlichsten 
Streitpunkt,  in  befremdliches  Schweigen  sich  hüllt«,  die  er- 
wähnte Synode  die  Gemeinschaft  der  Bischöfe  ist,  welche  auf 
Betreiben  Theoderichs  und  Brunhildens  gegen  Columban  ein- 
schritt. Die  Ablehnung  Columbans,  zur  Verantwortung  sich 
zu  stellen,  erklärt  dabei  das  Urtheil  der  nach  anderer  Art 
Ostern  feiernden  Bischöfe,  entweder  'religionem  probare',  d.  h. 
zu  ihrer  Auffassung  sich  zu  bekennen  oder  das  Land  zu  ver- 
lassen. Der  hartnäckige  Columban  verfällt  somit  der  weltlichen 
Gewalt.  Die  Zeit  der  Synode  zu  bestimmen,  dafür  liefert 
sowohl  Jonas  als  auch  Columban  selbst  in  seinem  Briefe  An- 
haltspunkte. Da  nämlich  der  Vita  zufolge  das  Unglück  erst 
über  Columban  hereinbricht,  nachdem  er  sich  geweigert,  des 
Königs  uneheliche  Söhne  zu  segnen,    von  Söhnen  Theoderichs 


1)  'quievitque  in  loco  illo,  donec  aditus  ad  Italiam  panderetur' 
(p.  27);  Hertel  (S.  421)  glaubt,  dass  der  Alamannen-Einfall,  von  welchem 
Fredegar    c.  137   berichtet,    die   Sperrung  verursachte.  2)  'Columbanus 

cum  vidisset  .  .  .  devictum  a  Theoderico  Theodebertum,  redacta  Gallia 
atque  Germania  sub  Theoderico,   Italiam  ingreditur'  (p.  28).  3)    'dum 

ille  penes  Mediolanum  urbem  moraretur'  (p.  28).  4)  'expleto  anni   cir- 

culo  in  antedicto  monasterio  Bobiense'  (p.  29).  5)  Worauf  sich  Hertel 

stützt,  um  mit  vollendeter  Sicherheit  zu  behaupten  S.  405.  422,  dass  der 
Tod    Columbans    im   Jahre    615    erfolgt    sei,    weiss   ich  nicht.  6)  Von 

den  Streitpunkten  handelt  eingehend  Hertel  S.  412  ff.  Dass  die  Bischöfe 
gegen  Columban  dem  Hofe  sogleich  zu  Willen  waren,  begründet  Hertel 
treffend  mit  der  Ausnahmestellung  der  irischen  Klöster:  'Die  alte  irische 
Sitte'  sagt  er  S.  416,  'kannte  keine  bischöfliche  Hierarchie,  sondern  das 
Kloster,  welches  die  Bekehrung  begonnen  hatte,  hatte  auch  die  Gewalt 
über  alle  anderen  Klöster';  er  gedenkt  dabei  auch  der  Anfeindungen, 
welche  später  um  desselben  Grundes  willen  Bobbio  von  dem  Bischof  von 
Tortona  zu  erdulden  hatte. 


510  Wilhelm  Gundlach. 

aber  frühestens  nach  der  Geburt  seines  zweiten  Sohnes  zu 
reden  ist,  -welche  Fredegar  im  24.  Capitel  zum  achten  Jahre 
seiner  Herrschaft  (602/603)  berichtet,  so  muss  das  Jahr  602 
als  terminus  a  quo  angesehen  werden.  Der  terminus  ad  quem 
ist  aus  Columbans  eigenen  Worten  zu  entnehmen.  Indem  er 
nämlich  der  Synode  seine  Meinung  über  die  Osterberechnung 
in  derselben  Weise  entwickelt  wie  in  dem  5.  an  Gregor  den 
Grossen  gerichteten  Briefe  und  ausserdem  erwähnt,  dass  er 
darüber  dem  Papste  'tres  tomos'  gesandt  habe,  giebt  er  zu 
verstehen,  dass  der  Papst  Gregor  und  noch  am  Leben  ist: 
weil  nun  Gregor  im  Anfang^  März  des  Jahres  604  gestorben 
ist,  hat  man  die  fragliche  Synode  in  die  Zeit  von  602  bis 
Ende  März  604  zu  setzen.  Noch  genauer  zu  sein  verstattet 
vielleicht  die  Bemerkung  Columbans,  dass  er  gleichfalls  in  der 
Osterfrage  'brevi  hbello'  dem  Bischof  Arigius  gegenüber  sich 
gerechtfertigt  habe;  denn  dieser  Arigius  ist  ohne  Zweifel  der- 
jenige Bischof,  in  dessen  Provinz  die  Klöster  Columbans  lagen, 
der  Bischof  von  Lyon  ',  dessen  Bisthum  die  Jahre  603  bis  614 
umfasst.  Wird  sonach  die  Synode  in  das  Jahr  603  verlegt 
—  demi  die  drei  ersten  Wintermonate  des  Jahres  604  kommen 
schwerlich  in  Betracht  —  dann  stellt  sich  die  Identität  der 
gegen  Columban  vorgehenden  Synode  mit  der  in  Chrdons  sur 
Saone  603  abgehaltenen  mindestens  als  wahrscheinlich  heraus, 
zumal  nach  Fredegars  Bericht  (c.  24)  auch  hier  Aridius  '  von 
Lyon  im  Bunde  mit  der  K(inigin  Brunhilde  handelt,  um  einen 
geistlichen  Würdenträger  des  burgundischen  Reiches,  den  Desi- 
derius  von  Vienne,  seines  Amtes  entsetzen  zu  lassen 3. 


1)  Nicht  der  Bischof  gleiclien  Namens  von  Gap,  auf  welchen  Fleming 
(p.  127)  verfallen  ist.  Uebrigeiis  hat  schon  Krusch  die  richtige  Be- 
stimmung gegeben:  N.  A.  IX,  146.  2)  Das  Schwanken  der  Namens- 
form zwischen  Arigius  und  Aridius  kann  nicht  beirren,  da  z.  B.  bei  Remi- 
gius  und  Remedius  ähnliches  zu  beobachten  ist.  3)  Wenn  Fredegar 
hier  von  Columban  nicht  spricht,  so  beweist  das  nichts  gegen  die  Rich- 
tigkeit der  vorgetragenen  Auffassung;  dagegen  dürfte  es  Beachtung  ver 
dienen,  dass  Jonas  ohne  einen  rechten  Zusammenhang  —  sein  Heiliger 
ist  nämlich  bereits  im  Reiche  Theodeberts  vor  den  Nachstellungen  Theo- 
derichs in  Sicherheit  —  erzählt  (p.  26) :  'Eo  itaque  tempore  Theodericus 
atqne  Brunechildis  non  solum  adversum  Columbannm  insaniebant,  verum 
etiam  et  contra  sanctissimum  Desiderium  Viennensis  urbis  episcopum  ad- 
versabantur,  quem  primum  exilio  damnatum  multis  iniuriis  affligere  nite- 
bantur,  ad  postremum  vero  glorioso  martyrio  coronarunt'.  Dazu  kommt, 
dass  die  Vita  Desiderii  (Acta  SS.  Mai.  V,  253)  denselben  Grund,  welcher 
für  die  Vertreibung  Columbans  entscheidend  war,  auch  bei  Desiderius 
erkennen  lässt;  sie  berichtet  nämlich:  'Veniens  itaque  (Desiderius)  inter- 
rogatur  a  principe  (Theoderico),  si  melius  esset  coniugium  sortiri  quam 
carnis  miseriam  bacchari';  und,  als  der  Heilige  zur  Heirath  räth,  und 
Brunhilde  davon  erfährt:  'protinus  nimio  inflammata  furore  ardenti  con- 
silio    servum    Dei    conatur    occidere'.      Schon    Baillet   und    Hertel   haben 


Ueber  die  Columban-Briefe.  511 

In  engem  Zusammenhang  mit  dem  besprochenen  (2.) 
Briefe  steht  das  1.  Sehreiben,  welches  einem  ungenannten 
Papste  gewidmet  ist.  Columban  übersendet  nämlich  damit  die 
'apices',  in  welchen  er  dem  abgeschiedenen  ('beatae  memoriae') 
Papste  Gregor  dem  Grossen  die  Berechtigung  seiner  Oster- 
berechnung klar  gelegt  hatte ;  er  beschwert  sich  über  das  Urtheil 
der  S}Tiode  und  legt  Berufung  ein  an  den  Papst,  auf  dass  er 
imd  seine  Mönche  —  'laborantes'  nennt  er  sie  —  'cum  iudicio' 
in  Gallien  bleiben  dürfen.  Es  ist  klar,  dass  bei  der  Abfassung 
dieses  Briefes  das  Urtheil  der  Synode  gesprochen  war  und 
vollstreckt  wurde  —  daher  das  'laborare'  —  und  dass  die  Be- 
rufung dem  unmittelbaren  Nachfolger  Gregors  L,  mochte  auch 
Columban  \nelleicht  seinen  Namen  noch  nicht  kennen,  dem 
Papste  Sabinianus  galt,  welcher  schon  im  Februar  606  starb  '^ 
dass  der  Brief  also  in  das  Jahr  604  gehört. 

Aelter  als  diese  beiden  Briefe  ist  der  als  5.  oben  aufge- 
führte, weil  aus  seinem  Inhalt  —  Columban  wünscht  von 
Gregor  I.  ein  Urtheil  in  der  Osterfrage  zu  hören  —  sich  ergiebt, 
dass  damit  vielleicht  zum  ersten  Male  der  Papst  im  Osterstreite 
angegangen  wurde.  Jedenfalls  ist  in  diesem  Briefe  keines  der 
Schriftstücke  zu  erkennen,  welche  von  Columban  in  dem  (2.) 
an  die  Synode  gerichteten  Schreiben  erwähnt  werden:  weder 
die  'tres  tomi',  welche  an  Gregor  gesandt  sind,  noch  der  'tomus 
responsionis',  den  er  der  Synode  einschickte,  nachdem  er  ihn 
drei  Jahre  zuvor  dem  Papst  Gregor  unterbreitet  hatte  2.     Hat 


nach  Krusch  (N.  A.  IX,  146)  die  über  Columban  urtheilende  Synode  mit 
der   in    Chälons    sur    Saone    gleichgesetzt.  1)    Wenn    Hertel    annimmt 

(S.  424),  dass  der  Brief  an  Bonifatius  IV.  gerichtet  ist,  so  scheint  er  hier 
Fleming  ohne  weiteres  zu  folgen;  Fleming  aber  nimmt  (p.  111)  nach 
Baronius  noch  an,  das  Sabinianus,  'quinque  solum  mensibus  et  undevi- 
ginti  diebus  ad  annum  Christi  604  in  pontificatu  vixerit',  'quo  permodici 
temporis  intervallo',  meint  er,  'vix  bene  ad  Columbanum  in  remotissima 
eremo  cum  suis  segregatum  novi  pontificis  faraa  perferri  poterat'.  Die 
Triftigkeit  bat  auch  Krusch  schon  (N.  A.  IX,  147)  der  Begründung  abge- 
sprochen. 2)  In  dem  2.  Briefe  heisst  es  von  dem  'tomus  responsionis': 
'quem  vobis  —  den  auf  der  Synode  versammelten  —  nunc  misi,  licet 
ante  triennium  scriptum';  in  dem  1.  an  Sabinian  gerichteten  Briefe  gedenkt 
Columban  'nostrorum  ad  beatae  memoriae  papam  conscriptorum  Grego- 
rium  olim  apicura  in  subiectis  positorum'  und  redet  dann  davon  noch 
einmal:  'sive  ad  vos,  ut  dixi,  apostolicos  patres,  —  Gregor  und  Sabinian 
—  sive  ad  istos  nostros  vicinos  fratres,  nostros  in  Christo  patres  —  die 
auf  der  Synode  versammelte  gallicanische  Geistlichkeit  —  scripsimus 
istas,  quas  haec  cartula  tibi  commendat,  epistolas'.  Daraus  folgt  mit 
Nothwendigkeit,  dass  die  'epistolae'  gleich  den  'apices'  und  gleich  dem 
'tomus  responsionis'  zu  setzen  sind.  Hertel  dürfte  über  das  Ziel  hinaus- 
schiessen,  indem  er  sich  S.  404  zu  der  Meinung  bekennt,  dass  sowohl 
'tres  torai'  und  die  Briefe  an  Gregor,  als  auch  der  'tomus  responsionis' 
und    der  Brief   an   die  'fratres'  dieselben  sind.      Auch  Krusch  scheint  mir 


512  Wilhelm  Gundlach. 

aber  Columban  schon  drei  Jahre  vor  der  Synode,  d.  h.  im 
Jahre  600  eine  ausführlichere  Schrift  über  die  Osterfrage  ver- 
fasst,  so  muss  der  Brief,  welcher  die,  wie  es  scheint,  erste 
Anfrage  darüber  an  den  Papst  gelangen  lässt,  nothwendig  vor 
600  geschrieben  sein.  Die  Bitte,  welche  Columban  in  dem- 
selben Briefe  dem  Papste  zu  erkennen  giebt,  ihm  den  zweiten 
Theil  seines  Ezechiel-Comraentars  zu  übersenden,  beschränkt 
aber  die  Entstehungszeit  des  Briefes  auf  die  fünf  Jahre  von 
595-600,  wofem  Ewald  (Jaffe-E.,  Reg.  pont.  Rom.  R.  1401) 
das  VorAvort  der  erwähnten  Gregor-Schrift  richtig  dem  Jahre 
596/597  zugewiesen  hat'. 

Wenn  dieser  Brief  in  der  Erzählung  des  Jonas  nicht  unter- 
zubringen ist,  so  deutet  wieder  auf  eine  Stelle  der  Vita  das 
3.  Schreiben  hin,  da  der  vertriebene  Columban  darin  seine  in 
Luxeuil  zurückgelassenen  Mönche  vermahnt  und  ihnen  niittheilt : 
^Nunc  mihi  scribenti  nuncius  superveuit  narrans,  mihi  navem 
parari,  qua  invitus  vehar  in  meam  regionem ;  sed  si  fugero, 
nullus  vetat  custos;  nam  hoc  videntur  velle,  ut  ego  fugiam'. 
Damit  ist  ausgemacht,  dass  der  Brief  in  Nantes  geschrieben 
ist,  kurz  bevor  sich  Columban  seinem  Zwangsgeleite  durch  die 
Flucht  entzog.  Auch  das  Jahr,  in  welches  der  Brief  fällt,  lässt 
sich  sicher  feststellen,  Avenn  man  der  Erzählung  der  Vita  den- 
selben Glauben  schenken  darf,  wie  den  eigenen  Worten  Colum- 
bans.  Da  nämlich  dieser  in  seinem  (2.)  an  die  Synode  gerich- 
teten Schreiben  sagt,  dass  er  nunmehr  —  im  Jahre  603  — 
zwölf  Jahre  in  der  Einöde  lebe,  und  Jonas  berichtet,  dass 
sein  Heiliger  nach  einem  neunzehnjährigen  Aufenthalt  *  im 
Wasgenwalde  vertrieben  worden  sei,  so  muss  Columban  sieben 
Jahre  nach  603,  d.  h.  im  Jahre  610  aus  dem  burgundischen 
Reiche  ausgewiesen  sein  ^.    Die  etwas  lange  Zeit,  welche  zwischen 

zu  irreu,  iadem  er  (N.  A.  IX,  146)  annimmt,  dass  unter  *tres  tomi'  das 
(5.)  an  Gregor  gerichtete  Schreiben  sammt  den  'apices'  und  einem  dritten 
(verlorenen)    zu    verstehen    seien,  1)   Da   sich    Columban    am   Schlüsse 

des  Briefes  auf  eine  'a  sancto  Candido  tuo'  erhaltene  Mittheilung  be- 
zieht, Candidus  aber  als  neu  ernannter  rector  patrimonii  in  Gallien  von 
Gregor  bei  Childebert  II.  und  Brunhilde  durch  die  Briefe  J. -E.  1385 
und  1384  im  September  595  beglaubigt  v?ird,  so  folgt  auch  daraus,  dass 
der  Columban -Brief  nicht  vor  dem  .Jahre  595  entstanden  sein  kann, 
2)  S.  oben  S.  508  Anm.  5.  3)  Hertel  ist  auf  diese  einfachste  Berechnung 
nicht  gekommen ;  er  bezieht  sich  S.  424  allein  auf  die  dreifache  Weissagung, 
welche  Jonas  (p.  21.  23.  24)  seinem  Heiligen  in  den  Mund  legt,  dass 
nach  drei  Jahren  alle  Merowinger- Reiche  unter  Chlothar  vereinigt  sein 
würden:  Hertel  meint,  'dass  ein  Mann,  der  wie  Columba  den  Hof  so 
genau  kannte,  mit  soviel  angesehenen  Männern  in  Berührung  kam,  unschwer 
voraussagen  konnte,  dass  ein  solches  Regiment  (Theodeberts  und  Theo- 
derichs) ohne  Bestand  sein  musste,  dass  Jonas  aber  die  Zeitangabe  hin- 
zugesetzt haben  möchte,'  Da  nun  613  Chlothar  in  der  That  der  Herr 
des  gesammten  Galliens  wurde,  so  sei  daraus  zu  schliessen,  dass  Jonas 
die  Ausweisung  Columbans  in  das  Jahr  610  setzte. 


lieber  die   Columban-Briefe.  513 

dem  Urtheil  der  Synode  und  der  endlichen  Vollstreckung  liegt, 
dürfte  dabei  durch  die  Gefangenschaft  Oolumbans  in  Besangon, 
deren  Dauer  uns  Jonas  verschweigt,  ausgefüllt  werdend 

Durch  die  Vita  Columbani  wird  für  den  4.  Brief,  welcher 
dem  Papst  Bonifatius  IV.  gilt,  wenigstens  der  terminus  a  quo 
gewonnen.  Da  Columban  nämlich  zu  verstehen  giebt,  dass  er 
auf  Veranlassung  des  Langobarden-Königs  Agilulf  und  seiner 
Gemahlin  schreibe,  so  muss  das  nach  der  Vernichtung  Theo- 
deberts  durch  Theoderich  2,  wodurch  die  Uebersiedelung  Oolum- 
bans nach  Italien  veranlasst  wurde ',  d.  h.  nach  dem  Jahre 
612  stattgefunden  haben:  ob  noch  in  diesem  Jahre  oder  einem 
der  nächsten,  ist  darum  nicht  zu  entscheiden,  weil  wir  nicht 
wissen,  ob  Columban  den  Brief  von  dem  Hoflager  Agilulfs 
oder  von  Bobbio  aus  schrieb*,  und  ob,  wäre  das  erstere  auch 
der  Fall,  Columban  sich  nach  seiner  Ankunft  in  Italien  ein 
Jahr  oder  längere  oder  kürzere  Zeit  bei  Agilulf  aufgehalten 
hat;  aber  über  615  den  Brief  hinauszurücken,  geht  darum 
nicht  an,  weil  der  Empfänger  in  diesem  Jahre  starb. 

Noch  weniger  scharf  begrenzbar  ist  die  Entstellungszeit 
des  6.  wahrscheinlich  gleichfalls  an  Bonifatius  IV.  gerichteten 
und  darum  vor  615  geschi'iebenen  Briefes,  wenngleich  auch 
die  ruhigere  Auffassung  der  Osterfrage  für  ein  höheres  Alter 
des  Verfassers,  für  eine  Abfassung  in  Italien  spricht. 

Das  Ermahnungsschreiben  endlich,  welches  als  7.  oben 
verzeichnet  worden  ist,  bietet  keine  Handhabe,  um  das  Datum 
zu  ermitteln.  Man  wird  sich  hier  mit  der  allgemeinen  Er- 
wägung begnügen  müssen,  dass  Columban  erst  in  reiferem 
Alter,  also  wohl  nicht,  so  lange  er  in  Irland  weilte,  einen  Schüler 
haben  mochte,  welcher  die  in  dem  Briefe  enthaltenen  Ermah- 
nungen verstand. 

Die  sieben  prosaischen  Briefe  sind  also  nach  ihrer  Ent- 
stehungszeit also  zu  ordnen:  5  (595—600),  2  (603),  1  (604), 
3  (610),  4  (612-615),  6  (c.  612-615),  7  (c.  590— c.  615). 


1)  Die  unbestimmten  Zeitangaben  der  Vita,  welche  ich  oben  in  den 
Anmerkungen  mit  Fleiss  hervorgekehrt  habe,  gewähren  keinerlei  Anhalt. 
2)  Man  kann  die  Worte  Columbans:  'Ecee  conturbantur  gentes,  inclinan- 
tur  regna',  wenn  sie  auch,  was  bisher  noch  nicht  erkannt  ist,  sich  an  eine 
Bibelstelle  (Ps.  XLV,  7:  'Conturbatae  sunt  gentes  et  inclinata  sunt  regna') 
anlehnen,  wie  schon  Hertel  S.  424  gethan  hat,  auf  die  Umwälzungen  be- 
ziehen, welche  mit  der  Vereinigung  aller  Merowinger-Reiche  in  der  Hand 
Chlothars  II.   endeten.  3j  Vgl.   oben  S.  509  Anm.  2.  4)    Dass  der 

Brief  geschrieben  sei,  'während  Columban  am  Hofe  Agilulfs  weilte',  wie 
Hertel  S.  424  meint,  ist  aus  dem  Auftrag  des  Königs  nicht  zu  erschliessen; 
denn  auch  in  Bobbio  hat  Columban  schwerlich  jede  Verbindung  mit  dem 
Langobardischen  Königshofe  abgebrochen. 


514  Wilhelm  Gundlach. 

II. 

Die  poetischen  Briefe. 

Die  vier  poetischen  unter  dem  Namen  Columbans  gehen- 
den Briefe,  welche  Goldast  in  seinem  Buche  Paraeneticorum 
veterum  pars  I  (p.  47.  48.  52.  146 1)  im  Jahre  1604  zuerst 
vollständig  veröffentlicht  hat: 

1.  an  Hunaldus:  'Casibus  innumeris', 

2.  an  Setlms:  'Suscipe  Sethe'^, 

3.  an  Fedolius:  'Accipe  quaeso'. 

4.  an  einen  jungen  Freund:  'Mundus  iste'' 

sind  besser  überliefert  als  die  prosaischen  Schreiben.  Die 
Berliner  Handschrift  Diez  B.  Sant.  66,  welche  dem  Ausgang 
des  achten  Jahrhunderts  angehört*,  enthidt  nämlich  (p.  277), 
freilich  in  verkürzter  Fassung  den  3.  Brief;   in  der  Züricher 


1)  Der  4.  poetische  Brief  ist,  wie  der  Satz  beweist,  von  Goldast  und 
Gallandi  (Bibl.  vet.  patr.  XII,  356)  gar  nicht  als  Gedicht  erkannt  worden; 
für  die  Art,  wie  die  Patrologia  latina  von  Migne  zusammengestellt  ist, 
dürfte  es  bezeichnend  sein,  dass  (tom.  LXXX)  col.  283  der  Brief  als 
Prosastück  und  zehn  Spalten  danach  als  Dichtung  abgedruckt  ist.  2)  Die 
Annahme,  dass  der  2.  Brief  auch  an  Hunald  gerichtet  ist  —  und  das  ist 
in  dem  ältesten  mir  bekannten  Drucke :  G.  Fabricius,  Poetarnm  vet.  eccl. 
opp.  (Basileae  1562)  p.  779  und  bei  Canisius  Lect.  ant.  App.  I,  p.  10  der 
Fall  und  vielleicht  auf  eine  Ueberlieferungsform,  welche  den  1.  und  2. 
Brief  zu  einem  einzigen  Stücke  vereinigt,  zurückzuführen,  wie  sie  bei 
Sirmond  (Eugenii  Toletani  episcopi  opuscula:  Opera  Sirmondi  II,  655) 
ersichtlich  ist  —  weist  Hertel  S.  428  mit,  wie  mir  scheint,  triftigen 
Gründen    als    fehlerhaft    zurück.  3)    Auf  die    anderen    dem   Columban 

zugeschriebenen  Gedichte:  ein  Epigramm  'In  mulieres'  (Goldast  p.  59)  und 
eine  als  'Monosticha'  bezeichnete  Sprüchwörter-Sammlung  (ibid.),  wozu 
Ernst  Dümmler  noch  ein  Rnderlied  hinzugefügt  hat  (N.  A.  VI,  191)  gehe 
ich  nur  soweit  ein,  als  es  die  Besprechung  der  Briefe  erfordert.  Was 
insbesondere  das  letztere  betriflft,  welches  von  Wilhelm  Meyer  in  einer 
Leydener  Handschrift  des  zehnten  Jahrhunderts  entdeckt  worden  ist,  so 
liegt  es  allerdings  sehr  nahe,  die  Ueberschrift  '-banus',  wie  schon  Meyer 
wollte,  in  'Columbanus'  zu  vervollständigen.  Die  Meinung,  dass  dieser 
Columban  der  Stifter  der  Klöster  Luxeuil  und  Bobbio  sei,  wird,  wie  Dümmler 
geltend  gemacht  hat,  dadurch  gestützt,  dass  in  der  Berliner  Handschrift 
der  Brief  an  Fedolius  einem  ähnlichen  Liede  unmittelbar  voraufgeht,  und 
wie  in  den  anderen  Gedichten  Columbans  Horaz,  so  hier  Vergil  benutzt 
ist.  Die  letzte  Beobachtung  gewinnt  noch  an  Werth,  weil  auch  in  den 
übrigen  poetischen  Columban-Briefen,  wie  ich  nachgewiesen  zu  haben 
glaube,  Vergil  weit  ausgiebiger  nachgeahmt  ist,  als  man  den  Nachwei- 
sungen Goldasts  zufolge  bisher  angenommen  hatte.  Endlich  ist  die  Mög- 
lichkeit, dass  der  bekannte  Columban  der  Verfasser  ist,  geradezu,  worauf 
ich  noch  zurückkomme,  von  dem  Biographen  des  Heiligen  durch  die  An- 
gabe bezeugt,  dass  Columban  in  jüngeren  Jahren  sangbare  Weisen  gedichtet 
habe.  Berührungen  in  der  Form  mit  den  anderen  von  Columban  über- 
lieferten poetischen  und  prosaischen  Stücken  sind  leider  nicht  vorhanden. 
4)  Vgl.  über  die  Handschrift  Dümmler  MG.  Poetae  lat.  I,  32. 


lieber  die  Columban-Briefe.  515 

Handschrift  C.  78.  451,  welche  am  Ende  des  neunten  oder 
Anfang  des  zehnten  Jahrhunderts  geschrieben  ist,  findet  sich 
(fol.  159)  der  4.  Brief  > ;  die  Sanct-Galler  Handschriften  273  aus 
dem  neunten  (p.  38.  39.  45)  und  899  aus  dem  zehnten  Jahr- 
hundert (p.  109.  109.  111)2  und  die  Pariser  Handschrift  8303 

1)  lieber  diese  Handschrift  s.  Orelli,  Helperici  sive  ut  alii  arbitran- 
tur  Angilberti  Karolus  M.  et  Leo  papa  p.  2 — 6;  die  Vergleichung'  des 
Briefes  verdanke  icli  der  Freundlichkeit  des  Herrn  Professors  G.  Meyer 
von  Knonau  in  Zürich.  —  Goldast  hat  den  4.  Brief  nach  zwei  Hand- 
schriften herausg-egeben ;  denn  er  bemerkt  p.  153.  154:  'Vidimus  duo  epi- 
stolae  huius  exempla,  utrumque  in  nostri  bibliotheca  monasterii  —  sc. 
Sancti  Galli  — :  unum  bene  antiquum,  sed  av6vv\iov,  alterum  haud  magis 
vetustatis  expers,  at  eo  praestabilius,  quod  suo  nobis  indice  auctorem 
ostendat.  Cetera  tarn  videas  inter  se  congruere  concorditer,  ut  alterum 
ex  altero  descriptum  videatur'.  Dass  eine  dieser  in  St.  Gallen  nicht  mehr 
vorhandenen  Handschriften  die  Züricher  ist,  dürfte  eine  Vergleichung  des 
von  beiden  überlieferten  Wortlautes  lehren.  Bei  Goldast  (G)  und  in  der 
Züricher  Handschrift  (Z)  ist  zuvörderst  die  Fassung  an  einigen  Stellen 
ebenmässig  verderbt;  so  heisst  es  z.B.  (45)  'Omnis  enim  caro  foenum', 
wo  der  Rythmus  est  statt  enim  erfordert,  und  (105.  106)  *Ubi  aula  regia 
.  .  .  caelestis  pascitur':  die  beiden  letzten  Worte  sind  in  diesem 
Zusammenhange  unverständlich  und  nichts  als  eine  fehlerhafte  Wieder- 
holung des  102.  Verses:  'Plebs  caelestis  pascitur'.  Bei  dem  weitergehen- 
den Versuche,  mit  Hülfe  des  von  G.  gebotenen  Apparates  zu  ermitteln, 
ob  die  ältere  oder  jüngere  der  ehedem  St.  Galler  Handschriften  Z  ist, 
hat  man  vor  allem  die  geringe  Sorgfalt  in  Anschlag  zu  bringen,  mit  welcher 
G.  seinen  Druck  eingerichtet  hat;  so  liest  man  (38)  'Quid  postea  obitum 
restat'  und  (63)  'Quas  mors  ingreditur',  während  schon  der  Rythmus 
'poet'  und  'Per  quas'  erheischt,  und  (97,  98)  'Ubi  laudes  (laudis?) 
Domini  NuUa  vox  retinet',  während  Rythmus  und  Reim  'retinetur' 
nöthig  machen,  und  zu  54  vermisst  man,  ohne  dass  G.  eine  Lücke  ange- 
merkt hätte,  den  auf  das  Schlusswort  'delabitur'  passenden  Reim.  Wenn 
nun  Z  die  angegebenen  Berichtigungen  des  38.  63.  98.  Verses  enthält 
und  auch  zu  dem  54.  den  reimenden  Vers  ('Omnis  decor  pristinus  Cum 
dolore  eraditur')  bringt,  G.  aber  davon  nichts  sagt,  so  möchte  aus  diesem 
Schweigen  nicht  zu  folgern  sein,  dass  er  Z  nicht  vor  sich  gehabt  haben 
kann;  denn  die  fünf  Abweichungen  von  seinem  Texte,  welche  er  p.  153 
— 156  überhaupt  seinem  'alter  ms.'  zuschreibt,  treffen  genau  auf  Z  zu: 
Z  hat  (26)  'conantur'  statt  'conantes',  (33)  'regnant'  statt  'regnent',  (34) 
'Iftentur'  statt  'laetantur',  (61)  'Cavete  filioli'  statt  'Caveto  filiole'  und 
(112)  'Metu  consumptura'  statt  'Metus  consumpturus'.  Die  unzulängliche 
Bezeichnung  'alter  ms.'  lässt  nun  freilich  allein  nicht  erkennen,  ob  damit 
die  ältere  oder  die  jüngere  Hs.  gemeint  ist;  da  aber  G.  ausdrücklich 
angiebt,  dass  seine  ältere  Hs.  im  Gegensatz  zu  der  andern  den  Columban  in 
der  Ueberschrift  nicht  als  Urheber  nennt,  und  an  dieser  Eigenschaft  auch  Z 
Theil  hat,  so  ist  darin  ihre  Identität  mit  der  älteren  ehemals  St.  Galler  Hs. 
gegeben.  2)  Vgl.  (Scherrer)  Verz.  der  Handschriften  der  Stiftsbibl.  in 
St.  Gallen  S.  103.  315.  Beide  Handschriften  sind  in  Berlin  von  mir  verglichen 
worden.  —  Da  Goldast  (p.  89)  zu  dem  39.  Verse  des  3.  Briefes  über  das 
Adjectivum  des  Ausdrucks  'aurea  pellis' bemerkt:  'Intribuslibrismanuscrip- 
tis  constantissime  legebatur  ariete;  quod  ab  sciolo  correctore  est,  ne  igno- 
jasse  videretur,  pellem  fuisse  arietis',  eo  dürfte  er  noch  zwei  Handschriften 


516  Wilhelm  Gundlach. 

gleichfalls  aus  dem  zehnten  Jahrhundert  (fol.  18 — 20') »  über- 
liefern die  drei  ersten  Briefe,  und  die  Münchener  Handschriften 
6404  (Fris.  204)  aus  dem  zehnten  (fol.  50)  und  17208  (Schefl. 
208)  aus  dem  zwölften  Jahi'hundert  ^  (fol.  69)  "wie  die  Wiener 
Handschrift  806  auch  aus  dem  zwölften  Jahrhundert  (fol.  55)» 
die  ersten  beiden  Briefe-*.  Wenn  nun  auch  der  Inhalt  der 
Briefe  zu  Bemerkungen  keinen  Anlass  bietet  —  die  Vergäng- 
lichkeit dieser  Welt  zu  beherzigen  und  ewiger  Seligkeit  nach- 
zustreben, mahnt  überall  der,  ^v^e  es  scheint,  hochbetagte 
Columban ;  denn  wenigstens  in  dem  dritten  Briefe  erwähnt  er, 
dass  er,  von  Krankheit  bedrückt,  zwei  und  siebzig  Jahre  alt 
sei*  — ,  so  darf  doch  nicht  unerörtet  bleiben,  ob  denn  wirklich 
der  Verfasser  der  prosaischen  Briefe  auch  die  poetischen 
gedichtet  haben  kann,  weil  in  jüngster  Zeit  Hertel  diese  Mög- 
lichkeit in  Abrede  gestellt  hat. 

Indem  Hertel  den  4.  Brief,  welchen  er  S.  430  'Hymnus 
sancti  Columbani  de  vanitate  et  miseria  vitae  mortalis'  nennt, 
von  den  anderen  absondert  und  es  unentschieden  lässt,  ob 
Columban  der  Verfasser  ist«,  macht  er  geltend,  dass  die  drei 
Briefe,  wozu  er  gleich  das  Epigramm  auf  die  Frauen  und 
die  Monosticha  hinzunimmt,  wegen  gleichartiger  Wendungen 
zusammengehören ' ;   er   urtheilt  weiter  S.  429 :    'Die  in  diesen 


mehr,  als  jetzt  vou  dem  Briefe  in  St.  Gallen  bewahrt  werden,  benutzt 
haben;  denn  nur  die  ältere  der  noch  vorhandenen  St.  Gallcr  Handschriften 
hat  'ariete'.  1)  Herr  Professor  H.  Sucliier  aus  Halle,  zur  Zeit  in  Paris, 

war  so  gütig",  für  mich   die  Handschrift  zu  vergleichen.  2)   S.  Catalog. 

codd.  latiu.  Libl.  reg.  Monac.  I,  3,  p.  105,  II,  3,  p.  87.  Die  Vergleichung 
der  beiden  Handschriften  hat  mir  Herr  Dr.  H.  Simonsfeld  in  München 
geliefert.  3)    S.   darüber  Denis,    Codd.   manuscr.   theologici  bibl.  palat. 

Vindobon.  I,  1  col.  986  und  Huemer  in  v.  Hartel-Schenkls  Wiener  Studien 
VI,  324.  Die  Handsclirift  hat  mir  Herr  Dr.  S.  Herzberg-Fränkel  in 
Wien    verglichen.  4)    Jüngerer  Handschriften    habe    ich    geglaubt  ent- 

rathen  zu  können.  5)  Dieser  Umstand  veranlasst  mich,  da  wenigstens 

die  ersten  drei  Gedichte  inhaltlich  zusammengehören  und  auch  in  den 
St.  Galler  Handschriften  und  der  Pariser  zusammen  überliefert  sind,  zu 
der  Vermuthung,  dass  Columban  die  uns  erhaltenen  poetischen  Briefe  in 
höherem  Alter  erst  in  Italien  verfasst  habe.  6)  Vielleicht  hat  ihn  dazu 

die  Wahrnehmung  vermocht,  'dass  weder  der  Reim  genau,  noch  überhaupt 
eine  andere  metrische  Regel  beobachtet  ist.'  7)  Wenn  Hertel  S.  428 
von  dem  2.  Briefe  mit  Beziehung  auf  den  1.  sagt,  dass  'sich  hier  die- 
selben Wendungen  fast  wörtlich  wiederholen',  so  dürfte  in  der  That  1,  3 
'Labitur  in  Senium  momentis  omnibus  aetas'  mit  2,  7  'momentis 
labitur  aetas'  (vgl.  Ovid.  Art.  amat.  III,  65),  1,  7  'caecaque  cupi- 
dine  pectus'  mit  2,45  'caecaque  cupidine  rerum'  (vgl.  Horat. 
1.  Epist.  I,  33  und  luvenal.  Sat.  X,  351)  und  wohl  auch  1,  2  'Omnia  prae- 
tereunt'  mit  2,  72  'Omnia  cum  redeunt'  (vgl.  Riese,  Antholog.  lat.  pars 
prior,  II  p.  138  oder  Baehrens,  Poetae  lat.  min.  V,  350)  zu  vergleichen 
sein.  Die  Folgerung  hinsichtlich  des  3.  Briefes  (ebenda):  'In  den  sechs 
Hexametern,    die    den  Brief  schliessen,   finden   sich    wieder  Anklänge   an 


Ueber  die  Columban-Briefe.  517 

poetischen  Werken  ausgesprochene  Lebensanschauung  ist  viel 
freier,  als  in  den  anderen  Columbaischen  Schriften,  und  auch 
die  Sprache  ist  reiner  und  klarer',  und  erläutert  die  sprach- 
liche Besonderheit  der  poetischen  Schriften  durch  die  Bemer- 
kung S.  430:  'Den  von  den  übrigen  Schriften  abweichenden 
Charakter  dieser  Gedichte  ersieht  man  daraus,  dass  in  jenen  nur 

die  beiden  vorigen  Briefe,  sodass  auch  dieser  demselben  Verfasser  ange- 
hören wird',  ist  aber  ungenügend  begründet,  denn  aus  den  sechs  Schluss- 
Hexametern  lässt  sich  kaum  etwas  anderes  als  Vers  164  'Omnia  prae- 
t ereunt'  beibringen  und  mit  1,  2  'Omnia  praetereunt'  belegen.  Hertel 
scheint  übersehen  zu  haben,  dass  das  eigentliche  in  Adoneischem  Vers- 
mass    gehaltene    Gedicht    eine    ganze  Anzahl    von    Berührungen    mit    dem 

2.  und  eine  auch  mit  dein  1.  ergießt:  man  beachte  3,21  'quod  avarus 
Semper  egendo  Congregat'  und  2,  37  'Semper  avarus  eget' 
(Horat.  1.  Epist.  II,  56);  3,  76  'Haec  reserari  Munere  certo  Nigra 
feruntur  Limina  Ditis'  und  2,55  'Divitibus  nigri  reseranturliniina 
Ditis  (vgl.  Verg.  Aen.  VII,  613  und  Ovid.  Met.  IV,  438);  3,90  'Desine, 
quaeso,  Nunc  animosos  Pascere  pingui  Farre  caballos'  und  2,49 
'Pasc  er  e  non  pingui  procurat  fruge  cavallos*  (vgl.  Horat.  1,  Sat. 
VI,  103  und  Verg.  Aen.  VI,  654);  3,94  'Lucraque  lucris  Accumn- 
lan  d  o  Desine  nummis  Addere  nummos'  und  2,40  'nummos  abscon- 
dit  in  arca  Divitias  cumulans'  in  Verbindung  mit  2,47  'Non  lucri 
ciipiflus  nummis  marsuppia  replet'  (vgl.  Horat.  1.  Sat.  I,  67  und  2.  Sat. 
111,109);  3,104  'Haec  s  ap  ie  nti  Dispicienda  Qui  fugitivae  Atque 
caducae  Cernere  debet  Tempora  vitae'  und  2,  8  'Di  spiee  quae 
pereunt  fugitivae  gaudia  vitae'  zusammen  mit  2,  18  'Ultima  iam 
sapiens  meditatur  tempora  vitae'  (vgl.  Verg.  Aen.  XI,  180  und  Fortun. 
Carm.  IV,  26,1);  zwischen  dem  3.  und  1.  Briefe  kann  als  Bindemittel 
betrachtet    werden,    dass    in    den    Worten,    welche    den    ersten    Theil    des 

3.  Briefes  schliessen  3,110  'Sufficit  autem  Ista  loquaci  Nunc  cecinisse 
Carmina  versu'  das  Wort  'loquax'  erscheint,  welches  der  nur  siebzehn 
Verse  lange  1.  Brief  gleichfalls  am  Schlüsse  hat  1,  16:  'Da  veniam  dictis, 
fuimus  fortasse  loquaces'.  —  'Die  Wiederkehr  derselben  Verse  und 
Redensarten',  welche  den  Zusammenhang  der  Monosticha  mit  den  drei 
Briefen  bezeugt,  belegt  Hertel  nur  mit  den  beiden,  allerdings  schlagend- 
sten Beispielen:  M  7  'Vive  Deo  fidens  Christi  praecepta  secu- 
tus'  und  2,  5  'Vive  Deo  fidens  Christi  praecepta  sequendo'  und 
M8  'S  int  tibi  divitiae  divinae  dogmata  legis',  was  buchstäblich  so 
in  2,11  erscheint.  Die  Belege  lassen  sich  aber  noch  vermehren;  so 
dürften  M86  'Pauperibus  iustis  caelestis  gloria  restat'  und  2,56 
'Pa  u  p  eri  b  u  s  qu  e  piis  caelestia  regna  patescuut'  einander  entsprechen, 
ferner  wenigstens  Anklänge  wahrzunehmen  sein  in  M  130  'Semper  ava- 
rus amat'  und  2,37  'Semper  avarus  eget',  in  M  159  'Dum  tibi  vita 
viget'  und  2,6  'Dum  modo  vita  manet'  (vgl.  Verg.  Aen.  V.  724;  VI, 
608,  661);  und  dem  Sinne  nach  ist  verwandt  M  145  'Nee  redit  unda 
fluens,  nostrum  nee  tempus  in  annis'  mit  2,  72  'Omnia  cum  redeunt, 
homini  sua  non  redit  aetas'.  In  M5  'Atque  Deo  Christo  socius  sine 
fine  videri'  möchte  eine  Berührung  mit  3,  156  '(Christus)  Qui  sine  fine 
(regnat)'  (vgl.  Verg.  Aen.  I,  279)  statthaben.  —  Zwischen  den  drei  Briefen 
und  den  Monosticha  einerseits  und  dem  Epigramm  auf  die  Frauen  ande- 
rerseits weiss  Hertel  keinerlei  Beziehung  in  der  Form  aufzuzeigen;  ich 
auch    nicht. 

Neues  Archiv  etc.     XV  34 


518  Wilhelm  Gundlach. 

Kirchenväter,  nicht  andere  citiert  werden ;  hier  ist  es  umgekehrt' '. 
Es  ist  klar,  dass  nun.  nachdem  die  poetischen  Schriften,  welche 
dem  Columban  angehören  sollen,  als  ein  Ganzes  gekennzeichnet 
sind,  die  Bemerkungen  über  einzelne  Stücke  eine  auf  alle  sich 
erstreckende  Wirkung  haben;  so  kehrt  Hertel  hervor,  dass 
die  im  1.  und  2.  Briefe  gebrauchte  Namensform  'Columbanus' 
niemals  von  Columba,  wie  Hertel  den  Heiligen  nach  den  Auf- 
schritten der  Prosabriefe  stets  nennt,  auf  sich  selbst  angewandt 
worden  sei;  dass  der  3.  in  Adoneischen  Versen  gedichtete 
Brief  nichts  ist  als  eine  Spielerei,  wie  sie  dem  ernsten  Sinne 
Columbans  nicht  zuzutrauen  ist;  dass  die  beiden  Distichen, 
aus  welchen  das  Epigramm  auf  die  Frauen  besteht,  ein  Compli- 
ment  für  die  Frauen  enthalten,  wie  es  von  Columba,  der  schon 
das  blosse  Sprechen  mit  einem  Weibe  streng  bestrafte,  sich 
nicht  erwarten  lässt:  'Der  Frauen  Zunge  ist  das  stärkste  Gift 
und  daher  zu  fliehen;  die  Frauen  zerstören  das  erworbene 
Glück,  aber  sie  verschönern  das  Leben';  dass  endlich  gegen 
die  Verfasserschaft  Columbans  in  der  Freisinger  Handschrift 
die  Monosticha  überschrieben  sind:  'Libellus  cuiusdam  sapien- 
tis  et,  ut  fertur,  beati  Columbani',  'eine  Angabe',  meint  Hertel, 
'die  gewiss  zu  kritischen  Bedenken  anregen  muss'.  Unter 
diesen  Umständen  hält  es  Hertel  für  wahrscheinlich,  'dass, 
wie  Delrius  annimmt,  diese  Werke  dem  Aldhelm  angehören '•, 
dessen  beide  Gedichte  'de  laude  virginum'  und  'de  octo  vitiis 
principalibus'  in  dem  Manuscript  gleich  auf  die  Monosticha 
folgen  ;  er  widerlegt  schliesslich  noch  einen  Beweisgrund 
Knottenbelts',  welcher  die  poetischen  Briefe  wirklich  von 
Columban  verfasst  sein  lässt,  weil  Jonas  (p.  9)  von  dem  jugend- 
lichen Columban  sagt:  'multaque  alia  quae  vel  ad  cantum 
digna  vel  ad  docendum  utilia  condidit  dicta'  —  er  widerlegt 
das  mit  den  Worten:  'Nun  passt  aber  das  Epigramm  und  der 
Brief  an  Fedolius  in  keine  der  beiden  Kategorien,  und  ausser- 
dem sagt  ja  der  Verfasser  in  dem  letzteren,  er  sei  zweiund- 
siebzig Jahre  alt.  Wir  erfahren  aber  nur,  dass  Columba  in 
der  Jugend  dergleichen  schrieb;  nachher  hatte  er  wichtigere 
Sachen  zu  thun'. 

Um  mit  der  letzten  Ausführung  Hertels  zu  beginnen,  so 
scheint  mir  die  ausdrückliche  Angabe  der  Vita:  Columban 
habe  sangbare  und  lehrhafte  Gedichte  verfasst,  das  will- 
kommenste Zeugnis  zu  sein  für  die  Meinung,   welche  die  vier 


1)  Hertel  merkt  zu  den  drei  Briefen  an,  dass  Horaz  in  ihnen  benatzt 
ist.  2)  Bahr  (Gesch.  der  röm.  Litt.  I,  Suppl.  S.  80)  hat  sie  dem  Alknin 
beigelegt,  'wozu  ihn  wohl',  was  Hertel  S.  429  vermuthet,  'die  vielfache 
Benutzung    des    Horaz    geführt  haben    mag'.  3)    Disputatio    historico- 

theologica  de   Columbano  (Lugd.   Batav.    1839)   p.  12. 


Ueber  die  Columban-Briefe.  519 

in  Rede  stehenden  Briefe  dem  Heiligen  beilegt  ^  Die  Auf- 
fassung Hertels:  'dass  Columba  nur  in  der  Jugend  dergleichen 
schrieb;  nachher  hatte  er  wichtigere  Sachen  zu  thun',  kann 
dabei  nicht  im  mindesten  stören;  denn  das  immer  heikle 
argumentum  ex  silentio,  dessen  Hertel  sich  hier  bedient,  kann 
sofort  in  seiner  Haltlosigkeit  dadurch  aufgedeckt  werden,  dass 
man  dem  wissenden  Gegner  die  Frage  vorlegt:  Hatte  Colum- 
ban  in  Wirklichkeit  später  wichtigeres  zu  thun,  oder  hatte 
nur  sein  Biograph  über  dem  Berichte  der  ihn  werthvoll 
dünkenden  Wunder  keine  Zeit,  auch  auf  eine  unbedeutende 
wissenschaftliche  Liebhaberei  seines  Helden  einzugehen  ? 

Was  die  Verfasserschaft  Aldhelms  anlangt,  an  welche  der 
Jesuit  Delrius  gedacht  hat,  so  ist  diese  Möglichkeit  schon  von 
Canisius  widerlegt  worden.  Delrius,  welcher  die  Monosticha 
herausgegeben  hatte,  ohne  in  seiner  Handschrift  über  den  Ver- 
fasser eine  Andeutung  zu  finden,  ist  auf  Aldhelm  einzig  des- 
halb verfallen,  weil  dieser  auch  von  'octo  vitia  statt  von  den 
landläufigen  sieben  handelt,  und  unter  den  Monosticha  die  24. 
Zeile  lautet:  'Octenas  studeas  vitiorum  vincere  turmas'. 
Canisius  macht  mit  Recht  darauf  aufmerksam,  dass  die  Zahl 
acht  der  'vitia'  gar  keine  Besonderheit  des  Aldhelm  ist,  dass 
z.  B.  auch  Theodulf  von  Orleans  von  achten  spricht;  er  hätte 
hinzufügen  können,  dass  selbst  unter  den  prosaischen  Stücken 
Columbans  eines  sich  findet,  welches:  'De  octo  vitiis  prin- 
cipalibus'  überschrieben  ist. 

Weiter  beweist  die  Ueberschrift  der  Monosticha  in  der 
Freisinger  Handschrift:  'Libellus  cuiusdam  sapientis  et,  ut 
fertur,  beati  Columbani'  nichts  gegen  Columban  als  den  Urheber; 
sie  zeigt  nicht  einmal,  wäre  sie  auch  auf  einen  Schreiber 
zurückzuführen,  bei  diesem  Schreiber  mit  Sicherheit  'kritische 
Bedenken;  denn  schon  von  ihm  könnte  ja  der  Libellus  erst 
als  'cuiusdam  sapientis'  bezeichnet  und  dann  auf  die  Kunde, 
dass  in  anderen  Handschriften  die  Monosticha  unter  dem  Namen 
Columbans  überliefert  würden,  lediglich  diese  Erfahrung  durch 
den  Zusatz  'et,  ut  fertur,  beati  Columbani'  zum  Ausdruck 
gebracht  worden  sein  2. 


1)  Stützend  kommt  hinzu,  was  Jonas  über  den  Bildungsgang-  seines 
Helden  erzählt  (p.  8):  'in  pueritiae  aetate  pubescens  liberalium  litterarum 
doctrinis  et  graramaticorum  studiis  ingenio  capaei  dare  operam  coepit' 
und  (ibid.)  'quem  potissimo  ingenio  desudaverat  in  grammatica,  rhetorica, 
geometrica    vel    divinarum    scripturarum    serie'.  2)    Eine  genauere  Be- 

kanntschaft mit  dieser  Sprüchwörter-Sammlung  hat  uns  Ernst  Dümmler 
dadurch  vermittelt,  dass  er  im  ersten  Bande  der  Poetae  latini  p.  275 — 281 
nach  acht  Handschriften  des  neunten,  zehnten  und  elften  Jahrhunderts 
die  Monosticha  herausgegeben  hat:  sie  haben  hier  unter  den  Gedichten 
Alkuins  eine  Stelle  gefunden,  weil  Dümmler  sie  zunächst  zwar  mit  Frobenius 
als  eine  untergeschobene  Alkuin-Sehrift  betrachtet"  (N.  A.  IV,   138),   dann 

34* 


520  Wilhelm  Gundlach. 

Dass  ferner  das  Epigramm  auf  die  Frauen,  bei  welchem 
der  Name   Columbans  nirgends  genannt  ist,    den  gestrengen 

aber  (Poetae  lat.  I,  164)  sie  dem  Alkuin  zuschrieb  auf  das  Zeugnis  des 
Servatus  Lupus  hin,  welcher  in  seinem  zwanzigsten  Briefe  die  88,  Zeile 
der  Monosticha  mit  den  Worten  einführt:  'In  versibus  moralibus,  quos 
Alcuinus  dicitur  edidisse,  statera  sie  posita  est'  (Opp.  ed.  Baluze  p.  40). 
Mit  dieser  Auffassung  war  die  Beobachtung  wohl  zu  vereinen,  dass  die 
Sprüche  der  Monosticha  auch  in  anderen  Alkuin-Schriften  häutig  begegnen 
(vgl.  Poetae  lat.  I,  165,  II,  157  und  die  Nachweisungen  zu  den  Versen 
10.  17.  (26).  19.  22.  60.  107.  146.  154);  und  die  Berührungen,  welche 
zwischen  den  Monosticha  und  den  poetischen  Columban-Briefen  (vgl.  oben 
S.  517  Anm. )  zu  erkennen  waren,  Hessen  sich  durch  die  Annahme  er- 
klären, dass  Alkuin  diese  Briefe  gekannt  habe  (N.  A.  VI,  191).  Gegen 
die  Verfasserschaft  Alkuins  sprach  sich  dann  Rudolf  Peiper  in  der  Vor- 
rede zu  den  Werken  des  Avitus  aus  (Auct.  antiq.  VI,  2),  indem  er 
p.  LIII  sich  zu  der  Ueberzeugung  bekannte :  'Columbani  sine  dubio  fuerunt 
praecepta  vivendi  sive  monosticlia'.  Um  seine  Meinung  zu  begründen, 
erklärte  er  es,  wie  die  Monosticha  zu  dem  Namen  des  Alkuin  gekommen 
sind.  Er  führte  p.  LXXII  eine  auf  die  Monosticha  ('quae  utique  ab  .  .  . 
Alcimi  .  .  .  ingenio  prorsus  abhorrebant')  zu  beziehende  Aeusserung 
Notkers  des  Stammlers  an:  'Alcwinus  (Alcimus)  vero  nomine  Avitus 
.  .  .  librum  .  .  .  descripsit  ...  de  institutione  mortaliuni  (moralium)', 
und  sah  die  Angabe:  Avitus  sei  der  Verfasser,  darin  begründet,  diiss  in 
den  St.  Galler  Handschriften  unmittelbar  vor  den  Monosticha  die  Gedichte 
des  Avitus  stehen.  So  entwerthete  er  den  Ausspruch  des  Lupus,  auf 
welchen  Dümmler  sich  berufen  hatte;  er  meinte,  dass  Lupus  gar  nicht 
'Alcuinus',  sondern,  in  Notkers  Ansciiauung  befangen,  'Alcimus'  geschrieben 
habe  —  zwei  Namen,  die,  wie  Peiper  mehrfach  belegt,  häufiger  ver- 
wechselt worden  sind  — ,  zumal  von  Lupus  zu  erwarten  gewesen  wäre, 
dass  er  seinen  theuren  Lehrer  Alkuin  in  ganz  anderer  Weise  als  mit  dem 
blossen  Namen  bezeichnet  hätte.  Endlich  aber  machte  Peiper  geltend 
(p.  LXXIII),  dass  die  Monosticha  vor  dem  Zeitalter  Alkuins  entstanden 
seien,  und  dass  das  gerade  aus  dem  von  Lupus  angezogenen  Verse  her- 
vorgehe: 'Nam  is  (versus)  in  Exemplis  poetanim  Vaticanis  legitur  (v.  804), 
quae  poetarum  Eugenio  Toletano  (ob.  a.  657)  minorum  vcrsiculos  non 
habere  videntur'.  Wenn  ich  nun  mit  Peiper  an  Columban  als  dem  Ver- 
fasser der  Monosticha  festhalte,  so  stütze  ich  mich  dabei  nicht  so  sehr 
auf  die  förmlichen  Berührungen,  welche  zwischen  ihnen  und  den  poetischen 
Briefen  Columbans  statthaben  —  denn  ausser  Alkuin  hat  auch  Hraban 
die  Monosticha  recht  ausgiebig  benutzt;  vgl.  Poetae  lat.  II.  157  not.  4 
und  die  siebzehn  Nachweisungen  Dümmlers  zu  dem  XIV.  und  XV.  Ge- 
dichte Hrabans :  ibidem  p.  177.  178  —  als  auf  die  Angabe  der  Hand- 
schriften: vier  (B,  P,  M,  C)  kennen  keinen  Verfasser,  bleiben  also  neutral; 
fünf  (Gl,  G  2,  L,  T  und  die  von  Dümmler  nicht  benutzte  Handschrift  des 
Britischen  Museums  Cotton.  lulius  BII)  haben:  'Incipit  libellus  cuiusdam 
sapientis  et  ut  fertur  beati  Columbani';  T  beschliesst  die  Monosticha  mit 
den  Worten:  'Explicit  libellus  beati  Columbani'  und  ausserdem  führt,  wie 
Dümmler  erwähnt,  die  Handschrift  der  Universitäts-Bibliothek  zu  Cambridge 
1567  Gg.  5.  35  s.  XI.  die  Sprüchwörter  ein:  'Incipiunt  versus  Columbani 
abbatis  de  bonis  moribus  observandis' ;  allerdings  in  Anbetracht,  dass, 
wie  Dümmler  dargethan  hat,  auch  Sprüche  des  Alterthums,  das  Gemein- 
gut der  ganzen  Folgezeit,  unter  den  Monosticha  sich  finden,  verschliesse 
ich  mich  nicht  der  Möglichkeit  verschiedener  Redactionen   —  sodass  nur 


Ueber  die   Columban-Briefe.  521 

Urheber  der  'Regula  monastica  zum  Verfasser  haben  sollte, 
ist  auch  mir  im  höchsten  Grade  unwahrscheinlich;  aber  der 
innere  Zusammenhang  dieses  Stückes  mit  den  poetischen  Briefen 
und  den  Sprüchwörtern  ist  auch  von  Hertel  nicht  erwiesen 
und  nicht  zu  erweisen:  bei  der  geringen  Ausdehnung  des 
Epigramms,  welches  vier  Verse  umfasst,  ist  es  vielmehr  möglich, 
dass  es  als  anderes  Eigen  unter  die  Stücke  Columbans  sich 
eingeschlichen  hat. 

Den  3.  Brief  eine  Spielerei,  wie  sie  dem  ernsten  Sinne 
Columbans  nicht  zuzutrauen  ist,  darum  zu  nennen,  weil  versus 
Adonei  zur  Anwendung  kommen,  ist  doch  ein  unbilliges  Urtheil; 
denn  es  läuft  doch  wohl  in  eine  Frage  des  Geschmackes  aus, 
ob  man  den  aus  einem  Dactylus  mit  folgendem  Spondeus  oder 
Trochäus  bestehenden  Vers  oder  den  aus  denselben  Bestand- 
theilen  gebauten  Hexameter  als  eines  heihgen  Mannes  würdiger 
bezeichnen  will. 

Von  grösserem  Belang  scheint  der  Eimvand  Hertels  zu 
sein,  dass  im  1.  und  2.  Briefe  der  Verfasser  sich  'Columbanus' 
nennt,  der  Abt  von  Luxeuil  und  Bobbio  aber  niemals  dieser 
Form,  sondern  der  Form  'Columba  sich  bediene.  Dagegen 
ist  aber  anzuführen,  dass  auch  die  Selbstbezeiclmung  Colum- 
bans in  den  prosaischen  Briefen  keineswegs  nur  'Columba'  ist; 
so  nennt  er  sich  in  seinem  frühesten  Briefe  'Bar-Iona'^  und 
übersetzt  diesen  chaldäischen,  junge  und  daher  imansehnliche 
Taube  bedeutenden  Ausdruck  durch  das  immittelbar  folgende 
'vilis  Columba';  ja  er  scheint  auf  den  hebräisch -chaldäischen 
Namen  Jonas  getauft  zu  sein,  wenn  ich  eine  Stelle  in  seinem 
4.  prosaischen  Briefe  richtig  auffasse:  'mihi  lonae  hebraice, 
Peristerae  graece,  Columbae  latine,  potius  tantum  vestrae  idio- 
mate  linguae  nuncupato^,  licet  prisco  utor'  hebraeo 
nomine,  cuius  et  paene  naufragium  subivi,  veniam  .  .  .  date'; 
und  damit  noch  nicht  genug,  dass  Columban  eigentlich  den 
hebräischen  Namen    führt    und  nur  mit  lateinischem  benannt 


die  älteste  dem  Colamban  anzugehören  braucht,  jede  weitere  um  Aende- 
rungen  willen,  welche  zumeist  in  Vermehrungen  bestehen  mochten,  mit 
einem  Sehein  des  Rechten  einem  anderen  Urheber  beigelegt  werden 
konnte  —  um  so  weniger,  als  mir  die  Handschrift  M  diese  Auffassung 
zum  Theil  zu  empfehlen  scheint;  denn  von  den  neunzehn  Versen,  welche 
die  Handschrift  weniger  als  die  vollständigsten  hat,  sind  siebzehn  von 
Dümmler  als  Entlehnungen  aus  den  Distichen  Catos  und  der  lateinischen 
Anthologie  angesprochen  worden.  1)  So  ist  das  von  Fleming  überlieferte 
'Bargoma'  ('Bargma'  in  der  St.  Galler  Handschrift)  aufzufassen,  wie  mir 
ein  des  Hebräischen  kundiger  Freund,  Herr  Rechtsanwalt  Hugo  Levy, 
mitgetheilt    hat.  2)    So    lese    ich    mit    Benutzung    einer    Emendation 

Flemings  statt  des  handschriftlichen  'nacto'  oder  'nancto'.  3)    So  habe 

ich  nach  dem  von  Metzler  und  Fleming  gebotenen  'inter'  emendiert: 
Columban  verbindet  'licet'  gewöhnlich  mit  dem  Indicativ. 


522  Wilhelm  Gundlach. 

wird,  er  selbst  heisst  sich  in  der  Aufschi-ift  des  Briefes,  aus 
welchem  die  mitgetheilte  Stelle  stammt,  'Palumbus'  nach  der 
scheuen  Holztaube  'palumbis''.  Man  wolle  dazu  beachten, 
dass  der  Verfasser  der  Vita  Columbani,  den  man  als  einen 
jüngeren  Zeitgenossen  des  Heiligen  betrachten  darf,  zwar  auch 
die  Namensform  'Columba  kennt ^  und  anwendet^,  aber  doch 
an  den  weitaus  meisten  Stellen  'Columbanus'  gebraucht,  ein 
Verfahren,  zu  welchem  er  sich  schwerlich  verstanden  hätte, 
wenn  nicht  auch  die  zuletzt  erwähnte  Namensform  eine  wohl- 
berechtigte, durch  seinen  Helden  selbst  beglaubigte  gewesen 
wäre  *. 

Hertel  sucht  einen  allgemeinen  Scheidungsgrund  gegen 
die  prosaischen  Briefe  in  der  freieren  Lebensanschauung  und 
der  grösseren  Reinheit  und  Klarheit  der  Sprache  zu  gewinnen, 
welche  in  den  poetischen  Stücken  zu  erkennen  sind;  er  führt 
die  Sprachverschiedenheit  dann  noch  genauer  dahin  aus,  dass 
in  den  prosaischen  Briefen  nur  Kirchenväter,  in  den  poetischen 
andere  Musterschriftsteller  angezogen  werden*.  Darauf  ist  zu 
erwidern,  dass,  wenn  man  das  Epigramm  auf  die  Frauen 
aussondert,  schwerlich  noch  in  den  poetischen  Briefen  ein  Zug 
ersichtlich  ist,  welcher  nicht  mit  der  strengen  Lebensanschauung 
Columbans  in  seinen  anderen  Briefen  und  Schriften  in  Ein- 
klang zu  bringen  wäre,  und  dass,  ob  auch  wirklich  der  ange- 
gebene Unterschied  in  der  Sprache  besteht,  Hertel  nicht  befugt 
ist,  daraufliin  die  poetischen  Stücke  dem  Columban  abzu- 
sprechen, weil  er  selbst  vortrefflich  die  unterscheidenden  Stil- 
eigenthümlichkeiten  der  drei  Arten  Columbanischer  Prosa- 
scnriften  entwickelt  hat,  ohne  deshalb  eine  derselben  zu  ver- 
dächtigen. Er  sagt  nämlich  S.  427:  'In  allen  drei  Arten  hat 
Columba  eine  besondere  Schreibart.  In  den  Briefen  schreibt 
er  lebendig,  feurig:  man  fühlt  das  Vibrieren  seines  sanguini- 
schen Temperaments;    seine    ganze  Persönlichkeit  legt  er  in 


1)  Der  Schluss  der  Aufschrift:  'mirum  dictu,  nova  res  —  rara  avis 
scribere  audet  Bonifacio  patri  Palumbus'  ist  eine  seltsame  Ausdrucks- 
weise. 2)  Die  Firzählung  beginnt  (p.  7)  mit  den  Worten:  'Columbanus 
igitur,  qui  et  Columba  dicitur'.  3)  Im  Prologe  (p.  6)  ist  von  'beati 
Columbae  gesta'  die  Rede ;  ausserdem  habe  ich  die  Form,  ohne  auf  eine 
genaue  Zählung  auszugehen,  noch  p.  22  bemerkt.  4)  Auch  von  dem 
heiligen  Gallus  sind  mehrere  andere  Namensformen  bezeugt:  Gallon, 
Gallun,  Gilian;  vgl.  MG.  SS.  II,  5  n.  3.  5)  Zu  diesem  Urtheil  scheint 
mir  in  unversöhnlichem  Gegensatze  zu  stehen,  was  Hertel  S.  402  sagt: 
'In  seinen  (Columbas)  Schriften  zeigt  sich  eine  grosse  Belesenheit  in  der 
klassischen  Litteratur  und  eine  genaue  Kenntnis  der  Kirchenschriftsteller'; 
denn  wie  anders  könnte  wohl  eine  grosse  Belesenheit  in  der  klassischen 
Litteratur  sich  zeigen,  als  dadurch  dass  Columban  viele  Wendungen  der 
Klassiker  anführt!  Oder  sollte  Hertel  hier,  im  Anfang  seiner  Abhand- 
lung, noch  die  poetischen  Columban-Briefe  als  Erzeugnisse  des  Heiligen 
ansehen,  und  sie  ihm   erst  am  Ende  seiner  Arbeit  absprechen? 


Ueber  die  Columban-Briefe.  523 

diese  Zeilen  ...  In  den  paränetischen  Schriften  wendet  er 
einen  frommen,  salbungsvollen  Ton  an:  sich  stützend  auf  die 
Autorität  der  Bibel,  sucht  er  mit  liebevollen,  schmeichelnden 
Worten  die  Herzen  zu  gewinnen,  sodass  man  in  diesen  Werken 
keine  Spur  jenes  so  starken,  eigenwilligen  Geistes  zu  entdecken 
vermöchte.  In  dem  Bussbuch  und  der  Regel  ist  er  kurz  und 
einfach,  den  Gesetzesstil  nachahmend.'  Aber  der  Gegensatz 
zwischen  den  poetischen  Briefen  und  den  prosaischen  Schriften 
Columbans  ist  gar  nicht  so  gross,  als  man  nach  Hertels  Worten 
annehmen  könnte.  Zwar  in  einem  poetischem  Schreiben  ist 
die  ausdrückliche  Anführung  eines  Kirchenvaters  nicht  zu 
belegen,  man  müsste  denn  gerade  im  2.  Briefe  den  71.  Vers: 
*Ver,  aestas,  autumnus,  hiems,  redit  annus  in  annum' 
dahin  rechnen,  von  welchem  Goldast  a.  a.  O.  anmerkt,  dass 
ihn  Hieronymus  im  Ezechiel-Commentar  'quasi  ex  veteri  poeta'^ 
eitlere;  aber  in  dem  7.  prosaischen  Schreiben  heisst  es  *ut  ait 
quidam,  etiam  tuta  timeo'  und  dieser  'quidam'  dürfte  kein 
anderer  als  Vergil,  der  Ausspruch  der  Aeneide  (IV,  298: 
'Omnia  tuta  timens')  entnommen  sein.  Ausserdem  zeigen  aber 
noch  eine  ziemliche  Anzahl  von  Stellen,  dass  Columban  wie 
in  den  poetischen^,  so  auch  in  den  prosaischen  Briefen,  so 
wenig  man  es  nach  dem  behandelten  Gegenstande  erwarten 
sollte,  seine  Gedanken  in  die  Worte  römischer  Dichter  kleidet; 
so  ist  z.  B.  im  1.  Briefe  die  Wendung  'acsi  marina  trabe 
interclusus'  vielleicht  von  Vergil  (Aen.  IV,  566:  'lam  mare 
turbari  trabibus')  oder  Horaz  (1.  Carm.  I,  13:  'ut  trabe 
Cypria  .  .  .  nauta  secet  mare')  bestimmt,  im  2.  Briefe  'Capiat 
nos  simul,  oro,  Gallia'  wohl  auf  Vergil  (Aen.  IX,  644:  'Nee 
te  Troia  capit')  oder  Juvenal  (X,  148:  'quem  non  capit 
Africa')  zurückzuführen  und  für  'unusquisque  quod  arri- 
puit  servet'  das  bestimmende  Muster  bei  Horaz  (Ars  poet. 
475:  'Quem  vero  arripuit  tenet')  zu  erkennen.     Im  3.  Briefe 

1)  Es  heisst  in  den  Opp.  Hieronymi  (ed.  Vallarsi)  V,  11:  '(annus) 
ab  eo,  quod  semper  .  .  .  in  se  redeat,  nomen  acceperit;  de  quibus 
pulchre  uno  versiculo  dictum  est:  Ver,  aestas,  autumnus,  hiems  et 
mensis  et  annus'.  Die  Ermittelung  des  'vetus  poeta'  verdanke  ich  Herrn 
Geheimrath  Dümmler;  die  Verse  62 — 72  sind  nämlich  wortgetreu  einem 
Gedichte  entnommen,  welches  Riese  in  der  Anthologia  latina  (n.  676,  Pars 
prior,  II,  p.  137)  und  Baehrens  unter  den  Poetae  latini  minores  (V,  349.  350) 
herausgegeben    haben.  2)    Der   genaue  Nachweis,   dass  Horaz,  Vergil, 

Juvenal,  Ovid,  Ausonius,  Prudentius  u.  a.  in  den  poetischen  Briefen 
benutzt  sind,  wird  in  der  Ausgabe  geführt  werden;  an  dieser  Eigenheit 
hat,  wenn  auch  in  geringerem  Grade,  der  4.  Brief,  welcher  von  Hertel 
gesondert  behandelt  wird,  Antheil,  wie  denn  wenigstens  eine  Stelle  auch 
für  seinen  förmlichen  Zusammenhang  mit  dem  1.  Briefe  beigebracht 
werden  kann:  'Lubricum  quod  1  a  bitur'  und  'senescens  delabitur' 
(4,  26.  54)  lässt  sich  wohl  mit  'Labitur  in  Senium'  und  'Lubrica 
mortalis  cito  transit  gloria  vitae'  (1,  3.   15)  in  Verbindung  bringen. 


524  Wilhelm  Gundlach. 

könnte  'nolo  subeas  tantum  onus,  sub  quo  ego  sudavi' 
an  die  Aussprüche  des  Horaz  (1.  Sat.  IX,  21)  'Cum  gravius 
dorso  subiit  onus'  und  (2.  Epist.  I,  169)  'sudoris  nimium, 
sed  habet  comoedia  tanto  Phis  oneris'  erinnern.  In  der  Auf- 
schrift des  4.  Briefes  ist  der  Ausdruck  'rara  avis'  zweifellos 
der  römischen  Dichtersprache  entlehnt :  er  begegnet  zuerst  bei 
Horaz  (2.  Sat.  II,  26)  und  ist  dann  auch  bei  Juvenal  (VI,  165) 
und  Persius  (I,  46)  zu  belegen.  Aus  dem  Briefe  selbst  ist 
die  ganze  Schilderung:  'mare  procell  o  suni  est  .  .  .  ,  quia 
non  a  sola  minax  unda,  quae  etiam  permota  pontum 
semper  cautis  spuraosis  concavat  vorticibus  ...  de 
longo  turgescens  extollitur  et  ante  se  carbasa  sulcatis 
Orco  »  molibus  trudit'  aus  dichterischen  Redensarten  zusammen- 
gesetzt: Prudentius  trägt  etwa  dazu  bei  (Cathera.  VII,  108) 
'fit  procellosum  mare'  und  (ibid.  V,  72)  'Audet  se  pelago 
credere  concavo  .  .  .  Sed  confusa  dehinc  unda  revolvitur 
In  semet  revolans  gurgite  contiuo',  Ovid  (Met.  I,  569)  'spu- 
mosis  volvitur  undis',  Horaz  (2.  Carm.  X,  2)  'dum  pro- 
cellas  Cautus  horrescis'  und  (1.  Carm.  XII,  31)  'Et  minax 
cum  sie  volvere  ponto  Unda  recumbit'  und  Vergil  (Aen.  V,  127) 
'imraotaque  attollitur  unda',  (ibid.  X,  196)  'saxumque 
undis  immane  minatur  Arduus  et  longa  sulcat  maria 
alta  carina;  weiter  hat  in  demselben  Briefe  'hie  tota  stat 
causa'  bei  Vergil  an  (Aen.  VII,  553)  'Stant  belli  causae' 
oder  bei  Horaz  an  (1.  Carm.  XVI,  19)  'Stetere  causae'  ein 
Muster;  für  'qui  unica  spes  ...  es'  ist  bei  Vergil  (Aen. 
XII,  57)  'spes  tu  nunc  una'  und  für  -per  mare  gentium 
equitans  turbavit  aquas  multas'  bei  Horaz  (4.  Carm.  IV,  43) 
'eurus  Per  Siculas  equitavit  undas'  und  bei  Ovid  (Met. 
III,  473)  'turbavit  aquas'  anzuziehen.  In  dem  5.  Briefe 
kann  man  'contra  ius  fasque'  mit  Vergils  (Ge.  I,  269)  'Fas 
et  iura  sinunt',  besser  noch  mit  Persius'  (II,  73)  'ius  fasque' 
vergleichen,  ferner  'sacri  ingenii  diffusa  sunt  lumina'  mit 
Vergils  (Cu.  176)  'Lumina  diffundens'  in  Verbindung 
bringen  und  die  Stelle  'ut  illam  spiritualem  vivi  fontis  venam 
vivamque  undam  scientiae  caelitus  fluentis  ac  in  aeternam 
vitam  sal lentis  haurirem'  beeinflusst  sein  lassen  von 
Vergils  (Ge.  III,  460)  'salientem  sangiüne  venam',  (Cu.  146) 
'manans  ex  fontibus  unda',  (Ge.  IV,  262)  'refluentibus 
undis'  und  (Aen.  IX,  22)  'ad  undam  processit  summoque 
hausit  de  gurgite  lymphas'. 

Indem  endlich  Hertel  an  den  nämlichen  oder  ähnlichen 
Wendungen  in  den  poetischen  Schriften  Columbans  die  Ein- 
heit ihrer  Verfasser  erkennt,  indem  er  also  zugiebt,  dass  auf 
diesem  Wege  die  Identität  der  Urheber  erwiesen  werden  kann, 


1)    So    glaube    ich  für  das  'octo'  der  Ueberlieferung  lesen  zu  sollen. 


Ueber  die  Columban-Briefe.  525 

liefert  er  eine  Waffe  zur  Bekämpfung  seiner  Meinung.  Wie 
nämlich  Hertel  die  poetischen  Schriften  Columbans  behandelt 
hat,  so  können  ja  auch  zu  diesen  die  prosaischen  Schriften  Colum- 
bans in  Beziehung  gebracht  werden:  es  ergiebt  sich  auch  so 
an  mehrfachen  Belegen  ihre  Zusammengehörigkeit  i.  Dafür 
will  ich  nur  anführen,  dass  im  vierten  Kapitel  der  Instructio 
(Rossetti  II,  36)  der  Satz  'ut  aeteraam  immensae  gloriae  vitam 
adprehendamus'  fast  genau  mit  dem  4.  Verse  des  1.  poetischen 
Briefes  'Ut  tibi  perpetuam  liceat  comprendere  vitam'  (vgl. 
luvenc.  III,  502)  übereinkommt,  dass  aus  der  Instructio  (ibid. 
p.  37)  ^Respuamus  mundi  honores'  im  2.  Briefe  dem  34.  Verse 
'vanosque  refutat  honores'  (vgl.  Verg.  Aen.  XI,  52)  und  aus  dem 
dritten  Kapitel  (ibid.  p.  33)  'qui  nudus  natus,  nudus  sepeliris' 
dem  54.  Verse  des  2.  Briefes :  'Nudi  nascuntur,  nudos  quoque 
terra  receptat'  entspricht,  dass  insbesondere  auch  noch  aus 
dem  dritten  Kapitel  (ibid.  p.  29)  'Mundus  enim  transibit  et 
quotidie  transit'  der  klare  Anfang  des  4.  Briefes  ist:  'Mundus 
iste  transibit  2,  Cotidie  decrescit';  ferner  kann  wohl  im  4. 
prosaischen  Briefe  '(Christum)  sine  fine  laudare'  mit  dem 
156.  Verse  des  3.  poetischen  Briefes  '(Christus)  Qui  sine  fine 
(regnat)'  verglichen  werden  s.  Eine  durchgehende  Eigenheit 
bildet  aber  der  Umstand,  dass,  wie  es  bei  dem  1.  ('Du  veniam 
dictis;  fuimus  fortasse  loquaces')  und  3.  poetischen  Briefe 
(^Ista  loquaci  Nunc  cecinisse  Carmina  versu)  schon  erwähnt 
ist,  Columban  sich  der  'loquacitas'  zeiht,  selbst  da,  wo  er,  wie 
bei  dem  kurzen  ersten  Gedichte,  gar  keinen  Anlass  dazu  hat; 
das  findet  sich  nämlich  im  2.  prosaischen  Briefe  ('Ego  scio, 
quod  multis  superflua  videbitur  haec  mea  loquacitas' 
und  'Date,  quaeso,  veniam  meae  loquacitati')  und  im 
4.  ('Date,  quaeso,  veniam  mihi  .  .  .  cuidam  loquaci')*; 
es  findet  sich  aber  auch  schon  zweimal  in  der  Instructio 
(Rossetti  II,  23:  'Plus  seit  pietas  tacens,  quam  impia  loqua- 
citas'und  ibid.  p.  64:  'et  licet  forte  superflua  aliis  videa- 
tur  ista  nostra  loquacitas'). 

Mit  diesen  Auslassungen  glaube  ich  den  poetischen  Columban- 
Briefen  die  Anerkennung,  dass  sie  von  dem  Stifter  der  Klöster 


1)  Der  zuletzt  aus  dem  5.  Briefe  angeführte  Satz  ist  z.  B.  deutlich 
auch  im  dreizehnten  Kapitel  der  Instructio  in  den  Worten  'fönte  m 
aquae  vivae  .  .  .  ut  bibamus  aquam  vivam  et  salientem  in  vitam 
aeternam  .  .  .  vivam  undam  .  .  .  semper  hauriendus  est  nobis' 
wiederzuerkennen.  2)  Nach  dem   angeführten  Vorbilde  ist  meine  Aen- 

derung    'transibit'    statt    des    von    Goldast   g-ev^'äblten    'transit    et'    —    die 
Handschriften    haben    'transivit'    —    g-erechtfertigt.  3)  Eine  Berührung 

der  Monosticha    damit    ist   oben  S.  517  Anm.    erwähnt  worden.  4)  In 

demselben  Briefe  beisst  es  später  noch  einmal:  'veniam,    quaeso  sicut 
saepe  rogavi,  date'. 


526  Wilhelm  Gundlach. 

Luxeuil  und  Bobbio  herrühren  i,  erwirkt  zu  haben,  zumal  es 
sich  ja  gar  nicht  darum  handelt,  etwa  ohne  Verfassernamen 
überlieferte  Briefe  einem  anderweitig  bekannten  Autor  zuzu- 
weisen, sondern  einzig  und  allein  die  Angabe  alter  Handschriften 

—  die  älteste  aus  dem  achten  Jahrhundert  nennt  schon  den 
im  siebenten  Jahrhundert  verstorbenen  Columban  als  Urheber 

—  wieder  zu  Ehren  zu  bringen  ist. 


1)  'Noch  zwei  andere  Männer  kennen  wir  unter  diesem  Namen:  den 
sogenannten  älteren  Columba,  den  Gründer  der  Klöster  Dearmach  und 
Hy,  Apostel  der  Picten;  der  andere  ist  ein  Verwandter  unseres  Heiligen, 
der  ihn  nach  Gallien  begleitete  und  im  Kloster  Luxeuil  starb'  (Hertel 
S.  400  Anm.  8).  Obwohl  dem  älteren  Columban  ein  noch  vorhandenes 
Gedicht  de  fabrica  mundi  (vgl.  Dümmler,  Poetae  lat.  II,  157  n.  2  bei- 
gelegt wird  —  Peiper  hat  freilich  die  auf  einen  'Vetus  Catalogus  codicum 
sancti  Nazarii  Laurissensis'  zurückgehende  Anschauung  bekämpft,  indem 
er  (Auct.  antiq.  VI,  2,  p.  LIII)  die  Angabe  Mais  (Spicil.  Rom.  V,  192): 
'.  .  .  22  de  virginitate  metrum  Dracontii.  23  de  fabrica  mundi  metrum 
Columbani.  alii  versus  quam  plurimi  in  uno  codice'  für  falsch  abgetheilt 
erklärt  und  also  berichtigt:  '.  .  .  de  virginitate.  22  metrum  Dracontii  de 
fabrica  mundi.  23  metrum  Columbani.  alii  versus  quam  plurimi  in  uno 
codice'  — ,  so  scheint  es  mir  doch  in  Anbetracht  der  inneren  Zusammen- 
gehörigkeit allor  Columban- Schriften  und  -Schriftstücke  ausgeschlossen, 
dass  ein  anderer  als  der  Abt  von  Bobbio  der  Verfasser  der  poetischen 
Columban-Briefe  ist. 


XIV. 

Ueber  die 

Orthographie  Papst  Gregors  I. 

Von 

L.  M.  Hartmann. 


J_/a  ich  für  die  Monumenta  Germaniae  mit  der  Fortsetzung 
der  durch  Ewalds  Tod  unterbrochenen  Ausgabe  der  Briefe 
Papst  Gregors  I.  betraut  wurde,  erschien  es  mir  nothwendig, 
mir  ein  Urtheil  darüber  zu  verschaffen,  in  welcher  Orthographie 
diese  Briefe  ursprünglich  geschrieben  worden  sind '.  Die 
Handschriften  der  ßriefsaramlungen,  deren  archetypi,  wie  Ewald 
nachgewiesen  hat,  nicht  vor  dem  letzten  Viertel  des  8,  Jahr- 
hunderts aus  dem  päpstlichen  Register  ausgezogen  worden  sind^ 
lassen  in  orthographischer  Beziehung  natürlich  keine  sicheren 
Rückschlüsse  zu.  Das  Material,  aus  dem  ich  schöpfen  konnte, 
um  die  Orthographie  des  ausgehenden  6.  und  beginnenden 
7.  Jahrhunderts  kennen  zu  lernen,  ist  auch  nicht  in  gleicher 
Weise  verwendbar  um  zu  erkennen,  wie  ein  römischer  Papst 
dieser  Zeit  seine  Briefe  geschrieben  hat.  Allerdings  sind  uns 
Originalquellen  aus  jener  Zeit  in  den  Marini'schen  Urkunden 
und  in  Inschriften  erhalten;  von  vornherein  wird  es  aber, 
kämen  auch  die  örtHchen  Verschiedenheiten  nicht  hinzu,  nicht 
als  wahrscheinlich  gelten  können,  dass  in  der  päpstlichen  Kanzlei 
bei  den  Schreibern  des  Registers  dieselbe  elende  Orthographie 
herrschte,  welche  die  Schreiber  von  Kauf-  oder  Miethcontracten 
von  Privaten  oder  auch  die  Notare  der  ravennatischen  Kirche 
anwendeten.  Es  ist  mir  nur  eine  Urkunde  dieser  Zeit  bekannt, 
die  möglicher  Weise  Original  ist  und  auf  einen  im  Auftrage 
des  Papstes  handelnden  Beamten  der  römischen  Kirche  zurück- 
geht und  daher  allenfalls  herangezogen  werden  kann ;  leider 
enthält  dieselbe  aber  fast  nur  Namen.  Bei  den  Inschriften, 
deren  nicht  gerade  eine  grosse  Zahl  mit  Bestimmtheit  auf 
unsere  Zeit  zurückgeführt  werden  kann,  ist  gleich  grosse  Vor- 
sicht geboten,  sowohl  wegen  der  territorialen  Verschiedenheiten, 
als  wegen  des  Vulgär-  oder  Mischlateins,  dessen  Einflüssen 
sie  gewiss  mehr  ausgesetzt  waren,  als  die  Erzeugnisse  der 
päpstlichen  Kanzlei. 

Schon  geringere  Fehlerquellen  hat  man  bei  einem  anderen 
Theile  des  Materiales  zu  besorgen,  bei  Handschriften  von 
Schriftstellern  der  Zeit,  die  im  6.-7.  Jahrhundert  geschrieben 

1)  Für  die  Unterstützung  bei  diesen  meinen  orthographischen  Unter- 
suchungen bin  ich  namentlich  Herrn  Prof.  Mommsen  zu  grossem  Danke 
verpflichtet. 


530  L.  M.  Hartmann. 

sind.  Am  meisten  Annäherung  an  die  Orthographie  der 
Gregorbriefe  müssen  gleichzeitige  oder  fast  gleichzeitige  Hand- 
schriften anderer  Werke  desselben  Papstes  bieten.  Eine  Hand- 
schrift der  ersten  Art,  die  noch  dazu  in  ihrem  Ursprünge  auf 
die  päpstliche  Umgebung  zurückgehen  muss,  ist  die  Handschrift 
der  Papstleben  aus  Neapel  (früher  Bobbio),  die  Duchesne  ver- 
glichen und  mit  B  1  bezeichnet  hat.  Leider  enthält  diese  Hand- 
schrift, da  sie  am  Schlüsse  verstümmelt  ist,  die  Biographien 
nur  derjenigen  Päpste,  welche  vor  dem  Ende  des  5.  Jahr- 
hunderts gestorben  sind,  ist  aber  selbst  im  7,  Jahrhundert 
geschrieben  J.  Eine  Handschrift  der  Dialoge  Papst  Gregors, 
die  aus  der  Mitte  des  8.  Jahrhunderts  stammt,  hat  Waitz 
benutzt;  es  ist  ein  codex  Ambrosianus^  der  aus  ßobbio  stammt'. 

Um  ausser  diesem  durchaus  ungenügenden  Materiale 
anderes  kennen  zu  lernen,  das  mich  meinem  Ziele  näher  bringen 
konnte,  ging  ich  im  Auftrage  der  Monumenta  auf  Reisen. 

In  München  erlaubte  mir  in  liebenswüi'digster  Weise  Herr 
Prof.  Th.  Stangel,  an  den  ich  durch  Herrn  Prof.  v.  Hartel 
empfohlen  war,  seine  Collation  der  Veroneser  Handschrift  s.  Vll. 
von  Cassiodors  Complexiones  einzusehen  und  einen  grossen 
Theil  derselben  nach  orthographischen  Gesichtspunkten  zu 
excerpieren  ^. 

Mehr  als  14  Tage  brachte  ich  in  Troyes  zu,  dessen  reich- 
haltige Bibliothek  mir  durch  die  unvergleichliche  imd  echt 
französische  Liebenswürdigkeit  des  Bibliothekars  der  Stadt 
Troyes,  Herrn  S.  Det,  lange  über  die  gewohnlichen  Bibliotheks- 
stunden hinaus  oifcn  stand.  Abgesehen  von  einigen  kleineren 
Collationen,  mit  denen  mich  Herr  Prof,  Dümmler  und  Herr 
Dr.  Krusch  beauftragt  hatten,  bestand  meine  Arbeit  in  der 
Collation  des  Cod.  504,  der  die  regula  pastoralis  Papst  Gregors  L 
enthält*.     Es    ist   allgemein    angenommen   worden,    dass    der 


1 )  Duchesne,  Ausgr.  des  Lib.  pont.,  p.  CLXXVI.  Die  Handschrift 
reicht  in  ihrer  gegenwärtigen  Gestalt  bis  498;  wie  weit  sie  ursprünglich 
reichte,  ist  unbestimmbar.  2)  MG.,  Scr.  rer.  Lang.,  S.  624  ff.:  Ambro- 
sianus B  159  sup.  (=  1).  Waitz  sagt:  'quamvis  de  vera  Gregorii  ortho- 
graphia    ex    his    fragmentis    iudicare    vix    ausim'.  3)   S.  Reifferscheidt, 

ßibl.  patr.  Lat. :    Verona.  4)    Vgl.    die  Beschreibung    der  Handschrift 

im  Catalogue  ge'n.  des  Mss.  des  bibl.  publ.  des  departements,  tome  II, 
Paris  1855.  Die  Handschrift  bestand  aus  13  Quaternionen,  denen 
noch  der  Index  auf  zwei  Doppelblättern,  von  denen  jetzt  das  eine  fehlt, 
vorgesetzt  ist.  Der  2.  Quaternio,  sowie  der  Schluss  des  letzten  fehlen 
jetzt.  Jeder  vollständige  Quaternio  mit  Ausnahme  des  vorletzten,  der 
um  2  Blätter  grösser  ist,  besteht  aus  12  Blättern.  Jetzt  sind  die  Blätter 
des  Codex  von  1  — 155  numeriert,  wobei  nach  f.  138:  f.  138  bis  folgt. 
—  Die  einzelnen  Seiten  sind  liniert  und  auch  die  Seitenränder  durch 
Linien  abgegrenzt.  An  den  verstümmelten  Randbemerkungen  sieht  man, 
dass  die  Blätter  oben  und  an  der  Seite  grösser  gewesen  und  dann 
beschnitten    worden   sein    müssen.    —   Die   Anfänge    der    Kapitel,    ebenso 


Ueber  die   Orthographie  Papst  Gregors  I.  531 

Codex  spätestens  aus  dem  Anfange  des  7.  Jahrhunderts  stammt 
und  man  wird  jedenfalls  nicht  daran  zweifeln,  dass  er  in  dieses 
Jahrhundert  gehört.  Die  erste  Hand,  die  den  Text  geschrieben 
hat,  ist  uncial:  sie  schreibt  b  noch  durchaus  in  Majuskelform,- 
e  ist  regelmässig  uncial  und  capital  nur,  wenn  es  aus  i  corri- 
giert  ist ;  f  reicht  unter  die  Zeile,  h  und  1  überragen ;  m  ist 
durchaus  uncial;  r  reicht  nicht  unter  die  Zeile.  Regelmässig 
abgekürzt  werden  nur,  und  zwar  in  der  gewöhnlichen  Weise: 
Christus,  deus,  dominus,  lesus,  sanctus,  spiritus.  Abkürzungen 
der  Endungen  und  Ligaturen  kommen  nur  wegen  Raummangels, 
namentlich  am  Ende  der  Zeilen,  vor.  Auch  ae  wird  regel- 
mässig getrennt  geschrieben.  Die  Wortabtheilung  ist  nicht 
correct. 

Auch  die  m.  2  ist  uncial ;  sie  hat  die  Evangeliencitate 
an  den  Rand  geschrieben  und  zugleich  den  Text  corrigiert, 
indem  sie  in  ihn  oder  am  Rande  Einschiebungen  vornahm. 
Auch  diese  Hand  schreibt  noch  durchaus  das  Majuskel-b,  ist 
aber  kleiner,  als  die  m.  1,  und  hat,  wohl  wegen  des  häufigen 
Raummangels,  auch  häufigere  Ligaturen.  —  Eine  dritte  alte 
Hand  kann  noch  unterschieden  werden,  die  namentlich  einzelne 
Buchstaben  corrigiert  und  insbesondere  aus  u:b  gemacht  hat; 
diese  schreibt  b  nicht  mehr  in  JMajuskelform.  —  Die  Geschichte 
der  Handschrift  kann  man  nicht  über  die  Bibliothek  des 
Fran9ois  Pithou  zurück  verfolgen'.  Mabillon  soll  gemeint 
haben,  dass  man  in  ihr  möglicher  Weise  ein  Autographon 
Gregors  des  Grossen  vor  sich  habe.  Allein  abgesehen  von 
allem  Anderen  scheint  es  mir  nicht  zAveifelhatt,  dass  der 
Codex  von  Troyes  aus  einer  anderen  Handschrift  abgeschrieben 
ist,  vielleicht  einer  solchen,  die  der  Papst  an  irgend  einen 
gallischen  Bischof  geschickt  hat. 

Eine  gewisse  Aehnlichkeit  mit  der  Hs.  von  Troyes  hat 
der  Pariser  Codex  2206,  in  den  ich  auf  der  Pariser  National- 
bibliothek Einsicht  nahm.  Er  enthält  die  5  letzten  Bücher  von 
Gregors  Moralia  in  lob.  Der  Katalog  aus  dem  18.  Jahrhundert 
setzte  den  Codex  in  das  8.  Jahrhundert.  Aber  die  Mauriner 
hatten    gemeint,    dass    er    'Gregorii    aetatem    paene    attingere 


die  den  Kapiteln  vorstehenden  Zahlen  sind  mit  rother  Schrift  geschrieben, 
manchmal  auch  mit  grün  oder  gelb  verziert.  Die  Dinte  des  Textes  da- 
gegen ist  schwarz.  Manche  Stellen,  die  in  Folge  der  Durchlöcherung 
des  Pergamentes  schwer  leserlich  geworden  sind,  sind  später  über  der 
Linie  wiederholt  worden;  an  solchen,  an  denen  die  Dinte  verblasst  war, 
scheint  später  nachgefahren  worden  zu  sein.  —  Aus  einem  Vergleiche 
mit  Reg.  Gregorii  ed.  Ewald  I,  24  a  ergiebt  sich  mir,  dass  der  Trecensis 
der  von  Ewald  für  diesen  Brief  benutzten  Handschrift  der  reg.  past.  von 
Ivrea  (nach  Reifferscheidt:  s.  VIII,  nach  Ewald  :  s.  VII,  in  merow.  Schrift) 
vorzuziehen  ist.  Der  Trec.  hat  S.  38  Z.  3  thatsächlich  in  statt  ut. 
1)  Grosley,  Vie  des  Pithou,  t.  II,  p.  278. 


532  L.   M.   Hartmann. 

videtur';  auch  mir  erschien  es  wahrscheinlich,  dass  die  Hand- 
schrift aus  dem  7.  Jahrhundert  stamme.  Um  jedoch  ein  mass- 
gebendes Urtheil  einzuholen,  wendete  ich  mich  an  H.  Leop. 
Dehsle  mit  der  Bitte,  mir  seine  Ansicht  mittheilen  zu  wollen. 
L.  Delisle,  der  meine  Bitte  mit  der  grössten  Liebenswürdigkeit 
erfüllte,  meint,  dass  die  Handschrift  jedenfalls  nicht  jünger 
sei  als  der  Anfang  des  8.  Jahrhunderts,  eher  aber  noch  ins 
7.  Jahrhundert  gehöre.  Das  b  hat  noch  regelmässig  Majuskel- 
form. Die  Evangeliencitate  sind  nicht,  wie  in  dem  Codex  von 
Troyes,  an  den  Kand  geschrieben,  sondei'n  nur  durch  gewisse 
an  den  Rand  gesetzte  Zeichen  bezeichnet.  Correcturen  sind 
sehr  häufig  und,  wie  Herr  L.  Delisle  die  Güte  hatte  mir  zu 
bestätigen,  ungefähr  gleichzeitig'. 

In  Paris  verglich  ich  noch  einen  kleinen  Theil  der  wich- 
tigen Handschrift  der  Gregorbriefe,  die  Ewald  mit  r  1  bezeichnet 
hat  (Par.  Lat.  2279),  mit  Ewalds  Collationen,  Aveil  Ewald 
genöthigt  war,  diese  Handschrift  in  der  grössten  Eile  zu  ver- 
gleichen. —  Femer  reiste  ich  für  einen  Tag  nach  Chartres, 
wo  zwei  Briefe  Gregors  in  einer  Handschrift  des  8.  Jahrhun- 
derts erhalten  sind  ^.  Es  ist  dies  einer  der  wenigen  Fälle,  in 
denen  uns  vorliegende  Handschriften  von  Gregorbriefen  nicht 
auf  das  Register,  sondern  auf  das  Original  zurückgehen.  Die 
Orthographie  dieser  Briefe  ist  jedoch  durch  den  fränkischen 
Schreiber  derart  entstellt,  dass  die  Handschrift  auf  Gregors 
Orthographie  keine  Schlüsse  zulässt. 


Ich  will  hier  die  wichtigsten  orthographischen  Abweichungen 
zusammenstellen,  die  in  den  erwähnten  Handschriften  vor- 
kommen'. 


1)  Herr  Delisle  bemerkt  mir,  dass  er  bei  rascher  Durchsicht  keine 
Correcturen  gesehen  habe,  die  ihm  jünger,  als  der  Anfang  des  9.  Jahr- 
hunderts, 7,u  sein  scheinen.  Wegen  der  Aehnlichkeit  der  Correcturen, 
scheint  mir  dies  auch  eine  Bestätigung  dafür  zu  sein,  dass  die  Correcturen 
von  Troyes  mindestens  nicht  jünger  sein  können.  2)  Cod.  von  Chartres  3. 
Vergl.  Bethmann  im  Archive  VIII,  385.  Auch  der  Berner  Codex,  den 
Ewald  benutzt  hat,  zeigt  nur,  mit  welcher  Willkür  spätere  Schreiber 
Gregors  Orthographie  behandelten.  3)  Der  Index  von  Herrn  Dr.  Bruno 
Krusch  im  1.  B.  der  Script,  rer.  Merov.  hat  mir  bei  der  ersten  Zusammen- 
stellung als  Grundlage  gedient.  —  Ich  kürze  ab:  P.  =  Codex  der  Reg. 
past.  in  Troyes;  I.  =  Pariser  Cod.  der  Moralia ;  D.  =  Cod.  Ambrosianus 
der  Dialogi  nach  der  Ausg.  von  Waitz  und  der  Beschreibung  von  ReifFer- 
scheidt;  C.  =  Veroneser  Codex  der  Complexionen  Cassiodors  nach  der 
Collation  von  Herrn  Prof.  Stangel;  L.  p.  =  Neapol.  Codex  der  Papst- 
leben (B  l)  nach  der  Ausg.  von  Duchesne.  Ferner  habe  ich  noch  als 
Hier,  an  einigen  Stellen  die  Codices  A  und  B  aus  Schoene's  Hieronymus- 
Ausg.  herangezogen.  Einige  Parallelstellen  habe  ich  aus  dem  von  Ewald, 
Reg.     Greg.    I,   24  a    benutzten    Stücke     der   Pastoral-Codices    von    Ivrea 


Ueber  die  Orthographie  Papst  Gregors  I.  533 

e  statt  ae:  Ausnahmslos  wird  herere  und  heresis  geschrie- 
ben in  P.,  I.,  D.,  ebenso  in  C.  und  heresis  auch  im  L.  p. 
Querere  für  qua  er.  kommt  in  P.,  I.  und  in  C  vor,  was  auf 
Wort\^erwechselung  beruhen  mag.  Häufig  ist  ferner  derselbe 
Fehler  in  den  Vorsilben  prae  und  praeter,  bei  der 
Endung  -aeus,  bei  Dechnationsendungen  auf  ae  (auch  qua 
für  quae),  sowie  auch  bei  Wortanfängen  mit  ae:  in  allen 
Handschriften,  doch  in  keiner  regelmässig.  P.  pflegt  zu  corri- 
gieren;  doch  bleiben  uncorrigiert  namentlich:  celibatus;  ceru- 
lei;  lesus,  lesit  (aber  m.  2:  inlaesus);  leva  (auch  L.  p.); 
palestrarum;  pene;  prestat  (einmal,  auch  C);  sphera.  — 
Das  geschwänzte  e  kommt  in  P.  und  I.  vor,  aber  nicht  häufig. 

ae  statt  e:  praemere,  praessus  (und  Composita)  ist  sehr 
häufig  in  den  Gregorhandschriften,  doch  nicht  durchaus  und 
in  P.  manchmal  corrigiert.  —  Die  Adverbialendung  auf 
ae  kommt  vor  in  I.,  C,  L.  p.  und  ist  häufig,  jedoch  regel- 
mässig corrigiert  in  P.  Auch  quae  statt  angehängtem  que 
kommt  vor  und  wird  von  P.  corrigiert.  Dasselbe  gilt  von 
Ablativen  der  3.  und  5.  Declination.  —  Ferner  kommen  in 
P.  vor:  aepulatus  (auch  richtig);  aesus;  interpr a e tatur  (auch 
C.  und  Hier.);  piaetatis  (corr. ;  ebenso  C.) ;  praeces,  deprae- 
catio;  praetium  (auch  C,  aber  richtig D.);  taenacibus  (corr.); 
ferner  einmal:  spraebit  für  sprevit.  —  D.  schreibt  faeminae 
(so  auch  Past.  von  I\Tea),  einmal  quinquaennium. 

b  statt  p:  I.:  abte  (corr.);  L.  p.  hat  babtisterium. 

p  statt  b:  L.  p.  hat  einmal  rempuplicam. 

b  statt  V :  Diese  Verwechslung  ist  selten  in  anderen  Hand- 
schriften, häufiger,  wenn  auch  meist  corrigiert  in  P.  Von 
demselben  Worte  kommen  corrigierte  und  uncorrigierte  Formen 
vor.  Die  m.  2.  schreibt  häufig  proberbiis.  Durch  diese  Ver- 
wechslung werden  aus  Perfecten  scheinbare  Futura,  z.  B.  P.: 
adamabit,  creabit  (wohl  auch  exibit,  aber  corr.);  ebenso 
D.:  liberabit,  adiubante  und  Hier.:  mutabero.  Neben  ein- 
ander kommen  in  P.  corrigierte  und  nicht  corrigierte  Formen 
vor,  z.B.  von  brebis  (so  auch  C),  elebare,  sublebare,  fabor, 
iubare,  libor,  nobissimus,  binum;  bolutabrum  neben  vol. 
Meist  corrigiert  sind  die  Formen  von  cabere,  cur  bare, 
labare,  solbere,  volbere,  vobere.  Uncorrigiert  bleiben  z.B. 
abidus,  grabat;  conserbent,  obserbandi.  Es  scheint  aber  sogar 
auch  umgekehrt  aus  iuvenes:  iubenes  gemacht  worden  zu  sein. 


(s.  VII  oder  VIII)  und  Berlin  (s.  IX)  genommen.  —  Ich  muss  bemerken, 
dass  ich  I.  und  C.  nur  theilweise  durchgesehen  habe,  dass  auch  D.  in  den 
Scr.  Lang,  nur  theilweise  abgedruckt  ist.  —  Die  Schreibung  der  Eigen- 
namen habe  ich  meist  nicht  berücksichtigt.  —  Die  Grundlage  bildet 
natürlich  durchaus  der  Trecensis,  den  ich  ganz  verglichen  und  ausge- 
zogen habe. 

Neaea  Archiv  etc.    XV.  35 


534  L.   M.  Hartmaun. 

V  statt  b:  Auch  dieser  Fehler  ist  wohl  am  häufigsten  in 
P.,  aber  wiederum  meistens  corrigiert.  Nicht  immer  corrigiert 
ist  er,  wenn  er  im  Fut.  der  1.  oder  2.  Conj.  begangen  wird, 
z.B.  davo,  carevit  und  öfter.  Ebenso  I.:  adpropinquavit 
im  Fut.  (Analog  C.)  Corrigiert  ist  in  P.  derselbe  Fehler 
im  Imperf.,  z.B.:  reverevamur.  Bald  corrigiert,  bald 
richtig  ist  die  Adjectivendung  -bihs  (-vilis).  Es  kommt  vor 
varatro,  vonis  neben  den  richtigen  Formen.  Corrigiert 
sind  z.B.:  adhivita,  amvit,  devita  (so  auch  mitunter  C), 
guvernator,  (h)evetes,  iuvente,  laviorum,  livertas,  lividinis, 
movilitate,  praeves  (so  auch  C),  provare  etc.  (so  auch  C); 
supervia,  tavernaculum,  traves.  Nicht  comgiert  sind  z.  B., 
je  einmal  lavore  und  scaviem.  —  1.  corrigiert  cuvilia,  C. 
hat  mitunter  civos,  civo,  sivi. 

c  vor  X  eingeschoben:  je  einmal  in  P. :  extincxit  (cor- 
rigiert) und  D.:  construcxi. 

c  ausgelassen:  P.  hat  einmal  autor,  das  wohl  noch  von 
derselben  Hand  corrigiert  ist,  sonst  stets  auctor.  C.  hat  ein- 
mal cunta.     (D.  setzt  einmal  discentus  für  discinctus). 

e  statt  qu  und  der  umgekehrte  Fehler  sind  selten.  P. 
schreibt  gewölmlich  locutus  etc.  Doch  kommt  einmal  loquu- 
turi  vor,  viermal  loquutio  und  regelmässig  quur  statt  cur. 
In  I.  bemerkte  ich  einmal  loquotus  und  einmal  secuntur; 
dagegen  findet  sich  in  D.  regelmässig  locutus. 

e  vorausgestellt:  das  später  häutige  's  impura'  findet  sich 
von  den  Gregorhandschriften  nur  in  D.,  wo  expectaculum 
(Wortverwechslung  Vj  und  exenia  vorkommt.  (Vielleicht  wurde 
exspoliare  mit  spoliare  vei'wechselt). 

ti  statt  ci:  Past.  III,  9  (Trec.  f.  62):  sie  enim  conditi 
miserabiliter  sumus  —  custodem  igitur  conditionis  nostr§ 
patientiam  düs  esse  monstravit;  sonst  wird  condicio  in  P. 
immer  richtig  geschrieben,  überhaupt  ti  und  ci  nicht  verwechselt. 
Auch  an  dieser  Stelle  ist  das  t  auf  Kasur;  das  Wort  wurde 
Avegen  des  Wortspiels  corrigiert.  —  In  D.  kommt  conditione 
schon  vor  (p.  537  der  SS.  Lang. :  ea  c.  interpositaj  und  pro- 
vintia  neben  provincia.  Auch  in  I.  habe  ich  emmal  con- 
ditioni  bemerkt;  ebenso  umgekehrt  cicius,  das  aber  cor- 
rigiert ist.  (Hier,  schreibt  noticia).  (D.  schreibt  Bone- 
fatius,  was  nicht  als  Fehler  angesehen  werden  kann). 

e  statt  i:  Dieser  Fehler  kommt  sehr  häufig  in  I.  und 
häufig  auch  in  P.  vor,  doch  ist  er  in  diesen  beiden  Hand- 
schriften fast  durchgehends  corrigiert,  während  er  in  D. 
stehen  geblieben  ist.  Namentlich  bei  folgenden  Wortgruppen 
wird  der  Fehler  begangen:  bei  Compositis  von  tenere;  bei 
addedit,  crededit,  perdedit,  reddedit,  subdedit  —  in  beiden 
Fällen  mag  die  Form  des  Stammverbums  die  Verwechslung 
erleichtert   haben.     Ferner  bei  der  Endung  -is   der  3.  Decl. ; 


lieber  die   Orthographie  Papst  Gregors  I.  535 

auch  der  Ablativendung  -i,  z.  B.  P.:  viro  forte,  in  altare  (neben 
altari,  beides  f.  61  Trec,  III  c.  9);  I.:  caeleste,  corrigiert; 
C:  a  fidel  e.  Ferner  bei  der  Endung  des  passiven  Infin.  praes., 
aus  der  die  des  activen  wird;  ferner  mitunter  bei  den  Vor- 
silben di-  und  dis-.  Verwechslung  der  Perfectform  und  der 
Praesensform ,  wenn  sich  beide  nur  durch  den  Wechsel  der 
Vocale  e  und  i  unterscheiden,  kommt  öfters  vor,  z.  ß.  accipit- 
accepit;  in  D.  auch  aecepiens  und  ebenda  z.  B.  exegente, 
receperentur.  P.  schreibt  auch  intrensecus  und  Formen  auf 
-escere,  statt -i score,  corrigiert  sie  aber;  corrigiert  auch 
legare,  (Wortverwechslung?)  was  D.  stehen  lässt,  und  vigelat, 
was  auch  I.  corrigiert.  I.  schreibt  und  corrigiert  ferner: 
exhebuisse,  fedehs,  inlecitus,  iudecare  (so  auch  D.),  iubelo, 
nemis,  puretatis  und  dgl.  (so  auch  D.),  sengula,  vesebele. 
In  D.  kommt  vor  z.  B. :  cometatu,  egitur,  praestetit  und  dgl. 
(s.  ob.  Comp,  von  dare),  tetig  esset  und  dgl.,  trebunus.  Ganz 
ähnliche  Fehler  machen  auch  L.  p.  und  —  aber  nicht  sehr 
häufig  —  C.  (Auch  Hier.,  D.  Der  Cod.  von  Ivrea  hat:  d e dicit). 

i  statt  e:  Was  die  Correcturen  angeht,  so  gilt  im  Wesent- 
lichen dasselbe,  wie  in  der  vorigen  Rubrik.  Auf  Wortver- 
wechslung kann  es  beruhen,  wenn  in  P. :  all  i  gationibus  zwei- 
mal (ebenso  an  der  einen  betr.  Stelle  in  den  Codices  von 
Berlin  und  Ivrea)  nicht  corrigiert  ist,  obwohl  es  offenbar  für 
alleg.  gesetzt  ist.  —  Kegligere  ist  in  P.  und,  wie  es  scheint, 
auch  in  I.  noch  selten,  überdies  in  P.  meist  corrigiert;  auch 
intelligere  kommt  in  beiden  Handschr.  vor  und  wird  in  P. 
regelmässig  corrigiert.  Sonst  sind  die  vorkommenden  Fehler 
die  umgekehrten  wie  in  der  vorigen  Rubrik:  Endung  -is  statt 
-es  in  der  3.  Decl.,  Endung  -i  statt  -e  (z.  B.  P. :  semin i  im 
Abi.,  corr.);  passiver  Infinitiv  statt  des  activen  (zwei  nicht 
corrigierte  Fälle  in  P.  könnten  auch  auf  verschiedene  gramma- 
tische Auffassung  zurückgehen);  Endung  -it  statt  et.  Auch 
di-  statt  de-.  Häufig  sind  diese  und  ähnliche  Fehler  auch 
in  D.,  sowie  in  C.  und  L.  p.  (Desgl.  Hier.  B.) 

oe  statt  e  und  umgekehrt:  P.  hat  zweimal  fedare  für 
foedare  geschrieben,  aber  corrigiert  (in  einem  Falle  wurde 
vielleicht  an  fetare  gedacht).  Wenn  in  P.  einmal  coeperit, 
in  D.  einmal  coeperant  statt  cep.  vorkommt,  so  ist  das  auf 
Wortverwechslung  zurückzuführen.  Einmal  finde  ich  in  P. 
auch  cepta.  jedoch  corrigiert,  für  coepta,  während  auf  dem- 
selben Blatte  einige  Male  richtig  coept.  vorkommt. 

f  statt  v:  fertice  einmal  in  D.  (Verwechslung  von  pro- 
vectus  und  profectus  in  P.). 

Falsche  Gemination  der  Consonanten  oder  der  umgekehrte 
Fehler:  P.  schreibt  den  Praesensstamm  von  reperire  mit  pp; 
femer  kommt  vor:  gluttientes;  modullationem  (corr.); 
Thessall onicenses  (m.  1  und  2;  L.  p.:  Thesallonic).     D.  hat 

35* 


536  L.  M.  Hartmann. 

einmal  und  L.  p.  öfters  sepellire.  Dagegen  schreibt  P,  durch- 
aus tintin abulum,  corrigiert  molescunt  und  hat  einmal  aus- 
nahmsweise pecata.  Meist  wohl  auf  Schreiberversehen  zurück- 
gehende Fehler  derart  auch  in  den  anderen  Handschriften.  In 
C.  fand  ich  je  einmal  animtiat  und  reperisse. 

g:  P.  hat  stagnum  statt  stannum  (Wortverwechslung?), 
corrigiert  pimentum  in  pigmentum. 

h  ausgelassen:  P.  und  D.  schreiben  asta,  aurire,  exor- 
tationes,  doch  corrigiert  P.  dies  letztere  Wort  in  vielen 
Fällen,  ebenso  wie  häufig,  wenn  am  Wortanfange  oder  nach 
c :  h  ausgelassen  war.  Per  o  rrescere  ist  in  P.  öfters  uncorrigiert 
gebUeben;  ferner  ausser  den  schon  angeführten  Wörtern:  cla- 
mis,  corda,  ebetes,  incoare.  D.  hat  je  einmal  ausnahmsweise 
abuisse  und  ortus  statt  hortus.  I.  hat  inchoare  neben  incoare 
und  perorrescens.  Auch  C.  und  L.  p.  lassen  h  mitunter  am 
Anfange  des  Wortes  und  nach  c  imd  t  aus. 

h  hinzugefügt:  P,  schreibt  regelmässig  himum;  I.  mit- 
unter, corrigiert  es  aber  mitunter.  P.  und  D.  haben  mit- 
unter hisdera  (nom.  sing.),  was  P.  ebenso  wie  his  statt  is 
corrigiert.  So  corrigiert  P.  auch  sein  ursprüngliches: 
habundantia,  hac  (statt  ac),  exhistimare,  honus  (jedes  je  ein- 
mal so  vorkommend),  perhimere,  schreibt  hypochritis  neben 
hypocritis.  D.  hat  je  einmal  Helba  und  exhorta.  Aehnlich 
L.  p.,  z.  ß.  hisdem,  cohartatur,  Anthiochenus. 

i  statt  y  und  der  umgekehrte  Fehler:  in  P.,  D.,  C,  L.  p. 
(u.  Hier.)  mitunter  in  Fremdwörtern.  Ausserdem  schreibt 
P.  einmal:  pygmentorum  und  D.  einmal  cogytabant. 

i  hinzugefügt:  In  P.  stand  ursprünglich  diu-chaus  hü, 
doch  ist  überall  ein  i  fort  corrigiert,  während  in  D.  hii 
noch  häufig  steht.  Ferner  schrieb  P.  ursprünglich  guila, 
corrigierte  das  Wort  aber  meistens,  ebenso  wie  das  einmal 
vorkommende  stranguiletur;  pusillanimes  ist  gewöhnlich  richtig 
geschrieben,  nur  einmal  pusillianimes  und  hier  corrigiert; 
uncorrigiert  blieben  je  einmal  lacessiens  und  unianimitate 
(m.  2).  D.  hat  zweimal  fugierunt,  L.  p.  je  einmal  praesen- 
tialiter  und  intira  statt  intra. 

m  ausgelassen:  durch  Auslassung  des  Schluss-m  kann 
das  Accusativ-Object  scheinbar  zu  einem  Nomin.  oder  Abi. 
werden,  wenn  es  nach  der  1.  Decl.  abgewandelt  wird.  Fünf 
derartige  Fälle  lassen  sich  in  P.  nachweisen,  von  denen  vier 
corrigiert  sind.  Dass  hier  nicht  Casus  Verwechslung  vor- 
liegt, beweisen  Fälle,  wie  ipsa  (corrigiert  ipsam)  veniam, 
besonders  aber  der  analoge  Fall:  iugu,  eine  Form,  die  corri- 
giert ist.  Einmal  finde  ich  auch  so  manu,  das  dann  in  manum 
corrigiert  ist.  Dergleichen  Fälle  fand  ich  in  D.  gar  nicht, 
dagegen  in  C.  bei  Wörtern  der  1.  Decl.;  und  in  L.  p,  kommt 
sogar   öfters  in  diesen  Fällen   die  Endung   -u   statt  -um  vor. 


Ueber  die  Orthographie  Papst  Gregors  I.  537 

Ich  ziehe  es  vor,  die  Fälle  in  denen  i  n  mit  dem  Ablative  statt 
mit  dem  Aecusative  eonstruiert  ist,  unten  bei  den  Constructions- 
fehlem  anzuführen.  Dagegen  scheinen  hierher  zu  gehören:  P.: 
ad  sponsa  (m.  2,  corr,),  ad  scientia;  iuxta  voce  (m.  2). 
D.:  ad  cura;  intra  ecclesia.  C:  per  iustitia,  ad  fidem 
Christiana,  ad  correptionem  nostra,  i n  t e r  scienti a  et  prophe- 
tiam.  Solche  Fälle  kommen  auch  in  L.  p.  nach  ad,  inter, 
iuxta,  propter  vor. 

m  hinzugefügt:  dieser  Fehler  ist  seltener,  als  der  eben 
besprochene.  In  P.  finden  sich  8  Fälle,  in  denen  durch  diese 
Hinzufügung  aus  einem  Ablativ  ein  scheinbarer  Accusativ 
wird;  in  6  von  diesen  ist  aber  das  m  fortcorrigiert; 
ein  siebenter  Fall:  in  montem  stare  steht  neben:  in  monte 
Stare.  Einmal  bleibt  stehen:  in  eam  figitur,  vielleicht  in  Folge 
grammatischer  Zweifel  des  Correctors.  In  D.  kommt  dieser 
Fehler  in  vereinzelten  Fällen  nach  Praepositionen  (ex,  in,  pro), 
ganz  selten  ohne  diese  vor.  (Einmal  orationem  petita  als  abl. 
absoL,  einmal  Arriani  causam,  wo  causa  praepositional  gebraucht 
ist).  Am  häufigsten  ist  dieser  Fehler  in  L.  p.  (Auch  in 
Hier.  ß.). 

n  hinzugefügt  oder  umgekehrt:  es  ist  in  den  Handschr. 
ein  häufiges  Versehen,  dass  an  Stelle  der  3.  Pers.  Plur.  die 
3.  Pers.  Sing,  steht.  P.  schreibt  einmal  fälschlich  adamans, 
Avas  wohl  aus  dem  Genet.  zu  erklären  sein  dürfte.  L.  p.  schreibt 
je  einmal:  Clondia,  occansionem,  singillata. 

n  statt  m  scheint  in  C.  manchmal  vorzukommen:  circun- 
cisio,  contenpsit,  senpiternae,  jedoch  nur  ausnahmsweise;  dazu 
auch:  debean  punire. 

o  statt  u:  P.  schreibt  je  einmal:  copiunt,  tonsi  (von  tun- 
dere).  Letzteres  kann  auf  Wortverwechslung  beruhen.  Ferner 
fructos  im  Acc.  Plur.  (neben  dem  regelmässigen  fructus)  imd 
reato.  Ebenso  D.:  curso  (corr.),  exito;  ferner  im  Nom. 
Sing.:  suos  (corr.),  Langobardos  (C:  conversos);  multora; 
ferner  im  Stamme  einzelner  Wörter,  z.  B.  foror,  insola,  iocun- 
dus,  nomero.  Desgleichen  I.,  namentlich  vor  1:  adminicola- 
tur,  discipolus,  lectolus,  paulolum,  postolavit,  saecola,  stimo- 
los,  aber  auch  compotant,  loquotns;  doch  corrigiert  hier 
I.  in  allen  Fällen.  C.  hat  einmal  illod.  In  L.  p.  ist  diese 
Verwechslung  namentlich  in  den  Endungen  nicht  selten. 

u  statt  o:  -US  statt  -os  im  Accus.  Plur.  der  2.  Decl.  masc. 
kommt  in  D.,  L.  p.,  I.  und  einmal  (populus)  in  P.  vor;  doch 
in  den  beiden  letzteren  corrigiert.  Im  Abi.  der  2.  Decl.: 
flexu  genu  (D.),  hoc  auditu  (L.  p.),  beides  erklärlich.  In  ein- 
zelnen Wortstämmen :  abuminabilis  (corr.,  P.),  agricula  (corr., 
P.),  apostvilus  (mitunter  in  I.  und  C,  in  ersterem  corrigiert), 
custus  (D.,  L.  p.),  punere  (einmal  in  P.,  corrigiert,  und 
in  C),  putio  (corr.,  P.),  rubustius  (corr.,  I.),  sulius  (corr. 


538  L.   M.   Hartmann. 

I.).  Dazu  noch  einige  fehlerhafte  Schreibungen  in  L.  p.,  nament- 
lich die  Endung  -urium  statt  -orium,  custus  statt  custos. 

o  statt  um:  wegen  der  Verbindung  mit  in  verweise  ich 
wieder  auf  die  Constructionsfehler.  Sonst  kommt  diese  Ver- 
wechslung in  P.  nicht  vor.  Dagegen  inD.:  colloquio  habere; 
quem  dispecto  (Acc);  succenso  chbanum  (Acc);  ad  me  posito. 
In  I.  kommen  ähnUche  Fehler  vor  (ludaico  populum,  ad  domo), 
werden  aber  corrigiert.  In  L.  p.:  propter  quodam  presbi- 
tero,  was  doch  schon  mehr  Constructionsfehler  ist,  und  ad 
oleo. 

um  statt  o:  auch  diese  Verwechslung  kommt  in  P.  nur 
in  Verbindung  mit  in  vor.  (Wenn  einmal  ursprünglich  stand: 
populum  conversum  exprobrat  und  dies  dann  in:  populo 
converso  corrigiert  wurde,  so  wurde  offenbar  ein  Con- 
structionsfehler corrigiert.  Vgl.  Reg.  past.  III  c.  13).  In  D. 
finde  ich  einmal  (p.  531  Z.  2)  sign  um  als  Ablat.  instrum. 
gebraucht.  In  L.  p.:  sine  dalmaticam  aut  colobium,  in  eodem 
locum  (Ablat.),  in  palatio  Sessorianum  (Ablat.). 

p  ausgelassen:  scrituras  finde  ich  in  C.  einmal;  in  P. 
einmal,  aber  corrigiert,  abru  ta  statt  abru  p  ta. 

p  hinzugefügt :  Dieser  Fehler  findet  sich  in  P.  nicht,  und 
in  I.  stiess  ich  auch  auf  kein  Beispiel.  Dagegen  schreibt  D. 
einmal:  sollempnia,  L.  p.:  medempnos  neben  medeninos. 

X  statt  s:  In  C.  finde  ich  einmal  die  Form  dextruxit. 


Für  die  Assimilationen  der  verschiedenen  Hand- 
schriften lassen  sich  so  gut  wie  keine  Regeln  aufstellen  ;  höchstens 
dass  ein  oder  das  andere  Wort  in  den  einzelnen  Handschriften 
consequent  geschrieben  ist.     Ich  führe  daher  nur  Beispiele  an : 

ad:  P.  hat  durchaus  ammonere,  assimiUert  auch  sonst 
regelmässig  vor  m,  sowie  vor  r,  schreibt  appetitus,  apparere, 
sowie  aspicere,  astringere,  ist  aber  sonst  schwankend^  nament- 
lich vor  t,  Avährend  es  vor  s  häufig  nicht  assimiliert.  D.  und 
I. :  adra. ;  D.:  assumpsit,  adponentes;  I.:  adsumta,  appo- 
suit  etc. 

con:  wird  in  den  Gregorhandschriften  vor  r  regelmässig 
assimiliert;  schwankend  vor  1,  m,  p;  in  sehr  vereinzelten  Fällen 
kommt  auch  cum  vor.  —  In  P.  sogar  conmunis. 

in:  Nicht-Assimilation  wiegt  vor  vor  1  und  r,  ist  auch 
sehr  häufig  vor  m  und  p. 

ob:  P.  schreibt  regelmässig  opponere,  opprimere,  einmal 
obprobrii  (imd  regelmässig  oportunus).     Vgl.  unten  bei  b. 

Pronomina:  eundem  etc.  durchaus  in  P.,  L,  D.  —  D. 
schreibt  auch:  tan  diu,  wogegen  P.,  I.,  D. :  um  quam  etc.  In 
P.  wiegt  quid  quid  vor,  dagegen  hat  D.  einmal  quicquid. 


Ueber  die  Orthograjihie  Papst  Gregors  I.  539 

8ub:  bei  den  einzelnen  Wörtern  und  Handschriften  schwan- 
kend. P,  hat  einmal  sogar  ausnahmsweise  subrectura,  aber, 
wie  es  scheint,  regelmässig  sufficere. 


Neben  die  eigentlichen  Sprachfehler  stelle  ich  hier  eine 
Liste  von  orthographischen  Eigenthümlichkeiten,  die  man  nicht 
als  falsch  bezeichnen  kann,  die  aber  doch  für  die  Orthographie 
von  Interesse  sind  und  die  ich  nicht  in  die  obige  Zusammen- 
stellung aufgenommen  habe: 

ae:  D.  schreibt  depraehensi  (ebenso  der  Codex  von  Ivrea: 
repraehendis).  Moerere  zweimal  in  D.  P.  regelmässig:  cae- 
lum^  paenitentia  und  saeculum  etc. 

a  statt  e:  consparsio,  nach  dem  Grundworte  gebildet, 
in  P.  und  D. 

b  statt  p:  in  P.  kommt  ausnahmsweise  einmal,  in  C.  (und 
Hier.)  öfters:  scribtum  vor;  ferner  einmal  in  P. :  labsis. 

p  statt  b:  in  P.  ist  optulit,  optinere  regelmässig;  doch 
kommt  einmal  ob  tinuit  vor.  In  D.  beide  Schreibweisen  neben 
einander.  P.  hat  regelmässig  suptiliter,  einmal  sogar  optura- 
bis.     (Auch  in  L.  p.  regelmässig:  optulit). 

c:  P.  hat  einmal  parsimonia.  P.  und  D.  schreiben  richtig: 
artus,  coartare. 

d  und  t:  P.  und  D.  haben  nur  ausnahmsweise:  aliut; 
dagegen  ist  in  P. :  aput  sehr  häufig,  ja  es  wird  sogar  einmal 
aus  apud:  aput  corrigiert,  während  D.  durchaus  apud  hat. 
Einmal  in  P.  auch  illut.  D.  hat  einmal  quatragisimo.  (Hier.: 
aliut,  aput,  illut).  Umgekehrt  kommen  in  P.  (meist  corrigiert) 
und  D.  Verwechslungen  von  ad  für  at,  quod  für  quot  vor; 
ferner  adque  ausnahmsweise  in  I.  und  C.      (In  L.  p.:  capud). 

e  und  i:  in  P.  finde  ich  calci  amentum.  Die  Schreibung 
von  saltem  —  saltim  und  den  mit  tenus  (tinus)  zusammen- 
gesetzten Wörtern  ist  in  P.  ganz  schwankend.  P.  (und  der 
Codex  von  Berlin,  nicht  der  von  Ivrea)  hat  delitiscendo.  D. 
setzt  -isco  bei  einigen  anderen  Inchoativen,  die  sonst  auf  -esco 
auszugehen  pflegen. 

Gemination:  P.  schreibt  meist:  rennuere,  corrigiert  aber 
an  zwei  Stellen  in  renuere  und  schreibt  durchaus  richtig: 
sollers  und  sollicitus.  P.  und  C.  haben  tritticum.  P.  hat 
durchaus  cotidie. 

h:  P.  und  D.  haben  sepulchrum.  P.  schreibt  regelmässig 
palphebrae  (ß^icpaQor). 

n:  P.  schreibt  quoties;  es  kommt  aber  auch  totiens  — 
quotiens  vor. 

o  und  u:  P.  schreibt  ad  ulescens;  epistula  neben  epistola 
(m.  2:  epistula,  ebenso  C),  ferner  utrobique  und  soboles; 
corrigiert:  bubus  in  bobus. 

p:  P.  schreibt  gewöhnlich  contemsit,  contemtus,  prae- 
sumftio    rauch   Cod.   von   Ivrea),   redemtor,    temtatio,   corri- 


540  L.  M.  Hartmann. 

giert  aber  regelmässig  ein  p  hinein.  D.  schreibt  mit  p,  I.  auch 
meist  mit  p.     (C.  verschieden). 

ph:  schon  angeführt  wurde  das  sonst  ungewöhnliche,  in 
P.  gebräuchliche :  palp  h  ebrae.  P.  schrieb  an  einer  Stelle 
spera  (öcfcuoa),  corrigierte  aber  ein  h  hinein.  In  P.  kommt 
auch  z.B.  blasphemia,  Ephesii,  propheta  vor  neben  Sofo- 
nias  (m.  2:  ph),  Fariseus,  colafos.  (L.  p,  setzt  sehr  häufig  f, 
einmal:  porfhireticas.     C, :  Efesioi'um,  Faraonis). 

s  wird  nach  x  ausgelassen  regelmässig,  aber  nicht  durch- 
gehends  in  P.  und  in  D.,  mitunter  in  I.  und  C.  und  L.  p. 

r:  ich  finde  in  P.  einmal  exprobans,  in  D.  einmal  percre- 
b  uit. 

u:  P.  schreibt  arguere,  extinguere  etc.,  aber  je  einmal 
extingunt  und  langor.  In  D.  finde  ich  extingue,  in  I.  urgentem. 


Von  mehr  grammatischen  Fehlem  merke  ich  die 
folgenden  an: 

C  onjugationsfehler:  als  solcher  muss  es  gelten,  wenn 
P.  einmal  censeunt  statt  censent,  einmal  prodeest  statt  pro- 
dest,  zweimal  tondant  statt  tondeant  schreibt.  D.  hat:  redie- 
bat  und  inclausus,  C. :  ut  consequentur. 

Declination:  vielleicht  auf  blosses  Verschreiben  zurück- 
zuführen ist  das  in  P.  einmal  vorkommende:  ossuum  (Gen. 
Plur.).  Ob  man  die  zwei  in  P.  vorkommenden  falschen  Abi. 
Sing,  (s.  e  statt  i)  hier  anführen  sollte,  ist  zweifelhaft.  Hierher 
gehören  aber  jedenfalls  die  Pronominalformen:  isdem  (Nom. 
Sing.),  was  in  P.  dreimal  vorkommt  und  in  D.  regelmässig 
ist,  und  hii,  was  in  P.,  niclit  aber  in  D.  comgiert  wird ;  ferner 
kommt  in  D.  einmal:  hoc  iumento  als  Dativ  vor.  (In  L.  p. 
Genitive,  wie  omni  ecclesiae,  lohanni).  Declinationswechsel : 
arbitri  s  als  Genitiv  in  P. ;  ebenda  wird  Ezechiel  u  m  meist  in  Eze- 
chielem  corrigiert.  D.  schreibt:  diaconum  (Acc),  L.  p.:  dia- 
con  e  s  neben  diacon  i ;  diacon  o  s ;  diaconi  b  u  s. 

Genus:  P.  hat:  cubitum,  Gen.  cubiti,  und  den  Acc.  Plur.: 
angula  neben  angulos.  Einmal  finde  ich:  ab  ipsa  fönte; 
und  hierher  gehört  wohl  auch  salubre  potum  (Acc).  Die 
üebereinstimmung  des  Relativpronomens  im  Genus  mit  dem 
Substantive,  auf  das  es  sich  bezieht,  wird  vereinzelt  schon  nicht 
in  C.  (z.  B.  gentes,  qui)  beachtet  und  häufig  nicht  in  L.  p. 
Doch  finden  sich  solche  Fehler  in  den  Gregorhandschriften 
nicht. 

Praepositionen :  ich  verweise  auf  das  bei  m  und  bei 
der  Verwechslung  von  o  und  um  Gesagte.  Häufig  lässt  sich 
nicht  sagen,  ob  ein  Constructionsfehler  oder  ein  Schreibfehler 
vorliegt.  Sehr  häufig  Avird  in  scheinbar  oder  wirklich  mit 
dem   Ablat.    statt  mit    dem  Accus,    verbunden;   dass  in   P. 


lieber  die  Orthographie  Papst  Gregors  I.  541 

gerade  diese  Fälle  der  Auslassung  von  m  und  der  Verwechs- 
lung von  0  und  um  häufig  vorkommen  und  nicht  corrigiert 
sind,  scheint  mir  doch  darauf  hinzuweisen,  dass  diese  Fälle 
anders  aufzufassen  sind.  Oft  lässt  sich  auch  für  diese  Con- 
struction  eine  logische  Rechtfertigung  denken,  namentlich 
dann,  wenn  schon  an  das  erreichte  Ziel  statt  an  die  Richtung 
gedacht  werden  kann;  deshalb  sind  es  keineswegs  sämmtliche 
Verba,  nach  denen  diese  Construction  zugelassen  wird.  P. 
schreibt:  in  nece  anhelare;  confodere  in  terra;  se  in  favore 
declinare;  incidere  in  manu;  intinguere  in  aqua;  in  culpa 
lapsus;  mittere  in  terra;  in  Christo  peccata;  in  medio  proferre; 
in  elatione  sublevari;  in  regno  se  unxerat;  in  mente  venisse  ; 
vertere  in  usu,  in  exercitation  e.  Verhältnismässig  häufiger 
in  D.,  namentlich  nach  Participien  des  Perf.,  z.  B. :  ductus, 
deductus,  transductus ;  erectus;  raptus  ;  reversus  ;  versus  —  aber 
auch  nach  cadere ;  concludere ;  ingredi ;  levare :  mittere,  remittere ; 
tradidisse;  venisse;  advenisse  (auch  Narniis  auf  die  Frage: 
wohin?  und  in  partibus).  I.  schreibt  z.  B.:  adsumere  in 
argumento,  discendere  in  corruptione.  (L.  p.  hat  sogar  prop- 
ter  quodam  presbitero).  Für  scheinbare  oder  wirkliche 
Setzung  des  Accus,  statt  des  Ablat.  verweise  ich  wieder 
auf  oben.  Entschieden  auf  einer  anderen  Auffassung,  als  der 
gewöhnlichen,  beruhen  folgende  Constructionen  in  P :  sub  vela- 
men  abscondunt;  gaudium  erit  super  unum  paenitentem; 
in  quod  vigilare;  dazu  kommt:  in  terrena  negotia  versatur; 
ferner  z,  B, :  in  paradisum  conditus,  in  laqueum  comprehen- 
dit,  in  exsilium  positus;  auch  einfach:  in  medium,  in  servi- 
tium  esse  auf  die  Frage:  wo?  —  hier  dürfte  eher  Fehlschrei- 
bung anzunehmen  sein.  In  L.  p.  ist  auf  Casusvertauschung 
namentlich  die  häufige  Verbindung  von  cum  mit  dem  Accus, 
zurückzuführen,  z.  B.  cum  litteras,  cum  possessiones,  cum 
balneum,  cum  turrem. 


Man  kommt  also  zu  dem  Resultate,  dass  die  Fehlerarten 
in  den  verglichenen  Handschriften  grossentheils  dieselben  sind, 
dass  sich  aber  die  Handschriften  durch  die  Anzahl  der  Fehler, 
die  sie  begehen,  und  durch  den  sehr  wichtigen  Umstand,  dass 
eine  grosse  Menge  von  Fehlern  in  den  einen  corrigiert,  in 
den  anderen  nicht  corrigiert  sind,  von  einander  unterscheiden. 
Von  der  Handschr.  der  Dialoge  sagt  Waitz  mit  Recht,  dass 
sie  in  der  Orthographie  des  8.  Jahrhunderts  geschrieben  ist 
und  dass  man  von  dieser  nicht  auf  die  Gregors  zurückschliessen 
kann.  Sie  ist  weniger  correct,  als  die  beiden  Gregorhand- 
schriften des  7.  Jahrhunderts,  obwohl  diese  sehr  viele  Fehler 
enthalten,  die  sich  in  der  Handschrift  der  Dialoge  wiederfinden. 
Doch  erkennt  man  sowohl  in  der  Handschr.  der  Regula  pasto- 


542  L.  M.  Hartmann. 

ralis,  als  auch  in  der  der  Moralia  das  deutliche  Bestreben,  die 
orthographischen  Fehler  zu  verbessern,  sei  es  nun,  was  wahr- 
scheinlich ist,  nach  einem  correcteren  Originale,  von  dem  die 
Abschrift  genommen  war,  oder  nach  den  orthographischen 
Regeln,  die  der  Corrector  für  die  richtigeren  hielt  und  die 
auch  thatsächlich  die  richtigeren  waren.  Dass  man  diejenigen 
Fehler  der  beiden  Handschriften,  welche  fortcorrigiert  sind, 
nicht  auf  Rechnung  der  gregorischen  Orthographie  setzen 
kann,  geht  schon  daraus  hervor,  dass  die  beiden  wieder  von 
einander  abweichen;  die  Pariser  Handschrift  war  die  fehler- 
haftere —  vielleicht  war  sie  die  später  geschriebene  —  und 
zeichnete  sich  namenthch  durch  die  auffallend  häufige,  fast 
regelmässige  Verwechslung  von  e  und  i  aus  (namentlich  e 
statt  i),  wälirend  der  Codex  von  Troyes  in  vielen  Fällen  beson- 
ders b  und  V  nicht  auseinander  zu  halten  weiss  (was  in  I. 
nicht  häufig  zu  sein  scheint).  Umgekehrt  ist  aber  die  Gleich- 
mässigkeit  der  Correctur  beider  Handschriften  hervorzuheben". 
—  Was  nach  der  Correctur  noch  von  Fehlem  übrig  blieb  — 
es  sind  ihrer  nicht  gar  viele  —  muss  theilweise,  z.  ß.  wenn 
dasselbe  Wort  bald  corrigiert,  bald  nicht  corrigiert  ist,  auf 
Nachlässigkeit  des  Correctors  zurückgeführt  werden,  ist  also 
in  diesem  Theile  auch  sicher  nicht  gregorisch;  so  bleibt  nur 
ein  kleiner  Rest,  von  dem  man  nicht  mit  Sicherheit  behaupten 
kann,  dass  er  nicht  der  Schreibweise  Gregors  angehört. 

In  orthographischer  Beziehung  reduciert  sich  dieser  kleine 
Rest  auf  die  Vertauschung  von  ae  und  e  im  Stamme  einiger 
weniger  Wörter,  auf  die  ebenfalls  seltene  Auslassung  von  h 
nach  c  und  am  Anfange  einiger  Wörter,  auf  die  Hinzufügung 
von  h  im  Worte  himum  und  auf  die  falsche  oder  sonst  nicht 
sehr  gebräuchliche  Schreibung  einiger  Ausdrücke.  Dagegen 
sucht  der  Corrector  zu  vermeiden  die  Endung  der  Adver- 
bien und  Ablative  auf  -ae,  soA\'ie  die  Verwechslung  von  b  und 
v;  p  und  b,  ti  und  ci,  c  und  g  werden  auseinander  gehalten; 
s  irapura  findet  sich  nicht;  Verwechslung  von  e  und  i  wird 
corrigiert;  Verwechslung  von  e  und  oe  kommt  nur  begün- 
stigt durch  Wortverwechslung  vereinzelt  vor;  Schluss-m  wird 
im  Texte  des  Originales  nicht  ausgelassen,  noch  hinzugefügt, 
ebenso  wenig  o  und  u  m  verwechselt  (ausser  nach  in),  oder 
o  und  u;  p  wird  zwischen  m  und  n  nicht  eingeschaltet,  x 
und  s  nicht  verwechselt. 

In  grammatischer  Beziehung  werden  die  Genusregeln  noch 
eingehalten.     Ganz  vereinzelte  Wörter  werden  falsch  decliniert 


1)  Als  Bestätigung^  könnte  man  anführen,  dass  der  Text  des  Briefes 
Reg.  I,  24  (Ew.)  nach  den  Briefhandschriften  in  orthographischer  Be- 
Biehnng  an  den  gleichlautenden  Stellen  eher  mit  dem  corrigierten 
Trecensis  übereinstimmt. 


Ueber   die   Orthographie  Papst  Gregors  I.  543 

oder  conjugiert.  Nicht  ganz  selten  ist  die  Construction  von 
in  mit  dem  Ablative,  wo  es  den  Accus,  regieren  sollte,  und 
umgekehrt,  namentlich  wenn  dieser  Fehler  zusammenhängt 
mit  der  Vertauschung  von  o  und  um  oder  mit  der  Hinzu- 
fugung  oder  Auslassung  des  Schluss-m.  In  syntaktischer  Be- 
ziehung will  ich  noch  hinzufügen,  dass  die  Verwendung  der 
tempora  und  modi  keineswegs  immer  den  strengen  Regeln 
entsprechen  dürfte.  Doch  das  gehört  nicht  zur  Kritik  der 
Handschriften,  sondern  zu  der  des  Autors. 

Eigentlich  ist  ft^eilich  nur  bewiesen,  dass  die  so  definierte 
Schreibweise  einem  Corrector  des  7.  oder  Handschriften  des 
ausgehenden  6.  oder  des  7.  Jahrhunderts,  die  unseren  zur 
Vorlage  dienten,  angehörte.  Aber  das  wird  man  jedenfalls  zu- 
geben, dass,  wenn  man  Mittelglieder  zwischen  unseren  Hand- 
schriften und  direct  von  der  römischen  Curie  stammenden 
annimmt,  die  Orthographie,  die  uns  vorliegt,  höchstens  weniger 
correct  geworden  sein  kann,  als  die  der  Curie;  und  dass 
andererseits  die  Fehlerquelle,  die  für  unseren  auf  die  grego- 
rische Orthographie  gezogenen  Schluss  aus  den  Mittelgliedern 
entspringen  könnte,  bei  dem  Alter  unserer  Handschriften  nicht 
als  sehr  erheblich  vermuthet  werden  kann. 

Man  kann  also  sagen,  dass  es  in  der  gre gor i sehen 
Orthographie  jedenfalls  keine  Gruppe  von  Fehlern  giebt,  die 
consequent  durchgeführt  wäre.  Vielmehr  herrscht  im  Allge- 
meinen die  alte  grammatische  Ti'adition,  die  ja  im  5.  Jahr- 
hundert in  Rom  gerade  von  den  'Romani  di  Roma'  gepflegt 
wurde:  man  darf  nicht  vergessen,  dass  Gregor  einem  alten 
römischen  Geschlechte  angehörte.  Desshalb  drangen  vulgär- 
lateinische Formen,  vulgärlateinische  Orthogi-aphie,  so  weit  sie 
auch  schon  sonst  ihre  Herrschaft  ausgedehnt  haben  mochten, 
nur  langsam  und  vereinzelt  in  die  Schriften  der  Päpste  oder 
sagen  wir:  Gregors  ein.  Erst  in  Folge  der  Stürme  des  aus- 
gehenden 6.  und  des  7.  Jahrhunderts,  die  Rom  in  mehr  als 
einer  Beziehung  von  der  alten  Tradition  losrissen,  ist  dann 
auch  die  sprachliche  Tradition  immer  mehr  geschwunden. 

Eine  Aeusserung  Papst  Gregors  selbst  widerlegt  nicht 
unsere  Folgerungen.  In  einer  oft  angeführten  und  zu  weit 
interpretierten  Stelle  des  Widmungsbriefes  der  Moralia'  sagt 
Gregor,  nachdem  er  ausdrücklich  auf  seine  Krankheit  ver- 
wiesen hat,  die  ihn  verhindere  sein  Werk  auszufeilen:  ^ipsam 
loquendi  artem,  quam  magisteria  disciplinae  exterioris  insinu- 
ant,  servare  despexi;  nam  sicut  huius  quoque  epistolae  tenor 
enuntiat,  non  metacismi  (1.  myotacismi)  collisionem  fugio, 
non  barbarismi  confusionem  devito,  hiatus  motusque  (modos- 
que   corr.  Maur.)   etiam   et  praepositionum  casus  servare  con- 

1)  J-E.  1368. 


544  L.   M.   Hartmann. 

temno,  quia  indignum  valde  existimo,  ut  verba  caelestis  ora- 
culi  substringain  sub  regulis  Donati'.  Dass  die  modi  nicht 
nach  strengen  syntaktischen  Regehi  von  Gregor  gebraucht 
wurden,  habe  ich  schon  oben  angeführt;  bei  -praepositionum 
casus'  kann  man  an  die  oben  erwähnte  Vertauschung  von 
Accus,  und  Ablat.  nach  in  denken.  Das  sind  grammatische 
Fehler.  Alles  Andere,  was  Gregor  erwähnt,  bezieht  sich  auf 
den  Stil,  die  schöne  Wortverbindung,  das  Rhetorische  etc.; 
über  diesen  Sinn  des  myotacismus  imd  des  hiatus  kann  man 
nach  einem  Blicke  in  einen  alten  Grammatiker  nicht  zweifeln', 
und  dass  barbarismus  hier  in  dieselbe  Klasse  von  Fehlern 
gehört,  beweist  die  Stellung.  Von  Orthographie  ist  also  über- 
haupt nicht  die  Rede.  Aber  noch  nach  einer  anderen  Seite 
hin  ist  die  Auffassung  dieser  Stelle  abzugrenzen.  Gregor 
wünschte  gerade  von  den  Moralia  'ut  non  longo  a  coUoquentis 
sermone  discreparent' ;  er  wünschte  ferner  gerade  von  seinen  theolo- 
gischen wSchriften,  für  die  'infructuosae  loquacitatis  levitas'  nicht 
passe,  dass  sie  nicht  durch  äussere  Mittel  zu  wirken  suchten. 
Damit  ist  keineswegs  gesagt,  dass  er  dieselben  Mittel  im 
praktischen  Leben  verschmähte  oder  sich  Nachlässigkeiten 
gestattete,  wenn  er  ein  feierliches  Actenstück  ausstellte  oder 
an  den  Kaiser  schrieb.  Man  \\ard  also  auch  die  in  der  an- 
geführten Stelle  Avirklich  ausgesprochenen  Grundsätze  nicht 
ohne  Weiteres  auf  das  Register  ausdehnen  können. 

Man  kann  aber  auch  natürlich  nicht  annehmen,  dass  jeder, 
der  mit  der  Curie  zusammenhing,  eine  gleich  gute  Orthographie 
schrieb,  wie  die  Privatschreiber  Gregors.  Erklärlich  ist  dess- 
halb  ein  Unterschied  in  der  Orthographie  zwischen  der  Schen- 
kungsurkunde, die  Gregor  als  Papst  seinem  Kloster  S.  An- 
drea in  clivo  Seauri  ausstellte  und  die  uns  nur  abschriftlich 
erhalten  ist'  imd  der  notitia,  die  Reliquien  aufzählt,  die  Gregor 
an  Theodelinde  geschickt  hat  3.  Jene  Abschrift  setzt  e  statt 
ae  und  begeht  sonst  nur  wenige  Fehler;  jedoch  kann  man 
sich  auf  die  überlieferte  Orthographie  bei  ihr  natürlich  nicht 
verlassen.  Unter  der  notitia  steht:  'quas  olea  scä  temporibus 
domni  Gregorii  papae  adduxit  lohannis  indignus  et  peccator 
domnae  Theodelindae  reginae  de  Roma'.  Hier  spricht  die 
Bezeichnung:  temporibus  etc.  entschieden  dagegen,  die  Be- 
zeichnung des  lohannis  als:  indignus  et  peccator  dafür,  dass 
die  notitia  von  dem  von  Rom  ausgesandten  Ueberbringer  aus- 
gestellt ist.     Vielleicht  ist  das,  was  uns  vorliegt,  eine  ungenaue 


1)  Vpl.  Servil  comment.  in  artem  Donati  p.  444  f.  Keil.  2)  Marini, 
Pap.  dipl.,  n.  2;  hier  kommt  vor:  abbati  monasterii  S.  Andreae,  qui 
appellatur  in  clivo  Seauri.  Ferner:  in  monasterio  condonare;  in  locum 
constitutus;  dilictissime.  Ich  wiederhole,  dass  auf  die  Abschrift  natür- 
lich kein  Verlass  ist.         3)  Marini  n.  143.     Vgl.  ebenda  S.  377  f. 


i 


Ueber  die  Orthographie  Papst  Gregors  I.  545 

Copie,  so  dass  auch  hier  keine  sicheren  Schlüsse  gezogen 
werden  können.  In  der  notitia,  wie  sie  uns  vorliegt,  ist  die 
Orthographie,  wie  es  auch  einem  flüchtig  angelegten  Inventare 
entsprechen  würde,  schlechter,  als  in  jener  Urkunde :  e  steht 
häufig  statt  a  e ;  V  für  b  in  Sevastiani ;  i  öfters  statt  e ;  h  wird 
im  Anfange  oder  nach  c  oft  ausgelassen,  in:  apostholi  zuge- 
fügt; i  und  y  werden  vertauscht;  Orbani  steht  statt  Urbani; 
oleo  statt  oleum;  de,  cum  imd  in  werden  fälschHch  mit  dem 
Accus,  verbunden  etc.  ^ 


Was  das  Verhältnis  der  gregorisehen  Handschriften  zu 
anderen  aus  denselben  Jahrhunderten  betrifft,  so  weise  ich 
zunächst  auf  L.  p.  hin,  dessen  Vergleichung  ergab,  dass  Ortho- 
graphie und  Sprache  dieser  Handschrift  aus  der  zweiten  Hälfte 
des  7.  Jahrhunderts  an  Fehlerhaftigkeit  die  Gregorhandschriften 
sogar  in  xmcorrigiertem  Zustande  übertrifft.  C.  dagegen  ist 
zwar  nicht  in  demselben  Masse  fehlerhaft,  wie  L.  p.,  aber  doch 
auch  nicht  so  correct,  wie  die  von  uns  angenommene  grego- 
rische Orthographie.  Aber  schon  das  Privileg  des  Papstes 
Honorius  für  ßobbio  (J-E.  2017)  vom  Jahre  628  ist,  wenigstens 
wie  es  uns  vorliegt,  in  Satzbau  und  Orthographie  viel  barbari- 
scher, als  die  Schriften  Gregors;  freilich  besitzen  wir  das 
Privileg  nur  in  einer  Copie,  die  etwa  3  Jahrhunderte  jünger 
ist,  als  das  Original.  —  In  der  Handschrift  des  lateinischen 
Pentateuches  aus  Lyon,  die  U.  Robert  herausgegeben  und 
Delisle  ins  6.  Jahrhundert  gesetzt  hat,  kommen  Fehler  der- 
selben Art,  wie  in  den  Gregorhandschriften  vor,  aber  in  viel 
mehr  Fällen.  Die  Uebereinstimmungen  in  einzelnen  Verwechs- 
lungen und  Formen  (z.  B.  scheinbare  Futur-  statt  Perfectformen 
oder  umgekehrt;  hii,  depraecatio,  aepulas,  praessura,  ad- 
h  erebis  etc.)  werden  überwogen  durch  das  Plus  an  Fehlern 
(auch  Casus-  und  Genusfehlern)  in  der  Handschrift  des  Penta- 
teuchs.  Am  meisten  nähert  sich  die  gregorische  Orthographie 
der  des  fragmentum  Laurentianum  2,  das  Duchesne  (auf  S.  XXX  f. 
seiner  Ausgabe  des  Liber  pontif.)  bespricht  und  (S.  43  ff.) 
abdruckt;  dies  Bruchstück  ist  im  6.  Jahrhundert,  vielleicht  in 
der  ersten  Hälfte  desselben,  geschrieben  und  hat  sehr  wenige 

1)  Vollends  die  Urkunde  Marini  n.  89,  die  ebenfalls  nur  abschriftlich 
überliefert  ist,  kann  für  die  gregorische  Orthographie  nicht  herangezogen 
werden,  zumal  sie  nur  auf  Veranlassung  Gregors,  als  er  noch  nicht  Papst 
war,  von  einem  Stadtnotare  geschrieben  ist.  Auch  dieser  schrieb:  donatio 
facta  in  monasterio,  sowie:  transscribo  in  iure  dominioque;  ferner  steht 
in  unserer  Abschrift  regelmässig  e  statt  ae,  ti  statt  ci,  oft  -um  statt  -o. 
Es  findet  sich  sogar:  sub  stipulation e  (statt  -is)  et  spontion  e  (statt -is) 
Bolemnitate.  2)  Auf  das  fragm.  Laur.  hat  mich  Mommsen  aufmerksam 
gemacht. 


546  L.  M.  Hartmann. 

orthographische  Eigenthümlichkeiten :  antistis  (Nom.);  aliquod 
annos;  delatione  statt  dilatione;  dissentione;  extiterit;  opti- 
nere  (zweimal) ;  praes  e  deret^  res  edere  ;  quindec  e  ra,  undec  e  m ; 
schismatae  (einmal);  scribturarum;  septa;  in  der  Assimi- 
lation ist  der  Gebrauch  schwankend:  adserens,  co n luctatione, 
conlisione  neben  coUidunt;  merkwürdig  ist  quodadmodo  für 
quodammodo,  offenbar  aus  Furcht  vor  falscher  Assimilation. 
Duchesne  nennt  also  mit  Recht  'l'orthographe  presque  toujours 
correcte'. 

Da  sich  die  römische  Curie  von  den  Barbarismen  der 
meisten  Documente  jener  Zeit  noch  um  die  Wende  des  7.  Jahr- 
hmiderts  frei  zu  halten  wusste,  muss  man  die  Frage  aufwerfen, 
ob  sie  allein  im  Gegensatze  zu  allen  Uebrigen  die  sprachliche 
Tradition  aufrecht  erhielt  oder  ob  sie  Bundesgenossen  hatte? 
In  der  That  macht  sich  derselbe  Unterschied  in  der  Ortho- 
graphie unzweifelhaft  in  den  römischen  Inschriften  seit  der 
zweiten  Hälfte  des  6.  Jahrhunderts  —  wahrscheinlich  auch 
schon  früher  —  geltend.  Die  grosse  Narses- Inschrift  vom 
Jahre  565  und  die  Inschrift  der  Phocas-Säule,  die  der  Exarch 
kSmaragdus  im  Jahre  608  aufstellen  Hess ',  sind  im  Wesent- 
lichen correct.  Man  sieht,  dass,  ebenso  wie  die  Curie,  auch 
das  höhere  Beamtenthura  versuchte,  in  feierlichen  Actenstücken 
wenigstens,  an  der  gutlateinischen  Sprachtradition  festzuhalten. 
Vergleicht  man  aber  die  übrigen  datierten  stadtrömischen  In- 
schriften aus  den  Jahren  540  — 600  *,  so  ist  das  Resultat  ein 
ganz  anderes.     In  diesen  ist  häufig: 

e  für  86,  z,  B.:  hec,  que,  penetens,  sce  Romane,  sexte, 
seculo,  presumserit,  longeva  etate;  umgekehrt  kommt 
vor:  diae; 
b  für  v:  comparabit  (statt  Perf.),  ob  ans,  octaba,  biro 

(vero),  bioletur,  biba,  bibum,  bixit; 
c  vor  X  eingeschoben:  .  .  .  ,  sucxi,  coniuncxit; 
(con  statt  cum:  einmal  in  n.  1099;  co n paravit  öfters) ; 
e   statt  i:   penetens,  requiescet  (Praes.),   visse  (?  statt 
vixit),    deposeta;    imd    umgekehrt:    criscere,    dipo- 
situs ; 
h  ausgelassen:  in  Eigennamen:  Boetius,  Yppolitus,  lo- 

annne;  auch  orti;  (sepulchrum  neben  sepulcrum); 
n  statt  m:  ponpae; 

o    statt   u:    consolatu;    häufig    umgekehrt:    im    Ablat. 
Sing,    der   2.   Decl. :    quartu,    undecimu;  im   Accus. 
Plur. :  annus;  ferner:  custus,  nepus.  Lumin  usus; 
8  statt  x:  öfters  visit  statt  vixit. 


1)  C.  I.  L.  VI»,  1199.   1200.     Ich  finde  nur:  distructum;  curbati; 
Narsim.  2)  De  Rossi,  Inscr.  christ.  I,  n.  1072—1126. 


Ueber  die  Orthographie  Papst.  Gregors  I.  547 

Es  kommt  femer  vor,  dass  einzelne  Buchstaben  ausgelassen 
werden:  Agust,  coiugi,  doctiloqum,  iace(t?),  presumserit; 
dazu  kommen  genus-Fehler  beim  Relativpronomen:  qui  wird 
auch  als  Feminin  gebraucht,  femer  q  u  o  d  in  der  Verbindung : 
uncias  fundi,  quod  est  constitutum.  Wirkliche  oder  schein- 
bare Casusfehler  nach  Praepositionen  sind:  ad  oblatione 
(a.  578),  deputavimus  in  ista  sepultura  nostra  (a.  578),  sub 
indicionem  (a.  584);  auch:  sumere  morte  kommt  vor.  —  Man 
sieht  also,  dass  die  überwiegende  Mehrzahl  der  stadtrömischen 
Inschriften  weit  entfernt  ist  von  der  Correctheit  jener  zwei 
gleichzeitigen.  Wenn  aber  diese  noch  das  Vulgärlatein  ver- 
mieden, so  ist  kein  Grund  einzusehen,  warum  sich  die  päpst- 
liche Brief-Orthographie  nicht  ebenfalls  bis  zu  einem  gewissen 
Grade  hätte  rein  erhalten  können. 


Vergleichen  wir  nun  mit  der  Orthographie,  die  wir  für 
Gregor  festzustellen  versuchten,  einige  der  wichtigeren  Brief- 
handschriften. 

Die  älteste  uns  bekannte  Handschrift,  welche  die  grösste  der 
drei  Sammlungen  der  Gregorbriefe  vollständig  enthält,  ist  nach 
Ewald  der  Casin.  71  =  Rl ',  aus  dem  Ausgange  des  11.  Jahr- 
hunderts ;  Ewald  sagt,  sie  sei  von  drei  Schreibern  geschrieben, 
die  vielfach  von  einander  abweichen,  und  im  13.  Jahrhundert 
corrigiert  worden;  trotzdem  habe  die  Handschrift  viel  Alter- 
thümliches  bewahrt.  Das  Eigenthümliche  eines  jeden  Schreibers 
darf  man  natürlich  nicht  der  Vorlage  anrechnen.  Ebenso 
constatiert  Ewald,  dass  in  der  Vorlage  ae  noch  richtig  ange- 
wendet wurde.  'Die  später  auffällige  (und  daher  corrigierte) 
Verwechslung  von  v  und  b',  sowie  die  'ständige  Verwechslung 
von  Perfect  und  Futurum'  dagegen  mögen  allerdings  in  der 
unmittelbaren  Vorlage  des  Casinensis  gestanden  haben,  werden 
aber  schwerlich  im  Register  selbst  gebräuchlich  gewesen  sein. 
Formen  wie  'adtendere,  ammonere,  inlicitus'  werden  in  der 
That  noch  aus  dem  Register  herrühren.  —  Der  ursprüngliche 
Text  scheint  also  in  dieser  Handschrift  durch  das  Nichtwissen 
eines  früheren  Schreibers  und  durch  das  Besserwissen  eines 
späteren  Correctors  wenigstens  theilweise  verändert  worden  zu 
sein.  —  Das  Fragment  (R  2)  einer  Handschrift  derselben 
Gattung  aus  dem  10.  Jahrhundert  'bietet  weit  weniger  Eigen- 
thümHchkeiten,  besonders  in  orthographischer  Hinsicht  2', 

Orthographisch  eine  bessere  Tradition  haben  die  beiden 
ältesten  Handschi'iften  der  ersten  Hälfte  der  grossen   Samm- 


1)   In    dieser  Zeitschr.    III,    445  ff.  2)   Ebenda  S.  449  f.     Es    Ist 

vom  Trevirensis   171   die  Rede. 


548  L.  M,  Hartmann. 

lung,  rl  und  r2>,  zwei  Pariser  Codices,  die  aus  dem  9.  bis 
10.  Jahrhundert  stammen  und  also  nicht  durch  einen  so  grossen 
Zeitraum,  wie  der  Casinensis,  von  der  Anlegung  der  Samm- 
lung (Ende  des  8.  Jahrhunderts)  getrennt  sind.  Diese  beiden 
Codices  unterscheiden  sich  zwar  auch  unter  einander  durch 
Verschiedenheiten  der  Schreibart  —  und  zwar  ist  rl  meist 
correcter  —  doch  sind  die  Abweichungen  nicht  sehr  erheblich. 
Die  wenigen  Fehler  imd  Eigenthümlichkeiten,  die  sich  auch 
in  den  ältesten  Gregorhandschi'iften  aus  dem  7.  Jahrhundert 
finden,  finden  sich  auch  in  rl  und  r2:  sie  schreiben  z.  B. 
herere,  heresis,  ledere;  verwechseln  manchmal  Formen  von 
quaerere  und  queri,  aber  b  und  v  regelmässig  nicht;  die 
durch  Vertauschung  von  e  und  i  entstandene  scheinbare  Ver- 
wechslung von  Futur  und  Praes.  kommt  vor;  negligere  ist 
vereinzelt;  repperiri  lässt  sich  nachweisen;  h  wird  fälschlich 
ausgelassen  oaer  hinzugefügt  öfters  am  Anfange  des  Wortes 
und  meist  in  denselben  Wörtern,  wie  in  jenen  Codices  des 
T.Jahrhunderts.  Die  falsche  Form  i  s  dem  kommt  vor.  Wenn 
in  nicht  vorausgeht,  ist  die  Verwechslung  von  -a  und  -am 
selten;  dagegen  kommt  vor  in  penitentia  deputare,  sowie  in 
monasterio  recipere,  revocari,  deputatus.  Dazu  ist  aber  auch 
noch  ein  Plus  von  Fehlern  zu  verzeichnen,  nicht  nur  innerhalb 
derselben  Fehlergattungen,  sondern  auch  in  früher  gar  nicht 
vorkommender  Art;  z.  B.  schreiben  rl  und  r2:  natalitius; 
r 2  auch:  provintia,  Mauritio,  sowie  proemium,  contempnit. 
—  In  manchen  Eigenthümlichkeiten  stimmen  rl  und  r2  mit 
den  alten  Handschriften  überein,  wenn  sie  z.  B.  s  nach  x  nicht 
setzen,  optinere,  optulit,  saltim  etc.  schreiben. 

Der  älteste  Codex  von  Gregorbriefen,  den  wir  besitzen, 
enthält  die  beiden  kleineren  Sammlungen  und  stammt  aus  dem 
Ende  des  8.  Jahrhunderts.  Ewald  bezeichnete  ihn  mit  Cl 
bezw.  Pbl;  es  ist  der  Coloniensis  92.  Ewald  bemerkt,  dass 
'der  Text  in  Form  und  Orthographie  vielfach  an  die  Casineser 
R-Handschrift  erinnert'  2.  Eine  theilweise  Durchsicht  der 
Ewald'schen  Collationen  zeigte  mir  auch  thatsächlich,  dass  in 
dieser  sonst  sehr  werthvollen  Handschrift  orthographische  Fehler 
vorkommen,  die  man  durchaus  nicht  auf  llechnung  des  Registers 
setzen  kann.  Mag  auch  der  Kölner  Corrector  sehi'  genau 
gewesen  sein,  so  können  sich  doch  diese  Fehler  schon  in  seiner 
Vorlage  gefunden  haben,  die  irgend  ein  römischer  Schreiber 
direct  aus  dem  Register  abgeschrieben  haben  mag.  Den  römi- 
schen Schreibern  aber,  denen  der  Diurnus  als  Muster  diente, 
kann  man  nur  grossen  sprachlichen  Barbarismus  zutrauen. 


1)  Ebenda  S.  456  f.;  doch  ist  die  Reihenfolge  von  Par,  11674  und 
2279  umzukehren,  so  dass  der  letztere  r  1,  der  erstere  r  2  heisst.  2)  Ewald 
a.  a.  O.  S.  483  f.     Dazu  Wattenbach,  D.  Geschichtsqu.,  I  (5.  Aufl.)  S.  247. 


Ueber  die  Orthographie  Papst  Gregors  I.  549 

Da  unsere  ganze  Ueberlieferung  der  Briefe  Gregors  besten 
Falls  auf  solche  römischen  Abschriften  aus  dem  Ende  des 
8.  Jahrhunderts  direct  zurückgehen  kann,  so  war  ihr  gegen- 
über gewiss  das  grösste  Misstrauen  in  Bezug  auf  ihre  ortho- 
graphische Genauigkeit  gerechtfertigt.  Wir  waren  in  der  Lage 
zur  Gorrectur  der  ßrieftradition  auf  die  ältere  Tradition  anderer 
Werke  Gregors  zurückzugehen,  und  ich  glaube,  dass  die  Unter- 
suchung ergeben  hat,  dass  diese  bessere  Tradition  im  Wesent- 
lichen auf  die  Regeln  der  alten  Grammatiker  zurückweist. 


Neues  Archiv  etc.     XV.  36 


Zusatz  über  einen  Gregor  I.  zugeschriebenen 
Brief  (Original  auf  Papyrus  in  Monza). 

Von  Harry  Bresslau. 

Wie  Hartmann  oben  S.  529  und  S.  544  ausführt,  giebt 
es  im  Schatz  der  Kirche  zu  Monza  eine  Notitia  über  *OIea 
sanctoruui  martyrum',  welche  zur  Zeit  des  Papstes  Gregor  I. 
der  Königin  Theudehnde  überbracht  worden  sind.  Lässt 
Hartmann  die  Frage,  ob  diese  Notitia  von  dem  römischen 
Boten  selbst  aufgesetzt  oder  in  ]\Ionza,  beziehungsweise  am 
Hof  der  Theudelinde  geschrieben  ist,  ungelöst,  so  möchte  auch 
ich  eine  Entscheidung  derselben  nicht  wagen:  ich  habe  zwar 
in  Monza  Gelegenheit  gehabt,  das  Papyrusblatt,  auf  welchem 
dieselbe  steht,  zu  sehen,  eine  genauere  Untersuchung  desselben 
aber  nicht  vorgenommen. 

Dagegen  habe  ich  bei  diesem  Aufenthalt  eine  andere 
Papyrusurkunde  kennen  gelernt,  welche  Hartmann  nicht  erwähnt, 
und  über  die  hier  doch  ein  Wort  zu  sagen  ist,  da  man  sie 
noch  neuerdings  als  einen  Originalbrief  Gregors  I.  bezeichnet 
hat.  Das  Stück  ist  erwähnt  von  Frisi,  Memorie  della  chiesa 
Monzese  Diss.  II,  S.  67  als  'un  notabile  avanzo  di  papiro 
scritto  .  .  •  con  carattere  longobardo,  il  quäle  da  alcune  lettere 
che  ancora  appajono  ci  da  un  idea  di  breve  apostolico'.  Heraus- 
gegeben ist  es  zuerst  von  Marini,  Papiri  n.  53  und  neuerdings 
von  Barbier  de  Montault  in  dessen  bemerkenswerther  Arbeit 
*Le  tresor  de  la  basilique  royale  de  Monza  (in  dem  'Bulletin 
monumental  ou  recueil  de  documents  et  de  memoires  relatifs 
aux  diff^rentes  branches  de  l'archeologie  public  sous  les  auspi- 
ces  de  la  societe  frangaise  d'archeologie  .  .  .  dirige  par  Leon 
Palustre  Bd.  48  [5  ser.  tome  lOJ,  Paris  und  Tours  1882) 
S.  462  f.  Barbier  de  Montault  stützt  sich  in  dem,  was  er  über 
die  Urkunde  sagt,  ganz  auf  die  Mittheilungen  des  Herrn  Achille 
Varisco  in  Monza;  ihm  schreibt  er  das  Verdienst  zu,  dieselbe 
'au  milieu  des  liasses  des  archives  capitulaires'  aufgefunden 
zu  haben.  Er  selbst  hält  sie  für  'inedit',  und  ihm  mag  denn 
auch  der  Abdruck  Marini's  entgangen  sein;  dass  aber  Varisco, 
obAvohl  er  Marini  nicht  erwähnt,  dessen  Edition  gekannt  hat, 
ergiebt  sich  m.  E.  sowohl  aus  seiner  Entzifferung  wie  aus  den 
von    Barbier    de    Montault    wiederholten    Bemerkungen,     mit 


Zusatz  über  einen  Gregor  I.   zugeschriebenen  Brief  etc.     551 

welchen  er  dieselbe  begleitet,  mit  voller  Bestimmtheit;  letztere 
sind  wenig  mehr  als  eine  Umschreibung  der  Ausführungen 
Marinis  S.  242,  und  es  hätte  sich  wohl  geziemt,  das  nicht  zu 
verschweigen. 

Ich  habe  versucht  den  Papyrus  zu  lesen,  bin  aber  dabei 
nur  an  wenigen  Stellen  weiter,  meistens  weniger  weit  gekommen 
als  meine  Vorgänger.  Es  ist  möglich,  dass  sich  bei  gün- 
stigeren Beleuchtungsverhältnissen  und  wiederholter,  längerer 
Betrachtung  auch  jetzt  noch  mehr  entziffern  lassen  würde, 
möglich  aber  auch,  dass  selbst  dann  nicht  mehr  so  viel  lesbar 
wäre  als  in  Marinis  Tagen.  Leider  ist  mir  eine  Photographie, 
welche  der  Mailänder  Photograph  Giulio  Rossi  von  dem  Docu- 
ment  angefertigt  haben  soll,  bis  jetzt  nicht  zugänglich  gewesen ; 
vielleicht  würde  sie  noch  das  eine  oder  das  andere  ergeben, 
wie  denn  ja  photographische  Reproduction  nicht  ganz  selten 
die  Lesung  schwieriger  Documente  erleichtert.  Unter  diesen 
Umständen  wiederhole  ich  hier  im  wesentlichen  den  Text  Ma- 
rinis (M),  nur  mit  denjenigen  Ergänzungen  und  Verbesserungen, 
welche  sich  mir  aus  meiner  eigenen  Lesung  (B)  und  derjenigen 
Variscos  (V)  zu  ergeben  scheinen : 
1 uestra 

2.  primum  omnium  salutem  et  <ran^M^llitatem  uestram  optamus 

3.  domini    potentes    misericorc^mm    prec wt    de    uita 

uestra  sem 

4.  per  gaudere  uel  raulta  bona  in  perpetuum 

illuc?  enim 

5.  rogamus  ce^situdinem  uestram,  ut  de  causa  nostra  unde  tibi 

6.  semper ut   a re nde 

neces 

7.  se  nobis  fuit  ut  tibi  deberemus  scribere  quia  ve corde 

1)  uest  .  .  B.     uestram  V.         2)  salutem  M.    Ich  glaube  wie  V  noch 
das  ganze  Wort  gelesen  zu  haben.  3)  .    .   .  ni  M  B,  domni  V.     Die 

Ergänzung  zu  domini  scheint  mir  vorzuziehen  zu  sein.  —  miseri  M,  mi- 
sericor  B,  misericordiam  V.  —  prec  .  .  .  B,  preeantes  V.  Das  Wort  fehlt  M. 
Vielleicht  precamur?  —  .  t  de  M,  ut  de  V.  Ich  habe  hier  nichts  mehr 
ganz  sicher  erkennen  können.  4)  gauderet  V.   —   uel  multa  B ,  ut  et 

multa  V,  uti  mu(a)l  .  .  M.  —  traderet  illum  enim  V,  ^?-adere  illum  enim  M. 
Ich  habe  nur  illu  .  enim  lesen  zu  können  geglaubt,  was  ich,  voraus- 
gesetzt, dass  diese  Lesung  überhaupt  zutrifft,  lieber  zu  illud  ergänzen 
möchte.  Eine  andere  Lesung  dieser  Stelle,  von  dem  Druck  bei  Barbier 
de  Montault  abweichend,  hat  Varisco  an  Pflugk- Harttung  mitgetheilt, 
s.  dessen  'Iter  italicum'  S.  763.  Sie  lautet  hier:  optamus  [dom]ni  pe- 
tentes  miseri[cordiam  preeantes  u]t  de  vita  vestra  semper  gaudere[ra  et] 
mul[ta]  bona  in  perp[etuum  trajderem.  Ein  befriedigender  Sinn  kommt 
auch    dabei    nicht    heraus.  6)    Hinter    ut    habe    ich    a    und    ein    auf 

.  .  re  endigendes  Wort  erkannt.  —  ende  neces  M  V.  Ich  habe  nur 
.  nde  neces  erkannt   und  möchte  dies  zu  unde  ergänzen.  7)  debere- 

mus, quia  ve  .  .  V,  ohne  Lücke  vor  quia,  wohl  nur  aus  Versehen;  debere- 
mus .  .  ribere  quia  ve  B,  deberemus  scribere  quia  ve  .  .  .  M.  —  corda  M, 
corde  B  V.  36* 


552  Harry  Bresslau. 

8.  .  .  .  omni  ....  uol mittas  proiude 

9 eo  onm  ....  te  ex 

Eine  zehnte  Zeile  ist  unlesbar.  Auf  einem  anderen  kleinen 
Papyrusfetzen,  von  dem  ich  nicht  weiss,  ob  er  zu  demselben 
Document  gehört,    lese  ich  -f-  dorn  .  .  .  rimo  omn  .  .  .,   Ma- 

rini   S.  242    ■-\-  Domno   proprio primo   omnium   per, 

ebenso  Varisco. 

Die  Schriftzüge  des  Papyrus  entsprechen  nicht  denjenigen, 
welche  wir  aus  den  ältesten  uns  in  originaler  Ausfertigung 
erhaltenen  Papsturkunden  des  8.  und  9.  Jahrhunderts  —  dem 
Briefe  Hadrians  I.  und  dem  Privileg  Paschais  I.  für  Ra- 
venna  (JafFe-E.  2462.  2551)  —  kennen;  sondern  sie  ge- 
hören jener  jüngeren  römiscnen  Cursive  an,  welche  aus  den 
ravennati sehen  Papyri  bekannt  ist,  ein  Umstand,  der  sich 
freilich  weder  für  noch  gegen  die  Vermuthung  ihrer  Herkunft 
aus  der  Kanzlei  Gregors  I.  sicher  verwerthen  lässt.  Denn 
es  fehlt  uns  ja  an  allen  näheren  Anhaltspunkten,  um  zu  ent- 
scheiden, wann  jene  im  8.  und  9.  Jahrhundert  übliche  Schrift- 
art, die  wir  päpstliche  Curiale  nennen,  sich  so  ausgebildet  hat, 
wie  wir  sie  in  jenen  Stücken  kennen  lernen'.  Das  Alter  der 
Schrift  genau  zu  bestimmen,  ist  bei  dieser  jüngeren  Cursive 
bekanntlich  nicht  leicht;  doch  sehe  ich  nichts,  was  der  An- 
setzung  unserer  Urkunde  um  die  Wende  des  6.  und  7.  Jahr- 
hunderts widersprechen  könnte;  nahe  steht  ihr  namentlich  in 
einzelnen  Ligaturen  der  bei  Marini  tab.  V.  abgebildete  Papyrus 
n.  75  vom  Jahre  575;  nur  ist  die  Schrift  unserer  Urkunde 
gleichmässiger  und  kalligraphischer. 

Was  nun  jene  oben  erwähnte  Vermuthung  angeht,  so  ist 
sie  zuerst  von  einem  ]\Ionzeser  Archivar  des  vorigen  Jahrhun- 
derts ausgesprochen  worden,  der  auf  die  Rückseite  der  Urkunde 
folgende  Bemerkung  geschrieben  hat:  'Pars  brcvis  apostolici 
transmissi  a  B.  Gregorio  Magno  PP.  regibus  Theodelindae  et 
Agilulpho  eins  marito,  regni  Langobardorum  possessoribus, 
in  papiro  exarati,  et  de  anno  1717  huic  cartae  afiixi  eo  meliori 
modo,  quo  potuit  archivista,  dum  in  plurima  frustula  redactus 
repertus  fuit  in  archivio  ecclesiae  collegiatae  S.  lohannis  Bapti- 
stae  Modoetiae'*.  Natürlich  ist  in  Monza  jetzt  diese  Vermuthung 
officiell  adoptiert;  im  Katalog  des  Kirchenschatzes  findet  sich 
die  unter  Glas  und  Rahmen  ausgestellte  Urkunde  mit  dem 
entsprechenden  Vermerk  eingetragen,  und  Barbier  de  Montault 
bezeichnet  sie  schlechtweg  als  'Lettre  de  saint  Gregoire'. 

Bereits    Marini    hat    demgegenüber    bemerkt,     dass     der 


8)  uol  .  .  B,  uel  M  V.         9)  te   ex  fehlt  M  V. 

1)  Die  Möglichkeit  wenigstens,  dass  der  Brief  von  Gregor  eigenhändig 
und  also  überhaupt  nicht  in  der  Kanzlei  geschrieben  wäre,  würde  überdies 
noch  in  Betracht  zu  ziehen  sein.         2)  Barbier  de  Montault  S.  463. 


Zusatz  über  einen  Gregor  I.   zugeschriebenen  Brief  ete,      553 

Inhalt  des  Briefes  keinen  näheren  Anhaltspunkt  für  diese  An- 
nahme bietet.  Er  erinnert  allerdings  an  eine  Stelle  des  Mori- 
gia,  eines  Monzeser  Geschichtschreibers  des  XIV.  Jahrhunderts, 
der  berichtet,  dass  Gregor  die  oben  erwähnten  Reliquien  'cum 
epistola  gratiosa'  durch  den  Cleriker  Johannes  an  Theudelinde 
gesandt  habe;  aber  er  wird  sich  gewiss  nicht  verhehlt  haben, 
dass  dies  späte  Zeugnis  jeder  Beweiskraft  entbehrt.  Auch 
hebt  er  selbst  hervor,  dass  in  den  uns  erhaltenen  Briefen  an 
Theudelinde  und  an  Könige  (a  quella  regina  ed  ai  re)  Papst 
Gregor  nicht  den  Titel  'eelsitudo',  sondern  'gloria'  oder  'excel- 
lentia'  anwende,  während  er  selbst  allerdings  von  Reccared  mit 
'tua  celsitudo'  angeredet  werde. 

In  Bezug  auf  den  letzteren  Punkt  will  ich  kein  Gewicht 
darauf  legen,  dass  ich  in  Monza  in  unserer  Urkunde  nur  noch 
die  Silben  '.  .  .  tudinem  uestram'  habe  deutlich  erkennen 
können.  Da  Marini  vorher  noch  die  Buchstaben  'si'  gelesen 
hat,  so  wird  an  eine  andere  Ergänzung  als  die  zu  'celsitudo' 
kaum  gedacht  werden  können,  und  die  Worte,  auf  die  man 
sonst  etwa  rathen  könnte  ('beatitudo',  Anrede  an  einen  Bischof», 
'magnitudo',  Anrede  an  einen  Laien  minder  hohen  Ranges  =») 
bleiben  ausser  Betracht.  Auch  die  weitere  Beobachtung  Ma- 
rini's,  dass  die  Anrede  'celsitudo'  in  Briefen  Gregors  an  lango- 
bardische  Herrscher  nicht  gebraucht  werde,  ist  zutreffend:  man 
kann  hinzufügen ,  dass  auch  in  seinen  Briefen  an  die  Königin 
Brunichilde  nur  die  Prädicate  'excellentia'  und  'gloria'  begegnen. 
Allein  eine  zwingende  Schlussfolgerung  würde  ich  darauf  doch 
nicht  aufzubauen  wagen.  W.  Gundlach  weist  mir  freundlichst 
nach,  dass  auch  in  den  Briefen  Pelagius  I.  (555  —  560)  an  den 
Frankenkönig  Childebert  I.  die  Wendung  'excellentia  vestra' 
durchaus  vorherrsche,  daneben  aber  doch  zweimal  (in  Jaffe  -  K. 
942.  948,  MG.  Epp.  III,  712%  ygs)  'celsitudo  vestra'  vorkommt; 
im  Hinblick  hierauf  dürfte  die  Möglichkeit,  dass  auch  in  einem 
Briefe  Gregors  an  den  Langobardenkönig  oder  seine  Gemahlin 
einmal  diese  Anrede  gebraucht  sei,  nicht  bestimmt  in  Abrede 
gestellt  werden  können. 

Im  übrigen  würden  die  Formalien  des  Brieffragments 
mit  Gregor  als  Absender  und  Theudelinde  als  Empfängerin 
wohl  vereinbar  sein.  Dass  der  Absender  ein  Geistlicher  ist, 
wird  aus  der  Wendung  [domijni  potentes  misericor[diam] 
prec  ....  ut  de  vita  vestra  semper  gaudere  vel  multa  bona 
in  perp  .  .  .  u.  s.  w.  gewiss  zu  schliessen  sein ;  ich  will  doch 
auf  die  ganz  ähnliche  Wendung  gerade  in  einem  Brief  Gregors 
an  Theudelinde  (Reg.  Greg.  ed.  Maur.  IX,  43:  'Dei  nostri 
misericordiam  deprecamur,  ut  bonorum  vobis  vicem  in  corpore 


1)  Vgl.  z.  B.  Ueg.  Greg.  I,   7.  27.  II,  45.  III,  62.  2)   Vgl.  z.  B. 

Reg.  Greg.  II,  29.  IV,  41. 


554  Harry  Bresslau. 

et  in  anima  hie  et  in  futuro  compenset)  aufmerksam  machen. 
Wie  der  Absender  ein  GeistHcher,  so  ist  der  Adressat,  der 
mit  'celsitudo'  angeredet  wird,  wahrscheinUeh  ein  Laie;  der 
Rang  des  Absenders,  der  von  sich  stets  den  Pkiralis  maie- 
statis  gebraucht,  muss  ein  hoher  gewesen  sein.  Dem  Adressaten 
kommt  gleichfalls  der  Plural  zu,  er  wird  aber  auch  zweimal 
in  der  Einzahl  (tibi)  angeredet.  Und  ich  will  wiederum  darauf 
verweisen,  dass  gerade  dieser  Wechsel  zwischen  Mehrzahl  und 
Einzahl  in  der  Bezeichnung  des  Adressaten  sich  zweimal  auch 
in  Briefen  Gregors  an  Theudeünde  findet  (Reg.  Greg.  ed. 
Maur.  IX,  43.  XIV,  12). 

Dies  alles  beweist  natürlich  höchstens,  dass  die  Monzeser 
Archivüberlieferung,  welche  den  Brief  Gregor  I.  zuschreibt  und 
an  Agilulf  oder  Theudelinde  gerichtet  sein  lässt,  nicht  noth- 
wendig  falsch  zu  sein  braucht,  aber  keineswegs,  dass  sie  richtig 
oder  auch  nur  wahrscheinlich  ist.  Immerhin  aber  schien  mir, 
wenn  auch  nur  um  zu  genauerer  Untersuchung  anzuregen,  die 
kurze  P^rwähnung  des  merkwürdigen  Documentes,  das  in  der 
neueren  deutschen  Literatur,  so  viel  ich  sehe,  niemals  ein- 
gehender besprochen  worden  ist ' ,  bei  dieser  Gelegenheit  an- 
gemessen. Ilüchst  wahrscheinlich  haben  wir  einen  Brief  eines 
höheren  Geistlichen  aus  einer  Zeit  vor  uns,  die  der  Gregors  I. 
kaum  sehr  fern  steht.  Und  es  stimmt  gut  zu  den  Ergebnissen, 
zu  welchen  oben  Hartmann  gelangt  ist,  dass  die  Ortnographie 
der  uns  erhaltenen  Bruchstücke  dieses  Briefes  von  Barbarismen 
durchaus  frei  zu  sein  scheint. 


1)  Pflagk -  Harttung,   'Itcr  italicum'  S.  763   giebt  nur  eine  Mittheilung- 
Variscos  darüber  wieder,  der  er  kurze  Bemerkungen  hinzufügt. 


XV. 


Kritische  Erörterungen. 


Von 


Bernhard  von  Simson. 


Zu  der  Vita  Dagobert!  III.  und  den  Annales 

Mettenses. 

Ijruno  Krusch  hat  im  2.  Bande  der  Scriptores  rerum 
Merovingicarum,  S.  509 — 524,  auch  eine  Vita  Dagoberti  III. 
regis  Francorum  neu  herausgegeben.  Die  Schrift  ist  auf  Ver- 
anlassung der  Brüderschaft  des  Klosters  Stenay  an  der  Maas 
von  einem  Verfasser  geschrieben,  der  seine  Anonymität  wahren 
wollte ',  jedoch  nach  der  Vermuthung  von  Henschen  vielleicht 
im  Kloster  Gorze  lebte.  Stenay  wurde  nämlich  1069  durch 
Herzog  Gottfried  den  Bärtigen  von  Lothringen  an  Gorze,  dem 
damals  Abt  Heinrich  vorstand,  übertragen.  Indessen  bleibt 
die  Zeit  der  Abfassung  der  Schrift  ganz  unbestimmt.  Nur 
sehr  Aveite  Grenzen  lassen  sich  dafür  stecken;  die  Schrift  muss 
zwischen  dem  9.  und  12.  Jahrhundert  entstanden  sein,  da  ein- 
mal (c.  14,  S.  521)  erwähnt  wird,  dass  eine  neue  Kirche  des 
h.  Dagobert  auf  Befehl  Karls  des  Kahlen  erbaut  worden  sei, 
und  andererseits  die  vorhandenen  Handschriften  dem  12.  Jahr- 
hundert angehören.  Es  ist  ein  ziemlich  werthloses  Erbauungs- 
büchlein. Der  Verfasser  verwechselt  Dagobert  III.  mit  Dago- 
bert II.;  fast  Alles  was  er  erzählt  ist  falsch  oder  mindestens 
verdächtig,  die  Schreibart  wenig  lobenswerth.  Als  benutzte 
Quellen  Aveist  Krusch  u.  a.  den  Fredegar,  die  Gesta  Dagoberti  I, 
und  Einhards  Vita  Kai'oli  M.  nach. 

Bei  den  zum  Theil  noch  immer  ungelösten  Fragen,  welche 
die  Annales  Mettenses  darbieten,  verdient  es  jedoch  m.  E. 
Beachtung,  dass  die  Vita  Dagoberti  III.  auch  mit  diesen  Jahr- 
büchern Aehnlichkeiten  aufweist,  welche  nicht  zufällig  sein 
können.  In  zwei  Fällen  wenigstens,  soviel  ich  sehe,  wendet 
der  Autor  der  Vita  in  seiner  Erzählung  über  Dagobert  fast 
genau  dieselben  Ausdrücke  an,  deren  sich  die  Ann.  Mett.  in 
ihren  Berichten  über  Pippin  den  Mittleren  bedienen: 


1)  Prolog.  S.  512:  'In  hoc  siqiiidem  opnsculo  nemo  legentium  expi- 
scetur  rnstici  nomen  dictatoris,  quoniam,  ut  est  ingenio  artis  gramma- 
ticae  parvus,  maluit  scedam  emittere  absque  autoris  vocabulo  mutam 
quam  in  hominum  iactando  venire  noticiam'. 


558 


Bernhard  von  Simson. 


Ann.  Mett. 

691.  SS.  I,  320,  16-17.  Dis- 
p  o  s  i  t  i  s  autem  prudenter 
Omnibus  in  occidente  regni 
gubernaculis,  ad  Orientalen! 
Franciam,  imperii  (orien- 
talis»  imperii  Chesn.) 
sui  sedes  cum  summa 
gloria  et  exultatione 
r  e  V  e  r  t  i  t  u  r. 

692.  S.  320,  26-29.  .  .  syno- 
dum  adunare  praecepit, 
in  quo  (qua  Cnesn. ')  uti- 
litatibus  ecclesiarum, 
orphanorum  ac  vidua- 
rum  consideratis  .  .  . 
Singulis  vero  annis  in  Ka- 
lendis  Martii  generale 
cum  Omnibus  Francis 
secundum  priscoruni  consue- 
tudinem  conciliuin  agebat  .  .  . 

Allerdings  finden  sich  die  betreffenden  Stellen  der  Ann. 
Mett.  auch  in  dem  von  M.  Freher  herausgegebenen  Fragmen- 
tum  de  Pippino  duce,  von  welchem  man  wieder  zweifelhaft 
geworden  ist,  ob  es  nur  ein  Auszug  und  nicht  vielmehr  eine 
Quelle  der  ]\Ietzer  Jahrbücher  sei  ■*.  Allein,  wie  unsere  Ver- 
gleichung  zeigt,  stimmt  die  Vita  Dagoberti  da,  wo  der  Wort- 
laut differiert,  mit  dem  von  Duchesne  nach  der  Handschrift 
gegebenen  Texte  der  Ann.  ]\Iett.  überein,  den  erst  Pertz,  hier 
nicht  mit  Recht,  nach  dem  Freherschen  Fragment  abgeändert 
hat.  —  Wenn  Krusch*  das  Citat  der  Vita  Dagoberti  III., 
c.  3:  'Hildebertus  ergo,  pater  ipsius,  regum  fortissimus,  per 
sedecim  annorum  curricula,  ut  legitur  in  gestis  illius, 
regno  Francorum  nobiliter  ac  fortiter  gubernato  .  .  .'  auf  Fre- 
degar, cont.  c.  7  (S.  172)  beziehen  möchte,  so  darf  im  Zu- 
sammenhange mit  den  vorstehenden  Bemerkungen  hinzugefügt 
werden,   dass  auch  die  Ann.  Mett.  711  S.  322,   ebenfalls  nach 


Vita  Dagoberti  III. 

c.  11.  SS.  rer.  Merov.  II,  518. 
D  i  s  p  0  s  i  t  i  s  itaque  rex  Da- 
gobertus  prudenter,  pro 
quibus  Fresiara  perrexerat, 
navim  cum  suis  ingressus, 
ad  orientalesi  imperii 
sui  sedes  cum  summa 
gloria  et  exultatione 
Coloniam  revertitur. 

c.  8.  S.  516.  Idem  ergo  glorio- 
sissiinus  rex  Dagobertus 
Kalendis  Martii  sino- 
dum  cum  omnibus  Fran- 
cis in  civitate  Rotomagensi 
adunare  praecepit,  in 
qua  de  u  t  i  1  i  t  a  t  i  b  u  s 
ecclesiarum,  orphano- 
rum ac  viduarum  consi- 
d er ans  .  .  . 


1)  Sic;  vg-l.  auch  717  S.  324,  27 — 28  'cum  mag:na  laetitia  et  prospe- 
ritate  ad  orientales  partes  sui  imperii  est  reversus  Coloniamque  urbem 
ingressus';  dazu  Bonneil,  Die  Anfänge  des  karolingischen  Hauses  S.  173. 
(In  der  Hs.  steht:  'in  occidentis  regni  gubernaculis.  ad  orientalis  imperii 
sui  sedes'  etc.  Wattenbaoh).  2)  Die  Hs.  hat:  'in  qua  de  utilitatibus'.  W. 
3)  L.  V.  Ranke,  Weltgeschichte  V,  2,  294;  Wattenbach,  Deutschlands 
Geschichtsqu.  5.  Aufl.  I,  406.  Der  Cod.  Arundel.  376  des  Brit.  Museums, 
welcher  das  Fragment  enthält,  stammt  nach  Pertz,  Archiv  VIII,  759  ans 
dem  11.  Jahrhundert,  ist  also  älter  als  die  Originalhs.  der  Ann.  Mett.  — 
Folgen  vielleicht  beide  einer  gemeinsamen  Vorlage?       4)  S.  609.  513  N.  3. 


Kritische  Erörterungen.  559 

der  Fortsetzung  des  Fredegar,  die  16jährige  Regierimgszeit 
Childeberts  erwähnen  (Qui  gubernante  Pippino  regnaverat 
annis  16)'. 

Die  von  Krusch  (S.  510)  mit  2  bezeichnete  Handschrift 
der  Vita  Dagoberti,  Cod.  Paris.  latin.  n.  9422  (Suppl.  lat. 
n.  563),  membr.  saec.  XIT.  ex.,  früher  dem  Marienkloster  in 
Orval  gehörig  (beatae  Mariae  Aureaevallis),  enthält  vor  der 
Vita  u.  a,  einen  Stammbaum  König  Dagoberts  (fol.  131).  Er 
beginnt :  'Incipit  commemoratio  genealogie  domni  ac  sanctissimi 
martyris  Christi  Dagoberti  regis  Francorum  incliti  ac  strenu- 
issimi.  Igitur  temporibus  Tustiniani  .  ,  .'  und  endigt:  'Post 
hec  Karolus  misericorditer  erga  Hilpericum  agens, 
sedem  illi  regalem  sub  sua  ditione  concessit'.  Die 
letzteren  Worte  stimmen  wieder  überein  mit  Ann.  Mett.  718, 
S.  324,  42— 43 :  'Suscepto  autem  rege,  Karolus  misericor- 
diter erga  ipsum  egit  sedemque  illi  regalem  sub 
sua  ditione  concessit' 2.  Darauf  folgt  in  der  Handschrift 
(fol.  132)  ein  Stammbaum  Pippins:  'Incipit  textus  genealogie 
Pipini,  de  cuius  prosapia  ortus  est  prefatus  Dagobertus  rex 
gloriosissimus.  Ansbertus,  qui  fuit  —  suscepit  prin- 
cipatum'.  Der  Anfang  'Ansbertus,  qui  fuit  (ex  genere 
senatorum')  stimmt  mit  dem  der  SS.  II,  308 — 309  und  SS.  XIII, 
245 — 246  herausgegebenen  karolingischen  Genealogieen  ttberein. 
Von  dem  Ende  vermuthete  ich,  dass  es  den  Worten  der  Ann. 
Mett.  687  S.  316,  1 — 4:  'Pippinus  —  suscepit  principa- 
t um' entsprechen  würde'.  Jedenfalls  schien  es  mir  von  Inter- 
esse, festzustellen,  ob  diese  Vermuthung  zuträfe,  und  überhaupt 
den  ganzen  Wortlaut  der  in  jener  Pariser  Hs.  enthaltenen 
Genealogieen,  welche  anscheinend  noch  nicht  gedruckt  sind, 
kennen  zu  lernen.  Gelegenheit  dazu  erhielt  ich  durch  freund- 
liche Vermittlung  meines  Herrn  Collegen  F.  Neu  mann,  auf 
dessen  Veranlassung  Herr  Gaston  Raynaud  die  Güte  gehabt 
hat,  die  betreffenden  Blätter  des  erwähnten  Pariser  Codex  für 
mich  abzuschreiben.  Der  Text  jener  Genealogieen  zeigt  nun 
in  der  That  umfassende  Uebereinstimmungen  mit  Ann.  Mett. 
687.  688.  690.  693.  711.  714.  718*.  Er  trifft  fast  durchweg 
mit  den  Duchesneschen,  nicht  mit  den  Freherschen  Lesarten 
(des  Fragmentum)  überein,  jedoch  nicht  ohne  Ausnahme.  So 
liest  die  Genealogia  Pipini:  'inter  primeve  potestatis  gaudia' 
(Ann.  Mett.  687  S.  316,  41),  wie  Freher,  nicht  'i.  p.  aetatis 
g.',  wie  Duchesne.     In  einigen  wenigen  Fällen  dürften^die  hier 


1)  Zu  vergleichen  ist  auch  die  unten  erwähnte' Gerealog:ia  Dag-oherti 
(foL  131').  ,2)  Wie  Bonneil  S.  169  bemerkt,  die  letzte  Erwähnung 
eines  Merovingers    in  den  Ann.  Mettenses.  3)  Thatsächlich   entspricht 

es  dagegen  Ann.  Mett,  688  S.  317,  4 — 6.         4)  Selbst  das  'ut  ita  dixerim' 
A.  M.  687   S.   316,  42  findet  sich  in  der  Gen.  Pipini  wieder. 


560  Bernhard  von   Simson. 

vorliegenden  Lesarten  ßeachümg  verdienen.  So  hat  Gen. 
Dagobert! :  'ne  tyrannicam  videretur  exereere  sevieiam'  (A.  M. 
690,  S.  320,  2;  Freh.  'tyrannidem  .  .  saevitiam';  Chesn.  'tyran- 
nidem').  Hier  mag  allerdings  die  eigentlich  richtige  Lesart 
'tyrannidem  .  .  vel  saevitiam'  sein,  vgl.  ^..  M.  S.  318,  24—25: 
'me  tyrannidem  .  .  .  exereere  velle  vel  saevitiam'.  Beachtens- 
werther ist  es  jedoch,  wenn  Gen,  Dagob.  ferner  hat:  'Anno 
deinde  incarnationis  dominice  DC"""  XC"'°  111°,  Pipini  vero 
singularis  principatus  III"  \  Theodorici  quoqne  antequam  vin- 
ceretur  a  Pipino  anno  XIV"'^,  qni  victus  sub  eodem  regnavit 
annis  tribus  sicque  mortuus  est  (A.  M.  S.  321,  4  —  6:  Anno 
dominicae  incarnationis  [doniini  nostri  lesn  Christi]  693.  Pippini 
vero  singularis  principatus  super  Theodericum,  qui  antequam 
vinceretur  a  Pippino  annis  14,  victus  vero  sub  eodem  regna- 
vit 3  annis,  moritur'-'').  Wenigstens  in  der  Vorlage  der  Ann. 
Mett.  Avcrden  die  Worte  gelautet  haben:  'principatus  3.  Theo- 
dericus*  ...  moritur'.  Auch  Gen.  Dag.:  'Ulis  quidem 
nomina  regum  imponens,  ipse  tocius  regni  abenas  (=  habenas) 
cum  summa  gloria  et  honore  tractabat'  scheint  mir  correcter 
als  A.  M.  693  S.  .321,  10—11:  'I.  qu.  n.  r.  i.  ipse  totius  regni 
habens  Privilegium,  cum  summa  gloria  et  honore  tracta- 
bat'; vergl.  die  Parallelstelle  A.  M.  714  S.  322,  32—33:  'tanti 
regni  habenas  tractare  pracsumcbat'.  Man  wird  nicht  fehl- 
gehen, wenn  man  annimmt,  dass  Miabens'  aus  'habenas'  corrum- 
piert  und  das  auf  diese  Weise  ausgefallene  Object  dann 
durch  das  wenig  passende  'privilegium'  ergiinzt  ist.  Es  ist 
ähnlich,  wie  wenn  Ann.  Mett.  743  S.  328,  4  —  5  statt  Fredegar. 
cont.  26  (112),  SS.  rer.  Merov.  II,  180,  20:  'per  loca  .  .  palu- 
stria  haben:  'per  loca  per  quae  plaustra  ducebantur'.  Auch 
hier  eine  falsche  Lesung,  welche  eine  willkürliche  Ergänzung 
veranlasst'.  —  Ob  freilich  diese  und  andere  derartige  Stellen 
der  A.  M.  auch  Avirklich  in  der  Handschrift  (Cheltenh.  1853, 
jetzt  in  der  nach  Berlin  gekommenen  Meermannschen  Bibliothek 
n.  746)  so  lauten  oder  etwa  die  Verderbnisse  aus  der  ersten 
Ausgabe  von  Duchesne  herrühren,  bin  ich  nicht  in  der  Lage 
festzustellen  8.  Im  Ganzen  soll  ja  aber  Duchesnes,  von  Pertz 
benutzter  Abdruck  sich  bei  der  Vergleichung  mit  der  Hand- 
schrift durch  R.  Pauli  als  sehr  getreu  erwiesen  haben  (N.  Archiv 
IV,  590). 

Auch   ob   die  Verwandschaft  der  Vita  Dagoberti  III.  mit 


1)   Vgl.  A.  M.    691   S.  320,    6 — 7:    Tippinus   singularem   Francorum 
obtinuit   principatum'.  2)    Dies    ist  allerdings  unsinnig.  3)   So  hat 

auch    die    Hs.    mit    'dorn.    n.  I.  Christi'.    W.  4)    Vgl,  SS.  I,   321   a). 

5)  Vgl.   Hahn,    Jahrbücher    des    fränk.    Reichs    741—752,    S.   46   N.  2. 

6)  Die  Hs.  hat  diese  Stellen  ebenso,  nur  ist  'que'  über  'perplaustra'  nach- 
getragen. W. 


J 


Kritische  Erörterungen.  561 

den  Ann.  Mett.  auf  Benutzung  der  letzteren  in  jener  beruht, 
lässt  sich  nicht  mit  Sicherheit  sagen,  da  die  von  Krusch  mit 
1  bezeichnete  Handschrift  der  Vita,  Cod.  Paris,  lat.  n.  6263 
(Colbert.  n.  63'20,  reg.  n.  10o03)  bereits  aus  dem  Anfange  des 
12.  Jahrhunderts  stammt  und  das  Autograph  der  Annalen 
auch  nicht  älter  ist'.  —  Bei  den  Stammbäumen  ist  es  zwar 
auf  den  ersten  Blick  noch  wahrscheinlicher,  dass  in  ihnen  die 
Ann.  Mett.  ausgeschi-ieben  sind  2;  die  Möglichkeit  besteht  indessen 
sehr  wohl  auch  hier,  dass  sie  auf  die  Vorlage  der  letzteren 
zurückgehen.  Sahen  wir  doch,  dass  die  Gen.  Dagoberti  ein 
paar  Stellen,  die  in  den  Ann.  Mett.  corrumpiert  sind,  correcter 
wiederzugeben  scheint;  vergl.  ausserdem  die  unten  (S.  563) 
angeführten  Nachrichten  über  Grimoald,  wo  diese  Genealogie 
nicht  mit  den  Ann.  Mett.,  sondern  mit  der  Quelle  derselben 
übereinstimmt. 

Dass  ich  den  Annales  Mettenses  ihre  herkömmliche  Be- 
nennung gewahrt  habe,  bedarf  gegenwärtig  kaum  einer  weiteren 
Rechtfertigung,  wenn  auch  ßonnell  ^  ihren  Ursprung  nicht  in 
Metz,  sondern  in  der  Gegend  von  Laon  suchte.  Nicht  nur 
dass  der  einzige  Codex  in  St.  Arnulf  zu  Metz  geschrieben  ist, 
sondern  dieser  scheint,  wie  berührt,  auch  unfraglich  die  Origi- 
nalhandschrift zu  sein.  Ausserdem  fällt  der  beachtenswerthe 
Umstand  ins  Gewicht,  dass  diese  Jahrbücher  eine  Ueberein- 
stimmung  mit  gefälschten  Diplomen  für  St.  Arnulf  zeigen. 
Schon  Mühlbacher 4  hat  auf  diesen  Zusammenhang  hingewiesen; 
desgleichen  —  worauf  der  Redakteur  des  N.  Archivs  Herr 
Prof.  Bresslau  die  Güte  gehabt  hat  mich  aufmerksam  zu  machen 
—  neuerdings  Wolfram  ^.  Pippins  des  Mittleren  Sohn  Drogo, 
welcher  nach  dem  Lib.  bist.  Francorum  c.  48  S.  323  ^  und 
Fredegar,  cont.  c.  101  S.  172'  von  seinem  Vater  das  Herzog- 
thum  Champagne  empfing,  wird  nach  den  Ann.  Mett.  von 
ihm  zum  Herzog  der  Burgunder  eingesetzt  (693  S.  321,  13: 
'Igitur  Drogonem,  primogenitum  suum,  ducem  posuit  Bur- 
gundionum's).  Aehnlich  heisst  Drogo  in  einer  gefälschten 
Urkunde  für  St.  Arnulf  vom  20.  Febr.  691  (Mühlbacher  n.  22; 


1)  Waitz,  N.  Archiv  IV,  589;   SS.  XXIV,  492  N.   1;  Kurze,  N.  Archiv 
XV,    310;    Wattenbach    II,    113.  2)    Vgl.    besonders    o.   S.  559    N.  4. 

3)  A.  a.  O.  S.  176  fF. ;  ihm  schliesst  sich  an  Wolfram  S.  57  (vgl.  unten 
N.  5).  S.  dagegen  Wattenbach  II,  113.  4)  Forschungen  zur  Deutschen 
Geschichte  XIX,  461  N.  3 ;  vgl.  Regesten  des  Kaiserreichs  unter  den 
Karolingern  I,  S.  8  n.  21d.  22.  5)  Jahrbuch  der  Gesellsch.  für  lothring. 

Gesch.  und  Altertumskunde  I.  Jahrg.  (1888  —  89),  S.  54  ff.  6)   Drocus 

ducatum  Campaniae  accepit  (vgl.  auch  Chron.  Moissiac.  SS.  I,  289, 
18   etc.).  7)    Drocus    vero    a  Pippino    genitore    suo  eruditus,    ducatum 

Campaninse  accepit.  8)  Vgl.  Bonnell  S.  174;  Breysig,  Karl  Martell 

S.  1  N.  4,  H.  d'Arbois  de  Jubainville,  Hist.  des  ducs  et  des  comtes  de 
Champagne  I,  46  N.   5.   51   N.  1. 


562  Bernhard  von  Sirason. 

DD.  I,  212  n.  5):  <Ego  Drogo  dux  Burgundiorum,  filius 
Pipini  ducis  Aquitaniae  (dux  Aquitaniae'  v.  1,);  desgleichen 
sein  Sohn  Arnulf  in  einer  ebenfalls  gefälschten  Schenkung  an 
St.  Arnulf  vom  27.  Juni  706  (Mühlbacher  n.  23;  DD.  I,  213 
n.  6) :  'ego  Arnulphus,  gratia  Dei  post  genitorem  meum  Dro- 
gonem,  dono  avi  mei  gloriosi  principis  Pipini,  ßurgundio- 
num  dux' '. 

Sowohl  Mühlbacher  wie  Wolfram  sind  der  Ansicht,  dass  der 
Fälscher  die  Ann.  Mett.  gekannt  und  benutzt  habe  *.  Diese 
Auffcissung  erscheint  jedoch  nicht  haltbar,  wenn  jene  gefälschten 
Urkunden,  wie  Wolfram  meint,  wirklich  bereits  der  zweiten 
Hälfte  des  10.  Jahrhunderts  zuzuweisen  sind.  Denn  die  Metzer 
Annalen  gehören  nicht,  wie  er  noch  mit  Bonneil  annimmt, 
ebenfalls  dieser  Zeit,  sondern,  nach  Ausweis  ihrer  Urschrift, 
erst  dem  Anfange  des  12.  Jahrhunderts  an.  Wenn  wir  also, 
wie  auch  ich  glaube,  hier  einen  Zusammenhang  anzunehmen 
haben,  so  kann  das  Verhältnis,  jenes  Alter  der  gefälschten 
Urkunden  vorausgesetzt,  nur  das  umgekehrte  sein.  Der  Metzer 
Annalist  muss  die  falschen  Urkunden  gekannt  haben,  gerade  so 
wie  sich  auch  ergeben  hat,  dass  die  Chronik  des  Regino  ihm 
in  einer  Hs.  von  St.  Arnulf  (aus  dem   11.  Jahrh.)  vorlag'. 

Weiter  heisst  es  in  demselben  Jahrberichte  der  Ann.  Mett. 
über  693,  S.  321,  23 — 25:  'Remorum  vero  sei  licet  et  Senonum 
ceterarumque  urbium  ad  ipsum  ducatum  pertinentium 
Pippinus  iuniorem  lilium  suum,  nomine  Grimoaldum,  maiorem 
domus  cum  flildeberto  rege  constituit'.  Bonnell*  glaubt,  es 
sei  bei  diesem  'ducatus'  an  das  Herzogthum  Francien  zu  denken, 
indem  er  darauf  hinweist,  dass  die  Erzbischöfe  von  Reims  und 
von  Sens  später  jeder  für  sich  das  Recht  in  Anspruch  nahmen, 
den  König  zu  krönen.  Der  Metzer  Annalist  habe  ein  Ereignis 
des  zehnten  Jahrhunderts,  die  Begabung  der  Söhne  Hugos 
des  Grossen  mit  Burgund  und  Francien  (960),  auf  das  Ende 
des  siebenten  Jahrhunderts  und  die  Söhne  Pippins  des  Mittleren 
übertragen.  Bonneils  Beweisführung  erscheint  jedoch  hier,  wie 
oft.  überscharfsinnig  und  in  keiner  Weise  bündig.  Sie  fällt 
überdies  mit  der  Annahme,  dass  die  Abfassung  der  Ann.  Mett. 
schon  gegen  Ende  des  10.  Jahrhimderts  erfolgt  sei.  Wie  mir 
scheint,    ist  unter   dem   'ducatus'  nach    dem  Zusammenhange 


1)    Vgl.    auch    Mühlbacher,    Nachtr.    S.   770;    Hist.    s.    Arnalfi    Mett. 
SS.  XXIV,  534.  2)  Mühlbacher,  Forsch,  a.  a.  O.:  'Diese  Angabe  der 

Ann.  Mett.  dürfte  mit  den  Fälschungen  von  St.  Arnulf  in  Zusammenhang 
stehen;  wahrscheinlich  waren  jene  dem  Fälscher  bekannt'.  Wolfram  ist 
der  gleichen  Meinung  und  hat  Mühlbacher  nur  missverstanden,  wenn  er 
(S.  56 — 57)  sagt:  'Dass  der  Annalenschreiber,  wie  Mühlbacher  will,  auf 
Grund  der  gefälschten  Urkunde  seinen  Eintrag  machte,  ist  nicht  anzu- 
nehmen'. 3)  N.  Archiv  XV,  309— 310.  4)8.174—175.128.  Auch 
dieser  Vermuthung  stimmt  Wolfram  (S.  66)  zu. 


Büritische  Erörterungen.  563 

derjenige  zu  verstehen,  welcher  dem  Drogo  übertragen  war, 
der  fälschlich  als  'burgundisch'  bezeichnete,  d.  h.  die  Cham- 
pagne, in  welcher  Reims  und  Sens  ja  auch  liegen '.  Darauf 
deutet  auch  das  'scilicet'.  Uebrigens  hat  der  Metzer  Annalist 
vermuthlich  hier,  wie  öfters^,  ungeschickt  compiliert.  In  der 
Fortsetzung  des  Fredegar  (c.  101,  S.  172)  heisst  es  lediglich: 
'Grimoaldus  iunior  cum  Childeberto  rege  maior  domus  palatii 
super  Francos  electus  est'';  desgleichen  auch  in  der  erwähn- 
ten Commemoratio  genealogiae  Dagoberti  (fol.  131')  nur:  'Ju- 
niorem vero  filium  suum  Grimoaldum  omni  domui  sue  pre- 
fecit'*.  Von  Reims  und  Sens  ist  auch  hier,  trotz  der  sonstigen 
Uebereinstimmung  mit  den  Ann.  Mett.^,  keine  Rede. 

Die  Genealogia  Dagoberti  citiert  in  Bezug  auf  die 
Bekehrung  Chlodovechs  zum  Christenthum  die  Vita  Hemigii 
und  Vita  Vedasti«.  Von  Pippin  dem  Mittleren  erzählt  sie, 
was  sonst  nirgends  berichtet  zu  werden  scheint,  aber  auch 
schwerlich  zuverlässig  sein  wird:  seine  Gattin  Plektrud  nebst 
vielen  Franken  habe  ihn  in  der  Marienkirche  zu  Chevremont, 
wo  er  ein  grosses  Castell  erbaut  hatte,  bestattet:  'Reliquit  vero 
superstitem  filium  vocabulo  Karolo,  sepultusque  est  a  coniuge 
sua  Plectrude  cum  multitudine  Francorum  Capremontis  in 
ecclesia  sancte  Dei  genitricis  Marie,  ubi  castellum  magnum 
vivens  construxerat'.  Vgl.  über  das  Marienkloster  in  Chevre- 
mont oder  Novum  castellum  —  der  Name  Capremons  tritt 
erst  gegen  Ende  des  9.  Jahrhunderts  auf  —  und  Pippins 
Schenkungen  an  dasselbe  die  Urkunde  Karls  d.  Gr.  vom 
3.  Mai  779,  Mühlbacher  n.  215;  Rettberg,  Kirchengeschichte 
Deutschlands  I,  568 — 569;  Friedrich  II,  1,  353;  Dümmler, 
Otto  der  Grosse  S.  87  N.  1;  Bonnell  a.  a.  O.  S.  71.  -  Die 
Bestattung  Dagoberts  III.  in  einer  St.  Remigiuskapelle  in 
Stenay    meldet    diese    Genealogie    übereinstimmend    mit    der 


1)  Dies  muss  natürlich  auch  Bonnell  anerkennen  (S.  174).  —  Später 
strebt  Graf  Odo  I.  von  der  Champagne  —  derselbe,  welcher  Konrad  IL 
Burgund  streitig  machte  —  nach  dem  Besitz  dieser  Städte  (s.  Lands- 
bergers  Dissertation  über  ihn,  Gott.  1878,  S.  30.  62;  Bresslau,  Jahrbücher 
Konrad  II.  Bd.  2,  S.  75—76;  d'Arbois  de  Jubainville  1.  c.  I,  249  f.  310  ff. 
II,  33 — 34).  2)    Vgl.    Forschungen    zur    Deutschen    Geschichte    XX, 

404—405.  3)   Vgl.  auch  Lib.   bist.  Francor.   c.  50   S.  324.  4)  Vgl. 

o.  S.  561.  5)  Der  Satz  folgt  in  Gen.  Dag.  unmittelbar  auf  den  oben 
S.  660  erwähnten  'Ulis  quidem  —  tractabat'  (A.  M.  693  S.  321,  10—11); 
darauf  folgt  weiter  die  Nachricht  über  Tod  und  Bestattung  des  Königs 
Childebert  (vgl.  A.  M.  711  S.  322,  4  ff.).  Die  Stelle  über  die  Verleihung 
eines  Herzogthums  an  Drogo  gehört  leider  zu  den  ausgelassenen,  so  dass 
man  nicht  sehen  kann,  ob  hier  in  der  Vorlage  der  Gen.  Dag.  die  Cham- 
pagne oder  Burgund  genannt  war.  6)  Quod  quomodo  acciderit,  vita 
(sie)  beatissimi  Remigii  atque  Vedasti  qui  legerit,  cognoscere  poterit. 
Gemeint  sind  die  betr.  Viten  von  Hinkmar  und  Alkuin  (vgl.  AA.  SS.  BolL 
Febr.  I,  795). 


564  Bernhard  von  Simson. 

V.  Dagobert!  c.  14  S.  520:  'eodem  quippe  tempore  rex  in- 
clitus  Dagobertus  per  martyrium  vitam  finivit  innocens  sepul- 
tusque  est  Satanaco  in  horatorio  beatissimi  Remigii  archi- 
episcopi,  qui  omnipotenti  Deo  gubernante  regnavit  felieiter 
annis  quinque'.  Auch  die  Gesta  Dagoberti  I.  (vgl.  c.  1.2.  39. 
42—44,  8.  401.  416.  421—422)  sind  hier  benutzt 

Die  in  jenem  Pariser  Codex  enthaltene  Genealogia 
Pipini  stimmt  im  wesentlichen  mit  der  SS.  II,  308 — 309  in 
der  Columne  rechts  abgedruckten  überein,  die  in  St.  Vandrille 
interpoliert  zu  sein  scheint'.     Sie  lautet: 

'Ansbertus,  qui  fuit  ex  genere  senatorum,  vir  nobilis  et 
multis  diviciis  pollens,  accepit  filiam  Lotharii  regis  Francorum 
noraine  Blithildem  et  habuit  ex  ea  tres  filios  et  unam  tiliam. 
Primogenitus  eius  Arnoldus,  secundus  Feriolus,  tercius  Mode- 
ricus,  quarta  puella  Tharsicia.  E  quibus  Feriolus  episcopus 
in  Utecia  ordinatu3  est  ibique  martyrio  coronatus  quiescit  in 
pace,  ubi  multa  per  eum  miracula  fiunt.  Modericus  frater 
eius  similiter  episcopus  in  Arisido  ordinatus  est  atque  re- 
quiescit  in  pace.  Tharsicia  virgo  Dei  atque  in  virginitate 
perseverans  Redonis  requiescit.  Que  etiam  fertur  mortua  mor- 
tuum  suscitasse.  Porro  Arnoldus  genuit  Arnulf'ura  episcopum. 
Arnulfus,  antequam  clericatus  honore  sublimatus, 
genuit  Flodulfum,  Waltgisum  et  Ansigisum.  Walgisus  quoque 
genuit  Wandregisilum  confessorem  et  abbatem  Fontanel- 
lensi  cenobio  sanctissiraura.  Flodulfus  vero  genuit 
Martinura,  quem  interfecit  Ebroinus  in  Ercriaco  palatio.  An- 
sigisus  itaque  dux  sortitus  est',  in  coniugio  accepit  uxorera 
[»nomine  Beggam,  filiam  Pipini  precellentissimi  quondam  prin- 
cipis,  qui  populum  inter  Carbonariam  silvam  et  Rlosam  fluvium 
et  usque  ad  Fresionum  lines  vastis  limitibus  habitantem  iustis 
legibus  gubernabat'  etc. 

Auffallend  ist,  dass  diese  Genealogia  Pipini,  obwohl  sie 
Pippin  d.  Ae.  als  den  mütterlichen  Grossvater,  Ansegisel  als 
den  Vater  Pippins  d.  M.  und  Begga  als  Ansegisels  Gemahlin 
nennt,  letztere  dennoch  nicht  als  Pippins  leibliche  Mutter  an- 
zusehen scheint.  Sie  schreibt:  'Predicta  autem  matrona  repleta 
omni  prudentia  quasi  filium  suum  cotidie  Pipinum  salutaribus 
alloquiis  ammonebat  —  Ipse  vero  gracia  divina  preditus  cunctas 
salubres  u  t  sue  genitricis  ammonitiones  strenuis  perveniebat 
(1.  preveniebat)  moribus'  (vgl.  A.  M.  687  S.316, 22—23.  25-26). 

1)  Vgl.  Bonnell  S.  7  N.  2.         2)  Sic.  3)  Hier  beginnt  die  Ueber- 

einstimmung  mit  den  Ann.  Mett.  (SS.  I,  316,  18  ff.)  —  In  der  Genealogia 
Dagoberti  beginnt  sie  mit  den  Worten:  'Post  hec  vero  anno  ab  incarnatione 
domini  nostri  Ihesu  Christi  688"  Pipinus  filius  Ansigisi  nobilissimi  quon- 
dam Francorum  principis  post  plurima  prelia  magnosque  triumphos  a  Deo 
sibi  concessos'  (vgl.  A.  M.  687  S.  316,  1 — 3),  worauf  es  jedoch  sogleich 
weiter  heisst:  'predictum  regem  Theodoricum  superavit  in  prelio  iuxta  opi- 
dum  Virumandorum'  .  .   . 


Kritische  Erörterungen.  565 

n. 

Ueber  die  verschiedenen  Texte  des  Widukind. 

Das  Verhältnis  der  theilweise  von  einander  abweichenden 
Fassungen,  welche  die  Handschriften  des  Widukind  von  Korvei 
darbieten,  ist  in  verschiedener  Weise  aufgefasst  Avorden. 
Darin  stimmt  man  zwar  überein,  dass  die  Dresdner  Hand- 
schrift (A)  den  ältesten  Text  enthalte.  Während  dagegen 
nach  Waitz  und  Joh.  Raase »  demnächst  der  Text  der  Stein- 
felder, jetzt  im  britischen  Museum  befindlichen  Hs.  (2)  und 
erst  auf  diese  derjenige  der  Hs.  von  Montecasino  (1)  folgen 
würde,  hält  Köpke  ^  den  Text  1  für  älter  als  2.  Die  letztere 
Ansicht  theilte  früher  auch  Wattenbach ,  der  sie  dann  dahin 
modificiert  hat,  dass  sowohl  1  wie  2  auf  A  zurückgingen'. 
Eine  weitere  Differenz  besteht  darin,  dass  die  Zusätze,  Avelche 
2  von  A  und  1  unterscheiden,  nach  der  Meinung  von  Waitz 
von  Widukind  selbst  herrühren,  während  die  anderen  genannten 
Forscher  sie  ihm  absprechen. 

Keine  dieser  Auffassungen,  nach  denen  das  Verhältnis 
A  oder   A   oder  A 


12 

wäre,  vermag  ich  mir  anzueignen.    Ich  erlaube  mir  ihnen  eine 
Ansicht  gegenüberzustellen,  die  sich  in  der  Formel  ausdrückt: 

2 

/\ 
A      1 

Dabei  mag  indessen  zwischen  2  und  den  späteren  Texten 
noch  ein  Mittelglied  anzunehmen  sein,  in  welchem  Einzelnes, 
z.  B.  die  Stelle  I,  34  (Gebet  des  Vitus),  schon  geändert  war. 
Wie  mir  scheint,  bietet  2,  abgesehen  von  Fehlern  im  Ein- 
zelnen, den  eigentlichen  Widukind,  A  und  1  dagegen  Bear- 
beitungen*, in  denen  zwei  Stellen  (I,  22  und  U,  3)  wesent- 
liche Veränderungen  erfahren  haben.  Die  eine  Stelle  enthält 
schwere  Anklagen  gegen  den  Erzbischof  Hatto  von  Mainz, 
welche  offenbar  anstössig  erschienen ;  daher  sind  sie  in  1  ab- 
gekürzt  und  abgeschwächt,   in  A   sogar  fast  radical  getilgt. 


1)    Widukind    von    Korvei,    Inaug. -Diss.    Rostock     1880,    S.    16  ff. 
2)    Widukind    S.  25  ff.  3)    Deutschlands    Geschichtsquellen,    5.  Aufl., 

I.  312;  Vorrede  zu  Schottins  Uebers.,  2.  Aufl.,  S.  XIII.  4)  In  Bezug- 

auf 1  ist  dies  schon  bisher  allgemein  zugestunden;  selbst  nach  Köpke 
(S.  27)  trägt  dieser  Text  'den  Charakter  der  nachbessernden  Hand'.  Auch 
in  Betreff  von  A  ist  schon  erkannt  worden,  dass  diese  Hs.  an  der  Stelle 
I,  22  nicht  die  ursprüngliche  Fassung  giebt;  vgl.  unten. 

Nenea  Arohiv  etc.     XV.  37 


566 


Bernhard  von  Simson. 


An  der  andern  Stelle  findet  sich  eine  Episode  über  mehrere 
Aebte  von  Korvei,  die  vielleicht  weil  sie  den  Zusammenhang 
zu  sehr  stört  und  als  von  zu  localem  Interesse  in  den  Um- 
arbeitungen weggelassen  ist.  Dass  auch  die  späteren  Recen- 
sionen  von  Widukind  selbst  herrühren,  wird,  namentlich  bei  1, 
der  Gleichartigkeit  des  JStils  wegen  nicht  zu  bestreiten  sein. 
Weitere  Verbreitung  fanden  diese  umgearbeiteten  Redactionen 
jedoch  nicht.  Eine  verlorene  Eberbacher  Handschrift,  auf 
welcher  die  Frechtsche  Ausgabe  (3)  hauptsächlich  beruht, 
stimmte  an  den  vorzüghch  charakteristischen  Stellen  mit  2 
überein,  und  auch  Ekkehard  und  dem  Annalista  Saxo  hat  der 
Text  in  dieser  Gestalt  vorgelegen. 

Unbedingt  abzulehnen  ist  Köpkes  Ansicht.  Dass  2  nicht 
auf  1  als  seine  Vorlage  zurückgeführt  werden  kann,  steht 
ausser  allem  Zweifel.  Dies  beweisen  mehrere  Uebereinstim- 
mungen  mit  A  im  Gegensatz  gegen  1.  Die  Einthcilung  des 
Werkes  in  Capitel  und  die  Inhaltsübersichten  derselben  vor 
jedem  Buche,  mit  denen  1  versehen  ist,  kennt  2  so  wenig 
wie  A.  In  II,  16  hat  A:  'Imperium,  inquit,  regale  tibi  facio 
presente  populo',  ebenso  2,  nur  dass  hier  'tibi'  vor  'inquit'  steht; 
dagegen  1:  'Imperio,  inquit,  tibi  regali  denuntio,  teste 
populo'.  Ebenso  theilt  2  in  III,  49  mit  A  den  Zusatz:  'Nam 
ipsi  hello  Ungarico  aberant,  Slavanico  certamini  reservati',  der 
in  1  fehlt '.  Sehr  klar  tritt  das  Verhältnis  auch  III,  2  hervor, 
wo    2   gleichfalls   A    näher    steht    als    dem    offenbar    gefeilten 


Texte  1 


A. 


sibi  vero  fore  tan- 
tam  multitudinem 
pilleorura  foenino- 
rum  —  fere  non 
est  inventus ,  qui 
f  0  e  n  i  n  0  non  utere- 
tur  p  i  1 1  e  0. 


sibi  vero  fore  tan- 
tam  multitudinem 
pilleorum  foenino- 
rum  —  non  est  in- 
ventus qui  foenino 
non  uteretur  pilleo, 
n  i  8  i  Corbeius  abbas 
etc. 


1. 


sibi  vero  fore  tan- 
tam  multitudinem 
piUeorum  ex  cul- 
mis  contextorum 
—  non  est  inventus, 
qui  huiusmodi  non 
uteretur  tegumen- 
to,  nisi  rarissimus 
quisque. 

Nur  in  1  folgt  hier  sodann  der  ungeschickt  eingeschaltete 
Satz:  'Certus  autem  factus  de  adventu  regis  Huga,  timore 
quoque  perterritus,  dimisit  Hluthowicum'  (vgl.  Waitz,  3.  Schul- 
ausg.  S.  60  N.  2). 

Allerdings  stimmt  2  in  anderen  Beziehungen   wieder  mit 

1)  Waitz  meint,  es  sei  vielleicht  eine  Glosse.  Dagegen  spricht  jedoch, 
dass  dieser  Zusatz  gerade  in  1  fehlt;  1  liess  ihn  vielleicht  fort,  weil  im 
wesentlichen  dasselbe  auch  schon  früher  erwähnt  ist,  III,  44  ('suraptis 
secum  paucis  admodum  ex  Saxonibus,  eo  quod  iam  bellum  Slavanicum 
urgeret');  Dümmler,  'Otto  d.  Gr.',  S.  251  N.  6.  Stilistisch  ähnlich  III,  44: 
'nam  ipse  hello  Interim  aberat'. 


i 


Kritische  Erörterungen.  567 

1  überein.  So  in  der  Erzählung  von  dem  hinterlistigen  An- 
schlage Hattos  gegen  Heinrich  (I,  22),  in  dem  Ortsnamen 
Gana  (I,  35),  der  in  A  Kietni  heisst,  ferner  darin,  dass  in 
beiden  am  Schluss  von  III,  69  die  Worte  Spätrem  tuum'  fehlen, 
dagegen  dann  die  Schlusscapitel  III,  70 — 76  folgen,  welche  A 
nicht  bringt.  Indessen  diese  Uebereinstimmungen  sind  nicht 
daraus  zu  erklären,  dass  2  auf  1  zurückginge.  In  der  Stelle 
I,  22  scheint  mir  die  Darstellung  in  2  vor  der  in  1  den  Vor- 
zug zu  verdienen.  In  2  weiss  der  Leser  bei  dem  Bescheide 
Heinrichs  'die  Hathoni,  quia  durius  Collum  non  gerit  Hein- 
ricus  quam  Adelberhtus'  aus  dem  Vorhergehenden,  was  damit 
gemeint  ist.  In  1  ist  dies  nicht  der  Fall,  Denn  hier  ist  der 
Verrath  Hattos  an  Adalbert  vorher  nicht  erzählt,  sondern  es 
wird  erst  jetzt  die  Erläuterung  eingeschoben:  'Is,  ut  ferunt, 
Adelberhtus,  ab  ipso  quondam  pontitice  in  fide  susceptus,  eius 
est  consilio  deceptus,  quod  quia  non  probamus,  numquam 
adfirmamus,  sed  vulgi  rumore  magis  fictum  crediraus'.  Diese 
nachhinkende  Erklärung  wirkt  störend,  in  sachlicher  und  for- 
meller Hinsicht.  Sachlich ,  insofern  sie  Heinrichs  Worten 
eigentlich  den  Boden  entzieht';  formell,  weil  sie  den  Zusam- 
menhang so  sehr  unterbricht,  dass  der  Herausgeber,  Waitz, 
sich  veranlasst  sieht,  darauf  hinzuweisen,  dass  das  folgende 
ipsius  sich  auf  Hatto  beziehe.  Auch  Waitz  hielt  diesen  Satz 
daher  für  später  —  wenn  auch  vom  Verfasser  selbst  —  ein- 
geschaltet 2. 

Noch  entschiedener  macht,  wie  schon  Watteubach ^  mit 
Recht  bemerkt  hat,  die  Fassung  dieser  Stelle  in  A  den  Ein- 
druck der  Abkürzung;  sie  wird  erst  verständlich,  wenn  man 
sie  mit  den  anderen  Texten  zusammenhält.  Während  in  diesen 
der  Erzbischof  Hatto  von  Mainz  als  der  Urheber  des  Mord- 
plans gegen  Heinrich  genannt  wird,  umgeht  A  die  Nennung 
dieses  Namens  und  spricht  unbestimmt  von  'amici  regii'.  Dort 
betritt  Hatto  die  Werkstatt  des  Goldschmieds,  hier  'quidam 
insidias  tendentium'.  Dort  lässt  Heinrich  dem  Erzbischof 
sagen,  er  habe  keinen  härteren  Nacken  als  Adalbert  und  wolle 
ihm  mit  seinem  Gefolge  nicht  zur  Last  fallen ;  hier  lässt  er 
sich  bei  den  'Herren'  des  Boten  entschuldigen,  wenn  er  wegen 
plötzlicher  Einfälle  der  Wenden  ihrer  Einladung  nicht  Folge 
leisten  könne.  Dennoch  verräth  auch  A  hinterher,  indem  er 
sich  den  anderen  Fassungen  wieder  nähert,  dass  es  Hattos 
Ränke  waren,  welche  durch  Heinrich  gerächt  wurden,  und 
dass  der  Erzbischof  in  Kummer  über  sein  Missgeschick  starb. 


1)  Er   hätte    sich    danach    ein  leeres    Volksgerede    angeeignet,    was 

Widukind    gewiss     eigentlich     von  seinem    Helden    nicht    sagen    wollte. 

2)    3.  Schulausg.    S.  20  N.  2.  3)    Geschichtsquellen  I,  312;    Ueber- 
setzung  2.  Aufl.  XIII. 

37* 


568  Bernhard  von  Simson. 

*Ad  orientem  autem  versus  cum  suo  comitatu,  collecta  manu, 
omnia  quae  erant  pontificis,  qui  eo  tempore  Maguntiae  prae- 
erat,  Hathonis',  in  omni  Saxonia  vel  Thuringorum  terra  oc- 
cupavit  .  .  .  Hatho  autem  videns  suis  artibus  ^  finem  imposi- 
tum.  .  .'  Dabei  scheint  durchzublicken,  dass  A  den  Text  2 
vor  sich  hatte.  Wenn  A  von  Hatte  rühmt:  'multas  discordias 
in  regno  reconciliabat',  so  gründet  sich  dies  wahrscheinlich  auf 
die  Worte  'Et  quid  melius  eo  consilio,  quo  discordia  dissol- 
veretur  et  pax  redderetur?'  in  2,  die  sich  auf  Hattos  erfolg- 
reiche Hinterlist  gegen  Adalbert  von  Babenberg  beziehen». 
Seiner  Tendenz  gemäss  verallgemeinert  A  den  Erfolg,  der 
dort  Hatte  in  einem  bestimmten  Falle  zuerkannt  wird,  und 
verschweigt,  dass  er  durch  ein  höchst  verwerfliches  Mittel  er- 
reicht wurde.  Endlich  scheint  hier  selbst  die  Schreibart  in  A 
kaum  ganz  der  Widukinds  zu  entsprechen*.  Zu  den  Worten 
'Ad  orientem  autem  versus  cum  suo  comitatu,  collecta  manu' 
ist  nämlich  zu  bemerken,  dass  Widukind  die  Worte  'comitatus' 
und  'manus'  sonst  gleichbedeutend  gebraucht  (H,  11;  Köpke 
S.  98;  Waitz,  DVG.  VI,  258  N.  1).  Auch  in  den  Worten  'et 
qui  tempore  Ludewici  adolescentis  super  imperio  Francorum 
acri  cura  vigilabat,  multas  discordias  in  regno  recon- 
ciliabat, templum  Maguntiae  nobili  structura  illustrabat' 
fallen  die  Indicative  'vigilabat'  etc.  auf.  Widukind  gebraucht 
in  dieser  Construction  sonst  stets  den  Conjunctiv,  wendet  sie 
auch  nur  an,  um  eine  Persönlichkeit  nach  ihren  Eigenschaften 
oder  Gewohnheiten  zu  schildern,  nicht  um  ihre  Thaten  anzu- 
führen (vgl.  unten  S.  571). 

Den  Vorzug,  für  die  erste  Recension  zu  gelten,  verdankt 
die  Hs.  A  weder  ihrem  Alter  noch  ihrer  Güte.  Sie  ist  jünger 
als  1,  wahrscheinlich  auch  als  2*  und  incorrecter  als  beide*. 
Sie  verdankt  dies  Ansehen  nur  dem  Umstände,  dass  ihr  der 
Schluss  des  Werkes  (HI,  70—76)  fehlt,  von  dem  man  an- 
nimmt,  dass   der   Autor   ihn    erst  später   hinzugefügt    habe '. 


1)  Cod.  1  :  'Et  statim  omnia  quae  iuris  ipsius  erant';  2:  'sui  iuris'  (bei 
Ekkehard  und  Annalista  Saxo,  SS.  VI,  179,  593,  dagegen  auch  'iuris 
ipsius',  was  jedenfalls  die  bessere,  vielleicht  auch  die  ursprüngliche  Les- 
art ist).  2)  Die  anderen  Hss.  haben  den  stärkeren  Ausdruck  'callidi- 
tatibus'.  3)  Vgl.  auchA:  'tempore  Ludewici  adolescentis'  mit  2:  'regi 
a  pontifice  presentatus  Ludwico'.  4)  Anders  Köpke  S.  25.  5)  Die 
Hs.  1  stammt  aus  dem  Ende  des  11.  oder  dem  Anfang  des  12.,  2  aus 
der  Mitte  des  12.  Jh.  (SS.  III,  413).  A,  welche  Ebert  (Pertz,  Archiv 
III,  605)  erst  in  den  Anfang  des  14.  Jh.  verweisen  wollte,  wird  von  Pertz 
und  Waitz  gleichfalls  ins  12.  gesetzt.  Nach  der  Schriftprobe  SS.  III. 
tab.  IV.  scheint  sie  jedoch  jünger  als  2.  Die  Schrift  ist  eckiger. 
6)  Waitz,  SS.  III,  412  f.;  3.  Schulausg.  S.  XIL  7)  So  auch  Ad.  Ebert, 
'AUgem.  Gesch.  der  Literatur  des  Mittelalters  im  Abendlande'  III,  432, 
nach  welchem  diese  Fortsetzung  besser  als  'Nachwort'  zu  bezeichnen  wäre. 


Kritische  Erörterungen.  569 

Nun  ist  es  allerdings  unzweifelhaft,  dass  Widukinds  Werk  ur- 
sprünglich nicht  so  weit  reichte  wie  jetzt.  Es  brach  aber 
nicht  da  ab,  wo  die  Hs.  A  aufhört,  sondern  bereits  an  einer 
früheren  Stelle  (III,  63).  Ganz  unverkennbar  Hess  der  Ver- 
fasser anfänglich  hier  den  Schluss  eintreten*.  Er  schreibt 
hier  ausdrücklich  (in  Bezug  auf  Otto  d.  Gr.)* 

'Ergo  qualiter  regem  Longobardorum  Bernharium  duo- 

bus  annis  obsessum,  cum  coniuge  et  filiis  captum  in  exilium 

destinaverit,   Romanos    duobus    proeliis    vicerit   Romamque 

expugnaverit,    duces  Beneventorum   subiecerit,   Graecos   in 

Calabria  Apuliaque  superaverit,  terra  Saxonia  venas  argenti 

aperuerit  imperiumque  cum  filio  quam  magnifice  dilataverit, 

nostrae    tenuitatis    non     est     edicere,     sed,     ut 

initio  historiae  praedixi,  in  tantum  fideli  devo- 

tione  laborasse  sufficiat.' 

Er  wendet   sich  dann   nochmals   an    die  Tochter  des  Kaisers, 

Mahthilde,  welcher  er  das  Werk  gewidmet  hat  und  die  er  im 

Eingange  jedes  Buches  begrüsst: 

'Caeterum  erga  tuam  claritatem  serenitatemque,  quam  patris 
fratrisque   celsitudo  patriae   ad   omnem    honorem   nobisque 
ad  solatium  reliquit,  magna  devotio  opus  humile  magnificet.' 
Er  fügt  endlich  hinzu: 

*At  finis  civilis  belli  terminus  sit  libelli.' 

Wie  mir  scheint,  liegt  kein  zwingender  Grund  vor,  an- 
zunehmen, dass  dies  nicht  der  wirkliche  Schluss,  sondern  nur 
die  Ankündigung  eines  später  folgenden  Schlusses  gewesen 
sei.  Ganz  ähnlich  wie  hier  Widukind  sein  Werk  schloss, 
bezeichnen  andere  mittelalterliche  Autoren  den  Schluss  ein- 
zelner Bücher,  so  Nithard  II,  10.  III,  7  ('Qua  finem  primi 
certaminis  dedit  Lodharius,  terminetur  Über  secundus  — 
Qua  finem  secundi  certaminis  dedit  Lodharius,  terminetur 
liber  tercius') ;  der  Monachus  Sangallensis  (Notker  der  Stammler) 
I,  34  ('hie  fiat  terminus  libelli  istius').  Ausserdem  erinnert 
dieser  frühere  Schluss  Widukinds,  wie  man  mit  Recht  be- 
merkt hat  2,  sehr  an  denjenigen  der  Hrotsuit  in  ihren  Gest. 
Oddonis  (v.  1483  fi".  SS.  IV,  334-335). 

Andere'  meinen  freilich,  der  'finis  civilis  belli'  werde  erst 
mit  dem  Tode  des  jüngeren  Wichmann  (III,  69),  d.  h.  mit 
dem  Ende  der  Handschrift  A,  erreicht,  welche  schliesst:  'Is 
finis  Wichmanno,  talisque  omnibus  fere  qui  contra  imperatorem 
arma  sumpserunt  patrem  tuum'.  Allein,  wenn  auch  in  den 
vorhergehenden  Capiteln  mehr  von  Kämpfen  gegen  auswärtige 


1)  Vgl.  auch  Waitz,  SS.  in,  411;  Schulausg.  S.  IX.  Offenbar  un- 
richtig will  Köpke  (S.  32.  69)  eine  früheste  Grenze  schon  vor  diesem 
Capitel,  am  Ende  von  III,  62,  erkennen.  2)  Vgl.  Waitz  in  'Forschungen 
zur  Deutschen  Geschichte'  IX,  339.  341.       3)  Köpke  S.  34  ;  Eaase  S.  16,  19, 


570  Bernhard  von  Sirason. 

Feinde  als  von  inneren  Kämpfen  die  Rede  ist,  so  bildet  doch 
den  Hauptinhalt  des  3.  Buches  der  grosse  Liudolfinische  Auf- 
stand. Dieser  ist  das  nunmehr  beendigte  bellum  civile  >. 
Dem  entsprechend  heisst  es  auch  im  Eingange  des  betreffenden 
Capitels  III,  63,  vor  den  angeführten  Schlussworten:  'Rebus 
igitur  rite  compositis  per  omnem  Franciam  Saxoniamque 
(d.  h.  im  ganzen  deutschen  Reich  *)  et  vicinas  circumquaque 
gentes,  Romara  statuens  proficisci,  Longobardiam  perrexit'. 
Wichmann  dagegen  kam  in  einem  Kampfe  zwischen  Wenden 
und  Polen  um.  .Jedenfalls  glaube  ich,  dass  die  in  Uncialen 
geschriebenen  3  Schlussworte  von  A:  'patrem  tuum'  auch  nicht 
zum  ursprünglichen  Texte  gehören,  sondern  nur  hinzugefügt 
sind,  um  noch  eine  an  die  Adressatin  der  Schrift,  Mahthilde, 
gerichtete  Schlusswendung,  wenn  auch  dürftigster  Art^  zu  ge- 
winnen. Man  sieht  nicht  ein,  weshalb  sie  sonst  in  den  anderen 
Texten  fortgelassen  worden  sein  sollten*.  Weit  mehr  Grund 
hätte  hier  jedenfalls  vorgelegen,  die  Schiusswendungen  in 
III,  63  zu  tilgen. 

Es  mag  immerhin  sein,  dass  der  Text  A  verfasst  wurde, 
als  die  Fortsetzung  des  Werkes  noch  nicht  über  III,  69  hinaus- 
gelangt war,  vielleicht  auch,  dass  er  so  Mahthilde  überreicht 
wurde,  aber  die  ursprüngliche  Fassung  enthält  er  nicht,  son- 
dern, wie  besonders  die  Stelle  I,  22  beweist,  eine  Bearbeitung. 

Dagegen  lUsst  sich  meines  Erachtens  nicht  absehen,  warum 
der  Text  2  nicht  die  ursprüngliche  Fassung  bieten,  warum 
insbesondere  die  ihm  eigenthümlichen  Stellen  erst  nachträglich 
eingeschaltet  oder  sogar  unecht  sein  sollten.  Man  hat  be- 
hauptet*, dass  die  Schreibweise,  wenigstens  in  I,  22,  auf 
einen  anderen  Verfasser  deute.  Ich  erlaube  mir  das  Gegen- 
theil  zu  behaupten.  Betrachten  wir  zunächst  die  Stelle  I,  22, 
so  finden  wir  in  Widukinds  Stil  den  Gebrauch  von  'urbs'  und 
'oppidum'  fiir  Burg  und  Vorstadt,  die  Bezeichnung  'summus 
pontifex'  für  den  Erzbischof  von  Mainz«;  ferner  Ausdrücke 
wie  'tarn  ingens  bellum  —  tam  ingentem  discordiam'  (I,  5  'tarn 
ingens  aurum',  IT,  11  'tam  ingens  periculum'  u.  s.  w.);  'emi- 
nentes viros'  (III,  51.  72.  69.  16,  Köpke  S.  112);  'civitatem 
Adelberti'  (Köpke  S.  155);   'incolumem  loco  suo  restituturum 

1)  Vgl.  III,  44.  52  ('eventum  belli  civilis  considerantes'  —  'civili 
hello  urgente').  2)  Giesebrecht,  'Kaiserzeit'  I,  5.  Aufl.,  S.  815;  Waitz, 
'DVG.'  V,  131  N.  4.  VI,  135  N.  3.  3)  SS.  III,  tab.  IV.         4)  Andere 

ähnliche  Stellen  lassen  sie  nicht  weg,  wie  I,  19  ('cum  qualibus  avo  tuo 
patrique  certandum  fuerit').  34  ('ut  videmus  in  amore  mundi  et  totius  orbis 
capite,   patre  tuo'  —  'tuum  scilicet  patrem  atque  fratrem').  5)  Köpke 

S.  26:  'Für  die  Steinfelder  Handschrift  2  lässt  sich  eine  gleiche  Ueberein- 
stimmung'  (nämlich  mit  dem  Stil  Widukinds,  wie  bei  A  und  1)  'nicht  nach- 
weisen'. 27:  'Auch  die  Schreibweise  ist  abweichend'.  Raase  S.  16 — 17, 
mit  nicht  stichhaltigen  Gründen.  6)  Vgl.  SS.  III,  920;  Köpke  S.  153 

—  154.   169. 


I 


Kritische  Erörterungen.  571 

—  eo  quod  incolumem  eum  loco  suo  constituisset  (III,  69 
quatinus  incolumem  imperatori  restituat);  aliquid  gustare  — 
gustandi  gratia  (III,  75  paululum  gustavit);  multorum  capita 
populorum  i  salvantur  (I,  25  ipse  enim  vere  rex  erit  et  im- 
perator  multorum  populorum'.  34  'Populis  eum  visitantibus 
puer  praedicat  Christum'.  37  'meritoque  oranibus  populis 
carum'.  III,  57  'cum  luctu  et  planctu  multorum  populorum'). 
Aehnliche  Comparative,  wie  hier  'longioris  viae  tardiorisque 
horae',  gebraucht  Widukind  öfter  (I,  9  'iam  tardior  hora 
proelium  diremit'.  111,54.  111,69  'leiunio  autem  et  longiori 
via  .  .  .  fessus'.  I,  11  'qua  solet  sopor  gravior  occupare  mor- 
tales'.  16  'quasi  iam  gravior'.  34  'iam  gravior  paedagogus  etc.'). 
Parallelstellen  in  grosser  Anzahl  bieten  sich  dar  zu  'Post  haec 
regi  a  pontifice  praesentatus  Ludwico'  (1,34  'Quem  pater 
praesidi  provinciae  Valeriano  praesentavit'.  II,  16  'tribunali 
regis  .  .  praesentari'.  17  'regi  sese  praesentavit'.  40  'quos  po- 
pulo  rex  praesentari  iussit'.  III,  2,  in  allen  Hss. ,  'quos  ei 
praesentari  oporteret'.  48,  55.  69.  71).  Zu  'Et  quid  melius 
eo  consilio,  quo  discordia  dissolveretur'  vgl.  II,  15  'consilium, 
quo  facilius  bellum  solveretur' ^.  Ein  gewöhnlicher  Fehler 
Widukinds  ist,  dass  er  statt  des  accus,  cum  inf.  blos  den  In- 
finitiv setzt;  so  steht  auch  hier:  'sub  iureiurando  spopondit, 
aut  ei  pacem  cum  rege  facturum  aut  incolumem  loco  restitu- 
turum'.  Endlich  enthalten  auch  die  Worte  'Hie  obscuro  genere 
natus  ingenioque  acutus,  ut  qui  difficile  discerneretur,  melior 
consilio  foret  an  peior'  eine  Wendung,  die  bei  unserem  Autor 
nicht  selten  ähnlich  wiederkehrt,  vgl.  I,  24  'vir  disciplinae 
militaris  peritissimus,  varius  consilioque  magnus  et  qui  calli- 
ditate  ingenita  raultos  mortales  superaret'^.  II,  36  'habitus 
patrius,  et  qui  numquam  sit  peregrino  usus  —  'Erat  corpore 
praestanti  et  qui  in  adolescentia  omnem  hominem  egregia 
forma  ad  se  inclinaret'.  III,  7  'homo  ferus  et  avarus  et  qui 
omnem  iustitiam  pecunia  venderet'.  54  'Erant  quippe  in  Gerone 
multae  artes  bonae,  bellandi  peritia,  in  rebus  civilibus  bona 
consilia  ...  et  qui  prudentiam  suam  opere  ostenderet  quam 
ore'.  Allerdings  steht  an  unserer  Stelle  nicht  'et  qui',  sondern 
'ut  qui';  wir  dürfen  aber  vielleicht  'ut'  in  'et'  emendieren;  auch 
die  Frechtsche  Ausgabe  (3)  hat  'et'. 

1)  Schottin  (2,  Aufl.  S.  30)  übersetzt  zutreffend  'vielen  Volkes'  (nicht 
vieler  Völker);  vgl.  besonders  Wid.  I,  14:  'in  orientales  scilicet  populos 
(Osterliudi),   Angarios  atque  Westfalos' ;  Waitz  V,   172  N.  5.  2)  Der 

Sinn  dieser  Stelle,  welche  Dümmler,  'Otto  d.  Gr,'  S.  81  N.  3  nicht  ganz 
richtig  ausgelegt  hat,  ist  durchaus  entsprechend.  Widukind  will  nicht 
sagen,  dass  die  schnelle  Beendigung  des  Krieges  die  Absicht  der  Rath- 
geber,  sondern  dass  sie  die  Folge  ihres  Rathes  gewesen  sei;  vgl.  H.  Kohl 
in  Richters  'Annalen  der  deutschen  Geschichte  im  Mittelalter'  III,  1, 
S.  38  N.  1.  3)  Vgl.  auch  cod.  1  in  I,  22:  'acutus  consilio,  acer  in- 
genio  et  qui  varietate  sibi  consueta  multos  mortales  precederet'. 


572  Bernhard  von  Simson. 

Mindestens  in  gleichem  Grade  zeigt  sich  diese  Ueberein- 
stimmung  mit  Widukinds  so  charakteristischer  Schreibweise 
in  der  anderen  dieser  Redaction  eigenthümlichen  Stelle  III,  2. 
Man  vergleiche  *ut  natu  maior,  omni  virtute  ac  sapientia  potior' 
mit  I,  16  'fratri  natu  quidem  minori,  sed  omni  virtute  multo 
potiori  —  'pretiosi  martiris  Viti'  mit  I,  33  *pretiosi  martiris 
Dyonisii'.  34  'pretiosi  martiris  —  'Corbeius  abbas  nomine  Bovo' 
mit  'Corbeius  Widukindus',  Hb.  I.  praef.  —  'a  Deo  nobis  osten- 
sus,  non  concessus'  mit  I,  22,  wo  wenigstens  auch  1  hat:  'virum 
nobis  proprie  a  summa  dementia  concessum'. 

Der  Stil  dieser  Stellen  gestattet  es  also  vollkommen,  sie 
Widukind  zuzuschreiben,  wenn  er  uns  nicht  sogar  dazu  nöthigt. 
Ein  anderer  konnte  wenigstens  nur  so  schreiben,  wenn  er  Widu- 
kinds Stil  sehr  aufmerksam  studiert  hatte  und  geflissentlich 
nachahmte.  Was  den  Inhalt  betrifft,  so  scheint  es  allerdings 
unrichtig  zu  sein,  wenn  I,  22  Ilatto  als  'obscuro  genere  natus' 
bezeichnet  wird  K  Allein  Widukind  begeht  auch  sonst  Irr- 
thümer,  und  weit  stärkere.  Dagegen  steht  es  fest,  dass  die 
hier  gegebene  Ueberlieferung  über  Hattos  Verrath  an  Adalbert 
bereits  vorhanden  war,  als  Widukind  schrieb.  Dies  wird 
durch  Liudprands  Antapodosis  (II,  6)  bewiesen,  mit  welcher 
Widukind  sich  auch  an  einzelnen  anderen  Stellen  berührt'. 
Ebenso  fehlt  es  der  Erzählung  III,  2  nicht  an  Bestätigung. 
Dass  König  Konrad  I.  zur  Zeit  des  Abts  Bovo  II.  von  Korvei 
das  Kloster  besuchte,  wird  durch  eine  Urkunde  Konrads  vom 
3.  Februar  913^,  dass  der  Abt  griechische  Schrift  lesen  konnte, 
durch  seinen  Commentar  zu  einer  Stelle  des  Boethius,  der 
griechisch  geschriebene  Wörter  enthält,  bezeugt*. 

Das  schöne,  allem  Anschein  nach  wirklich  empfundene 
Wort  über  den  Abt  Bovo  III.  von  Korvei:  'vir  —  a  Deo  nobis 
ostensus,  non  concessus'  wurde  gewiss  von  einem  Korveier 
Mönch  geschrieben,  der  unter  der  nur  zu  kui'zen  Verwaltung 
dieses  Abts  (942 — 948)  Mitglied  der  Brüderschaft  gewesen 
war  —  d.  h.  von  W^idukind,  welcher  gerade  in  den  letzten 
Zeiten  vor  Bovo,  unter  Folkmar,  in  das  Kloster  eintrat  (Catal. 
et  nom.  fratr.  Corb.  SS.  XIII,  276  N.  2;  vgl.  auch  Waitz,  praef. 
p.V  N.  3;  Raase  S.  17). 

Endlich  flillt,  wie  ich  bereits  im  N.  Archiv  XII,  597  her- 
vorgehoben habe,  für  die  Priorität  des  Textes  2  ins  Gewicht, 
dass  dieser  an  der  einzigen  Stelle,  wo  Widukind  fast  wörtlich 
einer  Vorlage  folgt  —  in  dem  Gebet  des  Vitus,  I,  34  —  sich 
dieser  Vorlage  enger  anschliesst  als  die  übrigen  Redactionen, 
mit  denen  hier  freilich  auch  3  übereinstimmt.  — 

1)  Dümmler,  'Gesch.  d.  ostfränk.  Reiches',  2.  Aufl.  III,  343  N.  4; 
Böhmer -Will,  'Regest,  archiepp.  Maguntin.'  I,  p.  XXVII.  2)  Vgl.  auch 
Waitz,  3.  Schulausg.  p.  VII  N.  12.  3)  Mühlbacher  n,  2025;  DD.  I,  14 

n.  14,  4)  Wattenbacb,  'Geschichtsqu.'  I,  240. 


i 


Kritische  Erörterungen.  573 

Hierzu  auch  bei  dieser  Gelegenheit  ein  paar  Bemerkungen 
über  einzelne  schwierige  Stellen  des  Widukind.  Hinsichtlich 
einer  anderen  Steile  (H,  10)  habe  ich  die  herrschende  Aus- 
legung in  den  'Forschungen  zur  Deutschen  Geschichte'  (XXV, 
369  ff.)  zu  widerlegen  versucht'. 

I,  12.  *Ex  hoc  apparet  aestimationem  illorum  utcumque 
probabilem,  qui  Saxones  originem  duxisse  putant  de  Graecis, 
quia  Hirmin  vel  Hermis  Graece  Mars  dicitur;  quo  vocabulo 
ad  laudem  vel  ad  vituperationem  usque  hodie  etiam  ignorantes 
utimur'  (vgl.  I,  2). 

Hier  stehen  sich  bekanntlich  eine  Erklärung  von  J.  Grimm 
und  eine  andere  von  Pertz  gegenüber.  Grimm  bezieht  das 
Relativ  'quo  vocabulo'  auf  'Hirmin'.  Der  Sinn  ist  nach  seiner 
Meinung:  wir  verwenden  das  verstärkende  Präfix  'irmin'  — 
ohne  seinen  Sinn  zu  verstehen  —  noch  heute  bei  Wörtern 
guter  oder  übler  Bedeutung  —  oder,  wie  er  später  meinte: 
noch  heute  wird  bei  uns  mit  diesem  Namen  ein  hervorragender, 
verwegner  Mann,  lobend  oder  tadelnd  belegt.  Pertz  dagegen 
bezog  'quo  vocabulo'  auf  'Mars'  und  denkt  an  das  Wort  'märi', 
'mar',  welches  in  gutem  Sinne  so  viel  wie  'clarus',  im  Übeln 
einen  'incubus'  (Alp,  der  den  Schlafenden  drückt)  bedeute. 
Obschon  Grimms  Erklärung  (und  zwar  die  zuerst  von  ihm 
gegebene)  auch  Waitz  als  die  zweifellos  richtige  erschien,  bin 
ich  der  Meinung,  dass  die  Auslegung  von  Pertz  den  Vorzug 
verdient.  Er  vertritt  wohl  mit  Recht  die  Ansicht,  dass  sich 
'quo  vocabulo'  auf  das,  überdies  unmittelbar  vorhergehende, 
Fremdwort  'Mars'  beziehe,  'nam  Hirmin  minime  ignorabanf,  die 
Bedeutung  von  'Hirmin'  kannten  die  Sachsen  wohl.  Auch  will 
Widukind  ja  ein  Argument  für  die  Ansicht  anführen,  dass  die 
Sachsen  von  den  Griechen  abstammen.  Es  besteht  darin,  dass 
sie  früher  bei  der  Benennung  des  von  ihnen  errichteten  Heilig- 
thums  und  auch  noch  jetzt,  ohne  es  zu  wissen,  den,  wie  er  in 
seiner  confusen  Gelehrsamkeit  meint,  griechischen  Namen  'Mars' 
anwenden».  Nur  scheint  mir  die  Auslegung  von  Pertz  einer 
Modification  zu  bedürfen.  Die  Beziehung  auf  den  'incubus' 
müssen  wir  fallen  lassen;  was  hat  dieser  mit  einem  Ausdruck 
des  Tadels  zu  thun?  Auch  ist  'mar'  ein  anderes  Wort  als 
'märi'.  Letzteres  bedeutet  allerdings  soviel  wie  'clarus'  oder 
'famosus';  in  dieser  Bedeutung  kommt  es  auch  in  vielen  Männer- 
namen vor».     Es  scheint  nicht,  dass  es,  wie  'famosus',   auch 

1)  Vgl.  dazn  v.  Planck  in  'Münchner  S.-B."  1886,  S.  155  ff. 
2)  Vgl.  zu  'quo  vocabulo'  vorher:  'nomine  Martern,  effigie  colnmpnarum 
imitantes  Herculem';  ferner  die  Parallelstelle  I,  38:  'angelum  —  hoc  enim 
vocabulo  effigieque  signum  maximum  erat  insignitum'.  3)  Graff,  'Alt- 

hochdeutscher Sprachschatz'  II,  281;  Schade,  'Altdeutsches  Wörterbuch' 
(1866)  S.  387;  J,  Grimm,  'Deutsche  Grammatik'  II,  571;  Papencordt, 
'Gesch.  der  vandalischen  Herrschaft  in  Afrika',  S.  290.  —  Widukind  ge- 
braucht 'clarus'  als  Steigerung  von  'famosus'  II,  11  ('Ea  pugna  Tamma 
pincerna,  multis  aliis  rebus  bene  gestis  olim  famosus,  factus  est  clarus'). 


574  Bernhard  von  Simson. 

im  Übeln  Sinne  gebraucht  wurde.     Aber,   war   das   vielleicht 
doch  Widukinds  Meinung? 

I,  30.  'Indicavitque  abstinere  quidem  ab  armis,  verum 
potius  arte  superaturos  speravit  Lotharios,  quia  gens  varia 
erat  et  artibus  assueta,  bellis  prompta  mobilisque  ad  rerum 
novitates'.  Hier  fällt  zunächst  der  Widerspruch  mit  einer  spä- 
teren Stelle  auf,  wo  die  Lothringer  als  ein  unkriegerischer 
Menschenschlag  bezeichnet  werden  (II,  15  'Lothariis,  generi 
hominura  inbelli'»).  Dümmler,  der  dies  bemerkt*,  meint,  man 
würde  auch  an  der  zweiten  Stelle  vielmehr  ein  Lob  der  Streit- 
barkeit der  Lothringer  erwarten.  Umgekehrt  glaube  ich,  dass 
die  zweite  Stelle  (II,  15)  ganz  in  Ordnung  ist,  dagegen  die 
erste  (I,  30)  der  Emendation  bedarf.  Es  stimmt  vollkommen 
zu  der  Bezeichnung  der  Lothringer  als  eines  unkriegerischen 
Stammes,  wenn  es  dort  weiter  heisst:  'et  ita  factum  est,  ut 
primo  impetu  eos^  rex  devinceret  et  uno  certamine  fatigaret'. 
Es  stimmt  ebenso  dazu,  wenn  nachher  (II,  17)  erzählt  wird, 
wie  die  Lothringer  im  Treffen  bei  Birten ,  trotz  ihrer  grossen 
Uebermacht,  auf  den  Ruf  sich  zu  retten,  die  Flucht  ergreifen, 
mochte  auch  einer  von  ihnen,  Gottfried  genannt  der  'Schwarze', 
rühmlich  kämpfen.  Der  Ausdruck  'bellis  promptus'  findet  sich 
sonst  bei  Widukind  nicht;  er  schreibt  'ad  bellandum  prompte' 
(I,  8)  oder  'bellis  aptum'  (II,  3).  Ich  schlage  vor,  zu  lesen: 
'quia  gens  varia  erat  et  artibus  assueta,  inbellis,  prompta 
mobilisque  ad  rerum  novitates'-».  Die  Worte  'verum  potius 
arte  superaturos  speravit  Lotharios'  werden  gewöhnlich  so 
verstanden:  der  König  hoffte,  eher  durch  List  die  Lothringer 
besiegen  zu  können*.  Allein  diese  Auslegung  erscheint  selbst 
bei  Widukind  grammatikalisch  unmöglich*.  Wie  oft  und 
stark  er  auch  gegen  die  Grammatik  verstösst,  so  ungeheuer- 
lich versündigt  er  sich  an  ihr  sonst  kaum.  Auch  ist  es  un- 
logisch, dass  Heinrich  deshalb  gehoflft  haben  soll,  diesen  Volks- 
stamm durch  List  zu  überwinden,  weil  derselbe  listig  und 
verschlagen  war.  Der  Sinn  ist  vielmehr:  er  hoffte,  dass  die 
Lothringer,  weil  sie  nicht  kriegerisch,  aber  listig  waren,  durch 
List  siegen,  d.  h.  die  westfränkische  Herrschaft  abschütteln 
würden.  Gleich  darauf  wird  erzählt,  Avie  ein  Lothringer  sich 
durch  List  der  Person   des   dortigen  Herzogs  Giselbrecht  be- 


1)  Dass  der  Verf.  sie  anderwärts  ein  unbändiges  Volk  nennt  (II,  36 
'genti  iudomitae  Lothariorum') ,  steht  hiermit  nicht  in  Widerspruch. 
2)  'Otto   d.  Gr.'  S.  81   N.  3.  3)  Dümmler  bezweifelt  mit  Unrecht,   dass 

dies  auf  die  Lothringer  gehe.  4)  Das  Wort  'inbellis'  gebraucht  Widu- 

kind auch  III,  2  ('super  Saxones  loquendo,  quia  inbelles  essent').  5)  Vgl. 
Schottins  Uebers.,  2.  Aufl.  S.  35;  Waitz,  'Heinrich  I.',  3.  Aufl.  S.  69 
(auch  Giesebrecht,  'Kaiserzeit',  5.  Aufl.  I,  214).  6)  Die  von  Waitz  an- 
gezogene Parallelstelle  (I,  39)  'ut  etiam  ludenti  non  crederent  .  .  .  se 
dissolvendum'   passt  sehr  wenig. 


Kritische  Erörterungen.  575 

mächtigt  ('cepitqne  eum  arte'),  wodurch  Heinrichs  Hoffnung 
ihrer  Erfüllung  entgegengeführt  wird.  In  demselben  Sinne 
heisst  es  H,  23  von  dem  lothringischen  Grafen  Immo :  'Sciens 
autem  comitem  Isilberhti  versutum  et  callidum  nimis,  nomine 
Immonem,  artibus  illius  melius  arbitratus  est  pugnare  quam 
armis';  ähnlich  auch  HI,  71  von  den  Griechen:  'et  quos  vir- 
tute  nequibant,  artibus  superabant' ». 


in. 

Zum  Privilegium  Ottonianum  für  die  römische 

Kirche. 

K.  Lamprecht  ('Die  römische  Frage  von  König  Pippin 
bis  auf  Kaiser  Ludwig  den  Frommen'  S.  65  N.  2)  nimmt  an, 
dass  der  Passus  des  Ottonianum  (§  7)  'itemque  a  Lunis  etc.' 
einschliesslich  des  Zusatzes  'una  cum  ecclesia  sancte  Cristine 
posita  prope  Papiam  iuxta  Padum  quarto  miliario'  aus  dem 
Pactum  von  824  herrühre;  auch  dieser  Zusatz  erkläre  sich 
zum  J.  824  weit  besser  als  bei  der  Annahme  irgend  einer 
anderen  Zeit.  Alle  Wahrscheinlichkeitsrechnung  weise  auf 
dies  Jahr  hin;  denn  822  habe  noch  Ludwig  der  Fromme  jenem 
Kloster  der  h.  Christina  bei  Corte  Olona,  nach  dem  Vorgange 
Karls  des  Grossen,  einen  Schutzbrief  ertheilt,  während  eine 
Urkunde  Kaiser  Widos  von  892  beweise,  dass  die  Abtei  da- 
mals der  römischen  Kirche  bereits  wieder  entfremdet  war. 
Mithin  hätten  wir  die  Schenkung  von  S.  Cristina  an  den 
päpstlichen  Stuhl  zwischen  822  und  892,  und  zwar  möglichst 
bald  nach  822  zu  setzen.  Das  Material  zur  Geschichte  dieser 
Abtei  entlehnt  Lamprecht  aus  Ficker,  'Forschungen  zur  Reichs- 
und Rechtsgeschichte  Italiens'  II,  361,  der  es  'anscheinend  ab- 
schliessend' zusammengestellt  habe.  Hatte  doch  auch  Sickel 
('Das  Privilegium  Otto  I.  für  die  römische  Kirche'  S.  139)  sich 
vergeblich  bemüht,  weitere  Aufschlüsse  über  die  Geschichte 
der  Abtei  aus  gedruckten  Quellen  oder  den  Urkunden  und 
Handschriften  des  Vaticans  zu  erlangen;  nirgends  stiess  er 
auf  ihren  Namen. 

Mehr  hätte  Lamprecht  schon  erfahren  können,  wenn  er 
auch  nur  die  Notizen  nachgeschlagen  hätte,  welche  Mabillon 
in  seinen  'Annales  o.  s.  Benedicti'  (II,  478.  III,  223)  über  die 
gedachte  Abtei  zusammengestellt  hat.  Man  ersieht  daraus 
zunächst,   dass  die  dem  Kloster  S.  Cristina  von  Ludwig  dem 

1)  Vgl.  lordan.  Get.  XXXVI,  186,  Auct.  antiquiss.  V,  1,  S.  107: 
'homo  subtilis,  ante  quam  bella  gereret,  arte  pug-nabat'  (Agnell.  c.  37 
SS.  rer.  Lang-ob.  S.  302:  'unde  de  eo  ia  proverbiis  dicitur:  Attila  rex, 
priusquam  arma  sumeret,  arte  pugnabat';  dazu  ebd.  N.  2.  Bekanntlich 
ist  Jordanis   bei   Widukind   (I,  18)  benutzt. 


576  >       Bernhard  von  Simson. 

Frommen  bestätigte  Immunität  von  seinem  Sohne  Lothar  am 

4.  Februar  838  abermals  bestätigt  wurde  (Mühlbacher  n.  1025; 
Baluze,  'Capp.  reg.  Francor.'  II,  1438  n.  53).  Derselbe  Abt 
Petrus,  welcher  die  Iramunitätsurkunde  Ludwigs  erhalten  hatte, 
legte  sie  Lothar  zur  Bestätigung  vor;  ebenso  wie  in  der  Ur- 
kunde Ludwigs  von  derjenigen  Karls,  heisst  es  hier  von  der 
Ludwigs:  —  ^et  eius  auctoritate  immunitatis  hactenus  ab  in- 
quietudine  iudiciariae  potestatis  idem  munitum  atque  defen- 
satum  fuisset  monasterium.  Sed  pro  firmitatis  studio  postu- 
lavit  idem  Petrus  abba,  ut  paternae  auctoritati  nostram  quoque 
superadiiceremus'.  Lamprecht  wird  hierin  vielleicht  eine  Be- 
kräftigung   seiner  Ansicht  erblicken    und    die  Schenkung  von 

5.  Cristina  an  den  Papst  im  Jahre  824  um  so  wahrschein- 
licher finden,  da  sie  mithin  nicht  nur  vor  892,  sondern  sogar 
vor  838  fallen  müsse.  Mir  scheint  dagegen  jene  Urkunde 
Lothars  entschieden  dafür  zu  sprechen,  dass  das  Kloster  in 
der  Zeit  von  822  bis  838  in  keinen  anderen  Besitz  über- 
gegangen war  und  folglich  Lamprechts  mit  grosser  Zuversicht 
aufgestellte  Vermuthung  als  verfehlt  zu  betrachten  ist. 

Eine  fernere,  von  Lamprecht  gleichfalls  nicht  erwähnte 
Urkunde  für  S.  Cristina  datiert  vom  24.  April  879  und  ist 
dem  Abt  Trasoald  von  König:  Karlmann  ertheilt  (Mühlbacher 
n.  1498;  Baluze,  'Capp.'  II,  1504  n.  111;  Dümmler,  'Gesch.  des 
ostfränk.  Reiches'  2.  Aufl.  III,  97  N.  3).  In  demselben  Jahre 
schrieb  Papst  Johann  VIII.  an  den  dortigen  Abt  Gisulf,  welcher 
inzwischen  auf  Trasoald  gefolgt  zu  sein  scheint,  und  übertrug 
ihm  die  Aufsicht  über  das  von  der  Kaiserin  Engelberga,  der 
Gemahlin  Ludwigs  II. ,  gestiftete  Kloster  San  Sisto  in  Pia- 
cenza  (Jaffc,  'Reg.  pont.'  ed.  2»  n.  3301;  Mansi  XVII,  176; 
auch  Migne,  'Patrol.  lat.'  CXXVI,  899;  Dümmler  II,  385. 
III,  65) «. 

Durch  Gregor  XIII.,  im  Jahre  1581,  wurde  jenes  Kloster 
der  h.  Christina  dem  Collegium  Germanicum  zu  Rom,  welches 
dieser  Papst  wiederherstellte,  ja  gewissermassen  neu  begrün- 
dete und  auf  alle  Weise  begünstigte*,  zugewiesen'.  Daher 
mögen  auch  die  Acten  des  Collegium  Germanicum  noch  am 
ehesten  weiteres  Material  über  die  Geschichte  des  Klosters 
enthalten.  — 

Die  Stelle  des  Ottonianum  (§  15):  'Et  ut  ille  qui  ad  hoc 
sanctum  atque  apostolicum  regimen  eligitur  nemine  consentiente 

1)  Auch  die  Bestätigung  der  Schenkung  von  S.  Cristina  an  den 
Bischof  Wido  von  Piacenza  durch  König  Hugo,  926  Nov.  28  (Böhmer, 
'Regest.  Karol.'  n.  1375;  Campi ,  'Dell'  historia  ecclesiastica  di  Piacenza' 
I,  483  n.  46)  ist  von  Ficker  nicht  erwähnt.  2)  Theiner,    'Gesch.  der 

geistlichen  Bildungsanstalten'  S.  93  ff.;  O.  Mejer,  'Die  Propaganda'  S.  79; 
Herzog  und  Plitt,  'Realencyklopädie  für  protestant.  Theologie',  2.  Aufl. 
IIT,  314.  3)  Mabillon  1.  c;  Campi  I,  255. 


1 


K^ritische  Erörteruügeti.  577 

consecratus  fiat  pontifex  priusquara  talem  in  presentia  mieso- 
rum  nostrorum  vel  filii  nostri  seu  univers^  generalitatis  faciat 
promissionem  qualem  domnus  et  venerandus  spiritalis  pater 
noster  Leo  sponte  fecisse  dinoseitur'  bezieht  man  jetzt  gewöhn- 
lich auf  ein  vom  Papst  Leo  IIL  Karl  dem  Grossen  geleistetes 
Versprechen.  So  Sickel,  'Das  Privilegium  Otto  1',  S.  159; 
Dümmler,  'Otto  d.  Grosse',  S.  335;  Lamprecht,  'Die  röm.  Frage', 
S.  16  N.  1;  H.  Kohl  in  Richters  'Annalen  der  deutschen  Ge- 
schichte' III,  1,  S.  89  N.  1,  dem  Siekels  Beweisführung  zwingend 
erscheint.  Andere  haben  an  Leo  IV.  (-]-  855)  gedacht;  so 
zuletzt  noch  Dopffel,  'Kaiserthum  und  Papstwechsel  unter  den 
Karolingern',  S.  96  ff. 

Wie  ich  gestehe,  sind  mir  jedoch  beide  Auslegungen 
wenig  wahrscheinlich.  Bei  einem  Papste,  welchen  der  Kaiser 
als  'domnus  et  venerandus  spiritalis  pater  noster'  bezeichnet, 
denkt  man  zunächst  an  einen  Zeitgenossen  des  Kaisers, 
den  gegenwärtig  lebenden  und  regierenden  Papst,  wie  es 
auch  im  Ottonianum  vorher  (§  12)  von  Johann  XII.  heisst: 
'spiritali  patri  nostro  domno  lohanni  summo  pontifici  et  uni- 
versali  pap§'.  Die  Bezeichnung  setzt  eine  persönliche,  und 
zwar  noch  bestehende  Beziehung  zwischen  Kaiser  und  Papst 
voraus.  Ein  Papst,  der  ein  bis  zwei  Jahrhunderte  früher  gelebt 
hatte,  konnte  vom  Kaiser  nicht  so  genannt  werden.  Auch 
der  Einwand,  dass  dieselben  Worte  auch  im  Heinricianum 
(LL.  IP,  176)  wiederkehren,  ist  nicht  durchschlagend.  Sie 
sind  hier  mechanisch  aus  dem  Ottonianum  wiederholt,  während 
sich  eine  solche  wörtliche  Benutzung  einer  Vorlage  an  der  be- 
treffenden Stelle  des  letzteren  wenigstens  nicht  beweisen  lässt. 
Ficker  (II,  354)  glaubt  zwar  behaupten  zu  dürfen,  das  Privileg 
Ottos  I.  gehe  hier  in  seiner  wörtlichen  Fassung  auf  ein  Pactum 
zwischen  Lothar  und  Eugen  II.  vom  J.  824  zurück.  Die  Mög- 
lichkeit ist  nicht  zu  bestreiten,  wohl  aber  die  Wahrscheinlich- 
keit». Auch  824  war  nicht  Leo  III,  sondern  eben  Eugen  II. 
der  lebende  Papst  gewesen;  Leo  war  schon  816  gestorben, 
zwischen  ihm  und  Eugen  hatten  Stephan  IV.  und  Paschalis  I. 
auf  dem  römischen  Stuhle  gesessen.  Wenn  Lothar  ihn  gleich- 
wohl 824  als  'domnus  et  spiritalis  pater  noster'  bezeichnete, 
so  hätte  er  wohl  wenigstens  ein  'beatae  memoriae'  oder  dergl. 
hinzugefügt.  Es  kommt  hinzu,  dass  in  dem  Ottonianum  vorher 
lediglich  auf  das  Versprechen  Eugens  und  seiner  Nach- 
folger verwiesen  wird:  'secundura  quod  in  pacto  et  consti- 
tutione ac  promissionis  firmitate  Eugenii  pontificis  succes- 
sorumque  illius  continetur',  ganz  ebenso  wie  in  dem  Eide 
der  Römer  von  824:   'priusquam   tale   sacramentum  faciat  in 

1)  Auch  Dopffel  a.  a.  O,  S.  100  N.  1  wendet  sich  gegen  diese  Aus- 
führung Fickers.  In  Lothars  Pactum  konnten  auch  nicht  die  Worte  'vel 
filii  nostri'  vorkommen. 


578  Bernhard  von  Simson. 

praesentia  missi  domni  imperatoris  et  populi,  cum  iuramento, 
quale  dominus  Eugenius  papa  sponte  pro  conservatione  om- 
nium  factum  habet  per  scriptum'  (Capitularia  ed.  Boretius  I, 
324j.  Auf  einen  früheren  Eid  Leos  III.  ist  weder  hier  noch 
dort  Bezug  genommen. 

Daher  liegt  es  meines  Erachtens  am  nächsten,  bei  'dora- 
nus  et  venerandus  spiritalis  pater  noster  Leo'  weder  au  Leo  III. 
noch  an  Leo  IV,  sondern  an  den  Zeitgenossen  Ottos,  Leo  VIII, 
zu  denken.  Diese  Möglichkeit  ist  zwar  scheinbar  ausgeschlossen, 
weil  die  Urkunde  vom  13.  Februar  962,  noch  aus  der  Zeit 
Johanns  XII.  datiert;  allein  das  Räthsel  könnte  vielleicht  seine 
Lösung  darin  finden,  dass  in  der  Urkunde  zwei  verschiedene 
Bestandtheile  sich  unterscheiden  lassen.  Dass  dies  Privileg 
Ottos  I.  in  zwei  Haupttheile  zerfällt  und  der  zweite  Theil 
gerade  mit  §  15,  welcher  die  in  Rede  stehende  Stelle  enthält, 
beginnt,  hat  Sickel  (S.  103.  149.  158)  klar  erwiesen.  Der 
erste  Theil  deckt  sicn  im  wesentlichen  mit  dem  angeblichen 
Privileg  Ludwigs  des  Frommen  von  817;  der  zweite  schliesst 
sich  an  die  römische  Constitution  Lothars  von  824  an.  Dem 
entsprechend  bezeichnet  sich  der  erste  Theil  als  'hoc  pactum 
confirmationis  nostr^  —  hoc  nostr^  delegationis  pactum  — 
hoc  nostr§  confirmationis  pactum'  (§  1.  13.  14).  Im  zweiten 
Theil  heisst  es  dagegen:  'Preterea  alia  minora  huic  operi(!) 
inserenda  previdimus  —  hanc  nostram  institutionem  —  Huic 
enim  institutioni  —  hanc  imperialem  constitutionem'  (§  16.  19). 
Erst  der  Schluss  von  §  20  an  nebst  den  Unterschriften  und 
dem  Datum  gehört  wieder  mit  dem  ersten  Theile  zusammen ', 
wie  uns  hier  auch  abermals  der  Ausdruck  'hoc  pactum  con- 
firmationis» nostr§  —  h^c  pactio'  begegnet.  Zu  diesen  Ver- 
schiedenheiten tritt,  wie  ich  glaube,  eben  noch  die  hinzu,  dass 
im  ersten  Theil  Johann  XII,  im  zweiten  dagegen  Leo  VIII. 
als  gegenwärtig  regierender  Papst  erscheint,  beide  Theile  sich 
demnach  auch  auf  verschiedene  Zeitpunkte,  jener  auf  den  Fe- 
bruar 962,  dieser  auf  das  Ende  des  Jahres  963  beziehen. 
Nicht  sowohl  nach  seiner  Kaiserkrönung  durch  Johann  XII, 
als  nach  der  Absetzung  Johanns  und  der  Wahl  Leos  VIII. 
—  damals,  als  die  Römer,  wie  Liudprand'  angiebt,  ihm  von 

1)  Vgl.  auch  DD.  reg.  et  imp,  Germ.  I,  323—324  und  Lamprecht 
a.  a.  O.  S.  141,  dessen  Vermuthuiig,  dass  das  Ottonianum  im  ersten  Theil 
auf  das  Pactum  von  816  zurückgehe,  ich  hier  beiseite  lasse,  da  sie  für 
die  oben  erörterte  specielle  Frage  ohne  Belang  ist.  Vielleicht  darf  ich 
aber  andeuten,  dass  ich  Laraprechts  Argumentation  auch  in  dieser  Hin- 
sicht nicht  beipflichten  kann,  namentlich  nicht  den  Bemerkungen  über  die 
nach  seiner  Meinung  richtigen  Lesarten  des  Ottonianum  S.  88.  106. 
2)  So  ist  nach  dem  Facsimile  zu  lesen;  'confirmationes'  im  Text  wird 
Druckfehler  sein.  3)  Hist.  Ottonis  c.  8:  'hoc  addentes  et  firmiter  iurantes, 
numquam  se  papam  electuros  aut  ordinaturos  preter  consensum  et  electio- 
nem  domni  imperatoris  Ottonis  cesaris  augusti  filiique  ipsius  regis  Ottonis'. 


Kritische  Erörterungen.  579 

neuem  Treue  versprochen  und  die  eidliche  Verpflichtung  über- 
nommen hatten^  niemals  einen  Papst  ohne  seine  und  seines 
Sohnes  Zustimmung  zu  wählen  oder  zu  weihen  —  hatte  Otto 
Veranlassung,  die  Verordnungen  über  die  Papstwahl  zu  treffen 
bezw.  zu  erneuern,  welche  der  zweite  Haupttheil  dieses  Docu- 
ments  enthält. 

Hat  freilich  eine  solche  Verschmelzung  zweier  verschiedener 
Verfügungen  Ottos  in  dem  uns  vorliegenden  Schriftstücke 
stattgefunden,  so  wird  die  Authenticität  desselben,  welcher 
auch  unsere  Ermittelungen  über  S.  Cristina  nicht  günstig  waren, 
doch  noch  weiterer  Untersuchung  bedürfen. 


i 


XVI. 


Miscellen. 


Neues  Archiv  etc.     XV.  uo 


Zwei  ostgothische  Miscellen. 

Von  F.  Wrede, 

Theoderich  der  Ostgothe  suchte  seinen  genialen  Plan, 
unter  den  germanischen  Reichen  einen  politischen  Zusammen- 
hang herzustellen  und  innerhalb  desselben  seinen  Ostgothen 
die  Hegemonie  zu  sichern,  in  erster  Linie  durch  eheliche  Ver- 
bindungen zu  erreichen.  Er  selbst  führte  die  Frankin  Aude- 
fleda  heim,  seine  Tochter  Thiudigoto  vermählte  er  mit  dem 
Westgothen  Alarich  II,  seine  Tochter  Ostrogotho  mit  dem  Bur- 
gunder Sigismund,  seine  Schwester  Amalafrida  mit  dem  Wan- 
dalen Thrasamund,  deren  Tochter  Amalaberga  mit  dem  Thü- 
ringer Ermenfrid.    Im  Anschluss  hieran  folgende  zwei  Kleinig- 

Coste  (Proc,  'Gothenkrieg',  GSddV.  6.  Jahrb.,  Bd.  III, 
S.  39)  nennt  Amalaberga  die  Tochter  der  Amalafrida  und  des 
Wandalenkönigs  Thrasamund  (vgl.  auch  die  ostgothische  Stamm- 
tafel zu  Martens'  'Jordanes',  ebd.  Bd.  I).  Letzteres  scheint 
unrichtig  zu  sein,  Amalaberga  vielmehr  einer  früheren  Ehe 
Amalafridas  zu  entstammen.  Denn  andernfalls  würde  ihr  könig- 
licher Vater  Thrasamund,  nicht  ihr  Oheim  Theoderich  über 
ihre  Hand  zu  verfügen  gehabt  haben.  Ferner  heisst  sie  in 
den  Quellen  nur  Tochter  der  Amalafrida ,  nicht  auch  des 
Thrasamund  (Anon.  Vales.  §  70;  Proc.  'Goth.'  I,  12,  p.  65, 
7  bonn.).  Endlich  erscheint  ihre  Vermählung  mit  dem  Thü- 
ringer etwa  gleichzeitig  der  ihrer  Mutter  mit  dem  Wandalen. 
Sie  wird  mithin  ebensowenig  als  Kind  des  letzteren  gelten 
dürfen,  wie  ihr  Bruder  Theodahad,  der  spätere  ostgothische 
König,    und    das    'eins'    bei  Jord.  §  299    ('....  Amalafridam 

coniuge    dirigit    Thrasamundo    filiamque    eius  .  .  .  . 

Amalabergam  .,..',  und  demgemäss  das  ^eiusdem'  bei  Paul, 
'bist,  rom.'  XV,  20)  geht  auf  Amalafrida,  nicht  auf  Thrasa- 
mund. — 

Die  westgothische  Königin,  welche  nach  Jörd.  (§  297)  und 
Proc.  (1.  c.)  den  Namen  'Thiudigoto'  führt,  nennt  der  Anon. 
Vales.  (§  63)  'Areuagni',  während  'Theodegotha  bei  ihm  Name 
der  Burgunderin  ist,  welche  bei  Jord.  'Ostrogotho'  heisst.  Bei 
der  Uebereinstimmung  zwischen  Jord.  und  Proc.  ist  der  Fehler 
bei  dem  Anon.  zu  suchen:  er  hat  die  beiden  Töchter  Theode- 

38* 


584  F.  Wrede. 

richs  verwechselt,  seine  Theodegotha  ist  die  Westgothin  und 
Areuagni  ein  anderer  Name  für  die  Ostrogotho  des  Jordanes. 
Areuagni  ist  leicht  verbessert  in  Ariagne  (schon  bei  Schaedel, 
'Plin.  d.  Jung,  und  Cass.  Sen.',  Darmst.  Progr.  1887,  S.  23,  3). 
So  hiess  aber  auch  die  gleichzeitige  Kaiserin  in  Byzanz,  die 
Gemahlin  des  Zeno  und  Anastasius  (Jord.  'Rom.'  §§  339.  342. 
349.  354):  ihr  zu  Ehren  hatte  also  Theoderich  seiner  noch  in 
Moesien  geborenen  Tochter  (Jord.  'Get'  §  297)  diesen  Namen 
gegeben.  Und  daher  später  der  unterscheidende  Zuname: 
'Ariagne  die  Ostgothin'  im  Gegensatz  zur  'Ariagne  Augusta'. 
'Ostrogotho'  ist  das  normale  gothische  Femininum  zum  Älascu- 
linura  'Ostrogotha',  wie  der  ebenso  mit  dem  Volksnamen  be- 
nannte Ahnherr  des  Amalergeschlechts  heisst  (vgl.  MüllenhofF 
im  Index  zu  Mommsens  Jordanes  S.  143,  6). 


Topographische  Erklärungen 
zu  einigen  Stellen  in  den  Monumenta  Germaniae. 

Von  A.  Chroust. 

1.  Zu  Paulus  Diaconus,  'historia  Langobardorum*  IV,  38 
('MG,  SS.  rer.  Langob.',  p.  132). 

Paulus  berichtet  an  der  angegebenen  Stelle  von  den  Schick- 
salen der  Söhne  des  Friauler  Herzogs  Gisulf  und  erzählt:  'hi 
suo  tempore  Sclavorum  regionem,  quae  Zellia  appellatur 
usque  ad  locum  qui  Medaria  dicitur  possiderunt;  unde  usque 
ad  tempora  Ratchis  ducis  idem  Sclavi  pensionem  Foroiulianis 
ducibus  persolverunt'.  Den  einen  der  beiden  Orte  hat  schon 
Bethmann  als  Cilli  in  Untersteiermark  angesprochen,  den  an- 
deren erklärt  der  Herausgeber,  G.  Waitz,  als  Windisch -Matrai 
in  Tirol. 

Durch  diese  Ortsbestimmungen  wird  dem  Herzogthum 
Friaul  ein  Machtgebiet  zugemessen,  das  im  Nordwesten  we- 
nigstens den  Oberlauf  der  Drau  überschritt  und  im  Nordosten 
den  Mittellauf  der  Save  mit  dem  Flussgebiet  der  steier- 
märkischen  Sann  in  sich  fasste.  Es  wäre  demnach  anzu- 
nehmen, dass  neben  Oberkärnthen  auch  das  ganze  Gebiet  des 
heutigen  Herzogthums  Krain  und  die  Südsteiermark  etwa  bis 
zur  Wasserscheide  zwischen  Mur  und  Drau  seit  dem  Anfang 
des  siebenten  Jahrhunderts  einen  Bestandtheil  des  allerdings 
sehr  mächtigen  Grenzherzogthums  Friaul  gebildet  habe,  das 
durch  diesen  Gebietszuwachs  alle  anderen  langobardischen 
Herzogthümer,  auch  Spoleto  und  Benevent,  weit  überragt  hätte. 

Was  uns  aber  sonst  vom  Herzogthum  Friaul  berichtet 
wird,  lässt  sich  mit  jener  Annahme  nicht  in  Einklang  bringen; 
eine  Ausdehnung  der  Langobardenherrschaft  über  die  Drau 
und  Sau  müsste  irgendwelche  Spuren  zurückgelassen  haben, 
darf  wenigstens  aus  zwei  Ortsnamen  allein  nicht  gefolgert 
werden.  Die  vielen  Bedenken  haben  zu  erneuten  Versuchen 
Anlass  gegeben,  die  beiden  Ortsnamen  zu  erklären;  zu  be- 
friedigenden Ergebnissen  hat  aber  meines  Erachtens  nur  einer 
geführt,  der,  an  wenig  zugänglicher  Stelle  veröffentlicht,  den 
allermeisten  Fachgenossen  unbekannt  geblieben  zu  sein  scheint; 
es  ist  eine  kleine  Untersuchung  von  Dr.  V(alentin)  P(ogatsch- 


586  A.  Chroust. 

nigg),  'zur  historischen  Topographie  des  oberen  Gailthales', 
in  der  'Carinthia',  1888.  P.  geht  von  der  richtigen  Ansicht 
aus,  es  sei  die  'regio  Zellia'  zunächst  doch  in  der  nächsten 
Nachbarschaft  des  Herzogthums  zu  suchen;  ein  solches  Gebiet 
an  der  Nordgrenze,  denn  nur  diese  und  die  Ostgrenze  Friauls 
kommen  in  Betracht,  ist  das  Gaihhal,  aus  dem  die  im  Mittel- 
alter viel  begangene  Heerstrasse  über  den  Pleckenpass  (Monte 
Croce)  nach  dem  Friaulischen  führte';  das  Gailthal  heisst  im 
Mittelalter  bei  den  Italienern  'valle  Giglia',  aber  auch  'valle 
Zelia',  eine  Bezeichnung,  die  sich  von  'Zila',  der  slavischen 
Bezeichnung  des  Gailflusses,  herleitet.  Auch  der  Berg,  der 
der  Ausmündung  jenes  Passes  gegenübersteht  und  dem  in  das 
Gailthal  Hinabsteigenden  zuerst  sichtbar  wird,  hiess  bei  den 
Italienern  'Zelon'  (slav.  'Zelan'  =  Gailberg). 

Die  dadurch  wahrscheinlich  gemachte  Identität  der  'regio 
Zellia'  mit  dem  Gailthal  erleichtert  die  zweite  Aufgabe ,  die 
Erklärung  des  Ortes  Medaria.  P.  macht  auf  den  Markt 
Mauthen  aufmerksam ,  der  an  der  Ausmündung  des  Plecken- 
passes  ins  Gailthal  gelegen  ist;  der  Name  deutet  auf  das  Vor- 
handensein einer  Zollstätte  an  diesem  Ort,  die  auch  urkundlich 
nachweisbar  ist  (vgl.  den  Aufsatz  Fickers);  im  Slavischen  wird 
eine  solche  bezeichnet  als  'mytarja'  oder  'mytarje',  woraus 
durch  Lautwandel  die  Form  'meterja  sich  gebildet  hat.  Das 
'Medaria'  des  Paulus  ist  demzufolge  nichts  als  die  slavische 
Bezeichnung  für  einen  Ort,  an  dem  eine  Wegmauth  erhoben 
wurde;  da  dieser  aber  zunächst  im  Gailthal  zu  suchen  ist,  so 
liegt  es  am  nächsten,  'Medaria'  als  den  alten  Namen  für  Mauthen 
zu  betrachten.  Dazu  kommt  noch,  dass  die  ältere  Bezeich- 
nung dieses  Marktes  noch  näher  an  die  altslavische  Form 
trifft,  denn  der  kärntlmische  Chronist  Megiser  berichtet,  es 
habe  der  Markt  Mauthen  in  älterer  Zeit  'Windisch-Matrey' 
geheissen  (,Chronica  des  Ertzherzogthums  Chärndten'  I,  S.  32). 

Die  angezogene  Stelle  des  Paulus  Diaconus,  IV,  38,  be- 
sagt daher  nur,  dass  die  beiden  Söhne  Gisulfs  ihre  Herrschaft 
nordwärts,  und  zwar  über  einen  Theil  des  Gailthals  aus- 
gebreitet haben;  ob  das  von  Mauthen  thaiauf  oder  thalab  be- 
legene Gebiet  gemeint  sei,  bleibt  offen. 

Dieses  Ergebnis  darf  aber  nicht  dazu  verführen,  jedes 
Zellia,  das  in  einer  mittelalterlichen  Quelle  aufstösst,  in  das 
Gailthal  zu  verlegen;  nach  meinem  Ermessen  hat  Mühlbacher 
ganz  Recht  gehabt,  wenn  er  in  einer  Urkunde  Ludwigs  des 
Frommen  von  824,  Januar  21',  wodurch  dem  Patriarchen  von 
Aquileja  Königsgut  geschenkt  wird:  'et  in  finibus  Sclavinie 
in  loco  qui  dicitur  Zellia',  diesen  Ort  auf  Cilli  bezieht.    Er 


1)  Vgl.    Ficker,    'Die    Alpenstrassen    per   Canales    und    per    Montem 
Crucis'  (Mitth.   d.  Instit.  f.   öster.   Gesch.  I,  p.   298).         2)  B.  M.  n.   761. 


Topographische  Erklärungen.  587 

hat  dabei  zwar  den  Widerspruch  Zahns  erfahren  müssen,  der 
in  den  seither  eingegangenen  'Steiermärkischen  Geschichts- 
blättern' (I,  S.  128)  erklärt,  es  könne  mit  dem  'locus  Zellia' 
nur  das  Gailthal,  nicht  aber  Cilli  gemeint  sein,  schon  deshalb, 
weil  weder  damals  noch  heute  die  'fines  Sclavinie'  um  Cilli 
gesucht  werden  könnten;  dass  der  Ausdruck  'in  iinibus  Scla- 
vinie' nicht  gerade  nur  auf  die  Grenzen  bezogen  werden  muss, 
sondern  recht  häufig  das  von  denselben  eingeschlossene  Gebiet 
bezeichnet,  hat  Z.  dabei  ganz  vergessen. 

2.  Zu  den  'Annales  Altahenses  maiores'  (ad  1053,  1054, 
MG,  SS.  XX,  p.  806). 

An  zwei  Stellen  gedenkt  die  genannte  Quelle  einer  Episode 
des  bayrischen  Aufstandes,  die  sich  an  der  südöstlichen  Reichs- 
grenze zutrug. 

ad  1053:  'Ipse  (sc.  Chuono)  vero  adiunctis  sibi  Ungris 
Charionas  invadit  et  plurima  loca  vastans  urbem  quandam 
Hengistiburg  dictara  occupavit  ibique  praesidio  imposito  in 
üngariam  se  recepit'. 

ad  1054:  'Quibus  diebus  hi,  qui  in  urbe  Hengistiburc 
praesidio  relicti  erant  a  Chuonone,  fatigati  crebra  provincialium 
incursione  ipsi  sua  sponte  urbem  diripiunt  et  clam  inde  in 
Üngariam  aufugiunt'. 

SteindorfF  ('Jahrbücher  des  deutschen  Reichs  unter  Hein- 
rich III.'  II,  S.  230)  beschränkt  sich  darauf,  den  zweimal  ge- 
nannten Ort  als  'das  Bollwerk  der  Karantanermark'  zu  be- 
zeichnen, ohne  die  Lage  des  Ortes,  bezüglich  dessen  weiterer 
Schicksale  er  auf  Wahnschaffe  ('Das  Herzogthum  Kärnten  und 
seine  Marken  im  XI.  Jahrhundert',  Klagenfurt,  1878)  verweist, 
näher  zu  bestimmen.  —  Ziemlich  eingehend  hat  sich  aber,  wie 
begreiflich,  die  Localforschung  mit  der  Frage  befasst,  eine  all- 
seitig befriedigende  Lösung  aber  nicht  gefunden.  Zahn,  der 
Herausgeber  des  steiermärkischen  ürkundenbuchs ,  hat  sich 
schon  im  Jahre  1874  und  vor  Kurzem  wieder  dahin  aus- 
gesprochen, es  sei  die  Hengstburg  auf  dem  Schlossberg  von 
Wildon  (drei  Meilen  südlich  von  Graz,  am  Südrande  des  Grazer- 
feldes)  zu  suchen,  welcher  Anschauung  nun  auch  Krones  bei- 
getreten ist  ('Die  deutsche  Besiedlung  der  östlichen  Alpen- 
länder, insbesondere  Steiermarks,  Kärntens  und  Krains',  S.  62), 
der  früher  mit  Ilwof  und  den  meisten  anderen  dem  Ergebnis 
der  Untersuchung  Felicettis  zugestimmt  hatte  ('Steiermark  im 
Zeitraum  vom  achten  bis  zwölften  Jahrhundert'  in  den  'Bei- 
trägen zur  Kunde  steiermärkischer  Geschichtsquellen'  X,  S.  75), 
welcher  die  Hengstburg  auf  dem  Graz  er  Schlossberg  zu 
finden  vermeinte. 

Schulgerechte  Ausnutzung  des  vorhandenen  Quellenstofi'es 
wird  aber  kaum  einem  dieser  Ergebnisse  beistimmen  können, 
vielmehr  zu  einer  anderen  Ortsbestimmung  gelangen. 


588  A.  Chroußt. 

Darüber  ist  wohl  kein  Streit,  dass  die  Hengstburg  in  der 
Mittelsteierraark,  und  zwar  in  jener  Grafschaft  'Heingist'  zu 
suchen  sei,  deren  allein  die  Urkunde  Heinrichs  IH.  von  1042, 
November  8  (St.  2233),  als  im  Besitz  des  Markgrafen  Gotfried 
(von  Wels  -  Lambach)  befindlich  gedenkt;  über  ihre  Ausdehnung 
lässt  sich  mit  Sicherheit  nur  feststellen,  dass  sie  die  Orte 
Gösting  (eine  Stunde  nordöstlich  von  Graz)  und  Leitersdorf 
bei  Preding  (an  der  Kainach,  östlich  von  Wildon)  in  sich 
ßchloss  und  im  Osten  mindestens  an  die  Mur  reichte.  In 
diesem  Gebiete,  das  zum  griissten  Theile,  in  älterer  Zeit  vielleicht 
sogar  ganz,  dem  mächtigen  Hernigeschlecht  der  Eppensteiner 
als  freies  Eigenthum  zustand,  erwarben  allgemach  durch  Schen- 
kung und  Tausch  die  Kirchen  von  Salzburg  und  Brixen  nam- 
haften Besitz.  In  den  Salbüchern  der  beiden  Hochstifte,  die 
seit  dem  neunten  und  zehnten  Jahrhundert  deren  Gtttererwerb 
verzeichnen,  findet  sich  seit  der  ]\Iitte  des  elften  ein  Ort  II en- 
gist wiederholt  genannt,  der,  wie  aus  dem  Zusammenhang 
hervorgeht,  nicht  anderswo  als  zwischen  Mur,  Kainach  und 
Lassnitz  gesucht  werden  kann  (vgl.  'Steierm.  Urk. -Buch'  I, 
n.  58,  Redlich,  'Die  Traditionsbücher  des  Hochstiftes  Brixen' 
I,  n.  281  und  302).  Ungefähr  um  dieselbe  Zeit  wird  in  einer 
undatierten  Tausch -Urkunde  des  P^ppensteiners  Markwart  für 
den  Erzbischof  Gebhard  von  Salzburg  (Tangl,  'Die  Grafen, 
Markgrafen  und  Herzöge  aus  dem  Hause  Eppenstein'  im 
'Archiv  f.  Kunde  österr.  Geschichtsquellen'  VI,  S.  355  und 
S.  392,  setzt  sie  ins  Jahr  1066)  der  Kirche  in  der  Burg  Hein- 
gist  gedacht  ('ecclesia  que  est  in  Castro  Heingist'),  von  welcher 
Markwart  seinen  Antheil  an  das  Hochstift  Salzburg  vertauscht. 
Dass  'castrum  Heingist'  wohl  nur  die  Uebersetzung  von  Hen- 
gistburg  ist,  bedarf  keines  Nachweises.  Die  Erwähnung  der 
Kirche  im  castrum  Heingist  bietet  aber  die  Handhabe,  die  Lage 
des  in  Frage  stehenden  Ortes  mit  einiger  Sicherheit  zu  bestim- 
men, denn  durch  eine  Anzahl  von  Urkunden  werden  wir  über 
das  fernere  Geschick  dieser  Kirche  unterrichtet.  Sie  wechselt 
noch  im  11.  Jahrhundert  ihren  Herrn  und  kommt  durch  Tausch 
an  einen  sonst  nicht  bekannten  Grafen  Odalskalk  und  durch 
Erbgang  an  dessen  Sohn  Altmann,  den  Bischof  von  Trient, 
der  im  Jahre  1136  damit  das  oberösterreichische  Kloster  Suben 
ausstattet  ('Steierm.  Urk.-Buch',  n.  117,  173  und  353).  In 
einer  Urkunde  Eugens  III,  der  1146,  Januar  4,  dem  Kloster 
seine  Besitzungen  bestätigt  (J. -L.  n.  8837,  'Urk.-Buch  des 
Landes  ob  der  Enns'  II,  n.  149)  wird  diese  Kirche  genauer 
bezeichnet  als  'ecclesia  sanctae  Margarethae  virginis  ad  Henngst', 
und  ebenso  heisst  sie  acht  Jahre  später  in  einer  Urkunde  des 
Erzbischofs  Eberhard  von  Salzburg  (1153,  December  20),  durch 
die  ein  Streit  zwischen  dem  Kloster  Suben  und  dem  Pfarrer 
von  Leibnitz,    der  sich   einiger  Güter   eben  dieser  Kirche  be- 


Topographische  Erklärungen,  589 

mächtigt  hatte,  ausgetragen  wird  (HJrk.-Buch  des  Landes  ob 
der  Enns'  II,  n.  177). 

Die  Kirche  im  castrum  Heingist  ist  demnach  identisch 
mit  der  noch  heute  existierenden  von  St.  Margarethen  zwischen 
Wildon  und  Lebring;  in  einer  Urkunde  von  1219  ('Steierm. 
Urk.-Buch'  II,  n.  163)  Avird  überdies  dieselbe  Kirche  als  'ecclesia 
sancte  Margarete  iuxta  Wildoniam'  erwähnt.  Das  castrum 
Hengist  selbst  ist  daher  in  der  unmittelbaren  Nähe  des  Ortes 
St.  Margarethen,  der  eine  kleine  Wegstunde  südlich  von  Wildon 
gelegen  ist,  zu  suchen. 

Durch  dieses  Ergebnis  gerathe  ich  freilich  in  Widerspruch 
mit  jeuer  älteren  Ansicht,  welche  die  citierte  Stelle  der  Ann. 
Altah.  für  die  Geschichte  der  Stadt  Graz  in  Anspruch  nimmt, 
ohne  darauf  Rücksicht  zu  nehmen,  dass  auch  nicht  eine  Oert- 
Jichkeit  in  der  näheren  Umgebung  dieser  Stadt  irgendwie  an 
deren  angeblich  älteren  Namen  Hengstburg  gemahnt,  ohne  die 
UnWahrscheinlichkeit  zu  scheuen,  dass  ein  deutscher  Ortsname, 
der  im  elften  Jahrhundert  nachweislich  im  Gebrauch  war,  im 
zwölften,  da  zuerst  der  Stadtname  Graz  auftaucht,  dauernd 
einem  slavischen  (denn  Graz  bedeutet  'kleine  Burg')  unterlegen 
sei,  zu  einer  Zeit,  wo  die  Wenden,  die  einst  das  Grazer  Feld 
besiedelt  hatten,  bis  auf  ganz  spärliche  Reste  von  den  seit 
dem  neunten  Jahrhundert  eingewanderten  Bayern  gegen  die 
Drau  gedrängt  worden  waren. 

Aber  auch  im  heutigen  Wildon  die  Hengstburg  zu  suchen, 
ist  kein  glücklicher  Gedanke,  trotzdem  die  nächste  Vermuthung 
gern  dahin  leiten  wird.  Der  Schlossberg  von  Wildon,  der  das 
sich  plötzlich  verengende  Murthal  beherrscht,  war  ein  passender 
Platz  für  eine  ßurganlage;  hier  setzte  sich  in  der  zweiten 
Hälfte  des  zwölften  Jahrhunrlerts  das  mächtige  Ministerialen- 
geschlecht der  Herren  von  Wildon  fest,  aus  dem  der  Minne- 
sänger Herrand  spross,  endlich  verschwindet  um  dieselbe  Zeit 
für  immer  der  Name  Hengist  —  kein  Wunder,  wenn  schlank- 
weg angenommen  wurde,  es  sei  Wildon  nur  der  neue  Name 
für  Hengist. 

Richtig  ist,  dass  die  Burg  oder  das  'castrum  Hengist' 
ungefähr  seit  1066  nicht  mehr  erwähnt  wird,  was  wohl  mit 
der  von  den  Altaicher  Annalen  berichteten  Plünderung  oder 
Zerstörung  der  Burg  (der  Ausdruck  'diripere'  lässt  dies  offen) 
zusammenhängen  wird;  sie  mag  bis  dahin,  ihrem  Namen  nach 
zu  schliessen,  die  ansehnlichste  der  Grafschaft  gewesen  sein. 
Aber  Avenigstens  ein  kleiner  Burgbau  muss  auch  im  zwölften 
Jahrhundert  noch  an  jener  Stelle  bestanden  haben,  denn  bis 
1164  lässt  sich  ein  Ministerialengeschlecht  nachweisen,  das  sich 
'de  Hengist'  nannte  ('Steierm.  Urk.-Buch'  I,  n.  482),  das  aber 
zu  den  Wildonern,  die  etwa  zehn  Jahre  später  auftreten,  in 
keinen  verwandtschaftlichen  Beziehungen  gestanden  hat.    Denn 


590  A.   Chroust. 

die  Wildoner  sind  ein  Zweig  des  Geschlechtes  der  Herren  von 
Riegersburg  und  haben  nicht  ihren  Namen  an  die  neue  Heim- 
stätte gebracht,  sondern  sich,  Avie  dies  überhaupt  üblich  war, 
nach  ihrem  neuen  Wohnsitz  genannt,  an  dem  seit  uralter  Zeit 
der  keltische  Name  Wildon  haftete,  der,  im  Munde  der  Be- 
völkerung fortlebend,  die  gegen  das  Grazer  Feld  vorspringende, 
heute  speciell  'Wildoner  Schlossberg'  genannte  Höhe  bezeich- 
nete, während  der  kleine  Bergzug,  der  diese  überragt  und 
heute  als  'Buchkogel'  erscheint,  damals  den  Namen  'Hengst- 
berg' geführt  hat,  Avie  dies  namentlich  aus  einem  noch  un- 
gedruckten Urbar  des  Stiftes  Renn  von  1395  hervorgeht,  in 
dem  ein  zum  Stiftsgut  Stangersdorf  (eine  halbe  Stunde  süd- 
westlich von  St.  Margarethen)  gehöriger  Forst  und  Steinbruch 
als  'in  monte  Hengsperg'  gelegen  aufgeführt  wird.  Heute  noch 
haftet  dieser  Name  an  dem  Pfarrort  St.  Lorenzen  am  Hengst- 
berg (zwischen  Proding  und  AVildon),  der  um  dieser  Bezeich- 
nung willen  gleichfalls  für  die  Stätte  der  Hengstburg  gehalten 
worden  ist,  obgleich,  wie  schon  Felicetti  (a.  a.  0.)  hervorhob, 
die  Lage  des  Ortes,  abseits  von  der  Verkehrsstrasse,  eine 
solche  Annahme  ausschliesst,  wogegen  eine  Burganlage  bei 
St.  Margarethen  die  an  der  I^fur  nordwärts  führende  Strasse 
zu  sperren  vermochte. 

3.  Zu  den  'Annales  Fuldenses'  ad  892  (I\IG,  SS.,  I,  p.  408). 
Der  Annalist  berichtet  über  die  Verhandlungen,  die  in 
Folge  der  feindseligen  Haltung  Swatopluks  zwischen  König 
Arnulf  und  dem  Slavenfürsten  Brazlnw  gepflogen  wurden: 
*Inde  rex  irato  animo  in  Hengistfeldon  cum  Brazlawone 
duce  colloquium  habuit,  ibi  inter  alia  quaerens  tempus  et  locum, 
quomodo  possit  terram  ]\roravorum  intrare'. 

Der  Ort  der  Verhandlungen  ist  von  jeher  in  der  Mittel- 
steiermark gesucht  worden  (vgl.  Kopitar,  'Glagolita  Clozianus', 
p,  LXXH.),  und  wenigstens  die  Locatforschung  hat  es  nicht 
versäumt,  denselben  mit  der  Hengstburg  wenigstens  insoweit 
in  Zusammenhang  zu  bringen,  dass  sie  ihn  im  Grazer  Felde 
suchte.  Eines  geht  schwerlich  an:  jenes  Hengistveldon  einfach 
mit  der  Hengstburg  zu  identificieren ,  wie  dies  neuerdings 
Dümmler,  ('Geschichte  des  ostfränkischen  Reiches',  2.  Aufl., 
3.  Bd  ,  S.  354)  gethan  hat,  der  die  Zusammenkunft  'zu  Hengst- 
berg (bei  Wildon)'  stattfinden  lässt.  Dass  in  einer  Grafschaft, 
die  Hengist  genannt  wird,  verschiedene  Ortsnamen  mit  dem 
Stammwort  'Hengist'  vorkommen,  ist  zu  erwarten;  aber  der 
Umstand ,  dass  ausser  jenem  Hengstberg  keine  einzige  solche 
Ortsbezeichnung  uns  erhalten  geblieben  ist,  lässt  doch  die 
Frage  als  naheliegend  erscheinen,  muss  an  jener  Stelle  der 
Fuldaer  Annalen  an  einen  Ort  im  engern  Wortsinn  gedacht 
werden?  kann  nicht  die  Ebene,  auf  der  die  Zusammenkunft 
stattfand,  ebenso  bezeichnet  werden? 


Topographische  Erklärungen.  591 

Wir  haben  gesehen,  dass  jener  Höhenzug  südlich  von 
Wildon,  der  ganz  nahe  an  die  Mur  herantritt,  im  Mittelalter 
den  Namen  Hengstberg  führte,  wie  zu  vermuthen  ist,  von 
seiner  Form,  die  der  eines  liegenden  Pferdes  gleicht.  Dieser 
ßergzug,  der  als  eine  rechte  Laudmarke  dem  Thal  der  Kainach, 
der  Grazer  und  der  Leibnitzer  Ebene  und  den  umrandenden 
Höhen  seine  charakteristische  Form  Aveist,  mag  einer  der  beiden 
letzteren  Ebenen,  vielleicht  auch  beiden  zusammen,  schon  im 
neunten  Jahrhundert  ebenso  seinen  Namen  gegeben  haben, 
wie  später  der  Grafschaft. 

Ich  glaube,  dass  man  sich  wird  begnügen  müssen,  jene 
Zusammenkunft  auf  einer  dieser  beiden  Ebenen,  nord-  oder 
südwärts  vom  alten  Hengstberg,  stattfinden  zu  lassen;  es  sei 
dabei  bemerkt,  dass  ein  klein  wenig  mehr  Wahrscheinlichkeit 
vorhanden  ist,  Hengistveldon  mit  dem  Grazer  Feld  zu  identi- 
ficieren,  weil  die  Zugehörigkeit  des  Leibnitzer  Feldes  zur 
späteren  Grafschaft  Hengist  zweifelhaft  ist. 


Die  älteren  Diplome  für  das  Kloster  Brogne  und 
die  Abfassungszeit  der  Vita  Gerardi. 

Von  Lothar  von  Heinemann. 

In  der  Einleitung  zur  Ausgabe  der  Vita  Gerardi  abb. 
ßroniensis  (SS.  XV,  p.  654)  habe  ich  die  Abfassungszeit  dieses 
Heiligenlebens  etwa  auf  das  Jahr  1045  angesetzt.  Bei  genauerer 
Betrachtung  der  mit  jener  Vita  zusammenhängenden  Urkunden 
für  das  Kloster  Brogne  liisst  sich,  wie  ich  nunmehr  mich  über- 
zeugt habe,  der  Entstehungstermin  der  Vita  sowohl  als  jener 
Urkunden  genauer  feststellen. 

Die  einzige  echte  ältere  Urkunde  für  Brogne  ist  die 
Schenkung  des  heil.  Gerhard  selbst  vom  J.  919'.  Sie  wird 
schon  in  den  um  935  geschriebenen  Virtutes  S.  Eugenii  er- 
Avähnt*  und  ist  auch  in  der  auf  uns  gekommenen  Gestalt 
unverdächtig''.  Die  zeitlich  darauf  folgende  Urkunde  Karls 
des  Einfältigen  vom  J.  921  *  ist  eine  Fälschung  auf  Grund 
der  Virtutes  S.  Eugenii,  wie  die  folgende  Zusammenstellung 
zeigen  mag: 

Virtutes    S.   Eugenii 
c.  1,  SS.  XV,  p.  ()47: 

Tempore  igitiu-,  quo  monar- 
chiam  tocius  regni  Francorum 
Pippinus  strenuae  gubernabat, 
filius  utique  Anssigysi,  .... 
erat  quidam  locus  in  pago 
Lomaceusi  super  rivum  Bor- 
non  ....  (Pippinus)  praecepit 


D.    Karls  d.  Einfältigen: 

Notum  sit  Omnibus  sanctae 
Dei  ecclesiae  fidelibus  et  nostris 
praesentibus  atque  futuris,  quia 
adeuntes  nostram  serenitatem 
comites  venerabiles  Hagano  et 
Ermenfridus  adduxerunt  secum 
virum  venerabilem  servum  Dei 


in  eodem  loco  auditorium  sibi  |  Gerardum,  qui  Bronium  mona- 


1)  Ann.  de  la  soc.  archeol.  de  Namur  V,  p.  418.  2)  C.  2,  SS.  XV, 
p.  647:  Completo  itaque  iam  dicti  loci  aedificio,  delegavit  ibidem  clericos, 
qui  Domino  obsecundarent  iuxta  quantitatem  alimoniae,  quam  consequi 
potuissent,  velut  in  scripto  contiuetur,  quod  in  eodem  loco  fore  dinoscitur. 
3)  Das  Königsjahr  stimmt  mit  der  Epoche  der  Erwerbung  Lothringens 
durch  Karl  d.  Einf. ;  ebenso  passen  die  Zeugen,  soweit  wir  dieselben 
controlieren  können,  zur  Zeitangabe.  4)  Auf  dieses  Jahr  weist  wenig- 

stens   die    Angabe   der   Königsjahre,    und    demgemäss    hat    auch    Böhmer 
Reg.  Karol.   1972  diese  Urkunde  in  jenes  Jahr  gesetzt. 


Die   älteren  Diplome   für  das  Kloster  Brogne   etc. 


593 


parari,  eo  quod  esset  idem 
locus  iuxta  forestam  Masliniam 
.  .  .  Postea  vero  ....  iussit 
eundem  locum  extirpari  .  adqiie 
oratoriolum  ibidem  extrui  suis 
fidelibus.  Deinde  Lambertum, 
eelebratissimum  tunc  temporis 
eeclesiae  Tungrensis  episcopum 
...  ad  SB  venire  mandavit, 
et  ut  illud  Oratorium  de  sancti- 
ficacione  insigniret,  pia  peti- 
cione  obtinuit  .  .  .  dedicavit 
in  honore  beati  Petri  apostolo- 
rum  principis  altare  mediaesti- 
num  et  reliqua  dua,  unum  .  .  . 
in  honore  perpetuae  virginis 
Mariae  et  alterura  ...  in  venera- 
cione  beati  lohannis  baptistae, 
15.  Kalendarum  Septembrium 
.  .  .  c.  2  ...  Gerardus  .  .  com- 
pleto  itaque  iam  dicti  loci  aedi- 
ticio,  delegavit  ibidem  clericos, 
qui  Domino  obsecundarent  .  .  . 
adiit  Parisiacensem  territorium 
.  .  et  depostea  ad  preciosissi- 
morum  martyrum  Dyonisii, 
Rustici  et  Eleutherii  monaste- 
rium  .  est  delatus  .  .  .  c.  3  .  .  . 
impetravit  quod  diu  desideravit 
thesaurum,  egregii  scilicet  mar- 
tyris  Eugenii  corpus  nobilissi- 
mum. 

Die  Zeit  der  Fälschung  kann  ich  nicht  genau  bestimmen. 
Die  Urkimde  ist  aber  nach  Abfassung  der  Virtutes  S.  Eu- 
genii, welche  etwa  um  das  J.  935  geschrieben  sein  mag',  und 
vor  der  Entstehung  des  Privilegs  Stephans  VII.  gefälscht. 
Denn  in  diesem  heisst  es:  'privilegium  quod  de  eodem  loco 
et  monasterio  iam  regia  magnificentia  et  imperialis  sanxerat 
auctoritas  aliquatenus  praesumeret  infringere',  und  dann  folgt 
ein  Satz,  der  wörtlich  mit  dem  Diploma  spurium  Karls  des 
Einfältigen  übereinstimmt,  so  dass  diese  Fälschung  dem  Ver- 
fasser der  BiJle  Stephans  schon  vorgelegen  haben  muss.  Für 
ältere  Abfassung  des  Diploms  Karls  spricht  auch  die  Be- 
nutzung der  Virtutes  S.  Eugenii,   während  in  den   späteren 


sterium  in  pago  Lomacensi 
super  rivum  Bornon  situm, 
ubi  Pipinus,  filius  Ansigisi  ius- 
sit oratoriolum  extrui  suis  fide- 
libus et  beatissimum  Lamber- 
tum eeclesiae  Tungrensis  epi- 
scopum pia  peroratione  fecit 
dedicare  in  honore  perpetuae 
virginis  Mariae  sanctique  lo- 
hannis atque  clavigeri  Christi 
et  apostolorum  principis  Petri 
restruxit  et  amplificavit  in 
melius.  Completo  itaque  iam 
dicti  loci  aedificio,  adiit  vir 
Dei  Parisiacense  territorium  ad 
monasterium  sanctorum  mar- 
tyrum Dionysii  sociorumque 
eius,  impetravit  quod  diu  desi- 
deravit thesaurum,  egregii  scili- 
cet martyris  Eugenii  Toletanae 
sedis  episcopi  corpus  nobilissi- 
mum  cum  aliorum  multorum 
pignoribus  sanctorum  et  cum 
magna  exultatione  asportavit 
ad  iam  dictum  locum. 


1)  S.   die  Einleitung  zur  Ausgabe  der  Virtutes,  SS.  XV,  p.  646. 


594  Lothar  von  Heinemann. 

Brogner  Urkunden  die  uns  erhaltene  Vita  Gerardi  benutzt 
worden  ist. 

Das  Privileg  Stephans  VII. '  ist  nach  dem  J.  1038  ent- 
standen, denn  in  diesem  heisst  es,  das  Kloster  sei  geweiht  *in 
honore  S.  Dei  genetricis  semper  virginis  Mariae  sanctorumque 
apostolorum  Petri  et  Pauli  et  S.  lohannis  baptistae'.  Nun 
war  aber  vor  dem  J.  1038  der  heilige  Paulus  nie  Schutzheiliger 
von  Brogne.  Erst  im  December  dieses  Jahres  bei  Gelegenheit 
der  Weihe  der  Kirche  trat  auch  Paulus  in  die  Reihe  der 
übrigen  Heiligen  des  Klosters  ein  ^. 

Die  Zeit  der  Fälschung  des  Diploms  Ottos  III.  vom 
J.  987  *  vermag  ich  nicht  zu  bestimmen. 

Dagegen  enthalt  die  zweite  von  Otto  III.  für  Brogne  aus- 
gestellte Urkunde  vom  J.  992*  einen  echten  Kern.  Man  ge- 
langt mit  Ausscheidung  von  zwei  Sätzen :  'Comiti  etiam  Naum- 
censi  .  .  .  valeant  invocare'  und  'Praeterea  dominus  Noth- 
gerus  ....  cum  regia  auctoritate'  zu  einem  völlig  kanzlei- 
gemässen  Dictat  mit  tadelloser  Kecognition  *  und  Datierung. 
Von  diesen  beiden  später  eingeschobenen  Sätzen  ist  nun  aber 
der  letzte  auf  Grund  der  Vita  Gerardi  gefiüscht.  Man  vergleiche : 


Vita  Gerardi  c.  13*: 
'Decreto',  inquiens,  'pontifi- 
cali  coutirmatur,  et  haec  sancta 
synodus  adiudicans  tieri  adsti- 
pulatur,  ut  per  totam  in  qua 
quiescit  decaniam  solemnitas 
eins  acsi  dominica  observetur, 
et  aecclesia  Broniensis  ab  omni 
obsonio  episcopis  Leo- 
diensibus  debito  ulterius 
i  m  m  u  n  i  s  h  a  b  e  a  t  u  r. 


DO.  III.  (St.  961.):  ^ 
.  .  renovavit  libertatem  huius 
ecclesiae ,  quam  predecessor 
suus  dominus  Stephanus  epi- 
scopus  pie  memorie  ob  vene- 
rationem  egregii  martyris  Eu- 
genii  in  generali  synodo  con- 
firmaverat  auctentice,  scilicet 
ut  ab  omni  obsonio  epi- 
scopis Leodiensibus  de- 
bito libera  esset  omni 
tempore, 
glich  nach  der  Abfassung  der 


Die  Urkunde  Ottos  III.    ist  fo 
Vita  entstanden. 

Was  schliesslich  das  Diplom  Heinrichs  I.,  DH.  spur.  43, 
anbetrifft,  so  muss  dasselbe  nach  dem  Privileg  Stephans  VII., 
welches  der  Verfasser  der  Urkunde  Heinrichs  bereits  benutzte, 
und    nach   Abfassung    der   Vita    Gerardi   gefälscht    sein,    aus 


1)  Ann,  de  la  soc.  arch^ol.  de  Namur  1.  c.  p.  420.  2)  Nach  An- 
gabe eines  alten  Maityrologiums  saec.  XIII,  Ann.  de  la  soc.  archdol.  de 
Namur    1.   c.    p.   258.  3)    Ann.  de  la    soc.    arch^ol.    de  Namur    p.  425, 

Stumpf  900  a.  4)  L.  c.  p,  426,  Stumpf  961.  5)  [Kehr,  Die  Urkunden 
Ottos  III.  S.  272  N.  3  bemerkt,  dass  Ego  in  der  Recognition  der  Urkunde 
interpoliert  sei.  S,  273  N.  4  bezeichnet  er  auch  den  Schluss  derselben 
als  überarbeitet,  ohne  genauer  anzugeben,  was  er  für  interpoliert  hält. 
H.  B.l         6)  SS.  XV,  p.  664. 


Die  älteren  Diplome  für  das  Kloster  Brogne   etc.  595 

welcher  in  DH.  spur.  43  die  Reise  Gerhards  nach  Rom  zu 
stammen  scheint.  Ja,  nach  dem  Verhältnis  dieses  Spuriums 
zu  der  Urkunde  des  Bischofs  Alexander  von  Lüttich  vom 
J.  1131  \  wie  es  Sickel^  klargelegt  hat,  müsste  die  Entstehung 
des  Diploms  Heinrichs  I.  erst  etwa  in  die  zweite  Haltte  des 
12,  Jahrh.  oder  noch  später  fallen. 

Wann  ist  nun  schliesshch  die  Vita  Gerardi  selbst  ver- 
fasst  worden? 

Schnitze  3,  auf  die  Autorität  Sickels  gestützt,  welcher  be- 
hauptete, dass  von  den  älteren  Diplomen  für  Brogne  keines 
vor  dem  12.  Jahrh.  entstanden  sei,  setzte  die  Entstehungszeit 
der  Vita  in  das  J.  1131,  da  das  gefälschte  Privileg  Stephans 
in  der  Vita  schon  benutzt  sei,  diese  also  nach  Sickels  Urtheil 
frühestens  im  12.  Jahrh.  entstanden  sein  müsse,  und  weil  in 
dem  erwähnten  Jahre  der  Leib  des  heil.  Gerhard  in  Gegen- 
wart Alexanders  von  Lüttich  feierlichst  erhoben  wurde,  sich 
also  an  dieses  Ereignis  leicht  der  Wunsch  nach  einer  Neu- 
bearbeitung der  Lebensgeschichte  des  Brogner  Heiligen  knüpfen 
konnte. 

Dem  stehen  die  gewichtigsten  Bedenken  entgegen.  Zu- 
nächst ist  zu  bemerken,  dass  die  Vita  nach  eigener  Angabe 
des  Verfassers  auf  Befehl  des  Abts  Günther  von  Brogne  ent- 
standen ist*.  Nach  Eisen,  Elores  eccl.  Leod.  p.  446,  regierte 
dieser  die  Abtei  vom  J.  1031  — 1062.  Dagegen  wird  er  in 
einer  Traditionsurkunde  vom  J.  1070  *  noch  erwähnt,  so  dass 
Avir  seine  Regierungszeit  nicht  genau  feststellen  können.  Er 
scheint  jedoch  ungefähr  in  der  Zeit  von  1038  — 1070  der  Abtei 
vorgestanden  zu  haben.  An  diesen  Angaben  zu  zweifeln,  liegt 
kein  Grund  vor. 

Ferner  wird  von  den  Nachkommen  Arnulfs  des  Grossen 
gesagt,  dass  sie  noch  jetzt  in  Flandern  herrschten  ß.  Das  muss 
vor  dem  J.  1119  geschrieben  sein,  in  welchem  Jahre  der 
Mannstamm  der  Arnulfinger  mit  Balduin  VIL  in  Flandern 
erlosch.  Da  nun  in  der  Vita  die  Miracula  S,  Gisleni  von 
Rainer,  welche  etwa  um  1035  verfasst  wurden',  und  das  Pri- 
vileg Stephans,  welches  nach  dem  Dec.  1038  entstanden  ist, 
schon  benutzt  sind,  so  würden  wir  die  Abfassung  der  Lebens- 
beschreibung des  heiligen  Gerhard  etwa  zwischen  die  Jahre 
1038  und  1119  setzen;  vermuthlich  wurde  sie  aber  noch  im 
11.  Jahrh.   verfasst,   denn   die   diesem  Jahrhundert  fast  ganz 

1)  Ann.  de  la  soe.   archdol.    de  Namur  V,    p.  430.  2)  DD.  imp. 

et  regum  I,   DH,  spur.  43,  p.  77.  3)   Die  Klosterreform   in   Flandern 

und    der    heil,  Gerhard,    in    den   Forsch,    z.   D,  Gesch.   XXVI,    S.  223  ff, 
4)  S.  den  Prolog  der  Vita  SS,  XV,  p.  655.  5)  Ann.  de  la  soc.  archeol. 

de  Namur.  1,  c.  p,  257.  6)  Anfang  vom  c,  19,  SS.  XV,  p.  669.     Diese 

Bemerkung   verdanke   ich   Herrn   Dr,    Holder -Egger.         7)    S,    die   Ein- 
leitung zu  der  Ausgabe  SS.  XV,  p.  579. 


596  Lothar  von  Heinemann. 

ausschliesslich  eigenthümliche  stilistische  Form  der  Reimprosa 
ist  in  unserer  Vita  ausserordentlich  rein  und  consequent  durch- 
geführt. 

Ist  dieses  richtig,  so  fällt  die  übrigens  nicht  bewiesene 
Behauptung,  dass  die  älteren  Urkunden  tür  ßrogne  alle  nicht 
vor  dem  12.  Jahrh.  entstanden  seien.  Denn  da  das  Privileg 
Stephans  VlI.  schon  in  der  Vita  erwähnt  wird,  und  das 
Diplom  Karls  des  Einmütigen,  wie  wir  sahen,  dem  Verfasser 
jenes  päpstlichen  Privilegs  bereits  vorlag,  so  müssen  wenig- 
stens diese  beiden  Urkunden  schon  vor  dem  12.  Jahrh.  ent- 
standen sein. 

Wir  werden  aber  die  Abfassungszeit  der  Vita  noch  ge- 
nauer bestimmen  können;  sie  ist  vermuthlich  bald  nach  dem 
December  des  J.  1038  niedergeschrieben  worden.  Denn  da- 
mals wurde  auf  Veranlassung  des  Abtes  Günther,  Avelchem 
die  Vita  gewidmet  ist,  die  Kirche  zu  Brogne  von  dem  Bischof 
Nithard  von  Lüttich  geweiht'.  Diese  kirchliche  Feier  gab, 
wie  ich  meine,  die  Veranlassung  zur  Neubearbeitung  der  Vita 
des  ersten  Stifters.  Zu  gleicher  Zeit  ist  auch  wohl  jenes  Piü- 
vileg  Stephans  entstanden.  Es  muss,  wie  wir  bemerkten,  nach 
jener  Weihe  vom  J.  1038  und  vor  der  Abfassung  der  Vita 
Gerardi  gefälscht  sein.  Da  sowohl  das  Privileg  auf  einen 
'liber  vitae',  als  auch  die  Vita  auf  ein  'ptongar  Stephani  papae' 
Bezug  nehmen,  so  ist  zu  vermuthen,  dass  oeide  ungetahr  zur 
gleichen  Zeit,  nicht  lange  nach  dem  December  des  J.  1038, 
entstanden  sind. 

Nach  dieser  Fixierung  der  Entstehungszeit  der  Vita  und 
des  gefälschten  päpstlichen  Privilegs  können  wir  nun  auch 
den  Termin  der  übrigen  urkundlichen  Fälschungen  annähernd 
bestimmen.  Das  Diplom  Karls  des  fc^infältigen  muss  etwa 
zwischen  930  und  1038  verfasst  worden  sein.  Die  Urkunde 
Ottos  111.  vom  J.  992  entstand  nach  dem  J.  1038,  nach  der 
Abfassung  der  Vita.  Es  liegt  indessen  die  Verrauthung  nahe, 
dass  alle  diese  Brogner  Fälschungen  zu  einer  Zeit  und  von 
einer  Person  verfasst  wurden.  Das  kann  dann  nur  unter 
dem  Abt  Günther  vielleicht  gegen  Schluss  des  J.  1038  ge- 
schehen sein,  als  auch  die  uns  erhaltene  Vita  Gerardi  nieder- 
geschrieben ward. 


1)    Nach    Angabe    eines    alten    Martyrologiums    saec.   XIII,    s.    oben 
S.  594,  Anm.  2. 


Zu  den  Legenden  des  hl.  Franz  von  Assisi. 

Von  Ernst  Sackur. 

Nach  dem  Zeugnis  der  Chronik  der  vierundz wanzig  Gene- 
rale ' ,  des  Bartholomeus  von  Pisa^  und  des  AnnaHsteu  des 
Franziscanerordens  Wadding  ^  schrieb  der  hl.  Bonaventura 
ausser  seiner  bekannten  grossen  Legende  des  lil.  Franc! scus 
eine  kleinere,  welche  bestimmt  war  beim  Officium  des  Heiligen 
von  Assisi  vorgelesen  zu  werden.  Diese  Lebensbeschreibung, 
aus  der  man  ohnehin  keine  wesentliche  Bereicherung  unserer 
historischen  Kenntnisse  erwarten  durfte,  kannten  die  Bollan- 
disten  zwar*,  sie  ist  bis  jetzt  jedoch  nicht  nachgewiesen  worden  5. 
Indess  lässt  sich  zeigen,  dass  sie  nicht  nur  erhalten,  sondern 
sogar  bereits  gedruckt  ist,  allerdings  an  einer  Stelle,  an  der 
sie  sich  leicht  den  Blicken  der  Forschenden  entziehen  konnte. 


1)  Die  noch  unediert  ist.  Nach  Panfilo  da  Magliano,  'Gescliichte 
des  hl.  Franciscus  und  der  Franciscaner',  übersetzt  und  bearbeitet  von 
Q.  Müller,  I.  Bd.  (München   1883),  S.  465  n.  3.     Vgl.   S.  16.  2)  Liber 

conformitatum  (1385  geschr.) ,  lib.  I.  fruct.  8  fol.  LXXV.  (Ausg.  des 
XVI.  Jlis.  ohne  Jahrangabe) :  'Hie  postmodura  rogatu  capituli  generalis 
legendam  maiorem  et  minorem  b.  Francisci  composuit,  quas  modo  habet 
et  tenet  totus  ordo'.     Aehnlich  a.  a.  O.  fol.  LXXX.  3)  Annales  Minor. 

II,  p.  240:  'Deinde  breviorem  concinnavit  aliam,  quae  distribuitur  per 
officium  recitandum  in  solemnitatibus   sancti  Francisci'.  4)  Suyskens, 

welcher  die  Franciscuslegenden  herausgab,  erwähnt  gelegentlich  fünf  Ab- 
schriften der  kleineren  des  Bonaventura  im  Archiv  von  Assisi.  (Acta 
SS.  Oct,  II,  p.  550.)  Er  selbst  hatte  jedoch  nur  eine  Handschrift  der 
grösseren.  Dagegen  muss  Sollerus ,  der  die  Vita  S.  Bonaventurae  com- 
mentierte,  eine  zur  Verfügung  gestanden  haben.  Wo  er  nämlich  (Acta 
SS.  lul.  III,  p  815)  die  Stelle  aus  dem  Prolog  der  grossen  Legende 
citiert,  in  der  der  Autor  berichtet,  dass  er  in  seiner  Kindheit  durch 
St.  Franciscus  dem  Tode  entrissen  worden  sei,  fährt  er  fort:  'vel ,  ut  ex 
aliis  ipsius  verbis  infra  patebit,  ex  matris  votoadeumdem  sanctum 
emisso',  indem  er  hierbei  auf  Bonaventuras  Worte  in  der  kleinen  Vita 
zielt.  Ich  habe  jedoch  die  spätere  Stelle,  auf  welche  Sollerus  verweist, 
nicht  finden  können.  Er  dachte  vielleicht  an  die  beabsichtigte,  dann  aber 
unterbliebene  spätere  Ausgabe  dieser  Legende  im  2.  Octoberbande. 
5)  Vgl.  über  die  ältesten  Legenden  Voigt  in  den  'Abhdlg.  der  Sachs. 
Gesellschaft  der  Wissenschaften,  Philol,- Histor.  Klasse'  V.  (1870),  S.  455  ff. 
—  Ehrle,  'Zur  Quellenkunde  der  ältesten  Franciscanergesch.'  in  der  'Zeit- 
schrift f.  kath.  Theologie'  von  Geisar  und  Wieser,  Bd.  VII.  (1883),  S.  389  ff. 

Neues  Archiv  etc.     XV.  ^'^ 


598  Ernst  Sackur. 

Unter  den  zahlreichen  Quellen,  die  der  Chronist  des  Henne- 
gaus, der  Minorit  Jacques  de  Guise,  ganz  oder  theilweise  in 
seine  grosse  Corapilation,  die  Annales  Haunoniae  aufnahm,  be- 
findet sich  auch  eine  vollständige  Vita  des  hl.  Franciscus '. 
Ein  Vergleich  dieser  Arbeit  mit  den  bekannten  Viten  ergiebt, 
dass  Avir  es  mit  einer  bedeutend  kürzeren  Bearbeitung  der 
Bonaventura  -  Legende  zu  thun  haben.  Die  Annahme  jedoch, 
dass  einfach  hier  ein  Auszug  aus  dieser  vielgerühraten  Lebens- 
beschreibung vorliegt,  schliesst  eine  genauere  Betrachtung  der 
ßehandlungsweise  aus.  Bald  mehr,  bald  weniger  sich  voll- 
ständig an  den  Text  des  grösseren  Werkes  anschliessend,  weist 
die  Legende  auf  einen  den  Stotf  vollkommen  beherrschenden 
Verfasser,  der  nicht  nur  die  Anordnung  vielfach  änderte,  son- 
dern auch  bei  der  Betrachtung  einzelner  Auecdoten  hier  und 
da  von  einem  andern  (Gesichtspunkt  ausging,  als  dem  der 
grösseren  Vita,  der,  die  deutliche  Tendenz  verrathend,  das  rein 
Thatsächliche  zu  (junsten  der  panegyrischen  und  paränetischen 
Abschnitte  zu  unterdrücken,  diesen  letzteren  mitunter  grösseren 
Raum  gewährte,  als  sie  in  der  grösseren  Vita  einnahmen. 
Daraus  würde  nun  freihch  noch  nicht  folgen,  dass  Bonaventura 
der  Verfasser  dieser  Legende  ist.  Wenn  aber  schon  die  That- 
sache,  dass  der  doctor  seraphicus  eine  solche  schrieb  und  dass 
die  freie  Bearbeitung  der  älteren  Legende,  die  in  der  unseren 
zu  Tage  tritt,  für  eine  derartige  Annahme  spricht,  so  fehlt 
doch  auch  ein  Anhaltspunkt  nicht,  Avelcher  uns  den  sicheren 
Beweis  dafür  zu  bringen  geeignet  ist. 

Im  Prolog  der  grösseren  Legende  erzählt  Bonaventura  ^ : 
'utpote  qui  per  ipsius  invocationem  et  merita  in  puerili  aetate 
(sicut  recenti  memoria  teneo)  a  mortis  taucibus  erutus,  si  prac- 
eonia  laudis  eius  tacuero,  sceleris  timeo  argui,  ut  ingratus'. 
Bis  auf  wenige  Sätze  resp.  Anlehnungen  am  Anfang  der  klei- 
neren Vita  des  Guise  ist  der  ganze  Prolog  fortgelassen.  Am 
Ende  derselben  steht  aber  ein  kurzer  allgemeiner  Abriss  der 
Wunder  des  hl.  Franciscus,  gewissermassen  nur  ein  Epitome 
der  von  Bonaventura  ausführlich  berichteten  JMirakel,  und  hier 
heisst  es:  'Innumera  quoque  per  ipsum  in  diversis  partibus 
orbis  exuberare  non  cessant  beneticia  Dei,  sicut  et  ego 
ipse  qui  super iora  descripsi  experiencia  teste  in  me 
ipso  probavi.  Voto  enim  pro  me  languente  gravissime  ad 
beatum  Franciscum  emisso  a  matre,  cum  adhuc  essera  puer- 
ulus,  ab  ipso  sum  mortis  faucibus  erutus  et  in  robur 
vite  incolumis  restitutus.  Quod  cum  viva  memoria 
teneam,  vera  confessione  nunc  proiiteor,  ne  tantum  beneficium 
reticens  sceleris  arguor,  ut  ingratus'. 


1)   Lib.  XIX,    c.  35-62   (ed.   Fortia  XlII,    S.  3G8  ff.    c.  35  —  61). 
2)  Acta  SS.  Oct.  II,  p.  742. 


Zu  den  Legenden   des  hl.   Franz   von  Assisi.  599 

Die  gesperrten  Worte  finden  sich  fast  ebenso  im  Prolog 
der  lungeren  Legende.  Man  sieht  aber,  dass  die  kürzere  Vita 
hier  ausführlicher  ist,  dass  der  betreffende  Abschnitt  an  ganz 
anderer  Stelle,  als  in  jener  steht,  also  schwerlich  von  einem 
beliebigen  Bearbeiter  herübergenommen  wurde.  Endlich,  was 
jeden  Zweifel  lösen  muss,  bemerkt  der  Verfasser  der  Legende 
des  (iuise:  'ego  ipse,  qui  superiora  descripsi  —  in  me  ipso 
probavi',  Worte,  die  nur  von  Bonaventura  selbst  herrühren 
können,   da  sie  in  der  Vorlage  nicht  standen'. 

Ohne  auf  geringe  Unterschiede  zwischen  den  beiden 
Legenden  des  Bonaventura  eingehen  zu  wollen,  erwähne  ich 
nur,  dass  die  Stelle^:  *Hic  nimirum  de  vallis  Spoletane  parti- 
bus,  civitate  Assisii  trahens  originem  primumque  lohannes 
vocatus  a  matre,  dehinc  Franciscus  a  patre'  sich  am  meisten 
an  die  Vita  der  drei  socii  c.  1  ^  anlehnt:  'Franciscus  de  civi- 
tate Assisii  oriundus,  quae  in  finibus  Spoletanae  vallis  est 
sita,  loannes  prius  vocatus  est  a  matre,  a  patre  vero'  etc. 
Von  der  Bearbeitung  der  grösseren  Legende  blieb  der  Abschnitt, 
der  über  die  Canonisation  und  Translation  des  Heiligen  handelt, 
wie  es  scheint,  ausgeschlossen,  denn  Jacques  de  Uuise  giebt 
diesen  abgesondert  *,  und  zwar  genau  entsprechend  dem  Druck 
der  Bollandisten ,  nachdem  er  zwischen  dieses  Stück  und  die 
Vita  jedenfalls  wie  seine  Handschrift  die  Bulle  Nicolaus  IV. 
vom  '25.  August  1279  (Potthast  n.  21630)  eingeschoben  s.  In 
dem  Druck  der  grösseren  Legende  geht  die  Canonisations- 
geschichte  den  Mirakeln  voraus,  bildet  also  einen  Theil  der 
Vita.  Aber  auch  sonst  muss  dieser  Abschnitt,  wenn  er  über- 
haupt als  integrierender  Bestandtheil  derselben  angesehen  werden 
darf,  eine  besondere  Behandlung  erfahren  haben,  wue  in  dem 
Codex  der  Bonaventura -Legende  der  Bollandisten  jenes  Capitel 
die  Aufschrift  führte:  'In  festo  translationis  beati  Francisci 
Caput  XV,  lectio  prima  und  demgemäss  in  drei  Lectionen  ge- 
theilt  war^. 


Ij  Von   ÖoUerus  werden,    wie  oben  bemerkt,    die  .-lugeführten   Worte 
ausdrücklich  als  die  eigenen    des  Bonaventura  citiert.  2)  Jacques  de 

Guise    1.  XIX,    c.  35.  3)    Acta  SS.  Oct.  II,    p.  724.  4)    A.  a.  O. 

c.  64—67.  5)  A.  a.  O.  c.  63.  6)  Vgl.  Acta  SS.  Oct.  II,  p.  783  n.  a. 


39* 


Ueber  eine  Handschrift  der  Briefe  Gregors  I. 

Von  Paul  Maria  Baum^artcn. 

Kürzlich  habe  ich  im  British  ^luseum  eine  von  Euald 
nicht  erwähnte  Handschrift  der  (jrregorbriete  aus  dem  11.  bis 
12.  Jahrhundert  durchgeblättert,  und  ich  gebe  einige  Notizen 
über  den  Codex. 

Derselbe  befindet  sich  in  der  Kings  Library  6.  C.  X.  und 
hat  als  Ursprungszeugnis  die  Notiz:  'Liber  de  Claustro  Kotl'ens. 
per  Alexandruni  priorem'.  Die  Ueberschritten  der  einzelnen 
Bücher  sind  reihenweise  in  rothen  und  grünen  Majuskel -Buch- 
staben geschrieben;  liier  und  da  finden  sich  verzierte  Initialen 
ohne  künstlerische  Bedeutung. 

Auf  fol.  2  beginnt  die  Hs.  mit  dem  Credo,  woran  sich 
unmittelbar  die  Ueberschrift  anschliesst:  'Registri  beati  Gre- 
gorii  Papae  Urbis  Komae  Liber  Primus  incipit  mense  Sep- 
tembri  indictione  Villi'. 

Die  Ueberschrift  des  zweiten  Buches  ist  wesentlich  ein- 
facher (fol.  23):  '(Gregoriij  Incipit  liber  II  indictione  Un- 
decima. 

Gleichlautend  ist  die  dritte  Aufschrift  (fol.  32  v.)  Die 
Rubrica  des  4.  Buches  (fol.  47  v.)  verändert  sich  in  folgender 
Weise:  'Incipit  IUI  Mense  Septembri  PER  Indictionem  ^L"'»'"'. 

In  gleicher  Weise  lauten  die  Rubriken  des  5. — 9.  Buches 
inclusive.  Irrthümlich  kommt  die  Indictio  XIII,  wie  in  der  5., 
so  auch  in  der  6.  Ueberschrift  vor.  Von  den  übrigen  Buch- 
anfängen greifen  nur  der  11.  und  14.  noch  auf  den  eben  an- 
geführten zurück;  die  übrigen  stimmen  alle  mit  n.  2  überein. 
Auf  fol.  185  begimit  das  14.  Buch,  dann  folgen  auf  fol.  189  v. 
noch  eine  Anzahl  Briefe,  die  unter  der  Rubrik  stehen:  'Epi- 
stolae   quae   praetermissae   sunt  de  superioribus  indictionibus'. 

Am  Ende  der  Handschrift  steht  die  Notiz:  'Hie  desunt 
du^-  epistol^'. 

Der  ganze  Codex  ist  buchweise  von  einer  neueren  Hand 
recht  genau  durchnummeriert  worden.  Die  Uebersicht  der 
Nummern  ist  die  folgende:  Buch  I.  enthält  82  Briefe,  Buch  II. 
39,   Buch  III.  65,   Buch  IV.  43,   Buch  V.   53,   Buch  VL  61, 


Ueber  eine  Handschrift  der  Briefe  Gregors  I.  601 

Buch  VII.  41,  Buch  VIII.  34,  Buch  IX.  85,  Buch  X.  34, 
Buch  XI.  43,  Buch  XII.  13,  Buch  XIII.  38,  Buch  XIV. 
13  Briefe.  Dazu  konamen  32  epistolae  praetermissae,  so  dass 
die  ganze  Hs.  676  Briefe  enthält.  Ueber  die  Gruppe,  zu  der 
sie  gehört  —  R  cum  epistoh's  praetermissis  — ,  s.  Ewald, 
N.  A.  III,  499  ff. 


Tironische  Miscellen. 

Von  Wilhelm  Schmitz. 
I. 

Vom  lliminel  g^efalleiie  Briefe. 

In  der  unter  dem  Vorsitze  des  Papstes  Zacharias  ab- 
gehaltenen römischen  Synode  des  Jahres  745  gelangte  ein  von 
Deneardus  als  Legaten  überbrachter  Brief  des  h.  ßonifatius 
zm'  Verlesung,  in  welchem  er  dem  Papste  u.  a.  mittheilt,  dass 
er  bei  Ausführung  des  päpstlichen  Auftrages,  'in  provincia 
Francorum'  auf  einem  Priesterconcil  und  in  einer  Synodal- 
versammlung den  Vorsitz  zu  führen,  viele  Ungerechtigkeiten 
und  Verfolgungen  zu  erleiden  gehabt  habe,  'maxime  semper 
a  falsis  sacerdotibus,  ab  adulteratis  presbiteris  seu  diaconibus 
et  fornicariis  clei'icis''.  Die  grösste  Beschwerde  jedoch  sei 
für  ihn  erwachsen  'contra  duos  hereticos  pessimos  et  publicos 
et  blasphemos  contra  Deuni  et  contra  catholicam  üdem.  Unus 
qui  dicitur  Eidebert  natione  generis  Gallus  est,  alter  qui 
dicitur  (Jemens  genere  Scottus  est'.  Gegen  diese  möge  die 
apostolische  Autorität  sich  angelegen  sein  lassen,  seine  schwache 
Kraft  zu  vertheidigen  und  zu  unterstützen  und  auf  schrift- 
lichem Wege  'populum  Francorum  et  Gallorum  corrigere,  ut 
hereticorum  fabulas  et  vana  prodigia  et  signa  precursoris 
antikristi  non  sectantur'.  Zur  Begründung  der  Anschuldi- 
gungen gegen  Aldebert  gelangte  ausser  den  brieflichen  Dar- 
legungen des  h,  Bonifatius  ferner  eine  Biographie  Aldeberts 
zur  Verlesung,  und  auf  die  Aeusserung  des  Papstes:  'Si  quid 
adhuc  habet  Deneardus,  relegiosus  presbiter,  nobis  porrigere 
relegendum,  porrigat',  antAvortete  der  Gesandte :  'P^cce,  domine, 
epistolam,  quam  utebatur,  et  divulgabat  esse  lesu  et 
de  caelo  cecidisse'.  Der  Anfang  des  zur  Verlesung  ge- 
langten Briefes  lautet:  In  Dei  nomine.  Incipit  epistola 
domini  nostri  lesu  Christi,  filii  Dei;  qui  in  Hiero- 


1)  S.  Jaflfe,  *Bibl.  rer.  Germ.'  III,  137  ff.  Diese,  sowie  die  folgenden 
Nachweisimgen  dieser  Miscelle  verdanke  ich  meist  Herrn  Professor  Karl 
Zeumer  aus  der  Zeit  unserer  gemeinsamen  Beschäftigung  mit  den  'For- 
mulae  imperiales'.  S.  Zeumer,  'Formulae'  I,  286  ff.  und  meine  'Monu- 
menta  tachygraphica  oodicis  Parisiensis  litini  2718,  fasc.   1'. 


Tironische  Miscellen.  603 

solima  cecidit,    et  per  Michael  archangelum  ipsa  epistola 

inventa  est  ad   portam  Effrem et  cetera  usque  ad 

finem  perlecta.  Pro  certo,  karissimi  fratres ,  erklärte  der 
Papst,  et  praedictus  in  insaniam  conversus  Aldebertus ;  et 
omnis,  qui  hanc  utitur  scelere  commentatam  epistolam,  par- 
vulorum  more  ahsque  memoria  mentiuvi  esse  possunt  et  quibus- 
dam  mtilieris  insaniimt  sensihus.  Sed  ut  ne  leviores  adhuc 
amplius  decipiant ,  indiscussam  et  ahsque  sententia  causam 
haue  in  eum  relinquere  minime  p)Ossumus.  — 

Leider  ist  in  den  Verhandlungen  der  Synode  nur  die  vor- 
her z.  Th.  angegebene  Einleitung  über  Auffindung  und  Weiter- 
beförderung, nicht  aber  der  Text  des  Briefes  selbst  raitgetheilt. 

Es  ist  aber  ein  anderes,  wie  nach  der  Einleitung  und 
trotz  mehrfacher  Lücken  zu  schliessen  ist,  wenig  abweichendes 
Exemplar  überliefert,  Avelches  bei  Baluze,  'Capitularia'  II,  col. 
1396  ff.  gedruckt  ist:  In  nomine  Domini.  Incipit  epistola 
Salvatoris  Domini  nostri  lesu  Christi,  Filii  Dei,  quae  in 
Hier osolymis  cecidit,  Michaelo  ipsam  deportavit;  et  in- 
venta est  ad  poriam  quem  (l.  Efrem)  per  manus  sacerdotis 
nomine  Eros.  .  .  . 

Trotz  der  Verurtheilung  jenes  Aldebertschen  Briefes  durch 
die  Synode  wurde  von  ähnlichen  Schriftstücken  auch  später 
noch  Gebrauch  gemacht,  und  sicher  nicht  in  vereinzelten  Fällen ; 
denn  noch  Karl  der  Grosse  sieht  sich  in  der  'Admonitio  gene- 
ralis' vom  Jahre  789,  März  23,  genöthigt,  dagegen  einzu- 
schreiten»:  'Omnibus.  Item  et  pseudografia  et  dubiae 
narrationes  vel  quae  omnino  contra  fidem  catholicam  sunt  et 
epistola  pessima  et  falsissima,  quam  transacto 
anno  dicebant  aliqui  errantes  et  in  errorem  alios 
mittentes  quod  de  celo  cecidisset,  nee  credantur  nee 
legantur  sed  conburentur,  ne  in  errorem  per  talia  scripta  po- 
pulus  mittatur.  Sed  soll  canonici  libri  et  catholici  tractatus 
et  sanctorum  auctorum  dicta  legantur  et  tradantur'. 

Wenn  uns  nun  in  der  vaticanischen,  aus  der  Bibliothek 
der  Königin  Christina  stammenden  Handschrift  852,  saec.  X, 
deren  Gesammtinhalt  bei  Zeumer,  'Formulae'  I,  132  A  2*  an- 
gegeben ist,  auf  fol.  6^  die  Ueberschrift  entgegenü'itt :  TNCIPIT 
EPISTOLA  SALVATORIS  DOMINI  NOSTRI',  so  erwartet 
man  hier  einem  ferneren  Exemplar  eines  solchen  S'om  Himmel 
gefallenen'  Briefes  zu  begegnen.  Aber  der  weitere,  z.  Th.  in 
tironischen  Noten   geschriebene  Text   lautet  folgendermassen  ^ : 

1  Deus  meus  et  Pater  et  Filius  et  Spiritus  sanctus, 

2  cui  omnia  subiecta   et   omnis   creatura  deservit,    et   omnis 

potest(as) 

1)  S.  'Capitularia'  ed.  Boretius  I,  60,  Z.  34  ff.  2)  Die  Worte  für 

die  transscribierten  Noten  erscheinen  in  dem  Texte  der  'epistola'  in 
Cursivdruck. 


604  Wilhelm  Schmitz. 

3  sibi  subiecta  est.     Draco  fugit,  silit  vipera  et  roveda' 

4  illa  qui  dicitur  rana;  stirpiscit^  scorpio  et  extin- 

5  guitur ;  regulus  *  nihil  spalangis  *  noxium  operatur 

6  et  omnia  venenata  et  adhuc  ferociora  repenti[n]a  et  ani- 

7  malia  noxia  terebrant(ur),  et  omnes  adver se  salutls  humane 

8  radices  arescunt.     Tu  extingue  hoc  venenosum 

9  virus,  extingue  operationes  eiusdem  mortiferas  et  vires 

10  quas  in  se  habet   evaeua,    et   da    in    nomine   tue    omnibus 

iis  quos  tu  creasti 

11  oculos,    ut  videant,   aures,    ut  audiant,    et  cor  ut   raagni- 

tudinem 

12  tuam    admirentur   •.•    Et    cum   haec   dixisset,    os    sitiim    et 

totum  semetipsum   ar- 

13  mavit   signo   crucis    et    bibit    totum    quod    erat    in    ealice, 

et  postea 

14  quam    bibit,    dixit   •.•   peto  ut  propter  quos   bibi,    conver- 

tantur  ad  te,  Domine,  et  salutem 

15  quae  apud  te  est,  tamquam  .  .  .  .  ria  m  .  .  .*  adtendentes 

ab  ...  . 

Dieser  Text  hat,  ausser  der  Ueberschrift,  mit  dem  von 
Baluze  veröffentlichten  nichts  gemein;  auch  haben  die  von 
Baluze  angemerkten  Lücken  seiner  Hs.  schwerlich  etwas  Aehn- 
liches  enthalten.  Kurz,  unser  Text  passt  nicht  zu  seiner  Ueber- 
schrift,  und  der  letzte  Theil  nicht  zum  Anfang.  Der  erste 
Theil  enthält  offenbar  einen  gegen  Giftwirkung  gerichteten 
Segen,  eine  Formel,  deren  Gedankengang  folgender  ist:  Gottes 
Allmacht  ist  Alles  unterworfen  und  gehorsam;  auf  Seinen 
Willen  hin  ergreift  daher  der  Drache  die  Flucht;  die  Natter 
und  die  Kröte  erheben  sich  zum  Sprunge,  der  Scorpion  er- 
leidet eine  Verküunnerung  seines  Stachels  und  geht  zu  Grunde, 
der  Basilisk  fügt  den  Spinnen  keinen  Schaden  zu,  alle  giftigen 
und  noch  wilderen  Kriech-  und  sonstige  schädlichen  Thiere 
verlieren  ihre  Kraft,  und  es  verdorren  die  der  menschlichen 
Wohlfahrt  schädlichen  Wurzeln.  So  möge  auch  das  in  dem 
Becher  befindhche  Gift  seine  tödtlichen  Wirkungen  verlieren, 
allen  Menschen  aber  möge  Auge  und  Ohr  geöffnet  und  ein 
Herz   gegeben    werden   zur  Bewunderung    der    Grösse  Gottes. 

Der  zweite  Theil  regt  zunächst  die  Vermuthung  an,  dass 
mit  den  Worten:  Et  cum  haec  dixisset  eine  am  Anfang  weg- 
gelassene   Erzählung    wieder    aufgenommen    werde.      Möglich 


1)  rana  rubeta  auch  in  den  tir.  Noten,  Grnter  182,  col.  3.  2)  Vgl. 

Plin.,  'nat.  bist.'    11,8,  149:    de  asparago:   nam  si  defringatur,  stirpescere 
et   intermori.  B)  reguli    et   8corpiones    auch    bei    Hieronymus  ep,  7,  3 

zusammen    erwähnt:    Nos    pristina   contagione  aordentes,   quasi   reguli   et 
scorpiones    arentia   quaeque    sectamur.  4)    spalangia,    araneae    species. 

6)  Zwei  unverständliche  Noten. 


Tironische  Miscellen.  605 

daher,  dass  die  Ueberschrift  nur  zufällig  und  irrthümlieh  über 
den  Text  gerathen  ist.  Denkbar  wäre  aber  auch,  und  ich 
halte  dies  für  das  Wahrscheinlichere,  dass,  im  Gegensatz  zu 
der  ursprünglichen  Verbreitung  und  Verwendung  ganzer  vom 
Himmel  gefallener  Briefe,  später  auch  allein  die  Ueberschrift 
eines  solchen  Schriftstückes  benutzt  wurde,  um  eigentlichen 
Besprechungsformeln,  wie  hier,  vorgesetzt  zu  werden  und  den- 
selben dadurch  ein  höheres  Ansehen  zu  geben. 

II. 

Ein  Trostbrief  Rir  die  in  den  Krieg"  Ziehenden. 

In  den  ^Studien  zur  lateinischen  Tachygraphie'  (s.  Pro- 
gramm des  Kaiser  Wilhelms-  Gymnasiums  zu  Köln  vom  J.  1881, 
S.  4,  Anm.  7)  habe  ich  bereits  erwähnt,  dass  in  der  vaticani- 
schen,  ebenfalls  der  Bibliothek  der  Königin  Christina  ent- 
stammenden Miscellan-Hs.  846,  saec.  IX,  auf  fol,  103''  ein  fast 
ganz  in  tironischen  Noten  geschriebener,  bisher  nicht  gelesener 
und  nicht  veröffentlichter  'Trostbrief  für  die  in  den  Krieg 
Ziehenden'  beginne  mit  der  Ueberschrift:  'fl)  INCIPIT  EPI- 
STOLA CONSOLATORIA  AD  PERGENTES  IN  BELLUM'. 
Während  mir  damals  nur  der  auf  fol.  103^  stehende  Theil  des 
Briefes  in  photographischer  Nachbildung  bekannt  war,  bin  ich 
seitdem  durch  die  zuvorkommende  Hülfe  meines  hochwürdigen 
Freundes  Dom  Jacques  Christophe  Gauthey,  Abbe  de  Ste. 
M.  Magdeleine,  O.  S.  ß.,  in  Marseille,  in  den  Besitz  einer  voll- 
ständigen Photographie  des  ßrieftextes  gelangt.  Unseren  ver- 
einten Bemühungen  ist  folgende  Lesung  der  tironischen  Noten 
gelungen : 

2  Viriy  fratres  et  patres^,   qui   christianum   nomen   hahetis 

et    vexiUum   crucis    in    fronte   portatis,    attendite   et 
audite  !     Considerate  diligenter  quäle  pretio  redempti 

3  estis,    cuius   nomen  super  vos   hahetis,    quia    vos  Christus 

sacro    sanguine    redemit    [ut]    vos    ad    hereditatem 
aeternam ,   unde  pjro  peccatum  primi  parentis  nostri 

4  Adam  expidsi  fuistis;  per  redemptionem  Salvatoris  nostri 

ihi  genus  humanum  reparatiim  est.    Considerate  hoc 
diligenter  uhi  pergitis  vel  contra  inimicos  vestros  ad 

5  decertandum;    amhidetis   ut   christianum   nomen,   Deo   ad- 

iuvante,   defendatis.     Et   hoc  cavete  omni  argutia  et 
astutia  vestra 

6  ut  quod  in  vobis,    Deo  largiente ,   datum   est,  in   vacuum 

non  portetis  '.'  Ahstinete   vos   a  malis  operibus,    ab- 
stinete  vos  a  concupiscentia[e]  karnale, 

7  Deum   amore   et   timore    ante   oculos  ponite.      Et   in    ora- 


1)  Vgl.  Act.   7,   2:    Viri,   fratres  et  patres,   audite. 


606  Wilhelm  Schmitz. 

tionihus  vesfras  Deum  semper   in    auxilium  vestrum 
invocate  •."  Taliter  agite  in  isto  itinere 

8  qualiter  Dens  non  deserat  vos  in  die  trihvlationis,  et  cum 

omni  sollicitudine  intendite,  ut  non  pro  Incriim  ter- 
renum  nee  pro  pomp>a   saecidare 

9  cupiatis  hellumgerere ,    sed   pro    defensione    christiani   no- 

minis   et   ecclesiarum   Dei ,   et  fidem   quae   accepistis 
ipsa  in  vos  integra  permaneat  •.• 

10  TJbi   fnim    amhidatis ,    nolite    rapinas   facere    neque    apud 

vos   deducere   nee   contra   legem    christianam    agere^ 
sed  qtiod  necessitas  ad  victii- 

11  alia  2^''i't^net,  ubi  necesse  est,  cum  omni  reverentia  et  cum 

omni  timore  tantum  sumite,  ut  Deuvi  non  offendatis  '.' 
Si  enim  vos  in  ipso  itinere, 

12  quod  modo  amhidatis ,    certare  jjro  Deo  vidtis ,    in  hoc,  ut 

in  lege  Dei  permaneatis ,  et  taliter  agite,  ut  Christo 
delectet,  apud  vos 

13  angelum  suum   dirigere,    qui  vos  in  fortitudine  defendat 

et  kastra  vestra  auxilium^   pietatis  sue  protegat,    ut 
contra  inimicos  vestros  ipse  sit  arma  .   .  .  .^; 

14  protegat  vos  scutum    pietatis   sue   et   defendat  vos   de    ad- 

ver sariis  vestris.     Si  hoc   tantum   vultis   scire,   quod 
magna  res  est, 

15  christianum    nomen   habere   et  hie   cum  summa  disciplina 

in   Dei  timore  vivere  et  post  in  perpetuum  cum  Deo 
in  deliciis  paradisi  gaudere: 

16  scitote,  quia   Dens  non   deserit  vos,  quia  adversarii  vestri, 

qui  contra  vos  pugnant,  non  tantum  contra  vos  pu- 
gnant,  sed  contra  Deum, 

17  quia  persecutores  christianorum  et  ecclesiarum  et  vexillum 

sanctae  crucis  dispiciunt.     Propterea  si  vos  ßrmiter 
vultis  fidem  vesfram  servare 

18  et  Dei  voliintatem  implere,  nolite  timere  adversarios  vestros, 

sed  omni   audacia   et    cum    omni  fortitudine   hrachii 
Dei  sitis  parati  ad  defendendum  nomen  christianitatis 

19  vestre  '.'  Scitis,  quia^  ibi  corpus  suum  et  aninntm  propter 

Deum  tradiderit ,  absque  dubio  aut  hie  in  praesenti 
saecxdo,  si  vicerit,  coronatur, 

20  aut ,    quod  multum  melius    est,   si  pro  Deo  animam  suam 

tradiderit  aut  corpus  suum  usque  ad  mortem,   sciat 
se  sine  dxibio  hierum  facere  anime  sue 

21  [fol.  MO""]    et   remunerationem   de   labore   suo  in  aeternam 

vitam*  apud  Dominum  recipere  et  in  paradiso  cum 


1)  Im  Sinne  von  auxilio.         2)  Eine  unverständliche  Note.  3)  Ver- 

scliriebeu  statt  qui.  4)  Statt  des  abl. 


Tironische  Miscellen.  607 

ceteris  Tieredihus  requiescere.  Tantum  hoc  cogitate, 
ut  in  omni  actu  vesfro 

22  et  in  omni  opera  vestra  hoc  faciatis  quod  Deo  flacet,   ut 

Domino  delectet  vohiscum  'pergere  et  protegere  vos 
cum  pietafe  siia. 

23  Sciatis,  si  cum  tlmore  et  reverentia  vvltis  pergere  et  Deo  ^ 

in  auxilium  invocare,  erit  Dominus  vohiscum  contra 
inimicos  vestros,  sicut  cum  losue,  quando  certavit 

24  confv'a  Amalech 2.    Praeparet  sibi  unusquisque  contra  con- 

scientiam  suam,,  rememoret  peccata  sua ,  quae  prius 
fecit,  non  portet  ea  apud  se  in  praelium   Christi^ 

25  sed  antea   confiteatur   sacerdote   et   coram  Deo   d  .  .  .  d^ 

peccata  sua,  et  liher  de  ipsis  tantis  vulnerihus,  se- 
curus  de  praeteritis,  propitiante  Deo,  sine  uUa  duhi- 
tatione 

26  et  sine  idlo  peccato   possitis    stare   in    praelio    in  die  Do- 

mini •.'  quia  si  vos  mundi  estis,  dicente  Domino, 
habitaho  vohiscum,  et  angelus  meus  praecedit  vos 

27  et  ipse  erit  protectio  vestra*  •.'  Sic  agite,  ut  non  trepidet 

cor  vestrum  neque  faciatis  pretiosiorem  corpus  vestrum 
quam  anima  vestra.     Quidquid  agitis 

28  pro  Deo  agite,  et  Deus  pugnat  pro  vohis.     Finis.     Amen. 

Deo  gratias  '.' 
Wer  der  Verfasser  des  Briefes  sei,  vermögen  wir  eben  so 
wenig  anzugeben,  als  die  Frage  zu  beantworten,  ob  bezw.  auf 
Avelche  gleichzeitigen  Kriegsverhältnisse  Bezug  genommen  sei; 
denken  könnte  man  an  Ereignisse  der  Völkerwanderung  oder 
an  Kämpfe  gegen  den  Islam. 

1)    Statt   Deum.  2)    Exod.   17,  9.  3)    Unverständliche    Note. 

4)  Exoil.   23,  20;  25,  8. 


Zu  dem  Necrologium  S.  Vitoni  Virdunensis. 

Von  U'oldemar  Lippert. 

Im  vorletzten  Hefte  des  'Neuen  Archivs'  hat  Ernst  Sackur 
in  seinem  Aufsatze  'Handschriftliches  aus  Frankreich'  auch 
einip;e  Necrologien  mitbehandelt,  darunter  das  Necrolo<i;ium 
des  Klosters  St.  Vannes  in  der  Diöcese  von  Verdun.  Er  er- 
klärt in  befriedigendster  Weise  die  grosse  Mehrzahl  der  da- 
selbst aufgeführten  Persönlichkeiten;  einige  Berichtigungen 
sollen  im  Folgenden  hierzu  gegeben  werden. 

S.  127  ist  aufgeführt  unter  dem  Datum  H.  Id.  Mart.  (dem 
14.  März)  ein  'Riquinus  comes'.  Sackur  spricht  dabei  in  der 
Anmerkung  17  als  Vermuthung  aus,  dass  dies  etwa  ein  Eich- 
win  von  Niederlothringen,  der  Vater  des  Bischofs  Udo  von 
Toul,  sein  könne».  Näher  hegt  aber  eine  andere  Ansicht,  die 
sich  sogar  zu  ziemlicher  Sicherheit  erheben  lässt.  Das  Necro- 
logium  nennt  ja  ausser  der  Hauptmasse  von  Leuten  des  elften 
imd  zwölften  Jahrhunderts  auch  eine  Anzahl  solcher  aus  dem 
neunten  und  zehnten.  Im  Anfange  des  zehnten  Jahrhunderts 
finden  wir  nun  in  der  Tliat  in  Lothringen  einen  Grafen  Rich- 
win,  der  in  den  innern  Angelegenheiten  dieses  Landes,  besonders 
auch  in  den  Händeln ,  die  damals  das  unglückliche  Land  be- 
unruhigten, eine  wichtige  Rolle  spielte.  Dümmler  stellt  ('Otto 
d.  Gr.'  8.  96,  97)  die  Quellenzeugnisse  zusammen,  die  wir  über 
Richwin  haben.  C.  v.  Kalckstein,  'Geschichte  des  französischen 
Königthums  unter  den  ersten  Capetingern'  I,  150,  bezeichnet 
ihn  nicht  bloss  als  Laienabt  von  Moyenmoutier  und  St.  Peter 
in  Metz  (s.  hierfür  Dümmler  a.  a.  O.),  sondern  auch  als  Graf 
von  Toni  und  Verdun.  Welches  seine  Grafschaft  Avar,  ist  nicht 
sicher;  in  Urkimden  König  Karls  III.  (des  Einfältigen)  er- 
scheint er  als  Intervenient  bei  Angelegenheiten,  die  sowohl 
den  Gau  von  Toul,  wie  den  von  Verdun  betreffen;  gewiss  ist, 
dass  er  im  oberen  Moselgebiet  begütert  war,  vgl.  Vita  S.  lo- 
hannis  Gorziensis  c.  12  (MG.  SS.  IV,  340),  wo  erzählt  wird, 
dass  Johannes  die  Kirche   seines  Geburtsortes  Vinderia  (Ven- 


1)  Vg-1.  hierüber  Beuoit,  'bist,  eccles.  et  polit.  de  la  ville  et  du  dioc. 
de  Toul"  (Toul  1707)  S.  376  und  Anhang  n.  LXXVIII,  wo  auch  ein 
Bruder  Udos  mit  Namen  Richwin  erscheint. 


Zu  dem  Necrologium   S.  Vitoni  Virdunensis.  609 

diere  bei  Pont-ä-Mousson)  von  ihm  geschenkt  erhalten  habe, 
der  als  'praestantissimus  ea  terapestate  et  in  omni  genere 
agendarum  rerum  prudens  et  sagaeissimus  vir'  bezeichnet  wird, 
in  dessen  Hause  auch  Johannes  einige  Zeit,  und  zwar,  wie 
der  Biograph  sagt,  zu  seinem  Vortheile  gelebt  hatte.  Im  Jahre 
923  wurde  er  durch  einen  der  schlimmsten  Störenfriede  dieser 
Zeit,  den  gleichfalls  in  Lothringen  und  den  angrenzenden  fran- 
zösischen (iebieten  ansässigen  Grafen  Boso,  den  Bruder  des 
Königs  Rudolf  von  Frankreich,  in  Ausübung  einer  Privatrache 
(vgl.  Dümmler  S.  97)  auf  dem  Krankenlager  getödtet,  s.  Flo- 
doard,  Annal.  ad  a.  923  (MG.  SS.  III,  371  j.  Als  Datum 
nahmen  Dümmler  a,  a.  O.  und  Kalckstein  S.  164  den  15.  No- 
vember an,  gestützt  auf  eine  Angabe  des  Necrologium  Roma- 
ricense  (bei  Böhmer,  'Fontes'  IV,  463),  und  ich  hatte  diese 
Ansicht  unter  Vorbehalt,  ob  der  dortige  Riquinus  dux  wirklich 
unser  Richwin  sei,  erwähnt  (s.  'König  Rudolf  von  Frankreich' 
[Leipzig  1886]  S.  37  Anmerk.  4).  Ich  konnte  die  Annahme 
nicht  verwerfen,  vermochte  sie  aber  eben  so  wenig  rückhaltslos 
anzunehmen,  da  erstens  das  'dux'  nicht  für  unsern  RichAvin 
zu  passen  schien  (obwohl  darin  wiederholt  in  jener  Zeit  sich 
Schwankungen  finden),  und  weil  ferner  die  Stelle,  an  welcher 
Flodoard  den  Mord  erwähnt,  der  Verlegung  in  den  November 
widerspricht.  P^lodoard  ist  ja,  was  auch  von  mir  a.  a.  O. 
S.  121  ff",  auf  das  entschiedenste  betont  ist,  einer  der  zuver- 
lässigsten aller  Chronisten,  der  selbst  bei  den  innerhalb  eines 
Jahres  aufgezählten  Ereignissen  möglichst  die  Zeitfolge  wahrt; 
diese  Angabe  des  15.  Novembers  umsste  den  Glauben  an  seine 
Zuverlässigkeit  in  letzterer  Hinsicht,  betreffs  der  chronologischen 
Folge  innerhalb  der  einzelnen  Jahre,  erschüttern.  Da  kommt 
uns  nun  das  Necrologium  von  St.  Vannes  mit  seiner  Angabe 
vom  Tode  Richwins  am  14.  März  in  der  trefflichsten  Weise 
zu  Hülfe;  denn  in  den  Frühling,  vor  den  letzten  Kriegszug 
Karls  gegen  die  Empörer  unter  dem  Gegenkönig  Robert, 
d.  h.  vor  den  Juni  923,  hat  auch  Flodoard  in  seiner  Aufzählung 
den  Tod  angesetzt.  Eben  deshalb  ist  ja  das  an  und  für  sich 
minder  wichtige  Datum  vom  Tode  des  Grafen  Richwin  von 
höherer  Bedeutung,  weil  es  für  einen  speciellen  Fall  uns  aufs 
neue  den  bestimmten  Beweis  der  ausserordentlichen  Zuverläs- 
sigkeit Flodoards  erbringt,  denn  in  Anbetracht  aller  der  Um- 
stände, dass  dieser  Richwin  seiner  Zeit  eine  hervorragende  Per- 
sönlichkeit und  thatsächlich  comes  Avar,  in  Lothringen,  den 
oberen  und  mittleren  Moselgegenden  Besitzungen  hatte,  im 
Gau  von  Verdun  handelnd  auftritt  und  im  Frühjahr  starb, 
dürfen  Avir  den  Riquinus  comes  des  Necrol.  S.  Vitoni  wohl 
mit  Bestimmtheit  für  den  923  ermordeten  Richwin,  den  Vater 
des  Grafen  (und  seit  940  Herzogs  von  Lothringen)  Otto,  halten. 
S.  130  ist  unter  X.  Kl.  Sept.  (dem  23.  August)  'Richardus 


610  Woldemar  Lippert. 

comes'  erwähnt,  den  Sackur  Anmerkung  11  als  den  Herzog 
Richard  I.  von  der  Xormandie  fasst.  Gegen  den  Titel  ist  nichts 
einzuwenden;  oben  ist  erwähnt,  dass  diese  Bezeichnungen  viel- 
fach schwanken  und  ich  habe  selbst  ('König  Rudolf  S.  20,  84,  85) 
gerade  für  Frankreich  solche  Fälle  angefülu't.  Der  hier  ge- 
nannte Richard  ist  aber  nicht  Ricliard  I.  (mit  dem  Beinamen 
'Ohnefurcht' j,  der  seit  942  regierte,  denn  dieser  starb  zu  Fe- 
camp  \)\HJ  am  20.  November:  es  ist  vieliii'hr  sein  ihm  folgender 
gleichnamiger  Sohn,  Richard  II.  der  Gute,  der  gleichtalls  zu 
Fccamp  10::'G  (dies  Jahr  ist  wahrscheinlicher  als  1027)  am 
23.  August  nach  der  Angabe  verschiedener  Zeugnisse,  am 
22.  August  nach  dem  Necrologiura  S.  Germani  Pratensis  starb, 
vgl.  'Art.  de  veritier  les  dates'  (Octavausgabe,  Paris  1818) 
XIII,  10.  Das  Datum  des  Necrologinms  von  St.  Vannes  be- 
stätigt und  sichert  also  die  Angabe  des  23.  Augusts. 


Nachrichten. 


172.  x\m  18.  Decembei-  1889  starb,  wie  bereits  kurz  ge- 
meldet worden,  Wilhelm  von  Gieseb recht  in  München, 
durch  Wahl  der  bairischen  Akademie  Mitglied  unserer  Central- 
direction  seit  ihrer  neuen  Begründung  in  Berlin. 

Geboren  zu  Berlin  am  ö.  März  1814  gehörte  er  zu  den 
wenigen  noch  übrigen  Schülern  Rankes  aus  seiner  Glanzzeit 
und  empfing  durch  ihn  frühzeitig  die  seinen  Gaben  ent- 
sprechende Richtung  auf  eine  dichterisch  angehauchte  Dar- 
stellung vaterländischer  Geschichte.  Seine  Lebensarbeit  war 
daher  die  seit  l^bb  in  fünf  Auflagen  veröÖentlichte  Geschichte 
der  deutschen  Kaiserzeit,  nächst  Raumers  Hohenstaufen ,  die 
sie  an  wissenschaftlichem  Werthe  weit  überragt,  dasjenige  Werk 
über  die  Thaten  des  jMittelalters,  welches  die  weiteste  Ver- 
breitung gefunden  und  durch  die  liebe-  und  verständnisvolle 
Auffassung  jenes  Zeitalters,  die  es  bei  allen  Gebildeten  ein- 
bürgerte, unseren  Studien  zur  wesentlichsten  Empfehlung  ge- 
dient hat.  Für  die  Gestaltung  dieses  Buches,  dessen  Scliluss 
wir  schmerzlich  vermissen,  war  es  vielleicht  ein  günstiger  Um- 
stand, dass  Giesebrecht  bis  zum  Jahre  1857,  in  welchem  er 
als  Professor  nach  Königsberg  berufen  wurde,  nur  an  der 
Schule  wirkte  und  sich  dadurch  auf  populäre  Behandlung  der 
Geschichte  angewiesen  sah.  Während  er  die  bei  Waitz  stark 
vorwiegende  Neigung  für  die  Entwickelung  von  Recht  und 
Verfassung  in  minderem  Maasse  theilte  und  deshalb  die  Ur- 
kunden mehr  zurückti-eten  Hess,  zeigte  er  dagegen  ein  beson- 
deres Verständnis  für  die  herrschende  Stellung  und  den  Einfluss 
der  Kirche. 

Die  Beschäftigung  mit  den  Quellen  betrachtete  G.  nicht, 
wie  manche  der  jüngeren  Fachgenossen,  als  Selbstzweck,  viel- 
mehr nur  als  eine  Vorarbeit  für  die  Darstellung,  dennoch  ver- 
danken wir  ihm  in  dieser  Hinsicht  eine  Reihe  der  schätz- 
barsten Forschungen,  die  z.  Th.  niedergelegt  oder  angedeutet 
sind  in  den  seinem  grossen  Werke  hinzugefügten  lichtvollen 
Uebersichten  über  die  Quellen  jedes  einzelnen  Bandes.  Indem 
er  namenthch  schon  auf  einer  grossen  Studienreise  nach  Wien 
und  Italien  (1843 — 45)  viel  handschi-iftliches  Material  sammelte 


612  Nachrichten. 

und  dies  später  noch  in  Baiern  gelegentlich  vermehrte,  ge- 
langen ihm  manche  schöne  Funde,  so  vor  allem  der  glänzendste, 
die  Herstellimg  der  Altaicher  Annalen  aus  Geschichtschreibern 
des  16.  Jahrh.,  später  bestätigt  durch  das  Auftauchen  einer 
Abschrift  Aventins,  femer  des  Bebo  von  Bamberg,  einer  alten 
Vita  Adalberti,  des  Dialogs  Herbords  u.  s.  w.  Auf  seinen 
sorgsamen  Vergleichungen  beruht  u.  a.  die  Ausgabe  des  Dia- 
conus  Johannes  von  Venedig  in  den  MG.,  des  Registrum  Gre- 
gorii  in  Jaftes  Bibliotheca  u.  s.  av.  Unter  den  Geschicht- 
schreibern der  deutschen  Vorzeit  übersetzte  er  Gregors  von 
Tours  fränkische  Geschichte  in  musterhafter  Weise.  Die  frucht- 
barste Anregung  gaben  einzelne  Untersuchungen  z.  Th.  mehr 
literarhistorischer  als  eigentlich  geschichtlicher  Art,  wie  die 
allbekannte  'De  literarum  studiis  apud  Italos',  die  Abhandlung 
über  die  angebliche  Weissagung  von  Lelinin,  über  die  Vaganten 
und  Goliarden,  über  die  fränkischen  Königsannalen,  über  Mane- 
gold  von  Lautenbach  und  die  Gesetzgebung  der  römischen 
Kirche  u.  s.  vv.  In  den  ^IG.  hat  er  die  neu  entdeckten  Altaicher 
Jahrbücher  in  Gemeinschaft  mit  dem  Frhrn.  vou  Oefele  heraus- 
gegeben und  hatte  er  schon  längst  im  Auftrage  von  Pertz  die 
Papstleben  des   1 1 .  Jahrh.  übernommen  und  vorbereitet. 

Besonders  hervorheben  müssen  wir  aber  hier  noch,  dass 
Giesebrecht,  seit  1861  als  Sybels  Nachfolger  nach  München 
versetzt,  durch  sein  Schrifttühreramt  die  Seele  der  historischen 
Commission  daselbst  wurde,  deren  Aufgaben  mit  den  unsrigen 
vielfach  so  eng  zusammenhängen,  dass  er  auch  in  dieser  Eigen- 
schaft mittelbar  als  einer  unserer  wirksamsten  Förderer  genannt 
zu  werden  verdient.  In  der  Centraldirection  der  MG.  be- 
thätigte  er  vor  allem  auch  seine  reiche  Geschäftskenntnis  und 

Eraktische  Erfahrung  bei  der  Feststellung  des  jährlichen  Haus- 
altes. 

Giesebrecht  war  eine  durchaus  harmonische  Natur  von 
einem  glücklichen  Gleichmasse  der  Seele,  mehr  zur  Vermitte- 
lung  aU  zum  Streite  geneigt,  in  seinen  Arbeiten  fein  und 
sinnig,  nicht  unerbittlich  scharf,  mehr  Darsteller  als  Kritiker, 
aber  ein  besserer  Philologe  als  manche  seiner  Mitstrebenden, 
von  echt  christlicher  Gesinnung  und  warmem  patriotischem 
Gefühle,  wohlwollend  und  wohlthuend  für  andere  auf  Grund 
eigener  innerer  Befriedigung,  ein  glücklicher  Familienvater  und 
treuer  Freund  seiner  Freunde  und  Schüler. 

(Vgl.  H.  Prutz  in  der  Berl.  Nationalzeitung  vom  5.  Januar 
1890  und  S.  Riezler  in  der  Beilage  zur  (Münchener)  Allgem. 
Zeitung  vom  18.  Januar  1890). 

Die  bairische  Akademie  hat  an  Stelle  Giesebrechts  den 
Geheimen  Hofrath  und  Director  des  Reichsarchivs  Dr.  Lud- 
wig von  Rockinge r  zu  ihrem  Vertreter  in  der  Central- 
direction gewählt.  E.  D. 


Nachrichten.  6l3 

173.  In  der  Zlschr.  f.  Geschichtswissenschaft  II,  327  ff. 
veröffentlicht  L.  Quid  de  einen  ausführlichen  Nekrolog  J.  Weiz- 
säckers. 

174.  Ein  ßeferat  über  Scriptorum  t.  XIII.  XIV.  von 
L.  von  Heinemann  steht  in  der  Historischen  Zeitschrift  64, 
141 — 156.  Herr  P.  Albert  Poncellet  berichtete  in  La 
Science  catholique  IV,  1,  60—66  über  die  in  Scriptorum  t.  XV,  2 
herausgegebenen  hagiographischen  Stücke. 

175.  Aus  Utrecht  ist  der  Redaction  eine  Klage  darüber 
zugegangen,  dass  von  jeher  in  den  Nachrichten  des  N.  A.  die 
niederländische  Literatur  nur  unvollständig  berücksichtigt  worden 
sei.  Die  Thatsache  ist  leider  zuzugeben;  sie  wird  durch  die 
erstaunlich  mangelhaft  entwickelten  buchhändlerischen  Bezie- 
Imngen  zwischen  Deutschland  und  den  Niederlanden  erklärt. 
Allein  die  niederländischen  Autoren  haben  es  selbst  in  der 
Hand,  dem  Uebelstand  abzuhelfen:  legen  sie  Werth  darauf, 
dass  ihre  Arbeiten  im  N.  A.  verzeichnet  werden,  so  können 
sie  durch  Einsendung  derselben  an  die  Redaction  sich  dessen 
mit  Leichtigkeit  versichern. 

176.  Von  den  Handschriften  der  Bibliothek  des 
Sir  Th.  Phillipps  zu  Cheltenham  soll  nach  Zeitungsmeldungen 
der  Theil,  welcher  nicht  von  Deutschland  und  ßelgieu  an- 
gekauft ist^  von  der  Universität  Cambridge  für  den  Preis  von 
5000  Pfd.  Sterling  erworben  sein.  Nach  einer  Notiz  im  Cor- 
respondenzblatt  der  Westdeutschen  Ztschr.  1890  S.  47  hat  in- 
dess  die  elsass- lothringische  Regierung  die  Mittel  bewilligt, 
alle  in  Cheltenham  liegenden  lothringischen  Hss.,  darunter 
3400  Urkunden,  für  das  Bezirksarchiv  in  Metz  anzukaufen. 

177.  In  den  Münchener  Sitzungsberichten  1889  Bd.  II, 
278—313  findet  sich  eine  Abhandlung  von  v.  Löher,  'Zur 
Geschichte  des  Archivwesens  im  Mittelalter'.  Die- 
selbe besteht  zum  grossen  Theil  aus  Excerpten  aus  neueren 
Handbüchern  und  anderen  bekannten  Hilfsmitteln;  leider  sind 
beim  Excerpieren  einige  z.  Th.  schwer  begreifliche  Misver- 
ständnisse  untergelaufen.  Neues  von  Erheblichkeit  enthält  die 
Abhandlung  nicht. 

178.  In  der  Bibhotheque  de  lEcole  des  chartes  L  (1889), 
571  ff.  veröffentlicht  Ch.  Kohl  er  den  Katalog  der  Bibliothek 
des  Klosters  Notre-Dame-  De  -  Haut-  Fontaine  (Diöcese  Chartres) 
aus  dem  12.  und  13.  Jahrhundert. 

179.  Im  Arch.  stör,  italiano  Ser.  V,  t.  IV,  250  ff.  theilt 
Ubaldo  Pasqui  aus  dem  Testament  eines  aretinischen  Notars 
aus  der  ersten  Hälfte  des  14.  Jh.  dessen  reichhaltigen  Biblio- 
thek skatalog  mit.    Darunter :  Origo  gentis  Langobardorum , 

Neuus   Archiv  etc.     XV.  40 


614  Nachrichten. 

Forinulae  senatus   Cassiodori,   Cassiodorus  variorum  (!)  et  de 
anima. 

180.  Zum  Theil  nachträglich  haben  wir  zu  berichten  über 
Analecta  ßollandiana  t.  VII.  und  VIII.  In  Band  VII. 
gab  Herr  Albert  Poncellet  eine  metrische  Vita  eines 
13  lad  in  oder  Blandin,  der  im  7.  Jahrhundert  in  der  Brie  ge- 
lebt haben  soll,  von  Fulcoius,  Subdiacon  von  Meaux  (saec.  XI.) 
heraus.  Es  war  keine  Vita  dieses  Heiligen  bisher  bekannt, 
die  hier  publicierte  ist  nur  von  litterarischem  Interesse  und 
ohne  historischen  Werth.  Herr  Karl  de  Smedt  edierte  die 
vollständige  Vita  des  h.  Winwaloeus  (oder  Winwaloc)  von 
Abt  Wurdestin  und  noch  eine  spätere  metrische  Bearbeitung 
dieser  Vita.  HeiT  Hippolyt  Delehaye  publicierte  einen 
langen  Brief  Guiberts  von  (fembloux  an  einen  Domherrn 
von  Laon  über  St.  Martin,  namentlich  über  diejenigen  Schrift- 
steller, die  über  ihn  geschrieben  haben,  mit  eingehenden  Er- 
läuterungen vornehmlich  über  das  Leben  Guiberts  und  Gedichte 
zum  Preise  St.  Martins  von  einem  Mönch  («uibert  von  Gem- 
bloux,  einem  Zeitgenossen  des  Abtes,  Die  wichtigste  neue 
Publication  dieses  Bandes  ist  endhch  für  uns  die  älteste  Vita 
Gaugerichs,  Bischofs  von  Cambrai,  die  nach  sieben  Hss. 
herausgegeben  wurde. 

Aus  Band  VI  11.  ist  zu  erwähnen  das  ausführliche  be- 
schreibende Verzeichnis  der  hagiographischen  Handschriften 
der  Stadtbibliothek  zu  Chartres,  aus  dem  eine  grosse 
Anzalil  kleinerer  unbekannter  Stücke  abgedruckt  sind.  Dann 
vornehmlich  der  authentische,  bisher  nicht  edierte  Text  der 
Vita  Emmerammi  von  iVi-ibo,  den  B.  Sepp  nach  drei 
Handschriften  herausgegeben  hat.  Die  Vita  des  Eremiten 
Amantius,  eines  Schülers  des  h.  Eparch  von  Angouleme,  die 
hier  zum  ersten  Male  veröffenthcht  und  wohl  im  10.  Jahrh. 
geschrieben  ist,  hat  keinen  historischen  Werth.  Wenig  grösseren 
die  schon  bekannte,  aber  hier  mit  reichem  handschriftlichem 
Material  publicierte  Vita  des  Bischofs  Gildard  von  Ronen. 
Zahlreiche  Kataloge  der  Erzbischöfe  von  Ronen  ediert  und 
behandelt  der  Domherr  E.  P.  Sau  vage. 

In  den  jedem  Hefte  beigefügten  Beilagebogen  ist  der 
zweite  Band  des  'Catalogus  codicum  hagiographicorum  bibl. 
regiae  Bruxellensis'  beendet.  Auch  die  aus  Cheltenham  nach 
Brüssel  gekommenen  Handschriften  sind  hier  verzeichnet.  Dar- 
unter befindet  sich  auch  die  alte  Hs.  der  Miracula  S.  Gen- 
gulfi  von  Gonzo,  die  ich  SS.  XV,  2  ohne  die  Hs.  abdrucken 
musste,  da  ich  wolü  vermuthete,  dass  sie  sich  einst  in  der 
Sammlung  des  Sir  Th.  Phillip ps  finden  würde,  über  die  aber 
damals  nichts  bekannt  war.  Fortan  wird  in  den  Beilagebogen 
eine  überaus  dankenswerthe  Publication  geboten,  nämlich  ein 
Verzeichnis  sämmtlicher  kirclilicher  Hymnen  nach  alphabetischer 


Nachrichten.  615 

Folge  mit  Angabe  der  Druckorte  und  der  Handschriften,  in 
denen  sie  sich  vorfinden,  eine  Arbeit  von  staunenswerthem 
Fleiss.  0.  H.-E. 

181.  Eine  weitere  Publication  von  höchstem  Werth  der 
Hennen  ßollandisten  ist  der  Catalogus  codicum  hagio- 
graphicorum  Latinorum  antiquiorum  saeculo  XVI.  qui 
asservantur  in  bibliotheca  nationali  Parisiensi.  Edi- 
derunt  hagiographi  ßoUandiani.  Tomus  I.  (Paris  et  Bruxelles 
1889),  in  welchem  in  derselben  mustergültigen  Weise  wie  im 
Brüsseler  Katalog  die  Pariser  Heihgenleben- Handschriften  be- 
schrieben werden.  O.  H.-E, 

182.  In  der  'Germania'  XXXIV.  (N.  R.  XXII),  406  handelt 
V.  Grienberger  über  die  Vorfahren  des  Jordan  es.  Die 
Bezeichnung  'Alanoviiamuthis'  für  den  Vater  des  Jordanes 
(Getica  50,  266),  hinsichtlich  deren  Deutung  Mommsen  und 
Müllenhoff  auseinandergehen,  will  er  mit  dem  letzteren,  aber 
anders  als  dieser  in  zwei  Worte  trennen ;  der  eigentliche  Name 
sei  'Viiamuth'  (goth.  Veihamoths);  'Alano'  aber  sei  in  ALAN.D. 
('Alanorum  ducis')  zu  emendieren  und  auf  Candaces  zu  be- 
ziehen. Auch  der  Name  des  Grossvaters  des  Jordanes  'Paria 
sei  gothisch  nicht  zu  erklären  und  vielleicht  in  'Faria'  (der 
Ferge)  zu  emendieren.  S.  410  giebt  derselbe  eine  Notiz  über 
den  Namen  der  Mutter  Theodorichs,  den  er  'Eriliva'  lesen  will. 

183.  In  der  Revue  des  Questions  Historiques  1890,  Heft  1 
S.  60  ff.  behandelt  G.  Kurth  die  Geschichte  Chlodwigs  nach 
Fredegar.  Mit  den  Ergebnissen  der  Untersuchungen  von 
Krusch  erklärt  er  sich  im  wesentlichen  einverstanden;  nur 
weist  er  den  Theil  der  originalen  Chronik,  welcher  vom  Tode 
Chilperichs  bis  613  geht,  nicht  wie  Krusch  dem  ersten,  sondern 
dem  zweiten  Compilator  zu,  indem  er  bestreitet,  dass  der  erste 
Compilator  überhaupt  etwas  originales  geschrieben  habe. 

184.  In  den  Bulletins  de  l'Academie  royale  de  Belgique 
3.  ser.  t.  XVIII.  n.  8  untersucht  G.  Kurth  die  von  ihm  noch 
sog.  Gesta  Francorum,  noch  ohne  die  bezüglichen  Aus- 
führungen von  Krusch  zu  kennen,  mit  denen  er  sich  erst 
im  Anhang  auseinandersetzt.  Er  nimmt  als  Abfassungsort 
Kloster  St.  Denis  an,  sucht  aber  die  Heimath  des  Verfassers 
in  dem  Bereich  von  Laon  und  Soissons. 

185.  P.  Del  Giudice  hat  seine  1880  zuerst  erschienene 
Abhandlung  über  Paulus  Diaconus  jetzt  in  einer  Samm- 
lung seiner  kleinen  Schriften  'Studi  di  storia  e  diritto'  (Mai- 
land, Hoepli  1889)  wieder  abdrucken  lassen. 

186.  Im  vierten  Band  seiner  'Urgeschichte  der  germani- 
schen und  romanischen  Völker'  (Berlin,  Grote  1889)  behandelt 

40* 


616  Nachrichten. 

Felix  Dahn  S.  300  ff.  auch  die  Literatur  der  im  Franken- 
reich vereinigten  Gebiete  bis  zum  Tode  Karls  des  Grossen. 
Besonders  eingehend  wird  S.  318  ff.  die  Frage  der  Karolin- 
gischen Annalen  besprochen,  in  welcher  sich  Dahn  als  ent- 
schiedenen Anhänger  der  Reichs-  oder  Hofannalentheorie  be- 
kennt und  es  als  'keinen  Zweifel  leidend'  bezeichnet,  dass  die 
Schöpfung  einer  zeitgenössischen  Reichsgeschichte  unmittelbar 
von  Karl  d.  Gr.  selbst  ausgegangen  sei.  Beigegeben  sind  dem 
Bande  eine  Anzahl  von  Facsimiles  aus  Urkmiden  und  Hand- 
schriften, darunter  ein  Blatt  (f.  45  recto  und  verso)  aus  der 
Wiener  Hs.  (n.  510)  von  Einhards  Vita  Karoli  und  zwei 
Blätter  aus  der  Wiener  Hs.  (n.  2687)  von  Otfrieds  Evan- 
gelienbuch. 

187.  Von  des  Abbe  L.  Duchesne  'Liber  pontificalis' 
ist  der  5.  Fascikel  erschienen.  Er  enthält  die  Fortsetzungen 
nach  dem  Codex  des  Petrus  Guillelmi,  zum  Theil  mit  Vari- 
anten anderer  Handschriften,  von  Johann  VIU.  bis  Honorius  H, 
die  von  Pertz  früher  (SS.  V.)  edierten  Annales  Roman! ,  end- 
lich die  Papstleben  des  Cardinal  Boso.  Diese  sind  noch  nicht 
vollständig.  0.  II. -E. 

188.  Von  den  'Gesta  Francorum  et  aliorum  Hieroso- 
lymitanorum' ,  herausgegeben  von  H.  Hagenmeyer,  ist  die 
letzte  Hälfte  mit  ausfülu'lichem  Register  erschienen  (Heidel- 
berg 1890).  O.  H.-E. 

189.  Das  Historische  .Jahrbuch  X,  748-806  enthält  den 
Schluss  der  Antikritik  Hüffers  gegen  v.  Druffel :  eine  ein- 
gehende Untersuchung  über  die  Wunder  Bernhards  von 
Clairvaux  und  die  Glaubwürdigkeit  des  Liber  miracu- 
lorum,  an  welcher  H.  unbedingt  festhält. 

190.  Eine  Berliner  Dissertation  von  G,  Gronau,  'Die 
Ursperger  Chronik  und  ihr  Verfasser'  (Berlin  1890)  führt 
den  Nachweis,  dass  weder  sachliche  noch  formale  Gründe  eine 
Theilung  der  Chron.  Urspergense  unter  zwei  Verfasser  aus- 
reichend rechtfertigen,  dass  vielmehr  mit  grosser  Wahrschein- 
lichkeit der  Propst  Burchard  als  Verfasser  des  ganzen  uns 
vorliegenden  Werkes  angesehen  werden  darf:  die  Angabe  des 
—  in  zwei  Münchener  Hss.  überlieferten  —  Katalogs  der 
Pröpste  von  Ursperg  von  J.  Weissung,  dass  Burchard  1226 
gestorben  sei,  erweist  sich  nicht  als  glaubwürdig.  Auch  gegen 
die  Annahme  einer  Interpolation  der  Chronik  am  Scliluss  der 
Erzählung  von  König  Philipp  spricht  G.  sich  mit  beachtens- 
werthen  Gründen  aus.  In  oeiden  Hinsichten  war  eine  der 
Redaction  dieser  Ztschr.  eingesandte  grössere  Arbeit  über  die 
Ursperger  Chronik  von  Th.  Lindner,  z.  Th.  auf  anderem 
Wege,    zu    völlig    gleichem   Resultat   gelangt:    nachdem    Herr 


Nachrichten.  617 

Prof.  Lindner,  wie  im  Vorwort  von  Gronaus  Schrift  berichtet 
wird,  die  Zuvorkommenheit  gehabt  hat,  aus  Rücksicht  auf  den 
jungen  Doctoranden  auf  die  VeröfFenthchung  dieser  Abschnitte 
seiner  Arbeit  zu  verzichten,  hoffen  wir  den  übrigen  Theil  der- 
selben in  einem  der  nächsten  Hefte  des  N.  A.  mittheilen  zu  können. 

191.  Eine  für  die  Geschichte  der  Kämpfe  Friedrichs  II. 
in  Cypern  wichtige  Quellenschrift,  dieGestes  des  Chiprois 
des  Philippe  de  Nevaire  (oder  Novaire)  behandelt  eine 
Berliner  Dissertation  von  Paul  Richter:  ^Beiträge  zur  Histo- 
riographie in  den  Kreuzfahrerstaaten,  vornehmlich  für  die  Zeit 
Kaiser  Friedrichs  IL'  (BerÜn  1890).  Ueber  die  Herkunft  des 
Vf.  der  Schrift  handelt  gleichzeitig  Gas  ton  Paris  in  der 
'Romania  XIX,  99  ff.,  und  macht  durch  eine  glückliche  Con- 
jectur  sehr  wahrscheinlich,  was  übrigens  auch  Richter  schon 
vermuthet  hatte,  dass  er  aus  Novara  stammt. 

192.  Im  Bullettino  dell'  istituto  storico  italiano  n.  7  ver- 
öffentlicht L.  A.  Ferrai  eine  Abhandlung  über  den  Minoriten 
Benzo  von  Alessandria,  der  1284  im  heiligen  Lande  und 
später  Kanzler  der  Scaliger  war.  Von  einem  grossen  histo- 
risch-philosophischen Werke,  das  er  geschrieben  hat  und  das 
mit  dem  Speculum  des  Vincenz  von  Beauvais  vergHchen  werden 
kann,  hat  F.  den  ersten  Theil  in  einer  Ambrosianischen  Hs. 
aufgefunden. 

193.  Herr  Funck- Brentano  hat  in  einer  Anzeige  meiner 
Ausgabe  des  Nicolaus  von  Butrinto  (Bibl.  de  l'ec.  des 
chartes  1889  S.  245  ff.,  vgl.  N.  A.  XV,  429)  zehn  bei  einer 
Probevergleichung  meines  Textes  mit  der  Pariser  Hs.  gefundene 
Lesefehler  hervorgehoben.  Von  diesen  Berichtigungen  hat  nur 
eine  Fug  (diejenige,  die  ungefähr  das  schlimmste  Versehen 
trifft,  vorausgesetzt,  dass  die  anderen  überhaupt  zuzugeben 
wären;  F.-B.  selbst  sagt:  ^Ces  erreurs  sont,  assurement,  sans 
grande  importance'),  nämhch  die  zu  S.  9  Z.  23  (meiner  Aus- 
gabe), wo  'quod'  statt  'quos'  ein  Druckfehler  ist,  also  durch- 
aus mir  zur  Last  Mit.  Die  Lesung  des  Recensenten  S.  1  Z.  13 
'petandum'  (!)  statt  'petendum'  und  S.  5  Z.  3  'quam'  (als 
Relativpronomen  zu  'affectum'!)  statt  'quem'  beruht  auf  einer 
Verkennung  der  eigenthümlichen  e- Schreibung  der  Hs. ,  einer 
graphischen  Täuschung,  die  Jedem  bei  dieser  Hs.  anfanglich 
passieren  wird,  bis  längere  Beschäftigung  mit  ihr  von  selbst 
die  Berichtigung  giebt ;  zu  S.  1  Z.  15  und  S,  2  Z.  24  fordert 
F.-B.  geradezu  Unmöghches:  so  sei  im  letzteren  Falle  statt 
'venit  cum  centum  arm atis' zu  lesen 'venit  tarnen  cen- 
tum  armatis'  (das  bekannte  cü  und  tn!).  Um  mich  gegen 
die  übrigbleibenden  5  Berichtigungen  zu  vertbeidigen,  müsste 
ich  die  Pariser  Hs.  noch  einmal  sehen,  da  ich  sonst  seiner  Be- 
hauptung nur  meine,   allerdings  auf  zweifacher  Vergleichung 


618  Nachrichten. 

(Collation)  und  auf  Nachzeichnungen  gestützte  Ueberzeugung 
entgegenstellen  kann.  Doch  tröstet  mich  eins:  Bei  dreien 
dieser  letzten  5  'Versehen  hebt  F. -B.  hervor,  hier  habe  Baluze 
gegenüber  meinem  Text  das  Richtige.  Nim  trug  ich  aber 
selber  in  einen  Baluze'schen  Text  meine  Vergleichung ,  also 
auch  die  Abänderungen  gerade  dieser  Stellen  ein.  So  wird 
man  mir  vielleicht  Glauben  schenken,  dass  sie  nicht  auf  Flüch- 
tigkeit beruhen,  sondern  vielmehr  auf  sorgfältigerem  Aufmerken. 

Ed.  Heyck. 

194.  In  den  Mitth.  des  Instit.  f.  österr.  Greschichtsforschung 
XI,  121  f.  bringt  A.  Schulte  einige  Zeugnisse  über  den  Chro- 
nisten Jacob  von  Mainz  bei,  der  schon  1321  als  »ifFentlicher 
Notar  in  Speyer  nachweisbar  ist  und  noch  1360  am  Leben  war. 

195.  'Theoderici  de  Nyem  ('sive  de  Nieheim'  heisst 
es  in  der  Einleitung),  De  scismate  libri  tres'  hat  G.  Erler 
aus  der  einzigen  (einst  Pegauer)  Hs.  der  herzoglichen  Bibho- 
thek  zu  Gotha  neu  herausgegeben  (Leipzig,  Veit  &  Co.,  1890). 
Für  die  Herstellung  des  Textes  sind  ausserdem  benutzt  die 
editio  princeps  von  1532,  welche  auf  eine  unbekannte,  von  der 
Gothaer  nicht  allzusehr  verschiedene  Hs.  zurückgeht,  und  eine 
in  Stuttgart  beündliche  Hs.  Hermanns  von  der  Hardt,  welche 
die  ed.  pr.  copiert,  daneben  aber  auch  Lesarten  des  Gothaer 
und  eines  verlorenen  Paderborner  Codex  beibringt. 

196.  Eine  Leipziger  Dissertation  von  Robert  Geerds, 
das  'Chronicon  Sundense'  (Berlin  1889)  handelt  über  eine 
verlorene  Stralsunder  Stadtchronik,  mit  deren  Resten  sich  Kopp- 
mann früher  beschäftigt  hatte.  Abweichend  von  diesem  meint 
der  Verfasser,  sie  habe  ursprünglich  bis  1435  gereicht,  habe 
dann  eine  reichhaltige  Fortsetzung  bis  1458,  und  endlich  zwei 
weitere  Fortsetzungen  bis  1482  und  1534  erhalten.     O.  H.E. 

197.  Die  umfangreiche  und  fleissige  Arbeit  von  Karl 
Koehne,  'Der  Ursprung  der  Stadtverfassung  in  Worms,  Speier 
und  Mainz'  (Breslau,  Koebner  1890)  behandelt  in  ihrem  zweiten 
Anhang  Benennung  und  Datierung  des  Gesetzes  Bischof 
Burchards  von  Worms,  in  welchem  S.  15  ff.  in  scharf- 
sinniger Ausführung  Spuren  eines  in  der  Bildung  begriflfenen 
Kaufmannsrechts  von  Worms  nachgewiesen  werden.  Als  Ent- 
stehungsjahr des  Gesetzes  wird  1024  festgestellt.  Anhang  V 
bespricht  die  beiden  oft  untersuchten  Urkunden  K.  Hein- 
richs (VH.)  für  Worms  vom  August  1232  (B. -F.  4245.  4246) 
und  löst  den  zwischen  beiden  bestehenden  Widerspruch  durch 
die  Annahme,  dass  4246  nur  als  ein  von  der  bischöflichen 
Partei  entworfener,  vom  Kiinig  aber  nicht  genehmigter  Entwurf 
anzusehen  sei.  Durch  die  Art  der  Ueberlieferung  der  Urkunden 
wird  diese  Annahme  sehr  wahrscheinlich  gemacht. 


Nachrichteu.  619 

198.  Als  Beilagen  zu  der  sehr  beachtenswerthen  Arbeit 
von  E.  Liesegang  über  Recht  und  Verfassung  von  Rees 
(Westdeutsche  Ztschr.  Ergänzungsheft  VI.)  werden  das  älteste 
ReeserStadtrecht  und  eine  Anzahl  ungedruckter  Urkunden 
des  Reeser  Stadtarchivs  veröffentlicht. 

199.  Die  in  dieser  Zeitschrift  Bd.  XIV.  S.  251—342  und 
Bd.  XV.  S.  9—102  und  233-292  veröffentHchten  Aufsätze  sind 
soeben  in  Buchform,  um  etwa  vier  Druckbogen  erweitert, 
unter  dem  Titel  'Der  Streit  der  Bisthümer  Arles  undVienne 
um  den  Primatus  GalHarum.  Ein  philologisch -diplomatisch- 
historischer Beitrag  zum  Kirchenrecht'  ausgegeben  worden. 
Ich  bedauere,  dass  ich  auch  die  Gelegenheit  dieser  Sonder- 
ausgabe nicht  dazu  benutzt  habe,  da,  wo  ich  von  den  Datie- 
rimgen  im  Codex  Carolinus  und  der  Briefe  Leos  III.  spreche 
(S.  133  Anm.  5),  den  in  vier  Briefen  des  genannten  Papstes 
ersichtlichen  Abfertigungsvermerk:  'Absoluta'  mit  folgendem 
Monatstag  zu  erwähnen.  W.  Gundlach. 

200.  Im  Anschluss  an  die  obige  Miscelle  von  W.  Schmitz 
(S.  608  f.)  ist  ein  Aufsatz  von  R.  Röhricht  in  der  Ztschr.  f. 
Kirchengesch.  XI,  436  ff.  über  einen  vom  Himmel  ge- 
fallenen Brief  Christi  zu  erwähnen,  indem  über  Hss.  und 
Drucke  desselben  gehandelt  und  eine  griechische,  sowie  eine 
lateinische  Fassung  desselben  mitgetheilt  wird.  Die  Aus- 
führungen von  Schmitz  und  Röhricht  ergänzen  sich  gegenseitig. 

201.  In  der  Westdeutschen  Ztsch.  VIII,  335  ff.  bespricht 
H.  V.  Sauerland  die  ursprüngliche  Fassung  des  Trierer 
Silvester-Privilegs,  indem  er  feststellt,  dass  der  inBrowers 
Antt.  et  Ann.  Trevir.  gedruckte  Text  dieser  Fälschung  gar 
nicht  von  Brower  herrührt,  sondern  ein  Einschub  von  anderer 
Hand  ist,  welche  den  ursprünglichen  Text  Browers,  der  in 
seiner  autographen  Hs.  in  der  Trierer  Stadtbibliothek  über- 
liefert ist,  beseitigt  und  dafür  einen  neuen,  verkürzten  Text 
eingefügt  hat. 

202.  N.  Bubnow  hat  von  seiner  Monographie  über  Ger- 
bert (vgl.  N.  A.  XIV,  212)  die  erste  Abtheilung  des  2.  Bandes 
erscheinen  lassen  (Petersburg  1889),  welche  die  chronologische 
Untersuchung  über  Gerberts  Leben  von  982 — 987  enthält.  W.  W. 

203.  In  der  Bibliotheque  de  l'Ecole  des  Chartes  L  (1889), 
567  ff.  werden  aus  Hs.  n.  1029  der  Bibliothek  von  Chartres 
zwei  unedierte  Briefe  Silvesters  II.  an  den  Dogen  von 
Venedig  und  den  Patriarchen  von  Grado  abgedruckt,  welche 
in  lebhaften  Ausdrücken  die  Sittenverderbnis  des  venetianischen 
Clerus  anklagen  und  ein  Concil  zur  Abhülfe  derselben  an- 
ordnen.    Auch  zwei  bisher  unbekannte  Briefe  Paschais  IL 


620  Nachrichten. 

an  den  Bischof  von  Torcello   und  den  Patriarchen  von  Grado 
werden  abgedruckt. 

204.  Im  Programm  des  Humboldt- Gymnasiums  zu  Berlin 
Ostern  1890  (n.  n8)  veröffentlicht  R.  Röhricht:  kleine  Studien 
zur  Geschichte  der  Kreuzzüge.  S.  9  Avird  der  Inhalt  der  päpst- 
lichen Kreuzzugsbullen  besprochen,  S.  11  und  15  werden 
die  Quellen  für  die  Kreuzzüge  Ludwigs  IX.  zusammengestellt. 

205.  In  den  Sitzungsberichten  der  Berliner  Akademie 
1800,  IX,  S.  161  ff.  behandelt  W.  Wattenbach  die  bisher 
unbekannten,  aber  culturhistorisch  recht  interessanten  Briefe 
des  Canonicus  Guido  vonBazoches,  der  in  der  zweiten 
Hälfte  des  12.  Jhs.  Cantor  zu  Chrdons  war,  1190  aber  den 
Kreuzzug  Philipp  Augusts  mitgemacht  hat.  Sie  sind  in  einer 
Luxemburger  IIs.  überliefert,  und  wir  freuen  uns,  weitere 
Mittheilungen  aus  denselben  in  einem  der  nächsten  Hefte  dieser 
Zeitschrift  in  Aussicht  stellen  zu  können. 

206.  Eine  sehr  wichtige  Publication  sind  die  'Mittheilungen 
aus  dem  vaticanischen  Archiv',  herausgegeben  von  der  Wiener 
Akademie  (Wien,  Tempsky  1889),  deren  erster  von  F.  Kalten- 
brunner  bearbeiteter  Band  780  grossentheils  päpstliche 
Urkunden  zur  Reichsgeschichte  unter  Rudolf  I. 
und  Albrecht  I.  theils  vollständig  abdruckt,  theils  regestiert. 
Zahlreichen  Stücken  sind  ausführliche  und  sorgfältige  Erläute- 
rungen des  Herausgebers  beigegeben. 

207.  Ueber  die  Kl  ad  den  bände  des  14.  Jhs.  im  va- 
ticanischen Archiv  handelt  J.  Donabaum  in  einem  lehr- 
reichen Aufsatz  in  den  ]Mitth.  d.  Instituts  f.  österr.  Geschichtsf. 
XI,  101  ff.,  dem  ein  schönes  Facsimile  aus  einem  Concept- 
bande  Innocenz  VI.  beigegeben  ist.  Irrig  ist  es  aber,  wenn 
S.  105  die  auf  der  Rückseite  der  Concepte  sich  regelmässig 
findende  Sigle  R,  auf  welche  stets  der  Name  des  Grossators 
im  Vocativ  folgt,  nach  dem  Vorgange  Werimskys  mit  're- 
scribere'  gedeutet  wird;  die  unzweifelhaft  richtige  Auflösung 
'recipe'  hätte  Donabaum  aus  meiner  Urkundenlehre  I,  761  N.  4 
ersehen  können. 

208.  In  den  Mitth.  des  Instituts  f.  österr.  Geschichtsforsch. 
XI,  128  ff.  bespricht  Scheffer-Boichorst  ausführlich  die 
Schrift  Friedrichs  über  die  Konstantinische  Schen- 
kung, deren  von  seiner  eigenen  Untersuchung  abweichende 
Ergebnisse  er  durchaus  ablehnt.  —  Ebenda  S.  119  ff.  giebt 
derselbe  einen  Nachtrag  zu  seiner  Abhandlung  über  die  Schen- 
kung der  Gräfin  IVIathilde  an  den  h.  Stuhl,  in  welchem  er  aus- 
führt, dass  die  Nichterwähnung  dieser  Schenkung  in  der  Samm- 
lung des  Cardinais  Deusdedit  nicht  dagegen  zeugt,  dass  sie 
bereits  unter  Gregor  VII.  erfolgt  sei. 


Nachrichten .  62 1 

209.  In  den  Mitth.  des  Instituts  f.  österr.  Gesehichtsforsch. 
XI,  1  fF.  untersucht  G.  AVolfram  die  Urkunde  Ludwigs 
des  Deutschen  für  das  GlossindenkJoster  in  Metz  (Mühl- 
bacher n.  1474),  welche  in  zwei  Ausfertigungen  erhalten  ist, 
von  denen  die  eine  bisher  noch  nicht  gedruckt  war.  Das  Er- 
gebnis, welches  unter  Heranziehung  anderer  Metzer  Urkunden 
gewonnen  wird,  ist,  dass  beide  Fassungen  unter  Benutzung 
eines  echten,  jetzt  verlorenen  Diploms  Ludwigs  im  Anfang 
des  12.  Jhs.  gefälscht  sind. 

210.  In  den  Mittheilungen  aus  dem  Gerraan.  National- 
museum Jahrg.  1890  S.  1  ff.  beginnt  M.  Ben  d  in  er  die  Kais  e  r- 
urkunden  des  Museums  zu  verzeichnen  und  zu  beschreiben 
und  druckt  S.  11  das  Diplom  Heinrichs  IV.  für  Verdun  von 
1057,  das  er  für  unbekannt  hält,  während  es  doch  schon  in 
den  Mitth.  des  Inst.  f.  österr.  Geschichtsforsch.  VII,  459  — 
und  zwar  wesentlich  correcter  —  herausgegeben  ist. 

211.  G.  Tumbült  bespricht  in  der  Ztschr.  f.  Gesch.  des 
Oberrheins  V,  121  ff.  das  Diplom  Heinrichs  IV.  für  Speyer 
(St,  2682).  Dass  das  angebliche  Original  eine  Fälschung  ist, 
bestreitet  er  nicht,  inhaltlich  aber  wül  er  die  Echtheit  des 
Stückes  aufrecht  halten.  Als  vöUig  erledigt  kann  die  Frage 
durch  diese  Untersuchung  noch  nicht  gelten. 

212.  In  der  Ztschr.  f.  Gesch.  des  Oberrheins  N.  F.  V, 
11 9  ff.  theilt  A.  Schulte  aus  einer  Wiener  Hs.  eine  unedierte 
Urkunde  Heinrichs  V.  von  1114  für  Ebersheimmünster 
mit.  Bei  dieser  Gelegenheit  erwähnt  derselbe  S.  120  N.  1  die 
Auffindung  einer  Hs.  des  Chron.  Ebers heimense  im  Strass- 
burger  Bezirksarchiv.  Dieselbe  Hs.  enthält  auch  die  Grab- 
schrift der  Mutter  des  Abtes  Adelgaudus,  welcher  die  Krone 
des  Gegenkönigs  Rudolf  von  Rheinfelden  in  seinem  Kloster 
hatte  schmieden  lassen. 

213.  Bei  einer  Pariser  Autographen  -  Versteigerung  ist 
nach  der  Voss.  Zeitung  vom  13.  Dec.  1889  das  Original  einer 
Urkunde  Friedrichs  II.  vom  Nov.  1250  für  Uberto  Palla- 
vicini  für  206  Franken  verkauft  worden.  Abgedruckt  ist  die 
bisher  unbekannte  Urkunde,  die  wohl  auch  für  die  Datierung 
von  B.-F.  3832  in  Betracht  kommt,  in  der  Bibl.  de  l'Ecole 
des  chartes  L  (1889)  S.  672. 

214.  A.  Hub  er  hat  ein  Additamentum  primum  zu  den 
Regesten  Kaiser  Karls  IV.  herausgegeben,  welches  1467 
Nummern  enthält  (Innsbruck,  Wagner  1889). 

215.  In  den  Mittheilungen  des  Vereins  für  Geschichte 
der  Deutschen  in  Böhmen  XXVIII,  180  ff.  theilt  H.  Gradl 
aus  dem  Egerer  Stadtarchiv  eine  Urkunde  Karls  IV.  von 


622  Nachrichten. 

1347  und  eine  Anzalil  von  Urkunden  König  Wenzels  mit, 
die  bisher  unbekannt  waren. 

216.  Ueber  die  Erwerbung  des  Siegelstempels  eines 
Landfriedensgerichtes  aus  der  Zeit  König  Wenzels  berichtet 
A.  S  chulte  in  der  Ztschr.  f.  Gesch.  des  Oberrheins  N.  F.  V,  129. 
Dem  Könige  selbst  gehört  er  eigentlich  nicht  an,  und  schon 
deshalb  darf  er  nicht  mit  Schulte  als  der  älteste  erhaltene 
Siegelstempel  eines  deutschen  Königs  bezeichnet  werden,  auch 
abgesehen  davon,  dass  wir  ja  bekanntlich  die  Siegelplatte 
König  Lothars  II.  besitzen. 

217.  Von  dem  Wormser  Urkundenbuch  von  H.  ßoos 
ist  der  zAveite  sehr  umfangreiche  Band  erschienen,  der  bis  1400 
geht.  Beigegeben  sind  zahlreiche  Nachträge  und  Berichtigungen 
zum  ersten  Bande,  in  welchen  auf  die  in  verschiedenen  Recen- 
sionen  erhobenen  Ausstellungen  gewissenhaft  Rücksicht  ge- 
nommen worden  ist. 

218.  Der  23.  Band  der  Geschichtsquellen  der  Provinz 
Sachsen  enthält  den  ersten  Theil  eines  Urkundenbuchs 
der  Stadt  Erfurt  (bis  zum  J.  1320),  bearbeitet  von  Carl 
Beyer. 

219.  Sonstige  neue  Urkundenbücher:  E,  An  emulier, 
Urkundenbuch  des  Klosters  Pauliuzelle,  Heft  I,  1068—1314. 
(Auch  u.  d.  T.  'Thüring.  Geschichtsquellen  N.  F.  IV.')  (Jena, 
Fischer  1889).  —  Westfälisches  Urkundenbuch  IV.  Bd.,  3.  Abth., 
1.  Heft,  bearbeitet  von  H.  Finke  (enthält  die  Paderborner 
Urkk.  von  1251  an),  Münster,  Regensberg  1889. 

220.  In  der  Ztschr.  für  Geschichtswissenschaft  II,  341  flF. 
giebt  E.  Sackur  in  einem  Aufsatz  über  den  Streit  zwischen 
den  Klöstern  Waulsort  und  Hastiere  einen  interessanten  Bei- 
trag zur  Geschichte  der  mittelalterlichen  Urkundenfäl- 
schungen. Bemerkens werth  ist,  dass  Wibald  von  Stablo 
bei  diesen  Fälschungen  die  Hand  im  Spiele  gehabt  zu  haben 
scheint.  Auch  die  Kritik  der  Vita  S.  Forananni  und  der 
Historia  Walciodorensis  wird  durch  den  Aufsatz  erheb- 
lich gefördert. 

221.  In  der  Ztschr.  f.  Gesch.  des  Oberrheins  N.  F.  V, 
29  ff.  veröffentlicht  H.  Haupt  eine  Anzahl  von  Urkunden 
(1377  ff.)  aus  dem  Stadt-  und  Bezirksarchiv  zu  Cohnar  als 
Beilagen  zu  einer  Abhandlung  über  das  Schisma  des  aus- 
gehenden 14.  Jahrhunderts  in  seiner  Einwirkung  auf  die  ober- 
rheinischen Landschaften. 

222.  Als  XV.  Band  des  Cod.  dipl,  Silesiae  sind  erschienen 
Acta  Nicolai    Gramis.     Urkunden   und   Actenstücke,   be- 


Nachrichten.  623 

treffend  die  Beziehungen  Schlesiens  zum  Baseler  Konzile,  her- 
ausgegeben von  W.  Alt  mann   (Breslau,  Max  &  Co.,  1890). 

223.  Im  Archiv  f.  österr.  Gesch.  LXXV,  290  ff.  veröffent- 
licht J.  Loserth  als  weiteren  Beitrag  zur  Geschichte  der 
hussitischen  Bewegung  die  Streitschriften  und  Unions- 
verhandlungen zwischen  Katholiken  und  Hussiten  in  den  Jahren 
1412  und  1413. 

224.  Im  Archiv  f.  österr.  Gesch.  LXXV,  1  ff.  veröffent- 
licht A.  Bachmann  eine  Abhandlung  über  'die  deutschen 
Könige  und  die  kurfürstliche  Neutralität  (1438—1447)',  welcher 
aus  Dresdener  Archivalien  eine  Anzahl  wichtiger  Urkunden 
und  Actenstücke  beigegeben  sind. 

225.  Im  Archiv  für  Literatur-  und  Kirchengeschichte  V, 
Heft  2  publiciert  P.  Heinrich  Denifle  zahlreiche  Acten- 
stücke zur  Geschichte  der  Universitäten  im  Mittel- 
alter. Derselbe  ediert  im  3.  Heft  desselben  Bandes  einen 
Katalog  der  Pariser  Magister  der  Theologie  des  Carmeliter- 
ordens  und  ein  Verzeichnis  der  Generalcapitel  desselben  Ordens, 
beide  bis  1361.  Derselbe  erweist  aus  der  Unterschrift  einer 
Predigt,  die  er  abdruckt,  dass  Meister  Eckehart  'von  Strass- 
burg  ein  Thüringer,  aus  Hochheim  bei  Gotha  gebürtig  war. 
Franz  Ehrle  gab  ebenda  die  interessantesten  Partieen  der 
Acten  des  1408  von  Papst  Benedict  XIII.  zu  Perpignan 
abgehaltenen  Konzils  heraus,  die  für  die  Geschichte  des 
grossen  Schismas  von  bedeutendem  Werth  sind.      0.  H.-E. 

226.  Im  Archivio  storico  della  R.  Societä  Romana  XII, 
63  ff.  veröffentlicht  E.  Stevenson  als  Vorarbeit  zu  dem  er- 
sehnten 'Codice  diplomatico  di  Roma'  eine  Anzahl  bisher  gar 
nicht  oder  mangelhaft  gedruckter  Urkunden  des  Capitel- 
archivs  zu  Velletri  seit  dem  10.  Jahrh.  Ebenda  S.  199  theilt 
de  Rossi  eine  interessante  Schenkungsurkunde  über  römische 
Besitzungen  an  St.  Donat  von  Arezzo  (1051)  mit. 

227.  In  derselben  Zeitschrift  XII,  241  ff.  giebt  G.  Levi 
eine  Anzahl  von  bisher  unbekannten  Urkunden  heraus,  welche 
werthvoUe  Aufschlüsse  über  die  Thätigkeit  des  Cardinais  U  g  o  - 
lino  von  Ostia  in  Toscana  und  der  Lombardei  seit  1217  bieten. 

228.  Im  N.  A.  XIII,  245  ist  v.  Druffeis  abfälliges  Urtheil 
über  Pastors  Geschichte  der  Päpste  und  die  darin  enthaltenen 
Urkundenbeilagen  erwähnt  worden.  Gegen  diesen  Angriff  hat 
sich  Pastor  in  einem  —  auch  separat  versandten  —  Nach- 
wort zum  2.  Band  seines  Werkes  (38  S.)  vertheidigt  und 
manche  Ausstellungen  Druffeis  widerlegt. 

229.  Die  'Romanischen  Forschungen  V,  1  enthalten  von 
O.  Brenner  eine   auch   für   die  Diplomatik  interessante  Ab- 


624  Nachrichten. 

handliing  'Ein  Capitel  aus  der  Grammatik  der  deutschen  Ur- 
kunden'. 

230.  Eine  eingehende  und  sorgfaltige  Untersuchung  über 
den  Codex  traditionum  Odalberti  (archiep.  SaUsburg.) 
veröffentlicht  W.  Erben  in  den  ^Mittheilungen  der  Gesellschaft 
für  Salzburger  Landeskunde,  ßd.  XXIX. 

231.  In  der  Ztschr.  des  Aachener  Geschichtsvereins  XI, 
96  ff.  veröffentlicht  und  commentiert  H.  Loersch  ein  Ver- 
zeichnis der  Einkünfte  der  Katharinen- Kapelle 
beim  Aachener  Münster  aus  dem  Ende  des  14.  Jhs.,  das 
für  die  Geschichte  Aachens  im  späteren  Mittelalter  werthvolle 
Beiträge  giebt. 

222.  In  den  Mclanges  d'archeologie  et  d'histoire  T.  IX. 
berichtet  Paul  Fahre  über  ein  für  die  Geschichte  des  Kirchen- 
staats sehr  wichtiges  Registrum  curiae  patrimonii 
b.  Petri  in  Tuscia,  das  1354  geschrieben  ist,  aber  z.  Th. 
auf  ältere  Aufzeichnungen  zurückgeht.  Die  Rubriken  des  Re- 
gisters und  Regesten  einzelner  in  demselben  copierten  Urkunden 
werden  mitgetheilt. 

233.  H.  Markgraf  und  J.  W.  Schulte  publicieren  u. 
d.  T.  'Liber  fundationis  episcop  atus  Vratislaviensis' 
(Breslau,  Max  &  Co,  1889)  aus  einer  Leidener  IIs.  ein  bisher 
unbekanntes  Einnahmeregister  des  Bisthums  Breslau  aus  dem 
Anfange  des  14.  Jahrhunderts. 

234.  B.  Haur('au  hat  im  weiteren  Verfolg  seiner  so  sehr 
verdienstlichen  Untersuchungen  über  mittelalterliche  Dichtungen 
jetzt  alle  die  ausserordentlich  zahlreichen  Stücke,  welche  in 
Handschriften  und  Drucken  dem  h.  Bernhard  zugeschrieben 
werden,  einer  scharfen  Kritik  unterzogen,  wobei  er  zu  dem 
Resultat  kommt,  dass  gar  nichts  davon  mit  Recht  für  ihn  in 
Anspruch  genommen  werden  kann.  Positiv  aber  ist  die  Fülle 
literarischer  Nachweise  über  alle  hier  behandelte  Dichtungen 
von  grossem  Werth.  Der  Titel  ist:  'Des  poemes  latins  attri- 
bues  ;i  Saint  Bernard'  (Paris,  KHncksieck  1890).        W.  W. 

235.  In  den  Travaux  et  memoires  des  facult(5s  de  Lille 
T.  1  n,  3  (Lille  1889)  beschreibt  Paul  Fahre  eine  interessante 
Hs.  der  Stadtbibliothek  zu  Cambrai  (n.  512  s,  XII.),  welche 
nach  den  Briefen  Ivo's  von  Chartres  das  zwischen  1140  und 
1143  geschriebene  Polyp ti cum  des  Benedictus,  Canonicus 
von  St.  Peter  zu  Rom,  in  weniger  unvollständiger  Ueberliefe- 
rung  bietet,  als  diejenige  der  bisher  bekannten  Hss.  ist.  Voll- 
ständig mitgetheilt  werden  das  'Curiosura  urbis  regio- 
num  XIV.  cum  breviariis  suis'  und  eine  Reihe  ausserordent- 
lich  merkwürdiger  Aufzeichmmgen   über  römische   Volksfeste 


Nachrichten.  625 

des  Mittelalters.  Bei  dem  Fest  der  Cornomanie  wurden  vom 
Papst  nicht  unerhebliche  Geldbeträge  ausgetheilt,  ein  Brauch, 
der  unter  Gregor  VII.  abkam,  'postquam  expendium  guerre 
crevit'5  wenn  Fahre  annimmt,  das  ganze  P'est  sei  damals  ausser 
Uebung  gekommen,  so  folgt  das  aus  den  Worten  des  Textes 
nicht  und  ist  deshalb  unwahrscheinHch,  weil  noch  der  Name 
Innocenz  II,  unter  dem  Benedict  schrieb,  in  die  Hymnen  ein- 
gefügt ist.  Sehr  interessant  sind  die  bei  diesem  und  anderen 
Festen  gesungenen  lateinischen  und  griechischen  Früh- 
ling slieder;  die  griechischen  Texte  hat  Benedict  in  starker 
Verstümmelung  transscribiert ,  Fahre  aber,  wenigstens  zum 
grössten  Theil,  wiederherstellen  können.  Ein  Lied  der  Schüler 
um  Mittfasten  erinnert,  worauf  schon  F.  hingewiesen  hat,  an 
unser  'Gaudeamus  igitur'. 

236.  Von  erheblicher  Wichtigkeit  für  die  Kritik  der 
Necrologien  und  Confraternitätsbücher  ist  eine  Mün- 
chener theologische  Dissertation  von  A.  Ebner:  'Die  klöster- 
lichen Gebetsverbrüderungen  bis  zum  Ausgange  des  karolin- 
gischen  Zeitalters'  (ßegensburg,  Pustet  1890).  Die  den  weit- 
schichtigen und  zerstreuten  Stoff  mit  grosser  Gelehrsamkeit 
beherrschende  Arbeit  soll  fortgesetzt  werden;  hoffentlich  er- 
halten wir  bei  der  Fortsetzung  ein  Register  der  besprochenen 
libri  vitae,  Necrologien  u.  s.  w. ,  das  man  bei  dem  jetzt  vor- 
liegenden Theile  ungern  vermisst. 

237.  In  den  Mitth.  des  Instit.  f.  österr.  Geschichtsforsch. 
XI,  123  ff.  giebt  A.  Schulte  einige  Berichtigungen  und  Er- 
gänzungen zu  Pipers  Ausgabe  der  Verbrüderungsbücher 
von  St.  Gallen  und  Reichenau,  wobei  er  die  Frage  auf- 
wirft, ob  nicht  einzelne  Blätter  des  St.  Galler  Verbrüderungs- 
buches anderswo,  im  Elsass,  entstanden  sind. 

238.  Im  Archiv  f.  Österreich.  Geschichte  LXXV,  237  ff. 
veröffentlicht  B.  Seh  roll  Necrologien  des  Capitels  der 
regulierten  Chorherren  von  Gurk. 

239.  In  den  (belgischen)  Comptes  rendus  des  seances  de 
la  Commission  royale  d'Histoire  IV.  serie,  t.  XVI,  283—371 
veröffentlicht  G.  Gelliordts  van  Severen  das  Obituaire 
de  St.  Donatien  zu  Brügge. 

240.  In  der  Deutschen  Stenographenzeitung  1889  S.  280  f. 
bespricht  W.  Schmitz  eine  Abhandlung  von  F.  Ruess  über 
die  ti ronischen  Endungen  als  einen  werthvollen  Beitrag 
zur  Systemkunde  der  tironischen  Noten.  Sie  ist  enthalten  im 
Programm  des  Münchener  Luitpoldgymnasiums  für  das  Studien- 
jahr 1888/89. 

241.  Mit  Unterstützung  der  Berliner  Akademie  der  Wissen- 


626  Nachrichten. 

Schäften  hat  W.  Schmitz  aus  dem  Leidener  Cod.  Voss.  lat. 
fol.  94  den  ursprünglichen  Text  von  Chrodegangs  Regula 
canonicorum  herausgegeben.  Der  Anfang,  der  in  der  Hs.  fehlt, 
ist  aus  dem  Abdruck  bei  Migne  89,  1097  ff.  ergänzt,  und  die 
Varianten  eines  zweiten  Leidener  Codex  (Bibl.  Publ.  lat.  81), 
der  einen  nur  wenig  interpolierten  Text  bietet,  sind  beigefügt. 
Dem  vorti-efflich  ausgestatteten  Abdruck  (Hannover,  Hahn  1889) 
sind  17  Lichtdrucktafeln  beigegeben,  was  um  so  willkommener 
ist,  da  der  Vossianus  zu  gutem  Theil  in  tironischen  Noten  ge- 
schrieben ist,  welche,  wie  Schmitz  bemerkt,  'in  der  ausführ- 
lichen Gestaltung  der  titula  mancherlei  Neues  darbieten'. 

242.  In  der  'Geschichte  der  deutschen  Kunst'  (Grotescher 
Verlag)  ist  die  Malerei  von  Prof.  Janitschek  bearbeitet,  mit 
sehr  eingehender  Behandlung  der  Miniaturen  in  Handschriften, 
erläutert  durch  zahlreiche  Nachbildungen.  Viele  davon  sind 
Handschriften  der  'Hamilton -Erwerbung'  im  Berliner  Kupfer- 
stichkabinet  entnommen,  die  sich  leider  nicht  mehr  dort  be- 
finden; dazu  gehört  auch  die  oben  S.  208  erwähnte  n.  120  mit 
AViedcrholurjg  des  dort  besprochenen  Bildes,  Leider  findet 
sich  da  S.  lo3  auch  der  Irrthura  wiederholt,  dass  die  Verse 
an  den  Papst  Alexander  III.  gerichtet  wären,  und  der  Ursprung 
wird  ohne  Andeutung  eines  Zweifels  nach  Ottobeuern  gesetzt. 
Es  gab  aber  mehrere  Klöster,  deren  Schutzpatron  dieser 
Alexander  war.  W.  W. 

24'^.  Alle  für  die  Kedjiction  des  N.  A.  bestimmten 
Sendimijeii  bitten  wir  von  Jetzt  nh  zu  adressieren  an  Prof. 
H.  Bresslau,  Strassburg  i.  K.,  Nicolansring  1. 


Nachträge  und  Berichtigungen. 


N.  A.  Xni,  358.     Zu    den    2  Versen    'Dum    tua   bursa'    habe    ich 
ebenfalls  eine  andere  Ueberlieferung  gefunden  in  dem  von  E.  Voigt  heraus- 
gegebenen 'Florilegium  Gottingense'  ('Romanische  Forsch.'  III,  286)  n.  37: 
'Cum  tua  bursa  sonat,  comitem  te  turbajcoronat; 
Exhausto  sonitu  fies  comes  ipse  tibi  tu'. 
p,  359.     Ebendaselbst    findet    sich    auch    das    Verspaar   'Si    oecus 
eecum'  mit  geringen  Abweichungen  n.  241   (p.  303) : 
'Si  cecus  cecum  conatur  ducere  secum, 

Ambo  iure  cadunt,  quoniam  sine  lumine  vadunt'.  E.  D. 

N.  A.  XIV,  255  Z.  3 :  statt  Lupicius  1.  Lupicinus. 
N.  A.  XIV,  286  N.  5  ist  irrthümlich  die  Fortsetzung  der  Anmerkung 
abgestossen  worden:  'eins  zu  niedrig  bezeichnet:  LIII  und  LIIII  statt 
LIV  und  LV.  Auch  in  dieser  Hs.  wird  der  IV.  Brief  durch  'item  alia 
epistola'  eingeführt  und  durch  'explicit'  beschlossen;  wie  in  Cod.  5537 
ist  ferner  neben  der  Nummer  des  letzten  Briefes  'exempla  epistolae'  zu 
finden,  was,  wie  ich  oben  S.  278  N.  2  schon  vermuthet  habe,  vielleicht 
aus  'expliciunt  epistolae'  verschrieben  ist'. 

N.  A.  XIV,  291  N.  1  Z  5  1.  5537  statt  5587. 
„         „      305  Z.  4  1.  3887  statt  3886. 

„      307  N.  1  1.  XXVII  statt  XXVIII. 
„         „      308  N.  Z.  6  v.  u.  1.  'in  der  Hs.'  statt  'in  den  Hss.' 
„         „      310  Z.  3  V.  u.  muss  die  Klammer  (J.  -K.  946)  vor  »  ent- 
fernt und  zwei  Zeilen  höher  vor  ^  eingeschaltet  werden. 
„         „       311  N.  Z.  6  V.  u.  1.  'legaris'  statt  'legabis'. 
„         „      319  N.  Z.  1  V.  0.  1.  'den'  statt  'dem'. 
„         „      321   N.  2  Z.  6  V.  u.  sind    die    irrthümlich    wiederholten 
Wörter:  'fehlt!).  623.  624.  Dens  te  praestet  incolumem, 
frater  carissime'  zu  streichen. 
„         „      323  N.  1.  'unter  Vigilius  mit  932'  statt  'unter  Johann  II.' 
„         „      324  letzte  Zeile  1.  891   statt  892. 
„         „      325  Z.  3  V.  u.  1.  553  statt  533. 
N.  A.  XV,  25  Z.  6  V.  u.  und  S.  44  Z.  16  1.  2059  statt  2051. 
„         „      33  Z,  11  1.  'Johann  X.'  statt  'Johann  IX.' 
„         „      34  N.  4  1.  'Johanns  IX.'  statt  'Johanns  X.' 
„         „      42  Z.  19  1.  5247  statt  5147. 
„         „      47  Z.  9  1.  'Leo  III.'  statt  'Hadrian'. 
„         „      52  Z.  6  1.  'Johann  IX.'  statt  'Johann  X.' 
„         „      74  N.  1  1.  794  statt  799. 
„         „      81   N.  2  1.  5350  statt  5050. 

„         „      253  N.  1  1.  'zuerst  von  Leo  VII.'  statt  'Leo  VIII.' 
„         „      268  Z.  5  1.  'zweite'  statt  'dritte'. 


Register. 


A. 

Absalon  von  St.  Amand  442. 

Acta  Nicolai  Graniis  G62  f. 

Adahandschrift  435. 

Adalbold  von  Utrecht  229. 

Adam  von  Bremen  427. 

Ademar  von  Chabannes  427. 

Adoni.s  Martyrologium  316. 

Adso  von  Montier- en  -  Der   195. 

Aedelwulf  228. 

Aeneas  Sylviu.s  424. 

Albericus  von  Monte  Cassino  221. 

Alcuin  442, 

Altfrid  von  Münster  194. 

Amarcius  229.  435. 

Andreas  von  Marchiennes  453  ff. 

Annales  Alamannici  32G;  Altahenses 
maiores  587 ft'.;  Augienses  324  flf.; 
Colonienses  329;  Cremonenses 
479;  Egmundani  427;  Einhardi 
426;  Ellwangenses  215;  Foro- 
inlienses  478  ff.  483  ff. ;  Fuldenses 
330.  424.  590  ff.;  Hersfeldenses 
329;  Karolingische  616;  Lau- 
bienses327;  Laureshamenses425; 
Laurissenses  211.  426;  Magde- 
burgenses  300;  S.  Maximini  326; 
Mettenses  310.  557  ff.;  Neres- 
heimenses  215;  von  Orvieto  215; 
Prumienses  318  f.;  Romaci  616; 
Sangallenses  maiores  328;  Stabu- 
lenses  318  f.;  Veronenses  et  Man- 
tuani  482;  Xantenses  424. 

Aunalista  Saxo  296.   299. 

Ansegisi  Coli.   Capit.   209. 

Auso  von  Lobbes   194. 

Apollo  von  Vilbel  216. 

Arnulf  von  Mailand   192. 

Astronom!  Vita  Ludovici  Pii  207. 


B. 

Baudemund  441. 

Benzo  von  Alessandria  617. 

r.crnhard  von  Clairvaux  230.428.61  C. 
624. 

Bernold   210.   214. 

Beschwörungsformel   604. 

Bibliotheken  s.  Handschriften  und 
Catalogi. 

Bibliotheksordnung  aus  Klosterneu- 
burg 208. 

Bonifatius  7. 

Boso,  Cardinal  616. 

Brescia,  Liber  confraternitatis  231. 

Breslau,  Liber  fundationis  624. 

Breviarium  monasterii  cuiusdam  S. 
Alexandri  208.   626. 

Brügge,   Necrolog  625. 

Buoncompagno  aus  Florenz  221, 

Burchard,  Notar  Friedrichs  I.  428. 
—  Vitzthum  von  Strassburg  428. 

Burchard  von  Ursperg  616. 

c. 

Cantinelli,  Petrus  480  ff. 

Carmina  Aedelwulf]  228  f.;  ex  mon. 
S.  Amandi  441  ;  S.  Bernhardi  624; 
Bononiensia  435;  Fulquini  442; 
de  pace  Veneta  435;  Pauli  Dia- 
coni  201 ;  Romana  625;  de  hello 
Saxonico  3.  5.  213;  codicis  Tu- 
ricensis  396  ff.     s.   auch  Versus. 

Cassiodorus  3.   182  ff.  211.  614. 

Catalogus  archiepp.  Rothomagensium 
614. 

Catalogi  bibliothecarum  medii  aevi 
210.  613. 

ChrodegangiRegulacanonicorum626. 

Chronica   Aquileiensia  477  ff. ;    reg. 


Register. 


629 


Coloniense  428;  Ebersheimense 
621;  Elwacense  215;  fratris  Mi- 
norum  Heinrici  428;  Galfridi  le 
Baker  de  Swinburne  429;  illorum 
de  lä  Scala  478;  imperatorum 
Regiense  145;  Marchianense  443. 
452  if.;  Sundense  618;  Turonerise 
195;  Urspergense  618;  Viterbi- 
ense    215. 

Chronik  des  Antonius  Godi  479  ;  des 
Franciscus  de  Rivo  209 ;  des 
Jacobus  Malvezzi  479;  des  Ro- 
mano 479  f. 

Chronographus  Corbeiensis  370  if. 

Claudianus  3. 

Codex  Carolinus  28  ff. 

Codex  traditionum  Odalberti  archiep, 
Salisburg.   624. 

Cola  di  Rienzi   221. 

Colleetio  Avellana221  ;  Hispana313. 

Colurabanus  485.  498  ff. 

Compendium  rerum  Vicentiuarum 
479. 

Conciliorum  acta  61  ff.  210.  275  ff. 
314.  320  f.  444.  623. 

Constantinische  Schenkung  222.  620. 

Curiosum  urbis  Romae  624. 

D. 

Damiani,  Petrus  209. 

Dante  216. 

Desiderius  von  Cahors  7. 

Desiderius  von  M.   Cassino   195. 

Deutsche  Urkunden   623  f. 

Dialogus    super   auctores    s.  Konrad 

von  Hirschau. 
Dicta    Merlini    de    primo    Friderico 

et  secundo   145  ff.   174  ff. 
Dietrich   von  Nieheim  (Niem)    221. 

429.  618. 
Dino  Compagni  428. 
Diplomata  s.  Kaiserurkundeu. 

E. 

Ebulo,  Petrus  de,  387  ff. 
Edictum  Theoderici  6. 
Edictus  Rothari  217. 
Egbert  von  Lüttich  229. 
Einhardus  426,  616. 
Ellwangen,  Necrolog  215. 
Enikel  5. 
Ennodius   425. 

Epistulae    Äbsalonis    de   S.  Amando 
441^;  Alcuini  442;  Arelatenses  et 
Neues  Archiv  etc.     XV. 


Viennenses    7.    11  ff.    235  ff.  619; 
Bonifatii  7;  de  caelo  lapsae  602  ff, 
619;  Colae  di  Rienzi  221;  Colum- 
bani  499  ff. ;    Desiderii  Cadurcen- 
sis  7;     Gerberti    223.   619;     Gui- 
donis    de    Bazoches  620;    Leodi- 
censium  ad  Traiectenses  196;  Na- 
poleonis    Ursiui    430;    Lupi    442 
Petri  Candiani  209;   Petri  Dami 
ani    209;     Petri     de    Vinea    430 
Sigewaldi  Aquileiensis  442;    Wi- 
baldi  Stabulensis  373  ff.;  Wibert 
Gemblacensis    429.   614;    s.  auch 
Papstbriefe;  Registrum. 

Epternach,  Necrolog  132  ff. 

Ermenrich  von  Elwangen  215. 

Eutropius   153. 

Evangeliarium  Atrebatense  232;  der 
Hamiltonsammlung  231;  s.  auch 
436. 

Exceptiones  Petri  434. 


F. 


Fecunda  Ratis  229. 

Fillastre,  Cardinal  429. 

Flodoard   609. 

Formularbücher,    italienische    221  ; 

Rudolfs  von  Habsburg  222. 
Fortunatus  s.  Venantius. 
Francesco  di  Andrea  di  Viterbo  215. 
Fredegar  615. 

Fulquin  von  St.  Amand  441. 
Fundatio  mon.  Oetenbacensis  216. 

G. 

Galfridus  le  Baker  de  Swinburne  429. 
Genealogia  Dagoberti  559  ff. ;  Karo- 

lorum  559  ff. 
Gerbert  223.  619. 
Gerlach  von  Mühlhausen  424. 
Gesta   Dagoberti    313.   317;    Fran- 

corum  et  Hierosolymitanorum  427. 

616;  regum   Francorum  615. 
Gestes   des  Chiprois  617. 
Gislebert  von  Mons  215.  428. 
Godescalci  Vita  S.  Lamberti  315. 
Godi,  Antonius  480. 
Gonzo  615. 

Gregorius  Turonensis   184. 
Guido  von  Bazoches  620. 
Guise,  Jacques  de  4.  439  ff.  446  ff. 
Gurk,  Necrolog  625. 

41 


630 


Register. 


H. 

Handschriften  von  Bologna  481; 
Brescia  479;  Brüssel  614;  Char- 
tres  614;  Cheltenham  424.  614; 
der  Sammlung  Desnoyers  209; 
Douai  442  f.;  Gubbio  480  f. ;  der 
Hamiltonsammlung  231;  Mailand 
479  f.;  St.  Omer  443;  Padua  478. 
482;  Stuttgart  209.  385  f.;  Udine 
478;  Valenciennes  439  ff. ;  Vene- 
dig 477f.  483;  Verona  479.  481  f.; 
Vicenza  478. 

Heitonis  Visio   VVettini  318. 

Hermann  von  Reichenau  215. 

Hersfeldische  Historiographie  427. 

Hieronymus  3.  232.  385. 

Historia  translationis  coronae  Do- 
mini 479. 

Historia  Walciodorensis  622. 

Hrotsuit  569. 

Hugbaldi  carmen  de  laude  calvorum 
441. 

Hugo  von  Flavigny   12. 

I.    J. 

Jacob  von  Mainz  618. 
Jacobus  Mulvezzi  479. 
Jacques  de  Guiae  4,  439  flf.  444  f. 
Inquisitionshandbuch  231. 
Joachim  von  Fiore    144  0". 
lohannes  Biclarensis  210. 
Johannes  von  Bologna  209. 
Johannes  von  Cermenate  216. 
lonae  Vita  S.  Columbani  315. 
lordanes   583  f.   616. 
lotsaldus  117  fl\  209. 
Istorie  Pistolesi   117  flf. 

E. 

Kaiserchronik  5. 

Kaiserurkunden    3.    6.    136  flf.    209. 

224  flf.  338.  358.  365  flf.  408.  425. 

431  flf.  575  ff.   592  flf.    618.   621  flf. 
Karolingische  Annalen  616. 
Konrad  von  Hirschau  425. 

L. 

Lambert  von  Hersfeld  213. 

Legendae  S.  Francisci  597  flf. 

Leges  Alamannorum  3.  5.  218; 
BurchardiWormatiensis  618;  Bur- 
gundionum  6 ;  Romana  Curiensis 
6.  202.  218.  423;  Wisigothorum 
6.  218. 


Lex  legum  breviter  facta  217. 
Liber    cancellariae    apostolicae   221. 

417  flf. 
Liber    censuum    ecclesiae    Romanae 

230. 
Libri  confraternitatum  625;  Sangal- 

lensis    et   Äugiensis    625 ;    Brixi- 

ensis  231. 
Liber  diurnus  219  f. 
Liber  fundationis  ep.  Vratislaviensis 

624. 
Liber  pontificalis  312.  616. 
Liber  regiminum  Paduae  482. 
Liudprand    von  Cremona    424.  426. 
Lupi  epistolae  442. 

M. 

Mabillons  Briefe  425. 

Martin  von  Troppau  153.  482. 

Martyrologium  Ädonis  316. 

Merlini  dicta   145  flf.    174  flf. 

Mlco  diaconus  229. 

Milo  von  St.  Amand   7.  441. 

Miracula  S.  Gengulphi  614;  S.  Lau- 

nomari    441;    S.   Maioli    117;    S. 

Rictrudis  447  f. 
Monachus  Sangallensis  569. 

N. 

Necrologia  625;  S.  Donatiani  Bru- 
gensis  625;  Elwacense  215;  Ep- 
ternacense  132  flf. ;  Gurcen8e625; 
mon.  S.  lohannis  Bapt.  in  Veld- 
kirch  385 ;  Salisburgensis  dioe- 
cesis  7.  424;  Tirolensia  425; 
S.  Vitoni  Virdunensia  126  flf.  608  flf. 

Nicolaus  von  Butrinto  429.  617. 

Nicolaus  Gramis  622  f. 

Nicolaus  von  Jeroschin   385. 

Nicolaus  Smereghus  480. 

Nithard   207.  569. 

Notae  Tironianae  602  flf.  625. 

Notitiae  S.  Georgii  inNigraSilva216. 

0. 

Odalbert  von  Salzburg,  Codex  tra- 
ditionum  624. 

Odilo  von  Cluny   117.   195. 

Origo  gentis  Langobardorum  613. 

Orosius  209. 

Otackers  Reimchronik  5, 

Othloh  von  St.  Emmeram  336  flf. 

Ottonianum  Privilegium  eccl.  Ro- 
manae  575  flf. 


Register, 


631 


P. 

Padua,  Liber  regiminum  482. 
Papstbriefe  und  -Urkunden  7.  23  fif. 

187  ff.  203  ff.  209.  223.225.313. 

385.    430  ff.    479.    593  ff.     619  ff. 

s.  auch  Eegistrum. 
Parisius  von  Cereta  482. 
Passio  S.  Salvii  martyris  441. 
Paul  von  Bernried  427. 
Paulus  Diaconus    199  ff.  211.  585  f. 

615. 
Petrus   Candiani  209. 
Petrus  Cantinelli   480  ff. 
Petrus  Damiani  209. 
Petrus  de  Ebulo  387  ff. 
Petrus  de  Vinea  430. 
Philippe  de  Novaire  617. 
Pippinische  Schenkung  223. 
Planctus  lotsaldi  117.   121.  209. 
Polypticum  Benedicti  Romani    624; 

Marchianense  443.  461  ff. 
Professio  fidei   Bonifatii  VIII.   430. 
Prora  et  Puppis  229. 


R. 

Rangerius  von  Lucca  426. 
Recognitiones  S.  Clementis  386. 
Rechnungen    des    päpstlichen   Hofes 

230 ;  des  Halberstädter  Dombaus 

231. 
Reeser  Stadtrecht  619. 
Regesten  des  Kaiserreichs  433.  621 ; 

andere  433  f. 
Reginbert  von  Reichenau  229. 
Regino  von  Prüm  5.  296  ff.  386. 
Registrum  Clementis  V.    223;    Gre- 

gorii  I.  7.  207.  222.  409  ff.  529  ff. 

600  f.;    Gregorii  VII.  35  ff.;    Ho- 

norii  IV.  223;  Urbani  IV.  223. 
Registrum  curiae  patrimonii  Tusciae 

624;  proventuum  Balduini  Treve- 

rensis  230;  proventuum  S.  Catha- 

rinae  Aquensis  624. 
Riccobaldus  Ferrarieusis  482. 
Rienzi  221. 
Rodulfus  Glaber   212. 
Romano,  Chronik  des  479  f. 
Rouen,  Erzbischofskatalog  614. 
Rudolfi     et    Meginhardi     Translatio 

S.  Alexandri  207, 
Rudolf  Losse  434. 


S. 
Sächsische  Stadtbücher  219. 
Salimbene   144  ft'.  216. 
Schwabenspiegel  219.  385.  434, 
Scriptores  historiae  Augustae  210. 
Sedulius  Scotus  232. 
Sibyllae   145  ff. 
Siegel  228.  434,  622, 
Sigebotonis  Vita  Paulinae  427. 
Sigewald  von  Aquileja  442, 
Statuta  ord.   Cisterciensium  209, 
Sulpicius  Severus  194  ff. 
Summa  notariae  209, 
SyUabus  potestat.  Veronens.  479  f. 
Synodalacten  s.  Conciliorum  acta. 
Syri  Vita  Maioli  17. 

T. 

Tertulliauus  425, 

Thegan  207. 

Thietmar  von  Merseburg  3.  5.  207. 

Tolosanus  480  f. 

Translatio  S.  Alexandri  207;   S.  Dio- 

nysii   333  ff.;    S.   Eugenii    592  ff.; 

S.  lonati  443.  447  ff,;  S.  Sebasti- 

ani   195. 
Troparium  Prumiense  232. 
Trostbrief  für  in  den  Krieg  Ziehende 

605. 
Tyrol,  Necrologien  425. 

u. 

Universitäten  231.  435.  623. 
Urkundenbücher   und    -Sammlungen 
225  ff.  385.  424.  430,  433  f.  622 ff. 

V. 

Vaticinia  Sibyllarum   145  ff, 

Veldkirch,  Necrolog  385. 

Venantius  Fortunatus  211.  434  f, 

Verba  Merlini  s.  Dicta, 

Verdun,  Necrolog  126  ff,  608  ff. 

Versus  in  S.  Alexandrum  208;  in 
Fridericum  imperatorem394;  Gui- 
berti Gemblacensis  614;  inS.Odi- 
lonem  121  ff.;  Treverenses  303; 
Vulfagi  441;  in  S.  Wulframmum 
444;   s,  auch  Carmina. 

Victor  Tunnunensis  210. 

Vinea,  Petrus  de  430. 

Vincentius  Pragensis  424, 

Visio  Wettini  318, 

Vita  Albini  et  Paterni  318;  Alde- 
gundis  441;  Amandi  441;  Amantii 

41* 


632 


Register, 


614;    Amati   454;    Ansberti  443; 
Anselmi    Lucensis    426 ;    Anskarii 
etRimberti  424;  Arnulfi  315.  431 ; 
Audomari  444;  Austrebertae  195; 
Autberti    443.    469;    Basoli    195; 
Bavonis  441 ;  Blandini  614 ;  Colum- 
bani   614;    Dagobert!  III.    557  ff. 
EHgii     317;      Emmerammi     614 
Forananni    622;      Fridolini    425 
Gaugerici  614 ;  Gerardi  385.592  ff. 
Gildardi      Eothomagensis       614 
Goaris    315;     Gregorii  VII.    429 
Gregorii    IX.    428;      Hadriani    I 
Nonantulana    219;    Hariolfi    215 
Hugonis      Gratianopolitani      441 
Humberti  Maricolensis  441;  Lam- 
berti  315;    Launomari  441;  Leo- 
nis  IX.   427;  Liudgeri   194;  Lupi 
317;     Maioli    117;     Martini    318; 


Odilonis  117  ff.;  Odonis  Clunia- 
censisl06ff. ;  PauliDae427;  Petri 
abb.  Cluniac.  195;  Petri  Tarant. 
444;  Salabergae  Laudun.  195; 
Severini  318;  Theodori  318;  Urs- 
mari 194;  Vedasti  318;  Walfridi 
318;  Wilfridi  195;  Winoci  444; 
Winwaloei   614;   Wulframmi  443. 

W. 

Wandalbertus  316. 
Wazo  von  Lüttich  229. 
Weihenotizen  von  St.  Maximin  212. 
Wibald  von  Stablo  373  ff,   622. 
Wibert  von  Gembloux  429. 
Wibert  von  Toul  427. 
Widukind  565  ff. 
Wipo  427.  428. 


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2        Deutsche  Geschichtsloinde  zur 
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Deutscher  Geschichten  des 

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