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Neues Archiv
der
Gesellscfiaft [fr ältere ßentscle ßesclicltsldie
Beförderung einer Gesammtausgabe der ftuellenschriften
deutscher Geschichten des Mittelalters.
Fünfzehnter Band.
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Hannover.
Hahn 'sehe Buchhandlung.
1890.
DD
1
Hannover. Druck von Friedrich Culemann.
1 11 h a 1 1.
Seite
I. Bericht über die fünfzehnte Pleuarversammlung
der Central -Direction der Monunienta Gerinauiae
Berlin 1889 1-8
II. Der Streit der Bisthümer Arles und Vienne um
den Primatus Galliarum. (Zweiter Theil.) Von
Wilhelm Gundlach 9—102
III. Handschriftliches aus Frankreich. Von Ernst
Sackur 103—139
IV. Italienische Prophetieen des 13. Jahrhunderts. I.
Von O. Holder-Egger 141 — 178
V. Miscellen:
Nachträge zu den Ostgothischen Studien. Von
Theodor Mommsen 181—186
Bemerkungen zu den Papstbriefen der Britischen
Sammlung. Von Theodor Mommsen . 187 — 188
Bemerkungen zu den Papstbriefen der Britischen
Sammlung. Von H. Br esslau . . . . 189—193
Zur Benutzung des Sulpicius Severus im Mittel-
alter. Von M. Manitius 194—196
Tironisches und Kryptographisches. Von
Wilhelm Schmitz . 197—198
Zu den Gedichten des Paulus Diaconus. Von
Ludwig Traube 199—201
Zur Lex Romana Raetica Curiensis. Von
Max Conrat (Cohn) 202
Zur Geschichte der Kirche S. Maria Latina in
Jerusalem. Von Reinhold Röhricht 203 — 206
Nachrichten 207—232
VI Inhalt.
Seite
VI. Der Streit der Bisthümer Arles und Vienne um den
Primatus Galliarum. (Dritter Theil, Schluss und
Beilagen.) Von Wilh. Gundlach 233—291
VII. Handschriftliche Ueberlieferung und Quellen der
Chronik Reginos und seines Fortsetzers, Von
F, Kurze 293—330
VlII. Die älteste Translatio des heil. Dionysius. Von
L. von Heinemann 331 — 361
IX. Die Purpururkunde Konrad III. für Corvei. Von
P. Kehr 363—381
X. Miscellen:
Handschriften der vormaligen Königlichen
Handbibliothek in Stuttgart. Nachlese zu
N. A. X, 600. Von L. Weiland . . . 386—386
Zu Petrus de Ebulo. Von Ernst Sackur. 387—393
Verse auf Kaiser Friedrich I. Mitgetheilt von
L. Weiland 394—396
Lateinische Gedichte des XII. Jahrhunderts.
Mitgetheilt von J. Werner 396—409
Eine ungedruckte Urkunde Konrad IV. Mit-
getheilt von Ernst Friedlaender . . 410
Zur Chronologie der Briefe Gregors I. Von
L. M. Hartmann 411—417
Bruchstücke aus dem 'Liber Cancellariae
Apostolicae' nach einer bisher unbekannten
Handschrift. Von Wilh. Altmann . . 418—422
Nachrichten 423—436
XI. Reise nach Nord -Frankreich im Frühjahr 1889.
Von Ernst Sackur 437—473
XII. Bericht über einige Reisen nach Italien. Von
H. Simonsfeld 475—496
XIII. Ueber die Columban - Briefe. Von Wilhelm
Gundlach 497 — 526
XIV. Ueber die Orthographie Papst Gregors I. Von
L. M. Hartmann 527—649
Zusatz über einen Gregor I. zugeschriebenen Brief
(Original auf Papyrus in Monza). Von Harry
Bresslau 650 — 654
XV, Kritische Erörterungen. Von Beruh, v. Si m son 555 — 579
Inhalt. VII
Seite
XVI. Miscellen :
Zwei ostgothische Miscellen. VonF. Wrede 583 — 584
Topographische Erklärungen zu einigen Stellen
in den Monumenta Germaniae. Von A.
Chroust 585—591
Die älteren Diplome für das Kloster Brogne
und die Abfassungszeit der Vita Gerardi.
Von Lothar von Heinoma nn . . . 592 — 596
Zu den Legenden des hl. Franz von Assisi.
Von Ernst Sackur 697—599
Ueber eine Handschrift der Briefe Gregors I.
Von Paul Maria Baumgarten . . . 600-601
Tironische Miscellen. Von Wilh. Schmitz 602—607
Zu dem Necrologium S. Vitoni Virdunensis.
Von Woldemar Lippert 608^610
Nachrichten 611 — 626
Berichtigungen und Nachträge 627
Register 628—632
I.
Bericht
über die
fünfzehnte Plenarversammlnng'
der Central -Direction
der
Monumenta Germaniae
Berlin 1889.
Neues Archiv etc. XV.
Die Plenarversammlung der Centraldirection der Monu-
menta Germaniae historica wurde in diesem Jahre in den
Tagen vom 21. — 23. März in Berlin abgehalten. Erschienen
waren alle Mitglieder — unter ihnen zum ersten Male die
Herren Prof. Bresslau und Dr. Holder-Egger — mit
Ausnahme der Professoren Huber, Maassen, Mommsen,
von Sickel, Wattenbach, welche durch Reisen oder aus
andern Gründen verhindert waren.
Der in dem letzten Berichte beklagte provisorische Zu-
stand des Unternehmens hat endlich am 9. Mai 1888 durch
die Ernennung des Professors E. Dumm 1er in Halle zum
Vorsitzenden der Centraldirection mit den Rechten und Pflichten
eines Reichsbeamten nach mehr als zweijähriger Dauer seine
Endschaft erreicht. Dass die Arbeiten auch in der Zwischen-
zeit ihren ungestörten Fortgang nehmen konnten, wurde der
einstweiligen Leitung des Herrn Prof. Wattenbach verdankt.
Vollendet wurden im Laufe des Jahres 1888/89
in der Abtheilung Scriptores:
Scriptorum Tomus XV, 2. Scriptores rerum Merovingi-
carum ed. Krusch Tom. IL Carmen de hello Saxonico ed.
Holder-Egger in 8. Thietmari Merseburgensis Chronicon
ed. Kurze.
in der Abtheilung Leges:
Lex Alamannorum ed. K. Lehmann,
in der Abtheilung Diplomata:
Die Urkunden Ottos H.
von dem Neuen Archiv der Gesellschaft:
Band XIV.
Die Abtheilung der Auetores Antiquissimi nähert sich
ihrem Abschlüsse. Die Ausgabe des Claudian von Prof. Birt
wird noch in diesem Jahre erscheinen, die von Herrn Prof.
Mommsen selbst bearbeiteten kleinen Chroniken, die Fort-
setzer des Hieronymus, sind in der Handschrift von ihm voll-
endet, für die lange ersehnte Ausgabe des Cassiodor sind die
kritischen Vorarbeiten mit Beihilfe des Herrn Archivars
Krusch in Marburg zu Ende geführt. Die italienischen
Handschriften in Rom, Florenz und Neapel hat Herr Prof.
Mommsen bei Gelegenheit einer im Frühling 1888 unter-
1*
4 Bericht über die fünfzehnte Plenarversammlung 1889.
noramenen Reise selbst verglichen, die französischen, soweit
dies nicht schon durch Herrn Prof. Wilh. Meyer geschehen
war, und die englischen in diesem Frühjahre. Die Acten der
römischen Synoden aus der Zeit Theoderichs sollen der Aus-
gabe beigefügt werden. Ausgedehntere Untersuchungen, die
mit derselben zusammenhängen, sind im Neuen Archiv nieder-
gelegt worden. Der Druck des Cassiodor wird im nächsten
Sommer beginnen, im Anschlüsse an den der Chroniken.
Für die Abtheilung Scriptores hat Herr Dr. Kr u seh
den 2. Band der SS. Merovingici, über dessen Inhalt schon
berichtet wurde, durch Hinzufügung der Register vollendet,
nachdem diese durch die Theilnahme des Herausgebers an
den Cassiodorarbeiten sich lange verzögert hatten. Für die
noch fehlenden Merowingischen Heiligenleben, deren Umfange
auch bei manchen Beschränkungen, aber mit Einschluss einiger
älterer Stücke, auf 2 Bände veranschlagt werden muss, wird
der Herausgeber im Spätherbst oder Winter die schon länger
geplante Reise nach Frankreich antreten.
Die Fortsetzung der alten Reihe der Scriptores in Folio
wurde Herrn Dr. Holder-Egger zu selbständiger Ausfüh-
rung übertragen. Herr Dr. E. Sackur, welcher seit dem
1. October 1888 als Mitarbeiter an die Stelle des Herrn von
Heinemann getreten ist, leistet ihm hierbei Unterstützung.
Vollendet ist die 2. Hälfte des 15. Bandes, dessen Register
zum Theil noch Herr v. Heinemann vorbereitet hatte, und
es sind damit die Nachträge zu den früheren vorstaufischen
Bänden zum Abschlüsse gelangt. Neben dem Herausgeber
betheiligten sich an der Arbeit zumal Herr Dr. Sauerland
in Trier und die Herren Wattenbach, Weiland und Perl-
bach. Von bisher unbekannten Stücken verdienen u. a. die
Lebensbeschreibungen der fünf Einsiedler von Bruno von Quer-
furt und des Abtes Gregor von Burtscheid und kurze Annalen
aus Laon und St. Vincenz zu Metz Erwähnung. Der Druck
des 29. Bandes ist soweit fortgeschritten, dass seiner Voll-
endung vielleicht schon im Laufe des Jahres entgegengesehen
werden kann. Die Hs. der Annales Hannoniae des Jacques
de Guise zu Valenciennes soll, in Verbindung mit andern
Reisezielen, von Herrn Dr. Sackur verglichen werden.
Gleichzeitig wurden die Vorbereitungen für den 30. Band fort-
gesetzt, für den Herr Dr. Simons feld im vergangenen Früh-
jahre einige Vergleichungen in Oberitalien ausgeführt hatte.
Dieser ebenso wie der 31. Band ist für die Italienischen Chro-
niken der Staufischen Zeit vorbehalten und muss deshalb mit
ihm zugleich in Angriff genommen werden. In dem 30. Bande
stehen die umfangreichen Werke Sicards nebst dem Chronicon
Regiense und Salimbenes in Aussicht, im 31. einige z. Th.
poetische Schriften von allgemeinerer Bedeutung, wie das
/
Bericht über die fünfzehnte Plenarversammlung 1889. 5
Carmen de Gestis Friderici I, Ligurinus, Petrus de Ebulo,
Relationen über den Frieden von Venedig, denen die andern
Quellen in landschaftlicher Anordnung folgen würden. Unge-
mein wünschen swerth vom kunstgeschichtlichen Standpunkte
aus wäre eine vollständige Veröffentlichung der etwa fünfzig
geschichtlich werthvollen Bilder der Berner Handschrift des
Petrus de Ebulo.
Von dem durch Herrn Hol der- Egger bearbeiteten
Carmen de hello Saxonico ist wegen des vielseitigen Inter-
esses, welches es in neuerer Zeit erregt hat, eine Sonderaus-
gabe erschienen. Die neue kritische Handausgabe Thietmars
von Merseburg von Herrn Dr. Kurze in Halle hat durch
nochmalige Vergleichung der Dresdener Handschrift zu wich-
tigen Ergebnissen über die Art der Entstehung geführt und
ist soeben vollendet. In Vorbereitung findet sich von dem-
selben eine Ausgabe der Chronik des Abtes Regino von Prüm,
für welche in umfassender Weise die Handschriften in Mün-
chen, Einsiedeln, Schaffhausen, Paris, London, Köln und Wien
benutzt worden sind. Sie soll im Laufe des Jahres gedruckt
werden. Es wäre sehr zu wünschen, dass auf den Biblio-
theken solcher Lehranstalten, denen die Gesammtausgabe der
Monumenta Germaniae unzugänglich ist, wenigstens die statt-
liche Reihe dieser Handausgaben wichtiger Quellen als Ersatz
Eingang fände.
Die auf 2 Bände berechnete Sammlung der Streitschriften
des IL und 12. Jahrhunderts, an welcher von den Mitarbeitern
namentlich die Herren Dr. Kuno Francke und von Heine-
mann thätig waren, ist soweit vorbereitet, dass seit Anfang
des Jahres der Druck des L Bandes beginnen konnte, der
namentlich auch Beiträge der Professoren Thaner in Graz
und Bernheim in Greifswald enthält. Er wird u. a. auch
ein bisher ungedrucktes Werk des Manegold von Lautenbach
bringen.
Der Druck der von Herrn Prof. E. Schröder bearbei-
teten Deutschen Kaiserchronik ist zwar etwas weiter fort-
geschritten, wird aber vor dem Sommer dieses Jahres keinen-
falls an sein Ende gelangen können. Es soll deshalb mit dem
Drucke der Werke Enikels durch Herrn Prof. Strauch in
Tübingen, von denen die Weltchronik im Texte vollendet vor-
liegt, neben der Kaiserchronik begonnen werden. Herr Prof.
Seemüller in Wien hofft Otackers Steirische Reimchronik,
die für den 3. Band bestimmt ist, bis zum Sommer druckreif
vorzulegen, nachdem er im vorigen December noch einige
handschriftliche Studien dafür in Göttweig und Linz ge-
macht hat.
In der Abtheilung der Leges ist die neue kritische Quart-
ausgabe der Lex Alamannorum von Herrn Prof. K. Leh-
6 Bericht über die fünfzehnte Plenarversammlung 1889.
mann in Rostock im Sommer 1888 schon ausgegeben worden.
Der Druck der Lex Romana Curiensis, mit welcher der 5. Band
und die Folioausgabe der Leges abschliesst, von Herrn Prof.
Zeumer schreitet ununterbrochen fort. Als nächste Aufgabe
sind diesem die Leges Visigothorum übertragen worden, deren
ältesten Codex rescriptus in Paris er bereits im October 1888
verglichen hat. Die Redaction des Königs Rekesvinth mit
diesen Pariser Fragmenten wird zunächst in einer Handaus-
gabe erscheinen. Die Ausgabe der beiden Burgundischen
Leges hat Herr Prof. von Sali s in Basel übernommen und
hofft sie im laufenden Jahre fertig zu stellen. Eine damit
zusammenhängende Revision der Bluhme'schen Ausgabe des
Edictum Theoderici hat Herr Dr. Burchard in Berlin im
Wesentlichen vollendet. Auf die Fortsetzung der Capitularien-
ausgabe musste Herr Prof. Boretius wegen seines leidenden
Zustandes verzichten, doch ist Aussicht vorhanden, seine Arbeit
durch andere Hände ergänzen zu lassen. Für die Deutschen
Reichsgesetze setzt Herr Prof. Weiland in Göttingen seine,
namentlich in handschriftHchen Untersuchungen bestehenden,
Vorarbeiten fort. Herr Dr. Kehr wird dafür die Deutschen
Staatsverträge mit Venedig neu vergleichen.
Herr Hofrath Maassen in Wien ist in seiner Arbeit an
der Herausgabe der Merowingischen Synoden durch den frühen
Tod seines Mitarbeiters Dr. F. Stob er am 26. August 1888,
sowie durch die vorangehende Erkrankung desselben, nicht
unerheblich aufgehalten worden, trotzdem ist es ihm mit der
Unterstützung des Dr. Bretholz gelungen, den Text so weit
zu fordern, dass der Beginn des Druckes nach Jahresfrist in
Aussicht steht. An den Deutschen Stadtrechten hofft Herr
Prof. Frensdorff seine länger unterbrochene Thätigkeit
demnächst wieder aufnehmen zu können.
In der Abtheilung Diplomata ist unter der Leitung des
Hofraths von Sickel der Halbband mit den Diplomen
Ottos IL im Sommer 1888 ausgegeben worden. Für die
Fortsetzung ist an Stelle des ausgeschiedenen Dr. Kehr als
Mitarbeiter Dr. W. Erben getreten, der neben dem Wiener
Stadtarchivar Dr. Uhlirz an den Diplomen Ottos III. thätig
war. Diese sollen im Herbste dem Drucke übergeben werden.
Um die grosse Sammlung der Kaiserurkunden etwas rascher
zu fördern, hat Herr Prof. Br esslau es übernommen, die
Periode der Salischen Kaiser von Konrad IL an schon jetzt
vorzubereiten, während die Ausgabe der Urkunden Hein-
richs IL von Herrn Dr. V. Bayer in Strassburg er-
hofft wird.
Die Leitung der Abtheilung Epistolae ist von Herrn
Prof. Wattenbach auf den X'^orsitzenden übergegangen.
Herr Dr. Rodenberg hat seine römische Reise im Juni 1888
Bericht über die fünfzehnte Plenarversammlung 1889. 7
vollendet und auf dieser den grösseren Theil des Materials
für den 3. Band der aus den päpstlichen Regesten zu ent-
nehmenden Briefe theils durch Abschrift, theils durch Ver-
gleichung erledigt. Nur etwa 150 Nummern müssen nach-
träglich noch auf anderm Wege beschafft werden. Von den
Vorständen des Vaticanischen Archivs wurde er in zuvorkom-
mender Weise unterstützt. Der Band wird im Laufe des
Jahres druckfertig werden und diese Sammlung abschliessen.
Für das Registrum Gregorii konnte an Stelle des ver-
storbenen Dr. Ewald noch kein geeigneter Fortsetzer der
überaus schwierigen Aufgabe gefunden werden, wenn auch
nach verschiedenen Seiten Unterhandlungen angeknüpft wor-
den sind.
Inzwischen ist nach den beiden für die Briefe Gregors
offen gehaltenen Bänden der Druck des dritten der Epistolae
seit dem Ende des vorigen Jahres begonnen worden, die
Briefe der Merowingischen Zeit umfassend, in welchem Herr
Dr. G und lach mit einer Sammlung aus Arles den Anfang
macht. Auch von den nachfolgenden Schreiben hat er einen
grossen Theil bearbeitet. Die Briefe dos Bischofs Desiderius
von Gabors sind von Herrn Prof. W. Arndt beigesteuert
worden, die seit langer Zeit von demselben übernommenen
Briefe des heiligen Bonifatius hat er dem Vorsitzenden über-
lassen. Nach den Merowingischen sollen unmittelbar die Karo-
lingischen Briefe in Angriff genommen werden. Herr Dr.
Gundlach hat die von ihm hergestellten Ausgaben durch
erläuternde Abhandlungen im Neuen Archiv begleitet und
wird darin fortfahren.
In der Abtheilung Antiquitates wurde der Druck der
Necrologia Germaniae II, die Salzburger Erzdiöcese, bearbeitet
von Herrn Dr. Herzberg-Fränkel, fortgesetzt, der im
Sommer dafür eine Reise nach Graz, St. Paul, Klagenfurt
und Salzburg unternahm. Die erste Hälfte dieses Bandes wird
in einigen Monaten erscheinen. Den Druck des 3. Bandes
der Poetae latini Carolini hofft Herr Dr. Harster in Speier
im Herbste wieder aufoehmen zu können, nachdem inzwischen
die Handschriften des Milo von St. Amand in Valenciennes
noch verglichen worden.
Die Anfertigung eines ausführlichen Inhaltsverzeichnisses
aller bisher gedruckten Bände der Monumenta Germaniae
haben die Herren Dr. Holder-Egger und Zeumer über-
nommen. Dasselbe wird als ein Band der Quartausgabe er-
scheinen.
Die Redaction des Neuen Archivs ist von Herrn Prof.
Wattenbach auf Herrn Prof. Bresslau übergegangen,
welcher den 14. Band in regelmässiger Folge herausgegeben
hat. Diese für jeden Besitzer der Monumenta Germaniae
8 Bericht über die fünfzehnte Plenarversammlung 1889.
unentbehrliche Zeitschrift wird neben einzelnen Quellenschriften
vorzugsweise durch kritische Untersuchungen ausgefüllt, welche
die Ausgabe der Quellen vorbereiten.
Einzelne Vergleichungen oder Abschriften wurden im ver-
flossenen Arbeitsjahre freundlichst besorgt von den Herren
Graf Cipolla in Turin, Prof. Höhlbaum in Köln, A. Moli-
nier in Paris, Emile Ouverleaux in Brüssel, K. Schott-
müller in Rom, Dr. H. Simons feld in München, Cesare
Fani und Canonico Pietro Canetti, Archivista des Archivio
capitolare in Vercelli u. s. w.
Handschriften wurden theils nach Berlin, theils nach Halle
oder Marburg zur Benutzung zugesandt aus Einsiedeln, St. Gal-
len, Hannover, Karlsruhe, Köln, Kopenhagen, München, Paris,
Schaffbausen, Trier. Eine befremdliche Ausnahme bildete die
Bibliothek zu Wolfenbüttel, welche nach einem neuerlichen
Beschlüsse des herzoglich Braunschweigischen Ministeriums die
Versendung von Handschriften vollständig versagen zu müssen
glaubt.
II.
Der Streit
der
BisthüiXLer Arles und Vienne
um den
Primatus Galliarum.
Von
Wilhelm Gundlach.
(Zweiter Theil.)
IL Die Epistolae Viennenses.
1. Die Ueberlieferung-.
öo reich und trefflich die Ueberlieferung der Epistolae
Arelatenses ist, so dürftig und unwerthig stellt sie sich für die
Epistolae Viennenses dar, soweit Handschriften dabei in Be-
tracht kommen. Denn allein in den Codices Parisini 2282
und 12768, von welchen der erste aus dem Anfang des zwölf-
ten, der zweite gar aus dem siebzehnten Jahrhundert stammt,
findet sich je ein Brief: dort das Schreiben des Zacharias:
'Venit ad nos' (J.-E. 2258), hier dasjenige Johanns: 'De offi-
ciis' (J.-E. 2146) >. Ausserdem haben ja wohl zwei französische
Cartulare Stücke der Vienner Briefreihe aufbewahrt: das 'Car-
tulaire de Saint -Vincent de Mäcon', welches Ragut im Jahre
1864 hat erscheinen lassen, und das 'Cartulaire de l'eglise
Saint -Barnard de Romans', welches die Preuves der ersten
Abtheilung des von Giraud 1856 herausgegebenen 'Essai histo-
rique sur l'abbaye de Saint -Barnard et sur la ville de Romans'
eröffnet; da indessen das Cartular von Mäcon wenigstens in
jenem Theile, welcher (p. 19) den Hadrian- Brief der Vienner
Sammlung: 'Dilectus filius' (J.-E. 2412) aufweist 2, wofern das
Datum der diesem Briefe benachbarten Stücke einen bündigen
Schluss auf die Entstehungszeit erlaubt, frühestens im Anfang
des zwölften Jahrhunderts zusammengestellt sein kann', und
1) Herr Dr. Molinier in Paris, welchem ich die Vergleichung beider
Handschi-iften verdanke, bemerkt über die Handschrift 12768 'copie du
XVII6 siecle par D. Estiennot prise sur un manuscrit de Chorier.' Man
beachte dazu die Angaben, welche Waitz der 'Series episcoporum Viennen-
sium' MG. SS. XXIV, 811 vorangeschickt hat. 2) Demselben Cartular von
Mäcon hat ohne Zweifel auch Severtius den in seiner 'Chronologia historica
archiantistitum Lugdunensium' II, 26 abgedruckten Brief entnommen; er
sagt es zwar nicht ausdrücklieh, aber es wird nicht nur durch die über-
einstimmende Fassung erwiesen, sondern vor allem durch einen von dem
Sammler herrührenden Schlussvermerk ('Hanc epistolam omnibus archi-
episcopis et episcopis missam hie ponere ex integro decrevimus, conside-
rantes, hie magnam authoritatem Gallicanarum ecclesiarum [contineri]'), den
weder Severtius noch Eagut als Zugabe anderer Hand kenntlich macht.
3) Da die Originalhandschrift in den 'troubles religieux qui eclaterent k
Mäcon de 1562 k 1567' vernichtet worden ist, so hat der Herausgeber,
12 Wilhelm Gundlach.
auch das Cartular von Romans, welches (p. 22. 23) den Epi-
stolae Viennenses zwei Stücke, die Briefe Paschais: *Quia
sanctitatem' (J.-E. 2549) und Eugens: 'Congaudeo valde (J.-E.
2563), entlehnt hat, erst in der ersten Hälfte des zwölften
Jahrhunderts entstanden ist ', so reicht damit die früheste aus
Handschriften zu ermittelnde Spur der Epistolae Viennenses
auch nicht über den durch die Pariser Handschrift 2282 be-
zeichneten Zeitpunkt hinaus.
Etwas tiefer in die Vergangenheit hinein scheint der Um-
stand zu führen, dass Hugo von Flavigny in seinem Chronicon
(MG. SS. VHI, 344) dem Wortlaut eines der Vienner Briefe
— es ist das Schreiben Hadrians an Karl den Grossen —
Aufnahme gegönnt hat ; aber Avenn wirklich damit eine kleine
Hinausschiebung des Zeitpunktes erzielt wird, an welchem die
Epistolae Viennenses in einem einzigen ihrer Stücke zuerst
aufgetaucht sind, dann kann es sich nur um wenige Jahre
handeln, weil Hugo erst seit dem Jahre 1090 mit der Abfas-
sung seiner Chronik beschäftigt war 2. Mit diesem Jahre
kommt aber endgültig die unternommene Ermittelung zum
Stillstande, ohne in den berührten Handschriften, welche im
ganzen nur fünf verschiedene Vienner Briefe enthalten, eine
für die Ausgabe der ganzen Sammlung zureichende Unterlage
aufgezeigt zu haben.
Um diesem Mangel abzuhelfen, wird man sein Augen-
merk auf die Drucke richten müssen, welchen entweder von
den Urhebern selbst oder von anderen ein Zusammenhang mit
der handschriftlichen Sammlung der Epistolae Viennenses nach-
gesagt wird: nur so ist vielleicht auch über die Urhandschrift
noch etwas zu erkunden.
wie er im 'Avertissement' angiebt, an eine Abschrift sich halten müssen;
in derselben Lage ist schon vor ihm Saint -Julien de Balleure gewesen,
welcher in den 'Antiquites de Mascon' p. 272 den Hadrian - Brief der
Vienner Reihe veröffentlicht hat (vgl. Ragut a. a. O. p. 19). Unter diesen
Umständen habe ich es mir ersparen zu dürfen geglaubt, Einblick in die
von Ragut seiner Ausgabe zu Grunde gelegte Handschrift zu erlangen.
1) Wenn auch Giraud, welcher in seiner Ausgabe gleichfalls auf eine
Abschrift angewiesen war, in einigen Anzeichen (Premiere partie, Intro-
duction p. VII) gefunden zu haben meint: 'si non la preuve, du moins
une forte probabilite que le Cartulaire de Romans a ete commence sous
Tadministration de Leger, c'est-ä-dire vers le milieu du onzieme siecle',
so muss er, nachdem im October 1864 die Originalhandschrift des Cartu-
lars wieder aufgefunden worden war, diese Auffassung als irrthümlich zu-
geben und (Deuxieme partie p. XIII) die Berichtigung folgen lassen:
'D'apres les caracteres du manuscrit, il appartient k la premiere moitie
du douzieme siecle'. Weil er dann im übrigen auf Grund einer Ver-
gleichung zwischen Original und Abschrift versichert (ebenda) : 'J'ai re-
connu rentiere exactitude de cette reproduction', habe ich mich für die
Ausgabe der Epistolae Viennenses mit dem von ihm gelieferten Drucke
zufrieden gegeben. 2) Wattenbach, Geschichtsq. II 5, 122.
Arles und Vienne. 13
Von Drucken der erwähnten Art kommen nun in Frage:
1. die 'Sacra bibliotheca sanctorum patrum illustrata per
Margarinum de la Eigne', zu Paris im Jahre 1575 heraus-
gegeben (I, 63. 64),
2. der zweite 'Laevum xyston' geheissene Anhang der
'Floriacensis vetus bibliotheca', welche, im Jahre 1605 zu Lyon
erschienen, den Johannes a Bosco (Jean du Boys) zum Ver-
fasser hat (p. 22—80),
3. die 'Histoire de I'antiquite et sainctete de la cite de
Vienne par Messire Jean le Lievre', welche 1623 in Vienne
herausgekommen ist (p. 65 — 332),
4. die 'Acta sanctorum ordinis sancti Benedicti', von
Mabillon im Jahre 1628 herausgegeben (saec. IV, pars II,
col. 566. 567) und
5. die von Claude Charvet verfasste und zu Lyon 1761
veröiFentlichte 'Histoire de la sainte eglise de Vienne' (p. 795
—798)1.
Von diesen Drucken bringen nur die an zweiter und
dritter Stelle aufgeführten die ganze Reihe der Epistolae Vien-
nenses, während de la Bigne nur die beiden Briefe des Pius
(J.-K. 45. 46) und den des Cornelius (J.-K. 116), Mabillon die
Schreiben Paschais und Eugens (J.-E. 2549. 2563) », Charvet
die frühesten sechs Stücke der Sammlung mittheilt.
Dabei verräth de la Bigne mit keinem Worte, woher er
die drei abgedruckten Briefe erhalten hat; wir würden darüber
im Unklaren bleiben, wenn nicht Baronius in die älteste Aus-
gabe seiner 'Annales ecclesiastici' ^ die Schreiben von de la
Bigne übernommen* und dazu bemerkt hätte, dass sie dem
Archive in Vienne entstammen 5.
1) Die anderen Geschichten des Erzbisthunos Vienne von de Maupertuy
und Collombet flechten zwar die Vienner Briefe meistens in ganzer Aus-
dehnung in ihre Darlegung ein; sie kommen aber hier deshalb nicht in
Rechnung, weil sie nicht den lateinischen Wortlaut, sondern die franzö-
sische Uebersetzung geben. An dieser Gepflogenheit hat auch Charvet
bedauerlicherweise Antheil, wenn man seine eigentliche Geschichtserzäh-
lung daraufhin ansieht; eine Ausnahme macht er nur mit den Briefen der
Päpste Pius, Victor, Cornelius und Silvester (J.-K. 45. 46. 75. 76. 116.
177), welche er im Anhange p. 795 — 798 lateinisch wiedergiebt. 2) Nicht
nur die Anzahl der Stücke, sondern auch ihre Fassung spricht dafür,
dass die leider nicht genauer beschriebene Handschrift Mabillons dem
Cartular von Romans sehr nahe verwandt ist. 3) Romae 1594: a. 166
n. 1. 3; a. 255 n. 47. 4) Seine Angabe (a. 166 n; 1 ; a. 255 n. 47):
'Extat tom. I. biblioth. sanct.' passt, so viel ich habe ermitteln können,
nur auf das Werk de la Bignes. 5) Da die Bemerkung zugleich eine
von du Boys mit Genugthuung angezogene Anerkennung der Echtheit
liefert, so sei sie hier unverkürzt abgedruckt: 'Porro has ambas per-
breves epistolas — J.-K. 45. 46. — ex Viennensi archivo pro-
ditas germanas atque legitimas esse, cum rerum argumentum et ad-
14 Wilhelm Gvmdlach.
Eine genauere Auskunft wird uns durch Jean du Boys
zu Theil: in der Epistola dedicatoria des Laevum xyston (p. 1)
gesteht er nämlich : '. . . lepore atque benevolentia I. Leporis
— das ist Jean le Lievre! — sacri sodalis primariae aedis
Viennensis piissimi fundi huius fundamenta sum adeptus'; er
bezeichnet dann auch (p. 3) den Mann, welchem er den
Empfang des ganzen 'fundus' verdankt, indem er mit Be-
ziehung auf die 'amplitudo' der Vienner Kirche sagt: 'Quam
religiosus admodum archimandrita atque praeclarus antistes
Arelatensis Petrus Laurentius propensissimo animo commu-
nicatis mecum incredibili benevolentia clarissimi coe-
nobii sancti Petri Viennensis, cui dignissime praeest,
archivis, mirum in modum evexit atque provexit'; aber
ob wir auch erfahren, dass das Peterskloster in Vienne eine
Handschrift der Epistolae Viennenses seiner Zeit geborgen
hat, über die Art dieser Handschrift ist uns auch von du Boys
keine Kunde geworden».
Wenn man beachtet, was le Lievre in seiner Geschichte des
Erzbisthuras Vienne über die von ihm benutzten Handschriften
sagt, so wird auch nicht völlige Klarheit über die Sachlage
gebreitet; denn mit so allgemeinen Angaben wie 'titres an-
ciens de nos archives de l'eglise' (p. 8) oder 'ainsi que j'ay
remarqud dans les archives du dit Vienne' (p. 57) ist nichts
anzufangen; etwas greifbarere "Wendungen aber Avie 'ainsi
qu'il est decrit es chartulaires d'icelle eglise (sc. de Vienne)'
(p. 103) oder gar 'extraictes sur leur propre original dans les
mirabilis quaedara com aliis borum temporum gestis contesseratio tum
simplicissimus ille antiquitJitis candor, quem in omnibus prae se ferre
noscuntur, facile persuadent quamvis quautumlibet scrupulosi ingenii virum
eruditum, eas recipere' (a. 1G6 n. 4). 1) Im Laufe seiner Darlegung
bezieht er sich zwar (p. 65), als er von dem Erzbischof Burchard von
Vienne spricht, auf Nachrichten, welche sich finden sollen 'in cartulario
sanctae Viennensis ecclesiae' und an anderer Stelle (p. 67 über die
Königin Ermengarde) 'in veteri cartacio Viennensis ecclesiae'; aber wenn
auch beide Bezeichnungen auf dieselbe Handschrift gehen, so lehrt doch
schon der Anfang der mitgetheilten Stellen: 'Decimo tertio Kalendas
Septembris obiit domnus Burchardus archiepiscopus' bez. 'Octavo Idus
Septembris obiit Rodulphus rex et sexto Kalendas Septembris Ermen-
garda regina uxor eius', dass es sich hier um ein Todtenbuch handelt,
in welchem schwerlich die Papstbriefe der Vienner Reihe enthalten ge-
wesen sind. — Auch Collombet, welcher in seiner Histoire de Vienne
über die Leistungen seiner Vorgänger zu Gericht sitzt, weiss, indem er
Charvets Worte (p. 523) gebraucht, nur allgemein zu sagen (III, 275) :
'Du Boys avait tire ces difierentes pieces des archives de I'archeveche
de l'eglise de Vienne, oü l'on en trouvait plusieurs pieces sur un
parchemin, dont l'air d'antiquite' aurait fixe l'attention de ces
savants — de Marca und de Launoy sind gemeint, welche die Echtheit
der von du Boys veröffentlichten Paptbriefe, und zwar besonders der
frühesten Stücke angezweifelt hatten — et merite leur approbation'.
Arles und Vienne. 15
archives de l'^glise de Vienne' (p. 249) gehen leider nicht
auf Stücke der Vienner Briefreihe, sondern auf Urkunden,
welche mit dem Primat des Bischofs von Vienne nichts zu
thun haben; nur eine einzige einschlägige Bemerkung ist von
Werth: der Satz nämlich, welcher den Wortlaut des letzten
der Vienner Briefe p. 329 einführt: 'La bulle propre que j'ay
veu et leu au long tiree de nos archives contient ce que s'en-
suit'; denn er zeigt, dass wenigstens von diesem einen Stücke
das — angebliche — Original noch im Anfange des sieb-
zehnten Jahrhunderts in Vienne verwahrt wurde.
So sehr man nun auch geneigt sein möchte, auf den
eigenen Angaben le Lievres fussend, ihm für die Ueberliefe-
rung der Vienner Briefe eine vollkommen selbständige Stel-
lung neben du Boys anzuweisen, so sehr ein so klares Ver-
hältnis für die Ordnung des Wortlautes auch erwünscht wäre,
in Wirklichkeit ist es doch nicht so einfach damit bestellt.
Jean du Boys erwähnt in seinem Zueignungsschreiben, dass
der Erzbischof Pierre de Villars von Vienne, welchem das
Laevum Xyston gewidmet ist, selbst schon das Recht seines
Bisthums auf den Primat in Gallien zu erweisen sich bemüht
habe » ; er nimmt darum in Anspruch, in einer Nachlese —
'racematio' — den Gegenstand zu erschöpfen, und begrüsst
es mit Freuden, dass ihm dafür der Abt des Petersklosters
das Klosterarchiv geöffnet hat. Nun berichtet Collombet, den
Bemerkungen Charvets p. 582 folgend, dass le Lievre bis auf
einige ihm beizumessende Zuthaten in seiner Geschichte im
grossen und ganzen nur die wohl mit Belegen ausgestatteten
Ausführungen wiedergegeben habe, welche der Erzbischof
Pierre de Villars niedergeschrieben und auch an Baronius
mitgetheilt hatte ^. Danach wäre also le Lievre gar nicht auf
die handschriftliche Grundlage selbst zurückgegangen, sondern
hätte sich lediglich — die Ausgiebigkeit der von Pierre de
Villars herrührenden Ausführungen vorausgesetzt — an diese
abgeleitete Ueberlieferung gehalten. Um nun den Widerspruch,
in welchem die Angabe Charvet-Collombets mit dem Gebahren
le Lievres steht, zu schlichten, ist eine Vergleichung der von
ihm gebotenen Brieftexte mit der sonstigen Ueberlieferung
erforderlich.
In den ersten sechs Briefen machen sich gegen du Boys
bei le Lievre Abweichungen geltend, in welchen dieser merk-
würdigerweise mit Charvet zusammentrifft; so bietet z. ß.
1) S. N. A. XIV, 253 Anm. 2. 2) Histoire de Vienne III, 271:
'D'apres Charvet, cet ouvrage serait tout simplement le gros des me'moires
que Pierre de Villars avait r^diges et qu'il communiqua k Baronius. En
donnant k ees mat^riaux la forme d'une histoire, le Lievre y ajouta plu-
sieurs faits etrangers au sujet et quelquefois apocryphes'.
16 Wilhelm Gundlach.
le Lievre-Charvet:
Per tuam ergo fraternitatem
presbyteri Galliarum inci-
tentur, ut*
Sic et' collega in Domino
doce
Unanimitas fraterna te in
Domino salutat. Vale.
du Boys:
(J.-K. 75) Per tuam ergo
fraternitatem presbyteris
Galliarum literae mittan-
tur, ut
(J.-K. 76) Propterea fra-
ter et collega in Domino doce
Unanimitas fraterna te in
Domino salutat, fratres, qui
apud te Viennae versan-
tur, de nobis in Domino
salutans. Vale >.
Da nun von Charvet die 'Primae summorum pontificum
ad primos ecclesiae Viennensis archiepiscopos epistolae' p. 795
mitgetheilt werden als 'ex perantiquis huius ecclesiae mem-
branis transscriptae', so dürfte auch le Lievre unmittelbar
oder mittelbar — durch Pierre de Villars — aus der von
Charvet leider nur allgemein angedeuteten Quelle geschöpft
haben.
Von dem siebenten Briefe an herrscht aber, wenn man
von einigen belanglosen Unterschieden absieht*, für die näch-
sten sechzehn Briefe zwischen du Boys und le Lievre eine
vollständige Uebereinstimmung, welche daran als Abhängigkeit
des letzteren von dem ersteren zu erkennen ist, dass le Lievre
sogar die Druckfehler du Boys' mit übernimmt; so liest man
1) Die Abweichungen, welche de la Bigne zeigt, sind jedenfalls zum
grössten Theil auf eine von ihm vorgenommene Bearbeitung zurückzu-
führen; denn wenigstens für die Aufschriften der drei von ihm über-
lieferten Briefe J.-K. 45. 46. 116 ist eine Einhelligkeit in der Weise ge-
schaffen worden, dass hinter dem auf den Papstnamen folgenden Worte
'episcopus' stets 'Romanus' eingeschaltet und im übrigen nach der über-
einstimmenden Form zweier Aufschriften die abweichende dritte geändert
wurde. 2) Es verdient beachtet zu werden, dass le Lievre p. 83, wo
er die Stelle noch einmal anzieht, einer Fassung sich bedient, welche
deutlich die Einwirkung du Boys' erkennen lässt : 'Per tuam ergo fraterni-
tatem mittantur' etc. 8) Charvet hat dafür 'haec'. 4) So ändert
le Lievre z. B. in der Wendung du Boys' 'ne . . . aliquid vendicare queat
oblivio' das 'queat' in 'possit' um, er verwandelt 'in lucem reddere' in
'in lucem edere' (in dem Briefe 'Cunctas inter') und unterdrückt vor dem
Schlusswunsch in J.-E. 2146. 2151 die Einleitungsworte: 'Et alia manu'
(vgl. darüber noch eine folgende Anmerkung). — Eine höchst auffallende
Verarbeitung haben diese Worte in der Pariser Handschrift 12768 er-
fahren; da sie nämlich nicht als Einführungsformel erkannt worden sind,
so sind sie mit dem folgenden Schlusswunsch: 'Benedictio apostolorum
vos ab imbre malignorum custodiat' zusammengeschweisst worden zu dem
Satze: 'Te illius — des Apostels Paulus, von welchem kurz vorher die
Rede ist — manus et omnium apostolorum vos ab imbre malignorum
custodiat'.
Arles und Vienne. 17
z. B. in J. -E. 2549: *Omnia etiam privilegia . . . volumus
inconversa tibi . . . permanere', in J.-E. 2563 'Uiide imme-
mor nostri fore non debet quia tu^' etc. und in J.-E. 2693
'ut sub omni celeritate dirigatis, qualiter n o s de ipsis quinta
et sexta synodis sentiatis' — man liest es bei du Boys und
le Lievre, obAvohl der erste in seinem Druckfehler- Verzeichnis
dafür der Reihe nach 'inconvulsa', 'debes', 'vos' einge-
setzt wissen will.
Ob le Lievre von du Boys auch bei den Briefen, welche
den Schluss der Sammlung bilden, abhängig ist, ist nicht
überall mit Sicherheit zu entscheiden. Denn während vorher
le Lievre auch in der Wortstellung genau mit du Boys überein-
stimmt, kommen mit dem Stücke des Sergius J.-L. 3544 —
hier sogar dreimal — Umstellungen und andere Aenderungen
auf; le Lievre ist auch vollständiger, indem er zweimal die von
du Boys gelassenen Lücken ausfüllt : in dem eben angeführten
Briefe 'Et quae admodum [Lücke] Guntramnus rex ecclesiam
JMaurianensem . . . subiectam . . . sanct^ Viennensi fecit ec-
clesiae' ohne weiteres durch Einschiebung eines 'largiter' und
in J.-L. 5025 'universa ecclesia pabulo tantae [Lücke] sagi-
nata congaudeat' durch 'eruditionis' ergänzend; es lässt sich
nicht leugnen, dass diese Ergänzungen ziemlich leicht aus dem
Zusammenhang zu gewinnen waren, so dass man nicht daran
zu denken braucht, le Lievre habe sie durch sorgfältigere
Benutzung des handschriftlichen Stoffes erlangt; was die Aende-
rung der Wortstellung anbetrifft, so ist auch darauf kein
grosses Gewicht zu legen, falls ein Beispiel, welches sich in
dem Urban- Briefe J.-L. 5350 findet, dafür von ausschlag-
gebender Bedeutung ist; dass le Lievre nämlich diesen Brief
von du Boys entlehnt hat, dürfte schon bei oberflächlicher
W^ürdigung der Aufschrift ausser ZAveifel gestellt werden ; sie
beginnt bei le Lievre: 'Urbanus secundus episcopus servus
servorum Dei' und findet für das höchst befremdliche Zahl-
wort ihre einfache Erklärung darin, dass du Boys hinter
Urbanus der elften Anmerkung ihre Stelle anweist, dabei aber
die arabische Zahl 11 in seinem Drucke so gestaltet, dass sie
leicht als römische II verlesen werden kann.
Also wenn auch die Benutzung der Drucke du Boys'
mindestens für einen Brief der letzten acht sicher ist, so
bleibt doch hier, wofern man die auf eigener Anschauung be-
ruhende Kenntnis Vienner Schriftstücke, welcher le Lievre
sich berühmt, verwerthen und damit sein von du Boys ab-
weichendes Verhalten bei dieser Schlussgruppe in Verbin-
dung bringen will, die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass
er, bez. stets sein Mittelsmann Pierre de Villars, den Wort-
laut einzelner Briefe auf anderem Grunde gewonnen habe,
Neues Archiv etc. XV. 2
18 Wilhelm Gundlach.
als du Boys ' ; bei den mittleren sechzehn Stücken steht frei-
lich, im ganzen genommen, seine Abhängigkeit von dem
Laevum Xyston ebenso ausser Z^Yeifel, wie es mit seiner Un-
abhängigkeit ohne jede Einschränkung bei den ersten sechs
Briefen der Fall ist.
Diese Schlüsse sind mit dem Vorbehalt der Sorgfalt du
Boys' gezogen worden; denn nur wenn die Abweichungen bei
genauem Vorgehen der Herausgeber entstanden sind, ist für
sie auf verschiedene Quellen zu folgern. Nun Avissen Avir aller-
dings über du Boys und seine Arbeitsweise von anderer Seite
nichts; was sich indessen aus seiner Schrift selbst ermitteln
lässt, ist kaum danach angethan, dass man sich aller Bedenken
in dieser Richtung begebe; denn du Boys hat z. B. zwei
dritte und zwei fünfte Kapitel im Laevum Xyston, ja er scheint
sich selbst der Nachlässigkeit zu bezichtigen, indem er p. 108
'cum nundinarum Francofortianarum immineret tempus' seine
Versehen entschuldigt und eine berichtigte Ausgabe verhcisst.
Wird somit alles, was man über die handschriftliche
Grundlage der Epistolae Viennenses nur aus den Schriften
von du Boys und le Lievre folgern könnte, ins Ungewisse
gestellt, so dürfte doch das gewonnene Ergebnis im ganzen
bestätigt werden, sobald man die auf die Herkunft der mit-
getheilten Stücke bezüglichen Bemerkungen Charvets zur Ver-
gleichung heranzieht.
Nur bei den letzten Stücken der Epistolae Viennenses
finden sich nämlich Angaben Avie 'des archives de l'dglise de
Vienne' oder 'ex archivis ecclesiae Viennensis' oder bei der
Urkunde Calixts K. p. 325: 'L'original de la bulle de Calixte H
en faveur de l'eglise de Vienne est precieusement conserv^
dans les archives' — Angaben 2, die mir den BcAveis zu liefern
scheinen, dass Charvet die damit versehenen Stücke nach den
Originalen mitgetheilt hat, Avelche in dem Archiv der Vienner
Kirche beruhten. An diesem Schlüsse macht mich auch nicht
irre die Wahrnehmung, dass zweimal, zu den Briefen J.-L.
5024 und 5025 die übliche Formel 'ex archiv. eccl. Vienn.'
erweitert ist durch den Zusatz 'lib. no I. L. fol. 37' und '38',
Aveil die Originale ja doch sehr avoIiI so aufbewahrt sein
konnten, dass sie an einem Rande in ein Buch eingeheftet
Avaren. Dass hier Charvet auf anderem Grunde steht als du
1) So dürfte sich auch erklären, dass du Boys von le Lievre nur
die 'fundamenta' seines 'fuudus' erhalten haben Avill — vielleicht aus der
noch unvollständigen, erst handschriftlich vorhandenen Arbeit le Lievres,
welche dann nach dem Erscheinen des Laevum Xyston vervollständigt
worden ist. 2) Einmal findet sich bei Charvet p. 307 — wie bei de
Maupertuy p. 173 — neben der erwähnten Wendung 'des archives de
l'e'glise de Vienne' zui' Bezeichnung eines anderen Fundortes auch 'de
la bibliotheque de Saint -Beuoit sur Loire'.
Arles und Vieuue. 19
Boys, dürfte auch daran klar werden, dass er den Brief J.-L.
5025 nicht wie du Boys dem Papst Gregor VII., sondern
seinem Vorgänger Alexander IL beilegt, dass er ferner, soweit
aus seiner ziemlich freien Uebersetzung ein Schluss zulässig
ist, das Schreiben J,-L. 5024 in einer ganz anderen lateini-
schen Fassung vor sich gehabt haben muss, als wir durch
du Boys kennen lernen i. Diese auf Originale zurückzufüh-
rende Schlussgruppe der Epistolae Viennenses umfasst aber
bei Charvet nicht nur die letzten acht Stücke der Sammlung,
sondern schon den sechzehnten Brief der oben angenommenen
Blittelgruppe J.-E. 2877, wenn anders Charvets Anmerkung
p. 196: *Le manuscrit de cette Constitution ... est dans les
archives de l'eglise cathedrale de Vienne' so wie die ähnlichen
Angaben zu deuten ist.
Obgleich dann für die übrigen fünfzehn Briefe der Mittel-
gruppe Charvet selbst die Abstammung von den Originalen
nicht bezeugt — so weit er nämlich ihnen überhaupt in seiner
Darstellung Raum giebt, verräth er mit keiner Silbe, woher er
sie entlehnt hat^ — so ist doch Avenigstens ^ für einen Brief
1) Leider ist auch Charvet nicht über dem Verdacht erhaben, dass
er den Wortlaut seiner Vorlagen heimlich geändert habe; das scheinen
mir in den ersten Briefen diejenigen Stellen zu zeigen, in welchen er
von dem sonst immer gleich überliefernden le Lievre abweicht; so wech-
selt er z. B. in der Aufschrift des Cornelius -Briefes die anstössige Be-
zeichnung 'archiepiscopus' des Bischofs von Vienne gegen 'episcopus'
aus; er verschönert in dem Silvester-Briefe den Satz: 'quia nullura docu-
mentum formatarum extat' — offenbar, weil schon ein anderer quia -Satz
unmittelbar vorhergeht — zu 'nullum tamen documentum formatarum
extat' und macht die Wortfolge durch Umstellung verständlicher in J.-K.
75 und 116. 2) Ich glaube, dass dieses absonderliche Verfahren aus
dem Misstrauen Charvets zu erklären ist : da er die grösste Stückzahl
dieser Gruppe für gefälscht hielt und darum stillschweigend bei Seite
liess, mochte er vielleicht mit (nur zu sehr berechtigtem) Verdacht sich
zur Aufnahme der anderen entschliessen; er hat sie zwar von Stephan
an seiner Darstellung eingeflochten, aber doch aus ihrer Reihe dann
noch die Briefe J.-E, 2367 und 2563 ausgeschieden. In dieser Wahr-
nehmung ist meine N. A. XIV, 275 Anm. 1 geäusserte Auffassung be-
gründet, dass Charvet bei dem Briefe J.-E. 2146, den er offen als Fäl-
schung zurückweist, sich nur so stelle, als kenne er den Fundort nicht,
dass das Schreiben eben da zu finden w-ar, wo die übrigen vierzehn oder
fünfzehn Stücke dieser Gruppe, unter ihnen die von Charvet selbst mit-
getheilten, überliefert waren. 3) Ob die Abweichungen von du Boys'
Ueberlieferung, welche der Zacharias- Brief J.-E. 2258 in der Pariser
Handschrift 2282 und das Schreiben Hadrians J.-E. 2412 bei Hugo von
Flavigny erkennen lassen — ihm folgt auch das Cartular von Mäcon —
auf den Wortlaut der Originale zurückzuführen sind, oder auf eigen-
mächtigem Verhalten der Abschreiber beruhen, möchte ich, wie auch bei
der andern Pariser Handschrift und dem Cartular von Romans, unent-
schieden lassen.
20 Wilhelm Gundlach.
dieser Gruppe J.-E. 2385 von anderer Seite dieselbe Herkunft,
wie für die Schreiben der letzten Gruppe verbürgt; der an-
geführte Brief trägt nämlich bei de Maupertuy p. 92 den Ver-
merk: 'des archives de l'eglise de Saint -Maurice'.
Die nämliche Form der Ueberlieferung — vermeintliche
Originale — hat Charvet vielleicht auch für die Anfangsgruppe
der Epistolae Viennenses, ihre ersten sechs Stücke, verwendet,
da er hier mit le Lievre bez. de Villars übereinkommt und
ausserdem, wie schon bemerkt, ausdrücklich angiebt, dass er
die sechs Briefe den 'perantiqua membrana' der Vieuner Kirche
entnommen hat.
Die bisher erzielten Ergebnisse dürften aber endlich auch
noch durch eine einfache Erwägung gestützt werden : de
Maupertuy bezeichnet seine Geschichte des Bisthums Vienne
auf dem Titelblatt als 'composöe sur diverses pieces autenti-
ques et originales tirees des archives de l'archevechö et du
chapitre de cettc eglise'; wenn nun ein Erzbischof — Pierre de
Villars — das Recht seines Bisthums auf den gallischen Primat
erweisen will, so liegt es auf der Hand, dass er zunächst an
die Urkundenschätze seines Archivs oder des Archivs seines
Kapitels sich machen wird; er hat also wohl die angeblichen
Originale, welche nach de Maupertuy's Angabe noch im An-
fang des achtzehnten Jahrhunderts in den Archiven des Erz-
bischofs und des Kapitels bewahrt wurden, für seine Zwecke
ausgebeutet. Da nun auch Charvets Hinweisungen 'des archives
de l'eglise de Vienne' nicht wohl anders denn als auf die
namhaft gemachten Archive gehend auszulegen sind, so wird
so in erwünschter Weise der Zusammenhang erklärt, welcher
zwischen seinen Texten und den von Pierre de Villars bez.
le Lievre gebotenen obwaltet. Ebenso leicht ist auch die
Deutung des Gegensatzes, der zwischen diesen Texten und
den von du Boys uns übermittelten vorherrscht; du Boys leiht
in dem Zueignungsschreiben, wie angegeben, seiner Freude
darüber Ausdruck, dass ihm das Archiv des Petersklosters in
Vienne zugänglich gemacht worden ist; er lässt uns so doch
wohl errathen, dass er, nachdem de Villars vielleicht nur bruch-
stückweise die Epistolae Viennenses veröffentlicht hatte ', die
1) Die Uebereinstimmung der Texte le Lievres (mit denjenigen Char-
vets also) mit den Originalen ist für die Anfangsgruppe und für Stücke
der Schlussgnippe als wahrscheinlich hingestellt worden, während die
Mittelgruppe bis auf belanglose Einzelheiten eine ausschliessliche Ver-
wandtschaft mit den von du Boys überlieferten Texten bekundet; aber
selbst von diesen belanglos scheinenden Einzelheiten kann mindestens
eine durch den Unterschied, welcher zwischen Original und Abschrift
herrscht, erklärt werden : wenn nämlich du Boys in den Briefen J. - E.
2146 und 2151 den Schlusswunsch, welchen der Papst mit eigener Hand
zu schreiben pflegte, mit den Worten: 'Et alia manu' einführt, so lässt
Arles und Vienne. 21
Handschriften des KJosterarchivs als vornebmste Quelle für
seine Ausgabe benutzt hat ^ ; da nun aber, wie natürlich, die
Originale in den Archiven der Kathedrale sich befanden, so
konnten diese Handschriften nichts anderes als Abschriften,
als Cartulare sein; es waren vielleicht dieselben, welche noch
im Jahre 1708 den auf einer wissenschaftlichen Reise begrif-
fenen Benedictinern Martene und Durand vorgelegt wurden ^.
Yv^enn also noch im Jahre 1708, ja noch zur Zeit Char-
vets, dessen Buch im Jahre 1761 erschienen ist, die Originale
und Cartulare der Vienner Briefe vorhanden waren, sind sie
denn seitdem so vollständig verschollen, dass auch nicht ein-
mal mehr eine Abschrift, welche älter als das siebzehnte Jahr-
hundert ist, von ihnen sich erhalten hat? — Diese Frage ist
er schon damit erkennen, dass er nicht auf das Original, sondern auf
eine Abschrift zurückgeht; wenn aber le Lievre in beiden Fällen bei
sonst durchgehender Uebereinstimmiing mit du Boys die Eingangsformel
nicht hat, so dürfte er es hier wieder einmal seinem an die Originale
reichenden Mittelsmann de Villars nachthun, dem er jedenfalls nicht ohne
Noth die Folgschaft versagt. 1) Dass ihm neben dieser Hauptquelle
aber noch eine andere zu Gebote steht, das anzunehmen dürfte nach
einigen seiner Randbemerkungen unabweisbar sein; so beginnt der Brief
J. - K. 116 mit den Worten: 'Scias frater beatissime', für deren letztes
am Rande 'carissime' von du Boys angegeben, von de la Eigne ohne
weiteres in den Text aufgenommen wird; in J. -E. 2146 findet sich zu
'venerabilis pallii' anstatt des Adjectivums am Rande 'venerandi' ange-
zogen, welches in der jüngeren hier in Frage kommenden Pariser Hand-
schrift dem Wortlaut einverleibt ist. In J. -K. 75 lautet die Wendung
'presbyteris Galliarum mittantur' an der Seite 'presbyteri Galliarum inci-
tentur'; in J.-K. 177 hat von dem Satze: 'per quod valeant confutari'
das Schlnsswort am Rande 'confirmari' neben sich; im J.-K. 446 wird
die Tageszahl der Datierungszeile 'octavo' am Rande durch: 'alias III',
in J.-E. 2563 das Kaiserjahr Ludwigs 'IV' durch die Randbemerkung
'undecimo' geändert, in J. -L. 6596 zu 'genium conservare' am Rande
'gremium' angeführt und in J.-L. 6822 'confovere' durch ein am Rande
hinzugefügtes 'libertatem' ergänzt; da nun die in den Stücken 75. 177.
2563. 6596. 6822 angemerkten Abwandelungen von le Lievre stets als
einzig vorhandene Lesarten geboten werden, le Lievre aber nach Col-
lombet die 'Memoires' des Erzbischofs Pierre de Villars in sein Buch
aufgenommen hat, so wird es augenscheinlich, dass auch du Boys, welcher
die Arbeit des Erzbischofs ja in seinem Zueignungsschreiben erwähnt
(vgl. N. A. XIV, 253 Anm. 2), die 'Memoires' (oder den damit übereinstim-
menden Entwurf des le Lievre'schen Werkes: vgl. oben S. 15 Anm. 2 und
S. 18 Anm. 1) gelegentlich herangezogen hat, ohne ihnen einen bestim-
menden Einfluss auf die Gestaltung des W^ortlautes einz;uräumen. 2) In
ihrem Reisebericht: 'Voyage litteraire de deux Benedictins' I, 256 heisst
es : 'II y avait autrefois dans Vienne douze abbayes de notre ordre ;
aujourd'hui ce nombre est fort diminue. La plus conside'rable est celle
de Saint-Pierre . . . Monsieur l'abbe des Halles . . . qui en est le doyen
nous procura I'entree des archives de cet illustre chapitre et nous mit
entre les mains deux ou trois beaux cartulaires.'
22 Wilhelm Gundlach.
leider zu bejahen, da ein so ausgezeichneter Kenner der in
Frankreich befindlichen Handschriften Tvie Leopold Delisle
auf die Bitte um Auskunft keinen Nachweis zu ertheilen ver-
mochte.
Dass die Urkundenschätze der Vienner Archive vernichtet
worden sind, bezeugt auch Collombet, indem er in seiner
'Histoire de la sainte eglise de Vienne' III, 357 berichtet:
'Charvet fut un des derniers qui purent consulter les archives
de Vienne, precieux depot dont les restes furent disperses
par les mains des revolutionnaires ou jetes aux flamraes
comme choses inutiles, corame monuments de superstition' '.
Fasst man den Ertrag dieser Erörterungen, dass wahr-
scheinlich sowohl die vorgeblichen Originale — bei le Liuvre
zum Theil und bei Charvet — wie ihre in Cartulare einge-
tragenen Abschriften — bei du Boys — der noch vorhandenen
Ueberlieferung zu Grunde liegen, dass aber keine dieser
Ueberlieferungsformen über den Anfang des zwölften Jahr-
hunderts in die Vergangenheit hinein zu verfolgen ist, mit der
Absicht ins Auge, daraus Anhaltspunkte zur Aburtheilung
über Echtheit oder Unechtheit der Epistolac Viennenses zu
gewinnen, so muss die Entscheidung dahin ausfallen, dass
die früheste erst im zwölften Jahrhundert nachweisbare Spur
der Vienner Briefreihe gewiss nicht für ihre Echtheit einzu-
nehmen geeignet ist, dass aber ebenso wenig der beregte
Umstand an sich den Verdacht der Fälschung begründen
kann. Die Frage, unter welcher die ganze Untersuchung
steht, ist also noch so lange offen zu lassen, bis Nach-
forschungen anderer Art zum Austrag gebracht worden sind;
erst wenn auf anderen Wegen die Unechtheit der Epistolae
Viennenses gefunden worden ist, wird auf die erzielten Er-
1) Eine ähnliche Angabe über den Untergang der Vienner Brief-
Handschriften verdanken wir E. J. Savigne, welcher im Jahre 1869 eine
nachgelassene Schrift Claude Charvets : 'Fastes de la ville de Vienne*
herausgegeben hat; nur kann ich mich, unter Berufung auf meine oben
gebotenen Auslassungen, nicht mit der Auffassung einverstanden erklären,
dass Charvet auch für die Vienner Briefe das grosse Cartular der Kirche
benutzt habe (p. XIV: 'Charvet , . . a joui du rare avantage d'avoir k sa
disposition les archives alors intactes du chapitre de Saint -Maurice. II a
eu notamment sous les yeux le grand cartulaire de cette eglise, formant
un volume in-folio, ecrit sur parchemin et datant du XII^ siecle, qui a
malheureusement etd confondu avec les titres fe'odaux et bn'ile h l'epoque
de la r^volution') — es müsste denn sein, dass Savigne, dessen Angaben
ich nicht auf ihren Ursprung zurückverfolgen kann, als Cartular die zu
einem Buche vereinigten Originale (vgl. meine oben S. 18 dargelegte
Meinung) bezeichnet hat: die Bestimmung 'datant du XII^ siecle' kann
dabei nicht stören; denn ich hoffe den Nachweis zu führen, dass selbst
die Originale erst im letzten Jahrzehnt des elften oder im Anfang des
zwölften Jahrhunderts hergestellt worden sind.
Arles und Vienne. 23
gebnisse zurückgegriffen werden, um den Zeitpunkt der Fäl-
schung festzustellen.
Zunächst gilt es, die äussere Beschaffenheit der Briefe,
soweit sie eine formelhafte ist, zu prüfen.
2. Die Formeln'.
Da die Reihe der Epistolae Viennenses mit ihren älte-
sten Bestandtheilen bereits im zweiten Jahrhundert beginnt
und mit denjenigen Stücken, welche reine Briefform zur
Schau tragen, bis an das Ende des elften Jahrhunderts reicht,
für die Epistolae Arelatenses aber die kanzleimässigen For-
men der Papstbriefe bis zum Zeitalter Gregors des Grossen
festgestellt sind, so könnten daran wenigstens die frühesten
Vienner Briefe sogleich gemessen werden; um indessen diese
Arbeit ununterbrochen der ganzen Reihe zu widmen, dürfte
es angebracht sein, erst die Uebersicht, welche die in der
päpstlichen Kanzlei gebräuchlichen Formeln zum Gegen-
stande hat, zu vervollständigen nach Massgabe der in den
Epistolae Viennenses vertretenen Empfängerarten, und das
sind der König Karl, der Metropolitanbischof von
Vienne, eine Anzahl Bischöfe und eine Gesammtheit
niederer Geistlicher.
Es ist gezeigt worden 2^ dass in der Aufschrift der an
den Kaiser gerichteten Briefe die unter Leo (J.-K. 542), Ana-
stasius (J.-K. 744) und Johann (J.-K. 884: Gloriosissimo et
clementissimo filio lustiniano augusto Johannes episcopus')
übliche Form das Vorbild abgegeben hat für die Einrichtung
der an König Childebert gerichteten Briefe, als im sechsten
Jahrhundert zum ersten Male der Statthalter Petri in brief-
lichen Verkehr mit einem Merowinger trat (J.-K. 942: 'Domino
filio gloriosissimo atque praecellentissimo Childeberto regi
Pelagius episcopus'), und dass daran sich zwanglos die von
Gregor beliebte Aufschrift anschliesst (J. -E. 1827: 'Domino
gloriosissimo atque praecellentissimo filio Ethelberto regi Anglo-
rum Gregorius episcopus [servus servorum Dei']), welche nur
um die genauere Bestimmung des Königs ('Anglorum') und die
Demuthformel nach der Standesbezeichnung 'episcopus' er-
weitert ist.
1) Wenn ich wiederholt einzelne Formen abweise, so bin ich weit
entfernt, damit stets die Echtheit der betroffenen Stücke anzufechten;
es ist mir lediglich darum zu thun, möglichst scharf die regelrechten
Formen von den unregelmässigen zu scheiden. 2) Die genaueren Aus-
führungen findet man N. A. XIV, 313 — 325; bei dieser Wiederholung
will ich nur die Entwickelung in Kürze überblicken lassen.
24 Wilhelm Gundlach.
Wenn Bischöfe Papstbriefe empfangen, so gilt für diese
als Aufschrift im vierten, fünften und sechsten Jahrhundert
eine Form wie 'Dilectissimo fratri Paulino Damasus' oder bei
einer Mehrzahl von Elmpfängern: 'Dilectissimis fratribus uni-
versis episcopis per Gallias consistentibus Symmachus; erheb-
lich verändert ist dagegen die unter Gregor I. gewählte Auf-
schrift: 'Reverentissimo et sanctissimo fratri Aetherio coepi-
scopo Gregorius servus servorum Dei'; indessen dürfte so
nur ein Metropolitanbischof behandelt worden sein, während
an den einfachen Bischof vielleicht in einer der früheren näher
kommenden Form geschrieben worden ist. Wie bei einer
Gesammtheit von Empfängern die Aufschrift eingerichtet war,
ist wegen mangelhafter Ueberlieferung nicht zu erkennen.
Gegen Geistliche niederer Ordnung oder gegen die nicht
in Rangklassen gegliederte Geistlichkeit haben sich die Päpste
noch im fünften Jahrhundert, was die Folge des Empfänger-
und Absendernamens anbetrifft, nicht anders verhalten als
gegen Bischöfe; erst im sechsten Jahrhundert tritt der Name
des Papstes in solchen Aufschriften an den Anfang : 'Pelagius
episcopus universo populo Dei'; darin ist auch unter Gregor I.
kein Umschwung eingetreten, da es heisst: 'Gregorius episcopus
servus servorum Dei dilectissimo filio Maximo abbati'; eine
wirkliche Neuerung braucht auch in dem 'dilectissimo filio'
nicht erblickt zu werden, welches, im fünften Jahrhundert in
solchen Aufschriften nachweisbar, im sechsten vor Gregor nur
ausser Uebung gekommen zu sein scheint.
Also wenn man von der merkwürdigen Gestaltung der
einen Metropolitanbischof nennenden Aufschrift absieht, so ist
iinter Gregor I. als durchgehende Abweichung von den Formen
der Vergangenheit im wesentlichen nur der Zusatz 'servus
servorum Dei' aufzuführen, welcher nach fester Regel ent-
weder dem Namen 'Gregorius' oder dem darauf folgenden
'episcopus' angefügt wird.
Von den Nachfolgern des grossen Gregor scheinen nur
diejenigen, welche in dem auf seinen Tod folgenden Jahrzehnt
den Stuhl Petri inne gehabt haben, an der Neuerung Gregors
festgehalten zu haben ; denn nur von Bonifatius IV. ist in
dem an König Theoderich IL von Austrasien gerichteten Brief
J.-E. 2002 eine Aufschrift glaubhaft bezeugt, welche mit der
des oben angeführten Gregor-Briefes übereinkommt: 'Domino
gloriosissimo atque precellentissimo filio Theodorico regi Fran-
corum Bonifatius episcopus servus servorum Dei'^; ebenso
1) Das ganze Formular des an den englischen König gesandten
Briefes J.-E. 1998 halte ich für verderbt, da 'excellentissimo atque prae-
cellentissimo' in der Aufschrift doch wohl zweimal dasselbe ist und auch
die freilich stets jeweiligem Belieben mehr ausgesetzte Unterschrift des
Arles und Vienne. 25
berührt sich die Aufschrift des dem Bischof Florian von Arles
gewidmeten Schreibens mit den Aufschriften, wie sie unter
Gregor bei Metropoliten gebraucht w'urden, nur dass jetzt
eine kleine Vereinfachung um ein Eigenschaftswort im Bischofs-
titel eintritt: 'Reverentissimo fratri Floriano coepiscopo Boni-
fatius servus servorum Dei' (J.-E. 2001).
Mit Bonifatius V. aber dürfte wieder eine rückläufige
Bewegung einsetzen, w^elche zu den vor Gregor I. verwandten
Formen zurückkehrt, so dass mindestens in den Aufschriften
der an Bischöfe erlassenen Schreiben Wendungen wieder her-
vorkommen wie 'Dilectissimo fratri lusto Bonifatius' in J.-E.
2006 und ebenso unter Honorius I. in 2020, unter Martin I. in
2051, unter Adeodat in 2105 ('Dilectissimis fratribus universis
episcopis in Galliae partibus commorantibus Adeodatus'), unter
Leo IL und Sergius I. in J.-E. 2119. 2122. 2133'. Ob auch
die den Königen gewidmeten Briefe von dem Rückschlage
betroffen werden, möchte ich aus Misstrauen gegen die von
mir gesammelten Beispiele unentschieden lassen ^ ; dagegen
Papstes: 'In Christo valeas, domine fili' gar nicht zu dem sonst beobach-
teten Brauche stimmen will. 1) Gegen die abweichenden Formen:
'Dilectissimo fratri lusto Bonifatius episcopus servus servorum Dei' in
J.-E. 2007 und ebenso unter Honoiius in J.-E. 2021 und unter Vitalian
in J.-E. 2095 verhalte ich mich vor allen Dingen darum entschieden
ablehnend, weil es weder vorher im vierten, fünften und sechsten, noch
auch nachher im siebenten und achten Jahrhundert Sitte ist, dass der
Papst sich in seinen Briefen als 'episcopus' anderen Bischöfen gegenüber
bezeichnet; es kommt hier nun noch dazu, dass die aufgeführten Briefe
sämmtlich nach England gerichtet sind, dass sie so wahrscheinlich alle
in ihrer Aufschrift einer einheitlichen verfälschenden Bearbeitung unter-
zogen worden sind. — Die Martin - Briefe J.-E. 2078, 2079 verrathen
schon durch die befremdliche Folge, welche bei den Namen des Absen-
ders und Empfängers in der Aufschrift zu erkennen ist ('Martinus Theo-
doro') und durch die verschiedene Benennung des Empfängers — der
Bischof Theodor heisst in der Aufschrift des ersten Briefes 'frater', in
der Unterschrift 'amantissime tili', in der des zweiten Briefes 'fili dul-
cissime' — , dass jedenfalls an dem Formular die päpstliche Kanzlei
keinen Theil hat. Verdächtig erscheint mir auch in seinem Aeussern der
an alle Gläubigen sich wendende Brief Martins J.-E. 2058, dessen
Aufschrift beginnt: 'Martinus servus servorum Dei atque per gratiam eins
episcopus sanctae catholicae atque apostolicae ecclesiae urbis Romae' etc.,
dessen Unterschrift aber nur 'dilectissimi fratres', also nur Bischöfe
erwähnt. 2) Das von Honorius ausgehende Schreiben J.-E. 2019 hat
selbst in einer Handschrift des achten Jahrhunderts (vgl. Kruscli im
N. A. X, 89) die nämliche bedenkliche Bezeichnung des Angeln-Königs
'excellentissimo atque praecellentissimo', welche oben S. 24 Anm. bei
einem Briefe des Bonifatius gerügt worden ist. Unter Vitalian wäre zwar
in J.-E. 2089 die Aufschrift: 'Domino excellentissimo filio Oswino regi
Saxonum Vitalianus episcopus servus servorum Dei' kaum zu beanstan-
den; da aber dieser Brief auch aus einer englischen Quelle stammt, der-
selben wohl, aus welcher die in der vorigen Anmerkung besprochenen
26 Wilhelm Gundlach.
scheint mir, dass man an der demüthigen, von Gregor auf-
gebrachten Form festgehalten habe, so oft ein Kaiser der
Empfänger war; ich halte nämlich die Aufschrift, welche unter
Martin I. in J.-E. 2062 begegnet: 'Domino piissimo et sere-
nissimo, victori, triumphatori, tilio diligenti Deum et dominum
nostrum lesum Christum, Constantino augusto Martinus epi-
scopus servus servorura Dei et universa synodus in hac urbe
Roma congregata', wenn sie auch vielleicht durch Ueber-
setzung und Rückübersetzung etwas gestört ist', doch im
ganzen für zuverlässig, da mit ihr sich merklich berührt eine
andere, welche ein Brief Leos II., J.-E. 2118, liefert: 'Piissimo
et tranquillissimo doraino, victori et triumphatori, filio dilecto
Dei et salvatoris nostri lesu Christi, Constantino imperatori
Leo episcopus servus servorum Dei'.
Nachdem die Abkehr von den unter Gregor I. und seinen
nächsten Nachfolgern üblichen Formen etwa ein Jahrhundert
gedauert hat, wendet sich ihnen die päpstliche Kanzlei wieder
zu; es geschieht zuerst unter Gregor II., welcher die Wahl
seines Papstnamens auch darin bewährt, dass er selbst in den
Formen seiner Briefe an seinen gleichnamigen Vorfahr an-
knüpft. Die Aufschrift der für ]\Ictropolitanbisch(3fe bestimm-
ten Schreiben ^ lautet jetzt genau wie die oben mitgetheilte des
an Aetherius gerichteten Briefes Gregors I.: 'Reverentissimo
et sanctissimo fratri Bonifatio coepiscopo Gregorius servus ser-
vorum Dei' in J.-E, 2168 und ebenso in 2174, unter Gregor III.
in 2239. 2251, unter Zacharias in 2264 3. 2271. 2274. 2276.
2278. 2286 •♦; und dieser Brauch scheint dann, ohne dass man
Briefe entnommen sind, so dürfte hier Zurückhaltung zu empfehlen sein.
Unter Leo II. kann die Aufschrift in J.-E. 2120: 'Domino excellentis-
simo filio Ervif^io regi Leo' auch kein Vertrauen einflössen, zumal der
ganze Brief schon von Baronius angefochten ist. 1) An den Kaiser
nach Konstantinopel gerichtet, sind diese Briefe ohne Zweifel in das
Griechische übertragen worden; beide haben auch bei Mansi (X, 790;
XI, 726) die griechische Uebersetzung neben sich. Dass dabei und bei
der Rückwendung in die lateinische Sprache kleine Versehen mit unter-
laufen, ist an der lateinischen Kpnzleiform zu ermessen, welche unter
Leo III. mitgetheilt werden wird ; die bedeutendste Abweichung der beiden
Fassungen 'diligenti Deum' und 'dilecto Dei' erklärt sich in der Weise,
dass keine richtig, sondern 'amatori Dei' die einzig echte Form ist.
2) Für den einfachen bischöflichen Empfänger wäre die Aufschrift des
Briefes J.-E. 2449: 'Tö a-yanr]|X£VC) aÖE^cfM TaQCöio) TCUxqw.QY^ri 'Abqiavoq
bovXoq Tcjv Sot'Xcov ToiJ 0£oü' ein passender Beleg — im Originallatein:
'Dilectissimo (nicht 'Dilecto' wie Mansi XII, 1077 angiebt) fratri Tarasio
patriarchae Hadrianus servus servorum Dei' — , wenn es nicht befremden
müsste, dass hier der Patriarch wie ein einfacher Bischof statt als Metro-
politanbischof behandelt wird. 3) Das richtige 'coepiscopo' steht bei
Jaflfe, Bibl. III, 116 in der Anmerkung. 4) Angesichts dieser Ein-
helligkeit wird man ohne weiteres die Aufschrift, welche unter Gregor III.
Arles und Vienne. 27
genau den Zeitpunkt des Aufhörens angeben könnte, bis gegen
die Mitte des neunten Jahrhunderts vorgehalten zu haben.
Was die Aufschriften in Briefen, welche niederen Geist-
lichen zukommen, anlangt, so werden sie, wie es seit Alters
üblich ist, von dem Namen des Papstes eröffnet, welchem in
dieser Periode 'episcopus servus servorum Dei' folgt; und das
ist auch dann der Fall, wenn in die angeredete Gesammtheit
der Geistlichen (und Laien) selbst Bischöfe ausdrücklich ein-
bezogen werden ; so heisst es z. B. unter Gregor IL in J.-E.
2160: 'Gregorius episcopus servus servorum Dei universis
reverentissimis et sanctissimis fratribus coepiscopis, religiosis
presbiteris seu diaconibus, gloriosis ducibus, magnificis castal-
diis, comitibus etiam vel cunctis christianis Deura timentibus'
und ähnlich unter Gregor IIL in J.-E. 2245: 'Gregorius epi-
scopus servus servorum Dei dilectissimis nobis omnibus epi-
scopis, venerabilibus presbyteris, religiosis abbatibus omnium
provinciarum''.
Nur in der Aufschrift der an einen König gerichteten
Schreiben scheint — wenn man zunächst nach der grössten
Anzahl der Stücke urtheilt — die päpstliche Kanzlei nicht zu
den unter Gregor I. gangbaren Formen zurückgegriffen, viel-
sich findet in J.-E. 2243: 'Greg-orius episcopus servus servorum Dei epi-
scopis Angliae salutem et apostolicam benedictionem' — also wohl aus
der englischen Sammlung! — abweisen und in 2247: 'Dilectissimis nobis
episcopis in provincia Baioariorum et Alamaniiia constitutis Wiggo . . .
Gregorins papa' und unter Zacharias in J.-E. 2265 (2266): 'Dilectissimo
nobis Wittane sanctae ecclesiae Barbarane Zacharias papa' wenigstens
um der Bezeichnung 'papa' willen mit einem Fragezeichen versehen, ob-
wohl einfachen Bischöfen jedenfalls nur 'Dilectissimis' und nicht 'Reveren-
tissimis et sanctissimis' zugekommen ist, wie auch Leos III. Brief J.-E.
2495 erkennen lässt : 'Dilectissimis nobis Alim . . . provinciae Baioario-
rum episcopis Leo servus servorum Dei'; man wird weiter die Aufschrift in
J.-E. 2270: 'Reverentissimo et sanctissimo fratri Bonifatio Zacharias' als
unvollständig überliefert ansehen und in 2291: 'Reverentissimo et sanctis-
simo fratri Bonifatio coepiseopo Zacharias episcopus servus servorum
Dei' das ungehörige 'episcopus' hinter 'Zacharias' auf einen Irrthum zurück-
führen. 1) In den Aufschriften der Briefe J.-E. 2157 und 2167 ist
offenbar nur 'episcopus' hinter dem Papstnamen ausgelassen, während in
J.-E. 2246 (unter Gregor III.) und in 2275 (unter Zacharias) 'episcopus
servus servorum Dei' — vielleicht durch einen Abschreiber — dem
kürzeren 'papa' zum Opfer gefallen ist. Ingleichen glaube ich auch der
Aufschrift in J.-E. 2161 unter Gregor II. : 'Gregorins episcopus servus
servorum Dei clero, ordini et plebi consistenti, dilectissimis filiis, in Domino
salutem' die Anerkennung, dass sie ganz ordnungsmässig sei, versagen zu
sollen, da zu 'consistenti' offenbar eine Ortsbezeichnung gehört, die Nach-
stellung der Worte 'dilectissimis filiis' ungewöhnlich ist und der Zusatz
'in Domino salutem' sonst nur in der gleichfalls sehr unregelmässig ge-
bauten Aufschrift des Briefes J.-E. 2287 (in der Form 'in Domino salutem
dicit') und in den Urkunden J.-E. 2292 und 2293 als 'perpetuam salutem'
28 Wilhelm Gundlaeh.
mehr eine Neuerung eingeführt zu haben. Unter Stephan II. »
heisst es nämlich in der Aufschrift: 'Domino excellentissimo
filio Pippino regi Stephanus papa' (J.-E. 2312) oder später:
^Domino excellentissimo filio* et' nostro spiritali com-
patri Pippino regi Francorum et patricio Romanorum
Stephanus papa' (J.-E. 2326. 35) und wie zuletzt angegeben
auch unter Paul I. (J.-E. 2338. 40. 41. 43. 44. 45. 47. 48. 51.
52. 54-59. 61. 63. 64. 69—73); der Papst Constantin II. hat
in seinen beiden Briefen (J.-E. 2374. 75) die Aufschrift:
'Domino excellentissimo filio Pippino regi Francorum et pa-
tricio Romanorum Constantinus papa' und genau entsprechend
Stephan III. in J.-E, 2387; endlich bietet Hadrian I. die For-
men: 'Domino excellentissimo filio Carolo regi Francorum et
Langobardorum atque patricio Romanorum Hadrianus
papa' (in J.-E. 2408. 09. 13-16. 18. 19. 20. 22. 23. 25-29.
33-*) und 'Domino excellentissimo* filio nostroque^ spiri-
tali compatri Carolo regi Francorum et Langobardorum
ac' patricio Romanorum Hadrianus papa' (in J.-E. 2431. 32.
34. 36. 38-42. 50. 51. 53. 58. 60. 61. 63. 64. 67. 70-78. 80).
Wenn diese Aufschriften die Kanzleiübung getreu wieder-
spiegeln, dann ist damit vor allem erwiesen, dass unter den
genannten Päpsten, also mindestens in der Zeit von 752 bis
795, soweit es sich um die an Könige ergehenden Schreiben
handelt 8, die Bezeichnung des Papstes 'episcopus servus ser-
und eingeschrumpft zu dem kurzen 'in perpetuum' sich findet; die beiden
zuletzt angeführten für Bonifatius ausgefertigten Urkunden haben übri-
gens auch 'papa' in der Aufschrift. 1) Die, streng genommen, nicht
in Betracht kommenden Schreiben des dritten Gregor und des Zacharias
— die ältesten Stücke des Codex Carolinus — , welche an den Sub-
regulus Karl und den Maior domus Pippin gerichtet sind (J.-E. 2250.
52. 77) dürften, wenn sie auch der Unterschrift ermangeln, nicht nach
Registerabschriften, sondern in Anbetracht der unverkürzten Aufschrift in
2250. 52 mich Originalen mitgetheilt sein. 2) Das Wort ist bei Jaffe,
Bibl. IV, 104 wohl nur im Druck ausgefallen. 3) In J.-E. 2343 fehlt
das 'et', in 2348 ist 'nostro et' umgestellt. 4) Wenn die Aufschrift
dieses Schreibens nicht infolge eines Fehlers den Zusatz 'nostroque spiri-
tali compatri' eingebüsst hat, dann dürfte es vor die Schreiben J.-E.
2431 und 2432 zu stellen sein, die ersten, welche den erwähnten Zusatz
aufweisen. 5) In J.-E. 2442 erscheint ein anderes Compositum: 'pre-
cellentissimo'. 6) In J.-E. 2434 heisst es dafür 'et nostro', in 2464
nur 'nostro'. 7) In den Aufschriften von vierzehn Briefen tritt dafür
'atque' ein. 8) Bei anderen Briefen ist von den genannten Päpsten
die zu erwartende Selbstbezeichnung gewählt worden; so liest man —
stets im Codex Carolinus — als Aufschrift des Briefes J.-E. 2313: 'Ste-
phanus episcopus servus servorum Dei viris gloriosis nostrisque filiis
Omnibus ducibus gentis Francorum' und des Briefes J.-E. 2368: 'Paulus
servus servorum Dei omnibus dilectis nobis episcopis et venerabilibus
presbiteris et abbatibus atque religiosis monachis, gloriosis etiam ducibus
et comitibus seu universae Christo dilectae generalitati exercitus a Deo
Arles ixnd Vienne. 29
vorum Dei' durch 'papa' verdrängt worden ist. Aber ehe
dieser Anschauung Raum gegeben wird, muss doch erst eine
leicht sich ergebende Einrede gründhch erwogen werden. Da
nämlich die angeführten Beispiele sammt und sonders einer
einzigen Sammlung, dem Codex Carolinus, entnommen sind,
so dürfte der Verdacht rege werden, dass derjenige, welcher
von Karl dem Grossen mit der Zusammenstellung beauftragt
worden ist, obzwar er den Königstitel in den Aufschriften
stets genau wiedergegeben hat — und der ist ja auch in fünf
verschiedenen Formen vertreten » — den Papsttitel ('episcopus
servus servorura Dei'), welcher immer in derselben einförmi-
gen Gestalt sich darstellte, aus Bequemlichkeit (zu 'papa')
verkürzt habe; man möchte diesem Verdachte vielleicht um
so eher sich ergeben, als einerseits der lange Papsttitel stets
den Schluss der Briefaufschriften bildete, andererseits eine
auch im Codex Carolinus mitgetheilte Urkunde J.-E. 2349
zeigt, dass der vorangestellte Papsttitel nicht von der Ver-
kürzung betroffen wurde ; die Aufschrift dieser Urkunde lautet
nämlich : 'Paulus episcopus servus servorum Dei precellentis-
simo filio Pippino regi Francorum et patritio Romanorum et
per cum venerabili monasterio beati Silvestri confessoris Christi
atque pontificis vel cuncte monachorum congregationi nunc et
in posterum illic consistentium in perpetuum'. Um diesen
Verdacht zu beschwichtigen, ist zuvörderst geltend zu machen,
dass man von den Privilegien nicht ohne weiteres auf die
Briefe schliessen darf, und dass doch das Privileg Pauls nur
scheinbar für König Pippin, in Wahrheit für das Kloster des
heiligen Silvester ausgestellt ist. Von ausschlaggebender Be-
deutung aber ist, dass der Titel 'papa', abgesehen von zwei
protecti regni Francorum constitutis' — eine Aufschrift, die, falls nicht
hinter 'Paulus' das Wort 'episcopus' ausgefallen ist, als Beleg dafür ge-
nommen werden kann, dass der Papst auch einer aus verschiedenen
Ständen zusammengesetzten Gesammtheit gegenüber auf die Selbst-
bezeichnung 'episcopus' verzichtete, wenn Bischöfe unter ihnen waren.
Dass endlich die von Hadrian beizubringenden Aufschriften: 'Hadriauus
episcopus servus servorum Dei dilectissimo nobis Egilae episcopo seu
lohanni presbitero' (in J.-E. 2445 und ohne die letzten drei Wörter in
2446) und 'Hadrianus episcopus servus servorum Dei dilectissimis nobis
Omnibus orthodoxis episcopis per universam Spaniam commorantibus'
(J.-E. 2479) vertrauensvoll hinzunehmen sind, möchte ich nicht behaup-
ten, da mir der vorangestellte Papsttitel und darin 'episcopus' verdächtig
erscheint, die drei Briefe aber sämmtlich ohne Unterschrift überliefert
sind. 1) Wenn man die Briefe Gregors III. und des Zacharias hinzu-
zieht und auch diejenigen beachtet, welche an mehr als einen König ge-
richtet sind (J.-E. 2322. 23. 25. 53. 60. 80) oder die Königin und den
König zugleich in der Aufschrift nennen (J.-E. 2386. 88), dann kommen
ausser den oben angeführten Formen noch sechs oder, genau genommen,
sieben neue Bezeichnungen der königlichen Empfänger heraus.
30 Wilhelm aundlach.
Epistolae generales und zwei Urkunden , in welchen seine
Ordnungsmässigkeit angezweifelt werden darf J, noch mit drei
anderen Beispielen belegt werden kann: unter den Alkuin-
Briefen mit einem Schreiben Hadrians I. an König Karl
(J.-E. 2483) 2 und mit einem freilich ohne Unterschrift über-
kommenen Schreiben Leos III. an König Coenulf von Mercia
(J.-E. 2494)3 und mit dem in einer Salzburger Sammlung-*
erhaltenen Briefe desselben Leo an König Karl (J.-E. 2496) * :
so lange nicht nachgewiesen werden kann, dass die Auf-
schriften dieser drei Stücke und der im Codex Carolinus
überlieferten von demselben Bearbeiter geändert worden
sind — und selbst die vielköpfige Kanzlei des Karolingi-
schen Königs, als Ort der Umwandclung angenommen, dürfte
doch nicht das 'papa' auch in dem Briefe an Coenulf von
Mercia erklären — wird man sich der Anschauung nicht ent-
ziehen können, dass der rege Verkehr der Päpste mit den
Karolingischen Königen in der zweiten Hälfte des achten
Jahrhunderts für die an Könige gerichteten Schreiben über-
haupt eine besondere Form der Aufschrift hat zur Ausbildung
kommen lassen. Dass die so entwickelte Aufschrift nach dem
Jahre 800 nicht mehr verwandt ist, liegt daran, dass man bei
dem neuen Karolingischen Kaiser das bei den oströmischen
Herrschern früher übliche Formular wieder hervorsuchte und
auch bei seinen kaiserlichen Nachfolgern beibehielt, dass dann
aber, als wirklich wieder Karolingische Könige mit den Päpsten
Briefe austauschten, in der Fassung der Briefaufschriften ein
allgemeiner von dem Stande der Empfänger unabhängiger
Umschwung eingetreten war.
Die Aufschrift nun, welcher Leo III. in seinen Briefen an
Kaiser Karl sich bedient in J.-E. 2515—18. 21. 24. 2G-29:
'Domino piissimo et serenissimo, victori ac triumphatori, filio
amatori Dei et domini nostri lesu Christi, Karolo augusto Leo
episcopus servus servorum Dei' ist nicht allein darum bemer-
kenswerth, weil sie deutlich der von Martin I. und Leo II. ver-
wandten Form entspricht 8, sondern auch lehrreich, weil daran
1) Man vergleiche oben S. 27 Anm. 1. 2) 'Domino excellentis-
simo filio nostroque spirituali compatri Carolo regi Francorum et Lango-
bardorum ac patricio Romanorum Hadrianus papa'. 3) 'Domino ex-
cellentissimo filio Coenulfo regi Merciorum seu omnibus dilectissimis
episcopis atque gloriosissimis ducibus Leo papa'. 4) Zalin, Urkunden-
buch von Steyermark I, 4. 5) 'Domino excellentissimo filio Karolo
regi Francorum et Langobardorum atque patricio Romanorum Leo papa'.
6) Vgl. oben S. 26 Anm. 1. Dasselbe lateinische Formular dürfte auch
aus der griechischen Uebersetzung eines Hadrian- Briefes (J.-E. 2448)
zu erkennen sein : 'Asonöxaiq zvat^zöxäxoic, y.ai yulr]voxäxoic,, ny.r\xaic,^ tqo-
jtaioi;)(oie, xixvoiq, ■i]yaTCr][iivoiq to 0eh xk'i xvqio r\\i(öv 'I-j^ögü Xqiöto,
KovöTaiairw xai EiQijvr] a-uyot'ötoig 'Abqiaroc, 8oiiXoe xöv SovXcov xov Qeov',
wobei nur ''EJti'dxonog' hinter dem Papstnamen eingeschaltet werden muss.
Ai-les und Vienne. 31
— in der allein vorhandenen Wolfenbüttler Handschrift —
erkannt werden kann, in welcher Weise eine eigenmächtige
Verkürzung von einem Abschreiber vorgenommen worden ist;
denn nur viermal ist die Aufschrift, so wie sie mitgetheilt ist,
wiedergegeben worden; sechsmal war es offenbar dem Schreiber
zu langweilig, die ganze Formel auszuschreiben, und so be-
gnügte er sich mit den Worten: 'Domino piissimo et serenis-
simo victori et reliqua ut supra'.
Der Anfang einer neuen Periode, welchen ich ungefähr
gegen die Mitte des neunten Jahrhunderts ansetze, wird be-
zeichnet durch die massgebende Bedeutung, welche die Privi-
legien für die Gestaltung der Aufschrift in den Briefen ge-
winnen.
In den frühesten Jahrhunderten päpstlichen Schriftver-
kehrs giebt es keine Privilegien, eine Erscheinung, welche
ohne Zweifel darauf zurückzuführen ist, dass die Bischöfe von
Rom keine über ein eng begrenztes Gebiet hinausgehende
Macht hatten, dass es eben darum niemandem in den Sinn
kam, von ihnen irgend eine Entscheidung, die Verleihung oder
Bestätigung irgend eines Rechtes zu erbitten. Nachdem dann
der Bereich päpstlichen Einflusses weiter und weiter geworden
war, traten zwar nach und nach immer zahlreichere Gesuche
der erwähnten Art an die Päpste heran; es wurde ihnen in-
dessen zunächst in Briefen entsprochen, welche sich in nichts
von den eine einfache Mittheilung bietenden Schreiben unter-
schieden. Aber ihre Menge brachte es wohl bald dahin, dass
für sie — für Schriftstücke, welche von den Päpsten kraft
ihrer oberherrHchen Gewalt in der abendländischen Kirche
erlassen wurden — besondere Formen ausgebildet wurden.
In der Aufschrift kündigte sich fortan — es dürfte sicher im
achten Jahrhundert nachweisbar sein ^ — der Inhalt des Schrift-
stückes, das Privileg, dadurch an, dass ohne Rücksicht auf
den Empfänger, mochte er selbst Bischof, Erzbischof, König
oder Kaiser sein, der Papstname, verbunden mit 'episcopus
servus servorum Dei', an die Spitze trat, der Empfänger nun
genau seinem Wohnorte nach bezeichnet und bald wohl auch
eine Bemerkung beigegeben wurde, welche die Geltung der
Verfügung auf Lebensdauer oder ungemessene Zeit andeutete
1) Ich führe dafür unter den Bonifatius - Briefen von Zacharias die
Stücke J. -E. 2292 und 2293 und aus dem Codex Carolinas von Paul I.
J. -E. 2349 an; es ist nicht unmöglich, dass der Brauch noch weiter
in die Vergangenheit hinaufreicht, etwa schon das siebente Jahrhundert
umfasst; aber an den drei Beispielen, welche ich beibringen kann (von
Honorius I. J.-E. 2017, von Theodor I. 2053 und von Ädeodat 2104)
verstösst, die Echtheit vorausgesetzt, die Voranstellung des Papstnamens
jedenfalls nicht gegen die in Briefaufschriften wahrnehmbare Regel, weil
die angegebenen Urkunden Aebten gewährt werden.
32 Wilhelm Gundlach.
('perpetuam salutem', 'in perpetuum'). Die Entwickelung ver-
läuft dann weiter in der Weise, dass auch der Context in
Formeln, unter welchen die letzte, eine Strafandrohung ent-
haltende, den Privilegien eigenthüralich ist, gegliedert und das
Eschatokoll in eine Scriptum- und Datum -Zeile auseinander
gelegt wird.
Ohne darauf genauer einzugehen, halte ich mich lediglich
an die Umgestaltung der Briefaufschrift; ich lasse ihre neue
Periode zu der Zeit beginnen, in welcher die Eigenheit der
Privilegien — Voranstellung des Papstnameus mit 'episcopus
servus servorum Dei' und Bestimmung des Empfangers nach
seinem Wohnsitze — in die Briefaufschriften eindringt. Die
frühesten Beispiele", deren Ueberlieferung mir gesichert er-
scheint, gewährt Benedict III., indem er in J.-E. 2664 an einen
Metropolitanbischof schreibt: 'Benedictus episcopus servus ser-
vorum Dei reverentissimo et sanctissimo confratri nostro Hinc-
maro archiepiscopo sanctae Remensis ecclesiae' und ähnlich an
eine auch P^rzbischöfe umfassende Gesammtheit in J.-E. 2669:
'Benedictus episcopus servus servorum Dei reverentissimis et
sanctissimis archiepiscopis cunctisque e])iscopis in Caroli glo-
rios! regis regno morantibus'; doch dürfte in der zuletzt ange-
führten Aufschrift zwischen 'sanctissimis' und 'archiej)iscopis'
noch 'confratribus nostris' einzuschieben sein, da einerseits
kein Grund vorliegt, anzunehmen, dass bei einer Mehrzahl
von Empfängern die bei einem p]inzelnen zu beobachtende
Gepflogenheit der Kanzlei abgestellt worden sei, andererseits
bei den folgenden Päpsten nur um die fraglichen Worte er-
weiterte Aufschriften nachweisbar sind; so heisst es z. B. in
J.-E. 2774: 'Nicolaus episcopus servus servorum Dei omnibus
reverentissimis et sanctissimis confratribus nostris archiepiscopis
et episcopis in regno Caroli gloriosi regis constitutis' und ganz
entsprechend noch unter Nicolaus I. in J.-E. 2730. 2822. 71.
86, unter Hadrian II. in 2898. 2918 ^ 27. 31. 42. 45 und unter
1) Die Briefe Leos III. J.-E. 2522 ('Leo episcopus servus servorum
Dei reverentissimo et sanctissimo Riculfo episcopo') und Gregors IV. J.-E.
2584 ('Gregorius episcopus servus servorum Dei reverentissimo et sanctis-
simo Otgario archiepiscopo') ermangein der Unterschrift; unter Sergius II.
haben allerdings die Briefe J.-E. 2592 und 2586 Unterschriften ('Deus
enim te incolumem custodiat, reverendissime ac sanctissirne frater' und
'Deus vos incolumes custodiat, fratres. Amen'), zu welchen ich indessen
wenig Zutrauen fassen kann, aber keine Aufschriften, und unter Leo IV.
bietet der Brief J.-E. 2667, welcher einen doppelten Schlusswunsch:
'Sanctitatem tuam omnipotens Deus incolumem custodiat, frater' und 'ßene
vale' aufweist (!), die Aufschrift: 'Leo episcopus servus servorum Dei
reverentissimo et sanctissimo Prudentio Tricassinae sedis episcopo salu-
tem': er erregt auch mit dem letzten Worte ('salutem') mein Bedenken.
2) Hier ist 'fratribus et coepiscopis nostris' für 'confratribus nostris' ein-
getreten.
Arles und Vienne. 33
Johann VIII. in 3041 1; die Aufschrift des an Hinkmar von
Reims gerichteten Schreibens, welche hier angegeben worden
ist, bleibt für Erzbischöfe massgebend auch unter Nicolaus I.
(in J.-E. 2712 2. 20 s. 46, nur dass die Ortsbezeichnung als <Re-
raorum archiepiscopo' abweichend geformt ist), unter Hadrianll.
(in J.-E. 2893. 2905.^ 07. 10. 19. 28 mit der Einschränkung,
dass hier das Adjectivum des Städtenamens zur Bestimmung
des Empfängers, also 'archiepiscopo Remensi' etc. üblich ist)*,
unter Stephan V. (in J.-E. 3470: 'Herimanno Agrippine
Colonie archiepiscopo' *), unter Formosus (in J.-L. 3488: *Heri-
manno archiepiscopo Coloniensi'^), unter Johann IX. (in J.-L.
3553: 'Heriveo Remorum archiepiscopo''') und unter Johann X.
(in J.-L. 3556. 57. 64. 68. 71. 73: 'Herimanno [lohanni] sanctae
Coloniensis [Salonitanae] ecclesiae archiepiscopo' sämmtlich
ohne Unterschriften).
Ohne in Anbetracht des besonderen hier verfolgten Zweckes
auf die einfachen Bischöfen gewidmeten Schreiben einzugehen ^,
1) Mansi (XVII, 236) hat hier hinter dem Papstnamen das Wort
'episcopus' nicht wiedergegeben. 2) Bei Mansi (XV, 295) steht 'fratri'
statt 'confratri'; die Untei'schrift fehlt. 3) Im Papsttitel fehlt 'episcopus'
(Mansi XV, 374); das Stück ist eine Urkunde. 4) Die unter Johann VIII.
begegnende Aufschrift (J.-E. 2988) : 'lohannes episcopus servus servorum
Dei reverentissimo et sanetissimo Williberto sancte Colonie plebis (!) archi-
episcopo' ist jedenfalls verderbt, ihre Berichtigung aber durch andere
noch mitzutheilende Aufschriften dieser Zeit, welche gerade den Erz-
bischof von Köln als Empfänger nennen, leicht zu bewerkstelligen. Ob
weiter die Aufschrift des an Sigebod von Narbonne gerichteten Briefes
Hadrians III. J.-L. 3397 um 'confratri nostro' nur beim Abschreiben ver-
kürzt ist, ist doch nicht unbedenklich, da auch die Unterschrift: 'Bene
valete' sonderbar ist. 5) Der Brief hat keine Unterschrift. 6) Da-
nach wäre in die Unterschriften der Briefe J.-L. 3483 und 3496 (o. U.)
wiederum 'confratri nostro' einzuschalten. — Es ist möglich, dass die
Mehrheit nicht namentlich aufgeführter Erzbischöfe und Bischöfe, welche
in der Aufschrift des allgemeinen Briefes Sergius' III. J.-L. 3548 er-
scheint, ordnungsmässig angeführt ist: 'Sergius episcopus servus servorum
Dei Omnibus reverentissimis confratribus nostris archiepiscopis, episcopis
cunctisque sacerdotibus per cunctas Gallig provintias commorantibus' —
trotz der Unterschrift: 'Bene valete' (vgl. weiter unten). 7) In dem
Titel des Empfängers fehlt 'et sanetissimo' nach Mansi XVIII, 189.
8) Es scheint, dass der Titel der einfachen Bischöfe statt der Wörter
'reverentissimo et sanetissimo' unter Stephan V. nur die Bezeichnung
'venerabili' enthielt; ich führe dafür an J.-L. 3458: 'Stephanus episcopus
servus servorum Dei reverentissimo et sanetissimo confratri nostro Heri-
manno Agrippinensis Colonie archiepiscopo seu venerabilibus Franconi
Tungrensi, Odibaldo Traiectensi, Wolfelmo Mimigernaferdensi, Druogoni
Mimidonensi, Engilmaro Osnabruggensi episcopis'. Da auch sonst Erz-
bischöfe und einfache Bischöfe in der päpstlichen Kanzlei wohl ausein-
andergehalten werden, so gebe ich die Aufschriften der Briefe J.-E. 2727.
3459. 3534 für verfälscht aus, weil sie einfache Bischöfe mit den beiden
Keues Archiv etc. XV. 3
34 Wilhelm Gundlacli.
werfe ich der Vervollständigung halber noch einen Blick auf
die Aufschriften in denjenigen Briefen, -welche an Könige ge-
richtet sind, um hier unter Nicolaus I. und Hadrian IL die
Form in J.-E. 2722: 'Nicolaus episcopus servus servorum Dei
dilecto filio Carole gloriose regi' als Muster aufzustellen (ebenso
heisst es, abgesehen von den Namen, in J.-E. 2738. 73 ^
2827. 72. 74. 83. 85. 95. 2902 \ 26. 30. 46 3). Es ist vielleicht
bezeichnend für das Selbstgefühl der Päpste, dass, wie in der
Aufschrift stets ihr Name die erste Stelle einnimmt, so auch
bei der Nennung der Könige die Positive 'dilectus' und 'glo-
riosus', nicht mehr wie in früheren Zeiten die Superlative zur
Geltung kommen^, welche den Kaisern vorbehalten zu sein
scheinen 5.
Da schon im zehnten Jahrhundert ausgeführte Schluss-
Avünsche, welche als eigenhändige Unterschriften der Päpste
zu erachten wären, nicht mehr anzutreffen sind« — nur ein
sonst nur Erzbiscböfen zukommenden Adjektiven belegen und die beiden
erstgenannten überdies noch die Ortsbezeicbnung, und der erste und letzte
auch die Unterschrift vermissen lassen. Wie eine Gemeinscliat't nicht
naraentlicli bezeichneter Erzbiscböfe, Bischöfe und Priester aufgeführt wird,
zeigt der Brief Sergius' III. J.-L. 3548; vgl. oben S. 33 Anm. G. 1) In
der Aufschrift lilsst Mansi (XV, 287) 'episcopus' hinter dem Papstnamen
aus. 2) In die Aufschrift dieses Briefes dürfte 'religiöse' nur irrthüm-
lich für 'glorioso' eingestellt sein. 3) Diesem Muster passt sich auch
die Aufschrift in J.-E. 3036, einem Briefe Johanns VIII., au : 'lohannes
episcopus servus servorum Dei dilecto filio Aldefonso glorioso regi Gallae-
ciarum', welche nur durch den Genitiv an letzter Stelle von den Auf-
schriften der an Karolingische Könige — die Könige der Papstkanzlei
schlechthin — gerichteten Schreiben sich unterscheidet. — Man sollte
meinen, dass nun auch die Königinnen ähnlich angeredet werden; aber
ein genau passendes Beispiel kann ich nicht beibringen ; denn nur in
einem Briefe J.-E. 2870 entspricht die Aufschrift: 'Nicolaus episcopus
servus servorum Dei dilectae filiae Teutbergae gloriosissimae reginae'
dem oben raitgetheilten Muster bis auf den Superlativ; zwar wird dieser
dann in zwei anderen Aufschriften (der Briefe 2739 und 2763) durch den
Positiv ersetzt; dafür fehlt aber in ihnen beiden wieder die Bezeichnung
'dilectae filiae'. 4) Ob in den Aufschriften: 'Nicolaus episcopus servus
servorum Dei dilectissimis filiis Ludovico et Carolo gloriosissimis regibus'
(J.-E. 2788) und 'Hadriauus episcopus servus servorum Dei dilectissimo
filio et gloriosissimo Carolo regi coniugique salutem in Christo' (J.-E.
2951) die Superlative regelrecht sind, ist mir namentlich mit Beziehung
auf die auffallende Gestaltung der letzteren sehr zweifelhaft, zumal da in
dem Hadrian -Brief auch eine eigenhändige Unterschrift des Papstes nicht
angegeben, sondern nur ein mit 'Amen' endender wortreicher Context-
Schlusswunsch erfindlich ist. In J.-E. 2911 ist 'excellentissimo' statt 'glo-
rioso' und in J.-E. 3521, einem Schreiben Johanns X., vielleicht auch
'dilectissimo' für 'dilecto' ungewöhnlich. 5) Man beachte die Aufschriften
der Briefe J.-E. 2908. 14, 43. 6) Ob unter Johann X. in J.-L. 3553 der
Wunsch: 'Optamus sanctitatem vestram bene valere et apud piissimum
Arles und Vieune. 35
ungemein seltenes '(Bene) vale(te)' zweifelhafter Herkunft kommt
noch in der Folgezeit vor — , ein wichtiges, bisher benutztes
Merkmal der Originalausfertigung also verschwindet, so gehe
ich, nachdem die eben besprochene Periode der Aufschriften
bis in die erste Hälfte des zehnten Jahrhunderts hinein ver-
folgt ist, auf die Gestaltung der Aufschrift nicht mehr genauer
ein. Ich beschränke mich darauf, festzustellen, dass am Ein-
gang der Papstname mit folgendem 'episcopus servus ser-
vorum Dei' unter allen Umständen festgehalten wird, und
sicher seit der zweiten Hälfte des elften Jahrhunderts (unter
Leo IX.) als Schlusswendung 'salutem et apostolicam bene-
dictionem' in Uebung ist, nachdem zuvor unter mannigfachen
anderen Wendungen in der ersten Hälfte des Jahrhunderts
vielleicht 'salutem carissimam cum benedictione apostolica'
(oder 'et apostolicam benedictionem') in J.-L. 3862. 3929. 79.
4081. 82. 83. 92. 95. 4100. Ol. 12 (4405! 4406!) besonders
bevorzugt war.
Um wenigstens für die Zeit Gregors VH. einen sicheren
Anhalt zu gewinnen, kann ich es nicht vermeiden, auf das
Register des Papstes genauer einzugehen, weil nur aus der
Art, wie die Briefe in dasselbe eingetragen worden sind, ein
zuverlässiger Schluss auf die Beschaffenheit der Originale zu
ziehen ist.
Die Frage: 'Was wurde in das Register eingetragen, die
Abschriften der fertigen Briefexemplare, die vor ihrer Absen-
dung in der Kanzlei zurückbehalten und copiert wurden, oder
die Abschriften der Concepte?' hat Paul Ewald in seiner
Arbeit : 'Zum Register Gregors VII.' i bereits zu beantworten
versucht. Nachdem er den Geschäftsgang allgemein erwogen,
insbesondere hervorgehoben hat: 'Wenn an einem Tage, wie
es häufig genug vorkam, mehr als ein Dutzend Briefe und
Urkunden in der Kanzlei ausgestellt wurden, wenn, wie wir
oft genug erfahren, die betreffenden Boten eilen und drängen,
ihre Reise anzutreten, sollte da erst nach den Originalen die
Masseneintragung erfolgen, wo doch die Concepte ohnedies
zurückblieben und in Müsse zu gelegener Zeit eingetragen
werden konnten?' — , um dann die Ansicht Löwenfelds: 'dass
die Register nur nach den Originalen, nicht nach den Con-
cepten gefertigt seien' 2, jedenfalls für die Zeit Gregors VII.
Dominum pro nobis piis supplicationibus intercedere' als eigenhändig von
dem Papste gefertigt anzusehen ist, scheint mir wegen der auch in den Con-
text- Schlusswünschen späterer Zeit ersichtlichen Aufforderung, Fürbitte
für den Papst einzulegen, zweifelhaft. 1) In den 'Historischen Unter-
suchungen Arnold Schäfer . . . gewidmet' (Bonn, 1882) S. 296 — 318;
hier kommt die Arbeit von S. 310 an in Betracht. 2) Briegers Zeit-
schrift für Kirchengeschichte III, 143.
3*
36 Wilhelm Gundlach.
und seiner Vorgänger zu verwerfen, geht er daran, die Richtig-
keit seiner Meinung im einzelnen zu erweisen.
Da man bei dem Registervermerk *a paribus', welcher
zweimal vorkommt, fragen kann, ob er als ein Befehl des
Papstes oder als eine das spätere Verständnis erleichternde
Hinweisung der Kanzlei zu betrachten ist, entscheidet Ewald
sich für die erste Auffassung; er erwähnt dann wohl, als er
zwei durch den berührten Vermerk als Zw'illinge gezeichnete
Briefe in ihrem Datum um zwei Tage auseinanderliegen sieht,
dass vielleicht die Ausfertigung beider an demselben Tage nur
befohlen, aber bei einem verzögert worden ist, so dass nach
den Tagen der Versendung aus den Originalen die Daten in
das Register eingefügt wurden; er verwirft indessen diese
Auskunft und bescheidet sich mit dem Urtheil, dass die Ver-
schiedenheit der Daten auffallend sei, 'ob sie nun nach Ori-
ginal oder Concept eingetragen wurden'.
Die dreimal sich findende Angabe: 'Dictatus papae' ist
Ewald besonders beweiskräftig; er sagt von ihr: 'es ist ganz
undenkbar, dass aus den Originalen diese Angabe mit über-
nommen sein kann'.
Endlich zieht Ewald zu den im Register erhaltenen
Briefen diejenigen Ueberlieferungsformcn herbei, welche ihm
der Originalausfertigung zu entstammen scheinen. Es ist das
zuerst der Brief J.-L. 4846, welcher von Julius von Pflugk-
Harttung als Abschrift des Originals herausgegeben » und als
solche von Ewald darum anerkannt ist, weil sie die Lücken
des Registers, wie es uns heute vorliegt, ergänzt: Ewald er-
klärt den Zusatz (hinter 'Nemausensi') 'in Provincia', ■welcher
nicht im Original, sondern nur im Register steht, als ein in
das Register übernommenes Kennzeichen des Concepts; er
lässt sich auch die Meinung v. Pflugk-Harttungs gefallen, dass
die Auslassung des Datums in seiner Ausgabe in den Ori-
ginalausfertigungen überhaupt die Regel gewesen sei, zumal
auch die Epistolae collectae, welche JafF<j dem Register Gre-
gors VII, angehängt, also anderswoher erlangt hat, diese Auf-
fassung empfehlen. Ewald vergleicht dann mit der Register-
fassung die Briefe Gregors VII. , wie sie Paul von Bernried,
Hugo von Flavigny, Bruno, Udalrich, die Cartulare von Tours,
Mäcon und Trier überliefern, um überall etwa das Fehlen der
Daten und — ohne näheres Eingehen — den volleren Titel
in mancher Aufschrift zu vermerken und dann die Entschei-
dung zu fällen: 'dass die reicheren Titel sich aus einer anderen
als der vorliegenden Ueberlieferung des Registers hei'schreiben
mögen', dass aber auf das Vorhandensein oder Fehlen der
Datierung kein grosses Gewicht zu legen sei. Schliesslich
1) Acta inedita I, 46.
Arles und Vienne. 37
bespricht Ewald die Abweichungen zwischen einem von Fickler»
veröffentlichten Briefe Gregors VII., welcher ihm *im allge-
meinen' original zu sein scheint, und dem nämlichen in der
Registerform — 'dilecto in Christo' geht dem Namen des
Empfängers bei Fickler voran und fehlt bei Jaffe; die Datie-
rung heisst dort: 'Dat. Laterani V. N. Mai. ind. III. anno domin.
ine. LXXX, anno vero pontificatus domni Gregorii papae VII
octavo', hier 'Actum Lateranis VIII. Idus Mali, ind. III.' —
er urtheilt dann mit Beziehung auf 'Actum' und 'Datum', bei
welchem ihm die Zahl des Monatstages fehlerhaft wieder-
gegeben ist, dass auch hier, da 'die Ueberlieferung im Re-
gister zuweilen den Willensact selbst, die Originale immer
den Termin der Ausfertigung desselben fixieren', das Con-
cept, 'welches dem Entschluss des Papstes noch näher stand',
nicht das Original in das Register eingetragen sei.
Wenn sich Ewalds bewährter Scharfsinn auch in diesem
Beweise nicht verleugnet, so leidet sein ganzes Verfahren dar-
unter, dass er nicht bestimmt genug versucht hat, von dem
Aussehen der Originale sich ein Bild zu machen, dass er das
in der Ferne an anderen Orten gesucht hat, sich mit wider-
spruchsvollen Zügen hat abfinden lassen, während ihm doch
das Gute in dem Register selbst so nahe lag.
Seine Ausführungen einzeln durchzugehen, so glaube ich,
dass die abweichenden Daten der durch 'a paribus' zu einem
Paare verbundenen Briefe gar nicht mehr auffallend sind, wo-
fern man jedes Datum auf die Aushändigung des Originals
bezieht, in dem Vermerk also unter der Voraussetzung, dass
in der Regel die Originale nicht datiert waren, nur eine Re-
gisterangabe erblickt.
Was die Bezeichnung 'Dictatus papae' anlangt, so kann
sie gewiss nicht aus dem Original entlehnt sein; aber sie muss
darum noch nicht nothwendig aus dem Concept stammen;
denn da augenscheinlich nur äusserst selten der Papst selbst
Briefe dictierte, so waren diese immerhin erst als Entwürfe
zu denkenden Stücke so vor anderen ausgezeichnet, dass ihre
merkwürdige Entstehung, mochte die Eintragung sich selbst
um Tage verzögern, im Register, welches dauerhafter war, als
die leicht vergänglichen Concepte, angezeigt werden mochte:
also auch 'Dictatus papae' kein Original-, kein Conceptvermerk,
sondern lediglich Registernotiz.
Aehnlich dürfte es sich mit dem erläuternden 'in Pro-
vincia' in dem Briefe J.-L. 4846 verhalten, da im Original so
wenig, wie im Concept für den Augenblick eine genaue Be-
grenzung des Bestimmungsortes Nimes als des in der Pro-
1) Quellen und Forschungen zur Geschichte Schwabens und der Ost-
Schweiz p. 21 (J.-L. 5167).
38 Wilhelm Gundlach.
vence belegenen vonnöthen, wohl aber für ein späteres Zurück-
greifen auf den Brief erwünscht war. Wenn dagegen Register-
briefe, anderweitig überliefert, eine vollere Aufschrift haben,
so berührt doch die Erklärung, welche eine andere Register-
überlieferung als die noch erhaltene dafür in Anspruch nimmt,
nur eine Möglichkeit: es kann ja doch auch unter den vol-
leren Formen diejenige sich finden, welche die Formel des
Originals genau wiedergiebt. Endlich kommt mir — nach
Ewalds Auffassung muss das 'Actum' dem 'Datum' voran-
gehen — die entschieden falsche Zahl des Monatstages in der
Fickler'schen Ausgabe des Briefes J.-L. 5167 so verdächtig
vor, dass ich das auf V folgende 'Nonas' bedeutende N aus
den drei Strichen der echten Zahl VIII entstanden und Idus
ausgelassen glaube, das ganze Formular aber, mag auch immer
der Context vollständiger sein, als der des uns erhaltenen
Registers, für eine freie Erdichtung halte, welche nur zu dem
Zweck unternommen sein kann, den Schein eines Originals
zu erregen '.
Um mein Urtheil zu begründen, mache ich den Versuch,
aus dem Register Gregors VII. die Protokollformeln der Ori-
ginale zu ermitteln; das Gelingen des Versuches wird dann
die Folgerung gestatten, dass das Register nach Originalen
angelegt worden ist.
Die im Register üblichste Form der Aufschrift — und
an diese Formel halte ich mich zunächst ausschliesslich —
veranschaulicht der Brief J.-L. 4784: 'Gregorius episcopus
servus servorum Dei Manasse Reraensi archiepiscopo salutcm
et apostolicam benedictioncm'; dass diese Formel nur das
Nothwendigste enthält, ist bei dem Mittelstück, welches den
Namen, Wohnort und Stand des Empfängers nennt, ohne
weiteres klar, bei Anfang und Endo unschwer zu zeigen.
Da nämlich Gregor VII. den angeführten Brief unmittelbar
nach seiner Weihe erlassen hat und in allen früheren Briefen
(J.-L. 4772 — 83) als 'in Romanum pontificem electus' bezeichnet
worden ist, so sali ofi'enbar mit 'episcopus servus servorum
Dei' die volle, rite erlangte päpstliche Würde angegeben wer-
den. Darum ist der Zusatz auch regelmässig in den folgenden
Stücken zu finden mit nur zwei Ausnahmen : in J.-L. 4870
lautet die stark zusammengezogene Aufschrift: 'Gregorius
Omnibus ad quos litterae istae pervenerint', während in J.-L.
4889 'episcopus servus servorum Dei' durch 'etc.' ersetzt ist.
1) 'Schon Jaffe zweifelte', sagt Ewald S. 317, 'dass dort (in Schaff-
hausen) das Original läge ; ein Blick auf das fragliche Document genügt,
um zu erkennen, dass es keine Originalurkunde Gregors VII. ist; es ist
eine etwas spätere Abschrift, die die äusseren Formen von Originalen im
allgemeinen aufweist'.
Ai-les und Vienne. 39
Wenn man auch zunächst den Gruss und apostolischen
Segenswunsch nicht als einen wesentlichen Bestandtheil der
Aufschrift ansehen möchte, wird man doch, selbst davon ab-
gesehen, dass der noch nicht geweihte Papst nur den Gruss
'salutem in Christo lesu' oder 'in (domino) lesu Christo' ge-
währtj schon dadurch eines Besseren belehrt, dass ihre Ent-
bietung nicht selten von Bedingungen abhängig ist; so heisst
es z. B. 'si oboedieri(n)t' in J.-L. 4842. 45. 4968. 91. 5038. 65.
5248, 'si tarnen apostolicae sedi ut christianum decet regem
oboedierit' auf König Heinrich IV. bezüglich in 4972, 'si resi-
puit' in 4854, oder 'quibusdam pro meritis' (4820), 'quibus
pro merito debetur' (5029), 'quod non meretur' (4879), 'licet
aliter meritis' (5117), oder es wird die Meidung der Gebannten
verlangt: 'videlicet his qui non communicant neque consen-
tiunt excommunicatis' (5136, ähnlich 5195), oder endlich es
findet ein ausdrücklicher Ausschluss der Gebannten statt: 'ex-
ceptis his qui canonica excommunicatione tenentur' (5065. 80.
5122. 62. 89. 5237). Deshalb ist die Wendung 'salutem et
apostolicam benedictionem' gewissermassen als Bescheinigung
kirchlicher Unbescholtenheit zu erachten und die Auslassung
in den Aufschriften der Briefe i J.-L. 4810. 21. 33. 53. 75. 95.
96. 4930. 46. 5026. 28. 45. 53. 63. 75. 5104. 05. 18. 28. 33.
57. 63. 5230. 43 damit zu begründen, dass sich die Empfänger
die päpstliche Ungnade zugezogen haben, dass sie nach Rom
vorgeladen und mit dem Banne bedroht werden oder gar
schon der Strafe verfallen sind. Eine unanfechtbare Bestäti-
gung wird dieser Auffassung zu Theil in dem Briefe J.-L.
5026; da nämlich hier der Gruss und apostolische Segens-
wunsch nicht gespendet ist, hebt der Papst an: 'Quod salutem
et apostolicam benedictionem vobis ex more non mittimus,
propter excommunicationem, quam pro culpis vestris incur-
rere non timuistis, sicut sacra praecepit auctoritas, praeter-
mittimus' 2.
Also ausser dem Anfang der Aufschrift, dem alther-
gebrachten Titel 'episcopus servus servorum Dei' hinter dem
1) Keine eig'entlichen Briefe sind die Stücke J.-L. 4934. 5067. 85,
welche als Kundgebungen der päpstlichen Gerichtsgewalt vielleicht auch
schon in der Originalausfertigung nur den Namen und Titel des Papstes:
'Gregorius episcopus servus servorum Dei' in der Aufschrift führten ; dass
in einem ähnlichen Stücke J.-L. 5155 auch noch Empfänger genannt
werden, ist möglicherweise durch die Mitwirkung einer römischen Synode
zu erklären, so dass der Papst sich mehr als Verkünder, denn als Richter
ansieht. 2) Aehnliches findet sich auch in J.-L. 5063. Selbst die
Bischofswürde wird in J.-L. 4833 iind 5053 den Empfängern aberkannt,
da von ihnen als 'Rogerio dicto Catalaunensi episcopo' und 'Rainerio
dicto Aurelianensi episcopo' in der Aufschrift gesprochen wird. — In
J.-L. 5002 ist der Schluss der Aufschrift also erweitert: 'salutem et
omnium peccatorum absolutionem per apostolicam benedictionem'.
40 Wilhelm Gundlach.
Papstnamen, wird man auch ihr Ende 'salutem et apostolicam
benedictionem', "weil es keine leere Formel ist, sondern je nach
Bedürfnis in der Wirkung eingeschränkt oder auch ganz fort-
gelassen wird, als Bestandtheile auch der Originalausfertigung
ansehen dürfen.
Indem nun die Anführung der Empfänger, ihre Bestim-
mung nach Namen, Stand und Wohnsitz vorgenommen wird,
gilt es unter den möglichen Zusätzen eine Scheidung zu tref-
fen, sie in solche zu zerlegen, welche dem Zwecke des Re-
gisters dienen, und in andere, welche nur schmückendes Bei-
werk und darum im Register nicht erforderlich sind. Es
dürfte einleuchten, dass zur ersten Art alle sachlichen Er-
läuterungen zu zählen sind, wie die schon oben berührte Be-
stimmung 'in Provincia', welche dem Bischofsitz Nimes bei-
gegeben ist; zur zweiten Gattung rechne ich die beiden
Generalnenner, unter welchen der Papst alle Menschen, Bischöfe
und Nichtbischöfe, begreift: 'frater' ('confrater') und 'filius',
und damit verbundene Eigenschaftswörter: 'dilectus' ('dilectis-
simus') und 'carus' ('carissimus'), ferner die den Standes-
bezeichnungen eigenthümlichen Zusätze 'venerabilis' bei einem
Abte, 'gloriosus' und 'nobilis' ('nobilissimus') bei einem Könige
und Grafen. So oft nun nur ein schmückendes Beiwort in
der Aufschrift sich zeigt, wird man zwar die Herkunft des-
selben aus dem Original vermuthen, eine vollständige Ueber-
einstimmung damit aber doch erst behaupten dürfen, wenn
der Schmuck sowohl nach der Seite der Verwandtschaft mit
dem Papste ('frater', 'filius'), als auch, wo es möglich ist, bei
der Standesnennung ausgeführt ist.
So halte ich alle Aufschriften der an Bischöfe gerichteten
Briefe für original, welche vor dem Namen des Empfängers
'dilecto in Christo fratri' und entsprechend in der Mehrzahl
haben, und das ist in J.-L. 4994. 5101. 72. 5208. 17. 34. 46.
der Fall; eine besondere Abart dürfte durch die Anrede
^dilecto in Christo fratri et coepiscopo' in J.-L, 5002. 5131 '.
77. 5206. 20 ^ gebildet werden, da nur diejenigen Bischöfe
damit bedacht zu sein scheinen, welche dem Papste beson-
ders nahe stehen, und zwar sind das in erster Linie die ita-
lienischen Bischöfe, zuweilen aber auch deutsche, einmal drei
1) Hier findet sich statt 'dilecto' ein 'carissimo', dessen Wortstamm
und Steigerungsgrad nur selten 'dilecto' vertritt. Dass auf die Vertau-
schung beider Wörter kein Gewicht zu legen ist, lehrt der Brief J.-L.
5174, welcher in der Aufschrift 'dilectissimo in Christo filio' und im
Schlusswunsch des Contextes 'carissime fili' hat. 2) In J.-L. 5240
steht 'dilectissimo', es fehlt 'in Christo'; nur 'fratri (fratribus) et coepi-
scopo (coepiscopis)' findet sich in den jedenfalls verkürzten Aufschriften
der Briefe J.-L. 4819. 4943. 69. 82. 86. 5126. 45. 71. 78. 79. 80.
Arles und Vienne; 41
französische Erzbischöfe und mitunter der Legat des Papstes,
Bischof Hugo von Die, der spätere Erzbischof von Lyon i.
Die Bezeichnung 'filius', welche den unter den Bischöfen
stehenden GeistUchen gebührt, ist nur ein einziges Mal im
Register in so reicher Umkleidung wie in J.-L. 5135: 'dilecto
in Christo filio Huberto sanctae Romanae ecclesiae subdiacono'
nachweisbar 2 ; das vereinzelt wiederholt ^ bei Aebten vorkom-
mende 'venerabili' kann im Verein mit einer 'filius'-Benennung
nicht belegt werden, wohl aber in J.-L. 5102 ('Hugoni vene-
rabili Cluniacensi abbati et carissinio fratri') mit ^frater', was
in Anbetracht der Stellung des Klosters Clugny sich recht-
fertigen lässt*.
Anführungen weltlicher Söhne und Töchter des Papstes
möchten in der Form 'dilectae in Christo filiae' (der Gräfin
Mathilde) in J.-L. 4824. 51 13», <dilectissimo in Christo filio'
(König Alfonso von Spanien) in J.-L. 5174 und ^dilectissimae
in Christo filiae' (einer Königin) in J.-L. 5202 dem Original
am nächsten kommen; die den Grafen und Königen zustehen-
den Eigenschaftswörter 'nobili' ('nobiiissimo') und 'glorioso'
sind vereinzelt ö und wenigstens das letztere auch in ver-
einigter Formel nachweisbar: 'carissimo in Christo filio glo-
riose regi Hispaniarum' in J.-L. 5142.
Es kann meiner Auffassung nur zur Empfehlung gerei-
chen, dass die Aufschriften einiger Registerbriefe in anderer
(von Ewald angegebener ') Ueberlieferung gerade um diejenigen
Bestandtheile ergänzt werden, welche, den Registerabschriften
1) Die demselben Hugo geltende Anrede 'dilecto in Christo filio' in
J.-L. 5222 ist ohne Zweifel auf ein Verseheu zurückzuführen, da von
den Päpsten seither niemals und von Gregor VII., wenn das Beispiel
richtig wäre, nur in diesem einen Falle ein Biscliof als 'filius' bezeichnet
ist; denn als zweites Beispiel die Aufschrift in J.-L. 5203 'dilectis filiis
nostris Petro Albanensi episcopo et Gisulfo principi Salernitano' anzu-
sehen, dürfte der Umstand verbieten, dass sie, im Register verkümmert
überliefert, den Sohnesnamen jedenfalls richtig auf den Fürsten von
Salerno erstreckt. Dagegen möchte ich 'venerabili', welches in der
Aufschrift des Briefes J.-L. 5251 auch bei Hugo von Lyon erscheint,
nicht anfechten, weil das bei Bischöfen ungewöhnliche Beiwort in der
That auch noch bei Anselm von Canterbury sich nachweisen lässt (vgl.
weiter unten). 2) Ein verkürztes 'carissimo filio' hat J.-L. 5175.
3) In J.-L. 5178. 5206. 07. 18. 4) Es wäre bei den mönchischen
Neigungen Gregors VII. auch nicht unmöglich, dass in J.-L. 5144 'dilectis
in Christo Massiliensis congregationis fratribus' in Ordnung ist, wenn
man hier auch zweifeln könnte, ob nicht die 'fratres' als Klosterbrüder
EU fassen sind und nach 'Christo' die Bezeichnung 'filiis' ausgefallen ist.
5) In J.-L. 4824 heisst es von Beatrix und Mathilde 'gloriosis ac caris-
simis in Christo filiabus'. 6) 'nobili' in J.-L. 5191. 5238. 45, 'nobilis-
simo' in 5216, 'glorioso' in 4904. 5184. 85. 96. 5205. 10. 21. 25. 30.
49. 52, 'nobili et glorioso' in 5194. 7) S. oben S. 36.
42 Wilhelm Gundlach.
gemeinhin fremd, als Merkmale der Originalausfertigung be-
zeichnet worden sind; so trifft man 'dilectis in Christo fratri-
bus' in J.-L. 4856. 5035 (bei Udalrich 'dilectissimis'), 51. 82.
und sogar in J.-L. 5033 ('dilecto in Christo fratri Hugoni
venerabili Diensi episcopo') das dem Bischof Hugo eigenthüm-
liche 'venerabili', ferner ^dilectis (carissimis) in Christo liliis'
in J.-L. 4922. 5034, endlich 'dilecto in Christo filio et nobilis-
simo comiti' in J.-L. 4884 und 'glorioso regi et in Christo
dilecto filio' in J.-L. 4965.
Eine weitere Stütze erwächst meinen Aufstellungen aus
den Briefen Gregors VII., welche, nicht im Register über-
liefert, von Jaffe als 'Epistolae collectae' herausgegeben sind •.
In ihnen findet sich 'dilecto in Christo fratri' in J.-L. 4933.
5147. 82. 5253. 74. 75. 5309 \ 'dilectis in Christo fratribus et
coepiscopis' in J.-L. 5137, 'dilectissirais in Christo fratribus
et filiis (archiepiscopis, episcopis, ducibus, comitibus' etc.) in
J.-L. 5019, 'dilectis in Christo filiis (sancti Benedicti mona-
chis)' in J.-L. 5129* und endlich 'glorioso Flandrensium comiti
dilecto in Christo filio' in J.-L. 5147*.
Von entscheidender Bedeutung aber ist, dass die als Ori-
ginalformen aufgezeigten Wendungen sowohl vor wie nach
Gregor VII. sich belegen lassen, dass sie weiter in enger
Verwandtschaft zu denjenigen Formen sich befinden, welche
durch eine damals noch übliche Unterschrift als der Original-
ausfertigung angehörend sich ausweisen. Es heisst nämlich
unter Alexander II. s z. B, in J.-L. 4600: 'Alexander [epi-
scopus] servus servorum Dei Gervasio Remensium diligen-
tissimo archipraesuli atque in Christo dilectissimo fratri salu-
tem et apostolicam benedictionem', in 4761: 'reverentissimo
fratri in Christo Lanfranco venerabili" Cantuariensi archiepi-
scopo', in 4659 'dilectissimo in Christo filio Fuldensi abbati'
1) Bibl. II, 520—576. 2) In J.-L. 4801 belegt 'carissimo fratri in
Christo Lanfranco venerabili Cantuariornm archiepiscopo' das Wort 'venera-
bili' abermals bei einem Erzbischof (vgl. oben S. 41 Anm. 1). 3) Da in
J.-L. 5267 'dilectis in Christo fratribns in Conchensi et Figiacensi mona-
sterio habitantibus' erscheint, gewinnt es an Wahrscheinlichkeit, dass die
oben rS. 41 Anm. 4) aus J.-L. 5144 angeführte Formel ordnungsmässig ist.
4) Ob in J.-L. 5005 'excellentissimo filio W. glorioso regi Anglorum'
ganz vertrauenswürdig ist, lasse ich dahingestellt sein. 5) Unter Leo IX.
bin ich auf nur zwei Beispiele gestossen, von welchen das eine (J.-L.
4305) 'dilectissimis in Christo fratribus Petro et lohanni episcopis' (bei
Migne CXLIII, 729) die Empfänger ihrem Wohnort nach unbestimmt
lässt, das andere (J.-L. 4311) 'dilecto in Christo filio Petro eremitae'
durch den Segenswunsch 'aeternae beatitudinis gaudium' auffällt. 6) Das
unter Gregor VII. nur bei Hugo von Die -Lyon und Anselm von Canter-
bury verwandte 'venerabili' ist vor und nach seiner Zeit auch noch bei
anderen Erzbischöfen (und Bischöfen?) z. B. in J.-L. 4412. 43. 4517.
4603. 5223. 5348. 5469 anzutreffen.
Arles imcl Vienne. 43
und in 4696 'carissirao in Christo filio ßohemiorum inclyto
duci'; von den Briefen Urbans II. sind anzuführen J.-L. 5413
'dilecto in Christo fratri Godino Uritano antistiti' ; 5484 'dilecto
in Christo fratri et coepiscopo Rainaldo Remensi', 5470 'di-
lectis in Chi'isto filiis GofFrido abbati sancti Albini Andega-
vensis et Bernoni abbati sanetae Trinitatis Vindocinensis' und
5438 'dilectis in Christo filiis clero ac populo Carnotensi'.
Freilich kann dabei nicht verkannt werden, dass unter den
Nach- und Vorfahren des siebenten Gregor die Formeln mit
unterdrückten 'in Christo' häufiger sind, dass also wohl Gre-
gor VII. einen vor ihm nur spärlich geübten Brauch in seinen
Briefen zur Geltung gebracht und nur wenige Nachwirkungen
damit hervorgerufen hat. Aber gerade diese unter Gregor
nur weiter ausgeführten Foi-meln sind hier besonders will-
kommen, weil sie die Brücke bilden zu den durch die Unter-
schrift des Papstes beglaubigten Wendungen; denn unter
Alexander II, ist z. B. in J.-L. 4598 'carissimo filio Philippo
glorioso regi Francorum' und genau entsprechend in 4695
'carissimo filio Wilielrao glorioso regi Anglorum' nur unerheb-
lich verschieden von der unter Nicolaus I. und Hadrian II.
gebrauchten Form: 'dilecto filio Carolo glorioso regi'.
Nachdem nun aber dargethan ist, dass die aus der Re-
gisterfassung der Briefe Gregors VII. herausgelesenen Auf-
schriften wirklich in den Originalausfertigungen gestanden
haben, so folgt von selbst, dass das Register nach den Ori-
ginalen, und nicht nach den Concepten zusammengestellt ist *.
Einfacher steht es mit der Unterschrift der Papstbriefe.
Nachdem in den ersten Jahrhunderten ohne Unterschied,
ob ein Metropolitan- oder einfacher Bischof angeredet war,
der Papst den Empfänger am Schlüsse des Briefes mit den
eigenhändig geschriebenen Worten begrüsst hatte: 'Deus te
incolumem custodiat, frater carissime' und entsprechend eine
Mehrzahl von bischöflichen Empfängern, scheint unter Gregor
dem Grossen und seinen unmittelbaren Nachfolgern eine Unter-
scheidung unter den Bischöfen nach ihrem Range üblich ge-
worden zu sein ; jedenfalls können wir nur nachweisen, dass
stets Metropoliten der Schlusswunsch: 'Deus te incolumem
custodiat, reverentissime frater' zuerkannt worden ist (unter
Bonifatius IV. in J.-E. 2001). Es ist wahrscheinlich, dass
auch die von Gregor I. verwandte Form für Geistliche nie-
deren Grades: 'Deus vos incolumes custodiat, dilectissimi filii'
ebenso unter seinen nächsten Stuhlfolgern bcAvahrt wurde, wenn
es sich auch an keinem Beispiel zeigen lässt; ein Beleg aber
ist wiederum dafür vorhanden, dass Gregors Schlusswunsch,
1) [Ich kann weder dieser Schlussfolgerung noch der vorstehenden
Ausführung über das Register Gregors VII. im ganzen zustimmen. H. B.]
44 Wilhelm Gundlach.
welchen er im Verkehre mit Königen anzubringen liebte, auch
von Bonifatius IV. weiter geführt wurde, da es in J.-E. 2002
wie oben von Gregor mitgetheilt heisst: 'Incolumem excellen-
tiam vestram gratia superna custodiat, domine fili''.
Die nächste mit Bonifatius V. anhebende Periode, welche
für die Aufschriften durch die Rückkehr zu den vorgregoriani-
schen Formen sich bemerkbar machte, ist auch an den Unter-
schriften nicht spurlos vorübergegangen; während nämlich in
der ersten Periode 'frater carissime' die Unterschrift schliesst
— wie es in der zweiten von Gregor dem Grossen herauf-
geführten Periode hinsichtlich einfacher Bischöfe bestellt ist,
lässt sich nicht ausmachen — , tritt in der dritten seit Boni-
fatius V. dafür regelmässig 'dilectissime frater' ein; so und
entsprechend in der Mehrzahl findet man den Schlusswunsch
gestaltet unter Bonifatius V. (J.-E. 2006), Honorius I. (2020.
21), Martin I. (2051. 58), Vitalian (2095), Leo II. (2119. 22)
und Sergius I. (2133)2; ^\q Abweichung, welche Adeodat in
dem Briefe J.-E. 2105 bietet — den Bischöfen Galliens wird
das dem Abte des Martinsklosters in Tours ertheilte Vorrecht
bekannt gemacht — : 'Bene valete, dilectissimi fratres' ist viel-
leicht gerade in Ansehung des Inhalts, womit er einem Pri-
vileg sich nähert, als ordnungsmässig festzuhalten. Die weni-
gen Beispiele, welche die Unterschriften der an Könige ge-
richteten Briefe veranschaulichen, scheinen dafür sich anführen
zu lassen, dass man die Uebung der vergangenen Periode
beibehalten hat: 'Incolumem excellentiam vestram gratia
superna custodiat' 3; aber schon das fehlende 'domine fili'
dürfte zur Vorsicht gemahnen'* und in Erinnerung bringen,
dass diese Briefe J.-E. 2019. 89, nach England gesandt, in
ihrem Formular noch zu anderen Bedenken Anlass gegeben
haben *. Was die den Kaisern dargebrachten Schlusswünsche
anbelangt, so führe ich in Uebereinstimmung mit den bei der
Aufschrift gemachten Bemerkungen an, dass in J.-E. 2062
die Unterschrift Martins: 'Piissimum domini Imperium superna
gratia custodiat et omnium gentium cervices ei subdat' erheb-
licher, nur wenig die Unterschrift Leos IL in J.-E. 2118:
'Piissimum domini imperium gratia superna custodiat et ei
1) Das Formular des Bonifatius -Briefes J.-E. 1998 habe ich schon
oben S. 24 Anm. 1 abgelehnt. 2) Von den nach England gerichteten
Papstbriefen, deren Aufschrift, wie ich oben (S. 24 Anm. 2) dargelegt
habe, verfälscht ist, hat J.-L. 2007 'reverendissime frater', während in
2021 und 2095 die regelrechte Unterschrift erscheint. Die unmöglichen
Schlusswünsche der beiden Martin- Briefe J.-E. 2078 und 2079 sind
ebenda bereits erwähnt worden. 3) Damit stimmt auch die Unter-
schrift des von Baronius verdächtigten Briefes J.-E. 2120 genau überein.
4) Man beachte die entsprechende Unterschrift in der folgenden Periode.
5) Vgl. oben Anm. 2.
Arles und Vienne. 45
omnium gentium colla substernat' von der echten erst unter
Leo III. im Originallatein belegbaren Form abweicht, und
dass diese Abweichungen auch hier wie in der Aufschrift
durch die Uebertragung in das Griechische und die Rück-
übertragung in das Lateinische zu erklären sind.
Die Wiederaufnahme der von Gregor dem Grossen ver-
wandten Forrnen, worin die mit Gregor IL anfangende neue
Periode ihre unterscheidende Besonderheit besitzt, bethätigt
sich auch in den Unterschriften der an Metropolitanbischöfe
gesandten Briefe; so heisst es unter Gregor II: 'Dens te in-
columem custodiat, reverentissime frater' in J.-E. 2174 1, unter
Gregor III. in 2239. 51, unter Zacharias in 2270. 76. 91 und
mit dem Schlüsse 'reverentissime et sanctissime frater' nur
unter Zacharias in 2264. 71. 74. 78*. 86; dass dagegen auch
einfachen Bischöfen die Auszeichnung dieser Anrede zu Theil
geworden sei, ist theils in Ansehung der unter Gregor I. an-
zunehmenden Ordnung ^ unwahrscheinlich, theils dürfte in dem
an Tarasius gerichteten Schreiben Hadrians J.-E. 2449 eine
andere Form geradezu bezeugt sein, wenn man den griechi-
schen Wortlaut: '6 0e6s v\iä ö£ öiacpr^ct^oi, r^ya^riuivz dösAcfs'
mit 'Deus te incolumem custodiat — nicht 'servet' wie bei
Mansi XII, 1084 zu lesen ist — dilectissime frater' übersetzt-*,
d. h. es ist vielleicht bei einfachen Bischöfen die Gepflogen-
heit der vorigen Periode gewahrt worden.
Sind niedere Geistliche angeredet oder auch eine Ge-
sammtheit von Geistlichen (und Laien), in welche selbst
Bischöfe ausdrücklich beschlossen sein können, dann kommt
hier eine Uebung zum Durchbruch, welche ein absonderndes
Merkmal gegen alle vorhergegangenen Perioden abgiebt; dann
heisst es nämlich einfach: ^Bene vale' oder 'Bene valete'^ —
ein Schlusswunsch, welcher ebenso wie der ausgeführtere ohne
Zweifel von dem Papste eigenhändig gefertigt ist^ — z. B. in
1) Der Schlusswnnsch in J.-E. 2168: 'Dens te incolumem custodiat'
ist jedenfalls um 'reverentissime frater' zu vervollständigen. 2) Die
Handschrift M lässt 'et sanctissime' fort. 3) Vgl. oben S. 24. 4) Schon
oben (S. 26 Anm. 2) habe ich meinem Befremden darüber Ausdruck ge-
liehen, dass in diesem Brief ein Patriarch als einfacher Bischof behan-
delt ist. 5) Vereinzelt tritt 'Bene vale' auch in früheren Perioden
schon auf, so unter Leo I. in J.-K. 473 : 'Bene valete in Domino, fratres
carissimi' (es sind die auf der Synode in Nicaea versammelten Bischöfe),
unter Gregor I. in J.-E. 1102: 'Bene valeas' (der Subdiacon Peter ist
angeredet) und in J.-E. 1991: "Bene valete' (es gilt dem Rector patri-
monii Felix). 6) Man vergleiche darüber die Abhandlung Bresslaus
'Papyrus und Pergament in der päpstlichen Kanzlei bis zur Mitte des
elften Jahrhunderts' in den Mitth. des Instituts für österr. Gesehichtsf. IX,
1 — 33 besonders S. 21 — 24. — Es liegt sehr nahe, diese Unterschrift
wenigstens in den Epistolae generales als eine Berührung mit den Privi-
legien auszugeben; denn wenn diese auch nicht immer an alle Gläubigen
46 Wilhelm Gundlach.
J.-E. 2157. 60. 67. 2245. 46. 47. 75. 95. 2313'; es verschlägt
nichts, dass in die Mehrheit der Empfanger auch Könige ge-
hören, wie in dem Briefe Stephaus IL J.-E. 2325; ja selbst
wenn nur Könige, aber mehr als ein König, in der Aufschrift
genannt werden, scheint die Regel Anwendung zu finden, so
unter Stephan II. in J.-E. 2322 (Pippin, Karl und Karlmann) ^
und unter Paul I. in 2353. 60. 62 (Karl und Karlmann) ; ganz
vereinzelt trifft man auch in Briefen, welche nur einem Könige
zukommen, die Unterschrift: 'Bene vale': in dem ersten Briefe
Stephans II. an König Pippin J.-E. 2312 und unter Paul I.
in J.-E. 2352, in welchem das 'Bene valete' gleichfalls auf
König Pippin geht.
Sonst ist für den König ein besonderer Schlusswunsch
üblich, welcher unter Stephan IL lautet: 'Incolumem excel-
lentiam tuam gratia superna custodiat' (J.-E. 2335) ' und auch
sich wandten, so waren sie doch einer grösseren Anzahl bestimmt oder
allgemein bezeichneter Betheiligter zur Kenntnisnahme und Nachachtung
gewidmet. Einer besonderen Würdigung wäre darum die Urkunde Leos III.
J.-E, 2503 werth, welche in der Aufschrift: 'Leo episcopus servus ser-
vorum Dei reverentissimis et sanctissimis episcopis, videlicet Alim Sabio-
nensis ecclesie, Waltrico Pataviensis ecclesie' etc. deutlich die Privilegien-
form zeigt, trotzdem aber die Brief-Unterschrift hat: 'Deus vos incolumes
custodiat, reverentissimi ac sanctissimi fratres', wenn nicht die sonder-
bare nur Metropoliten zustehende Bezeichnung 'reverentissimis et sanctis-
simis' auch einfacher bayrischer Bischöfe, ja der ganzen Geistlichkeit und
des Volkes ('simnlque abbatibus una cum cuncto clero seu plebi pro-
vintie Baiwariorum'j Bedenken einflössen müsste. 1) Als Ausnahmen
müssten die Unterschriften in dem Schreiben Gregors II. J.-E. 2161:
'Dens vos incolumes custodiat, dilectissimi filii' und in dem Zacharias-
Briefe J.-E. 2287: 'Deus vos incolumes custodiat, dilectissimi nobis' ge-
fasst werden, wenn nicht auch die unregelmässig geformten Aufschriften
(vgl. oben S. 27 Anm. 1) zu der Vermuthung Anlass gäben, dass die
Formeln nicht unberührt geblieben sind. Bei dem Schlusswunsch: 'Deus
vos incolumes custodiat, dilectissimi fratres', welchen man in einem
nur an Bischöfe gerichteten Schreiben Gregors III. (J.-E. 2243) findet,
könnte man auf den Gedanken verfallen, dass vielleicht eine Gesammt-
heit von Bischöfen anders behandelt worden ist, als eine Gemeinschaft
von Geistlichen, welche neben anderen Graden auch Vertreter des bischöf-
lichen Kanges in sich vereinigt; aber die befremdende Aufschrift: 'Gre-
gorius episcopus servus servorum Dei episcopis Angliae salutem et
apostolicam benedictionem' dürfte Grund genug bieten, gegen
diesen nach England gerichteten Brief — vgl. oben S. 25 Anm. 1 —
sich ablehnend zu verhalten, zumal bei einer Mehrzahl von bayrischen
und schwäbischen Bischöfen in J.-E. 2247 der nämliche Papst ganz nach
der oben entwickelten Regel im Schlusswunsch verfährt. Dass endlich
die Unterschrift in J.-E. 2265. 66: 'Bene valete' auf eine Mehrheit sich
bezieht, geht auch aus dem letzten Satz des Contextes : 'Salutantes vos
in Domino valere optamus' hervor, obwohl als Empfänger des Briefes in
der Aufschrift nur ein einziger Bischof angeführt wird. 2) Zu dem
*Bene valete' tritt hier noch 'excellentissimi filii' hinzu. 3) In J.-E.
2326 ist nur eine Umstellung ('superna gratia') vorgenommen, in 2323
Arles lind Vienne. 47
in dem ersten Briefe des Papstes Paul (J.-E. 2336) gebraucht
ist; dann aber tritt unter Paul I., Constantin II., Stephan III.,
Hadrian I. und Leo III. insofern eine kleine Wandelung ein,
als der König nicht mehr in der Einzahl, sondern in der
Mehrzahl ('excellentiam vestram') von dem Papste angesprochen
wird: J.-E. 2338. 40. 41. 43. 44. 45. 47. 51. 54-59. 61. 63.
69—75. 81. 87. 2408. 09. 13—16. 18. 19. 22. 23. 25 — 29.
31—34. 36. 38—42. 50. 51. 53. 58. 60. 61. 63. 64. 67. 70—
78. 80. 83. 96 1. Kaiser Karl empfängt von Hadrian den
Schlusswunsch: 'Piissimura domini Imperium gratia superna
custodiat eique omnium gentium coUa substernat', eine Form,
welche die von Martin I. und Leo II. überlieferten Aufschriften
zu berichtigen verstattet*.
Die tiefgreifende Umgestaltung, welche gegen die Mitte
des neunten Jahrhunderts in den Aufschriften sich vollzieht,
macht sich auch als einschneidende Wandelung für die Unter-
schriften geltend: an Stelle des bisherigen Schlusswunsches,
welcher in einem Conjunctivus optativus zum Ausdruck kam,
tritt ein Satzgefüge, in welchem von einem Verbum des Wüu-
schens ein Accusativus cum Infinitive abhängig ist. Auch hier
liefert Benedict III. die ersten nicht mehr fragwürdigen Be-
lege; er schreibt an einen Metropolitanbischof — Hinkmar
von Reims — in J.-E. 2664: ^Optamus fraternitatem tuam
nunc et semper bene valere' und ähnlich an eine Gesammt-
heit von Bischöfen in J.-E. 2669: 'Optamus beatitudinem
vestram in Christo bene valere'. Unter Nicolaus I. und Ha-
drian II. und ihren Nachfolgern sind diese Formen mit ge-
ringfügigen Abweichungen beibehalten; so heisst es bei einem
Erzbischof: 'Optamus fraternitatem — oder 'sanctitatem' —
tuam in Christo bene valere' oder am Schlüsse erweitert zu
*iu Christo nunc et semper bene valere' in J.-E. 2746. 2905.
07. 10. 19. 28. 88 und bei einer Mehrzahl von Bischöfen ent-
sprechend, nur dass 'tuam' durch 'vestram' ersetzt wird, in
J.-E. 2684. 2730. 74 ('fraternitatem et sanctitatem') , 2822
aber zu dem Seblusswunsch : 'Incolumem excellentiam vestram gratia
superna custodiat' merkwürdigerweise noch 'Bene valete' hinzugefügt, so
dass sich diese kurze Unterschrift in den ersten fünf Briefen Stephans II.
findet. 1) Abweichungen liefern unter Paul I. nur die Briefe J.-E.
2348 und 2364, welche beide übereinstimmend: 'Deus te incolumem
custodiat, excellentissime fili' haben, und unter Hadrian I. J.-E. 2420,
wo die Unterschrift: 'Incolumem excellentiam vestram, domini fili, superna
custodiat gratia' lautet. Äeusserst merkwürdig sind die Schlusswünsche
in J.-E. 2386 und 2388: 'Incolumem religiositatem vestram atque
excellentiam tuam gratia superna custodiat', weil die Gemahlin Karls,
Berthrada ('religiosa filia'), in der Mehrzahl, Karl aber ('exe eil cu-
tis simus filius') in der Einzahl angeredet wird. 2) Vgl. oben S. 26
Anm. 1.
48 Wilhelm Gundlach.
('sanctam fraternitatem') i, 71. 86. 94 ('sanctam fraternitatem'),
98. 2918 (sanctam fraternitatem'), 27. 31. 42. 45 ('generalita-
tem'), 3041 2; sobald es sich um einen einzelnen einfachen
Bischof handelt, scheint nur die 'fraternitas' nicht betont, sonst
aber die nämliche Form wie bei Erzbischöfen verwandt zu
werden, wofern man in J.-E. 2727 die Unterschrift: 'Optamus
sanctitatem tuam in Christo bene valere' als Regel begründend
ansieht^.
Den König begrüsst Nicolaus I. mit dem Schlusswunsch:
'Optamus gloriam — oder 'excellentiam' — vestram in Christo
bene valere' oder am Ende erweitert zu *in Christo nunc et
semper bene valere' in J.-E. 2722. 38. 2827. 72. 74. 83. 85,
wozu in den vier zuletzt genannten Briefen noch der Zusatz:
'(o?) dilectissime fili' kommt ^. Dieser Zusatz bleibt auch noch
in der ersten Zeit Hadrians bestehen; er findet sich zu der-
selben Unterschrift in J.-E. 2895 und 2902 i; in 2911 hat der
Papst sich einmal von der im ganzen festgehaltenen Form
entbunden und ausführlicher geschrieben: 'Optamus regiam
excellentiam vestram sanctae sedis apostolicae scita consuetu-
dinaliter observantem in Christo semper valere' ; auffallend ist
es, dass gegen Ende des Papstthums Hadrians II. bei dem
Karolingischen König ein Du in der Anrede aufgenommen
wird : 'Optamus gloriam tuam in Christo nunc et semper
bene valere' in J.-E. 2926 und 2930 ^
1) Wenn in diesem Briefe 'optamus' von 'oramus' abg'elöst wird, so
ist vielleicht nur die Ueberlieferung' daran Schuld. 2) Unter Stephan V.
ist in J.-L. 3458 der Schlusswunsch: 'Optamus vos in Christo bene
valere' durch das einfache Pronomen auffallend; in einem anderen
Briefe desselben Papstes J.-L. 3459 mit dem Schlusswunsche: 'Optamus
te in Christo valere' ist auch schon die Aufschrift (vgl. oben S. 33
Anm. 8) angefochten worden. 3) Bei einer aus nicht namentlich be-
stimmten Bischöfen und niederen Geistlichen bestehenden Gemeinschaft
scheint wie in der vorigen Periode das einfache 'Bene valete' üblich zu
sein: J.-L. 3548. 4) Ein abweichendes Gepräge hat nur der Schluss-
wunsch in J.-E. 2773: 'Incolumem excellentiam vestram gratia superna
custodiat, dilectissime fili', womit sich berühren die der Königin geltende
Unterschrift in J.-E. 2739: 'Incolumem serenitatem vestram divina con-
servet maiestas, filia carissima' und die auf Ludwig und Karl gehende
in J.-E. 2788: 'Divina maiestas ad exaltationem sanctae suae ecclesiae
vos conservet incolumes'. — Man wird diese Formenfülle, welche wohl
noch zu vermehren ist, nicht so schroff scheidend kUiren wollen, dass
man nur die oben angegebenen Gestaltungen als kanzleimässig auffasst,
vielmehr der Meinung das Wort reden dürfen, dass die Unterschriften,
weil sie eigenhändig von den Päpsten geschrieben wurden, dem Belieben
des Einzelnen einen weiteren Spielraum verstatteten als anderen For-
meln und somit vielförmig vertreten sein können, ohne den Verdacht der
Fälschung zu rechtfertigen. 5) Die Königin scheint auch unter Nico-
laus geduzt zu werden, wenigstens heisst es in J.-E. 2763: 'Optamus
religiositatem tuam in Christo feliciter valere' und in genauer Anlehnung
Arles und Vienne, 49
Da schon im zehnten Jahrhundert die ausführliehen
Schlussvvünsche nicht mehr nachweisbar sind, wohl aber
'Vale(te)' namentlich in der ersten Hälfte des elften Jahr-
hunderts sich bemerkbar macht z. B. in J,-L. 3879. 3929. 61
('Vale in Christo'), 409.5. 4100. Ol ('Bene valete'), 4216. 18. 25,
so könnte man meinen, dass die Beglaubigung der Briefe
vielleicht durch dieses von den Päpsten geschriebene Wort
bewirkt worden sei; aber schon die Wahrnehmung, dass mit
einer Ausnahme (J.-L. 4218) alle Briefe an Nichtbischöfe ge-
richtet sind, dürfte davon abbringen, zumal selbst im Register
Gregors VII. das Wort am Schlüsse der Briefe J.-L. 4782.
5217, 5240 wiedergegeben, von Gregor aber nachweislich ein
anderes Verfahren der Beglaubigung geübt worden ist. In
J.-L. 4883 sagt er nämlich zu dem Erzbischof Udo von Trier:
'Has autem litteras iccirco aperte sigillari praecepimus, ut
certiorem vobis auctoritatem traderemus' ■ — das ist nicht so zu
fassen, als ob der Papst nur ausnahmsweise die Besiegelung
angeordnet habe; denn der Inhalt des Briefes, ein Auftrag,
einem unterdrückten Geistlichen zu seinem Rechte zu ver-
helfen, begründet das nicht; es ist vielmehr nur eine verein-
zelte Ankündigung einer immer ausgeführten Massregel, da
Gregor in dem Briefe J.-L. 5225 (und ganz ähnlich in 5242)
die Nichtausführung noch besonders entschuldigt: 'Dubitavimus
hie sigillum plumbeura ponere, ne, si illud inimici caperent,
de eo falsitatem aliquam facerent'. Man ist also wohl befugt,
anzunehmen, dass seit der Zeit, in welcher die Schlusswünsche
verschwinden, die Briefe einzig und allein durch Besiegelung
beglaubigt worden sind.
Zur Beantwortung der Frage, welche Formen der Datie-
rung in der Kanzlei im Gebrauch gewesen sind, stehen Bei-
spiele in einer verhältnismässig dürftigen Anzahl zur Verfügung,
ein Umstand, welcher einen neuen Vorbehalt für die gewon-
nenen Ergebnisse erheischt.
Die früheste Form — nach dem N. A. XIV, 322 ge-
wählten Beispiel: 'Data VII. Kalendas Septembres, Asterio
et Protogene viris clarissimis consulibus' — wird, wenn nur
die wesentlichsten Aenderungen angegeben werden sollen,
schon vor Gregor I. dadurch umgestaltet, dass im Jahre 550
das Regierungsjahr des Kaisers ('imperante domno lustiniano
perpetuo augusto anno XXIV.') in die Zeile einbezogen und
an die dem Könige dargebrachten Schlusswünsche der Zeit in J.-E. 2870:
'Optamus gloriam tuam in Christo nunc et semper bene valere, dilectissima
filia'. — Die dem Kaiser gewidmeten Schlusswünsche scheinen sich theils
dem in dieser Periode für den König gebräuchlichen Formular anzu-
schliessen (J.-E. 2908), theils die in der vorigen Periode üblichen Wen-
dungen wieder hervorzukehren (J.-E. 2914).
Neues Archiv etc. XIV. 4
50 Wilhelm Gundlach.
unter Pelagius IL nachweisbar zuerst, aber vielleicht nur vor-
übergehend auch die Indiction angefügt wird ('indictione
quinta') ^ Unter Gregor dem Grossen wird die letzte Angabe
ständig, die ganze Datierung vielleicht in der Fassung gegeben,
zu welcher Mansi (IX, 1240 und X, 308) die Registerüber-
lieferung zweier Gregor-Briefe aus einem Codex Parisinus er-
gänzt hat: 'Data die X. Kalendas Augustas, imperante domino
nostro Mauritio Tiberio piissimo augusto anno XIV., post con-
sulatum eiusdem domini nostri anno XIII., indictione XIV.
Dass diese Form kauzleimässig ist, wird auch dadurch bezeugt,
dass unter Bonifatius IV., dessen Kanzlei die unter Gregor
herrschenden Gebräuche auch bei der Aufschrift und Unter-
schrift der Briefe einfach übernommen hat, in J.-E. 2001 die
Datierung nachAveisbar ist: 'Data X. Kalendas Septembris,
imperantibus dominis nostris piissimis augustis Heraclio
anno III., post consulatura eiusdem anno II., et Heraclio Con-
stantino novo filio eius anno L, indictione I'.
Während nun auf Grund einiger Besonderheiten für die
Aufschrift und Unterschrift eine mit Bonifatius V. anliebende
neue Periode angesetzt werden konnte, scheint in der Datie-
rung 'in dem auf Bonifatius V. folgenden Jahrhundert keine
nennenswerthe Aenderung vorgenommen zu sein: wenigstens
ist unter Honorius I. in J.-E. 2020^ und unter Adeodat in
J.-P]. 2104 3 keine Wandelung zu erkennen^.
Unter Gregor II. sind in der Datierung Unterschiede
gegen früher Avahrnehmbar, welche indessen mehr als eine
1) Die Bemerkung in den Reg. pontif. Rom., dass unter Felix III.
(483 — 492) die Indiction zuerst zu belegen sei, gründet sich auf einen
Brief (J.-K. 614), welcher ohne Unterschrift überliefert ist. 2) In
der gestörten Datierung dieses Briefes ('Data die III. Idus lunias,
imperantibus dominis nostris piissimis augustis Heraclio anno XXIV.,
post consulatum eius anno XXIII., et consulatus eius anno III., sed
et Heraclio felicissirao caesare, id est filio eius anno III., indic-
tione VII.') ist die Form 'lunias' werthvoll, weil damit der Gebrauch
der Monatsnamen als Adjectiva, nicht als Substantiva (vgl. N. A. XIV,
323) belegt wird. Die Erläuterung: 'id est anno dominicae incarnationis
sexcentesimo tricesimo tertio', womit bei Mansi X, 581 die Datierung
schliesst, möchte ich für einen Zusatz von späterer Hand halten. 3) In
der Datierung: 'Data X. Kalendas lanuarii (!), imperantibus piissimis
augustis Constantino maiore imperatore anno XXII., post consulatum eius
anno . . ., sed et Heraclio atque Tiberio novis augustis, eius fratribus,
anno XVIH., indictione II,' ist hinter 'imperantibus' vielleicht nur irrthüm-
lich 'dominis (domnis) nostris' ausgefallen. 4) Ob die kurze Datie-
rungsform in dem Briefe Leos II. J.-E. 2118: 'Data Nonis Mali, indic-
tione X.' der Originalausfertigung gemäss ist, scheint mir darum sehr
fraglich zu sein, weil der ganze Brief, wie oben zweimal dargelegt worden
ist, offenbar erst in das Griechische übersetzt und dann in das Lateinische
zurückübertragen ist, ausserdem aber die Datierungszeile nur in lateini-
scher, nicht in griechischer Form vorliegt.
Arles und Vinnne. 51
milde Umbildung der vorher üblichen Form, denn als ein
Bruch mit ihr auszugeben sind und schwerlich an sich, wenn
aicht die beiden anderen Formeln hier eine Unterstützung ge-
währten, es begründen möchten, von dem genannten Papste an
eine neue Periode beginnen zu lassen. Es heisst nämlich unter
Gregor IL: 'Data Idibus Maii(s) i, imperante domno piissimo
augusto Leone a Deo coronato magno imperatore anno IIL,
post consulatum eius anno IIL 2, indictione IL' in J.-E. 2157
lind mit Einschiebung des auf den Kaisersohn bezüglichen
Vermerkes vor der Indictionsangabe: 'sed et Constantino
magno imperatore eius filio anno IV.' in J.-E. 2160. 61. 68. 74
und entsprechend auch unter Gregor IIL in J.-E. 2251 und
unter Zacharias in J.-E. 2264. 70^. 71. 74. 76. 78. 86*. 91. 92;
weiter reichen in dieser Periode die Belege leider nicht 5.
Die schon in dieser Periode wahrnehmbare feinere Aus-
bildung der Privilegien^ veranlasst es ohne Zweifel, dass
in der nächsten Periode, deren Beginn gegen die Mitte des
neunten Jahrhunderts angesetzt worden ist, in der Datie-
rung eine einschneidende Wandelung zum Ausdruck kommt.
Während nämlich die Urkunden nun fortan in ihrer feierlichsten
Form eine Scriptum- und eine der bisherigen Briefdatierung
ähnliche, um die Angabe 'per manum' etc. bereicherte Datum-
Zeile aufweisen', wird in den eigentli'chen Briefen nur mehr
1) Unter den Datierungen dieser Periode bringt wenigstens die in
J.-E. 2264 das Adjectivum 'Apriles' zum Vorschein. 2) Während in
den Papstbriefen der früheren Zeit die Zahlen der Kaiserjahre von
denen der anni post consulatum immer abweichen, treffen sie zum ersten
Male unter Gregor II., wie das angezogene Beispiel lehrt, und seinem
Nachfolger — es handelt sich um Kaiser Leo III., den Isaurier — zu-
sammen. 3) In der Zeile fehlt 'eius filio'. 4) Zwischen 'magno' und
'imperatore' ist hier 'pacifico' eingeschoben. 5) Dass in dem ganzen
Codex Carolinus auch nicht eine einzige Datierung überliefert ist, kann
entweder so erklärt werden, dass die in den Codex aufgenommenen
Schriftstücke, welche datiert waren, bei der Zusammenstellung in ihrem
Formular verkürzt worden sind, da doch wenigstens von Gregor III. und
Zacharias, deren Briefe den Codex Carolinus eröffnen, unantastbare Datie-
rungen in anderen Briefen uns bezeugt werden, oder so, dass die Briefe
überhaupt keine Datierung gehabt haben. Was von dem Codex Carolinus
gilt, trifft auch auf die zehn in einer Wolfenbüttler Handschrift uns be-
wahrten Briefe Leos III. an Kaiser Karl zu, wenngleich hier die zweite
Annahme sich darum mehr empfiehlt, weil hier die sechsmal verkürzten
Formeln der Aufschrift und Unterschrift doch stets in einigen Worten als
vorhanden angedeutet sind, von einer Datierung aber mit keiner Silbe
Vermerk genommen ist. 6) Von Stephan II. lässtsich übrigens aus
der dem Abt Fulrad gewährten Urkunde J.-E. 2331 eine Datierung bei-
bringen, welche fast genau mit dem oben angefürten Muster überein-
kommt: 'Datum IV. Kalendas Martias, imperante domno piissimo augusto
Constantino a Deo coronato magno imperatore, anno XVIII. imperii eius,
sed et Leone maiore imperatore eius filio anno IV., indictione X'. 7) Zu
den ältesten Beispielen dürften die Urkunden Leos III. J.-E. 2510 und
4*
52 Wilhelm Gundlach.
der Monatstag und die Indiction vermerkt, so findet man unter
Nicolaus I. : 'Data IX. Kalendas Decembres, indictione XI.'
in J.-E. 2698 und ähnliches in 2703. 27. 2822. 70. 72. 74. 83.
85. 86, unter Hadrian II. in 2894. 95. 98. 2902. 05. 07. 08.
09. 13. 18. 19. 26. 27. 28. 30. 42. 43. 45» und unter Stephan V.
in 3458 ; erst unter Johann X. scheint eine Form der Brief-
datierung aufzukommen, welche nur die Scriptum -Zeile der
Urkunden wiedergiebt: 'Scriptum per raanum Samuelis notarii
et scriniarii sanctae Romanae ecclesiae, in mense Maio, indic-
tione IL' in J.-E. 3520 und, am Ende durch die (nachträg-
liche?) Angabe des ^lonatstages, welche der Scriptum-Zeile in
Privilegien abzugehen pflegt, genauer eingerichtet ('V. Idus
Maii'), in J.-E. 3521 und noch unter Johann XIII. mit J.-L.
3749 belegt werden kann.
Wie die Formel sich weiter entwickelt hat, ist nicht genau
zu erkennen. Nur so viel lüsst sich sagen, dass unter Leo IX.
zuerst das Papstjahr in der Datierungszeile genannt wird : in
J.-L. 4216 'Data Kalendis Maii per manus Petri bibliothecarii
sanctae sedis apostolicae anno domni Leonis noni papae IL,
indictione IIL' und ohne Angabe des Beamten, welchem das
'dare' zustand in J.-L. 4304, dass weiter der Ort in der Datie-
rungszeile zuerst in der zweiten Hälfte des elften Jahrhunderts
angeführt wird. Ob dabei — was im letzten Drittel des elften
Jahrhunderts verhältnismässig oft belegt werden kann — im
besondern die Zeile auf die Nennung des Ortes und Monats-
tages beschränkt geblieben ist, dürfte doch auch bei einer Be-
rufung auf den unter dem ersten Nicolaus und seinen nächsten
Nachfolgern herrschenden Brauch sehr zweifelhaft sein, da
diese beschränkte Datierun^szeile mit dem Datumvermerk im
Register Gregors VII. ungefähr übereinkommt ^ imd doch von
Gregor VII. mindestens ein auch sonst Originalform zeigender
Brief überliefert ist, welcher eine ausgeführte Datierung hat,
Paschais I. J.-E. 2551 zählen, in welchen die Scriptum-Zeile, noch nicht
selbständig-, einen deutlichen Zusammenhang' mit dem Contexte bekundet:
'Quam etiam a Sergio scriniario nostro scribi praecepimus mense lanuario'
und 'Quod praeceptum confirmationis a nobis factum scribendum prae-
cepimus Timotheo notario et scriniario sedis nostrae, in mense lulio, in-
dictione XII'. 1) Von den aufgeführten Beispielen lassen wenigstens
J.-E. 2698, 2703. 27. 2902. 42 den Monatsnamen als Adjectivum be-
handelt erkennen. 2) Im Register Gregors VII. lautet das Datum der
Regel nach wie in J.-L. 4772: 'Data Romae VIII. Kalendas Maii, in-
dictione XI.'; es fehlt aber auch häufig oder ist um eine Angabe, nament-
lich die Indiction und den Ort verkürzt. Als Registervermerk macht sich
die so gefasste Datierung vielleicht auch dadurch kenntlich, dass im Anfang-
der zwölften, dreizehnten und vierzehnten Indiction bei den Stücken J.-L.
4790. 92. 4875, 4964 das Wort 'indictione' durch 'incipiente' genauer
bestimmt ist.
Arles und Vienne. 53'
J.-L. 5267: 'Datum Romae VII. Idus Jan. anno XL pontificatus
domni papae Gregorii VII., anno videlicet dominicae incarna-
tionis MLXXXIV,, indictione VII.' Da aber in denjenigen
Brieffassungen, welche sonst der Originalaiisfertigung ent-
sprechen, die Datierung bei weitem am häufigsten fehlt — und
zwar scheint die Menge solcher datierungsloser Stücke von der
frühesten Zeit an i im Zunehmen begriffen — , möchte ich vor-
läufig doch annehmen, dass die Originalausfertigungen der
Papstbriefe in der Regel nicht datiert worden sind^, eine Mei-
nung, weiche sich begründen lässt einmal mit der vorüber-
gehenden Bedeutung der Stücke, ferner aber damit, dass, wenn
wirklich ein Brief der Vergangenheit wieder vorgenommen
wurde, sein ungefähres Datum aus dem Vermerk, ja selbst
schon durch seine Stelle im Register ermittelt werden konnte.
Wenn man nun diese Regeln, deren endgültige Bestätigung
oder Berichtigung von einer genaueren handschriftlichen Er-
kundung der Papstbriefe zu gewärtigen ist, auf die Epistolae
Viennenses anwenden möchte, so dürfte zunächst das Bedenken
stören, ob denn die Vienner Briefe, so wie sie uns vorliegen,
auch genau den Originalen entsprechen sollen, ob sie nicht
vielmehr bei der Zusammenstellung geändert, ihrer ursprüng-
lichen, vielleicht als nebensächlich erachteten Form absichtlich
oder unabsichtlich entkleidet worden sind. Dieses Bedenken
ist zu beheben durch die Ausführungen, welche in dem vor-
angeschickten Abschnitt über die Üeberlieferung der Briefe
geboten worden sind: es ist ja darin gezeigt worden, dass
theils auf Grund einer zwiefachen Fassung, in welcher die
Epistolae Viennenses sich noch heute darstellen, theils auf
Grund ausdrücklicher Angaben, wonach die Originale benutzt
sind, die Anschauung berechtigt ist, als sei die eine Fassung
durch die Originale, die andere durch ein von den Originalen
abweichendes, aber nicht wesentlich verschiedenes Cartular
verursacht worden; wenn in der Mittelgruppe der Briefe im
allgemeinen nur eine Ueberlieferungsform vorhanden ist, so
hindert nichts den Erklärungsversuch, dass hier Originale und
Cartular vielleicht mehr als in den beiden anderen Gruppen
sich decken. Die Prüfung des Formulars der Vienner Briefe
kann also ihren Lauf nehmen.
Was die Aufschriften der Epistolae Viennenses anlangt,
soweit sie in der ersten bis auf Gregor den Grossen reichenden
Periode entstanden sein sollen, so sind sie sammt und sonders
zu verwerfen, weil sie bis auf einen Brief (J.-K, 446) 1) mit
dem Papstnamen beginnen, 2) dieser Name theils das Bischöfen
gegenüber unstatthafte 'episcopus', theils das nur in einer be-
1) Vgl. N. A. XIV, 325 Anm. 2. 2| Das hat zuerst v. Pflugk-
Harttung- vermuthet: Acta inedita I, 46.
54 Wilhelm Gundlach.
stimmten Zeit übliche 'papa' (in J.-K. 177 und in dem mit
'Cunctas' anhebenden Symmaehus-Briefe) im Gefolge hat, 3) der
namentlich aufgeführte Empfänger, der Bischof von Vienne,
statt allein durch das gebräuchliche 'frater', welches nur in
J.-K. 45. 46. 76. 116. 446 erscheint, noch durch 'episcopus' in
J.-K. 46. 75. 76, in 116. 335 gar durch 'archiepiscopus' seinem
Stande nach und 4) in J.-K. 75. 116. 335 durch das Adjectivum
'Viennensis' auch seinem Wohnort nach bestimmt ist, weil
endlich 5) das 'salutem", welches die Aufschrift in J.-K. 45.
75. 76. 116. 335 beschliesst, in echten Briefen dieser Zeit nicht
nachweisbar ist. Diejenige Aufschrift, welche der kanzlei-
mässigen Form noch am nächsten kommt, in J.-K. 446:
'Dilectis fratribus, per Gallias et Viennensem provinciara epi-
scopis constitutis, Leo episcopus' trägt vor allem darin das
Gepräge der Fälschung zur Schau, dass hier die 'Provincia
Viennensis' von den 'Galliae' unterschieden wird, eine Unter-
scheidung, welche offenbar der Gegenüberstellung der 'Galliae'
und der 'Septem Provinciae' in einem Stücke der Epistolae
Arelatenses ' nachgebildet worden ist.
Die drei Briefe des Agatho (J.-K. 2113), Johann (2146)
und Constantin (2151), welche der mit Bonifatius V. anheben-
den Periode zuzutheilen sind, haben Merkmale der Unechtheit
darin, dass 1) die Papstnamen wiederum vorangestellt und
durch den Zusatz 'episcopus' in einen ungehörigen Gegensatz
zu den gleichfalls bischöflichen Empfängern gebracht sind,
2) dass in jedem Briefe der Empfänger mit Umgehung jedes
anderen Titels- durch die Worte 'Viennensis archiepiscopus',
von welchen das eine so unangemessen wie das andere ist,
bezeichnet w^ird.
Die falsche Stellung des Papstnamens am Eingang der
Aufschrift und die nicht minder falsche Bestimmung des
römischen Bischofs als 'episcopus' anderen Bischöfen gegenüber
ist auch in den Briefen der nächstfolgenden Periode festge-
halten und der Papsttitel — was ganz in der Ordnung ist —
nur durch die Demuthformel 'servus servorum Dei' erweitert.
Der Titel des Bischofs von Vienne macht, abgesehen von der
Stellung innerhalb der Aufschrift und der Anordnung der
einzelnen Bestandtheile, dadurch sich verdächtig, dass mit
einer Ausnahme (J.-E. 2549) entweder gar nicht 'reverentissimo
et sanctissimo' oder nur 'reverendissimo' (d!) in J.-E. 2158 und
1) Der Zosimus- Brief J.-K. 331 gilt den 'episcopis . . . per Gallias
et Septem Provincias constitutis'. Ausser dieser Stellung kann aber auch
der äussere Rahmen der Aufschrift in dem Vienner Brief einem andern
Stück der Epistolae Arelatenses entlehnt sein; denn in J.-K. 434 und 450
heisst es gleichmässig: 'Dilectissimis fratribus . . . Leo (episcopus)'.
"Weiteres darüber im folgenden Abschnitt. 2) Nur in J.-E. 2113 ist
der Erzbischof von Vienne als 'sanctus' angeredet.
Arles und Vienne. 55
2563 oder 'sancto' in J.-E. 2412 zu finden ist, dass der Metro-
politanbischof von Vienne niemals als 'confrater', sondern,
wenn eine derartige Bezeichnung nicht gänzlich fehlt wie in
J.-E. 2258 und 2533, stets nur als 'frater' und ebenso überflüssig
wie ständig als 'Viennensis oder sanctae Viennensis eccle-
siae archiepiscopus' angeredet wird. Nur eine einzige Auf-
schrift giebt es, welche die kanzleimässige Folge des Empfänger-
und Absendernamens und eine regelrechte Gestaltung des Papst-
titels aufweist, die Aufschrift des an König Karl gerichteten
Paulus-Briefes J.-E. 2367 : 'Domno piissimo et serenissimo ac
triumphatori filio Karolo regi Paulus episcopus servus servo-
rum Dei' — nur schade, dass der Fälscher, statt den richtigen
Königstitel zu wählen», den nur Kaisern zukommenden Titel ^
für den König Karl zurecht gemacht hat.
Erst mit der bei den Nicolaus- Briefen beginnenden Schluss-
gruppe der Vienner Schriftstücke kommt die in der ganzen Reihe
wahrnehmbare Gepflogenheit, den Papstnamen voranzustellen
und ihm 'episcopus' beizugeben, ferner hier 'servus servorum
Dei' hinzuzusetzen und den Erzbischof von Vienne als 'Vien-
nensis oder (sanctae) Viennensis ecclesiae archiepiscopus' zu
bestimmen und ähnlich auch bei einfachen Bischöfen (in J.-L.
5350) zu verfahren, mit dem Brauche der päpstlichen Kanzlei
überein; in dieser Periode geben sich überdies auch einige
Stücke (J.-L. 3544. 4285. 5024. 6596. 6822) durch den Zusatz
'in perpetuura' schon in der Aufschrift als Privilegien zu er-
kennen. Wenn demgemäss hier kein Anlass vorliegt, schon
auf Grund der Aufschriften die Stücke zu verwerfen, so be-
weist das gar nicht, dass von Nicolaus an die Reihe der
Epistolae Viennenses echt ist; es kann lediglich den Schluss
nahe legen, dass diese Briefe nach echten Vorlagen und viel-
leicht, weil auch die Papstbriefe früherer Zeit in der Aufschrift
ähnlich gestaltet sind, zu einer Zeit gefertigt wvirden, als die
mit der Mitte des neunten Jahrhunderts beginnende Periode
päpstlicher Kanzleigebräuche schon soweit vorgerückt war,
das Originale aus früheren Perioden nicht mehr in Vienne vor-
handen und kaum noch von andersher zu beschafi"en waren.
Mit derselben Bestimmtheit wie die Aufschriften, erlauben
auch die Unterschriften, die Vienner Briefe jedenfalls bis auf
Nicolaus I. als unecht abzuweisen; denn statt des üblichen
'Deus te incolumem custodiat, frater carissime' heisst es in
den ältesten Schreiben 'Vale(te)' (in J.-K. 75. 76. 177 und in
1) 'Domino excellentissimo filio et nostro spiritali compatri Pippino
regi Francorum et patricio Romanorum'; vgl. oben S. 28. Auch an Pippin,
nicht an Karl den Grossen hätte der Papst sich wenden sollen! 2) 'Domino
piissimo et serenissimo, victori ac triumphatori, filio amatori Dei et domini
nostri lesu Christi, Karolo augusto'; vgl. oben S. 30.
56 Wilhelm Gundlach.
dem Symmachus-Briefe: 'Cunctas') oder 'Gratia Christi habitet
in corde tuo. Amen' (in J.-K. 45) oder *Vale, frater, in Domino
et saluta oranes, qui nos amant in Christo' (in J.-K. 116), oder
endlich es fehlt in J.-K. 46. 335. 446 die Unterschrift gänzlich.
Die mit Bonifatius V. anbrechende neue Periode, welche
nur 'dilectissime frater' an Stelle des 'frater carissime' in Auf-
nahme bringt, müsste mit ihrer Uebung in den Schreiben der
Päpste Agatho, Johann und Constantin zu verspüren sein: statt
dessen hat der Agatho-Brief überhaupt keine Unterschrift, und
in den beiden andern liest man den frei geformten Schluss-
Avunsch: 'ßenedictio apostolorum vos ab imbre malignorura
custodiat' bez. 'Jesus Christus te, frater, santificando custodiat'.
Die bisher gesetzmässige Form wird berührt in dem an
Proculus von Vienne gerichteten Briefe Stephans, welcher
wünscht: 'Dens te incolumem custodiat'; aber die Unterdrückung
des Schluss-\'ocativus macht auch diesen Wunsch verdächtiür;
denn der zweite Stephan dürfte nicht anders als seine unmittel-
baren Vorgänger, Zacharias und Gregor, seine Unterschrift für
Metropolitanbischöfe abgegeben haben: 'Deus te incoluinem
custodiat, revereiitissime — oder 'rcverentissime et sanctis-
sime' — frater. In den andern an die Bischöfe von Vienne
erlassenen Schreiben (J.-E. 2158. 225S. 2412. 2533) trifft man
keine Unterschrift. Wenn nun ihr Fehlen in Brief-Originalen
auffällig ist, so ist es in den Privilegien begründet; darum
kann das Stück J.-E. 2549, welches durch seine Datierung als
Privileg sich ausweist, kein Befremden hervorrufen; um so
argwöhnischer dürfte man aber werden dem Stück J.-E. 2563
gegenüber, welches den Schlusswunsch hat: 'Dens omnipotens
vestrum semper et ecclesiae vestrae ab hostibus honorem
custodiat', da er, selbst als Bestandtheil des Contextes, nicht
als eigenhändige Unterschrift des Papstes betrachtet, zur Zeit
Eugens IL, seines vorgeblichen Urhebers, dem Herkommen
widerspricht. Der au König Karl ergehende Paulus -Brief,
dessen Aufschrift, wie oben dargelegt, nach der dem Kaiser
geziemenden Formel hergerichtet ist, hat auch seine Unter-
schrift der nämlichen Vorlage entnommen; denn 'Dextera di-
vinae clementiae suo vos semper umbraculo protegat et om-
nium cervices vestris conterat sub pedibus atque conculcet' hat
nichts mit der für den König üblichen Kanzleiform gemein:
'Incolumem excellentiam vestram gratia superna custodiat',
sondern ist augenscheinlich — mit freier Ausführung min-
destens der zweiten Hälfte — einem dem Kaiser Karl gelten-
den Wunsche nachgeahmt: 'Piissimum domini Imperium gratia
superna custodiat eique omnium gentium coUa substernat'.
Für die letzte oben besprochene Periode der Schluss-
wüusche bietet sich kein Beispiel in den Epistolae Viennenses,
Arles und Vienne. 57
da in J.-L. 2693. 2877 jegliche Unterschrift mangelt J. Wo
dann weiter noch ein Schlusswunseh ersichtlich ist in J.-L.
5350: 'Obtemperantes vos iussionibus nostris omnipotens
Dominus benedicat'^ und in 5421: 'Omnipotens Dominus
poteutiae suae dextera interius vos exteriusque custodiat', soll
er wohl als Bestandtheil des Contextes angesehen werden:
er kann deshalb keinerlei Anfechtung erleiden; ja selbst in
dem Privileg J.-L. 6596 dürfte der Schlusswunsch: 'Fraterni-
tatem tuam supernae miserationis dignatio per tempora longa
conservet incoluraen', welcher in ähnlichen Schriftstücken der-
selben Zeit (J.-L. 5569 und 6088) zu belegen ist, nicht als
Fälschungsgrund auszugeben sein.
Unter einem unglücklichen Zeichen steht die Endformel
des Eschatocolls, die Datierung ; denn gleich das früheste Bei-
spiel, welches unter den Epistolae Viennenses begegnet, in dem
Briefe des Zosimus J.-K. 335: 'Data sub die Kalend. Octobris,
Honorio XL et Constantio consulibus' ist wegen der Genitiv-
form des als Substantivum gebrauchten Monatsnamens zu be-
anstanden und als verkürzt daran zu erkennen, dass hinter
den Kaisernaraen der Titel 'augustis' und hinter 'Constantio'
die Zahl IL ausgefallen ist: diese in einem Original be-
fremdliche Zusammenziehung findet nun aber eine über-
raschende Erklärung darin, dass die Datierung bis auf das i
in 'Octobris' buchstäblich einem, wie oben nachgewiesen ist,
in einer Registerabschrift unter die Epistolae Arelatenses ein-
gereihten Zosimus -Briefe (J.-K. 331) entnommen ist, dem-
selben, bei welchem die Epistolae Viennenses schon für die
Aufschrift ihres Leo-Briefes (J.-K. 44-6) ^ eine Anleihe gemacht
haben. Um den Diebstahl zweifellos zu machen, ist auch dieses
nächste Stück der Vienner Reihe, das, wie oben angegeben
ist, schon Anfangs- und Endworte der Aufschrift vielleicht aus
dem Leo-Briefe der Arier Sammlung (J.-K. 450) geborgt hat,
darauf auch noch mit seiner Datierung zurückzuführen; denn
wenn man bei der Datierungszeile des Vienner Briefes: 'Data
III. Llus lanuarii, Valentiniano augusto IUI. et Anieno (!) con-
sulibus' nur eine geringfügige Aenderung ('Idus lanuarii') zu-
lässt. dann ist als passende Vorlage zu erachten die Datierung
des bezeichneten Arier Briefes : 'Data III. Nonas Maias,
Valentiniano augusto VII. et Avieno consulibus', da das in
einem Original erforderliche 'viro clarissimo' nach 'Avieno' zum
Ueberfluss auch noch in der Toulouser Handschrift ausgefallen
ist. Damit sind die vor Gregor dem Grossen angeblich er-
1) In dem Privileg: J.-L. 6822 ist die Unterschrift: 'Egro Calixtus
catholicae ecclesiae episcopus' nicht zu beanstanden. 2) Ein ähnlicher
an den Gehorsam des Angeredeten geknüpfter Schlusswunsch ist oben
S. 48 von Hadrian II. angeführt worden. 3) "Vgl. oben S. 54 Anm. 1.
58 Wilhelm Gundlach.
lassenen Papstbriefe der Vienner Reihe, soweit ihre Datierung
in Betracht kommt, sämmtlich abgethan; denn mehr als diese
beiden Datierungen sind in ihnen nicht vorhanden.
Misslungen ist auch die Datierung, welche in dem Agatho-
Briefe J.-E. 2113 erscheint: 'Data pridie Kalendas Martii, piis-
simo Constantino augusto'; denn abgesehen von dem stets in den
Vienner Briefen als Substantivum gebrauchten Monatsnamen,
ist die Jahresbezeichnung viel zu kurz gerathen, als dass damit
ein einzelnes Jahr bestimmt werden könnte.
Von den Briefdatierungen der nächsten Periode ' sind die
in J.-E, 2158: 'Data pridie Kalendas Septembris, imperante
piissimo Leone augusto anno tertio regni'' eins' und in J.-E.
2258: 'Data Nonis Älartii, Constantino augusto, anno imperii
eins primo' zwar verständlich, aber, wie eine Vergleichung mit
den echten Datierungsformen der Gregor- und Zacharias-Briefe
lehrt, so abweichend gebildet, dass an ihrer freien Erfindung
kein Zweifel sein kann. Weiter ist die Datumzeile des
Stephan-Briefes J.-E. 2385: 'Data per manum Georgii notarii
et scriniarii sanctae sedis apostolicae VIII. Kalendas lulii'
schon darum zurückzuweisen, weil es in dieser Zeit nicht Sitte
ist, dass ein päpstlicher Kanzleibeamter in einer Briefdatierung
sich nennt. Vollends ungereimt sind die Zeilen in J.-E, 2412
und 2533; denn in dem ersten Schreiben vereinigt die Datie-
rung: 'Data Kalendis lanuarii, imperante piissimo augusto
Constantino anno X. et a Deo coronato rege piissimo Karolo,
anno primo patriciatus eins' das Regierungsjahr des Byzan-
tinischen Kaisers mit dem Patriciatjahr nicht des Patricius,
sondern des Königs Karl, welcher noch obenein die kaiser-
lichen Titel 'a Deo coronato' und 'piissimo' erhalt; in dem
andern Briefe ist an der Datierung: 'Data XV. mensis lulii,
imperante piissimo augusto Karolo Magno imperatore a Deo
coronato' ausser der kanzleiwidrigen Kürze die schlichte Tages-
zählung nach unserer heutigen Art und der Mangel einer
Jahresangabe auszusetzen.
In der letzten Periode, in den Briefen und Privilegien der
Päpste Sergius III., Leo IX., Gregor VII., Paschal II. und
Calixt II, 3 sind die Datierungen zwar sehr unregelmässig ge-
formt, aber, abgesehen von verdächtigen Einzelheiten, doch
nicht so unbesonnen gefügt, dass sie nicht im allgemeinen mit
anderen Datierungen der Zeit belegt werden könnten.
Das Ergebnis der auf die Formeln der Epistolae Vien-
nenses gewandten Betrachtung ist also, dass alle Stücke bis
1) In J.-E. 2367 ist keine Datierung: vorhanden, in den Urkunden J.-E.
2549 und 2563, auf welche ich mich hier nicht einlassen will, dieselbe
in eine Scriptum- und Datum-Zeile zerlegrt. 2) Bei du Boys liest man
'imperii regni'. 3) Die Nicolaus- und Urban- Briefe führen kein Datum.
Arles und Vienne. 59
herab auf die angeblich von Nicolaus herrührenden Briefe
wegen ihrer dem Kanzleibrauch nicht entsprechenden Auf-
schrift, Unterschrift und Datierung als Fälschungen anzusehen
sind. Wenn die letzten Briefe und Privilegien kaum Merk-
male der Unechtheit erkennen lassen, so wird nun die Ge-
wissheit auch ihrer Fälschung erzielt, indem die Untersuchung
jetzt den Inhalt der Vienuer Briefe zum Vorwurf nimmt ^.
3. Inhalt, Einheitlichkeit, Entstehung-szeit und Urheber der
Epistolae Viennenses.
A. Der Inhalt der Epistolae Viennenses.
Obgleich uns von den gallischen Synoden auch mit Unter-
schriften versehene Acten, welche sich zu einer nicht allzu
arg gestörten Folge aneinander reihen lassen, nur aus dem
fünften, sechsten und siebenten Jahrhundert zu Gebote stehen,
obgleich sie darum für den Inhalt der Epistolae Viennenses,
welche das volle Jahrtausend vom zweiten bis zum zwölften
Jahrhundert umfassen, keinen zureichenden Prüfstein abgeben,
haben sie sich doch bei der Erprobung der Epistolae Arela-
tenses in einer Weise bewährt, dass sie hier jedenfalls nicht
mit Stillschweigen übergangen werden dürfen.
Wenn Zosimus mit Beziehung auf die Entscheidung der
Turiner Synode die Metropolitangewalt des Vienner Bisthums
auf die benachbarten Städte beschränkt haben soll, so wird
die Verfügung an sich in der That durch die Acten der ge-
nannten Synode — ihren zweiten Canon ^ — gedeckt; dass
aber Leo I. diese für Vienne nachtheilige Abfindung beseitigt
und die frühere Machtvollkommenheit des Vienner Metropoliten
wiederhergestellt habe — da Nicolaus I. die Bestimmung Leos
lediglich zu erneuern vorgiebt und dem Bischof von Vienne
die sieben Sprengel Gratianopolis, Valentia, Dia, Alba-Viva-
rium, Genava, Tarantasia und Maurienna bestätigt *, so sollen
wohl diese unter Leo I. das Vienner Metropolitangebiet gebildet
haben — , wird durch die Frankfurter Synode des Jahres 794
als unwahr erwiesen; denn die versammelten Väter kennen
als zu Recht bestehend nur einen Schiedsspruch Leos, welcher
dem Bisthum Vienne vier Bischofstädte (Gratianopolis, Valentia,
Genava und Tarantasia) zutheiltc*. Dabei lassen sie überdies
1) Da ich mit Bresslaus jüngst veröffentlichtem 'Handbuch der Ur-
kundenlehre' leider zu spät bekannt wurde, um noch so ausführlich, wie
es die Bedeutung- des Werkes erfordert, darauf Rücksicht nehmen zu
können, behalte ich mir vor, das im Nachtrage nachzuholen. 2) Vgl.
N. A. XIV, 329, Anm. 2. 3) In dem Briefe J.-E. 2877. 4) Vgl.
N. A, XIV, 330.
60 Wilhelm Gundlach.
den Anspruch auf Tarantasia, welches selber den Rang einer
Metropole anstrebte, zu ihrer Zeit zweifelhaft sein, indem sie
dem Papste die Regelung der Angelegenheit anheim gebend
Da nun alle weiteren Stücke der Vienner Reihe, welche den
Metropolitanbereich bestimmen^, auf den unwahren Leo -Brief
oder den erläuternden Kicolaus- Brief sich berufen, so ist die
in ihnen enthaltene Bestätigung mindestens in ihrer Begrün-
dung anfechtbar.
Indem die Vienner Briefe, welche den Primat betreffen,
nur die sieben Provinzen des südlichen Galliens als zustän-
diges Gebiet bezeichnen', könnten sie den Glauben erwecken,
als sei es gar nicht auf die Ausschliessung des Arier Rechtes
abgesehen, als solle der Vienner Primat gewissermassen als
ein Unterprimat neben dem Arier bestehen. Aber diese Mei-
nung ist darum nicht haltbar, weil in den Vienner Briefen die
durch Leo L erfolgte Theilung der alten Viennensis in die
neuen Provinzen Vienne und Arles unbekannt, unter der Pro-
vincia Viennensis stets die alte Arles mitbegreifende Provinz
verstanden ist*. Danach müssten mindestens in denjenigen
Fällen, in welchen nur Biscliöfe der Septem Provinciac ver-
sammelt waren und der Bischof von Vienne der Versammlung
mit anwolnite, die Acten ersehen lassen, dass er als Primas den
Vorsitz geführt und darum an erster Stelle seine Unterschrift
erthoilt hat. Wie steht es nun damit? Im ganzen kommt in
siebzehn SynodalprotocoUen der Name eines Bischofs von
Vienne zum Vorschein; aber fünfzehnmal * an zweiter oder
einer tieferen Stelle und — bei klarer Ueberlieferung — nur
zweimal, auf den Synoden von Epaon (517)8 und Lyon (II,
5ß7)", im Eingang der Unterfertigung. Da aber auf beiden Zu-
sammenkünften ausser Bischöfen der alten Viennensis auch In-
sassen der Kirchenprovinzen Lyon, Sens und Trier vertreten
sind, über welche Vienne niemals ausdrücklich eine Primatial-
1) Vgl. N. A. XIV, 330. 2) Es sind die Urkunden Gregors VII.
J.-L. 5024, Paschais II. J.-L. 6596 und Calixts II. J.-L. 6822, 3) Der
Widerspruch in den Bestimmungen des Silvester -Briefes J.-K. 177, in
welchem am frühesten von dem Primat des Bischofs von Vienne über die
Sieben Provinzen die Rede ist, zugleich aber auch jedem gallischen Geist-
lichen aufgegeben wird, in Vienne sich die für eine grössere Reise nöthige
Epistola formata zu beschaffen, wird im nächsten Abschnitt besprochen
werden. 4) Wenn daran noch ein Zweifel sein konnte, müsste er be-
nommen werden durch die mit den Vienner Briefen zusammen überlieferte
Urkunde Karls des Kahlen, in welcher der 'Viennensis metropolitanus cum
subiecto sibi Arelatensi praesule' erscheint; vgl. N. A. XIV, 254 Anm. 2.
b) Auf den Svnoden zu Orange (441), Vaison (442), Lyon (I, 517),
Orleans (II, 533), Orleans (III, 538), Orleans (V, 549), Paris (II, 553),
Paris (IV, 573), Mäcon (I, 581), Lyon (IN. 583), Valence (II, 584),
Mäcon (II, 585), Paris (V, 614), Clichy (626) und Chälons (650).
6) Mansi VIII, 564. 7) Mansi IX, 788.
Arles und Vienne. 61
gerechtigkeit in Anspruch genommen hat, so können die beiden
Bischöfe von Vienne: Avitus und Philippus, auch nicht kraft
ihres vorgeblichen Primates den Vorsitz führen; auch darauf
ist es nicht zurückzuführen, dass etwa die beiden Bischöfe von
den Urhebern der Synoden, den Burgund beherrschenden
Königen Sigismund und Guntram, mit der Leitung der Ver-
handlungen beauftragt worden seien; denn auf der ersten
Synode zu Lyon, welche in dasselbe Jahr 517 wie die zu
Epaon fallt und meist von Theilnehmern dieser Synode be-
sucht war, also wohl auch auf den Antrieb Sigismnnds zu-
sammentrat, unterzeichnete Viventiolus von Lyon zuerst das
Protocolli; ebenso haben die Synoden von Paris (IV, 573) ^^
Mäcon (I, 581)3, Valence (II, 584) * und Mäcon (II, 585) s, welche
auch von Guntram veranlasst sind, andere Leiter als den
Bischof von Vienne, sodass die erste Stelle, welche Avitus
und Philippus zu Epaon ^ und Lyon (II) einnahmen, allein
durch den Umstand zu erklären ist, dass sie zufällig unter
den anwesenden Metropohten dem Ordinationsalter nach die
ältesten waren. Somit ergeben die Acten gallischer Synoden
auch nicht den geringsten Anhalt dafür, dass zu ihrer Zeit die
Bischöfe von Vienne sich eines Vorrangs vor anderen Metro-
politen erfreut hätten.
Diesen Ausfall scheint man in Vienne sehr wohl empfunden
zu haben ; denn man ist augenscheinlich bemüht gewesen, in
Fälschungen der Synodalacten einigen Ersatz zu schaffen.
Von einem angeblichen ^Concilium Arvernense IL sind
uns nämlich Acten erhalten^, welche als erfunden bezeichnet
werden müssen; denn erstens ist die Vorrede bis auf geringe
Abweichungen lediglich eine Wiederholung des Vorwortes der
fünften Synode von Orleans, welchem in einigen Handschriften s,
vielleicht um die Wiederholung nicht gleich zu verrathen, vor-
angeschickt ist: 'Ubi beatus Petrus divinitus inspiratus et confes-
sione sua omnibus credentibus profuturus: 'Tu es', inquit, 'Chri-
stus filius Dei vivi', nee inmerito beatus pronunciatur a Domino
et a principali' — die Wiederholung ist so unbesonnen durch-
geführt, dass trotz der Ueberschrift : 'Concilium Arvernense'
die Ortsbestimmung: 'in Aurelianensi urbe' und, abgesehen
von dem Codex Urgel., der den König Theodebert nennt,
1) Mansi Vin, 567. 2) Mansi IX, 869; vgl. N. A. XIV, 336. 337.
3) Mansi IX, 936. 4) Mansi IX, 945. 5) Mansi IX, 957. 6) Zum
Ueberfluss ist unter den Acten dieser Synode das Einberufungsschreiben
sowohl des Avitus wie des andern anwesenden Metropolitanbischofs, des
Viventiolus von Lyon, an die ihnen unterstellten Bischöfe erhalten, wo-
durch erhärtet vnrd, dass beide Metropoliten im Range nebeneinander
standen. 7) Mansi IX, 141. 8) Vgl. Maassen, Quellen I, 210 Anm. 3.
9) Vgl. Maassen a. a. 0. Anm. 2; Maassen macht mit Eecht darauf auf-
merksam, dass Theodebert schon ein Jahr vor der in Rede stehenden
Synode von Orleans gestorben war.
62 Wilhelm Gundlach.
auch der Name des Königs Childebert, des Urhebers der
Synode von Orleans, mit hinübergenommen ist; zweitens geben
die Canones des Coneilium Arvemense einfach die der fünften
Synode zu Orleans wieder; endlich sind die Unterschriften auf
gut Glück aus der Liste der in Orleans anwesenden Bischöfe
herausgegriffen, aber in ihrer Reihenfolge ist nun darin ein
wesentlicher Unterschied erzielt, das Hesychius von Vienne
an erster Stelle unterzeichnet. Dieser Umstand, die Einsicht:
Cui bono, giebt schon die einzig richtige Auffassung an die
Hand: der ungeschickte Abklatsch der fünften Synode von
Orleans, welcher als ein eigenes Coneilium Arvernense II aus-
gegeben wird, ist eine Fälschung, welche ihren Ursprung in
Vienne nicht verleugnen kann > ; dass man gerade die fünfte
Synode von Orleans als Vorlage wählte, geschah Avohl darum,
weil diese Synode diejenige des sechsten Jahrhunderts ist,
welche die weitaus meisten Theilnehmer aufweist und so die
Fälschung am meisten verlohnte*; es ist im übrigen ein
Seitenstück zu der Fälschung des ausgiebigsten Papstbriefes
der Arier Sammlung, wovon im nächsten Abschnitt gehandelt
werden soll.
Die zweite Fälschung betrifft die Acten einer gleichfalls
zahlreich besuchten Synode, der vierten Pariser, welche im
Jahre 573 abgehalten worden ist. Da Sapaudus von Arles
den Ikief an König Sigebert als erster unterzeichnet, in dem
Schreiben aber, welches dieselbe Versammlung an Aegidius
von Reims richtete, von dem Namen des Philip])us von Vienne
an die zweite Stelle gedrängt wird, so dürfte auch hier, wie
icli oben genauer ausgeführt habe, nur die Annahme zulässig
sein, dass man von Vienner Seite zum Ruhme des Bisthums
die betrügliche Verschiebung der beiden Namen vorgenommen
hat; um zu erklären, dass nur ein Schriftstück der Synode
geändert worden ist, braucht man nicht die blosse blöde Un-
1) V. Hefele (Conciliengesch. III*, 5) hält die Synodalacten für echt;
€r hilft sich durch die Annahme, 'dass König' Theodebald von Austra-
sien, zu dessen Antheil die Gegend von Clermont gehörte, den Wunsch
ausgesprochen habe, es möchten die Bischöfe auch in seinem Reiche
eine Kirchenversammlung abhalten' — er bekennt sich damit zu der
Auffassung Sirmonds, welche Mansi in seinem Concilienwerke (IX, 144)
wieder abgedruckt hat. Aber auch Maassen dürfte die Angelegenheit
des Coneilium Arvernense, welche in dem Gegensatz der Bisthümer
Vienne und Arles erst die rechte Beleuchtung empfängt, zu milde be-
urtheilen, wenn er einzig auf Grund der handschriftlichen Ueberlieferung
(Quellen I, 210) sagt: 'Es scheint mir daher nicht zweifelhaft, dass der
Titel eines Coneilium Arvernense auf einem in spanischen Sammlungen
entstandenen Versehen beruht'. 2) Auch Lyon tritt hier in den Wett-
streit ein; denn es ist früher (N. A. XIV, 336 Anm. 2) dargelegt worden,
dass eine Anzahl Handschriften den Bischof Sacerdos von Lyon als Vor-
sitzenden angeben.
Arles und Vienne. 63
aufmerksamkeit des Fälschers anzunehmen, man kann auch
geltend machen, dass der Regel nach die Theilnehmer einer
Synode nur einmal ihre Unterschriften abzugeben pflegten,
dass also der Fälscher auf Grund des Herkommens glauben
durfte, mit der in dem einen — voranstehenden — Schrift-
stück vollzogenen Wandelung die Unterschriften der Synode
überhaupt geändert zu haben K
1) In diesen Zusammenhang fügt sich auch ein Bericht 'zweifelhafter
Echtheit' (v. Hefele, Conciliengesch. III^, 35) ein, welcher, im Nachlass
Jacques Sirmonds aufgefunden, von Labbe zuerst veröffentlicht worden
ist (Mansi IX, 921). Es wird darin erzählt: Zur Zeit König Guntrams
erfuhr eine in der Gegend von Maurienna ansässige fromme Frau Namens
Tigris von Mönchen, welche auf der Durchreise von Jerusalem nach
Schottland bei ihr einkehrten, dass Reliquien Johannes' des Täufers erst
in Samaria geborgen gewesen, dann nach Alexandria und das Haupt nach
Phönicien gelangt seien. Sie ruhte nun nicht eher, als bis sie im Besitze
der kostbaren Funde war, und beschloss, ihnen zu Ehren eine Kirche in
Maurienna zu errichten ('Accidit bonorum virorum monachorum reli-
giosa facultas ex Hierosolymae partibus Scotiam pergere . . ., a quibus
illa audivit venerabilis Tygris de beato lohanne Baptista . . . quod
membra illius fuissent humata in civitate Samaria . . . ac tempore prae-
cedente Alexandriam missa caputque eins Phoenice perlatum'). König
Guntram aber, welcher von der Wunderkraft der Reliquien vernommen,
kam ihr zuvor: er Hess eine Kirche erbauen, ihr einen Bischof weihen
und unterstellte das neue Bisthum der Metropolitangewalt des Bischofs
von Vienne: 'ad quam ecclesiam Morigennensem', so geht es weiter,
*. . . Seusiam civitatem . . . cum omnibus pagensibus ipsius loci
subiectam fecit (sc. Guntramnus rex) et consensu etiam Romani
pontificis Viennensi ecclesiae iure perenni episcopum civitatis et
vici Maurigennae subditum esse decrevit'. Der Bericht ist entstanden auf
Grund der Erzählung Gregors von Tours (Liber in gloria mart. c. 13:
MG. SS. rer. Merov. p. 497) und einer Nachricht Ados, der in seiner
Chronik (Migne CXXIII, 103) erwähnt: 'lohannes Baptista caput
suum duobus monachis orientalibus, qui ob orationem venerant Hie-
rosolymam, iuxta Herodis quondam habitaculum revelavit, quod dein-
ceps Emessam, Phoeniciae urbem, perlatum . . . est'; da nun eine
Verbindung mit den Vienner Briefen ausser Zweifel ist — in der Urkunde
Sergius' III. J. -L. 3544 heisst es: 'Et quae admodum largiter Gun-
tramnus rex ecclesiam Maurianensem per consensum apostolicae sedis
«um Omnibus pagis suis subiectam iure perenni sanctae Viennensi
fecit eccclesiae, ita una cum ecclesia Segusiana ... et cum
omnibus pagis integram eam illi subiectam esse firmamus' — , da
ferner die Fälschung offenkundig ist — denn Maurienna war nachweislich
noch zu Nicolaus' I. Zeit der Vienner Kirche nicht unterworfen (vgl. auch
die Ausführungen Labbes bei Mansi IX, 922 und die Anmerkungen 1 — 3,
welche Krusch zu der angezogenen Stelle p. 497 gemacht hat) — , und
ebenso der Zweck, welcher mit dem Schriftstück verfolgt wurde, schon
an seiner Aufschrift: 'Auctoritas quod ex antiquo Morinensis ecclesia
Viennensi metropoli subdita fuit' klar wird, so dürfte die Vermuthung
sich hören lassen, dass es erst zusammen mit den Vienner Briefen im
Ausgang des elften Jahrhunderts hergestellt worden ist.
64 Wilhelm Gundlach.
So werthvoll die vergleichende Betrachtung der Synodal-
acten für die Prüfung der Vienner Briefe ist — denn die Ver-
fügungen aller ihrer Stücke, Avelche vor dem neunten Jahr-
hundert entstanden sein sollen, werden dadurch als der Wirk-
lichkeit widersprechend aufgezeigt und alle im zehnten, elften
und zwölften Jahrhundert erlassenen Briefe und Privilegien
des rechtlichen Untergrundes beraubt, welcher vergeblich auf
unehrliche Weise zu schaffen versucht wird ' — so hat doch
niemand, so viele sich auch mit der Prüfung der Vienner
Briefe abgegeben haben, diesen hauptsächlichen Beweisgrund
erkannt und gewürdigt, vielmehr ist stets nur aus einzelnen
nebensächlichen Angaben die Unechtheit des damit ausge-
statteten Stückes erschlossen worden.
Nachdem die drei Vienner Briefe, welche zuerst aufge-
taucht waren, bei Baronius Anerkennung gefunden hatten %
und dann alle Schriftstücke von du Boys und le Li^vre ver-
öffentlicht worden waren, nahm sie Coustant in seinem Werke
'Epistolae Romanorum pontificum' zuerst zum Ziele eines An-
1) Nach dem Vorgänge Tillemonts (Momoires XV, 69) und Ceilliers
(Hist. des auteurs sacrc's XIII, 784) liat sich v. Hefele (Concilieng'esch.
11^, 296), wenn auch zweifelnd, zu der Angabe verstanden, dass Ado in
seiner Chronik (Migne CXXIII, 92) den Nectarius von Vienne als Vor-
sitzenden der Synode zu Vaison bezeichne. Man könnte, wenn wirklich
von Ado die erste bekannte, in das Jahr 442 fallende Synode von Vaison
gemeint wäre, annehmen, dass Ado die gewöhnliche Ueberlieferung ihrer
Acten ohne Unterschriften (vgl. N. A. XIV, 331 Anm. 4) sich zu nutze
gemacht und einen seiner Vorfahren im Bisthum als Vorsitzenden cin-
geschwärzt habe ; aber das wäre doch nur dann statthaft, wenn nach-
gewiesen werden könnte, dass Ado die Synode um ein Jahrhundert zu
frühe angesetzt hat; denn Nectarius gehört auch nach seiner Schätzung
richtig dem vierten Jahrhundert an. Es dürfte darum die Auffassung Tille-
monts u. s. w. eine irrthümliche und die von Ado gemeinte Synode von
Vaison eben eine andere als die uns bekannte sein, und das um so eher,
als sein Chronicon frei von dem Bestreben ist, auf Kosten der Wahrheit
dem Bischof von Vienne einen Vorrang vor anderen Amtsbrüdern beizu-
messen. — Zu einer anderen Irrung hat vielleiclit ebenfalls Ado Anlass
gegeben, wiewohl auch Sidonius Apollinaris (Epp. V, 14 und VIT, 1: MG.
Auctt. antiqq. VIII, 87 und 103) dafür in Betracht kommt. In der Chronik
wird nämlich berichtet (Migne CXXIII, 102. 103), dass der Bischof
Mamertus von Vienne, als die Bewohner seiner Stadt von absonderlichen
Naturerscheinungen geängstigt wurden, jene Rogationes eingeführt habe,
welche sich in der gallicanischen Kirche einer weiten Verbreitung und
grosser Beständigkeit erfreuten. Darum wohl kam später die Sage auf
(Gesta episcoporum Camerac. I, 8: MG. SS. VIT, 406) — ohne dass man
an Vienne als Entstehungsort zu denken braucht — , dass Mamertus die
Einrichtung auf einer grossen Synode zu Vienne getroffen habe, auf
welcher fast alle gallischen Bischöfe vertreten waren, unter ihnen auch
der heilige Remigius von Reims durch den heiligen Vedastus: v. Hefele
führt diese Synode als wirklich zwischen den Jahren 471 und 475 ab-
gehalten (Conciliengesch. II*, 596) auf. 2) Vgl. oben S, 13 Anm. 5
Arles und Vienne. 65
griffs ; er behandelte, dem Bereiche seines bis auf Leo den
Grossen hinabführenden Werkes entsprechend, die ersten sieben
Vienner Briefe, welche vor dem Jahre 440 entstanden sein
sollen.
Wenn in dem ältesten Schreiben (J.-K. 45) Papst Pius
dem Bischof von Vienne mittheilt, dass eine Christin der Ge-
meinde ein Haus geschenkt habe, *ubi', so sagt er, ^nunc cum
pauperibus nostris commorantes missas agimus' und Papst
Cornelius in seinem Briefe klagt: 'neque publice neque in
cryptis notioribus missas agere christianis licet', so macht
Coustant dagegen geltend >, dass im zweiten und dritten Jahr-
hundert von 'missas agere' noch keine Rede sein könne 2.
Aber nicht nur diese sachliche Anführung, auch persönliche
Angaben verfallen seinen Ausstellungen. Pius theilt in seinem
ersten Briefe mit: 'Cherinthus primarches satanae multos aver-
tit a fide'; dabei verweist Coustant auf die Schrift des Epi-
phanius 'Adversus octoginta haereses', wo (XXVIII, 2)'
Cerinthus als ein Mann namhaft gemacht wird, 'qui aposto-
lorum tempore tumultum illum excitavit, cum lacobus ceterique
apostoli litteras Antiochiam scripserunt his verbis: 'Quoniam
cognovimus' etc.'; er verweist ferner auf die Kirchengeschichte
des Eusebius, wo (IV, 14)* erzählt wird, dass Johannes, der
Lieblingsjünger Jesu, als er in Ephesus ein Bad besuchen
wollte, vor dem Anblick des Cerinthus sich geflüchtet habe:
Coustant giebt damit zu verstehen, dass der Zeitgenosse der
Apostel unmöglich noch um die Mitte des zweiten Jahrhun-
derts, zu Pius' I. Zeit, am Leben gewesen sein kann; er er-
klärt aber auch, wie etwa der Fälscher zu seiner irrigen Mei-
nung gekommen ist; da nämlich Eusebius berichtet, Polycarp
habe in Rom dem Bischof dieser Stadt, Anicetus, von der
Begegnung des Johannes und Cerinthus gesprochen ^, so mochte
1) Seine Ausführungen finden sich im Appendix p. 17 — 22. 25. 26.
35. 36. 109. 110. 2) Der Ausdruck 'missa' ist zuerst von Anibrosius
in der Epistola ad Marcellinam sororem, also in der zweiten Hälfte des
vierten Jahrhunderts gebraucht worden (vgl. Herzog, Plitt und Hauck,
Realencyclopädie IX, 633). — Das Schreiben Johanns, welches den
Bischof von Vienne anweist, die Messe nach Römischer Art zu feiern, ist,
wie erwähnt, von Charvet schon wegen des nicht zu lichtenden Dunkels
seiner Herkunft abgelehnt worden; es ist ihm aber auch wegen des In-
halts unannehmbar, 'parceque', sagt Charvet (Hist. de Vienne p. 133),
'les ceremonies observees alors et plus de cinq siecles encore apres
Saint- Cade'olde — das ist der Bischof von Vienne, welchem der Brief
gilt — dans l'eglise de Vienne tenaient plus de la liturgie grecque que
de la romaine, ainsi qu'on peut s'en assurer par l'inspection de nos an-
eiens misseis'. 3) Migne, Patrol. graec. XLI, 379. 4) Migne, Patrol.
graec. XX, 338. 5) 'Aniceto Romanae ecclesiae praesidente, Poly-
carpum . . . Romam venisse . . . tradit Irenaeus ... Et supersunt adhuc
Neues Archiv eto. XV. 5
66 Wilhelm Gundlach.
vielleicht der Fälscher den vermittelnden Bericht des Poly-
carp übersehen und unmittelbar den Cerinthus mit Anicetus
zusammengebracht haben, den er nur darum nicht namentlich
aufführe, weil er ihn, als Vorgänger des Pius, schon für todt
gehalten habe •, Die Grüsse, welche Pius an den Bischof von
Vienne ausrichtet mit den Worten: 'Salutant te Sother et
Eleutherius, digni presbyteri', beanstandet Coustant, indem er
die beiden Presbyter als die gleichnamigen Bischöfe von Rom
entlarvt, welche auf Anicetus folgten; da nun von Eusebius
(IV, 22) 2 Eleutherius als 'Aniceti diaconus' aufgeführt werde,
so könne er unmöglich zur Zeit des Pius, des Vorgängers des
Anicetus im Papstthum, schon Presbyter gewesen sein.
Zu dem zweiten von Pius nach Vienne gerichteten Briefe
(J.-K. 46j, in welchem der ]\Iärtyrertod des Verus von Vienne
erwähnt wird, macht Coustant darauf aufmerksam, dass ein
Verus unter den Vienner Bischöfen erst im Anfang des vierten
Jahrhunderts nachweisbar ist — er unterschreibt die erste
Synode von Arles im Jahre 314' — , dass aber dieser Verus
als Märtyrer auch nicht einmal dem Ado von Vienne nach
Ausweis seines Martyrologiums bekannt sei^. Weiter begleitet
er die Nachricht des Briefes: 'Pastor presbyter titulum con-
didit et digne in Domino obiit' mit folgenden Ausführungen:
In dem Liber pontificalis werde angegeben, dass Pius, der
Bischof von Rom, einen Bruder Namens Hermes gehabt habe,
und dass diesem Bruder ein Engel in Gestalt eines Hirten
erschienen sei*; da nun nach Eusebius (III, 3) ^ dem Ilermas,
dessen der Apostel Paulus als seines Schülers am Ausgange
des Römerbriefes gedenkt', die Verfasserschaft eines 'Der Hirt'
betitelten Buches zugeschrieben werde, so seien Hermes und
Hermas schon so verwechselt worden, dass man für den Ver-
fasser des erwähnten Buches auch den Hermes, den Bruder
des Pius, ausgegeben habe; der Fälscher des hier in Erörte-
rung genommenen Schreibens habe aber die Verwirrung so
nonnuUi, qui illum id narrantem audiverint, lohannem, Domini discipulum,
cum lavandi causa balneum Ephesi esset ingressus, viso intus Cerintho,
mox illotum e balneo profugisse'. 1) Coustant bezieht sich für diese
Vermuthung auf 'catalogos summorum pontificum ab Optato et Augustino
concinnatos', in welchen Pius der Nachfolger, nicht der Vorgänger des
Anicetus im Papstthum ist. 2) Migne, Patrol. graec. XX, 378. Hege-
sippus erzählt hier: 'Romam vero cum venissem, mansi ibi apud Ani-
cetum, cuius tum diaconus erat Eleutherus. Post obitum deinde Ani-
ceti successit Soter, quem excepit Eleutherus'. 3) Mansi II, 476.
4) Möglicherweise hat der Fälscher den Verus mit dem Bischof lustus
von Vienne verwechselt, an welchen dieser zweite Brief des Pius ge-
richtet ist; Ado meldet nämlich von ihm: 'lustus Viennensis episcopus
longo tempore exilio maceratus martyr gloriosus efficitur (Migne, Patrol.
lat. CXXIII, 83). 5) Liber pontificalis ed. Duchesne p. 58. 6) Migne,
Patrol. graec. XX, 218. 7) Rom. 16, 14.
Arles und Vienne. 67
weit getrieben, dass er den Bruder des Pius geradezu Pastor
nenne ^.
Den Hauptinhalt der beiden Briefe des Victor (J.-K. 75.
76), welcher die Bischöfe von Vienne belehrt: 'Non decima
quarta luna cum iudaeis, sed decima quinta usque ad vigesi-
raam primam Pascha catholica ecclesia celebravit', und im
zweiten Briefe noch hinzufügt: 'Vide, frater, orientalem eccle-
siam propter celebritatem Paschae ab occidentali disiunctam',
verwirft Coustant als unmöglich, weil niemals in der christ-
lichen Kirche beschlossen worden sei, Ostern, wie der erste
Brief besage, am Tage der Kreuzigung, statt am Tage der
Auferstehung, zu begehen; ferner sei es unstatthaft, dabei von
einer Spaltung der abend- und morgenländischen Kirche zu
reden, und auch dafür nur eine von dem Fälscher missverstan-
dene Aeusserung des Epiphanius erfindlich, welcher (LXX, 9) ^
angiebt: 'Polycarpi ac Victoris aetate cum orientales ab occi-
dentalibus divulsi pacificas a se invicem litteras nullas acci-
perent'^; endlich müsse auch die Anweisung, welche der Papst
angeblich dem Bischof von Vienne ertheilt habe, alle gallischen
Bischöfe in der Osterfrage zu belehren, als unecht zurück-
gewiesen werden ; hätte nämlich der Papst wirklich einen
Bischof mit einem solchen Auftrage betrauen wollen, so wäre
der Bischof von Lyon, Irenaeus, am meisten dazu berufen
gewesen, welcher nach dem Zeugnis des Eusebius (V, 23) *
'Galliae ecclesiis praeerat'.
1) An Wahrscheinlichkeit gewinnt die Ansicht Coustants, wenn man
hier die Mittheilung Ados beachtet : 'Pius episcopus Romae habetur, sub
quo Hermes librum scripsit, qui Pastoris dicitur, in quo praeceptum
continet angeli , ut Pascha semper die dominico celebretur' (Migne
CXXIII, 83). Ueber die Verwechselung des Pastor und Hermas vgl.
auch Acta SS. luli VI, 300. 2) Migne, Patrol. graec. XLII, 355.
3) Selbst wenn man die schon oben mitgetheilte Ueberlieferung des Ire-
naeus noch hinzunimmt: 'Polycarpum . . . Romam venisse ob quaestio-
nem quandam, quae de Pascha inciderat, et cum Aniceto coUoquium
habuisse', dürfte man doch wohl besser eine falsch aufgefasste Stelle in
der Chronik des Ado als Quelle des Fälschers ansehen: 'Victor decimus
tertius Romae episcopus datis late libellis constituit, Pascha die dominico
celebrari, sicut et condecessor eius Eleuther, a decima quinta luna primi
mensis usque in vicesimam primam ; cuius decretis favens Theophilus
Caesareae Palestinae episcopus scripsit adversus eos, qui decima quarta
luna cum iudaeis Pascha celebrabant, cum ceteris qui in eodem concilio
sederant episcopis synodicam et valde utilem epistolam' (Migne CXXIII, 84j.
Freilich käme noch mehr eine Aeusserung Columbans in seinem Briefe
an Gregor den Grossen 'Gratia tibi et' in Betracht: 'quia non mihi satis-
facit . . . una istorum senteutia episcoporum dicentium tantum : Cum
iudaeis Pascha facere non debemus; dixit hoc olim et Victor episcopus,
sed nemo orientalium suum recepit commentum' (Max. Bibl. Lugd. XII, 32),
wenn es wahrscheinlich wäre, dass der Fälscher diesen Brief gekannt hat.
4) Migne, Patrol. graec. XX, 494.
5*
68 Wilhelm Gundlach.
An dem Brief des Cornelius (J.-K. 116) hat Coustant
ausser der schon erörterten Berührung der Messe die Bezeich-
nung des Empfängers, des Lupicinus von Vienne, als Erz-
bischof auszusetzen!; bei dem Silvester -Briefe (J.-K. 177)
hat er entdeckt, dass er einfach eine Nachbildung der Magna
Charta der Arier Kirche ist, eines auch für das Bisthum Autun
verfälschten * und darum in der Arier Fassung allein echten
Stückes; er begründet seinen Verdacht weiter mit der Be-
merkung, dass ungeachtet der dem Paschasius von Vienne *et
posteris eius' gewährten Vollmacht, alle gallischen GeistUchen
mit der Epistola formata auszustatten, auch nicht bei einem
einzigen seiner Nachfolger von dieser Vollmacht mehr eine
Spur zu finden sei ; schliesslich führt er gegen den Zosiraus-
Brief der Vienner Sammlung (J.-K. 335), dessen Empfänger
in seiner Würde als 'archiepiscopus' ihm abermals unleidlich
erscheint, die damit unvereinbaren Zosimus- Briefe der Arier
Sammlung ins Treffen, welche er für echt hält.
Die von Coustant begonnene Prüfung der Epistolae Vien-
nenses wurde um die Glitte des vorigen Jahrhunderts von den
Ballerini, den Herausgebern der Werke Leos des Grossen,
aufgenommen und wenigstens auf ein Stück der Vienner Samm-
lung, den Leo-Brief (J.-K. 446), weiter ausgedehnt. Nachdem
sie die verdächtigen Gebrechen, welche Quesncll an dem Briefe
aufgedeckt hatte — freilich nur, um sie unmittelbar danach
zu beschönigen — ihrerseits ohne einen solchen Versuch auf-
gezählt haben» — die Schreibart, welche von der in Leos
Briefen üblichen merklich abweicht, die in der Aufschrift vor-
genommene Scheidung zwischen den Bischöfen Galliens und
denen der Provinz Vienne, die Bezeichnung der mit den 'vices'
des apostolischen Stuhles ausgestatteten Bischöfe als 'vicarii' ^y
1) Der Titel 'archiepiscopus' ist am frühesten in Gallien mit dem
Testament des Caesarius von Arles (Saxius, Pontif. Arelat. p. 101 seq.)
zu belegen : Caesarius gebraucht ihn hier von seinen Nachfolgern im
Bisthum. Ein anderes Beispiel bietet die Aufschrift eines der austrasi-
schen Briefe (VI), in welcher Nicotins von Trier so genannt wird, und
dasselbe ist offenbar auch 'arcesacerdus', welches Fortunat im XIV. der
austrasischen Briefe von dem Nachfolger des Nicetius gebraucht. Es
dürfte mit 'archiepiscopus' ebenso wie mit 'patriarcha' (vgl. N. A. XIV,
337 Anm. 5) sich verhalten: es ist nur eine ehrende Bezeichnung der
Metropolitanbischöfe, bis es im achten Jahrhundert in den amtlichen
Sprachgebrauch der päpstlichen Kanzlei aufgenommen wird. 2) Vgl.
darüber den nächsten Abschnitt. 3) Leonis Opp. I, 1466. 1467.
4) Dieser Tadel dürfte durch ein Missverständnis veranlasst sein; denn
in der Stelle : 'quia principis apostolorum magnam in iudiciis moderatio-
nem, quam in potestate per vicarios suos semper exhibet, Arelatensis
episcopus non expectavit' sind mit 'vicarii' doch wohl die Bischöfe von
Rom als Stellvertreter des Apostelfürsten gemeint, deren massvollem
Urtheil der Bischof von Arles durch eigenmächtige Handlungen zuvor-
gekommen ist.
Arles und Vienne. 69
den Titel 'archiepiscopus' des Bischofs von Vienne, die mit
einander in Widerspruch stehenden Angaben der Datierung
und endlich das Vorhandensein eines anderen Leo -Briefes,
welcher, an die nändichen Bischöfe gerichtet, den in Rede
stehenden Brief inhaltlich überholt (J.-K. 407) — , nachdem sie
auch hervorgekehrt, dass der verdächtige Brief in seinem
Wortlaut Anleihen aus anderen echten Briefen verrathe und
dabei auch schon die Verfügung eines späteren Briefes wieder-
gebe ', beziehen sie sich auf Coustant, welcher die Fälschung
der sieben ältesten Briefe nachgewiesen habe; sie machen sich
endlich den von Sirmond ausgesprochenen Satz zu eigen,
dass man in Anbetracht der zahlreichen schon ermittelten
Verstösse gegen die Wahrheit sich nicht dabei aufhalten solle,
für geringere Mängel nach Deckung zu suchen, sondern dass
man die ganze von du Boys veröffentlichte Briefreihe — mit
den schwer belasteten auch die ihnen benachbarten, an sieb
annehmbaren Stücke — verwerfen dürfe *.
So kühn dieser Satz auch sein mag — denn Sirmond
schliesst aus der allgemeinen Richtung der Vienner Briefe auf
ihre Einheitlichkeit, ohne zu erwägen, was die Vienner Ge-
schichtschreiber nach du Boys und le Lievre in der That
vertreten haben, dass nur die ältesten Schreiben gefälscht, die
jüngeren aber echt sein können — , es wäre zu wünschen
gewesen, dass die Nachkommen, welche mit Vienner Briefen
sich abgaben, Sirmonds Gedanken beherzigt und, um ihn zu
einem richtigen Grundsatz auszugestalten, im einzelnen die
Einheitlichkeit der Vienner Briefe dargethan hätten; statt dessen
ist man im vergangenen* wie in diesem Jahrhundert* nicht
1) Namentlich haben sie im Sinne die Worte: 'Sitque redintegratum
Viennensi archiepiscopo Privilegium et ius antiquura, quod apostolica be-
üignitas ad Arelatensem ex parte transtulit civitatem', welche, nach ihrer Mei-
nung dem Jahre 445 angehörend, ihnen schon zu berücksichtigen scheinen
die erst 450 von Leo getrofifene Scheidung der alten Viennensis in die neuen
Provinzen Arles und Vienne. 2) 'Recte siquidem Pater Sirmondus in
notis posthumis tom. IV. Concil. p. 697 eandem — den Leo -Brief —
praesertim ex manifeste errore chronicae notationis subditieiam pronun-
tians, monuit, haud laborandum in hoc vitio excusando et tribuendo scrip-
toribus, cum in ceteris pontificura ad episcopos Viennenses epistolis, quae
in eo volumine — des Jean du Boys — continentur, alia sint plnrima
tarn aperte falsa, ut merito detrahant etiam probabilibus fidem'. 3) Unter
den kritischen Bemerkungen, welche Mansi in seinem Concilienwerke
gesammelt hat, sind nur diejenigen Pagis noch bemerkenswerth (XII, 353);
sie beziehen sich aber auch nur auf ein einziges Schreiben, den Zacha-
rias- Brief J.-K. 2258. 4) Nennenswerth ist die Ablehnung, welche
in den Analecta iuris pontificii X, 79 der Nicolaus -Brief J.-E. 2693 er-
fährt. In den Regesta pont. Rom. sind schliesslich einundzwanzig Stücke
als gefälscht verzeichnet, wozu noch der nicht aufgeführte Symmachus-
Brief 'Cunctas inter' kommt; »cht gelten also auch Jafife und seinen
Nachfolgern noch als echt.
70 Wilhelm Gundlach.
von dem alten, durch Coustant schon geübten Verfahren los-
gekommen : auf Grrund vereinzelter Beobachtungen das gerade
davon betroffene Stück als Fälschung hinzustellen.
Darum darf ich mich hier nicht dem Versuche entziehen,
nun aus dem Inhalt die Einheitlichkeit der Vienner Brief-
reihe zu erweisen; ich darf es um so weniger, als dieser Ver-
such die Erforschung der Vorlagen zu einem Abschluss bringen
und so das ergiebigste Mittel zur Vernichtung der Epistolae
Viennenses liefern wird.
B. Die Einheitlichkeit der Epistolae Viennenses.
Um die Familienähnlichkeit der Vienner Briefe zu zeigen,
halte ich mich an die Fassung des Hauptinhalts, an die Un-
klarheit und Allgemeinheit, welche in den angeblichen Ver-
fügungen der Päpste herrscht.
Unsicher tastend setzt Victor mit seinem ersten Briefe
(J.-K. 75) ein, indem er in der Osterfragc seine Auffassung
'presbyteris Galliarum' mitgetheilt haben will. Wenn man an-
nehmen mTichte, dass alle gallischen Priester damit gemeint
sind, und dafür das Schreiben Gregors IL (J.-E. 2158) herbei-
ziehen wollte, welches einen Bericht des Bischofs von Vienne
über die gallicanische Kirche erwähnt ('statum ecclesiae catho-
licae pietate firmum apud ecclesiam Gallorum manere'), oder
das Schreiben des Agatlio (.J.-E. 2113), Avelches uie Be-
schlüsse des sechsten ökumenischen Concils 'omnibus Gallia-
rum episcopis' bekannt zu geben heisst, so muss man dagegen
wahrnehmen, dass Nicolaus nur unbestimmt die Satzungen
einer Römischen Märzsynode an den Erzbischof Ado zur Ver-
breitung, wie er schreibt (J.-K. 2693) 'confratribus vestris,
archiepiscopis' übermittelt. Dass dieses Schwanken nicht etwa
nur eine zufällige Aeusserlichkeit ist, zeigt deutlich der Brief
des Silvester (J.-K. 177), in dessen erstem Theile verordnet
wird, dass, 'si quis ex qualibet Galliarum parte sub
quolibet ecclesiastico gradu ad nos venire contendit vel ad
alia terrarum loca ire disponit', er sich mit einer Epistola for-
inata des Bischofs von Vienne zu versehen habe, in dessen
zweitem Theile aber der Bereich des Bisthums Vienne mit
Beziehung auf einen eigenthümlichen Rechtstitel 'sicut Romanus
catalogus testatur'i auf die Septem Provinciae: Vien-
nensis, Narbonensis I. und IL, Aquitanica I. und IL, Novem-
populana und Alpes Älaritimae beschränkt wird ; es Avird also,
wenn man die Aufschrift dieses Briefes: 'Silvester papa uni-
versis episcopis per Gallias et per Septem Provincias'
noch dazu beachtet, in dem zweiten Theile geradezu zurück-
genommen, Avas in dem ersten ausgemacht ist. Da nun in
1) Welch ein Verzeichnis das ist, weiss ich nicht.
Arles und Vienne. 71
den Vienner Schriftstücken das Recht, die Epistola formata
auszufertigen, obwohl es von Silvester dem Bischof von Vienne
Paschasius 'et posteris eius' übertragen ist, niemals Mieder
zur Sprache kommt, so dürfte auch diese Bestimmung nur
einen zaghaften Anspruch des Bisthums Vienne darstellen ; es
ist sicher so mit der Ausdehnung des Primates über ganz
Gallien, wofür ja die im Eingang angeführten Briefe des Victor,
Gregor IL, Agatho und Nicolaiis beigebracht werden könnten;
denn indem sich an die im Silvester-Brief gegebene Aufzählung
der Septem Provinciae die Verfügungen der Päpste Nicolaus L,
Sergius III., Leo IX., Gregor VII. i und Calixt IL anreihen,
wird die Unbestimmtheit, ob das gesammte Gallien oder nur
die sieben Provinzen der Geltungskreis des Vienner Primates
sind, nicht etwa den Päpsten, sondern dem Verfertiger der
Papstbriefe zur Last gelegt; entscheidend ist insbesondere,
dass der erste Brief des Nicolaus (J.-E. 2693) den Bischof
von Vienne mit einem Auftrage an die Erzbischöfe, seine gal-
lischen Amtsbrüder, betraut, während der zweite Brief des-
selben Papstes (J.-E. 2877) nur verfügt, 'ut ad Privilegium
Viennensis ecclesiae Septem Provinciae pertinerent'*. Um die
Unklarheit noch zu steigern, kommt dazu, dass nur Gregor VII.
(J.-L. 5024) und Calixt IL (J.-L. 6822) mit der in Papst-
urkunden üblichen Bestimmtheit die sieben Provinzen nament-
lich aufzählen, Sergius IIL wenigstens auf Silvester sich be-
zieht ('eo scilicet firmato privilegii iure, quod speciale beatis-
simus papa Silvester super Septem Provincias tuae fecit
ecclesiae'), Nicolaus aber und Leo IX. f'Galliarum per Septem
provincias') so allgemein von sieben Provinzen reden, dass
aus ihren Erlassen allein nicht entnommen werden kann,
welche sieben denn darunter verstanden sind 3.
1) Eine vorgängige Bestätigung des Vienner Vorrangs schreibt Gre-
gor VII. der Urkunde Leos zu 'et aliis quam plurimis', welchen der be-
zeichnende Zusatz: 'et his auctenticis' folgt! 2) Dass die Prima-
tial- Herrlichkeit der Vienner Kirche auf Fälschung beruht, lässt sich
gerade an diesem Nicolaus -Brief handgreiflich zeigen. Der von Vienner
Seite überlieferte Brief J.-E. 2877 ist nämlich nichts als ein Abklatsch
des echten Nicolaus -Briefes J.-E. 2876, in welchen zwei den Vienner
Zwecken dienende Stellen eingeschwärzt sind; hier ist eingeschoben:
'ad Privilegium Viennensis ecclesiae Septem Provinciae pertinerent, in
quibus praesul ipsius vices nostras agens conventus synodales indiceret et
iura ecclesiastica iuste et regulariter definiret et'. 3) Diese Unklar-
heit, welche nimmermehr die päpstliche Kanzlei sich hätte zu Schulden
kommen lassen, hat Jaffe und Ewald dazu verführt, von dem Nicolaus-
Brief ein unrichtiges Eegest unter Nummer 2877 aufzunehmen: 'Adonem
archiepiscopum Viennensem apostolicae sedis in VII provinciis vicarium
confirmat, ut iuri Viennensis ecclesiae Gratianopolis, Valentia, Dia, Alba
Vivarium, Geneva et Tarentasia perpetuo subiectae maneant ita et Mau-
rienna': denn mit den sieben Provinzen sollen ohne Zweifel die das
72 Wilhelm Gundlach.
Es ist weiter befremdlieh, dass von Silvester ausser der
niemals wieder erwähnten Formata- Befugnis kein Wort über
die Rechte des Primas verlautet, dass damit erst Nicolaus
hervortritt * ('in quibus — den sieben Provinzen — praesul
ipsius — der Vienner Kirche — vices nostras agens conventus
synodales indiceret et iura ecclesiastica iuste et regulariter
definiret') und ihm fast mit denselben Worten Gregor VII.
('Roraani poutificis vices agere, conventus sciücet synodales
indicere et iura ecclesiastica iuste ac regulariter , . . definire')
und Calixt II. ('Romani pontificis vices agat, synodales con-
ventus indicat et negotia ecclesiastica iuste canoniceque defi-
niat') folgen — die Unwahrheit dieser übereinstimmenden
Satzung ist auch an der Verwirrung zu erkennen, welche das
Schriftstück Gregors VII. anrichtet: trotzdem dieser Papst
angeblich die Vicariatsrechte des Bischofs von Vienne feierlich
bestätigt hat, spricht er gegen Ende seiner Urkunde von den
'canonicis per consilium vicarii nostri Hugonis, Dien-
sis episcopi, inibi ordinatis' — 'inibi' d. h. in Romans — :
also für das von dem heiligen Barnard von Vienne gestiftete
Kloster, den ureigensten Gerichtsbezirk des Bischofs ', tritt
plötzlich ein anderer apostolischer Vicar als der Vienner Erz-
bischof hervor!
Lehrreich sind ferner die Angaben, welche über die Stel-
lung des Bisthums Tarantasia gemacht werden. Leo III. ver-
fügt (J.-E. 2533) als der erste: 'Et licet Tarentasiae episcopus
aliquibus oppidis videatur praelatus, tamen provincia Alpium
Graiarum ditioni Viennensis ecclesiae submissa, sicuti a prae-
decessoribus nostris contirmata est, manebit'; man darf also
annehmen, da hier von einer Kirchenprovinz Alpes Graiae
die Rede ist, dass die unklar gelassene 'ditio' der Vienner
Kirche die Primatgewalt ist, muss aber sofort beanstanden,
dass trotz der Berufung des Papstes auf seine 'praedecessores'
noch in keinem einzigen der Vienner Briefe von Tarantasia
gehandelt Avorden ist. Als dann Nicolaus (J.-E. 2877) die
Vorrechte des P^rzbisthums bestätigt, zählt er Tarantasia unter
den sieben Bischofstädten auf, von welchen gesagt wird : 'ut
ad potestatera et ditionem Viennensis metropolis pertineant';
er beruhigt aber zugleich den Bischof von Tarantaise mit
der Versicherung, dass der Erzbischof von Vienne, 'primas
Primatialgebiet ausmachenden: Viennensis, Narbonensis I. und II.,
Aquitanica I. und IL, Novempopulana und Alpes Maritimae gemeint sein,
während Jaffe und Ewald, wie das erläuternde 'ut' beweist, damit die
sieben Sprengel in Verbindung brachten, aus welchen Vienne sein
Me tro politan g e bi e t — die einzige Provincia Viennensis — zusam-
mensetzt. 1) Vgl. S. 71 Anm. 2. 2) Auf diese Frage gehe ich im
nächsten Abschnitt noch genauer ein.
Arles und Vienne. 73
ipsius'J, nicht verlangt habe: er, der Bisehof von Tarantaise,
solle darum seiner Rechte verlustig gehen 2. Ganz ähnlich
verfährt Gregor VII., welcher (J. -L. 5024) Tarantasia zu
den Suffraganstühlen des Erzbisthums Vienne rechnet, um
dann festzustellen: 'Porro Tarentasiam ita semper sub pri-
raatu Viennensis ecclesiae perraanere decernimus, sicut a
sanctis patribus Leone et Nicoiao noscitur confirmatum'. Erst
in der Urkunde Paschais (J.-L. 6596) ist die Ordnung dadurch
hergestellt, dass Tarantasia unter den der Metropolitangewalt
unterworfenen Bisthümern nicht geführt, sondern in Anleh-
nung an die Worte Gregors festgesetzt Avird: 'Porro Tarenta-
siam ita semper sub primatu Viennensis ecclesiae permanere
decernimus, sicut a sanctis praedecessoribus nostris Leone,
Nicoiao atque Urbano noscitur constitutum'; nur ein kleines,
aber recht bezeichnendes Versehen ist mit untergelaufen: statt
Gregors VII. wird in dieser Angelegenheit Urban IL, dessen
beide Briefe dem Privileg Paschais unmittelbar vorhergehen,
angeführt, obwohl sich nichts in seinen Schriftstücken über
Tarantasia findet. Wenn endlich Calixt IL (J.-L. 6822) be-
stimmt: 'Tarentasiensis autem archiepiscopus licet aliquibus
habeatur ex apostolicae sedis liberalitate praelatus, Viennensi
archiepiscopo tamquam primati suo subiectus obediat', so ist
diese Bestimmung an sich ja unanfechtbar, aber die Reihen-
folge, in welcher sie in der Urkunde auftritt, verräth doch
deutlich genug ihren Zusammenhang mit anderen Vienner
Briefen: erst werden nämlich sieben Provinzen aufgezählt,
deren Primas, als Inhaber der 'vices' des apostolischen Stuhles,
der Erzbischof sein soll, dann folgen — bei Paschal ist es
genau so gehalten — die sechs Suffraganbisthümer, und dann
kommt noch einmal der Primatialbereich zur Erwähnung, in
den eben Tarantasia noch einbezogen wird. Wenngleich die
Stellung des Bisthums Tarantasia in der That eine Zeit lang
1) Während Wiltsch (Handbuch der kirchlichen Geographie und
Statistik I, 323) und Naher (Kirchliche Geographie und Statistik, Erste
Abth. I, 564) annehmen, dass Tarantaise schon zur Zeit Karls des Grossen
Metropole geworden sei, scheint es doch noch zu Nicolaus' Zeit nicht
ganz aus dem Vienner Metropolitanverbande entlassen zu sein; darauf
lässt der echte Nicolaus- Brief J,-E. 2876 schliessen, welcher Tarantaise
als letztes Bisthum den Vienner Suffraganbisthümern anfügt, dann ihm
aber sofort die wesentlichsten Befugnisse der Metropolitankirchen, die
unterstellten Bischöfe zu ordinieren und zu Synoden zu berufen, gewähr-
leistet. 2) Eine Berührung in der Form mit dem Leo -Briefe dürfte
anzunehmen sein, da man die Worte Leos: '. . . ditioni Viennensis
ecclesiae submissa, sicuti a praedecessoribus nostris confirmatum
«st, manebit; nee debet ... humilitatis viam in subditione . . .'
wiedererkennen kann in dem Ausspruch des Nicolaus: 'Sitque humi-
liter subditus, sicut ab antecessoribus nostris salubriter in-
stitutum est'.
74 AYilhelm Gundlach.
unsicher gewesen ist >, so kann doch ein fast dreihundert-
jähriges Schwanken, welches die Briefe Leos, Nicolaus' und
Gregors gleichmässig zeichnet und in den Privilegien Paschais
und Calixts noch eine Nachwirkung verspüren lässt, schwer-
lich der päpstlichen Kanzlei beigemessen werden.
Ebenso zaghaft wie von den Rechten des Primats, be-
ginnen die Vienner Briefe auch von der Metropolitanbefugnis
zu sprechen. Victor I. beauftragt (J.-K. 7ü) gleichfalls in der
Osterfrage den Bischof Paracodas von Vienne, die Anschauung
Roms 'per ecclesias tibi commissas' bekannt zu machen. Es
ist dann höchst auffallend, wie der Zosimus-Brief (J.-K, 335)
hier eingreift: nachdem der Papst dem Erzbischof von Vienne
angekündigt hat, dass er dem Bischof von Arles drei Pro-
vinzen untergeben habe ('licet Arelatensi episcopo . . . ius
et pontificium super tres provincias habere scripserimus'), fährt
er fort, dass er gleichwohl die alte Machtvollkommenheit des
Bischofs von Vienne aufrecht erhalte, und erläutert das — in
Vienner Logik — dahin, dass er vorläufig dem Erzbisthum
Vienne die Nachbarstädte in der eigenen Provinz zu-
weist ^ ('tarnen . . . interim . . . potcstatem antiquam tibi
manere permittimus: ut . . . vieiniores tibi intra provinciam
civitates vendices') 3. ]\Ian braucht nun nur noch zu erfahren,
dass dieser Brief auf den in der Arier Sammlung befindlichen
(J.-K. 328) anspielt, dass unter den drei an Arles gegebenen
Provinzen auch die Provinz Vienne sich befindet, um dem
Vienner Brief jeden Sinn abzusprechen, in ihm nichts anderes
zu erkennen, als den Versuch, der Wahrheit nahe zu bleiben
und doch für Vienne noch möglichst viel an Rechten zu retten.
Wenn Leo L darauf (J.-K. 446) die Erniedrigung des Bis-
thums Arles beschliesst: 'sitque redintcgratum Viennensi archi-
episcopo Privilegium et ius antiquum, quod apostolica be-
nignitas ad Arelatensem ex parte transtulit civitatem', so kann
das nur so verstanden -werden, dass Leo die drei Provinzen,
welche Zosimus dem Bisthum Arles übertragen hatte, wieder
an Vienne zurückgegeben hat. Das hindert aber nicht, dass
der Symmachus- Brief der Vienner Sammlung auf Leo, der
doch nach Vienner Ueberlieferung nur die Primatialgewalt
geordnet hat, Berufung einlegt, dabei aber doch nur das Metro-
politangebiet betrifft: 'quemadmodum decessor noster Leo papa
1) Man denke an die Anfrage, welche die Synode zu Frankfurt 799
an den Papst auch über dieses Bisthum richtete (vgl. N, A. XIV, 330).
2) Der Bedingung des Zosimus: 'si ita est, ut scripta tna nobis missa
continent' kann eine ähnlich gebaute Wendung des Eugen in J.-E. 2563
au die Seite gegeben werden: 'si causa ita est, quemadmodum vestra
nobis denunciavit epistola'. 3) Damit wird auf die vorläufige Ent-
scheidung der Turiner Synode, welche auch ausdrücklich angeführt ist,
Bezug genommen; vgl. N. A. XIV, 329.
Arles und Vienne. 75
dudum, recognitis allegationibus partium, definivit paroechia-
rum numerum vel quantitatem Viennensi et Arelatensi sacer-
dotibus deputatam, et nos praecipimus nullius usurpatione
transcendi', also dieselbe Verwirrung anstiftet wie der Zosimus-
Brief, welcher auch von der Primatial- auf die Metropolitan-
gewalt überspringt. Nur leise wird die Metropolitanbefugnis
von Stephan (J.-K. 2385) gestreift, indem er mit Beziehung
auf die Vienner Kirche sagt: 'Misi . . . pro restauratione eius
litteras principibus Francorum, ut, sicut metropolitano iure
pollebat, ita rebus vacuata non minueretur', um dann an die Ver-
fügungen seiner Vorgänger anzuknüpfen. Paul I. nennt zwar
nicht ausdrücklich unter diesen den Leo; aber die in seinem
Briefe (J.-E. 2367) gewählten Worte: 'Non transgrediantur
normam in limitibus ecclesiarum fixam, quos posuerunt patres
nostri' weisen unverkennbar auf den Leo -Brief, welcher den
seiner Würde entsetzten Hilarius von Arles mit den Worten
verurtheilt: 'discat non temere transgredi terminos antiquos
canonica prolatione fundatos', Hadrian dagegen erklärt, nach-
dem er (J.-E. 2412) ausführlich auseinandergesetzt, dass er
bei Karl dem Grossen die allgemeine Wiederherstellung der
Metropolitangewalt durchgesetzt habe: 'Voluiraus etiam, ut
cognosceres, ecclesiae tuae suum Privilegium, quod a temporibus
beati Leonis habuit, integre esse reformatum'. Frühestens mit
Nicolaus I. kommt in den Papstbriefen für das Metropolitan-
gebiet eine genaue Umschreibung auf, welche man von An-
fang an für angemessen halten sollte; es heisst nämlich in
dem Briefe J.-E. 2877: 'et iuri Viennensis ecclesiae Septem
oppida vel civitates, Gratianopolis scilicet, Valentia, Dia, Alba
Vivarium, Geneva et Tarentasia, perpetuo subiectae manerent
ita et Mauriana, nunc noster praesulatus futuris temporibus
firmum et inconvulsum durare praesenti decreto constituit',
wobei die verzögerte Hinzufügung des letzten Bisthums auffallend
ist und auch erst in dem vierzig Jahre jüngeren > Briefe des Ser-
1) Der echte Nicolaus- Brief J.-E. 2876, welcher dem gefälschten
J.-E. 2877 zu Grunde liegt, lehrt, dass es sich nur um 'quattuor civitates
vel oppida' handelt, dass in ihre Reihe drei, nämlich Dia, Alba Vivarium
und Maurienna einfach eingeschmuggelt sind. — Dass noch andere echte
Briefe als Vorlagen ausgenutzt worden sind, ist unzweifelhaft; so habe
ich z, B. ermittelt, dass der Sergius- Brief die Arenga ('Cum magna
nobis — remuneratione perpetua') und die Straf- und Lohnformel ('Si
quis autem — particeps mereatur') einem Briefe Benedicts VII. (J.-L.
3817) oder Sergius' IV. (J.-L. 3985) oder ähnlichen entlehnt hat, dass in
der Urkunde Paschais etwa eine Urbans II. J.-L. 5569 oder Paschais II.
J.-L. 6088 ausgeschrieben ist, und dass namentlich die Anfänge der Briefe
Hadrians : 'Dilectus tilius', Gregors VII.: 'Non solum vobis' und 'Cum
ex apostolicae', Urbans IL: 'Nolumus latere' und 'Beati Petri' und
Calixts IL: 'Etsi ecclesiarum' auch in echten Schriftstücken der Päpste
76 WUhelm Gundlach.
gius (J.-E. 3544) eine Erklärung findet durch die mit Ein-
willigung des apostolischen Stuhles erfolgte Schenkung König
Guntrams '. In der Folge wird denn auch in den Urkunden
Gregors VII. (J.-L. 5024), Paschais (J.-L. 6596) und Calixts II.
(J -L. 6822) Maurienna in der Aufzählung ohne weiteres an-
geschlossen; von den beiden zuletzt genannten Päpsten aber,
wie das schon besprochen ist, Tarantasia ausgeschieden * und
besonders behandelt. Dass die vier Aufzählungen auch in der
Form eine enge Verwandtschaft bekunden, ist darum auch
erwünscht, weil sie so wegen der bei Gregor sich findenden
Bezugnahme auf die 'antiquam auctoritatem catalogi', wonach
eigentlich achtzehn Suffragane dem Erzbisthum Vienne zu-
kommen, sämmtlich angefochten werden dürfen; denn mit dem
Rechtstitel im Privileg Gregors ist ohne Zweifel dasselbe
gemeint, was der Silvester- Brief (J.-K. 177) mit 'sicut Ro-
manus catalogus testatur' besagen will, und somit ein will-
kommener Zusammenhang zwischen einem der frühesten und
einem der spätesten Stücke aufgezeigt'.
Es wird nicht überraschen nach den bisher gebotenen
Ausführungen zu vernehmen, dass auch sonst noch die Epi-
stolae Viennenses allgemeine Wendungen in ziemlicher Anzahl
aufweisen, wo es sich um die Bestätigung der wichtigsten
Rechte handelt; so sagt Gregor II. (J.-E. 2158): 'Auctori-
tatem ecclesiae vestrae, quam . . . a beato Petro pro-
meruit, quamque usque nunc praedecessoribus meis
firraantibus retinct, et roborare cupimus et ut inde de-
coretur ecclesia vestra volumus etapostolico dono prae-
optamus', und Stephan (J.-E. 2385): 'De nostra autem aucto-
ritate scias tibi auctoritatem veterum servari nee
nachweisbar sind (vgl. das Verzeichnis der Briefanfangre in den Regesta
pont. Rom. II, 773). 1) Der Zusammenhang dieser Stelle mit der ge-
fälschten 'auctoritas' ist oben S. 63 Anm. 1 behandelt worden. 2) Damit
in Verbindung steht auch der Brief Urbans II. .J.-L. 6350 durch seine
Aufschrift, in welcher sechs Suffraganbischöfe des Erzbisthums Vienne,
die Bischöfe von Valence, Genf, Maurienne, Grenoble, Die und Viviers
als Empfänger angegeben werden, ohne bezeichnender Weise mit Namen
genannt zu sein. 3) Aus der Form jener Abmachung, durch welche
der Erzbischof von Vienne auf die Zukunft, auf eine genauere Entschei-
dung über die ihm vorläufig nicht zugesprochenen Suffraganbisthümer
vertröstet wird: 'Interim . . . donec quae residuae sunt certius dis-
cussae et plenius ventilatae sub potestate Viennensis ecclesiae redi-
gantur' kann man einen verdächtigen Anklang an die Worte des Zosi-
mus heraushören, welche den Erzbischof von Vienne vor der Hand auf
die Nachbarstädte verweisen: 'donec plenius rei ordinem Caritas apo-
stolica prosequatur', und unmittelbar vorher: 'Interim usque dum luci-
dius Ventil etur'; also auch zwischen der Urkunde Gregors VII. und
dem nach dem vorgeblichen Alter siebenten Brief der Reihe (J.-K. 335)
ist eine Berührung vorzubringen.
Arles und Vienne. 77
umquam privilegiis antiquis cana reverentia firmatis
ecclesiam Viennensem posse vacuari'. Ganz ähnlich ver-
wendet sich auch Paul I. bei Karl dem Grossen für die Vien-
ner Kirche (J.-E. 2367): 'Sciat igitur dementia vestra, . . .
quam alte de privilegiis praedecessorum nostrorum haec
eadem ecclesia . . . floruerit, quam semper . . . de munere
apostolicü . . . extulerunt; . . . utantur privilegiis suis
diuturnitate roboratis nee ullo modo etc.' AVeit kürzer,
aber in dem nämlichen Zusammenhange bleibend schreibt Leo
(J.-E. 2533) an den Erzbischof von Vienne, welcher ihn ge-
beten, wie der Papst sagt: 'ut tibi antiqua privilegia
roboraremus': 'Scias autem nos ab eorum institutioni-
bus noUe deviare et, quae illi ecclesiae tuae contulerunt,
nos velle inconcussa servare'; derselben Kürze befleissigt
sich auch Paschal (J.-E. 2549), welcher zugesteht: 'Omnia
etiam privilegia, quae tuae pridem concessa sunt a
praedecessoribus nostris ecclesiae, volumus incon-
vulsa tibi et successoribus tuis permanere', und Eugen (J.-E.
2563), welcher mit Leo sich etwas berührt: 'Vestrum plane
Privilegium vobis redintegratum, quod praedecessores
nostri vestrae sedi concesserunt, cognoscatis; neque enim
aliud nos velle debemus, quam quod illi . . . firmaverun t'.
Aus dem Briefe Gregors V^IL (J.-L. 5025) gehört hierher die
an Clerus und Volk von Vienne ergehende Aufforderung :
'cuncta, quae iuris sunt ecclesiae vestrae, sicut ipsa ecclesia
antiquitus tenuit, teuere et, quae violenter sibi ablata sunt,
eum — den Erzbischof von Vienne — recuperare iuvare',
endlich aus dem Briefe Urbans (J.-L. 5421) das Versprechen:
'quicquid honoris, quicquid dignitatis antecessores nostri
Viennensi ecclesiae contulerunt, . . . firmum perpe-
tuumque servabimus'i.
1) Völlig durcheinander gewirrt sind die Anordnungen des Sergius
(J.-L. 3544), welcher erst allgemein bestätigt 'quaecumque ad dignitatem
sacerdotii tui pertinent', dann diese Bestätigung sofort auf die Gerecht-
same und Güter der Kirche innerhalb des eigenen Sprengeis ausdehnt
('seu quae in facultatibus et possessionibus tua habere vel habuisse ecclesia
videtur tarn in parrochiis quam in sufl'raganeis episcopis'l, indem er dabei
(mit dem 'quam') gleich auf das Metropolitangebiet zu sprechen kommt,
darauf den Primat über die sieben von Silvester bestimmten Provinzen
erneuert, weiter die Abgaben der Suffraganbisthümer und der Kirchen
innerhalb der Provinz Vienne behandelt, danach noch einmal 'res omnes'
der Vienner Kirche zusichert, um endlich auch seinerseits die auf König
Guntram zurückzuführende Einfügung des Sprengeis Maurienne in das
Metropolitangebiet Viennes zu bekräftigen. Sergius hat dabei, wo er 'res
omnes' bespricht ('. . . sive a regibus sint sive a piis hominibus
illi [sc. ecclesiae Viennensi] concessae'), zuerst die Form gegeben,
welche auch in späteren Vienner Briefen erscheint; so hat Leo IX. (J.-L.
4285): 'praedia et bona et munitiones, quae Komanorum im-
78 Wilhelm Gundlach.
Was mit diesen Bestätigungen gesagt werden soll, ob die
Primatial- oder die Metropolitangewalt, ob beide zugleich oder
ganz andere Dinge, welche der Vienner Kirche etwa früher
gewährt worden sind, betroffen werden, bleibt ungewiss ; so
viel aber ist sicher, dass gerade die kanzleiwidrige Allgemein-
heit ein unterscheidendes Merkmal für die acht zuletzt be-
trachteten Papstbriefe abgiebt, dass in ihr ein Band gewonnen
ist, welches die Briefe mit einander vereint.
Da nun auch unter anderen Gesichtspunkten vorher andere
Briefgruppen zusammengestellt sind, da von den dreissig Vien-
ner Briefen im ganzen vierundzwanzig — nur die Briefe des
Pius (J.-K. 45. 46), Cornelius (J.-K. 116), Johann (J.-E. 2146),
Constantin (J.-E. 2151) und Zacharias (J.-E. 2258) sind bisher
nicht berührt worden — in mannichfaltigem Zusammenhange
zur Erörterung gekommen sind, so dürfte damit schon aus
den Briefen selbst ihre Einheitlichkeit dargethan sein. Es
giebt aber noch zu demselben Ziele einen anderen Weg,
welclier darum hier verfolgt werden soll, Aveil er nicht nur
zu einer Bestätigung, sondern auch zu einer Vervollständigung
des gefundenen Ergebnisses führt: das ist die Ermittelung
der Beziehungen, welche zwischen den Vienner Briefen und
einer anderen Briefsammlung bestehen.
Es ist bereits erwähnt worden, dass die allgemeine An-
gabe des Zosimus- Briefes, welcher unter den Vienner Stücken
sich befindet (J.-K. 335): drei Provinzen seien dem Bischof
von Arles zugetheilt worden, nur durch den Zosimus -Brief
der Arier Sammlung (J.-K. 328) genau bestimmt wird, in dem
die Vienner und die beiden Narbonner Provinzen als engerer
Bereich des Arier Primates bezeichnet werden. Wie hier die
Kenntnis der Arier Sammlung erklärend eingreift, so ist es
aber auch noch bei manchen anderen Zügen, da offenkundig
in den Vienner Briefen das Streben zu Tage tritt, die Arier
Sammlung zu erreichen, ja selbst zu übertreffen.
Um die Bedeutung "der Stadt Arles in staatsrechtlicher
Beziehung zu veranschaulichen, machen die Bischöfe, welche
sich bei Leo I. für die kirchlichen Gerechtsame des Bisthums
peratores et Francorum atque Burgundiae reges ecclesiae
tuae dederunt', Gregor VII. (J.-L. 5024): 'Privilegia igitur et praedia
vel bona, quae . . . a Romanorum imperatoribus seu Franco-
rum vel Burgundiae regibus ecclesiae tuae sunt data vel
reddita', Paschal II. (J.-L. 6596): 'quaecumque praedia, quaecumque
dona vel a Romanis imperatoribus vel a Burgundiae regibus
-tuae ecclesiae data vel reddita sunt'; man vergleiche auch die
Angabe Calixts II. (J.-L. 6822): 'omnem munitionem ac liberalitatem,
quam . . . per imperatorum, regum, principum et ceterorum fideliura
largitionem concessam obtinet', welche wieder auf Sergius' Worte zu-
rückzudeuten scheint.
Arles und Vienne. 79
Arles verwenden ('Memores quantum'), geltend, dass die Stadt
von dem grossen Constantin den Ehrenbeinamen 'Constantina'
erhalten habe, dessen auch die Kaiser Honorius und Theodo-
sius II. in ihrer Verfügung an Agricola, den Praefectus prae-
torio Galliens, ('Saluberrima magnificentiae') gedenken. Wie
sehr Vienne der Nebenbuhlerin hier überlegen ist, die doch
nur nach einem späteren, einem christlichen Kaiser beigenannt
ist, soll augenscheinlich die Benennung 'Senatoria urbs' an-
deuten, welche Pius in seinen beiden Briefen (J.-K. 45. 46)
der Vienna beilegt; und damit auch gar kein Zweifel daran
sei, dass die Bezeichnung schon aus der Heidenzeit sich her-
schreibe, muss Stephan (J.-E. 2385) seine Stellung zu der
Stadt beeinflusst sein lassen: ^non solum quod eadem peranti-
qua, sed quod etiam Romano senatui peculiariter cara extitit'.
Um Arles als die Mutterstadt des ganzen gallischen Landes
zu kennzeichnen, kommt in den Arier Briefen wiederholt —
in den Schreiben J.-K. 328. 332. 334 und der eben erwähnten
Bittschrift gallischer Bischöfe an Leo I. — die Rede auf den
heiligen Trophimus, der, von Petrus oder dem apostolischen
Stuhle entsandt, die Arier Kirche begründet und den Christen-
glauben in Gallien verbreitet habe. Die Vienner Briefe schei-
nen zunächst nicht recht mit der Sprache heraus zu wollen;
denn in dem ersten Brief des Pius (J.-K. 45) werden nur
erwähnt 'presbyteri illi, qui ab apostolis educati usque ad nos
pervenerunt' ', die dann bei Victor (J.-K. 75) als Lehrer des
zeitigen Bischofs von Vienne erscheinen ('sancta fraternitas tua
a presbyteris, qui apostolos in carne viderunt, erudita'). Nach-
dem so die Annahme begünstigt ist, dass noch in der Apostel-
zeit die Vienner Kirche gestiftet worden sei, wird ihr Urheber
von Johann VIL (J.-E. 2146) genauer als ein Schüler des Paulus
bezeichnet ('Pauli . . ., per cuius discipulum suscepit — sc.
ecclesia Viennensis — primum religionis honorem'), um end-
lich von Paul I. (J.-E. 2367) auch namentlich angeführt zu
werden: ('ecclesia Viennensis) apostolorum collegam ^ Crescen-
tem raagistrum habere meruit'^. Dass Crescens das gallische
1) Es entspricht ja der noch wunderkräftigen Zeit, in welche die
ersten Vienner Briefe gehören sollen, dass nur in ihnen auch Offen-
barungen zur Erwähnung kommen; so sagt Pius (J.-K. 46): 'Revela-
tum mihi esse scias . . . citius me finem huius vitae facturum', und Cor-
nelius (J.-K. 116): 'Ora, ut perficiamus cursum nostruni nobis a Christo
revelatum'; äusserlich hängt auch daran noch der Zosimus- Brief
(J.-K. 335), welcher mit den Worten anhebt: 'Revelatum nobis est'.
2) Diese absonderliche Bezeichnung des geistlichen Ämtsbruders findet
sich zweimal in dem Briefe des Pius J.-K. 46 und dreimal in den Briefen
des Victor J.-K. 75 und 76; auch von dem 'collegium fratrum' ist in
J.-K. 46 und 75 die Rede. 3) Der Anspruch der Gleichberechtigung
der Bisthümer Arles und Vienne kraft der gleichen Stellung ihrer Be-
80 Wilhelm Gundlach.
Land dem Christenthum gewonnen habe, ist zwar nirgend
ausdrücklich gesagt — man müsste denn gerade die allge-
meine, auch noch von 'meruit' abhängige Redensart: 'et de
integritate fidei gloriari' so auslegen — , aber wenigstens ein-
geflüstert, indem noch Pius (J.-K. 45) von dem Bischof von
Vienne zu hören wünscht: 'si sementem evangelii iam spar-
seris'. Später wird dann die Vienner Kirche geradezu eine
Gründung der Apostel genannt, so von Paschal I. (J.-E. 2549):
'utpote ab . . . apostolis f'undata' und von Gregor VII. (J.-L.
5024): 'utpote a beatissimis apostolis Petro et Paulo fundata'^
und der ursprüngliche Zusammenhang mit Rom recht ge-
flissentlich hervorgehoben; so schreibt Johann VII. (J.-E.
2146) dem Erzbischof von Vienne diejenige Form der Messe
vor, welche der römischen Kirche eigenthümlich ist: 'cuius
morem et institutum', sagt er, 'debet servare ecclesia tua,
quae fundamentum sancti habitus ab illa sumpsit'; darum ge-
stattet auch derselbe Papst dem Bischof die Anlegung des
Palliums mit der Begründung: 'nolentes te privari antiquo
beati Petri munere'; darum erlaubt auch Zacharias (J.-E.
2258) den Gebrauch der Dalmatica in der Vienner Kirche :
'ut, quia ecclesia vestra ab hac sede doctrinam lidei percepit
et morera habitus sacerdotalis, ab illa etiam percipiat decorera
honoris'.
Was nun die dem Bisthura Vienne ertheilten Rechte an-
langt, so ist das sonderbare Schwanken in der Abgrenzung
des dem Bisthum unterstellten Bereiches vielleicht auch durch
die Arier Sammlung, durch die falsche Auffassung ihrer Be-
stimmungen zu erklären. Man halte sich doch gegenwärtig,
dass die Arier Sammlung mit der Verfügung des Honorius
und Theodosius beginnt: 'ut servata posthac quot annis sin-
gulis consuetudine constituto tempore in metropolitana, id est
in Arelatensi urbe incipiant Septem Provinciae habere
concilium', dass dann Verordnungen der Päpste folgen, welche
zwar im allgemeinen das ganze Gallien als Primatgebiet
des Bisthums Arles bezeichnen, aber im einzelnen doch manche
Abwandelungen, freilich wohlverständlicher Art vornehmen.
Wie leicht konnte da ein blödes Auge verkennen, dass die
Bestimmung der Römischen Kaiser, da die 'metropolitana urbs',
das 'concilium', die 'Septem Provinciae', ja selbst die alljähr-
liche Wiederkehr der 'concilia' dem Kirchenrecht geläufige
Begrifi'e waren, gar nicht die Kirche, sondern zunächst nur
den Staat angeht, und so auch die Grenzen des Arier Be-
gründer findet übrigfens schon eine Unterlage in der Chronik des Ado,
welcher (Migne CXXIII, 79) berichtet: 'Quo tempore (sc. Neronis) cre-
ditur Paulus ad Hispanias pervenisse et Arelatae Tropbimum, Vienna©
Crescentem discipulos suos ad praedicandum reliquisse'.
Arles und Vienne. 81
reiches bald mit den der Sieben Provinzen zusammenfallen, bald
das ganze Gallien in sich beschliessen sehen, wie leicht konnte
dann in solcher Wahrnehmung Anstoss und Richtung für die
Bestimmung des Vienner Gebietes gefunden werden! Dass
die unsichere Stellung des Bisthums Tarantaise unter den von
Vienne beherrschten Bisthümern in dem Verhältnis des Bis-
thums Aix zu Arles eiü Gegenstück findet — Symmachus
befiehlt (J.-K. 769), dass auch der Bischof von Aix der von
Arles ausgehenden Berufung zu einer Synode Folge zu leisten
habe — , ist gewiss nicht lediglich auf Nachahmung der Arier
Sammlung zurückzuführen; aber die wiederholten und kräf-
tigen Verweisungen bei späteren Bestätigungen auf die im
Römischen Archive beruhenden Vorurkunden — in dem Bitt-
schreiben gallischer Bischöfe an Leo I., in J.-K. 556. 754
('quibus ecclesiasticum gravatur scrinium'), 918 ('testimonium
nostri declarat scrinii'), 944 ('ecclesiae Romane testantur scri-
nia'), 945 — dürfte doch die auf einen Anspruch des Bis-
thums Vienne bezügliche Wendung Eugens (in J.-E. 2563) 'in
scriniis nostris investigavimus' veranlasst haben, wenn auch
daneben zweimal, wie schon berührt, 'sicut Romanus catalogus
testatur' etc. erscheint.
Im besonderen zu reden von den Beziehungen der Päpste
zu den Vienner Bischöfen, welche die seit dem Anfang des
fünften Jahrhunderts ständige Bezeichnung 'archiepiscopus' vor
den Bischöfen von Arles voraushaben, so ist ja die Benach-
richtigung, dass der Stuhl Petri einen neuen Besitzer erhalten
habe, und die Aufforderung, dieses Ereignis den untergeord-
neten Bischöfen bekannt zu machen i, die Bestätigung eines
Bischofs vielleicht mit beigefügter Ermahnung ^ und die Be-
kundung einer wechselseitigen Zuneigung ^ als nichts Ausser-
ordentliches zu erachten ; bedeutungsvoller sind schon die Be-
lehrungen, welche der Papst dem Bischof von Vienne zu theil
werden lässt, verglichen mit ähnlichen dem Bischof von Arles
gewidmeten Auseinandersetzungen.
Wenn Agapit dem Bischof Caesarius von Arles die
Satzungen einer römischen Synode übermittelt, um seinem
Urtheil in einer kirchenrechtlichen Frage Nachdruck zu ver-
schaifen (J.-K. 891)"*, so schreibt auch Zacharias an den Erz-
bischof von Vienne (J.-E. 2258): 'Caeterum XI. Kalendas
Aprilis synodum Romae fecimus, cuius exemplar dilectus
presbyter noster vestrae sanctitati portabit'; auch die Unter-
weisung, welche derselbe Papst hinzufügt, 'de episcopis per
pecuniam ordinatis' hat Muster in anderen Arier Briefen, in
1) (J.-L. 5350) — J.-K. 552. 640. 770. 940. 2) J.-E. 2549.
J.-L. 5025 (5050) — J.-K. 434. 912. 3) J.-L. 2563 — J.-K. 553.
640. 940. 941. 947. 4) Aehnlich sind auch J.-K. 451. 764. 777. 890.
Keues Archiv etc. XV. Q
82 Wilhelm Gundlach.
dem des Symmachus J.-K. 764, welchem ein Antrag des Cae-
sarius von Arles vorausgeht, und in einem Zosimus -Briefe
(J.-K. 333), welcher ähnliche Massnahmen gegen die 'saltu
subito promoti' empfiehlt. Dass weiter in den beiden Schrei-
ben des Victor (J.-K. 75. 76) den Bischöfen von Vienne die
Streitfrage über die Osterfeier erläutert wird mit der Wei-
sung, die Anschauung Roms in ihrem Gebiete zu verbreiten,
dürfte, wenn auch in dem Vienner Briefe eine Anlehnung an
die Worte Ados nicht zu verkennen ist i, durch den Vorgang
eines Arier Briefes (J.-K. 754) veranlasst sein, in welchem
Symmachus dem Bischof von Arles den Tag des Osterfestes
auch für die ihm unterstellten Bischöfe angiebt. Es ist ferner
möglich, dass in dem Schreiben des Hilarus (J.-K. 557) die
Erwähnung der kaiserlichen Gesetze, welche die ünantastbar-
keit des kirchlichen Besitzstandes verbürgen, den Anstoss
hergegeben hat zu der Auseinandersetzung über die Prae-
scriptio, wie sie 'in lustiuiana lege' zu finden sei, kraft welcher
Papst Eugen den Erzbischof von Vienne versichert (J.-E.
2563), 'ut', so sagt er, '. . . vestrae ecclesiae eam (sc. causam)
concessam non dubitetis'. Unzweifelhaft aber ist die Angabe
des Zosimus -Briefes in der Vienner Sammlung (J.-K. 335):
'Lazarum indebite episcopum, criminatorem fratris, ordinatum
scias nostro iudicio esse damnatum' dem nach Arles gerich-
teten Briefe des Zosimus (J.-K. 331) entwendet; denn hier
erst kommt die Lazarus -Angelegenheit recht zum Verständnis.
Die Palliumverleihungen, welche in den Vienner Briefen
erwähnt werden, gestatten an sich nicht, die Arier Briefe
als Vorlagen heranzuziehen, wohl aber die einmal dabei er-
wähnte Verzögerung: wie nämlich Vigilius in der Arier Samm-
lung (J.-K. 912) dem Bischof von Arles, welcher um das
Pallium gebeten hat, erklärt, dass erst der Kaiser Justinian
darum befragt werden müsse, so bezeugt auch Nicolaus (J.-E.
2693) dem Erzbischof von Vienne seine Bereitwilligkeit, macht
aber ebenso die Gewährung von einer Frage abhängig; da
indessen zu seiner Zeit die oströmischen Kaiser nicht mehr
in Betracht kommen konnten, ihre Ersetzung durch die Karo-
lingischen Herrscher aber doch wohl zu gewagt erschien, so
ist die Frage an den Erzbischof von Vienne gerichtet und hat
seine Rechtgläubigkeit zum Gegenstande. Es scheint damit
abermals ein wiederholt hervortretender Zug der Arier Briefe
nutzbar gemacht zu werden; denn die Frage, wie denn Ado
von Vienne, der die vier älteren ökumenischen Concilien an-
erkenne, sich den beiden jüngeren gegenüber verhalte, ist
doch nichts anderes, als die zeitgemäss zurecht gemachte, in
den Arier Briefen (J.-K. 925. 938. 939. 946) viermal gestellte
oder beantwortete Frage nach den vier ersten Concilien.
1) Vgl. oben S. 67 Anin. 3.
Arles und Vienne. 83
Die Gunst der Päpste zeigt sich auch in der Geneigtheit,
die ihnen werthen Kirchen mit Reliquien auszusteuern ; das
•wird gleichmässig in den Arier wie in den Vienner Briefen
berührt; aber wie wenig ist hier Arles in der Lage, gegen
Vienne aufzukommen! Während Pelagius in den Briefen
J.-K. 942. 943 'beatorum apostolorum Petri et Pauli et aliorum
sanctorum martyrum reliquias' dem Bischof von Arles nur zu
vorübergehender Behütung — zur Uebermittelung an den König
Childebert und zur Rückbefördenmg ; denn sie sind nur ge-
liehen — anvertraut, sind die Päpste Vienne gegenüber von
wahrhaft verschwenderischer Freigebigkeit beseelt: Johann
(J.-E. 2146) schenkt Haare vom Haupte des Apostels Paulus
und Constantin (J. E. 2151) ein Stück von dem Schwämme,
welcher dem dürstenden Heiland an das Kreuz hinaufgereicht
worden ist, Theile von den Kleidern des Herrn und von den
Fesseln, welche die Apostel getragen haben, ein Ueberbleibsel
einer ehernen Pfanne, welche bei den Makkabäern in Gebrauch
gewesen, und ein Häufchen Asche von dem Leibe Johannes'
des Täufers 1.
Es wäre unrecht, wenn die Bischöfe von Vienne unter
diesen Umständen den Bischöfen von Arles in der Erkenntlich-
keit etwas nachgäben. Hat also Gelasius in einem nach Arles
geschickten Briefe (J.-K. 640) Anlass, Leute zu erwähnen, ^qui
ad Italiae partes ad providendam congregationi sanctae sub-
stantiam commearant', und bittet Pelagius in Arles darum (J.-K.
943. 947), dass wärmende Kleidungsstücke für die Römischen
Armen angekauft werden, so kann Gregor H. (J.-E. 2158) dem
Erzbischof von Vienne schon seinen Dank abstatten: 'Munera,
quae misistis in odorem suavitatis peregrinis et captivis Deo
oflferenda, gratanter quasi benedictionem suscepimus et indigenti-
bus Christi sustentationem praebuimus'; und aufdass der wohl-
thätige Sinn der Bischöfe von Vienne ja nicht übersehen werde,
hat der erste Herausgeber — vielleicht auf Grund einer hand-
schriftlichen Bemerkung — an den Rand gesetzt: 'Viennenses
pontifices liberales erga Romanae urbis inopes'!
Dem Wohlthäter die Noth zu klagen ist ja nur natürlich;
und so findet sich denn auch, nachdem Vigilius (J.-K. 925)
dem Bischof von Arles von der 'necessitas Italiae' gesprochen,
welcher der Kaiser abzuhelfen verheissen habe — es handelt
sich um die durch Totila erfolgte gothische Eroberung Roms — ,
in dem Brief des Zacharias (J.-E. 2258) für den Erzbischof
von Vienne die Mittheilung: 'Langobardi' — die Gothen sind
ja inzwischen veraltet! — 'quorum saevitia ubique crevit, . . .
1) 'de spongia Domini, de vestimentis Domini, de vinculis apostolo-
rum _. de sartagine aevea Machabeorum, de cineribus sancti lohannis
Baptistae'.
6*
84 Wilhelm Gundlach.
nostros fines devastant'», und in dem Schreiben Leos IIL
(J.-E. 2533) die weit vorsichtigere Klage: 'Quanta autem ab
impiis passi sumus, te ignorare non dubitamus'.
Dass die Päpste ihre Besehwerden den Bischöfen von
Arles und Vienne nicht vorenthalten, kann auch in ihrer ein-
flussreichen Stellung, ihrer Verbindung mit den fränkischen
Herrschern begründet sein; denn die Arier Briefe J.-K. 906,
912. 913. 914. 919. 925. 941. 945. 948 lassen erkennen, dass
die Bischöfe von Arles mit den Königen Theodebert I. und
Childebert I. im Verkehre standen, dass auch das Bisthum
Arles geradezu dem Schutze des Königs Childebert empfohlen
ward. Damit wetteifern die Vienner Briefe, indem Gregor IL
(J.-E. 2158) den Bischof von Vienne bittet: 'Bonifacium rudi-
bus gentibus episcopum designavimus, quem vestra Caritas prin-
cipibus Francorum insinuare non gravetur', und indem
Stephan IL (J.-E. 2385) davon spricht, dass er für die Vienner
Kirche den (gleichfalls unbestimmten) 'principibus Francorum'
einen Brief zugesandt habe; Vienne sucht aber die Neben-
buhlerin Arles zu übertrumpfen, indem au die Stelle der kleinen
fränkischen Theilherrscher Theodebert und Childebert in den
Briefen Pauls L (J.-E. 2367), Hadrians L (2412) und Leos IIL
(2533) Karl der Grosse, der I3eherrscher des christlichen Abend-
landes, tritt 2; schade nur, dass an diesem Streiche die Dummheit
mehr als die Kühnheit betheiligt ist; da nämlich Hadrian dem
Kaiser Karl Klage führt 'de civitatibus, quae laicis tra-
ditae eraut, et quia iam archiepiscopalis dignitas per
octoginta annosa Francis esset conculcata', um dann
von Karl die Wiederherstellung der Metropolitangewalt im
allgemeinen, also auch der des Bisthums Vienne sich versprechen
zu lassen 3, dürfte hier eine Angelegenheit dem Kaiser Karl
angedichtet sein, welche einst zu ßonifatius' Zeit seinen Vor-
1) Ein unmittelbarer Angriff der Langobarden auf das päpstliche Ge-
biet unter Zacbarias ist nicht bekannt. 2) Da der Brief Pauls I. an
Karl den Grossen gerichtet war, darf man auch als nicht belanglos gegen
die Epistolae Viennenses geltend machen, dass dieser Brief nicht im
Codex Carolinus überliefert ist; man darf vielleicht auch anmerken, dass
die beiden Stücke Gregors VII. in dem uns erhaltenen Registrum dieses
Papstes fehlen, obwohl in J.-L. 5025 eine Stelle aus einem Register-Briefe
entnommen zu sein scheint; der Ausspruch des Jeremias (48, 10): 'Male-
dictus, qui prohibet gladium suum a sanguine' ist nämlich in der Vienner
Reihe erläutert durch: 'hoc est: qui prohibet linguam suam a cor-
reptione carnalium' und ganz ähnlich im Register (J.-L. 4786: Bibl. II, 26):
'id est verbum praedicationis a carnalium increpatione', was, wie Jaffe
angiebt, auf eine Stelle in der Regula pastoralis Gregors I. (Opp. ed.
Maur. II, 75) zurückgeht. 3) 'Cum haec . . . gloriosus rex audiisset,
promisit ante corpus beati Petri, quod omnia ad ordinationem nostram
emendar et'.
Arles und Vienne. 85
ganger Karlmann beschäftigt hat; denn sowohl die Bischof-
stühle, welche mit Laien besetzt sind, als auch die seit achtzig
Jahren unwirksame Metropolitangewalt kommen in einem Briefe
des ßonifatius zur Erörterung i.
Die Abhängigkeit der Epistolae Viennenses wird aber nicht
nur durch den Inhalt bezeugt, sondern auch durch die Form:
auch in der Ausdrucksweise sind sie an die Epistolae Arela-
tenses gekettet und zwar, um von Einzelheiten zu schweigen 2,
durch wörtliche Entlehnung zweier ganzer Briefe.
In welcher Weise dabei verfahren ist, wird man aus der
Oegenüberstellung erkennen:
J.-K. 328
Zosimus^ universis epi-
scopis per Grallias et Septem
J.-K. 177.
Silvester papa universis
episcopis per Gallias et per
provincias constitutis. [Septem provincias.
1) Bonifatius verkündet nämlich dem Papste Zacharias (Jaffe, Bibl.
111,112): 'Et p ro misi t (Carlomannus), se de aecclesiastiea religione, quae
iam longo tempore, id est non minus quam per sexaginta vel septuaginta
annos, calcata et dissipata fuit, aliquid corrigere et emendare velle;
... Franci enim, ut seniores dicunt, plus quam pertempus octuginta
annorum synodum non fecerunt nee archiepiscopum habuerunt nee
aecclesiae canonica iura alicubi fundabant vel renovabant. Modo autem
maxima ex parte per civitates episcopales sedes traditae sunt lai-
cis' etc. 2) So ist z. B. anzuführen aus dem Vienner Leo-Briefe J.-K. 446
die Wendung: 'privilegium . . ,, quod apostolica benignitas adAre-
latensem ex parte transtulit civitatem' als ähnlieh mit 'pri v ilegia
Viennensis ecclesiae ad Arelatensem antistitem transferantur' in
dem Briefe J.-K. 557; ferner ist der Ausdruck des Stephan (J.-E. 2385):
*privilegiis antiquis cana reverentia firmatis' wohl mit *cana ac
reverenda servetur antiquitas' in dem Arier Briefe J.-K. 754 zu be-
legen, weiter aus dem Briefe Pauls (J.-E. 2367): 'ecclesia (Viennensis),
quam semper et venerabilem (sc. prae de cessor es nostri) tenuerunt
et . . . extulerunt, quae apostolorura collegam Crescentem magistrum
habere meruit et de integritate fidei gloriari' etwa mit 'Arelateusis
civitas missum a beatissimo Petro apostolo sanctum Tropbimum habere
meruit sacerdotem et exinde . . . bonum fidei et religionis infusum;
. . . ecclesiam Arelatensem omnes decessores prae d e ce s sor e s que
nostri velut matrem debito semper honore coluerunt' in dem Arier
Bittschreiben: 'Memores quantum' und 'non transgrediantur normam in
limitibus ecclesiarum fixam, quos posuerunt patres nostri' mit 'ne quis-
quam . . . transcendat terminos a venerandis patribus constitutos' in dem
Hilarus-Briefe J.-K. 559; recht bezeichnend aber ist, dass die beiden ein-
zigen Datierungen, welche die Vienner Briefe vor dem Agatho aufweisen,
der Arier Sammlung entnommen und noch dazu falsch übernommen sind,
wie oben S. 67 dargelegt worden ist. 3) Nicht nur um zu zeigen, wie
begehrlich die gallischen Bischöfe auf die Magna charta der Arier Kirche
blickten, sondern auch um eine neue Vorlage der Vienner Fälschung zur
Anschauung zu bringen, gebe ich hier bei diejenige — von Coustant
(s. oben S. 68), den Ballerini (Leonis opp. III, p. cxxxv) und von Maassen
(Quellen I, S. 249) zwar erwähnte, aber, soviel ich weiss, noch nirgends
86 Wilhelm Gundlach.
Placuit apostolicae sedi, ut, I Placuit apostolicae sedi, ut^
si quis ex qualibet Galliarum'si quis ex qualibet Galliarum
parte sub quolibet ecelesiastico parte sub quolibet ecclesiastico
gradu ad nos Rom am venire gradu ad nos venire conteudit
contendit vel ad alia terrarumvel ad alia terrarum loea ire
ire disponit, non aliter proficis- disponit, non aliter proficisca-
catur, nisi metropolitani Arela-|tur, nisi metropolitani Vien-
tensis episcopi formatas |n e n s i s formatas aeeeperit.
acceperit, quibus sacerdotium|quibus sacerdotium suum vel
suum vel locum ecelesiasticum locum ecclesiasticum quem ha-
quem habet scriptorum eins ad- jbet scriptorura eins adstipula-
stipulatione perdoceat: quod ea tione perdoceat: quod ea gratia
gratia statuimus, quia pluri» statuimus, quia plurimi se
episcopos^, presbyteros^ sive episcopos, presbyteros sive
ecclesiastieos* simulantes, quia ecclesiasticos simulantes, quia
nullum documentum formata- nullum documentum formata-
rum extat, per quod valeautirum extat, per quod valeant
confutari, in nomen venerationis . confutari, in nomenvenerationis
inrepunt et indebitam reve-jirrepunt et indebitam venera-
rentiam promerentur. Quis-jtionem promerentur. Quisquis
veröffentlichte — Form des Zosimus- Briefes, welche trüglich zu Gunstea
des Bisthums Autun zurechtgemacht ist. In dem aus dem neunten Jahr-
hundert stammenden Cod. Vatic. Palat. 574 (fol. 85) überliefert, dessen
Vergleichung ich Herrn Dr. Wotke verdanke, macht sich der angebliehe
Silvester-Brief ohne weiteres als Fälschung dadurch kenntlich, dass über
die hinzugefügten Schlussworte: 'Bene valite, feliciter' hinaus die etwas
verderbte Fortsetzung des Zosimus -Briefes beibehalten, also dann auch
stets von dem Bisthum Arles die Rede ist. Nach der Ankündigung: 'In-
cipit constitutio apostolicae sedis' heisst es: 'Silvester episcopus uni-
versis episcopis per Gallias et Septem provincias. Placuit apostolice
sedi, ut, si quis ex qualibet ( — ! — ) et ecclesiastico gradu ad nostram (!)
venire contendit vel ad alia terrarum ire disponit, non aliter proficiscatur,
nisi metropolitani Austudunensis episcopi formata (!) acceperit, quibus sa-
cerdotium suum vel locum ecclesiasticum, quem habet, scriptorum eins
astipulatione perdoceat : quod ea gratia statuimus, quia plurimi episcopi,
presbyteros sive ecclesiasticos simulantes, quia nullum documentum forma-
tarum extat, per quod valeant confutari, in nomen venerationis inreputet(!),
indebitam reverentiam promerentur. Quisquis igitur, fratres carissimi,
praetermissa supradicti formata, sive ille episcopus sit, sive presbyter,
sive diaconus, ac deinceps inferiore gradu sit, ad nostra venerit, sciat se
suscepi omnino non posse. Quam auctoritatem ubique misisse manifestum
est, id(!) cunctis hie regionibus innotiscat, id quod statuimus omnimodis
esse servandum. Si quis autem haec salubriter constituta temerare
temptaverit, sponte sua se a nostra noverit communione discretum. Hoc
autem Privilegium formatarum episco(!) Eetitio, fratri et coepiscopo nostro,
meritorum eins spicialiter contemplatione concessimus. Bene valite, feliciter'.
1) so 1. 2; plures 3. 4; plurimi C 1. 2) so verbessert aus episcopus
1. 2; episcopi 3. 4; sive fügen hinzu 1. 3. 4. 3) so 1. 2; pres-
byteri 3. 4. 4) so 1. 2; ecclesiastici 3. 4.
Arles und Vienne.
87
quis igitur, fratres carissimi,
praeter missam supradicti
formatam, sive ille^ episco-
pus, sive 2 presbyter, sive dia-
conus, aut deinceps infe-
riori^ gradu sit, ad nos
venerit, sciat, se suscepi om-
nino'* non posse. Quam aueto-
ritatem ubique nos misisse ma-
nifestum est, ut cunetis regioni-
bus innotescat, id quod statui-
mus omnimodis esse servan-
dum. Si quis autem haec
salubriter constituta temerare
temptaverit, sponte sua se a
nostra noverit communione dis-
cretum. Hoc autera Privilegium
formatarum sancto Patroclo,
fratri et eoepiscopo no-
stro, meritorura eius specialis
contemplatione concessimus. ...
J.-K. 765.
Dilectissimis fratribus,
universis episcopis per Gal-
lias consistentibus, Sym-
machus.
Cuncta igitur inter eccle-
sias Arelatensem et^ Vien-
nensem a decess ore nostro
beatae recordationis Leone papa
quae super hac parte ordinata
sunt, ecelesiae Romanae fidelis^
declarat instructio. Atque ideo
ne ea, quae semper veritatis
est aemula, sibi aliquid vindi-
care queat oblivio et prioris
deereti vigor teraporis diutur-
nitate vergat * in Senium, neces-
sarium duximus, olim promul-
igitur, fratres carissimi, prae-
termissa supradicta for-
ma ta, sive ille episeopus sit^,
sive presbyter, sive diaconus,
aut in inferiori gradu^o
constitutus deinceps ad
nos venerit, sciat, se suscipi
omnino non posse. Quam
auctoritatem ubique nos»^ mi-
sisse manifestum est, ut cunetis
bis regionibus innotescat, id
quod statuimus omnem in
modum esse servandum. Si
quis autem haec salubriter con-
stituta temerare praesumpse-
rit, sponte sua se a nostra no-
verit communione discretum.
Hoc autem Privilegium forma-
tarum fratri et eoepiscopo
Paschasio etposteris eius
meritorum illius speciali con-
templatione concessimus. . . .
(In den Reg. nicht aufgeführt.)
Siraraachus papa omnibus
episcopis per Gallias consti-
tutis.
Cunctas inter ecclesias
Galliarum ob praecipuas
Viennensem et Arelaten-
sem extitit contro versia.
Quae vero a praedeces-
sore nostro beatae recordatio-
nis Leone papa super hac parte
ordinata sunt, ecelesiae Roma-
nae fidelis declarat instructio.
Atque ideo ne ea, quae semper
est veritatis aemula, sibi ali-
quid vindicare queat ^^ oblivio
et prioris deereti vigor tempo-
1) nur in 1. 2; fehlt in 3. 4, 2) so 1. 3. 4; seu 2. 3) so 3. 4;
inferiore 1, 2, 4) so in 2 ; omnino suscipi 1. 3. 4. 5) so 2; spe-
cialiter 1. 3. 4. 6) so 3. 4; atque 2. 7) so 3; fideles 2, 4. 8) so
2. 4; vergatur 3. 9) fehlt bei L. C. 10) gradu inferiori L. C. 11) nos
ubique C. J.2) possit L.
88 Wühelm Gundlach.
gatai in 2 lucem reddere nostris
affatibus. Idcirco quemadmo-
dum^ decessor noster Leo papa
dudum, cognitis allegationi-
bus partium, definivit*. parro-
chiarum numerum vel quanti-
tatem Arelatensi et Vien-
nensi saeerdotibus deputan-
d u m , et nos praeeipimus nullius
usurpatione transcendi *. . . .
ris diulurnitatevergat in Senium,
neeessarium duximus, olim pro-
mulgata in lucem reddere " no-
stris affatibus. Idcirco quem-
admodum decessor noster Leo
papa dudum, recognitis alle-
gationibus partium, definivit
paroechiarum numerum vel
quantitatem Viennensi et
Arelatensi saeerdotibus d e-
putatam, et nos praeeipimus
nullius usurpatione transcendi.
Valete.
Da nun dargethan ist, dass vielfältige Beziehungen in der
Form wie im Inhalt zwischen den Epistolae Vienuenses und
der geschlossenen Sammlung der Epistolae Arelatenses be-
stehen, dass aber auch die einzelnen Stücke der Epistolae
Viennenses mehrfach untereinander verwandt sind, so ist da-
mit erwiesen, dass auch die Epistolae Viennenses ein einheit-
liches Ganzes ausmachen, dass sie in jedem ihrer Stücke den-
selben Ursprung bekunden. Sowie das aber gezeigt ist, hat
alles, was bisher in ihren Formeln und in ihrem Inhalt als ge-
fälscht bezeichnet worden ist, alles, was einzelne Briefe als
erfunden ablehnen Hess, auf alle Stück Geltung. Die ganze
Sammlung der Epistolae Viennenenses kann also mit Recht
als erdichtet verworfen werden.
C. Entstehungszeit und Urheber der Epistolae
Viennenses.
Die mit diesem Ergebnis sofort laut werdende Frage, wann
denn die Sammlung zusammengestellt sei, findet eine wenn
auch noch nicht ganz bestimmte Antwort schon von jener un-
längst gemachten Darlegung aus, welche die wortgetreuen
Muster zweier Vienner Briefe zum Gegenstande hat.
Dass zunächst der angebliche Silvester-Brief auch die auf
den Bischof von Autun lautende Form des Schreibens: 'Placuit
apostolicae' zur Vorlage hat, wird klar an der Aufschrift,
welche wie die Vienner Fassung gegen die Arier den Silvester
als Urheber des Briefes angiebt und ebenso das 'constitutis'
am Ende fortlässt, ferner an dem schliessenden 'sit' in 'sive
ille episcopus sit' und an dem eingeschobenen Demonstrativum
in 'cunctis hie regionibus', welches in dem Vienner Briefe in
^his' umgewandelt ist. Es ist unwahrscheinlich, dass man in
1) so 3; proraulgatis 2. 4. 2) nur in 3; fehlt in 2. 4. 3) so
3; quaeadmodum 2. 4. 4) so 2. 4; definit 3. 5) so 2. 4; trans-
gredi 3. 6) edere L.
Arles und Vienne. 89
Vienne, ohne die Autuner Form zu kennen, auf diese über-
einstimmenden Abweichungen gekommen ist, welche keine
einzige andere Handschrift bietet. Diese Wahrnehmung ist
vor allem darum wichtig, weil sie das Verfahren des Vienner
Fälschers kennen lehrt, der sein Machwerk aus verschiedenen
Vorlagen willkürlich zusammenstoppelte ; denn dass in der
That mindestens eine Arier Handschrift ihm zu Grebote ge-
standen hat, wird anzunehmen schon unabweisbar in Anbetracht
der Lücke, welche die Autuner Form, von ^qualibet' auf 'quo-
libet' überspringend, gelassen hat. Selbst wenn man nun dem
Belieben des Fälschers für eigenmächtige Aenderungen ein
Aveites Feld einräumt, wird man doch die Handschrift 2 der
Arier Sammlung als Vorlage ansehen müssen: dafür kommt
nämlich in Betracht die Stelle 'pluri episcopos, presbyteros
sive ecclesiasticos simulantes' — die drei anderen Handschriften
bieten 'plures (pluri 1) episcopi (episcopos 1) sive presbyteri
(presbyteros 1) sive ecclesiastici (ecclesiasticos 1) simulantes'
— , ferner 'sive ille episcopus . . . sit', was nur in 1 noch
so heisst, in 3 und 4 aber um 'Ille' verkürzt ist, weiter 'suscepi
omnino', das in den übrigen Handschriften umgekehrt gestellt
ist, und endlich die Form 'speciali', welche sonst überall zu
'specialiter' erweitert ist. Dass es sich auch in dem zweiten
Briefe, dem des Symmachus, so verhält, dafür kann man etwa
anführen 'vergat in Senium' (statt 'vergatur') und am Ende
^transcendi' (statt 'transgredi'). Aber dabei dürfte man doch
nicht übersehen, dass die Vienner Fälschungen auch mit 3
durch nennenswerthe Eigenheiten verbunden sind: so ist viel-
leicht schon aus dem ersten Briefe das 'sive', welches an 'sive
ille episcopus' anknüpft, anzugeben, da es in 2 durch 'seu er-
setzt ist, aus dem zweiten Briefe aber das im Anfang die
Wörter 'Arelatensem' und'Viennensem' verbindende 'et', welches
in 2 'atque' lautet, und die ganze Wendung 'promulgata in
lucem reddere', wofür 2 'promulgatis lucem reddere' aufweist.
Wenn es unter anderen Umständen auch bedenklich erscheinen
müsste, auf Grund der zuletzt angeführten Uebereinstimmungen
noch eine Benutzung der Handschrift 3 anzunehmen, so möchte
doch gerade das an der Autuner Fassung erläuterte Verhalten
des Fälschers über die Richtigkeit dieser Annahme beruhigen.
Es kommt empfehlend hinzu, dass, wenn du Boys für einige
seiner Randbemerkungen schon in seiner handschriftlichen Vor-
lage ein Vorbild hatte, auch darin eine Nachahmung der Hand-
schrift 3 sich enthüllt; wie nämlich diese die auf den Primat
der Arier Kirche und ihren Begründer, den heiligen Trophimus,
bezüglichen Stellen mit Fleiss am Rande hervorkehrt', so
1) Vgl. N. A. XIV, 283. 284. Ausserdem hat auch noch die Hand-
schrift 1 Randbemerkungen (ebenda S. 287).
90 Wilhelm Gundlach.
verfehlt auch du Boys niemals, auf entsprechende Stellen be-
sonders aufmerksam zu machen; so steht da, wo Gregor II.
den Bericht des Bischofs von Vienne über die gallische Kirche
erwähnt, (p. 42) am Rande : 'Vide primatiae actum', und wo
er ihn beauftragt, den Bonifatius den Fürsten der Franken
zu empfehlen (p. 43): 'Et aliud vide primatiae munus'; so
wird die erste allgemeine Erwähnung des Stifters der Vienner
Kirche, eines Schülers des Apostels Paulus, (p. 40) durch die
Randbemerkung: 'Egregium testimonium pro antiquitate eccle-
siae Viennensis' und die Nennung des Crescens, des 'aposto-
lorum collega', (p. 45) durch: 'Crescens primus Viennensis
pontifex' zur Geltung gebracht.
Ist nun die hier vertretene Auffassung richtig, dann können,
da die Handschrift 3 im elften Jahrhundert geschrieben ist,
die besprochenen beiden, anscheinend zu den ältesten Stücken
gehörenden Briefe — und damit die ganze Sammlung —
frühestens im elften Jahrhundert gefälscht sein; ihre Entstehungs-
zeit wird auf das elfte oder den Anfang des zwölften Jahr-
hunderts beschränkt, da bis auf diese Zeit die handschriftliche
Ueberlieferung der Epistolae Viennenses sich hat zurükverfolgen
lassen >.
Eine genauere Bestimmung ergiebt sich nun noch aus
eigenartigen Zügen der Epistolae Viennenses.
Man kann den Inhalt der in das fünfte und sechste Jahr-
hundert fallenden Epistolae Arelatenses als den Rahmen be-
bezeichnen, welchen die Viennenses sorgsam gewahrt haben,
obwohl sie ihre frühesten Stücke bis in das zweite Jahrhundert
vorschieben und mit den jüngsten bis in das zwölfte Jahr-
hundert hineinreichen. Ueber diesen Rahmen ragen, abgesehen
von der Erwähnung in der nächsten Umgebung Viennes be-
legener Güter in den letzten Privilegien, nur zwei Angaben
hinaus: die eine betrifft das Kloster des heiligen Barnard in
Romans, die andere die Grafschaft Salmorenc, beide dadurch
verwandt, dass stets Kloster wie Grafschaft dem Bischof von
Vienne bedingungslos zugesprochen wird. Die Erörterung der
1) Zu scheiden davon ist der Zeitpunkt, an welchem zum ersten
Male die Sammlung benutzt worden ist: es geschieht durch die von
Waitz (MG. SS. XXIV, 811) herausgegebene 'Series episcoporum Viennen-
sium', welche, im Jahre 1239 zusammengestellt, fünfzehn Briefe — die
des Cornelius, Zosimus, Agatho, lohann VII., Constantin I., Gregor 11.,
Zacharias, Stephan 11., Hadrian I., Leo III., Nicolaus I. (J.-E. 2877),
Sergius III., Leo IX., Gregor VII. (J.-L. 5024) und Urban IL (J.-L. 5350)
— erwähnt, und in dem 'Chronici Viennensis frägmentum' unerfindlicher
Entstehungszeit (ebenda p. 816), aus welchem eine Bekanntschaft auch
noch mit den Briefen des Pius I. (J.-K. 45), Victor I. und Silvester sich
ergiebt. Von dem dritten wichtigen Zeitpunkt, welcher bei den Epistolae
Viennenses zu merken ist, wann die Briefe zum Theil bez. vollständig ver-
öffentlicht worden sind, ist oben S. 13 gehandelt worden.
Arles und Vienne. 91
Vienner Ansprüche auf Kloster und Grafschaft ist es nun,
welche helleres Licht über die Entstehungszeit der Epistolae
Viennenses verbreiten wird.
Die Abtei des heiligen Barnard begegnet zuerst in dem
Briefe Gregors VII. J.-L. 5025, da hier die allgemeine Mah-
nung, welche dem Vienner Clerus und Volk zu theil wird,
dem neuen Erzbischof Warmund wiedergewinnen zu helfen
'quae violenter sibi ablata sunt', in die genaue Angabe ausläuft:
'nominatim autem abbatiam sancti Barnardi'. Indem dann
Gregor in seiner Urkunde (J.-L, 5024) das Recht des Bisthums
Vienne auf die Abtei anerkennt, lässt er zugleich ersehen, wie
es eigentlich damit bestellt war: 'In Romanensi ecclesia', sagt
er zu Warmund, 'quamvis se faciat nostrae libertatis, visis
tamen imperatorum praeceptis, tam in secularibus quam in
regularibus canonicis per consilium vicarii nostri Hugonis,
Diensis episcopi, inibi ordinatis tibi tuisque successoribus in
Omnibus omnem potestatem habere apostolica auctoritate de-
cernimus'. Nach dieser doppelsinnigen Anerkennung, welche
ebenso die Libertas Romana der Abtei in Abrede stellt und
trotzdem von den 'per consilium' des päpstlichen Vertreters
geweihten canonici spricht, wie sie nur über diese und dann
vielleicht wieder in allen Stücken ('in omnibus'!) dem Erz-
bischof 'omnem potestatem' beimisst, wird man — wenn auch
dabei nicht zu folgern ist, dass es den Erzbischöfen von Vienne
inzwischen nicht gelungen sei, ihr Recht auf die Abtei zur
Geltung zu bringen, oder gar dass sie dasselbe von neuem
eingebüsst haben — wiederum an den ersten Brief Gregors VII.
durch das erste Schreiben Urbans IL (J.-L. 5350) erinnert, weil
dieser Papst die Beraubung der Vienner Kirche während der
Stuhlerledigung allgemein verbietet, um dann auch seinerseits
bestimmter zu werden in dem Zusatz: 'hoc quoque specialiter
praecipientes, ut ecclesia Romanensis et ecclesia beati Petri
de Campania, quae sub iure ac ditione Viennensis ecclesiae
antiquitus fuisse noscuntur, eidem ecclesiae quiete permaneant'.
Den Wechsel zu einem regelmässigen zu machen, kommt end-
lich Calixt IL fast völlig auf die von Gregor VII, gebrauchten
Worte zurück, indem er (J.-L. 6822) verfügt: 'in ipsa etiam
Romanensi ecclesia, quamvis Romanae se faciat libertatis, visis
tamen praedecessorum nostrorum privilegiis et imperatorum
praeceptis, tam in secularibus quam et in regularibus clericis
et canonicis inibi ordinatis vel ordinandis pontifices Viennen-
ses omnem habere decernimus potestatem'.
Trotz offenbarer Winkelzüge ergiebt sich jedenfalls so viel
aus diesen Papstbriefen, dass die Abtei in Romans sich unter
Gregor VII. der erzbischöflichen Gewalt entzogen hat unter
dem Verwände, sie stehe unmittelbar unter dem Römischen
Stuhle, aber noch von Gregor VII. und weiter von Urban
92 Wilhelm Gundlach.
und Calixt dem Erzbischof von Vienne ausdrücklich wieder
zugesprochen ist.
Wie wenig diese angeblich von den Päpsten feierlich ge-
währleisteten Beziehungen des Erzbisthums Yienne zu der
Abtei des heiligen Barnard der Wirklichkeit entsprechen, lehrt
ein Blick auf die echten Briefschaften der Päpste, welche die
in Rede stehende Abtei erwähnen.
Die erste sichere Kunde wird uns hier von Gregor VIL'
Nachdem dieser Papst auf der Römischen Februar- Synode
1) Es käme zwar noch vorher für die aufgenommene Frage in Be-
tracht von Johann XI. der Brief J.-L. 3693 von Leo IX. die Stücke
J.-L. 4220. 21. 4321. 22. 29, von Victor II. J.-L. 4347, wenn ich diese
Stücke nicht sammt und sonders für gefälscht hielte. Um mein ab-
sprechendes Urtheil zu begründen, verweise ich zunächst allgemein auf
das Verhalten Gregors VII., welcher zwar der Abtei Romans die Liberias
Romana gewährt, aber dabei auf keinen einzigen seiner Vorgänger sich
bezieht; ich halte mich ferner an den Brief J.-L. 5026, in welchem Gregor
den Geistlichen in Romans die Klage des Vienner Erzbischofs wider sie
mittheilt: 'quod ei antiquara et debitam potestatem loci vestri contra-
dicere praesumpseritis, quam ab initio proprii iuris Viennensis
ecclesiae extitisse et hactenus sub disjjositione suorum
antecessorum fuisse non ignoretis', und mit nicht misszuver-
stehender Verwunderung ihres Einwandes gedenkt: 'ut idem locus — die
Abtei Romans — iuris sancti Petri et sub eins dominio uescio quibus
auctoribus vel con c essionibns esse debeat'; wenngleich der Papst
ja nur die Beschwerde der einen Partei wiedergiebt — ein Urtheil soll
erst sein Legat, Hugo von Die, fällen — , so stellt er doch die Abhängig-
keit der Abtei von dem Erzbisthum als etwas so Selbstverständliches und
den Rechtsgrund der behaupteten Unabhängigkeit als etwas so Unbekanntes
hin, dass schon dadurch alle früheren päpstlichen Verleihungen der Li-
bertas Romana im höchsten Masse verdächtigt werden. Es kommt dazu,
dass im Inhalt der Briefe sich Züge finden, welche mit der Echtheit nicht
verträglich sind ; so wird in dem Briefe J.-L. 3593, in welchem Johann XI.
die Abtei unmittelbar den Päpsten unterwirft, einem Silvio, nachdem er
sich selbst der Brandstiftung bezichtigt habe, befohlen : 'ut ipsam eccle-
siam quam incendit . . . reedificet', aber mit keinem Worte gesagt, was denn
das für eine Kirche ist; wir werden, da die unberührte Aufschrift den
Brief 'legentibus audientihusque' gewidmet sein lässt, nur dadurch auf
Romans gebracht, dass das Stück in dem Cartular dieses Klosters uns
überliefert ist. Die Gedankenlosigkeit des Fälschers erreicht aber den
höchsten Grad in dem Briefe Leos IX. J.-L. 4220, wo es heisst: 'Volu-
mus insuper, ut terras et bona, que sancto Petro in illa patria dantur,
ipsi — die Insassen der Abtei — recipiaut, sicut Eugenius papa atque
Pascalis, supradicto Barnardo archiepiscopo petente, illi
ecclesie concesserunt'; da mit diesen Gewährungen der Päpste
Paschal I, und Eugen II. ohne Zweifel die beiden Vienner Briefe J.-E. 2549
(817—824) und 2563 (824—827) gemeint sind, welche sich auch in dem Car-
tular der Abtei (bei Giraud I., Preuves unter Nummer 9 bis und 10) vorfinden,
beide aber dem Erzbischof Barnard nur die Vorrechte seiner Kirche be-
stätigen, der Abtei Romans nicht gedenken und nicht gedenken können
— denn sie ist erst zwischen 837 und 842 (vgl. Giraud I, 6) nach der
Arles und Vienne. 93
des Jahres 1076 den Erzbischof Hermann von Vienne gebannt
und die Abtei Romans, solange sie Hermann innehabe, mit dem
Interdict belegt hatte, nachdem er zugleich auch die Slifts-
herren der Abtei und den Desiderius, wohl den Rädelsführer,
für die Vertreibung ihrer regulierten Genossen in ähnlicher
Weise getroffen und zur Busse aufgefordert hatte >, trat er zu-
nächst für die Ansprüche des neuen Erzbischofs von Vienne,
Zeit der beiden Päijste gestiftet worden — , so ist in dieser Anführung
das wichtigste Kennzeichen ihrer Fälschung und zugleich eine Begrenzung
ihrer Entstehungszeit gegeben, insofern sie erst nach Erdichtung der
Vienner Sammlung angefertigt sein können. Mit dem besprochenen Briefe
liängt nun der von demselben Tage datierte (J.-L. 4221) so zusammen,
dass dieser die allgemeine Anordnung, jener eigentlich nur ihre Aus-
führung enthält, und an beide Briefe schliesst sich Victor II. an, indem
er (J.-L. 4347) den allgemeineren Brief Leos fast wörtlich wiedergiebt,
dem andern aber die Angabe entlehnt, dass die Abtei schon von ihrem
Begründer dem apostolischen Stuhle unterworfen worden sei. Die übrigen
Briefe Leos IX. J.-L. 4322. 21. 29 setzen sämmtlich die beiden früheren
voraus, da der Papst zu dem Bischof Leodegar sagt: 'te vice nostra
regende (abbatiae Romanae) preposuimus', bez. auf den nämlichen Erz-
bischof die Relativsätze gehen: 'quem obediendum vice nostra vobis sub-
venire rogavimus' und 'cui vicem nostram et loci curam commisimus'.
Weiter sind auch die Formeln nicht ohne Belang. Wenn Löwenfeld zu
dem Briefe 4220 (und 4221) bemei-kt: 'Huius et sequentis epistolae pro-
tocollon quod dicitur librarü vitio depravatum videtur', so scheint er da-
bei vornehmlich die Datierung im Auge zu haben; nicht minder verfälscht
sind aber auch die Aufschriften; denn in den Briefen J.-L. 4221 und
4347 heisst es gleichlautend: 'in abbatia nostra n o m i u e Romana' und
in denselben und in 3593 und 4220 ist die übliche Gruss- und Segens-
formel übereinstimmend erweitert zu: 'salutem et gratiara et aposto-
licam benedictionem'. Dass diese Aenderungen in Romans vorgenommen
sind, ergiebt der Brief Gregors VII. J.-L. 5068 : in dem Cartular von
Romans (Giraud L, Preuves p. 11) entspricht nämlich seine Aufschrift
ganz derjenigen der eben aufgeführten Briefe, in der Registerüberlieferung
aber (Jaffe, Bibl. II, 179) liest man 'in abbatia Roniana' und 'salutem et
apostolicam benedictionen'. Schliesslich möchte noch eine allgemeine
Erwägung die Ablehnung der erörterten Briefe empfehlen. Ob auch die
Vienner Sammlung gefälscht ist, so dürfte doch aus ihr die Zeit zu er-
schliessen sein, in welcher zuerst Romans mit der Liberias Romana be-
widmet worden ist; denn wäre es in Vienne, wo man es noch im Anfang
des zwölften Jahrhunderts genau wissen musste, bekannt gewesen, dass
schon ein Vorgänger Gregors VII. der Abtei die besagte Vergünstigung
gewährt hatte, ja hätte man auch nur Kunde von den Romanser Fäl-
schungen gehabt, dann wäre es ja nicht darauf angekommen, eine auf
Romans bezügliche Stelle auch vor Gregor schon in die Vienner Briefe
einzuflechten. 1) Jaffe, Bibl. II, 223: 'Viennensem' episcopum Heri-
mannum iuste depositum pro simonia, periuriis, sacrilegiis et apostasia,
quia Viennensem ecclesiam infestare non desistit, excommunicamus et
ecclesiis Romanensi et sancti Hyrenei Lugdunensi, quousque eas occu-
paverit, divinum interdicimus officium. Desiderium et Romanensis eccle-
siae clericos, qui reguläres nostros ab ea expulerunt et excommunicatis
communicaverunt, inde, donec satisfaciant, excommunicamus'.
94 Wilhelm Gundlach.
des Warmund, in die Schranken ', um dann aber — aus welchen
Gründen ist nicht ersichtlich — dem Ansinnen der Abtei Ro-
mans, die sich Rom völlig unterworfen hatte, zu willfahren
und sie mit der Libertas Romana auszustatten ; die Ausnahme-
stellung der Abtei kam vornehmlich in der Anordnung zum
Ausdruck: 'Prepositum vel abbatem seu cuiuslibet dispensa-
tionis ecclesiastice ministrum, nisi quem communis electio fra-
trum . . . elegerit, vobis preferri apostolica auctoritate pro-
hibemus'2. Fast mit denselben Worten hatte dann auch
Urban II. die Libertas Romana der Abtei sichergestellt*, als
mit Guido aus dem Hause der Grafen von Burgund ein
Erzbischof in Vienne emporkam, welcher, auf die Wieder-
beischaffiing aller verlorenen Güter und Rechte seiner Earche
eifrig bedacht, alsbald auch gegen die Freiheit der Abtei des
heiligen Barnard sich wandte *, Um ihr unumschränkter Herr
zu werden, bestellte er in ihr mit Bestechung und Gewalt einen
Stellvertreter 5; er erhob von Kirchen, welche der Abtei unter-
geben waren, unter Androhung kirchlicher Strafen gesteigerte
Abgaben, als wenn die Abtei kein selbständiges Verwaltungs-
gebiet hättet, und hetzte zwei Edelleute der Gegend auf ihre
Güter', jedenfalls in der Absicht, durch diese Feindesnoth
die Abtei sich gefügig zu machen. Dagegen schritt der Papst
Urban IL im Jahre 1095 ein^; er sperrte auf der Synode zu
Clerraont dem Erzbischof die misshandelte Abtei und unter-
sagte ihren Insassen, ihm irgendwie weiter zu gehorsamen, in-
dem er jede von Guido etwa angewandte Kirchenstrafe für
unwirksam erklärte. Da diese Massnahmen keinen Erfolg
hatten. Guido vielmehr sich abermals in der Abtei festsetzte,
so musste Urban seinen Legaten im Jahre 1097 anweisen, die
ganze Strenge der Gesetze den aufsessigen Kirchenfürsten
fühlen zu lassen^. Aber wenn auch der Papst Ernst machen
wollte, sein Befehl war nicht so schnell vollstreckt; denn der
Erzbischof war viel zu mächtig vmd im ganzen doch ein zu
getreuer Sohn der Kirche, als dass man ihm kleine Uebergriffe
1) Auf den Inhalt des Briefes J.-L. 5026 (1077 März 9) bin ich
schon S. 92 Anmerkung 1 eingegangen. Dass Warmund in der That
ein anderer Bischof und nicht mit Hermann dieselbe Persönlichkeit ist,
wie noch Giraud annimmt, indem er I, 77 n. 1 die Namen "Wormund,
Garmund, Arman, Herman, Eriman gleichsetzt, verbürgt das Verhalten
der päpstlichen Kanzlei, welche nicht einmal 'Herimannus', das andere Mal
'Wormundus' geschrieben haben kann (vgl. auch Gallia Christ. XVI, 69. 71.)
2) J.-L. 5068. Das Datum im Register: 1075 März 9 ist mit Recht
von Löwenfeld in 1078 umgewandelt worden. 3) J.-L. 5374: 1088
Dec. 7. 4) Vgl. Maurer, Calixt IL S. 27. 5) J.-L. 5591: 1095
Nov. 28. 6) J.-L. 5609: c. 1095. 7) J.-L. 5610: c. 1095; den
einen der Angreifer weist Maurer a. a. O. S. 33 Anra. 2 als Verwandten
und Vassallen des Erzbischofs nach. 8) Vgl. die in der 6. und 7. An-
merkung angeführten Briefe. 9) J.-L. 5685: 1097 Juni 4.
Arles und Vienne. 95
nicht hätte nachsehen, ihn etwa durch ein übereiltes Verfahren
zu einem Parteigänger des Kaisers hätte machen sollen. Da-
rum ist es wahrscheinlich, dass Guido der erneuten Bestäti-
gung der Liberias Romana zum Trotz, welche von Urban II.
im Jahre 1096 erfolgt war' und später von Paschal IL 1107
wiederholt wurde', thatsächlich der Gebieter der Abtei Ro-
mans blieb'.
Gerade dieser Zwiespalt zwischen Wirklichkeit und Recht,
das Verlangen, was thatsächlich im Besitz des Erzbisthums
war, nun auch mit Rechtstiteln zu belegen, dürfte die Ein-
schwärzung der einschlägigen Stellen in die Vienner Stücke
veranlasst haben : dass es zu einer Zeit geschah, als die Em-
pfindung des Widerspruches zwischen Jus und Factum noch
besonders lebhaft und nicht schon durch Gewohnheit stumpf
geworden war, dass Guidos Erzbisthum die Fälschung hat
entstehen lassen, ist danach wahrscheinlich; es wird noch an-
nehmbarer und Guido selber als der Vater des Gedankens
hingestellt, trotzdem die letzte Urkunde der Vienner Samm-
lung ihn schon als Papst erscheinen lässt, sobald man die
Angelegenheit der Grafschaft Salmorenc genauer imtersucht.
In der Vienner Sammlung verordnet Gregor VII. (J.-L.
5024) an bevorzugter Stelle, unmittelbar nachdem die Pri-
matial- und Metropolitangewalt des Erzbisthums bestimmt ist:
'Praeterea de Salmoriacensi archidiaconia unum nobis inti-
masti: consecrationes vel ordinationes et quicquid ad pontifi-
cale pertinet officium, sicut tuus praedecessor Leodegarius et
alii praedecessores firmius obtinuerunt, ita tibi tuisque suc-
cessoribus absque ulla inquietatione seu dirainutione obtinere
concedimus'; das nämliche wiederholt etwas kürzer an der-
selben Stelle seiner Urkunde (J.-L. 6822) Calixt IL: 'Sane in
Salmoriacensi archidiaconia consecrationes vel ordinationes et
quicquid ad pontificale officium pertinet Vienneusis ecclesia
1) J.-L. 5668: 1096 Aug. 18. Die zweite Bestätigung desselben
Papstes kann, durch die Angriffe erklärt, als Beruhigungsmittel für die
Abtei atifgefasst werden; denn etwa die erste J.-L. 5374, welche fast
genau mit Gregors VII. Verleihung übereinstimmt, als Fälschung zu ver-
werfen, scheint mir doch in der zu Romans veränderten Aufschrift ('in
abbatia nostra nomine Romana', 'salutem et gratiam et apostoli-
cam benedictionem'; vgl. S. 93 Anm.) allein nicht ausreichend be-
gründet. 2) J.-L. 6162: 1107 Juli 29. Paschal giebt auch die Be-
stimmung Urbans (J.-L. 5668), wonach die Liberias Romana auf die freie
von Rom zu bestätigende Abtwahl beschränkt scheint, fast wörtlich wieder,
verweist aber doch auch ausdrücklich auf Gregors Verfügung: 'iuxta
Gregorii pape Constitutionen!'. 3) Schon Giraud sagt (I, 123): 'Quant
k l'abbaye de Romans, Guy, malgre' la de'fense du pape, continuait h la
gouverner en maitre absolu'; und auch Maurer ist der Meinung (a. a. O.
S. 35 Anm. 5), dass Guido in der That seinen Willen durchgesetzt habe.
96 Wilhelm Gundlach.
praeter alicuius inquietationem seu diminutionem habeat' ».
Danach soll also ausgemacht sein, dass schon vor und seit
der Zeit des Leodegar (1030 — 1070) den Erzbischöfen von
Vienne in dem ganzen mit dem Namen Salmorenc belegten
Gebiete nicht nur die Weihen gottesdienstlicher Stätten und
geistlicher Personen, sondern alle Amtshandlungen eines Ober-
hirten kraft päpstlicher Verleihung und Bestätigung zuge-
standen haben.
Eine bis ins einzelne dringende Prüfung dieses Anspruchs
ist hier glücklicherweise möglich auf Grund eines Acten-
stückes, dessen Inhalt in der Ueberschrift sich spiegelt: 'Hec
scriptura dicit de iniuriis, quas fecit Guido Viennensis archi-
episcopus ecclesie Gratianopolitan^ et eiusdem ecclesi§ epi-
scopo Hugoni de pago Salmoriacensi'^. Rührt auch diese
Denkschrift von einem Gegner des Erzbisthums Vienne her —
Hugo von Grenoble ist ihr Verfasser — , so verdient sie doch
vollen Glauben, weil sie erstens, nach Austrag des Streites
verfasst, sine ira seinen Verlauf schildert und, ohne das Stu-
dium zu verleugnen, doch, so weit sie erhalten ist, eine ehr-
liche Entsagung bekundet, weil sie zweitens die massgebenden
Anführungen mit unantastbaren Schriftstücken belegt. Ihre
Enthüllungen hier zu würdigen ist auch darum erforderlich,
weil sie wie ein Schlaglicht zeigen, wessen Guido von Vienne
zum Ruhme seiner Kirche fähig war».
Wohlgerüstet, jeder ehrlichen Kampfesweise spottend, ist
der fromme Erzbischof ans Werk gegangen und zum Ziel
gelangt: die Bestrebungen für den Gottesfrieden, durch welche
Guido auch als Papst sich auszeichnet^, haben ihm wohl erst
eine thatsächliche Ueberlegenheit über den in ruhigem Besitz
verharrenden Gegner verschafft, ehe der Gedanke an einen
Angriff aufgekommen ist; es wird nämlich ausdrücklich das
Selbstvertrauen Guidos damit begründet, dass er 'eo tempore
1) Es muss unter allen Umständen befremden, dass nach dieser Be-
stimmung au die Worte, welche das Verhältnis der 'ecclesia Komanensis'
zu Vienne regeln (s. oben), noch angeschlossen wird : 'similiter in ecclesia
beati Donati'; denn die zuletzt geuannte Kirche dürfte keine andere sein,
als die angesehenste eben des pagus Salmoriacensis. 2) Marion, Car-
tulaires de l'e'glise cathedrale de Grenoble dits cartulaires de Saint-
Hugues (in der Coli, de doc. ine'd. sur l'hist. de France, Premiere Serie)
p. 49. 3) Für die Geschichte des Bisthums Vienne ist die Denk-
schrift Hugos schon benutzt von Charvet (Hist. de Vienne p. 311 — 317),
dessen Parteilichkeit Ollivier ('Notice historique et bibliographique sur
les cartulaires de Saint-Hugues') in den von Champollion-Figeac heraus-
gegebenen 'Documents hist. ined. tires des collections manuscr. de la
bibl. royale' I, 266 n. 1 beleuchtet hat, von Collombet (Hist. de Vienne I,
431—438, II, 16) und jüngst von Maurer (Papst Calixt IL, S. 28—35),
welcher auch ihre Glaubwürdigkeit vertbeidigt. 4) Vgl. v. Giesebrecht,
Gesch. der deutschen Kaiserzeit III'*, 946.
Arles und Vienne. 97
milites illius terr^ (sc. pagi Salmoriacensis) ad pacem facien-
dam coniuratos in manu siia tenebat'. Die Bemühungen, zu-
nächst in Güte das Ziel zu erreichen, führten zu keinem Er-
gebnis. Nachdem eine Unterredung mit Hugo von Grenoble,
dem Inhaber der Grafschaft Salmorenc, fruchtlos verlaufen war,
kam es in Romans zur Verhandlung vor einem aus vier
Bischöfen zusammengesetzten Schiedsgericht; Hugo vermochte
hier zwar nicht anzugeben, wie seine Kirche in den Besitz
des Gaus gelangt sei ; er konnte aber den Nachweis führen
('et scriptis et aliis testimoniis'), dass sie sich schon länger
als ein Jahrhundert im Besitz befinde ; die Vienner Partei da-
gegen behauptete, dass zur Sarazenen-Zeit — also nur wenig
mehr als hundert Jahre seien darüber hingegangen — der
seiner Stadt beraubte Bischof von Grenoble von dem Erz-
bischof von Vienne das jetzt streitige Gebiet nur zeitweilig
übertragen erhalten hätte, war aber der Aufforderung des
Nachweises nicht anders zu entsprechen in der Lage als durch
die Antwort: Yse) nuUum exinde scriptum habere, sed solum
vulgi rumorem sufficere'. Da der Urtheilsspruch gegen Vienne
ausfallen musste, Hess es Guido gar nicht dazu kommen; er
setzte sich vor allem in den thatsächlichen Besitz des strei-
tigen Landes ('violenter abstulit') und wartete das weitere ab.
Auf die Beschwerde des Bischofs von Grenoble in Rom, von
dem päpstlichen Legaten, dem Erzbischof Hugo von Lyon,
zur Untersuchung vorgefordert und zur Räumung des ange-
massten Gebietes verurtheilt, erwirkte Guido durch Bestechung,
dass ihm Papst Urban H. 'que iuris erant Viennensis §cclesi§'
bestätigte und dabei auch die Grafschaft Salmorenc mit ein-
begriff i. Die Benutzung dieser erschlichenen Urkunde gegen
Hugo von Grenoble hatte zur Folge, dass der Papst über den
Sachverhalt aufgeklärt wurde und nun am 16. Mai 1094 seinen
Legaten zu erneutem Einschreiten aufforderte ^ und den Bischof
von Grenoble von seiner Massregel verständigte s. Auf der
von dem Legaten nach Autun zusammenberufenen Synode
brachte Guido, nachdem früher kein Schriftstück für die An-
sprüche des Erzbisthums Vienne auf die Grafschaft Salmo-
1) Da Hugo von dieser Urkunde sagt: 'pro cuius impetratione,
sicut ipse nobis postea confessus est, quingentos soHdos in
Romana curia dispensavit', so wird durch den Zwischensatz nothwendig,
die Abfassung der ganzen Denkschrift in eine Zeit zu verlegen, in welcher
das gute Einvernehmen zwischen Guido und seinem arggeschädigten Suf-
fragan wiederhergestellt war. 2) In dem Briefe J.-L. 5523 sagt er zu
Hugo von Lyon : 'Si quas vero nostr^ auctoritatis litteras Viennensis ob-
iecerit, nosse vos volumus, quia nos nichil ipsi aut ^cclesi^ Viennensi
concessimus, nisi quod iuste hactenus possedisse cognoscitur, etiamsi per
subreptionem forte, quod absit, aliquid videatur extortum'. 3) Durch
den Brief J.-L. 5524.
Neues Archiv etc. XV. 7
98 Wilhelm Grundlach.
renc hatte vorgewiesen werden können, plötzlich 'cum insul-
tatione' eine alte Urkunde ('scripturam quasi multa vetustate
contritam') zum Vorschein, des Inhalts, 'quod Barnuinus Vien-
nensis archiepiscopus Isarno Gratianopolitano episcopo §ccle-
siam sancti Donati et Salmoriacensem pagum concessisset,
donec Gratianopolitan§ ecclesi§ pax a persecutione paganorum,
qua tunc vastabatur, redderetur'. Da Hugo seinen Gegner
nicht nur mit Schanden dadurch abführen konnte, dass er
geltend machte, der Erzbischof Barnoin von Vienne (886—
899) und der Bischof Isarn von Grenoble (950 — 976) seien
gar keine Zeitgenossen gewesen, sondern auch nachwies, dass
schon Alcherius, der Vorfahr des Isarn, wenigstens die Haupt-
kirche Saint- Donat in der Grafschaft Salmorenc auf Grund
einer Schenkung König Bosos und einer Bestätigung König
Ludwigs, seines Sohnes, besessen habe ', schaffte Guido seine
gefälschte 2 Urkunde schnell auf die Seite, berief sich aber
dafür nun auf die ihm von ürban ertheilte Bestätigung auch
der Grafschaft Salmorenc. Obwohl diese Berufung durch die
päpstliche Anweisung unwirksam gemacht worden war, kam
es doch zu keiner Verurtheilung Guidos; nachdem die ver-
sammelten Bischöfe vergebens einen Vergleich zwischen den
streitenden Parteien zu Stande zu bringen versucht hatten —
Hugo weigerte sich dessen — , wurde Guido von den Seinen
(^consilio canonicorum suorum') zu dem Versprechen vermocht.
1) Gemeint ist jedenfalls die Urkunde von 894 Aug. 11 (Böhmer,
Reg. Karol. R. 1449), iu welcher König Ludwig das 'donum, quod pius
genitor noster, Boso rex, fecerat de fcclesiis sanct§ Mari^ seu sancti
Donati' nicht dem Bischof Alcherius, sondern schon seinem Vorgänger
Isaak (892—922) bestätigt. Danach dürfte die gerade auf diese Stelle
der Grenobler Denkschrift sich gründende Meinung französischer Forscher,
'dass das Bisthum (Grenoble) und seine Hauptstadt mehrere Jahrzehnte
hindurch von den Saracenen occupiert gewesen seien, während der Bischof
inzwischen seine Residenz zu Saint -Donat genommen habe, das ihm
vom Erzbischof von Vienne als Zufluchtsort überlassen
worden sei' (Bresslau, Konrad II. II, 48) nicht zu halten sein.
2) Ueber den Fälscher und die besonderen Umstände der Fälschung
sind uns leider nähere Eröffnungen mit dem Schluss der Denkschrift
Hugos verloren gegangen; der Verfasser sagt nämlich p. 57: 'Innotuit
eodem tempore — von dem Jahre 1097 ist vorher die Rede gewesen — ,
divina nobis favente dementia, cartam illam, quam in Augustodunensi
concilio archiepiscopus Viennensium adversus nos de Salmoriacensi pago
protulerat, cercioribus inditiis falsam esse. Ille enim, cui scriptor eius-
dera carte infirmitate detentus confessus fuerat, nobis patefecit. Quem
scriptorem, nomine Sigibodum, sancti Ragnaberti monachum, per amicos
nostros, eiusdem cenobii monachos, evocatum apud monasterium, quod
Garnarium dicitur, ante altare beat§ Mari^ sub invocatione divine pre-
sentie excommunicationem intentando adiuravi. . . .' So endet der Be-
richt. Es scheint, dass nun der Inhalt des eidlichen Geständnisses folgte
vielleicht mit Beziehung auf ein damals aufgenommenes Protocoll.
Arles und Vienne. 99
auf einer Zusammenkunft in Vienne den Bischof von Grenoble
zu befriedigen. Dass das nur eine Ausflucht war, stellte sich
heraus, als Hugo an dem festgesetzten Tage erschien; er
musste unverrichteter Sache von dannen ziehen. Da die
heimischen Bischöfe, wie die Synode in Autun gezeigt hatte,
dem mächtigen Erzbischof von Vienne zu trotzen sich scheu-
ten, so mochte dem getäuschten Bischof von Grenoble die all-
gemeinere Kirchenversammlung willkommen sein, welche ge-
rade nach Piacenza ausgeschrieben war. Schon jenseits der
Alpen angelangt, traf Hugo 'apud Sanctum Ambrosium' i mit
Guido zusammen; er Hess sich hier von seinem Erzbischof
überreden', in der Woche der Synode vor dem Erzbischof
von Lyon den Streit zum Austrag zu bringen, und kehrte
zurück. Aber als er sich anschickte nach Lyon zu gehen,
langte eine Botschaft von Guido an, welche ihm den Vertrag
aufkündigte und den zum zweiten Male Betrogenen zu dem
Versuche zwang, nun in höchster Eile noch Piacenza vor dem
Schluss der Synode zu erreichen. Es gelang; Synode und
Papst entschieden zu seinen Gunsten. Aber selbst einer un-
mittelbaren Aufforderung des Papstes, die Grafschaft heraus-
zugeben und bis zu einem rechtskräftigen Urtheil sich jeder
Beeinträchtigung des Bischofs von Grenoble zu enthalten ■^,
leistete Guido keine Folge; selbst eine an die Insassen der
Grafschaft gerichtete Weisung, nicht dem Erzbischof von
Vienne, sondern lediglich dem Bischof von Grenoble gehor-
sam zu sein 3, führte nicht zum Ziel; und so musste sich denn
Urban entschliessen, als er bald darauf nach Frankreich kam,
die Sache selber in die Hand zu nehmen. Nach Romans vor-
geladen, erschien Hugo 'antiquis cartarum testimoniis onustus'*;
Guido aber liess die Abtei mit seinen Mannen so drohend
besetzen, dass der Papst eingeschüchtert wurde und, wie es
scheint, die Entscheidung auf die nächste Synode verschob '.
Diese endlich wurde der Vergewaltigung Hugos von Grenoble
gerecht; Urban verfügte die Herausgabe der Grafschaft, ent-
band bis zur Vollstreckung seines Urtheils den Bischof und
sein ßisthum von dem Gehorsam gegen den anmasslichen
1) In der Lombardei nach Collombet, Hist. de Vienne I, 436.
2) J,-L, 5548: 1095 März 12. Der Papst befiehlt dem Erzbischof von
Vienne : 'iit eandem investituram adimpleas et eum (Hugonem) quiete
possidere perraittas, donec aut ante nos aut ante legatum nostrum cano-
nico iudicio decidatur'. Die erschlichene Urkunde, auf welche sich Guido
in Autun gestützt hatte, ward feierlich für ungültig erklärt. 3) Es ist
der Brief J.-L. 5568: 1095 Mai 26. 4) Die auf Salmorenc bezüg-
lichen Actenstücke sind, wie schon Maurer S. 31 Anm. 1 hervorhebt, in
dem Cartularium A der Grenobler Kirche zusammengestellt: Marion p. 1.
5) So Maurer S. 32, dem ich hier folge.
7 *
100 Wühelm Gundlach.
Metropoliten » und wusste durch den Grafen Guigo in der
That die Auslieferung der Grafschaft an Hugo durchzusetzen.
Aber als Hugo zwei Jahre durch Krankheit von der Heimath
fern gehalten wurde, hat Guido abermals das lang umstrittene
Gebiet in Besitz genommen, abermals ist der päpstliche Legat
zum Einschreiten wider ihn aufgeboten worden ^, bis endlich
im Jahre 1107 Papst Paschal IL ein Abkommen vermittelte,
nach welchem das zwischen ßourne und Isere liegende Gebiet
der Grafschaft sammt der Hauptkirche Saint- Donat, vorbe-
haltlich der dem Erzbischof zugestandenen Weihen der Geist-
lichen und Altäre, an Grenoble fallen sollte, im übrigen aber
eine nach der Zahl der festen Schlösser bemessene gleiche
Theilung durchgeführt wurde 3.
Da nun nicht bekannt ist, dass jemals wieder um die
Grafschaft Salmorenc gestritten worden ist, so dürfte man
wegen des in den Vienner Briefen hervortretenden Strebens, der
Wirklichkeit zum Trotz die ganze Grafschaft der uneinge-
schränkten geistlichen Botmässigkeit des Erzbischofs von
Vienne zu unterstellen, die Fertigung der angegebenen Vienner
Schriftstücke in die Zeit Guidos verweisen, und um so eher,
als Guido erwiesenerraassen eine gefälschte Urkunde zu seinen
Gunsten zu verwerthen gesucht und einen Schreiber an der
Hand gehabt hat*, welcher es verstand, seinen Machwerken
das Ansehen hohen Alters zu verleihen ^. Zugleich wird für
die Fälschung der Vienner Sammlung aus der Angelegenheit
der Grafschaft Salmorenc der terminus a quo gewonnen : wäre
nämlich zur Zeit der Synode von Autun im Jahre 1094 die
Urkunde Gregors VH. J.-L. 5024, welche die ganze Grafschaft
dem Erzbisthum Vienne zuerkennt, schon vorhanden gewesen.
1) In dem Briefe J.-L. 5595: 1095 Nov. 29. 2) J.-L. 5685: 1097
Juni 4. 3) Paschal bekundet (J.-L. 6163: 1107 Aug. 2), dass die
Vereinbarung darauf gehe : 'ut eiusdem pagi equam divisionem facerent
et tarn Viennensi quam Gratianopolitane fcclesif pars eiusdem divisionis
vicinior redderetur; quiequid autem in territorio infra Bornam et Isarani
versus Gratianopolim constituto Viennensis arehiepiscopus calumpniabatur,
ab omni deinceps infestatione liberum Gratianopolitan^ ^cclesi§ cederet;
porro §cclesiam beati Donati, qu§ infra Vienuensem parrochiam contine-
tur, cum Omnibus mobilibus sive immobilibus ad eam pertinentibus Gra-
tianopolitanus episcopus iure proprietario possideret et tarn canonicas
ipsius ecclesie quam universa ad eam pertinentia ipse disponeret, Vien-
nensis autem parrochiali tantum iure in clericorum et altarium consecra-
tionibus uteretur. Pari ergo communique consensu Salmoriacensis pagi
talis est facta divisio, ut undecim castella cum ^cclesiis et parrochiis et
totis mandamentis suis Viennensi ^cclesig, item undecim castella cum
gcclesiis et parrochiis et totis mandamentis suis Gratianopolitan^ ecclesig
dederentur'. 4) Vgl. oben S. 98 Anm. 2. 5) Hugo von Grenoble
nennt die von Sigibod gefälschte Urkunde 'scripturam quasi multa vestu-
tate contritara' !
Arles und Vienne. 101
dann hätte Guido nicht nöthig gehabt, das gefälschte auf die
zeitweilige Ueberlassung der Kirche Saint -Donat an den
Bischof von Grenoble lautende Schriftstück vorzuweisen oder
die erschlichene Bulle Urbans II., welche Rom nachher ver-
leugnete, vorzuschützen.
Aber noch bleibt zweierlei zu ermitteln : der terminus ad
quem und der Grund, welcher den Streit um Salmorenc und
Romans mit dem Streit um den Primat verquicken und dies
alles in der nämlichen gefälschten Brief- und Urkundenreihe zu
Gunsten des Erzbisthums Vienne vorgeblich entscheiden Hess.
Was die zweite Frage anlangt, so wissen wir ', dass
Paschal II. den Erzbischof Guido von Vienne, nachdem Hugo
von Lyon zum Vertreter Roms im heiligen Lande ernannt
worden war, zum Legaten des apostolischen Stuhles in Gal-
lien bestellte, dass er ihn sogar mit einer Sendung nach Eng-
land betraute, um hier einen tieferen Einfluss zu erringen.
Wenn nun auch das englische Unternehmen kläglich scheiterte
— an dem Widerstände wie des Königs so des Erzbischofs
Anselm von Canterbury, welcher die Vertretung des apostoli-
schen Stuhles als ein Recht seines Erzbisthums in Anspruch
nahm — , so blieb doch dem Erzbischof Guido das Amt eines
päpstlichen Legaten für das gallische Land dauernd erhalten ^,
freilich nicht als ein Vorrecht seiner Kirche, sondern nur als
eine ihm persönlich übertragene Würde. Gerade dieser Sach-
verhalt reiht nun aber die Priraatangelegenheit den Angelegen-
heiten der Abtei Romans und der Grafschaft Salmorenc als
ähnlich beschaffen an; denn wie es sich bei diesen darum
handelte, die bedingten Rechte des Erzbisthums zu ergänzen,
so ist es auch bei dem Primat dem Fälscher darum zu thun,
was nur zeitweilig und persönlich gewährt worden war, als
ein altes Recht der Vienner Kirche aufzuzeigen s.
Darum — wegen dieser Berührung dreier Angelegen-
heiten — rauss Guido von Vienne, der mit Gewalt, Bestechung
und Betrug die Mehrung der Rechte seines Bisthums erstrebte
und erreichte, als der eigentliche Urheber der Vienner Briefe
betrachtet werden; er wird auch nicht von dieser Schuld ent-
lastet durch das letzte Stück (J.-L. 6822), in welchem er schon
1) Vg-i. Maurer S. 34 Anm. 4 und S. 48. 49, 2) Vgl. z. B. J.-L.
6313. 6456. 6467. 3) Dass ein Vorgänger Guidos schon einer ähn-
lichen Anwandelung nachgegeben und sich Amtshandlungen in einer
fremden Kirchenprovinz angemasst hat, dürfte aus einem Briefe des Erz-
bischofs Manasse von Reims an Gregor VII. hervorgehen (Labb^, Conc.
X, 362); der wegen Simonie ausser Amt gesetzte Erzbischof von Reims
beklagt sich nämlich bei dem Papste, dass "Warmund von Vienne angeb-
lich als Legat des apostolischen Stuhles in die Provinz Reims einge-
drungen sei, hier Priester entsetzt und wieder eingesetzt habe und erst
mit wohl gefüllten Taschen wieder abgezogen sei.
102 Wilhelm Gundlaeh.
als Papst Calixt IL erscheint. Da nämlich die Urkunde 'Petro
decano et canonicis sive clericis Viennensis ecclesiae' gewidmet
ist, so wäre es doch, die Echtheit vorausgesetzt, höchst sonder-
bar, dass der Papst, um sein Fälschungswerk zu krönen, seine
Ungeduld nicht bis zu einer Neubesetzung des damals erledig-
ten Bisthums hätte zügeln können; bei der Annahme einer Fäl-
schung ist aber darin der ersehnte terminus ad quem gegeben:
wäre nämlich das Stück nach dem Jahre 1121 entstanden, dann
wäre schwerlich jemals ein Fälscher darauf verfallen, statt
eines Erzbischofs den Decan Petrus und die Stiftsherren und
Geistlichen der Vienner Kirche als Empfänger einer Urkunde
auszugeben, welche vor allen den Erzbischof mit weit reichen-
den Rechten ausstattet. Die Wahl der genannten Empfänger
beweist, dass die Fälschung des letzten Stückes jener Zeit
angehört, während welcher Guido, obwohl er schon Papst
war, noch das Erzbisthum Vienne in seiner Hand behielt».
Also unter dem bestimmenden Einflüsse des Erzbischofs
Guido von Vienne ^ in der Zeit von 1094 bis 1121 sind die
Vienner Briefe und Urkunden gefälscht worden, in der Weise,
dass das jüngste Stück später, als Guido schon den Stuhl
Petri bestiegen hatte, den übrigen in Vienne noch angefügt
wurde, trotzdem aber die Gesammtheit der Epistolae Vien-
nenses demselben Fälscher beigelegt werden darf.
Sollte selbst nach den gepflogenen Erörterungen an der
Unächtheit der Epistolae Viennenses, welche nicht nur einen
Schatten bis in die deutsche Verfassungsgeschichte hinein-
geworfen haben ^, sondern auch die Entwickelung des Pri-
mates in Gallien völlig zu verdunkeln geeignet sind, noch ein
Zweifel übrig sein, so wird er sich verflüchtigen, indem man
einen Blick auf die Geschichte des gallischen Primates wirft
und dabei wahrnimmt, wie wenig seine Entwickelung mit den
Ansprüchen des Bisthums Vienne sich vereinen lässt.
1) Es kommt dazu, dass von einer Ausübung der bestätigten Ge-
rechtsame in der Zeit der Urkunde nichts verlautet, vielmehr nachzuweisen
ist, dass die ganze Primatialherrlichkeit auf hochtönende Titel beschränkt
blieb (vgl. Pagi ad a. 1120 n. 5). 2) Wenn man bedenkt, dass der Erz-
bischof im Wesen auch noch der Urheber des Pseudo-Turpinus ist (vgl.
Wattenbach, Geschichtsq. IP, 222), so wird man das Urtheil nicht zu
schroff finden, dass das Vienne des Erzbischofs Guido ein wahres Fälscher-
nest gewesen ist. 3) Die anni patriciatus Karls des Grossen und Lud-
wigs des Frommen, nach welchen in den Briefen J. -E. 2412 und 2549
datiert wird, haben Waitz (Verfassungsgesch. III^, 180 Anra. 2) und
Simson (Ludwig der Fr. I, 74 Anm. 4) beschäftigt.
III.
Handschriftliches aus Frankreich.
Von
Ernst Sackur.
I.
Zur Vita Odonis abbatis Cluniacensis auctore
lohanne.
Der Cod. Paris, lat. 5566» saec. XI ex. 80 enthält von
fol. 21—58' eine Vita S. Odonis abb. Cluniacensis, welche,
wie sich aus der Widmungsepistel ergiebt, zur Zeit des Abtes
Hugo von Cluny verfasst wurde. Der Autor dieser Lebens-
beschreibung war bei der Leetüre der älteren Vita auf man-
cherlei Mängel gestossen. Er hatte an dem Bericht über die
Ordination Odos, sowie an der Schilderung seines Todes An-
stoss genommen. Bei der Correctur, die er nun besorgte,
nahm er sogar die Wahlurkunde zur Hand und schob einen
Excurs über Berno ein. Er hat auch, wie er selbst äussert,
ein Gedicht des Bischofs Hildebold, das Abt Hugo ihm zu-
gesandt hatte, benützt und gegen den Schluss wollte er das
Wachsthura Clunys und die Verdienste Wilhelms von Aquita-
nien, Bernos und Odos um das Kloster ins rechte Licht stellen.
Es kommt nun darauf an, festzustellen, welche Vorlage
der Autor benutzte. Auf den ersten Blick wird klar, dass er
die Lebensbeschreibung vor sich hatte, die Odos Schüler lo-
hannes^ verfasste, aber wir bemerken eben so schnell, dass
diese Vita in unserer Bearbeitung in veränderter Gestalt auf-
tritt. Weiter ergiebt sich bald, dass diese veränderte Fassung
nicht erst von dem Bearbeiter herrührt, sondern, dass neben
der uns bekannten Vita Odonis, auctore lohanne, eine zweite
Recension vorhanden war, die bereits fertig dem späteren
Corrector vorlag. Diese Recension ist für sich im Cod. Paris,
lat. 5386 saec. XH/XHP auf fol. 165—175' erhalten. Hier
1) Die Handschrift zählt 67 Blätter und beginnt mit den Worten 'ali;i
die primo diluculo' in der Vita S. Nazarii. F. 5': 'In processione sancti
Celsi admissa leetio'. Es folgen mehrere Hymnen und Predigten bis
f. 20'. F. 58: 'Incipit epistola Aviti presbiteri ad papam Paleonium'.
Rother Ledereinband mit Goldpressung und dem Monogramm L. P. Auf
dem Rücken: Passio SS. Nazarii et Celsi etc. 2) Ueber die Ausgaben
vgl. jetzt Mon. Germ. SS. XV, p. 586 f. 3) Schrift in zwei Columnen.
Der Cod., der verschiedene Heiligenleben und Auszüge aus Schriften des
Sulpicius Severus und Cassian enthält, ist am Rande stark verstümmelt.
Fol. 165: 'Incipit prologus de vita patris nostri Odonis sanctissimi abbatis.
Odo vir beatissimus — pater dulcissimus. Explicit Prologus. Incipit vita
eiusdem venerabilis Odonis abbatis'. Endet fol. 175' unten mit den Worten
106 Ernst Sackur.
findet sich eine allerdings nicht ganz vollständige Vita Odonis,
die vollkommen mit der im Cod. 5566 vorhandenen über-
einstimmt, nur dass die oben characterisierten Aenderungen
resp. Einschübe fehlen, die der Autor des 11. Jahrhunderts
als sein geistiges Eigenthum bezeichnet. Zwei Fragen stellen
sich jetzt ein : ist diese Recension noch ein AVerk des Johannes
und wenn dies der Fall, ist sie älter oder jünger als die bisher
allein bekannte Fassung?
Die erste Frage wird deshalb zu bejahen sein, weil ge-
wisse Aeusserungen in der zweiten Recension die Annahme
einer späteren Bearbeitung durch einen anderen Verfasser nur
auf Grundlage der Vita des Johannes unbedingt ausschliessen.
Wenn in unserer Recension allein I, c. 33 mit den Worten:
'Nunc vero restat, ut quidquid de eins patientia ad meam
pervenit notitiam, fratrum auribus pandamus', sodann I, c. 37
mit dem Satz eingeleitet wird: 'Sepius vero fratres, cum qui-
bus conversatus sum et quam plurimi ex ipsis finibus retule-
runt, quod hoc Signum per venerabilem patrem Odonem Deus
voluisset perficere. Utrum vero verum sit, fratrum iudicio
relinquo' — , so können diese Uebergänge nur von Johannes
selbst herrühren, da sie in der bekannten Recension nicht stehen,
die berichteten Thatsachen sich jedoch schon in dieser finden.
Die neue Fassung enthält eine Anzahl Capitel mehr, als
die bekannte: auch hier verräth die Bezugnahme auf die Ge-
währsmänner, dass diese Abschnitte keinem andern, als lo-
hannes selbst angehören. So erzählt er eine Geschichte, die
der Presbyter Petrus von Farges 'de eodem patre mihi tem-
pore conversationis meae narrare consuevit'. Eine andere
Anecdote pflegte der Presbyter Angelus im Kloster St. Paul
zu Rom 'me audiente' zu berichten. Von seinen Beziehungen
zu St. Paul spricht Johannes öfter in der bekannten Recension 2.
Endlich erzählt der Verfasser: 'Eodem vero tempore duo pres-
biteri ex hac urbe Salernitana comitati sunt eum' etc.
'Hi namque sepius mihi iure iurando professi sunt' etc. — Es
ergiebt sich daraus mit Deutlichkeit, dass er in Salerno
schrieb, während auf der andern Seite auch lohannes wenig-
stens zeitweise sicher in Salerno lebte und den Mönchen eines
dortigen Klosters seine Vita Odonis widmete.
Hat nun Johannes, wie aus den angeführten Thatsachen
nothwendig folgt, auch jene neue Recension verfasst, so ent-
steht die Frage, welche von beiden die ältere ist. Sicherlich
die bekannte Vita. Schon der Umstand, dass sie nicht später.
'praesumpsisset agere'. Der Rest ist verloren. Fol. 176: 'Incipit prologus
Cassiani ad Castorium Papam in instituta ceuobiorum'. 1) Vgl. SS. XV,
p. 586 n. 2.
Handschriftliches aus Frankreich, 107
als 943, also ein Jahr nach Odos Tode geschrieben, macht
es nicht Avahrscheinlich, dass schon vorher noch eine Lebens-
beschreibung entstanden war; dann aber ist manches Andere
für diese Annahme ausschlaggebend. So entsprechen dem
Anfang von Joh. Vita Odonis II, c. 16 : 'Meminisse v o s volo,
fratres, quod praeterito anno ille peregrinus, qui se de
familia patris nostri esse fatebatur et lerosolymam ascendere
festinabat, coram vobis de patre nostro bis terque narravit'
in den neu herangezogenen Handschriften die Worte: 'Nee
illud praetereara, quod coram omnibus fratribus meis quidam
peregrinus, qui se de familia patris nostri esse fatebatur
Iherosolimam proficiscens bis terque narravit'. Charakteristi-
scher Weise ist hier 'praeterito anno' fortgelassen i, die Brüder,
die der Verfasser vorher angeredet, d. h. die von Salerno,
nennt er jetzt seine Brüder. Wird durch diese Identification
klar, dass Johannes in der That in einem salernitanischen
Kloster lebte und schrieb^, so sehen wir andererseits, dass die
bisher unbekannte Fassung für ein fremdes Stifte verfasst
wurde. In dem Capitel, in dem er berichtet, dass zwei Priester
den Abt von Salerno auf den Monte Gargano begleiteten, fährt
Johannes fort: 'Unus namque eorum, qui actenus super-
est, lacinctus nuncupatur', eine Ausdrucksweise, die auf einen
längeren zeitlichen Abstand zwischen den Ereignissen und
der Aufzeichnung hindeutet. Ganz besonders wesentlich für
unsere Frage muss aber eine Vergleichung des Bestandes
beider Fassungen werden. Bemerken wir nämlich, dass in der
handschriftlich überlieferten Recension fehlen: I, c. 22 (Ende).
23. 25-28. 30-32. 35 (Ende). 36. 38 (Schluss); 11, c. 3—13.
21; III, c. 1 — 4. 6. 7^, d. h. alle die Abschnitte, welche sich auf
klösterliche Einrichtungen beziehen, alle subjectiven Aus-
führungen und Excurse, weitere Abschweifungen, wie die
über Odos Gefährten Adhegrin, die Capitel, in denen die
Caritas des Heiligen mit Beispielen belegt wird, so wird etwa
alles das vermisst, was nicht unmittelbar zur Sache gehört
und was bei späterer Zusammenfassung gut entbehi't werden
konnte : ein Verhältnis, welches entschieden für das höhere
1) Allerdings sind die Zeitbestimmung-en in andern Fällen, wie II,
c. 15 u. c. 22 'ante hoc trienninm' auch in der neuen Recension geblieben.
2) Dadurch ist nicht ausgeschlossen, dass er vorher Prior in St. Paul war,
wie L. V. Heinemann SS. XV, p. 586 n. 2 annimmt. . Aus dem 'fratribus
meis' kann man sogar schliessen, dass Johannes nun Abt in Salerno war.
In der That ist die Vita Odonis in Codes Par. 5365 überschrieben: 'In-
cipit prologus in Vita S. Oddonis abbatis edita a reverendissimo lohanne
abbate Salernensi. 3) Vielleicht für De'ols, worauf die mehrmalige
Nennung des Grafen Ebbe deuten könnte. Vgl. unten S. 111. 4) Vgl.
übrigens S. 108.
108 Ernst Sackur.
Alter der längeren Fassung spricht, während das Fehlen der
wenigen Abschnitte, die die kürzere mehr hat, in jener vermuth-
lich dem Umstände zuzuschreiben ist, dass der Verfasser zur
Zeit der Abfassung der umfangreicheren Recension die be-
treffenden Geschichten nicht im Gedächtnis hatte oder über-
haupt nicht kannte.
Die Rec. B, wie wir die neue Fassung nunmehr im Ge-
gensatz zu A, der schon bekannten Vita Odonis, bezeichnen
können, weicht in der Anordnung von dieser beträchtlich ab.
Folgende Tabelle, in welcher die Capitel nach der bekannten
Vita gezählt sind, wird den Bestand veranschaulichen :
I, c. 1—22.
c. 24.
c. 29.
c. 33 — c. 35 ( — sunt intextae).
c. 37. 38 ( — migravit felix ad Dominum. Cui
est gloria et honor in secula seculorum).
II, c. 1 (von Igitur pater Odo electus).
c. 2 ( — facultatulara extenderet).
c. 23 ( — absolutione defunctus est).
III, c. 8-11.
II, c. 16-20.
Ungedruckte Capitel 1 und 2.
III, c. 5.
II, c. 14. 15.
Ungedruckte Capitel 3 und 4.
Hier bricht nun kurz vor dem Ende der Geschichte
die Recension im Cod. 5386 ab. Ob das Folgende, das
Cod. 5566 allein bietet, auch ganz in der Vorlage des späteren
Bearbeiters gestanden hat, ist zweifelhaft. Es schliesst sich
nämlich als Uebergang zur Schilderung des Todes Odos eine
Ausführung über den Reformeifer des Abtes und seine per-
sönlichen Tugenden an, mit den Worten: 'Longum est, si
veliraus gesta eins vel dicta per singula describere' beginnend.
Dann geht die Vita auf II, c. 22 über: 'Ante hoc triennium,
dum essemus apud beatum Paulum Romae'. Vielleicht rührt
der erwähnte Uebergang erst von dem Bearbeiter her, der
dann das Ende der ihm vorliegenden Redaction verkürzte und
nur theilweise wiedergab.
Auf II, c. 22 folgt das Schlusscapitel III, c. 12, welches
das Ableben des Abtes schildert. Da es ganz und gar mit
der bekannten Joh. Vita Odonis übereinstimmt, kann natürlich
nicht daran gezweifelt werden, dass auch das Zwischenglied
zwischen beiden Arbeiten, die Rec. B dasselbe genau so ent-
halten hat.
Sachliche Unterschiede zwischen Rec. A und B, in Dingen,
Handschriftliches aus Frankreich. 109
die beide gemeinschaftlich berichten, finden sich nur ein Mal i.
Lib. I, c. 8 heisst es in A: 'Qua de re intra domum Guillelmi
me (sc. Odonem) tradidit serviturum comiti', B: 'Ebboni
traditus est serviturus comiti'. Lib. I, c. 11 hat A: 'Inter hos
vero affuit comes Fulco, qui eum nutriverat' etc., B : 'Inter hos
vero afFuit comes Ebbo, qui eum nutriverat' etc. Während
in A (I, c, 21) die Bekanntschaft Odos mit dem Kriegsmann
Adhegrin an eine schwere Krankheit Fulcos v. Anjou geknüpft
ist, findet sich davon in B keine Spur. Ob diese Ausmerzung
des Namens Fulcos noch von Johannes herrührt, oder ob viel-
leicht ein Mönch von Deols, eines von Ebbo gegründeten und
Berno zur Leitung übergebenen Klosters, durchaus für den
Abteistifter die anderweitig Fulco zugeschriebenen Verdienste
in Anspruch nehmen wollte, muss dahingestellt bleiben.
Was nun den Text beider Handschriften anbetrifft, so
ist der des Cod. 5566(1) der ältere und bessere 2. Er ist
deshalb auch bei der Wiedergabe jener unbekannten Capitel
der Rec. B, die auch im Cod. 5386 (2) erhalten sind, zu
Grunde gelegt und nur insofern davon abgewichen worden,
als für die verschiedenen willkürlich gesetzten e, ^ und ae in
den in beiden Handschriften erhaltenen Stücken eine einheit-
liche Schreibweise vorgezogen wurde. Eine andere Hand hat
dann in 1 noch corrigiert, Aenderungen, die aber für die
ursprüngliche Textgestaltung von Rec. B nicht in Betracht
kommen. Zuerst sollen die unbekannten Abschnitte, welche
derselben angehören, zum Abdruck gelangen, sodann die Stücke,
welche später eingeschoben wurden.
1. Aus Recension B der Vita lohannis.
(Cod. 5566. f. 50'. Cod. 5386. f. 174.)
1. Neque hoc reticendum puto, quod quidam religiosus
vir, nomine ^ Petrus, Fabricanae * ecclesiae presbiter ^ de eodem
patre [nostro«] mihi'' tempore conversationis meae* narrare
consuevit^. Aiebat'" namque, quod vir quidam erat sceleratae
vitae habitans iuxta ecclesiam suam miliario >« quarto in vico '^^
qui proprio Vaduscinie »3 dicitur. Plane inter diversa scelera,
quibus infelix eins animus volutabatur, hoc inpudice abusus
1) Es sei bemerkt, dass in B die directe Rede, die A Odo mitunter
in den Mund legt, in episelie Erzählung verwandelt ist. Natürlich sind,
wie aus den angeführten Beispielen schon ersichtlich, bei der abweichen-
den Anordnung die Uebergänge häufig verändert. 2) Charakteristisch ist,
dass Cod. 5386 den Namen der Mutter Odos 'Silvia' nennt, den weder
die Vita Odonis A, noch Cod. 5566 kennen: er ist selbstverständlich
erfunden. 3) Fehlt 2. 4) Farges, arrond. Mäcon, canton Tournus.
5) 'presb. Fabr. eccl.' 2. 6) Nur in 2. 7) 'michi' 2. 8) 'mee
convers.' 2. 9) In 1 aus 'vif corrigiert 'verat'. 10) 'agebat' 2.
11) 'miliari' 2. 12) 'vicum' 2. 13) 'vaduscinii' 2.
HO Ernst Sackur.
est, ut vivente uxore una» domum duceret allam, Qui cum
multo tempore in his malis vitam scelestam ^ duceret, die
quadam contigit, quod^ venerabilis pater Oddo a Roma ve-
niens secus domum eiusdem viri iter suum perficeret. Viam
vero eandera magna luti praeoccupabat congeries. Igitur qui
praecedebant cum, alii^ ibidem concideruut, alii vero cum
magna difficultate transierunt. Praedictus vero pater tam se-
curus et immunis idem ^ transivit lutum, veluti si « equus eius
siccum calcaret arvum. Quod factum intuens vir ille scelestus,
pedem illius tenuit et, ut in domum suam declinaret, obnixins'
deprecatus est. Quod et factum est. Interea virum illum
videres* huc illucque discurrere, mensam ponere, servitium
irapendere et, quemadmodum tanto patri placeret, strenue per-
quirere, Videns autem praedictus pater easdem mulieres per-
cunctari cepit eundem virum, quid» ad sc pertinerent. Ille
vero uxores'o suas [utrasque '»J esse professus est. Tunc
pater sanctus: 'Elige', ait, 'unam'^ e duabus ; aut iuuiorem
[mulieremJ3| proice, aut de [hac'*] domo tua protinus egre-
diar'. Nee moram in faciendo vir ille passus est, sed uxorem
iuniorem'^ protinus abiecit et reatus sui penitentiam [de
bigamio i"] egit. Sicque vir a raorte animae patris nostri voce
suscitatus est. Sicsic tantos a sepulcris malae concupiscentiae
Deo reddidit vivos, quantos nee lingua cuiuslibet promere nee
stilus potest '' explicare.
2. Alio rursus tempore Romam proficiscens devertit in
vicum, qui proprio ad Aquampendentem '* dicitur. Erat
autem tempus vindemiae. Interea dum hi, quibus iniunctum
erat offitium, emerent, quae necessaria videbantur esse '9, ipse
ad ecclesiam comite fratre*" sacerdote, qui ei missam caneret,
profectus est. Quam videlicet obseratam cum repperisset-',
sacerdotem cepit querere, qui eam reseraret. Dictum namque
est ei 22^ quod ecclesiae presbitcr alio in loco esset. Quo
audito venerabilis pater accessit ad quendam rusticum, qui
iuxta eandem ecclesiam paucos racemos in torculari^^ calca-
bat euraque non dedignatus est rogare, quo sibi clavem de-
ferret ecclesiae? Cui rusticus: ^Obsecro', ait, 'pater, sine [me^*]
paulisper, quo egeram mustum a torculari ^5^ deinde quod iubes,
1) 'prima' 2. 2) 'scelestem' 2. 3) 'quo' 1 ; 'contigit, ut die qua-
dam' 2. 4) 'aliqui' 2. 5) 'eundem' 1. 6) 'si' fehlt 2. 7) 'ob-
nixe' 2. 8) 'vid. vir. illum' 2. 9) 'quod' 1 ; o durch einen verticalen
Strich in 'i' corrigiert. 10) Die Worte von 'percunetari — uxores'
fehlen 2, 11) Nur 2. 12) 'unum' 2. 13) Nur 2. 14) Nur 2.
15) 'iuvenculam' 2. 16) Nur 2. 17) 'valet promere nee stilus ex-
plicare' 2. 18) 'aquam pendens' 2. — Acquapendente an der Grenze
von Toscana und Umbrien. 19) 'videb. esse neces.' 2. 20) 'fr. com.' 2.
21) 'reperisset' 2. 22) 'ei est' 2. 23) Nur 'torculare' 2. 24) Nur 2.
25) 'torculare' 2.
Handschriftliches aus Frankreich. 111
faciam'. Et pater sanctus ad illum i : 'Ne pigriteris ire neque
pigeat ^ te iniunctum opus perficere, quia proderit tibi'. Mox
itaque rusticus inperata^ complevit. Videres interea torcular
effluere mustum'^, redundare* susceptorium et rustici^ non
sine ammiratione atque stupore cuncta repleri'' vascula. Ex-
pleta tandem venerabilis pater oratione egressus ab ecclesia,
occurrit ei rusticus gratias agens pro coUatis^ sibi beneficiis.
Quem videlicet® providus pater bis cum a se verbis sprevit
et abiecit: 'Recede a nie, o homo, quid dicis, nescio'^**. Siqui-
dem '1 magna facere omnino fugiebat, videlicet ut ea, quae
fiebant; non suae bonitati^ sed Domini miserationi deputa-
ret'2.
3. Eodem vero tempore »^ duo presbiteri ex hac'* urbe
Salernitana comitati sunt eum orationis gratia usque ad Mon-
tem Garganum. Unus namque eorum, qui actenus superest,
lacinctus nuncupatur. Hi namque sepius mihi iureiurando
professi sunt, quod in eodem itinere, dum per singulas Loras
canonicas se cum fratribus*^ in terra'" prosterneret, licet fre-
quenter plueret, unam pluviae guttam super eum cadere non
videbant'''. Sic enim eum divina tuicio'* protegebat, ut, cum
elevaretur a terra, ita eins videbantur sicca vestimenta, veluti
celum non 19 plueret nee terra aquis madefieret.
4. Sed neque et illud silentio puto praetereundum ^o^ quod
coram venerabili valde viro domno Balduino^i abbate fratribus-
que22 sui monasterii quidam presbiter nomine Angelus sepius
iureiurando me andiente narrare consueverat. Aiebat -^ nam-
que, quod nocte quadara in eodem monasterio venerabilis
pater Oddo 2* post nocturnas laudes privatasque orationes fati-
gatus, dum supra quoddam^s scamnum se sopori dedisset,
apparuisset ei 26 quidam vir senex veneranda^' canitie, ferens
manu candidam vestem pelliceam ^«^ proficiscensque '^^ velociter
ad eundem locum, in quo se sopori dederat vir beatissimus,
stetit super eum. At vero presbiter [Angelus -^"j^ dum ex ad-
verso staret, considerare cepit diligenter simulque inspicere.
1) 'eum' 2. 2) 'pudeat' 2. 3) 'imperata' 2. 4) 'musta' 2.
5) 'redundare' 2. 6) 'rusticum' 2. 7) 'replere' 2. 8) 'pro collatis
agens' 2. 9) 'autem' 2. 10) 'nescio quid dicis'. 11) Nach 'Si-
quidem' in 1 'nimirum', dann aber getilgt. 12) 'Dom. tribueret mis.' 2.
13) Diese Reise Vita Od. II, c. 15: 'ante hoc triennium' d. h. 940 oder
941 gesetzt. 14) In 1 getilgt. 15) 'cum fratribus se' 2. 16) 'ter-
ram' 2. 17) 'una pluvif gutta cadere non viderent' 2. 18) In 1
'tuicio' ausradiert und 'dignatio' übergeschrieben. 19) 'veluti nee celum
plueret' 1. 20) 'pret. puto' 2. 21) 'Baldoino' 2. 22) 'eiusque
fratribus' 2. 23) 'Agebat' 2. 24) 'Odo' 2. 25) Fehlt 2. 26) Fehlt 2.
27) 'venerande' 2. 28) 'pelliciam' 2. 29) 'proficiscensque' in 1 corr.
in 'profectus est' und 'stetit super eum' in Folge dessen ausgelassen,
30) Nur 2.
112 Ernst Sackur.
quid vellet is, qui ei appai'uit, facere^ putans esse quendam
senem monachura, nomine Feraldura, eiusdera monasterii de-
canum. Porro vir ille, qui ei apparuit^, accessit ad locum^,
in quo vir iaeebat sanctissimus, cooperuitque eum eodem vesti-
mento et recessit. Interea praedictus presbiter vehementer in
corde suo irasci cepit contra Feraldum ^, quem diximus •*, cur
hora incompetenti talia praesumpsisset agere^. Sequenti vero
die sedata nocturna commotione vocavit eundem Feraldum et
de hoc facto percontare cepit eum. lUe vero, quia huius rei
erat nescius, cepit iurare, se, quod dicebat, nescire. Tunc
patenter omnibus claruit, quod angelicis ministeriis tueretur
ubique pater sanctissimus.
5. Longum est, si velimus gesta eius vel dicta per sin-
gula describere. Neque enim omnino totum valet coraprehendi,
quod per illum et in illo Christus voluit operari. Sed iam
tempus est nos declarare, qualiter divin§ pietatis dignatio
sanctum virum ex hac miserabili corruptione vocaverit et pro
studio pii laboris celestem mercedis recompensationem contu-
lerit. kSed ut ex eius laudabili vita adhuc parum perloquamur,
cum eius doctrina et virtutum fama per omnem iam pene
Italiam celebris haberetur, decreto sanctae sedis apostolice et
totius populi Romani concordi petitione illam famosissimam
materiali dico opere simul et apostoli corpore SANCTI PAULI
suscepit ecclesiam, ut in ea monastic^ religionis institueret
regulam et ad salutem plurimorum profuturam sanctae veri-
tatis disponeret formam. Quo in loco positus et, ut ita dica-
mus, tanti apostoli vicarius effectus more apostolico viam fidci
et pia semina verbi multis commendat atque in eorum cordi-
bus lumen veritatis inflammat. Memor vero illius sermonis:
'Castigo corpus meum et in servitutem redigo, ne aliis prae-
dicans ipse reprobus inveniar^', corpus proprium ieiuniis,
vigiliis, orationibus et cetcris sanctarum virtutum operibus
tanto instantius, quanto iam suae vocationi proximus affligit
et ut verus athleta rigidis palestris iam senilia membra con-
vellit. Unde factum est, ut, dum sibi tanto diutius, quanto
et devotius ob sanctorum apostolorum conversaretur gratiam,
verbo simul et exemplo fratribus ibi positis sanctae iustitutio-
nis formam secundum illud apostolicum praeceptum arguendo,
obsecrando, increpando tradidit et locum illum in sancta reli-
gione et monastica perfectione consummatum reddidit atque
tamquam lucernam cunctis ipsius regni monasteriis pro speculo
exhibuit. Ubi etiam per illum quoddam contigit miraculum
non exceptis ceteris singulariter solum, sed de multis unum
nobis manifestum, quod nostrae narrationi videtur inferendum.
1) In 1 in 'apparuerat' verbessert. 2) scamnum 2. 3) 'feraldnm-
que' 1 und 2. 4) 'putabat' 2. 5) Bis hierher reicht die Vita in 2.
6) Cf. 1. Cor. 9, 27.
Handschriftliches aus Frankreich. 113
2. Die anonyme Vita des 11. Jahrhunderts.
Von der Rec. B wich der Verfasser der späteren Be-
arbeitung nur in zwei Punkten ab. Einmal schob er in I, c. 22
nach dem Satz: 'In ea namque erat monasterium, in quo
Berno abba regimen tenere videbatur' seinen Excurs über
Berno ein. Sodann gab ihm die Kenntnis von Bernos Testa-
ment ' Gelegenheit, die Darstellung des Johannes zu corrigieren.
Während B. am Ende des 1. Buches, das mit der Abtwahl
Odos schliesst, I, c. 38 nach 'tali ministerio proclamabat prae-
fuisse' fortfährt: 'Rogabat — migravit felix ad Dominum, cui
est gloria et honor in secula seculorum', um darauf mit Aus-
lassung des Uebergangs vom 1. zum 2. Buch mit den Worten:
'Igitur pater Odo electus' in das 1. Capitel desselben über-
zuspringen, gestaltet der Anonymus den Bericht nach 'pro-
clamabat praefuisse' um und berichtet entsprechend der ange-
führten Urkunde Bernos, um dann ins 2. Capitel des 2. Buches
überzugehen und nach den Worten 'facultatulam extenderet' sich
wieder an B. anzuschliessen. Während nämlich nach Johannes
Odos Abtwahl zu Bernos Lebzeiten als unbestrittene und er
als alleiniger Abt erscheint, sehen wir aus Bernos Testament,
dass der Gegensatz der beiden Richtungen in Beaume, der
Widos und Odos, auch bei der Bestimmung des Nachfolgers
ihren Ausdruck gefunden, und dass Berno sich kurz vor
seinem Tode hatte entschliessen müssen, die ihm untergebenen
Abteien unter die beiden Parteiführer zu theilen. Von den
in der Vorrede versprochenen Ausführungen gelegentlich der
Schilderung von Odos Ableben ist dagegen nichts zu sehen,
sei es, dass sie überhaupt nicht geschrieben wurden, sei es,
dass sie nur in unserer Handschrift ausgefallen sind. Was
nun gar das Gedicht Hildebolds betrifft, so wird es schwerlich
viel Thatsächliches enthalten haben. Hat es unser Autor
überhaupt benutzt, so kann er ihm für seine Einschübe höch-
stens ein paar Phrasen entlehnt haben.
Incipit prologus in vita sancti Odonis abbatis.
Reverentissimo patri domno Hugoni abbati sancti Petri
frater quidam humillimus monachorum praecipue dilectionis
votum et totius obsequii famulatura.
Cum summum Studium, o venerabilis pater, eruditis et
religiosis viris fuerit in describendis gestis sanctorum ad in-
formationem et institutionem audientium, utile nobis videtur,
ut et nos, quaravis ignari et a vera scientia procul remoti,
secundum datum nobis raodulum ingenii, si quid valemus et
ex sanctorum actibus memoria dignum agnoscimus, auribus
fidelium et, si non declamatorie, saltim humiliter vel devote
offeramus. Est enim fides vere credentis, Domino magis pla-
1) Gedruckt Bibl. Cluniacensis col. 9 ff.
Neues Archiv etc. XV. ö
114 Ernst Saekur.
cere qualitatem offerentis, quam quantitatem muneris. Hoc
ideo dicimus, vestr^ fraternitati notum facere volentes, quia
vitam domni Odonis humili quidem, sed fideli stilo digestam
percurrentes invenimus aliqua circa eius Ordinationen! depra-
vata, quaedam vero de eius transitu minus perfecta. Compul-
sus igitur hortatu seniorum et fratrum nostrorum>, ut in eadem
vita patris Odonis con-igendi Studium daretur, praeceptis eorum
obsecundans, veteres cartas ordinationis et electionis eiusdem
metrumque domni Hildeboldi episcopi - nobis nuper a vobis
directum diligenter revolvi et, prout valui, in supradicto opere
depravata mutavi et imperfecta supplevi. Inserui praeterea,
ubi oportunus locus se praebuit, quomodo vel qualiter vir
ammirabilis fidei et summ§ religiouis Berno in sancta insti-
tutione tam laicali quamque etiam in monachili habitu positus
profecerit et quam pi§ su§ professionis exsecutor et, ut ita
loquamur, fidelissimus propagator extiterit. Placuit etiam com-
memorare in transitu, quemadmodum iutuitu divin§ pietatis locus
ille Cluniacus a Wilelmo duce, ut ita fari libeat, in lineam, a
patre Bernone in superficiem et a venerabili Odone, de quo
sermo prae manibus est, paulatim et per incrementa temporis
deductus in altitudinera veluti iam solidum corpus surrexerit.
Quod opus, quamvis parvi momenti, ideo vestro volui con-
signare iudicio, quia vos concivem^ simul et fidelem Odonis reco-
gnosco et admodum mihi unanimem esse non dubito. Valete.
Fol. 30'. Igitur, quia patris ßernonis mentionem feciraus,
et utilis occasio se praebuit, nos quaedam narrare debere, quae
fideliura cognitioni offerre cupimus, quaeque etiam evidentiorera
nobis dant viam eorum, ad que festinamus, inserendum huic operi
videtur, qualiter idem Berno, ut in praefatione huius operis iam
dixiraus, primum quidem in laicali habitu, postmodura vero
in monastica religione üeo devotus extiterit. Fuit enim ex
Burgundia oriundus genere admodum clarissimus, praediorum
1) Hier standen noch etwa IVa Zeile Text, die vom Schreiber aus-
radiert und durch Schlangenlinien ausgefüllt wurden. 2) Wohl Hildebold
von Chiilon s. S. c. 944 — c. 949, von dem jedoch ebensowenig, wie von
einem andern ein derartiges Gedicht bekannt ist. 3) Hieraus Hesse sich
ein Schluss auf die Heimath Odos machen. loh. Vit. Odonis HI, c. 8 wird
er Aquitanus genannt und daraus stammt die entsprechende Angabe des
Chron. Turon. Magnum ed. Salmon, Chroniques de Touraine p. 108. In
einem Briefe Peters des Ehrwürdigen (Mabillon, Acta SS. V, p. 68) heisst
es: 'qui ab ultimis paene occidentis finibus — egressus' etc. Da Hugo aus
dem Gebiet von Semur stammte (Piguot, Hist. de l'ordre de Cluny H, p. 2 ff.),
so müsste man wohl auch Odos Wiege nach jenem Winkel verlegen, in
dem die Grenzen des Herzogthums und Königreichs Burgund und Aquitaniens
zusammenstiessen, wenn er nicht wiederum in der Praefatio des Cartul. A
von Cluny (Bibl. nat. n. acq. 1497 f. 37) 'Cynomannica regione exortus'
genannt würde. An Hugo U., der 1122 ganz vorübergehend Cluny leitete,
wird man wohl kaum denken dürfen. Vgl. Bibl. Clun. col. 1623.
Handschriftliches aus Frankreich. 115
etiam possessione perquam locupletissimus. Qui vir Deo
dilectus spretis mundi huius inlecebris secundum illud evan-
gelicum praeceptum in caelo suum totum recondere volens the-
saurum ', io proprio solo construxit celebre monasterium, quod
Gigniacus^ est nominatum, et ex paterna et materna possessione
non mediocriter reddidit loeupletatum. Cernens vero secun-
dum sui desiderii votum idem' in omnibus obtime iam valere
caenobium, omnibus suis, ut dictum est, ibidem delegatis,
sanct^ conversationis habitum sumpsit. Et in eodem loco Dei
omnipotentis se servitio mancipavit atque postmodum iam in
sancta religione perfectus electione cunctorum monachorum
sive nobilium ipsius c^nobii regimen suscipere non recusavit,
bonam hanc sui laboris consummationem existimans, si in
utroque eiusdem loci, id est in materiali vel in spirituali
fabrica^, dignus auctor vel Operator existeret. Quod offitium
tam prudenter tamque decenter exercuit, ut non solum iam
dictum locum in omni sancta religione redderet perfectum,
verum etiam illud monasterium de Balma^ antiquissimum a
beato Columbano, ut ferunt, norm^ monachorum sacratum et
tunc religione et temporali facultate iam pene desolatum in
pristinum statum revocaret et regulari ordine decenter ordi-
naret. Studebant vero viri religiosi tunc temporis et potentes
non vicini, verum etiam de remotissimis partibus eius fama
permoti undecumque sibi monasteria committere, quia regularis
ille ordo deterescens ncc vestigium quidem reliquerat pene in
tota Galliarum regione. Unde accidit, ut illa quoque duo pre-
cipua Aquitanic9 regionis caenobia, Dolense ^ videlicet et Mas-
ciacum', petitione Wuilelmi incliti ducis accipiens in omni
sancta instrueret disciplina et ut idoneus pastor prudenti con-
poneret vigilantia.
His et talibus vir devotus insistens studiis tamquam lucerna
super candelabrum posita per universas regiones iam celebris
habebatur et ab omnibus in summa veneratione merito cole-
batur, ita ut eius sanctitati inclitus ille dux, de quo supra
diximus, se commendaret et admodum sibi non sine Dei omni-
potentis instinctu, ut postmodum in sequentibus pandetur,
familiaris existeret.
Cum enim pater Berno, ut diximus, tam piis operibus
Studium daret, ut secundum suum velle normam sanctae reli-
gionis ubiubi dilataret, contigit, ut idem dux divino, quod pie
credimus, spiritu animatus quoddam non exigui momenti prae-
dium sui iuris in Burgundia positum et in pago Maticensi *
situm, nomine Cluniacum, eidem viro venerabili committeret,
quatinus ibidem Deo et sanctis apostolis Petro et Paulo do-
1) Cf. Matth. 6, 19. 2) Gigny. 3) 'tan' ausradiert, das urspr. da-
stand, 4) 'frabrica' hs. 5) Beaume. 6) Deols. 7) Massay. 8) Mäcon.
8*
116 Ernst Sackur.
mum orationis construeret et non modo congregationem mona-
chorum, verum etiam tanquam asilum pietatis refugium ibi
pauperum peregrinorum, eaptivorum et omnium misericordia
indigentium undecumque advenientium sub sanct§ Romane
ecclesiae titulo et viri apostolici patrocinio in perpetuum con-
signaret et ordinaret. Cuius desiderio satisfatiens vir sanete
religionis exseeutor opus illud tanto studiosius quanto et liben-
tius aggreditur. Parietes enim ecclesiae extimplo eriguntur,
regularis habitatio disponitur et totius operis non parva solli-
citudo adhibetur. Sed heu, pro dolor! necdum eius super-
ficies, ut ita loquamur, cernitur, et iam sui auctoris, immo
potius parentis gloriosissimi videlicet ducis morte viduatur et,
quod non sine dolore dicimus, tamquam posthumus relinquitur.
His Interim omissis ad nostrae narrationis ordinem redeamus.
Fol. 37'. Deinde divina, ut credimus, dispositione fratrum-
que sententia concordante loca sibi subiecta bifariam dividit tali
ratione. Decernit namque sibi succedere quendam probabilis
vit§ monachum, Widonem scilicet et sibi carne propinquum,
et patrem Odonem equae dilectum, ita ut alter Wido scilicet
caenobio Gigniensi et Aethicensi cum cella, que dicitur sancti
Lauteni, et cum omnibus rebus ad praedicta monasteria per-
tinentibus praeter villam quandam, que vulgo dicitur Alafracta,
et quibusdam aliis rebus sibi reservatis regulariter praeesset,
alter vero, domnus scilicet Oddo, Cluniacum superius nomina-
tum, Masciacum atque Dolense monasterium cum omnibus
ad se pertinentibus disponeret. Ea etiam, quae supradiximus,
sibi reservata, villam videlicet iam dictam et alias res, quas
commemorare non est necesse, praedicto patri nostro sub
testamento delegavit et ad Cluniacum monasterium, utpote ad-
huc spatio temporis tenerrimum et possessione pauperrimum,
sub redditione census XII denariorum Gigniensi caenobio in-
vestitura quotannis tradidit, proferens sententiam, ut in illo
testamento invenitur, paterno afFectu plenam et memoria dignam:
'Non, inquid, iniustum videatur — — servituri sunt'^. Haec ideo
retulimus, ut huius viri paternum affectum et pium animi Vo-
tum erga locum sepius dictum demonstraremus. Igitur his ita
ordinatis domnus Berno ultimum vit§ diem clausit et, ut pie
credimus, beate immortalitatis gloriam a Domino percepit.
Iam dictus pater Oddo in offitio sibi commisso prudenter in-
vigilans opus iam coeptum Cluniensis cenobii aggreditur. In
construenda regulari habitatione non parva sollicitudo exhibetur
et in dilatandis rebus monasterii non mediocris labor impenditur.
Sed quia, ut diximus, adhuc locus erat pauperrimus in pro-
ximo, dum deficit census, intermittitur opus. Instabat vero
tunc annua beati Martini celebritas; et ut est nostrae consuetu-
dinis, per octo dierum circulum sollempniter a fratribus agitur.
1) Wörtlich aus der Urk. Bernos a. o. a. O.
Handschriftliches aus Frankreich. 117
IL
Zu lotsaldi Vita Odilonis und Verse auf Odilo.
Die folgenden Stücke, zwei Capitel aus lotsaldi Vita Odi-
lonis und die Gedichte auf Odilo, sind noch ungedruckt. Als
Mabillon seine Vita Odilonis in den Acta SS. ord. S. Bene-
dicti saec. VI, 1, p. 632 ff. veröffentlichte, glaubte er den voll-
ständigen Text zu bieten, und in der That enthält seine Aus-
gabe weit mehr, als die bis dahin bekannten Drucke der Bibl.
Cluniacensis col. 1813 ff. und der A. SS. Boll. lan. I, p. 65 ff. Er
hatte neben einem Codex des Thuan (Bibl. nat. fds. 1. 5296*=)
und einer Handschrift von Crepy, eine solche von St. Germain-
des-Presi (Bibl. nat. fds. 1. 13769), die jedoch auf fol. 49'
mit den Worten 'collisione membrorum' im II. Buch des
Werkes abbricht. Nun liegt das handschriftliche Verhältnis
folgendermassen ^ : Während der Codex des Thuan mit einer
anderen Pariser Handschrift 2627 eine Recension bildet, ent-
halten die Codd. 13769 und 18304 eine zweite. Gerade an
der Stelle aber, an der 13769 abbricht, bietet diese Fassung
in Cod. 18304 zwei Capitel mehr, von deren erstem Mabillon
nur noch den Anfang geben konnte. In den Auszügen aus
der Vita in SS. XV, p. 812 ff. fehlt wiederum das unbedingt
dahingehörige zweite der ungedruckten Capitel, und ZAvar
darum, weil A. Molinier, welcher den Cod. 18304 collatio-
nierte, nur die nach Mabillon gemachten Auszüge verglich.
Der Cod. 18304 8« (löVa X 25 cm) saec. XI von 140 Blät-
tern, stammt aus dem Cluniacenserpriorat St. Martin -des-
Champs, dessen bekannten Einband er aufweist. Er beginnt
mit des Syrus Vita S. Maioli, die jedoch mit Aldebald anfängt
(A. SS. Boll. Mai II, 669 I, c. 1—6) und von Waitz bei der
Herstellung des Textes im IV. Bande der Scriptores benützt
wurde. Dann folgt die Vita Maioli a. Odilone (f. 45), die
Miracula S. Maioli (f. 57), endlich die Vita des Jotsald (f. 73),
der Planctus desselben und andere Verse auf den Heiligen.
Den Schluss des in Langzeilen geschriebenen Codex bilden
f. 129' Sermo domini Fulberti Carnotensis episcopi de ortu
virginis almae dei matris Marie; fol. 137' Sermo Clementis
pape in Petri apostolorum principis sessione qua cathedre
sublimatur anthiocena ; fol. 140 Litanei mit Neumen auf die
hl. Jungfrau. Auf fol. 140' bemerkt ein Schreiber des XV. Jahr-
hunderts: 'In praesenti volumine continentur vite sanctorum
patrum nostrorum Mayoli atque Odilonis abbatum Clunia-
censium'.
1) Vgl. A. SS. ord. S. Ben. VI, 1, p. 632. 2) Vgl. M. G. SS. XV,
p. 812 ff.
118 Ernst Sackur,
1.
Das zweite der folgenden Capitel ist nicht ohne Wichtig-
keit. Von den Beziehungen Odiles zu den römischen Vor-
gängen zu Weihnachten 1046 wusste man bisher nichts.
Odiles letzte römische Reise wurde in das Frühjahr 1047 ge-
setzt i und wie falsch man geneigt war, darüber zu urtheilen,
beweist am besten die Thatsache, dass Gfrörer^ den greisen
Abt nach Rom ziehen lässt, um Clemens II. zur Abdankung
zu bewegen, während er, wie sich jetzt herausstellt, in Wahr-
heit eben damals Clemens II. Wahl unterstützte, ein Umstand,
der geeignet ist, die Stellung der Cluniacenser zur Kirchen-
reform Heinrichs III. ins rechte Licht zu stellen. Bei seinem
letzten Aufenthalt in Rom, über den wir nur den wenig klaren
Bericht Jotsalds selbst gegen Ende des 1. Buches hatten, nahm
Odilo, wie wir nunmehr wissen, diesen selbst zum Begleiter:
seine genaue Schilderung, die sich fast von Woche zu Woche
fortbewegt, erhält dadurch den Anspruch auf volle Glaub-
würdigkeit.
De cementariis sanatis'.
Cum quodara tempore apud monasterium suura, quod
Volta* nominatur, moraretur et murus aecclesi^ adhuc inper-
fectus consummaretur, contigit, ut quadam die, dum ministri
operis operi complendo insisterent, deambulatoria, ubi stabant,
retortis, cum quibus ligata erant, ex nimia vetustate ruptis
deorsum ruerent. Cum quibus etiam cementarii ex altitudine
muri ad terram ceciderunt et collisione membrorum ^ poene
exanimes sub oculis omnium effecti sunt. Interea tumultus
multus fit hominum, ingens clamor ad ipsum fit caelum et de
periculo virorum non rainimum videres planctum. Erat autem
vigilia natalis precursoris Domini« et vir venerabilis Odilo in
quodam se radens sedebat secretario, cum ecce rumor dampna-
torum operariorum ante cum venit et ipse sine aliquo strepitu,
donec exoccuparetur, silentium super hoc facere coegit. At
ubi illud perfectum est, citius surgens ad aecclesiam cucurrit,
proprium altare cum reliquiis tulit, ad homines in terra iacen-
tes accessit, signum sanctae crucis cum reliquiis desuper fecit,
orationem complevit et sie recessit. Mira dicturus sum, sicut
in veritate testantur qui praesentes fuerunt, monachi scilicet
et alii viri religiosi : illo recedente, qui videbantur de vita et
sanitate desperati, subito surgunt, deambulatoria erigunt, opus
verum arripiunt et tamquam nichil mali passi essent, usque
ad finem diei opus debitum concludunt.
1) Vgl. Ringholz, Der lil. Abt Odilo S. 111. 2) Gregor VII, Bd. VI,
S. 568 ff. 3) Mit rother Farbe. 4) La Vuote (Äuvergne). 5) Hier
bricht der Druck Mabillons ab. 6) 23. Juni.
Handschriftliches aus Frankreich. 119
Quid beato viro Roma redeunti accideriti.
In prirao huius operis libello^ sub brevitate diximus,
virum Dei Odilonem in extremis suis Romam adisse, ea spe,
ea devotione, ut ibi sub protectione tantorura apostolorum
mereretur vitam finire. Nunc iterum manifestius et difFusius
volumus describere, quid ibi passionis sustinuerit vel quantum
temporis ibi f'ecerit et quomodo contra spem omnium Deo
miserante ab infirmitate convaluerit. Hanc enim urbem, ut
Omnibus patet, vir beatus avido gutture sitiebat, pio semper
corde ruminans, quam illic in^ christianorum Deo carum
genus seva tormenta exercuerit praedo veternus. Ad quam
etiam sepius fertur profectus esse ibique per ebdomadas die-
rum et spatia multorum mensium loca sanctorum circumeundo
mansisse piis oculis intendendo, quibus suppliciorum iniuriis
athlet^ Dei certando meruerunt mori pro Christo. Quorum
suffragia exposcens obtabat, si fieri posset, telluri passionibus
eorum sacrat§ suum moriendo corpus committere, quo et eius
anima ipsis consociaretur in perpetua requie. Biennio itaque
antequam ex hoc mundo tolleretur, eandem urbem summo
cum desiderio expetiit et in illa die vigiliarum dominic§ nati-
vitatis* intravit. Peractaque devota oratione interfuit electioni
domni Cleraentis et agente imperatore cum aulicis primatibus
dignum iudicavit, predictum virum apostolicum conscendere
thronum. In crastinum vero, quando Deum humanatum ex
sancta virgine natum omne genus celebrat christianorum, ad-
venit, ut videret regem Heynricum imperiali diademate coro-
nandum. In cuius sacra unctione praesens adstitit dans glo-
riam Deo, qui Romanum imperium electo iustissimo praesule
et catholico reipublice principe sedatis malorum turbinibus
roborare voluerit. Transegit vero illas ternas ebdomadas partu
beate virginis dicatas in eadem urbe, orans Christum ad apo-
stolica limina et perlustrans multiplices sanctorum ecciesias,
Vota multiplicationura Deo offerens et clericis ^cclesiarum
atque pauperibus largam manum impertiens. Sicque peractis
octavis sanct^ epyphanie^ invitus, ut ipse fatebatur, discessit.
Namque in ipsius diei crepusculo, quo recedendura erat, con-
sistens in beati Petri ecclesia, nobis ex abdito prospicientibus,
inmensos gemitus profundebat, obsecrans, ut celitus secundum
suum Votum exaudiri mereretur. Et postquam ab eodem
venerabili templo exiit, iterum intus rediit, contra sanctum
altare moetaneam^ misit diuque tacitam praecem fudit. Inde
erectis ad c^lum luminibus Deo et sancto apostolo se com-
mendans gressum retorsit, talem se agens, ut in pallore vultus
eius dinosceretur, quia non sponte ab illo loco divelleretur.
1) Mit rother Farbe. 2) Lib. I, c. 14. 3) 'in' fehlt hs.
4) 1046, 24. Dec. 5) 1047, 13. Jan. 6) i. e. metanoeam.
120 Ernst Sackur.
Itaque profecti viam carpebamus, cum ecce impegimus in
quandam viam luto et paludibus coenosam et pr^ruptis an-
fractibus discessam, quam quisque nostrum, prout valebat, citius
evadere gestiebat. At senior iam gravis §vo inexpedite se
agens et carens viribus, cum iam poene et ipse videretur eva-
sisse, subito ^quo labitur et ad terram corruens, calce aequi
graviter in latus impellitur. Ex nobis alii iam praecesserant,
alii subsequebantur. Ad clamorem vero tanti casus siraul
omnes concurrimus et eum velut sine voce iacentem repperi-
mus. Deus bone, qu^ tunc in illo clamoris angustia vcl in
nobis angoris fuit mestitia! Quisnam ctsi ferreum possidens
pectus, tali viro ita conliso, se contineret a luctu? Verum
accepto consilio, praeparata lectica, eum super imposuimus et
retro repedantes ad monasterium sancti Panchratii martyris
non longe ab urbe ^ reportavimus. Subsequenti autem die
Romam intrantes ad notum hospitium Aventini montis dever-
timus, cum iam rumor praecurrens maximam urbem orbis ^
turbine huius meroris commovisset. Tunc patuit mira be-
nignitas pap? Cleraentis, qui eundem patrem sepe cum prin-
cipalibus viris invisere studuit et dulcibus verbis relevare non
destitit. Presul quoque Malfitanus ^ nomine Laurentius* greco
latinoque famine peritus, cuius dulcedo eloquii et affabilitas
profundi ingenii magnum praestabat temperamentum remedii.
Afflictus itaque collisione totius corporis vir beatus direxit
epistolam Cluniaco, fratrum implorans oratum, clamitans se,
ut ipsius verbis loquar, reum et in eorum Providentia minus
fuisse sollicitum, flagitans quoque, ut sacrificium sacr^ obla-
tionis pro eo studerent offerre, 'quia confisus', inquit, 'de suf-
fragiis dominorum meorum apostolorum spero me iam de hac
corruptibili carne exiturum'. Quid tunc in illo sacro conventu
dictum factumve fuerit, qui adfuerunt, rememorari possunt.
Perstitit ergo vir Dei pertesus iam dicto languore poene usque
ad initium XL™^ ^, indeque Deo raiserante paulatim coepit
convalescere. Voluerat statim exire ab urbe, nisi prece domni
Clementis papae retentus fuisset usque ad diem pasch^. Per
totam igitur quadragesimam infatigabilis in Dei opere mansit,
lustrans universa per circuitum loca sanctorum martyrum. Et
ecce iterum permissu superni iudicis flagellum inundans tran-
siit super eum ipsa, qua populus christianorum die « obvia fert
Domino ramos palme et olivarum.
Et per totam illam ebdomadam, qua Domini passio recoli-
tur vel celebratur, omnium artuum dissolutione acriter fatigatur
a Deo, ut de eius recuperatione desperare cogeremur. Cerneres
1) Im Westen der Stadt, südlich der alten Via Aureliana, die nach
dem Meere führte. 2) 'urbis' hs. 3) Ursprünglich 'malfiticus', 'ic'
durch Punkte getilgt und in 'an' corrigiert. 4) Vgl. über ihn Giese-
brecht, D. Kaiserzeit 115, 411. 5) 4^ März. 6) 12. April.
Handschriftliches aus Frankreich. 121
tunc lugubrem domum et madentes parietes flumine lacrima-
rum. Unusquisque nostrum, in quo loco consedisset, inditia
mesti pectoris relinquebat, cum ille vir piissimus nos merentes
consolari studeret, verba beati Ambrosii recolens ita dicentis * :
'Non ita actenus inter vos vixi, ut me pudeat vivere, nee mori
timeo, quia bonum dominum habemus'. Et ad semet ipsum
rediens gaudebat de securitate su§ conscienti^, illud memo-
rans divin? scriptur^ 2 • «Licet non omnes sint filii, qui flagel-
lantur, nullus tarnen, qui non flagelletur'. Adfuit et tunc reli-
giosi pap^ Clementis pia visitatio et domni Laurentii archi-
praesulis conlocutionis non dissimilis relevatio, quid! infinita.
Transierunt illi dies absque ullius letitie amminiculo. Paschali
vero sabbato mundo apparente Odilo beatus sustinens et non
lasescens de suo stratu surrexit nobisque mirantibus ad Ora-
torium sancti Pauli se ferro praecepit. Qu? ibi vota praecum
vel quas ^ persolverit actiones hymnorum, testis est dominus
lesus, cui supplicavit. Inde domum repetens die ipso gau-
dentibus cunctis ad officium misse processit et cum fratribus
ad prandendum laetus discubuit. Diem magni triumphi Dei
et hominis lesu Christi festivo tripudio sollerapnizavit ac de-
mum quinto eiusdem festivitatis * die roboratus apostolicis bene-
dictionibus Romuleam urbem reliquid et per Italiam vadens,
peragratis quoque Ligurie seu Emilie partibus, Gallorumque
fines revisit et Cluniaco rediit^. Quia vero non ignarus erat
tempus SU? resolutionis iam instare, per novenos atque denos
menses, quos istic superegit, ferventes in spiritali exercitio ultra
vires duravit, quousque temporis a Domino prefixi die« ex-
emptus a vita pro dignis laboribus aeterna recipere meruit
proemia.
2.
Auf fol. 124' beginnt der Planctus des Jotsald, auf den
eine Reihe anderer Gedichte mit Miniumüberschriften auf
Odilo folgen. Hier hat die Totenklage am Ende noch vier
Hexameter mehr, als in den Drucken der Bibl. Cluniac.
col. 329 und von Migne 142, col. 1043 ff. Es folgt ein Ge-
dicht in elf Distichen an Souvigny, die Grabstätte des Majolus
und Odilo, in gereimten Versen, von denen der Pentameter
am Schluss die Anfangsworte des Hexameters aufnimmt. Das
sich daran schliessende Epitaph Odiles enthält sechs Distichen.
Den Schluss bildet wieder ein langes Klagegedicht von
achtundzwanzig Tetrastichen ; jede Zeile zählt acht Silben ;
von den Versen reimen sich je zwei oder auch alle vier.
Nur in den Strophen 9 und 20 sind die drei letzten Verse
durch reine Reime, der erste mit ihnen durch Assonanz ver-
1) Vit. Ambrosii auct. Paulino c. 45. 2) Cf. Hebr. 12, 7. 3) 'que' ha.
4) 23. April, 5) 1047, Ende Mai — Auf. Juni. 6) 1049, 1. Jan.
122 Ernst Sackur.
bunden. In der Handschrift ist das Gedicht mit Noten ver-
sehen; mit jeder Strophe beginnt eine neue Zeile. Die An-
fangsbuchstaben jeder derselben sind abwechselnd roth und
grün bemalt. Wie au? den ersten Versen zu schliessen, rührt
das Poem ebenfalls von Jotsald her, der an den von ihm
verfassten Planctus anspielt. Die hier angeredeten Almannus
und Andreas sind natürlich dieselben, die er am Schluss der
grösseren Dichtung Odilos Fürsorge im Himmel empfiehlt.
Der überaus warme und herzliche Ton lassen keinen Zweifel
darüber, dass der Dichter unmittelbar nach dem Tode des
Abtes die Leier ergriffen hatte, was namentlich auch aus
Strophe 24 erhellt, aus der hervorzugehen scheint, dass der-
selbe noch nicht einmal bestattet war.
Ich lasse das bisher Unbekannte in der Reihenfolge der
Handschrift folgen.
Planctus eiusdem monachi de transitu domni
Odilonis abbatis.
[Almannique ' tui in votis ^ semper adesto]
Andream^ socium vit§ mortisque fidelem
Commenda domino, Bernardi* necne memento,
Nutritosque simul cunctos solita pietate
Consocia celo, refovebas quos miserando.
Ad5 villam Silviniacam«.
Silviniaca tuas cogor nunc reddere causas,
Incipiam laudes Silviniaca tuas.
Gaudia magna capis geminis suflfulta columpnis,
Inclita christicolis gaudia magna capis.
1) Der Klosterprior von Cluny. Vgl. Gil. Vita Hugonis bei L'Huillier,
'Vie de Saint -ITugues', Paris. 1888, p. 579. Ihm widmete neben Hugo
Odilo seine Vita Maioli. — 'Almanni' auf Rasur. 2) Zuerst 'votis pie';
von ders. Hd. 'pie' gestrichen und wie oben verbessert. 3) Einen Mönch
Andreas von Cluny finde ich in einem Briefe des Petrus Damiani (lib. VI,
ep. 7) an die Mönche v. Cl. erwähnt, in wenig ehrenvoller Weise: 'Audiat
hoc Andreas, qui nuper de contubernio vestrae sanetitatis egrediens, cum
Ammonitarum rege foedus amicitiae contulit; et nunc per Romana moenia,
tanquam rasus barba et detruncatus habitu, non sine David pudore discurrit'.
— 'Andream socium' auf Rasur hs. 4) Wohl der Eleemosynarius, spätere
Prior Bernard von Cluny. Vgl. Mab. Ann. Ben. V, p. 596. Jotsald nennt
ihn lib. I, c. 14: 'quemdam fratrum suae (sc. Odilonis) senectutis baiulum,
nomine Bernardum'. In hohem Alter als Prior wird er erwähnt Anfang
d. XII. Jahrhunderts in den Mir. Petri Vener. (Bibl. Clun. col. 552) und in
seinem Epitaph ebenda col. 1352. Ein Mönch Bernard wird dann Mir.
S. Hugonis (Bibl. Clun. col. 447) erwähnt, hier mit den rühmenden Worten:
'Erat Cluniaci Bernardus quidam iustus, sanctus vir et timoratus, cui
religio reverentiam comparaverat et nomen'. Ob beide identisch resp.
welcher von beiden mit dem im Planctus genannten identisch ist, vermag
ich nicht zu sagen. — 'Bernardi' auf Rasur. 5) 'A' hs, 6) Souvigny.
Handschriftliclies aus Frankreich. 123
Moenia namque tua Maiolus condidit ampla
Multiplicans opibus m^nia namque tua.
Odilo post veniens eadem studiosus adornat,
Ampliat et renovat Odilo post veniens i.
Se tibi consociat, cum sors extrema propinquet,
Mors ubi dissotiat, se tibi consotiat.
Odilo, dum moritur, non parva tropliea resumis*,
Aceumulatur bonos, Odilo dum moritur.
Perstrepe, plaude satis, tantis decorata triumphis,
His ornata viris, perstrepe, plaude satis!
Psallite vos, monacbi, sanctorum funere clari,
Aurea vasa Dei, psallite vos monacbi!
Plaudite vos, populi, tantos meruisse patronos,
Vocibus omnigenis, plaudite vos, populi!
Caelitus huc veniat Domini benedicta potestas,
Sanctificansque manus c^Htus huc veniat.
Gloria magna patri maneat genitoque tonanti
Sit laus spiritui, gloria magna patri!
Epitaphium ad sepulcrum domni Odilonis.
Heu! quam confusum reddit sors ultima planctum!
Maxima lux orbis hie iacet exanimis,
Odilo vir sanctus, monachorum signifer almus,
Nobilior celo clauditur hoc tumulo.
Nascitur in mundo processu sanguinis alto
Arvernisque rosam mittit odoriferam.
Celitus attactum Maiolus hinc rapit illum
Decedensque suis impHcat officiis ^,
Quo sibi quam plures collegit commilitones
Sub signis fidei, plenus amore Dei
Occubuit, verus cum circumciditur agnus*.
Et Domino niveam reddidit hinc animam.
1. Ad te namque, mi dilecte,
Nunc, Almanne clarissime,
Cogor planctum describere,
Qui te pungat assidue.
2. Te Andream consaluto
Et hoc Carmen vobis mitto,
Quos agnovi pr§ omnibus
His mulceri doloribus.
3. Eia, fratres convenite,
Alternatim et lugete,
1) Ueber die Bauten in Souvigny vgl. Ach. Allier: 'L'ancien Bour-
bonnais' II, p. 148. 2) Hs. 'resummis'. 3) Vgl. Ringholz, Odilo p. 6.
4) 1049, 1. Jan.
124 Ernst Sackur.
Odilonem mundo raptum,
" Magnum pignus et proprium.
4. Verba sonent lacrimosa,
Alta plangant suspiria,
Lugubres sint anhelitus
Atque profundi gemitus.
5. Solis splendor obscuratur,
Lune pallor variatur,
Astrorum fragor murmurat
Et c§li cardo titubat.
6. Terra, mare comraoventur,
Dum a carne separatur
Odilo spes l^titi^,
Magnum decus et glori§.
7. Cuius certa pulcritudo,
Cuius ampla magnitudo
Intellectum exuperat
Et sermonem debilitat.
8. Heu, quam gravis conditio,
Heu, quam m9sta corruptio,
Brevis vit§ ioeunditas
Quid, nisi fallax vanitas !
9. Dum speratur pleno cornu
Possideri diutius,
Eva nescit, celerius
Et decipit crudelius.
10. O virorum duleissime,
Pater patrum sanctissime,
lam in magna tu requie
Vivas suppremo lumine!
11. Bonis eras tu iocundus,
Malis semper et timendus,
In te fervens iustitia
Et discreta dementia.
12. Vultus ipse mansuetus
Corporisque Status gratus,
Tuis omnis suavibus
Rapiebas affectibus.
13. Huius mundi te potentes,
Reges simul et praesules,
Te divites et nobiles
Coluerunt et pauperes.
14. Quis non vellet Odilonis
Perfrui beneficiis,
Cuius vultum expeciit,
Quisquis adire potuit.
Handschriftliches aus Frankreich. 125
15. O quam sermo tuus dulcis,
O quam rectus, blandus, lenis!
Hinc terrebas malivolos,
Hinc mulcebas benivolos.
16. Pirmo corde retinebas
Hos subiectos, quos habebas,
Nullum tibi ab animo
Rapuerat oblivio.
17. Te denique meliores
Cunctos esse referebas.
Maior eras imperio,
Inferior obsequio.
18. Hunc tu fratrem nominabas,
lUum patrem praedicabas,
Universis adgaudebas,
Agnus interprocedebas.
19. Tamquam mater refovebas,
Tamquam pater diligebas,
Cum tristibus tristabaris
Et cum l^tis letabaris.
20. Et quid dignum de te loquar,
Cui Christus vita erat,
Cui mundus sorduerat,
Et spes fixa c§lo stabat.
21. Vita tibi fastidium,
Mors erat desiderium.
Numquara tuus hie animus
Requiescebat penitus.
22. Ave, pater egregie,
Me§ qu^dam pars amm§,
Nunc tecum occumbere
Satius est, quam et vivere.
23. Quis tam, ut tu me diliget,
Quis me dignum efficiet,
Tuis sterni cineribus
Et relevari pr^cibus?
24. lam animam salutamus,
Corpus terre commendamus,
Resumpturam mox spiritum,
Cum venit iudicium.
25. Tunc tu iustis relucebis
Et festivis apparebis,
Ut sol fulgens persplendidus
Tenebris spretis omnibus.
26. Pio vultu contemplare
Tuum gregem et agnosce,
126 Ernst Sackur.
OfFer Christo familias,
Quas adquisisti plurimas.
27, Uli te previum ducem
Sequi possint et reetorem,
Tu cum ipsis iocumderis
Sanctorum contuberniis.
28. lam tu, rex potentissime,
Mortuorum iudex pie,
Nobis fructum l^titie,
Uli palmam da glorie. Amen.
IIL
Aus Neurologien.
1. Necrologium S. Vitoni Vir dun.
Das Necrologium der Abtei St. Vannes bei Verdun ist
bereits von Mabillon, und später von Clouet in seiner 'Histoire
de Verdun' benutzt worden. Eine Abschrift desselben aus dem
saec. XVIII besitzt die Pariser Nationalbibliothek in dem
ms. 1. nouv. acquis. 1417, das ich excerpiert habe. Es ent-
hält sehr viele Namen aus dem Verduner Grafengeschlecht,
das sich im 11. Jahrhundert durch Schenkungen um das
von Abt Richard zu hoher Blüthe erhobene Kloster verdient
machte, und war eine der Hauptquellen Hugos von Flavigny
für die Geschichte dieser Personen. Die übrigen Eintragungen
gehören ebenfalls meist dem 11. und 12. Jahrhundert an, doch
reichen auch mehrere ins 9. und 10. zurück. Auf das Ne-
crolog folgt die Aufzeichnung der Verbrüderungen, unter denen
die mit St. Benigne hervorgehoben zu werden verdient, dessen
Brüderschaft wir auch im Todtenbuch verzeichnet finden, so-
wie die St. Vanner Congregation ihrerseits im Necrolog von
St. Benigne zu verfolgen ist. Den Schluss des Codex auf
fol. 59 bilden Aufzeichnungen 'De diversitatibus anniversario-
rum'. Bemerkenswerth ist daraus, dass die Bischöfe Berengar
und Richard, Abt Richard, Kaiser Heinrich II, die Grafen
Hermann von Eenham und Friedrich von Verdun, Graf
Lietard von Marcey, die Aebte Cono, Ludwig, Wilhelm und
Stephan an ihren Gedenktagen besonders gefeiert wurden.
Kl. Jan. Fulcradus abbas sancti Pauli ». — Theode-
ricus comes, qui dedit nobis ecclesiam de
Ametz et alodium de Morfontana^.
1) Sed. 1123. 1126. 2) Ist jedenfalls der Graf Theoderich, der
G. ehr. XIII, instr. 561 'ecclesiam de Metionis' schenkt. Vgl. Hug. Flav.
SS. VIII, p. 376.
Handschriftlielies aus Frankreich. 127
IUI. Non. lan. Leduinus abbas sancti Vedasti*. — Ida
abbatissa sancti Mauri.
VIII. Id. lan, Venerande memorie dominus Fridericus
monachus eius loci, ex comite conversus,
frater Godefridi et Gozelini ducum, qui
nobis Borracum contulit^. — Milo abbas 3.
V. Id. lan. Walerannus abbas*.
Id. lan. Anno DCCCXLVII obiit dominus Hildui-
nus Virdunensis episcopus.
Anno MCCXLVII translatum est corpus
domini episcopi Dadonis a domino abbate
Guillermo de ante altare sancti Remigii
in presbiterio sumptuosi operis.
XIX. Kl. Febr. Emmehildis comitissa, uxor domini Lietardi
comitiss, qui Bailodium nobis dedit.
XVI. Kl. Febr. Ludovicus comes^.
XV. Kl. Febr. Adelbero archiepiscopus Trevirensis '. Wil-
lelmus episcopus Cathalaunensis».
X. Kl. Febr. Deposicio Pascalis pape, qui nobis dedit
cellam Alzei curtis cum omnibus appen-
diciis suis 8.
VIIL Kl. Febr. Poppe abbas i".
VI. Kl. Febr. Rogerus episcopus n.
IUI. Kl. Febr. Deposicio domini Gelasii pape**.
X. Kl. Mart. Depositio domini Honorii secundi vene-
rabilis pape >'.
V. Kl. Mart. Godetridus iunior, dux et marchio^*.
Raynaldus comes Barensis >*.
VIII. Id. Mart. Dominus RicherusJ^ episcopus ecclesiae
Virdunensis, qui nobis tradidit bannum
Arnulfi cortis et ea, que habenus apud
Pauli crucem.
II. Id. Mart. Riquinus comes".
Id. Mart. Teodericus comes.
V. Kl. April. Anno domini millesimo nonagesimo nono
1) Gest. 1046. 2) Gest. 1022. Hs. 'Boriacura'. Vgl. Hugo Flav. II,
c. 8. SS. VIII, p. 375 und unten S. 133 n. 1. 3) von Moyenmoutier, gest.
1047. 4; von Homblieres? 5) von Marcey. 6) Nach einer Urk. seiner
Gemahlin Adelheid im unedierten Gart. v. St. Vannes (Cod. Paris. 5435,
fol. 25') starb er 1025 eines gewaltsamen Todes. S. Epitaph Mab., Vetera
anal. p. 380. 7) Gest. 1152. 8)1113—1122. 9)1118! 10) A. v. Stablo,
gest. 1048. 11) R. IL v. Chälons s. M. 1043—1065, 12) 1119.
13) 1130, 14) Gotfried III., der Höckrige, gest. 1076, Vgl. Giese-
brecbt III, S. 1135. 15) Wohl R. II, dessen Gemahlin weiter unten
aufgeführt wird (1150— 1170). 16) 1089—1107. Im Cod. 1. Par. 5435,
fol. 37 wird seine Schenkung 'Marculfi cortis' genannt. 17) von Nieder-
lothringen, Vater des Bisch. Udo von Toul?
128
Ernst Sackur.
IUI. Non. Apr.
III. Non. Apr.
II. Non. Apr.
Non. Apr.
VII. Id. Apr.
II. Id. Apr.
XVIII. Kl. Mai.
XIIII. Kl. Mai.
VIII. Kl. Mai.
IUI. Kl. Mai.
III. Kl. Mai.
II. Kl. Mai.
im. Non. Mai.
Non. Mai.
XVII. Kl. lun.
XV. Kl. lun.
obiit Rodulfus abbas huius loci. Heri-
mannus comes ', qui nobis dedit ea, que
haberaus apud domnum Basolum.
Balduinus Iherosolimitanus rex*.
Albertus comes 3.
Philippus episcopus-*,
Lietardus conversus.
Ida abbatissa S. Mauri.
Anno dominice incarn. MCXXVIII trans-
latum est corpus domni et venerabilis
patris nostri abbatis Ricardi a criptis beate
Marie virginis in capellam ^ sancti Nicolai
confessoris, quam edificare fecit. Et tunc
inventa fuit eins casula non corrupta.
Albertus episcopus Virdunensis et mona-
chus huius loci^.
Adelbero episcopus Virdunensis'.
Rohardus abbas huius loci.
Radulfus abbas, raonach. sancti Vitoni*.
Teodericus Virdunensis urbis episcopus,
qui dedit nobis altaria nostrarum ecclesia-
rura, que sunt in hoc episcopio, et bannura
in monte sancti Vitoni».
Raymbertus episcopus Virdunensis >*>. An-
selmusi', Cantuariae archiepiscopus. Teo-
gerus Mettensis episcopus '2.
Heymo episcopus Virdunensis, qui nobis
dedit, quod habemus apud Masmelli pon-
tem, et raercatum in monte sancti Vitoni
habendura constituif .
lohannes de S. Desiderio, episcopus Vir-
dunensis »^ Herimannus Metensis epi-
scopus '5.
Translatio Hildini et Hattonis Virdunen-
sium pontificum.
Hadvidis '« abbatissa.
Dominus Gelduinus, pater domini abbatis
1) Sohn Hermanns v. Enham? 2) Balduin I. gest. 1118. 3) Albert I.
V. Daclisburg. 4) B. v. Chälons s. M. 1095—1100. 5) Hs. 'capella'.
6) 1156-1163. 7) II, 985-988. 8) Gest. 1099. 9) 1046 — 1089.
10) 1024 — 1038. 11) Abs. 'Amelinus' verlesen. 12) 1118 — 1120.
13) 978-1024. Abschr. 'Masnielli'. Vgl. Hugo Flav. II, c. 16. SS. VIII,
p. 392 : 'Masmelli pontem eidem contulit mercaturaque in suburbio, qui
eidem coenobio adiacet, habendum constituit'. 14) 1371 — 1375.
15) 1073—1090. 16) V. St. Peter (c. 960) oder St, Glodesindis v. Metz
(c. 1180, 1186)?
Handschriftliches aus Frankreich.
129
XIIII. Kl. lun.
VIII. Kl. lun.
VI. Kl. lun.
V. Kl. lun.
II. Kl. lun.
VIII. Id. lun.
Id. lun.
XVIII. Kl. lul.
XVI. Kl. lul.
XL Kl. lul.
VIII. Kl. lul.
Waleranni, conversus et monachus, qui
plurima nobis contulit K
Fredericus dux 2.
Lietardus ex comite * conversus, qui nobis,
quod habemus apud Baylodium, contulit
et dona auri et argenti preciosa, monach.
sancti Vitoni.
Domina Matildis comitissa* digne memo-
rabilis, que locellum nostrum honestavit
auri et argenti donariis et prediis.
Fridericus, Leodiensium episcopus^.
Anno ine. dorn. MXXIX obiit pie memo-
rie dominus Herimannus ex comite con-
versus, qui pre cunctis raortalibus locum
hunc ditavit suis donis et possessionibus^.
Adalbertus, frater domini abbatis Richardi.
Henricus Leodiensium episcopus '.
Anno domini M« septuagesimo octavo obiit
Grimoldus abbas huius loci.
Harduinus frater domini abbatis Waleranni.
Anno ine. dom. M» quadragesimo sexto
obiit pie recordationis dominus et vene-
rabilis abbas Richardus, qui locum nostrum
monastica religione insignivit, fundis et
reditibus, ecclesiasticis quoque utensiliis
ditavit, donis fidelium sublimavit, multorum-
que cenobiorum institutor et rector. Anno
ordinationis sue quadragesimo secundo, in-
troductionis autem monastice in nostro
cenobio facte a domino Berengario pon-
tifice anno nonagesimo quinto discessit a
seculo.
Imma, uxor Herimanni comitis*.
Ebalus archiepiscopus Remensis^.
Ermensindisio eomitissa Namucensis, que
cum viro suo, nobili comite Alberto, cel-
lam montis sancti Martini cum omnibus suis
nobis contulit et sua cartha confirmavit.
1) S. Epitaph Mab. Vet. an. p. 380. 2) Friedrich II. Vgl. Bresslau,
Konrad II, II, 72 n. 4. 3) Gf. v. Marcey, Verwandter Konrads II.
S. Epit. Mab. Vet. An. p. 380. 4) Gemahlin Hertaanns von Eenham.
Epit. Mab. Vet. an. p. 380. 5) 1119— 1121. 6) Folgt eine Aufzählung
s. Schenkungen au St. Vannes, die ich auslasse. Vgl. Stumpf 1832.
S. Epit. Mab. a. a. 0. 7) 1076 — 1191. 8) Sohn Hermanns von Eenham?
Vgl. Hirsch, Heinrich II, I, p. 334. 9) 1021 — 1033. 10) Tochter
des Grafen Konrad II. v. Luxemburg; 1. Gem. Albert v. Dachsburg,
2. Gotfr. V. Namur, gest. 1143.
Neues Archiv etc. XV. Q
130 Ernst Sackur.
VI. Kl. lul. Anno domini M» sexagesimo obiit domi-
nus Wallerannus abbas huius loci, ex co-
mite conversus.
VIII. Id. lul. Eugenius papa tertius, qui sanctum Vito-
nura transtulit in feretro novo '.
V. Id. lul. Anno domini octingentesimo vicesimo ter-
cio obiit Herilandus episcopus Virdunensis.
III. Id. lul. Henricus imperator^, qui hunc locum pre-
ciosis donariis ditavit.
Id. lul. lohannes arcliiepiscopus Treverensis, qui
dedit nobis altare de Bailodio^.
XVI. Kl. Aug. Godefridus Iherosolimitanus rex-*.
XV. Kl. Aug. Fridericus comes Tulensis s.
XII. Kl, Aug. lohannes abbas huius loci*.
X. Kl. Aug. Radulfus Remensis archiepiscopus '.
VIII. Kl. Aug. Albertus episcopus Virdunensis^, qui dedit
nobis altare de Bulainville. — Walterus
miles, frater domini abbatis Richardi.
VIII. Id. Aug. Hugo episcopus Lingonensis ».
VII. Id. Aug. Agnes comitissa Barensis '".
II. Id. Aug. Anno incarnationis dom. nongentesimo
quinquagesimo nono obiit recolendae me-
morie dominus Berengarius episcopus Vir-
dunensis et monachus, nobilis institutor
huius loci, qui eiectis clericis hoc in loco
monachos introduxit, ad quorum victum
dedit abbaciara sancti Amaucii cum Scan-
cia etc. — Et etiam pro eiusdem episcopi
anniversario prior Flaviniaci debet nostre
pitancie XL solidos quolibet anno per-
solvere.
X. Kl. Sept. Richardus comes".
Albertus comes Dasburgensis'^, qui nobis
cellam sancti Martini cum omnibus appen-
diciis suis dedit.
II. KI. Sept. Wicfridus episcopus Virdunensis, qui inter
cetera bona, que tradidit, Ravandi mansum
sancto Firmino contuliti^.
1) 1147. Vgl. Ad. S. Vitoni. 2) II. 3) 1190—1212. 4) Gott-
frid V. Bouillon. 5) Vgl. über ihn Steindorfi", Heinrich III, II, S. 20.
— Laurent, gesta Vird. c. 3, SS. X, 493. 6) Job. I, 1281 — 1286.
Vgl. Gallia ehr. XIII, col. 1300. 7) 1106—1124. 8) 1186—1208,
9)1016—1031. 10) Gem. Reinaids n. (1150— 1170.) 11) Richard I,
von d, Normandie. 12) Gest. 1098. 13) Vgl. Hugo Flav. I. a. a, O.
p. 367: 'Hie etiam inter cetera bona Ravandi mansum sancto Firmino
contulit'. Die Abschr. hat 'Ranaudi'.
Handschriftliches aus Frankreich. 131
Iir. Non. Sept. Godefridus comes, pater ducis Gozelonis,
qui nobis Borracum dedit^.
V. Kl. Oct. Godefridus dux 2, frater Gocelonis ducis,
qui nobis in Beurunes IX mansos dedit,
suaque superlectile monasterium hoc ad-
modum locupletavit^,
III. Non. Oct. Heinricus tercius, imperator catholicus et
religiosus. ■ — Dada comitissa*, que dedit
nobis ecclesiam de Bedani cum duobus
mansis, ad novam villulam XV mansos,
et alodium, quod vocatur Amblivium et
ad Clarisellum mansos duos et ad Lavan-
nam duos.
Non. Oct. Anno dorn, nongentesimo vicesimo obiit
Dado episcopus Virdunensis. — Hugo
archiepiscopus Lugdunensis^.
YIII. Id. Oct. Anno dorn. M« quarto obiit dominus Fin-
genius abbas huius loci.
XIIII. Kl. Nov. Godefridus coraess et Henricus comes
Barensis ^, qui nostre ecclesie devotus ex-
titit et Ugo frater eins.
XII. KI. Nov. Godefridus ', filius Herimanni comitis, pro
cuius anima date sunt nobis due ecclesie,
una, que vocatur Gengeavia, alia Ham,
ab ipso comite nobis tradite.
VII. Id. Nov. Anno dom. MXLVI obiit dominus Richar-
dus episcopus Virdunensis, qui nobis alo-
dium suum videlicet Baronis curtem » cum
servis et ancillis contulit et quod habe-
mus ad Domnam Mariam.
XI. Kl. Dec. Eremboldus frater doraini abbatis Richardi.
IX. Kl. Dec. Pibo episcopus Tullensis^.
V. Id. Dec. lohannes episcopus Metensis »«.
III. Id. Dec. Hildradus comes, pater domini Richardi
1) Gotfried I. Vgl. Hugo Flav. a. a. 0. p. 375: 'Godefridus comes
pater Borracum dedit'. 2) v. Niederlothr. Gest. 1023. Vgl. Bresslau,
Jahrb. Heinr. U, III, S. 266. 3) Vgl. Hugo Flav. II, c. 8 a. a. O. :
'Godefridus dux Gozelonis frater ibidem sepultus, 20 mansos in Beurunes
dedit et sua suppellectile locum admodum ampliavit'. 4) Sie ist die
Gemahlin d. Grafen Manasse, der 1037 bei Bar fiel (vgl. Hugo Flav.
a. a. O. p. 401), nach einer Urk. v. 1027 im Gart, de St. Vannes, Bibl.
Nat. 1. 5435, fol. 21. 5) Gest. 1106. 6) Heinr, I.(?) 1170—1191.
7) Ist der uneheliche Sohn dieses Namens. Die Ortsnamen sind in der
Abschrift 'Hani' und 'Gengeania' verlesen. Vgl. Hugo Flav. II, c. 8:
'Dedit etiam pro anima filii Godefridi ex concubina nati, in claustro
tumulati, non tarnen iuxta fratres et patrem, duas aecclesias, quarum
una dicitur Ham, alia Gengeavia'. 8) Nach Hugo Flav. II. c. 9, p. 376
gab das schon sein Vater. 9) 1070—1107. 10) 1224—1238.
9*
132 Ernst Sackur.
episcopi, qui nobis tradidit, que* habe-
mus apud ßolrourum et ad Theonis Cor-
te m ^ cum servis et ancillis, et silvam
speciosam.
XIII. Kl. lan. Adelardus, abbas huius loci, qui nobis
multa bona contulit et ea, qua habemus
apud Habonis cortem,
IX. Kl. lan. Godefridus, dux et marchio^, filius ducis
Gozelonis, qui nobis dedit ecclesiam de
Viviers, pro se et pro patre suo duce
Gozelone.
VII. Kl. Jan. Rogerus episcopus*.
V. Kl. lan. Teodericus duxs.
Teodrada mater domini Richardi abbatis.
IUI. Kl. Jan, Gislebertus comes,
IL Kl. lan. Anno domini octingentesimo septuagcsimo
obiit domnus Berhardus huius urbis epi-
scopus.
2. Necrologium Epternacense.
Das Necrologium Epternacense nimmt in dem Cod. Paris,
lat. 10158, der mit einer exegetischen Arbeit beginnt, die
Blätter 5 — 107 ein. Bis auf die ersten 5 Blätter, fol. 5—9
und fol. 107, die erst dem 15. Jahrhundert angehören, ist das
Necrolog im 12. Jahrhundert geschrieben. Anfang und Schluss
waren offenbar verloren gegangen. Es fehlen mithin auch in
diesen später zugefügten Blättern die ursprünglich zwischen
dem 12. und 15. Jahrhundert erfolgten Eintragungen. Das
Necrolog ist so angelegt, dass zuerst von einer Hand das
Martyrologium geschrieben wurde, indem man zwischen den
einzelnen Tagen Platz genug für spätere Nachträge Hess. Die
ersten Namen, die sich auf eine frühere Zeit beziehen, sind
in einem Zuge geschrieben, dann unterscheidet man aber im
Einzelnen die Schriftgattungen der folgenden Jahrhunderte.
Auf das Necrolog folgt fol. 108 — 136 die Benedictinerregel;
auf fol. 108 mit sehr schönen Initialen das 'Ausculta o tili';
darüber ist ein Brief Hadrians IV., JafFe-Löw. Reg. nr. 10014
eingetragen, ferner verschiedene Aufzeichnungen über Ver-
brüderungen. Fol. 131 ist leer geblieben. Die letzten Blätter
131 — 136 gehören erst dem saec. XV an. Im Folgenden gebe
ich die wichtigeren Namen aus dem Necrolog, die begreif-
1) Abs. 'qua'. 2) Diese Schenkung 'Gesta ep. Virdun.' c. 10, SS. IV,
p. 51 Bischof Richard zugeschrieben. 3) Gemahl der Beatrix v. Tuscien.
4) E. III. V. Chälons s. M. 1066 — 1093. 5) Von Oberlothringen; nach
Necrol. S. Michael, gestorben 2. Januar (1027), vgl. Bresslau, Jahrb.
Konrads II. Bd. I, 202.
Handschriftliches aus Frankreich. 133
lieber Weise zumeist Geistlichen der Trierer Kirchenprovinz
angehören. Nicht identisch mit dem unsrigen sind das Necro-
logiura, aus welchem Reiffenberg, Monum. de Namur VII,
p, 210 — 212 Auszüge giebt, und das zwischen 1511 und 1528
angelegte Obituar von Echternach, welches Peters in den
^Publications de la section histor. de l'institut de Luxembourg'
XXVII (nouv. ser. V) 1873, p. 140 flf. veröflPentlichte.
VIII. Kl. Febr. Poppe ^ abbas Stabulensis cenobii.
VII. Kl. Febr. Ugo ^ abbas S. Maximini.
III. Kl. Febr. Walerannus comes.
III. Id. Febr. Widricus abbas sancti Apri^.
II. Id. Febr. Nithardus abbas sancti Luitwini et Thiot-
fridus presbiter et monachus Glandariensis
et Heremannus archiepiscopus Coloni^ *.
XV. Kl. Mart. Cuonradus rex^.
XIII. Kl. Mart. Cunradus factus est abbas sancti Maxi-
mini 6.
XII. Kl, Mart. Florentius abbas S. Cornelii in Inda''.
XL Kl. Mart. Walo abbas sancti Arnulfi ».
X, Kl. Mart. Cunradus abbas Glandariensis cenobii.
VI. Kl. Mart. Albertus abbas sancte Marie in lacu^.
III. Kl. Mart. Emmehardus Wyzenburgensis episcopus'",
frater noster.
II. Kl. Mart. Winricus abbas presbiter". — Heinricus
Bawariorum dux^*.
VI. Non. Mart. Eberardus abbas sancti Euchariii».
Non. Mart, Heinricus ex palatino comite conversus
et monachus nostr^ congregationis '^.
VIII. Id. Mart. Heimericus presbiter et abbas sancti Panta-
leymonis i*.
VI. Id. Mart. Widricus abbas sancti Apri i^.
V. Id. Mart. Gundelaus pie memorie Wizenburgensis
cenobii abbas >'.
IV. Id. Mart. Domnus Godefridus pie memorie abbas
nostre congregationis sanctique Eucharii^*.
XIV. Kl. April. Arnoldus comes nostre congregationis fra-
ter et Everardus abbas sancti Apri^^,
1) Gest. 1048. 2) 945 Bischof von Lüttich. 3) Der zweite
oder dritte Abt dieses Namens. 4) H. II. von 1036 — 1056. 5) Kon-
rad III. 6) Graf Konrad, der die Abtei von Ludwig dem Kinde er-
hielt. 7) I. oder II. 8) von Metz c. 1099. 9) Gest. 1217.
10) Emehard v. Würzburg 1088— 1105. 11) Von St. Maximin, 1016—1018
nachzuweisen. 12) Heinrich v. Luxemburg, gest. 1026. Vgl. Bresslau,
Konr. II., I, 193. 13) Eberhard von Kamberg, gest. zwischen 1129
und 1136 (Gallia ehr. XIII, col. 546). 14) Heinrich I.? 1045—1061.
15) ? 1066 (Vgl. SS. III, p. 738), 16) I, 1036. 17) 1182 nachzu-
weisen. 18) Gest. 1210. 19) L (1083, 1085, 1086)? IL (1136)?
134 Ernst Sackur.
XII. Kl. April. Christianus abbas de sancto Pantaleone '.
X. Kl. April. Stephanus presbiter et abbas Wizenbur-
gensis cenobii^.
III. Non. April. Domnus Thiofridus beate raeraorie pres-
biter et abbas nostre congregationis^.
VIL Id. April, Ludolfus Treverensium archiepiscopus ■*.
II, Id. April. Winricus presbiter et abbas Indensis ee-
nobii *.
XVII. Kl. Mai. Eberardus Trevirorum archiepiscopus, no-
ster frater«.
XVI. Kl. Mai. Otto comes frater noster ''.
XIV, Kl. Mai. Hagano abbas sanete Marie s.
X. Kl. Mai. Gumbertus presbiter et abbas Lintbur-
gensis cenobii*'.
VII. Kl. Mai. lohannes presbiter abbas sancti Sympho-
riani'«'. — Bruno archiepiscopus Treveren-
sis >'.
II. Kl. Mai. Stephanus abbas Luxoviensis '2.
V. Id. ^lai. Eodem die sancti Maioli abbatis ".
II. Id. Mai. Folemarus presbiter et abbas Wizinbur-
gensis cenobii '^.
II. Id. lun. Sigefridus presbiter et abbas Gorziensis
cenobii "'.
XVI. Kl. lul. Poppe Treveroruiu archiepiscopus •*,
V. Kl. lul. Walerannus presbiter et abbas sancti
Vitonii'.
Kl. lul. Geila comitissa, soror nostra.
VI. Non. lul. Heinricus rex '**.
V. Non. lul. Heiuricus archiepiscopus noster beat^ re-
cordationis '*•.
II. Non. lul. Odilia, filia comitis Cuonradi.
VIII. Id. lul. Heinricus episcopus et monachus sancti
Michahelis 2".
V. Id. lul. lohannes presbiter et abbas sancti Maxi-
mini ^i.
II. Id. lul. Heinricus Imperator ^^^
1) Gest. 998 oder 1001. 2) 1104 nachzuweisen. 3) 1081—1110.
4)994—1008. 5)1064—1084. 6)1047—1066. 7) Wohl Otto I.
von Luxemburg-, Sohn Hermanus von Salm, gest. 1150, oder s. Sohn Otto
d. Jüngere, gest. 1149. 8) St. Maria ad Martyres, genaue Amtszeit
unbekannt, Ende des XL Jahrb. Vgl. Gallia ehr. XIII, col. 567. 9) Der
Nachfolger Johanns, des Neffen Poppos v. Stablo. Vgl. Ladewig, Poppo
V. Stablo S. 83. 10) Von Metz? 11) 1102—1124. 12) 1139,
1144 (Gall. ehr. XV, col. 153). 13) Abt v. Cluny, gest. 994. 14) Gest.
1043. 15) Gest. 1055. 16) 1016—1047. 17) Gest. 1060.
18) Heinrich L 19) 956 — 964, von Trier. 20) Wohl Heinrich L
oder II. von Verdun. 21) Poppos Nachfolger. Vgl. Ladewig a. a. O.
S. 82. 22) Heinrich IL
Handschriftliches aus Frankreich. 135
XVII. Kl. Aug. Widradus abbas Voldensis c^nobiii.
XVI. Kl. Aug. Thietfridus diaconus abbas sancti Maxi-
mini 2.
XIV. Kl. Aug. Wibaldus pie memorie presbiter et abbas
Stabulensis simul et Corbeiensis s.
II. Kl. Aug. Obiit Bezelinus comes*.
II. Non. Aug. Obiit Benedictus presbiter et abbas sancti
Arnulfi 5.
VII. Id. Aug. Heinricus quartus imperator nostre con-
gregationis frater.
II. Id. Aug. Domnus Humbertus predicande memori^
presbiter et abbas et constructor sanct§
religionis huius loci«.
XIX. Kl. Sept. Domnus Ravangerius pie memori§ pres-
biter et abbas nostre congregationis '.
XVIII. Kl. Sept. Folcmarus sacerdos et abbas sancti Maxi-
mini*.
XII. Kl. Sept. Obiit Immo presbiter et abbas Gorziensis
c^nobii^.
XI. Kl. Sept. Gundradus presbiter et abbas sancti Eu-
charii '«.
X. Kl. Sept. Heriraannus comes nostr^ congregationis
frater '1.
VIII. Kl. Sept. Ruopertus presbiter et monachus sancti
Maximini, abbas sancti Eucharii >-, et Theo-
dericus presbiter et abbas sancti Huperti i^.
VI. Kl. Sept. Sigehartpresbiteretabbas sanctiEucharii'*.
V. Kl. Sept. Fridericus pacificus dux^^ nostre congre-
gationis frater.
VIII. Id. Sept. Adalbertus abbas de sancto Unperto'«.
IV. Id. Sept. Bern presbiter et abbas sancte Marie i'.
II, Id. Sept. Herebertus abbas de sancto Vincentio ^^.
XVI. Kl. Oct. Lambertus presbiter et abbas sancti Lau-
rentii^^. — Everardus presbiter et abbas
eiusdem monasterii^o.
1) 1060 — 1075. 2) 967—983. 3) Gest. 1158. 4) Wohl
Bezelin von Bidburg, Graf im Bidgau, nachweisbar 1039 flf. ; vgl. Bress-
lau, Jahrb. Konrads 11. Bd. 11, 483 n. 3. 5) Gest. 1024. 6) 1028 —
1051. 7) 971—1007. 8) Nach 996, vgl. Bresslau, Westdeutsche
Zeitschr. f. Gesch. u. Kunst V, 59. 9) Todesjahr unbekannt. Er ist
der Vorgänger Wilhelms v. Dijon. 10) Todesjahr unbekannt. Ende des
X. Jahrhdts. 11) Wohl aus dem Hause Salm. 12) Gest. 1074.
13) Theoderich I. v. St. Hubert. 14) Identisch mit Siboto? Vgl.
Gallia ehr. XHI, 54, 15) Friedrich von Niederlothringen 1046 — 1065.
Vgl. Steindorff, Jahrb. Heinr. III., I, S. 295 N. 2. 16) Adalbert II.
(1033). 17) Ende d. XI. Jahrh. 18) e. 1048. 19) Gest. 1069.
20) Gest. 1070.
136 Ernst Sackur.
XII. Kl. Oct. Heremannus palatinus comes nostre con-
gregationis frateri.
VIII. Kl. Oct. Stephanus ^ presbiter et abbas Prumiensis
c^nobii et Hildericus* abbas eiusdem mona-
sterii et Adelardus abbas de sancto Trii-
done*.
IV. KJ. Oct. Heinricus Imperator frater nostre congre-
gationis *.
III. Non. Oct. Heinricus tertius imperator nostr§ congre-
gationis frater.
X. KI. Nov. Fridericus diaconus et abbas sancti Un-
perti«.
VI. Kl. Nov. Sigefridus comes.
III. Non. Nov. Nanterus abbas sancti Martini '.
VI. Id. Nov, Uroldus pie memorie abbas nostr§ con-
gregationis *.
XIX. Kl, Dec. Adalbero j\Ietensis episcopus beat§ memo-
rie noster frater».
XIV. Kl, Dec. Henricus comes i».
XIII. Kl, Dec. Warinus presbiter et abbas sancti Arnolfi ".
Non. Dec. Lotbarius tercius imperator frater noster.
III, Id, Dec. Domniis Reginbertus dignus ^terna memo-
ria presbiter et abbas ac professus nostr§
congregationis ^^.
XIX. Kl. lan, Adalbero Metensis episcopus ^^ et Folcma-
rus presbiter et abbas sancti Maximini '*.
X. Kl. lan. Cunradus rex is.
IV.
Ein Diplom Heinrichs III.
Heinrieb III. bestätigt den Besitz des Canoniker-
stifts St. Maria Magdalena zu Verdun.
1040, Juni 16.
In nomine sancte et individue Trinitatis. Heinricus Dei
gratia Romanorum rex. | Si antecessonim nostrorum pia facta
1) Hermann von Gleichberg 1061 — 1085? 2) Aus der Familie
V. Sassenburg. 3) Wohl identisch mit Hildradus, gest. 1021, 4) Ade-
lardus I. 1033/34. 5) Heinrich VI, 6) 942. 7) v, Metz, 1033
nachzuweisen. "Vgl. Bresslau, Konr. H., H, S. 77, 483. 8) 1032 oder
1033, 9) A. in., 1047—1072. 10) v. Luxemburg, 11) Gest.
1050. 12) 1081. 13) IL 984 — 1005. 14) Gest. 1105?
15) Konrad I.
Handschriftliches aus Frankreich. 137
erga ecclesias Dei confirmare et corroborare stucluerimus, nobis id
regnique nostri statui profuturum miuime dubitamiis. Quapropter
noverit omnium Christi nostrique fidelium universitas | qualiter ob •
Petitionen! Ricardi^ Virdunensis aecclesiae presulis, locura in
honore sanctae Mariae Magdalenae ab antiquioribus construc-
tiun, sed modo suffragante operosa fidelium devotione a quo-
dam suae dioceseos clerico Ermenfrido nomine renovatum,
primitivo quoque^ renovationis eiusdem* tempore patris sui
Heizelini comitis, suis etiam postmodura opibus non modica
ex parte crementatum, nostra corroboratione confirmare veli-
muSj ut ab antecessoribus nostris domno Heinrico^, genitore
quoque meo Conrado^ imperatoribus comperimus esse iam
factum. Certum est enira, priusquam episcopalis gradum sor-
tiretur honoris, locum illum precipue pro salute animae suae
coluisse et in multis loci indigentiam sustentasse, ut cum illo
fratre reedificatore et socius esset in labore et particeps in
retributione. Unde et in die suae ordinationis, licet cum
aliis eiusdem episcopii monasteriis etiam illud sibi iure ces-
sisset, tamen prior reedificator, quia videbat cum, ut semper
optavit, pontificali honore sublimatum et, ut tali patrono in
Omnibus bonis locus augmentaretur, coram archiepiscopo Tre-
virense Popone et Mettensi episcopo Teoderico et ceteris
sanctae Dei aecclesiae fidelibus super his se abalienavit ipsi-
que in praesens reddidit. Quapropter eidem petenti decet
nos adquiescere et bona ipsius aecclesiae regiae dignitatis posi-
tione corroborare, videlicet alodium de Beroldi curte' cum
familia aliisque appenditiis, quod in primis eins pater comes
Heizelinus eidem loco tradidit; alodium etiam de Orna* cum
vinea et familia et raolendinis, aquis aquarumque decursibus,
pratis, campis, cultis et incultis, quae idem Ricardus suique
heredes eidem aecclesiae contulere; aliud quoque beneficium,
quod similiter ad Ornam dicitur, cum familia et banno aliis-
que appenditiis ab Heimone siquidem bonae memoriae epi-
scopo, duo molendina subtus monasterium sita et circa eadem
alodium, quod erat sancti Mauricii, per concambium adquisi-
tum, et piscariam de novo ponte usque ad vadum sancti Pauli
atque teloneum portarum et rasalis modii ipsius civitatis, et
unum clibanum in macello, aliasque mansuras Nova villa, duo
molendina cum manso uno et familia; aecclesiam Braconis vil-
iare, quam noviter ipse Ermenfridus construxit; aecclesiam de
Molinis, Valdentiae, Scarponne, mansos HI vineatos cum aliis
1) Clouet: 'ad'. 2) Clouet: 'Richardi'. 3) Clouet: 'et primitive'.
4) Fehlt bei Cl. 5) Diese Urkunde bis jetzt unbekannt. 6) Stumpf
1893. 7) Clouet bemerkt: 'peut-etre Merancourt'. 8) Vgl. Gesta
ep. Virdun, SS. IV, 51 not.
138 Ernst Sackur.
appenditiis; Duosam curtem cum suis omnibus, in villa quae
Fermerci dicitur mansos III et dimidium cum silva et banno
et familia; Betolonis villa mansum I et aliam terram adquisi-
tam cum silva; aecclesiam Moaldi villae cum villa et familia;
Balceias V quarteria et in urbe et extra alias mansuras cum
arabili terra, et vineam, quam plantavit idem Ermenfridus in
terra a fratribus maioris monasterii concambio adquisita; in
Ardenna alodiura ab Ermenfrido adquisitum Campis nomina-
tum cum familia, quae ei dederunt Conradus imperator et
Gisela imperatrix; aecclesiam Molenivillae, quam imperator
Heinricus a duce Gotefrido impetratum ibidem concessit et
vineam apud eandem villam cum aliis appenditiis; alodium
de Rasengis cum familia, pratis, campis, silvis et duobus
molendinis, quod dedit eidem aecclesiae Guota per manus
mariti sui Gotefridi ducis; predium Haldonis curte cum silva
a fratribus Montefalconis mutuatum de alio predio Genalt;
aecclesiam de dorano Petro cum alodio et familia et molen-
dinis, quod Ermenfridus de proprio adquisivit; apud Gisindi
curtem quoddam molendinum contra Adelardum canonicum
per precariam adquisitum cum alodio eidem pertinente molen-
dino; preterea aecclesiam de Elisia cum villa et familia; alo-
dium de Stabuletis, aliud etiam de lonvilla, quae dedit ibi
Adelaidis comitissa; aecclesiam de Ramberti curte; medietatem
aecclesiae de Elna cum alodio; aecclesiam de Haimonis monte
dimidiam, quam ipse per precariam a ßrunone clerico adqui-
sivit; alodium de Solleio cum tribus partibus aecclesiae, et
partem aecclesiarum Eremberti curte et Cusantia cum alodio ;
alodium de Occa, aecclesiam de villa cum alodio; apud Mon-
tiniacum duos mansos et dimidium et apud Vulsopiam partem
aecclesiae per hanc nostrae auctoritatis paginam concedimus
atque confirmamus , ea vidflicet ratione , ut ciusdera monasterii
fratres dehinc liberam habeant de supradictis omnibus potesta-
tem, quiequid eis placuerit, ad usum aecclesiae faciendi, omnium
hominum regni nostri contradietione remota. Et ut haec nostra
auctoritas stabilis et inconvulsa omni permaneat evo, hoc pre-
ceptum manu propria roborantes, sigilli nostri iussimus impres-
sione insigniri.
Signum domni Heinrici tertii (M) regis invictissimi. (L. S.)
Theodericus cancellarius vice Pardonis archicancellarii
recognovi.
Data XVI. Kl. lul. ind. VIII. anno dominicae incarna-
tionis millesimo quadragesimo, anno autem domni Heinrici
regis tertii ordinationis XIII. regni II. Actum Mettis feli-
citer amen.
Bibl. Nation. Collect. Moreau XXII, 245. Der Copist
bemerkt dazu : 'L'original est ecrit sur un parcbemin, qui a un
Handschriftliches aus Frankreich, 139
pied six pouces neuf lignes de largeur; sur un pied onze
pouces huit lignes de hauteur; non compris le replis, qui porte
trois pouces au plus large; car il n'est pas egal. Le sceau
de l'empereur est perdu, il ne reste qu'une Ouvertüre en forme
de croix dans le parcherain, qui servoit k rattacher'. Ein
kurzes Excerpt aus dieser Urkunde, dessen Varianten ange-
geben sind, bei Clouet, Hist. de Verdun II, p. 53. Danach
verzeichnet bei Stumpf 2186 3.
IV.
Italienische Prophetieen
des
13. Jahrhunderts. I.
Von
0. Holder- Egger.
V or Mitte des dreizehnten Jahrhunderts bildete sich
unter den Minoriten Italiens eine Richtung aus, welche an
die Schriften des Abtes Joachim von Fiore anknüpfend, lehrte,
dass nach dem Zeitalter Gott Vaters, dem des alten Testa-
mentes, und dem des Sohnes, das ist des neuen Testamentes,
ein drittes letztes Zeitalter des heiligen Geistes anbrechen
werde, in welchem das Evangelium aeternum zur Geltung
gelanget Sei es, dass sie mit Joachim selbst auf Grund von
Apoc. 12, 3 annahmen, dieses Zeitalter werde im Jahre 1260
anheben, sei es dass sie mit Gerard von San Donnino glaubten,
es habe schon etwa mit dem Jahre 1200, nämlich mit der
Lehre des Abtes Joachim und dem Entstehen der beiden
Bettelorden, seinen Anfang genommen: sie hielten dafür, dass
das Erscheinen des Antichrist nahe bevorstehe. Einige er-
warteten ebenfalls auf Grund der ]260 dies in Apoc. 12, 3,
dass er im Jahre 1260 würde geboren werden. Innerhalb
dieser Richtung der Joachiten, zum mindesten bei einem
Theile derselben bildete sich die Sucht aus, die prophetischen
Schriften des alten und neuen Testamentes auf die neuesten
Zeitereignisse zu deuten, wie das wohl sonst auch im Mittel-
alter, nie aber in der von ihnen geübten systematischen und
ausgedehnten Weise geschah. Da sich aber in den echten
Schriften des Joachim für solche Interpretation wenig oder
gar kein Anhalt fand, so wurde eine Reihe von Werken ver-
fasst und unter dem Namen des Joachim veröffentlicht, in
denen in der seltsamsten und willkürlichsten Weise zahllose
Stellen der alttestamentarischen Propheten und der Apokalypse
auf Vorgänge und Persönlichkeiten des dreizehnten Jahr-
hunderts gedeutet werden. Da die Interpretatio in Apocalyp-
sim von Joachim an Kaiser Heinrich VI. gerichtet war, gab
1) Ueber den Begriff des Evangelium aeternum bei Joachim und
seine Entstellung durch Gerard von Borge San Donnino, dessen Lehre
durch Papst Alexander IV. verdammt wurde, hat H. Denifle im Archiv
für Literatur- und Kirchengeschichte I, 49 ff. volles Licht verbreitet.
Frühere Literatur, die dort angeführt und kritisiert ist, brauchen wir hier
nicht weiter zu erwähnen.
144 0. Holder - Egger.
man^ um ihnen Glauben zu verschaffen, auch mehreren dieser
pseudojoachitischen Schriften die Einkleidung, als seien sie
auf Aufforderung Heinrichs VI. geschrieben und an ihn ge-
richtet. Vornehmlich die Thaten — oder Unthaten im Sinne
dieser Schriftsteller — seines Sohnes Friedrichs II. werden
darin geweissagt. Das zweite immer von neuem variierte
Thema ist das Heil, welches allein von den beiden Bettelorden
im dritten Weltalter kommt. Das dritte eben so unermüdlich
wiederholte ist das von der Hoffart, der Sündhaftigkeit, der
Verkommenheit des Weltklerus, der Prälaten, der Curie,
welche dafür durch viel Unheil, welches sie trifft, gestraft
werden sollen. Nur einige dieser pseudojoachitischen Schriften
sind bisher veröffentlicht, nämlich meines Wissens nur die
Interpretatio in leremiam prophetam (Venetiis 1519. 1524. 4».
Coloniae 1577. 8«) und in lesaiam (Venetiis 1517. 4°)'.
Manche andere, von denen ich einige unten erwähne, sind in
Handschriften erhalten 2, Auch Einzelprophetieen wurden unter
dem Namen des Joachim in der zweiten Hälfte des dreizehnten
Jahrhunderts verbreitet, die wir nur aus gelegentlichen Er-
wähnungen bei Schriftstellern kennen. Lässt es sich auch
nicht erweisen, dass diese ebenfalls den joachitischen Minoriten-
kreisen entstammen, so gehören sie doch derselben Geistes-
richtung an. Eine solche über Manfred und Conradin theilt
der Erfurter Minorit, welcher die Chronica Minor fortsetzte,
unter dem Jahre 12G9 mit (SS. XXIV, 207), die der Cardinal-
bischof von Porto Johann von Toledo nach Deutschland ge-
sandt haben soll. Eine andere erwähnt Bartholomeus Cotton,
Mönch zu Norwich, zum J. 1294 (SS. XXVIII, 607).
Dieser Richtung der Joachiten gehörte nun der Minorit
Salimbene de Adam, der bekannte Chronist, mit Leib und
Seele an. Er erwähnt, citiert und comraentiert an vielen
Stellen mehrere der echten, noch mehr der unechten Schriften
Joachims. Ausserdem beschäftigt er sich vielfach ganz im
1) Die Unechtheit dieser beiden Tractate hat Friderich in der Zeit-
schrift für wissenschaftliche Theologie, herausgeg. von A. Hilgenfeld, II.
(Jena 1859) 349 — 363. 499 — 514. dargethan, nachdem sie früher schon
von Einigen mehr oder weniger bestimmt ausgesprochen war. Es ist
schwer begreiflich, wie man sie je für echt hat halten können. 2) Die
bekannten öfter gedruckten Vaticinia auf die Päpste gehören nicht hier-
her, da sie aus viel späterer Zeit stammen und nicht in den joachitischen
Minoritenkreisen entstanden sind. Das Oraculum b. Cyrilli cum ex-
positione abbatis loachim (Venetiis 1517. 4") habe ich bisher nicht ge-
sehen, weiss daher nicht, ob es nach Zeit und Entstehung zu dieser
Literatur gehört. Auch die folgenden Jahrhunderte noch benutzten den
bekannten Namen Joachims, um ihm ihre prophetische Weisheit auf-
zubürden. Vgl. was Friderich a. a. O. S. 350 anführt und Fabricius,
'Bibl. Lat. mediae et infimae aetatis' (Florentiae 1858) IV, 328 ff.
Italienische Prophetieen des 13. Jahrhunderts. I. 145
Geist dieser Joaehiten mit verschiedenen Prophetieen, den
Weissagungen mehrerer Sibyllen, ferner mit gewissen ^Dieta
Merlini de primo Friderico et secundo'^^ welche er an einer
Stelle (Fol. 359 der Hs., S. 175 der Ausgabe) ganz mittheilt.
Dies veranlasste mich nach Schriftstücken dieser Art, die ihm
bekannt waren, gelegentlich mich umzusehen, und einige da-
von sind mir bekannt geworden, wovon ich zunächst einen
Theil hier mittheile. Zwar die Vaticinia einer Sibylle, welche
Salimbene auf fol. 436. 437 der Vatikanischen Handschrift
ganz aufgenommen hatte, von der aber der Anfang verloren
ist 2, da Blatt 436 ausgeschnitten ist, habe ich bisher nicht
aufgefunden. Dagegen citiert Salimbene an mehreren Stellen
(Fol. 282*=. 311. 354 etc.) Worte einer Sibylle und erwähnt
Fol. 355 (ed. Farm. p. 167) die Verba der Sibilla Erithrea
und Tyburtina als ihm bekannt. Der letzteren Vaticinia sind
in verschiedenen, mannigfach von einander abweichenden
Formen mehrfach gedruckt*; auch die Form, in der sie Salim-
bene kannte, ist erhalten, denn das Chronicon imperatorum
Regiense im Codex Estensis, welches fast ganz aus Salimbenes
Chronik excerpiert ist, und soweit es nicht daraus entlehnt
ist, doch nur Materialien bringt, welche Salimbene bekannt
waren, hat am Schluss im 185. Capitel die Sibilla Tiburtina
ganz aufgenommen*. Und zu Anfang im 4. Capitel desselben
Chronicon, welche Partie zweifelsohne ganz dem verlorenen
Theil der Chronik Salimbenes entlehnt ist, findet sich ein
Stück daraus mit den Augustin 'De civitate Dei' XVIII, 23
entlehnten Versen, welche am Schluss der Estensischen und
anderer Exemplare der Sibylla Tiburtina stehen.
Die Sibilla Erithrea nun, die Salimbene, wie oben gesagt,
citiert, und der er an verschiedenen Stellen einzelne Sätze ent-
lehnt, ist in nicht wenigen mir bekannt gewordenen Hand-
schriften erhalten, und dürfte sich noch in anderen finden.
Auch im Druck ist sie schon erschienen. C. Alexandre, ^Ex-
cursus ad Sibyllina' (Parisiis 1856) p. 291 sagt darüber:
'Alterum (vaticinium) vix minus darum medio aevo ferebatur.
1) Die prophetia Merlini, welche Bartholomeus Cotton, SS. XXVIII,
607 citiert, hat mit dieser nichts als den Namen gemein, ebensowenig
die älteren brittannischen Weissagungen bei Galfred von Monmouth.
2) Der Rest ist wie so vieles andere in der Parmeser Ausgabe über-
gangen. 3) Bei Opsopaeus, Sibyllina Oracula p. 515 if.; Gallaeus,
Sibyll. Orac. hinter der Vorrede; in den Ausgaben von Bedae Opera
t. II. Davon abweichende Formen in Forschungen zur Deutschen Geschichte
XIX, 392 ff. von Gerss; von G. Waitz, MG. SS. XXII, 375 f. = For-
schungen X, 621 ff. von Usinger; bei Godefridus Viterb., SS. XXII, 145 ff.;
bei Matheus Paris, Chronica Maiora ed. Luard I, 42 — 52. 4) Darauf
folgt in der Hs. die pseudojoachitische Exposition der septem sigilla,
welche Salimbene ebenfalls mittheilt.
Neues Archiv etc. XIV. IQ
146 0. Holder -Egger.
tanquam Erithraeae Sibyllae, quod typis impressum prodiisse
docet Fabricius cum coramentario Ludovici de Tovat [an de
Toval?] Hispani, Senis 1508. Nos impressum huius exemplar
nullum Parisiis invenimus nisi inter opera Theolosphori cuius-
dam eremitae, Ven. 1516, ubi exstat fol. lii sqq.' Mir ist
weder der eine, noch der andere Druck zugänglich gewesen,
ich glaube das aber bei den zahlreichen Handschriften, die
für die Constituierung des Textes mir zu Gebote stehen, nicht
sehr beklagen zu sollen. Alexandre hat auch selbst a. a. O.
S. 291 — 294 Auszüge aus der Sibylle gegeben. Doch hat er
gerade die wichtigsten Positionen weggelassen, sein Text ist,
weil auf ungenügendem handschriftlichem Material beruhend *
und zwei ganz verschiedene Recensionen der Sibylla ver-
mischend, durchaus unbrauchbar, seine Interpretation ist oft
gänzlich unzutreffend 2. Es wird daher nicht überflüssig sein
den richtigen Text dieses Vaticiniums vollständig zu geben,
da es viel benutzt und citiert ist. Alexandre a. a. O. 8. 294
sagt darüber: 'Meminerunt huius prophetiae Boccatius, De
claris mulieribus cap. 19, aliique plures, parum caute eruditi,
saeculis praesertim XIV, XV et XVI, tanquam authenticae
et verae'. Aber auch schon im 13. Jahrhundert wird sie nicht
nur von Salimbene, sondern auch von andern citiert, ja ist sie
sogar schon exponiert worden. Salimbene sagt Fol. 359''.
(ed. Parm. p. 176) von Abt Joachim: 'scripsit etiam sibi (statt
*ei', nämlich für Heinrich VI.) Expositionen! Sibille et Merlini
anno Domini currente MCXCVI.' Dieses natürlich pseudo-
joachitische Werk ist erhalten. Fabricius ^ erwähnt als Werke
Joachims: 'In prophetiam vatis Britannici Merlini' und 'In
prophetiam Erythraeae Sibyllae', die sich in einer Handschrift
von St. Martin in Löwen finden, wo nur irrig für zwei Werke
gehalten ist, was eine einzige Schrift ist. Die Handschrift ist
jetzt in Brüssel auf der Königl. Bibliothek n. 11956 — 66
(vgl. Archiv VIII, 537), ich habe sie unten noch einmal zu
erwähnen. Das Werk ist aber, soweit mir bekannt, noch in
zwei anderen Handschriften erhalten. Ich denke es in einem
späteren Heft dieser Zeitschrift herauszugeben. Sein Verfasser
war ohne Zweifel joachitischer Minorit.
1) Er hat die drei Pariser Handschriften benutzt, welclie ich unten
erwähne. Er hat jedoch viele ganz falsche Lesarten, die sich in keiner
dieser drei Handschriften finden. Ich vermuthe daher, dass er diese ans
dem von ihm benutzten Druck genommen hat, und bedauere um so
weniger diesen nicht gesehen zu haben. 2) Er erklärt, Friedrich I.
sei gemeint, wo von Karl dem Grossen die Rede ist, setzt Tancred statt
Andronicus, Heinrich VI. statt Ysaac, Guillelmi cognatio wo von dem
nach Griechenland entsandten Heer König Wilhelms II. von Sicilien die
Rede ist. 3) Bibl. Lat. med. et Inf. aet. ed. Mansi (Florentiae 1858)
IV, 330.
Italienische Prophetieen des 13. Jahrhiinderts. I. 147
Die in dieser pseudojoachitischen Schrift exponierte Sibylla
ist eben die Erithrea, von der oben die Rede war; die Merlin-
prophezeiung, welche darin erklärt ist, ist eben jene oben
erwähnte, welche Salimbene ganz aufgenommen hat. Sie findet
sich auch in zwei unten zu erwähnenden Handschriften, welche
die Sibylla Erithrea enthalten, aus denen ich sie hier heraus-
gebe. Auch in anderen pseudojoachitischen Schriften^ nämlich
der Interpretatio in leremiam » und der unten zu erwähnenden
^Lectura Isaiae super oneribus' werden sowohl die Sibylla
Erithrea wie jene Dicta Merlini citiert.
Von der Sibylla Erithrea existieren zwei Recensionen.
Es ist leicht zu sehen, dass die längere von ihnen die ursprüng-
liche, die andere eine verkürzte Bearbeitung der ersteren ist,
in welcher manches dem Bearbeiter überflüssig erschienene
und namentlich der ersteren mehrfache Wiederholungen weg-
gelassen, manches mehr geglättet und dem Verständnis näher
gebracht ist. Auch sind manche Zusätze, namentlich zur ge-
naueren Zeitbestimmung gemacht, andere Zeitangaben des
ursprünglichen Textes sind verbessert. Besonders daran er-
kennt man, dass wir in dem kürzeren Text eine spätere
Bearbeitung vor uns haben, dass einige Stellen der längeren
Recension in einer Weise abgeändert sind, dass man sieht,
der Bearbeiter habe den Sinn derselben missverstanden. Wenn
z. B. der längere Text hat: 'gallinacius apponetur', was, wie
ich glaube, den Sinn hat: es wird zu Unrecht ein römischer
Senator eingesetzt werden 2, und der kürzere Text dafür setzt:
'gallinacius opponetur ei', was dann heissen soll: der Papst
wird sich dem Kaiser Friedrich II, entgegensetzen, so ist das,
meine ich, eine Correctur, welche der Bearbeiter machte, da
er die Stelle nicht verstand. Noch deutlicher wird das Ver-
hältnis der beiden Texte, wenn z. B. die Worte des längeren:
^trina fiet restauratio; hinc Trinacris requies aquile' ('Frie-
drichs II.), in dem kürzeren so abgerundet sind: 'Trinacris
fiet restauratio', wobei die ganze Stelle durch Umstellung der
einzelnen Theile ihren ursprünglichen Sinn verloren hat.
Aber auch die längere Recension der Sibilla Erithrea
1) Cap. 34. 49. 51, Coloniae 1577. p. 366 f. 379 f. 385 f. 2) Da
Tancred von Sicilien in der Sib. 'rex appositus' heisst, so bedeutet hier
'apponetur' jedenfalls auch 'er wird zu Unrecht, neben einem berechtigten
eingesetzt werden'. Der Papst wird sonst in der Sibilla als 'gallus' be-
zeichnet, danach könnte 'gallinacius' spöttisch einen Gegenpapst bedeuten.
Da aber ein solcher zu Friedrichs II. Zeiten nicht eingesetzt wurde, und
an der Stelle von den Römern die Rede ist, so wird doch wohl nur an
einen römischen Senator gedacht werden können. Ich vermuthe daher,
die Stelle wird sich darauf beziehen, dass im Jahre 1237 von den
Römern im Gegensatz zum Papst Johann de Cencio zum Senator erwählt
wurde.
10*
148 0. Holder -Egger.
scheint schon eine Bearbeitung eines älteren ihr zu Grunde
liegenden Textes zu sein. Mattheus Paris nämlich führt schon
zum Jahre 1241 eine 'Prophecia magne Sibille' an (SS. XXVIII,
217), deren wenige von ihm mitgetheilte Sätze sich zum Theil
in der Erithrea, zum Theil aber — und das ist besonders zu
bemerken — in den Dicta Merlini finden. Denn der erste
Satz bei Matheus: 'Marc sanguine sanctorum rutilabit' steht
wörtlich so in den Dicta. Die folgenden Worte bei Math, :
'Ducentur captivi' finden sich in keiner der beiden Schriften.
Dem dann folgenden aber: 'rapientur monilia sponse agni apud
Paripolomen entspricht in der Erithrea: 'Oculus eius' (Frie-
drichs IL) 'in insidiis sponse, manus eius ad monilia eius, ut
diripiat cultum ipsius'. Ebenso dem folgenden bei Math.:
'Agnus in vellere, lupus in opere nidum philosoforum, florem
Emilie deflorabit', an anderer Stelle der Erithrea: 'nidum phi-
losophantium minorabit, florem Emilie deflorabit'. Endlich
dem ersten Theil des letzten Satzes bei Matheus: *Hic nutri-
tus lacte sponse agni ipsam conculcabit et spernet', entspricht
in der Erithrea: 'Mamillis sponse agni lactabitur', während
für den zweiten Theil des Satzes sich zwar Parallelstellen so-
wohl in ihr als bei Merlin finden, aber nichts anklingendes.
Der Schluss, den wir daraus ziehen, ist, dass der Verfasser
der Sib, Erithrea eine ältere Prophetie verarbeitete, zweitens
aber, dass diese Sibille und die Dicta IMerlini aus einer Fabrik
entstammen, von demselben Fälscher herrühren, der die Sätze
der von ihm benutzten älteren Prophetie auf seine beiden
Machwerke vertheilte. Und das ist an sich schon wahr-
scheinlich, da Avir die Merlinprophezeiung nur in Handschriften
finden, welche auch die Sibylla enthalten i, da sie zusammen
von einem Joachiten exponiert worden sind, da die Autoren,
welche, im dreizehnten Jahrhundert wenigstens, die eine Schrift
eitleren, auch die andere kennen.
Wenn wir nun beachten, dass alle diese Autoren joachiti-
sche Minoriten Italiens sind, wenn wir ferner finden, dass in
der Sibilla Erithrea an zwei Stellen mit besonderem GcAvicht
gesagt wird, dass in dem letzten Zeitalter (in postremis diebus)
'due stelle' (Franciscus und Dominicus und deren Orden) er-
scheinen und die Welt erleuchten, den Kampf mit der bestia
(dem Islam) und der abhominatio (dem Satan) aufnehmen
werden, wenn von ihnen beiden gesagt wird, dass sie ähnlich
seien 'priori stelle' (dem Apostel Paulus), 'habentes faciem
quatuor animalium' (der vier Evangelisten) ^ : so werden wir
1) Freilich ist zu beachten, dass die beiden Hs., in welchen die
Dicta Merlini stehen, nur den kürzeren Text der Erithrea enthalten. Doch
Salimbene kannte neben den Dicta Merlini die ursprüngliche Recension
der Erithrea. 2) Vgl. oben S. 144.
Italienische Prophetieen des 13. Jahrhunderts. I. 149
nicht zweifeln, dass die beiden besprochenen Prophetieen eben-
falls von einem joachitischen Minoriten Italiens verfasst sind.
Schwieriger ist es die Abfassungszeit genau zu bestimmen.
Zwar das ist klar, dass sowohl die Dicta Merlini wie die
Sibylla nach Friedrichs IL Tod verfasst sind, da beide schon
auf denselben Rücksicht nehmen, da die Sibylla besonders be-
merkt, dass das Volk zum Theil an seinen Tod nicht glauben
wird, wie es wirklich geschah. Und dass die Merlinprophetie
w^enigstens sehr bald nach Friedrichs Tode geschrieben sein
wird, erhellt schon daraus, dass sie eben mit diesem abbricht.
Anders liegt die Sache bei der Sibylla. Da folgen nach Frie-
drich IL noch verschiedene Herrscher, die sich zum Theil be-
kämpfen. Unzweifelhaft ist die 'aquila, welche aiif Friedrich IL
folgt, auf Konrad IV. zu deuten, wenn auch manches von ihm
ausgesagt wird, w^as nicht auf ihn passt. Wenn es dann aber
weiter heisst, dass ein 'leo' die 'aquila' und den ihr verbündeten
^hyrcus biceps' angreifen wird, dass ferner der 'pardus filius
aquile' mit dem 'leo' kämpfen und ihm schliesslich unterliegen
wird, so ist zwar zuzugeben, dass manches bei dem 'leo' sich
auf Karl von Anjou', der 'pardus' sich auf Konradin deuten
lässt. So vieles andere aber wird von diesem ausgesagt, Avas
sich mit den wirklichen Vorgängen nicht zusammenreimen
lässt, dass ich meine, diese ganze letzte Partie beruht auf
fi'eier Erfindung, ist wirkliche Prophetie^. Da nun schon
über die 'aquila' vieles gesagt wird, was mit der Geschichte
Konrads IV. nicht zusammen stimmt, so, meine ich, muss die
Sibylla vor dessen Tod (1254, Mai 20) verfasst sein. Da
aber die Sibylla nachher von dem 'pardus filius aquile' spricht,
Konradin aber erst 1252, März 25. geboren ist, so halte ich
es wenigstens für wahrscheinlich, dass sie erst nach diesem
Termine geschrieben ist 3. Nun wird uns auch auf andere
1) Wäre der 'leo' wirklich Karl von Anjou, so begreift man nicht,
wie der mit der 'aquila' (Konrad IV ) kämpfen soll. Man müsste also
annehmen, die 'aquila' sei Manfred, Konrad sei ganz übergangen. Dazu
stimmt aber ausser vielem anderen nicht, dass die 'aquila' mit Hilfe
zweier Könige den 'leo' schliesslich besiegen wird^ Kurz es lässt sich
absolut keine Melodie auf diesen Text der Sibylla finden. 2) Dafür
spricht auch, dass sicli für diesen Theil der Sibylla in den Hss. keine er-
klärenden Glossen mehr finden, die vorher so zahlreich sind (siehe unten
S. 152 f.), dass also auch die Glossatoren diese Partie mit der Wirklich-
keit nicht reimen konnten. Zwar hat in einer Hs. noch ein späterer
Leser, nicht der ursprüngliche Glossator, den 'pardus .filius aquile' auf
Konradin gedeutet, aber das lag nahe genug, wenn auch anderes auf
ihn nicht passt. .3) Am auffälligsten, weil der Wirklichkeit entsprechend,
ist, dass die Sibylla, nachdem sie prophezeit hat, dass der 'pardus filius
aquile' von dem Löwen verschlungen werden wird, sagt: 'et non erit
ultra semen aquile'. Es kann hier eben nichts gesagt werden, als dass
durch Zufall die Phantasie des Joachiten mit der Wirklichkeit zusammen-
getroflfen ist.
150 O. Holder - Egger.
Weise bestätigt, dass die Sibylla in Konrads IV. Regierungs-
zeit entstanden sein muss. Wiliielm von St.-Amour erwälint
nämlich in seinem 1255 geschriebenen Werk 'De periculis
novissimorum temporura' den dem Joachim zugeschriebenen
Commentar des leremias ', und wir sehen, dass in diesem
Buch schon die Dicta Merlini sowohl wie die Sibilla Erithrea,
und zwar deren überarbeitete kürzere Recension, citiert sind.
Danach würde also ebenfalls die Abfassungszeit beider Schriften
zwischen 1251 bis spätestens 1254 anzusetzen sein. Freilich
muss ich hinzusetzen, dass dieser Beweis nicht absolut zwin-
gend ist, denn wir sind nicht ganz sicher, dass der Jeremias-
kommentar dem Wilhelm schon genau in der Form vorlag,
in Avelcher er gedruckt ist 2, und es ist zu bemerken, dass die
Citate aus Merlin und der Sibylle nur in der letzten Partie
des Werkes vorkommen. Indessen wird das erstgewonnene
Resultat über die Abfassungszeit der beiden Schriften doch
als sicher gelten können.
Und dieses Resultat giebt uns nun einen hübschen Anhalt
zur Kritik Salimbenes, was mich vorzüglich veranlasste, so
lange dabei zu verweilen, Salimbene berichtet Fol. 309 ff.
(ed. Parm. p. 104 ff.) ein langes Gespräch, welches der Minorit
Hugo der Provenyale im Jahr 124<S in Hyeres mit dem Do-
minikaner Peter von Apulien über Abt Joachim und die
joachitischen Weissagungen gehabt haben soll. Darin exponiert
nun Bruder Hugo des längeren mehrere Sätze aus den Dicta
Merlini und der Sibilla Erithrea, aus der letzteren gerade den
Satz, welcher absolut beweist, dass diese erst nach Kaiser
Friedrichs II. Tode (1250, Dec. 13) geschrieben ist. Man
sieht, wie viel in solchen Dingen Salimbene zu glauben ist.
Höchstens dass ein Gespräch zwischen den beiden genannten
1) Wie Friderich a. a. O. S. 450 bemerkt. Die der Zeit nach
nächste Erwähnun» der Interpretatio in leremiam geschieht meines
Wissens bei Albert von Stade zum J. 1250, SS. XVI, 372, der zwar
die Schrift nicht nennt, aber unter Joachims Namen einen Satz aus deren
46. Kapitel (ed. Colon, p. 376) citiert. Der Satz lautet nach dem aus
der Brüsseler Hs. corrigierten Text: 'quoniam ['quia' ed.] superatur Fran-
cornm exercitus, capitur sumraus pontifex, imperans dominatur Alaman-
nus'. Bei Albert finden sich schon mehrere Abweichungen. Demnächst
finde ich die Interpretatio in den Annales Piacentini Gibellini zum
J. 1266, SS. XVIII, 516 citiert. Es scheint, als ob da eine zusammen-
hängende Stelle ausgeschrieben ist. Nach Pertz' Note soll diese im
2. Kapitel der Interpretatio stehen, aber den Anfang und Schluss des
Citates fand ich überhaupt nicht in dem Werk, obwohl ich nicht be-
haupten will, dass sie nicht darin stehen. Die mittleren Sätze stehen
allerdings im zweiten Kapitel, aber weit von einander getrennt, der
vorangehende S. 57 f., der folgende S. 46 der Kölner Ausgabe. Danach
bin ich doch im Zweifel, ob die Interpretatio schon ursprünglich so aus-
sah, wie die Ausgaben sie bieten. 2) Vgl. unten S. 151.
Italienische Prophetieen des 13. Jahrhunderts. I. 151
Personen über Joachim stattfand, ist vielleicht richtig. Alles
übrige, die viele Seiten lange erregte Debatte der Beiden, so
lebensvoll und lebenswahr sie scheint, ist von Salimbene frei
erfunden. Salimbene erzählt auch Fol. 308 c. (ed. Parm. p. 102),
dass im J. 1248 in Frankreich zwei joachitische Minoriten
die Joachim zugeschriebene Interpretatio in leremiam schon
hatten und ihm darin eine Stelle zeigten, aus welcher sie
schlössen, dass der Kreuzzug Ludwigs IX. unglücklich ab-
laufen werde. Auch dies würde unwahr sein, wenn der ge-
druckte Text der ursprüngliche wäre, doch muss das, wie ge-
sagt, als unsicher dahingestellt bleiben.
Ich gebe nun an erster Stelle die ältere ursprüngliche
Recension der Sibylla Erithrea oder, wie sie in den Hand-
schriften der ersten Recension wenigstens durchweg genannt
wird, 'Erithea'. Den kürzeren überarbeiteten Text behalte ich
mir vor, später mit der pseudojoachitischen Exposition des-
selben zu bringen, denn die kürzere Recension ist es, welche
der Erklärung daselbst zu Grunde liegt, und welche in allen
mir bekannten pseudojoachitischen Schriften citiert ist.
I. Vaticinium Sibillae Eritheae.
Folgende Handschriften sind für die Textconstituierung
benutzt worden:
1) Brüssel, Königl. Bibliothek n. 11956 — 66, membr.
8", saec. XIII ex., ehemals St. Martin in Löwen gehörig. Die
Hs. enthält fol. 1—71 die pseudojoachitische Interpretatio in
leremiam in 25 Kapiteln, während die Ausgabe deren 51 hat.
Sie beginnt abweichend von der Ausgabe mit einem an
Kaiser Heinrich VI. gerichteten Prolog: 'Henrico sexto inclito
Romanorum augusto loachim dictus abbas humiliari sub divine
potentia maiestatis. Licet mee simplicitatis inhertiam litteris
et nuntiis recurrentibus urgeretis, ut quasi per cronicas
veteres et annales nova populorum discrimina, in quibus uni-
versalis ecclesia fluctuabit, iuxta leremie vaticinium scriberem
et legerem, tarnen quia consilium Domini nemo novit, imperio
vestro' etc.i Ich habe die Handschrift leider auf ihre Ueber-
einstimraung mit der Ausgabe nicht untersuchen können, da
ich ins Ausland verreisen musste, als sie zur Beutzung nach
Berlin gesandt wurde. — Es folgt fol. 72—82 die pseudo-
joachitische 'Expositio Merlini et Sibillae Erithreae', eben-
falls angeblich an Heinrich VI. gerichtet. Dann fol. 82 — 87'
gleichfalls angeblich auf Aufforderung Heinrichs VI. geschrie-
ben und an ihn gerichtet eine Schrift PseudoJoachims, in
1) Wie der ursprüngliche Prolog der Ausgabe fehlt, so aucli der
Epilog, den Salimbene p. 176 anführt.
152 0. Holder -Egger.
welcher die Onera des Jesaias ganz in der Weise der übrigen
pseudojoachitischen Werke interpretiert werden. Es ist ohne
Zweifel die von Salimbene p. 176 erwähnte 'Lectura Ysaie
super oneribus', die auch an Heinrich VI. gerichtet gewesen
sein soll. Wie weit diese Schrift mit der Interpretatio in
lesaiam zusammenhängt, zu bestimmen, muss ich mir noch
vorbehalten, Sie ist für uns abgeschrieben. — Es folgt in der
Handschrift f. 87' — 89' mit der Ueberschrift 'Joachim' ein
Stück, das mir werthlosen Inhalts schien: 'Tenebre erant super
faciem abyssi — — qui sub novo militant testamento con-
veniunt'. Danach endlich fol. 89'— 92 die Sibilla Erithea.
Diese Hs. ist weitaus die beste der Sibilla, alle folgenden
scheinen auf ein Exemplar zurückzugehen, das mit dieser
etwa gleichwerthig war. Sie ist von Dr. L. von Heinemann
abgeschrieben, die Abschrift ist dann von G. Waitz revidiert.
Die Handschrift hat viele, sehr ausführliche erklärende Glossen,
die zum Theil wenigstens recht wohl auf den Verfasser der
Schrift zurückgehen können. — Danach folgt fol. 92 — 98 ein
Auszug aus der joachitischen Interpretatio in leremiam. Es sind
besonders solche Stellen excerpiert, welche von besonderem
historischen Interesse sind, sich auf das Reich und Frankreich
beziehen, ferner solche, welche von den welterleuchtenden
beiden Orden handehi, endHch solche, Avelche besonders starke
Ausfälle gegen Kardinäle, Kurie, Prälaten enthalten, und zwar
in ganz bunter Reihenfolge, wie sich aus der Reihe der Kapitel
ergiebt, denen die einzelnen Excerpte nach einander entlehnt
sind: Kap. 13. 1. 4. 5. 19. 20. 9. 13. 11. 7. 20. 21. 34. 51. 50.
24. 44. 23. 22. 23. 24. 2. 46. 3'. — Danach folgen fol. 98. 98'
'Versus Michaelis Scotti', die ich später herausgeben werde,
und ein Hymnus: 'Salve virgo maris Stella'. Ueber den Rest
der Handschrift siehe Archiv VIII, 537.
2) Vatikan, Bibl. der Königin Christina n. 132,
membr. fol., saec. XIV, in 2 Columnen geschrieben, ohne
Merkmal der Herkunft, enthält fol. 97 —101' hinter des Abtes
Joachim P^nchiridion in Apocalypsin" die Sibylle, die von
zweiter gleichzeitiger Hand nach der Vorlage corrigiert ist.
Sie hat oft ganz falsche Interpunktion, auch nicht wenige
Fehler. Es folgen fol. 101' noch zwei später zu edierende
prophetische Gedichte.
3) Florenz, Bibl. Riccardiana n. 881, membr. 4«',
saec. XIV, ohne Merkmal der Herkunft, enthält fol. 1—4' in
1) Einige wenige Stellen habe ich in der Interpretatio nicht ge-
funden, jedoch wohl nur übersehen. Wo ich von Lesarten des Codex
Bruxell. in der Interpretatio spreche, meine ich diese Excerpta, nicht
die ganze Interpretatio zu Beginn der Hs. Die Vergleichung derselben
mit der Ausgabe zeigt übrigens schon, wie entsetzlich corrupt der Text der
letzteren ist. 2) Vgl. Denifle, Archiv f. Litt. etc. I, 94 f.
Italienische Prophetieen des 13. Jahrhunderts. I. 153
Langzeilen geschrieben die Sibylle mit nicht wenigen Fehlern.
Auch in diesem Codex sind von des Schreibers oder einer
dieser durchaus ähnlichen und gleichzeitigen Hand sehr viele
Glossen übergeschrieben, dieselbe Hand ergänzte auch mehrere
ausgelassene Stellen aus der Vorlage. Die Glossen sind drei-
fachen Charakters: Ein geringer Theil geht in seinem Grund-
stock auf dieselben Glossen oder doch deren Vorlage zurück,
welche in Cod. 1 stehen. Diese wie viele andere sind sehr
corrumpiert. Ein anderer Theil giebt die Lesarten der kürzeren
Recension der Erithrea für die betreffenden Stellen an. Da
einmal auch solche Stelle in den Text gerathen ist, so ergiebt
sich, dass sie schon in der Vorlage des Codex eingetragen
waren, wie das sicher auch mit allen übrigen längeren Glossen
der Fall war. Gänzlich überflüssige Glossen, namentlich
solche, die nur den Inhalt angeben, habe ich weggelassen;
solche, die mehrmals vorkommen, habe ich nur das erste Mal
angemerkt.
Der Rest der Handschrift ist von verschiedenen Händen
mit hübschen Bildern geziert. Er enthält fol. 5 — 36' 'Guidonis
Carmelitae liber geographicus', eine 'Summa mundi'. Fol. 37
— 41 'Cronica ex diversis compilata', die nur bis Octavian
reicht. Anfang: 'Die prima facta est lux'. Fol. 43 — 71'
'Dares Frigius'. Fol. 72 — 99 'Historia Romana' (Eutrop oder
Excerpt daraus): 'Primus in Italia regnavit lanus — — As-
siriamque populatus' (= Eutrop X, 16, 1). Fol. 100—154'
'Martini Oppav. Chronicon' letzter Redaction. Die Päpste
immer auf der Versoseite bis: 'Nicholaus IH"* natione Roma-
nus anno Doraini 1277 sedit', die Kaiser gegenüber auf der
Rectoseite der Blätter bis 'in Siciliam veniens est defunctus'.
Fol. 156 — 165' Briefe des Papstes Clemens IV., von Kar-
dinälen etc. auf die Uebernahrae des sicilischen Reichs durch
Karl von Anjou bezüglich. Fol. 166 Schreiben Johanns XXII.
Fol. 167' 'Incipit genealogia regum Francie'. 'Ex genere Pri-
ami — Philippus genuit Ludovicum (VIII) qui', das folgende
Blatt mit dem Schluss fehlt. — Die Handschriften 2 und 3
habe ich selbst benutzt,
4) Paris, Nationalbibliothek Lat. n. 6362, saec. XV,
wo die Sibylla fol. 64' if. steht.
5) Paris, Nationalbibliothek Lat. n. 3455, saec. XVI,
fol, 37' ff, abgeschrieben aus einer Handschrift 'S. Georgii
maioris Venetiis' (vielleicht derselben, aus welcher der vene-
tianische Druck genommen ist) giebt einen, vielfach durch
willkürliche Aenderungen, schlechte Conjecturen verdorbenen
Text. Die beiden letzten Handschriften hat Herr A. Molinier
auf meine Bitte gefälligst collationiert.
Ausserdem fand ich die Erithrea noch in der Handschrift
154 0. Holder -Egger.
der Laurenziana in Florenz > LXXXIX, inf. 5, saec. XIV,
fol. 105'— 108'. Voran geht fol. 103—105' das bekannte Stück
über die Sibyllen: 'Incijjit über Sibille'. 'Sibille generaliter
omnes femine prophetantes'. Schliesst mit den Versen aus
Augustin 'De civ. Dei' XVIII, 23. Der folgende, ich weiss
nicht, ob echte oder unechte Brief des Abtes Joachim beginnt
fol. 108': 'Universis Christi fidelibus, ad quas littere iste per-
venerint, frater loachim dictus abbas vigilare et orare, ne in-
tretis in temptationem, Loquens Dominus Ecechieli prophete'.
Schliesst fol. 110': *et in victum sibi munera mittent'. Er
schien mir ohne Interesse. Ich hatte die Zeit nicht, die
Handschrift zu vergleichen, und kann auf ihre Benutzung
verzichten, da sie den Handschriften 2. 3. 5 verwandt zu
sein scheint.
Die Affiliation der benutzten 5 Handschriften dürfte, ab-
gesehen von wahrscheinlich viel mehr Mittelgliedern als ich
angegeben habe, durch folgenden Stammbaum darzustellen
sein: Original
3 Venet.
5
Die Lesarten der kürzeren Recension der Sibylle führe
ich an einigen Stellen mit der Chiffre B bezeichnet an. Ich
habe, um den schon sehr umfangreichen Apparat nicht zu
sehr auszudehnen, Schreibfehler einzelner Handschriften und
einzelne willkürliche Aenderungen der Handschrift 5 als be-
deutungslos weggelassen. Die Glossen habe ich mit Ausnahme
der unter 3 erwähnten nutzlosen vollständig mitgetheilt, habe
mich aber auf Untersuchung ihrer Quellen für die älteste
Periode und ihre Berichtigung nicht eingelassen. Sie geben
in der Regel die richtige Erklärung, so dass ich eine Inter-
1) Siehe über die Es. Bandini, Catal. codd. bibl. Laurent. III, 403;
Archiv XII, 723 f.; SS. XXIV, 837.
Italienische Prophetieen des 13. Jahrhunderts. I. 155
pretation nur da hinzuzufügen hatte, wo die Glossen fehlen
oder meiner Ansicht nach irrig erklären. Uebrigens bereitet
die Interpretation mancher Stellen nicht geringe Schwierig-
keiten, mir ist manche unerklärlich geblieben. Auch wollte
ich nicht zu viel Zeit und Mühe auf diese für mich neben-
sächliche Arbeit verwenden, um schliesslich doch eine Er-
klärung zu finden. Mag Jemand, der mehr Scharfsinn und
eine genauere Kenntnis der Zeitgeschichte Friedrichs II.
namentlich als ich besitzt, sich daran versuchen, wenn er
Interesse daran findet.
Hic^ liber est extractus de libro qui dicitur
Vasilographo^, id estimperialisscriptura, quam^
Sibilla** Erithea Babylonica condidit'' ad petitio-
nem Grecorum tempore Priami regis Troie; quem^
Vedoxas peritissimus pater in Grecum transtulit
de Chaldeo [sermone''], tandem de erario Ema-
nuelis' imperatoris Grecorum^ eductum' Eugenius"*
regni"Sicilie admiratusdeGrecotranstulit in La-
tinum".
Exquiritis meP, o illustrissima turba Danaum, quatinus
Graiosi eventus Frigiasque ruinas"" in scriptis* referam,
quidve proli Laumedontidi'* nobilissime", quid Dioneo**
duci pollitissimo, quid Teucricis^ edibus iuvenceque^^ litigii»
*) Gl. 3: Lnumedon fuit pater Priami.
'*) Gl. 3: s[ilicet] Enee.
a) Incipiunt excerpta de 1. 2; Extraeta de 1. 3; Excerpta de L.
cod. Laur. ; Opusculum istud extractum est de 1. 4; Prophetia Sibille
Erithee extracta de 1. 5. b) Vasilograpbus 2 ; Vasiographia 3 ; basi-
leografi Laur.; Vasilographi 4; Vasiliograpbi 5. c) quem 2; qua 3;
quod 4. d) Fehlt 2. 3. 5. Laur. e) ad p. Gr. t. Pr. r. edidit
2 — 5; ad p. Gr. edidit Laur. f) So Laur.; quam 1. 2. 3. 5; quod-
que 4. g) de Caldeo sermone in Gr. Doeopater (so 2; Doxapat Laur.;
Daxopetri 4; Doetapater 5) perit. tränst. 2. 4. 5. Laur.; de Caldeo ser-
mone dotabat perit. in Gr. tränst. 3. Ob etwa hiernach 'Doxapater peri-
tissimus' zu lesen oder die Lesart von 1 beizubehalten ist, scheint mir
nicht sicher. h) Fehlt 1. i) Emanuhelis 1; Emmanuelis 2. 5; imp.
Eman. Laur. k) Fehlt 2 — 5. Laur. 1) edictum 3; eductam 5.
m) Egenius 3. n) regi 2; rex 5. o) in lat. vertit et incipit sie 5;
es folgt in 2 noch roth: 'Incipit liber primus prophetie Sibille Eryth';
in 4 : 'Liber Erithee sibille incipit'. p) a me 5 B; ; mecum ill. Laur.
q) graves 2. 3. 4. r) minas 5. s) scripturis 3. t) Laudumendocidi 2;
Laumedonti 4; prolis Laumedontis 5; dontidi 1. u) nobilissimo 3, wo
der Glossator 'eveniat' übergeschrieben hat. v) teutricis 2. 3; theo-
tricis 1; teucris 4. 5. w) iuvenique 2; inventique 3; iuuenteque 4;
universeque lingue 5.
1) Die 'iuvenca litigii' ist natürlich Helena.
156 0. Holder -Egger.
predestinatum existat; non^ omittamus etiam, quid post
Ylion* pulverem hyrcorum" gradibus generosis orbique^pro-
veniat, ut futuris temporibus cautum existat*^. Delphos <*•***
siquidera Pellidem+ Oalcamque^++ transmittitis, opus huma-
nuni consulitisf, fictilem deurn exquiritis. Numquids ex ipso
ineffabilis'' conscientia cognoscetur'? Nunc vero sollicitatis
ocium puellare, ut extra morem solitum summa ++^ dimensio
propulsetur. Nos autem contemplatione in altissimum habita
respondemus:
Sudoris opus aggredimini'*, o Danay, sollicitudinis ^ et
cruoris, donec X pedes premensurati discurrant, Ylion de-
pereat, Laumedontidis'" proienies evanescat, preda*""^ redeat"
ad Atridera'"^. Precedet siquidera sanguinis effusio inesti-
mabilis Danaumque exanimatio<>, FrigiorumP audacia, donec
dolor inpudicus Pellidera urgeat, duos leones*"^ Laumedonti-
desi fortissimos virtute prosteruat: fietque Frigiis animorura
debilitatio^', donec virginalis concupiscentia Eaeidem afficiat
et enervet. Set hyrcorum calliditas convalescet, Ylion
*) Gl. 1 : Ylion est palatium Troie, uude ponit partem pro toto. —
Gl. 3 : s. palacio Troye.
**) Gl. 1 : id est Grecorum, quia forte colebant ydolum ad similitudi-
nem hyrci; in 3 nur: s. Grecorum.
***) Gl. 1: Delphos est locus, ubi colitur deus Appollo, ad quem
Greci, cum proposuissent obsidere Troiam, miserunt Pellidem, ut
responsum acciperet, quis finis obsidionis esset futurus. Troiani
vero miserunt ad eundem deum Calcam. Qui recepto response
non rediit Troiam, set cum Aclülle proficiscens in obsidionem Troie
venit. Utrasque gentes arguit Sibilla dicens, quod si quem deum
consulerent et opus humanum requisiverint, ex quo ineffabilis con-
scientia, scilicet voluntas Dei, non poterat sciri. — Gl. 3: Locus
est, ubi colebatur Apollo, ad quem Greci a ductu rithee (so cor-
rumpiert die Hs.) Troiam (? tiü Hs.) Achillem et Calcam misere,
ut ab Apolline sensum susciperet; quos Erithea repreliendit.
+) Gl. 3: id est Achillem.
++) Gl. 3: s. filius Nestoris.
+++) Gl. 3: id est consumenda.
*+) Gl. 3: s. Elena.
**+) Gl. 3 : s. ad Menelaum.
***+) Gl. 3: s. Ectorem (Octorem Hs.) et Troylum.
+*) Gl. 3: s. de Pellisena, vel quia mortuus fuerit Achilles.
a) ex. delfos (getilgt) ne 3. b) urbique 4. c) 'auspicer' fügt
hinzu 5. d) Delfos 3; Delfö 2. e) caldamque 1; calchamque 4. 5.
f) Fehlt 5. g) nunc quid 3; nunquam 2. h) ineifabile consilium 5.
i) cognoscitur 4. k) aggredimur 5. 1) solliciti sonus 2. m) 'Laome-
dontidis' hier 1 ; Laudumendontis 2 ; Laumedontis 3. 4. 5. B. n) reddeat 1. 4.
o) examinacio 2. p) Frigum 2; Frigium 3; Phrigum 4. q) Lau-
demedontides 1; Laomentocides 2; Laudumedontides 3; Laumedontidis 4;
fehlt 5.
Italienische Prophetieen des 13. Jahrhunderts. I. 157
Frixque^ gloria subvertetur; Meonidesque^ vates mendacia
scribef^.
Erit tarnen •* Danaum gloria effusis^ lateribus in robore
fortiori, donec post Dioneum ^ ducem profugums ducenti*
pedes pertranseant. Reliquie sanguinis Frigii condent"^ in
constellatione mirabili sub rege aquatico** Eneaden^ urbem***
plenam litigiis'^, et avara menia construentur, raptu', mecbia
et" fratricidio prelibata. Crescetque" paulatim virtus terri-
bilis" eius, utP orbem concutiat, subiciati et coneulcet "''.
Set et manus eius pertimescent^^ Danay, donec hyreus terri-
bilis sceptra"" concutiat^ Asye', orbi resonet in terrorem.
Cuius regnum^ XII+^+ pedibus distinguetur^, eiusque dies^
aeonita'*+ concludenf^, sceptrumque eius in bis sex capita
sese vorantia^ dividetur et in quatuor convertetur^.
*) Gl. 3: Hie annos iobanos(?) non solares contra limacum(?) ponit
et tres, septemque digiti. Die Glosse ist verstümmelt und cor-
rumpiert. Die letzten Worte beziehen sich darauf, dass die zweite
Recension der Sibilla Erithea die Zeit von Troias Zerstörung bis
zur Gründung Roms auf 203 'pedes (Jahre) sexque digiti' (Monate)
angiebt.
**) Gl. 1 : Regem aquaticum dieit, quia, quando Roma fuit condita,
luppiter erat in pisce, cuius natura aquatica; Saturnus, Venus,
Mars, Mercurius in scorpione, sol in tauro, luna in libra, ut narrat
Lucius Tarentinus peritissimus mathematicorum. Et hoc est quod
dicit: 'in constellatione mirabili'.
***) Gl. 3 : id est Roma. — Gl. 1 : Romam, que dicitur Eneades, pro
eo quod Eneas dux Troie profugus cum suis sequacibus, ut refert
Salustius, condidit eam et imposuit ei nomen Eneadem. Set Ro-
mulus, iugulato Remo fratre suo, pro eo quod murum civitatis
contra statutum suum transiliit, denominavit eam a nomine suo
Romam.
'^) Gl. 3 : donec CLXXX pedum mensura discurrant (aus der zweiten
Bearbeitung der Sib. ebenso wie die folgende Glosse).
■'■+) Gl. 3: reliquie sanguinis Frigii gloriam Danaum pulveri9ent [pul-
veri^atur Hs.]
++■'■) Gl. 3: in annis solaribus.
*+) Gl. 3: mortuus est veneno. Die ganze Stelle über den hyreus
geht natürlich auf Alexander den Grossen.
a) Frigiisque 3; Frigiumque 5. B. b) Meonides 1; Meeurasque 2.
e) dicet, und übergeschrieben: al. sentit 3; finget 5. d) enim 3 (wo
gl. D.). 5. e) extasis 5. f) Diomedem 5. g) Fehlt 3. 5. h) co-
dent 2; Frigi sang, comedent 3. i) Eneadum 4. k) Fehlt 5.
1) si aptu methia, und überschrieben: al. raptu mecho 3. m) in 2.
n) Crescet 2. o) mirabilis 4. p) 'ut o.' fehlt 3. q) Am Rande
ergänzt 2; subiciatque 4. r) sceptrum 5. s) concuciet 2. 4.
t) Fehlt 5. u) potestas 5. v) distinguitur 2; 'et dividetur' fügt hin-
zu 3. w) Fehlt 2. x) concluderit 4; concludetur 5. y) 'distin-
guetur' setzt hinzu 3. z) convertentur 2.
158 0. Holder -Egger.
Set et pertimescent universi terrigene nomen Eneaden*,
donec leo* Poenus'' rugiat ferreamque** potentiam'' con-
culcet in cenum, Leonem*" vero subvertet*^ homuncio. Ex-
inde resurget Eneaden^ superbia Achivamqiie* gloriam pulve-
ricabit^ et tributa deposcet, servili iugo subponet; Asyamque
leo pollitissimus+ coneutiet, ad? extremos Indos perveniet;
quin etiam** Eneaden ' luxuria*' pertinget' Alanos++ lucidis-
simo™ bachata Bachirro"^^''^; sentietque potentiam" eius Sub-
chirriusP*^ Vataliaque'i'"'^ Carbasea"" necnon et Pigmenides^
*) Gl. 3: id est Anibal.
**) Gl. 3: id est Romanam.
***) Gl. 1 : Leonem appellant Anibal, qui cum missus a Romanis Affri-
cam conquisisset, rediens cum multo navigio Romam obsedit;
cumque senatores Romani deliberato consilio substinerent obsidio-
nem, Sipio, quem appellat homunctionem, quia non erat de numero
senatorum, obtulit se iturum ad portam [wohl 'Portum'] per viam
subterraneam, quam Romani fecerant ab antiquo, et inde in Affri-
cam capturus eam, utpote bellatoribus destitutam. Cuius animo-
sitate ab omnibus approbata, data est ei legio militum. Et sicut
statuerat, ita fecit. Cum autem redisset, captis senibus et nobili-
bus, mulieribus et infantibus, capud Astrubal, fratris Anibal, qui
lerram debuerat cnstodire, ad tentorium Anibalis transmisit et
domnas et infantes in propugnaculis Urbis statuit. Extrinseci vero
audientes se vocari ab uxoribus et filiis, quas domi reliquerant,
stupori dediti et terrori fuge beneficio [benefilio Hs.] adheserunt,
Romani vero Sipionis secuti audaciam, insecuti sunt Anibal et
exercitum suum; et sie raortuo ['a' folgt, getilgt] Anibale, liberata
est Roma audacia Sipionis.
+) Gl. 3 : id est Pompeius.
+t) Gl. 3: Alani sunt inter Indus et montes Subcinus.
+++) Gl. 1 (zweimal am Rande): Locus inter Indos et Sirtes, ubi Ro-
mani constituerunt ludum luxurie. — Gl. 3: Bachiri locus est,
ubi Romani suspenso uno torquato palustium (!) constituerunt laudem
luxurie inter Medos et Scithos. Subciiinus mons est terribilis inter
Paradisum et Alanos, ubi Romani constituerunt unum ex mundi
climatibus.
*+) Gl. 1 (ähnlich wie oben in 3): Mons terribilis inter Paradisum
Ade et Alanos, ubi Romani constituerunt unum ex mundi cli-
matibus.
**+) Gl. 1: Vatalia locus est, ubi dividuntur IIII«"" flumina Paradysi,
et vocantur, ubi [ut Hs.] coniuncti labuntur, Carbason, sicut Raba-
a) An beiden Stellen ist in 1 'Eneadum' übergeschrieben, und hat 4
wie immer 'Eneadum'. Die Hss. 1. 2. 3 haben meist 'Eneade', mehrmals
jedoch 'Eneaden', selten 'Eneadem', was wohl falsche Auflösung des Com-
pendiums e ist. b) Punicus 5. c) 'debilitet et' setzt hinzu 5.
d) subiiciat 5. e) Achiviamque 1 ; achinamque 2. 3. f) pulverabit
1. 4; pulcrizabit 2. g) et ad 3. 4. 5. h) et 5. i) ^^neadum 4
immer. k) luxuriam 5. 1) perunget 2. m) lucidissimos. ßaccata 1.
n) bachiria 1; bachino 3; bacchino 5. o) potencia 3. p) subchir-
rium 2; subchimus 3; ex suchirius 5. q) nat. 2. 3. 5; vatalia 4.
r) Carbasca 2; Carbasica 4; Carbasa 3. 5. s) Pigmenidos 3; Pigmei 5.
Italienische Prophetieen des 13. Jahrhunderts. I. 159
brevitate deformes. Numquid et non eius vindicta afficiet
Britones^, Germanieos ^ et Hyspanos? CoIchea<=-* Garmentis^
exules eius excipiet*^, Gethe ^ obedient, Syrtes ^ indomiti picei-
que** Ethiopes tributa persolvent'. Indus"* gemmas et aurum
in Eneaden munuscula conservabit, ut' humiliato capite suffra-
gia consequatur", sie" et Medi mollesque Arabes ac*' seeptra
Persarum.
EruntP itaquei Danay illorum iugo subpositi, quos pro-
fugos agitarant**. Exinde duo leones'** fortissimi aput cam-
pos Emathios concertabunt, unusque*" superrugiet altero''" de-
vorato. Inde taurus^^ pacificus sub leni* mugitu mundi cli-
mata sub tributo concludet. Cuius diebus agnus celestis
veniet, de quo inferius distinguemus '.
nus et Salo narrant. — Gl. 3: locus est, ubi dividuntur quatuor
flumina Paradisi.
*) Gl. 1 : Colchea regio est seu insula, in qua est mons, cui nomen
Garmentis; in qua erat vellus aureum, quod [quia Hs.] fuit causa
prime destructionis Troie, quia rex videns animositatem nepotis
sui timuit, ne auferat [auferet Hs.] ei regnum. Unde suasit ei
quod iret ad conquirendum ipsum vellus. Et cum applicuisset
Troie cum ipso vellere, Troiani deiecerunt eum de porta eorum
cum obprobrio et pudore ; quare ipse repatrians exercitum con-
gregavit et destruxit Troiam prima vice. In dieto vero monte
constituerunt postea Pompeius et Scaurus artuni carcerem pro ex-
ulibus carcerandis. Et hoc est quod dicit: 'Golchea Gar. ex. eius
exeipiet', id est Rome. — Gl. 3: Garomentis est mons in Calco
[so Hs. für 'Colchi'] insula, que olim continebat velum aureum,
cuius virtute Pompeius et Scaurus Pantheon constituerunt, ante ad
exilium carcerem construxerunt, ubi Marcum Sebastium virum illu-
strissimum cunctam vitam suam relegavit, ibique Lucias secutus (!)
sub Antonio Cesare exulavit; demum sub Octaviano Cesare Xaso
poeta et Lucius maliloqus, natione Sacinatus, diversis temporibus
tantum.
**) Gl. 1: Quia destruendo Troiam fecerunt Greci profugos illos qui
condiderunt Romam et Grecos servitutis tributarie iugo suppo-
suerunt.
***) Gl. 3: id est Julius et Pompeius.
■f") Gl. 3: id est Pompeio.
+''■) Gl. 3: id est Octavianus imperator.
a) Britanos 3. 4; Britannos 5. b) Germanos 3. 5 (wo 'et G.')
c) Cholcheaque 3; Cholehea siquidem 2; Clara siquidem 5. d) garo-
mentis, nachher übergeschrieben: al. garmentis 3; gammetis 5. e) ex-
equet 4. f) Gete 2. 5; Gete 3. g) Sices 2; Sirthes 4; et s. 5.
h) purique 3; pitrique et 5. i) persolvunt 5. k) in 3. I) et 5.
m) consequetur 5. n) sicque 4. o) et 1. p) Davor hat 2 die
Ueberschrift: Recapitulacio ad subiugacionem Grecorum. q) utique 1.
r) inique superurget unus 5. s) levi 2; leonis 3. t) distinguemur 4;
*de — dist.' fehlt 5.
160 0. Holder -Egger.
Venient autem dies, quibus^ virtus^ mundationis * illu-
stretur in aquis, et leo monarchus<=** convertetur ad agniim,
qui orbem'' illustret et^ regna subvertat^. GallusS-*'* ovis
accubans'* modicis leonis spolio* vestietur, nigrum convertetur
in rubrum. Evanesceut'^ Eneaden simulacra, virtus et super-
ficies'; alter"" cultus adveniet, alter" cultor; set et" de simu-
lacris duo^, de viciisP totidem+^ in eternumi in Urbe, et ad
primam originem convertentur"".
Hinc Eneaden gloria inBicanciam* deducetur^ Eritque
nidus delicatissiraus, qualis non fuit. Robustura decus in
muliebrem molliciera" convertetur. Eruntque^ Danay in
robore delicato usque ad leonem^^+ LX pedum^^, douec catulos
eius ursus'^ devoret, optimates Birancenos^ obtenebret>- ',
decus decalvet femineum; hinc aquila^ despecta ursum devoret,
aquilam'' hyrcus"^ obtenebret, pullum^-***+ voret aquile, san-
*) Gl. 3: 8. de baptismo vel de mundanda lepra Constantini.
**) Gl. 3: s. Constantinus iinperator.
***) Gl. 3: s. Silvester papa. — Gl. 1: Per gallum intelligo Silve-
strum papam, per ea que consecuntur: 'in' tertii 'leonis spolio
vestietur', id est Constantini spolium induit, quando mundatus a
lepra privilegiavit ecclesiam et dotavit. Qui Silvester cum prius
haberet habitum nigrum, eo deposito, sumpsit liabitum rubrum
Constantini, et hodie scrvatur et est Lactenus, quod domnus papa
induit rubrum. Et hoc est quod dicit: 'nigrum convertetur in
rubrum'.
+) Gl. 3: s. Mars et Mammona.
T+) Gl. 3: s. superbia et ingratitudo, que semper fuerunt Rome et
erunt.
+++) Gl. 3 : id est Munucule. Es ist Manuel Comnenus gemeint. Die
Sib. giebt ihm irrig 60 Jahre (pedes), während er nur von 1143
— 1180. regierte.
*+) Gl. 3: s. Andronicus tutor filiorum Emanuelis et pupillos deca-
pitabit et sibi dyadema imperii arrogabit.
**+) Gl. 3 : s. Alexius frater eius.
*"*+) Gl. 3: s. Alexium filium Ysaac. Die Sib. irrt aber, indem sie
meint, dass Alexius III. den Alexius Sohn Isaacs getödtet hätte.
Unten S. 164 heisst es richtig: 'pullumque abiget'.
a) 'signum mundacionis erit mirabiliter' fügt 3 hier aus der zweiten
Bearbeitung der Sib. ein. b) 'eius' fügt hinzu 3. c) monachus 1.
d) Omnibus 5. e) Fehlt 5. f) subvertet 5. g) Salus eius 5.
h) accumbans 2; titubans, mit Gl. 'subditus' 3; acc. ovis 4. i) spoliis
3. 5. k) Evanescet 4. 1) superficiet 3. m) alterius 5. n) et a. 3.
o) Fehlt 2. 3. 4. p) Fehlt 2; devictis 4. q) tercium 3; usque
in et. 5. r) convertetur 2. 3. s) Bisanciam 2; Bisantium 4; Bic^an-
cia 3; Bisantia 5. t) convertetur 1. u) Fehlt 5. v) Erunt 2. 3. 4.
w) pedem 2; pedes 4. x) Bisanceos 4: Bisantinos 5. y) obtene-
brescet 1. z) aquila 3. a) et p. 5.
1) Vgl. hiezu Salimbene a. 1181: Denique (Andronicus) multos Gre-
cos nobiles interfecit, sed et plurimos excecavit. 2) Isaac Angelus.
Italienische Proplietieen des 13. Jahrhunderts. I. 161
guis effusus physis offendiculum* in conspectu trinodi numinis
clamitet^, fietque potantium in aquis Adriaticis+* cougregatio ;
ceco preduce^* hyrcum abigent, Bicanciam'' prophanabunt,
edificia denigrabunt, aurum eius per'^ orbera et spolia disper-
gentur. Virgines humiliabuntur, optimates*^ eius decalvabuntur,
hyrcus*" non balabit, gallus non cantabit, usque dum^
XLIIIP^'f pedes+ novemque» polices^''' semique^ premensurati
discurrant, aquila+++ triceps volet et revolet, hyreus iugalis in
Bicanciam' reducetur», sicut inferius distinguemus.
In*^ ultima autem^ etate humiliabitur Deus, et"" humana-
bitur" proles divina, iungetur humanitati divinitas", iacebit in
feno agnus, et? puellari officio educabitur Deus et bomo.
Signa "■'■ precedent apud Apellas**+, mulier vetustissima pre-
sciumi concipiet, Bootem >■•***+ orbis mirabitur, ducatum pre-
*) Gl. 3: id est peccatum conti-a natm-am.
+*) Gl. 3: s. Veueciis.
**) Gl. 3: s. duce Venetorum, qui erat cecus. (Heinrich Dandolo.)
***) Gl. 3: s. Imperator Grecus.
+) Gl. 3: id est anni. ++) Gl. 3: id est menses.
+++) Gl. 3: Hee cecinit de imperatore Friderico, propterea recapitu-
lantur inferius.
*^) Gl. 3: Crisostomus* dicit super illud Mat. : 'Cum natus' et cet.,
quod Stella precessit nativitatem Christi per annum, licet Agu-
stinus dicit contrarium [gnü oder snü Hs.? statt ^riü].
**+) Gl. 3: Apelles vocantur Ebrei. Oracius^: 'Aruit ludeus Apelles',
id est sine pelle, circumcisus.
***r) Gl. 3: id est novam stellam ; unde Lucanus ■♦: 'moturos virga
bootes'.
a) clamitent 1. 2. 5. b) Bi^ancia 3; Bisantium 4. 5. c) 'per o.'
fehlt 4. d) 'opt. — balabit' fehlt 5. e) Fehlt 1. f) XIIII 3.
g) octoque 1; novem 5. h) Fehlt 5. i) Bi(;ancia 3; Bisantia 5 ;
Bisantium 4. k) Hiervor in 2 die Ueberschrift: 'Generalis recapitulacio
ad id quod dixerat de agno'. 1) Fehlt 4. m) 'et' fehlt 1; 'et hum.'
fehlt 5. n) 'humiliabitur' wiederum 4. o) deitas 5. p) Fehlt 5.
q) previum 2; presidium 3; fehlt 5; 'i. puerum' später hinzugefügt 1.
r) boetem 1. 4; boortem 2.
1) Eeehnet man von der Eroberung Constantinopels (1204, Apr. 12)
44 Jahre und 91/2 Monate hinzu, so kommt man auf Ende Januar 1249.
Welches Ereignis da der Verfasser im Auge gehabt haben kann, ist mir
ganz unerklärlich. Allerdings kehrt ein Theil dieser Worte unten unter
der Friedrich IL gewidmeten Partie S. 168, wie die Glosse sagt, ein Theil an
anderer Stelle S. 165 wieder. Auch da weiss ich sie nicht zu erklären. Con-
stantinopel wurde bekanntlich 1260 von den Griechen erst wiedergewonnen,
später als die Sibylle verfasst ist. 2) Opus imperf. in Math. hom. 2,
Opera ed. ß. de Montfaucon VI, xxviii. Das Werk ist bekanntlich
nicht von Job. Chrysostomus, obgleich man es im Mittelalter allgemein
annahm. Es heisst dort, dass der Stern zwei Jahre vor Christi Geburt
erschien. 3) Sat. I, 5, 100, wo bekanntlich: 'Credat ludaeus Apella'.
4) Die Worte finde ich bei Lucan nicht.
Neues Archiv etc. XV. 2 2
162 0. Holder -Egger.
stabit ad ortum. Hie Habens^ pedes XXXIIP* sexque polices
eliget sibi ex piscatoribus et*" deiectis numerum*= duodenarium
unumque dyabolum; non in gladio beliove Eneaden urbem**
regesque subiciet^, set in hämo piscantis. In deiectione et
pauperie ^ superabit divieias, superbiam eonculcabit. Morte
propria raorluos suscitabit, et cum mactabitur, vivet et regna-
bit. Et» consumabuntur omnia*^, fietque' regeneratio''; bonos'
iudicabit et malos. Hinc quatuor animata"" animalia* surgent
in testiraonium, nomen" agni tuba" concinent, serentes? iusti-
ciara legemque irreprehensibilem^ cui contradicefi bestia"
siraul'' et abhominatio*'* spumeque^ draconis '.
Set" surget Stella + mirabilis IUI*"' animalium habens
ymaginem, eritque in tuba^' mirabili, Danaos illuminabit, orbem
illustrabit. In Eneaden latus *^ piscatoris nomen agni usque
ad fines soculi virtute perducet. Inde in Eneaden iuncta"'
vinctos a dyabolo liberabit. Hie'^ gladiabiturv, moriens illu-
strabitur. Porro gloriosus exitus eins.
Erif- autem bestia horribilis ab Oriente veniens% cuius
rugitus usque ad gentes Punicas++^ audietur, cuius capita*^
VII^™, sceptra*^ innumera, pedes sexcenti sexaginta tres^.
Hic'^ erit contradicens agno, ut blasphemet testamentum eins,
augens draconis aquas*+. Reges autem et optimates seculi
erunt^ in sudore terribili, et non diminuent pedes eius. Stelle-
que*'^ due consimiles prime insurgent contra ipsara*^ et non
•) Gl. 3 : id est quatuor evangeliste.
•*) Gl. 3: s. Maeomettus.
***) Gl. 3: id est Antichristus.
+) Gl. 3: s. Paulus.
+T) Gl. 3: id est collateralis.
T++) Gl. 3: id est Africanas.
*+) Gl. 3: id est incredulos contra Cliristum.
**+) Gl. 3: s. duo ordines, de quibus inferius dicemus.
a) habet 3. b) 'et d.' fehlt 4. c) duod. num. 3. d) orbem 2.
e) subiciat 1. f) pauperi 2; paupertate 3. g) 'cum' setzen hinzu
2. 4. h) haec o. 5. i) fiet 4. k) 'ultimo' setzen hinzu 3 (wo
rege). 5. 1) 'quoque' setzt hinzu 4. m) alata 2. 3 (wo 'an. al.'). 5.
n) nomine 2. o) tubis 5. p) scientes 3. q) contradicere 1 ;
contradicit 3. r) similis 3 ; fehlt 6. s) et spuma 4. t) dyaboli 3.
u) Et 1. v) turba 5. w) vineta 2; iüta uitos 3. x) hinc 2, 4.
y) gloriabitur 3. z) Hiervor Ueberschrift in 2: 'Recapitulatio singu-
laris ad ea que dixerat de bestia'. a) Fehlt 3. b) 'silieet vicia'
fügt hinzu 3. c) sceptraque 2. 3. 5. d) hinc 2. e) exuret 5.
f) ipsas 2; 'bestiam' setzt hinzu 4.
1) Der Verfasser glaubte irrig, dass Mohammed 663 nach Chr. ge-
storben sei.
Italienische Prophetieen des 13. Jahrlmnderts. I. 163
optinebunt, usque dum veniat abhominatio*, et voluntas altis-
simi^ consumetur, sicut'' inferius distinguemus.
Porro leo** fortissimus ab occidente<= rugiet coloris cele-
stis, maculatus auro, cuius capita V*** pedesque quingenti.
Irruetque in bestiam«* et conteret vires eius. Caudam+ vora-
bit bestie, pedes"^ et capud omnino non ledet. Hinc morietur^
leo, hinc confortabitur? bestia, regnabit et vivet, usque dum
abhominatio veniat. Et*' post abhominationem revelabitur
veritas, cognoscetui' et agnus, cui leones* et regna eolla Sub-
mittent; et erunt universi terrigene convenientes in unum, ut'^
unum ovile subeant et virga regantur in una; et modicum
tempus erit.
Venient' autem dies, ut conteratur Danaum gloria et
iterum restauretur, set non in statu priori, cum"' extollentur"
in superbiam, ut recedant" ab agnoP et ovile aborreant<i per
devia recedentes; eritque scelerura aggregatio'".
Erit in diebus postremis psitacus' daiis iura Sicuh's,
habens pedes XXXIII et gallinam' sine pullis'. Hic++ mittet
ex lateribus suis, irruentque" in hyreos, vorabunt, destruent
et evellent, donec ursus+++ rugiat, cuius ^ pedes tres semique,
*) GL 3: s. Anticliristus.
**) Gl. 3 : s. Karolus imperator Magnus.
***) Gl. 3 : s. regnum F'iancorum, regnum Ytalicum, regnum Britanie,
quod acquisivit repulsa sorore, regnutc Arelatense seu pars, quam
acquisivit, et Yspaniara, et sunt quinque regna. (Die Zahl seiner
Regierungsjahre ist zu hoch auf 50, statt 46 angegeben).
+) Gl. 3: s. Yspaniam. ^
++) Gl. 3 (deren Anfang, wie es scheint, fehlt): et modo [M Hs.]
divertit se ad aciem maximam, quam subiecerunt Greci propter
exercitum missum a rege Guillelmo tempore Andronici; quia An-
dronicus misit exercitum Grecorum contra exercitum regis, et
succubuerunt; set revera interfectus est Andronicus et sublimatus
Ysaac, exercitus regis prodiciose [inprodiciose Hs.] captus.
"'■■fT) Gl. 3: Andronicus ad regna se regere [so corrupt die Hs.], quia tribus
annis et dimidio regnavit, postquam plures, de quibus determina-
verat, decapitavit. (Vgl. oben S. 160).
a) domini 5. b) 's. inf. dist.' fehlt 5. c) 'veniens' setzt hinzu 5.
d) bestia 3. e) caput et pedes 3. f) monetur 1; 'm. 1. h.' am Rande
ergänzt 2. g) b. conf. et r. 3. h) 'Et — revelabitur' fehlt 4.
i) regiones 5. k) 'et' corrigiert in 'ut' 1; 'ut u.' fehlt 3; 'unum' fehlt
2. 5. 1) Veniet 2. 3. 4. — In 2 hiervor die Ueberschrift: Recapitu-
lacio ad ea que dixerat de capcione Bizanzie et restauracione. m) Fehlt
3. 5. n) extoUeretur 1 ; extolletur 3. o) occidant 5. p) agnis 3.
q) oberrant 2. r) congregatio 1. s) 'phsitacus' immer 1. t) gal-
lina 3. u) irruetque 4. v) natus 3.
1) Es ist König Wilhelm II. gemeint, der von seiner Gemahlin
Johanna von England keine Kinder hatte, aber nur 23 Jahre (1166 —
1189), nicht, wie der Autor meint, 33 Jahre regierte.
11*
164 0. Holder -Egger.
et comprehensa ^ aquila, cuius nomen Y.^-i, scripta V apici-
bus, inextiraabiliter'^ sibilans<^ ministrum iniquitatis destruat,
ursura conterat, capud evellat, sceptrura eius possideat, latera
psitaci hyrcina** calliditate abigantur^'*.
Eritque^ alia« gallina generis ''•*** eius, cui dabit gallum
Germanicum. Hie descendet in rugitu' sicut ursus, evim de-
vorat carnes optiraas, hereditatem psitaci possidebit, filios"^
regis appositi'-^ obtenebrabit, gloriam Siculorum annullabit,
donee tres'" pedes sexque" polices consumentur. Oculos eius
gallina claudet supervivetque"-^.
Post hec autem, cum aquilamP-^ obtenebrabit liyrcus^^
puUumque^^^ abiget *>, ascendenf in conspectu altissimi Bican-
cie^ scelera, et' trinodum numen" effusum sanguinem et
physis ofFendiculum abhominabitur, et reliquie-^ destructionis^
ursi LXX pedes ^ conducent per aquas Adriaticas filium
aquile et potantes^ paucissimos>' sponseque latus ^; et cum
pullus vorabitur^-Sj corrucnt in Bicanciani^, decus et gloriam
*) Gl. 3: id est executione Andronici.
**) Gl. 3: s. propter perditionem baronum.
***) Gl. 3: s. imperatiix (Constanze, Gemahlin Heinrichs VI.)
+) Gl. 3 : s. post mortem Henrici imperatoris sexti.
++) Gl. 3: s. Alexius.
+++) Gl. 3: s. Alexium filium Ysaae. (Vgl. oben S. 160.)
*+) Gl. 3: id est Venetiei, qui destructi fuerunt olim ['ab' zu ergänzen]
urso LXX pedum, silicet a Tutila, de quo narrat ['Gregorius' ist
wohl zu ergänzen] in tercio libro ['Dialogorum' wohl zu ergänzen].
Totila ist hier mit Attila verwechselt, aber auch so ist diese Er-
klärung schwerlich richtig.
a) compressa 2. 4; compossa 3. b) .X. 2; 'nomen Y' fehlt 3,
wo 'V scripta'. c) 'sib. — conterat' fehlt 2; 'ut' setzt hinzu 5.
d) hirci 4; hyrcinam colliditur 5; yrcina calliditatem 3. e) 'anibig.'
corr. in 'abig.' 1 ; fehlt 3. f j Hiervor in 2 Ueberschrift : Item
recapitulacio ad psitacum. g) altera 2. 3. 5. B. h) coloris 5.
i) rugitum 4. k) filiosque 4. 1) oppositi 3. m) sex 1; fehlt 5.
n) pol. sexque 4. o) supervenietque 5. p) aquila 3. q) abigerit 4.
r) ascendet 1. s) Bisancii 4. 5. t) Fehlt 4. u) numer 1; vinum 2;
numerum 3. v) Fehlt 1; 'destr. — aquile' fehlt 3. w) pedum 5;
unten S. 167 'pedis'. x) potestates 3; portantes 5. Dass 'potantes' die
richtige Lesart ist, wird durch die Stelle oben S. 161 bestätigt. Es ist
eine absichtlich verdunkelnde Wortverdrehung, wie so viele andere hier.
Bedeuten soll es wohl die 'principes' des Kreuzzuges. y) paucissimas 4.
z) vocabitur 3. a) Bisancium 4; Bisantio 5.
1) Ysaae Angelus. 2) Tancreds. 3) Das ist Ysaac Angelus, wie
oben. 4) Den Cardinallegaten, aber ein solcher nahm an dem Zuge
selbst nicht Theil. Peter von Capua kam erst später im J. 1204 aus
Syrien nach Constantinopel. 5) Alexius IV. Er wurde am 8. Febr.
1204 von Murzuflus getüdtet.
Italienische Prophetieen des 13. Jahrhunderts. I. 165
subvertent ipsius; denigrabitur^ aurum, sanctum prophana-
bitur, flammis tradentur edificia, decus femineum decalvabitur,
et ve resonabit undique. Excipiet" columpna vindictam*;
non erit hyrcis'^ dux auf^* gallus in Bicanciam^; nee« erit pax
nee« consolatio nee f decus, set derisus et siibsannatio, usque
dum XLIIII'"' pedes novemque ? poliees semique pertranseant ^
Et hoc erit signum**.
Venient in postremis diebus due stelle lucidissime***, de
quibus prediximus ^, in peccatis mortuos suscitantes, similes
stelle priori +, quatuor animalium habentes faciem, resistentes
bestie, de qua dixiraus, aquisque draconis annunciantes nomen
et legem'' agni, abhominationis excidium* et examen, mino-
rabunt'' aquas draconis', set debilitabuntur in panis afflictione™
et exurgent in robore fortiori.
Et" veniet aquila++ habens capud unum et pedes UK^,
cuius color+++ sicut pardi, pectus sicut vulpis, et cauda sicut
leonis^, et dicet: 'pax', ut pacifice capiat. Mamilliso-*^ sponse
') Gl. 3 : qiiod fiiit in Mortifero [lies : Morciflo], qui fuit precipitatus
per colunipnam per comitem Flandie.
**) Gl. 1 : silicet in mundo, antequam restituatur Constantinopolim,
quia venient due stelle. — Gl. 3 : videlicet restaurationis, silicet
quod sequitur de duobus [so Hs.] stellis.
***) Gl. 1 : duo ordines religiosissimi.
+ ) Gl. 3: s. Paulo.
^^) Gl. 3 : s. imperator Fridericus.
■*■++) Gl. 1 : id est varius in sermonibus et operibus, liniendo blandis
sermonibus, ut sua mala opera non appareant, vel quia in fine
ferocior erit.
*+) Gl. 1 : Mamillis sponse agni lactatus est Fr., quia mortuo Henrico
imperatore Constantia mater eius, cum ipsa moreretur, recommen-
davit eum ecclesie, quem tamquam filium edueavit; Ottonem impe-
ratorem deposuit, hunc ad ultimum provexit ad Romani imperii
diadema. Et hoc est quod dicit: 'usque dum accrescat ei capud
a) denigrabunt 3. b) Excipietque 2. 4. c) hyrcus 1. 4. c*) et 4.
d) Bigancia 3; Bisantium 4; Bisantio 5. e) non 5. f) aut 4;
non 5. g) octo 3. 5. h) n. legemque 3. 5; n. agni et 1. 4.
i) 'meritorum' setzt hinzu 4. k) minorabit 4. 1) Fehlt 5. m) affli-
tionem et exurget 4. " n) Hiervor Ueberschrift in 2 : Item recapitulacio.
o) Mamillas 4 ; mamillae 5.
1) S. oben S. 161, n. 1. 2) Oben S. 162 f. 3) Auch diese Zahl ist
falsch, denn Friedrich II. wurde nicht ganz volle 56 Jahre alt, er regierte
in Sicilien (das ist das erste caput) nicht voll 53 Jahre. 4) Diese
Worte sind Apoc. 13,2 nachgebildet, wo es von der bestia de mari
ascendens, welche schon Innocenz IV. in seinem berühmten Schreiben mit
Friedrich II. verglich, heisst: similis erat pardo, et pedes eius sicut pedes
. ursi, et os eius sicut os leonis. An verschiedenen Stellen der pseudo-
joachitischen Schriften wird diese bestia ernsthaft auf Friedrich II. gedeutet.
166 0, Holder - Egger.
agni lactabitur, usque dum accrescat ei^ capud raaius in Ene-
aden terciumque minus, eruntque sibilantia* a Germanicis
usque Tyrum. Et dabitur ei galliua una ex Mauris» alteraque
Orientalist, et duo pulIi-*, ex quibus vorabit'' unum-*, set**
reviviscet, sicut"^ inferius distinguemus 5. Et tercia gallina
Britannica*, parietque pulium et iterum et^ iterum. Et quarta
Germanica, que pariet pulium et iterum '. Et quinta Galli-
cana*', de qua inferius distinguemus f.
Porro secus Eridanum nidus eius VII scribetur litteris*,
cuiusS receptaculo'^ Ligures'" eoaraque' zonam conteret armis*^
modicis, calliditate plurima. ]\Iediumque capud + Ligurum
tenui bello quassabit propter blasphemantes agnum » et propter
peccata. Secundus^^ nomine', tercius numero exurgef" in
maius', id est Romanura imperium, 'terciumque capud minus', id
est regnum lerosolimitamim. Et sie est aquila triceps, id est
habens tria capita, id est tria regna.
*) Gl. 1 : silicet ipsa tria regna, quia ipse scribet se imperatorem
Roraanum, regem lerusalem et Sicilie.
**) Gl. 1 : in filiis. Aber die Stelle bedeutet wohl vielmehr: Es wird
dem Kaiser ein anderer Sohn Namens Heinrich geboren werden.
***) Gl. 1 : Quidam dividunt Lombardiam in quatiior partes, silicet
Liguriam, Emiliam, Alpes Cocie et Flamineam, asserentos Liguriam
quicquid est inter Adam et Lambrum, Emiliam quicquid est
a Ticino [Ricino Hs.] ultra Padum versus meridiem usque
Renum et usque mare; Alpes Cocie a Macra usque ad vallem
lüde, in qua est civitas Victimilia. Reliquum vero dicunt Flami-
niam. Alii autem dicunt, et forte melius, Liguriam partem Ytalie,
cuius confinia sunt Verona, Mantua, Ferraria, Bononia, niontes
convicini Bononie usque Limum comprehensis ipsis montibus exclu-
sive, mare Ligusticum usque ad vallem lüde, Taurinum, Cumas et
frons Theotonie usque Veronam. Huic oppinioni videtur consonare
quod sequitur in textu: 'portas Ligurum cohartabit", nisi forte per
portas Ligurum civitas lanua non immerito intelligatnr.
+) Gl. 3 (die aber an falscher Stelle steht): s. Mediolanum.
++) Gl. 1 : Quia duo tautum fuerunt de domo sua Fr., quorum nutritus
ab ecclesia est secundus, tercius numero, quia, cum de domo
Viporengorum [inporengorum Hs.] fuerint tres imperatores, filius
ecclesie, immo privignus, est tercius. — Gl. 3 : s. in nomine a primo
Friderico.
a) eius maius caput 3. b) vorabunt 1. c) 's. inf. dist.' fehlt 5.
d) Das zweite 'et it.' fehlt 2. 3. 4. 5. c) gallina 4. f) 'de — dist.'
fehlt 5. g) eius 5. h) receptaculum 4. i) eamque 2 ; Romaque 3 ;
Italiam 4. k) annis 4. 1) Fehlt 2. 3. 4, 5; aber siehe die Glosse
in 3. m) 'vero' setzt hinzu 2. 5; ex. num. vero 4; 'enim' setzt hinzu 3.
1) Constanze von Arragonien. 2) Isabella (lolanthe) von Jerusalem.
3) Heinrich und Konrad. 4) Indem er Heinrich gefangen nimmt.
5) Ich weiss nicht, wo das unten geschehen sein soll. 6) Elisabeth
von England. 7) Von einer deutschen Concubine hatte Friedrich
Enzio und Katharina. 8) Cremona. 9) Wegen der in Mailand
herrschenden Ketzerei.
Italienische Prophetieen des 13. Jahrhunderts. I. 167
intellectu et rebellione^ maiori et^ blasphemabit*^ agnum et
testamentum •* eius; eritque subsistencia et" ve. Portas Ligu-
rum eoartabit, nidum philosophantium ' minorabit, florem Emilie
deflorabit propter physis oflfendiculum. Porro congregatio in
aquis Adriaticis ^ ex desolatione ursi LXX pedis^ eoartabitur,
non frangetur, usque dum veniants duo hyrci*", qui diminuant
aurum eius. Voluntas eius* ad Britanos', ut Trinacrira'^
sapiant^-**, appetitus'" in Eneaden", optimates eius decalvabit;
gallinacius°-3 apponetur, tria nomina*** silebunturP. Oculus'''
eius"? in insidiis sponse, manus'" eius ad monilia eius, ut diri-
piat^ cultum ipsius, fovens ignem in gremio eius, conteratque ' ;
fietquebrevi" restauratio, usque dum ^ sponsaminuatur"' digitis^,
alas debilitet*; aquile volatus ad Danaos; unum+T capiid aceres-
ceti' nee sibilabit, et ex primis unum mortificabitur^, set sibi-
labit«. Hyrci non balabunt', donec pes^ unus novemque poli-
*) Gl. 3 : s. aquila Anglicus.
**) Gl. 3 : id est servire sciant sicut Sicilia.
***) Gl. 1 : siKcet lex, ius et fax [d. i. fas] apud ipsum Fr., vel veritas,
Caritas et fides quoad multos. — Auch in 4 Gl. : ius, fas, lex.
Aber sollten die tria nomina nicht die Dreieinigkeit bedeuten, und
der Satz sieh darauf beziehen, dass die Römer im J. 1234. vom
Papste, den sie vertrieben hatten, gebannt wurden?
+) Gl. 3: Coniuntim intelligas verba vatis [vates Hs.] ad illud verbum:
'tercia fiet restauracio', quia omnino ista precedent restauracionem,
++) Gl. 3 : Hie videtur velle, quod transibit in Bizanciam, in Constan[ti-
nopoli] unum caput, silicet unum regnum, accrescet ei. Hoc
[Hie Hs.] non sibilabit, quia non intitulabitur de ipso regno, et de
primis regnis amictet unum [das von Jerusalem] et non amictet
intitulationem ipsius.
a) in reb. minori 3. b) Fehlt 4. c) blasphemabunt 5. d) testi-
monium 2. 5. e) sed 2, f) pedes 4 (wie oben S. 164); pedum 5.
g) venient 2. h) ursi, übergeschrieben 'vel yrci' 3. i) Britones 2. 3. 5. B.
k) tinacrim 2. 3. 1) Fehlt 5. m) 'ipsius' fügt hinzu 2; 'eins' fügt
hinzu 5. n) Eneade 1; Eneadum 4 wie immer. o) galUna cuius 3;
gallina eius 4. p) silebunt 4. q) 'eius' fehlt 4; 'in' fehlt 3. r) manus-
que 2. s) deripiat 2. t) conteretque 1. u) brevis 2. 5. v) quo 4.
w) minetur 2; minuetur vel minetur 3. x) digitos 5. y) arescet 5.
z) pedes 3 ; unus pes 2.
1) Bologna. Eine beinahe gleichlautende Stelle aus einer Sibylle
citiert Matheus Paris, Cron. mai., SS. XXVIII, 217. 2) Venedig. Siehe
oben S. 164. 3) Siehe über diese Stelle oben S. 147. 4) Das soll
wohl heissen : Es wird während der Vakanz des römischen Stuhles füi*
kurze Zeit Ruhe eintreten, die Zahl der Cardinäle wird dann sehr gering
sein, Friedrich wird das römische Gebiet angreifen. 5) Das Reich
(caput), welches mortificabitm-, ist jedenfalls das lerosolymitanische. Welches
aber Friedrich II. zuwachsen soll, wüsste ich nicht. 6) Das heisst wohl:
Aber er wird den Titel eines Königs von Jerusalem beibehalten. 7) An
anderen Stellen freilich bedeuten die 'hyrci' die Griechen, dieser Satz kann
168 0. Holder -Egger.
ces semique premensurati discurrant; Ligur gallus cantabit'.
Species virginura concupiscetur^*; pullus debachabitur, pars
nidi manu proxima'' denigrescet, pena nomini consonabit<=;
dolor intestinus urgebit aquilam, menbra capiti coniungentur;
hyrcus iugalis** in Bicanciam*^ reducetur^, hyrcus*" balabit,
gallus + cantabit, aquila revolabit, pullos plorabit«', pullum
revorabit, trina^^-^^ fiet restauratio f*; hinc Trinacris s requies aquile,
donec veniat** Gallicana ' gallina^. Oculos eins morte claudet''
abscondita supervivetque • ; sonabit et"> in populis": 'Vivit,
non° vivit', unoP ex pullis^ pullisque pullorum superstite^.
Hinc galli cantus usque Trinacrira"" audietur+^+.
Post hec autem veniet altera aquila ^ Habens pedes XX!!!!"""
et capita duo, eruntque sibilantia, set in Eneaden minirae^;
cui accrescent^ tria capita, ex quibus sibilabit' unum". Cuius
*) Gl. 3: id est: fiet scisma propter concupiscenciam virginum, quas
ministri eius occupabunt.
**) Gl. 3 : id est sub iugo positus.
'*') Gl. 3 : id est imperator Grecus.
^) Gl. 3 : id est patriarcha Constantinopolitanus.
++) Gl. 3 : id est imperii Constantinopolitani, patriarche et ecclesie Ro-
mane vel imperii Constantinopolitani [constituti Hs.] et ecclesie Ro-
mane et Ytalie.
+++) Gl. 3 : obediet ei [dem Papst] regnum usque in Siciliam.
a) concupiscet 3. b) propria 4. c) consonabitur 3. d) Bisan-
tium 4. 5. e) vorabit 3. 4 ('et' setzt zu 3) ; vocabit 5. f) tcreia 3.
f ) 'membra capiti coniungentur' wiederholt hier 4. g) tincacris 2.
h) veniet 3. 4. i) gallina Gallicana 1. k) concludet 5. 1) super-
bietque 3, m) Fehlt 2. n) populos 5. o) et non 3. 5. B, und so
aucli Salimbene an drei Stellen. p) immo 2. q) superstat 3. r) tina-
crini 1. 2; ad Tr. 4. s) crescent 4. t) de q. non balabit 4. u) unus 3.
sich aber nur auf die Vakanz des päpstlichen Stuhles von 1241, Nov. 10
bis 1243, Jan. 25. beziehen, die freilich nur 1 Jahr T'/a Monate, nicht,
wie hier gesagt wird, 1 Jahr 9Vj Monate dauerte. 1) D. h. es wird
ein Genuese (Innocenz IV) Papst werden. 2) S. oben S. 161, N. 1. Auch
die folgenden Sätze weiss ich nicht zu erklären. 3) S. oben S. 166.
Friedrich heirathete zuletzt Bianca Lancia, aber diese war keine Französin
und starb vor ihm. Da muss allerdings schwer verständlicher Irrthum vor-
liegen. 4) Wenn hier gesagt wird, dass nur ein Sohn Friedrich über-
leben wird, während noch Konrad, Manfred, Heinrich, Enzius lebten, so
hat der Verf. vielleicht sagen wollen 'einer der vorbezeichneten pulli'.
5) Das soll jedenfalls Konrad IV. sein, der Ende 1250 beinahe 23 Jahre
alt war (allerdings nicht 24, wenn mit den 'pedes' hier das Lebensalter,
nicht wie sonst die Regierungszeit bezeichnet werden soll). Seine beiden
Reiche sind wohl Deutschland und Burgund, und es wachsen ihm nach
dem Tode Friedrichs das lombardische, sicilische und das Reich von
Jerusalem zu. 6) D. h. er wird nicht Kaiser sein.
lalienische Prophetieen des 13. Jahrhunderts. I. 169
color sicut ursi et pedes sicut leonis et cauda sicut serpentis*.
Dabitur ei gallina orientalis alteraque eoa ', et^ VII pulli.
Adiciet'' autem sibi hyreum tricipitem, blasphemantem agnum
et*= sponse capud et latera, ignemque fovebit in gremio*^
sponse. Et erunt ei tres adulteri unusque legittimus, quem
aliosque^ vorabit unus. Cui erunt tria nomina blasphemie.
Cantus eius^ abhominatio ascendens in conspectu altissimi, et
finis eius interitus.
Hincsleo afFectus macie ex cavernis terre rugiet, habens
capud unum et pedes LXXII leenamque luxuriosissimam*»,
plenam mendaciis et nominibus blasphemie, catulos' novem.
Hie'* irruet in aquilara associantem • sibi alium hyreum""
orientis bicipitem pedumque XX, conteret vorabitque hyreum
et V pullos aquile, eruntque unus et una. Hinc hyrcus triceps
in auxiliura aquile leonem debilitabit et duos ex catulis vorabit.
Porro leenam" hyrcus occupans decalvabit, et erii° leonis in-
dignatio et debilitas, usque dum profugos congreget et potan-
tesP, irruetque"! in aquilam "■ et hyreum s, resumpta virtute
aquilam hyrcumque' conteret. Capud unum partemque maio-
ris" demens aquile^ et imponens sibi simul^^ cum uno ex
hyrci capitibus'' abigensque utrumque>' zonam Ytaliam possi-
debit, sponse ^ monilia reparabit, gallinam ^ occupans cum
obprobrio restituet. Sibilabit autem aquila duosque reges''
fortissimos in subsidium'^ evocabit*', irruentque" in leonem,
prevalentes in ipsum, usque dum claudat*^ dies aquila, leoque
resurgets.
Post hec'' veniet pardus fiiius aquile** habens capita duo
') Gl. in 3 überaus corrumpiert : Serpens caudam circumducit ia
varias partes corporis, in caput, et demonstrat eum [demostrü cum
Hs.] qui varius est et volubilis in effeetum operum, et concedit adesse
finis promissi, ille incedit ad inicium et medium et per verba deducit.
") Am Rande später hinzugefügt 1 : Nota de Cunrado seeundo.
a) alt. faciet 3. b) Addiciet 2. 4. c) Fehlt 3. d) sp. gr. 2. 3.
e) leg. qui alios 3. 5. f) est 3; et 5; fehlt 1. g) Hie 3. 4. h) luxu-
riosam 4. 5. i) et c. 2. k) Hinc 1. 1) assumentem 3, m) Fehlt 5.
n) vor. pet leonem 3. o) Fehlt 3; 'et — debilitas' hat 5 schon vor
'Porro'. p) potentes 1 ; potestates 4. q) irruentque 2. r) aquilis 3.
s) in yrcum 2 ; yrcus 3. t) aquila yrcum 3. u) maiorem 5. v) Am
Rande ergänzt 1. \v) Fehlt 1; cum uno simul 4 ('sibi' fehlt). x) cum
hyrco uno capita 5. y) ambigensque utramque 1. z) sponseque 1.
a) et g. 3. b) duos leones 5. c) auxilium 1. d) vocabit 5.
e) irruetque 3, f) claudit 3. g) resurgat 4; '1. res.' fehlt 5. h) 'autem'
setzt hinzu 5.
1) Konrad hatte nur eine Gemahlin, Elisabeth von Baiern, und nur
einen Sohn. Von hier an weiss ich die Prophezeiungen nicht mehr mit
den Vorgängen zusammen zu reimen. Siehe oben S. 149.
170 0. Holder - Egger.
pedesque^ XVI; hinc leo simul cum catulis rugitum dabunf*
surgentque in ipsum; debilitabit leonem pardus et duos ex
catulis devorabit, partem capitis, quam aquile* subtraxerat,
evellet pardus. HinC^ leo arte fotus« apellinea ^ nons resur-
get**, donec leena' virili animo pardam pardumque percutiat,
et triumphans in ipsum non modice capud unum evellet ini-
ponetque leoni. Hinc leo resumpta virtute pardum vorabit,
et non erit ultra semen aquile.
Leonis vero rugitum'^ pertimescent Danay, venietque
Bicanciam', et rursus"" prophanabitur", nee" erit ultra gloria
eius. Hyrcus triceps tria amittet capita, et non erit ultra?
semen ipsius. Porro leo hyrcos tributo supponet, nee hyrcus
balabit*!, nee gallus concinet, set erit hyrcorum subsannatio,
humiliatio'", sponsaraque non sponte pertimescent. Dividetur
autem in sceptra quatuor sese vorantia* locus Danauni. Et
conteret leo regiooem Asye, ut capita bestie debilitet ' et con-
fringat"; agnum collocabit^ in sceptrum bestie, et usque huc
sedes^^ eius, et modicum teinpus erit.
Post'' abhominationera sequetur>' exaraen; signa precedent,
erit'' in elementis quatuor extra morem coloris cursusque
mutatio. Epiphanos^ erit ut aer quandoque croceus, quan-
doque piceus'', nunc viridis, nunc sardineus <= apparebit. Set
sintliius'' nunc^ in X, nunc in III1<"", nunc in duas partes
scindetur, luna cum sole concurret*"; et obstupescent terrigene^
cum viderint Stellas sanguineas. ItemS tellus sudorem emittef*,
per loca fontes sanguinei ' emanabunt, eritque terribilis com-
niotionis indiciuni. p]rit enim'^ regnorum invicem' concussio "",
sedium occupatio, terremotus et fames. Matres in panis
cupidinem" iilios** et ülias humiliabunt in stuprum. Ignis
ardebit ferventius rautato colore, et per loca et provincias
penitus extinguetur. ]\Iare in turbine terribili usque ad ver-
ticesP montium procellas emittet^ et nunc in summum, nunc
a) et pedes 3. b) dabit 4. 5. c") aquila 3. d) 'Hinc — leoni'^
fehlt 3. e) leo fortis 4. f) appellinea 1; apollinea 2; apolitam 5;
fehlt 4. g) Fehlt 5. h) snrget 4. i) 'ursi' setzt hinzu 5. k) rugi-
tus 2. 1) Bisantiuni 4 ; in Bisantium 5. m) ursus 3 ; cirsus 5.
n) proplianabit 2 ; propalabitur 3. o) non 5. p) Fehlt 2. 3, 4.
q) bellabit 2. r) et hum. 5. s) vorantiura 4. t) 'deb. et' fehlt 3.
u) constringat 2; confringatur 3. v) colebit 3. w) scd s 2; pedes 3.
x) Hiervor Ueberschrift in 2: Recapitulacio ad ea que dixerat de abhomi-
nacione et examine. y) consequetur 4. z) 'enim' setzt zu 5.
a) ephyphanos 1 ; in 3 Gl. : s. superna apparicio ; 'Ep erit ut' fehlt 5.
b) pasenus 5. c) cardineus 3. d) sinxhius 2 ; cinthais 3 ; 'Set — scin-
detur' fehlt 5. e) Fehlt 3. f) concurrent 2. 3 ; conferetur 5. g) 'I. t. s,
era.' fehlt 5. h) 'sanguineum' setzt hinzu 1. i) sanguine 3. k) Eritque 4.
1) Fehlt 4. m) confusio 3. n) cupidine 1 ; egestate 5. o) filias
et filios 4. p) verticem 3. 5. q) procellis eminebit 4.
Italienische Prophetieen des 13. Jahrhunderts. I. 171
in yma descendet^. Fontes irrigui per loca desiccabuntur.
Hinc ex incursu draconis Tibridis^ aqua tumeseet, edificia
concutiet, apellineo«^ ingenio* sopietur^. Set^ et^ rebus ordo
mutabitur. Nam" crescent contumelie sponseque contumaeia;
femine vulgos debachabuntur*» in' viros, plures sequentur
unum. Viri non erubescent in plateis concubitum muliebrem''.
Item^ saerum' undique prophanabitur, eritque doctrina sub
silentio. Aves»" et animalia extra morem agent. Nara bos
mutato mugitu" equi dabit hinnitum<>, equus ruderP emittefi
aselli. Aves cantu mutato in similitudinem animalium rugi-
tum ^ dabunt. Hec autem omnia abhominationis sunt indicia %
cui ordo non erit '.
Et cum" tria signa** venient, sciant terrigene, quoniam
prope est. In Eneaden mulier centenaria apellineo^ subsidio
geminos pariet. Flamen igneum emanabit ab Ethna*** inco-
lasque vorabit. Hinc in montibus niveis duo coUes corruent,
aperietur tellus ibidem in^^ voraginem, et vapor niveus* usque
ad celosy ascendet*.
Post hec fiet multarum gentium bestialiter viventium con-
gregatio, orbe'' in X sceptra divisio^; precedent^ turpissimi
concubitus conceptus*', abhominatio '^ capud ipsorum. Tunc
reges plurimos« morte afficiet, quosdam sub •" iugo submittet;
sponsa+ silebit, gallus^'' raucescet, fietque agni contumelia.
*) GL 3 : arte videlicet Salomonis.
*') Gl. 3 : s. Signa que secuntur.
"*) Gl. 3: Mongibellnm.
+) Gl. 3 : s. ecclesia Romana.
++) Gl. 3: s. papa.
a) ascendet 3. b) tribidis 3 mit Gl.: vel Tiberiadis vel Galiläa
mare. c) apellanio 3 mit Gl.: id est ludaico ; appelline 4; appellatio 5.
d) sepietur 3; sopitur 5. e) Fehlt 5. f) in 4. g) vultu 1; fehlt 3. 5.
h) debachabunt viros 1. i) 'alias debilitabunt in' fügt hinzu 4. k) muli-
erum 1. 1) u. s. 1. m) et aves 3. n) 'mugitu — mutato' am
Rande ergänzt 2. o) hinnitus 3. p) So 3 (das Wort ist in dieser
Form noch unbekannt, welche aber durch die Lesart von 2 bestätigt wird,
während 4. 5 offenbar corrigiert haben); rüdes 2; rudmm 1 ; ruditum 4. 5.
q) dabit 5. r) Aves animalium vocem d. 5. s) inicia 3. t) est 3.
u) 'cum eo' setzt zu 5. v) apollineo 2. 3. 4; apollicey 5. w) et 3.
x) igneus 3. 5. y) celum 3. z) orbem 2; orbis 5. a) diviso 3. 4;
dividetur 5. b) precedet 2. 3. 4. c) Fehlt 4. , d) abhominabilis 5.
e) multos 5. f) Fehlt 3. 4 (wo 'summittet iugo').
1) Diese Stelle bezieht sich ohne Zweifel auf den gewaltigen Berg-
sturz im Thal von Maurienne bei Chambery im Jahr 1248. Siehe darüber
Salimbene ed. Parm. p. 147. 150; Matheus Paris, Cron. Mai. und Hist.
Angl., SS. XXVin, 301. 424; Martin. Oppav., SS. XXII, 472; Girard de
Fracheto, SS. XXVI, 588.
172 O. Holder -Egger.
Set^ celum ignisque'' et elementa videbuntur in abhomina-
tionis*' testimonium, ut prodigia faciat**, Stellas denigret et®
perfectos debilitet, Apellas* revoeet, ut*^ vetera** renovet et
renovata*** repellat». Et clamabunt** plures et' innumeri, qui
delebuntur'' ab agno: 'Hie est testamentarius'. Os et palatum
eius usque ad celos ', et manus suas extendet, ut apprehendat
altissimum. Et cum viderint terrigene'" sanctorum excidium,
scandalum perfeetorum ", vestes humiliatas+ dare testimoniuni,
clamabunt et dicent: 'Ve, ve! diutina" derisio, etP nonne hie
est, quem 'i prescii nunciaverant "■ ?' Et ^ dicent latera eius ' : 'Ubi
sunt qui agnum exaltaverant " in leonem? Nonne^' hie est iilius
altissimi?' Et aperiet abhominatio os suum"' in contumeliam
agni, ut nomen eius'^ deleat, et>' sibi primevam^ superbiam
applicabit. Et^ dicens^^ verba intollerancie^ conscribetur "^
undique sceleribus et nominibus blasphemie, donec tres pedes
semique abbreviati discurrant. Et apparebit veritas et iusticia,
omnesque abhominationem ^ abicient et convertentur ad agnum.
Aquam+++ profitebuntur Apelle^, et non erit diversa professio,
set una*^ concordias, grex unus ideraque** ovile.
Porro in proximo' erit examen, signaque precedent''.
Sol sepi.ssimc pacietur eclipsim et in' inmensum extuans in-
colas Egypti perimet. Eujjhrates'" desiccabitur usque ad tor-
rentem tenuissimum, Ethna*^ in partes" duas patebit, vocemque"
dabit AvernusP, eti tres partes habitantium Trinacrim"" peri-
*) Gl. 4: Hebreos.
*') Gl. 3 : s. lex vetus.
"*) Gl. 3 : s. lex nova.
■•■) Gl. 3: s. religiöses.
++) Gl. 3 : sive ipse intelligens, vel verba, que tolerari non poterunt,
cum diceret se filium altissimi.
+++) Gl. 3: s. baptismum.
'^) Gl. 3 : id est Mungibellum Sicilie.
a) sed et 5. b) ignis 1. c) abominacionibus 3. d) faciet 2;
fugiant 3; fingant 5. e) Fehlt 1. f) Fehlt 4 ; et 5, g) rep. ren. 4.
h) exclamabunt 3. i) etiam 2; 'pl. et' fehlt 5. k) delabuntur 3.
1) celum 4. m) sanct. terr. 2. n) 'scand. perf.' fehlt 5. o)diutinä2;
diuturna 3. p) Fehlt 4; et non est 5. q) 'quem — Nonne hie est'
fehlt 5. r) nuuciarant 2. 4. s) 'Et — leonem' vom Glossator über-
geschrieben 3 mit der Bemerkung: littera est. t) 'lat. eius' fehlt 3.
u) exaltaverunt 3. v) et nonne 3. w) Fehlt 2 — 5. x) agni 1.
y) deleatur s. 5. z) suppremam 4. a) Fehlt 3. 4. 5 ; edicens 4.
b) 'intoll. — blasphemie' fehlt 5. c) conscribentur 3. d) abomina-
tiones 3. 4. e) 'appelle' hier 1. 2; Gl. 4: ludei. f) humana 3. g) con-
cordantia 1. h) unumque 1. il P. maximum erit 3. k) precedant 3.
1) Fehlt 4. 5. m) Eufraten 2 ; Euphratem 5. n) duas partes 1.
c) voce 3. p) a mortuis 2. q) Fehlt 5. r) 'Tinacrim' hier 1. 2;
Trinacriam 5.
Italienische Prophetieen des 13. Jahrhunderts. I. 173
mentur, Faron horribiliter^ pertumescet^ et loca vicina sub-
vertet. Hinc '^ mare usque ad yma descenclet, pisces congre-
gabuntur in unum dabuntque rugitum^. Hinc^ celum in
quatuor f partes aperietur, et? vocem dabunt tonitrua, et andient
terrigene'^ minas examinis, et*' inefFabilia concinentur ' in tiiba.
Et nuncii venient inreprehensibiles nunciantes rerum excidium
et dicentes: 'Fiat humiliatio, fiat penitudo! Conterantur'' qui
excesserant, ut' avertatur furor, convertatur et"" agnus.' Hinc^
per loca apparebunt voragines, maior pars animalium morietur.
Aves iiniverse corruent in" yma exhorrentque" volatum. Set?
et humanuni genus erit exanime et antra subibit, reiciens
pecuniasfi, et inextimabiliter contremiscet. CoIIes corruent,
titubabunf montes, et luna in nigredinem convertetur. Et
venient* in conspectu agni abhominatio peccatorum et rJtionis
appetitus, et descendet ignis terribilis. qui universa creata
usque ad ethera concremabit. Et non erit solare lunareve*^
iubar, non" montes aut colles nee hominum habitatio erit in
terris, et non habundabit ultra iniquitas et^ peccatum, set
veniet e celo vox tube terribilis advocans universos, ut veni-
ant in examen. Fiet autem ineffabiliter corporis et anime
reintegratio, ut utrumque simul retributionem glorie suscipiat^^
sive penam. Tunc apparebunt cuncti^ reges et principes et
videbunt agnum" in throno terribili, ut retribuat universis,
necy erit divitis inopisve^ discretio^, set examinatio meritorum.
Tunc scelera patefient^, tunc timor et «^ tremor horrorque vora-
ginis, qua demonstrabitur^ in vindictam, concutiet^ universos,
ut dentibus strideant et oculis lacrimentur. Extendentque ^
manus ad preces, nee erit agnus flexibilis, set horribilis in
vindictam. In conspectu eins ignis et tonitrua, merita cum
peccatis; a dextris eiuss benedictio, maledictio procedet^ a
leva. ludicabit autem bonos et malos, ut illos sursum' elevet,
hos autem in sortem demonum voret'^ avernus.
Explicit über Sibille Erithee Babyllonice'.
a) mirabiliter 3. b) pertimescet 1; intumescet 5. c) Hie 3;
fehlt 5. d) mngitum 5. e) Fehlt 5. f) p. q. 2. 5. g-) 'et v. d. t. et' fehlt 5.
h) homines 5. i) continentur 2. 3; continebuntur 1. k) Convertantur
qui excesserunt 3. 1) et 4; avertantur 3. m) Fehlt 4. n) 'in
— Colles corruent' fehlt 5. In folgendem ist manches in 5 wegg^elassen
und manches geändert, was ich nicht einzeln anführe. o) exhorrescen-
tesque 4. p) Fehlt 1. q) penas 2. r) turbabunt 3. s) veniet 4.
t) luneve 2. 3. 4; luminare 5. u) Fehlt 3. v) n; (neque) 1. w) reci-
piat 1. 5; danach 'glorie' am Eande ergänzt 1. x) iuncti 2; victi 3;
vincti 5. y) non 1. z) inopis divitisque 1 ; inopisque 5. a) distinc-
cio 2. 3. 5. b) 't. sc. patebunt' am Rande ergänzt 1. c) Fehlt 4.
d) demonstrabuntur 1. e) 'concuciet — vindictam' vom Glossator am
Rande ergänzt 3 mit der Vorbemerkung : littera est. f ) extendensque 3 ;
Extendetque 4 ; extenduntque 5. g) enim 3. h) procedit 3. 5.
i) sursim 1, k) roret 2. 1) So 1 ; Expliciunt capitula libri primi
174 0. Holder - Egger.
II. Verba Merlini.
Ueber die Merlinphropliezeiung habe ich schon oben das
nöthige gesagt, habe hier nur noch die Hilfsmittel aufzuführen,
vermittelst deren ich den Text gemacht habe.
A. Handschrift der Bibliothek Vittore Emmanuele
in Rom 14. S. Pantaleone 31, membr. 8^, 64 Blätter enthaltend;
von mehreren Händen saec. XHI ex. in Italien geschrieben.
Fol. 1 — 6, die ursprünglich nicht zu dieser Hs. gehören, ent-
halten Vergils Belogen mit Glosse. — Fol. 7 — 27'. Liber
Bernardini Silvestris de microcosmo et raegacosmo. Fol. 27'
noch von der vorigen Hand ein zvveitheiliges Gedicht zum
Lobe und Tadel des Weibes: '0 rosa tenuis, odore gracilis'.
'Femina sordida, fcmina fetida'. — Fol. 29 — 39 von anderer
Hand die pseudojoachitische Fxpositio Sibillae Erithreae et
Merlini wie in der Brüsseler Hs. — Fol. 39 — 44' die Lectura
Isaie super oneribus ebenfalls wie in der Brüsseler Hs. Diese
wird aber hier nur als 'Prima distinctio' bezeichnet, und es
schliesst sich SSecunda distinctio ad eundem' (Heinrich VI)
fol. 44' — 47 als zweiter Theil der Schrift daran. — Es folgt
fol. 47. Alius tractatus. <Quia semper in stipendiariis propriis'
nur 7 Zeilen. Danach fol. 47 — 49 mit der Ueberschrift
'loachim' wie in der Brüsseler Hs. (oben S. 152) : 'Tenebre erant
super faciem abyssi — — qui sub novo militant tcstamento
conveniunt''. — Fol. 49. Die Verba Merlini. — Fol. 49'.
Die Sibilla Samia (unten S. 177). — Fol. 49'— 51. Die kürzere
Kecension der Sibilla Erithrea. — Fol. 51' — 57'. Noch eine
zweite kürzere Exposition des (Pseudo) loachim der Sibilla
Erithrea und des ]\Ierlin an Heinrich VI., die mit der obigen zu
Anfang ziemlich übereinstimmt, dann stark von ihr abweicht.
Scheint Ueberarbeitung der ersten. Sie schliesst: 'ut, quemad-
modum tuus filius veniet pupillus ad solium, sie depopulatis
filiis verget ad occasum.
Conclusio.
Hec exposita sunt secundum tres prophetas, I\Ierlinum,
Samiam et Eritheam. Verum aliqua pretermittuntur, que
veri prophete re . . . ' Non ut his dictis barbarorum fidem
adhibeas, ut domesticorum eloquia prostrata fundas'.
de excerptis de libro primo prophetie Sibille Erithee 2 ; keine Unter-
schrift 3. 4; Extraeta in bibliotheca sancti Georgii maioris Venetüs. Finis
prophetiae Sibillae Eritheae 5.
1) Darin fol. 40': Per Liguriam et totam pene prorsus Ytaliam sub
angelo quinto secta Patarenorum enormior, designata in bnicis pariter et
lociistis, de fumo sapientie, utique secularis, ascendit, quorum pestis adeo
infideles inficit et infeeit, ut mori querentibus fugiat mors ab eis. Aehn-
liche Stellen über die Patareni finden sich viele in den pseudojoachitischen
Schriften. 2) Nicht lesbar (ob 'reprobant'?). Auch 'non ut' ist undeutlich,
könnte vielleicht 'Nota vero' gelesen werden. Ein hinter 'Non' über-
geschriebenes Wort ist nicht lesbar.
Italienische Prophetieen des 13. Jahrhunderts. I. 175
Danach mit der Ueberschrift 'lohachim':
Cum fuerint anni completi mille ducenti
Et seni decies post partum virginis alme,
Tunc Antichristus nascetur demone plenus ^
Laus Christo detur, operis quod fiois habetur.
Von fol. 57' wieder alles von anderer Hand. Der Rest der
Handschrift enthält verschiedene Excerpte, Sentenzen, Versus
notabiles aus Horaz' Ars poetica, Lucan, Prosper etc.
Die Handschrift hat zahllose und sehr seltene Abbre-
viaturen, ist mit blasser Tinte geschrieben und häufig recht
schwer zu lesen.
B. In der Handschrift der Pariser Nationalbibliothek
Lat, n. 3319, saec. XIV — XV. steht die Merlinprophetie mitten
im Text der kürzeren Recension der Sibilla Erithrea. Am
Schluss derselben steht die Sibilla Samia. Herr A. Molinier
hat diese Stücke daraus freundlichst für mich abgeschrieben.
Dritte Text-Ueberlieferung ist die bei Salimbene Fol. 359
(ed. Parm. p. 175) corrigiert nach der Vatikanischen Original-
handschrift von dessen Chronik.
Eine vierte Ueberlieferung endlich ergiebt sich aus den
oben genannten pseudojoachitischen Schriften, namentlich aus
der Expositio Sib. Erithreae et Merlini, wo so viele Stellen
des letzteren citiert werden, dass man das dem PseudoJoachim
vorliegende Merlin-Exemplar fast vollständig herstellen kann.
Uebrigens geht aus drei Stellen desselben hervor, dass er
mehrere Exemplare des jMerlin gekannt hat, da er verschiedene
Lesarten darin anführt. Und wenigstens eins seiner Exemplare
muss schon durch Zusätze vermehrt gewesen sein. Denn er
citiert folgende Merlin- Worte, welche in den obigen drei
Exemplaren nicht vorkommen: 'Surget yrcus Veneri (?) castri,
qui alienum gallum abiciet, federabitur aquiloni, colligabit sibi
aquilam'. Das scheint einer Fortsetzung der Prophezeiung
entnommen zu sein.
Verbat Merlini.
Primus F.s in pilis agnus, in villis leo, erit depopulator
urbium. In iusto* proposito terminabit inter^ corvum et cor-
1) Diese Worte stehen im Liber additamentorum des Matheus Paris,
SS. XXVIII, 209, mit der Jahrzahl 1250 statt 1260, fragmentarisch mit
der Jahrzahl 1300 am Schluss von Joachims Interpretatio in leremiam
ed. Colon, p. 386. Albert von Stade, SS. XVI, 341 kannte sie in der
Form, welche unsere Hs. bietet. 2) So A, in B am Rande 'Merlinus';
'Dicta Merlini de primo Friderico et secundo' Sal. 3) 'Fridericus'
schreibt Salimbene aus, der angebliche Merlin hat aber natürlich wie
stets in dergleichen Prophetieen nur die Anfangsbuchstaben gesetzt, wie
auch PseudoJoachim immer hat. 4) 'isto' Sal. falsch, nämlich auf dem
Kreuzzuge. 5) 'in' Sal. Corvus und cornix scheinen zwei Ortsnamen
176 0. Holder -Egger.
nicem. Vivet in ^ H., qui occidet in portis Melatii'. Secundus
autem^ F.* insperati et mirabilis ortus. Inter capras agnus
laniandus, non absorbendus ab eis, Tumescet lectus eius et
fructifieabit in proximis s Maurorum «, et respirabit in eis,
Deinde ' sanguine suo involvetur, non tarnen diu intingetur^.
Verumtamen nidificabit^ in ipso i<*. Tertio tarnen '^ nido ex-
altabitur qui precedentes vorabiti^. Erit leo rugiens inter suos.
Multum confidet in prudentia sua, Disperget filios Gay-
tan '3. Romam disgregabit et rainuet. Spiritum i* tenebit in
lerosolimis. In XXXII annis corruet'*. Vivet in prosperitate
[sua 18] sexaginta duobus '' annis.
Bis >* quinquagenarius lene tractabitur i^. Romam torvo
zu bedeuten. Und östlich vom Saleph liegt Kongos, das alte Corycus,
an welches gedacht sein könnte. Doch finde ich dieses nicht in den
Kreuzzugsquellen erwähnt. Für das zweite Wort weiss ich keine plau-
sible Conjectur, wenn mau nicht an Iconium denken will. 1) 'Veniet
inde' A, aber sowohl Sal. wie Joach. haben mit B 'Vivet in', was letz-
terer dahin erklärt, dass Friedrich I. in Heinrich VI. 'velut in succes-
sore legitimo supervixit'. 2) So Sal. und Joach.; 'Melatie' A; 'Mela-
cii' B. Es ist jedenfalls Milazzo an der Nordwestkiiste Siciliens gemeint,
und es soll damit wohl die ganze Nordecke Siciliens bezeichnet werden,
wo Heinrich VI. auf der Jagd erkrankte, und auf der Messina liegt, wo
er starb. 3) 'See. F. erit' Joach. Siehe die Exposition dieser Stelle
bei Sal. fol. 215. 358 c (ed. Parm. p. 15 f. 175) und bei Pseudojoacliim.
4) Vgl. oben S. 175 Anm. 3. 5) 'Maur. prox.' B. 6) Indem er Con-
stanze von Aragonien heirathet, die ihm einen Sohn gebiert. 7) 'Deni-
que' B. 8) Danach heirathet er Isabella von Jerusalem (1225), die
aber bald (1228) stirbt. Der Verf. meint, sie sei mit Friedrich II. ver-
wandt gewesen. 9) 'radificabit' Sal., aber Joach. wie die Hss. — Er
erhält von Isabelle einen Sohn, Konrad, 10) 'nidificabit. In ipso
tamen tertio' A; aber so wie im Text B. Sal. u. Joach. 11) 'autem'
Joach. 12) Aus der dritten Ehe mit Elisabeth von England wird
ein Sohn (Heinrich) hervorgehen, welcher die Herrschaft erlangen
wird, oder der die andern überleben wird. Das muss vor dem Tode
Heinrichs (f 1253) geschrieben sein. 13) So B; 'gaytä' A und die
Hss. des Joach. ; 'Ceylau' Sal. PseudoJoachim bezieht diese Stelle auf
die Verpflanzung sicilischer Sarracenen, 14) 'et spir,' B. 16) Dieses
bezieht sich offenbar auf die Absetzung durch das Concil von Lyon (1245).
Die Jahrzahl ist von der Krönung zum römischen König (1212, Dec. 9)
an gerechnet. Von da an sind 32V2 Jahre bis zur Absetzung. Salim-
bene fol. 31 1^ (ed. Parm. p. 106) und PseudoJoachim beziehen diese Zahl
auf die Zeit von der Kaiserkrönung (1220) ab bis zu seinem Tode. Das
sind aber nur 30 Jahre und einige Wochen. 16) So Sal. und Joach.;
fehlt A. B. 17) 'LXXn' Sal.; PseudoJoachim hat die Zahl 62, fügt
aber hinzu, dass andere Exemplare 72 haben. Der Prophet muss offenbar
das Geburtsjahr Friedrichs nicht gekannt haben, denn er wurde nur
(1194, Dec. 26, geboren) nicht volle 56 Jahre alt. 18) 'et bis' Sal.
und Joach. 19) Ich weiss diese Stelle nicht recht zu erklären, da
einmal nicht klar ist, ob 'bis' mit dem Verbum oder mit 'quinquag.' zu
verbinden ist, da ferner der Pseudo-Prophet offenbar eine irrige Meinung
über Friedrichs .A.lter hatte. Die Erklärungen, welche Salimbene fol. 311 <=
Italienische Prophetieen des 13. Jahrhunderts. I. 177
oculo respiciet. Viscera sua contra i se videbit. In tempore ^
suo mare saneto^ sanguine rutilabit. Et venient eomunes
adversarii usque Parthonopen *. Deinde collecto per eum ab
aquilone presidio ^ effusionem sparsi sanguinis vindicabit^.
Et ve illis qui ad vasa non poterunt habere recursum ' ! Et
postquam XVIII. anno^ crismatis erit, mouarchiam in oculis
invidorum tenebit. In^ exitu suo frustrabuntur in eo'" omnes
qui maledixerunt '1 sibi.
III. Sibilla Samia.
Wie schon oben S. 174 f. angegeben, steht die meines
Wissens bisher garnicht bekannte Samische Sibylle in den
Handschriften
A) Vittore Emmanuele 14. S. Pantaleone 31, saec. XIII ex.
B) Paris Lat. n. 3319, saec. XIV— XV.
PseudoJoachim kannte sie, er citiert sie einmal in der
Expositio Sib. Erithreae et Merlini als Sibilla Cretensis, ein-
mal als Sibilla Samia in der Lectura lesaiae super oneribus.
In den oben S. 174 citierten Schkissworten der kürzeren Ex-
position der Erithrea der Handschrift von S. Pantaleone ist
gesagt, dass auch die Sib. Samia darin erklärt sei.
Ihre Prophezeiungen sind so durchaus dunkel, dass ich
nicht in der Lage war, eine Erklärung zu versuchen.
(ed. Parm. p. 107) und Pseudojoachim an zwei Stellen in der Erklärung"
der Sibylle und des Merlin und an einer dritten in der Interpret, in
lerenaiam eap. 34 (ed. Colon. 1577. p. 366, wo aber die Stelle total ver-
dorben ist. Sie lautet nach der Brüsseler Hs.: 'mirum, quoreiodo Mer-
linus eum bis quinquagenarium fore describit, nisi post quinquagenarium
numeruni 'bis V qui legis intelligas et non centenarium') geben, sind
offenbar nicht zutreffend. Nimmt man nach dem Vorigen an, dass der
Autor meinte, Friedrich sei 1188 — 89 geboren, so kommt man mit der
Zahl 50 auf 1238 — 39. Vielleicht soll die Stelle heissen: Als fünfzigjähriger
wird er zweimal excommuniciert sein (er wurde 1239, März 20, zum
zweiten Male excommuniciert), indem die Excommunication als Heilmittel
zu seiner Besserung gefasst wird, oder die Wendung auch ironisch ge-
meint ist. Denn 'lene' ist jedenfalls Adverb, nicht Dativ von 'lena'.
I) 'extra' Sal.; und Joacb. kennt beide Lesarten: 'extra se vel contra
se', doch ist die der Hss. jedenfalls die richtige. Die Stelle bezieht sich
auf die Rebellion Heinrichs VII. 2) 'autem' setzt zu B. 3) 'sang.
sancto' Sal.; 'sanctorum sang.' B und Joach. — Das bezieht sich auf die
Seeschlacht von 1241, Mai 3 und den Fang der Cardinäle und Prälaten,
Diesen Satz führt Mattheus Paris, SS, XXVIII, 217, aus einer Prophetia
Sibille magne an, 4) 'Parthenopen' B; 'u. ad Parth.' Sal. 5) 'pre-
sidium' A. 6) Ich weiss nicht, welches Ereignis der Verf. hierbei im
Auge hatte, 7) 'pot, recursare' B. 8) 'in octavo decimo anno' B ;
'ab anno' Sal. 9) 'et in' Sal. 10) 'in eo' fehlt B; 'omnes' fehlt Sal,
II) 'raaledixerint' Sal. und Joach.
Neues Archiv etc. XV. ] 2
178 0. Holder -Egger.
Sibilla Samia».
Excitabitur^ Romanus contra Romanum, et Romanus
Romano 3 substituetur Rome*.
Leunculus* surget et montium« petet caeumina. lungetur
vulpi et clamidabitur pelle pardi'.
AUeviabuntur virge « pastorum. Solatium eorum erit in ocio.
Turbabuntur seduli et orabunt, et in lacrimis multorum
erit requies.
Hurailis» arridet'» furibundo>i, et furor extinguens palpabit.
Novus grexi2 semper ad tumulum ", et qui nudabuntur'*
in ventre tenui eibo cibabuntur.
Frustrata est spes sperantium »*, et requies consolantium,
in quo pariet fiduciam.
Qui in tenebris ambulaverunt ad lucera redibunt.
Que diversa erunt per diversa'« consolidabuntur.
Non modica nubes incipiet pluere '^, quia natus est immu-
■tator'8 seeuli.
Leo substituetur"» agnis, et agni leones depredabuntur^o.
Surget furor contra principera, et simplicitas attenuata
spirabit^i,
Decus convertetur in dcdecus, et gaudium multorum erit
luctus.
1 1 'Samica' undeutlich A. 2) 'Exitabitur' A. 3) 'Romanum' A.
4) 'Kome' fehlt B. — PseudoJoachim citiert diese Worte so: 'et Romanus
substitutus Romano Romam inminuet'. 5) 'Leonculus' B. 6) 'petet
niontium' B. 7) Diese Worte kommen in des PseudoJoachim 'Lectura
lesaiae super oneribus' vor. 8) Uebergeschrieben in A. 9) Hull' A.
10) 'vel alludef setzt zu B. 11) 'furibunda' A. 12) 'gres' A.
13) 'cumulum' A. 14) 'mundabuntur' B. 15) Auch diese Worte
kommen bei PseudoJoachim vor. 16) 'per div.' zweimal in B. —
'consolidantur' A. 17) Fehlt A. 18) 'natus immutatio', danach e
übergeschrieben A. 19) 'sustituetur' A. 20) 'deprecabuntur' A.
21) 'sperabit' B.
V.
Miscellen
12'
I
Nachträge zu den Ostgotliisclien Studien.
Vou Theodor Mommsen.
Zu Neues Archiv XIV S. 461. Was hier über die vicarii
der Gotheuzeit gesagt ist, stimmt nicht mit den Ergebnissen,
zu welchen zwei junge Gelehrte, Charles Diehl in Nancy i und
Ludo Hartmann in Wien 2, die kürzlich das byzantinische
Regiment über Italien eingehend untersucht haben, freilich
unter sich wieder abweichend, gelangt sind; und ich bin da-
durch veranlasst auf die Frage zurückzukommen, um so mehr
als ich eine vor Jahren von mir darüber gemachte und von
den Genannten angezogene Bemerkung als unhaltbar zu be-
zeichnen habe.
Die Nichtexistenz des Vicariats von Italien in der ost-
gothischen Zeit glaube ich erwiesen zu haben; das Fehlen
einer dafür geeigneten Formel bei Cassiodor reicht in der
That allein schon dazu aus. Aber wenn in byzantinischer
Zeit, und zwar nachdem Mailand in die Hände der Langobarden
gekommen war, die Rede ist von einem Johannes vir magni-
ficus, der nach Genua kommt praefecturae vices illic acturus
als Nachfolger eines Vigilius, qui vices illic ante hunc prae-
fecturae gessit^, so kann ich nur gegen Hartmann (S. 40)
Diehl (S. 161) darin beitreten, dass dies ein ständiger Beamter
gewesen sein muss; darauf führt sowohl die Nachfolge wie
die Nennung nicht des praefectus, sondern der praefectura.
Andererseits aber steht nichts der Annahme entgegen, dass
bei der Ordnung Italiens Justinian den comes Italiae wieder
beseitigt und den vicarius Italiae hergestellt hat.
Dass nach der Eroberung Galliens der Vicariat für Gallien
von Theoderich wiederhergestellt ward, ist unbestreitbar und
unbestritten"*; und diese Thatsache allein Sviderlegt Hart-
raanns Meinung, dass in der ostgothisehen Zeit der Vicariat
1) Etudes sur radministration Byzantine daus l'exarchat de Ravenne.
Paris 1888. 2) Untersuchung'en zur Geschichte der byzantinischen Verwal-
tung in Italien. Leipzig- 1889. 3) Gregorius ep. 9, 35, gerichtet an
den damals in Genua residirenden Bischof von Mailand. 4) Var. 8, 16.
182 Th. Mommsen.
principiell beseitigt gewesen ist. Es zeigt sich vielmehr wieder
recht deutlich, dass in dem Gebiet Theoderichs das römische
Verwaltungsschema, so wie dessen materielle Voraussetzungen
vorhanden waren, von Rechtswegen in Kraft trat. Auch das
Fortbestehen des vicarius urbis Romae in gothischer und
byzantinischer Zeit leugnet Hartmann (S. 39) sicher mit
Unrecht. Die bei Cassiodor 6, 15 für denselben aufgestellte
Formel kann nicht, wie er meint, auf den vicarius prae-
fecturae urhis bezogen werden, einmal weil der vicarius der
praefectura praetorii und der vicarius der praefectura urbis
titular verschieden sind und die cassiodorische Formel wie
überhaupt so namentlich in der Titulatur nur auf den ersteren
passt, zweitens weil der vicarius des praefectus urbi lediglieh
in der diocletianischen Uebergangszeit vorkommt und nach dem
Ausweis der notitia dign. wie nach allen anderen Quellen später-
hin ein solches Amt nicht mehr bestanden hat'. — Die An-
nahme, dass die Competenz des Vicarius urbis Romae im Laufe
dieser Periode eine andere geworden sei, habe ich früher
vertreten » und Diehl (S. 161) wie Hartmann (S. 144) haben
mir darin beigestimmt; doch lilsst sich dafür ein genügender
Beweis nicht erbringen. Nach den diocletianisch-constan-
tinischen Ordnungen hat der vicarius urbis Romae eine
zweifache Competenz: er hat theils, als den praefecti urbi
neben-, aber nicht untergeordnet, die secunda iudicia in
der Stadt Rom, theils ist er Oberinstanz für die zehn süd-
italischen Provinzen. Beides ist Avahrscheinlich geblieben.
Wenn er nach Cassiodors Angabe intra quadragesimum sacra-
tissimae ui-bis iura custodit, so kann diese sonst nicht bekannte *
Competenzgrenze füglich auf seine städtische Function bezogen
werden und dafür schon vor der gothischen Zeit bestanden
haben, während andererseits es sich nicht erweisen lässt, dass
er in gothischer Zeit nicht auch noch in gewissen Beziehungen
als Oberinstanz für Süditalien fungirt hat, obwohl allerdings
davon geradezu nichts zum Vorschein kommt und deren Vor-
steher namentlich in Steuersachen direct vom praefechis prae-
torio ressortiren.
Ich muss also dabei bleiben, dass in Rom es auch jetzt
noch Avie früher drei kaiserliche Stellen ersten Ranges gab,
den agens vices praefecti praetorio*, seit dieser selbst in
1) Dies ist in den memorie dell' instituto 2, 308 fg. gezeigt worden.
Die Verschiedenheit des bei Vacanz des Amtes oder Abwesenheit des
Beamten eintretenden agens vices praefecti urbis von dem ständigen vica-
rius praefectiirae urbis habe ich dort ebenfalls entwickelt. 2) Rom.
Feldmesser 2, 203. Dagegen Bethmann -Hollweg Civilprozess 3, 63.
3) Hartmann S. 144 macht indess aufmerksam auf die Stelle bei Grego-
rius dial. 3, 18: fuit quidam in Campaniae partibus intra quadragesimum
Eomanae urbis miliarium nomine Benedictus . . . Totilae regis tempore.
4) Ostgoth. Stud. S. 463. 491. Zu dieser Kategorie gehört wohl der
Nachträge zu den Ostgothischen Studien. 183
Ravenna residirte, den praefectus urhi und den vicarius
urbis Romae^. Bei Vacanz des Amtes oder Behinderung der
Beamten tritt für die beiden letzten ein agens vices ein'.
Zu S. 466 A. 4. Was hier über die Reactivirung des
comes domesticorum nach Theoderichs Tode bemerkt ist, be-
ruht auf einer Interpolation des Briefes 8, 12, auf die ich erst
später aufmerksam geworden bin. Derselbe giebt die Amts-
stellung des Adressaten Arator v. i. in der Aufschrift nicht
an ; sie wurde gefolgert aus den Worten des Textes : te comi-
tivae domesticorum illustratum honore decoramus, die trotz
ihrer verwirrten Fassung nicht wohl anders verstanden werden
konnten. Aber diese Fassung findet sich nur in den ge-
ringeren Handschriften; die beste, die Brüsseler, zum Theil
unterstützt durch die Londoner, liest: te comitiis domesticorum,
illustratum isto honore decoramus; wonach also Arator, nach-
dem er vorher durch die comitia (das heisst die comitiva)
domesticorum zum lUustrat gelangt war, jetzt nach Theode-
richs Tode ein anderes Amt empfängt. Welches dies ist,
spricht Cassiodor nicht aus; es muss eines der minderen der
ersten Klasse gewesen sein, da Arator dieser bereits angehört,
aber in dem Briefe nur von seinem Vater und von der Vor-
stufe der Beamtenlaufbahn , der Advocatur die Rede ist,
auch am Schluss ihm bei fernerem Wohlverhalten höhere Stel-
lungen verheissen werden. Aber was der Brief verschweigt,
sagt uns die Subscription des von demselben Mann verfassten
und dem Papst Vigilius im J. 544 überreichten Poems de
actihus apostolorum ; es heisst hier: ohlatus hie codex ah
Johannes vir magnißcus in Jiac urbe locum praefectorum servans bei
Gregor dial. .3, 10. 4, 52; desgleichen der Dulcitius, den als agens vices
des praepositus (oder vielmehr praefectus praetorio: Jaffe-Kaltenbrunner
1775) Italiae Johannes derselbe Gregorius ep. 10, 21 erwähnt und der ohne
Namennennung noch bei ihm 10, 52 vorkommt: ut cautiones agentluvi vices
lohannis praefecti simul et Palatini huc transmittere deheat. Wenn Diehl
S. 160 A. 11 darüber bemerkt, que le titre de praefectus simul et
palatinus est peu clair, so ist übersehen, dass das letzte Wort hier nicht
Standesbezeichnung, sondern der 10, 51 genannte Palatinus patricius
gemeint und hier von dessen Vertreter und dem des Präfecten Johannes die
Rede ist. Ein gleichnamiger Mann wird erwähnt in der Veroneser Biogra-
phie des Papstes Symmachus (Duchesne liber pontif. p. 46). Noch weniger
durfte Diehl den Johannes vir clarissimus palatinus des Briefes 10, 26,
einen Steuerbeamten der dritten Rangklasse, mit jenem praefectus praetorio
identificiren. 1) Dass man den Crescentius, den Papst Gregor ep. 10, 46
als vicarius noster bezeichnet, zu einem Reichsbeamten dieser Benennung
zu machen pflegt, während vicarii der Bischöfe oft genug vorkommen,
hat viel Verwirrung gestiftet. 2) Ein solcher des Vicars ist Georgius
comes et agens vices Marcellini vicarii in dem Briefe Papst Pelagius I.
von 558/560 (Jaife - Kaltenbrunner reg. n. 1021 mit dem Nachtrag von
Löwenfeld; Ewald in diesem Archiv 5, 555).
184 Th. Mommsen.
Aratore inlustri excomite domesticorum excomite privatarum
viro religioso suhdiacono sanctae ecclesiae Romanae^. Also
ist die comitiva privatarum gemeint und hat Arator diese
im J. 526 von Athalarich erhalten, worauf er dann in den
geistlichen Stand übertrat und achtzehn Jahre später in Rom
als Subdiaconus thätig war.
Zu S. 487 A. 7 a. E. Es hätte hier darauf hingewiesen
werden sollen, dass Gregorius' (hist. Franc. 2, 38) Bericht über
Chlodovechs Consulat wesentlich correct ist: ah Anastasio
imperatore codicillos de consulatu accepit et in hasilica heati
Martini tunica hlattea indutus et chlamyde, imponens vertice
diadema. Der Versuch dem Frankenkönig einen Platz in
den Fasten zu verschaffen, der noch kürzlich gemacht worden
ist, wäre allerdings besser unterblieben (vgl. Krusch in dieser
Zeitschrift 12, 299); aber neben den jetzt wieder das ganze
Jahr hindurch fungirenden und in der Datirung ausschliess-
lich verwendeten consules ordinarii (Staatsrecht 2^, 93) stehen
in dieser Epoche die titularen sowohl in den Erlassen des
Ostreichs {cod. Inst. 10, 32, 67, 1. 12, 3, 3. 4), wie auch bei
Cassiodor {var. 6, 10 und sonst) und in zahlreichen bis in
späte Zeit hinaljreichenden byzantinischen Bleisiegeln. Dass an
diese hier zu denken ist, beweist die dafür technische Erwähnung
der codicilli. Ungenau ist allein die Nennung des Diadems,
das Chlodovech nur als König, nicht als Consul getragen haben
kann. Ebenso hat Gregor in den folgenden Worten: ab ea die
tamquam consul ant Augustus est vocitatus den Augustus mit
Unrecht hereingezogen. Der Titel, der dem Honorarconsul
zukommt, ist ex consule * und in diesem Sinne muss Gregors
tamquam consul aufgefasst werden. Proconsul, wie in einem
Theil der Handschriften der lex Salica Chlodovech genannt
Avird, kann weder mit v. Sybel (Rhein. Jahrb. 4, 86; histor.
Zeitschrift 56, 399) von einem durch den Kaiser des Ostens
dem fränkischen König übertragenen Proconsulat über Gal-
lien verstanden, noch mit Waitz (Verf. gesch. 2, 1^, 47) auf
das Honorarconsulat bezogen werden ; wenigstens wird dies
titular nie also bezeichnet. Es ist doch wohl nichts als
1) Diese vollständige Fassung giebt Sirmond (zum Ennodius p. 349
der Vogelschen Ausgabe) nach einer Handschrift von Reims; in anderen,
zum Beispiel der Berner von Hümer, Wiener Stud. 2, 79 angeführten,
steht bloss ab Aratore suhdiacono. 2) So heissen in justinianischer
Zeit Narses (C. VI, 1199) und Solomon (C. VIII, 1863. 4677), die beide
nur das Honorarconsulat bekleidet haben können. Die wirklich in Function
gewesenen Consnln dagegen nennen sich ex consule ordinario, wie z. B.
Decius 486 (C. X, 6850), Boethins Consul 522 in der Subscription einer
seiner Schriften, Mavortius Consul 527 in derjenigen der horazischen
Epoden und Cassiodor selbst.
Nachträge zu den Ostgothischen Studien. 185
Schreiberversehen für das allein in den Zusammenhang pas-
sende praecelsus.
Zu S. 489 A. 4. S. 490 A. 2. Aus Versehen ist Sym-
machus hier als Consul des J. 522 bezeichnet und nicht als
Consul des J. 485. Danach dürfte caput senatus nicht einen
von dem Herrscher bestellten Vormann des Senats bezeich-
nen, sondern einfach den nach der senatorischen Rangordnung
an der Spitze stehenden Senator.
Zu S. 505. Die richtige Auffassung der Stellung Theode-
richs bestätigt sich weiter durch den aus derselben entwickelten
Exarchat, dessen Entstehung übrigens Hartmann in der oben
angeführten Schrift in allem Wesentlichen richtig dargelegt
hat. Wenn der Gothenkönig als ständiger mag ister militum
in Italia für Byzanz functionirt hatte, so musste nach dem
Sturz der Gothenmacht dieses Amt wieder in der durch das
byzantinische Schema gegebenen Form besetzt, für den neu
gewonnenen Reichstheil ein oberster Militärchef ohne Lebens-
länglichkeit und Erblichkeit bestellt werden. Auch in Africa, das
freilich formell vom Reiche getrennt gewesen war, lagen nach
dessen Wiedereroberung die Verhältnisse ganz ähnlich. Der Sache
nach ist dies auch dort wie hier geschehen; Belisar, Solomon,
Johannes in Africa, Belisar, Narses, Smaragdus in Italien sind
wesentlich die in Thracien wie im Orient als magistri militum
bezeichneten Obercommandanten. Was sie von diesen unter-
scheidet, ist hauptsächlich die Titulatur. Zwar für Africa gilt nicht
einmal dies, insofern dort die Inschriften namentlich den Solo-
mon einfach magister militum nennen und diese Benennung
hier erst nach längerer Zeit abgekommen ist '. Aber im
byzantinischen Italien erscheint der Magistertitel in solchem
officiellen Gebrauche nicht, wahrscheinlich weil er, nach Aus-
weis der Briefe Gregors, dort häufig an Offiziere niederen Ranges
vergeben ward und daher den Oberfeldherrn nicht hinreichend
charakterisirte. Hier hat einige Zeit das Amt bestanden ohne
officielle Titulatur — wenigstens können wir für Belisar keine
nachweisen und legt Narses, von dem wir Inschriften besitzen ^^
sich nur Rangtitel (vir gloriosissivius , vir excellentissimus,
2)atricius) bei ; insofern unrichtig, obwohl sachlich zutreffend
betrachten die späteren Byzantiner schon ihn als Exarchen.
1) Die in Karthago zum Vorschein gekommene Inschrift des Ex-
archen von Italien Smaragdus (C. VIII, 10529), welche sowohl Diehl
(S. 171) wie Hartmann (S. 114) anführen, ist nach Reinachs Zeu^niss,
der den Stein gesehen hat, eine in Rom angefertigte und nach Tunis
exportirte Copie derjenigen der Phokassäule (Eph. ep. V p. 538).
2) C. I. L. VI, 1199. X, 8045, 14.
186 Th. Mommsen.
Das Wort exarchus, welches diese Lücke ausfüllt, bezeichnet
in der reinen Graecität den Anheber, insbesondere den Vor-
sänger und hat in besserer Zeit keine militärische Fär-
bung; dagegen in einem Erlass Justinians vom J. 545 > spricht
der Kaiser von 'unseren Exarchen' in der Weise, dass diese
Benennung, wie in älterer Zeit das lateinische clux, den zeitigen
Commandoführer ohne Rücksicht auf dessen Rangstellung be-
zeichnet ; und wie dies der Grundbedeutung des Wortes wohl
entspricht, so wird enuntiativ das italische übercommando
correct und genügend dadurch charakterisirt. Sicher als Titel
begegnet das Wort zuerst in der vor kurzem von Rossi ans
Licht gezogenen Inschrift des Julianus tbt^QXos 'l[TO/.iag] vom
J. 589 2 und von da an ständig; es muss zuerst diesem oder
einem seiner nächsten Vorgänger officiell beigelegt worden sein.
Es ist wohl richtig, was Hartmann (S. 30) sagt, dass die
Macht des Exarchats ausging von dem Specialmandat für die
Führung des Gothenkrieges, aber der Exarch ist kein ausser-
ordentlicher Weise bestellter Befehlshaber, sondern der ordent-
liche Militärcommandant des byzantinischen Italiens. Civilcom-
petenz liegt an sich in dem Amte nicht; es wird dies schon
dadurch gefordert, dass dem Exarchen wenigstens das ganze
sechste Jahrhundert hindurch der praefectvs praetorio Italiae
zur Seite steht. Aber das Uebergreifen der Militärbehörden in
die Civilverwaltung wird durch das Wesen des damaHgcn
Regierungssystems gewissermassen gefordert ; und wenn in Africa
der magister müitum Solomon zugleich sich praefectvs praetorio
nennt und für ihn also die oberste Militär- und die oberste
Civilverwaltung formell combinirt worden sind, so haben seine
titellosen oder betitelten italischen Amtsgenossen, ohne Zweifel
durch Specialmandat, sachlich häufig, vielleicht regelmässig eine
analoge Stellung erhalten und den praefectiis praetorio mehr
als Unterbeamten denn als Collegen behandelt. Insofern sagt
Hartmann weiter nicht unrichtig, dass der Exarch bald der
Träger der kaiserlichen Centralverwaltung in Italien gewor-
den ist*; aber es ist doch nicht zu übersehen, dass der für
die gesammte römische Spätzeit massgebende Grundgedanke
der Scheidung der civilen und der militärischen Competenzen
principiell auch diese Institution beherrscht hat.
^ 1) Nov. 130. 2) Rossi inscr. christ. 2 p. 455; Hartmann S. 111.
Das älteste Schriftstück, in dem das Wort auf das italisclie Obercommando
anprewandt wird, ist das Schreiben des Papstes Pelagius 11. vom J. 584
(JaflFe - Kaltenbrunner n. 1052). 3) Schärfer noch und also noch minder
zutreffend ist die gleiche Auffassung bei Diehl (S. 15 fg.) entwickelt;
nach ihm ist das Exarchat zwischen 572 und 576 als combinirte militärisch-
civile Centralstelle eingerichtet worden.
Bemerkungen zu den Papstbriefen der Britischen
Sammlung.
Von Theodor Mommsen.
Jaffe-K. 631; Löwenfeld, Epp. Pont. Rom. S. 2 n. 3;
Ewald, Neues Archiv V, 509 n. 3. In dem Adressaten Probus
hat Ewald mit Recht den episcopus Carmeianensis erkannt,
der an den römischen Synoden 501. 502 theilnahm. Gemeint
ist der Distriet, welcher in der Not. dignitat. occ. e. 12, 18
also aufgeführt wird : procurator rei privatae per Apuliam et
Calahriam sive saltus Carminianensis, auch in der interpolir-
ten Fassung des liber coloniarum (grom. p. 261) in der Form,
dass zu dem ager Collatinus, den der bessere Text zwischen
Arpanus und Siponttnus verzeichnet, hier zugeschrieben ist:
Olli et Carmeianus. Der Ort ist wahrscheinlich Carmignano
in (dem ehemaligen) Calabrien zwischen Lecce und Nardo.
Dass die Oertlichkeit als kaiserliche Domäne ausserhalb der
municipalen Organisation stand, zeigt die Notitia; darauf kann
der conductor domus regie bezogen werden, obwohl dessen
Pachtbezirk nicht nothwendig in der Diöcese des Probus ge-
sucht werden muss.
Jaffe-K. 648; Löwenfeld a. a. O. S. 4 n. 7; Ewald a. a. O.
S. 513 n. 12. Der episcopus Valvensis ist derjenige des alten
Corfinium, dessen Sprengel zu Gelasius Zeit schwerlich schon
mit dem von Sulmo vereinigt war; Salerno bei Ewald muss
Schreibfehler sein. Ob das in dem Briefe erwähnte Potentia
die lucanische Stadt ist (Potenza) oder die picenische (bei
Recanati), ist nicht auszumachen; beide liegen von Corfinium
weit ab.
Jaffe-K. 705 (vgl. 663); Löwenfeld a. a. O. S. 9 n. 17;
Ewald a.- a. O. S. 517 n. 30. Den vicus Chientinus nennt
die Inschrift C. I. L. IX, 5804, gefunden in Civitanuova in
Picenum zwischen Osimo und Fermo; ob derselbe mit der in
älterer Zeit mehrfach genannten Ortschaft Cluana zu identifi-
ciren ist, steht dahin.
Jaffe-K. 713; Löwenfeld a. a. O. S. 9 n. 18; Ewald a. a. O.
S. 519 n. 38. Der aller Wahrscheinlichkeit nach mit dem an-
conitanischen grenzende Bisthumssprengel der ecclesia Camis-
cana kann wohl kein anderer sein als der des südlich nächst
188 Th. Mommsen.
angrenzenden Territoriums von Numana, obwohl die Aende-
rung ziemlieh weit abliegt.
Jaffe-K. 981; Löwenfeld a. a. O. S. 14 n. 25; Ewald a. a. O.
S. 540 u. 9. Auf Grund des schon früher bekannten Frag-
ments dieses Briefes (Mansi, Coli, concil. IX, 734) haben die
Neapolitaner Topographen (zuletzt Corcia, Storia delle due
Sicilie II, 97) den nur hier genannten vicus Fenicolensis mit
dem vico di Pantano, südöstlich von Castel Volturno in Cam-
panien identificirt. Jetzt, wo das Schreiben vollständig vor-
liegt, sehen wir, dass es von zwei benachbarten Sprengein
handelt, der ecclesia Vxdturnina vel vici Feniculensis und
der ecclesia Pariensis fwofür bei ]\Iansi Parisiensis gedruckt
ist). Bei der letzteren kann wohl nur gedacht werden an das
alte Liternum, jetzt Torre di Patria; ob die handschriftliche
Ueberlieferung danach zu ändern oder Patria aus Paria ver-
dorben ist, Aveiss ich nicht zu entscheiden. Der vicus Feni-
colensis muss in oder bei Castel Volturno gesucht werden;
vielleicht hat die jetzt gangbare Identificirung hier einmal das
Richtige getroffen.
Jaffe-K. 966; Löwenfeld a. a. 0. S. 20 n. 39; Ewald a. a. O.
S. 561 n. 70. 71, Der preshyter Turinatis ecclesiae, welche
zur Diöcese von Spoleto geh'irt, kann unmöglich ein Priester
von Todi sein, das eine eigene Diöcese bildet. Aber nachzu-
Aveisen weiss ich jene Ortschaft nicht.
Bemerkungen zu den Papstbriefen der Britischen.
Sammlung.
Von H. Bresslaii.
Jaffe-L. 4538; Löwenfeld, Epp. Pont. Rom. inedit. S. 45
n. 87; Ewald, Neues Archiv V, 340 n. 67. Dies Stück ist
von Ewald nach seiner Stellung in den Excerpten der Briti-
schen Sammlung zu 1063 angesetzt und darnach auch von
Löwenfeld in den Regesten eingereiht worden. Diese An-
setzung ist wenigstens für den zweiten Theil des Stückes, die
mit 'item' eingeführte Notiz über die Absetzung des Bischofs
Michael von Pesaro unmöglich. Denn Michaels Vorgänger
Dominicus, den Gams zu 1062 ansetzt, kommt nicht nur in
den Unterschriften von Jaffe-L. 4565 vom 6. Mai 1065, (s. unten
S. 190), sondern sogar noch 1070 in der Lateransynode vom
15. Mai (Mansi XIX, 998; vgl. Jaffe, Reg. pontif. I'', 585)
vor. Seine Entsetzung durch Alexander IL wiegen Ver-
schwendung von Kirchengut kann also nur in die Zeit von
1070—73 fallen.
Jaffe-L. 4559, Löwenfeld a. a. O. S. 48 n. 96; Ewald a. a. 0.
S. 337 n. 45. Alexander IL theilt in diesem Schreiben dem
Mailänder Clerus mit, er habe einen Bischof ('frater noster')
Lanfrank wegen des ihm zur Last gelegten Verbrechens ('cri-
men, tantum tamque execrabile flagicium') in Untersuchung
gezogen, aber, da er zum Bekenntnis nicht habe bewogen
werden können, ihm gestattet sich durch einfachen Eid zu
reinigen. Der Eid scheint bei Erlass des Schreibens noch
nicht geleistet zu sein, da der Papst sagt: 'ante presentiam
nostram ... ab huius criminis obiectione se defensurum
remisimus'. Es bleibt zu fragen: wer ist der Angeklagte?
Ewald hat sich ebenso wie Löw^enfeld in der Ausgabe der
Epistolae jeder Vermuthung darüber enthalten, letzterer da-
gegen in den Regesten an einen Bischof von Belluno gedacht.
Hier wird in der That bei Gams ein 'Lanfrancus de Madde-
burgh' angeführt, der bis 1070 gesessen haben soll. Eine Ur-
kunde von ihm kenne ich nicht; die Angabe geht jedenfalls
auf lokale Ueberlieferung zurück, und dass hier ein Magde-
burger zum Bisthum gelangt ist, ist nicht unwahrscheinlich:
auch die beiden Vorgänger Albuin und Hezimann sind
190 H. Bresslau.
Deutsche. Aber der Name ist entschieden irrig; schon bei
Miari, Dizionario storico-artistico-letterario Bellunese S. 164 S.
findet sich ein Ansatz zum richtigen, indem er hier heisst
^Lanfranco o Walfraco di Magdeburgo', und die correcte
Namensform giebt uns der 'Liber pontificalis' Gundekars von
Eichstädt, SS. VII, 249, wo unter den 1057 — 1075 gestorbenen
Bischöfen Wolfram von Belluno aufgezählt wird. Fällt
damit Löwenfelds Vermuthung, so möchte ich an Lanfrank
von Chiusi erinnern, der zeitlich gut passt. Gams giebt ihm
<iie Sedenzzeit von 1066 — 1098; er kommt aber schon 1065
als 'Lanfrancus Clusinae' (so ist statt 'Elusinae' natürlich zu
lesen) 'urbis episcopus' vor in Jaffe-L. 4565, dessen Unter-
schriften, wie Löwenfeld mit Recht bemerkt, auf ein verlorenes
zweites Original zurückgehen müssen und sich durchweg als
zuverlässig bewähren. Dann kann ich ihn in Urkunden von
1068. 1072. 1075/76. 1094. zuletzt im Juni 1098 (Liverani,
Ducato di Chiusi S. 279) nachweisen. Für die Beziehung
unseres Briefes auf ihn spricht nun die Urkunde Jaffe-L. 4657,
ein Brief an den Clerus von Chiusi, aus dem wir erfahren,
dass die Geistlichen dieser Kirche auf einem römischen Concil
ihren Bischof der Simonie angeklagt haben. Der Papst, heisst
es, habe die Sache in Untersuchung gezogen, sie aber seiner
Zeit nicht entscheiden können und sie deshalb 'ad nostrara
iterum audientiam deferendam' vertagt. Dann sei die Sache
wiederholt verhandelt, schliesslich aber in Chiusi selbst der
Streit zu Gunsten des Bischofs entschieden. Von einem
Reinigungseid des Bischofs ist dabei nicht die Rede, aber das
beweist natürlich nichts gegen seine Identität mit dem in
unserem Brieffragment genannten; der Eid kann erlassen, es
kann auch für unnöthig erachtet sein ihn in einem Brief an
den Clerus von Chiusi, der ja bei der eventuellen Ableistung
desselben in Chiusi zugegen gewesen sein muss, ausdrücklich
zu erwähnen. Halte ich also den in unserem Fragment ge-
nannten Lanfrank so lange für den Bischof von Chiusi, als
nicht ein anderer gleichnamiger und gleichzeitiger italienischer
Bischof nachgewiesen wird, so muss das Fragment in 1068
gesetzt werden, da das Concil, auf welchem der Bischof an-
geklagt wird, offenbar, wie auch Löwenfeld annahm, das
Frühjahrsconcil von 1068 ist. Diese veränderte Einreihung
ist nicht unmöglich; das Fragment steht in der britischen
Sammlung zwischen zwei Briefreihen, von denen die erste in
1064. 1065, die zweite in 1063 gehört. Schon Ewald S. 348
liess es danach unentschieden, ob das Fragment in 1065 oder
in 1063 zu setzen sei; es ist aber sehr wohl denkbar, dass
der Sammler, ehe er mit n. 46 zu 1063 zurückkehrte, in
unserem Fragment n. 45 auch noch ein erheblich späteres
Stück anschloss. Stimmt man diesen Darlegungen zu, so
Bemerkungen zu den Papstbriefen der Britischen Sammlung. 191
bleibt nur noch zu fragen, woher die Notification der vor-
läufigen päpstlichen Entscheidung in einem Process gegen den
Bischof von Chiusi an den Mailänder Clerus zu erklären ist».
Diese Frage lässt sich einfach dahin beantworten, dass der
Papst wohl ein Interesse gehabt haben kann, den ihm so nahe-
stehenden Führern der antisimonistischen Partei in Mailand,
die von der in offenem Concil erhobenen Anklage jedenfalls
gehört hatten, seinen Entschluss bekannt zu geben und zu
motiviren. Ich würde es aber auch nicht für undenkbar halten,
dass die Adresse unseres Fragments überhaupt falsch ist, dass
dasselbe nach Chiusi gerichtet war, und dass die Adresse
^clero Mediolanensi' durch irgend ein Versehen aus dem in
der britischen Sammlung unmittelbar folgenden Stücke n. 46,
welches an Landulf und Ariald von Mailand gerichtet ist, vor-
weggenommen wäre.
Jaffe-L. 4616; Löwenfeld a. a. O. S. 56 n. 114; Ewald
a. a. O. S. 342 n. 77. Den Adressaten dieses Briefes, Odol-
ricus episcopus, wusste Ewald nicht unterzubringen, hat ihn
aber dann S. 596 durch Missverständnis einer Mittheilung
von mir nach Passau versetzt, wo damals Altmann Bischof
ist. Dann hat Löwenfeld an Padua gedacht; und hiergegen
ist nichts einzuAvenden, da in Padua von 1064—1080 (nicht
1083, wie Gams will, vgl. Berthold SS. V, 326) ein Bischof
Udalrich regiert, offenbar ein Anhänger Hildebrands, den Bonizo
(Jaffe Bibl. II, 675) 'vir valde eloquentissimus', Wido von
Ferrara aber (SS. XII, 172) 'vitiorum omnium sentina' nennt,
und der 1079 päpstlicher Legat war (Jaffe II, 557. SS. V,
322. 436). Doch ist zu bemerken, dass bei unserem Briefe
auch an einen Bischof Udalrich vonPavia gedacht werden kann,
den Gams gar nicht kennt. Dieser lässt 1057—1072 in Pavia
einen Henricus Astarius regieren, der urkundlich überhaupt
nicht nachweisbar ist und dessen Existenz ich dahingestellt
sein lasse, während doch Oudalricus von Pavia innerhalb der
angeblichen Regierungszeit dieses Heinrich 1057 Oct. 5 und
1062 Dec. 12 nachgewiesen werden kann (SS. VII, 246. Mansi
XIX, 1024). Sein Nachfolger Wilhelm findet sich zuerst, so
viel ich sehe, 1073, Jaffe Bibl. II, 23.
Jaffe-L. 4618; Löwenfeld a. a. O. S. 56 n. 115; Ewald
a. a. O. S. 342 n. 79. Alexander IL zeigt der Märkgräfin Adelheid
von Turin an, dass Wido von Mailand auf der Synode des
bischöflichen Amtes enthoben sei, und dass der 'electus von
Asti' 'cum a non episcopo minime sit benedictus, sed potius
maledictus' nicht als Bischof betrachtet werden könne. Der
1) Dieselbe Frage würde, beiläufig bemerkt, auch aufzuwerfen sein,
wenn Löwenfelds Deutung auf Belluno zuträfe. Denn dieses Bisthum ge-
hört ebensowenig wie Chiusi zur Mailänder Kirchenprovinz.
192 H. Bresslau.
'non episcopus', von welchem der Erwählte von Asti ordiniert
ist, ist offenbar, wie auch Ewald und Löwenfeld annahmen,
Wido selbst; die Ordination für Asti muss also, da dieser auf
der Frühjahrssynode von 1066 excoramuniciert ist, nach diesem
Zeitpunkt erfolgt sein. Nun bemerkt Ewald zu unserem Briefe
a. a. O. S. 342 N. 8: 'nach Gams ist in Asti von 1046—1072
Bischof Girelmus, was sich schwer mit dem obigen Briefe
vereinigen lässt'. Einen Versuch zur Lösung dieses Wider-
spruchs macht er nicht; auch Löwenfeld ist nicht weiter darauf
eingegangen. In Wirklichkeit aber existiert die Schwierigkeit
gar nicht; vielmehr ist die Annahme von Gams einfach un-
begründet. Die Bischofsreihe in Asti ist unter Heinrich III.
nicht ganz leicht zu construieren. Peter, der 1040 oder 1041
ernannt ist, kommt bis 1043 vor, Ilist. patr. monum. Chartae
I, 552, Ficker, Forscli. zur ital. Reichs- und Rechtsgesch. IV, 85
n. 60; I\Iiscellanea di storia italiana XI, 159. Dann linde ich 1044
Guillielmus, 1046 Wibertinus und 1049 Wido als Bischof von
Asti genannt (Hist. patr. monum. Chartae I, 555. Ughelli
V, 760; Beyer, Mittelrhein. Urkundenb. I, 385); aber alle drei
Stücke sind schlecht überliefert und die Namensformen unzu-
verhlssig. Erst von 1054 an (vgl. Ficker IV, 88) ist Girel-
mus sicher nachweisbar, und dieser kommt nun bis 1065
mehrmals vor, zuletzt am 17. Rlai (nicht März) jenes Jahres
(Hist. patr. monum. Ch. I, 609). Später begegnet er nicht
mehr, und es ist also keinerlei Hindernis vorhanden, nach
unserem Briefe 1066 oder 1067 eine Erledigung des Stuhles
und eine Weihe dos NeugcM-ählten oder anderweit eingesetzten
durch Wido von Mailand anzunehmen. In den Zusammenhang,
den unser Brief andeutet, gehören nun aber ZAvei Chroniken-
stellen, die ihn erläutern und durch ihn erläutert werden.
Einmal eine Nachricht Arnulfs von Mailand III, 9: 'Per idem
tempus (d. h. unter Heinrich IV) ad instar Papiensium Asten-
ses quoque datum sibi reprobaverunt episcopum, sed prudentia
comitissae Adeleidae, militaris admodum dominae, post longi
temporis conflictus, incensa tandem urbe, contempto altero
quem elegerant, priorem suscipiunt'. Die zweite ist eine Notiz
eines Astenser Copialbuches, des Codex Malabayla, heraus-
gegeben von Sella in den Atti dell' accad. de' Lincei ser. II,
Bd. V, 58; hier heisst es: 'anno domini 1070. 8. Kai. Mail
civitas Astensis capta fuit a comitissa Alaxia'. Danach lässt
sich der Verlauf dieses Streites deutlich ei'kennen, 1066 oder
1067 ist nach dem Tode des Girelmus ein neuer Bischof wahr-
scheinlich unter dem Einfluss der Adelheid, welcher die Grafen-
rechte in Asti zustanden (meine Jahrbücher Konrads II, Bd. I,
368) eingesetzt worden. Dieser wird von Wido von Mailand
geweiht, von den Bürgern aber verworfen. Der Papst ver-
weigert in unserem an Adelheid gerichteten Schreiben seine
Bemerkungen zu den Papstbriefen der Britischen Sammlung. 193
Anerkennung, Adelheid aber erzwingt dieselbe 1070 durch die
Einnahme der Stadt, Der von ihr begünstigte Bischof ist
dann offenbar Ingo, der 1072 am 23. Mai zuerst mit diesem
Titel nachweisbar ist (Hist. patr. monum. Ch. I, 632), und dessen
gutes Verhältnis zu Adelheid mehrere Urkunden der letzteren,
in denen er Zeuge ist, darthun. Ueber sein späteres Ver-
halten und seinen Tod vgl. Lehmgrübner, Benzo von Alba
S. 48. 49.
Jaffe-L. 5380; Ewald a. a. O. S. 359 n. 25. Petrus von
Pistoja, den Gams 1086 — 1107 ansetzt, finde ich allerdings
zuerst genannt 1086 Juni 15 (Zaccaria, Bibliotheca II, 297).
Er wird aber schon 1085 gewählt sein ; denn eine Urkunde,
die sein Vorgänger Leo im April 1085 ausstellt (Camici, Serie,
Flor. 1777 S. 71), ist wahrscheinlich dessen letztwillige, auf
dem Krankenlager getroffene Verfügung, da sie von einem
Cleriker Martin 'vice predicti episcopi rogatu eius' unter-
fertigt ist. Erfahren wir nun durch Bernold SS. V, 443, dass
1085 in Pistoja ein Gregorianer ordiniert ist, so ist das unfrag-
lich auf Petrus zu beziehen, und unser Brieffi-agment, in
welchem Urban den Bischof trotz uncanonischer Wahl und
Consecration anerkennt, ist um so interessanter: es zeigt, wie
man einem treuen Parteigenossen gegenüber sich über canoni-
sche Bedenken leicht hinwegsetzte. Unter diesen Umständen
wird denn auch unser Fragment wohl mit den Stücken
Jaffe-L. 5383, Löwenfeld n. 126, Ewald n. 30, in welchen eine
solche Nützlichkeitspolitik der Kirche weiter erörtert und an
dem Beispiel Daimberts von Pisa illustriert wird, zu einem
Erlass zusammengehören.
Neuea Archiv etc. XV. 13
Zur Benutzung des Sulpicius Severus im Mittelalter.
Von M. Manitiiis.
Ich hatte im 'Neuen Archiv' XIV, 1G5 ff.' darauf hin-
gewiesen, dass die Schriften des Sulpicius Severus über St. Mar-
tinus im Mittelalter sehr häutig für die Biographie und die
Heiligenlegende benutzt worden sind. Ich kann zu dem dort
Aufgeführten weiteres hinzufügen, was insofern nicht ganz ohne
Interesse sein dürfte, als die meisten der unten vermerkten
Vitae mehr der eigentlichen Biographie als der späteren Legende
angehören. Ein weiteres Eindringen in die Acta Sanctoi'ura
dürfte zwar in dieser Beziehung gleichfalls erspricsslich sein,
aber doch nur für die eigentliche Literaturgeschichte des Mittel-
alters etwas abwerfen. — Kenntnis des Sulpicius Severus lässt
sich nun bei folgenden Schriften feststellen:
An so von Lobbes schreibt in der Vita Ursmari einen
Theil der Vorrede 1, 7 — 9 zur Vita Martini wörtlich ab; prol.
(Mabillon Acta SS. III, 242) 'vel quid ipse gesserit in episco-
patus fastigio sublimatus, quaravis enim ad o. i. nequaquam p. p.
at ea in quibus ipse conscius tantura fuit n. q. — latere voluit;
nos autem sufficere credimus, si tantum excellentiora notamus;
simul et — consulendura est — alioquin melius est tacere quam
falsa dicere'. Hieraus ergiebt sich, dass die Vita Martini schon
vor ihrer Benutzung durch Einhart im Frankenreiche ver-
breitet Avar.
Altfrid benutzt in der Vita Liudgeri (Mabillon Acta SS.
V, 17. SS. II, 403 ff.) gleichfalls den Prolog der V. Martini;
prol. 'charitate cogente animum ad illud scribendura appuli,
quia nefas putabam tanti viri latere virtutes' = V. Martini J , 5.
1) Zu den von mir zu Beckers 'Catalogi bibliothecarum antiqui' Neues
Archiv XIII, 635 Anm. gemachten Nachträgen kommt Folgendes hinzu:
Verzeichnis aus Scheiern SS. XVII, 623; aus Köln Zeitschr. f. deutsch.
Alterthum XIX, 466; aus Posen bei Zeitz, Progr. von Pforta 1883, S. 5;
die Bibliothek auf fol. la des cod. Paris. 8069 s. X vel XI, cf. Riese
anthol. lat. II, XIV n. 9. Das Verzeichnis aus Kremsmünster s. XIV.
SS. XXV, 675 und 669; aus Constanz s. IX, Serapeum I, 84, Mona An-
zeiger VII, 419; aus St. Riquier (Geschenk Gervins) d'Achery, Spicilegium
II. 351.
Zur Benutzung des Sulpicius Severus im Mittelalter. 195
In noch frühere Zeit gehört die Vita S. Wilfridi auct.
Eddio Stephane (Mabillon Acta SS. V^ 635). Hier heisst
es in der Vorrede 'Obseero itaque eos qui lecturi sunt, ut fidem
dictis adhibeant. . . . Neque enim me quicquam audaci teme-
ritate nisi quod compertum et probatum a fidelibus sit scrip-
sisse arbitrentur, alioquin tacere quam falsa dicere maluissem',
Das stammt beinahe wörtlich aus V. Martini 1, 9. Daraus
geht hervor, dass diese Schrift in sehr früher Zeit zu den
Angelsachsen gelangt ist, wie ich auch schon ihre Benutzung
durch Aldhelm erwies.
Odilo benutzt in der Transl. S. Sebastiani den Epilogus
zur V. Martini; prol. (Mabillon Acta SS, V, 363) ^quod quidem
nee ipse si, vulgo ut aiunt, Homerus emergeret, explere
posset'. Diese Worte sind ohne Zweifel auf die ganz ähnliche
Stelle V. Mart. 26, 3 zurückzuführen.
Adso schreibt in der Vita Basoli einige Stellen aus der
V. Martini ab; c. 1 (Mabillon Acta SS. II, 62) 'quia tantae
materiae meritis et ingenio impares viribus fracti succumbimus':
V. Mai't. 26, 1 ; ib. 'cui etiamsi, ut gentilium figmenta referunt,
Homerus aut Tullius Cicero rediret ab inferis, non posset
verbis includere omne ut gestum est opus divinae virtutis' :
26, 3; c. 7 p. 64 *non tarnen sacram adolescentiam vitiis sub-
diderat, quibus illa aetas nimium implicari solet. . . . Circa
pauperes tanta ei liberalitas erat, ut . . . id totum praeter
quotidianum victum stipendiis effunderet miserorum' : V. Mart.
2, 6. 8.
In der Vita S. Anstrebe rtae abbat. Pauliac. (Mabillon
Acta SS. III, 1, 24) heisst es 'cui nimirum ut opinor ipse
Homerus, si ab inferis emergeret seu mirae eloquentiae Tullius
tanta virtutum copia devictus succumberef; dies ist gleichfalls
aus V. Mart. 26, 3 genommen.
In der Vita Salabergae abbat. Laudun. gehen die Worte
in c. 2 (Mabillon Acta SS. II, 405) 'Igitur Salaberga in sub-
urbano Leucorum oppido . . . secundum saeculi dignitatem
clarissima parentibus non infimis . . . exstitit oriunda auf
V. Martini 2, 1 zurück.
In dem Chronicon Turonense (Martene et Durand
vet. SS. ampl. coli. V, 923 ff.) wird die Vita Martini excerpt-
weise wiedergegeben.
Der Verfasser der Vita Petri abb. Cluniac. (Martene et
Durand VI, 1187 ff.) benutzt gleichfalls die V. Martini in
ziemlich ausgiebiger Weise.
Desiderius Casinensis benutzt in den Miracula
S. Benedicti eine Stelle aus den Dialogen ; prol. (Mabillon Acta
SS. VI, 434) 'Nam si omnia quae vel ipse vidi vel quae mihi
relata fuere per ordinem referre velim, dies me ut aestimo
antequam sermo deficeret': Dial. I, 19, 6.
13*
196 M. Manitius.
In der Epistula Leodicensium ad Traiectenses, Jaflfe,
Bibl. V, 379 heisst es 'de b. Martino Turonensi dicit Severus
scriptor vitae eius quod coram discipulis suis saepius fatebatur^
minorem gratiam in faciendis virtutibus se habuisse post
assuraptum episcopatum quam ante'. Diese Stelle ist ge-
nommen aus Dial. II, 4, 1.
Auch aus diesem kleinen Beitrage dürfte hervorgehen,
wie gern man sich in der mittelalterlichen Biographie an die
älteren Muster angelehnt hat und wie wenig Vertrauen die-
selbe verdient.
Tironisches und Kryptographisches.
Von Wilhelm Schmitz.
Ein mir befreundeter Benediktiner in der Abtei der h. M.
Magdalena zu Marseille, ein vir tironianus, hatte vor einiger
Zeit die Freundlichkeit, mich auf die sechs Zeilen tironischer
Noten aufmerksam zu machen, welche in der Hs. von Laon
444 saec. IX auf fol. 275^'° vorhanden sind. Ein Facsimile
dieser Noten findet sich im I. Bande des Kataloges der Hss.
der französischen Departementalbibliotheken zu p. 234. Ueber
die Laoner Hs. ist, ausser in dem gen. Katalog, ausführlich
gehandelt worden von Miller in den Notices et extraits
XXIX, 2, 1880, p. 1—230 (die tir. Noten sind p. 112 erwähnt)
und zuletzt von Goetz und Gundermann in der Vorrede zum
Vol. II des Corpus Glossariorum latinorum p. XXVI ff.
'Viribus unitis' ist meinem Freunde und mir die folgende
Lesung der, soviel uns bekannt, bisher noch nicht entzifferten
Noten gelungen. Der Name des Schreibers der Hs. verbirgt
sich freilich auch jetzt noch. Die Worte für die transscri-
bierten Noten sind in Cursivdruck wiedergegeben.
Graecarum ' glossas Domino donante peregit
H.2 tihimet frater servire jparatus;
iVamque geris vittas longo quo tempore, felix
Pontijicale decus m.ultum(\\xe. tenere saluhre^.
5 Ex hinc* ad caeli valeas conscendere qulmen
ac regem regum^ cum sanctis cernere Christum.
AMEN.
Ueber die Bedeutung der unter der sechsten Zeile stehenden
1) sc. vocum. 2) Hincmarus? 3) Satzgefüge und Sinn: Nam-
que quo tempore longo geris vittas, felix pontificale decus (sc. geris) et
ut raultum sustineas salubre. Uebrigens ist die Note für decus hier im
Anscliluss und auf der Unterlage von decens (Grut. 111; Not. Bern. 40,
112; Kopp, Palaeogr. crit. II, 93) verwendet; sonst bedeutet die hier be-
gegnende Form dedecus (Gr. 111; NB. 40, 111; K. a. a. 0.). 4) Bei
hinc fehlt in dem Facsimile der Punkt unter der Note, vgl. K. II, 154.
5) Regem regum: beide Noten gebildet auf der v e r b a 1 e n Unterlage von
regis, regit, regere, K. II, 310, nicht auf der nominalen von rex, regis,
K. II, 328. 312.
198 Wilhelm Schmitz.
Buchstaben a IB 6 IT hatte ich die Vermuthung geäussert,
dass darin vielleicht Zahlenbezeichnungen enthalten seien.
Mein Freund schreibt mir über dieses 'petit Systeme de crypto-
graphie du IX® S. entre amis': ^ . . . Vous etes sur la voie
pour deviner 1' a IB 6 IT. C'est tout simplement Amen,
mais je ne l'aurais pas 'devine si je n'avais trouve l'explication
meme ä la fin du ms. sous un titre ainsi concu : per alfabetum
numerorum grecorum fit frequenter scriptio epistolarum inter
duos ita: a B. T etc (§• ^. Quelle est la 12« lettre
de l'alphabet en latin? M; la lä® ? N. IB represente donc
M, IT N.
Zu den Gedichten des Paulus Diaconus.
Von Ludwig Traube.
Unter den Gedichten des Paulus Diaconus findet sich
das folgende (bei Dümmler, Poetae Karol. I, XXVI. III,
S. 62):
Midta legit paucis, qui lihrum praedicat istum:
hoc servus fecit, Karolo rege, tuus.
sie una ex multis nunc fiat ecclesia tempUs:
det David vires scilicet ipse deus.
Dümmler setzt darunter als Erklärung: 'midta — deus
claudunt epistolam, qua Paulus excerpta ex libris Pompeii
Festi facta Carolo regi dedicavit'. Wäre dies eine gute Ueber-
lieferung, so könnte der Auszug aus Festus den Paulus Dia-
conus zum Verfasser nicht haben. Denn Paulus war ein
denkender Mensch, kannte seine Grammatik und baute seine
Verse nicht schlechter als seine gebildeten Zeitgenossen. Von
diesen Versen aber sind die beiden ersten stellenweise ohne
Sinn, ohne Konstruktion und Prosodie, die beiden letzten von
so eigenthümlicher Färbung, dass wir fragen müssen: wer
denn überhaupt dem Gedanken hier kann man vieles in
tvenigen Worten lesen den merkwürdigen Wunsch anschliessen
konnte so möge auch die Vielheit der Kirche zu einer
Einheit werden. Unter David fügt der Dichter hinzu, und
auch diese Bezeichnung Karls d. Gr. ist Paulus Diaconus
durchaus fremd.
Man wird darnach nicht erstaunt sein zu vernehmen, dass
diese Verse in der That nicht von Paulus Diaconus, auch
nicht von einem Zeitgenossen sind, dass sie überhaupt in den
Handschriften der Festusexcerpte nicht stehen, sondern direkt
aus der Hexenküche Caspars von Barth stammen. Von diesem
übernahm sie Otfried Müller, von Müller Bethmann, aus Beth-
manns Papieren druckte sie Waitz leider so ab, dass es den
Anschein gewann als stammten sie aus der guten Festusüber-
lieferung im clm. 14734, und so musste auch Dümmler ge-
täuscht werden.
200 Ludwig Traube.
Bei V. Barth (Adversaria XXXIX, 5) heisst es: 'sed
nee egregium nobis Carmen praetereundum est, quod in scripto
codice offendimus, Pauli ipsius puto, vel in laudem eius com-
positum, nam cum epistola eius ad Carolum regem optime
convenit huic, est vero hoc', es folgen die Verse, aber im 2.
schreibt er Carole, im 3. eclesia, im 4. sehr gelehrt dat David
vires MS. scet. scilicet ipse deus ; er fährt fort: 'scriptum vero
antiquitus docere mihi videtur, quod Carolum David vocat,
qui suo potissimum aevo illo nomine concelebratus est. Vide
carmina Albini, Hilperici et alia eius temporis'. Diese Kennt-
nis, deren er sich auch Adv. XLV, 8 rühmt, war ihm offenbar
Veranlassung, die Verse zu ersinnen. Es musste ihm dabei
begegnen, eclesia statt ecclesia zu messen und, während er
dem Gedicht durch einen Soloecismus das nöthige Zeitkolorit
zu geben vermeinte, gerade einem Paulus Diaconus den
Vocativ rege aufzubürden. Vers 1 und 2 aber mussten ja
wohl so dunkel werden, wenn der Verfasser selbst nicht genau
wusste, ob er dies Gedicht oder zu seinem Preis ein anderer
es verfasst habe.
Sicher dagegen gehört dem Paulus Diaconus der grammati-
sche Rhythmus (bei Dümmler Appendix ad Paulum, Poetae
Karol. I, S. 625). Das Bild der beim Versbau beobachteten
Regeln ist freilich durch einige gegen die Handschrift vorgenom-
menen Umstellungen etwas getrübt: so darf 21, 1 vocalihus
desinit und S. G28. 3, l sapio sapii (nicht sapui) ebensowenig
umgestellt werden als etwa Paulus S. 3G. I, 11, 3 invenerit domi-
onis und ebenda 12, 1 steterit solium. Vgl. auch meine 'Karo-
lingischen Dichtungen' S. 113. Ich hebe noch einige weitere
Anstösse. 3, 2 atque eius ist mit der lis, zu halten : d. h.
speciei. 8, 3 ist zu lesen 'hesV et statt her et.
10, 3 cadens mit der Hs. : d. h. est und 10, 2 ist das
Komma zu tilgen.
. . • T TT
17, 2 consonaniibus 'i' iuncta mit der Hs.
18, 3 zu ergänzen: ut est 'ahdidi' [et 'dbdo'] sie dictum
accipimus.
20, 1. 2 ist zu schreiben:
venit iam secunda forma in (formam Hs.J textu (toustu Hs.
vgl. 22, \) vicesima.
in 'uVque (nonaque lis.) terminalis (-ris Hs.J, litteris quo
'li sonet (modus resonet Hs.J.
21, 2. 3 ist zu ergänzen:
quae ut prima in 'vi exit nee tarnen [est] hißda:
est exemplum 'eo' Hvi' et 'queo similiter.
hifidus misst Paulus richtig auch S. 35. XVIH, 1.
22, 1 textus für textu; 2 scripti tenus mit der Hs.: es
gehört eius textus scripti zusammen.
Zu den Gedichten des Paulus Diaconus. 201
S. 628. 1, 1 species mit der Hs.
2, 3 super (supra Hs. vgl. 9, 2) nonam Ho' (o Hs. vgl.
9j 3J ^vV mutans.
Die letzte Strophe ist etwa so zu ergänzen:
Istas si quis quadragmta [species relegeritj
[litteras priores quaerat deposco] humUiter :
[sie, si] quid certe [debejturf, cid mox intellegitur.]
Das von W. Meyer erkannte, übrigens auch in der Hs.
vorgezeichnete Akrostichon ist nämlich PAVLVS FECI.
Zur Lex Romana Raetica Curiensis.
Von .Max Conrat (Cohn).
Die von Pertz, MG. LL. I, 524 — 527, herausgegebene
Sammlung des Cod. Mediol. Anibros. bibl. O. 55, welche den
Titel 'Incipit capitula seeundum Lodoiei impef'ris filius Lothaii
imphr.' führt, verdient, auch nachdem Boretius, Capit. i. Lan-
gobardenreich S. 192 — 195, in derselben eine planlose Com-
pilation verschiedener Stücke (Concilienschlüsse, Capitularien,
Ansegis) nachgewiesen hat, aus dem folgenden Grunde Be-
achtung. Die Kapitel 20, 21 und 42 (wiederabgedruckt in
der ed. Boretius p. 337, n. 11 — 13) stellen sich nämlich als
Stücke der Lex Romana Raetica Curiensis dar (XXIII, 25
und 26. Paul. 1, 19, 1; 1, 207); trotz einzelner Abweichungen
ist daran nicht zu zweifeln. Damit ist erwiesen, dass Texte
dieser vielunistrittenen Lex in einer Handschrift lombardischen
Ursprungs und lombardischer Bestimmung, was bezüglich des
Cod. Ambros. zweifellos und allgemein anerkannt ist, auf-
treten. Weitere Schlüsse lehne ich, zumal nach den neuesten
Ausführungen Zeumers in der Z. d. Sav. Stift, f. RG. G. A.
IX, 1 fF., ausdrücklich ab, zweifele indes nicht, dass sie werden
gezogen werden.
Cap. 19 der Sammlung (n. 10 in ed. Boretius a. a. O.)
ist Epit. Aegid. C. Th. 4, 5, 1. Als ein weiterer Text dieses
Epitome (Paul. 2, 2, 1) stellt sich ein apokryphes Capitular
des über Papiensis, in ed. Boretius p. 219, n. 18 dar.
Zur Geschichte der Kirche S. Maria Latina
in Jerusalem.
Von Reinhold Röhricht.
Aus einem Briefe des verstorbenen Grafen Paul Riant an
Herrn Dr. S, Löwenfeld erfuhr der Herausgeber von dem
letzteren, dass im Archivio civico zu Palermo (Q. 9; H. 10)
sich zwei päpstliche Urkunden befänden', welche der oben ge-
nannten Kirche alle ihre Besitzungen diesseit und jenseit des
Meeres bestätigen, was für die Geschichte jener uralten Abtei
von grosser Wichtigkeit sein rausste, da bisher an der Hand
der Chroniken und gelegentlicher Erwähnungen in Urkunden
nur eine ungefähre Feststellung ihres Besitzstandes, Vollständig-
keit aber nicht möglich war 2. Da nun auch in Kaiserurkunden
von jener Abtei die Rede ist und darin auch ihre Besitzungen
in Italien aufgezählt werden, so muss die Kenntnis jener Pri-
vilegien auch für die Kaisergeschichte von Werth sein, zumal
sie wohl zu den ältesten Zeugnissen über die genannte Kirche
gehören. Der Herausgeber wandte sich daher an Herrn Prof.
Dr. K, Schottmüller in Rom, und dieser schickte in wenig
Tagen die gewünschten Kopien, welche Herr Ludwig Bresslau,
Professor an der Universität in Palermo, angefertigt hat; beiden
Herren gebührt dafür der herzlichste Dank.
Die erste Urkunde ist von Hadrian IV. (21. April 1158),
die zweite von Alexander III. und zwar, wie Herr Dr. Löwen-
feld mir auf Grund einer genauen Prüfung der Unterschriften
gütigst mittheilte, vom 8. März 1173; sie wiederholt wörtlich
den ersten Text mit einigen Varianten, die demselben als
Noten beigefügt sind. (A).
Adrianus episcopus ^ servus servorum Dei dilectis filiis
Amelio, abbati ecclesiae sanctae Mariae Latina, eiusque fratri-
bus tarn praesentibus quam futuris regulärem vitam professis *
imperpetuum.
1) Vgl. Winkelmann im N. Archiv III, 638 u. Riant in 'Les archives
de rOrient latin' I, 708. 2) Die Identificirung der transmarinen Orts-
namen mit den heutigen ist von dem Herausgeber in der Zeitschr. d.
Deutsch. Palästina-Vereins 1889, Heft 1 versucht worden ; ebenda weitere
Nachweise. 3) Hs.: 'quartus'. 4) Hs.: 'dilectis'.
204 Reinhold Röhricht.
Religiosis votis annuere et ea operis exhibitione complere
officium nos invitat suscepti legiminis et ordo videtur exigere
rationis. Ea propter, dilecti in Domino filii, vestris iustis
postulationibus ' clementer annuimus et praefatam ecclesiam, in
qua divino mancipati estis obsequio, sub beati Petri et nostra
protectione suscipimus et praesentis scripti privilegio com-
munimus. In primis siquidem statuentes, ut ordo monasticus,
qui secundum Deum et beati Benedicti regulam in ipsa ecclesia
institutus esse dinoscitur, perpetuis ibidem temporibus in-
violabiliter observetur, praeterea quascunque possessiones, quae-
eunque bona eadem ecclesia in praesentiarum iuste et canonice
possidet aut in futurum concessione pontiticum, largitione
regum vel principum, oblatione fidelium seu aliis iustis modis,
procurante Domino, poterit adipisci, firma vobis vestrisque
successoribus et illibata permaneant, in quibus haec propriis
duximus exprimenda vocabulis: stationes videlicet, quae Latinae
sunt contiguae, furnum, palacium iuxta portam sancti Stephani
a plaga australi, quasdara doraos post illud palacium, domos
supra raurum urbis iuxta idem palacium usque ad secundam
turrem murorum et ex altera parte ecclesiam sancti Stephani
iuxta viam, quae ab Hierusalem duxit Neapolim, iiospitale iuxta
eandem viam, hortum inter eandem ecclesiam et Hyerusalera,
alios hortos et vineas, quas habetis in territorio Hyerusalem
cum decimis earum, casale Beifair ^ cum vineis suis, terris et
decimis earum, dimidium casale sancti Euthimii'' iuxta Beth-
lehem cum terris suis et cum decimis earum, casale unum in
territorio Blongegarde \ quod privilegio comitis Amarrici*
vobis est confirmatum, in Lyda sex carrucatas terrae, domos,
hortos, ecclesiam latinam in loppen cum domibus et uno horto
et cum tribus carrucatis terrae et cum decimis earum, turrem
Latinae in territorio Caesareae cum pertinentiis suis, in eodera
territorio casale, quod fuit Eustachii, cum pertinentiis suis,
terram in Cocto«, terras quoque et possessiones, quas privi-
legiis dominorum Caesareae confirmatas legitime possidetis,
centum bizantios Nea])oli singolis annis, unam ecclesiam in
Berito'' cum hortis suis, terra et decimis earum, unam eccle-
siam in Gibileto et hortum, ecclesiam latinam in Monte pere-
grino cum horto uno, terris, vineis et decimis earum, campum
unum Tripoli et materam^ unam, ecclesiam latinam paro-
chialem in Laudicea^, ecclesiam sancti Nicolai cum possessioni-
bus earum, dimidiam partem theatrii '" et horti, qui in eo est,
1) Hs. : 'postulantibus'. 2) A: *vel facircum cum vineis'. 3) Hs.:
'Euchymii'. 4) A: 'Blancogarde'. 5) A: 'Armarici' d. i. Amalrici, des
Grafen von Jaflfa (später König A. I. v. Jerusal.). 6) A: 'Cacto' d. i.
Caco, heute Kakun. 7) Hs. : 'Bento'. 8) A: 'maceram' d. i. wohl
'massaria', Oelpresse. 9) A: 'et'. 10) A: 'teatri'.
Zur Geschichte der Kirche S. Maria Latina in Jerusalem. 205
duo casalia in territorio Antiochiae Leotreh et Soccam • cum
molendinis quibusdam iuxta territoria illorum casalium et per-
tinentiis et terras earum cum decimis suis, Latinam in An-
tlochia cum horto uno et decimis illius horti, in suo* unam
ecclesiam sancti lohannis, hortum et terram cum decimis
eorum, casale unum Faxias^ cum possessionibus suis et deci-
mis, unum casale Valcorenum ■* cum possessionibus suis, decem
libra[s] 5 piscium in piscaria agresti, quadraginta solidos in
porto Emme« singulis mensibus, in Sidonia duo casalia cum
pertinentiis suis, in castello Arabiae quatuor carrucatas terrae
et domos et in Geram ' sex carrucatas terrae et domibus.
In Sicilia^ ecclesiam sancti Philippi de Argirion cum par-
rocliiali iure totius castelli et decimis territorii castelli decimas
Scarpelli, ecclesiam sancti Petri de Vacaria cum villa et
parochiali iure et decimis, ecclesiam sancti Philippi de Capicio
cum decimis possessionum suarum, ecclesiam et villam sancti
Petri de Rasacambra cum decimis possessionum suarum,
ecclesiam sancti Nicolai de Sacco^ cum decimis possessionum
suarum, casale sancti Caloiari cum pertinentiis suis, in Cala-
bria ecclesiam sancti Petri de lazena >o, ecclesiam sancti Eliae
cum obedientiis et decimis possessionum suarum, ecclesiam
sancti Laurentii iuxta Licium cum decimis possessionum sua-
rum, [abbatiam sancti Sepulchri Aquaependentis] ". Prohi-
bemus autera, ut nuUi ecclesiasticae vel seculari personae liceat
indebitas et iniustas exactiones in praefata ecclesia exercere,
sive 12 novalium vestrorum, quae ^^ propriis manibus aut sumpti-
bus Colitis, sive de nutrimentis vestrorum animalium decimas
a vobis nullus praesumat exigere, sepulturam omniaque uni-
versi loci et baptismalium ecclesiarum eins liberam esse con-
cedimus, ut eorum devotioni et extremae voluntati, qui se ibi
sepelliri deliberaverint, nisi forte excommunicati sint vel inter-
dicti, nullus obsistat, salva iustitia parochialium ecclesiarum,
de quibus mortuorum corpora assumuntur. Liceat autem vobis
ecclesiasticos vel laicos liberos et absolutes in monasteriis vestris
ad religionem suscipere et eos absque contradictione aliqua
1) A: 'Scotiethet et lovan'. 2) A: 'chice' (??). 3) A: 'Fardo'.
4) A : 'Valtorentum'. 5) A: 'listra'. 6) A: 'termine'. 7) A:*ingeros'.
8) Zur Ergänzung' und Vergleichung der hier gebotenen Aufzählung ist
die Urkunde Heinrich VI. (30. Dec, 1194) heranzuziehen (Huillard-Bre'-
holles I, 12; Toeche, Heinrich VI, S. 671, n. 306), die von Constanze
(Palermo Octob. 1198) bestätigt ward (Pirri, Sicilia sacra II, 1246;
Winkelmann (Acta inedita I, 70 — 1, n. 75; Böhmer-Ficker, Reg. imperii
n. 528). 9) A: 'Saccacum'. 10) A: 'lachina'. H) [] Fehlt bei A.
lieber diese Kirche in Aquapendente vgl. Riant, 'La donation de Hugues,
marquis de Toscane, au St. Sdpulcre', Paris 1884 ('Me'm. de l'acad. des
inscr.' XXXI B, 151—195), Separatabzug 23 ff. 12) Hs.: 'sane'.
13) Hs.: 'quos'.
206 Keinhold Eöhricht.
sepellire. Obeunte vero te nunc eiusdem loci abbate vel tuo-
rum quolibet successorum, nullus ibi qualibet subreptionis
astutia seu violentia praeponatur, nisi quem fratres communi
consensu vel fratrum pars sanioris consilii secundum Dei
tiraorem et beati Benedicti regulam providerint eligendum.
Electum vero venerabilis frater noster^ Hyerosoliraitanae eccle-
siae patriarca benedicat. si ei ad apostolicae sedis et Roinanae
ecclesiae praesentiara venire difficile fuerit. Decernimus ergo,
ut nulli omnino horainura liceat praefatam ecciesiara temere
perturbare aut eius possessiones auferre vel oblatas temere
minuere aut aliquibus vessationibus fatigare, sed ^ omnia in-
tegra conserventur eorum, pro quorum gubernatione et sub-
stentatione concessa sunt, usibus omnimodis profutura, salva
in Omnibus apostolicae sedis auctoritate^ [et Hyerosolimitani
patriarchae canonica iustitia] ♦. Si qua igitur in futurum
ecclesiastica secularisve persona hanc nostrae constitutionis
paginam sciens contra eam temere venire tentaverit, secundo
tertiove commonita, si non 5 satisfactione congrua emendaverit,
potestatis honorisque sui dignitate careat reamque se divino
iudicio existere de perpetrata iniquitate cognoscat et a sacra-
tissimo corpore ac sanguine Dei et Domini redemptoris nostri
lesu Christi reus « existat atque in estremo examine divinae
ulcioni" subiaceat, cunctis autem eidem loco sua iura servan-
tibus sit pax Domini nostri lesu Christi, quatenus et hie fruc-
tum bonae actionis percipiant et apud Christum « iudicem
praemia aeterna ^ pacis inveniant, Amen, Amen, Amen.
(In der Rota): Oculi mei semper ad Dominum sanctus
Paulus sanctus Petrus Adrianus P. P. IUI. Ego Julius pres-
byter card. tit. S. ]\Iarcelli. Ego Octavianus presb. card. tit.
S. Caeciliae. Ego Astaldus presbyt. card. tit. .S. Priscae. Elgo
Gerardus presb. card. tit. S. Stephani in Caelio Monte. Ego
Adrianus Cath. Eccles. Episcopus. Ego Imarus Tusculus
episcopus. Ego Gregorius Sabinensis episcopus. Ego Oddo
diacon. card. tit. S. Georgii ad velum aureura. — Ego Johan-
nes presb. card. tit. S. Anastasiae. Ego Albertus presb. card.
tit. Ö. Laurentii in Lucina. Ego Guglielmus presb. card. tit.
S. Petri ad Vincula . . tit. Eudoxiae. Ego Cinthius diac. card.
S. Adriani. Ego Raimundus diac. card. S. Mariae in Via
lata. Datum per manum Rolandi sanctae Romanae ecclesiae
presb. card. et cancellarii XI. kalendas maii indictione VII.
incarnationis dominicae anno millesimo centesimo quinqua-
gesimo octavo, pontificatus vero domini Adriani papae IUI.
anno IUI.
1) A: 'vester'. 2) A: 'illabata omnia et'. 3) Hs. : 'authoritate'.
4) [1 Fehlt bei A. 5) A: 'nisi praesumptionem suam digna satisfactione
correxerit, potestatis'. 6) A: 'aliena fiat'. 7) A: 'districtae ulcionis'
(sie). 8) A: 'districtum', 9) A: 'aeternae'.
Nachrichten^.
1. Bei der Abtheilung Leges ist Herr Vi clor Krause
aus Liegnitz mit dem 1. Mai dieses Jahres als Hilfsarbeiter
eingetreten. Für die Abtheilung Epistolae hat Herr Dr. Ludo
Moritz Hartmann die Fortsetzung und Vollendung der
Ausgabe des Registrum Gregorii I. übernommen.
2. Von der Abtheilung Scriptores sind erschienen in
der Quartserie : Scriptorum rerum Merovingicarum T. H, her-
ausgegeben von B. Krusch, in der Octavserie: Thietmari
Merseburgensis episcopi chronicon, herausgegeben von
F. Kurze.
3. Von den Geschiehtschreibern der deutscheu Vorzeit
sind neuerdings erschienen: Thegans und des Astronom us
Biographieen Ludwigs d. Frommen^ übersetzt von Jasmund,
2. Auflage, neu bearbeitet und wesentlich umgestaltet von
Wattenbach, Nithards vier Bücher Geschichten, übersetzt
von Jasmund, S.Auflage, neu bearbeitet von Wattenbach,
Rudolfs und Meginharts Translatio S. Alexandri, über-
setzt von Richter, 2. Auflage, neu bearbeitet von Watten-
bach.
4. Seitens des Vorsitzenden der Centraldirektion ist an
zuständiger Stelle darauf hingewiesen worden, dass bei dem
allmählich unerschwinglich gewordenen Preis der Gesammt-
ausgabe der Monumenta dieselbe nur auf grösseren öffent-
lichen Bibliotheken angeschafft werden könne, von den Gym-
nasial-Bibliotheken aber nur sehr wenige in der Lage sein
würden, sich ein Exemplar zu beschaffen. Dagegen sei die
Zahl der Lehrer nicht gering, welche auf der Universität
Quellenstudien in der deutschen Geschichte getrieben haben
und dieselben auch später zum Besten der Wissenschaft und
1) Die Nachrichten sind durch den Band fortlaufend numeriert. Alle
nicht mit einer Namensunterschrift oder Namenschiffre versehenen Nach-
richten rühren von dem unterzeichneten Redacteur her. H. Br esslau.
208 Nachrichten.
zur Vertiefung ihrer Studien fortsetzen möchten. Für diese
Lehrer lasse sich ein leicht zugängliches Hilfsmittel in der
unter dem Titel: 'Scriptores rerum Germanicarum in usum
scholarum' in Hannover erscheinenden Sammlung von Hand-
ausgaben deutscher Geschichtsquellen des Mittelalters finden,
welche z. Z, gegen 40 Bände oder Hefte umfasst und im
Ladenpreise etwa 60 Mark kostet. Da es zweckmässig und
im Interesse der Lehrer scheint, dieser Anregung zu folgen,
so hat der Kultusminister die Provinzial- Schulkollegien be-
auftragt, darüber zu berichten, wie viele und welche Lehr-
anstalten im Stande sein würden, eine einmalige Ausgabe von
etwa 60 Mk. zu dem angegebenen Zweck zu tragen. Die
Fortsetzung der Sammlung würde, da jährlich nur etwa ein
Band erscheint, der betreflfenden Anstalt nur noch eine Jahres-
ausgabe von 1 bis 3 Mk. verursachen.
5. Im Monatsblatt des Alterthumsvereins zu Wien 1889
n. 3 wird S. 23 eine Bibliotheksordnung aus Kloster-
ueuburg saec. XV mitgetheilt, welche u. a. Regeln über
das Ausleihen von Büchern enthält.
6. Am 23. Mai d. J. sind in London diejenigen Hand-
schriften der Hamilton- Sammlung, welche die preussische
Staatsregierung nicht zu behalten wünschte, etwa 60 an der
Zahl, versteigert worden. Der Erlös, zusammen mit dem Er-
trage von 30 anderen, meist rainderwerthigen Handschriften,
betrug über 15000 Pfd. Sterling. Am höchsten, mit 1700 Pfd.
Sterl. ist der französische Boccaccio bezahlt worden, das angel-
sächsische Evangeliar hat 1500, der französische Diodor 1000,
das Officium S. Mariae mit Miniaturen von Geofroy Tory
1230 Pfd. Sterling gebracht. Der Auctionskatalog, er-
schienen bei Sotheby, Wilkinson & Hodge ist mit schönen
Textillustrationen — Miniaturen und Initialen aus den Hand-
schriften — ausgestattet; beigegeben sind demselben zwölf
Lichtdrucktafeln, darunter auf T. 1 ein prachtvolles Blatt aus
dem mit Gold auf Purpurpergament geschriebenen ags. Evan-
geliarium. Unter den Textillustrationen ist S. 9 ein Bild aus
einem römischen Breviar s. XII; aber worauf Wattenbach
uns aufmerksam macht, die Inschrift ist falsch gelesen und
das Bild falsch erklärt. Es ist die h. Felicitas mit ihren
sieben Söhnen, welcher der verehrende Mönch, es könnte
wohl der Abt sein, das Buch darbringt. Auf seinem Spruch-
band steht, was S. 10 fälschlich auf Papst Alexander III. be-
zogen wird:
Alexandre pater bone, suscipe quod tibi fidus
Servus Reinfridus fert, et iuvet hunc tua mater.
Also gehört der Codex einem Alexanderstift an; der Name
Reinfridus kommt in Niederdeutschland am häufigsten vor
Nachrichten. 209
und das würde auf Wildeshausen a. d. Hunte führen, doch
weiss ich nicht, ob hier ein Propst oder Mönch dieses Namens
nachzuweisen ist.
7. Von der werthvollen Urkunden- und Handschriften-
sammlung des Herrn Jules Desnoyers in Paris, die nach
dessen Tod in den Besitz der Pariser Nationalbibliothek über-
gegangen ist, verdanken wir Leopold Delisle einen mit
gewohnter Vortrefflichkeit gearbeiteten Katalog. Wir er-
wähnen von den Handschriften n. 18 Summa notariae des
Johannes von Bologna (gedruckt nach einer Münchener und
einer Königsberger Hdschr. Quell, und Erörter. z. bair. und
deutschen Gesch. IX, 603 ff.), n. 20 ein Blatt aus einer Oro-
siushdschr. saec. IX, n. 21. 22 Briefe Clemens IV, n. 23
Briefe und Urkundenbuch Urbans IV, n. 26 Cisterzienser
Statuten, n. 38 Originalurkunden für Cluny, darunter Böhmer
Reg. Karol. 1527 (Rudolf III. von Burgund), Jaffe-L. 4169
(Leo IX.), 15542 (Urban III.), n. 39 Schriften über Cluny,
darunter die Chronik des Franciscus de Rivo, der Planctus
lotsaldi, ein Brief des Petrus Damiani an Cluny u. a. m., n. 44
italienische Originalurkunden, darunter Wilhelm Herzog von
Apulien (1123 October).
8. In den Sitzungsberichten der Wiener Akademie philos.
histor. Cl. B. CXVII Jahrg. 1888 xi beschreibt v. Schulte
5 ehemals dem Kloster Weingarten angehörende
Handschriften canonistischen Inhaltes, welche aus der
königl. Handbibliothek zu Stuttgart in die öffentliche über-
gegangen sind (vgl. Neues Archiv X, 600. XI, 215). Aus
n. 113 s. VIII, von der ein Facsimile beigefügt ist, wird S. 6
eine wichtige Notiz aus dem J. 580 wortgetreu abgedruckt,
welche in den SS. rerum Langob. p. 25, N. 3 von Waitz nur
aus früheren Drucken wiederholt worden war. In dem Cod.
n. 112 s. XI ist die Sammlung des Ansegisus vollständig
enthalten, der sich noch einige kirchliche Satzungen dieser
Zeit anschliessen, ohne in den M. Gr. berücksichtigt worden
zu sein. Aus derselben Handschrift theilt v, S. (S. 21) eine
'Urkunde' (vielmehr einen Brief) des Dogen Petrus Candia-
nus II. von Venedig an König Heinrich I. und den Erz-
bischof Hildebert von Mainz mit, ohne zu bemerken, dass
derselbe, von dem sich hier nur die erste Hälfte findet, be-
reits vollständig aus einer Genter Hs. von mir veröffentlicht
worden ist (Gesta Berengarii S. 157). In den Mittheilungen
des Instituts für Österreich. Geschichtsforsch. VII, 336 hat
V. Ottenthai überdies darauf aufmerksam gemacht, dass dieser
Brief schon früher im Auszuge bekannt war (Quellen u. Erört.
zur bair. und deutschen Gesch. I, 410) und zu den Akten
der Erfurter Synode, mithin in's Jahr 932, gehört; (vgl. dazu
Neues Archiv etc. XV. 14
210 Nachrichten.
Reo-esten zur Gesch. der Juden in Deutschland n. 123. 124.
H. B.) In der Stuttgarter Hs. folgt darauf ein ganz fremd-
artiger Canon. Die in n. 107 (S. 27) enthaltenen Schriften
ßemolds sind für die M. G. bereits benutzt worden. In
n. 108 s. XI — XII findet sich die Ingelheimer Synode von
948 und die Augsburger von 952, wie in n. 114, über welche
Weiland früher gehandelt hat (s. Neues Arch. XI, 636). E. D.
9. Im Archief voor nederlandsche Kerkgeschiedenis II,
127 ff. theilt II. G. Kleyn aus einer Handschrift saec. XVI
Bücherverzeichnisse aus Kloster Eginond mit, die 'ex
pluribus antiquis libris' zusammengestellt sind. An erster Stelle
stehen die Bücher, welche Egbert von Trier (977—993) dem
Kloster geschenkt hat: darunter ein 'psalterium teutonice glo-
satum' und Vitae SS. Eucharii, Valerii, Materni. Sehr reich
sind die Erwerbungen des 5. Abtes Stephau (gest. 1105):
darunter Gesta Langobardorum cum vita ßrendani abb. et
gesta Alexandri magni, Historia Liutbrandi Tycinensis et
libello (!) Theodoli; Gesta Francorura cum vita Karoli, ein
'liber coniurationum', eine lex Salica, eine 'invectiva Henrici
in Hildebranduni papam', Gallicana historia, Ratherius. Unter
den Erwerbungen des 8. Abtes Walther ist hier nur eine
'Historia de profectione lerosolimitana XII libri in uno volu-
mine', offenbar Albert von Aachen, zu erwähnen.
10. In der Römischen Quartalschrift III, 31 ff. veröffent-
licht P. Batiffol vier Bibliothek skataloge basilianischer
Klöster in Unteritalien 1) einen Katalog griechischer und
lateinischer Handschriften saec. XVII von S. Elia di Carbone
in der Basihcata, 2) einen Katalog griechischer Handschriften
von 1579 von S. Pietro Spina in Calabrien, 3) einen Katalog
saec. XVH der griechischen Handschriften von S. Salvatore in
Palermo, 4) einen Katalog von 1462 des Klosters Grotta-ferrata.
11. Bei der Bedeutung, Avelche die 'Scriptores historiae
Augustae' für die Anfänge der deutschen Geschichte haben,
mag auch an dieser Stelle auf eine an scharfsinnigen Beob-
achtungen reiche Untersuchung von H. Dessau im Hermes
Bd. XXIV, 337 ff. hingewiesen wei'den, welche den Nachweis
versucht, dass die unter dieser Gesammtbezeichnung bekann-
ten, angeblich von sechs Autoren aus der ersten Hälfte des
4. Jahrh. herrührenden Biographieen von Kaisern, kaiserlichen
Prinzen und Gegenkaisern in Wirklichkeit von einem Ver-
fasser in den letzten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts ange-
fertigt worden seien.
12. Im Rhein. Museum f. Philologie N. F. XLIV, 369 ff.
zeigt C. Fr ick, dass die Handschrift des Victor Tunnu-
nensis und Johannes Biclarensis, die Scaliger für seine
Ausgabe benutzt hat, identisch ist mit dem Leidener Codex
Nachrichten. 211
Bon. Vulcanii n. 20, 11^, einer von dem Jesuiten A. Schott
in Toledo nach einem dort vorhandenen Codex angefertigten
Abschrift, welche dieser an Marcus Welser sandte und welche
auch Canisius für seine editio princeps vom J. 1600 benutzte.
13. Im Programm des Gymnasiums zu Heilbronn (1888
n. 554) untersucht Prof. Lechler die Erlasse Theodorichs in
Cassiodors Varien I — V nach den drei Gesichtspunkten:
1) welchen Antheil der König an ihnen hatte, 2) ob die Er-
lasse uns in ihrer ursprünglichen Gestalt vorliegen, 3) nach
welchem Princij) sie zusammengestellt sind.
14. In den Sitzungsber. der Wiener Akad, phil. bist.
Cl. B. CXVII, Jahrg. 1888, xii. bringt M. Manitius 'Bei-
träge zur Geschichte frühchristlicher Dichter im Mittelalter'.
Ohne Anspruch auf Vollständigkeit wird theils in Erwähnun-
gen, theils in Citaten oder Nachahmungen die Bekanntschaft
mit folgenden Dichtern das Mittelalter hindurch verfolgt: For-
tunatus, Orientius, Sedulius, Augustinus, Avitus, Dracontius,
Prosper, Carmen adv. Marcionem, Boetius, Prudentius, Hymni
Ambrosiani, Sidonius. E. D.
15. Im Philologus N. F. I, 562 ff. veröffentlicht der-
selbe 'Beiträge zur Geschichte römischer Prosaiker im INIittel-
alter'. In ähnlicher Weise wie in der eben angeführten Arbeit
wird hier die Benutzung von Solinus, Tacitus, dem jüngeren
Plinius und Cornelius Nepos verfolgt.
16. Von Grünhagen's verdienstlichem Wegweiser durch
die schlesischen Geschichtsquellen ist die zweite Auflage er-
schienen.
17. In den Sitzungsberichten der Pariser Academie des
inscriptions et helles lettres XVII (1889), 30 ff", handelt Ch.
Nisard über die Beziehungen des Venantius Fortuna-
tus zur h. Radegunde und zu der Aebtissin Agnes.
18. In den Verhandlungen der Berliner anthropologischen
Gesellschaft, Sitzung vom 17. Nov. 1888, S. 508—532, ist ein
Vortrag von R. Virchow gedruckt: 'Reiseergebnisse auf dem
Wege der Langobarden'. Im Anschluss an den kurzen
Bericht des Paulus Diaconus wird nach genauester Unter-
suchung der Oertlichkeit nachgewiesen, dass sie nur über den
Predil-Pass gekommen sein können, und verschiedene topo-
graphische Bemerkungen von Bethmann zu Paulus werden
berichtigt (vgl. Mitth. des Inst, für österr. Geschichtsf. I, 299).
W. W.
19. In den Mittheil, des Instit. f. österr. Geschichtsforsch.
X, 417 ff. macht M. Manitius eine Reihe beachtenswerther
Bemerkungen zu den Ann. Laurissen s. maiores: über
14*
212 Nachrichten.
romanische Worte im ersten bis 788 reichenden Theil der
Annalen, über Bekanntschaft des Autors mit der Rechts- und
Urkundensprache, über Benutzung von Actenstücken (nament-
lich über das Verfahren gegen Tassilo), über die Aufzeich-
nung vorher angesagter und nachher niclit immer eingehaltener
Weihnachts- und Osterfeiern des Königs (M. ist hier, an-
scheinend ohne meine Ausführungen in den Jahrb. Konrads II.
Bd. II, 426 ff. zu kennen, auf denselben Gedanken gekommen,
den ich dort für das 11. Jahrh. eingehender verfolgt habe),
über die Benutzung von Itineraraufzeichnungen des Königs
durch den Annalisten u. s. w.
20. Die SS. XV, 2, 1269 ff. von Sauerland herausgegebenen
W e i h e n o t i z e n von St. M a x i ra i n hat Pfarrer Nick, dem
diese Ausgabe noch nicht bekannt sein konnte, aber auch die-
jenige Delisles in der Bibl. de l'ecole des chartes 1884 S. 578 ff.
unbekannt geblieben ist, aus einer ehemals Maximiner Hand-
schrift angeblich saec. XI, offenbar derselben, Avclche auch
Wilthem und Novillan neben dem jetzt Pariser Codex benutzt
haben, in den Studien und Mittheilungen aus dem Benedictiner-
orden X, 82 ff. veröffentlicht, leider ohne anzugeben, wo die
Handschrift sich jetzt befindet.
21. In der Revue historique Bd. XL, S. 41 — 48 hat
Julien Havet meine in dieser Zeitschrift Bd. XIV, S. 377
— 418 veröffentlichten 'Studien über Rodulfus Glaber' theils
zustimmend, theils abweisend besprochen. Während er zu-
gesteht, dass das Werk nicht in Cluny, wo der Autor in den
dreissiger Jahren des 11. Jahrhunderts lebte, sondern in
St. Germain d'Auxerre abgeschlossen wurde, giebt er dem
27. cap. der Vita Wilhelmi eine neue Interpretation, wodurch
der Anfang der Historien, statt nach Dijon, nach Cluny ver-
legt wird. Werden hierdurch einige Schwierigkeiten, welche
die frühere Auslegung bieten, vermieden, so ergeben sich da-
für andere, wie ich gelegentlich nachzuweisen gedenke. Hatte
ich sodann zu zeigen gesucht, dass die Chronik nicht in einem
Zuge geschrieben, sondern einzelne Stücke später eingeschoben
seien, und dass man dem Werke eine 'gewisse' Ordnung und
Disposition nicht absprechen könne — gegenüber der sonst
bemängelten Planlosigkeit — so habe ich doch nicht behaupten
wollen, was mir Havet vorwirft, es wäre ursprünglich ein
Werk 'd'une ordonnance parfaite' gewesen und ebenso muss
ich mich dagegen verwahren, dass ich die mir am ungehörigen
Platze erscheinenden Stücke 'sans autre preuve' als spätere
Einschübe beseitigt hätte — dabei zugegeben, dass nicht jeder
meiner Gründe durchschlagend ist. Gern erkenne ich an,
dass die auf Abt Wilhelm bezüglichen Capitel der Historien
nach dessen Tode geschrieben, bleibe aber dabei, dass sie vor
der Vita Wilhelmi verfasst sind. Ernst Sackur.
Nachrichten. 213
22. In einem umfangreichen Werke (172 S.), dessen Titel
ist: 'Lambert von Hersfeld der Verfasser des Carmen de
bello Saxonico' (Göttingen 1889) sucht A. Pannenborg
abermals seine schon früher entwickelte und ausführlich be-
handelte, seitdem aber allgemein verworfene Ansicht zu ver-
theidigen, welche der Titel ausspricht. Mit dem von neuem
versuchten Beweis werde ich mich an anderer Stelle beschäf-
tigen. Hier habe ich nur auf den 'Kachtrag' einzugehen, den
P. hinzufügte, als ihm meine Ausgabe des Carmen bekannt
wurde. Da er nämlich sah, dass auch ich seine Meinung
durchaus verwarf, hat ihn das so gewaltig erregt, dass er
offenbar seiner nicht mächtig war, als er im Nachtrag diese
Thatsache constatierte. Deshalb kann ich darüber hinweg-
gehen, Avenn er z, B. behauptet, ich hätte Wiederholungen
(er meint öftere Wiederkehr derselben Wendungen) bei Lam-
bert nicht gefunden. Eine Behauptung, die durch keine meiner
Aeusserungen begründet ist. Dann aber bringt er ein 'Bei-
spiel' für meine 'Textkritik'. Er tadelt nämlich, dass ich nach
einer der von mir benutzten Collationen angegeben habe,
'Hennenburc' sei in der Hs. in 'Heimenburc' corrigiert, wäh-
rend die Hs. thatsächlich keine Correctur an der Stelle habe.
Nun wird Jedermann, der mehrere Collationen einer Hs. zu
benutzen hat, selbstverständlich der folgen, Avelche ausdrück-
lich eine Correctur angiebt, wenn sie auch in den andern
nicht erwähnt ist. Im übrigen ist es ganz gleichgültig, ob
die Hs. da eine Correctur hat oder nicht ; es m u s s an der
Stelle auf Grund von Lambert und Ann. Altah. 'Heimenburc'
emendiert werden, darf nicht 'Hennenburc' gelesen werden,
wie Pannenborg meint. An dieses 'Beispiel meiner Textkritik'
knüpft er den Vorwurf, ich hätte 'eingestandenermassen' die
Hs. nicht gesehen. Und er thut dies mit folgenden Worten:
'Das Ansehen der MG. kann nicht gewinnen, wenn der Heraus-
geber eines vielumstrittenen Werkes die einzige vorhandene
und sehr leicht zugängliche Handschrift, welche er in der
Praefatio genau beschreibt, nicht einmal an solchen Stellen,
wo seine Gewährsmänner von einander abweichen, selbst ein-
zusehen sich gemüssigt findet'. Diese Hs. des 16. lahrhun-
derts (!) war von G. H. Pertz, G. Waitz und Ph. Jaffe colla-
tioniert. Nach drei solchen Gewährsmännern, deren Colla-
tionen allerdings, wie regelmässig alle Collationen, in neben-
sächlichen Dingen von einander abwichen, wäre es das über-
flüssigste von der Welt gewesen, eine nochmalige Zusendung
der Hs. von Hamburg hierher zu erbitten, da an keiner Stelle
auch nur der geringste Zweifel blieb über die in den Text
zu setzende Lesung. Zudem enthalten die oben citierten Worte
zwar keine formelle, aber eine virtuelle Unwahrheit. Wir haben
nämlich neben der Hs. einen alten Druck, welcher aus dem-
214 Nachrichten.
selben alten Codex wie die Hs. geflossen und, wie ich das
ausgesprochen habe, besser ist als die Hs. Diese ist also
keineswegs die einzige Quelle der Ueberlieferung, wie es nach
jenen Worten scheinen sollte, sondern eine zweite minder gute.
Ferner habe ich nicht 'eingestanden', die Hs. nicht gesehen
zu haben, sondern, wie das hundertfach in den MG. und
anderen Editionen geschieht, gesagt, dass ich die Collationen
Andrer und deren Beschreibung der Hs. benutzt habe, und
nur Jemand, der keine richtige Vorstellung von solchen
Arbeiten hat, kann mir daraus einen Vorwurf machen wollen.
Sollte aber dennoch durch meine Ausgabe des Carmen das
Ansehen der ]MG. geschädigt werden, was ich im übrigen
doch nicht befürchte, so würde die Schuld dafür A. Pannen-
borg tragen. Denn — sein Ausfall zwingt mich dazu, das
zu sagen — er war jahrelang mit dieser Ausgabe von Seiten
der MG. beauftragt. Als sein ]\Ianufecript zum Druck gefor-
dert wurde, war die Ausgabe nicht fertig. Als er darauf
erkrankte, haben wir den Druck des Bandes Monate lang
unterbrochen, um auf seine Wiederherstellung und die Liefe-
rung seines Manuscriptes zu warten; als er dann hergestellt
war, hat er uns die ihm seiner Zeit gelieferten Materialien
ohne eine Entschuldigung oder Angabe eines Grundes zurück-
geschickt und die Bearbeitung verweigert. Deswegen war
ich gezwungen, die Ausgabe zu übernehmen. Nachdem sie
gedruckt war, hat A. Paunenborg wieder wegen Bearbeitung
des Carmen angefragt. 0. H.-E.
23. Eine fleissige, nur mit etwas zu grosser Sicherheit
auftretende Leipziger Dissertation von Ernst Strelau behan-
delt: 'Leben und Werke des ]\Iönchs Bernold von St. Bla-
sein'. Besonders ausführlich werden die Opuscula Bernolds
besprochen, wobei nicht unerhebliche Gründe dafür geltend
gemacht werden, dass die bis 1076 entstandenen Jugendschrif-
ten, der Briefwechsel mit Alboin, die Vertheidigung der römi-
schen Decrete von 1075 und der Briefwechsel mit Bernhard
nicht in Constanz, sondern in St. Blasien vcrfasst seien, so
dass also Bernold schon in den siebziger Jahren hier Mönch
gewesen sei. Die Datierungen der einzelnen Opuscula, die
S. vorschlägt, sind aber nicht durchweg so sicher, wie er
glaubt: er operiert zu viel mit dem argumentum ex silentio,
d. h. mit der Erwägung, dass Bernold dies oder jenes Ereignis
hätte erwähnen müssen, wenn es ihm zur Zeit, als er diese
oder jene Schrift verfasste, schon bekannt gewesen wäre. Der
zweite Theil der Arbeit giebt eine Kritik der Chronik Ber-
nolds, namentlich seit 1077, wobei S. dem Autor absichtlich
falsche Darstellung der Thatsachen zum Vorwurf macht. Die
oberflächliche und absprechende, freilich ganz in dem neueren
Nachrichten. 215
Dissertationen-Stil gehaltene Anmerkung hinsichtlich der letzten
Untersuchungen über die Quellen Hermanns von Reichenau
(S. 75, N. 3) wäre besser fortgeblieben : sie zeigt nur, dass
der Verfasser sich mit jenen Untersuchungen nicht gründlich
genug beschäftigt hat.
24. In der Württerabergischen Vierteljahrsschrift für
Landesgeschichte XL (1888) hat J. A. Giefel eine neue
Edition der Ellwanger und Neresheim er Geschichts-
quellen besorgt. Die Ausgabe — auch unter dem Titel:
Württembergische Geschichtsquellen IL — enthält: Ermenrici
Vita Hariolfi, Ann. EUwangenses, Ann. Neresheiraenses, Chron.
Elwacense, Calendarium et Necrologium Elwacense. Bisher
unbekannt ist nur das Calendarium.
25. Eine Jenenser Dissertation von 1888 von "Walter
Meyer, 'Das Werk des Kanzlers Gislebert von Mons,
besonders als verfassungsgeschichtliche Quelle betrachtet', ent-
hält nichts neues von Erheblichkeit.
26. Emil Michael, 'Salimbene und seine Chro-
nik. Eine Studie zur Geschichtschreibung des dreizehnten
Jahrhunderts' (Innsbruck 1889) behandelt das Leben Sahm-
benes und liefert Beiträge zur Charakteristik desselben und
seines Werkes. Im Schlusscapitel geht er auch auf die Quellen
der Chronik und die damit zusammenhängenden so schwieri-
gen kritischen Fragen ein, hat deren Lösung indess nicht
gefttrdert. O. H.-E.
27. Im Archivio stör. ital. Ser. 5, III, 1 ff. veröffentlicht
G. F. Gamurrini aus Cod. Vatic. Urbin. 1738. bisher unbe-
kannte, von verschiedenen Händen des 13. und 14. Jahrhun-
derts eingetragene Annalen von Orvieto, beginnend mit
einem Verzeichnis der Podestä 1194—1222, auf welches dann
annalistische Aufzeichnungen seit 1161 folgen. Das Ganze
macht in dem Abdruck einen etwas confusen Eindruck und
bedarf erneuter Untersuchung.
28. Im vierten Bande von Böhmers Fontes hat bekannt-
lich A. Huber nach einer Abschrift Böhmers den ersten bis
1254 reichenden Theil einer Chronik von Viterbo von
Fra Francesco di Andrea di Viterbo abgedruckt; die Fort-
setzung, welche bis 1450 reicht, zuletzt nur kurze Notizen
bietend, hatte Böhmer nicht copiert, und es ist deshalb sehr
willkommen, dass jetzt der ganze Text aus der auch schon
von Böhmer benutzten Originalhandschrift der Bibl. Angelica
von Conte F. Cristofori im Archivio storico per le Marche
e per Umbria IV, 261 — 338. mitgetheilt worden ist.
216 Nachrichten.
29. In einem Aufsatz über deutsche Dantestudien des
letzten Jahrzehend (Ztschr. f. vergleichende Literaturgesch.
und Renaissanceliteratur N. F. II, 298 ff.) wendet sich
F. X. V. Wegele in lebhafter Polemik gegen eine Reihe von
Ausführungen Scheffer-Eoichorsts in dessen Buch 'Aus Dantes
Verbannung'; insbesondere macht er Bedenken gegen die An-
nahme Scheffers hinsichtlich der Entstehungszeit von Dantes
Schrift *De monarchia' geltend.
30. Als zweiter Band der von dem Istituto storico ita-
liano herausgegebenen 'Fonti per la storia d'Italia ist erschie-
nen die Historia lohannis de C er menate, herausgegeben
von L. A. Ferrai (Rom 1889). Die Einleitung giebt eine
Biographie des Verfassers, der noch am 9. März 1344 als
lebend nachgewiesen wird, und behandelt die Handschriften
des Werkes. Ausser dem einzigen bis jetzt bekannten Codex
werden noch zwei Abschriften eines verlorenen Codex del
Chiesa nachgewiesen, die bis cap. 42 gehen und eine ältere
Rcdaction des Werkes repräsentieren, welche auch die Lücke
in der Ausgabe Muratoris (cap. 15 und 16) ausfüllt. Der
Edition wird, soweit sie reicht, diese ältere Redaction, die
auch von Morigia benutzt ist, zu Grunde gelegt.
31. Eine namentlich culturhistorisch nicht uninteressante
deutsche Schrift des 14. Jahrb., die Gründungsgeschichte
des Dominicanerinnen-Klosters Oetenbach (gestiftet zwi-
schen 1230 und 1240) mit angehängten Biographieen einiger
Schwestern haben H . Z e 1 1 e r - W e r d m ü 1 1 e r und J. B ä c h-
told aus einer Nürnberger Handschr. saec. XV im Züricher
Taschenbuch N. F. XII (1889) S. 213 ff. herausgegeben.
32. In der Zeitschrift für Geschichte des Oberrheins 1889,
S.251 giebt A. Schulte Berichtigungen und Nachträge zu den
Ortsnamenbestimraungen in den Notitiae S. Georgii in
Nigra silva (SS. XV, 2, 1002 ff.). Nur kann ich nicht zu-
geben, dass mit der proprietas S. Mariae (S. 1009, Z. 30)
eine Besitzung von Reichenau gemeint sein, und dass Adel-
giseshoven heute Auttagershofen hcissen könne. Das Cimberen
(S. 1011, Z. 4) kann ebensogut irgend ein anderes der vielen
Zimmern jener Gegend wie Herrenzimmern sein. O. H.-E.
33. Die Chronik des Apollo v. Vilbel, von
Dr. Jos. Rübsam (Sonderabdr. a. d. Zts, d. V. f. hess. Gesch.
N. F. Bd. XIV) Fulda 1889. Der Abdruck dieser leider
unvollständig erhaltenen Aufzeichnungen nach der in der Bibl.
des bisch. Seminars zu Fulda wiedergefundenen Handschrift
ist willkommen; für die Jahre von 1499 bis 1525 enthalten
sie nicht unwichtige Nachrichten. Die eingeschobenen Col-
lectaneen über die alte Geschichte von Fulda sind unbedeutend:
Nat-hrichten. 217
der Chronist Adrian S. 59 wohl nur eine Dittographie des zu
demselben falschen J. 1007 nach Trithemius angeführten Marian.
Zu Rabans Epitaph. S. 47 hätte Dümmlers Ausg. Poet. Lat.
II, 242 angeführt werden sollen. Beachtenswerth sind, wie der
Herausgeber hervorhebt, zahlreiche, leider ganz kurze, Ver-
weisungen auf die alte Chronik, welche auch Brower, doch
vielleicht nicht mehr nach dem Original, häufig benutzt hat.
Sie reichte von Ratgar (oder früher) bis zu Konrad v. Hanau
(1372—1382) und war also im 16. Jh. noch vorhanden. W. W.
34. Von Prof. Max Conrat (Cohn) ist die erste Lieferung
eines gross angelegten Werks 'Greschichte der Quellen u. Lite-
i'atur des römischen Rechts im Mittelalter' erschienen
(Leipzig, Hinrichs 1889). Die vorliegende Lieferung giebt
sehr reichhaltige Nachweisungen über die Benutzung der römi-
schen Rechtsbücher in kirchlichen und weltlichen Rechtsquellen
des Mittelalters. Für uns von besonderem Interesse ist die
im 5, Abschnitte begonnene, in dem vorliegenden Heft noch
nicht abgeschlossene Untersuchung über die Bekanntschaft
mittelalterlicher Annalisten und Chronisten mit dem römischen
Recht. — lieber die 'Lex legum brebiter facta', s. N. A.
Bd. XIV, 211 n. 40, berichtet Max Conrat ausführlicher in
der Ztschr. der Savignystiftung f. Rechtsgesch. Germanist.
Abtheilung X, 230 ff. Ein Abdruck des kurzen, aber merk-
würdigen Textes ist beigegeben.
35. Griovanni Tamassia sucht in einer Schrift 'La
fonti deir editto di Rotari' (Pisa 1889) die Quellen des Edictus
Rothari auf und trägt als solche eine grosse Anzahl Stellen
zusammen, welche theils den Quellen des römischen und west-
gothischen Rechts, theils biblischen und kirchlichen Quellen
entnommen sind. Darunter sind manche bisher unbeachtete
werthvolle Parallelstellen. Doch geht der Verf. in der Auf-
spürung von Verwandtschaften und Anklängen vielfach zu weit;
z. B. S. 55:
C. 357 (Ed. Roth): Si quis
campum alienum asto cum pe-
culio suo delierit aut spicas
manibus evellerit, conpo-
nat sol. V.
oder S. 72:
C. 31 (Ed. Roth.): Walapaus
est, qui se furtim vestimen-
tum alium induerit aut se
Caput latrocinandi animo aut
faciem transfiguraverit.
Es sind das Stellen die durchaus nichts mit einander zu
schaffen haben. Ref. selbst hat zuerst (vgl. Brunner, RG. I,
Dig. XLVII, 7, 7, § 2: Si
quis radicitus arborem evelle-
rit ... § 3: Sive suis mani-
bus, sive dum iraperat servo.
Deuteron. XXII, 5: Non in-
duetur mulier veste virili,
nee vir utetur veste feminea.
218 Nachrichten.
S. 369, A. 6) auf die Verwandtschaft zwischen Stellen des
Edictus und der Lex Visigoth. aufmerksam gemacht und freut
sich, dass der Verfasser auch noch in dieser Richtung weitere
Parallelen aufgefunden hat, möchte aber doch vor einseitiger
Uebertreibung der vergleichenden Methode warnen. — Bei-
läufig bemerkt, ist kein Grund in c. 349: 'De porcus si in
isca alterius paverit', entsprechend L. Vis, VIII, 5, 1 statt
'isca' 'silva' zu vermuthen, da isca = esca und dieses technisch
für Viehfutter und speciell für die Eichelmast der Schweine
ist; vgl. Ducange s. v. esca. K. Zeumer.
36. Eine Schrift von Carlo Canetta 'I rapporti della
Lex Romana Utinensis con la Lex Alamannorum'. Milano
(Vallardi) 1887 wird in der D. Zeitschr. f. Geschichtswissen-
schaft I, S. 216 nebst einer Recension derselben Nuova Antol.
3. ser. vol. XIII, 362 — 364, angeführt, ist aber dem Unter-
zeichneten (auch durch den Buchhandel) nicht zugänglich
geworden. K. Zeumer.
37. In der 'Historia general del derecho Espafiol' von
E. de Hinojosa I (JMadrid 1887) werden I, 356—365 die
westgothischen Rechts quellen behandelt unter sorgfältiger
Berücksichtigung auch der deutschen Litteratur. S. 360 wird in
der Anmerkung die Publication lange vorbereiteter Arbeiten
des D. Jose Garcia über die Avestgothische Antiqua und be-
sonders einer neuen Lesung und Ergänzung der Pariser Frag-
mente in Aussicht gestellt. Citiert wird eine frühere Abhand-
lung des Sr. Garcia: Lex primitiva de los visigodos y de-
scubrimiento de algunos de sus capitulos, Madrid 1861, welche
in Deutschland kaum bekannt geworden sein dürfte und nach
des Verfassers Angabe die neuerdings von Brunner Avieder zu
Ehren gebrachte Ansicht Gaupps, nach welcher die Antiqua-
fragmente der Gesetzgebung Euriclis angehören, mit eigenen
Gründen vertritt. K. Zeumer.
38. Ein bisher unbekanntes westgothisches Gesetz von
König Theudis 546, anscheinend als Novelle zur Lex Ro-
mana Wisigothorum erlassen, findet sich in der vor einiger
Zeit zu Leon entdeckten Handschrift dieses Rechtsbuches.
Der ziemlich umfangreiche, aber leider lückenhafte Text des
Gesetzes ist herausgegeben von Francisco de Cärdenas im
Boletin de la real academia de la historia zu Madrid, XIV. Bd.,
S. 478fr. K. Zeumer.
39. L. von Rockinger veröffentlicht in den Abhand-
lungen der bairischen Akademie, bist. Classe XVIII, 2. Abth.
den zweiten Theil seiner Studien über die Abfassung des
'Kaiserlichen Land- und Lehnrechts', Avorin der XachAveis ver-
sucht Avird, dass der ' Schwabenspiegel' nicht nach der
Nachrichten. 219
Wahl Rudolfs, sondern vielmehr nicht lange nach der Wahl
Richards entstanden sei. Am Schluss der Arbeit wird die
Vermuthung ausgesprochen, dass der bis 1267 nachweisbare
Bamberger Domscholastiker Magister Jakob der Verfasser des
Rechtsbuches sei. Eine Ergänzung zu dieser Untersuchung
bildet eine Abhandlung desselben Verfassers in den Sitzungs-
berichten der bairischen Akademie phil. und bist. Gl. 1889.
S. 120 ff., welche bereits vom dritten Viertel des 13. Jahr-
hunderts Spuren der Benutzung des Schwabenspiegels nach-
zuweisen versucht. — Gegen die Ergebnisse Rockingers hat
sich O. Redlich an mehreren Stellen einer sehr beachtens-
werthen Abhandlung über die Anfänge K. Rudolfs (Mitth. d.
Instituts f. österr. Geschichtsforsch. X, 341 ff.) ausgesprochen;
er hält an der Datierung Fickers fest.
40. Im Neuen Archiv f. sächsische Gesch. und Alter-
thumskunde X, 83 ff. giebt H. Er misch sehr sorgfältige Zu-
sammenstellungen über die sächsischen Stadtbücher
des Mittelalters.
41. Die Geschichte der vaticanischen Handschrift des
Liber diurnus verfolgt J. Giorgi im Arch. della R. So-
cietä Romana di storia patria XII, 641 ff. ; er macht wahr-
scheinlich, dass sie zu der Reisebibliothek des 885 in Nonan-
tola gestorbenenen Papstes Hadrian III. gehört hat, nach
seinem Tode dort zurückgeblieben und von da in die Biblio-
thek von S, Croce di Gierusalemme gekommen ist. Erst
Ende des 18. Jahrhunderts — G. vermuthet 1798/99 — ist der
Codex in das vaticanische Archiv übertragen. In Nonantola
noch ist er von dem anonymen Verfasser der Vita Hadrianil
Nonantulana benutzt worden.
42. Unmittelbar nach dem Erscheinen von Sickels Aus-
gabe des Liber diurnus ist aus der Ambrosiaaa zu Mai-
land die Kunde von einer zweiten, oder den verschollenen
Claromontanus mitgerechnet, dritten alten Hdschr. des ältesten
päpstlichen Formularbuchs gekommen; A. Ceriani berichtet
darüber in den Rendiconti del R. Instituto Lombardo Ser. II
vol. XXII, fasc. IX; vgl. auch Sickel im Anzeiger der Wiener
Ak. phil. bist, Classe vom 5. Juni 1889. Die Hdschr., welche
aus Bobbio stammt, gehört noch dem 9. Jahrhundert an; aus
den Katalogen war ihre Bedeut^^ng nicht zu erkennen; nur
Montfaucon, ßibliotheca bibliothecarum I, 159 hat sie in einer
von allen Forschern, die sich mit dem Gegenstande beschäftigt
haben, übersehenen Notiz als Diurnus Rom. bezeichnet. Sie
enthält 21 Quaternionen; der erste Quaternio und das erste
und letzte Blatt von Quat. IX fehlen, so dass der Text in
form. 9 des Vaticanus beginnt. Bestand und Anordnung der
220 Nachrichten.
Formulare entsprechen dem Claromontanus ; die drei Formulare
n. 19 — 21, welche dort durch ein Schreiberversehen übersprungen
sind (vgl. Sickel, Liber diurnus S. XXXIII, mein Handbuch
der Urkundenlehre I, 622 N. 4), sind hier vorhanden; am
Schluss bietet der Ambrosianus drei Formulare mehr, als der
hier verstümmelte Claromontanus; Ceriani hat sie abgedruckt.
Die Lesarten von A. stimmen bald mit C, bald mit V. über-
ein. Ein Abdruck der neuen Handschrift ist in Aussicht ge-
stellt; bis zum Erscheinen desselben will Sickel, dessen Aus-
führungen über die beiden Recensionen des Diurnus im
Uebrigen durch die neue Hdschr. nur bestätigt werden, auch
die Fortsetzung seiner Prolegoraena vertagen. Schon jetzt
möchte ich aber darauf aufmerksam machen, dass durch die
neue aus Bobbio stammende Handschrift auch das Privileg
Honorius I. für dies Kloster, Jaffti-E 2017, das mit form. 77
des Lib. diurnus bekanntlich auffallend übereinstimmt, erneuter
Prüfung bedürftig wird.
43. Zu meiner Edition des Diurnus. Als diese
ausgegeben werden sollte , war es mir nicht möglich, den
Druck behufs Berichtigung etwa untergelaufener Fehler noch-
mals mit der vaticanischen Handschrift vergleichen zu lassen.
Ich habe dies bei erster Gelegenheit nachgeholt. Herr
M. Tangl hat sich der Mühe der Collation unterzogen, und
ich selbst habe dann die von ihm beanstandeten Stellen nach-
geprüft. Daraufhin gebe ich folgenden Nachtrag zu den
früher zusammengestellten Corrigcnda:
1. Verbesserungen zu dem Text S. 1 — 131.
'reliquie' lies Wiqui^'
'cartulis' „ 'chartulis'
'iii-' ,, ^iiu;
'imbecillitate' „ 'inbecillitate*
'indictioiie iubemus te' „ 'iubemus te indictione
'exoptate' „ 'et optate'
'facies' „ 'facias'
'et damnaverunt' „ 'atque damnaverunt'
'Dioscurus' „ 'Dioscorus'
'pon[tifi]c[um]' „ 'pon[ti]fic[um]'
2. Verbesserungen zu den Noten:
Zu S. 26,5 'auctoritoritate V.' Zu S. 49« 'con- || conservando V.'
Zu S. 7O9 411am] 11 in rasura V.'
3. Der Angabe von Verbesserungen zu S. 132i_9 muss
ich vorausschicken, dass vor etwa zwei Jahren der Einband
der Handschrift repariert und dabei das von fol. 103 erübrigende
Bruchstück geglättet worden ist, wodurch die auf dem am
meisten beschädigten Rande stehenden Schriftreste etwas mehr
als früher der Fall war sichtbar geworden sind. Das gab
S. 8,5
statt
S. 26„
J7
S. 29„
V
S.31,a
?5
S. 42,5
n
S. 54,3
»
S. 63 5
)j
S. 73,2
»
S. 98,0
»
S. 108,.
57
Nachrichten. 221
Herrn J. Giorgi Anlass, in seiner vortrefflichen Abhandlung
'Storia esterna del codice Vaticano del Diurnus (Archivio
della R. Societä Rom. XI.)' S. 23 eine von der meinigen ab-
weichende Entzifferung vorzuschlagen. Nach wiederholter
Prüfung des Fragments stimme ich jetzt in drei Fällen Giorgi
bei, weiche aber in drei andern von ihm ab. Ohne verhehlen
zu wollen, dass nicht überall volle Sicherheit zu erzielen ist,
verzeichne ich unter Angabe der Schriftzeilen des Blattfrag-
mentes, was wohl anders als in meiner Ausgabe zu lesen ist,
nämlich fol. lOSa 'salvatori', ib. „ 'que h.', fol. IGSj '[pr]out'
(dass dann 's' folge, vermag ich nicht zuzugeben), ib. 9 Hur ven.'
Sickel.
(Auf den Wunsch des Verfassers aus Mitth. des Inst, für
österr. Geschichtsforsch. X, 468 hier abgedruckt.)
44. Von erhebhcher Bedeutung ist eine in den lateini-
schen Lections - Katalogen der Universität Göttingen für das
Sommersemester 1888 und das Wintersemester 1888/9 ver-
öffentlichte Abhandlung von W. Meyer aus Speyer über die
alsAvellana bekannte Brief- und Canonensammlung. über-
einstimmend mit Ewald weist M. die Ansicht Maassens, dass
die Sammlung von Gregor I. herrühre, ab und zeigt dann —
dies auch gegen Ewald — dass sie den Namen Avellana über-
haupt mit Unrecht führt, da der aus Fönte Avellana stammende
Codex nur eine Abschrift des Cod. Vatic. 3787 ist. An diesen
Nachweis schhesst sich der Abdruck der ältesten und wichtig-
sten Stücke der Sammlung an, der von sehr werthvoUen Er-
läuterungen begleitet ist.
45. Über eine wichtige Entdeckung, die M. Tangl ge-
macht hat, berichtet derselbe in den Mitth. d. Inst. f. oesterr.
Geschichtsf. X, 464 ff. Es handelt sich nicht nur um ein
zweites Exemplar des von Erler edirten Liber cancellariae
apostolicae, das in Cod. Ottob. lat. 911 vorliegt, sondern,
was wichtiger ist, um noch ein zweites, gleichfalls 1380 von
Dietrich von Niem angelegtes und bis 1560 fortgesetztes
Kanzleibuch in Cod. XXXV. 69 der Bibl. Barberini. Eine
ausführlichere Untersuchung darüber wird in Aussicht gestellt.
46. Im Archivio della R. Societä Romana di storia patria
XII, 381 ff behandelt A. Gabrielli die Briefe Cola di
Rienzi's mit einer Einleitung über die mittelalterliche Epistolo-
graphie im allgemeinen und über die wichtigsten italienischen
und französischen Summae dictaminis von Albericus
von Monte Gas sin o an. S. 407 f. findet sich ein Ver-
zeichnis der Werke des Buoncompagno von Florenz mit
Angabe von Handschriften, in denen sie erhalten sind. Von
den neueren Arbeiten auf diesem Gebiete scheinen G. einige
222 Nachrichten.
besonders wichtige, so die Untersuchungen Bethmann-Hollwegs
über die Artes notariae, Kaltenbrunners über Berard von
Neapel, Valois' über den cursus der päpstlichen Kanzlei un-
bekannt geblieben zu sein.
47. Die Constantinische Schenkung ist seit den
im N. A. XIV, 214 n. 51 und 444 n. 137 erwähnten Arbeiten
von Weiland und Brunner-Zeumer %väederum der Gegenstand
lebhaftester Beschäftigung gewesen. Ausser einem schon 1888
in Luthardts Zeitschr. f. kirclil. Wissensch. und kirchl. Leben
S. 201 if. erschienenen Aufsatze von Hauck haben wir zu
verzeichnen eine Untersuchung von Scheffer-Boichorst
in den ]\Iitth. des oesterr. Instit. X, 302 ff, zwei eigene Schriften
von J. Friedrich, 'Die Constantinische Schenkung' (Nörd-
lingen 1889, Beck) und W. Martens 'Die falsche General-
concession Constantins d. Gr.' (München, Stahl 1889), endlich
einen hierher gehörigen Abschnitt in K. Lamprechts Schrift
'Die römische Frage von König Pippin bis auf Kaiser Ludwig den
Frommen (Leipzig, Dürr 1889). Wir müssen uns schon aus
Rücksichten des Kaumes damit begnügen, diese Arbeiten hier
zu erwähnen, auf eine eingehende Besprechung der zum Theil
sehr weit auseinandergehenden Ansichten, die in denselben ent-
wickelt sind, aber verzichten.
48. Sehr sorgfältige, auf eingehendem Handschriftenstudium
beruhende Untersuchungen über 'die Formular buch er aus
der Kanzlei Kudolfs von Habsburg' hat J. Kretz-
schmar veröffentlicht (Innsbruck, Wagner 1889). Das Haupt-
ergebnis ist, dass alle rudolfinischen Formularsammlungen
durch verschiedene Mittelglieder hindurch auf eine von dem
königlichen Notar Andreas von Rode angelegte Sammlung zu-
rück gehen.
49. In der Deutschen Literaturzeitung 1889 n. 29 habe
ich EAvalds Ausgabe des Regist r um Gregorii I. ange-
zeigt und — nach Mittheilungen S. Löwenfelds und M. L.
Hartmanns — eine Uebersicht über die Bedeutung der für die
Hdsclu-r. gebrauchten Siglen gegeben, die ich im Interesse der
Benutzer der Edition hier wiederhole.
R 1 = Casinensis 71.
R la = Paris. 2281.
R Ib = Urbin. 99.
R 2 = Trevir. 171.
R 3 = Sangah. 670.
R 4 = Escor, d. I 1.
R 5 = Lauren tiau. 541.
r 1 = Paris. 2279.
r 2 = Paris. 11674.
r 3 = Vatican. 620.
r 4 = Paris. 2282.
r 5 == Paris. 14300.
r 7 = Gothan. 132.
R* 1 = Colon. 95.
R* 2 = Paris. 2283.
R* 3 = Monac. 18024.
Nachricliten. 223
R* 4 = Monac. 22204.
R* 5 = Trec. 43.
P' 1 = Colon. 95.
P* 2 = Vatican. 617.
Pa 1 = S. German. 169 (ver-
loren.)
Pa 2 = Bamberg. 601.
Pb 1 = Colon. 92.
Pb 2 = Vindob. 934.
50. M. Prou's Ausgabe der Register Honorius IV
ist mit der 4. Lieferung, welche die Einleitung enthält, abge-
schlossen. — Vom Regestum Clementis papae V. der
vaticanischen Ausgabe sind annus VIII. und IX. erschienen.
51. In der Römischen Quartalschrift HI, 43 flf. theilt
P. M. Baum garten unter dem Titel 'Der annus quartus
registri LI rbani papae IV.' 23 Registerbriefe dieses Papstes
aus der Zeit vom 5. — 23. September 1264 mit.
52. Der dritte Band der Monum. Vaticana Historiam
regni Hungariae illustrantia (Budapest 1888) enthält 349
Urkunden Bonifaz IX. von 1389 — 1396^ herausgegeben
von G. Fraknoi.
53. Das Historische Jahrbuch X, 334 ff. ist reich an
Polemik ; an dieser Stelle sind zu erwähnen die schon Bd. XIV,
446 n. 126 angekündigte Erwiderung Löwenfelds gegen
ßaumgartens Aufsatz über unbekannte Papstbriefe vor
1198, sowie längere Auseinandersetzungen zwischen Kauf-
mann und Denifle im Anschluss an die Bd. XIV, 633
n. 212 erwähnte Recension des letzteren über Kaufmanns Gesch.
der Universitäten.
54. In der 'Collection de textes pour servir ä l'etude
et ä l'enseignement de l'histoire', welche den Octavausgaben
der MG. entspricht, sind erschienen: 'Lettres de Gerbert
(983 — 997) publiees avec une introduction et des notes par
Julien Ha ve f. Paris, Picard. 1889. Die Einleitung behandelt
in eingehendster Weise Gerberts Leben bis zu seiner Besteigimg
des päpstlichen Stuhls, um dadurch eine sichere Grundlage
für die Anordnung der sämmtlich undatierten Briefe zu gewinnen.
Daran schliesst sich eine Untersuchung der Handschriften und
der älteren Ausgaben, welche nach jetzt nicht mehr vorhan-
denen Codices gemacht sind. Havet gelangt so zu folgendem
Resultat : Gerbert hatte ein Heft, in welches er seine Brief-
concepte schrieb. Der Text L (d. h. der Leydener Cod.
Vossius lat. 40. n. 54) bietet eine treue Copie dieses Auto-
graphs, welche in St. Mesmin bei Orleans unter dem Pontificat
Silvesters für seinen Freund Constantin angefertigt wurde.
Der Text stellt die erste Redaktion des Autors dar.
55. Die oben n. 47 erwähnte Schrift von K. Lamp recht
enthält ausser dem sich mit dem Constitutum Constantini be-
224 Nachrichten.
schäftigenden Schlussabschnitt sehr eingehende, vielfach zu
neuen Ergebnissen gelangende Untersuchungen über die Ver-
sprechungs- und Schenkungsurkunden sowie die
Pacta der älteren Karolinger mit der Curie.
56. In der Zeitschrift für Geschichte des Oberrheins
N. F. IV, S. 296 veröffentlicht P. Scheffer-Boichorst
nach einer im Bezirksarchiv des Unterelsass betindlichen Ab-
schrift ein Diplom Otto's IL für das Kloster Erstein vom
24. Mai 974, Avelches uns bei der Ausgabe der DD. O. II.
entgangen ist. Ich selbst mache auf den Abdruck aufmerk-
sam, weil ich erst nach Vollendung des Schlussbandes der
Diplome der Ottonen die bis dahin etwa noch auftaiichenden
und von uns noch nicht gekannten Stücke in einem Nachtrage
zusammenzufassen gedenke. Sickel.
57. In der Württembergischen Vierteljahrsschrift für
Landesgesch. XI behandelt S. 205 ff. Dr. Schneider die
Weingartener Urkundenfälschungen (Aveitere Belege für die
Entstehung des Stiftungsbriefes und der ältesten Königsurkunden
um 1274) und S. 218 ff. G, Bossart die ältesten Urkunden
von Kloster Murrhardt.
58. Ausser dem eben erwähnten Diplom Ottos II. ver-
danken wir P. Scheffer-Boichorst die Publication noch
einiger anderer bisher unbekannter und nicht unwichtiger Ur-
kimden. Aus dem Bezü-ksarchiv des Unterelsass stammt ein
interessantes und sicher echtes Privileg Leo's IV. für Kloster
Erstein vom 28. April 850 und eine Fälschung für dasselbe
auf den Namen der Kaiserin Irmgard, angeblich von 853 (beide
mit dem Diplom Otto's zusammen veröffentlicht), sowie ein
Privileg Fried rieh's II. für die Juden in Regensburg von
1216, in welchem eine Urkunde Friedrich's I. wahrscheinüch
von 1182 transsumiert ist (Mitth. d. Inst. f. österr. Geschichtsf.
X, 459 ff.). Drei andere Urkk. Friedrich's I. für Balerne
von 1157, für S. Michele di Passignano von 1177 und für das
Nonnenkloster Sindeisberg von 1158 sind der Stadtbibliothek
zu Besancon, dem Florentiner und wiederum dem Strassburger
Bezirksarchiv abgewonnen; aus dem letzteren wird ferner die
bisher nicht bekannte Datierung von St. 4171 : Hagenau, Aug. 21
mitgetheilt (a. a. O. X, 295 ff.).
59. Als Festschrift zum Jubiläum des Vereins f. hamburg.
Gesch. hat O. Rüdiger eine Abhandlung 'Barbarossas
Freibrief für Hamburg vom 7. Mai 1189' erscheinen
lassen (Hamburg, Gräfe 1889), der eine photolithographische
Abbildung der Urk. beigegeben ist. Die letztere lässt aber
sehr bestimmt erkennen, was dem Vf. entgangen ist, dass wir
es nicht mit einem Original, sondern mit einer Nachzeichnung
Nachrichten. 225
des 13. Jahrhunderts zu thun haben, die noch eingehender
weiterer Untersuchung bedarf.
60. In der Römischen Quartalschrift II, 36 flF. theUt
P. Batiffol aus einer römischen Handschrift ein Verzeichnis
von Papstprivilegien für basilianische Klöster — darunter
mehrere bisher unbekannte Stücke — und aus einem Copial-
buch von S. Salvatore zu Messina acht Königsurkunden,
eine von Heinrich VI., zwei von Constanze und fünf von
Friedrich H., für dies Kloster mit, die bisher unbekannt
oder nur unvollständig bekannt waren. Bei dem Diplom
Heinrich's VI. fehlt der Hinweis auf Stumpf 4903 und die
dort verzeichneten Stellen.
61. In der Ztschr. f. Gesch. der Juden in Deutschland
veröffentHcht M. Stern III, 243 ein Privileg Albrecht'sl.
von 1299 für die Juden in Dortmund und III, 250 eine Ur-
kunde Friedrich's III. von 1470, durch welche eine all-
gemeine Versammlung der deutschen Juden berufen wird.
62. Ein auch von Aventin benutztes Schreiben Cle-
mens V. an Albrecht I. vom October 1305, das für die
Geschichte der Verhandlungen des Königs mit dem Papst von
erheblicher Wichtigkeit ist, im Register des letzteren aber fehlt,
hat E. V. Oefele in einem Niederaltaicher Copialbuch auf-
gefunden und in den Sitzimgsberichten der Münchener Aka-
demie 1889 S. 271 ff. herausgegeben.
63. Im 'Geschichtsfreund' 1888 S. 127 ff. findet sich eine
Abhandlung von P. Odilo R i n g h o 1 z über die Geschichte von
Einsiedeln imter Abt Johann I. mit zahlreichen ürkunden-
beilagen. Darunter von Kaiserurkunden St. 671. 1712. 3105.
3456. Böhmer, Reg. Lud. Bav. n. 108, alle nach den Origi-
nalen.
64. Vom Cartulaire de Cluny, herausgegeben von
Bruel, ist der 4. Band (1027—1090) erschienen. Der Band
enthält an Königsurkunden St. 2378 (nach dem Original) imd
St. 2757, ausserdem eine Anzahl Papsturkimden von Jo-
hann XIX. an, und ein Diplom Rudolfs von Burgund von
1029, s. oben n. 7.
65. Vom Codex dipl. Saxoniae regiae, Erster
Haupttheil ist der zweite von 0. Posse bearbeitete Band er-
schienen, welcher die Urkunden der Markgrafen von Meissen
und Landgrafen von Thüringen von 1100 — 1195 enthält. Als
Beilagen schmücken den Band verkleinerte Abbildungen der
Urk. Markgraf Konrads d. Gr. von 1118, welche der Heraus-
geber jetzt für echt hält, und einiger Blätter aus dem Rein-
nardsbrunner Epistolarcodex.
Neues Archiv etc. XV. 15
226 Nachrichten.
66. Die Publication eines Urkundenbuchs der Stadt
Bochum beginnt F. Darpe im Programm des städtischen
Gymnasiums daselbst (1889, n. 333). Der vorliegende Ab-
schnitt enthält 150 Stücke von 1298—1508.
67. Die Urkunden des Stadtarchivs von Breis ach ver-
zeichnet der Stadtarchivar Poinsignon in den Älittheilungen
der Badischen historischen Commission n. II.
68. Im Arch. della R. Societa Romana di storia patria
Xn, 696 fF. berichtet der Präsident der Gesellschaft, G. Tom-
massini, über die bisher getroffenen Vorbereitungsmassregeln
für das von der Gesellschaft beschlossene grosse Unternehmen
des Codex diplomaticus Urbis.
69. Der Codice diplomatico Sulmonese, heraus-
gegeben von N.F. Faraglia (Lanciano 1888) enthält 313 Stücke
von 1042 — 1502. Kaiserurkunden sind nicht dabei; die älteste
Papsturkunde ist von Innocenz II. 1138, März 25. In n. 36,
einem Protocoll über einen Streit zwischen dem Bischof Sigi-
nulf von Valva und dem Kloster S. Mariae de Mammonaco
legen die Mönche 'instrumentum Caroli regis' vor, das aber
verworfen wird und berufen sich auf eine Entscheidung Gre-
gors VII, haben aber keine Urkunde darüber. 1188 besitzen
sie dann 'rescripta tam Caroli imperatoris quam Gregorii VII',
die aber von Clemens III. nicht anerkannt werden (n. 41),
70. Die lang erwartete Ausgabe des 'Tabularium Casi-
nense' ist mit einem ersten Bande begonnen worden, welcher
den Titel 'Codex diplomaticus Caietanus' führt und die
Urkunden Gaetas bis 1053 enthält. Als Herausgeber werden
die 'monachi S. Benedict! archicoenobii Montis Casini' genannt,
ohne dass ein Name angegeben wäre; die Jahreszahl 1887 auf
dem Titelblatt bezeichnet wohl den Beginn des Druckes, denn
ausgegeben ist der Band erst in diesem Jahr. Die Urkunden
werden in der Orthographie und Interpunction der Vorlagen
— gegen deutsche Gewohnheit — abgedruckt, mag es sich
um Copieen oder Originale handeln, daher denn auch nicht
einmal die Eigennamen grosse Anfangsbuchstaben erhalten,
was sehr störend ist. Auch sonst wird die deutsche Literatur
ignoriert: ich finde nur einmal 'Sichel' (sie) citiert, aber weder
Stumpf noch Böhmer oder Jaffe und seine Fortsetzer. So ist
es denn gekommen, dass von den zwei Königsurkunden des
Bandes (n. 81 und n. 102 = St. 1204 und 1199) die erste
Otto II. und dem Jahr 982 statt Otto III. und dem Jahre 999
zugewiesen Avird: auch der Druck in Stumjjfs Acta und alle
gegen die Echtheit beider Stücke erhobenen Bedenken sind
den Herausgebern unbekannt. Richtig bestimmt sind die
beiden Originale Leos IX. Jaffe-L. 4274. 4275; bei dem letz-
Nachrichten. 227
teren Brief möchte man aber gern wissen, wo im Or. die
Adresse: 'I. episeopo etc.' steht. Wahrscheinlich ist es eine
Rückennotiz, doch hätte das gesagt werden sollen. Auch gegen
die Ansetzung mancher gaetanischen Urkunden sind Zweifel
berechtigt, so gleich gegen das erste Stück des Bandes, das
unmöglich in 787 gehören kann. Alles in allem steht die
Ausgabe nicht auf der Höhe der heutigen italienischen For-
schung. Dagegen scheint der Druck im ganzen zuverlässig
zu sein. Beigegeben sind sechs Tafeln mit Schriftproben.
71. Auf Pola bezügliche Urkunden des erzbischöflichen
Archivs zu Ravenna werden mitgetheilt im Archivio della
soc. Istriana di archeol. e storia patria IV, 3 ff. 253 ff.
72. Eine beachtenswerthe Arbeit ist die 'Histoire de la
Constitution de la ville de Dinant' von H. Pirenne (Gand
1889), die erste neuere Specialarbeit über die Verfassungs-
geschichte einer belgischen Stadt. An dieser Stelle verdient
sie Erwähnung wegen ihrer eingehenden Untersuchung der
merkwürdigen Aufzeichnung über die Rechte des Grafen von
Namur, welche Waitz in den Urkk. zur deutschen Verfas-
sungsgesch.2 S. 20 abgedruckt hat.
73. In den Schriften des Vereins für Gesch. des Boden-
sees XVI, 30 ff. erläutert Graf F. Zeppelin in eingehender
Ausführung den Constanzer Vertrag Friedrichs I. von
1153.
74. Das Neue Archiv f. Sachs. Gesch. X, 1 und 2, ent-
hält auf S. 22 die bisher ungedruckten drei Concepte eines
zwischen Friedrich v. Meissen und Heinrich v. Kärnten abge-
schlossenen Vertrages, nebst zwei anderen aus den Originalen
mitgetheilten Urkunden. Der Herausgeber Wold. Lippert
weist in genauer Darstellung der Vorgänge von 1307 bis 1310
nach, dass jener Vertrag, dessen wirkliche Ausfertigung unbe-
kannt ist, dem J. 1310 angehören muss. W. W.
75. In der Revue Historique XXXIX, 325 ff. bespricht
Frantz (!) Funck-Brentano, gegen Scheffer - Boichorst,
Brosien und Bergengrün polemisierend, eine zuerst von Bou-
taric herausgegebene, nun wiederabgedruckte Aufzeichnung
über die Beziehungen von Frankreich zu England und Deutsch-
land unter Philipp dem Schönen. Indem er die Aufzeichnung
lediglich als eine Reihe schnell hingeworfener Notizen charak-
terisiert, vertheidigt er deren Glaubwürdigkeit gegen die Ein-
wendungen der deutschen Forscher. Der Schlusssatz, welcher
davon spricht, dass man die deutschen Forscher hindern müsse,
sich eine 'histoire du moyen äge de leur facon' zurecht zu
machen, ist einfach abgeschmackt.
15*
228 Nachrichten.
76. Im Anhang zu der fleissigen Dissertation von Jac.
Schwalm, Die Landfrieden in Deutschland unter Ludwig
dem Baiern (Göttingen 1889) werden z. Th. sehr interessante
Landfriedensurkunden aus dieser Zeit abgedruckt.
77. In der Westdeutschen Zeitschrift VIII, 81 flf. geben
J. Priesack und J. Schwalm dankenswerthe und er-
schöpfende Nachricht über den Inhalt des wichtigen, von
Böhmer, Ficker, Winkelraann u. a. schon vielfach benutzten
Conceptbuches des Rudolf Losse im Staatsarchiv zu
Darmstadt.
78. Im Archiv für Literatur- und Kirchengeschichte V, 1
giebt Fr. Ehrle die Acten des über den Nachlass Papst Cle-
mens V. von Johann XXII. geführten Processes heraus
und behandelt den Verlauf dieses Processes. O. H.-E.
79. In der Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins
Bd. IX druckt R. Pick aus dem Aachener Stadtarchiv eine
grosse Anzahl von Urkunden, meist Fehdebriefe des
14. und 15. Jahrhunderts ab, die inhaltlich und formell Be-
achtung verdienen. Das älteste Stück ist vom J. 1302 und
bemerkenswerther Weise auf Papier geschrieben.
80. Im Zusammenhange mit dem oben n. 65 erwähnten
Urkundenbuch steht die sehr werthvoUe Publication Posses,
'Die Siegel der Wettiner bis 1324 und der Landgrafen
von Thüringen bis 1247' (Leipzig, Giesecke u. Devrient
1888), fünfzehn Tafeln mit ganz vortrefflichen Siegelbildern
in Lichtdi'uck, die nach den photographischen Aufnahmen des
Herausgebers hergestellt sind.
8L In meinen 'Karolingischen Dichtungen' Berlin 1888
habe ich übersehen, dass das von mir S. 1 — 45 besprochene
Gedicht des Angelsachsen ^öelwulf über Aebte und Mönche
eines nicht näher bezeichneten Klosters, welches aber in Be-
ziehung zu Lindisfarne gestanden haben muss, nach Dümmlers
Ausgabe in den Poetae Karolini I eine andere durch Th. Ai-nold
1882 in Rerum ßritannicar. medii aevi SS. part. 75 als Anhang
zu Symeon von Durham erlebt hat, so wie umgekehrt Arnold
die Ausgabe Dümmlers entgangen ist.
Mir unbekannt gebliebene Hss. benutzt er nicht, es geht
ihm vielmehr die Kenntnis der besten ab ; auch finde ich die
Emendation fast an keiner Stelle gefordert, während die mit
mehr Aufmerksamkeit gepflegte Interpunktion sich vor der in
den Poet. Karol. auszeichnet. In der Einleitung p. XXXII ff.
glaubt Arnold festgestellt zu haben, dass das unbekannte Kloster
-^öelwulf s Craike bei York sei oder sein könne. Er hat dabei
übersehen, dass es nach 2E6. cap. VI v. 24 am Meer gelegen
haben muss. Wenn ihm XV, 33 und XX, 13 laetatur clerus
Nachrichten. 229
in urbe bedeutungsvoll auf die Nähe York's hinzuweisen
scheint, so wiederhole ich (vgl, a. a. O. S. 18), dass der
betreffende Vers mechanisch aus Aldhelm herübergenommen ist.
Ludwig Traube.
82. Nach der Revue critique 1889 n. 15, S. 300 hat
Omont in der Sitzung der Societe des antiquaires de France
am 27. März 1889 über zwei Blätter einer Cheltenham-Hs.
vorgetragen, welche von einer Sammlung lateinischer Verse
des Reginbert von Reichen au aus der Zeit vor 842 allein
übrig geblieben sind.
83. Im Archiv für latein. Lexicographie VI, 265 giebt
L. Traube einige Ergänzungen zu den Bemerkungen Dümm-
lers über die Sprache des Diacons Mico, vgl. N. A. IV, 516 ff.
84. Fecunda ratis ist der Gesammttitel der Sprich-
wörtersammlung des 11. Jahrhunderts, deren beide Theile
'Prora et puppis' heissen, und aus der bisher nur einzelne
Bruchstücke bekannt waren. F. Voigt hat der Dichtung
ihren wahren Titel zurück gegeben und von dem ganzen nach
der einzigen Handschrift eine sehr sorgfältige Ausgabe veran-
staltet (Halle, Niemeyer 1889), in der zu den alten Glossen
zahlreiche neue Erklärungen und Parallelstellen hinzutreten;
zu V. 1 macht Dümmler auf Fortunat Carm. VII, 5, 34; 7, 35;
Ermoldi in laud. Pippin v. 127 (Poet. Carol. H, 83) aufmerksam.
Die Einleitung behandelt sehr ausführlich das Leben des Autors,
im welchem der Herausgeber mit Recht den Lütticher Cleriker
Egbert bei Sigeb. de SS. eccl. c. 146 erkannt hat. Dabei
fallen beachtenswerthe Untersuchungen über die Lütticher
Schulen, über Adalbold von Utrecht und Wazo von Lüttich
ab; gewiss nicht richtig aber ist es, wenn V. S. XXXII n. 3
die Angaben Anselms von Lüttich über Wazo's Begegnung
mit Pilgrim von Köln und Aribo von Mainz und über seine
Candidatur für den Mainzer Erzstuhl verwirft, um eine Zeit-
bestimmung desselben Autors zu retten. Will V. die von mir
vorgeschlagene Erklärung der neun Monate, die Anselm Wazo
am Hofe Konrad's zubringen lässt, nicht annehmen, so muss
er die Zeitangabe verwerfen, denn gerade in solchen Dingen
ist Anselm ungenau; wie er aber jene beide Nachrichten hätte
erfinden oder wie das 'Gerücht' von denselben hätte entstehen
sollen, ist ganz unabsehbar. — Auf p. XXVII der Einleitung
hätte Aegidius von Orval nicht mehr nach der Ausgabe von
Chapeaville, sondern nach derjenigen der MG. citiert werden
sollen.
85. Im Anzeiger der Zeitschrift f. deutsche Alterthums-
kunde XV, 195 bespricht L. Traube eingehend die Bd. XIV,
448 n. 157 erwähnte Ausgabe des Amarcius von M. Mani-
230 Nachrichten.
tius mit sehr zahlreichen Textverbesserungen. Auch stellt er
mit gewichtigen Gründen die Züricher Herkunft des Dichters
in Abrede und hält für glaublich, dass er der Speyerer Schule
angehörte.
86. Im Programm des Bugenhagen - Gymnasiums zu
Treptow a. d. Rega (1889, n. 138) behandelt H. Doerks die
Chronologie und die historischen Beziehimgen der Sprüche des
Bruders Wernher.
87. In den Sitzungsberichten der Berliner Akademie
1889 n. XIX. bespricht A. Tobler die in einer Meerman-
schen (jetzt Berliner Hs.) enthaltene altfranzösische Ueber-
setzung von Predigten des h. Bernhard, darunter drei
Stücke, deren lateinische Originale bisher nicht aufgefunden
sind. Zwei von diesen und zwei andere sind abgedruckt.
88. In einem Excurse zu seiner Abhandlung 'Die lora-
bardische Politik Friedrichs I. und die Gründung von Ales-
sandria' (Programm des Progymnasiums zu Gross-Licliterfelde
1889 n. 76) kommt G. Matthaei auf die schon früher von ihm
behandelte Aufzeichnung über die königlichen Tafel-
güter (Böhmer Fontt. III, 397 f.) zurück und unterstützt
seinen Nachweis, dass dieselbe in die Zeit Heinrichs IV. ge-
hört, mit neuen, m. E. überzeugenden Argumenten.
89. In der Zeitschrift f. deutsche Geschichtswissenschaft
I, 448 ff. besorgt G, Sommerfeldt eine neue Ausgabe des
merkwürdigen, zuerst von Prowe (s. Bd. XIV, 440 n. 114)
edierten Einnahmeregisters Erzbischof Balduins
von Trier vom J. 1311. Sein Text bietet einige nicht
unerhebliche Verbesserungen, in Folge deren sich auch die
Chronologie der Eintragungen anders gestaltet.
90. In der Römischen Quartalschrift III, 73 werden
Rechnungen über das Schreiben und Einbinden päpst-
licher Bücher aus dem Jahre 1374 mitgetheilt. Der Buch-
binder des Papstes ist ein Jude: 'Padonus de Agathe iudeus
habitator Avinion.'
91. Von der neuen Ausgabe des 'Liber censuum
ecclesiae Romana e' des Conti us camerarius von Paul
Fabre, welche einen Theil der 'Bibliotheque des ocoles
francaises d'Athcnes et de Rome' bildet, ist die erste Liefe-
rung bei Thorin in Paris erschienen. Der Text ist von einem
ungemein reichhaltigen und ausführlichen Commentare be-
gleitet, für den mit grossem Fleisse die vaticanischen Archi-
valien ausgenutzt sind. Im Text sind die späteren Zusätze
zu dem ursprünglichen Liber censuum von 1192 durch den
Druck gekennzeichnet; die UebersichtHchkeit desselben wird
durch das üeberwiegen des Commentars leider beeinträchtigt.
Nachrichten. 231
92. Eine sehr sorgfältig gearbeitete und trefflich aus-
gestattete Schrift von S. Ristelhuber, Heidelberg et Stras-
bourg. ^Recherches sur les etudiants alsaciens ä l'universite
de Heidelberg 1386 ä 1662 (Paris, Leroux 1888) stellt auf
Grund fleissiger archivalischer Nachforschungen zahlreiche
biographische Notizen über die in den Heidelberger
Universitätsmatrikeln vorkommenden Elsässer zu-
sammen.
93. Sehr interessante Baurechnungen des Halber-
städter Doms aus dem Jahr 1367 veröffentHcht G. Schmidt
im Programm des Halberstädter Gymnasiums (1889 n. 221).
In der Woche Mariae Magdalenae haben die Gesellen gestrikt,
'propter messem volentes pretium case (der Bauhütte) multi-
plicasse, sed non potuerunt: idem postmodum successive
revertebantur'.
94. Ein wichtiges Necrolog oder richtiger Verbrüde-
rungsbuch des Klosters S. Salvatore und S. Giulia zu Brescia
hat A. Valentini in den Schriften des Ateneo di Brescia
(Brescia 1887) herausgegeben. Eingehend bespricht das Buch
E. Mühlbacher in den Mitth. d. Inst. f. österr. Geschichtsf,
X, 469 ff. indem er zeigt, wie mangelhaft leider die Aus-
gabe ist.
95. In den Abhandlungen der Berliner Akademie 1888
behandelt W. Wattenbach ein in einer Handschrift der
Kirchenbibliothek von St. Nicolai zu Greifswald überliefertes,
sehr interesantes Handbuch eines schlesischen Ketzer-
inquisitors aus dem Anfang des 15. Jahrhunderts.
96. Auch von der zweiten, bedeutend vermehrten und
umgestalteten Auflage von Ces. Paoli's vortrefflichem Pro-
gramme di paleografia lat. e di diplomatica hat C. Lohmeyer
eine deutsche Uebersetzung gegeben (Innsbruck, Wagner 1889),
die dankbar aufgenommen werden wird. Sie ist geschickt
gemacht; aber der schon einmal von Wattenbach, Jahres-
bericht der Geschichtswissenschaft VIII, 303 gerügte Ueber-
setzungsfehler kehrt auch hier wieder. C. Paoli lässt die
jüngere Capitale von der älteren sich durch 'maggiore artificio'
unterscheiden: das heisst nicht durch grössere Kunstfertigkeit,
sondern durch grössere Künstlichkeit.
97. Ueber das oben n. 6 erwähnte angelsächsische
Evangeliar in der Hamilton -Sammlung handelt W. Wat-
tenbach in den Sitzungsberichten der Berl. Akademie 1889
S. 134 ff. und unterstützt seine im N. A. VHI, 343 ff. aus-
gesprochene Vermuthung darüber durch zutreffende Aus-
fühi-ungen über die älteren Majuskelhandschriften überhaupt.
232 Nachrichten.
98. Ein anderes prächtiges Evangeliar — Ms. 1045 der
Bibliothek von Arras — (beschreibt L. Del i sie in seiner
Schrift 'L'evangeliaire de St. Vaast d'Arras et la calligraphie
Franco - Saxonne du IX. siecle' (Paris, Champion 1888), die
mit wunderschönen Heliogravüren ausgestattet ist. Auf f. 15
kommt eine merkwürdige Mischung von Schriftformen vor:
griechische und Runenbuchstaben zwischen lateinischen. Der
Verf. zählt 19 meist aus nordfranzösischen oder niederländischen
Kirchen stammende Handschriften verwandten Characters auf
— zu ihnen zählt er auch das Hamilton - Evangeliar — und
schlägt für die in ihnen vorkommende Schrift und Ornamentik
die Bezeichnung 'style franco -saxon' vor.
99. Im Correspondenzblatt der Westdeutschen Zeitschr,
VII, 232 ff. beschreibt Ad. Reiners das Troparium von
Prüm und seinen Bilderschmuck (Cod. Paris, f. 1. 9448), eine
reich illustrierte Sammlung von liturgischen Gesängen aus
dem Ende des 10. und dem Anfang des 11. Jahrh.
100. Im 'Hermes' XXIV, 393—401 berichtet Mommsen
über die älteste Hs. der Chronik des Hieronymus, einen bis-
her ganz unbeachtet gebliebenen Uncialcodex des 6. Jahrh. der
Oxforder Bodleiana, früher dem Collegium Clermont in Paris
gehörig, welche den vollständigen Marcellinus mit Fortsetzung
bis 548 enthält und für Text und Orthographie des Hierony-
mus die erste Stelle einnimmt. Sie wurde in Schönes Aus-
gabe nicht benutzt. E. D.
101. Im 'Hermes' XXIV, 161 ff. handelt A. Reuter
eingehend über die Berner Hs. 363 schottischen Ursprunges,
deren Entstehungszeit er ganz richtig bestimmt, ohne jedoch
von der neuen Ausgabe der darin enthaltenen Gedichte des
Sedulius Scotus in den Poetae Carol. III, 232—237 und
von den Erörterungen im N. A. IV, 317 Kenntnis zu nehmen,
welche ihm seine Mühe erleichtei't haben würden. E. D.
VI.
Der Streit
der
Bisthiiraer Arles iiiidVieiine
um den
Primatus Galliarum.
Von
Wilhelm Gundlach.
(Dritter Theil, Schluss und Beilagen.)
Nunes Archiv etc. XV. 16
III. Die EntWickelung des gallischen Primates.
hjs kann keinem Zweifel unterliegen, dass in kleinerem
Bereiche zunächst nicht Arles, sondern Vienne die massgebende
Stadt, der massgebende Bischofsitz gewesen ist; denn nach
Vienne ist die Provinz als staatlicher Verwaltungsbezirk be-
nannt imd darum» auch mit dieser Stadt als Hauptort von
der Kirche angenommen worden. So begegnet in der 'Notitia
dignitatum'2 die Angabe: 'Procurator gynaecii Arelatensis pro-
vinciae Viennensis'; so lautet die erste in den Synodalacten^
nachweisbare Unterschrift eines Bischofs von Arles: ^Marinus
episcopus, Salamas presbyter, Nicasius, Afer, Ursinus et Petrus
diacones de civitate Arelatensium provincia Viennensi'; ja
selbst zu einer Zeit, in welcher die kirchliche Eintheilung nicht
mehr mit der ursprünglich von Staats wegen gültigen sich
deckte, wird doch wenigstens die alte Form noch festgehalten,
indem Hilarius von Ai'les im Jahre 441 die Beschlüsse der
Synode von Orange unterzeichnet: 'Ex provincia Viennensi
Aj-elatensis civitatis Helarius episcopus' etc. und ganz ähnlich
auf der im nächsten Jahre abgehaltenen Synode von Vaison
verfährt*. Forscht man nach der Veranlassung, welche die
staathche Ordnung der Provinzen hat durchbrechen lassen, so
ist hier abermals der Staat in Anspruch zu nehmen*.
1) Dass die staatliclie Hauptstadt einer Provinz auch die kirchliche
sein soll, ist wiederholt festgesetzt worden: zuerst durch das Concilium
Nicaenum im vierten Canon (Mansi II, 670); die nämliche Bestimmung
des Concilium Antiochenum I. ist schon N. A. XIV, 329 Anm. 1 an-
geführt worden. 2) ed. Seeck p. 151. 3) Es ist die erste Synode
zu Arles: Mansi II, 476. 4) Maassen , Quellen I, 951. 952; von den
in den Handschriften der gallischen Synodalacten befindlichen Provinzen-
Verzeichnissen, nach welchen Arles in der Regel als Bestandtheil der
Provinz Vienne erscheint, habe ich N. A. XIV, 333 Anm. 1 schon ge-
sprochen. 5) Von der Entstehung und Entwickelung des Arier Pri-
mates handelt ausführlich Loening: Geschichte des deutschen Kircheu-
rechts I, 370 ff., mit dessen Ausführungen ich mich hier auseinanderzusetzen
habe, kürzer Hinschius: System des katholischen Kirchenrechts I, 588 ff.
Die jüngste von französischer Seite herrührende Darlegung dieser Ver-
hältnisse findet sich in der neuen Ausgabe der Histoire generale de Lan-
gued'oc I, 409 ff.
16*
236 Wilhelm Gundlach,
Am Ausgang des viei'ten oder am Eingang des fünften
Jalirhunderts sah sich der Praefectus praetorio Galliens, welcher
in Trier seinen Sitz hatte, bei der drohenden Haltimg der Ger-
manenstämme genöthigt, in grosserer Ferne von der gefähr-
deten Rheingrenze sein Hoflager aufzuschlagen: er Hess sich
in Arles nieder und erhob damit die Stadt zum Hauptort des
ganzen gallischen Landes '. Diese Massregel brachte nach
kirchenrechtlicher Satzung ^ den Bischof der neuen Hauptstadt
in Gegensatz zu dem bisherigen MetropoUten der Provinz
Vienne ; sie konnte aber weiterhin dem Bischof von Ai-les auch
Ansprüche kirchlicher Hoheit über das ganze Gallien eingeben 3.
Dass der so merkwürdig begünstigte Bischof unverzüglich
seines Vortheils sich bewusst Avurde, beweist die im Jahre 401
in Turin abgehaltene Synode: ihre Acten lehren, dass der
Bischof von iVi-les sofort die Metropolitangewalt in der Provinz
sich beimass, dass die um einen Schiedsspruch angegangene
Synode aber nicht wagte, zwischen dem nicht anzufechtenden
alten Metropoliten, dem Bischof von Vienne, und dem nach
unverwerfliclier canoni scher Bestimmung neu hervortretenden
Metropoliten, dem Bischof von Arles, zu entscheiden, sondern
1) Alle Belege, dass schon vor dieser Zeit ein gallischer Bischof
sich eines Vorrangs vor seinen Amtsbrüdern erfreut hätte, sind nicht
stichhaltig; so weist Loening I, 367 Anm. 2 eine Stelle der Kirchen-
gcschichte des Eusebius zurück (V, 23: Migne, Patrol. graec. XX, 494),
in welcher gedacht wird 'ecclesiarum Galliae . . ., quibus praeerat Ire-
naeus' (von Lyon), und die Schlussfolgerung aus dem Briefe Cyprians
von Karthago au den römischen Bischof (Mansi I, 895), worin erwähnt
wird, dass der Bischof Faustinus von Lyon und die übrigen gallischen
Bischöfe sich nach Rom gewendet haben, um die Absetzung des dem
Novatianismus verfallenen Marcian von Arles zu erlangen — die Schluss-
folgerung, als sei dieser Bischof den gallischen Amtsgenossen zu mächtig
gewesen, um von ihnen allein abgesetzt zu werden. Ebenso wenig er-
giebt die Nachricht etwas, dass Constantin drei gallische Bischöfe, den
Maternus von Köln, Reticius von Autun und Marinus von Arles, zu Richtern
in der Donatistischen Streitigkeit bestellt habe (v. Hefele, Conciliengesch.
12, 199), oder der Umstand, dass Marinus von Arles die erste Arier
Synode des Jahres 314 geleitet habe (ebenda S. 202); denn abgesehen
davon, dass der Vorsitz keineswegs sicher ist — zwar in der Aufschrift
des an Silvester gerichteten Synodalschreibens eröflhet der Name des
Marinus die Reihe der Absendernamen (Mansi II, 469), aber nicht bei
den Unterschriften (ibidem p. 476) — , muss nicht nothwendig dieser im
vierten Jahrhundert nur einmal zu beweisende Vorsitz auf einen Vorrang
des Bisthums Arles zurückgeführt werden. 2) Vgl. S. 235 Anm. 1.
3) Eine Analogie zu dem Arier Primat bildet der des Bischofs von
Thessalonich (vgl. Hinschius I, 583 — 588); seine Entstehung schildert
Justinian (Nov. XI) folgendermassen: 'Postea autem Attilanis temporibus,
eiusdem locis devastatis, Apennins praefectus praetorio de Sirmitana civi-
tate in Thessalonicam profugus venerat: tunc ipsam praefecturam et sacer-
dotalis honor secutus est, et Thessalonicensis episcopus non sna auctori-
tate, sed sub umbra praefecturae meruit aliquam praerogativam*.
Avles und Vienne. 237
beiden Parteien einen Vergleich vorschlug». Da keinem der
streitenden Bischöfe mit diesem Vorschlage geholfen war, das
Anskunftsmittel also, dessen sich die gallischen Bischöfe bisher
in ihren Streitigkeiten zu bedienen pflegten: das Urtheil ihrer
Amtsbrüder, nichts genutzt hatte, verfiel der Bischof von Arles
darauf — es war Patroclus, der vertraute Freund des Magister
militum Constantius — , eine Macht auf den Kampfplatz zu
rufen, mit deren Beistand er hoffen durfte, die Anerkennung
seiner ihm durch einflussreiche Verbindungen weltlicherseits
gewährleisteten kirchlichen Hoheit von seinen Amtsgenossen
zu erzwingen : Patroclus wandte sich an den römischen Bischof;
er wusste ihn völlig für sich zu gewinnen. Zosimus, der die
Bedeutimg des an ihn ergehenden Rufes wohl zu würdigen
verstand, sprach dem Bischof von Arles als Metropolitangebiet
nicht nur die Provinz Vienne, sondern auch noch die beiden
Narbonner Provinzen zu 2 und erkannte ausserdem das Recht
des Bisthums Arles auf zwei Pfarreien an, welche von dem
engeren geschlossenen Metropolitangebiet entlegen waren. Diese
der Eigenschaft Arles' als Provinzhauptstadt entsprechenden
Zugeständnisse wurden aber noch weiter getrieben, indem Arles
auch als Hauptort des ganzen gallischen Landes zu seiner
Rechnung kam. Zosimus räumte dem Bischof das Recht ein,
jeden gallischen Geistlichen für eine grössere Reise mit der
erforderlichen Ausweisbescheinigung zu versehen und alle kirch-
lichen Streitigkeiten zu entscheiden, wofern nicht ihre Bedeutung
das Urtheil des römischen Bischofs erheische. Alle diese Be-
fugnisse waren nicht etwa nur dem Patroclus persönlich, sondern
der Arier Kirche gewährt; denn der Papst begründete seine
Verfügung mit der von ihm anerkannten Trophimus- Legende:
er führte die Vorrechte des Bisthums auf seinen ersten Bischof
zurück, welcher im Auftrage des apostolischen Stuhles das
ganze gallische Land dem Christenthum gewonnen habe^, stellte
1) 'Si placet memoratarum urbium episcopis' heisst es im zweiten
Canon (vgl. N. A. XIV, 329 Anm. 2); dass die Synode sich um ein
Urtheil herumdrückte, geht auch aus der unklaren Bestimmung 'Nachbar-
städte' hervor, mit welcher jede der Parteien sich zufrieden geben sollte.
2) Wenn auch das Vorgehen des Papstes gegen die Canones zu Verstössen
scheint ('Per unamquamque provinciam ius metropolitanos singulos habere
debere, nee cuiquam duas esse subiectas' J.-K. 362; vgl. auch Conc. Nicaen.
c. 6: Mansi II, 671), so kann doch geltend gemacht werden, dass jedenfalls
die zweite Narbonner Provinz, welche noch im Jahre 401 von der Turiner
Synode dem Bischof Proculus von Marseille, einem Bisöhof einer anderen
politischen Provinz, zugesprochen werden konnte (Mansi III, 860), im
fünften und sechsten Jahrhundert als Kirchenprovinz nicht selbständig
gewesen ist (vgl. N. Ä. XIV, 332 Anm. 2). 3) Es heisst in J.-K. 328:
'metropolytane Arelateusium urbi vetus Privilegium minime derogandum
est, ad quam primum ex ac sedes Trophymus summns antestis, ex cuius
fönte tote Galliae fidei rivolos acciperunt, directus est'. Auf Grund dieser
238 Wilhelm Gundlach.
also für Arles einen ähnlichen rechtsbegründenden Heros auf, wie
ihn Rom in dem heiligen Petrus besass'. So klug berechnet
diese Freigebigkeit des Papstes auch war — denn die Bischöfe
von Arles konnten keinen Fussbreit Landes ihrem Primate
erkcämpfen, ohne zugleich für Rom thätig zu sein — , so war
doch die Erfindung des göttlichen Rechts für die neue Ein-
richtung eine um des päpstUchen Vortheils willen bedenkliche
Beigabe, weil, darauf gestützt, thatkräftige Bischöfe von Arles
um die Geneigtheit des jeweiligen Papstes sich kaum mehr zu
kümmern brauchten.
Ob deshalb der Nachfolger des Zosimus, Bonifatius L,
Erfolg hatte, als er seine Arles begünstigende Hahung* aufgab
und das Recht des Hilariiis von Narbonne, in der ersten Nar-
bonnei' Provinz die Bischöfe zu ordinieren, anerkannte — er
verurtheilte die von dem Bischof von Arles in Lodeve vor-
genommene Weilie (J.-K. 362: 422 Febr. 9) — , ob Coelestin I.
gegen die ungewöhnliche MetropoHtangewalt des Bisthums
Arles 3 durchdrang, als er die Bestimmung des Concilium Ni-
caenum erneuerte, dass in jeder Provinz nur der eingesessene
Metropolit schalten solle ('Sit concessis sibi contentus unus-
quisque limitibus; alter in alterius provincia nihil praesumat'
J,-K. 369: 428 Juli 26)*, muss um so mehr bezweifelt werden.
Fiction kann Zosimus davon reden, dass der Bischof von Arles die drei
Provinzen, 'siouti sem per habuit' (rechtlich), 'ad pontificium suum revocet'
(thatsJlchlicb); darum muss auch der Bischof Hilarius von Narbonne seine
MetropoHtangewalt von dem apostolischen Stuhle 'subrepticie' erhalten
haben (J.-K. 332) und das an die Turiner Synode gerichtete Ansinnen
der Bischöfe Proculus und Simplicius, ihnen in der zweiten Narbonuer
bez. der Vienner Provinz Metropolitanbefugnisse zu übertragen, 'indecens
ausus et in ipso vestibulo resecandus' (J.-K. 334) genannt werden.
1) Die Litteratur über den heiligen Trophimus verzeichnet Loening I,
469 Anm. 1. 2) Der Papst verordnet (J.-K. 349: 419 Juni 13), dass
über Maximus von Valence Patroclus (als Vorsitzender) und die übrigen
gallischen Bischöfe Gericht halten sollen. 3) Der Papst bezieht sich
ausdrücklich auf die Entscheidung des Bonifatius: 'ut decessoris nostri
data ad Narbonensem episcopum continent constituta'. 4) An sich will
eine derartige Verfügung nicht viel besagen; denn gerade durch die Be-
günstigung des einen Bischofs konnte die Begehrlichkeit der andern so
gereizt werden, dass eine Erinnerung an die Schranken des Rechts an-
gebracht war; so sagt Zosimus, nachdem er dem Bisthum Arles in der
Magna charta so viel gewährt hat: 'Omnes sane admonemus, ut quique
finibus territoriisque suis contenti sint; ham barbara et impia ista confusio
est, aliena praesumere'. Wie es aber auch darum stehen mag, Loening
geht entschieden zu weit, indem er die Verfügung sofort mit ihrer Aus-
führung gleichsetzt und, ohne zu beachten, dass die Primatialgerechtigkeit
des Bisthums Arles gar nicht von Bonifatius und Coelestin angetastet
worden war, (I, 472) urtheilt: 'Von einer kirchlichen Obergewalt des
Bischofs von Arles über die südgallischen Provinzen war nicht mehr die
Rede, die Selbständigkeit einer jeden Provinz anerkannt'.
Arles und Vienne. 239
als der im Jahre 429 zum Bischof von Arles erhobene Hilarius
die seinem Bisthum zustehenden Rechte in weitestem Umfange
selbst gegen den apostolischen Stuhl in Anspruch nahm und
behauptete.
Es ist unschwer zu erkennen, wie der Zusammenstoss
zwischen Bischof und Papst herbeigeführt wurde. Kraft jener
Vollmacht, welche dem Bischof von Arles durch Zosimus
ertheilt worden war: der kirchlichen Händel der gallischen
GeistHchkeit zu warten i, nahm sich Hilarius der gegen Celi-
donius — Besancon wird als seine Stadt bezeichnet — laut
gewordenen Beschuldigungen an. Da es sich herausstellte,
dass der Verklagte in der That eine Wittwe geheirathet und
vor seinem Eintritt in den geistHchen Stand als Staatsbeamter
Todesurtheile gefällt hatte 2 — schon jeder einzelne der beiden
Makel genügte, ihn als Bischof unmöglich zu machen — , so
ward er seiner Würde entkleidet. Celidonius eilte nach Rom.
Hilarius folgte ihm, aber nicht um den Papst — Leo der
Grosse sass damals auf dem Stuhle Petri — als Schiedsrichter
z-waschen sich und Celidonius anzunehmen, sondern mit dem
unverhohlenen Verlangen, bei dem Papste mit seinem befugten
Vorgehen einen Rückhalt zu finden S; er bestand hartnäckig
auf seinem Schein, dem ihm durch die Magna charta der Arier
Kirche verbrieften Rechte, wie sehr man ihm auch zusetzen
mochte, und als ihm der böse Wille des päpstlichen Anhangs
fühlbar nahe trat, machte er sich wieder auf und davon*.
Wenn auch die Rechtmässigkeit des gegen Celidonius ein-
geschlagenen Verfahrens dem Bischof von Arles nicht bestritten
werden kann, so ging er doch darin zu weit, dass er die ober-
richterliche Befugnis verneinte, Avelche auch Zosimus bei 'magnae
causae' dem apostolischen Stuhle vorbehalten hatte. Wenn Leo
hier eingesetzt hätte, so wäre es ihm möglich gewesen, bei
1) 'Ad cuius — des Bischofs von Arles — notitiam, si quid illic
— von 'totae Galliae' ist vorher die Rede gewesen — negotiorum emer-
serit, referri censemus, nisi magnitudo causae etiam nostrum requirat
examen': J. -K. 328. 2) 'Celidonium internuptam suo adhibuisse con-
sortio . . . saeculi administratione perfunctum capitali aliquos condem-
nasse sententia' (Vita Hilarii c. XVI: Leonis opp. II, 332). 3) Er
erklärte ihm: 'se ad offieia, non ad causam venisse, protestandi ordine
non accusaudi quae sunt acta suggerere; porro autem, si aliud velit,
se non futurum esse molestum': Leonis opp. II, 333. 4) Nur
so ist der zusammenfassende Bericht der Vita Hilarii zu verstehen: 'quod
solus tantos sustinuit, quod nequaquam minantes expavit, quod inquirentes
edocuit, quod altercantes vicit, quod potentibus non cessit, quod in dis-
crimine vitae positus communioni eins, quem cum tantis viris daranaverat,
coniungi nullatenus acquievit, quod, custodibus appositis, hiemis rigore
saeviente , quos ratione non flexerat, credidit relinquendos': Leonis
opp. II, 333.
240 Wilhelm Gundlach.
auch noch so schroffem Auftreten den Rechtsboden nicht zu
verlassen; so aber verlor ihn auch der Papst unter seinen
Füssen. Ohne Zweifel gereizt dui'ch die rücksichtslose Art,
in welcher der Bischof von Arles jedes Einspruchsrecht Roms
abwies > , stellte Leo seinerseits jedes Recht des Hilarius in
Abrede, indem er behauptete, die jetzt noch von Hilarius be-
rufenen Rechte seien seiner Zeit dem Patroclus von Arles nur
auf Lebenszeit zuerkannt und später auch ausdrücklich dem
Bisthum Arles aberkannt Avorden ^. Dessenungeachtet will der
Papst in seinem Briefe an die Bischöfe der Provinz Vienne
den Anschein erwecken — was mit dem Berichte der Vita
Hilarii unvereinbar ist — , als hätte noch ein gesetzmässiges
Verfahren stattgefunden: Hilarius hätte nichts Stichhaltiges
für sich vorbringen können^, Celidonius aber 'manifesta testium
responsione' nachgewiesen, dass er nicht der Gatte einer Wittwe,
also zu Unrecht seiner bischöflichen Würde beraubt worden
sei ; darum sei er auch, so meldet Leo, in sein Bisthum wieder
eingesetzt worden. Aber der Papst hat noch einen anderen
Bischof gegen die Ueberp-iffe des Hilarius zu schützen: durch
eine Beschwerde der Bürger des Geschädigten unterrichtet,
behauptet Leo, Hilarius liätte dem nur erst erkrankten Bischof
Projectus schon einen Nachfolger geweiht; er maclit dem Hi-
larius im Anschluss hieran überhaupt zum Vorwurf, dass er
mit einem bewaffneten Gefolge in unanständiger Schnelligkeit
entlegene Provinzen durchziehe, plötzlich erscheine, um Bischöfe
zu weihen, und die Geweihten selbst mit Gewalt in ihre Bischof-
städte einführe, dass er also die den Metropoliten zustehende
Befugnis in ganz Gallien sich anmasse. Leo steuert diesem
Unwesen, indem er in jenem Einzelfalle dem Projectus A^deder
seine Würde verbürgt, seinen von Hilarius geweihten Neben-
buhler aber verstösst, indem er weiter die Machts^ollkommen-
heit jedes Metropoliten in seiner Provinz wieder herstellt und
den Hilarius jeglichen Rechtes, Synoden zu halten und zu
1) Leo führt in dem Briefe an die Bischöfe der Provinz Vienne
(J. -K. 407) an, Hilarius habe gefrevelt, 'ipsius quoque beatissimi Petri
reverentiam verbis arrogantioribus minuendo'; er betheuert:
'Doluimus , fateor, fratres, et hunc eius mentis tumorem medelis
patientiae nostrae curare tentavimus ; nolebamus etenim ea illi exacerbare
vulnera, quae suae animae insolentibus subinde serraonibus in-
fligrebat'. 2) 'Id, quod nullus decessorum ipsius ante Patroclum habuit,
quid usurpat; cum et ipsum, quod Patroclo a sede apostolica temporaliter
videbatur esse concessum, postmodum sit sententia meliore sublatum?'
Mit der 'sententia melior' dürfte Leo nur die oben besprochenen Ver-
fügungen der Päpste Bonifatius und Coelestin meinen, die aber allein die
Metropolitaubefugnis, die Ordinierung der Bischöfe, in der ersten Nar-
bonner Provinz betreifen. 3) 'Hilarius rationabile, quod in sanctorum
coucilio sacerdotum posset respondere, non habuit'.
Arles und Vienne. 241
Gericht zu sitzen, in anderen Provinzen beraubt, ihm auch
nicht einmal in seiner eigenen irgend einen Bischof zu weihen
mehr gestattet.
Wer sich nun auch über den Zwiespalt hinwegsetzen möchte,
in welchem das Vorgeben Leo's, ordentliches Gericht gehalten zu
haben, mit der entschiedenen Ablehnung des Hilarius, zum An-
kläger sich herzugeben, steht, der wird doch billig daran Anstoss
nehmen müssen, dass der Papst von den beiden gegen Celido-
nius erhobenen Vorwürfen den einen gar nicht erwähnt und den
andern lediglich auf Grund einer parteiischen Aussage — denn
die Zeugen waren ohne Zweifel von CeHdonius nach Rom mit-
gebracht — als unzutreffend bezeichnet. Und was die Pro-
jectus - Angelegenheit anlangt, so liegt auch hier, mag immer-
hin Hilarius durch unangemessene Hast sich vergangen haben,
das Uncanonische eines Verfahrens klar zu Tage, welches auf
eine schi-iftliche Anzeige liin angestellt und gegen einen Ab-
wesenden durchgeführt wird^. Wie also im einzelnen das
Vorgehen des Papstes ein unbefugtes genannt werden muss,
so ist auch seine ganze Auffassung der Von-echte des Bisthums
Arles unhaltbar und die durch diese Auffassung bedingte Ent-
scheidung gegen Hilarius hinfällig 2.
Leo selber mochte sich nicht viel von der auf die Ge-
rechtigkeit sich gründenden Kraft seiner Verfügung ver-
sprechen — auf diesen Gedanken kommt man, wenn man ihn
alsbald die welthche Gewalt für seine Zwecke in Bewegung
setzen sieht. Er erwirkte von den Kaisern Theodosius H.
und Valentinian IH. einen Erlass, welcher dem Präfect Aetius
die Durchführung der Anordnungen Roms, insbesondere —
nach päpstlichem Antrage, welcher um^iderleglich die Ohn-
macht des apostolischen Stuhles bezeugt — darauf zu halten
aufgab, 'ut, quisquis episcoporum ad iudicium Romani anti-
stitis evocatus venire neglexerit, per moderatorem eiusdem pro-
vinciae adesse cogatur'.
1) Leo sagt zwar erst: 'Quid hie fraternitas vestra sentiat, eupe-
remus audire', aber er fährt sogleich fort: 'quamquam de vestris aniinis
nostra non debeat sententia dubitare', und sagt dann geradezu: 'Nos . . .
et male ordinatum subraoveri et episcopum Proieetum in suo sacerdotio
permanere debere decrevimus'. Die auf Hilarius bezüglichen Worte
Leo's: 'Cum quaerei-etur ad causam, turpi fuga se credidit subtrahendum'
glaube ich nur auf den Projectus-Fall beziehen zu sollen. 2) Gegen
die Rechtmässigkeit der von Leo ergehenden Verfügung hat schon Perthel
(Papst Leo's I. Streit mit dem Bischof von Arles: Illgen, Zeitschrift f.
d. bist. Theologie 1843, II, 32. 34) Bedenken erhoben; indessen kann
die viel besprochene Aeusserung Leo's: 'Mansisset namque in illum —
den Celidonius — prolata sententia, si obiectorum veritas extitisset' unmög-
lich als eine bedingte Anerkennuner des von Hilarius beanspruchten Rechts
angesehen werden ; vgl. Loening I, 482 Anm. 2.
242 Wilhelm Gundlach.
Aber selbst das Einsehreiten der kaiserlichen Gewalt ver-
mochte nicht den Trotz des Bischofs von Arles zu beugen;
zwar hat man das behauptet und dafür auf die Angabe der
Vita Hilarii sich berufen i : 'totum se ad placandum tunc ani-
mum sancti Leonis inclinata humilitate convertit'^; aber wenn
wirklich Hilarius sich bedingungslos unterwerfen wollte, wozu
brauchte es dann zweier Gesandtschaften, von welchen wir
hören 3 1 konnte das nicht schon durch die erste erreicht werden?
Und was muss man vollends von der Unterwerfung des Hilarius
halten, wenn noch bei Gelegenheit der zAveiten Gesandtschaft*
der Präfect Auxiliaris an ihn schreiben konnte: 'Locutus sum
etiam cum sancto papa Leone. Hoc loco, credo, aliquantum
animo perhorrescis : sed cum propositi tui tenax sis et
semper aequalis nulloque commotionis feile rapiaris, sicut nullis
extolleris illecebris gaudiorum, ego nee minimum quidem factum
beatitudinis tuae arrogantiae raemini contagione fuscari. Sed
impatienter ferunt homines, si sie loquamur, quomodo nobis
conscii sumus. Aures praeterea Romanorum qnadam teneri-
tudine plus trahuntur: in quam si se sanctitas tua sub-
i n d e d e m i 1 1 a t , p 1 u r i m u m tu, nihil p e r d i t u r u s , a c-
quiris'. Ich glaube danach das 'placare animum sancti Leonis',
was dem Hilarius nachgesagt wird , nicht anders deuten zu
können, als dass der Bischof die Anerkennung, welche er
früher nicht hatte ertrotzen können, nun in Güte zu erreichen
hoffte, dass er aber, von seinem Recht durchdrungen, selbst
bei diesen Unterhandlungen nicht eben rücksichtsvoll zu
AVerke ging.
Niemals mit dem starrköpfigen Hilarius, sondern erst mit
seinem gefügigen Nachfolger Ravennius ist ein Abkommen er-
zielt worden, welches den Papst wie den Bischof befriedigen
konnte ; und zwar ging der Anstoss dazu von neunzehn
Suffraganbischöfen des kürzlich verstorbenen von Rom so
schwer getroffenen Hilarius aus. Es musste den eigenwilligen
Papst sonderbar berühren, eine so grosse Zahl gallischer Bi-
schöfe sich offen zu der von Zosimus aufgenommenen Tro-
phimus -Legende bekennen und als recht und billig fordern
zu hören, dass, Avie der apostolische Stuhl kraft des heiligen
Petrus über alle Kirchen die Obmacht in Anspruch nehme, so
auch die Arier Kirche um des heiligen Trophimus willen den
1) So Loening (I, 488 Anm. l) gegen Hiuschius (I, 589), welcher
ohue Zweifel Recht hat. 2) Leonis opp. II, 334. 3) 'Misit primitus
sanctnm Ravennium tunc presbyterum, postmodum proprium successorem,
deinde sanctum Nectarium sanctumque Constantium praecipuos sacer-
dotes': Leonis opp. II, 334. 4) 'Sanctos Nectarium et Constantium
sacerdotes de beatitudinis tuae parte venientes digna admiratione suscepi'
heis.st es im Anfang des Briefes: Leonis opp. II, 334.
Arles und Vicnne. 243
Vorrang in den gallischen Landen wieder erhalte, welcher ihr
jetzt von dem ßisthum Vienne verkümmert werde. Der
Bescheid, welchen Leo auf diese Bitte ertheilte, macht ganz
den Eindruck, als sei dem Papste die Gelegenheit willkommen
gewesen, das einst Arles angethane Unrecht, so weit er sich
für sein Ansehen davon keinen Schaden versjDrach, Avieder gut
zu machen. Er will sich zwar mit der Erkenntnis salvieren,
dass eigentHch die gleiche Bedeutung Vienne und Arles zu-
komme i; er bedauert dabei aber beinahe, Vienne begünstigt
zu haben; denn nur um sich nicht mit sich selbst in Wider-
spruch zu bringen, seine einst zu Grünsten des ßisthums Vienne
erlassene Urkunde nicht ganz ausser Kraft zu setzen 2 , findet
er den Bischof von Vienne mit vier Suffraganstühlen ab : alle
übrigen der Provinz — und das war der Löwenantheil , weil
auch die Provinzen Narbonensis II. und Alpes Maritimae dazu
gehörten* — wurden dem Bischof von Arles als Metropolitan-
gebiet überwiesen. Von der Primatialge walt ist in dieser
Urkunde nicht die Rede; aber stillschweigend hat Leo auch
sie dem Bischof von Arles wieder zugebilligt*.
So imverrückbar seit dieser Zeit die Grenzen sind, in
welchen der Arier Bischof die Metropolitanhoheit auszuüben
hat, so veränderlich ist das Gebiet, in welchem sein Primat
zm- Geltung kommen soll*; aber bei diesen durch staatliche
Wandelungen bedingten Schwankungen ist doch soviel zu er-
kennen, dass während des fünften und sechsten Jahrhunderts
von aUen gallischen Bischöfen nur der von Arles der ständige
Vertrauensmann des Papstes ist, dass allein die Inhaber des
Bisthums Arles mit der Vertretung Roms den gaUischen Bi-
schöfen gegenüber 6 und, nachdem der zum Christenthum be-
1) Die Stelle habe ich schon N. A. XIV, 263 Anm. 5 beigebracht.
2) 'Viennensem civitatem . . . inhonoratam penitus esse non patimur,
praesertim cum de receptione privileg-ii auctoritate iam nostrae dispositionis
utatur, qua potestatem Helario episcopo ablatam Viennensi episcopo
eredidemus depotandam': J.-.K. 450. 3) Vgl. N. A. XIV, 332 Anm. 2.
4) Vgl. N. A. XIV, 264. 5) Die genaueren Angaben findet man in
der Einleitung: N. A. XIV, 264 — 272. 6) Die Behauptung Loening's
(II, 79) : 'Der Bischof von Arles führte trotz des päpstlichen Vicariates
und gallischen Primates doch auf den fränkischen Nationalconcilien nicht
den Vorsitz, selbst wenn er persönlich anwesend war', habe ich schon
(N. A. XIV, 331 — 342) allgemein als unstatthaft dargethan. Um hier
auch auf Einzelheiten einzugehen, so beruht die Annahme, ein anderer
Bischof als der von Arles habe auf den Synoden zu Orle'ans (V, 549)
und Paris (IV, 573) den Vorsitz gehabt, auf verderbter Ueberlieferung.
Weiter ist der Einwurf Loening's, welcher in Paris im Jahre 553 den
Bischof von Arles die Geschäfte leiten sieht: 'Im Jahre 553 hatte Sapaudus
von dem Papste den Vicariat noch nicht erhalten, der ihm erst 557
übertragen wurde', auf eine unrichtige Grundauffassung des Arier Primates
zurückzuführen; denn der Primat stand, wie ich oben ausgeführt habe,
244 Wilhelm Gundlach.
kehrte Chlodovech i und seine Söhne das gallische Land er-
obert hatten, auch den merowingischen Königen gegenüber
betraut worden sind. Die Mannhaftigkeit, mit welcher hinfort
dem Bisthum Arles schon um des heilig'en Trophimus willen zn, seines
Bepfründers, der das Christenthum in Gallien heimisch gemacht hatte: es
bedurfte also, nachdem diese Theorie einmal von Rom aus anerkannt
war, gar keiner besonderen Uebertragung mehr. Endlich ist die Deutung,
welche der Vorsitz des Sapaudus auf der SjTiode zu Valence (II, 584)
erfährt: 'Valence lag an der Grenze des Metropolitansprengeis von Arles'
unhaltbar, weil bei diesem Grundsatz der auf der Synode anwesende
Bischof von Lyon ungefähr dasselbe Recht wie Sapaudus gehabt hätte, und
vollends Evantius von Vienne, der auch zugegen war, als Metropolit des
Bisthnms Valence, doch wohl am meisten berufen gewesen wäre. Wenn
dann Loening die Ausführung, dass der Arier Primas thatsächlich ohne
Macht gewesen sei, vervollständigt durch die Behauptung (S. 81), er habe
von der Befugnis, die Bischöfe des ihm unterstellten Bereiches zu Synoden
zu berufen, keinen Gehrauch gemacht, oder doch diejenigen Synoden,
welche er leitete, nicht berufen, so ist dagegen geltend zu machen, dass
die zweite in Arles gehaltene Synode ausdrücklich das Berufungsrecht
des Bischofs von Arles anerkennt ('Ad Arelatensis episcopi arbitrium
synodus congreganda'), wie ich oben (N. A. XIV, 334) genauer ausein-
andergesetzt habe, dass auch das Schweigen, welches in den Synodal-
acten zuweilen über den Urheber der Versammlung beobachtet wird, noch
nicht zu der Folgerung Loening's berechtigt, sondern eher durch die auf
der Synode zu Orange (I, 441) getroffene Verabredung (Mansi VI, 440)
erklärt wird — und zwar ist zu beachten, dass dieses Uebereinkommen nur
mit Bewillienng des Vorsitzenden, des Bischofs Hilarius von Arles, hat
zu Stande kommen können — : 'ut nullus conventus sine alterius con-
ventus deiiuntiatione solvatur; itaque soquenti anno . . . die decimo
quinto Kalendas Novembres Luciano — 'lustiano' bez. 'lustiniano' bieten
die beiden von mir benutzten Codices Philippsiani — in Arausico terri-
torio conventum habebimus', wonach also eine Berufung gar nicht mehr
nöthig war; dass es schliesslich unbilli£r ist, die von den Landesherren
berufenen Synoden (Paris 11, Valence II) gegen den Arier Primat vor-
zubringen, weil nicht immer das Primatgebiet genau durch die Landes-
grenzen umschrieben wurde, dass schon unter diesem Gesichtspunkt der
dem Bischof von Arles nicht streitig gemachte Vorsitz auf solchen Synoden
genugsam für die Wirksamkeit des Primates zeugt. Um die dem Bischof
von Arles ertheilte Vollmacht, Streitigkeiten der Bischöfe unter einander
zu schlichten, als eine wirkungslose hinzustellen, bezieht sich Loening
ferner auf die zweite Synode zu Lyon, 'welche unter dem Vorsitz des
Bischofs von Vienne im Jahre 567 stattfand und der nur Bischöfe bei-
wohnten aus dem Vicariatsbezirke', die aber trotzdem bestimmte, 'dass Strei-
tigkeiten von Bischöfen, die derselben Provinz angehören, von der Provinzial-
synode entschieden werden sollen, Streitigkeiten von Bischöfen aber, die
verschiedenen Provinzen angehören , gemeinschaftlich von den beider-
seitigen Metropoliten'. Ohne darauf einen besonderen Werth zu legen,
dass die Synode von dem natürlichen Gegner des Bischofs von A\^es
bestimmt wird, verweise ich auf die Besprechung, welche diese Synode
schon oben (N. A. XTV, 342) erfahren hat: da der Zweifel statthaft ist,
ob Arles im Jahre 567 auch dem Landesherrn der auf der Synode an-
wesenden Bischöfe unterthan war, so habe ich zugegeben, dass wegen
Arlcs und Vienne. 245
die Arier Primaten der Versuchung widerstanden, in den
Balmen des Hilarius mit der eigenen Unabhängigkeit die Selb-
ständigkeit der gallieanischen Kirche anzustreben, der treue
ungünstiger staatlicher Gliederung des Landes der Primat zeitweise
matt gesetzt wurde, und damit schon den Schluss abgewiesen, dass es
stets sich so verhalten habe. Die dem Bischof von Arles aufgegebene
Berichterstattung über die Kirchen Galliens nach Rom lässt Loening zwar
gelten, bemängelt aber, was mir keineswegs durch die Verfügungen der
Päpste verboten scheint, 'dass auch andere Bischöfe unmittelbar mit
Anfragen sich an den Papst wenden konnten, der ohne Vermittelung
des Bischofs von Arles mit ihnen verkehrte'. Was die dem Primas zu-
stehende Ertheilung der Epistolae formatae angeht, so steift sich Loening
darauf, 'dass weder in den Canones der fränkischen Concilien , noch in
den Berichten über einzelne Reisen jemals erwähnt wird, dass die Er-
laubnis des Bischofs von Arles eingeholt werden müsse oder worden sei';
er macht sich also das 'argumentum ex silentio' zu Nutze, dem eine bün-
dige Kraft nicht beigemessen werden kann, und bezweifelt endlich, als
er mittheilen muss, dass der Papst sich für die Wahrung des besonderen
Gerichtsstandes seines Vicars bei dem Könige Childebert verwandt habe
(J. -K. 948), ob der Schritt des Papstes auch erfolgreich gewesen sei.
Das sind die Gründe, welche Loening zu der Ansicht vermocht haben,
dass die Primatialherrlichkeit des Bischofs von Arles im fünften und
sechsten Jahrhundert nicht anerkannt worden ist, — sie sind, das glaube
ich gezeigt zu haben, theils gegenstandslos, theils nicht so kräftig, dass
ein Schluss, wie ihn Loening gezogen hat, zulässig ist. 1) In der
Frage, wann Chlodovech zum Christenthum übergetreten ist, habe ich
mich auf Grund eines der austrasischen Briefe, welchem übrigens schon vor
mir eine ausführliche Erörterung in der Bibl. de l'ecole de chartes 1866,
11, 59 (vgl. auch Waitz, Verfassungsgesch. IP, i, 38 Anm. 2 und Loening
II, 7 Anm. 1) zu Theil geworden, zu der Auffassung bekannt (N. A.
XIII, 382), dass der Frankenkönig den bedeutungsvollen Schritt schon
vor der Eroberung Galliens gethan habe. Um dieser Auffassung Raum
zu schaffen, habe ich die bisher allgemein als richtig anerkannte Angabe
Gregor's (Hist. Franc. II, 31: 'Rex ergo prior poposcit se a pontifeci —
dem Bischof Remigius von Reims, also in Reims — baptizare') zu der
seines Zeitgenossen Nicetius von Trier (Ep. Austr. VIII: '(Hlodoveus) ad
domni Martini limina cecidit et baptizare se sine mora promisit' — wobei
das 'promisit' als 'permisit' aufzufassen ist; vgl. MG. Epp. III, 122 not. b)
in Gegensatz gebracht und die eine durch die andere bekämpft. Seitdem
habe ich erkannt, dass man diesen Widerspruch schon wohl empfunden
und zu beseitigen gestrebt hat, indem man annahm — Dubos (Hist. crit.
de l'etablissement de la monarchie fran?. 1735, II, 505) hat das auf-
gebracht und Junghans (Childerich und Chlodovech, 1857, S. 57) und
die Verfasser der Kirchengeschichten Deutschlands, Rettberg (I, 276),
Friedrich (II, 62) und Hauck (I, 108), haben es einer, vom andern über-
nommen — , dass ein Schreiber den ursprünglichen Wortlaut 'ad divae
Mariae limina', auf Reims bezüglich, zu 'ad d. M. limina' abgekürzt
und ein zweiter das in 'ad domni Martini limina' verlesen hätte. Nun,
man braucht sich nur wenig mit Handschriften abgegeben zu haben, um
zu wissen, dass ein vereinzeltes 'divae Mariae' niemals in 'd. M.' verkürzt,
dass ein einmaliges 'd. M.' niemals zu 'domni Martini' aufgelöst werden
kann. Der Widerspruch bleibt also bestehen. Ist mithin die Ablehnung
246 Wilhelm Gundlach.
Eifer, mit welchem sie dem apostolischen Stuhle dienten, ward
auch durch die Verleihung eines äusseren Ehrenzeichens an-
erkannt : die vier Bischöfe von Arles, welche in den Epistolae
Arelatenses des sechsten Jahrhunderts genannt werden: Caesa-
rius, Auxanius, Aurelianus ' und Sapaudus sind von ihren
päpstlichen Gönnern mit dem Pallium ausgestattet worden.
Wenngleich das nur als etwas Aeusserliches erscheinen
mag — dass das Pallium eine nicht zu unterschätzende Be-
deutung in der Primatfrage hat, zeigt das Verhalten Gregors
des Grossen 2,
beider Naclirichten, nach welchen der zu taufende Chlodovech der Herr
der Stadt Reims bez. Tours sein müsste, befugt, so dürfte die Triftigkeit
meiner Auffassung auch noch von anderer Seite wahrscheinlich zu machen
sein. Wir hören insbesondere von Gregor, aber von ihm nicht allein,
dass einige katholische Bischöfe im Reiche der arianischen Westgothen
und Burgunder in hochverrätherische Beziehungen zu Chlodovech traten
und ihm so die Eroberung des Landes wesentlich erleichterten; wir hören
davon in einer Weise, dass die Hinneigung zu dem fränkischen Eroberer
als eine allgemein verbreitete gelten muss (H, 23: 'Interea cum iam
terror Francorum resonaret in bis partibus et omnes eos araore deside-
rabili cupirent regnare'; II, 35: 'Multi iam tunc ex Galliis habere
Francos dominos summo desiderio cupiebant'). Daran ist gewiss nichts
Aufrälliges, wenn man sich Chlodovech als christlich- katholischen König
denkt; aber ungereimt dürfte es doch sein, den gallischen Bischöfen eine
Parteinahme, bei welcher sie Leib und Leben aufs Spiel setzten, für
einen heidnischen König anzudichten. Das aber wäre mindestens bei
einer Gelegenheit der Fall. Gregor erzählt im Anschluss an die oben
angezogenen Worte, nach welchen der Wunsch nach der Frankenherr-
Bchaft allgemein war (II, 23), dass dem Bischof Aprunculus von Langres
die Burgunden nach dem Leben standen: 'Quo ad cum perlato nuntio,
nocte a castro Divionensi per murum demissus, Arvernus advenit ibique
iuxta verbum Domini, quod posuit in ore sancti Sidonii, undecimus datur
episcopus'. Da nun Gott sein Wort nur dem lebendigen Sidonius in den
Mund gelegt haben wird, Sidonius aber bald nach 484 gestorben ist
(Wattenbach, Geschichtsq. I^, 85), so müsste die allgemeine Anhänglich-
keit, welcher Aprunculus zum Opfer fällt, dem heidnischen Chlodovech,
der nach der herkömmlichen Angabe erst 496 Christ wurde, gegolten
haben. Im übrigen dürfte, selbst wenn man dem Eroberer Galliens auch
keinen weiten staatsmännischen Blick, sondern nur den Instinct barbari-
scher, erst mit dem Ganzen zu sättigender Habgier beilegt, ihm von
vorn herein klar gewesen sein, dass erst durch seinen Uebertritt zum
Katholicismus seine Eroberung den einflussreichen Bischöfen des Landes
annehmbar und, soweit sie unter arianischer Herrschaft standen, erstre-
benswerth wurde. 1) Wenn Nicolaus I. daran erinnert (vgl. N. A.
XIV, 270), dass auch das fünfte ökumenische Concil den Arier Primat
anerkannt habe, so muss ich gestehen, etwas Derartiges in den Acten
nicht gefunden zu haben; ich mache indessen darauf aufmerksam, dass
die Acten in griechischer Fassung verloren gegangen sind, gegen die
uns erhaltenen lateinischen aber schon der Vorwurf der Unechtheit und
UnvoUständigkeit erhoben worden ist; vgl. v. Hefele Conciliengesch. II',
855—863. 2) Ueber das Pallium spricht Hinschius II, 25. 26.
Arles und Vienne. 247
Es ist zuvörderst daran zu erinnern, dass Symmaclius,
der erste Papst, welcher einem Bischof von Arles die An-
legung des Palliums gestattet hat, in der von ihm eigenhändig
geschriebenen Ankündigung ausdrücklich bemerkt, dass in
ganz GaUien keinem andern Bischof die nämliche Vergünsti-
gung zu Theil werden solle K Den auf dieser Beschränkung
beruhenden Werth haben auch die auf Symmachus folgenden
Päpste gewahrt, welche in die Lage kamen, einem Bischof
von Arles das Pallium zu ertheilen: Vigihus und Pelagius I.;
jedenfalls ist nicht nachzuweisen, dass noch irgend ein anderer
Bischof des Landes der beregten Auszeichnung theilhaftig ge-
worden ist. Wird nun auch gerade von Gregor dem Grossen
die Regel durchbrochen, so ist doch an der Art, wie es ge-
schieht, zu erkennen, dass eine besondere Ausnahme gemacht,
also die Regel auch von ihm beobachtet wird.
Nachdem er im Jahre 595 dem Bischof Vergilius von
Arles * mit dem Vicariat des apostoHschen Stuliles auch den
Gebrauch des Palliums zugesprochen hatte ^, ward er von dem
Verlangen der Königin Brunhilde überrascht, ihrem Günst-
ling*, dem Bischof Syagrius von Autun — einem einfachen
Bischof — das Pallium zu verleihen 5. Obgleich etwas nach
abendländischem Brauche Unerhörtes dem Papste angesonnen
wurde, glaubte er doch nicht ohne Schädigung der lürche die
Bitte der Königin ablehnen zu dürfen; er bedang sich aus,
1) J.-K. 764: 'Caritati tuae tantummodo per omnes GalH-
canas regiones uteudi pallei concessimus facultatem'. 2) Ob auch
Licerius, der Nachfolger des Sapaudus und Vorfahr des Vergilius im Bis-
thuin mit dem Vicariat und seinem Wahrzeichen, dem Pallium, bewidmet
worden ist, davon ist keine Kunde auf uns gekommen. Nicht unmöglich
wäre es, dass Licerius, welcher nur von 586 bis 588 das Bisthum inne-
gehabt hat, verstorben ist, ehe es zu einer förmlichen Uebertragung kam;
denn z. B. Vigilius erklärt (J.-K. 912: 543 October 18) auf die Bewer-
bung des Auxanius um das Pallium, dass erst der Kaiser darum befragt
werden müsse ('De his vero, quae Caritas vestra tarn de usu pallei quam
de aliis sibi a nobis petiit debere concedi, libenti hoc animo etiam in
praesenti facere sine dilatione potuimus, nisi cum christianissimi domni,
filii nostri, imperatoris hoc, sicut ratio postulat, voluissemus perficere,
Deo auctore, notitia'), und erst nachdem über 18 Monate darüber hin-
gegangen sind (545 Mai 22: J.-K. 913), bewilligt er ihm in aller Form
den erbetenen Schmuck. Ueber den bisher noch immer nicht genügend
geklärten Rechtsgrund, kraft dessen der Kaiser bei der Verleihung des
Palliums angegangen werden musste, s. Loening II, 92—94. 3) J.-E.
1374: 'iuxta antiquum morem' hatte der Bisehof von Arles beides in
Anspruch genommen, und Gregor willfahrt ihm mit der Erklärung: 'ne . . .
vobis quicquam de debito honore subtrahere . . . videamur'; aber er
zuerst fügt die Beschränkung hinzu: 'quo (pallio) fraternitas tua intra
ecclesiam ad sola missarum sollemnia utatur'. 4) 'vestrum proprium'
nennt ihn Gregor Brunhilde gegenüber J.-E. 1743; vgl. Loening II, 90.
5) J.-E. 1491 : 597 Sept.
248 Wilhelm Gundlach.
dass eine Synode zur Bekämpfung der Simonie unter Leitung
des Bischofs von Autun stattfinden sollte ', und machte sich
sofort den Einfluss des Syagrius zu Nutze, indem er von ihm
verlangte, die Austreibung zweier nach Gallien geflüchteter
Bischöfe Italiens ^ und die Befriedigung des Bischofs von Turin,
dessen Sprengel um einige Pfarreien widerrechtlich geschmälert
worden war«, bei seiner Beschützerin auszmvnken; er fand
dann in dem Eifer, den der Bischof von Autun angeblich an
den Tag gelegt, die Verkündigung des Evangeliums im Angeln-
lande zu unterstützen*, einen schicldichen Vorwand, ihn mit
dem gewünschten Pallium auszustatten, Hess es aber dann bei
diesem äusserlichen Schmuckstück noch nicht bewenden, son-
dern verfügte — und das ist bezeichnend für die Bedeutung,
welche das Pallium in den Augen Gregors hatte — , dass der
Bischof von Autun nach seinem Metropohten vor allen übrigen
einfachen Bischöfen der Provinz auf den Synoden seinen Sitz
haben und seine Unterschrift abgeben sollte *.
Dass Gregor nicht leichtfertig bei der Vergabung der in
dem Palhum bestehenden Auszeichnung war, ist Aveiterhin aus
der Ablehnung ersichtlich, welche Desiderius von Vienne er-
fuhr. Dieser Bischof trat mit dem Anspruch hervor, dass
seiner Kirche 'quaedam ohm privilegia' !von dem apostolischen
Stuhle gewährt Avorden seien, dass die Bischöfe von Vienne
auch des Gebrauches des Palliums sich erfreut hätten. Gregor
aber erwiderte ihm, dass er im Archive ohne Erfolg hätte
nachforschen lassen « und darum dem Bischof aufgeben müsse,
1) J.-E. 1743. 47. 48, 51: 599 Juli. 2) J.-E. 1752: 599 Juli.
3) J.-E. 1754: 599 Juli. 4) 'pro eo, quod se in ea praedicatione, quae
Anglorum geuti, auctore Domino, facta est, dovotum veliementer exhibuit':
J.-E. 1743. 5) 'ut, metropolitae suo per omnia loco et honore servato,
ecclesia civitatis Augustodunae, cui omnipotens Deus praeesse te voluit,
post Lugdunensem ecciesiam esse debeat et bune sibi locum ac ordinem
ex nostrae auctoritatis indulgentia vindicare': J.-E. 1751. Die einem
Bischof widerfahrene Auszeicbnung wurde aber nicht allen seinen Nach-
folgern zu Theil; denn Leo IV. lehnt die Verleihung des Palliums an
Alteus von Autun, für welchen Kaiser Lothar sich verwandt hatte, mit
der Begründung ab, 'quoniara, quod ab ipso sanctissimo papa Gregorio,
usque ad haec tempora nostra factum minime recordamur, facere non
potuimus': J.-E. 2603, und erst wieder Johann VIII. gewährt dem Adal-
garius auf die Fürsprache Karls des Kahlen den erwünschten Schmuck
(J.-E. 3063). Die ausnahmsweise und gelegentlich erfolgte Bevorzugung
eines Bischofs von Autun hat ohne Zweifel jene Ansprüche gezeitigt,
welche in der oben S. 85 Anm. 3 mitgetheilten Fälschung zum Ausdruck
kommen; dass man den Brief auf den Namen des Silvester fälschte, hat
seinen Grund wohl darin, dass der zeitgenössische Bischof von Autun,
Reticius, unter den iudices erscheint, welche Constantin in der Donatisten-
Angelegenheit ernannt hat; vgl. oben S. 236 Anm. 1. 6) Dieser Be-
scheid beweist, die Vollständigkeit des päpstlichen Archives vorausgesetzt.
Arles und Vienne. 249
die Beweisstücke, die in seiner Kirche verwahrt würden, ihm
zu unterbreiten ».
Um jeden Zweifel daran auszuschliessen, dass er trotz der
Aufträge, die er gelegentlich dem Bischof von Autun ertheilt
hatte, trotz der umfassenden Vollmacht, mit welcher er den
Augustin nach England sandte, die Rechte des Bisthums Arles
aufrecht erhalte, nahm er eine Anfrage Augustins zum Anlass
und grenzte genau seinen Machtbereich von dem des Bischofs
von Arles ab ^.
Unter diesen Umständen Avird man annehmen dürfen, dass
Bonifatius IV., welcher in die Fusstapfen Gregors des Grossen
trat, als er auf Verwendung der Könige Theudebert IL und
Theoderich IL dem Bischof Florian von Arles, dem Nach-
folger des Vergilius, im Jahre 613 'iuxta antiquam consuetu-
dinem' das Pallium ertheilte^, auch damit den Fortbestand der
Primatialrechte des Bisthums Arles anerkannt hat, zumal er
hinzufügte : 'privilegiorum tuorum scilicet integritate servata *.
Die Kundgebung des vierten Bonifatius zu Gunsten des
Arier Primates ist die letzte, welche einerseits mit anderen
päpstlichen Erlassen im Zusammenhange steht, andererseits
von der jüngsten für Arles zeugenden Synode, der von Valence
(II, 584), nicht allzuweit entfernt ist ^ ; dass mit Florian die
Primatialgewalt des Bisthums Arles zu Ende geht, nachdem
sie zwei volle Jahrhunderte in der gallicanischen Kirche wirk-
sam gewesen, dafür lassen sich zwei Gründe geltend machen.
Wenn es schon für jede Gewalt ein Unglück ist, keine
die Unechtheit der ersten neun vor dem Jahre 599 angeblich entstan-
denen Epistolae Viennenses. 1) 'Quod, quia vobis magnopere poscitis
reformari, in ecclesiae nostrae scrinio requiri fecimus, et inveniri nihil
potuit. Sed ... in requirendis cartis ecclesiae vestrae vigilantius curam
impendite et, si qua exinde scripta inveniri potuerint, quae nos valeant
informare, huc curae vestrae sit transmittere; nam qui nova concedimus,
vetera libentissime reparamus' (J.-E. 1749: 599 Juli). Mit einer ganz
ähnlichen Bitte behelligte Aetherius von Lyon bald danach (601 April-
Juni) den Papst, wofern die Gleichartigkeit der Abweisung dafür sprechen
kann: 'De eo vero, quod ecclesiae vestrae concedendum ex antiqua
consuetudine deposcitis, requiri in scrinio fecimus, et nihil inventum est.
Unde nobis epistolas ipsas, quas vos dicitis habere, transmittite, ut ex
eis, quid concedendum est, colligamus (J.-E. 1830). 2) J.-E. 1843;
vgl. N. A. XIV, 269 und 281 Anm. 1. 3) Loening ist, wie ich glaube,
mit Recht der Meinung (II, 76. 77), dass die Verwendung der fränki-
schen Könige bei den Päpsten, um den Bischöfen von Arles den Vicariat
übertragen zu lassen, in Wahrheit eine Genehmigung ist; die Folgerung
indessen aus der Florianus- Angelegenheit, 'dass seit dem Anfang des
siebenten Jahrhunderts die fränkischen Könige ihre Genehmigung zur
Ernennung eines päpstlichen Vicars nicht mehr ertheilt haben', kann ich
nicht zu der meinigen machen. 4) J.-E. 2001. 2002. 5) Ueber die
Unterschriften der fünften Pariser Synode (614) vgl. N. A. XIV, 338.
Neues Archiv etc. XV. 17
250 Wilhelm Gimdlaeli.
•Erfolge aufweisen zu können, so musste doppelt nachtheilig
für die bevorrechtete Stellung des Bisthums Arles ausschlagen,
dass der Nachfolger des Florian, Theodosius, durch seinen
Lebenswandel die öffentliche Missbilligung seiner Amtsbrüder
herausforderte. Seine Angelegenheit wurde auf der Synode in
Chälons-sur-Saöne verhandelt, zu welcher im Jahre 644* auf
Befehl König Chlodovechs IL achtunddreissig Bischöfe imd
sechs Stellvertreter unter dem Vorsitz des Bischofs Canderich
von Lyon zusammentraten. Da Theodosius sich der Verant-
wortung entzog, seine Vergehen aber zweifellos gemacht wer-
den konnten durch beglaubigte Schriftstücke, in welchen der
Bischof Busse gethan zu haben erklärte 2, so richtete die
Synode an ihn ein Schreiben des Inhalts, dass sie ihm die
bischöfliche Würde entzöge, bis er sich einer SjTiode zur
Verantwortung stellen würde'. Ob nun die versammelten
Bischöfe ihren Wahrspruch durchzuführen vermochten oder
nicht, darauf kommt nichts an ; in Theodosius war der Primat
der Bischöfe von Arles sogar am nachhaltigsten für den Fall
getroffen, dass Theodosius trotz der Synode in seiner Würde
sich behauptete-*.
Aber selbst für einen vorwurfsfreien Oberhirten, einen
thatkräftigen ]\Iann wäre es schwer, Avenn nicht unmöglich ge-
wesen, die Rechte seines Bisthums zii Avahren; denn das Jahr-
hundert, von der eben berührten Synode in Chälons an ge-
rechnet, das Zeitalter des Niederganges der Merowinger und
des Aufkommens der Karohnger ist für das Frankenreich eine
Zeit innerer Zersetzung und äusserer Gefahrdung namentlich
durch den ungestüm andrängenden Islam. Gerade das Nach-
barland des spanischen Sarazenenreiches, das südliche Gallien,
das will sagen, der engere ^Machtbereich des Arier Primates,
wurde von den Mohammedanern heimgesucht, Arles selbst noch
drei Jahre nach der Schlacht bei Toiu'S, dem Erlösung brin-
genden Siege Karls des Hammers, auf kurze Zeit von den
Arabern erobert. Es ist bei dieser Lage der Dinge begreif-
lich, dass ein Jahrhundert hindurch keine grösseren Synoden
stattfanden, auf welchen der Bischof von Arles seinen Vor-
1) Das Jahr steht nicht ganz fest; vgl. v. Hefele, Conciliengesch.
IIP, 92. 2) 'Multa adversus vos et de indecenti vita et de excessn
cauonum . . . pervulgata narrantur; nam et scripta, qualiter vos coustitit
poenitentiam fuisse professos, vestra manu vidimus et coiuprovincialium
vestrorutu manibus roborata': Mansi X, 1195. 3) Das Urtheil gründete
sich auf die canonische Vorschrift: 'Qui publice poenitentiam profitetur,
episcopalem cathedram nee tenere nee regere potest', welche zuerst von
der ersten in Toledo gehaltenen Synode (Mansi III, 998) erlassen, dann
öfter wiederholt worden ist. 4) Trichaud (Hist. d'Arles II, 164) spricht
von einer Urkunde, 'par laquelle il est prouve', que Th^odose fit comme
mctropolitain la visite de sa province l'an 648.'
Arles und Vienne. 251
rang hätte zur Geltung bringen können ^, class selbst zwischen
dem zerrütteten Frankenreiche und dem römischen Bischof,
nach den uns erhaltenen Belegen zu schliessen^^ die Verbin-
dung Jahrzehnte hindurch unterbrochen blieb.
Als dann wieder ein Papst in regelmässigen Verkehr mit
dem Reiche der Franken trat — es war Gregor II., welcher
im Jahre 716 seine nach Bayern gehenden Gesandten mit einer
Anweisung ausstattete (J.-E. 2153) — , kommt mit Bayern jener
Länderkreis zur Sprache, in welchem ein päpstlicher Vicar
ganz neuer Art sein vornehmstes Wirkungsfeld angeAviesen
erhielt.
Während die Bischöfe von Arles in Kraft des Rechtes,
welches ihnen der heilige Trophimus verlieh, zunächst einer
gebietenden Stellung auf beschränktem Gebiete als Metro-
politen sich erfreuten und dann auch den Primat in Gallien
als eine ihnen zustehende Würde in Anspruch nahmen und
darum erst von den Päpsten auch mit dem Vicariat des apo-
stolischen Stuhles betraut wurden, war Bonifatius seit jener
Zeit, da er sich dem heiligen Petrus zu eigen gab (722)3,
1) leb führe nicht die sogenannten Concilia mixta als einen Grund
für das Aufhören des Arier Primates an; denn ich gebe zwar zu, dass
seit der zweiten Hälfte des siebenten Jahrhunderts auf den Synoden der
König oder sein Stellvertreter zugegen sein konnte (Loening II, 138),
glaube aber nicht, überzeugt durch die Ausführung Loenings (II, 140
Anm. 1), dem jetzt auch Waitz (Verfassungsgesch. II*, ii, 204 A.nm. 1) zu-
stimmt, 'dass schon am Ende des sechsten Jahrhunderts an Stelle der
Synoden die Concilia mixta getreten seien, zu denen sich die Bischöfe
und die weltlichen Grossen des Reiches versammelten, um gemeinsam
die Gesetze auch für die Kirche zu berathen' — eine Einrichtung, welche,
wenn sie wirklich vorhanden gewesen wäre, die Befugnisse wie der
Bischöfe so des Primas hätte beeinträchtigen müssen. Unter Karl dem
Grossen freilich — aber bis zu seiner Zeit reicht die Wirksamkeit des
Arier Primates gar nicht — ist (ich will nicht sagen: die Kirche so ver-
weltlicht, sondern vielmehr) der Staat so verkirchlicht, dass Karl auch
schon als König die Leitung von Synoden (Regensburg 792, Frankfurt
794) selber in die Hand nimmt. 2) Nach der Begabung Florians mit
dem Pallium ist erst Martin I. (J.-E. 2059) der nächste und im siebenten
Jahrhundert der einzige Papst, welcher mit einem Frankenkönige in
Verbindung tritt: er übersandte im Jahre 649 dem Bischof Amandus von
Mastricht die Acten des gegen den Monotheletismus gehaltenen Concils
und forderte ihn auf, den König Sigebert zur Abordnung einiger Bischöfe
zu bewegen, welche die für den Kaiser bestimmte, als Vertretung des
christlichen Abendlandes geplante Gesandtschaft vervollständigen sollten.
Dass Martin den Bischof von Mastricht als Vermittler wählte, ist damit
zu erklären, dass Amandus den König getauft hatte, also bei ihm wohl
in besonderen Gnaden stand. .3) Die früheste Erwähnung des Vica-
riates dürfte in dem Briefe J.-E. 2174 (726 November 22) enthalten sein,
in welchem Gregor II. sagt: '(Deus) te illis in regionibus vice nostra ex
apostoüca auctoritate pergere fecit'.
17*
252 Wilhelm Gundlach.
durch die nach freier Wahl erfolgte Ernennung seitens des
Papstes vor allen Dingen der Vertreter des apostolischen
Stuhles, mochte er nun Bischof oder Erzbischof (c. 732) heissen;
er übte als Vicar erst thatsächlich die Eechte eines Primas
aus, ehe er im Verfolg seiner Wirksamkeit das Erzbisthum
Mainz als festen Sitz zuerkannt (764?) und gegen das Ende
seines Lebens auch ein Metropolitangebiet zugesprochen erhielt,
welches zum grössten Theil aus den von ihm erst dem Christen-
thum gewonnenen oder darin befestigten Landen bestand * —
ohne dass damit, Avie billig, seinen Nachfolgern, den Mainzer
MetropoHten, auch ein Recht auf den päpstlichen Vicariat zu-
gestanden worden Aväre. Die Vollmacht des Bouifatius, durch
nichts beschränkt, so lange sie im Namen des Papstes und im
Kahmen der kirchlichen Gesetzgebung ausgeübt wurde, kam
am deutlichsten darin zum Ausdruck, dass er im Jahre 744
drei Erzbischöfe für Ronen, Reims und Sens weihte ^ und
sammt ihrer Bestätigung Pallien für sie vom Papste erbat ^.
Zwar war auch das Gebiet, Avelches selbstverständlich den
späteren Metropolitanbereich des Erzbisthums Mainz umfasste,
in Gallien nicht eingeschränkt^; indessen scheint es, als habe
sich Bonifatius mit den nördlichen Gegenden des heutigen
Frankreich begnügt*; jedenfalls kann meines Wissens der
1) In der Urkunde des Zacharias (J.-E. 2292: 751 Nov. 4) heisst es
von der Mainzer Kirclie : 'liabens etiam snb se has quinque civitates, id
est Tungris, Coloniam, Worinaciam, Spiratiam et Trectis, et omnes Ger-
nianiae gentes, quas tua fraternitas per tuain praedicationem Christi
lumen cognoscere fecit'. 2) J.-E. 2270: 744 Juni 22, 3) Gleich-
zeitig mit dem Aufkommen des neuen Yicariats erhielt auch das Pallium
eine neue Bedeutung: fortan hatte jeder Äletropolitanbischof nicht nur
das Recht, sondern auch die Pflicht, das Pallium sich zu verschaffen;
denn Bonifatius stellte den Grundsatz auf, dass jeder Metropolit um das
Pallium wie um ein Wahrzeichen seiner Bestätigung in llom nachzu-
suchen habe ('metropolitanos pallia ab illa sede querere' in dem Briefe
an Cudberht: Jafte, Bibl. III, 201), und die Päpste nahmen diesen
Grundsatz an ; so schob Johann VIII., als er, wie noch zu erwähnen sein
wird, den Primat des Bischofs von Arles bestätigte und dabei wörtlich
den Brief Gregors des Grossen J.-E. 1375 wiederholte, in die Neuaus-
fertigung iJ.-E. 3149) die Worte ein: 'Cui — dem Bischof von Arles —
etiam iniunximus, ut nullum archiepiscopum in bis partibus sine pallio
a Romano pontifice directo consecrationem facere permittat et facientes
nostra auctoritate arguat'. — Die Meinung, dass Bonifatius als Stellver-
treter des Papstes Pippin gesalbt habe, bekämpft Waitz : Verfassungsgesch.
III^, 67. 4) Zacharias entscheidet auf eine Anfrage (J.-E. 2271: 744
Nov. 5): 'Non solum Baioariam, sed etiam omnem Galliarum pro-
vinciam, donec te divina iusserit superesse maiestas, nostra vice per
praedicationem tibi iniunctam, quae reppereris contra christianam reli-
gionem vel canonum instituta, spiritaliter stude ad normam rectitudinis
reformare'. 5) Die Bischöfe, welche Zacharias im Jahre 748 anredet:
'Habetis itaque nostra vice . . . sanctissimura ac reverentissiraum Bonifatium,
Arles und Vieiine. 253
Beweis nicht erbracht werden, dass er auch das südliche Frank-
reich in Idrchlicher Botmässigkeit hielt'.
Wenn Bonifatius, durch das Papstthum erhoben und ge-
halten, die Herrschaft Roms zu befestigen und auszubreiten
die Aufgabe hat, so sind nun die drei fränkischen Erzbischöfe,
Avelche man als Vicare nach ihm aufgestellt oder aufzustellen
versucht hat, durch das Kaiserthum emporgebracht worden in
der Absicht, durch sie der kaiserlichen Macht Ansehen in den
fränkischen Theilreichen zu verschaffen.
Kaiser Lothar I. war es, welcher zuerst auf den Gedanken
kam, die ganze fränkische Kirche unter einem heimischen
Oberhaupte zusammenzufassen und durch dieses ihm ergebene
Haupt seinen Z^vecken dienstbar zu machen. Er wandte sich
an Sergius II. mit dem Antrage, dem Erzbischof Drogo von
Metz 2, einem Sohne Karls des Grossen, den Vicariat zu über-
fratrem nostrum, archiepiscopum, apostolieae sedis legatum et nostram
praesentantem vicem' (J.-E. 2287) gehören, soweit es französische sind,
dem Norden des Landes an. 1) Auf den Vicariat der Erzbischöfe
von Mainz, wie er zuerst von Leo VIII. dem Erzbischof Friedrich über-
tragen ('ut sitis noster vicarius et missus in cunctis regionibus totius
Germaaiae, ut, ubicumque episeopos, presbyteros, diaconos vel monachos
contra canones et constituta sanctorum patrum sive contra ecclesiasticam
regulam excessisse repperietis, apostolica auetoritate iuxta canones et in-
stituta sanctorum patrum illos corrigere et ad viam veritatis reducere non
omittatis'. J.-L. 3613: 937 — 939) und von Marinus II. (J.-L. 3631: 946),
Agapit IL (J.-L. 3668: 955) und Benedict VIL (J.-L. 3784: 975 März)
bestätigt und erweitert worden ist, so dass er 'in partibus totius Ger-
maniae Galliaeque' Geltung haben sollte, gehe ich darum nicht näher
ein, weil 'Gallia' hier ohne Zweifel nicht Frankreich bedeutet, sondern,
aus der Bestimmung in einem alsbald anzuführenden Briefe Leos IV.
zu folgern, das Zwischenland zwischen 'Francia' und 'Germania', das
will sagen: vornehmlich die Rheinlande bezeichnet. Aus demselben
Grunde bleibt auch der Primat der Erzbischöfe von Trier von der Be-
trachtung ausgeschlossen, von welchen der Erzbischof Dietrich zuerst
durch Johann XIII. mit Vorrechten ausgestattet ist ('Treverensis presul
post . . . apostolicum legatum primum inter alios pontifices locum obti-
neat, et, si missus Romanae ecclesie defuerit, similiter post imperatorem
sive regem sedendi, sententiam edicendi et sinodale iudicium canonice
promulgandi primatum habeat, utpote in illis partibus (sc. Gallia Ger-
maniaque) vicarius nostre sedis apostolice merito constitutus' J.-L. 3736:
969 Januar 22; vgl. danach J.-L. 4151 : 1047 October 1 und 4758 : 1066
— 1073). Die angebliche Verfügung Silvesters I., nach welcher der Erz-
bischof von Trier 'super Gallos spiritualem et Germanos prioratum'
empfing, ist eine Fälschung: J. -K. 179, und der Anspruch, welchen
Thietgaud von Trier auch Hinkmar von Reims gegenüber erhob, Primas
der beiden belgischen Provinzen zu sein, hat keinerlei Berechtigung;
vgl. Schrörs, Hinkmar S. 70, 71 (Hinschius, Kirchenrecbt I, 608 [Mainz],
609 [Trier], 612 [Köln]). 2) Drogo führte, wie schon seine Vorgänger
Chrodegang (vgl. Görres in Picks Zeitschrift für rhein.-westfäl. Gesch.
II, 371. 372) und Angilram (vgl. den 55. Canon der Frankfurter Synode
254 Wilhelm Guudlach.
tragen. Der Papst ging wirklich darauf ein; er übermachte
dem Erzbischof 1 im Jahre 844^ die Vertretung des aposto-
lischen Stuhles in allen Ländern jenseits der Alpen mit der
Befugnis, die Beschlüsse der Provinzialsynoden zu bestätigen,
bei Streitigkeiten die Berufung nach dem Gericht des Metro-
politen anzunehmen und entweder, wenn die Entscheidung der
ihn berathenden Bischöfe einhellig sei, zu erledigen oder nach
Rom zu verweisen, allgemeine Synoden anzusagen und abzu-
halten, kurz über die ganze Kirche eine Oberaufsicht zii führen
und ilu-en Frieden im Innern wie gegen Eingriffe der Herr-
scher zu schirmen '. Aber noch in demselben Jahre lehnten
die nach Verncuil berufenen Bischöfe des Reiches Karls des
Kahlen die Oberherrschaft Drogos ab, indem sie zwar so höf-
lich waren, ihn als den bedingungsweise geeignetsten für die
Würde zu bezeiclmen, seine Anerkennung aber von der Zu-
stimmung möglichst aller Bisch<ifc in Gallien und Germanien
abhängig machten ■* ; und Drogo war verständig genug, auf
des Jahres 794: Boretius, Capitul. I, 78) den erzbiscliöfliclien Titel,
ohne Rletropolitea zu sein. 1) 'quia Serenissimi atque i)iissimi filii
nostri, niagni impcratoris Hlotharii, eiusque fratrum, dilectissimoruin filio-
rum nostroruni, Illudovici et Caroli reg-uin, avuncuhis est', sag't der Papst
J.-E. 258C : 844 Juni. 2) Dass Drogro sclion vor diesem Jahre wieder-
holt den Vorsitz auf Synoden führt: in Diedenhofen 835 fHincmari de
praedestinatione dissertatio posterior: Migne, Patrol. lat. CXXV, 390) und
in In<;:ellieim 840 (MG. SS. XIII, 474) ist jedenfalls im Grunde auf die
kaiserliche Befugnis, Synoden zu leiten, zurückzuführen, eine Befug^nis,
die Karl der Grosse schon als König ausübte (vgl. oben S. 251 Anm. 1),
welche der Kaiser demgemäss auch Bischöfen übertragen konnte; so
werden die Leiter der auf Karls Geheiss im Jahre 813 in Arles abge-
haltenen Reformsynode, Johanu von Arles und Nibridius von Narbonne,
genannt 'venerabiles missi gloriosissimi ac piissimi domini nostri' (Mansi
XIV, 57; vgl. Waitz, Verfassungsgesch. IIP, 570). Es ist für den Vica-
riat Drogos bezeichnend, dass noch in dem Jahre der Verleihung im
October Drogo den Vorsitz auf der Synode zu Yutz nicht auf Grund
seines Rechtes als Vicar, sondern nach dem eben berührten Herkommen
führt, wofern man der Ueberschrift der Acten trauen darf: 'Secuntur
capitula, quae acta sunt in synodo secus Teudonis villam habita in loco,
qui dicitur ludicium, quando tres fratres, gloriosi principes, Hlotharius
videlicct, Hludovicus et Karolus, simul convenerunt . . ., cui synodo
Drogo Metensis episcopus praesedit consensu eorundem
regum' (MG. LL. I, 380). 3) Ueber den Primat Drogos handeln
Dümmler, Gesch. des ostfränk. Reiches P, 252. 253, Schrörs, Hinkmar
S. 50. 51 und v. Hefele, Conciliengesch. IV'^, 85 Anm. 2. 4) 'De praelatione
reverendissimi Drogonis detinire aliquid non audemus, nisi expectandum,
quam maximus cogi potest Galliae Germaniaeque conventus et in eo
metropolitanoruni reliquorumque antistitum inquirendum esse consensum,
cui resistere nee volumus nee valemus. Nobis tamen, si quid tale alicui
comitti potest ('Avenn überhaupt etwas Derartiges jemand übertragen
werden könne', übersetzt Schrörs S. 51 richtig), et non alia quam quae
praetenditur latet causa, illi potissimum convenire videtur, qui et com-
Arles und Vienne. 255
die Ausübung eines Amtes fortan zu verzichten, welches nicht
den Frieden hcätte schützen können, sondern Unfrieden in
Kirche und Reich hätte anstiften müssen.
Der zweite Versuch, welchen Lothar machte, betraf den
Erzbischof Hinkmar von Reims. Nachdem der Kaiser den
willensstarken Kirchenfürsten dadurch für seine Sache zu ge-
Avinnen unternommen hatte, dass er ihm im Jahre 847 das
Palhum von Leo IV. verschaffte >, trat er vier Jahre darauf an
den Papst mit dem Begehren heran, er möchte dem Erzbischof
von Reims den täglichen Gebrauch des Palliums gestatten und
ihm den Vicariat des apostohschen Stuhles im Frankenlande
übertragen. Aber ob Leo ihm auch als eine besondere Ver-
günstigung, die niu' ihm und keinem anderen zu Theil werden
sollte 2, das Pallium ohne Einschränkung verlieh, von dem
Vicariate wollte er nichts wissen; er wies eine Bewidmung
aus dem Grunde von sich, dass der Vicariat schon vergeben,
von Sergius IL an Drogo verheben worden sei ^.
munione sacerdotii nobis et excellentiae vestrae propinqnitatis privilegio
sociatur' (MG. LL. I, 385). 1) Flodoard. Bist. Rem. III, 2: MG. SS.
XIII, 476. 2) J.-E. 2608. 3) 'Antecessor noster, dommis Sergius
papa, vestra deprecatione compulsus Drog'oni archiepiscopo hanc auctori-
tatem seu potestatem coucessit et pontificale praeceptum constituit, ut
omnis Franciae, Galliae seu Germaniae arcliiepiscopos, episcopos, abbates
. . . iusto moderamine iudicaret': J.-E. 2607. Wenn auch seit dieser
Zeit Hinkmar nur mit solchen Ansprüchen hervortrat — soweit die vor-
handenen Belege ein Urtheil gestatten — , welchen nach den Zeitläuften
entsprochen werden konnte ■ — Benedict III. (J.-E. 2664) und Nicolaus I.
(J.-E. 2720) bestätigen ihm mit den Vorrechten des Erzbisthums Reims
im Wesen nur die ungeschmälerte Metropolitangewalt — , so ist damit
doch noch nicht erwiesen, dass Hinkmar damals nicht nach Höherem,
nach einem Primate über sämmtliche gallischen Kirchen strebte. Jeden-
falls gehört jener gefälschte Brief des Papstes Hormisda (J. -K. 866),
worin dem Bischof Remigius von Reims der Vicariat im Reiche Chlodo-
vechs überantwortet wird, seiner Entstehung nach in die Zeit Hinkmars,
mag man von seinem unmittelbaren Antheil an der Fälschung halten, was
man will Tvgl. Schrörs S. 509—511); und bezieht sich gleich Hinkmar
auf den Brief nur in der Absicht, zu zeigen, dass ihm die Metropolitan-
gewalt in der Provinz zukomme fSchrörs S. 250 Anm.), so dürfte daraus
doch nur zu folgern sein, dass Hinkmar sich in die Zeitverhältnisse zu
schicken verstand. Darum scheint mir der Angriff, welchen Schrörs
(ebenda) in dieser Frage auf Dümmler (I*, 529) unternommen, nicht be-
gründet, die Meinung, welche Schrörs vertritt: 'In Wirklichkeit ist Hink-
mar sich in jenem Punkte immer gleich geblieben' durch den Hinweis
Hellers (Allgem. Deutsche Biographie XII, 441) auf den von Lothar
beabsichtigten Reimser Vicariat unhaltbar zu sein; denn wenn Schrörs
diesen Einwand unwirksam machen will durch die Ausführung : 'Es han-
delt sich dort nicht um einen Primat des Reimser Stuhles, sondern um
einen persönlichen Vicariat, nicht über die gallischen, sondern über
sämmtliche fränkischen Kirchen, nicht um einen Plan Hinkmars, sondern
des Kaisers zu politischen Zwecken', so ist dagegen einzuwerfen, dass der
256 Wilhelm Giindlach.
Man hätte nun meinen sollen, dass Karl der Kahle, der
Landesherr Hinkmars, als er die Kaiserkrone erlangte, auf
den Plan Lothars zurückgekommen Aväre und den ihm er-
gebenen Erzbischof zum Vicar des apostolischen Stuhles hätte
ernennen lassen. Das traf aber nicht ein. Z^var gelüstete es
auch den neuen Kaiser, die !Macht der Kirche für sich auszu-
nutzen: er setzte im Jahre 876 bei Johann .VIII. für Gallien
und Germanien die Bestellung eines neuen Vicare durch mit
der Vollmacht, ^den gesamraten Verkehr zwischen dem römi-
schen Stuhle und diesen Ländern zu vermitteln, alle päpst-
lichen Erlasse den dortigen Bischöfen zur Nachachtung raitzu-
theilen und über alle wichtigeren und schwierigeren Angelegen-
heiten nach Rom zu berichten' ' ; aber nicht Hinkmar, dessen
Eigenwille dem Kaiser unbequem zu werden drohte, war der
Erwählte, sondern der nachgiebige Ansegis, Erzbischof von Sens,
der noch vor wenigen Jahren als Abt von St. IMichael in dem
Sprengel Beauvais ein Untergebener Hinkmars gewesen war 2.
Als nun auf der ersten Synode ', welche Karl als Kaiser hielt,
in Ponthion gleich in der Eröffiiungssitzung der Vicariat des
Erzbischofs von Sens verkündet und dabei von den versam-
melten Bischöfen verlangt wurde, ohne Verzug der päpstlichen
Anordnung Gehorsam zu geloben, gaben sie alle bis auf den
diensteifrigen P^rzbischof Erothar von Bordeaux eine Antwort,
die nur äusserlich zustimmte, im Wesen aber eine deutliche
Verwahrung gegen den Vicariat enthielt'*; und darauf beharrten
Primat des Reimser Stuhles nur durch einen persönlichen Vicariat zu
haben war, dass in den sUmmtlichen fränkischen Kirchen doch auch die
gallischen beschlossen sind, und dass Hinkmar, obgleich der Plan zu-
nächst nicht sein eigener war, doch damit einverstanden sein musste —
was übrigens Schrörs S. 57 selber angiebt — und sicherlich den politi-
schen Zwecken des Kaisers zum Trotz seine besondere Auffassung des
Vicariates zur Geltung gebracht hätte — was Schrörs ebenfalls S. 57
vortrefflich auseinandersetzt. Nachdem ein Hinkmar mit der Metropolitan-
gewalt hatte vorlieb nehmen müssen, kann es nicht auffallen, dass auch
seine Nachfolger es nicht weiter zu bringen vermochten ; erwähnenswerth
ist nur, dass Urban H. dem Erzbischof von Reims das Recht zusprach,
die französischen Könige zu salben (J. -L. 5415: 1089 December 25).
1) Dümmler IP, 400. 2) Schrörs S. 358. Das Zugeständnis wurde
dem Papste jedenfalls, wie Schrörs S. 359 mit Recht darlegt, durch die
Erwartung erleichtert, 'dass die Durchführung dieses Planes an dem
Widerstände der betheiligten Factoren scheitern würde'; kam aber An-
segis wirklich zu Ansehen, dann konnte er ja immer noch dazu benutzt
werden, wie Dümmler IP, 400. 401 ausführt, 'im Sinne Pseudo-Isidors die
Metropolitangewalt zu brechen und jenen stolzen Unabhängigkeitssinn der
gallischen Erzbischöfe zu vernichten' ; also auf keinen Fall hatte der
Papst viel zu wagen. 3) Vgl. Dümmler II^, 407, Schrörs S. 360, von
Hefele IV^, 516. 4) 'ut, servato singulis metropolitanis iure privilegü
secundum sacros canones et iuxta decreta sedis Roraanae pontificum ex
Arles und Vienne. 257
sie trotz aller Anstrengungen, welche der Kaiser und die
Legaten des Papstes machten, auch in der letzten Sitzung'.
An diesem Widerstände, dessen Seele Hinkmar war, scheiterte
das ganze Unternehmen ; es ist nicht bekannt, dass der Kaiser
oder der Papst ein anderes Mal überhaupt auch nur versuch-
ten, ihrem Vicar Anerkennung zu verschaffen; ja Rom ver-
leugnete ihn sogar in aller Form, nachdem er sich auf einer
Gesandtschaftsreise mit dem Markgrafen Lambert von Spoleto,
einem Widersacher des Papstes, eingelassen hatte 2.
Die Verleugnung des Ansegis unter Brief und Siegel war
die Ernennung eines neuen päpstlichen Vicars noch bei Leb-
zeiten des alten. Als Johann VIII. im Jahre 878 in Arles
weilte, erneuerte er die Hoheitsrechte des Arier Erzbisthums,
den Primat und Vicariat über alle Kirchen 'que sub regno
Galliarum sunt', indem er zwei Briefe Gregors des Grossen
fast wörtlich in einer Neuausfertigung für den Erzbischof Ro-
staing bestätigte '. Aber den todten Formen sprach die leben-
dige Entmckelung Hohn; damit dass der Papst auch den Satz
Gregors wieder aufnahm : 'singulis . . . metropolitis secundum
priscam consuetudinem ]>roprio honore servato' *, zeigte er,
dass das Ganze nur ein Gastgeschenk an seinen Wirth, den
Erzbischof von Arles, war 5, dass es ihm selbst nicht ernstlich
eisdem sacris canonibus proitiulgata, domni lobannis papae apostolici
iussionibus oboedirent': Ann. Bertin. p. 129. 1) Wenn es auch im
siebenten Capitulum der Synodalacten mit Beziehung' auf den Vicariat
des Ansegis heisst : 'Nos unanimiter omni devotione laudamus et, ut ita
ipse primatum teneat Galliae et Germaniae, decernimus et sancimus'
(MG. LL. I, 535), und wenn auch in den Unterschriften Ansegis vor
den Erzbischöfen Galliens unterzeichnet, so klärt uns Hinkmar über den
Werth dieser Capitula auf, indem er sie (Ann. Bertin. p. 131) nennt:
'capitula a missis apostolici et ab Ansigiso et eodem (Belgivagorum epi-
scopo) Odone sine conscientia synodi dictata'. 2) Schrörs
S. 372. Odorannus verfälscht in seiner Chronik die Primatialangelegen-
heit, indem er an die in der vorigen Anmerkung aus den .Synodalacten
mitgetheilten Worte noch anhängt (Migne, Patrol. lat. CXLII, col. 771):
'cunctique successores eius in propria urbe'. Es dürfte auch
nichts als eine weitere Ausspinnung der Fälschung sein, wenn er zum
Jahre 999 an die Nachricht von dem Tode des Sewinus die Bemerkung
knüpft: 'Hie ab urbe Roma per manum lobannis papae archiepiscopale
pallium, quo antecessores eius infulati sunt, et primatum Galliae
suseepit', mag auch immer dieser Sewinus die Synode in Reims 991 ge-
leitet haben (vgl. v. Hefele, Conciliengesch. IV^, 638),. und ganz ähnlich
auch noch über Leothericus zum Jahre 1032 berichtet. 3) J.-E. 3148.
3149; Vorlagen sind die Briefe J.-E. 1374. 1375. 4) Man vergleiche
damit die Antwort, welche die Bischöfe auf der Synode zu Ponthion dem
Kaiser gaben: oben S. 256 Anm. 4. Auch Schrörs S. 421 ist der Mei-
nung, dass durch diesen Vorbehalt jeder Erfolg der Verfügung abge-
schnitten war. 5) Ich halte politische Beweggründe, welche Dümmler
(HP, 79), V. Noorden (Hinkmar S. 371) und Schrörs (S. 421) annehmen
258 Wilhelm Gundlach.
um die Erneuerimg des Vicariates zu thun war. Darum ist
auch auf der Synode, welche unmittelbar nach der Bestätigung
in Troyes zusammentrat, von dem Erzbischof als Vicar mit
keiner Silbe die Rede: Rostaing Avird zwar in den Acten ge-
nannt — er bringt die immer häufiger werdenden Trans-
lationen zur Sprache — ; aber nicht er, sondern Hinkmar von
Reims ist ohne Zweifel die massgebende Persönlichkeit unter
den Bischöfen, da in dem Protocoll sich der Ausdruck hndet:
'Hincmarus Remorum archiepiscopus vice synodi respondit'';
darum ist auch nicht einmal in dem beschränkten Gebiete der
Provence von einem Vorrange des Erzbischofs von Arles etwas
zu spüren; denn als der Graf Boso in Mantaille (870) zum
König erwählt wurde, unterzeichnet nicht Rostaing an erster
Stelle das darüber noch erhaltene Schriftstück 2, sondern der
Erzbischof Otramnus von Vienne ; als Boso dann in Lyon zum
König des Reiches Arclatc gekrönt wurde, war es nicht
Rostaing, welcher die Handlung vorzunehmen hatte, sondern
Aurelian von Lyon 3; und wenn man etAva sich darauf stützen
möchte, dass der Paiist mit der Erhebung Bosos nicht einver-
standen war-», so stellt sich dadurch doch die vSache für Arles
nicht günstiger; als nämlich im Jahre 890 mit Billigung Roms
Ludwig, Bfisos Sohn, auf den Thron erhoben Avurde — es
geschah auf der Synode zu Valencc — , war nicht Rostaing,
sondern wiederum Aurelian von Lyon die leitende Persön-
lichkeit *.
Nachdem die Arier Kirche zwei Jahrhunderte hindurch
bis in das siebente hinein den Primat in Gallien und daraufhin
möchten, für ausgeschlossen; denn Iiätte Johann 'dem Grafen Boso zu
Gefallen' die Bestätig^ung- dem Erzbischof von Arles j^ewährt, dann wäre
doch wohl zu verlangfen, dass man mindestens in dem kleinen Gebiete
des Grafen, in der Provence, den Vorran;» des Erzbischofs zum Ausdruck
kommen sähe; vgl. darüber oben. 1) Mansi XVII, 346; auch die
Unterschriften (Mansi XVII. App. p. 187) eröffnet Hinkmar, und Rostaing
ist erst der fünfte unter den gallischen Metropoliten, v. Hefele scheint
an der Wirksamkeit des neuen Arier Vicariates festzuhalten , wenn er
V. Noorden, der S. 358 das Auftreten des Rostaing auf der Synode be-
fremdlich findet, darüber belehrt (Conciliengesch. IV^, 529 Anm. 1),
'dass der Erzbischof nur Vorrechte hatte, wenn der Papst abwesend
war, wie der General vicar nur 'absente episcopo' denselben vertritt'.
2) MG. LL. I, 547: es muss allerdings zugegeben werden, dass die
Reihenfolge der Unterschriften in Unordnung gerathen ist. 3) Vgl.
Dümmler IIP, 126. 4) Vgl. v. Hefele IV2, 550. 5) 'Convenimus
in civitatem Valentiam , domnus scilicet Aurelianus Lugdunensis sedis
archiepiscopus necnon et domnus Rostagnus urbis Arelatensis archiepi-
scopus' etc. (Mansi XVIII, 95; vgl. Dümmler IIP, 333). — Nach der oben
vertretenen Anschauung habe ich keinen Anlass, der Verwerfung jenes
Briefes zu widersprechen, in welchem noch im zehnten Jahrhundert
Johann XIII. die Arier Kirche beschützt, 'quae priucipatum et caput
obtinet ceterarum ecclesiarum, secunda a Romana sede' (J.-L. 3743).
Arles und Vienne. 259
auch den Vicariat des apostolischen Stuhles ausgeübt hatte,
nachdem man im achten und neunten Jahrhundert päpsthche
Vicare bestellt oder zu bestellen versucht hatte, welchen damit,
dass ihnen zwar nur persönlich, aber ausschliesslich ^ die Ver-
tretung Roms aufgegeben war, auch der Primat in dem Vica-
riatsbezirke — und das war in der Theorie mindestens das
ganze Gallien — zufiel, war es Gregor VIT. vorbehalten, einen
Vicariat eigener Art auszubilden und dadurch weiterhin einem
Primate neuer Beschaffenheit, dem Theilprimate in Gallien,
zum Leben zu verhelfen.
Man kann die erwähnten Aufträge, Avelche Gregor der
Grosse dem Bischof Syagrius von Autun gab, als die fi'ühe-
sten Versuche des Papstthums auffassen, einen eingesessenen
gallischen Bischof als Legaten des apostolischen Stuhles zu
verwenden. Nach dieser Zeit kamen die Legaten immer mehr
in Aufnahme; es Avaren zumeist einheimische Geistliche oder
Angehörige der Römischen Kirche, aber auch andere, welche
gerade den Päpsten durch ihre Brauchbarkeit sich empfahlen;
und sie wm'den entweder mit einer einzelnen Aufgabe betraut
oder erhielten eine umfassende Thätigkeit unbestimmter Dauer
zugewiesen; wenngleich auch die päpstlichen Bevollmächtigten
der ersten Art 'vice' des apostolischen Stuhles zu Werke
gingen ^, so kam ihnen doch nur die Bezeichnung 'legati' oder
'missi' zu; 'vicarii' Avurden in der Regel nur die umfassend
und dauernd beschäftigten Legaten genannt. Nachdem das
zehnte Jahrhundert verhältnismässig wenig Beispiele geliefert
hatte 3, kam das Legatenwesen unter Gregor VII. zu hoher Ent-
wickelung: von ihm wurde der Bischof Hugo von Die im
Jahre 1074 mit dem Vicariat in Gallien bewidmet. Aber das
w^ar nicht mehr das Amt, welches Leo IV. vor Augen hatte,
als er den um den Vicariat für Hinkmar werbenden Kaiser
abschlägig beschied*; sondern — wie schon aus* den Worten
hervorgeht, mit welchen Gregor die Ernennung Hugos der
1) Das wird durch die Beg-ründung- erwieset], mit welcher Leo IV.
die Bestallung Hinkmars zum Vicar abweist; vgl. oben S. 255 Anm. 3.
Dass noch zu Lebzeiten des Ansegis der Erzbischof von Arles zum Vicar
ernannt wird, zeigt schon das Auflcommen einer neuen Anschauung.
2) So sagt Hinkmar von den päpstlichen Legaten Johann von Toscanella
und Johann von Arezzo, welche den Ansegis von Sens bei der gallischen
Geistlichkeit einzuführen bestimmt waren, einmal (Ann. Bertin p. 130):
'misit imperator vicarios apostolici increpare durius archiepiscopos'; in
den Unterschriften der Synode zu Ponthion nennt sich freilich nur An-
segis 'vicarius', während die beiden Johann sich als 'legati' bezeichnen
(MG. LL. I, 533). Umgekehrt verfährt Bernhard von Pavia in seiner
Summa, indem er (I, 22 ed. Laspeyres) bestimmt: 'Legatus dicitur, cui
aliqua patria vel provincia regenda committitur, ut vice eins fungatur,
a quo destinatur' (nach Hinschius I, 512 Anm. 2). 3) Hinschius
I, 507; vgl. auch S. 508—513. 4) Vgl. oben S. 255 Anm. 3.
260 Wilhelm Gundlach.
galHcanischen Geistlichkeit bekannt machte ^ — der Papst be-
gab sich keineswegs des Rechtes, neben diesem Vicar auch
noch andere Legaten in GaUien zu bescliäftigen; imd zAvar
verfuhr er dabei so, dass er ganz nach Gutdünken entweder
einige Geschäfte durch andere Vertrauensmänner selbständig
regeln liess^, oder für Aufgaben, welche er seinem Vicar
stellte, ihm andere Legaten beiordnete*. Es ist bei dieser
Theilung der Gewalt ohne weitei'cs klar, dass im Schatten
eines solchen Vicariates ein Primat nicht mehr gedeihen konnte :
es bedurfte dazu noch eines besonderen Schöpferwortes des
Oberherrn der galHcanischen Kirche.
Im Jahre 1079 verlieh Gregor Vll. dem Erzbischof Gebuin
von Ly(Tn und seinen Nachfolgern im Erzbisthum den Primat
in den vier Provinzen Lyon, Pouen, Tours und Sens*, gab
1) 'Dilectum filintn nostrutn, TTunfonem Diensem episcopum, ob aec-
clesiasticae utilitatis di versa nejrocia in Gallias, vices nostras exequu-
turutn, mittimus': J.-L. 4849. 2) So träfjt er dem Erzbiscliof Manasse
von Reims auf, den ungfehorsamen Biscliof Rof^er von Chalons zum Ge-
horsam zu mahnen und, falls er halsstarrig bleibe, zu bannen; 'si vero',
fährt er fort, 'legati nostri ad Galliarum partes usque ad Kalendas
Octobris ieriiit, ante praesentiam illorum se paratum ad expurgationem
suam praesentare procurct' f.J.-L. 4937: 1075 März 4), oder er verheisst
dem Erzbischof Rudolf von Tours, welcher sich Beschwerde führend nach
Rom gewandt hat : 'aut nosmet ipsi ad vos transiemus aut tales, qui
hanc causam sincera exploratione discutiant atque diffiniant, mittere pro-
curabimus' (J.-L. 5021: 1077 März 1) — in beiden Fällen kann es sich
unmöglich um Hugo von Die handeln. Mit Namen werden andere Le-
gaten aufgeführt, indem Gregor z. B. dem Bischof Hugo von Die an-
weist, 'Robortum Flandrensem comitem ab Huberte legato nostro
et Hugone Lingonensi episcopo . . . excommnnicatum' vom Banne zu
lösen, falls er ungerecht gebannt ist (J.-L. 5086: 1078 November 25),
oder indem er, .darüber ungehalten, dass Landerich, Bischof von Macon,
dem Petrus von Albi 'in confirmatione privilegiorum Cluniensis ecclesiae
...legationem nostram ferenti' ungehorsam gewesen, dem Bischof
wie dem Abt von Clugny zur Pflicht macht, Frieden zu halten, 'donee
coram vicario nostro, Diensi episcopo, huiusmodi lis religiosarum persona-
nim consilio terminetur' (J.-L. 5182: 1080). 3) So kündigt er dem
Könige Wilhelm I. von England an, dass er in der Angelegenheit des
Bischofs Juhellus von Dol 'confratrem nostrum Hugonem, venerabilem
Diensem episcopum, et dilectum filium nostrum Hubertum, sanctae Ro-
manae ecclesiae subdiaconum, et ipsum etiam Teuzonem monachum'
senden werde (J.-L. 5027: 1077 März 21), so sclireibt er an Hugo von
Die in der Angelegenheit des Bischofs Gerhard von Kamerich: 'Stude . . .,
ut . . . confratrem nostrum Lingonensem episcopum convenias, et com-
muni consilio, ubi vobis melius videbitnr, synodum instituite' (J.-L. 5033 :
1077 Mai 12), so fordert er endlich den Bischof Rainer von Orleans auf,
sich zu verantworten: 'coram legatis nostris, Hugone videlicet episcopo
Diensi et Hugone abbate C'Iuniacensi necnon et Rogerio subdiacono
nostro' (J.-L. 5075: 1078 April 24) u. s. w. 4) Vgl. Hinschius I, 599
und V. Hefele- Knöpfler, Conciliengesch. V*, 225.
Arles lind Vienne. 261
sich aber den Anscliein, als bestätige er nur eine Würde, die
schon von seinen Vorgängern den Lyoner Metropoliten über-
tragen worden sei', und forderte die Erzbischöfe der drei be-
trotfenen Provinzen auf, ihrem Primas gehorsam zu sein. Da
den drei Bischöfen der Beweis dafür, dass Lyon in früheren
Zeiten in ihren Provinzen den Vorrang besessen habe, ebenso
unerhndlich sein mochte, wie er es heute noch ist 2, so setzten
sie der päpstlichen Anordnung entschiedenen Widerstand ent-
gegen; und das Schicksal auch dieses Primates Aväre nicht
zweifelhaft gewesen, wenn nicht der thatkräftige Bischof Hugo
von Die zum Erzbischof von Lyon befördert worden wäre.
Im Jahre 1094 auch von Urban 11. mit dem Vicariat belehnt 3,
war er mit Eifer darauf aus^ die Macht seines Lehnsherrn zu
Gunsten seiner Kirche auszubeuten. Nachdem seine Ansprüche
1) 'dignitatem ab antecessoribus nostris concessam ecclesiae, cui,
Deo auctore, praeesse dinosceris' (J.-L. 5125: 1079 April 19); ähnlich
wird von dem Primat als 'per annorum longa curricula' bestehend in J.-L.
5126 (1079 April 20) gesprochen. 2) Hinschius führt zwar (I, 599
Anm. 9) — allerdings nur um die angesehene Stellung des
Bisthums zu belegen — nach dem Vorgange de Marens an, dass
Kaiser Lothar L in einer Urkunde des Jahres 854 die Lyoner Kirche
'sacra et prima Galliarum ecclesia' nennt; aber was will diese Bezeich-
nung in einer Kaiserurkunde besagen! Und selbst wenn das Protocoll
der 894 in Chälons gehaltenen Synode (Mansi XVIII, 127), in welchem
der Erzbischof von Lyon 'primas totius Galliae' geheissen wird, unantast-
bar wäre, so käme auch dieser Bestimmung keine rechtliche Bedeutung
zu, weil auf der Synode nur Suffraganbischüfe Lyons versammelt waren,
welche ihrem Metropoliten diesen Titel streitig zu machen sich nicht
unterfangen konnten. Ueber die Berechtigung des Lyoner Primats dürfte
man sich ernsten Bedenken hingeben, wenn Gregor VII. in sein an die
Erzbischöfe gerichtetes Schreiben einen Abschnitt aus einem der pseudo-
isidorischen Briefe (Hinschius, Decret. Pseudo-Isidor. p. 79. 80) wörtlich
übernimmt und Urban II. gar die Unterwerfung des Erzbischofs von Sens
fordert, 'quia et catalogorum auctoritas et sedis apostolicae id ipsum
contestabatur auctoritas' (J.-L. 5600: 1095 December 1). Da de Marca
(p. 153) darauf aufmerksam gemacht hat, dass unter der 'catalogorum
auctoritas' der 'catalogus civitatum' verstanden sei, welcher in der Col-
lectio Isidori dem Papste Anaclet zugeschrieben werde, so habe ich da-
nach gesucht, aber das Städteverzeichnis selbst nicht, sondern nur eine
Stelle gefunden, welche mit dem 'catalogus' in Verbindung gebracht
werden kann. Es heisst nämlich in dem dritten Briefe des Anaclet
(Hinschius, Decret. Pseudo-Isidor. p. 83), nachdem Rom als 'prima',
Alexandria als 'secunda' und Antiochia als 'tertia sedes' bezeichnet ist:
'Reiiquas vero, ut praediximus, quodammodo prolixitatem vitantes apo-
stolice vobis conscriptas diresimus'. Ich bedauere die Erfolglosigkeit
meines Nachforschens um so mehr, als der von Urban angeführte Kechts-
titel offenbar derselbe ist, auf welchen in zwei Vienner Briefen (J.-K. 177
und J.-L. 5024) Bezug genommen wird; vgl. oben S. 76. 3) 'SoUici-
tudinis nostrae vices et agendorum consiliorum providentiam strenuitati
tuae pure simpliciterque commisimus' (J.-L. 5523: 1094 Mai 16).
262 WÜhelm Gundlact.
schon auf vielen Provinzialsynoden behandelt worden waren >,
wurde der Papst selbst auf der Synode zu Clermout veran-
lasst, gegen die unbotmässigen Erzbischöfe von Sens und
Kouen einzuschreiten : dem halsstarrigen Richer von Sens ward
der Gebrauch des Palliums untersagt und die Metropolitan-
gewalt entzogen, und dem abwesenden Erzbischof von Ronen
dieselbe Straie augedrolit, wenn er nicht binnen drei j\Ionaten
nach Empfang der Aufforderung seine Unterwerfung anzeige *.
Aber trotz aller Strenge drang der Papst noch nicht durch,
AVährend der Erzbiscliof von Ronen sich gefügt zu haben
scheint, war es nöthig, gegen Richer von Sens noch zweimal
die von dem Papste über ihn verhängten Strafen zu wieder-
holen s. Und auch das half schliesslich nicht; Richer starb,
um seiner Aufsessigkeit willen mit dem Jnterdict belegt. Ja
sein Naclifolger Danubert hatte nicht übel Lust, seinem Bei-
spiel zu folgen; bei ihm brachte es indessen die persönliche
Verwendung des Papstes dahin, dass er endlich den Primat
des Erzbischofs von Lyon anerkannte*. Nur widerwillig ge-
horsam und eifersüchtig darauf bedacht, dass der Primas keine
Uebergritfe sich erlaube, ist er vorzüglich geeignet^ die Grenzen
der Befugnisse des neuen Primates kennen zu lehren.
Gregor VIL hatte seiner Zeit dem Erzbisthum Lyon die
PrimatialgCAvalt über die vier Provinzen mit der jMassgabe zu-
gestanden, *ut hac vidclicet provinciae condignam oboedientiara
L.ugdunensi ecclesiae exhibeant et honorem, quem Ronumi
pontihces reddendum esse scriptis propriis praeüxerunt, humi-
liter et devote persolvant, salva in omnibus apostolicae sedis
reverentia et auctoritate' *. Als nmi der Erzbischof Johann
von Lyon im Jahre 1112 sich beikommen liess, eine Synode
nach Anse auszuschreiben — 'de fide et de investituris laico-
rum' sollte dort verhandelt werden — und auch den Erz-
bischof von Sens mit seinen Suffraganen dazu zu entbieten,
Hessen ihm diese eine von Ivo von Chartres verfasste Absage
zukommen, in welcher sie ausführten: 'Nusquara . . . reve-
renda patrum sanxit auctoritas, nusquam hoc servare consuevit
antiquitas, ut primae sedis episcopus episcopos extra provinciam
propriam positos invitaret ad concilium, nisi hoc aut apostolica
sedes imperaret, aut una de provincialibus ecclesiis pro causis,
quas intra provinciam terminare non poterat, primae sedis
audientiam appellaret'; sie stützten sich dabei auf Entschei-
dungen des Clemens und Anaclet, welche dafür waren: 'ita
1) Urban nennt die Beschwerde Hugos 'querelam . . . mnltis iam
ante provincialibus conciliis agitatam' (J.-L. 5600 : 1095 December 1).
2) J.-L. 5600. 3) 'Cum Riclierius Senonensis archiepiscopus synodali
defiuitioni minime acquievisset, in Turonensi pariter ac Nemausensi con-
cilio per tuam est industriam repetita': Urban II. an Hugo von Lyon
J.-L. 5788: 1099 April 24). 4) J.-L. 5788. 5) J.-L. 5125.
Arles^vind Vienne. 263
demum mdicium episcoporum ad primates esse referendura, si
ad eorum audientiam fuerit appellatum' ^
In dieser verkümmerten Befugnis, welche also nur dem
Primas verstattete, die Berufung der in seinem (iebiete sess-
hafteu Bischöfe anzunehmen, ward der Theilprimat der Lyoner
Kirche von Paschal II. ^ und Calixt II.» bestätigt 4.
Nicht als Theilprimate, sondern als Theilvicariate sind die
rein persönlichen Machtvollkommenheiten des Erzbischofs Bern-
hard von Toledo, soweit er für Gallien in Betracht kommt 5,
und des Bischofs Girard von Angouleme ^ zu bezeichnen. Denn
wenn auch Urban II. den Erzbischof ßerengar von Tarragona
an die ihm bei seiner Erhebung auferlegte Bedingung erin-
nert: 'ut tam tu quam universi provinciae Tarraconensis epi-
scopi Toletano tam quam primati debeatis esse subiecti', so
folgt doch bald die Begründung: 'quia ei nostrae sollicitudinis
vices in Hispania universa et in Xarbonensi provincia mini-
strandas iniunximus' ^, und derselbe Papst stellt denselben
Erzbischof Bernhard von Toledo in einem andern Schreiben
der Geistlichkeit in Spanien und der Provinz Narbonne als
den Vertreter des apostolischen Stuhles vor^. Was die Be-
fugnis des Bischofs von Angouleme betrifft, so verkündet
Paschal IL den Geistlichen und Fürsten 'per Bituricensem,
Burdegalensem, Auscitanam, Turonensem ^ atque Britannicam
provincias' : 'vices nostras fratri carissimo Girardo Engolismensi
episcopo commisimus'; in die Rechte des Vicars wird dabei aus-
drücklich die Vollmacht beschlossen, die Bischöfe des ihm
unterstellten Gebietes zu Synoden zu berufen ^o, und diese
1) Mansi XXI, 78. 79. 2) J.-L. 6510: 1116 März 14. 3) J.-L.
6888: 1121 Januar 5. 4) Ueber die Ansprüche der Erzbischöfe von
Bourges in früheren Jahrhunderten urtheilt Hinschius (I, 597) mit Recht:
'Es wird sich zur Zeit Nicolaus I. wahrscheinlich nur um einen Versuch
der Erzbischöfe, auf Grund der politischen Bedeutung der Stadt ihrer
Kirche auch eine höhere kirchliche Stellung zu verschaffen, gehandelt
haben'. Die Zeit, in welcher der Titel 'primas Aquitaniae' der Wirklich-
keit entsprach, ist in dieser Abhandlung nicht mehr beachtet worden.
5) Vgl. Hinschius I, 600. 601. 6) Vgl. Hinschius I, 510. 7) J.-L.
5465: 1092 April 25. 8) J.-L. 5643: 1096 April 25. Als Urban den
zum Erzbischof von Narbonne beförderten Bischof Bertrand von Nimes
in seiner neuen Würde bestätigte (J.-L. 5688: 1097 November 6), sprach
er ihm zugleich eine Primatialgewalt in der zweiten Narbonner Provinz,
deren Vorort Aix ist, zu (J.-L. 5689. 5690); aber dieser Versuch, einen
neuen Theilprimat zu begründen, scheint an dem Widerstände des Erz-
bischofs von Aix zunichte geworden zu sein; vgl, Hinschius I, 600. 601.
9) Die Provinz Tours hat also zur Zeit Paschais II. und Calixts IL den
Erzbischof von Lyon zum Primas, dagegen den Bischof von Angouleme
zum Vicar. 10) 'Nee sollicitudinem , fratres carissimi, pigeat, cum
necessitas ecclesiasticae vitilitatis exegerit, synodales cum eo celebraro
conventus, quos nimirum convocandi nos ei vice nostra potestatem indul-
simus' (J,-L. 6262: 1110 April 14).
264 Wilhelm Gundlach.
ganze Bestallung unter Bezugnahme auf Paschais Vorgang von
Calixt II. im Jahi-e 1120 erneuert i.
Die bis zum dritten Jahrzelmt des zwölften Jahrhunderts
verfolgte Entwickelung des Primates in GaUien ergiebt auch
ihrerseits, dass die Epistolae Viennenses, welche die Errichtung
eines Theilprimates über die sieben Provinzen des südHchen
Galliens schon dem Papste Silvester I. (J.-K. 177), dem An-
fang des vierten Jahrhunderts, andichten, frühestens am Ende
des elften Jahrhunderts entstanden sein kiinnen, zu einer Zeit,
in welcher zum ersten Mal ein galhscher Theilprimat ins Leben
trat. In gleicher Weise dem geschichtlichen Werdegang Hohn
sprechend ist das Vorgeben der Vienner Briefe, als hätten die
Erzbischöfe von Viennc als Primaten von Nicolaus I. an auch
immer den Vicariat des apostolischen Stuhles besessen; denn
obzwar nur dreimal, von Kicolaus I. (J.-E. 2877), Gregor VII.
(J.-L. 5024) und Calixt IL (J.-L. G822), ausdrücklich die Ueber-
tragung des Vicariates gemeldet wird, so tritt er doch stets
als die Krone aller Vienner (Jerechtsame hervor ^ 5 und die
anderen Bestätigungen der erzbischötlichen Machtvollkonnucn-
heit sind mit Fleiss so allgemein gehalten'', dass damit jeden-
falls auch die Vertretung des apostolischen Stuhles angegeben
werden soll-*.
Von einer Einzelheit zu reden, so wh-d die letzte Urkunde
der Vienner Sammlung dadurch auch als Fidschung aufgezeigt,
dass von den acht Provinzen, welche als Vienner Vicariatsgebiet
von Calixt IL bezeichnet werden, drei: Bourges, Bordeaux und
Auch, unmittelbar danach von demselben Papste dem Bischof
von Angouleme als Vicariatsbezirk überwiesen werden: eine
wie hohe ^Meinung man auch von der Freiheit der Päpste
haben mag, mit ihren Legaten zu schalten, die Unmöglichkeit
dürfte einleuchtend sein, dass dieselben Provinzen am 25. Fe-
bruar dem einen Vicar und am 16. October desselben Jahres
dem andern von dem nämlichen Papste als Theile eines be-
schränkten Amtsbereiches bestätigt werden. Da nun zu den
1) J.-L. 6865: 1120 October 16. 2) Vgl. oben S. 72. 3) Vgl.
oben S. 76 — 78. 4) Hugo von Flavigny, dessen Chronik die Beein-
flussung von Vienner Seite auch durch die Aufnahme eines Vienner
Briefes (vgl. oben S. 12) verräth, berichtet (MG. SS. VIII, 356): 'For-
mosus vices suas Barnoino Vienuensi commisit, qui fuit frater Bosonis
regis'. Die höchste Vorstellung von der kirchlichen Bedeutung der Stadt
Vienne soll vielleicht erregt werden, wenn es in der Vorrede der an-
geblich 892 in Vienne gehaltenen Synode heisst: 'missa domni Formosi
apostolici congregata synodo apud Viennam, metropolim Galliae'
(Mansi XVIII, 121) und in der Vorrede einer andern Vienner Synode
des Jahres 1060 dem Worte 'Viennae' der Satz angehängt ist: 'quae
est metropolis Galliae' (Mansi XIX, 925).
Arles und Vienne. 265
gefälschten angeblich jüngeren Stücken die älteren sich dar-
stellen wie die für sie zurecht gemachte Ahnenreihe, so ist
auch diesen damit schon das Urtheil gesprochen: sie werden
im einzelnen als Erfindungen gekennzeichnet durch die gröb-
liche Unwissenheit, in welcher ihr Ei'finder über die Entwicke-
lung des Primates und Vicariates in Gallien befangen ist.
Das Endergebnis der auf den Gegensatz der Bisthümer
Arles und Vienne gewandten Untersuchung ist die Erfahrung,
dass zwar mederholt' die Bischöfe von Vienne den Bischöfen
1) Nach der Turiner Synode, welche zuerst mit dem Streit der beiden
Bisthümer 'de primatus honore', d. h. um die Metropolitanhoheit in der
Provinz sich zu befassen hatte (vgl. N. A. XIV, 329), gab die durch
Leo I. erfolgte Erniedrigung des Hilarius von Arles (vgl. N. A. XIV, 262
und oben S. 239) dem Bischof von Vienne willkommene Gelegenheit,
sein Metropolitangebiet fast über die ganze alte Vienner Provinz auszu-
dehnen : nur so ist es zu verstehen, wenn er sich beschwerend Leo an-
geht: 'Arelatensem episcopum ordinationem sibi Vasensis antistetis usur-
passe' (J.-K. 450) und die Arles getreuen Bischöfe gegen Vienne sich
erklären: 'quae sibi nunc inpudenter ac notabiliter primatus poscit in-
debetos' ('Memores quantum'). Die von Leo dann vorgenommene Schei-
dung der Provinzen Arles und Vienne hielt aber die Bischöfe von Vienne
nicht ab, nach einer Vergrösserung ihres knapp bemessenen Bereiches
zu streben; so weihte Mamertus von Vienne im Jahre 463 in Die, einer
Stadt, die seinem Nebenbuhler zugefallen war, einen Bischof, um sofort
von der Ahndung ereilt zu werden (J.-K. 556. 557. 55S); Avitus wusste
sogar bei Anastasius II. eine von Symmachus wieder beseitigte Mehrung
seines Metropolitangebietes durchzusetzen — Loening geht zu weit mit
der Behauptung (I, 530): 'Anastasius II. hob die Entscheidung Leos
wieder auf und erkannte dem Avitus als Metropoliten der Provinz Vienne
das Recht zu, alle Bischöfe derselben zu bestätigen und zu weihen'; denn
Symmachus sagt nur (J.-K. 754): 'inter Arelatensem et Viennensem
ecclesiam aliquod de ordinandis episcopis in vicinis civitatibus
oriri luctamen, illa re videlicet faciente, quod decessor noster sancte
recordationis Anastasius . . . aliqua contra veterum consuetudinem ius-
serit observari' — ; und auch Pelagius I. scheint auf einen Uebergriff des
Vienner Bischofs anzuspielen, wenn er (J.-K. 941), durch eine Mittheilung
des Bischofs Sapaudus von Arles betroffen, seiner Verwunderung Ausdruck
leiht, 'qua ratione tam nova res fuerit usurpata', und dem Sapaudus
empfiehlt, für einen Sachwalter zu sorgen, falls etwa der Usurpator den
apostolischen Stuhl für sich anrufen sollte; ja noch am Ende des achten
Jahrhunderts hatte die Frankfurter Synode den von neuem sich erheben-
den Streit der Erzbischöfe von Arles und Vienne um die ihnen zustehen-
den Suffragane zu schlichten (vgl. N. A. XIV, 330). Gerade auf dem
Gebiete der Metropolitanhoheit scheint dann auch das grossartige Fäl-
schungswerk der Epistolae Viennenses dem Erzbisthum den einzigen greif-
baren Vortheil eingetragen zu haben; denn die Notitia Coelestini, welche
in der ersten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts angefertigt ist (vgl.
Neher, Kirchliche Geographie und Statistik, Erste Abtheilung I, 551),
zählt als Suffraganbisthümer Viennes: Valence, Viviers, Die, Grenoble,
Maurienne und Geneve auf (ebenda S. 483) — also wirklich auch jene
drei (Die, Viviers, zuvor dem Bisthum Arles unterworfen, und Maurienne;
Noues Archiv etc. XV. 18
266 Wilhelm Gundlach.
von Arles Theile des Metropolitangebietes streitig gemacht
haben, dass aber um den Primat in Crallien — wenn man den
Anspruch des Desiderius von Vienne auf das PaUium» ausser
Acht lässt — niemals zwischen beiden Bisthümern ein Kampf
stattgefunden hat.
S c h 1 u s s.
Die Bedeutung* der Epistolae Arelatenses.
In der angestelken Prüfung ist die Arier ßriefsammlung
als eine lautere Quelle erfunden Avorden; ihi-e Bedeutung für
die allgemeine Geschichte und die Geschichte des fränkisch-
deutschen Reiches klar zu stellen, dazu möchte ich mir noch
wenige Worte erlauben.
Nachdem im Jahre 343 das Concil von Sardica den Be-
schluss gefasst hatte, dass ein seines Amtes entsetzter Bischof
von der Provinzialsynode an den römischen Bischof Berufung
einlegen dürfe, um von ihm die Wiederaufnahme des Verfah-
rens vor einer andern Synode zu erreichen 2, und das zweite
ökumenische Concil von Constantinopel im Jahre 381 den
Vorrang Roms im Abendlande durch den dritten seiner Sätze
angenommen hatte ', nachdem in Gallien selbst schon die erste
Arier Synode des Jahres 314 dafür ins Mittel sich gelegt hatte,
indem sie bestimmte, dass überall auf Erden das Osterfest
an demselben Tage nach Römischer Weismig gefeiert wer-
den sollte*, trat Innocenz I. in seinen Briefen an Victricius
von Ronen (J.-K. 286) und Exsuperius von Toulouse (J.-K.
293) ort'en mit dem Anspruch hervor, auch in Gallien die
Obmacht Roms anerkannt zu wissen '. Aber es fehlte viel,
dass das Ansehen, welches Rom genoss, um dessentwiUen man
sich gern in schwierigen kirchlichen Fragen bei dem römi-
schen Bischof Auskunft holte, sich in eine Herrschaft hätte
umsetzen sollen, der jedermann gehorsam war. So stand es
zu Anfang des fünften Jahrhunderts, als Zosimus jenen Bund
mit dem Bischof von Arles einging, von welchem die ältesten
Briefe der Arier Sammlung Kunde geben: dass der Papst dem
Bischof einen Primat gründe und aufrecht erhalte, und der
Bischof sich und dem Papste die gallicanische Kii-che unter-
vg\. oben S. 63 Anm.), um welche in den Vienner Briefen die Zahl der
wahren Vienner Suffraganbisthümer vermehrt worden ist (vgl. oben S. 75
Anm. 1), und ein anderer Anlass für diese Erwerbung als die gefälschte
Urkunde Calixts II. (J.-L. 6822), gleichsam der letzte Spross einer trüg-
lich bis in die fernste Vergangenheit hinaufgeführten Sippe, dürfte nicht
aufzufinden sein. 1) Vgl. oben S. 248. 2) Mansi III, 7; vgl.
Loening I, 452 — 454. 3) Mansi III, 559. 4) Mansi II, 471; vgl.
V. Hefele, Conciliengesch. P, 205. 5) Vgl. Loening I, 460—462.
Arles und Vienne. 267
werfe. Da beide Parteien sich wohl auf ihren Vortheil ver-
standen und, abgesehen von dem bald wieder ausgeglichenen
Zerwürfnis, welches Leo den Grossen mit Hilarius von Arles
so hart aneinander brachte, im Einvernehmen blieben, wurde
in der That, Avie die Epistolae Arelatenses bezeugen, der Zweck
des Primates erreicht: 'Die oberste richterliche und Gesetz-
gebungsgewalt des Papstes wurde im fünften Jahi'hundert in
Gallien nicht mehr bestritten' i. Als dann die Merowinger
das galHsche Land eroberten, trat eine Wandelung in dem
Verhältnis des Papstes zur gallicanischen Kirche ein. 'Die
wichtigste Veränderung, welche das Kirchenrecht infolge der
Gründung des fränkischen Staates erfuhr, bestand darin, so
lehrt Loening (II, 62), 'dass die Kirche der unmittelbaren
Einwirkung des Papstes entzogen wurde und sie aus der voll-
ständigen Unterordnung unter den römischen Stuhl, in welche
sie im Laufe des fünften Jahrhunderts gerathen war, heraus-
trat: ohne dass das Band, welches die Kirchen des Abendlandes
mit Rom verknüpfte, völlig gelöst worden wäre, wurde doch
dem Papste die Befugnis entzogen, in die inneren ^'Verhältnisse
der gallischen Kirche einzugreifen. Unter diesen Umständen
musste der Papst besonderen Anlass haben, seine Verbindung
mit dem gallischen Primas nur noch enger zu gestalten, um
durch ihn gewissermassen in den fränkischen Reichsverband
einzutreten; und sicherlich ist es kein Zufall, dass der erste
in den Arier Briefen genannte Papst, welcher mit einem Mero-
winger in Berührung kam, Vigilius, dem Bischof von Arles
die 'vices' des apostolischen Stuhles übertrugt. Vigilius ist es
auch, von welchem eine ausdrückliche Würdigung der von
dem Bischof von Arles zu Gunsten Roms entwickelten Thätig-
keit verlautet ; er verheisst nämlich ^ dem neu bestellten Bischof
Auxanius, welcher um eine Bestätigung der Vorrechte seiner
Kirche nachgesucht hatte, nur für den Fall eine Erfüllung
seiner Bitte, dass er in aUen Stücken seinem Vorfahr Caesa-
1) In diesem Endurtheil bin ich mit Loening (I, 492) vollkommen
einverstanden, aber nicht in der Erklärung, wie die Anerkennung Roms
zu Stande gebracht worden ist; nicht indem Leo den Trotz des Hilarius
brach — was gar nicht der Fall war — , sondern indem er nach dem
Tode des Hilarius mit dem Arier Primas einen Ausgleich suchte, hatte
er Erfolg. Ausserdem scheint mir die Meinung Loenings, welcher der
von Leo gegen Hilarius erwirkten Verfügung des Theodosius und Valen-
tinian einen viel zu hohen Werth beilegt, (I, 492) : 'So war die gallische
Kirche mit Hülfe der Staatsgewalt und durch kaiserliches Gesetz dahin
gebracht, die kirchliche Obergewalt des Bischofs von Rom anzuerkennen',
in Widerspruch zu stehen mit dem, was er S. 487 einräumt: 'Allerdings
war die Schwäche der Reichsregierung nicht im Stande, in allen schon
von Barbaren überschwemmten Provinzen des Reiches das Gesetz auch
zur Ausführung zu bringen'. 2) J.-K. 914: 545 Mai 22. 3) J.-K.
912: 543 October 18.
18*
268 Wilhelm aundlach.
rius nacheifere und sich auch als einen getreuen Parteigänger
des apostolischen Stuhles erweise •. In welcher Ai't aber der
von Vigilius gefeierte Caesarius zu Werke gegangen war, mag
man an einem einzigen Beispiele ermessen. Die unter dem
Vorsitz des genannten Bischofs abgehaltene dritte Synode zu
Vaison hat unter anderen Bestimmungen, welche nach römi-
schem Vorbilde eine einheitliche Ordnung des Gottesdienstes
anstreben 2j auch folgende Verfügung getroffen: 'Et hoc nobis
iustum visum est, ut nomen domini papae, quicumque
sedi apostolicae praefuerit, in nostris ecclesiis recitetur''.
Wenn man nach diesem einen Belege das Vorgehen des Bischofs
von Arles sich vorstellt, dann begreift man in der Tliat die
Gunst, Avelche ihm der apostolische Stuhl zuwandte, dann ist
fürwahr nicht umsonst gerade Caesarius von Arles als der erste
abendländische Bischof dui'ch die Palliumverleihung ausge-
zeichnet worden.
Dass die Mühe der Arier Primaten keine geringe war,
die gallicanischen Bischöfe gegen ihre Thätigkeit sich nur zu
oft spröde verhielten, dafür ist der fromme, d. h. vor allen
Dingen kirchlich gesinnte Bischof Gregor von Tours ein un-
verwerflicher Zeuge, indem er in seiner Ilistoria Francorum
vornelimlich die p]ntwickehmg der gallischen Kirche von ihrem
Ursprung an behandelt und als aufmerksamer Zeitgenosse bis
auf das erste Jahr des Papstes Gregor des Grossen fortführt.
Im ersten Kapitel des zweiten Buches •* wird von Bricius,
dem Nachfolger des heiligen Martin auf dem Bischofstuhl von
Tours, erzählt, dass er von den Einwohnern seiner Stadt ver-
trieben wurde und, um eine Wiedereinsetzung zu erlangen,
sich nach Rom an den Papst wandte. Aber so wenig küm-
1) 'Si . . . decessoris tui ill;i, quae a sede apostolica de funda-
mento petrae dominicae doctrinae bona suscipiens actibus exequavit,
imitare volueris et a sedis apostolicae in nulle deviaveris constitutis,
sicut scriptum est, coronam sino dubitatione percipies, quam dedit Deus
diligentibus se' etc. 2) Canon III: 'Et quia tarn in sede aposto-
lica quam etiam per totas orientales atque Italiae provincias dulcis et
nimium salutaris consuetudo est intromissa, ut Kyrie eleison frequen-
tius cum grandi afifectu et compunctione dicatur, placuit etiam nobis, ut
in Omnibus ecclesiis nostris ista tarn sancta consuetudo . . , in-
tromittatur . . .' Canon V: 'Et quia non solum in sede apostolica,
sed etiam per totum orientem et totam Africam vel Italiam ... in
Omnibus clausulis post 'Gloria': 'Sicut erat in principio' dicitur, etiam et
nos in universis ecclesiis nostris hoc ita dicendum esse decerni-
mus' (Mansi VIII, 727). 3) Canon IV. (Mansi VIII, 727). Die Ehrerbie-
tung-, zu welcher Caesarius seine Suflfraganbischöfe Rom gegenüber an-
hielt, kann man auch aus der Form herauslesen, in welcher Contumeliosus
seine Unterschrift giebt: 'Contumeliosus ita consensi in omnibus, ut, cum
sanctus papa Urbis suam oblatam dederit, recitemus ante altarium Domini'.
Ueber die Synode vgl. auch Loening I, 544. 4) VgL auch X, 31,
Arles und Vienne. 269
merte das die Widersacher des Vertriebenen, dass sie ihm
sofort einen Nachfolger gaben und, als dieser bald darauf
starb, abermals 'in sua malitia perdurantes' den Bischofstuhl
besetzten. Bricius dagegen, so berichtet Gregor, 'kam nach
Eom, erzählte alles dem Papste, was er erduldet hatte, wohnte
beim Stuhle der heiligen Apostel, sang dort unablässig die
Messe und beweinte alles, was er gegen den Heiligen Gottes
gefehlt hatte' 1 — und das that er sechs lange Jahre hindurch;
denn erst im siebenten Jahre kehrte er zurück, imd obwohl
versehen 'cum auctoritate papae illius', verdankte er seine
Wiederaufnahme doch nm', me es scheint, dem Umstände,
dass der Bischof von Tours gerade bei seiner Ankunft ge-
storben war 2.
Mag nun diese Erzählung richtig sein oder nicht, so viel
ist mit Sicherheit aus ihr zu entnehmen, dass Gregor von
Tours in der Zeit seines Vorgängers Bricius — er gehört dem
Ende des vierten und der ersten Hälfte des fünften Jahrhun-
derts an — einen Machtspruch des Römischen Bischofs für
eine gallische Kirche nicht als verbindlich hinstellen konnte
oder wollte.
Das zweite hier anzuführende Beispiel' gehört in eine
Zeit, welche nur zwei oder drei Jahrzehnte vor dem Papst-
thum des ersten Gregor liegt*.
Die Bischöfe Salunius von Embrun und Sagittarius von
Gap, so erzählt Gregor von Tours (V, 20), waren von einer
in Lyon zusammenberufenen Synode ihrer bischöflichen Würde
entkleidet worden. Beschwerde führend gingen sie ilu'en König
Guntram an und erlangten von ihm die Erlaubnis, nach Rom
zu ziehen, um vom Papste die Aufhebung ihrer Verurtheilung
zu erwirken. Der Papst — Johann HI. war es — verfügte
in der That in seinem an den König gerichteten Schreiben,
dass Salunius und Sagittarius wieder in ihrer bischöflichen
Würde herzustellen seien, und König Guntram gab dieser
Weisung Folge. 'Dies ist der einzige bei Gregor vorkom-
mende. Fall', bemerkt W. von Giesebrecht dazu 5, 'dass von
der Entscheidung einer Synode an den römischen Papst appel-
liert wird; dass diese Berufung durch den König geht und
durch ihn auch nur die Entscheidung des Papstes zur Geltung
kommt, geht aus der Erzählung selbst hervor. Als die Bischöfe
später durch eine zweite Synode abgesetzt wurden, ist deshalb
1) W. V. Giesebrecht, Zehn Bücher fränkischer Geschichte I^, 46.
2) Vgl. Loening I, 464. 3) Sonst haben wir nur noch Angaben, welche
der Heiliglieit der ewigen Stadt, der Wunderkraft ihrer Apostelgräber
gelten, wenn z. B. (VI, 6 und X, 1) Geistliche nach Rom gesandt wer-
den, um Reliquien zu holen. 4) Loening handelt davon II, 84. 85.
5) Ä. a. O. 12, 257 Anm.
270 Wilhelm Gundlach.
von einer abermaligen Appellation an den römischen Papst
gar keine Rede mehr'.
Da die Bricius- Angelegenheit vielleicht in die Zeit des
zu Rom in Gegensatz gerathenen Hilarius von Arles föUt, die
Lyoner Synode aber, welche Salunius und Sagittarius verur-
theilt, die des Jahres 567 ist, in welchem, wie N. A. XIV, 342
erAvähnt ist, sich nicht feststellen lässt, dass Guntrara der
Landesherr des Bischofs von Arles ist, so kann man in beiden
Fällen ein Eingreifen des galhschen Primas nicht erwarten;
beide Beispiele dienen nur dazu, die wenig günstige Haltung
der gallicanischen Kirche dem römischen Bischof gegenüber
zu erläutern.
Eine weitere Bestätigung dafür liefert noch ein unschein-
barer Vorgang, liefern die Worte, welche bei der Begegnung
eines Boten des Bischofs von Bordeaux mit König Charibert
gewechselt worden. In der Historia Francorum (IV, 26) ^ er-
öffnet der Bote das Zwiegespräch mit den Worten: 'Sei ge-
grüsst, ruhmreicher König, der apostolische Stuhl entbietet
Deiner Herrlichkeit den reichsten Segenswunsch' f'Sedis enim
apostolica eminentiae tuae salutem mittit uberrimam'). Da
sagte der König: 'Bist Du etwa nach Rom gereist, dass Du
mir einen Gruss vom Papste zu Rom bringst?' 'Nein', sagte
der Priester, 'Leontius [der Bischof von Bordeaux] entbietet
mit seinen Mitbischöfen Dir den Vatergruss' u. s. w.».
Selbst das noch in solchen Aeusserlichkeiten hervor-
brechende Selbstgefühl der gallisclien Bischöfe lässt auf die
Schwere des Kampfes schliessen, den die Bischöfe von Arles
zu führen hatten; dass sie ihn siegreich bestanden, dass sie
eine A\'irksamkeit weltgeschichtlicher Bedeutung entfaltet haben,
indem sie die Macht des Papstthums in die gallicanische Kirche
einfühi-ten und in ihr heimisch machten, dafür sind die Epi-
stolae Arelatenses ein sprechendes Denkmal.
Aber auch für die fränkisch - deutsche Geschichte haben
sie einen hohen Werth.
1) W. V. Giesebrecht a. a. O. I', 180. 2) Die Wörter 'aposto-
latus' und 'apostolicus', auf gallische Bischöfe angewendet, finden sich
auch sonst noch gelegentlich in den uns erhaltenen Briefsammlungen; so
in den Briefen des Sidonius (vgl. den Index MG. Auctt. antiquiss.
VIII, 453), des Faustus (ibidem p. 270. 273. 274. 291. 317. 326 u. s. w.),
des Avitus (z. B. Auctt. antiquiss. VI, ii, 89), in den prosaischen Briefen
des Fortunatus (Auctt. antiquiss. IV, i, 1. 49. 52. 101. 107. 112. 293;
IV, II, 27. 49), in den austrasischen Briefen (z. B. Ep. VI. XXI) und in
den Briefen des Desiderius von Cahors, der sich selbst 'servus servorum
Dei' nennt (I, 4. 5. 10. 12. 15 — nicht wie in den bisherigen Ausgaben
'peccator' — II, 8 ; auch Elegius von Noyon bezeichnet sich II, 6 so),
nämlich in I, 11. 13; II, 3. 5. 6. 7. 9. 13. 15. 16. 17. 20. Ganz ge-
wöhnlich ist bekanntlich in den merowingischen Diplomen 'apostolicus
vir et pater noster' die Bezeichnung eines fränkischen Bischofs.
Arles und Vienne. 271
Die Arier ßriefsammlung ist unter allen diejenige, welche,
auch nur äusserlich betrachtet, aus der Zeit der römischen
Kaiser in die Zeit der MeroAvingischen Könige hinüberführt;
indem am Anfang ein Schriftstück der noch in Gallien herr-
schenden Kaiser Honorius und Theodosius II. dargeboten wird,
dann aber Briefe mitgetheilt werden, in welchen die Könige
Theodebert I. und Childebert I. theils erwähnt, theils als
Empfänger angegeben sind i, eröffnen unverkennbar die Epi-
stolae Arelatenses die Reihe der für die fränkische Geschiente
in Betracht kommenden Briefe.
Und noch eine innere Beziehung auf die deutsche Ge-
schichte ist ersichtlich.
Man hat bisher stets den ersten Erzbischof von Mainz,
Winfried-Bonifatius, als den ersten Primas der später deutschen
Gebiete bezeichnet, indem man lediglich die zusammenhängende
Entwickelung der päpstlichen Macht in Deutschland von unseren
Tagen bis auf ihre Anfänge zurückverfolgte. Nicht gesehen hat
man dabei immer 2, dass es schon vor Winfried-Bonifatius
Primaten des austrasischen Reiches, also auch der Rheinlande,
des eigentlichen Bereiches des Bonifatius, gegeben hat eben in
den Bischöfen von Arles, da ihnen von den Päpsten als Pri-
matialgebiet auch das austrasische Reich zugewiesen worden
ist. Es ist Zeit, dass diese aus den Epistolae Arelatenses zu
entnehmende Thatsache anerkannt werde, wenn nicht heute
noch verstärkt der Vor-wTirf Geltung haben soll, den Eriedrich
der Grosse gegen den Geschichtsforscher seiner Tage erhoben
hat in dem Urtheil: 'Bei Ereignissen, die Folgen gehabt haben,
wird er weit umständlicher verweilen, als bei solchen, welche
sozusa^-en ohne Nachkommenschaft verbHchen sind '3.
1) Von Theoderich I. handelt in einem Briefe Vigilius (J.-K. 906),
von Childebert I. der nämliche Papst in fünf Schreiben (J.-K. 913. 914.
918. 919. 925); Papst Pelag-ius erwähnt den zuletzt angeführten König
in drei Briefen (J.-K. 941. 943. 947) und widmet ihm unmittelbar vier
Schreiben (J.-K, 942. 945. 946. 948). 2) In keiner 'Kirchengeschichte
Deutschlands' habe ich davon ein Wort gefunden — nicht bei Rettberg
(Göttingen 1846), nicht bei Friedrich (Bamberg 1867. 1869) und auch
nicht bei Hauck (Leipzig 1887). 3) 'De la litterature allemande'
(Deutsche Litteraturdenkmale des 18. und 19. Jahrhunderts XVI) p. 28.
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Arles und Vienne. ' 275
n.
Ueber die Unterschriften in den Acten gallischer
Synoden.
Die Verwerthung der Unterschriften, welche in den Acten
gallischer Synoden sich finden, zu Folgerungen, welche den
Rang der auf den Synoden anwesenden Bischöfe angehen, hat
zur unerlässlichen Voraussetzung, dass die Reihenfolge der
Unterschriften durch Gesetze geregelt war. So unverbrüchlich
ich sie nennen möchte, man hat bisher diese Auffassung sich
doch nur mit dem Vorbehalt zu eigen gemacht, dass im ein-
zelnen häufig Abweichungen eintreten. Darum fällt mir die
Aufgabe zu, gegen diesen Vorbehalt die Ordnung, nach welcher
die Unterzeichnungen abgegeben Avurden, zu entwickeln und
— wenigstens an einigen Beispielen — die Störungen zu er-
klären.
Die Meinung, zu welcher Friedrich bei der Besprechung
der Synode von Paris (V) sich bekennt (Drei unedierte Concilien
S. 17), lässt sich mit seinen eigenen Worten also wiedergeben:
'Die Metropoliten des Frankenreichs stehen meistens an
der Spitze der Synodalunterschriften. . . Es entgeht mir zwar
nicht, dass mitunter eine kleine Unordnung in den Subscriptionen
vorkomme, manchmal Erzbischöfe nach Bischöfen unterzeich-
neten; allein es geschah nur ausnahmsweise. An der Schwelle
des neuen Jahrhunderts, noch im Jahre 599, hatte ja Papst
Gregor der Grosse in einem Briefe an Syagrius von Augusto-
dunum ausdrücklich alle Unordnungen in den Unterschriften
der Concilien verboten : von nun an sollte eine Ordnung inne-
gehalten werden, einerseits nach dem Vorrange der einzelnen
Kirchen, andererseits nach dem Weihealter' i.
Indem sich Friedrich diese Verfügung für die Erläuterung
der Pariser Synode zu nutze macht, aber nur zu bald ein-
sehen muss, dass damit allein nicht auszukommen ist, weist er
noch auf andere Gesichtspunkte hin, unter welchen die Unter-
schriften geordnet sein könnten : nach dem Metropolitanverband,
nach dem Lebensalter und nach dem Alter der Bisthümer, um
1) Die Meinung Loenings in dieser Frage lautet folgendermassen
(II, 143): 'Was den Vorsitz auf den National- und Particularconcilien
betriflft, so wurde derselbe immer von einem der Metropoliten geführt;
jedoch scheint keine feste Regel darüber bestanden zu haben, welchem
der auf dem Concil anwesenden Metropoliten der Vorsitz zukomme: weder
der Metropolit, zu dessen Verband der Versammlungsort des Concils ge-
hörte, noch der Metropolit, in dessen Bisthum (Erzdiöcese) das Concil
zusammentrat, hatten ein Recht darauf, noch gab das Ordinationsalter,
welches nach der Vorschrift Papst Gregors des Grossen die Rangordnung
der Bischöfe auf dem Provinzialconcil bestimmen sollte, einen solchen
Anspruch'.
276 Wilhelm Gundlach.
schliesslich, da auch das nicht aushilft, zuzugeben, dass über-
haupt kein planmässiges Verfahren zu entdecken sei.
Wenn es richtig wäre, was Friedrich lobend zugesteht,
dass Garns bei den spanischen Bischöfen auf den Synoden von
Elvira, Arles und Sardica eine Anordnung nach dem Alter
ihrer Bischofsitze nachgewiesen hätte', dann müsste diesem
Grundsatz eine ernste Würdigung gewidmet werden. Wer
aber den Auseinandersetzungen des von Friedrich aufgerufenen
Gewährsmannes folgt, der wird wahrnehmen, dass der ver-
meinthche Nachweis auf die dürftigen und unzuverlässigen An-
gaben über die Stiftung der ältesten Kü'chen, auf überaus
deutungsfähige Legenden sich gründet, also schliesslich nur die
willkürlichen Annahmen des Beweisenden zur Unterlage hat —
eine Wahrnehmung, welche um so weniger zu einer Zustim-
mung geneigt machen dürfte, als Gams, Avelcher eingestandener-
massen selbst früher eine Ordnung nach dem Ordinationsalter
annahm und die Abweichungen davon ungenauer Ueberlieferung
zuschrieb, mindestens von einer Liste der in Sardica an-
wesenden Bischöfe auch bei seiner geänderten Ansicht noch
zugiebt (S. 182), dass die Bischöfe wahrscheinlich nach dem
Alter ihrer Ordination imterschrieben. Ist also in Ansehung
besonderer Verhältnisse die Wirksamkeit des auf das Grün-
dungsjahr weisenden Satzes für die Synoden zu Elvira, Arles
imd Sardica entsclueden zu bestreiten, so kommt noch eine
allgemeine Erwägung hinzu, welche die Brauchbarkeit des
Satzes auf das ärgste herabdrückt: Hätte jemals an Stelle des
Gesetzes, dass bei der Unterschiüft stets der früher ordinierte
Bischof dem später ordinierten vorgeht, eines Gesetzes, welches
mit seiner jeder Zeit leicht zu erfüllenden Vorbedingimg —
der Feststellung des Zeitpunktes der Ordination — Ordnung
und Frieden verbürgte, der von Gams verfochtene Grundsatz
Geltung gehabt, dann wäre ja — selbst schon in der Zeit der
angeführten drei Synoden — unter den Bischöfen des Haderns
kein Ende gewesen.
Ohne dann den Gesichtspunkten, welche Friedrich angiebt,
die Untersclu'iften könnten nach dem Lebensalter der Bischöfe
oder nach dem Metropolitanverband sich gefolgt sein, besondere
Beachtung zu schenken, da kein einziges Beispiel dafür bei-
zubringen ist, wende ich mich gegen die Auffassimg Friedrichs,
dass erst Gregor der Grosse wieder durch seinen an Syagrius
von Autun gerichteten Brief eine sti'engere Folge der Unter-
schriften anbefohlen habe.
Der Papst will gar nicht, wie man nach den Worten
Friedrichs annehmen muss, eine Verfügung treffen, welche auf
die ganze Kirche sich bezieht; er hat lediglich die Provincia
1) Die Kirchengeschichte von Spanien II, Erste Abtheilung, S. 173 ff.
Arles und Vieiine. 277
Lugdunensis im Auge, wenn er in seinem Schreiben (J.-E. 1751)
den mit dem Pallium bewidmeten Bischof von Autun im Range
erhöht und ihm unmittelbar nach dem Metropoliten — dem
Bischof von Lyon — Sitz und Stimme auf den Synoden und
damit auch die Stelle in den Unterschriften zuweist, des weiteren
aber bestimmt: 'ceteros . . . episcopos' — derselben Provinz
— 'secundum ordinationis suae tempus sive ad considendum
in concilio, sive ad subscribendum vel in quahbet alia re sua
attendere loca'; mithin ist auch nicht, wie Friedrich meint, eine
Erneuerung des Grundsatzes von Gregor in Absicht genommen,
vielmehr nur davon die Pede, dass es für die Sufft-aganbischöfe
der Provinz Lyon in ihrer Rangordnung auf den Synoden bei
dem herkömmlichen Brauche sein BcAvenden haben solle. Wir
gewinnen in dieser aus dem Jahre 599 stammenden Verfügung
des Papstes ein unantastbares Zeugnis dafür, dass füi' die hier
in Betracht kommende Zeit — mindestens doch für das sechste
Jahrhundert und wohl auch für das fünfte — die Bischöfe
'secundum ordinationis suae tempus' die Synodalacten zu unter-
schreiben gehalten waren.
Als leitender Grundsatz genommen, ergiebt diese Fest-
setzung, ergiebt der ganze Brief Gregors im einzelnen unzwei-
deutig, dass — nach dem dauernd oder jeweihg bestellten, mit
der Einberufung betrauten Vertreter des apostolischen Stuhles
— in erster Reihe die Metropolitanbischöfe die Synodalacten
zu unterzeichnen hatten je nach der Stelle, welche ihnen die
sich folgenden Zeitpunkte ilu'er Ordination anwiesen, dass,
nach demselben Gesichtspunkt geordnet, die Bischöfe sich ihnen
anreihten, dass endlich auch nach dem Ordinationsalter der
Bischöfe die etwa anwesenden Abgesandten — ohne Rücksicht
darauf, welchen Rang die Stellvertreter einnahmen, ob es
Diaconen, Presbyter oder Aebte waren — mit ihren Unter-
schriften den Bescliluss machen mussten.
Woran erkennt man denn mtn, dass die Untersclu-iften
innerhalb der drei Klassen der Metropoliten, Bischöfe und Stell-
vertreter nach den angegebenen Regeln geordnet sind?
Wenn nicht die Gunst des Zufalls es gestattet, für jeden
der Unterzeichneten das genaue Datum seiner Ordination aus
sonst vorhandenen Nachrichten zu ermitteln, — und das dürfte
kaum jemals für alle gleichmässig der Fall sein — dann bleibt
nur ein Merkmal übrig: dieselbe Reihenfolge derselben Bischöfe
in den Unterschriften einer zweiten Synode, welche in unregel-
mässigem Abstände von einander noch andere Theilnehmer
aufweist als die erste.
Um diese Aufstellung zu begründen, muss ich erörtern,
wie sich denn die Unterschriften in den Acten ausnahmen;
ich muss hier, von dem Schriftbefunde handelnd, eine
278 Wilhelm Gundlach.
Untersuchung anstellen, welche in das Gebiet der Urkunden-
lehre gehört.
Leider hat sich von den gallischen Synoden des fünften
und sechsten Jahrhunderts kein ProtocoU im Original erhalten,
von welchem die Verhandlung ausgehen könnte. Das älteste
Schriftstück dieser Art, welches in einer allgemein zugäng-
lichen Abbildung zu Gebote steht, glaube ich in einer Tafel
des Nouveau traite de diplomatique (tome V, p. 464. 465) aus-
findig gemacht zu haben: sie stellt die Unterschriften einer
Urkunde dar, Avelche mit den Acten der im Jahre 862 ge-
haltenen Synode von Pitres im Zusammenhange steht und ins-
besondere auch in der Unterfertigung ebenso wie die Synodal-
acten behandelt zu sein scheint. Wenn das Auge sich an das
zunächst unentwirrbar scheinende Gewimmel der Namen ge-
Avöhnt hat, dürfte man wahrnehmen, dass im ganzen eine An-
ordnung in vier neben einander stehende Columnen durch-
geführt und nur in der dritten davon abgewichen ist, indem
hier zweimal zwei Namen auf einer Zeile nebeneinander gestellt
sind. Da die Musterung der einzelnen Namen zeigt, dass
Wanilo von Sens und Aeneas von Paris zwiefach ihre Unter-
schrift gegeben haben: das erste Mal durch Abgesandte, das
zweite j\Ial mit eigener Hand, dass ferner der Bischof Agius
von Orleans imd sein Nachfolger Gualtarius die Acten miter-
zeichnet haben, so ist es klar, dass von den nachträglich
hinzugefügten Unterschriften* diejenigen unterschieden werden
müssen, welche, auf der SjTiode selbst ertheilt, hier ausschliess-
lich in Betracht kommen. Sie werden jedenfalls von Hinkmar's
eröffnet, der nach einem Chi-Rho-Zeichen in dieser Form unter-
schreibt: 'Ilincmarus sanctae metropolis ecclesiae Remorura
episcopus subscripsi'. Wenn diese Unterschrift auch nicht in
grösseren Buchstaben ausgeführt ist, als die anderen, so ist sie
doch so weit auseinandergezogen, dass unter ihr zwei Columnen
sich ansetzen können, in deren erster zunächst die ]\Ietropolitan-
bischöfe von Tours und Ronen und dann noch drei andere
1) Wenn man bedenkt, dass die Urkunde den abwesenden Bischöfen
und Aebten nicht nach ihrem Range zur Unterschrift vorgelegt wurde —
selbst schon die Vertreter des Wanilo und Aeneas sind offenbar, nach
der Stelle ihrer Unterschrift zu urtheilen, nicht in Pitres gegenwärtig ge-
wesen — , sondern dass andere Umstände dafür massgebend waren, so wird
man sich einerseits nicht wundern, dass jedes freie Plätzchen — über,
neben (in der zweiten und vierten Columne) und unter den ursprünglichen
Unterschriften — ausgenutzt wurde, andererseits aber auch nicht erwarten,
dass nun aus diesem Wirrwarr noch von irgend jemandem der Rang aller
Unterzeichneten herausgelesen werden kann. Gerade diese auffallende
Unregelmässigkeit, welche keineswegs jedem Deutungsversuche widerstrebt,
dürfte ein Beweis für die Echtheit der Urkunde sein, was immer (nach
Mansis Bemerkung XV, 633. 634 nota) dagegen vorgebracht sein mag.
Arles und Vienne.
279
Bischöfe, in deren zweiter sechs
Bischöfe, alle ungefähr in der näm-
lichen Fassung wie Hinkmar, unter-
zeichnen, während die dritte Co-
lumne nicht in gleicher Höhe,
sondern eine Zeile tiefer begin-
nend, ursprünglich überhaupt nur
zwei Namen, die der Bischöfe
Hunfridus (Morinensis) und Isaac
(Lingonensis) enthalten zu haben
scheint '.
Indem ich die räumliche Ver-
theilung der Unterschriften, wie
sie in dem Eschatocoll dieser Ur-
kunde erscheinen, als ein Muster
auch für die Unterschriften der
Synodalacten vorangehender Jahr-
hunderte ansehe, will ich nicht
behaupten, dass die Form der
Unterschriftszeile nun auch in allen
Stücken der im neunten Jahrhun-
dert übhchen geglichen habe ; denn
es ist mir lediglich um die Folge
der Unterschriften, um ihre Ab-
setzung in Columnen zu thun.
Wenn wir in der Ueberliefe-
rung stets auch die ursprüngliche
Raumvertheilung erhalten sähen,
dann wäre es oft möglich, die
echte Aufeinanderfolge der Bischöfe
nach ihrem Ordinationsalter zu er-
kennen ; so aber ist nicht nur von
den späteren Abschreibern, son-
dern vielleicht schon von Schrei-
bern auf den Synoden selbst die
Columnenordnung verlassen und
dafüi* entweder die ununterbro-
chene Folge der Unterschriften in
fortlaufenden Zeilen gewählt oder
mit jeder neuen Zeile auch eine
neue Unterschrift begonnen wor-
den. Denn es ist anzunehmen,
dass von dem Originalprotocoll
mit den eigenhändigen Unter-
schriften der Theilnehmer, welches
ohne Zweifel dem Vorsitzenden
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280 WUhelm Gundlach.
verblieb", gleich auf der Synode selbst für alle Theilnehmer
Abschriften angefertigt worden sind — für die anwesenden
Bischöfe von den sie begleitenden Geistlichen ^^ für die ab-
wesenden von den \^eUeicht auch zur Abschrift, nicht nur zur
Unterschrift entsandten Stellvertretern — ; und dass schon dabei
— in Folge der allgemeinen Bekanntschaft, auf welche die Theil-
nehmer unter den Standesgenossen ihrer Zeit rechnen konnten
— die Unterschriften als der weniger wesentliche Bestandtheil
der Acten bisweilen ganz fortgelassen', oder doch — um die
Namen der Bischofsstädte — verkürzt"* oder in anderer Weise
verändert wurden 5^ dass auch auf ihre ranggemässe Reihen-
folge kein grosser Werth gelegt wurde, ist meines Erachtens
so einleuchtend, dass nicht erst spätere Abschreiber allein für
die Abweichungen in den von einer Synode vorhandenen
Bischofslisten verantwortlich zu machen sind. Wenn aber das
OriginalprotocoU späteren Abschreibern zuhanden kam, dann
war gerade die Columnenordnrmg ganz danach angethan,
Irrungen vielfacher Art zu veranlassen, da bei folgerichtigem
Vorgehen zuweilen die einzelnen Zeilen durch alle Columnen
hindurch abgeschrieben, oder, wofern — wie in der besprochenen
Urkunde — die Unterschriften der zweiten Columne, nicht die
Zeilen der ersten Columne weiter foi'tsetzten, sondern zwischen
ihnen standen, Unterschriften ausgelassen und etwa ausgelassene
an unrechter Stelle nachgetragen wurden, bei Avillkürlichem
Vorgehen aber, das man ja wohl auch in Anschlag bringen
muss, eine Verwirrung angerichtet ward, welche jeden Heil-
versuches spottet.
Um also Ordnung, das will sagen dieselbe Folge derselben
Bischöfe in die uns überlieferten Unterschriften der Synodal-
acten zu bringen, Avird man darauf ausgehen müssen, die Co-
lumnen des Originalprotocolls wiederherzustellen. Hat man
das für zwei Synoden mit dem Ergebnis durchgeführt, dass in
der Folge der einzelnen Bischöfe die beiden Listen sich ein-
ander entsprechen, dann darf man sicher sein, dass man damit
ihre durch die Ordination bestimmte Rangordnung gefunden
hat, falls die Reihe der sich entsprechenden Bischöfe wenig-
1) Die nämliche Anschauung hat auch Lippert in seinem ohen erwähnten
Aufsatze (N. A. XIV, 12 Anm. 5) geäussert. 2) Man vergleiche die Unter-
schriften der Synoden von Orange (441) und Vaison (442), welche Maassen
(Quellen I, 951. 952) aus dem Codex Coloniensis mittheilt: hier geben
die Bischöfe auch die Geistlichen ihres Gefolges an. 3) Die Acten
der Synode zu Vaison (442) sind nur in der Cölner Handschrift unter-
zeichnet, allen anderen Ueberlieferungen fehlen die Unterschriften (Maassen
a. a. O.) 4) Man halte die Unterschriften der Synode zu Orange (441),
wie sie von Maassen angeführt werden, zusammen mit dem Druck bei
Mansi (VI, 441). 5) Auch die oben berührten Fälschungen, welche
den Vorsitz betreffen, sind so leicht erklärlich.
Arles und Vienne. 281
stens in der einen Liste mit neuen ßischofsnamen, welche nicht
in der andern Liste zu finden sind, in unregehnässigem Ab-
stände durchsetzt ist. Denn unter der Voraussetzung, dass die
Verwirrung stiftenden Abschi'eiber planmässig verfahren sind,
d. h. stets die Zeilen und nicht die Columnen wiedergegeben
haben', mussten ihre Abschriften sich folgendermassen gestalten:
1. Wenn in den Originalprotocollen zweier Synoden bei
einer beliebigen Anzahl Unterschreibender die Reihe derselben
ununterbrochen war — von keinem Namen gestört wurde,
welcher in der andern Liste sich nicht finden Hess — dann
wurden :
a. bei ungleicher Zeilen- und ungleicher Columnenzahl ^ und
b. bei ungleicher Zeilen- und gleicher Columnenzahl'
die Stellen derselben Bischöfe in den Abschriften ver-
schoben,
c. bei gleicher Zeilen- und beliebiger Columnenzahl, aber
dieselben Bischöfe von den Abschreibern zwar an ver-
schiedener Stelle, indessen in der nämlichen Folge unter-
gebracht •*.
Der letzte Fall könnte dazu verführen, die Reihenfolge der
Bischöfe, wie sie fälschlich von den Abschreibern angegeben
ist, für zuverlässig anzusehen, Avenn nicht der gleiche Abstand
der in dem ersten Synodalprotokoll nicht vorhandenen Unter-
schriften — K an vierter, L an achter, M an zwölfter Stelle
— Verdacht erregen müsste. Nur wenn die letzte Columne
nur eine Unterschrift bietet — K — dann Hegt auch zu dem
1) Wenn ich im allgemeinen angeben soll, in wie viele Columnen
man die Unterschriften angeordnet habe, so möchte ich nicht zwei, wie
Lippert a. a. O. S. 30 Anra. 2, sondern bei irgend zureichender Menge
mindestens drei als das allgemein Passende bezeichnen.
2) A D G
B E H
C F I
wurde wiedergegeben als
ADG BEH CFI; dagegen
3) Die Unterschriften des ersten Protocolls, welche ebenso wie in der
vorigen Anmerkung abgeschrieben wurden, hatten dann gegen sich
aus dem zweiten Protocoll, dessen vierte Columne fortzulassen ist:
AEI BFK CGL DHM. 4) Die Unterschriften:
A
E
I
N
B
F
K
0
C
G
L
P
D
H
M
Q
als AEIN BFKO CGLP DHMQ.
A
D
G
B
E
H
C
F
I
A
D
G
K
B
E
H
L
C
F
I
M
ergaben zwar für das erste Protocoll: ADG BEH CFI und das zweite:
ADGK BEHL CFIM, sodass z. B. B in der Abschrift des ersten Proto-
colls an vierter, in der des zweiten Protocolls an fünfter Stelle steht;
da aber die aus dem zweiten Protocoll vor B wiedergegebene Unterschrift
K im ersten Protocoll nicht vertreten ist, so ist wenigstens die Folge der
den beiden ProtocoUen gemeinsamen Unterschriften dieselbe.
l\eues Archiv etc. XV. 19
282 Wilhelm Gundlach.
leisesten Verdachte kein Anlass vor. Zum Glück dürfte es
indessen kaum vorgekommen sein, dass gerade nur die jüngsten
Bischöfe, welche zuletzt zu unterzeichnen hatten, einer Synode
ferngeblieben sind,
2. Wenn die Reihe der Unterzeichnenden in dem einen
Synodalprotocoll, gegen die Unterschriften eines anderen Pro-
tocolls gehalten, unterbrochen ist, d. h. ausser einer Anzahl der
nämlichen Namen als Unterbrechungen ihrer Reihe noch andere,
welche in dem andern Protocoll nicht vorhanden sind, aufweist
oder einige vermissen lässt, welche in dem andern sich finden,
oder Ueberschüsse und Lücken zugleich zeigt, dann muss —
wenn nicht ein seltener Zufall den nämlichen Unterschriften
dieselbe Stelle verschafft — die Folge der einzelnen Unter-
zeichnungen selbst schon bei gleicher Zeilen- und Columnen-
zahl in den Abschriften gestört werden >. —
Man darf also, so oft die Theilnehmerlisten zweier Synoden
dieselben Bischöfe in derselben Folge erkennen lassen und da-
bei wechselseitig Ueberschüsse und Lücken haben, der Ueber-
zeugung sich hingeben, dass die Abschreiber jede Columne erst
bis zu Ende wiedergaben, ehe sie zu der nächsten übergingen.
Dieser Grundsatz, die Frucht der unter Nummer 2 er-
wogenen Verhältnisse, wird fast immer, ein Ergebnis jener
dreifachen Möglichkeit, deren unter Nummer 1 gedacht worden
ist, fast niemals zur Anwendung kommen — wofür auch die
beiden hier nun zu besprechenden Beispiele ein Beleg sein
können.
Indem ich zuerst die in den Acten der Synoden von Riez
(439), Orange (441) und Vaison (442) ersichtlichen Unter-
schriften vornehme *, gehe ich von der zuerst genannten Synode
B
G
0
C
I
P
E
L
Q
F
N
s
als BGO
CIP
ELQ
FNS wieder
gegebeu
werd
en.
1) Um gleich den verwickeltsten Fall zu nehmen, so meine ich,
würden doch die Unterschriften :
A E K
B G N
D I Q
von dem Abschreiber in der Folge:
AEK BGN DIQ; dagegen
2) An handschriftlichen Hilfsmitteln habe ich für diese Untersuchungen
benutzt den Cod. Paris, lat. 12097 (Corb. 26) s. VI. VII., nach welchem
ich von Herrn A. Molinier iu Paris die Beantwortung einiger Fragen er-
beten habe, den Cod. Colon. 212 s. VII., welcher, von mir selbst in
Berlin untersucht, wie die angeführte Pariser Handschrift auch für heraus-
zugebende Briefe in Betracht kommt, und ausserdem die beiden jetzt in
Berlin befindlichen Codd. Phillipp. 1745 (Meerm. 578) s. VI. VII. und
1743 (Meerm. 576) s. VII. VIII: wenn also auch nur eine kleine Anzahl
von Handschriften herangezogen worden ist, so sind es doch die ältesten,
welche überhaupt für den erwähnten Zweck in Frage kommen können.
Arles und Vienne. 283
aus — ein Verfahren^ welches wegen der kleinsten Theilnehmer-
zahl dieser Synode auch dann empfehlenswerth wäre, wenn die
Was die zuletzt angeführte Handschrift anlangt, so bat Maassen (Quellen
I, 638 und Bibl. Erster Theil, IV (England) S. 171. 172) geglaubt, ohne
dass es ihm vergönnt war, die Handschrift selbst einzusehen, den Nach-
weis führen zu können, dass sie der von Sirmond benutzte Codex sancti
Remigii Remensis ist. Wenn nun auch anerkannt werden muss, dass in
der That, wie Maassen ausführt, eine grosse Anzahl Synodalacten, welche
von Sirmond als Inhalt der fraglichen Handschrift gegeben werden, nach
den vorliegenden Beschreibungen in dem in Rede stehenden Cod. Phillipp.
sich finden, so ist doch dagegen schon geltend zu macheu, dass in dieser
Beziehung unter den Handschriften, welche Syuodalacten enthalten, manche
Aehnlichkeit besteht, die nicht den Schluss auf Identität zulässt. Was
mich aber vollends bestimmt, gegen die Gleichsetzung des Cod. Phillipp.
1743 mit dem Cod. sancti Remigii mich zu erklären, ist eine Wahr-
nehmung, auf Grund welcher ich nachweisen zu können meine, dass dieser
Cod. Phillipp. der Cod. sanctae Maria e Remensis des Sirmond ist.
Jener merkwürdige Brief, welcher von italienischen Geistlichen an frän-
kische nach Constantinopel reisende Gesandte gerichtet ist und ihnen
Milderung in dem Schicksal des Papstes Vigilius und des Bischofs Datius
von Mailand — beide sind in Folge des Drei -Kapitel -Streites in Con-
stantinopel gefangen gehalten — herbeizuführen ans Herz legt ('Ita se'),
findet sich nach Sirmonds Angabe (Conc. I, 2ü3) in dem Cod. sanctae
Mariae Remensis. Wenn ich nun nach vielen vergeblichen Bemühungen,
den Codex zu ermitteln, zufällig den Brief in dem Cod. Phillipp. 1743
entdeckt habe, so will ich darauf noch nicht allein die Auffassung gründen,
dass der Cod. Phillipp. der bisher verloren geglaubte Codex sanctae
Mariae Remensis ist, so wahrscheinlich das auch daraufhin schon sein
mag. Zu dem erwähnten Briefe: 'Ita se' bemerkt nämlich Sirmond ein-
leitungsweise: 'Quae in sancti Petri . . . basilica per vim contra illum' —
das ist der Papst Vigilius — 'gesta commemorat, eadem ipsa confirmantur
in ipsius Vigilii epistola XV., quae cum mutila sit in vulgatis
exemplaribus, integra extat in codice ms. sanctae Mariae
Remensis, ex quo et haue quoque nostram — 'Ita se' — deprompsi-
mus". Der angezogene Vigilius - Brief ist ohne Zweifel das von Mansi
(IX, 50) als XV. zum Abdruck gebrachte Schreiben: 'Dum in sanctae'
J.-K. 931. Nun findet sich aber dieser selbe Brief, welcher nach dem
Codex Lucensis (Mansi IX, 51 nota c) — jedenfalls einem Mitgliede
der 'vulgata exemplaria' — in verkürzter Ausdehnung nur bis zu den
Worten: 'ab ipso fuerat allata pariter designaret' reicht, in dem Cod.
Phillipp. 1743 fol. 276 — 281 und zwar in vollständigem Wortlaut, welcher
über die angegebene Stelle hinausgeht, an derselben aber — von Sirmonds
eigener Hand? — die Bemerkung zeigt, dass hier der Brief, p. 503, tom. 2,
schliesse — ohne Zweifel in der Ausgabe der Concilia Generalia des
Binius (Colonia Aprippina, 1606)! Wenn nun in der Vollständigkeit
dieses Vigilius-Briefes: 'Dum in sanctae' und in dem Vorhandensein des
Schreibens: 'Ita se' unterscheidende Merkmale der Handschrift zu er-
blicken sind — was mir nach Sirmonds Worten nicht zweifelhaft ist — ,
dann dürfte damit die Identität der Handschrift mit dem Codex sanctae
Mariae Remensis des Sirmond erwiesen sein.
19*
284
Wilhelm Gundlach.
Versammlung von Riez auch nicht am fi'ühesten von den drei
angegebenen Zusammenkünften üele.
Vergleicht man die Bischöfe, welche 439 unterschrieben ',
mit den auf der Synode zu Vaison als Theilnehmer aufgeführten,
so erhält man auf beiden Seiten mit einer einzigen Ausnahme
genau dieselbe Reihenfolge: die Ausnahme trift't den Bischof
Auspicius von Vaison, welcher in der Versammlung des Jahres
442 nach der Kölner Handschrift — und nur an sie halte ich
mich hier — mit seiner Unterzeichnung die Reihe der Unter-
schriften eröffnet. So auffallend diese Anführung ist, so bietet
sie doch auch die Handhabe, die Columneu herzustellen und
damit die befremdliche Stellung zu erklären. Nimmt man
nämlich an, dass die Unterschrift des Bischofs von Vaison die
zweite Columne begann und nur durch eine etwas höhere
Stellung über der von dem Vorsitzenden, dem Bischof Hilarius
von Arles, bei seiner Unterzeichnung eingehaltenen Linie den
Schreiber dazu bewog, zuerst die Unterschrift des Auspicius
abzuschreiben, dann lassen sich die Unterschriften der einund-
zwanzig anwesenden Bischöfe, zu welchen noch die zweier ab-
wesender hinzukommen, in drei Columnen vertheilen, von
welchen die erste für die Metropolitanbischöfe von Arles und
Vienne und die fünf ersten einfachen Bischöfe zur Unterzeich-
nung ausreichte, sodass also Auspicius von Vaison, welcher
die zweite Columne einführt, an die achte Stelle aller, an die
sechste der einfachen Bischöfe gehört 2. Dass mit dieser Aende-
rung das Richtige getroffen ist, ergiebt eine Gegenüberstellung
der Bischofslisten von Riez und Vaison, von welchen die erstere,
uns ohne die Namen der Bischofstädte überliefert, nun auch
darum in erwünschter Weise vervollständigt werden kann:
1) Wenn ich nichts weiter angebe, habe ich Veranlassung, dem von
Mansi mitgetheilten Wortlaut zu folgen.
2) 6. Auspicius Vasensis
I. Helarius Arelatensis
7, Severus Venciensis
II. Claudius Viennensis
8. Valerianus Cimel.
1. Constantianus Carp.
ö. Constantius Ucet.
2. Severianus Eturamine
3. Armentarius Antipol. 10. Nectarius Aven.
4. Audentius Vocons. 11. Asclepius Cavell.
13. Salonius Genevensis
14. Agustalis Telonensis
15. Theudorus Foroiul.
16. Maximus Reiensis
17. lustus Arausicensis
18. Ingeuuus Ebred.
5. lulius Aptensis
12. Ceretius Gratianop. 19. Superventor
a. Claudius Saliniensis
b. Cariatho Valentiniensis.
Arles und Vienne.
285
Riez (439)
I. Hilarius (Ai'elatensis)
Vaison (442)
I. Helarius Arelatensis
II. Claudius Viennensis
1. Constantianus Carpentorat.
2. Severianus Eturamine'
3. Armentarius Antipolitanus
4. Audentius Voconsiensis
5. lulius Aptensis
6. Auspieius Vasensis
7. Severus Venciensis
8. Valerianus Cimelensis
9. Constantius Uceticensis
10. Nectarius Avemiicensis
11. Asclepius Cavellicensis
12. Ceretius Gratianopolitanus
13. Salonius Genevensis
14. Agustalis Telonensis
15. Theudorus Foroiuliensis
16. Maximus Reiensis
17. lustus Arausicensis
18. Ingenuus Ebredunensis
19. Superventor
a. Claudius Saliniensis
b. Cariatho Valentiensis.
Dass die Reihenfolge der nämlichen Bischöfe in beiden
Listen dieselbe ist, dabei aber in Riez die Bischöfe Arcadius
und Claudius anwesend sind, welche nicht auch der Synode zu
Vaison persönlich beiwohnen, und umgekehrt in Vaison Con-
stantianus, Armentarius, Constantius, Ceretius, Salonius, Agu-
stalis, lustus, Ingenuus und Superventor erschienen sind, ohne
eigenhändig die Acten der Synode von Riez zu unterzeichnen,
ist mir ein Beweis dafür, dass von den Abschreibern hier nach
der Amtsdauer die Folge der Bischöfe genau wiedergegeben
und auch dem Bischof Claudius im Jahre 439, im Jahre 442
aber dem Bischof Constantianus, welche 442 bezw. 439 sich
vertreten lassen, die ihnen zukommende Stelle angewiesen ist.
Wenn man nun mit der so aus den Acten dieser beiden
Synoden gewonnenen Bischofsliste an die Unterschriften der
im Jahre 441 abgehaltenen Synode zu Orange herantritt, so
1. Severianus (Eturamine)
2. Audentius (Voconsiensis)
3. lulius (Aptensis)
4. Arcadius 2
5. Auspieius (Vasensis)
6. Severus (Venciensis)
7. Claudius (Saliniensis)
8. Valerianus (Cimelensis)
9. Nectarius (Avennicensis)
10. Asclepius (Cavellicensis)
11. Theudorus (Foroiuliensis)
12. Maximus (Reiensis)
a. Constantianus (Carpentorat.)
1) Diesen Stadtnamen — denn so ist das Wort wohl aufzufassen —
weiss Maassen (Quellen I, 953) nicht unterzubringren; ich auch nicht.
2) Das kann der Bischof von Vence dieses Namens nicht sein, da Severus
das genannte Bisthum vertritt.
286 Wilhelm Gundlach.
findet man — ich wähle wiederum die Ueberlieferung der
Kölner Handschrift — eine Reihe, welche von der ermittelten
bedeutend abweicht. Ich führe sie in berichtigter Folge so
auf, wie sie in den Abschriften hätte wiedergegeben werden
sollen, indem ich durch die vor jeden Namen gesetzte Zahl
die Stelle bezeichne, welche er in der Kölner Handschrift ein-
nimmt:
(I.) Helarius Arelatensis
(U.) Claudius Viennensis
(HL) Euchei'ius Lugdunensis
2.) Constantianus Carpentoratensis
3.) Audentius Vocontiensis
(5.) lulius Aptensis
(6.) Agrestius Lecentiensis
(4.) Auspicius Vasensis
^7.) Necterius Avenionensis
(8.) Ceretius Gratianopolitanus
(1.) Salonius Genevensis
(13.) Agustalis Telonensis
(9.) Theudorus Foroiuliensis
(10.) Maximus Reiensis
11.) lustus Arausicensis
12.) Tngenuus Ebredunensis
(a.) Claudius Saliniensis.
Um nun die echte Folge der Bischöfe, zugleich aber auch
ihre durch die Nummern angegebene Aufeinanderfolge, welche
die Kölner Handschrift bietet, auf eine und dieselbe Grund-
form zurückzuführen, glaube ich folgende Vertheilung der Unter-
schriften im Originalprotocoll annehmen zu müssen;
I. Helarius 2. Constantianus 3. Audentius
n. Claudius 5. lulius 6. Agrestius
ni. Eucherius 7. Necterius 8. Ceretius
9. Theudorus 10. Maximus
1 . Salonius
11. lustus 12. Ingenuus
13. Agustalis
4. Auspicius
a. Claudius.
Ist dieses Bild der Wirklichkeit entsprechend, dann dürfte
damit die stillschweigend geraachte Vorbedingung, unter welcher
die oben gebotenen theoretischen Erörterungen angestellt sind
— dass die Unterschriften stets untereinander in Columnen
angeordnet waren — , als nicht unter allen Umständen erfüllt
Arles und Vieune. 287
ei'wiesen sein, um so die Regelung durch einen neuen unberechen-
baren Umstand noch schwieriger erscheinen zu lassen'. —
Das zweite Beispiel liefern die Unterschriften, welche den
Satzungen der Synoden zu Carpentras (527), Orange (II, 529)
und Vaison (II, 529) angefügt worden sind. Wenn man die
drei Listen, so wie sie in dem Codex Phillipp. 1745 — auch
hier wie überall ohne die Namen der Bischofstädte — mit-
getheilt werden, neben einander stellt:
1) Ich glaube indessen, mindestens für die Metropolitanbischöfo die
Ordnung- der Unterschriften in Coluranen festhalten und beispielsweise die
Verwirrung, welche in die Unterschriften der Synode zu Paris (614) ge-
kommen ist, durch die Annahme erklären zu sollen, dass die fünf Metro-
politen von Arles (1), Lyon (2), Vienne (3), Ronen (4), Trier (5) in der
ersten Columne, die von Bourges (6), Bordeaux (7), Sens (8), Reims (9),
Eauze (10) in der daneben stehenden zweiten Columne unterzeichneten,
dass der Abschreiber das Ende der ersten Columnenreihe aber nicht er-
kannte, sondern in die zweite Columnenreihe, welche, nothwendig bei der
ungewöhnlich grossen Anzahl der Theilnehmer, unterhalb der ersten sich
ansetzte, hineingerieth und ihrer ersten Columne die Namen des Proardus
von Bes;in(jon und Solacius von Köln, als vermeintlicher unmittelbarer
Rangnaehfolger der ersten fünf Metropoliten entnahm. Es entspricht das
auch ganz meiner Auffassung von der Würde der drei Bistliümer Trier,
Köln und Besanfon im sechsten und Anfang des siebenten Jahrhunderts;
denn ich habe schon auf Grund der Epistolae Austrasicae an anderem
Orte (N. A. XIII, 370 ff.) die einflussreiche Stellung der Bischöfe von
Trier, mindestens des Nicetius und seines Nachfolgers, im austrasischen
Reiche hervorgehoben, sodass ich gegen Rettberg mit Friedrich (Kirchen-
geschichte Deutschlands I, 407) die Metropolitanhoheit dieses Bisthums
anerkennen möchte, während ich Köln und Besannen in der angegebenen
Zeit nur als einfache Bisthümer betrachte. Dann sind vielleicht auch die
Unterschriften der Synode von Clermont (535) — hier kommt der Cod.
Paris, lat. 12097 in Betracht — , auf welche Friedrich (Drei unedierte
Concilien der Merovingerzeit S. 20) zum Beweise dafür sich beruft, dass
selbst anerkannte Metropoliten, wie der Bischof von Reims, nach ein-
fachen Bischöfen unterzeichneten, so in Ordnung zu bringen, dass man sie
— ich gebe ihre uns überlieferte Stelle stets durch eine davor gesetzte
Zahl an — in fünf ursprünglich neben einander gepflanzte Columnen
also zerlegt:
I. II. III.
(1.) Honoratus Bitur. (2.) Gallus Arvernensis (3.) Gregorius Lingon.
(6.) Flavius Remensis (8.) EleuteriusLutensis (10.) Lupus Catalaun.
(7.) NicetiusTrevirensis (9.) Dalmatius Rutensis (11.) Domitianus Colon.
IV. V.
(4.) Hilarius Gaballitanus (5.) Ruricius Lemovicensis
(12.) Venantius Vivariensis (14.) Desideratus Veredunensis
(13.) Hesperius Metensis (15.) Gramaticus Vindonissensis.
288
Wilhelm Grundlach.
Carpentras (527)
I. Caesarius '
1. Contumeliosus '
2. lulianus*
3. Cyprianus*
4. Constantius*
5. Philagrius®
6. Porcianus»
7. Eucherius'o
8. Gallicanus >'
9. Prosper»*
10. Alethius«*
11. Uranius i^
12. Heracliusi*
13. Lupercianus '^
14. Principius*^
15. Vinderaialis 20
Orange (ü, 529)
Vaison (II, 529)
I. Caesarius
I. Caesarius
1. Contumeliosus
1. Iiilianus
2. Constantius
2. Constantius
3. Cyprianus
3. Cyprianus
4. Philagrius
5. Maximus '
4. Maximus
5. Poreianus
6. Praetextatus 9
7. Eucherius
6. Eucherius
8. Eucherius '»
7. Gallicanus
8. Prosper
9. Alethius
10. Heraclius
9. Heraclius"
11.
10. VindemiaHs
Lupercianus
12. Principius
13. Vindemialis
so stimmt die Folge der Bischöfe überall zusammen, nur dass
in der ersten Liste Cyprianus dem Constantius vorangeht,
während er in den beiden andern ihm folgt. Wenn man das
auch, gestützt auf die beiden andern Listen, als einen Fehler
bezeichnen darf, so ist diese eine Abweichung doch nicht be-
deutend genug, um darauf hin die ganze Folge verwerfen zu
lassen : es ist ja möglich, dass selbst schon im Originalprotocoll
dieser Fehler gemacht worden ist.
1) Bischof von Arles. 2) Bischof von Riez. 3) Bischof von Car-
pentras. 4) Bischof von Toulon. 5) Bischof von Gap. 6) Bischof von
Cavaillon. 7) Bischof von Aix. 8) Bischof von Dig'ne. 9) Bischof
von Apt. 10) Bischof von Avignon. 11) Dass der Bischof dieses
Namens, welcher 529 erscheint, dem Bisthum Grasse - Anfihes zug^ehören
sollte, ist darum unmög-lich, weil er — die Richtigkeit der mito-etheilten
Listen vorausgesetzt — als ein erst nach 527 ordinierter Bischof — denn
Agroecius ist noch 527 Bischof der Stadt — ganz am Ende der Bischofs-
reihe hätte unterzeichnen müssen. 12) Bischof von Embrun. 13) Bischof
von Vence. 14) Bisehof von Vaison. 15) In den von Gams ver-
öffentlichten 'Series episcoporum' hahe ich einen Bischof dieses Namens
für die Zeit von 527 bis 529 nicht finden können. 16) Bischof von
Saint-Paul-trois-chäteaux. 17) Dieser Name fehlt, wie mir Herr
A. Molinier raittheilt, in der Liste des Cod. Paris, lat. 12097; sonst aber
kommt sie ganz mit der von mir benutzten des Cod. Phillipp. 1745 über-
ein. 18) Bischof von Frejus. 19) Der so heissende Bischof von
Carpentras kann das nicht sein, da im Jahre 527 noch Julianus das
Bisthum inne hat; ein anderes Bisthum weiss ich für ihn nicht ausfindig
zu maclieu. 20) Bischof von Orange.
Arles und Vienne.
289
Bei der in diesen drei Listen herrschen-
den Einhelligkeit, welche ihre Echtheit
verbürgt, wäre es nun unnöthig, auch noch
die Vertheilung der Bischofsnamen in der
Urschrift sich vorzuführen, wenn es nicht,
wie ich glaube, dadurch anginge, einzelne
abweichende Ueberlieferungen zu erklären.
Ausser dem einzigen Canon, welcher
auf der Synode zu Carpentras vereinbart
und unterzeichnet w^orden ist, findet sich
bei den Acten auch noch ein Brief, welchen
die Anwesenden an den Bischof Agroecius
von Antibes richteten und nach der üeber-
lieferung Mansis (VIII, 708) in der Folge
L 3. 4. 6. 8. 10. 12. 14. 1. 2. 5. 7. 9.
11. 13. 15 unterschrieben. Die Entstehung
dieser Verschiebungen begreift man, wenn
etwa folgendermassen die Namen der Bi-
schöfe am Ende des Briefes vertheilt waren :
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und nun der Abschreiber nicht columnen-, sondern zeilenweise
die Unterschriften wiedergab.
290 Wilhelm Gundlach.
Die Folge der auf der Synode zu Orange gegenwärtigen
Bischöfe, welche Mansi (VIII,' 718) also anführt: I. 1. 2. 3. 7.
8, 10. 12. 4. 5. 6. 9. 11. 13, entsteht, wofern etwa bei dieser
Anordnung im OriginalprotocoU:
I. Caesarius
1. lulianus 4. Philagrius
2. Constantius 5. Maximus
3. Cyprianus 6. Praetextatus
7. Eucherius
8. Eucherius 9. Alethius
10. Heraclius 11. Lapercianus
12. Principius 13. A^indemialis
der Abschreiber verkannte, dass mit der als 3 bezeichneten
Unterschrift die erste Columne zu Ende war, dass die un-
mittelbar darunter stehende garnicht die zweite Columne aus-
machte, und nun als zusammengehörig die Unterschriften nieder-
schrieb, so Avie sie unter einander gestellt waren.
Was endlich die Theilnehmer der S^Tiode zu Vaison an-
betrifft, so kommt die von Mansi (VIII, 727) ihnen zugetheilte
Aufeinanderfolge: I. 1. 2. 3. 4. 5. 9. 6. 7. 8. 10 zu Stande,
falls in der Urschrift folgende Ordnung beliebt war:
I. Caesarius 3. Cyprianus 6. Eucherius
1. Contumeliosus 4. Maximus 7. GalHcanus
2. Constantius 5. Porcianus 8. Prosper
9. Heraclius 10. Vindemialis,
und der Abschreiber die unter die drei Columnen gesetzte und
darum erst nach ihr aufzmiehmende neunte Unterschrift, da
sie zugleich zwischen der zweiten und dritten Columne stand,
nach der zweiten wiedergab. —
» Ohne den Gegenstand erschöpfen zu wollen ' — denn es
war mir auch bei der Auswahl der Beispiele vornehmlich um
das Bisthum Arles und seine Suffragane zu thun — , glaube
ich die abschliessende Behandlung dieser überaus schwierigen
die Unterschriften betreffenden Fragen den Herausgebern der
für die Monumenta Germaniae unternommenen Sammlung
gallischer Synodalacten überlassen zu sollen: so -sdel dürfte
aber doch schon klar geworden sein, dass in den Unterschriften
die Metropoliten von den einfachen Bischöfen sich stets streng
geschieden, dass selbst innerhalb dieser Klassen die einzelnen
ihren nach dem Zeitpunkt der Ordination sich regelnden Rang
mit kaum nennenswerthen Ausnahmen immer genau gewahrt
1) Verweisen will ich noch darauf, dass auch aus den Unterschriften
der Synoden zu Mäcon (I, 681), Lyon (III, 583) und Valence (II, 584),
schon so wie sie Mansi bietet, eine einheitliche Bischofsliste sich ge-
winnen lässt.
Arles und Vienne. 291
haben. Ob nun aber auch sorgsam beachtete Satzungen dar-
über bestanden, in Avelcher Folge die einzelnen Theilnehmer
einer Synode an das Protocoll heranzutreten hatten, um ihre
Unterschrift abzugeben: da es nicht auch gesetzlich geregelt
war, sondern nur von einem keinesweges ausschliesslichen
Brauche zu reden ist, dass untereinander die Unterschriften
geordnet werden sollten, so wäre, selbst wenn noch heute die
OriginalprotocoUe uns zu Gebote ständen, nicht immer an
einer Synode allein die gesetzmässige Aufeinanderfolge der
Bischöfe mit Sicherheit zu erkennen — eine Erwägung, welche,
wie keine andere schlagend, die Vergleichung mit anderen
Listen als unumgänglich nöthig erkennen lässt.
Nachtrag'.
N. A, XIV, 286 ist irrthümlich die Fortsetzung der 5. Anmer-
kung abgestossen worden: 'eins zu niedrig bezeichnet: LIII
und Lim statt LIV und LV. Auch in dieser Handschrift
wird der IV. Brief durch 'item alia epistola' eingeführt und
der VI. ausdrücklich durch 'explicit' beschlossen; wie in
dem Codex 5537 ist ferner neben der Nummer des letzten
Briefes 'exempla epistolae' zu finden, was, wie ich oben
S. 278 Anm. 2 schon vermuthet habe, vielleicht aus 'expli-
ciunt epistolae' verschrieben ist'.
Zu dem zAveiten Theile meiner Arbeit, welcher in diesem
Bande S. 10 — 102 veröffentlicht ist, verweise ich auf Bress-
laus 'Handbuch der Urkundenlehre für Deutschland und
Italien', und zwar
zu S. 28 auf I, 69. 70: über Privilegien und Briefe seit Ha-
drian I.,
zu S. 31 auf I, 66: über die Briefform der ältesten Papst-
urkunden,
zu S. 33 auf I, 99: wo Bresslau, nachdem er einen Theil der
neuerlichen Erörterungen über die päpstlichen Registerbücher
als wenig ergiebig für die Diplomatik bezeichnet hat
(98 Anm. 1 : 'Manche der dabei mit grosser Lebhaftigkeit
aufs ausführlichste besprochenen Punkte sind diplomatisch
von sehr geringer Bedeutung'), seine Auffassung also be-
stimmt: 'Ganz besonders schwer zu entscheiden ist die Frage,
ob die Registrierung . . . nach den Concepten . . . oder nach
den ausgefertigten Originalen erfolgte. Sie lässt sich mit
voller Sicherheit weder für alle Zeiten, noch auch nur für
eine bestimmte Periode beantworten, und es ist nicht einmal
wahrscheinlich, dass zu einer bestimmten Zeit in dieser Be-
ziehung ganz gleichmässig verfahren sei. Hinsichtlich der
292 Wilhelm Gundlaeh.
älteren Register vor dem 13. Jahrhundert spricht allerdings
die überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Regi-
strierung in der Regel nach den Concepten erfolgt sei'.
Zu S. 49. 50 auf I, 823: über fortlaufende Tageszählung nach
heutiger Art in Briefen Gregors L, S. 829 über die Datie-
rung nach Consulatsjahren, 831 nach Indictionen, 836 nach
Kaiserjahren.
Zu S. 53 auf I, 70 Anm. 2: wo Bresslau eine genaue Unter-
suchung über die Briefdatierung in Aussicht stellt.
VII.
Handschriftliche Ueberlieferung und Quellen
der
Chronik Reginos und seines Fortsetzers.
Von
F. Kurze.
J
Um für eine neue Ausgabe der Chronik Reginos und
seines Fortsetzers, mit deren Vorbereitung ich gegenwärtig
beschäftigt bin, die nöthige Unterlage zu gewinnen, sehe ich
mich veranlasst, eine Darlegung der handschriftlichen Ueber-
lieferung und — als Ergänzung zu den Arbeiten von H. Ermisch»
und J. Werra* — eine kurze Untersuchung über die Quellen
vorauszuschicken.
I. Die Handsctiriften.
Die Originalhandschrift Reginos ist verloren, und es giebt
auch keine unmittelbare Abschrift mehr davon. Die zahl-
reichen mittelbaren Abschriften hat schon Pertz^ in zwei
KJassen getheilt, in Handsclri'iften mit und ohne Fortsetzung.
Während er den Hss. ohne Fortsetzung den Vorzug gab, hat
Ermisch nachzuAveisen gesucht, dass die andere Klasse einen
ursprünglicheren Text gebe. Ohne mich fürs Erste auf eine
Untersuchung der Richtigkeit dieses Satzes einzulassen, will
ich die Klasse mit Fortsetzung A, die andere ß nennen, da
die Bezeichnung A zugleich an den Namen des wahrschein-
lichen Verfassers der Fortsetzung, des späteren Erzbischofs
Adalbert von Magdeburgs erinnert.
Da in Anbetracht dessen, dass manche Hss. am Ende ver-
stümmelt sind, das Vorhandensein der Fortsetzung als einziges
Merkmal für die Unterscheidung der beiden Klassen nicht aus-
reicht, so hat bereits Pertz sich nach andern Kennzeichen um-
gesehen und als besonders bezeichnend sehr richtig eine Stelle
zum Jahre 892 herausgefunden. Hier fehlen (SS. I, p. 604,
1. 12 — 14) in der Klasse B die Worte 'in quo tamen non diu-
tius immoratus aemuHs agentibus Richarium fratrem Gerhardi
et Mahtfridi in\adiosum mei negotii successorem sustinui',
welche doch augenscheinlich echt sind; die Klasse A dagegen
1) H. Ermisch, 'Die Chronik des Eegino bis 813', Göttingen 1872.
Diese überaus fleissige und gründliche Abhandlung, welche auch eine
vollständige Zusammenstellung des bis daliin über Reginohandschriften
bekannt gewordenen giebt, ist mir für meine ganze Arbeit von grösstem
Nutzen gewesen, auch wo ich sie nicht besonders als Quelle anführe.
2) J. Werra, 'Ueber den Continuator Reginonis', Diss. Leipz. 1883.
3) Vorrede zur Ausgabe, SS. I, p. 537 ff.
296 F. Kurze.
lässt die folgenden Worte 'Obsecro autem — querelam' (1. 14
— 23), die durch den Ausfall eines oder mehrerer Blätter des
Originals, welche Reginos Rechtfertigung enthielten, sinnlos
geworden sind, wie es scheint, absichtlich aus. Aus dieser
Stelle schon erhellt, dass die verschiedenen Hss. ohne Fort-
setzung gleichfalls nicht unmittelbar aus dem Original abge-
leitet sind, sondern von einer Hs. abstammen, in welcher die
Worte 'in quo — sustinui' schon fehlten, und welche wir im
engern Sinne als Handschrift B bezeichnen wollen.
Besonders bezeichnend sind femer u. a. folgende Stellen:
p. 546 b 26 hat A: 'Treveris sanctus Agricius confessor et
episcopus insignis effulsit, qui beatum ]\Iaximinum dignum sibi
instituit successorem', ebenda 1. 34: ^Cuius (Paulini) corpus
Treverim reportatum usque hodie in quadam cripta nulHs ali-
unde sustentaculis nitens divino nutu mirabiliter in aere de-
pendet', und p. 6ü5 1. 1: 'cuius corpus Treverim deportatum
apud sanctum Maximinum est sepultum'; denn alle diese Stellen,
sowie p. 546 b 14—22, wo von der Stiftung der Trierer lürche
erzählt Avird, fehlen in der ganzen Klasse B und sind offenbar
Zusätze des Fortsetzers, der ja Mönch von St. Maximin war.
Auf Grund dieser Merkmale ist es möglich, die Zugehörig-
keit jeder einzelnen Hs. zu der einen oder andern Klasse
genau festzustellen. Gehen wir daher nun auf die einzelnen
näher ein.
A. Handschriften mit Fortsetzung. Die Hs. A, d. h. die
Originalhandschrift Adalberts, in Trier geschrieben und 968
jedenfalls mit nach Magdeburg genommen', ist verloren; Ab-
schriften von ihr sind:
AI. Hs. der Münchener Hof- und StaatsbibUothek
n. 6388, unter den ehemals Freisinger Hss. n. 168^ Sie
enthält, an die Originalhandschrift des Liudprand angebunden,
die Chronik Reginos mit Fortsetzung auf ursprünglich etwas
mehr als 17 Bogenlagen. Davon sind die 2. — 4. Lage ver-
loren gegangen, desgleichen das, was hinter der 17. Lage noch
folgte, — wir wissen nicht, wie viel. Mit dem Ende dieser
Lage schliessen die bisherigen Ausgaben, und da keine Regino-
handschrift weiter reicht, und der letzte Satz an sich gar nicht
verstümmelt ist, so haben die Herausgeber gar nicht gemerkt,
dass noch etwas fehlt. Der sächsische Annähst aber bringt in
unmittelbarem Anschluss daran zum Jahre 967 noch ein län-
geres Stück, das, wie zuerst Waitz bemerkte (SS. VI, 620
N. 24), nur dem Continuator Reginonis entlehnt sein kann.
Dies Stück hat Büdinger daher auch seiner üebersetzung des-
1) Vgl. unten A 3. 2) Eine genaue Beschreibung der Hs. bei
Ermisch S. 20 — 22: er bezeichnet sie mit M; die Zahlen 6338 und 188
enthalten aber Druckfehler.
Handschriftl. Ueberlieferung u. Quellen Reginos u. s. Forts, 297
selben angefügt, und gegen eine Anmerkung von Pertz zu
Büdingers Uebersetzung (S. 32) hat Waitz seine Zugehörig-
keit des Näheren festgestellt i.
Eine wichtige Zeitbestimmung dieser Hs., welche ich selbst
verglichen habe, ergiebt die Federprobe auf fol. 121 oben:
ABRAM EPISCOPOPUS (so !), denn da Bischof Abraham von
Freising 993 (oder 994) gestorben ist, so rauss die Hs. zwi-
schen 968 und 993 geschrieben sein und ist daher ohne Zweifel
die älteste Hs. dieser Klasse. Auf ihi-e grosse Wichtigkeit hat
erst Ermisch hingewiesen, während Pertz die Hs. zwar ge-
kannt, aber, von vereinzelten Fällen abgesehen, nicht benutzt
hat, weil er schon vollständige Vergleichungen der von ihr
abhängigen Österreichischen Hss. besass. Ermisch dagegen
überschätzt wieder ihren Werth: die Hs. ist von mehreren
Schreibern recht ungleich hergestellt, stellenweise fast fehler-
frei, längere Stücke aber auch ziemlich lüderlich. Ihre Be-
deutung für uns besteht besonders darin, dass sie häufig der
einzige vollständige Vertreter der Klasse A ist. Originalhand-
schrift des Continuators ist sie aber nicht; vergeblich hat
Sickel^ in ihr nach den aus der Kanzlei bekannten Schrift-
zügen des Trierer Adalbert gesucht; nachher w^erden wir auch
sehen, dass die Hss, A2 (Parisinus 5018) und A3 (AnnaUsta
Saxo) von ihr unabhängig sind.
Abhängig von AI sind folgende Hss.:
Ala. Hs. der Wiener Hofbibliothek n. 408, elften
Jahrhunderts 3, ehemals zu Admont, von Pertz mit 7 be-
Z61CilUGij
A Ib, Hs. der Wiener HofbibHothek n. 538, XII. Jahrb.,
bei Pertz n. 9. Auf dem Vorsteckblatte enthält sie die Worte :
*Kstf Ikber ptinft ad sbn Mbrkbm Chotov.', d. h. 'Iste Über
pertinet ad san Mariam Chotovicensem', ist also aus Göttweih.
Ale. Hs. der Wiener Hofbibliothek n. 639, vom An-
fang des XIII. Jahrhunderts, aus Victring, bei Pertz n. 10.
Aid. Hs. der Klosterbibliothek zu Klosterneuburg,
XII. Jahrh,, bei Pertz n. 11,
A le. Hs. der Wiener Hofbibliothek n, 3522, XV. Jahi-h.,
bei Pertz n. 12.
Alf, Hs. der Estensischen Bibliothek zu Modena vom
Jahre 1093, nur das erste Buch enthaltend, an die Gesta
pontificLim angeschlossen.
1) Göttinger Gel. Nachrichten Jahrg. 1871, S. 370 f.; vgl. Werra, S. 55
Anm. 2) Mittheilungen des Instituts für österreichische Geschichts-
forschung, Ergänzungsband I, 362. 3) Die genaueren Angaben über
die Wiener Hss., soweit sie sich nicht schon bei Pertz und Ermisch finden,
verdanke ich Herrn Privatdocenten Dr. Herzberg-Fränkel in Wien, welcher
auch grössere Stücke der ehemals Göttweiher Hs. für mich verglichen hat.
Neues Archiv etc. XV. 20
298 F. Kurze.
Die Abhängigkeit der fünf österreichischen Hss. von A 1,
•welche schon Pertz (Archiv V, 763, SS. I, 542) erkannte,
ergiebt sich, wie Waitz bemerkt, schon daraus, dass keine von
ihnen weiter reicht, als bis dahin, wo AI abbricht; die grosse
Lücke im ersten Theil von A 1 findet sich allerdings nicht in
diesen Hss., ist also jüngeren Ursprungs. Einen weiteren Be-
weis bietet z. B. die Stelle p. 573 1. 40, wo die Worte 'per
vos' in A 1 wie in Ala — e (bei Pertz 7. 9 — 12) gleichraässig
fehlen, Avährend A2 und 3 'per te' haben. Ebenso fehlen
p. 600 1. 16 in Ala — e die Worte 'Thanai tenus', die in A3
vorhanden sind — A2 reicht nicht so weit — , während AI
hier eine Lücke von entsprechender Länge hat. Aehnliche
Fälle lassen sich noch mehr zusammen stellen, und bei der
Vergleichung von A 1 habe ich gefunden, dass in den meisten
Fällen, wo ich eine abweichende Lesart zu notieren hatte, die-
selbe schon von Pertz für die Hss. 7. 9 — 12 (Ala — e) notiert
war. Häufig freilich schienen aucli die Hss. 7. 9 — 12 überein-
stimmend von A 1 abzuweichen : die Vei'gleichung der Hs.
Alb (9), welche Herr Dr. Herzberg - Fränkel mir für eine
grosse Anzahl solcher Fälle freundlich besorgt hat, ergab
jedoch, dass der von Pertz zusammengestellte Imtische Ap-
parat vielfach ungenau und unzuverlässig ist, und dass die
Annahme der Abhängigkeit nirgends wesentliche Schwierig-
keiten findet.
Ueber die Hs. in I^Iodena steht mir eine kurze Notiz des
verstorbenen Joh. Heller mit Collation der Praefatio zu Ge-
bote, welche sich im Archiv der INIonumenta vorfand. Danach
erweitert diese Hs. die Ueberschrift , die in den andern Hss.
lautet: 'Incipit prcfatio operis subsequentis', wie AI um fol-
gende Worte: 'chronicae videlicet, quam Regino quondam
abbas Pruniensis composuit'. Ebenso hat die Hs. 1. 7 mit
AI 'probetur' gegen 'approbetur' der übrigen Hss., und 1. 18
'stilum' gegen 'stilo' der übrigen. Die Hs. ist also sicherlich
abhängig von AI.
In welchem verwandtschaftlichen Verhältnis die sechs Hss.
A la — f zu einander stehen, ist für eine Ausgabe von geringer
Wichtigkeit, denn da ims A 1 selbst erhalten ist, so kommen
die daraus abgeleiteten Hss. höchstens für die Ergänzung der
dort fehlenden drei Lagen in Betracht. Da ich sie jedoch
nicht selbst einsehen konnte, so habe ich auf ihre Vergleichung
verzichtet, als ich in der Hs. A2 genügenden Ersatz gefunden
hatte. Gewiss ist, dass Alb — e (9 — 12) unter sich näher ver-
wandt sind: das ergiebt sich schon aus der Stelle zum Jahre
899, wo alle andern Hss., auch AI und Ala, lesen: 'in
Odingas, ubi et pater eius tumulatus iacet', Alb — eaber: 'in
Radispona, in basilica sancti Heramerammi martyris, quem
Handschriftl. tJeberlieferung u. Quellen ßeginos u. s. Forts. 299
ipse, dum vixit, multum veneratus est' i. So\ael man aus
Pertz' Apparat ersehen kann, scheint A Ib (9) die Quelle der
drei jüngeren Hss. TA Ic — e) zu sein, Ale (12) aber ist sicher-
lich Abschrift von Aid (11). Will man also die Lücke in AI
aus den Abschriften ergänzen, so hat man sich nm- an Ala
und b zuhalten; leider ist Ala, die älteste Abschi'ift, zugleich
die am nachlässigsten geschriebene.
A2. Hs. der National-Bibliothek zu Paris n. 5018. Ich
habe diese Hs., welche Pertz nicht benutzt hat, vollständig
verglichen: sie ist der Schrift nach aus der zweiten Hälfte des
XL Jahrhunderts und enthält auf der ersten und der letzten
Seite von einer Hand des XI. Jahrh. die Bemei'kung 'LIßER
SCI STEPHANI'. Das Wort 'Stephani' ist zwar an beiden
Stellen ausradiert, aber an der zweiten noch zu erkennen, und
an der ersten hat ein Schreiber des XII. Jahrh. zwischen
'Liber' und 'sancti' mit kleineren Buchstaben eingeschaltet:
'Steph"; auch hat dieselbe Hand des XII. Jahrh. darüber ge-
schrieben: 'liber sancti stephani historic. Quicumque hoc nega-
vit, anathema sit'. Die Worte 's. st. h.' sind allerdings auch
hier wegradiert und nur nach einzelnen Spuren des 'st' und 'h'
von mir ergänzt. Auf derselben Seite haben sich P. Pithou
und Jac. Aug. Thuanus als spätere Besitzer eingetragen In
späterer Zeit angebunden sind hinten noch die 8 ersten Blätter
einer Hs. IX. — X. Jahrhunderts von Bedas Schrift 'de sex
huius s^culi etatibus', welche bis zu den AVorten 'Honorius
cum Theodosio minore fratris sui' reichen. Die Peginohand-
schrift enthält die Chronik bis 'iterato crudeliter' im J. 867
(p. 578 1. 8) und bricht hier plötzlich ab oben auf fol. 76',
ohne irgendwie verstümmelt zu sein.
Die Zugehörigkeit dieser Hs. zur Klasse A beweisen die
oben angeführten Stellen auf p. 546b der Ausgabe von Pertz,
ihre Unabhängigkeit von AI z. ß. schon p. 556a 10, wo A 1
abweichend liest: 'illum regem vocarique potestatemque habere',
A2 und 3 aber richtig mit B: 'illum regem vocari, qui pote-
statem haberet'. Ferner fehlen p. 575 1. 41 in AI und den
von ihr abhängigen Hss. die Worte 'sanctae ecclesiae', p. 560a
1. 48 das Wort 'honorifice', p. 570 1. 13 'aequo', nicht aber in
A2 und 3; und ähnliche Stellen finden sich noch viele.
Ueber eine Hs. A2* s. u. Bl.
A3. Der sächsische Annalist, welcher seine Quellen
1) Ausführlich handeln über diese Stelle Waitz, Gott. Gel. Nachr.
1871, S. 369 f. und Ermisch S. 15 f.: beide kommen zu dem Resultat,
dass die Kasur, welche A 1 an dieser Stelle hat, für die Sache ganz
gleichgültig ist. Die Randbemerkung: 'perdes omnes, qui loquuntur
mendacium', welche hundert Jahre jünger ist als der Text, kommt gar
nicht iu Betracht, da ihr Verfasser so wenig, wie wir, wissen konnte, was
vorher auf der radierten Stelle stand.
20*
300 F. Kurze.
grÖsstentheils wörtlich ausschreibt, hat auch Reginos Chronik
vom Jahre 741 an in dieser Weise stark benutzt und ist daher
unter den Hss. derselben mit aufzuzählen (n. 8 bei Pertz) »,
Von grösster Wichtigkeit ist er namentlich für die Fortsetzung,
da uns hier bald alle andern Hss. ausser A 1 verlassen, und
selbst diese, wie Avir sahen, am Ende verstümmelt ist. Die
Unabhängigkeit des Annalisten von AI geht schon daraus
hervor, dass er den Schluss der Fortsetzung noch enthält, der
in AI bereits fehlte, als Ala geschrieben wurde. Weitere
Beweise bieten die bei A2 aufgeführten Stellen.
Als Compilator hält sich der Annalist natürlich nicht
immer mit der Treue eines Abschreibers an den Text der
Vorlage, namentlich hat er seine eigene durchgeführte Schrei-
bung der häutigsten Eigennamen und erlaubt sich auch sonst
kleine Aenderungen, Aus^lassungen und Umstellungen; wo also
seine Lesart gegen A 1 allein steht, kann sie nur unter be-
sonderen Umständen Berücksichtigung linden, avo sie aber
durch Uebereinstimmung mit A2 oder B gestützt wird, trägt
sie sehr zur Ermittelung des Textes der verlorenen Hs. A bei.
Auch die Magdeburger Annale n (SS. XVI) haben
unsere Chronik und ihre Fortsetzung benutzt, jedoch mit
solcher Freiheit, dass sie für den kritischen Apparat nicht zu
verwerthen sind. Wir sehen jedoch daraus, dass es noch im
XII. Jahrhundert in Sachsen eine Hs; mit Fortsetzung gab,
und es ist nicht unmögUch, dass dies die Originalhandschrift
des Fortsetzers (A) selbst gewesen ist, welche der Erzbischof
Adalbert doch wanrscheinlich mit nach Magdeburg gebracht
hatte K Der heilige Stephan, Avelchem die Hs. A 2 ursprüng-
lich gehörte, dürfte dann der von Halberstadt sein : an Weihen-
stephan zu Freising ist deshalb nicht zu denken, weil man in
dieser Stadt schon die Hs. A 1 hatte, von welcher A 2 unab-
hängig ist.
B. Die Handschrift B, d. h. die gemeinsame Quelle aller
Hss. ohne Fortsetzung, ist wie die Hs. A verloren. Wie dort,
haben wh' aber auch hier drei selbständige Vertreter der
Klasse :
B 1. Hs. der Klosterbibliothek zu Ein sie dein n. 359,
vom Ende des X. Jahrhunderts. Diese Hs., welche Pertz nicht
benutzt hat (vgl. Archiv III, 234) habe ich vollständig ver-
glichen und als die älteste und beste der Klasse befunden.
Eigentlich möchte man sie zunächst der Klasse A zuweisen.
1) Herausgegeben von Waitz, SS. VI, 542 — 777 nach der Original-
handschrift zu Paris. 2) In Trier war sie wenigstens nicht mehr, ala
B2 geschrieben wurde. Auch von Magdeburg scheint sie freilich bald
nach Adalberts Tode fortgekommen zu sein, da Thietmar von Merseburg
die Fortsetzung Reginos sicherlich nicht gekannt hat.
Handschriftl. Ueberlieferung u. Quellen Reginos u. s. Forts. 301
denn sie entliält die Fortsetzung bis zu den Worten 'Capri-
montem obsidione' im J. 939 auf p. 618 1. 15, und da mit
diesen Worten kein Satz, wohl aber gerade die 15. Lage der
Hs. scbliesst, so ist es höchst wahrscheinlich, dass ursprünglich
noch mehi'ere Lagen folgten, die den Rest der Fortsetzung
enthielten. Dennoch entscheiden alle die oben angeführten
Stellen für Zugehöi'igkeit zu B ; so fehlen die auf Trier be-
züglichen Zusätze des Fortsetzers, ebenso zum J. 892 die
Worte 'in quo — sustinui'; dafür enthält sie die Worte 'Ob-
secro — querelani' und zeigt auch sonst beständig die engste
Verwandtschaft mit ß 2 und 3. Es bleibt also nur übrig, an-
zunehmen, dass die Hs. aus zwei Vorlagen zusammengeschrie-
ben ist: die Chronik aus B, die Fortsetzung aus einer Hs. der
Familie A. Dass die Einsiedler Hs. hier von der Münchener
(A 1) unabhängig ist, zeigen folgende Stellen: sie hat p. 615 1. 16
'fatigatus', 616 1. 4 'et Gisalb.' und L 14 'Hiberniam' wie A3;
A 1 dagegen liest 'fugatus', nur 'Gisalb.' und 'Hibernam'. Da
sie sich nun dem Alter nach zwischen A 1 imd A 3 einreiht,
A2 aber die Fortsetzung nicht mehr enthält, so will ich das
in der Einsiedler Hs. enthaltene Stück der Fortsetzung mit A 2*
bezeichnen.
Von B 1 abhängig sind folgende Hss. :
B la. Hs. der National -Bibliothek zu Paris, n. 5016,
XI. Jahrh. (n. 6 bei Pertz), eine Prachthandschrift auf vorzüg-
lichem Pergament mit breiten Rändern und sorgfältig in Mennig
ausgeführten Anfangsbuchstaben. Pertz sah in dieser Hs. den
Hauptvertreter einer besonderen Gruppe, die eine eigenartige
Mittelstellung einnehme zwischen den beiden Hauptldassen.
Es schien daher nöthig, sie zur Vergleichung kommen zu
lassen; auf den ersten Blick zeigte sich aber, dass sie eine
Abschrift der Einsiedler ist, was Ermisch schon richtig ver-
muthet hatte, ohne jene näher zu kennen. Die Pariser Hs.
schliesst nämlich mit denselben Worten 'Caprimontem obsi-
dione' wie B 1 , aber ohne verstümmelt zu sein, mitten auf der
Seite. Zu grösserer Sicherheit habe ich bei der Vergleichung
der Einsiedler Hs. die Pariser immer zur Hand gehabt und
mich überzeugt, dass die wesentlichen Abweichungen der
ersteren sich stets in der letzteren wiederfinden. Als beson-
ders bezeichnende Stellen will ich noch folgende erwähnen:
p. 546a 61 hat Bl die Worte 'apud Augustam Afra in
Rhetia provincia' zunächst ganz ausgelassen, dann über das
Folgende 'Nicea Bithyniae Theodora cum filiis' übergeschrie-
ben: 'apud Augustam Afra', aber ohne ein Zeichen, wohin
dies gehört, und so, dass man glauben kann, der Zusatz sei
erst nach 'filiis' einzuschalten ; B la liesst daher auch 'Nicea
B. T. c. filiis, apud Aug. Afra'. P. 553b 26 hat Bl für
'multa instantia' verschrieben 'rnula'; B la macht daraus 'mala':
302 F. Kurze.
p. 556a 63—66 hat ßl, veranlasst durch das zweimalige
'Aquitaniam ingressus', die "Worte 'per Narbonam — Aqn. ingr.'
ausgelassen; dieselben felilen auch in B la.
Zwei Hss., welche Ermisch S. 25 mit Pertz noch hierher setzt,
habe ich nicht für nöthig befunden, näher zu untersuchen:
B Ib. Hs. der ehemaligen Abtei Muri, XII. Jahrh., enthält
eine Compilation aus Regino, Hermann von Reichenau, Bernold und
Berthold, im Anschluss daran die sogenannten Ann. S. ßlasii*.
B Ic. Hs. des Klosters Engelberg, Mitte des XII. Jahr-
hunderts, eine Abschrift der vorigen.
B2. Hs. der St. Johannis- oder Ministerialbibliothek zu
Seh äff hausen n. 109, vom Ende des X. Jahrhunderts (n. 1
bei Pertz). Zum Beweis der Unabhängigkeit dieser und der
folgenden Hss. von B 1 genügt schon der Umstand, dass sie
von der Fortsetzmig gar nichts enthalten. Dazu kommt z. B.,
dass sowohl B 2 als B 3 p. 546a 61 und 556a 63-66, wo B 1
und sein Anhang, wie wir sahen, einiges ausgelassen hat, den
unverkürzten Text bieten. Die Unabhängigkeit von B3 ist
dadurch ausser Frage gestellt, dass dort der Schluss der
Chi'onik fehlt, während B2 vollständig ist.
Umgekehrt ist zu beweisen, dass B2 nicht Vorlage von
B 1 und B 3 gewesen sein kann. An Beweisstellen steht hier
die grösste Auswahl zu Gebote : so fehlen p. 549b 28 die
Worte: *llac peste Pelagius papa extinctus est', die in A2
(AI fehlt mir hier), Bl und B3 zu lesen sind und also
unzweifelhaft zum Texte gehören. Ganz dasselbe gilt p. 550a 53
von den Worten: 'Post sanctum Columbanum in Luxovium
Attalus abba efficitvir', welche hinter 'aedificavit' einzuschalten
sind. Besonders bezeichnend ist die in allen Hss. verderbte
Stelle p. 600 1. 43 — 600 1. 1: sie heisst in den andern Hss.
mit kleinen Abweichungen: 'CapiUum usque ad uitem (für
'cutem') ferro caedunt; super illos ire, consistere, meditari ac
colloqui solent'^ in B2 aber ist sie offenbar durch Ausfall
einer Zeile weiter verderbt in: 'Capillum usque ad uitem tari
ac colloqui solent'. Auch sonst weist B2 Ideine Lücken und
Umstellungen in grosser Zahl auf.
Zugleich geht daraus hervor, dass man der Hs., welcher
Pertz den aUergrössten Werth beimass, diese Bedeutung mit
Ermisch absprechen muss. Doch ist ihr Werth, da fast jede
der 15 Lagen von einem andern Schreiber 2, oft eine von
1) Diese von Pertz noch benutzte Hs. ist seit der Aufhebung des
Klosters (1841) verschollen und von Bresslau und Waitz bei den Vor-
arbeiten für die Edition des Chron. Suev. univ. (vgl. SS. XIII, 62) ver-
geblich gesucht worden. Doch mag sie au dieser Stelle erwähnt werden,
weil noch nicht alle Hoffnung auf ihre Wiederauffinduug aufgegeben zu
werden braucht. 2) Die ganze Vorlage scheint gleich unter eine
grössere Anzahl von Schreibern ausgetheilt worden zu sein, die nun gleich-
Handschriftl. Ueberlieferung u. Quellen Reginos u. s. Forts. 303
mehreren, geschrieben ist, für die einzelnen Theile sehr ver-
schieden; viele Lagen sind fast fehlerlos, manche wimmeln
wieder von allerlei Versehen. Unverdienterweise ist die Hs.
dadurch bei Ermisch in Missachtung gerathen, weil er sie für
alle Fehler des ersten Theils der Pertz'schen Ausgabe verant-
wortlich macht; aber Pertz hat aus ihr nur in zahlreichen
Fällen den Text verändert — man kann nicht immer sagen,
verbessert — , als Grundlage aber einfach die letzte Ausgabe
benutzt. Auf die Herkunft der Hs. gestattet vielleicht das erste
Blatt einen Schluss. Hier stehen von einer Hand des aus-
gehenden X. Jahrhunderts die 8 Hexameter:
'Nini Semiramis, quae tanto coniuge felix
Plurima possedit, sed plura prioribus addit
Non contenta suis nee totis finibus orbis,
Expidit a patrio privignura Trebeta regno :
5 Profugus insignem nosti'am qui condidit urbem,
Treberis huic nomen dans ob factoris amorem.
Quae Caput Europae cognoscitur anteritate:
Filius huius Ero patris haec epigi'ammata pono'.
Dazu fügen Hände des XI. Jahrhunderts noch 2 Hexameter
'Cuius ad inferias hie cum Jove Mars tenet aras
Sidere concordi pax est non dissocianti'
und nach einer leergelassenen Zeile 3 Distichen:
'Exul Arimaspes hac Martis in arce quiesco,
Belgica Roma mei non mea digna fuit.
Im-e bono, meritorum nobilitate, triumphis,
Dii tueantur, ei par nisi Roma nichil.
5 Vulneror, Epte reo, consul primusque senatus,
Hie gaudete, mei, sie meruisse mori'.
Diese Verse finden sich auch in den 'Gesta Treverorum'
(SS. Vni), die Hexameter p. 131, die Distichen p. 136, und
zwar sollen die ersteren von einer Marmortafel entnommen
sein; auch Otto von Freising citiert in seiner Chronik (SS. XX)
I, 8 die Verse bis 'Treveris et caetera als ein 'nostris ibi tem-
poribus repertum et in lapide sculptum epitaphium'J. Die Hs.
zeitig neben einander, jeder ein bestimmtes Stück, abschrieben. Mehr-
fach ist dabei unten auf der Seite Raum übrig geblieben, in andern Fällen
musste der Rand zu Hülfe genommen werden; häufig haben die Schreiber,
um ganz genau auszukommen und sicher zu gehen, offenbar die Zeilen-
abtheilung der Vorlage beibehalten. Aehnliches ist bei der Einsiedler Hs.
stellenweise zu beobachten; durch Vergleichung von B 1 und B2 — leider
habe ich sie nicht neben einander gehabt — würde sich also vielleicht
für längere Strecken die Zeilenabtheilung der verlorenen Hs. B fest-
stellen lassen. 1) Einzeln kommen diese Verse auch in dem Codex
Udalrici u. 271. 272 (Jaffd, Bibl. rer. Germ. V, 459) und in der Hs. der
Königin Christine 497 f. 71 zu Rom vor; s. Pertz Archiv XII, 284;
s. auch Jahrb. der Alterthumsfr. im Rheinlande L, 228. An dem ersteren
Orte werden sie ebenfalls als Steinschriften bezeichnet.
304 F. Kurze.
stammt also höchst wahrscheinlich aus Trier und war eben
diejenige, welche der Verfasser der Gesta Treverorum, dessen
Hauptquelle Regino war, benutzte. Auf der Rückseite des-
selben Blattes steht noch von einer Hand des XI, Jahrh. :
'Ostendit sanctus Gamaliel per visum Luciano sacerdoti tres
calatos aureos rosis rosis (sie) refertos et quartum argenteum
croco plenum et dixit: hi sunt nostri loculi et nostre reliquiae,
hie autem sanguineas habens rosas loculus es (sie) sancti Ste-
phani, qui solus ex nobis martirio meruit coronari'. Darunter
von einer jüngeren Hand: 'V. id. Martii Ropertus oecisus fr
C. et H. ann MCXXVIII. düica G.' (?) • ; wer aber dieser
Ruopertus war, habe ich nicht ermitteln können.
Von ß 2 stammt eine grosse Anzahl von Hss. ab, deren
Abhängigkeit jedoch nicht so leicht zu erweisen ist.
B 2a. Hs. des Britischen Museums zu London, in der
Sammlung des Lord Arundel n. 390. Pertz kannte sie noch
nicht. Ermisch dagegen meinte, sie sei 'wohl die älteste Hs.
ohne cont. und verdiene entschieden Beachtung'. In der That
ist die Schrift nach der im 'Catalogue of mss. in the British
Museum, new series' I, Tafel II mitgetheilten Probe wohl sicher
noch dem X. Jahrh. zuzuweisen 2, wohin sie auch Lappenberg
setzte f Arch. VII, 382), während man bei B 2 eher zwisclien
dem Ende des X. und dem Anfang des XI. Jahrhunderts
schAvanken kann.
Aus Pertz' Apparat schon ist deutlich die enge Verwandt-
schaft der Hss. aus Schaffliausen (1), Karlsruhe (2) und Trier (3)
zu ersehen ; die Trierer aber erwies sich sofort (s. u. B 2b)
als eine Abschrift der Arundel -Hs. Dass nun die Londoner
nicht etwa Vorlage der Schaffhäuser und Karlsruher Hss. ge-
wesen sein konnte, ergab sich aus den zahlreichen Abweichungen
der ersteren an Stellen, wo die letzteren den echten Text bie-
ten, zur Genüge; in der Schaff häuser aber die gemeinsame
Vorlage sehen zu wollen, schien sowohl in Hinsicht auf das
vielleicht höhere Alter der Londoner bedenklich, als auch des-
halb, weil die Karlsruher Hs. unmöglich (s. u. B 2i) unmittel-
bar aus der Schaffhäuser abgeschrieben sein kann. Aus diesen
Gründen glaubte ich eine jetzt verlorene gemeinsame Quelle
der drei Hss. annehmen zu müssen, und habe daher die Karls-
ruher selbst vollständig verglichen, während die Arundel- Hs.
auf Kosten der Monumenta von Herrn J. H. Jeayes im Briti-
schen Museum gleichfalls fast vollständig für mich verglichen
worden ist. Jeder Versuch, an irgend einer Stelle aus den
di'ei Hss. die Lesart ihrer verlorenen Vorlage herzustellen,
1) Der 11. März 1128 war der erste Fastensonntag. 2) Vgl. auch
Dümmler 'Gesch. d. ostfr. Reichs' III, 169 f. Anm. 2, wo die Grabschrift
des im J. 886 gefallenen Grafen Heinrich aus dieser Hs. mitgetheilt wird.
Handschriftl. Ueberlieferung u. Quellen Reginos u. s. Forts. 305
führte aber, von Kleinigkeiten abgesehen, immer wieder zu
dem Ergebnis, dass in der gesuchten Vorlage dasselbe gestan-
den haben müsste , was in ß 2 wirklich steht , so dass ß 2
eine ganz unnatürlich genaue Abschrift einer mit Fehlern ziem-
lich stark behafteten Vorlage hcätte sein müssen. Dazu kommt,
dass die mit rother Schrift in B 2 am Rande eingetragenen
Verweise auf den Inhalt der betreffenden Stellen, wie p. 549b
^De visiolne gund|rammi re|gis' oder p. 551b unten 'De filio|
dagob| regis re|sponden|ti aman|do epo| airi' oder p. 557b unten
'De missisl adriani| pape ad| regem', die hier ganz den Ein-
druck der Oi'iginalität machen, sich in der Arundel-Hs. eben-
falls finden, aber meist zusammenhängender geschrieben, wie
man sie eben aus einer Vorlage abschreibt. Wenn nun schliess-
lich z. B. p. 547b 67 für 'prius' ß 2 mit einer gewöhnlichen
Abkürzung schreibt 'pus', die beiden andern aber 'pius',
p. 548b 70 für 'Gisulfum' B 2 'gisulfulfum', die Karlsruher Hs.
aber 'gisulfalfum' und die Londoner 'gisilulfum', wenn p. 549a 64
für 'qui genuit Dagobertum' B2 hat 'qui genibertum', die
beiden andern aber die drei Worte auslassen, Avenn p. 603 1. 4
für 'substiterunt' B2 zuerst 'substerunt' schreibt und dieses
durch ein übergeschriebenes 'n' in 'substernunt', dann durch
Tilgung des 'n' imd Hinzufügung von 'it' in 'substiterunt'
ändert, die Karlsruher Hs. aber dafür 'subsiternunt' aufweist,
und wenn endhch p. 601 1. 8 die Hs. B 2 für 'descensus' liest
'decensus', woraus eine andere Hand 'decursus' gemacht hat,
und dieses 'decursus' sich in den beiden andern Hss. wieder-
findet, so kann es wohl kaum noch einem Zweifel unterliegen,
dass B2 die gemeinsame Quelle der Londoner und Karls-
ruher Hss. ist.
Von B2a, der Arundel-Hs., gilt nun, was Ermisch S. 16 f.
von der Trierer Hs. sagt, dass sie den Text der Vorlage nicht
eben treu wiedergiebt, sondern ihn vielfach grammatisch zu
verbessern und unverständliche Sätze zu bei'ichtigen sucht,
aber auch sonst sich manche Abweichungen erlaubt. Und da
wir die Hs. zur Herstellung des originalen Textes nicht nöthig
haben, so kann ims diese Eigenschaft nur willkommen sein,
insofern als sie es ermöglicht, die von B2a abhängigen Hss.
mit Leichtigkeit zu erkennen. Deren sind sechs bekannt:
B2b. Hs. der Stadtbibliothek zu Trier n. 1286, 43,
im J. 1084 zu Prüm geschrieben' (n. 3 bei Pertz). Diese Hs.,
welche Reginos Chronik auf den ersten sechs Lagen, nach ihr
noch Einhards 'Vita Caroli' und 'Annales', sowie Thegans 'Gesta
1) Nach einer Notiz auf dem letzten Blatte, welche Pertz p. 539
abgedruckt hat. Ueber die Schicksale der Hs. findet sich auf dem ersten
Blatte ein ausführlicher Bericht, welchen Pertz ebenfalls nach Witten»
bachs Mittheilung dem Inhalte nach wiedergiebt.
306 F. Kurze.
Ludowici' enthält 1, ist die älteste Abschrift von B2a; den
Nachweis der Abhängigkeit werde ich, um mich nicht wieder-
holen zu müssen, unter B2e für die Hss. B2b— e zusammen
führen, Ihrer Herkunft aus Prüm wegen hat die Hs. eine
Zeit lang sogar für das Original gegolten, und noch Wytten-
bach hielt sie für eine Abschrift desselben; wir sehen jetzt,
dass sie erst im vierten Gliede davon abstammt.
B2c. Hs. der National Bibliothek zu Paris n. 5922,
XH. Jahrb., aus dem Marienkloster zu Otterberg in der
Rheinpfalz 2. Die Hs. endet 'in Tullensi urbe'; ein Stück dar-
aus (p. 590—594 der Ausgabe) hat Herr Bibliothekar A. Moli-
nier in Paris für mich verglichen.
B2d. Hs. der Cotton- Bibliothek im Britischen Museum
zu London Tiberius c. XI, aus dem Kloster Egmond, ent-
hält auf fol. 43 — 118 Reginos Chronik, angeblich vom Ende
des XII. Jahrh.3; einzelne wichtige Stellen daraus hat Herr
Jeayes in London für mich nachgesehen.
B2e. Hs. des Collegs Corpus Christi zu Cambridge
n. 139, deren genauere Kenntnis ich der Güte des Herrn
A. Rogers in Cambridge verdanke, enthält nur Auszüge, und
zwar bis zum J. 74G ohne wesentliche Lücken; dann folgen
kurze wörtlich entlehnte Stellen aus den Jahren 776, 799,
801, 803, 804 und 807, und noch kürzere Bemerkungen zu
den Jahren 809, 810, 812 und 813, ferner etwas reichhaltigere
zu 842, 809, 871, 875-77 und 884-97 = 883—96, endigend
mit 'imperator creatur' (p. 607 1. 10), endhch zu 1002 = 901
bis 'extinguitur (p. 609 1. 39).
Ein besonders auffälliges Kennzeichen für die Verwandt-
schaft der Hs. B2a bietet der Schluss der Chronik 'Otbertus
in Strazburgensi civitate et Druogo in Tullensi', welchen sie
durch Hinzufügung des Wortes 'urbe' erweitert; ebenso
schliessen B 2b (was Pertz übersehen hat,) und c 'in Tullensi
urbe', B 2d 'in Tullensi civitate', während B2e schon früher
endigt. Einen untrüglichen Beweis giebt ferner die schon
erwähnte Stelle p. 600 1. 43—601 1. 1, wo B2a die unver-
ständlichen Worte der Vorlage (B2) 'Capillum usque ad
uitem tari ac colloqui solent' verbessert in 'Caballos supra
modum temptare solent'; ebenso haben B2b (nur 'temptari'),
d und e, B2c ist an dieser Stelle nicht nachgesehen. Von
andern Stellen erwähne ich nur folgende : p, 544b 55 — 56 für
1) Vgl. Pertz Archiv XI, 299. 2) Vgl. Archiv VII, 403, Ermisch
p. 27. 3) Die genaueste Beschreibung dieser Hs. , vi^elche u. a.
fol. 1 — 19 Einhards Vita Caroli, fol. 125—141 die Jahrbücher von
Xanten und fol. 141 — 169 die von Egmond enthält, findet man in Pertz'
Vorreden zu den Ausgaben der Annales Xantenses (SS. II, 217 f.) und
Egraundani (SS. XVI, 442); da die Hs. Autograph der letzteren sein soll,
so muss sie wohl aus dem Kloster Egmond stammen.
Handsehriftl. Ueb erlief er ung u. Quellen Reginos u. s. Forts, 307
'apud Miceriam Aquileia' der Vorlage (B2) lesen B2a,
b und d 'apud Miceriam Aquileiam', B2e 'apud Niceam Aqui-
leam', B 2c ist hier nicht verglichen; p. 592 1. 27 für 'vulgus
non tantum inorme, quantuin disciplina militari nudatum'
haben B2a, b und c (B2d und e sind für diese Stellen
nicht verglichen) 'vulgus disciplina pugnandi penitus igna-
rum', ebenda 1. 33 für 'iuxta patrem in Lorasham coenobio'
'in Lorosam i. p. in coen.', ebenda 1. 38 für 'quae non tantum
inmatura quam inhonesta mors' 'quae tam inmatura mors',
p. 539 1. 1 für 'domo regiae' 'regno', 1. 17 für 'obsidere ex-
ortus est, sed conatus eins' 'obs. conatus est, sed voluntas
eius' u. s. w.
B2f. Collation einer ehemals dem St. Godehards- Kloster
zu Hildesheim gehörigen, jetzt verschollenen Hs., von Mei-
bom dem Aelteren nach einem Exemplar der Regino-Ausgabe
von Pistorius angefertigt'. Dass diese Hs. von B2a ab-
stammte, beweisen die Lesarten, welche Pertz aus Meiboms
Heft in seinen Apparat aufgenommen hat; p. 577 1. 38 hat
der Codex S. Godehardi 'seditiosis sunt munitissima, praebent
tarnen itinerantibus difficilem ingressum' (für 'sedit. munitis-
simum praebebant receptaculum , et regi exercituique eius
propter concava vallium et praerupta montium artissima iti-
nera et diff. ingr.'), ebenso B2a, nur ohne Hamen' und mit
'iterantibus' für 'itinerantibus'; ferner erhöht der Cod. S. God.
von hier an (867 für 866) die Jahreszahlen um 1, wie B2a
und sein Anhang, p. 588 1. 6 hat er 'perprudens' für 'calli-
dissimus', p. 590 1. 29 fehlt 'et regnis', ebenda 1. 33 liest er
'cum utrorumque hostes sepe inter se decertassent' (für 'cum
utruraque hostes saepe temptassent'), p. 591 1. 10 'lorasam'
und p. 592 1. 9 'Saxi' (für 'Saxo') ganz wie B2a. Gegen die
Identität der Hs. des heil. Godehard mit B2a, welche man
sonst versucht sein möchte zu veimuthen, spricht aber ausser
der angeführten Abweichung auf p. 577 1. 38 auch die Lesart
'hora' für 'Jora' (p. 559b 4), welche Ermisch p. 23 n. 6 aus
Meiboms Collation anführt; denn die Arundel-Hs. hat hier
so deutlich 'iora', dass auch ein Lesefehler Meiboms nicht an-
zunehmen ist.
Zu den Abschriften von B2a gehörte ferner
B2g. Die verlorene Hs. des Klosters Gross -St. I\rartin
zu Köln, von welcher nur noch vier Blätter vorhanden sind,
die von Bücherdeckeln der ehemaligen Klosterbibliothek ab-
gelöst worden sind und sich seit 1885 im Stadtarchiv zu Köln
befinden 2. Erhalten sind die vier äusseren Blätter einer Lage
1) In der königlichen Bibliothek zu Hannover XI, 692. 2) Am
Rande der sechsten Seite steht: 'Liber monasterii divi Martini maioris
in Colonia. Anno 1609'. Herr Stadtarchivar Professor Dr. Höhlbaum in
308 F. Kurze.
von ursprünglich acht Blättern, welche von 'dehonestati'
p. 573 1. 3 im J. 865 bis 'Gerraaniam' p. 575 1. 23 im J. 866
und von 'mox absque difßcultate' p. 580 1. 21 im J. 868 bis
'cum etiam' p. 583 1. 1 im J. 870 reichte. Die erhaltenen
Blätter haben ein ziemlich grosses Format, 24 cm hoch und
17,4 cm breit, mit 32 Zeilen auf der Seite, die 32. Zeile aber
ist unten weggeschnitten; die Schrift ist die des XI, Jahr-
hunderts. Dass die Kölner Hs. zur Klasse B gehörte, beweist
p. 573 1. 31 das fehlende 'quoque', ebenda 1. 46 'quomodo'
für 'quoquomodo', p. 573 1. 23 das fehlende 'que', denn diese
Fehler sind der Klasse B eigenthümlich; p. 582 1. 12 — 13
lässt das fehlende 'tarnen — episcopum' auf Abkunft von B 2
schliessen, die Jahreszahlen 870 und 871 für 869 und 870 aber
zeigen, dass die Hs. von B2a abstammt, denn innerhalb der
Familie B hat nur die Arnndel-Hs. und ihr Anhang von 866
an (p. 577 1. 42) um 1 erhöhte Jahreszahlen. Dazu stimmt,
dass die Fragmente p. 580 1. 40 für 'finita igitur missarum
sollompnia' mit B2a 'finito ig. miss. officio' lesen, und dass
p. 581 1. 31 'nepotem' hier wie in B2a fehlt. Da in B2b,
c und d eine entsprechende Lücke nicht vorhanden ist, so
muss Avohl eine verlorene Hs. angenommen werden, von welcher
nur diese Bruchstücke übrig geblieben sind.
Dies wird die Hs. gewesen sein, welche Marianus Scotus
benutzte, da er längere Zeit dem Martinskloster angehört hat'.
B 2h. Papier-Hs. der Universitätsbibliothek zu Glossen
n. 650. Nach Woilands Beschreibung im Neuen Archiv IV, 73
war die Hs., die im XV. und XVI. Jahrh. geschrieben ist,
einst officielles Handbuch des Domkapitels zu Speier. Von
Regino enthält sie nur ein Stück ^751 — 813) auf fol. 88 — 97,
dazu die Grabschrift des Grafen Heinrich, die sich sonst nur
in B2a findet; für diesen Tlieil ist die Hs. also unmittelbar
aus der Arundel-Hs. abgeschrieben.
Abhängig von B2, nicht aber von B2a, sind ferner:
B2i. Hs. der Grossherzoglichen Hofbibliothek zu Karls-
ruhe n. CCXXXII, ehemals zu Reichen au, aus der zweiten
Hälfte des XI. Jahrhunderts (n. 2 bei Pertz.) Die Hs. fährt
nach 'cum armatis occurrit' im Jahre 773 (p. 558a 9) unver-
mittelt fort mit 'Cum vero audissent' im J. 794 (p. 561b 10);
von hier aus geht es weiter bis 'Huius faccionis fuere prin-
cipes' im J. 801 (p. 563a 9), dann setzt der Schreiber wieder
ein mit 'Post haec eodera anno' im J. 783 fp. 559b 72) und
fährt von hier fort bis zum Ende des J. 795 (p. 561b 31),
Köln war so freundlich, mir die gewünsclite Auskunft über die Frag-
mente zu ertheilen und mir dieselben nach Halle zur Ansicht zu schicken.
1) Dass dessen Vorlage der Trierer Hs. (B 2b) nah verwandt war, zeigt
Ermisch S. 28, Anm. 2.
Handschriftl. Ueberlieferung u. Quellen Eeginos u. s. Forts. 309
so dass er also ein Stück (p. 561b 10—31) zum zweiten Male
abschreibt. Nachdem er dieses Irrtliums gewahr geworden,
überspringt er das Folgende und beginnt wieder mit dem
J. 802 (p. 563a 52), also mit Auslassung eines Stücks zum
J. 801 (p. 563a 9 — 51). Man wird Ermisch Recht geben
müssen, dass derartige Fehler sich nur erklären lassen, wenn
der Schreiber dieser Hs. eine Vorlage benutzte, deren Blätter
an dieser Stelle in Unordnung gerathen waren. Diese Voraus-
setzung trifft aber bei der SchafFhäuser Hs. (B 2) nicht zu ;
die fraglichen Stellen treffen hier nirgends mit dem Ende
eines Blattes oder gar einer Lage zusammen, sondern stehen
meist gerade mitten auf der Seite. Unmittelbar aus B2
kann also die Karlsruher Hs. nicht abgeschrieben sein; dass
sie gleichwohl von B2 abhängig ist, hoffe ich unter B2a
bewiesen zu haben; wir müssen also annehmen, dass ein
Mittelglied verloren gegangen ist, welches Abschrift von B2
und Vorlage von B2i war. Dies mag vielleicht die Hs.
ohne Fortsetzung gewesen sein, welche nach Mabillon, der
sie noch selbst gesehen haben will, in Gembloux mit der
ganzen dortigen Bibliothek durch eine Feuersbrunst unter-
gegangen ist 1.
Die Reichenau-Karlsruher Hs. muss im XV. und XVI. Jahr-
hundert eine der bekanntesten Regino-Hss. gewesen sein, da
sie sowohl zwei Hss. dieser Zeit als Vorlage gedient hat, als
auch der ersten Ausgabe, auf welcher alle folgenden fussen,
zu Grunde gelegt worden ist. Diese Hss. sind:
B2k. Papier -Hs. der Stadtbibliothek zu Augsburg
n. 223, Ausgang des XV. Jahrh.^, und
B21. Rapier -Hs. der Harley- Sammlung im Britischen
Museum zu London n. 3676, XVI. Jahrb., aus der Peutinger-
schen Bibliothek. Diese Hs. ist allerdings überhaupt keine
gewöhnliche Abschrift, sondern eine gelehrte Arbeit des
XVI. Jahrb., welche den Text der Hs. B2i aus der Mün-
chener (AI) oder einer ihrer Abschriften corrigiert und fort-
gesetzt nat; sie könnte also vielleicht ebenso richtig als Alg
aufgeführt werden.
B3. Hs. der Nationalbibliothek zu Paris n. 5017, aus
der Mitte des XI. Jahrh. ; die Aufschrift 'Liber sancti Arnulphi'
lehrt, dass sie aus Metz stammt. Die Hs. reicht nur bis zu
den Worten: 'Siquidem cives, qui partibus eius favebant,
portas' im J. 905 (p, 611 1. 1) und schliesst so, ohne selbst
verstümmelt zu sein, mitten im Satze. Da auch im J. 903
die Worte 'cum sociis — palatio' (p. 610 1. 25) fehlen und
eine Zeile dafür leergelassen ist, so ist zu vermuthen, dass
1) Mabillou, Annales ordinis S. Benedicti III, p. 329. 2) Vgl.
Ermisch a. a. O., S. 25 n. 28.
310 F. Kurze.
die Vorlage verstümmelt war; es müssten die fehlenden Worte
'cum — palatio' als letzte Zeile der vorletzten Seite verloren
gegangen sein und ausserdem etwa noch zwei Blätter am
Schluss gefehlt haben. Dass B3 von Bl und B2 unab-
hängig ist, wurde schon unter B2 bewiesen; B3 kann also
recht wohl eine unmittelbare Abschrift der verlorenen Hs. B
sein, welche sonach in der Mitte des XI. Jahrh. bereits am
Schluss nicht mehr vollständig gewesen sein könnte.
Abschriften von B 3 sind :
B3a. Hs. der Eger ton -Sammlung im Britischen Museum
zu London n. 810, XIL— XIII. Jahrh., nach einer Aufschrift
des XVIII. Jahrh. aus der Bibliothek der Fugger erworben.
Die Hs., in welcher Herr J. H. Jeayes in London einige
Stellen für mich nachzusehen die Freundlichkeit gehabt hat,
endigt genau mit denselben Worten wie B3; auch hat sie
an der fast in allen Hss. verderbten Stelle p. 544b 55—57,
wie B3: *apud Aquileiam Ilerraagoras episcopus, Fortunatus
diaconus, Xuceria Felix cum Constantia'; für die gleichfalls
überall verderbte Stelle p. GOO 1. 43 — 601 1. 1 dagegen hat
sie direct im lustin Heilung gesucht und liest mit geringer
Abweichung ganz wie Pertz: 'Capillum usque ad cutem ferreo
(für 'ferro') caedunt; equis omni tempore vectantur, super
illos ire, meditari, consistere ac colloqui solent'.
B3b. Die Urschrift der Metzer Annalen', in der
Mcermann'schen Bibliothek, die kürzlich nach Berlin gekom-
men ist, n. 746, vom Anfang des XII. Jahrh. (n. 4 bei Pertz).
Dass der Metzer Annalist Reginos Chronik aus der Äletzer
Hs. kannte, ist beinahe selbstverständlich; dazu kommt, dass
die Annalen Regino nur bis zum J. 903 einschliesslich be-
nutzen, also gerade so weit, wie B3 reicht, nur mit Weg-
lassung des verstümmelten Anfangs von 905, und dass sie
p. 600 1. 43 — 601 1. 1 gerade wie B 3 haben: 'Capillos usque
ad verticem ferro caedunt, super illos ire, consistere, metari
ac colloqui solent'. Auch die längeren Stellen, die SS. I,
p. 191 — 193 als Zusätze der Metzer Annalen (dort mit 9b be-
zeichnet) zu Einhards Jahrbüchern gedruckt sind, sind aus
der Hs. B3 abgeschrieben, wo sie von einer Hand des
XII. Jahrh. auf die Ränder geschrieben sind.
B3c. Hs. der bischöflichen Bibliothek zu Durham
C. IV. 15 2 enthält einen Theil der Metzer Annalen und den
Regino oder wahrscheinlich nur die in die Metzer Annalen
aufgenommenen Stellen des Regino, nach dem gedruckten
Katalog bis 898 und 1000 — 1005; wahrscheinlich also be-
ziehen sich die mit 1000 — 1005 bezeichneten Stücke in Wirk-
1) Vgl. Waitz im Neuen Archiv IV, 589; Ausgaben von Du Chesne
III, 262-333, SS. I, 314—336. 2) Archiv VII, 102. 384.
Handschriftl. Ueberlieferung u. Quellen Reginos u. s. Forts. 311
lichkeit auf die Jahre 899 — 903, höchstens bis 905. Die Hs.
gehört daher sicherlich hierher, vielleicht als Abschrift von B3b.
In der Collegialbibliothek zu Eaton bei Windsor befindet
sich noch eine Kegino-Hs., n. 3279. 380', nach einer mir von
Herrn Jeayes in London vermittelten Mittheilung des Herrn
Bibliotheksvorstehers aber nur ein Auszug über die Thaten
der Normannen von 812 bis 892, der bei Du Chesne, 'historiae
Normannorum scriptores', p. 7 — 14 abgedruckt ist.
Ein kleines Stück aus Regino enthält auch die Vatican-
Hs. n. 1992 ^ aus dem XI. Jahrh, nach 'Historiarum losephi
libri numero VH' auf fol. 171' — fol. 172, nämlich: 'Anno
dominicae incarnationis DCCCLXXIH. rex Karolus Ande-
cavensem obsedit urbem. Nanque Norhmanni' (p. 585 1. 21)
— 'multo peiora et inmaniora, quam antea, perpetrarunt
(p. 586 1. 7). Eodem anno inestimabilis locustarum multitudo
ab Oriente paene pervastavit Galliam' (p. 585 1. 5 — 6).
Verschollen ist die Hs., welche nach Gatterer ^ in der
Bibliothek des Collegs Cläre Hall in Cambridge aufbewahrt
wurde und mit den Worten endigte: 'Explicit chronica Regi-
nonis Pruraiensis abbatis de gestis Francorum'. Herr A. Rogers
in Cambridge, welchen ich um Auskunft bat, hat mit Hülfe
des Herrn Universitätsbibliothekar Robertson die Bibliothek
danach durchsucht, aber keine Spur davon gefunden. Ver-
schollen ist desgleichen die 1772 in Muri aufgefundene Hs.,
welche Hohenbaum van der Meer theilweise verglichen hat*.
Dagegen ist es wohl ein Irrthum Gatterers, wenn er glaubte,
dass noch andere Hss. in Holland vorhanden seien*.
Erhalten sind sonach von jeder Klasse drei selbständige
Hss. 8; von der Masse der übrigen kommen bei der Herstel-
lung des Textes höchstens für die grosse Lücke der Hs. A 1
noch die Hss. A la und b in Betracht. Aus den drei Hss.
Bl — 3 ergiebt sich durchweg ohne Schwierigkeit der Text
1) Archiv VII, 103. 2) Bethmann, Archiv XII, 230. Reiffer-
scheid, "Wiener Sitzungsberichte LXIII, 704. 3) Hist. Bibl. X, 251.
4) Archiv III, 235. V, 767. Ermi.sch S. 29. 5) Hist. Bibl. VIII, 12.
6) Zur Veranschaulichung' diene folgender Stammbaum; die eingeklam-
merten Zahlen bezeichnen die von Pertz benutzten Hss. :
R
B
1 22*3(8) 1 2(1)
a(7) b(9) I a(6) b
0(10) d(llj f cbT3")cdefgh
e(12) 'k
312 F. Kurze.
der verlorenen Hs. B: nicht mit gleicher Sicherheit lässt sich
der der verlorenen Hs. A herstellen, da wir meist nur AI
und A2 oder AI und A3 neben einander haben und öfters
auch auf A 1 allein angewiesen sind, A 1 aber nicht immer
zuverlässig, und A3 nicht eigentlich Abschrift ist. Wo diese
Hss. unter einander übereinstimmen, haben wir den Text
von A; wo sie von einander abweichen, wird in den meisten
Fällen B den Ausschlag geben, insofern als man annehmen
kann, dass diejenige Hs. der Klasse A, welche mit B über-
einstimmt, die Lesart der verlorenen Hs. A am treuesten
wiedergiebt.
Wo sich verschiedene Lesarten der Klassen A und B
gegenüberstehen, haben wir für einen grossen Theil des
Werkes eine entscheidende Instanz an den Quellen Reginos,
insofern er sie wörtlich abgeschrieben hat. Da zeigt sich
nun, dass der Schreiber von B ein gewöhnlicher Abschreiber
war, der wohl in der Rechtschreibung sich manche Freiheiten
gestattet, aber sonst sich getreu an seine Vorlage hält, der
von A aber ein denkender Leser, der beim Abschreiben
weniger Versehen aus Nachlässigkeit oder Flüchtigkeit be-
geht, aber öfters mit BcAvusstsein von der Vorlage abweicht.
Wo also bei Abweichungen zwischen A und B die unmittel-
bare Entscheidung nicht eingeholt werden kann, werden wir
so zu entscheiden haben, dass wir kleine Nachlässigkeiten
eher dem Schreiber der Hs. B, bewusste Aenderungen eher
dem von A zutrauen. Gewisse Willkürlichkeiten sind dabei
unvermeidlich.
IL Die QueUen.
a. Ueber die Quellen Reginos hat Ermisch mit solcher
Gründlichkeit gehandelt, dass ich seine Untersuchung nur
durch einzelne Zusätze und Berichtigungen zu ergänzen brauche.
Der 'Liber pontificalis' hat seither eine treffliche Ausgabe
erfahren durch den Abbe L. Duchesne; den Text von Reginos
Papstkatalog, der in Pertz' Ausgabe ausserordentlich verderbt
ist, habe ich auf Grund der umfassenden Hss.-Collationen
natürlich mit grösserer Sicherheit wiederherstellen können, als
es Ermisch mit geringeren Hülfsmitteln vermochte; so ist es
jetzt keine Kunst, die richtige Lösung der Frage zu finden,
an welcher Ermisch mit grösstem Fleiss und Scharfsinn ver-
geblich gearbeitet hat. Er glaubte als Quelle Reginos einen
Papstkatalog neben dem 'Liber pontificalis' annehmen zu
müssen; indessen Reginos Katalog stimmt in Reihenfolge und
Regierungsdauer der Päpste mit keinem der zahlreich erhal-
tenen Papstkataloge, sondern nur mit dem Liber pontificalis
selbst überein; und zwar setzt uns Duchesnes Ausgabe sogar
Handschriftl. Ueb erlief erung u. Quellen iReginos u. s. Forts. 313
in den Stand, die Hs. zu erkennen, welche Eegino benutzte,
nämlich den Codex Parisinus n. 13729 s. IX. (B 2 bei Duchesne).
Was den Brief des Papstes Stephan IIL und die nach-
folgende Erzählung auf p. 556a 57 — b38 betrifft, so hat Sim-
son 1 bewiesen, dass Reginos Quelle die 'Revelatio facta sancto
papae Stephano' war, welche sich als Anhang zur ^Vita
S. Dionysii' bei Surius 'De prob, sanctorura bist.' V, 658 ge-
druckt findet. Die wörtliche Üebereinstimmung ist sogar noch
grösser, als Simson bei der bisherigen fehlerhaften Gestalt des
Textes annehmen konnte.
Für die Gesta Dagoberti benutzte Regino eine verlorene
Hs., verwandt mit der Jenaer Hs. s. XIV. (in den SS. rer.
Merov. II, 396 ff. cod. 2a genannt), wie u. a. die Lesart
'quinquaginta für 'quingenta' (p. 552a 42) zeigt; für den Liber
historiae Francorum die Londoner Arundel-Hs, n. 375 s. IX.
(in den SS. r. M. II, 215 ff. cod. B la), die aus der Gegend
der Ardennen stammt: oft hat er gerade nur die Randbemer-
kungen derselben benutzt, z. B. p. 547b 43 = c. 15: 'Ubi Clodo-
veus Alamannos tributarios sibi fecit'. Seine Hs. des Paulus
Diaconus gehörte zu der Gruppe, welche in der neuen Ausgabe
der Monumenta mit G bezeichnet wird, und war mit G 5 am
nächsten verwandt. Die Beda-Hs., welche er benutzte, ist
gleichfalls verloren ; sie stand den Ausgaben von Basel und
Köln und dem Sicard näher, als den erhaltenen Hss.
Die beiden Briefe Gregors I. an Leander, welche Ermisch
unter Reginos Quellen stellt, hatte dieser sicher nicht im Ori-
ginal, schwerlich auch in einzeln umherirrenden Abschriften,
sondern jedenfalls in einer grösseren Sammlung. Eine der
verbreitetsten Sammlungen von Decretalen und Concilienacten
war aber die Collectio Hispana 2, welche auch fast ganz in
die pseudo-isidorianische Sammlung aufgenommen ist. In der
That enthält die Collectio Hispana von der ungeheuren Menge
gregorianischer Briefe nur fünf, nämlich drei an Leander,
darunter die beiden von Regino benutzten, einen an König
Reccared und einen an den Subdiacon Petrus. Auch andere
Stücke dieser Sammlung hat Regino benutzt, so zuerst die
zahlreichen Briefe des Papstes Leo I. P. 547a 52 — 55 sagt
er: 'Huius (Theodosii) temporibus Leo magnus apostolicam
optinuit cathedram; ad quem (Theodosium Leo) et ad Pul-
ceriam augustam multa super Eut-cetis errorem scribit'; damit
sind die Briefe n. 41 und 45 der Sammlung (an Theodosius)
und n. 42. 43. 46 und 48 (an Pulcheria) gemeint. Die fol-
genden Worte (1. 55 — 56): 'Flavianus Constantinopolitanus
1) Forschung-en XIX, 175 — 180. 2) 'Collectio canonum ecclesiae
Hispanae', Madrid 1808, und 'Epistolae decretales ac rescripta pontificura
Romanorum', Madr. 1821.
Neues Archiv etc. XV. 21
314 r. Kurze.
episcopus Eüticen dampnat' beziehen sich auf Leos Briefe
n. 37 und 38 an Flavian und die dazwischen eingelegte Ant-
wort desselben. Wenn dann Regino 1. 65 fortfährt: 'Leo epi-
scopus Martiano raulta fidei dogmata scribit', so hat er dabei
die Briefe n. 50. 51. 53. 55. 57. 58 und 59 im Auge. Einen
besonders deutlichen Beweis für die Benutzung der Acten-
stücke bietet aber die unmittelbar folgende Stelle: 'Anatolius
episcopus Constantinopolitanus Euticetis errorera dampnat et
a Leone papa arguitur, quod contra Nicenum conciliuni Antio-
cenam et Alexandrinam ecclesias sibi subdere voluisset'. N. 56
der Sammlung trägt nämlich die Ueberschrift : 'Epistola Leonis
ad Anatolium Constantinopolitanum episcopum, in qua impri-
mis eundem episcopum de fide in Chalcedonensi conciho laudat",
deinde arguit illum, quod contra Nicaenam synodum Alexan-
drinam atque Antiochenam ecclesias sibi subdere voluisset'.
So mag Regino vielleicht auch bei den folgenden Bemerkun-
gen, p. 547b 4: 'Huic Leoni Leo papa plurima scribit' und
ebenda 1. 15—16: 'Felix papa dampnavit Acatium Constantino-
politanum episcopum et Petrum .Vlexandrinum', Avelche ganz
aus den Gesta pont, Rom. entnommen sein können, an den
sehr langen Brief Leos 'ad Leonem augustum' (n. 60) und an
die 'Epistola Felicis ad Acacium Constantinopohtanum episco-
pum' (n. 80 der Sammlung) gedacht haben. P. 549b 34 hat
Kegino vielleicht aus dem Briefe Gregors 'ad Reccaredum
regem Gothorum' (n. 100) den Namen des Königs, welchen
Beda Richard nennt, in Rachared verbessert. Ebenda 1. 40 — 44
giebt er, wie erwähnt, den Inhalt zweier Briefe Gregors an
Leander (n. 98 und 99) wieder. Endlich sind noch p. 550a
12—19 die Acten des vierten und fünften Concils zai Toledo
benutzt. Die Stelle lautet: 'Circa haec tempora Sisenandus
et post eum Chintilla in Ilispania regnaverunt. Horum tem-
poribus synodus bis habita est in urbe Toletana, ubi plurima
de hde catholica et religione christiana promulgata sunt et
scripto roborata. Sub his etiam regibus Isidorus Hispalensis
ecclesiae episcopus lloruit, nuUi modernorum doctorum post-
ponendus, qui multa de fidei regulis ecclesiasticisque disciplinis
disputavit'. Die Acten des vierten Concils beginnen: 'Dum . . .
religiosissimi Sisenandi regis Hispaniae atque Galliae sacer-
dotes apud Toletanam urbem in nomine Domini convenis-
semus', die des fünften: 'Apud urbem Toletanam diversis ex
provinciis Hispaniae sacerdotes Domini . . . gratiarum actiones
omnipotenti Domino persolvimus propter . . . gloriosi prin-
1) Erläutert werden diese Worte durch den Eingang des Briefes:
. . . 'ab universal! ecclesia perniciosissimi erroris nocte depulsa ineflfa-
biliter gaudeamus . . ., sicut etiam epistulae tuae textus eloquitur, ut
secundum apostolicam doctrinam id ipsum dicamus omnes et non sint in
nobis Schismata',
Handschriftl, Ueberlieferung u. Quellen Reginos u. s. Forts. 315
cipis nostri Chintilani regis initia'; an der Spitze der Unter-
schriften des vierten steht: 'Ego Isidorus in Christi nomine
eeelesiae Hispalensis metropolitanus episcopus haec statuta
subscripsi'. Für 'Chintilani' haben einige Hss. 'Chintilae', und
nur hier findet sich der Name dieses Königs in derselben
Form, wie bei Regino.
Es ist also nicht zu leugnen, dass Regino die Acten der
vierten und fünften Synode von Toledo und von den Briefen
Leos I. und Gregors I. gerade diejenigen benutzt hat, welche
in die CoUectio Hispana aufgenommen sind. Ob er nun diese
Sammlung ganz in Händen gehabt hat, ist damit noch nicht
entschieden: ebenso gut kann ein Auszug daraus seine Quelle
gewesen sein, der nur wenige der wichtigsten Synodalacten
und die Decretalen der bedeutendsten Päpste enthielt. Das
Letztere ist vielleicht sogar wahrscheinlicher, denn die ganze
Sammlung enthält doch noch ungeheuer viel Material, welches
Regino ganz unbeachtet gelassen hat. Möglicherweise war
dieser Auszug verbunden mit einer Abschrift der erwähnten
'Revelatio facta sancto Stephano papae' und der Sammlung
von Actenstücken aus dem neunten Jahrhundert, welche unten
zu besprechen sein wird.
Die Stellen in dem unselbständigen Theile der Chronik,
deren Herkunft hiernach noch unerklärt bleibt, sind zum
grossen Theil kurze Notizen über hervorragende Männer der
Kirche, wie sie sich auch häufig bei Beda finden und hieraus
vielfach von Regino aufgenommen sind. Oft sind es nur
Namen mit den aus Beda entlehnten stehenden Wendungen
'clari habentur, 'fulget' u. s. w., in einzelnen Fällen längere
Notizen. Man möchte zuerst mit Ermisch (S. 70) vermutnen,
'dass unserm Autor für solche und ähnliche Angaben eine Art
über de illustribus viris vorlag'; aber Ermisch fährt selbst
sogleich fort: 'keine Spur deutet darauf liin, dass dieses eins
der uns überlieferten war'. Auch haben die Werke von Hie-
ronymus, Gennadius, Isidor und Ildefons einen so wesentlich
andern Inhalt, dass die Annahme, eine ähnliche Schrift sei
Reginos Quelle gewesen, sehr unwahrscheinlich wird. Für
einige längere Stellen solcher Art hat Ermisch (S. 64 f.) drei
Heiligenleben als Quellen richtig erkannt, nämlich Wandal-
berts Vita S. Goaris für p. 550a 20 — 25, Jonas' Vita S. Colum-
bani für p. 550a 49 — 57 und p. 550b 35, und Godescalks Vita
S. Lamberti für p. 552b 68-72.
Neben diesen darf man aber zunächst unbedenklich auch
die ältere Vita S. Arnulfi ' als Quelle gelten lassen, was Ermisch
(S. 70) für unsicher hält, weil die Notiz p. 552a 1 'Arnulfus
episcopus et Romaricus abba clari habentur' bei Regino an
1) Acta Sanctorum Juli IV, 435—440; SS. rer. Mer. II, 426—446.
21*
316 F. Kurze,
falscher Stelle hinzugesetzt sei, eine zweite p. 550a 39 'huius
(Theodeberti) regis maior domus fuit sanctus Arnolfus' nur
eine unvollkommene, imd eine dritte p. 550b 70 'et saneti
Arnulfi Metensis episcopi consiliis commendatur (Dagobertus)'
gar keine Bestätigung in der Vita linde. Indessen für die
zweite Stelle bietet nicht nur der von Ermisch angeführte § 4
der Vita einen Beleg: 'ut sex provinciae, quas et tunc et nunc
totidem agunt domestici, sub illius amministratione solius rege-
rentur arbitrio', sondern noch deutlicher § 8: 'sie deinceps
episcopales gestans infulas, ut etiara domesticatus solicitudinem
atque primatum palatii ac si nolens teneret'. Der dritten Stelle
entspricht aber ^ 17 der Vita: 'Clotharius tanta eum lide et
araore dilexit, ut, cum prolem suam Dagobertuni in princi-
patus sui culmiue sublimasset, eidem regnum ad gubernandum
et filium ad erudiendura in manu tradidisset'. Auch die Haupt-
stelle p. 552a 1 stammt ilu-em Inhalt nach aus der Vita, in
welcher Romarich öfters (§ 6. 19. 22) genannt wird, obwohl
nicht ausdrücklich mit der Bezeichnimg 'abba. Leugnen lässt
sich freilich nicht, dass diese Notiz an unrechter Stelle steht,
denn schon vorher ist p. 551b 62 der Tod Arnolfs nach den
Gesta Dagobert! berichtet Avorden. Aber man braucht daran
keinen Anstoss zu nehmen, wenn von diesen aus untergeord-
neten Quellen entnommenen Bemerkungen einmal eine nicht
am richtigen Orte eingefügt ist.
Man muss sich nur gegenwärtig halten, in welcher Weise
der erste Theil der Chronik zusammengestellt ist. Bei der
grossen Zahl verschiedenartiger Quellen konnte der Verfasser
nicht einfach die Handschriften, welche er benutzte, neben ein-
ander vor sich liegen haben und nun bald aus dieser, bald
aus jener ein Stück wörtlich oder verkürzt aufnehmen, son-
dern er niusste sich allerlei Auszüge anfertigen, die dann zu
ordnen und mit einander zu verknüpfen waren. Beweis dafür
ist schon sein Verhältnis zu Ado ; während das Martyrologium
die Märtyrer unter ihren Gebm-tstagen (richtiger Sterbetagen)
verzeichnet, ordnet sie Regino chronologisch nach den Kaisern,
unter welchen sie gelitten, und innerhalb dieser Gruppen nach
den Leidensorten. Diese völlig andere Ordnung konnte er
unmöglich sofort in Reinschrift herstellen ; er brauchte zunächst
einen genauen Auszug aus Ado, wobei er vielleicht, wenn er
}>raktisch verfuhr, für jeden Kaiser ein besonderes Blatt an-
egte, auf welchem er die Märtyrer, die unter seiner Regie-
rung litten, verzeichnete; nun erst konnte er den Inhalt dieser
Blätter an den geeigneten Stellen seiner Chronik unterbringen
und dabei zugleich die Märtyrer nach ihren Leidensorten zu-
sammenstellen. Dabei ist es nicht zu verwundern, wenn ein-
mal ein Name an falscher Stelle oder gar doppelt aufgeschiie-
ben wurde. Ich sehe darin, dass die heilige Serapia sowohl
Handschriftl. Ueberlieferung u. Quellen Reginos u. s. Forts. 317
unter Trajan als unter Hadrian aufgezählt wird, nicht mit
Ermisch ein Zeichen doppelter Vorlage. Sehr leicht konnte
es geschehen, dass Regino den Namen zuerst auf einem fal-
schen Blatte verzeichnete und es später vergass, ihn gehörig
zu tilgen ; bei der Uebertragung in die Reinschrift fand er ihn
dann doppelt vor. Auf dieselbe Art mit Concepten zu arbeiten
deutet es, wenn im zweiten Theile ganz dasselbe Ereignis, die
Rückkehr der Normannen aus der Somme und ihre Fest-
setzung in Loewen, mit fast ganz denselben Worten sowohl
zu 884 als zu 886 erzählt wird.
Man braucht also die Notiz über Arnolf deshalb, weil sie
an unrechter Stelle eingeschaltet ist, noch nicht für eine falsch
übernommene Randbemerkung oder für den Zusatz eines Inter-
polators zu halten, zumal da sie in allen Hss. steht ; höchstens
könnte sie Regino selbst am Rande hinzugefügt haben, und
das würde doch nichts gegen die Benutzung der Vita Arnulfi
beweisen.
Da nun unserm Autor sonach eine ganze Reihe von
Heiligenleben zu Gebote gestanden hat, so wäre es wunderbar,
wenn das Leben des heiligen Pauhnus von Trier * nicht dar-
unter gewesen wäre. Wir haben also auch dieses unter Re-
ginos Quellen zu rechnen, wie es auch Ermisch (S. 69) für wahr-
scheinlich hält, obwohl nur zAvei ganz kurze Stellen (p. 546b 50:
^uccessor S. Maximini episcopi' und 546b 54: 'inde Treveris
reportatur') aus der Vita (§ 5 und § 15) entnommen sind.
Aber auch noch von anderen Heiligenleben sind deutliche
Spuren bei Regino zu finden. Die Notiz p. 547a 62: ^Severus
episcopus Treveris, Policronius Virduni, Albinus Catalaunensis
discipuli sancti Lupi clari habentur', welche Pertz mit Unrecht
eingeklammert hat, weil sie in der Schaffhäuser Hs. fehlt,
stammt aus der Vita S. Lupi ^^ die in § 3 den heiligen Lupus
Bischof 'urbis Trecassinae' nennt und in § 11 'Pulchronium
episcopum ecclesiae Veredunensis', 'sanctum Severum Treviris
ordinatum' und 'Alpinum Cathalaunicae pontificem civitatis'
als seine Schüler erwähnt. Die Nachricht p. 552b 39 — 41 : 'in
Galliis Audoenus Rotomagensis , Eligius Noviomensis, Sulpi-
cius Bituriacensis episcopi clari habentur' hat ihren Ursprung
zunächst in den Gesta Dagob. c. 51, wo die drei unter anderen
fränkischen Bischöfe genannt werden, aber ohne Angabe ihrer
Bisthümer. Die Sitze des Audeon und Eligius fand Regino in
der Vita S. Eligii', welche von Audoen verfasst ist; von Sul-
picius Severus von Bourges, der hier gemeint ist, hat sich keine
Vita erhalten, vielleicht besass unser Chronist die des Sulpi-
cius Pius*.
1) Acta SS. Aug. VI, 676. 2) Acta SS. Jul. VII, 69 f.
3) D'Achery, spicilegium V, 176. 4) Acta SS. lan. II, 165 f.
318 F. Kurze.
Regino hatte also eine so grosse Sammlung von Heiligen-
leben zu seiner Verfügung, dass man sich wohl für berechtigt
halten darf, auch die übrigen Notizen ähnhcher Ali; auf solche
Quellen zurückzuführen. Diese Stellen sind: p. 547a 15 f.
'Martinus Turonorum episcopus virtutum gloria fulget' und
31 'Sanetus Martinus episcopus ad celestia transit', ebenda
32 f. 'Sev'erinus episcopus Coloniae Agrippinae clarus habetur,
Lucatium Theodorus episcopus' und 64 f. 'Aurelianis Anianus
episcopus fidget', 547b 45 'Atrabatis Vedastus episcopus ordi-
natur a sancto Remigio', 548b 46 ^Albinus episcopus Andegavis
clarus habetur', 549b 50 'Abrincatis Patemus episcopus, civis
Pictaviensis, nitescit' und p. 556a 40 'Waltfredus abba in Italia
clarescit'. Danach ist also noch die ßenutzimg der Vitae Mar-
tini", Severini^, Theodori'', Aniani^^ Vedasti^, Albini und
Paterni ^, und Walfridi ' anzunehmen.
Endlich ist für den ersten Theil des Werkes noch einer
Schrift zu gedenken, welche Regino selbst (562a 71 f.) citiert,
der Visio Wettini von Heito*. Die Stelle über Augustin
&. 547a 33—35 dürfte aus Ado V. Kai. Sept. stammen, die über
oethius p. 547b 62 — 65 aus dessen Consolatio philosophiae.
Für aen zweiten Theil seiner Chronik von 813 an war
Regino zum grössten Theil auf mündliche Ueberlieferung und
eigene Erinnerungen angewiesen. Er sagt aber doch selbst
f). 566 1. 65, dass er neben dem 'ex relatione patrum' Ge-
lörten einiges auch für diesen Theil 'in chronicorum libris
adnotata' gefunden habe. Und es ist auffällig, dass inmitten
der grössten chronologischen VerA^irrung immer wieder ein-
zelne richtige Zeitbestinnnungen auftauchen. Man wird da-
durch zu der Annahme geftüirt, dass ihm Avenigstens ganz
kurze Annalen vorgelegen haben, welche den Wechsel der
Aebte von Prüm und der Erzbischöfe von Trier, die Todes-
jahre der Herrscher und Aelmliches enthielten. In einer Ma-
drider Hs. sind uns solche Annalen aus Prüm am Rande von
Ostertafeln erhalten ", welche allerdings, wie allseitig anerkannt
wird, nicht die von Regino benutzten selbst sind, aber uns
doch wahrscheinlich ein verkürztes Bild derselben geben. Bis
zum Jahre 860 zeigen sie die engste Verwandtschaft mit den
Annalen von Stablo '", und da beide Annalenwerke von ein-
ander unabhängig smd, so geht auch daraus hen-or, dass es
1) Sulpicii Severi opera ed. C. Halm, Wien 1866. 2) Acta SS.
Oct. X, 56 — 59. 3) Acta SS. Mai IV, 329. 4) Theiner, S. Aignan,
Paris 1832, p. 13 und 37 und Surius V, 417 oder >XI, 374. 5) Acta
SS. Febr. I, 782. 6) Auetore Fortunato, MG. Auct. ant. IV 2, 27—37.
7) Acta SS. Febr. II, 842. 8) MG. Poetae lat. II, 267 — 275. 9) Nach
einer Abschrift von Löwe zuerst im Neuen Archiv XII, 403 — 407 her-
ausgegeben von Goldmann, nachher in den MG. SS. XV, 1289 — 92.
10) SS. XIII, 39 — 43.
Handschrift!. Ueberlieferung ii. Quellen Regiiios u. s. Forts. 319
noch ältere Prümer Annalen gab, die beiden als Quelle dienten.
Der Annalist von Stablo seheint dieselben also ausgeschrieben
zu haben, als sie etwa bis zum Jahre 860 reichten; sie müssen
aber noch weiter fortgefülirt sein, etwa bis in die Zeiten Re-
ginos. Die erhaltenen Annalen der Madrider Hs. geben die
Todestage der Kaiser Karl III. und Arnolf und der Könige
Odo und Zuendibolch, sowie den Einsetzungstag Reginos i an,
setzen aber dabei Karls und Arnolfs Tod, sowie die Einsetzung
des Abtes Richari unter falsche Jahre *. Sie können also nicht
wohl selbst gleichzeitige Aufzeichnungen sein, sondern scheinen
auch hier noch aus den älteren gleichzeitig aufgezeichneten
Annalen geschöpft zu haben. Von 922 an sind sie in Lüttich
fortgeführt, und Holder- Egger * hat die ansprechende Ver-
muthung aufgestellt, dass der Abt Richari sie von Prüm mit-
genommen habe, als er 922 Bischof von Lüttich wurde; ich
möchte glauben, dass erst Richari damals diese Ostertafeln mit
den annalistischen Randnoten aus dem älteren Exemplar der
Prümer Kirche habe abschreiben lassen, um sie mit nach
Lüttich zu nehmen.
Aus den älteren, jetzt verlorenen Annalen, die wahrschein-
lich ein wenig reichhaltiger waren, scheint Regino Folgendes
entnommen zu haben:
818 den Tod des Königs Bernhard von Italien;
829 den Tod des Abtes Tancrad von Prüm und Marc-
wards Nachfolge'*;
840 den Tod des Kaisers Ludwig und Lothars Nachfolge;
841 die Schlacht bei Fonteniacum ^ ;
847 den Tod des Bischofs Hetti von Trier« und Thiet-
gauds Nachfolge;
851 den Tod der Königin Irmingard ;
853 die Plünderung der Stadt Tours und Zerstörung der
dortigen Martinskirche durch die Normannen, sowie die Ein-
setzung des Abtes Eigil von Prüm (an Marcwards Stelle) ;
ferner vielleicht die Flucht des l^rinzen Pippin von Aquitanien
aus Soissons '' ;
855 den Rücktritt des Kaisers Lothar und seinen Tod zu
Prüm am 29. Sept.;
860 den Rücktritt des Abtes Eigil und Ansbalds Nach-
folge 8 ;
869 den Tod Lothars am 8. August»;
1) '. . . Kai. lun.'; die Zahl ist in der Handschrift weggeschnitten.
2) 886 und 895 statt 888 und 899. 3) SS. XV, 1290. 4) Die
Annalen von Stablo (S) setzen dies Ereignis zum J. 826, die der Ma-
drider Hs. (M) zu 828. 5) 'in campo Fontenih' M. 6) Die Namen
Hetti und Trier fehlen in S und M. 7) Dies Letzte fehlt freilich in S
sowohl als in M. 8) S und M erzählen nur Ansbalds Einsetzung,
S zum Jahre 859. 9) M setzt die Nachricht zu 870 ohne Datum,
320 F. Kurze.
873 die Heusclireckenplage in Franki'eich im August ' ;
874 vielleicht den Tod des Kaisers Ludwig imd die Krö-
nung Karls des Kahlen*;
876 den Tod Ludwigs am 28. August* und die Schlacht
bei Andernach am 8. October;
877 den Tod Karls des Kahlen am 6. October*;
878 die Mondfinsternis am 16. und die Sonnenfinsternis
am 29. October 5;
880 den Tod Karlmanns infolge eines Schlagflusses 'VIL
Non. Apr.' (für 'XL Kai.')«;
881 Karls Kaiserkrönung;
882 die Zerstörung Prüms durch die Normannen am Drei-
königstage, LudAvigs Tod 'XIII. Kai. Febr.' ', und wahrschein-
lich auch die Plünderung Triers am 5. April;
883 den Tod des westfränkischen Ludwig, den Tod Ber-
tulfs von Trier am 2. Februar, die Einsetzung seines Nach-
folgers Patbod am 8. April und des Bischofs Ruodbert von
Metz am 22. April»;
886 den Tod Ansbalds von Trier am 12. Juli und Fara-
berts Nachfolge am 6. August»;
888 Karls IIL Tod am 12. Januar >o;
895 Zuendibolchs Ernennung zum König von Lothringen ;
896 Amolf's Kaiserkrönung;
898 Odos Tod am 3. Januar;
899 Aniolfs Tod am 29. November'»;
900 Zuendibolchs Tod am 13. August.
Neben diesen Annalen besass Regino noch eine Samm-
lung von Actenstücken, zumeist auf Lothars Ehehandel
bezüglich. Docuraente, aus welchen er direct kleinere oder
grössere Stücke mittheilt, sind folgende:
1) M erzählt dieselbe zu 874, ohne den Monat zu nennen. 2) Diese
Ereignisse g^ehören freilich in das J. 875 ; bei der eigenthümlichen Be-
schaffenheit der Annalen könnte sich Regino ja aber leicht um ein Jahr
versehen haben, zumal da er das Jahr 875 überhaupt auslässt. In M steht
nichts davon. 3) Das Datum fehlt in M. 4) M hat nur 'in mense Octobr.'
und setzt das Ereignis übrigens zu 876. 5) M giebt kein Datum, son-
dern sagt nur, dass beides 'uno eodemque mense' geschehen. 6) M hat
nur: 'Carromannus moritur'. 7) So ist der Text zu berichtigen, ob-
wohl alle Hss. 'XIII. Kai. Sept.' haben; Ludwig starb am 20. Januar
(vgl. Dümmler 'Geschichte des Ostfränkischen Reichs' III, 164), und so
muss auch Regiuo geschrieben oder doch gemeint haben, da er die Nor-
mannen 'audita morte regis' Trier 'Nonas Apr.' verwüsten lässt. Der
Fehler erklärt sich palaeographisch sehr leicht durch Verwechselung der
ganz gewöhnlichen Abkürzungen feb und seB. M erzählt mehr allgemein:
'Gens Normaunorum totum regnum Francorum incendio cremavit; eodem
anno Ludowicus frater Caroli imperatoris moritur'. 8) M hat von dem
allen nur: 'Hludowicus rex'. 9) M lässt die Data aus. 10) M setzt
dies noch zu 886. 11) M stellt dies zu 995.
i
Handschriftl. Ueberlieferung u, Quellen Reginos u. s. Forts. 321
1. Die Acten der dritten Synode zu Aachen vom 29. April
862»; zunächst benutzte er unter dem J. 864 p. 572, 1. 4—10
den Wortlaut von Absatz IV und VI des Actenstücks zur
Darstellung der Vorgänge auf dieser Synode, dann theilt er
1. 12—18 die schliessliche Entscheidung der Versammlmig nach
Absatz X mit.
2. Der ßannbrief des päpstlichen Legaten Arsenius gegen
Engeltrud, die treulose Gemahlin des Grafen Boso, aus dem
Jahre 865, doch ohne Datum ^ : Eegino giebt daraus (a. 866)
p. 573, 37—574, 1 wörtlich den Eid wieder, den Engeltrud zu
Worms in die Hände des Legaten ablegte, und benutzt auch
sonst von p. 573, 35 — 574, 13 fast durchweg den Wortlaut
des Briefes für seine Erzählung,
3. Der Brief des Papstes Nicolaus an den König Karl
vom 25. Januar 867 s: Regino theilt (a. 866) p. 574, 24—
575, 19 ziemlich umfangreiche Stücke daraus wörtlich mit.
4. Die Bannbulle des Papstes Nicolaus gegen Waldrada
vom 13. Juni 866*: Regino giebt davon (a. 866) p. 575, 26—48
einen sehr genauen Auszug.
5. Der Brief des Papstes Nicolaus an den König Lothar
vom J. 867 ohne Datum 5, von Regino p. 576, 1 — 577, 2 fast
ganz aufgenommen, nur durch einige Auslassungen verkürzt.
6. Der Brief des Königs Lothar an den Papst Hadrian IL,
ohne Datum, wahrscheinlich aus dem Februar 868 ^ : Regino
hat grosse Stücke daraus zum J. 868 p. 579, 20—44. Ob er
auch das Antwortschreiben des Papstes, das uns nicht erhalten
ist, besass, wie Dümmler ' annimmt, muss ich dahingestellt
sein lassen; die Antwort, welche er den Papst ertheilen lässt,
kann er sich sehr wohl auch selbständig so zurecht gelegt
haben.
Ein Actenstück, welches Regino benuzt zu haben scheint,
obwohl er es nirgends ganz wörtlich ausschreibt, ist ferner noch
7. der Brief des Papstes Nicolaus an die ostfränkischen
Bischöfe vom 31. October 867*. Ich setze die verwandten
Stellen zur Vergleichung neben einander:
Nicolaus bei Mansi 333 D
'Quando Phinees . . . imitati
estis?' fragt der Papst die Bi-
schöfe, indem er sie ihrer Lau-
heit wegen schilt.
334 B: 'cum Engeltrudis uxor
Bosonis comitis, ad Gallias
Regino 866 (p. 575,20): 'Ac-
census . . . sanctissimus ponti-
fex zelo Dei, quo fuerat Ei-
ne e s » sacerdos quondam in-
flammatus'.
866 (p. 573 ff.).: 'Engildrudam
quoque, uxorem quondam Bo-
1) Bei Mansi, 'Conciliorum collectio' XV, 611 ff. 2) Mansi XV,
326 f. 3) Mansi XV, 318—321. 4) Mansi XV, 380—382. 5) Mansi
XV, 321—324. 6) Mansi XV, 831—832. 7) Dümmler a. a. O. II,
228, Anm. 1. 8) Mansi XV, 333—342. 9) Vgl. 4. Mos. 25, 11.
322
F. Kurze.
relicto proprio viro cum ad-
ultero adultera transmigrasset' :
sonis comitis, . . ., quia pro-
prium deseruerat maritum et
Wangerum suum vasallum in
G a 1 1 i a s secuta fuerat' ;
864 (p. 571,22— 34): _'Gunt-
harium itaque Coloniensis urbis
pontificem . . . caecus caeco
ducatum prestans' (572, 19 f.):
335 D: 'Sed ille (Lotharius)
horum, Theutgualdi et Gunt-
harii tunc episcoporum . . .
auctoritate fretus, legatos no-
stros non prestolans, publicoJ'His ita patratis Waldrada iam
festoque nuptiarum ritu cele- in publicum procedit, . . . omnis-
brato Waldradam sibi iure ma- j que regia aula residtat Waldra-
trimonii sociavit'. idam reginam esse'.
335 E erwähnt Nicolaus 'conventum, qui penes urbem
Metensem congi-egabatur', nändich die Sjmode, die in An-
wesenheit der Legaten Rodoald und Johannes im J. 863 ge-
halten wurde; desgleichen 336D: 'cassato primum adulteris
favente concilio, quod apud ]\Ietensium urbem congregatum
fuisse supra commemoravimus'; dadurch mag Begino, welcher
von dieser S^Tiode nichts Aveiss, veranlasst worden sein, die
Aachener Synoden von 860, in Avelchen Thietbergas Unwürdig-
keit ausgesprochen wurde, nach Metz zu verlegen '. Weiter
heisst es
Nie. 335E— 336A: 'Sed cor-
ruptis, immo et ad favorem
ßuam traductis legatis nostris'.
336 B: 'Tandemque (Theut-
gualdus et Guntharius) per-
venientes nostro sunt conspectui
. . . praesentati et . . . li bel-
lum offerentes perhibuerunt
nee minus nee aliter quidquam
se gessisse, nisi ut oblatus vide-
batur conti nere libellus. Quo
accepto ac coram episcoporum
nostrorum coetu, qui nobiscum
aderat, atque coram ipsis,Theut-
gualdo scilicet et Gunthario, re-
censito' . . .
336D: ^communi con-
sensu cassato . . concilio . . .
in eos . . depositionis sen-
tentiam dedimus et, si iuxta
precedentem consuetudi-
nem aliquid de ministerio
Reg. 865 (p. 572, 26 f.): 'qm
(legati) in Franciam venientes,
pecunia corrupti magis fave-
runt iniquitati, quam aequitati'.
865 (p. 572, 39-43): 'cum
in presentiam Nicolai papae
venissent, libellum obtule-
runt, in quo contineban-
tur gesta sinodalia. Qui cum
a notario coram omnibus reci-
tatus esset, interrogavit ponti-
fex, si haec scripta verbis con-
firmarent. Responderunt, incon-
veniens videri, ut, quod propriis
manibus roboraverant , verbis
infirmari mallent'.
865(p. 572, 45-573, 3): 'ad
sinodura, quam papa congre-
gaverat, sunt accersiti, ubi
eorum dampnata et anathemi-
zata sunt scripta et ipsi Omni-
bus adiudicantibus episco-
1) 864 (p, 571, 35): 'Concilium Mettis convocant'.
Handschriftl. Ueberliefernng ii, Quellen Reginos u. s. Forts. 323
sacro deinceps forte tetigis-[pis, presbiteris ac diaconibus
sent, excommunicavimus'. sunt depositi et omni eccle-
338C: 'Ecce quae in ecclesia siastica dignitate privati . . .
Christi Theutgualdiis et Guntlia- (1. 12 — 16): Thietgaudus de-
rius operati sunt et operantur, positionis suae a sede apo-
praeter illa, quae Guntharius stolica prolatam sententiam
specialiter commisit divinum
tangendo ministerium'.
.patienter ferens iuxta pre-
cedentem eonsuetudinem
niliil omnino de sacro mini-
sterio contingere presump-
sit; Guntharius vero . . . veti-
tum sibi officium usurpare ausu
temerario non expavit'.
Namentlich die letzte Stelle setzt wolil die Benutzung dieses
Documentes ausser Zweifel, welches dann Beginos Hauptquelle
für das Jahr 865, den ersten Theil von 864 und den Anfang
von 866 gewesen sein muss; es genügt aber doch noch nicht
zur Erklärung der ganzen Erzählung. Die Namen Hagano
und Rodoald ' fand ßegino in keinem der angeführten Acten-
stücke, ebenso wenig die Nachricht, dass sich die abgesetzten
Bischöfe an den Kaiser gewandt hätten, der sich damals in
der Gegend von Benevent aufgehalten habe. Auch sonst setzt
der ausführliche und hier und da von der päpstlichen Dar-
stellung ein wenig abweichende Bericht zum J. 865 noch eine
andere schriftliche Quelle voraus. Ueber diese wird die fol-
gende Stelle einiges Licht verbreiten:
Regino a. 865 (p. 573, 3—11) : 'Qui (Thietgaudus et Gunt-
harius) tam turpiter dehonestati Ludowicuni imperatorem, fra-
trem Lotharii regis, ademit, qui ea tempestate ßeneventanis
morabatur in partibus, scriptis ac dictis vociferantes se iniuste
esse depositos, ipsi imperatori et omni sanctae ecclesiae iniu-
riam esse factam, cum numquam auditum sit, vel uspiam
lectum, quod ullus metropolita sine conscientia principis vel
presentia aliorum metropolitanorum fuerit degradatus. Adie-
cerunt insuper multa alia, blasphemantes eundem papam, quae
hie superfluum duximus enumerare, existimantes eiusdem se
imperatoris adminiculo simul et intercessionis ope et criminis
obiecti abolere notam et pristinae dignitatis recuperare statum'.
Aus den Wendungen 'scriptis vociferantes' und 'multa, quae
hie superfluum duximus enumerare', geht doch wohl hervor,
dass Regino ein Schreiben der beiden Bischöfe in den Händen
hatte. Dass sie zu Rom einige Zeit auf die Entscheidung
1) So nennt Regino die beiden Legaten, die 863 an Lothar ge-
schickt wurden : es waren Eodoald von Porto und Johann von Cervia,
aber auch Hagano von Bergamo war zugegen, und er gab in der That,
wie Kegino richtig erzählt, den Rath, die Bischöfe Günther und Thietgaud
nach Rom zu schicken (vgl. Dümmler II, 67 f).
324 F. Kurze.
warten mussten, sagen dieselben auch in der noch im J. 864
gegen den Papst erlassenen Schmähschrift > ; ebenda beschweren
sie sich auch, dass ihre Absetzung in Abwesenheit aller andern
Metropoliten und Mitbischöfe erfolgt sei. Hier fehlt aber be-
sonders der Gesichtspunkt, dass durch ihre Absetzung nament-
lich auch die Rechte des Kaisers beeinträchtigt worden seien.
Ich vermuthe daher die gesuchte Quelle in ihrem verlorenen
Schreiben an den Kaiser, in welchem sie natürlich nicht ver-
säumt haben werden, diesen Punkt gehörig hervorzuheben.
Möglicherweise waren diese Actenstücke verbunden mit
dem oben erwähnten Auszuge aus der spanischen Concilien-
vmd Decretalensammlung. Es liesse sich Avenigstens recht Avohl
verstehen, wenn ein Geistlicher des neunten Jahrhunderts das
Bedürfnis empfunden hätte, diese Sammlung von Documenten,
in welchen das Wirken des Papstes Nicolaus so glorreich her-
vortrat, mit den erreichbaren Decretalen der grossen Päpste
Leo I. und Gregor I. und den Besclilüssen des vierten Con-
cils von Toledo, die als das Werk Isidors von Sevilla er-
schienen, zusammenzustellen.
Zum Jahre 889 entlehnt Regino aus Justin II, 2 — 3 und
XLI, 2 — 3 und Paulus Diaconus I, 1 einige Stellen^ die ihm
auf die Ungani zu passen scheinen, obwohl sie sich eigentlich
auf die Scythen und Germanen beziehen.
Andere schriftliclie Quellen scheint er für diesen Theil
seiner Chronik nicht gehabt zu haben. Dass die mündliche
Ueberlicferung, welcher er sonst folgte^ besonders reichlich für
die Angelegenheiten des westfränkischen Reichs und der Bre-
tagne floss, hat Dümmler schon in der Vorrede zu seiner
Uebersetzung hervorgehoben und durch die nahen Beziehungen
des Klosters Prüm zu Meaux, der Heimat seiner ersten Mönche,
und zu seinen bretonischen Besitzungen, die es vom Herzog
Salomon erhalten, erldärt,
b. Als Quellen des Continuator Reginonis für den
ersten Theil der Fortsetzung nennt Büdinger in seiner Ueber-
setzung die Annales Colonienses, Sangallenses maiores, S. Maxi-
mini, Hersfeldenses, Alamannici und besonders die Annales
Augienses. Dagegen hat J. Werra a. a. O. nachzuweisen ge-
sucht, dass der grösste Theil des Inhalts der Fortsetzung bis
zum Jahre 939 auf erweiterte Annales Augienses zurückzu-
führen seien.
In der That finden sich alle Nachrichten der Reichenauer
Jahrbücher bis auf zwei Kleinigkeiten' vollständig beim
Cont. Reg. wieder, und zwar fast durchweg wörtlich: indessen
1) In Hincmars Annalen (SS. I) a. 864 mit einem Sendschreiben an
die lothringischen Bischöfe. 2) Zu 913: 'Hug abbatiam (Augienaem)
successit' und 931: 'et profectus est (rex) iu Qalliam'.
Handschriftl. tJeberlleferung u. Quellen Reginos u. s. Forts. 325
bilden sie hier doch noch nicht die Hälfte des gesammten
Stoffs, und die Annahme eines 'vollständigeren und erweiter-
teren Exemplai's', durch welche Werra (S. 74) das Uebrige
erklären will, erscheint mh' ganz widersinnig. Entweder hatte
der Cont. Reg. ein vollständigeres Exemplar: dann müssten
die erhaltenen Ann. Aug. ein recht sonderbarer Auszug daraus
sein, der die eine Hälfte der Nachrichten seiner Vorlage ein-
fach ausgelassen, die andere wörtlich aufgenommen hätte; oder
die erhaltene Form der Ann. Aug. ist die ursprüngliche, und
der Cont. Reg. hatte ein durch Zusätze erweitertes Exemplar
derselben — S. 75 spricht Werra nur noch von erweiterten
Annalen — : dann müsste irgend ein Unbekannter nach dem
Jahre 939, bis zu welchem die Annalen reichen, dieselben mit
allerlei Zusätzen aus verschiedenen Quellen bereichert haben,
wobei mir ganz unerfindlich ist, warum man diese Arbeit
nicht lieber dem Cont. Reg. selbst, als einem unnachweisHchen
Unbekannten zutrauen soll.
Werra glaubt vor allem deshalb 'der Annahme so vieler
verschiedenartiger Quellen' nicht mehr zu bedürfen, weil er
bewiesen zu haben meint, dass wir 'einmal genöthigt' sind,
'ein erweitertes Exemplar der Ann. Aug. als Quelle für den
Cont. Reg. anzunehmen' (S. 75). Für diese Nothwendigkeit
finde ich aber bei ihm keinen andern Beweis, als den Satz
auf S. 74, dass 'der Cont. Reg. neben dem genauesten Fest-
halten au dem Texte der Aug. fast überall wesentliche und
bestimmte Zusätze, besonders von Namen der Personen und
Orte, und bedeutende Ergänzungen' zeige: indessen dies ist
eben die Thatsache, die der Erklärung bedarf, aber doch noch
kein Beweis für Werras Erklärungsversuch. Eine 'glänzende
Bestätigung' seiner Annahme findet Werra in der Vergleichung
der Ann. Aug. und des Cont. Reg. zum J. 939; denn es sei
unmöglich, 'dass die kurzen, abgerissenen und wirren An-
gaben' der Annalen 'vom Cont. Reg. unter möglichster Bei-
behaltung des vorhandenen Wortlauts in einen verhältnis-
mässig so guten und geordneten Zusammenhang gebracht
worden seien, ohne dass ihm eine bessere und ausführlichere
Ueberlieferung zur Seite gestanden habe'. Die Annalen be-
richten zum Jahre 939: 'Otto rex ibat in Lotheringos usque
ad Caprimontem. Interea Ludowicus rex Gallie invasit Alsa-
tiam. Tunc rex Otto revertens venit ad Prisacam et obsedit
eam; et Ludowicus discessit. Interim vero Eberhart dux
occisus est et Gisilbertus dux in Reno submersus mortuus est.
Postea rex ibat cum exercitu in Lutheringos et omnes suo
subiugavit imperio praeter Metensem episcopum. Nee non et
frater eius Heinricus proiectis armis venit ad eum'. Dass
diese Angaben kurz und abgerissen sind, will ich zugeben;
wirr sind sie nicht. Sie widersprechen nirgends dem aus-
326 F. Kurze.
führlichen Bericht des Continuators ; die stärkste Abweicliimg
in der Darstellung, welche vorkommt, liegt darin, dass die
Annalen zu der Nachricht von Ottos Rückkehr aus Frankreich
nach dem Elsass und von der Belagerung Breisachs einfach
hinzusetzen: 'et Ludowicus discessit', während wir beim Cont.
Reg. genauer lesen, dass Otto den westfränldschen König ver-
trieben und nun erst Breisach belagert habe. Einen Wider-
spruch kann ich aber auch darin nicht finden. Die Angaben
der Annalen sind für den, der den wahren Sachverhalt ge-
nauer kennt, vollkommen Idar und verständlich, und Adalbert
— denn er ist doch der Cont. Reg. — hatte diese Ereignisse
als junger Mönch von St. ]\Iaximin im Herzen Lothringens
selbst miterlebt. Im Jahre U68 ist er Erzbischof geworden
und 981 gestorben; mag er wirklich erst 920 geboren sein,
so zählte er im J. 939 doch immerhin schon gegen 19 Jahre,
wahrscheinlich aber war er noch wenigstens fünf Jahre älter.
Es liegt also nicht der geringste Grund für die Annahme
eines erweiterten Exemplars der Reichenauer Annalen vor.
Vielmehr hat es grosse Wahrscheinlichkeit, dass gerade das
ims erhaltene Exemplar, welches dem Erzbischof Wilhelm von
Mainz gehörte, dem Continuator vorgelegen hat, schon des-
halb, weil Adalbert dem Erzbischof so nahe stand ; dazu kommt,
dass die zu 954 von Wilhelm eigenhändig in die Annalen ein-
getragene Notiz vom Tode seines Vorgängers und seiner eigenen
Wahl und Weihe sich beim Cont. Reg. wiederfindet, allerdings
ohne die genauen Data.
Wii' müssen uns nun nach andern Quellen umsehen und
werden dazu am passendsten die von ßüdinger aufgestellte
Liste einer Prüfung imtcrziehen. Einverstanden bin ich mit
Werra, wenn er die Annales 8. Maximini' von dieser
Reihe aussclüiesst. An den wenigen Stellen, welche einige
Uebereinstimmung zeigen 2, hat der Cont. stets die vollständi-
geren Nachrichten, imd da die Annalen bis 987 reichen, so
sind sie wahrscheinlich auch jünger; dass sie ihrerseits den
Continuator nicht benutzt haben, erklärt sich daraus, dass
Adalbert sein Geschichtswerk, wie es scheint, im J. 968 mit
nach Sachsen genommen hat.
Auch darin gebe ich ^^'erra Recht, dass er die Annale s
Alamannici nicht als Quelle des Cont. Reg. gelten lassen
will. Diese sind von 882 an in zwei ganz verschiedenen Re-
dactionen vorhanden 3. Die ausführlichere, durch den Codex
Modoetiensis und den Codex Veronensis vertreten, reicht bis
zum J. 912 und enthält mehrere Notizen, die sich in kürzerer
Fassung beim Cont. Reg. wiederfinden*, nämlich zu 907 vom
1) Mon. Germ. SS. IV, p. 6 sq. 2) Werra hat sie auf S. 60 zu-
sammengestellt. 3) Neben einander abgedruckt SS. I, p. 52 — 55.
4) Zusammengestellt bei Werra S. 68 — 69,
Handschriftl. Ueberlieferung w. Quollen Eeginos u. s. Forts. 327
Tode des Herzogs Liutpold, zu 910 von der Niederlage der
Franken und Baiern gegen die Ungarn und dem Tode des
Grafen Gebehard und zu 912 von dem Tode des Königs
Ludwig und der Erwählung des neuen Königs Konrad; die
letzteren Ereignisse berichtet der Cont. Reg. zwar richtig zu
911, doch könnte er ja die Jahreszahl aus den Ann. Aug.
berichtigt haben. Aber mit Recht findet es Werra äusserst
unwahrscheinlich, dass der Cont. Reg. so 'wenige Notizen
mitten aus den reichen Nachrichten der alamannischen An-
nalen herausgenommen und mit den seinigen zusammen-
geschweisst habe, ohne sich um die unmittelbar daneben ste-
henden Mittheilungen zu kümmern, und ohne dass man irgend
einen Grund für diese Auswahl auffinden könnte'. Die andere
Redaction, welche aus St. Gallen stammt', ist bis 911 viel
kürzer, reicht aber bis 926, und während sie bis 911, wenn
sie hier endete, allenfalls als Quelle des Cont. Reg. angesehen
werden könnte, obwohl sie nicht viel mehr enthält als die
Reichenauer Annalen, so gilt für das Stück 912 — 926 derselbe
Einwand, den wir gegen die Benutzung der ausführlichen
Redaction geltend machen mussten.
Dagegen finden sich eben die Nachrichten, welche zu
der Annahme einer Benutzung der Annales Alamannici An-
lass gaben, auch in den Jahrbüchern von Laubach*
und bilden für die Jahre 907 — 912 fast deren einzigen Inhalt.
Deutlich erkennt man die Notizen zu den Jahren 908 und 910,
verschmolzen mit den kurzen xA.ngaben der Ann. Aug., die
durchaus leitende Quelle sind, beim Cont. Reg. wieder:
Ann. Aug. 907: 'Baioarii et Cont. Reg. 907: 'Bawarii cum
ab Ungariis interficiuntur'. Ungariis congressi multa caede
Ann. Laub. 908: 'Ungari bei- prostrati sunt, in qua congres-
lum contra Bauworios inex- sione Liutbaldus dux occisus
superabile fecerunt, et Liut- est'
baklus dux eorum comitesque
atque episcopos quam plurimos
illorumque supersticiosa super-
bia crudeliter occisa est'.
Ann. Aug. 910: 'Franci ab
Ungaribus aut occisi aut fugati
sunt'.
Ann. Laub. 910: 'Ungari bel-
lum cum Alaraanis fecerunt
victoriamque habuerunt, et
Gozpertus comes occisus est
Cont. Reg. 910: 'Franci in
confinio Bawariae et
Franciae Ungariis congressi
miserabiliter aut victi aut fu-
gati sunt. In quo proelio
Gebeardus comes interiit re-
lictis' etc.
1) Neu herausgegeben von C. Henking ans der Original -Hs. zu
Zürich, 'Mittheilungen zur vaterländischen Geschichte' XIX, S. 224 — 265.
2) SS. I neben den Ann. Alam. gedruckt.
328 F. Kurze.
parsque populi magna occisa
est. Et in ipso itinerecum
Francis pugnaverunt, Gebe-
harclum ducem et Liutfredum
aliosque quam plurimos, Ba-
woariis victoriam ex parte
tenentibus, occiderunt prae-
damque abstulerunt'.
Zu 907 berichten die Ann. Laub, nur den Tod Adalberts,
den Regino richtiger schon unter 906 erzählt hatte; zu 909
haben sie gar nichts, zu 911 nur eine Nachricht über den
Tod des Grafen Burchard und seines Bruders Adalbert, welche
der Cont. Reg. allerdings nicht aufgenommen hat. Ausserdem
erzählen sie nur noch zum J. 912, mit welchem sie schliessen:
^Iterum Ungari Alamanniam Franciamque invaserunt atque
ultra Rhcnum et Magicampum usque in Arhaugiam devasta-
bant ac sine damno reversi sunt'. Den Kern hiervon giebt
der Cont. Reg, zu 912 mit den Worten wieder: 'Ungarii
iterum nullo resistente Franciam et Turingam vastaverunt'.
Mit Unrecht hat Werra die Benutzung der grösseren
St. Galler Annaleni geleugnet. Natürlich kann der Cont.
Reg. von diesen Annalen, die jetzt bis 1056 reichen, nur
einen Theil vor sich gehabt haben. Nun hat schon Ild. v. Arx
in der ersten Ausgabe einen Abschnitt nach dem J. 918 an-
gesetzt, bis zu welchem die Verwandtschaft mit den alaman-
nischen Annalen reicht. In dem zweiten Theile finde ich
keine Beziehungen zum Cont. Reg. mehr, wohl aber im ersten
bis 918. Zur Vergleichung setze ich das betreffende Stück
der Annalen hierher:
907.
908. 'Baioariorum omnis exercitus ab Agarenis occiditur.
Adalbero episcopus cum magno apparatu et multis donis venit
ad monasterium sancti Galli.
909. Agareni in Alamanniam.
910. Adalbero episcopus obiit. Agareni cum Alamannis
et Francis pugnaverunt eosque vicerunt; et Norici partem
ex eis occiderunt.
911. Stella cometis apparuit. Hludowicus rex filius Arnolfi
regis obiit; et domnus Chuonradus regnum accepit.
912. Chuonradus rex in festivitate sancti Stephani ad
vesperum venit ad monasterium sancti Galli. Eodem anno
Notkerus magister obiit.
913. In purificatione sanctae Mariae transacta festivitate
ad vesperum grande miraculum contigit, ut stellae miro modo
1) Herausgegeben von Ild. v. Arx SS. I, p. 72—85, neu von C. Hen-
king a. a. O., 265—323.
Handschriftl. Ueb erlief erung u. Quellen Reginos u. s. Forts. 329
usque ad mediam noctem inter se volitabant. Eodem anno
nix iramanis cadens Idibus Aprilis ebdomadam paschae per-
duravit. Hatho archiepiscopus obiit. Et Otpertus episcopus
occiditui*. Agareni Alamanniam intraverunt. Erchanger et
Perehtolt frater eius et Udalricus eomes, auxiliante illis nepote
eorum Arnolfo optimo duce Baioariorura, totum exereitum
eorum iuxta Ine lluvium penitus occiderunt nisi XXX viros.
914. Salomon episcopus captus est.
915.
916. Erchanger et frater eius Perehtolt et Liutfrid capti
et occisi sunt. Wiberat reclusa est.
917.
918, Chuonradus rex obiit ante natale Domini'.
Daraus stammen freilich nur folgende Stellen des Cent.
Reg.: '911. Ludowicus rex, filius Arnolfi imperatoris, obiit;
eui Cuonradus ... in regno successit.
912. Hatho archiepiscopus obiit i.
913. Otbertus Strazburgensis episcopus occiditur*.
914. Salomon episcopus captus est'.
Wenn aber Werra sich daran stösst, dass der Cont. Reg.
auch hier aus einer Fülle von Nachrichten nur so wenige auf-
genommen haben sollte, so übersieht er, dass, wenn man die
Erwähnungen der Himmelserscheinungen zu 911 und 913 und
die Localnachrichten zu 908. 910. 912 und 916 abzieht, welche
unseren Autor nicht interessierten, nur solche Notizen übrig
bleiben, welche er, wenn auch in kürzerer Fassung, schon
den Ann. Aug. entlehnt hatte (vgl. a. 908. 909. 910. 913. 916
und 918).
Die Kölner Annalen dagegen können wir ruhig von
der Liste streichen, denn in ihnen findet sich keine Stelle,
welche die Annahme nöthig machte, dass der Cont. Reg. neben
den Jahrbüchern von Reichenau, Laubach und St. Gallen auch
sie benutzt hätte.
Ueber die Hersfelder Annalen ist seither eine gründ-
liche und scharfsinnige Arbeit von H. Lorenz ^ erschienen,
welcher zugleich eine Wiederherstellung des Textes giebt.
Es kann nun als erwiesen betrachtet werden, dass nicht die
Annalen Quelle des Cont. Reg. gewesen sind, sondern um-
gekehrt der Cont, Reg. den Annalen als Hauptquelle für das
zehnte Jahrhundert gedient hat. Ausser den von hier ent-
lehnten Nachrichten hat der Annalist nur wenige Notizen, zu-
meist über die Folge der Hersfelder Aebte. Selbst die Nach-
1) Zur Berichtigung der Jahreszahl stand dem Cont. Reg. noch
eine andere Quelle zu Gebote, von welcher unten die Eede sein wird.
2) Fälschlich hat Pertz in der Ausgabe diese Notiz zu 914 gesetzt.
3) Hermann Lorenz, 'Die Annalen von Hersfeld', Dissert. Leipz. 1885.
Neues Archiv etc. XV. 22
330 F. Kurze.
rieht zu 918: 'Cuonradus rex fuit in Herolfesfelde' kann aus
dem Cont. Reg. stammen, der darüber viel ausführlicher be-
richtet.
Dessenungeachtet muss der Continuator eine Quelle aus
der nächsten Nähe Hersfelds gehabt haben, in der er der-
artige Localnachrichten fand, Lorenz denkt (S. 75) an 'kurze
lediglich localgeschichtliche Notizen, die in Hersfeld im An-
fang des X. Jahrhunderts aufgezeichnet wurden'. Zahlreichere
Spuren weisen jedoch übereinstimmend mit grosser Deutlich-
keit nach Fulda: so die Nachrichten von dem Besuche der
Ungarn in Fulda zu 915, von Conrads Bestattung in Fulda
zu 919, von den Fuldaer Aebten Haycho und Hildibert zu
923 und 929 und von der Gefangenschaft des Erzbischofs
Friedrich in Fulda 939 — 940. Auf luidischen Ursprung deutet
gleichfalls die Notiz über den Tod des Herzogs Otto zu 912:
denn zu 912 wird Ottos Tod auch in den späteren Fuldaer
Totenannalen gestellt, während das Ereignis sonst nur von
den Corveyer Jahrbüchern richtig unter 912 verzeichnet wird.
Ich nehme also verlorene Fuldaer Jahrbücher
von gleicher Knappheit, wie etwa die von Corvey und Rei-
chenau sind, als Quelle des Cont. Reg. an: auf diese sind dann
jedenfalls auch die Notizen über die Mainzer Erzbischöfe zu
912. 926 und 936, über die Anwesenheit des Königs in Hers-
feld am Johannistag 918, über den Einfall der Ungarn in
Ostfranken 924 und über die Erfurter Synode 936 zurückzu-
führen ; desgleichen, wenn sie den Tod des Herzogs Otto be-
richteten, wahrscheinlich auch die Nachrichten über Heinrich
und sein Haus zu 919. 920. 921. 923. 928—931 und 934—939.
Die Annalen scheinen von 936 an etwas reichhaltiger gewesen
zu sein und mit dem J. 939 geschlossen zu haben. Höchstens
könnten noch die Notizen über Friedrichs Entlassung von
Fulda 940 und die sächsische Verschwörung 941, allenfalls
auch noch über die Aussöhnung des Königs Otto mit seinem
Bruder Heinrich ihnen entnommen sein. Man braucht aber
hierfür überhaupt keine schriftliche Quelle mehr anzunehmen.
Ob Adalbert ausserdem noch eine rheinfränkische oder
lothringische Quelle hatte, aus welcher die Nachrichten aus
Speier 913, Worms, Metz und Köln 923, Bonn 924, Metz und
Strassburg 925, Metz und Duisburg 927 und Trier 928, sowie
über die westfränkischen Wirren zu 921. 922. 924 und 925
geflossen sein könnten, wird sich schwerlich entscheiden lassen.
VlIL
Die älteste Translatio
des heil. Dionysius.
Von
L. von Heinemann.
22
In dem Chr. Baioar. des Veit Arenpeckh III, c. 12, Pez,
Thesaur. anecdot. III, 3, col. 128, begegnet uns, wie bereits
Hirsch, Jahrb. Heinrichs II, Bd. I, S. 416, bemerkte, eine
Translationsgeschichte des heiligen Dionysius von St. Denis
nach Regensburg, welche auf eine ursprünglichere und ältere
Relation zurückzugehen scheint als diejenige, welche uns in
der von Köpke herausgegebenen Translatio S. Dionysii,
SS. XI, p. 343-371, vorliegt. Diese Recension der Ueber-
tragung des heil. Dionysius selbst schien verloren gegangen
zu sein. Hirsch machte nur auf die nahe Verwandtschaft des
von Arenpeckh mitgetheilten Fragmentes mit der späteren,
weit phrasenreicheren Translatio S. Dionysii aufmerksam,
woraus er auf eine Abhängigkeit dieser letzteren von der Veit
Arenpeckh vorliegenden Recension schloss.
Es ist mir nun gelungen, jene ältere Form der Translatio
S. Dionysii in einer jüngst von der Wolfenbüttler Bibliothek
aus dem Besitze des Herrn Schulrath Dr. H. Dürre erwor-
benen Hs. (Nov. 534. 3) aufzufinden, aus welcher ich dieselbe
unten raittheile.
Die Hs. gehört durchgehends dem 15. Jahrb. an. Sie
ist zweispaltig geschrieben und enthält in ihrem ersten Theile
(f. 1 — 48') ein Psalterium, darauf folgt von einer anderen
Hand geschrieben auf fol. 40—57' die Translatio S. Dionysii,
sodann fol. 58 die Stelle aus Ekkehards Chronik (SS. VI, p. 196),
wo dieser zum J, 1052 über die durch Leo IX. in Regens-
burg erfolgte Bestätigung der Reliquien des hl. Dionysius be-
richtet. Daran schliesst sich, fol. 58 Sp. 2 — fol. 59' Sp. 1,
der gefälschte Brief Leos IX., in welchem der Papst unter
dem 7. Oct. 1052 von Regensburg aus dem König von Frank-
reich und der französischen Geistlichkeit seinen Entscheid in
dem Reliquienstreite zwischen St. Emmeram und St. Denis zu
Gunsten des ersteren Klosters kundgiebt (Mansi, Conc. Coli.
XIX, col. 674—676, Jaffe-L. 4280). Weiter folgt, fol. 59'
Sp. 1 — fol. 60' Sp. 2, eine denselben Gegenstand behandelnde,
gleichfalls gefälschte Urkunde Heinrichs III. von demselben
Datum, welche ich unten mittheile. Den Beschluss machen
eine Notiz über den Tod Karls des Gr., eine Erzählung von
einer heiligen Aurelia^ der Tochter eines Frankenkönigs,
334 L. von Heinemann.
welche unter dem Abte Ramwold nach St. Emmeram kam und
dort im J. 1027 als Einsiedlerin verstarb ' ; annalistische Be-
merkungen und Fundationsnotizen auf bayerische Klöster be-
züglich, endlich von verschiedenen Händen saec. XV geschrieben
vier Bullen aus dem 14. und 15. Jahrh. Die Schlussschrift
lautet: 'Finitum per Leonhardum Pauholcz de Operkouen»
anno Domini 1481, in die sancti Magni confessoris (Sept. 6).
Die Translatio S. Dionysii selbst ist, wie bereits bemerkt,
offenbar dieselbe Relation, welche Arenpeckh von den Mönchen
von St. Emmeram zum Zwecke der Verwerthung bei einer
Darstellung der bayerischen Geschichte empfangen zu haben
bekundet'. Doch hat Arenpeckh nur die sagenhafte Erzäh-
lung von der Uebertragung des h. Dionysius nach Regens-
burg durch den Kaiser Arnulf aufgenommen. Die Geschichte
der späteren Wiederauffindung der Reliquien und der bewei-
senden Inschriften im J. 1049 theilt er nicht mit. Gerade
dieser Theil unseres Berichtes aber ist um so wichtiger, als
der Verfasser der von Köpke edierten Translatio ebenfalls
nur die Geschichte des Raubes und der Ueberführung der
Reste des heil. Dionysius zur Zeit Arnulfs erzählt. Wenig-
stens in den beiden Hss., welche J. B. Kraus bei seiner
Edition* benutzte und welche indirect auch die Grundlage
der Ausgabe in den Monumenten bilden, und ebenso in der
später wieder aufgefundenen Münchener Hs. des 11. Jahrb.*
bricht die Darstellung im Anfang des zweiten Theiles, in der
Erzählung der Auffindung der Reliquien zu St. Emmeram im
11. Jahrh., plötzlich ab, da entweder dem Verfasser selbst
oder doch dem späteren Abschreiber die Hand erlahmte.
Jedenfalls ist dieser Theil der Translationsgeschichte bisher
nicht bekannt geworden. Enthält somit die von mir auf-
gefundene Translatio eine Reihe nicht unwichtiger, bisher un-
bekannter historischer Nachrichten, so ist doch auch der erste,
weniger Neues bietende Theil nicht ohne Interesse. Denn
bei einem Vergleich desselben mit der von Köpke mitgetheilten
1) Vgl. über diese Erzählung Coelestini Ratisbona raonast. ed.
loh, Bapt. Kraus 4. Aufl. (1752) p. 108—113. 2) Offenbar derselbe,
der die Chronik der bayerischen Herzöge des Andreas von Regensburg fort-
setzte; vgl. Lorenz, GQ. I^, S. 192. 3) Chr. Baioar. III, c. 12, 1. c.
p. 128: 'Quoraodo autem et qualiter pretiosissimae reliquiae S. Dionysii
ex Gallia Ratisponara venerint, subsequens docet bistoria, quam ex mona-
sterii predicti S. Emmerami coenobitis percepi, quae sequitur et est talis'.
— Arenpeckh scheint sogar dieselbe oder eine sehr ähnliche Hs. wie die
mir vorliegende benutzt zu haben, da er Ende des Cap. 12 auch jene
Ekkehardstelle, die auf die Translatio in unserem Codex folgt, wörtlich
aufgenommen hat. 4) De translatione corporis S. Dionysii Areopagitae.
Ratispon. 1750. 5) S. Wattenbach in den SB. der Münchener Akad.
1873 S. 710 u. Forsch, z. Deutschen Gesch. XIII S. 393 ff.
Die älteste Translatio des heil. Dionysins. 335
Translatio erweist sich diese einfach als eine Ausschmückung
unserer Relation, worauf schon Hirsch auf Grund des von
Arenpeckh angeführten Fragmentes aufmerksam gemacht hat.
Hiervon kann man sich leicht überzeugen, wenn man beide
Texte neben einander hält. Ausserdem bekundet der Verfasser
der späteren Translatio selbst, dass ihm Aufzeichnungen von
Seiten des Abtes Reginward bei seiner Arbeit zur Verfügung
gestellt worden seien ', und an einer Stelle, wo er sich auf
diese Aufzeichnungen beruft*, erkennt man deutlich, dass es
unser Translationsbericht gewesen sein muss, welcher ihm
vorlag. Wenn der Vei'fasser weiter die Aebte von St. Denis
und Reims als seine Gewährsmänner anführt*, so muss die
Wahrheit dieser Angabe dahin gestellt bleiben. Jedenfalls hat
er ausser einigen historischen Notizen, welche er der Chronik
des Regino entnahm und mit denen er sagenhafte Elemente
und den ihm vorliegenden Translationsbericht in merkwürdig
verkehrter Weise verquickte, sachlich fast gar nichts seiner
Hauptvorlage hinzugefügt, sondern diese nur stilistisch in
phrasenhafter und schwülstiger Weise ausgeschmückt und er-
weitert, so dass die bisher allein bekannte Translatio S.Dionysii
nach der Auffindung der älteren selbständigen Fassung einen
historischen Werth nicht mehr beanspruchen kann. Uebrigens
scheint die spätere Bearbeitung in der That auf Befehl des
Abtes Reginward, der von 1048 — 1064 die Abtei St. Emmeram
regierte, verfasst zu sein. Denn da nach Auffindung des
Münchener Codex'* feststeht, dass die Abfassung des Werkes
schon im 11. oder spätestens zu Anfang des 12. Jahrh. statt-
gefunden haben muss, so sehe ich keinen Grund, die Angaben
in dem Dedicationsschreiben an den Abt Reginward in Zweifel
zu ziehen. Die einfache und schmucklose erste Aufzeichnung
mochte Reginward nicht genügen und so betraute er einen
seiner Mönche mit der Neubearbeitung der älteren Translations-
erzählung.
Schon hieraus geht hervor, dass die von mir mitzuthei-
lende Translatio S. Dionysii sehr bald nach der Auffindung
der Gebeine dieses Heiligen im J. 1049, wovon der Verfasser
noch ausführlich berichtet, niedergeschrieben sein muss. Die
Zeit der Abfassung lässt sich aber aus dem Texte selbst noch
1) SS. XI, p. 355: 'partim etiam tuis chartis, quibus rogatus annuo,
perdidici'. 2) Ibid.: 'sed ut ex chartis tuis agnovi, nondum garrula
levitas eorum cessat, qui contendunt hunc quem tenes Dionysium Areopa-
gitam non esse, sed Chorintbiorum episcopum, quem constat confessorem
fuisse et fatentes martyrem Parisiensem negant Atheniensem'. — Das be-
zieht sich auf den letzten Theil der unten mitgetheilten Translatio (c. 13 — 17),
welchen der Verfasser der späteren Darstellung in dem Briefe an Regin-
ward umfassend benutzt und ausgeschrieben hat. 3) Ibid. p. 352.
4) S. oben S. 334 Anm. 5.
336 L. von Heinemann.
genauer bis auf Tage bestimmen. Die Translatio ist ge-
schrieben im J. 1049 » und zwar nach dem 9. October dieses
Jahres, da dieser dem Dionysius Areopagita heilige Tag nach
der Erzählung der Translatio in dem erwähnten Jahre bereits
festlich begangen werden ist 2. Ja, nach einer Stelle müssen
mindestens schon zwei Wochen nach dem Feste des heil.
Dionysius verflossen gewesen sein^ ehe unser Bericht nieder-
geschrieben ward^. Andererseits ergiebt sich aus dem Schluss
des zehnten Capitels*, dass die Abfassung der vorhergehenden
Capitel vor den angeblichen Translationstag des Heiligen
(II. non. Dec.) anzusetzen ist. Die Grenzen der Entstehungs-
zeit unserer Schrift sind somit c. 25. October — 4. December
1049, und aller Wahrscheinlichkeit nach war sie zur öffent-
lichen Verlosung am Translationstage bestimmt.
Der Verfasser unseres Berichtes war ein Mönch von
St. Emmeram. Er bezeichnet sich verschiedentlich ausdrück-
lich als Mitglied dieser Congregation 5. Der Auffindung der
Gebeine des heil. Dionysius im J. 1049 wohnte er selbst bei,
da er, wie es scheint, schon damals zur Erstattung eines
schriftlichen Berichtes über dieses Ereignis in Aussicht ge-
nommen w^orden war*'. Als dann später bei der Wegräumung
von Mauerwerk jene die Existenz der Gebeine des heiligen
Dionysius in Regensburg beweisenden Inschriften gefunden
wurden, war es unser Autor, welcher diese Denkmäler den
Ungläubigen und Zweifelnden unter dem Clerus und dem
Volke in der Stadt Regensburg: zur Prüfung vorlegte^. Aus
alle dem erhellt, Avie eng der Verfasser des Berichtes mit der
Inscenesetzung des Dionysiusschwindels selbst verknüpft ge-
wesen ist.
Bei dem Versuche, die Person des Verfassers genauer
festzustellen, liegt es nahe, an den berühmten Othloh zu denken,
der in der That ungefähr von 1032 — 1062, also zur Zeit jener
Wiederauffindung der Dionysiusreliquien, an welcher der Ver-
1) C. 11: 'usque ad instantem patefactae translationis annum, qui
est millesimus quadragosimiis nonns'. 2) C. 9 : 'Factum est autem post
haec, ut sancti Dionysii solempuitas, quae septima idus Oetobris colenda
imminebat. . . . Nos igitur patroiii nostri Dionysii . . . festa veneratione
promptissima . . . celebrantes'. ... 3) C. 10: 'Nam cum mox post
nataliciam patroni nosti-i diem omni instantia omnique devotione iuvenes
et senes nostri in destruendo et deportando opus murale . . . unanimiter
laborassent duasque ebdomadas in hoc labore complevissent' etc. 4) 'Sed
et translationis eins diem, cuius ho die festa recolimus, apertissime in
eadem inspicimus'. 5) Z. B. C. 10: 'Sed nos, sancti Emmerami ceno-
bitae', etc. und öfters. 6) C. 8: 'Et accedens abbas unacum fratribus
paucis, quorum etiam unus eg'o, qui hoc scribo, ut eo veracius quo magis
intereram affirmare possim, locum aperuimus' etc. 7) C. 10 : 'Ideo
autem dixi: 'omnes pene', quia scio, utpote qui hosla pides ad monasteria
orbana post inventionem primus presentavi', etc.
Die älteste Translatio des heil. Dionysius. 337
fasser unserer Translatio so thätigen Antheil genommen zu
haben bekundet, in dem Kloster St. Emmeram als Mönch
lebte.
Für diese Vermuthung haben wir allerdings nur innere
Bev/eise. Erstens mochte es nahe liegen, dem damaligen
Seholasticus und bereits berühmten Schriftsteller eine derartige
darstellende Arbeit wie unsere Translatio aufzutragen. Er
war damals in St. Emmeram der vorzüglich berufene Mann
dazu. Sodann aber, vergleichen wir unseren Translations-
bericht mit den dem Othloh bestimmt zugeschriebenen Werken,
so ist eine gewisse Verwandtschaft sowohl in der ganzen An-
schauungsweise als auch in dem stilistischen Ausdrucke un-
verkennbar.
Man hat mit Recht bei Othloh das Streben nach ge-
schichtlicher Wahrheit und den Sinn für historische Kritik
rühmend hervorgehoben'. Auch dem Verfasser unserer Trans-
latio wird man ein für die damalige Zeit seltenes Verständnis
für die Fragen der historischen Kritik nicht absprechen, wenn
man die Auseinandersetung über die verschiedenen heih'gen
Dionysii am Schluss seiner Abhandlung ^ näher ins Auge
fasst. Ferner war Othloh bekannthch ein heftiger Gegner der
Bischöfe von Regensburg, deren Gewaltthätigkeiten gegen das
Kloster er so oft und so heftig beklagt und geisselt. Auch
in unserer Translatio wird der Beraubung und Bedrückung
des St. Emmeramsklosters durch die Regensburger Bischöfe
zu wiederholten Malen mit heftigen Worten und grosser Ent-
rüstung gedacht. Und nicht nur inhaltlich, sondern auch for-
mell ähnelt unsere Uebertragungsgeschichte unverkennbar den
sonstigen Werken Othlohs. Ich kann die Einzelheiten hier
nicht des Genaueren anführen, welche diese Uebereinstimmung
beweisen. Dafür ist vielmehr der allgemeine Eindruck Aus-
schlag gebend, welchen man gewinnt, wenn man die Trans-
latio mit einzelnen der Werke Othlohs in stilistischer Hinsicht
vergleicht. Erwähnen will ich nur, dass man auch in der
Translatio die Vorliebe Othlohs für die Verstärkung des Reci-
prokpronomens durch die Silbe *met' verfolgen kann, dass
gewisse Lieblingsausdrücke und -Wendungen Othloh's. wie z. B.
'ut reor', 'interiora et exteriora', 'opus murale', Verbindungen
mit 'non tam, quam' und Aehnliches auch in der Translatio
sich häufig finden. Auch begegnen wir in der Translatio
einem nicht gerade häufigen Bibelcitat ('nihil in terra est sine
causa'), welches in der Vorrede zur Vita S. Wolfgangi wieder-
kehrt.
Dazu kommt schliesslich noch ein Letztes. Schon Hansiz,
Germania sacra prodr. III, p. 103 und nach ihm Hirsch,
1) Wattenbach, GQ. II*, p. 61. 2) C. 13 — 17.
338 L. von Heinemann.
Jahrb. Heinrichs II, I S. 23 Anm. 3, haben die Ansicht ver-
treten, dass die St. Emmeramer Urkundenfälschungen, durch
welche die Abtei die Exemtion von der bischöflichen Gewalt
zu erreichen bemüht war und dieselbe auch später wirklich
erreichte', in derselben Zeit entstanden seien wie jene Fabel
von der Uebertragung des heil. Dionysius nach S. Emmeram,
In dem Liber Visionum erzählt nämlich Othloh selbst, dass
Heinrich III. das Kloster St. Emmeram in königlichen Schutz
genommen habe und zwar auf Grund der inzwischen auf-
gefundenen Privilegien des Klosters *. Diese 'privilegia mona-
sterii interim inventa' können wohl nur jene gefälschten Ur-
kunden Karls des Gr., Ludwigs des Fr.*, Arnulfs* gewesen
sein, durch welche die Exemtion des Klosters von der bischöf-
lichen Gewalt erstritten werden sollte; denn nur in diesen Fäl-
schungen ist die Rede davon, dass die Aussteller das Kloster
in ihren königlichen oder kaiserlichen Schutz genommen hätten.
Somit wäre die Existenz dieser Privilegien schon zur Zeit
Heinrichs III. um die Mitte des 11. Jahrh, erwiesen, wozu
vortrefflich passt, dass dieselben in die Sammlung des Udalrich
von Bamberg bereits aufgenommen worden sind. Sie sind
aber auch wahrscheinlich damals erst entstanden, da sie
erst damals plötzlich 'aufgefunden' wurden und vorher nie von
ihnen die Rede ist, man sich früher nie auf sie beruft. Es
liegt daher die schon von Hansiz und Hirsch ausgesprochene
Vermuthung nahe, dass Othloh, der dieser ofefälschten Privi-
legien zuerst Erwähnung thut, bei ihrer Abfassung die Hand
im Spiele gehabt habe. Hierzu kommt,Vdass man einen Zu-
sammenhang des Dionysiusschwindels mit dem Ringen der
Abtei nach Exemtion von der bischöflichen Gewalt in einigen
der gefälschten Urkunden zu verfolgen vermag. In dem an-
geblichen Briefe Leos IX. nämlich, in Avelchem er dem König
von Frankreich die Erhebung der Gebeine des heil. Wolfgang
und die Anerkennung der Reliquien des heil. Dionysius im
Kloster St. Emmeram zu Regensburg anzeigt, heisst es, obwohl
der Satz ganz und gar nicht in den sonstigen Zusammenhang
hinein passt: *quae (sc. ecclesia S. Emmerami) quidem inibi
1) Verprl. Zirngfibl, Abhandl. über den Exemptionsprocess des Gottes-
hauses St. Emmeram mit dem Hochstift Regensburg. Neue bist. AbhdI.
der bair. Akad. d. Wissenschaften. Bd. I. 1804. 2) Othloni Liber
Visionum, Visio Xu, SS. IX, p. 382: 'Inter haec namque bonae memo-
riae caesar Heinricus, huius parvuli regis modo regnantis Heinrici pater,
nisibus omnimodis tractavit, qualiter eundem locum a durissimo Pharaonis
imperio, id est ab episeopi potentia eriperet. Sed illo talia tractante prae-
diaque quaedam ab episcopo Gebehardo ablata restituente, postremo etiam
propter amorem Dei et propter privilegia monasterii nostri interim inventa
in regiam potestatem idem monasterium recipiente' etc. 3) Mühl-
bacher RK. n. 3 43. 980. 4) Mon. Boica XXXP, p. 148, n. 73.
Die älteste Translatio des heil. Dionysius. 339
sita est, atque ab omni subiectione ac iurisdictione Hbera et
exempta ad ius et proprietatem beati Petri apostolicaeque
sedis immediate pertinere dignoscitur oblatione videlicet ex-
cellentissimi Romanorum imperatoris Caroli Magni ac po-
sterorum ipsius, qui eidem hactenus successerunt seu in imperio
seu in regno'. Und in der eng mit dieser Fälschung zu-
sammenhängenden ebenfalls unechten Urkunde Heinrichs III.
vom 7. October 1052, welche dem Inhalte nach im Wesent-
lichen mit dem Briefe Leos übereinstimmt und die ich im
Anhange zum ersten Male mittheile, lautet der betreffende
Passus: 'Quam quidem serenissimus Karolus Magnus, proavus
scilicet eiusdem Arnolfi, ad honorem principis apostolorum ac
martiris memorati regali suraptu ac liberalitate fundavit, impe-
riali eandem donatione sublimans atque immediate apostolicae
sedis eam regimini subiiciens et tutelae, statuens illam sedis
episcopalis in urbe iam dicta sociam esse perpetuam et soro-
rem, ac paribus privilegiorum honoribus coaequari'.
Nun lässt sich die Entstehungszeit dieser Fälschungen
allerdings nicht genau bestimmen. Wir können nur sagen,
dass sie vor der Mitte des 14. Jahrh. entstanden sein müssen,
da Heinrich von Herford in seiner Chronik ' den Brief Leos IX.
schon erwähnt. Wenn aber Othloh, wie bereits bemerkt, in
der zwölften Vision berichtet, dass Heinrich III. das Kloster
St. Emraeram in königlichen Schutz genommen habe, so könnte
man auf den Gedanken kommen, dass das Privileg Hein-
richs III, welches Othloh an der erwähnten Stelle im Sinne
zu haben scheint, die von uns unten mitzutheilende Fälschung
sei. Denn obwohl nicht direct davon die Rede ist, dass Hein-
rich das Kloster in seinen Schutz nahm, so ist doch das
Wesentliche, die Exemtion von der bischöflichen Gewalt, klar
und deutlich auch in diesem Falsificate hervorgehoben. Mag
dem aber sein wie ihm wolle, mag auch, wie mir wahrschein-
lich scheint, sowohl der Brief Leos IX. als die Urkunde Hein-
richs III. erst später, etwa im 12. Jahrh., in St. Emmeram
gefälscht sein ^, so erhellt doch auch aus diesen Trugstücken,
wie man im Kloster sich des Zusammenhangs der Auffindung
der Gebeine des heil. Dionysius mit dem durch falsche Pri-
vilegien geführten Kampfe um die Exemtion des Klosters von
der bischöflichen Gewalt wohl bewusst war. Und dieser
innere Zusammenhang verkörpert sich uns in der Person des
Scholasticus Othloh, der nicht nur an der Wiederauffindung
1) Ed. A. Potthast p. 68. 2) Es ist nämlich auffallend, dass beide
Stücke, wenn sie schon im 11. Jahrh. entstanden, nicht wie die übrigen
im Codex Udalrici Aufnahme gefunden haben. — Der Ausdruck 'barones'
in der Urkunde Heinrichs III. weist gleichfalls auf spätere Entstehung
dieser Fälschung.
340 L. von Heinemann. ■_
der Reliquien und der angeblichen die Existenz des heiligen
Dionysius zu St. Emmeram beweisenden Inschriften theilnahm
und den ersten Bericht über, dieses Ereignis verfasste, sondern
auch die zu jenem Kampfe um die Exemtion nothwendigen
Rüstzeuge schmiedete in Gestalt jener gefälschten kaiserlichen
Privilegien für das Kloster.
Ist diese Vermuthung richtig, so ergäbe sich hieraus
vielleicht eine Erklärung für die Entweichung Othlohs aus
St. Emmeram im J. 1062. Wie er selbst erzählt >, war er
von einigen jüngeren Mönchen seines Klosters bei dem Bischof
Gebhard III. angeklagt worden und in Folge der Nach-
stellungen des Bischofs und seiner Anhänger sah er sich
schliesslich gezwungen, Regensburg zu verlassen und nach
Fulda überzusiedeln. Ueber den Grund, weshalb Othloh dem
Bischof Gebhard in so hohem Maasse verhasst war, erfahren
wir nichts. Nach unseren obigen Ausführungen könnte man
auf die Vermuthung kommen, dass die Feinde Othlohs diesen
bei dem Bischof als den Verfertiger jener falschen Privilegien
für St. Emmeram anklagten und dass er, in Folge dessen von
Gebhard mit glühendem Hasse verfolgt, schliesslich aus dem
Kloster nach Fulda entwich.
Translatio S. Dionysii'^.
Quod audivimus et vidimus, quod oculis nostris per-
speximus et manus nostrae, licet indignae, contrectaverunt, de
corpore preciosissimi Dionysii martiris et episcopi primi Athe-
niensium, apostoli autem Gallicarum provinciarum, in quibus
etiam apud Parisius urbem martirii gloriosum consummavit
triumphum, una cum sociis suis Rustico et Eleutherio : de
huius, inquam, ossibus quod vidimus et audivimus vobis, o
fratres et concives cunctique Christi et sanctorura eins vene-
ratores, annuntiamus, ut et vos de tanti martiris patrocinio
nobiscum societatem habeatis tantique patroni beneficia copiosa
nobiscum coramuni voto exqniratis. Hoc autem quod vidimus
et audivimus vobisque anuntiare cupimus, quemadmodum vide-
licet eiusdem sanctissimi martiris ossa in Galliae procul remo-
1) Liber de temptatione, SS. XI, p. 389: . . 'quin iramo a fratribus
quibusdam iuvenibus, quibus displicebam , apud episcopum accusatus,
varias mihi minas ab illo illiusque familiaribus agi saepius audissem ;
tunc petita ab abbate licentia, ad monasterium Fuldense, quasi cito rever-
suriis, perrexi'. 2) Ich bemerke, dass ich die Orthograpliie der Hs.
im Allgemeinen in der Ausgabe beibehalten habe, nur statt 'ei' für 'ti'
und 'e' für 'ae' am Schlüsse sowie 'y' für 'i' habe ich die im 11. Jahrh.
gebräucliliehere Form hergestellt.
Die älteste Translatio des heil. Dionysius. 341
tis partibus olim venerabiliter humata in contiguis iam tempo-
ribus Ratisponara Bawariae urbem metropolitanam et in sancti
Emmerammi martiris ecclesiam intra eiusdem urbis muros
sitam sint translata. Verumtamen ea primitus, quae tarn ex
nostrarum quam ex illorum, qui ex Gallia ad nos veniebant,
relatione lideli comperimus , deinde vero tamquam veritatis
fundamento ac parietibus ex sermone latiori auditae rei sup-
positis, illa quae visu exinde comprehendimus, prout ipse, qui
totius sapientiae fons et fundamentum constat, cordi nostro
inuiittere dignatur, edificii raore pauca verba superponentes,
proferre cupimus. Inter haec etiam lectorem petimus, ne forte
propter stili vel eloquii nostri ruseitatem minus credat minusve
libenter attendat materiae tantae sublimitatem,
l.ä Arnolfo igitur imperatore, filio Karlomanni regis
Bawariae, inter reges et imperatores, sicut in chronicis legitur,
faraosissime regnante, miracula ac signa beati Emmerammi
martiris, qui in urbe supradicta Ratispona corporaliter requies-
cit, adeo ubique et maxime infra circumiacentis provinciae
terminos divulgabantur tantaque veneratione habebantur, ut
non solum principes atque optimates Germaniae illius exquire-
rent patrocinia, verum etiam idem imperator prae omnibus
regni sui locis venerabilibus amaret et efflagitaret eiusdem
martiris beneficia. Quia enim sibi in Bawariae finibus ex
hereditate patris supradicti Karlmanni, qui eiusdem Bawariae
rex specialiter vocatus legitur et sepultus in loco quodara
Ottinga nominato quiescit, predia provenerant maxima, atque
occasione huiusmodi aliquantum detentus sepissirae necnon
libentissime in eadem commoratus est provincia: idcireo ex
parte contigit, ut contiguum sancti Emmerammi monasterium
orationis causa, ut dictum est, frequentaret patrocinioque eins
se in Omnibus commendaret. Et quia toto corde precibus
eius se commendavit, erat proficiens et succrescens ac quo-
cumque se verterat superavit.
2. Factum est autem, ut idem imperator in occidentalia
Galliae regna cum exercitu pergeret, et superatis omnibus
inimicis, contra quos bellum ceperat, ad urbem Parisius veni-
ret ibique prope eandem urbem in herbidis locis, quia tempus
estivum erat, tentoria figens aliquamdiu resideret. Interea
vero cum ibidem moraretur et de diversis provinciae ipsius
rebus atque locis familiarissimos suos alloqueretur, cepit etiam
cum eis consilium agere, quomodo alicuius, sancti corpus
maximeque sancti Dionysii exinde posset acquirere. Tunc
uno quoque pro viribus suis respondente, clericus quidam
a) Die Zahl der Capitel fehlt c, doch ist immer ein Absatz heim
Anfange eines Capitels und stets der Raum für eine später nicht aus-
geführte Anfangsinitiale frei gelassen.
342 L. von Heinemann.
personae et scientiae celebris, nomine Gilipertus», qui regi
erat fidissimus quique eadem regione extitit oriundus, huius-
modi verba est locutus: *Si consilium meum audire et pro-
bare, o cesar, dignaris, spero me, opitulante Deo, tuis satis-
faeere votis. Publice ergo simula temet nimis offensum erga
me, sed clam auri copiam mihi trade. Cumque hoc fuerit
factum, fugiam quasi a te expulsus ad sancti Dyonisii ceno-
bium, ut, quibuscumque modis valebo, vota tua ibi expiebo'.
Haec igitur simulatio idcirco excogitata, ut rei ipsius suspicio
omnis videretur ablata, regi placuit. Dehinc clericus, clam
accepto auro, velut expulsus nimiumque tristis fugit, et oflFen-
8um sibi regem omnimodo indicans, ad cenobii supradicti ab-
batem venit. A quo benigne susceptus exponit sui causam
adventus pariterque suplieiter rogat, ut pro Dei amore suaque
oblatione, si quam forsitan illo dignam possit presentare, tam
ipse quam congregatio sancta sibi subdita pro se dignetur
orare. 'Nichil est', inquiens, 'quod, ut credo, denegetur orationi-
bus vestris, utpote qui tanto patrocinio, illo equidem sanctis-
simo Dyonisio , suffulti estis. Quamobrem , quia non vacua
manu vobis pro rae exorantibus apparebo, apud eundem patro-
num vestrum pro me afFectu sincero et vos precor intercedite
et michi id ipsum facere locum et tempus hie commorandi
prestate'. Haec et hiis similia clerico proferente, ostendit ab-
bati pondus ingens auri, dicens se promisisse sancto Dionisio
idem aurum offerre. Videns autem abbas tantum auri, nimium
letus efficitur, et omnia quae petiit clericus poUicebatur^. Mox
velut hospes gratissimus suscipitur et cum omni humilitate
ibidem per triduum hospitatur, nemine versutiam illius suspi-
cante. Post haec humiliter postulat ostendi sibi locum, in quo
ponat aurum, quod soli sancto Dyonisio fuerit promissum.
Quam petitionera abbas, quia satis avidus erat auri, libentis-
sime suscipiens*^ cum ad sancti Dyonisii sepulcrum duxit.
Ceterum clericus versutia plenus explorandi gratia, an ipsius
sancti seu alterius sepulcrum idem foret, diutius perquirens,
abbate vero econtra affirmante, aurum tunc demum iuposuit,
et oratione facta, una cum abbate discessit. Deinde^ etiam, ut
in cunctis aptior existeret, precio dato refectionem sumptuo-
sam monachis exhibens privatim et communiter eorum se
orationibus commendavit ipseque simul orationi continuo vacare
simulavit, adeo ut etiam in nocte tertia adventus sui, quam
furto sacratissirao iam oportunam esse credebat, quasi pro
orationis furtivae gratia licentiam peteret una cum custodibus
noctu commorandi in ecclesia. Quod dum facile impetraret,
utpote qui in nullo suspectus videbatur, potus copiam tam-
a) Gisilbertus nachträglich am Rande hinzugefügt c. b) poUicebatos
eorr. poUicebatur c. c) suspiciens später corr. suscipiens c. d) Dein c.
jDie älteste Translatio des heil. Dionysius. 343
quam caritatis occasione custodibus attulit et exhortans illos
satis bibere aliquamdiu cum eis resedit. Custodes vero id
quod petebantur libentissime executi et in ebrietate magna
resoluti, sopore, ut lieri solet ebriis, gravissimo deprimuntur.
Postquam clericus inspeetione studiosa haec persensit, mox
vota sua prosperari credens, primum quidem ad ianuam, quae
claustri parte monachis specialem introitum prebet, properavit
eamque cautissime pessuio seu vecte clausit. Deinde intro-
ducens viros duos totidem peras gestautes in ecclesiam cum
eis vadit ad locum sibi satis premonstratum. Dum vero
fodiendi sumptu aperientes tumulum beatissimi Dyonisii ossa
abstulerunt et dexteram quidem in unam, sinistram partem
ossium eorundem in alteram peram ponentes citius ab ecclesia
exierunt sicque cum eisdem onerati peris ad regem venerunt.
At ille pro hac re nimium gaudens Deo gratias egit et mox
eundem clericum assumpto secum sacratissimo furto ad urbem
quandam dicionis suae precepit celeriter proficisci ibique semet
prestolari.
3. Cum autem ad matutinas laudes monachi exurgere
cepissent et in ecclesiam more insolito obseratam intrare
nequivissent, admirantes valde cucurrunt* et ex altera parte
monasterii intraverunt. Deinde non invento clerico, confestim
arbitrantes aliquas ecclesiae res ab eo sublatas scrutati sunt
sollicite, quid contingeret deesse. Et perscrutantes omnia in-
venerunt sanctissimi patroni sui tumulum ablatis ossibus iam
apertum. Mox omnis ille locus fletu planctuque repletur, sed
et res miranda atque liorrenda illic monstrabatur. Nam sicut
a quodam venerabili viro, scilicet incluso adhuc superstite et
omnimodo huic seculo abrenuntiante, qui quondam in Gallia
commoratus et profectus ad sancti Dionisi** cenobium ab eius-
dem monasterii abbate didicit, comperimus, mox ut sanctis-
sima eiusdem Dyonisii ossa exinde furto supradicto sunt ab-
lata, omne illud monasterium tanta caligine tantisque tene-
brosis nebulis per biduum tegebatur, ut vix alter alterum
videre posset miserabilisque Horror omnes cenobitas invaderet.
De cuius videlicet viri Dei narratione plenius postmodum in-
dicaturi nunc Interim ad priora revertamur.
4. Igitur<= abbas supradicti monasterii pro certo coniciens,
a quo tale furtum patratum sit, venit ad Arnolfum imperato-
rem et supplicibus verbis compellat eum dicens: 'Redde nobis,
cesar benignissime, quae tibi de rebus nostris furtivo allata
sunt munere. Miserere nobis, queso, clementissime regum, et
redde, quem a clerico accepisti nequissimo, loci patriaeque
nostrae patronum Dyonisium'. Ad haec Imperator, quasi per-
motus de obiecta furti culpa, respondit dicens, nee se fateri
a) Später corr. cucurrerunt c. b) So hier c. c) Fubulo füg(^
hinzu Pez.
344 L. von Heinemann.
vel negare velle de hiis, pro quibus tarn procaciter iniuria-
retur, Abbas vero diu eadem repetens verba et eadem a
cesare accipiens responsa tandem obsecrare cepit. 'Si hoc',
inquiens, 'non mereor itnpetrare, ut sanctissimi patroni uostri
corpus tibi absque dubio allatum minime digneris redonare,
hane saltim gratiam nobiscum facias^ ut numquam fama
publica inuotescat, quia a loco nostro sit raptus et tibi allatus.
Nam si publicatum » fuerit, locus profecto noster destruetur.
Unde tantae compatiens miseriae^ locum noli nostrum prorsus
destruere, sed ita letitiae tuae incrementa contempera, ut et
nobis aliquam gaudendi spem relinquas'. Haec et hiis similia
abbate ad regem flebiJiter loquente, tandem imperator preci-
bus multimodis atque querimoniis illius ad misericordiam
motus talia fertur verba protulisse: 'lam quidem non nego,
michi delatum tliesaurum preciosum, quem queritis, sed hoc
nimirum, quoniam non reddo, sciatis, petitionem autem illam,
quam pro silenda patroni vestri direptione protulistis, quan-
tumcumque valeo, diebus vitae meae adimplebo cunctis'. Haec
audiens abbas, licet non ad integrum, aliquatenus tarnen ira-
petrans, pro quibus regem interpellavit, quasi letus a facie
eins abscessit et obtinuisse se simulans, pro quo veniebat,
peris quibusdam cum honestate magna super equum composi-
tis, tamquam in eis corpus patroni sui ablatum referret, redie-
bat. Postea vero, ne vulgo veritas patefieret, evacuatum sancti
Dyonisii raonuraentum desuper contexit, omnimodo ita ut
prius erat adornavit. Porro imperator, peragratis Galliae
partibus, prout voluit, cum triumpho et gloria necnon cum
muneribus maximis ad propria rediit secumque minus divul-
gata, ut promiserat, veneratione sancti Dyonisii ossa usque
ad extrema vitae suae detinebat. Cum autem in Ratisponense
urbe, dilectissima videlicet regni sui sede, positus infirmaretur,
obtulit et eadem sancti Dyonisii ossa venerando sancto Emme-
ramo suamque coronam, pene omnia, que in libris ac orna-
mentis regalibus habere visus est, sicut et adhuc in eiusdem
sancti Emmerami cenobio probari potest, in quo, ut preter-
mittam alios plures libros manu benedocta scriptos aureisque
literis precapitulatos, unum illius plenarium detinetur, tale an**
diflicile usquam inveniri possit equale. Sed et ipsius cibo-
rium miro ac precioso auri gemraarumque opere constructum
adhuc ibidem reservatur^ Ad ultimum etiam idem imperator
a) So Fez; publicum cum c. b) cui Pez.
1) Cf. Ärnoldus de S. Emmerammo I, c. 5, SS. IV, p. 551 : 'In quo
(palatio) erat ciborium quadratum, cuius auro tectum tabulatum, fasti-
gium serto gemmarum redimitum. . . . Erant etiam in eo evangeliorum
libri plenarii, auro et gemmis tecti, scripti picti, ac omnimodis ornati.
Die älteste Translatio des heil. Dionysius. 345
sepulturae suae locum in ecclesia sancti Emmerami disponens
corporis et animae suae eidem sancto committit i. Inter haec
mirandum et pro exemplo mortalibus eunctis predicandum,
quod, cum plerique homines sobole propria carentes in here-
des alienos predia divitiasque suas potius quam in Deum
transmittant, hie vero imperator eximius nee filium suura,
nomine Ludowicum, quem regni successorem reliquid, in orna-
meutis rebusque predictis divinae^ hereditati pretulit. Talis
erat finis Arnolfi imperatoris.
5. Haec vero quae de sancti Dyonisii translatione ab eo
facta diximus, partim a nostratum, partim quoque inciusi, de
quo superius mentionem fecimus^^ relatione tideli comperimus.
Sed quia huius viri, videlicet inclusi, memoria iam denuo a
nobis facta est, restat, ut iuxta promissum ea, quae ex ore
eius audivimus, plenius disseramus, presertim cum et hoc im-
primis polliciti scimus, prius audita deinde visa de patroni
nostri translatione euarrare. Ergo huiusmodi verba idem in-
clusus profert: 'Cum', inquid, 'domina mea, nomine Mahthilt,
sicut mortalibus multis est notum, ante decenniura Gallorum
regi ex Francia data esset in matrimonium^, veni sepius ad
illam. Et quoniam utrique, dominae scilicet et regi, satis
acceptus fui, sicut ab illis, ita et ex aliis familiaribus suis
amabar, in quibuscumque regni sui locis versabar, Interea
quoque accidit, ut ad sancti Dyonisii cenobium urbi Parisio
proximum frequenter venirem. Eiusdem vero cenobii abbas,
cum de me rege prius sibi referente audiret, tam ob regis et
reginae quam propter hospitalitatis amorem niemet benigne
suscepit et cum omni caritate atque familiaritate nunc dua-
bus, interdum vero tribus ebdomadibus secum retinuit. Unde
factum est, ut sepe solus mecum residens de diversis familia-
riter interrogaret rebus. Quibus etiam huiusmodi interrogatio-
nem aliquando addidit dicens: ''Quia igitur, o amice, de te
audivi plurima loca tibi esse nota, numquid, rogo, Germa-
niam et Bavariam seu urbem quondam nomine Ratisponam
agnoscis?" Cui cum responderem: "Etiam, domine", inter-
rogando adiecit dicens: ''Nostine et illud sancti Emmerammi
a) divini c.
E quibus unus est cubitalis, opere, precio, pondere siquldem talis, ut ei
non facile inveniri possit aequalis'. Die Stelle hat der Verfasser unserer
Translatio offenbar gekannt. — Ueber das Evaugeliar Arnulfs s. Riezler,
Gesch. Baierns I, S. 631. 1) Cf. Arnoldus 1. c, Hirsch, Jahrb. Hein-
richs n, I, S. 417. 2) C. 3. 3) Der Verfasser meint wohl Mathilde,
die Tochter Kaiser Konrads II, welche mit König Heinrich I. von Frank-
reich verlobt war, diesen aber niemals heirathete, da sie vorher (1034)
verstarb.
Neues Archiv etc. XV. 23
346 L. von Heinemann.
monasterium in urbe eadem situm?" Et ego ad eum:
"Optime". At ille: ''Et in quo", inquit, "loco ibi sanctus
Dyonisius reqiiiescat?"^ Tum vero ex corde intimo ingemes-
cens satisque lacrimans alt: "Nequaquam pro dolor", inquit,
"quoniam olim hinc per furtum ablatus est. Quamvis enim
ita ut a te ab aliis quoque falso credatur, aput nos tarnen,
qui in hoc cenobio conversamur, veritas non ignoratur, utpote
quorum patribus miseria contigit tanta, Ceterum nisi te
michi familiarissimum crederem, talia tibi minime pateface-
rem. Unde etiam, quomodo idem sanctus noster patronus
ablatus fuerit, iam tibi pandere volo. Fuit', inquiens, "rex
quidam^ in Germania, nomine Arnolfus, qui veniens in pro-
vinciam hanc cum exercitu niulto, postquam circumquaque
positas urbes circuivit, ad haec etiam loca profectus ante
proximam civitatem in amenis pratis** castra est metatus".
Öicque omnia, peue ut a nobis superius prolata sunt, indicavit
sibimet narrasse et hoc, quod nos preterraisimus, in line ser-
raonis addidisse : "Postquam", inquit, "idem rex hinc discessit,
in ipso campi herbidi loco, ubi primitus perae cum ossibus
sanctissimis oneratae solotenus deponebantur, miracula tanta
coruscare ceperunt, ut monasterium celebre, sicut hodie cer-
nitur, inibi construeretur, in quo multitudine monachorum con-
gregata laudis divinae inolescit cottidie cura. Nunc igitur
quoniam tibi tanta de patrono nostro secreta reseravi, fac pro
quantavis mercede, quod postulo. Vade ergo ad predictum
sancti Emmerammi monasterium et diligenter explorans, ubi
illic altare sancti patroni nostri sit, michi renunctiato. Nam
si ita feceris, premium procul dubio maximum a rae con-
sequeris". Cuius petitioni ego quidem, fateor, poUicitus sum
libenter parere, sed quia in hanc provinciam et in urbem
Ratisponam veniens, nichil omnino de sancti Dyonisii vel
nomine audivi, quid eidem abbati illo iterum transmigrans
renuntiarem, nescivi. Idcirco quotienscumque ab eo dehinc
interrogabar, preces illius me oblitum esse fatebar. Et forsitan
divina dispositione facta sunt haec, ut nee adhuc patroni tanti
translatio divulgaretur nee per me tam dampnosa<= exploratio
perficeretur'.
6. Huiusmodi itaque inclusus profert dicta. Unde quia
et proxime et procul positorum concordat sententia, et nos,
qui hucusque dubitavimus, quodammodo compelliraur talia
credere et memoria literarum aliis transmittere. Non solum
namque alii infra et extra urbem positi de hac translatione
a) quidem c. b) poutis später corr. pratis c. c) dapnosa c.
1) Hier scheint etwas zu fehlen wie etwa: Und als ich darauf ant-
wortete: Der heilige Dionysius ruht, denke ich, in Euerm Kloster?
Die älteste Tranelatio des heil. Dionysius. 347
dubitaverunt, sed etiam nostrorum quorundam antecessorum
in sancti Emmerammi cenobio conversantium dubitatio tanta
fuit, ut, quia nulla litterarura auctoritate, sed tantum antiquo-
rum relatione affirmabatur, more beatissirni Thomae apostoli
dicerent, nullatenus se posse vel debere credere, quod nulla
patrum coruscatio posterorum traderet memoriae, nisi forte
ipsa veneranda sancti Dyonisii ossa viderent. Hoc autem,
quia non tarn dubitandi quam investigandi gratia fecerunt,
Deo disponente, contigit, ut sicut per apostoli supradicti dubi*
tationem plurimi solidati sunt ad tidem ita quoque, si tarnen
de intimis conf'erendum est suppremis, dubitatio ista ad mul-
torum utilitatem definiretur.
7. Quidara namque ex congregatione nostra fratres pre-
cipui ad hoc electi, ut huius rei veritatera perquirerent, in-
venerunt omnia eiusdem martiris ossa in loco suo posita. Ad
haec etiam miraculum quoddam ibi accidit, quod indicari
oportet, ßinisque denique sacculis inventis, in quorum uno
Caput, in alio vero ossa cetera seperatim involuta fuerunt,
sacculum minorem, in quo caput erat, ignorantes adhuc, quid
intus foret, aliquantisper a loculo procul posuerunt. Cum
autem in sacculo maiori ossa universa excepto capite in-
venientes et nondum minori enodato procul posito caput peni-
tus deesse estimantes, nimio luctu afficerentur: subito ille, in
quo caput erat, sacculus per se motus et elevatus a loco ceteris
ossibus adiungebatur. Quo enodato, Deo gratias egerunt et
pro miraculi visione et pro corporis integri inventione. Tum
vero Caput aliaque ossa in uno sacculo posuerunt.
8. Haec igitur ossiura venerabilium sancti Dyonisii in-
vestigatio facta est sub abbatis Richolfi tempore '. Sed quo-
niam sub^ eodem abbate episcoporura maximeque primi Gebe-
hardi* persecutio super sancti Emmerammi cenobium adeo
crassabatur, ut eiusdem cenobii ornamenta resque variae ab
eo auferrentur, abbas monacbique*^ plures expellerentur, hü,
qui in monasterio remanebant vel exeuntes rediebant, propter
rapinas multiplices suspecti, id quod rei simile erat, ne forte
sanctorum reliquiis*= una cum ecclesiae rebus ablatis raona-
sterium penitus destrueretur, ocultari potius quam diflamari
aliquid de sancti Dyonisii translatione censebant, dicentes^
quod**, si a devastaotibus episcopis audiretur, mox ipsum cor-
pus prorsus alienaretur. Ünde factum est, ut per multos
a) Coniectur ; ab eodem ablate episcopatum c. b) monachus c.
c) reliquis c. d) quasi c.
1) Nach den kleinen S. Emmeramer Annaleu, SS. I, p. 94, ward
Richold im J. 1006 Abt und resignierte im J. 1028 wegen Blindheit.
2) Von Regensburg, der 994 — 1023 regierte.
23*
348 L. von Heinemanru
annos non solum translationis suae memoria nulla ageretur,
sed nee natalis eius dies, qui* alio loco festivius quam a
nobis festive celebretur, quousque ante annos, ut reor, oeto
quidam congregationis nostrae frater, tunc quidem celerarius
satis cautus, nunc autem Brulensis* abbas, nomine Wisilius,
hoc ab abbate illius temporis et a fratribus suis exegit, ut vel
officium plenum de saucto Djonisio agerent. Quo impetrato,
nichil amplius veneratiouis de eo actum est, donoc nuperrime,
anno videlicet ab incarnatione raillesimo quadragesimo nono,
sub tertio eiusdem nominis presule Gebhardo ^ et abbate Regin-
wardo* dissensio quedam inter nos suborta est, dicentibus
quibusdam, maximum loci huius esse periculum, quod tem-
pore tanto sanetissimi patroni nostri Dyonisii festa veneratione
debita minime agerentur, dicentibus aliis, non oportere sub
temporibus istis hoc publicari, quod patres nostri hucusque
voluerunt celare. 'Nonne', inquiunt, 'locus iste ideo pene est
iam destructus, quia in rebus suis constat diffamatus? An
non invidia maxima cunctis loci huius persecutoribus^ potest
ex hoc inolescere, quod tanti thesaurum corporis audiunt hie
requiescere? Quanti celebres sanctique patres nos in loco hoc
precesscrunt, qui talia ocultare quam manifestare maluerunt!'
Cumque huiusmodi dissensio inter nos aliquantulum esset, ab-
bas aliique fratres nonnulli in consilio superiori consistentes
censuerunt, primitus quidem cum omni diligentia venerabilium
ossium integritatem culturamque debere investigari, quo facto,
quid deinde faciendum sit, cito posse diffiniri. Et accedens
abbas una cum fratribus paucis, quorum etiam unus ego, qui
hoc scribo, ut eo veracius^ quo magis intereram, affirmare
possim, cum veneratione debita locum aperuimus et in eo non
solum supradicta*^ martiris ossa omnia in uno, ut olim repo-
ßita sunt, sacculo atque singula dexterae partis ossa cum
literis alligatis notata oculis nostris vidimus, manibus nostris,
licet indignis, contractavimus, sed etiam aliorum sanctorum
reliquias reperimus, inter quas sancti cuiusdam nomine Teren-
garii«' brachium inventum est. Ex cuius videlicet sancti
nomine numquam hactenus in tot Germaniae provinciis audito
partim argumentabamur, quia, sicut postea a quodam de Galliae
partibus adveniente accepimus, idem brachium cum sancti
Dyonisii corpore de Galliae partibus constat translatum. Epi-
stola autem non in sacculo, sed postmodum in loco secretis-
simo reperiebatur, id est prope tumulum^ sancti Emmerammi,
a) quid alia loca c. b) perseductoribus c. c) vera cicius c.
d) supradicte c. e) so c. wohl für: Bereugarii. f) titulum c.
1) Bruehl in Baiern, B. Stadtamhof. 2) Von Begensburg. 3) Regiert
von 1048—1064.
Die älteste Translatio des heil. Dionysius. 349
ubi, prout priores nostri testantur, quondam in persecutionis
tempore ideo fuerit absconsa, ne forte, si sacratissima aufer-
rentur ossa, nullatenus inveniretur epistola. Hinc itaque ab-
bas supradictus rnia cum fratribus nimium gavisus cum con-
silio communi decrevit, ut ammodo patroni nostri Dyonisii
annua celeberrima festa celebrarentur. Deinde quoque ad
episcopi' notitiam referuntur. At ille gaudens ad monaste-
rium pergens, postquam iterum loculo^ vidit, quod audivit,
mox obseratum^ eundem loculum sigillavit et abbati licen-
tiam petenti, ut in ecclesiae huius plaga occidentali murus
destrueretur, et auxilia, ut ibi edificium aliquod patrono tanto
dignum aptaretur, licentiam, sicut petebatur'=, dedit, auxilia
promisit.
9. Factum est autem post haec, ut sancti Dyonisii
solerapnitas, quae septima idus Octobris colenda prope im-
minebat, devotissimo nisu tunc primum a nobis celebrata
pluribus vicinis maximeque literatis occasionem preberet de-
trahendi et oblatrandi, quoniam videlicet nos undique falsati,
quem nulla literarum auctoritas demonstraret nos habere, illius
velut spiritalis patroni festivitatem videremur celebrare, qui,
etiam si sanctorum aliquem eiusdem nominis, non tarnen illum
Dyonisium, quem nos habere iactaremus, id est Ariopagitam,
haberemus. 'Quomodo^', inquiunt, 'fieri potest^, ut tarn pre-
cipuus sanctus de tam longinquis Galliae partibus huc affer-
retur?' Haec et hiis similia improperia ebulliebant, quasi non
ipsi multo nequius dubitarent invidendo, quam nos olim dubita-
verimus ignorando et exquirendo de hiis omnibus. Qui enim per
ignorantiam dubitat, veritatis rationem audiens libenter inquirit,
ut inteHigat. Econtra, qui per invidiam dubitat, ipsis malitiae
et invidiae suae tenebris obcecatus veritatis lucide rationi detra-
here studet, antequam audiat. Sed de hoc satis dictum. Nos ^
igitur patroni nostri Dyonisii, illius scilicet Ariopagitae, de quo
nos certissimos liber ipsius efficit, festa veneratione promtis-
sima, sicut iam prediximus, celebrantes sperabamus, non solum
minime nichil errasse, verum etiam presentis et futurae felici-
tatis gaudia exinde percepturos esse et hoc quod literarum
auctoritate nondum s fuerat de eiusdem patroni translatione
revelatum, per aliquod aptum adhuc revelari posse signum,
cui nemo invidorum et detrahentium contradicere prevaleret.
Quam ob rem Dei omnipotentis dementia, quae omnia pro tem-
pore moderatur, quaeque omnibus in se sperantibus plus quam
a) nachträglich über geschrieben: loculis c. b) obsecrtü c, nachher
obseratum am Rande hinzugefügt. c) pat. corr. pet. c. d) Quo c.
e) so später übergeschrieben, post c. f) Flos c. g) dum c,
1) Gebhards III. von Regensburg,
350 L. von Heinemann.
petant aut intelligant exhibere dignatur, nos in sanctissimi
famuli sui veneratione laborantes et obprobria irrisorum ex-
probrantiuraque ideo sustinentes mirabiliter ab omnimoda
suspecti erroris obiectione eripuit.
10. Nam cum mox post natalicium patroni nostri diem
omni instantia oranique devotione iuvenes et senes nostri in
destruendo et deportando opus murale, ubi, sicut supra dictum
est, eidem patrono nostro dignius receptaculum construendum
foret, unanimiter laborassent duasque ebdomadas in hoc labore
coraplevissent, repente inter lapidum destructorum aggerem
magnum, quem rastris iniectis effodere, divellere ac preparare
deportantibus certaverunt, quadrangulum lapidem scriptum,
iam advesperascente die, invenerunt. Quo invento, astantes
illic universi fratres tarn pro miraculi curiositate quam legendi
studio convenerunt. In quo nimirum lapide, licet aliquantisper
a vetustate vel caicis invectione deletis, apertis tamen adhuc
literis scriptum erat: 'Emmeraramus Aquitanus et Dyonisius
Ariopagita hie requiescunt sub Arnolfo imperatore et Odone
rege' '. Hie autem Odo, ut in chronica legitur, rex fuit Gal-
liae. Cumque scriptura hac perlecta omnes simul, acsi e
celo fuerit missa, gauderemus ac, mane facto, Deo gratias et
laudes, ut mos est pro miraculis divinis, et ipsi cantu publico
agere et raatriculariis clericis ac sanctimonialibus manifestare
censeremus; cum, inquam, huiusmodi consilium difineretur et
ex nobis unus lapidem predictura ferens in urbem mitteretur:
interea fratribus quibusdam operi supradicto instantibus, in-
ventus est et lapis alius, in quo scriptum erat: 'Sub Eubolone
abbate monasterii sancti Dyonisii Gisalpertus furatus est'.
Tunc etiam et ille lapis sine mora priori additus^ raittitur
clericis demonstrandus. Quibus visis, omnes pene alacriter
Deo gratias egerunt et congratulari pariter omnimodo cepe-
runt. Ideo autem dixi: 'omnes pene', quia scio, utpote qui
hos lapides ad monasteria urbana post inventionem primus
presentavi, quibusdam hominibus, non dico ullis in habitu
secularii constitutis, sed, quod nequius est, specialem vitam
professis tantam perfidiae notam tunc inesse, ut non solum
Deo gratias minime exhiberent, sed etiam velut muti effice-
rentur. Qui scilicet adhuc ita invidiae morbo laborant, ut
Signum tantum irrideant, dicentes lapides descriptos non ita,
ut iam dictum est, inventos, sed a nobis ficte effectos. Sed
a) abditus c.
1) Diese Inschriften waren lange Zeit nocli im Kloster vorhanden;
cf. Kraus 'De translatione corporis S. Dionysii Ariopagitae'. Ratisb. 1750
p. 117. SS. XI, p. 344. Der Schrift nach gehörten auch sie dem
11. Jahrhundert an.
Die älteste Translatio des heil. Dionysius. 351
nos, sancti Emmerammi cenobitae, cum de huiusmodi invidia
tenacissima et obiectione falsissima certi simus, tanto maiores
promtioresque grates Deo necnon sancto Dyonisio tune egi-
mus, quanto oportuniorum et mirabiliorum scripturae gladiis
armatos contra omnem tarn futurorum quam presentium erau-
lorura detractionem lapideam lapideis eciam Hteris pro eius-
dem sancti Dyonisii qualitate atque translatione nos muniunt.
Inter haec quoque non inmerito notandum videtur, quantum
gratiarum actio pro beneficiis iam concessis^ aput Deum opti-
neat, quia, cum pro illius prioris inventione notati lapidis
Deo gratias exhibendas necdum actu, sed tantum consilio dif-
fineremus, mox dispensatione^ divina, sicut credimus, inventus
est et alius lapis unius eiusdemqne rei planior testis. Postea
vero, ut ex summae trinitatis deitate beneficia tanta prestari
palam daretur intelligendum, evolutis duobus aut tribus diebus
invenitur etiam lapis tertius, in quo scriptum erat: 'Quinta
nonas lulii i furatus est. Huc venit pridie nonas Decembris
tempore Tutonis episcopi'. Porro tantae vetustatis erat omnium
eorundem lapidum scriptura, ut absque [dubio <=] ante annorum
multorura curricula, ut adhuc probari potest, videatur facta.
Cuius nimirum scripturae brevitati nichil deesse cognoscimus
in hiis, quae aut nos aliquando vel alii dubitabant de sancto
Dyonisio, quoniam, quis fuerit aut unde aut sub quorum
regum et episcopi [regimine <=] huc translatus fuerit, in ea cer-
nitur. Sed et"* translationis eius diem, cuius hodie festa re-
colimus, apertissirae in eadem inspicimus.
11. Si quis autem curiose inquirit, sub quo anno incar-
nationis Domini haec fuerit facta translatio, hoc modo coni-
cere poterit: Computet ergo ab anno nongrentesimo, in quo
predictus imperator Arnolfus sexta idus Decembris obiit*,
usque ad instantem patefactae translationis annum, qui est
millesimus quadragesimus nonus, et eundem inveniet centesi-
mum quinquagesimum annum esse. Dehinc quia nequaquam
credibile videtur, ut idem imperator, priusquam infirmitatis
molestia preventus inminere sibi extremum vitae suae diem
existimaret vel sancti Dyonisii ossa vel ceteras donationes
supra scriptas prorsus a se alienatas sancto Emmerammo ob-
tulerit, colligat translationis diem in lapide scriptum : 'pridie
nonas Decembris', qui est quintus dies ante sexta idus De-
cembris«, et inveniet procul dubio, quia in uno eodemque
a) concesis c. b) dispensaccione c. c) das Wort fehlt c.
d) in c. e) Decembrys hier c.
1) V. N. lUN. nach der Inschrift, die Kraus wiedergiebt, vgl. SS.
XI, 344. 2) Ueber den Todestag Kaiser Arnulfs vgl. Hirsch a. a. O.
S. 412. 413.
352 L. von Heinemann.
anno atque raense et translatio est sancti Dyonisii et obitus
cesaris Arnolfi. Cum ergo tenearaus translationis huius annum
centesimum quinquagesimum , attendamus quoque, quantum
Deo donante possimus, quid misterii salutaris numerus con-
tineat talis. Quia enim, ut scriptum est, nichil in terra sit
sine causa', credi oportet, hunc etiam annorum numerum tam
perfectum aliquam nobis miseris sancti Emraerammi cenobitis
et ex intimorum et extraneorum hostium afflictione per annos
multos iam contritis causam* salutis exprimere. Intimos autem
eos appello, qui nos interius, id est^ spiritualiter vel intra nos
positi seu etiam quicumque eiusdem propositi homines hostili-
tate aliqua nos impugnant, extraneos «= vero, qui in aliena,
hoc est in seculari^ vita degentes exterioris hominis subsidia
necessaria aufferre satagunt. Haec autem de presenti sancti
Dyonisii anno sunt notata.
12. Quid autem ex hoc possumus sentire, quod lapides
prescripti in® tam inopinato loco tamque antiquo muro occul-
tati et per tempora tanta minime ex eiusdem muri destructione
investigati in anno quoque hoc tam proxime post sancti pa-
troni nostri natah'cia studiose celebrata sunt inventi? Sed
michi videtur credibilius nutu dumtaxat divino pro corporis
tanto thesauro hactenus occultato et super negligentia posito
nunc autem revelando, eosdem lapides subito et factos et pro-
latos esse. Si enim ex industria humana descripti olim et in
muro absconditi dicantur, quomodo convenit, ut homo quilibet
iidelis rem tantam atque ^ veneratione maxima dignamS forte
ocultare potius quam monstrare conaretur, presertira cum
ille nesciret, si destructo quandoque muro eosdem lapides
homo aliquis inveniret, nisi forte spiritu prophetiae plenus
hie quod*" futurum erat ipse quoque presciverat. Quod vide-
licet, si ita est, nichilominus dico nutu factum divino. Quamvis
autem iuxta pravitatis meae intellectum dixerim, neutrum
tamen herum affirmare' presumo, sed occulto Dei iudicio
relinquens hoc solummodo affirmare queo, quia, sicut legitur
in ewangelio, discipulis duobus euntibus ad castellum Eraaus
evenisse, ut dominus lesus corporaliter loqueretur cum eis 2,
tamen, quia de illius resurrectione adhuc diffidebant et laudi-
bus dignis minus recolebant, non est agnitus ab eis, postquam
vero cum in hospitalitatis devotione utcumque exquirere cepe-
runt, presentiam ipsius agnoscere citius meruerunt: ita quo-
que nobis aliquatenus accidisse videtur. Nam cum sancti
Dyonisii corpus tam patres'' nostri quam nos ex antiquorum
a) causa c. b) idem c. c) extranes c. d) secularii c. e) vitam c.
f) quo c. g) digna c. h) quot c. i) queo quia sicut legitur in
ewangelio hinzugefügt, dann getilgt c. k) partes, später corr. patres c.
1) Vgl. lob. 5, 6. 2) Vgl. Luc. 24.
Die älteste Translatio des heil. Dionysius, 353
relatione fidelissima hie esse sciremus et tarnen ob negligen-
tiam seu propter obiectionem aliquorum invidentium vel igno-
rantium venerationem debitam ei impendere dubitaremus, nulla
translationis eins scripta, nulla agnitionis litteratoriae signa
dubitationi universae opponenda apparuerunt; quasi enim de
illo fuit ambigere, nullam ei venerationis certitudinem impen-
dere. Postquam vero, omni negligentia remota, venerari et
exquirere patrocinia eeperamus, confestim ea quae actenus
ocultata fuerant, in literis invenire merueramus, id est quis
esset et quando vel per quem huc translatus fuisset.
13. Ad haec igitur, cum apud nonnullos non tarn questio
quam affirmatio agitetur de hoc sancto Dyonisio, qui huc
translatus est Parisio , quod non sit Ariopagita, ideo scilicet
facile errantes, quia multi eiusdem nominis esse leguntur:
necessarium reor verbula aliqua hie adnectere, per quae sin-
gulorura differentiam lector prudens citius valeat agnoscere.
Quamvis enim abbas Hiltwinus epistolam copiosara de huius
sancti viri qualitate et differentia scripserit', nos tamen illis,
aput quos forte non habetur haec predicti abbatis prolixa
epistola, Domino annuente, breviter satisfacere conamur de
eodem Dyonisio, et hoc non ex aliquibus ignotis vel modernis,
sed ex antiquis et probatissimis sacrae scripturae auctoribus.
Igitur Djonisios quatuor in ecclesiastica Eusebii historia*
legimus, quorum etiam prinium in actibus apostolorum * in-
venimus. Hü quidem omnes celebres eximiique sanctae eccle-
siae doctores, sed tamen quidam eorum teraporum varietate
longe ab invicem distabant, quidam vero sub uno tempore
degebant. Primus namque Dyonisius Ariopagita, a loco, cui
aput Athenas preerat, diotus, Paulo apostolo predicante Athe-
niensibus, Claudii cesaris'' tempore conversus legitur, scriptura
ita dicente^: Qnidam viri adherentes ei crediderunt, in quihus
et Dyonisius Ariopagita et midier, nomine Damaris^ quae,
sicut in capitularibus actuum apostolorum * legitur, uxor eius-
dem ^ Dyonisii extitit. Et ut cognoscatur, sub quo cesare
talia gesta sint, scriptura subiung:it dicens^: eo quod prece-
pisset Clanditis discedere omnes Indeos a Roma. De eodem
quoque Dyonisio in tertio necnon in quarto ^ ecclesiasticae
historiae^ libro refertur. In tertii quidem capitulo quarto ita
invenies^: Memoratur autem ex comitihus Pauli Crescens
a) hyst. 'öfter c. b) cesarys c, c) wiederholt, aber dann ge-
tilgt c. d) legitur hinzugefügt, aher dann getilgt c.
1) Hiltwini Vita S. Dionysii, Mii^ne Patrol. Lat. CVI, col. 14—50.
2) Act. 17, 34. 3) Act. 18, 2. 4) Eusebii bist. eccl. III, 14; Migne
Patrol. Graeca XX, col. 221. Doch nahm der Verf. diese Stelle vielleicht
aus dem Briefe an Ludwig den Fr. in der Einleitung zur Vita S. Dio-
nysii Hiltwins, wo dasselbe Citat uns begegnet.
354 L. von Heinemann.
quidem ad Gallias esse profectiis, Linus^ vero et Clemens in
urbe Roma prefuisse ecclesiae, qui comites et adiutores eins
fuisse oh ipso Patdo perhibentur, sed et Dyonisium Ariopa-
gitam aput Athenas, quem Lucas describit primum. Pavlo
predicante credidisse, inter socios eins fuisse et ecclesiae
Atheniensium constat sacerdotium suscepisse. In quarti autem
libri capitulo vigesimo 111° de ipso Dyonisio reperies ', alte-
rum quendam Dyonisium, Chorinthiensera episcopum videlicet,
descripsisse hoc modo, quod Dyonisius Ariopagita, qui ab
apostolo Paulo instructus credidit Christo, primus aput Athenas
ab eodem apostolo episcopus fuerit ordinatus. Tertius autem
Dyonisius Alexandriae urbis episcopus et quartus eiusdem
nominis, qui pontifex Romanus, sub Galieno cesare post pre-
dictum Marcum quarto decimo ambo claruerunt. Quintus
etiam Dyonisius quidam abbas extitit, qui longo post pre-
dictos tempore sub lustiniano cesare damit.
14. Dyonisius namque Atheniensis, qui et Ariopagita,
ut pretermittam quod predictus Hiltwinus cum XX'' V an-
norum tunc esse, quando dominus et salvator noster cruci-
fixus est, in eiusdem Dyonisii epistola quadam ad Policarpum
Srairneorum episcopum scripta legisse semet testatur^, tarn
provectae etatis erat, quando apostolo Paulo conversus ad-
herere cepit, ut et uxore et civitatis suae principntu iam
potiretur. Huiusmodi quippe cura etate indiget admodum
raatura. Quod cum ita sit, computemus diligenter ab ipso
conversionis suae anno, qui Claudii nonus vel octavus ex-
titerat, usque ad Marci Antonini octavum annum, quo Dyoni-
sius Chorinthiensis claruisse describitur, et inveniemus paulo
minus [C'JXX'' annos. Nam licet annorum, quos ante con-
versionem habuit, numerus diffinitus ex actuum apostolorum
leetione minime comprehendatur, ex eo tarnen, ut dictum est,
non solum animi, sed etiam etatis ipsius maturitas intimatur,
quod et uxoratus et tantae civitatis iudex erat ita verendus,
ut Atheniensesc de sancti Pauli predicatione sine illo nichil
diffinivisse dicantur. Sic enim scriptum est 3: Et apprehensum
eum ad Ariopagum duxerunf. Haec autem indicia vel testi-
monia, quae sancti Dyonisii Ariopagitae necdum conversi eta-
tem provectam declarant, idoo diligenti et repetito sermone
demonstrare studemus, ut his, qui eundem Ariopagitam in
etate huiusmodi iam constitutum usque ad Marci Antonini
tempora perdurasse sub eoque in episcopatu Chorinthiensi cla-
a) Finus später corr. Linus c. b) fehlt c. c) Atheniensis später
corr. Athenienses c.
1) Eusebii bist. eccl. IV, c. 23; 1. c. XX, col. 383 sq. 2) Epist. Hil-
duini im Anfange der Vita S. Dionysii, Migne 1. c. col. 16. 3) Act. 17, 19.
Die älteste Translatio des heil. Dionysius. 355
ruisse contendunt, erroris* sui quantitatem coram oculis ex-
positam detegamus. Porro si haec eadem beati Lucae testi-
monia, quae licet sub incerto annorum numero, in provectiori
tarnen etate ante conversionem suara beatum Dyonisium ex-
titisse approbant, eonferre velimus verbis Hiltwini, quibus
eundem in die passionis dominicae XX'' V annorum fuisse
testatur, tune profecto, utriusque testimoniis nullatenus dis-
crepantibus, etatis illius numerum certissimum invenire pote-
rimus. Si** enira cuiuslibet etas ratione numeri explanati seu
aliquibus indiciis vel argumentis eircumstantibus matura asse-
ratur, nil dissonare videtur. Quapropter computantes ab ipso
dominicae passionis anno, qui, sicut leronimus scribit', Tyberii
cesaris octavus X"^ erat, usque ad Claudii octavuni vel nonum
annum, inveniemus absque dubio plus quam XV annos hoc
modo. Nam sub Tyberio, qui XX duobus regnavit, restant
quatuor. [Quatuor]'^ annos [sub Caligula] habes, qui similiter
iuncti octo faciunt. Hiis quoque si illos VIII Claudii annos
ante conversionem sancti Dyonisii transactos adieceris, XVI
annos habebis. Deinde nichilominus XVI ad XX'' V con-
numerans quadraginta unum invenies. Igitur annorum etas
tantorum in conversionis suae initio sancto inerat Dyonisio.
Quorum scilicet annorum numerus suprascriptis centum XX"
annis adiunctis plus quam centum LX'» explicat annos. Ergo
quicumque post tanta annorum curricula hominem quempiam
solummodo illa mundi etate prima in negotiis humanis, non
dico iam claruisse, sed interfuisse, tantum affirmare satagit,
rem nimirum ridiculo potius quam fide dignam asserere
videbitur.
15. Dyonisiorum quoque nullus nisi Ariopagita vitam
hanc martirio consummasse, sed nee sub beati Clementis papae
temporibus fuisse memoratur, quia idem Clemens apostolorum
contemporalis et discipulus, sicut Eusebius scribit^, quarto
quidem Domitiani anno apostolicae sedis apicem conscendit.
Sed cum in ea annos novem complevisset, sub Traiano ^, qui
Domitiano Nervaeque successit, qui longo ante Marcum An-
toninum Dyonisio Corinthiensi contemporalem regnavit, ex
hac vita per martirium subtractus est. Ecce, quanta inter
utrosque Dyonisios annorum distantia; ecce, quis eorum martir
necnon beato Clementi contemporalis fuisse describitur. Unde
palam datur intelligi, quia ab eodem demente nequaquam
a) errores c. b) Sine c. c) die Stelle ist völlig verderbt; das
Eingeklammerte habe ich dem Sinne entsprechend ergänzt. d) Troiano c.
1) Hieronymi Chr. ap. Migne Patrol. Lat. XXVII, col. 671. 2) Hist.
eccl. III, c. lö.
356 L. von Heinemann.
Dionisius alius, nisi qui sibi contemporalis extitit, in Galliam
missus est. Si autem pro eo, quod nee Eusebius neque leroni-
mus huius missionis vel passionis memoriam facit, scriptor
ignotus tamquam iure contempnendus obicitur, statira imper-
territus respondebo nee ignotum neque contempnendum rei
tantae scriptorem ideo esse, quia sanctissimura papam Gre-
gorium auetorera antiphonarii primum antiphonas quasdam
de eiusdem scriptoris historia nosco excerpsisse, in quibus
beatum Dyonisium et a sancto demente in Galliam missum
et ibidem passum fuisse modulando perhibet. Et ut ipsius
rei textum ostendara, antiphona quidem una missionem ex-
primens dicit': Sanctus Dyonisms, qui, tradente heato de-
mente Petri apostoli svccessore, verbi divini semina gentibits
parturienda susceperat. Alia^ autem sui sociorumque eius
passionem nichilorainus enarrans ait^: Beata nimium et Deo
nostro grata societas, inter quos nee primus alter potuit esse
nee tertius, sed trinitatem confitentes tunc ^ meruerunt deco-
rari martirio.
16. Itaque cum antiphonae prioris verba protuleris, pro-
fecto non quemvis dementem, sed illum, qui Petri apostoli
successor et discipulus erat, Dyonisium etiam non quemlibet,
sed sibi contemporalem, quem*^ utique nusquam alium nisi
Ariopagitam esse leges, ad Galliae gentes transmisisse com-
pulsus fateberis. Rursum cum subsequentis verba pronunctia-
veris, necesse est, si tamen fidelis qui [haeC^ narrat], eundem
Dyonisium, quod de nullo altero, nisi fallor, invenies, raartirii
finera subisse fatearis. Eaedem^ vero antiphonae non solum
in modernis, sed etiam in antiquis antiphonariis inveniuntur,
utpote ab huius carminis auctore proiatae. Ideoque quod
tantus ac talis vir scribit in suo carmine, nulli licet dubitare,
etiamsi ipsius historiae, de qua scriptum est, auctor ignoretur.
Non solum autem in carmine, sed etiam in homelia quadam
huius viri mentionem facit idem sanctus Gregorius ita scri-
bens: Fertur, inquit^, Dyonisms Ariopagita^ antiquus vide-
licet et venerahilis pater, dicere, quod ex minoribus anglorum
agminibns foris ad explendum ministeriuni vel visibiliter vel
invisibiliter mittuntur. Quem enim veneratione tanta anti-
quum siraul et venerabilem nominans scribit in sua omelia,
ambigendum minime videtur, quin eundem venerari conatus
fuisset in melodia. Sed esto, ut nequaquam ipse, quem dici-
a) Alii c. b) trium Migne. c) quid c. d) dies oder etwas
Aehnliches muss hier ausgefallen sein. e) Eadem c.
1) Gregorii Magni Liber Responsalis, Migne Patrol. Lat. LXXVIII,
col. 807. 2) Ibid. col. 808. 3) Homilia XXXIV, Migue Patrol.
Lat. LXXVI, col. 1252.
Die älteste T^anslatio des heil. Dionysius. 357
mus papa Gregorius, sed alter aliquis vel eius discipulus sub
antiquis degens temporibus autiphonas supradictas composuerit,
non tarnen idcirco vel ipsam vetustissimam passionis ex qua
excerptae sunt historiam ^ seu easdem antiphonas per semet
minus idoneas censemus, quia, quolibet auctore fuerint pro-
latae, per hoc quidem, quod ubique in saneta ecclesia absque
ulla falsitatis suspitione et reprehensione actenus legendo can-
tandoque constant frequentatae, amodo quoque retinendae
sunt pro maxima auctoritate. Quis ergo talis perfidiae tantae-
que temeritatis extat, ut, ubi scriptura sacra taliter concordat,
ibi nos errasse arguat, nisi forte aliquae retractiones et contro-
versiae scripturarum sanctarura robustiores habeantur apud
alios, quae lateant nos. Sed de hiis, ut arbitror, sufficienter
dictum.
17. Proinde et hoc dicendum puto, quia venerabilis Beda,
de quo erroris huius auctoritas maxime suborta videtur, licet
in aliis dictis suis doctor satis cautus existat, in explanatione
tamen actuum apostolorum de hoc Dyonisio Ariopagita, qui
per apostoli Pauli predicationem credidisse scribitur, ineaute
disputat asserens eundem Dyonisium Corinthiorum esse epi-
scopum 1. Cui scilicet assertioni non solum Eusebius in eccle-
siastica historia'-^ et sanctus leronimus in libro illustrium
virorum', sed etiam ipse Beda in sua cronica* contradicit,
cum eos secutus Dyonisium Corinthiensem episcopum Marco
Antonino contemporalem esse describit. Eadem quoque assertio
quam facile advertatur mendosa fore, supra diximus. Pro-
ferendum est et illud, quod in martyrologio quodam invenitur
scriptum, Ariopagitam scilicet Dyonisium sub Adriano cesare
fuisse passum*, ubi necesse est fateri, aut falsum esse, quod
sanctus Gregorius Deo hominibusque notissimus et antiquiori-
bus scripturis consentiens scribit, seu quod ille scriptor ignotus
sacraeque scripturae contrarius dicit. Ceterum nos in tam
scrupulosa et diversa re viam regiam incedere cupientes, cer-
tiori tam in hac quam in omnibus controversiis auctori cre-
dendum esse non ambigimus. Alioquin si hoc ita foret, ut
iuxta illum scriptorem ignotum Dyonisius Ariopagita, qui erat
inter ceteros huius nominis primus, sub Adriano cesare mar-
tirizaretur, nullus profecto Dyonisiorum a beato demente papa
in Galliam mitteretur, utpote qui longo ante omnes, excepto
a) hyst. c.
1) Bedae Expos. Act. apost. c. 17, Migne Patrol. Lat. XCII, col. 981.
Doch nahm der Verf. vielleicht auch diese Stelle aus Hilduiiis Brief an
Ludwig- den Fr. c. 8, Migne 1. c. col. 17. 2) Li. c. oben p. 353.
3) C. 27, Migne Patrol. Lat. XXIII, col. 645. 4) Die Stelle habe ich
nicht gefunden. 5) Cf. Epist. Hilduini c. 8, 1. c. col. 19.
358 L. von Heinemann,
Ariopagita, ex hac vita secessit. Inter haec etiam attendere
oportet, quoniam uterque, Beda videlicet et ille ignotus mar-
tyrologii scriptor, non solum auctoribus aliis, sed etiam sibi-
met ipsis in assertionibus suis discordant, Nam de uno
eodemque Dyonisio Ariopagita scribentes, alter quidem eum
sub Marco Antonino Corinthiensera episcopura fuisse pro-
nunctiat, alter vero longe ante ipsius Marci® tempora sub
Adriano passum esse enarrat. Ex quorura narrationis dis-
cordia aperte monstratur, neutrura in hac sententia creden-
dum, sed potius hiis, qui nullatenus sibi discordantes Dyoni-
sium Ariopagitam beato Clementi papa contemporalem ab eo
ad Galliarum gentes transmissum fuisse describunt''. Unde
quia iuxta veritatis vocem » in ore duornm vel trium testium
stahit omne verhum, haec quoque dicta nostra trium saneto-
rum patrum, id est Lucae, Eusebii et Gregorii, testimoniis
sufticiant esse coraprobata. Quod si quis forsitan ista reprehen-
dens robustiora denionstraverit testimonia, eum«' libentissime
auseultabimus et consentientes gratanter fidem accommodabi-
mus. Interim vero, donec illa proferantur, liceat precamur
absque afflictu nos credere atque fateri, quoniam illum pri-
mum Dyonisium, Atheniensem scilicet episcopum, quem a
beato demente in Galliam missum esse attestamur, non im-
merito post translationem exinde factam pro patrono vene-
ramur.
II.
1052, Oetober 7. Regensburg.
Kaiser Heinrich III. bekundet, dass in seiner und vieler
Fürsten Gegenwart Papst Leo IX. den Streit über die Reli-
quien des heil. Dionysius zu Gunsten des St. Emmerams-
klosters zu Regensburg entschieden habe, nachdem er sich
von der Existenz der Gebeine des Heiligen in jenem Kloster
überzeugt hatte.
Heinricus Dei gracia Romanorum imperator et semper
augustus regibus, archyepiscopis , episcopis, abbatibus, duci-
bus, marchyonibus, comitibus ac baronibus universisque Roma*
norum subiectis atque devotis imperio graciam suam et omne
bonum.
Quamvis sanctorum et amicorum Dei subsidia, ubicumque
sollicite requirantur, fidelibus nusquam desixit, ibi tarnen eia-
dem eadem specialius et creduntur pariter et sperantur ad-
a) Marcy c. b) describitur c. c) i c.
1) Deut. 19, 15.
Die älteste Translatio des heil. Dionysius. 359
esse, ubi eorura ossa sacrata vel corpora requiescunt, que
sibi reddenda in die novissimo beata inmortalitate vestita
felici exspectatione ac desiderio prestolantur, ut purissimis
animabus aliquando caro eadem societur in tructu mercedis, •
qui in huius vite laboribus ut inmeritum obediens et mini-
sterium illis prebuit et iuvamen: nimirum ista credentes, loca,
in qiiibus sanctissiiuas locaverunt exuvias, et devota visita-
cione requirimus et celebri studio veneramur, ut illorum pia
memoria sanctitatis afFectum amplius et perteccius igniat et
inflammet et nostri cordis ignaviam prorsus excuciat et tor-
porem, tantoque benigna eorum exaudicione nos faciat dignio-
i*es, quanto iervencior estus atque instancia fuerit invocandi.
Hec nos idcirco dixisse noveritis, quia cum doctrinarum ac
meritorum beatissimi patris Ariopagite Macharii Dyonisii nos
tam fama quam leccio permovisset^ ut corpus eins sanctum
ac venerabile ^, ubicumque locorum id esse constaret, honorare,
requirere, venerari studiosissime flagraremus, disponente Deo,
perutilis, sicut exitus demonstravit, super eodem corpore nobis
obstitit ambiguitas, cum Franci id se babere constanter asse-
rerent, ßatispona vero precipua et principalis urbs urbium
Noricarum cum incolis suis constancius testaretur, dictum cor-
pus per illustrem Arnoltum quondam imperatorem translatum
ex Francia in ecclesia sanctissimi martiris Emmerami esse
depositum. Quam quidem Serenissimus Karolus Magnus, proa-
vus scilicet eiusdem Arnolti", ad honorem principis apostolo-
rum ac martiris memorati regali sumptu ac liberalitate fun-
davit, imperiali eandem donacione sublimans atque inmediate
apostolice sedis eam regimini subiciens et tutele, statuens
illam sedis episcopalis in urbe iam dicta sociam esse perpe-
tuam et sororem ac paribus privilegiorum honoribus coequari.
Cum igitur hec'= scrupulosa dubietas diutina nos hesitacione
suspenderet ac pro neutra parcium sineret diftiuire, nos hoc
incertum ulterius non ferentes divinitus inspirati sanctissimum
papani Leonem nonum ad rei discussionem atque ad litem
hanc evocavimus terminandam. Qui nostris peticionibus se
inclinans uecnon et errori compaciens ovium creditarum boni*^
pastoris exemplo, ad urbem Katisponensium nobiscum acce-
dere non despexit, translatoque corpore beati Wolfgangi epi-
scopi civitatis eiusdem, aliisque omnibus, quorum gracia venerat,
rite dispositis, ad nodum memorate dubietatis tinaliter dissol-
vendum diligenti scrutinio vertebatur. Nobis igitur multisque
presentibus archyepiscopis, episcopis ac abbatibus aliisque pre-
latis ecclesiarum velud alter Salomon inter Francie Ratis-
poneque discordiam scrupulosam tamquam mulieribus super
filio litigantes verus et medius arbiter intersedit reique omni-
a) veneiabilem corr. venerabile c. h) Arnolfii c. c) hoc c.
d) boae c.
360 L. von Heinemann,
modam veritatem omni qua debuit dilygencia provestigans,
beati Dyonisii ossa venerabilia intra beatissimi Emmerammi
ecclesiam pretaxatam infallibiliter comperit integraliter con-
tineri, perque Francorum legatos, qui et ipsi omnibus hiis
presentes intererant ac oculotenus aspexerant veritatem, toti
rem gestam Francie promulgavit, omne^ ambiguum eradi-
cans. Nos quoque pre gaudio lacrimantes tarn papaliter quam
fideliter hortabatur, ut imperiales super hoc nostre epistoie in
oranem Germanie terram exirent et in fines eiusdem apostolice
diffinicionis litere mitterentur et verba, quatenus omnes Ale-
mannigene tante gracie se exhibeant non ingratos, sed voce
simul et corde tripudiantes, apostoli Pauli discipulum et here-
dem intra se invenisse se gaudeant et exulteut eiusque cor-
poris sacras venerandasque reliquias cum spiritu humilitatis
animo contrito, visitacione devota non desinant frequentare ab
uno precipuoque de fontibus salvatoris aquas gracie salutaris
in gaudio haurituri. Quod nos quoque diligencius exequentes
universitatem vestram monemus attencius et hortamur, ut non
in vacuum graciam Dei recipiatis, sed Gallorum apostolum
ac doctorem, quibus illum vivura habere concessum est, Ger-
mania nostra recipiat vel defunctum eiusque intra se ossa
gaudeat conf'overi, quem habere se socium et concivem omnis
sanctorum in celis exercitus gratulatur.
P'acta vero est determinacio ista de iam dictis anno ab
incarnacione domini nostri Icsu Christi ÄILIP, presentibus
Beidingo luvavensis ecclesie archyepiscopo, Dominico patri-
archa de Venecia, Humberto sancte Kuline^ ecclesie episcopo,
Otkero Perusine ecclesie episcopo, Gebhardo Katisponensis
ecclesie episcopo. Severe Bragensi episcopo; indiccione quinta,
nonas Octobris, in ecclesia sancti Emmerammi Ratispone'.
Die Zeugenreihe dieser gefälschten Urkunde stimmt im
Wesentlichen überein mit den Angaben in den Notis S. Em-
merammi saec. XII, SS. XVII, p. 572: 'Anno ab Incarna-
tione Domini 1052. dompno papa Leone nono et Beidingo
luvavensis ecclesie archiepiscopo aliisque episcopis, Gebe-
hardo scilicet Ratisponensis aecciesiae antistite et Severo
Pragensis ecclesiae episcopo et Humperto sanctae Rufinae
ecclesiae presule et Otkero Perusine ecclesie episcopo et
Gebehardo Eistetensis ecclesiae, qui postea papa effectus
est, episcopo simulque patriarcha Dominico Gradensis ecclesie
presentibus et imperatore Heinrico tercio translatum est
corpus sancti Wolfgangi'; und noch genauer mit Auct.
Ekkeh. Altah., SS. XVII, p. 364: '. . presentibus Beidingo
luvavensis ecclesie archiepiscopo et Dominico patriarcha
a) cotenoe c. b) Rosine c.
Die älteste Translatio des heil. Dionysius. 361
de Venetiis et Gebhardo Ratisponensi, Humperto sancte
Rufine ecclesie, Otkero Perusine ecclesie, Severe Pragensi,
Gebhardo Aureatensi episcopo, presente etiam serenissirao
imperatore Heinrico tercio'. — Ob aber ein directer oder
indirecter Zusammenhang zwischen diesen Notizen und
unserer Fälschung vorliegt, das lässt sich schwer feststellen.
Das Plus, welches sowohl die Notae als Auct. Ekk. Altah.
vor der Zeugenreihe der Fälschung voraus haben, scheint
eine Entlehnung jener Namen aus der Zeugenreihe der ge-
fälschten Urkunde von Seiten der genannten Autoren aus-
zuschliessen. Doch können alle drei Quellen auf eine
Translationsnotiz, die in St. Emmeram aufgezeichnet wurde,
zurückgehen.
Neues Archiv etc. XV. 24
IX.
Die Purpurarlmnde Konrad III.
für Gorvei.
Von
P. Rehr.
24'
Die Purpururkunden der deutschen Kaiser sind neuerdings
Gegenstand erhöhten Interesses geworden, seit Th. von Sickel
in seiner Abhandlung über das Privilegium Otto I. für die
Römische Kirche vom J. 962 das älteste und wichtigste der
uns erhaltenen Exemplare untersucht und die Frage, ob das-
selbe als ein aus der Kanzlei hervorgegangenes Präcept gelten
könne, entschieden verneint hat. Hatte schon Watten bach
(Schriftwesen '^ S. 216) darauf hingewiesen, dass solche Pracht-
stücke nicht eigentlich aus der kaiserlichen Kanzlei hervor-
gegangen seien, welche dazu wohl gar nicht befähigt war,
so hat Sickel das von Neuem betont. Indem er ferner bezüg-
lich der beiden Purpururkunden der ottonischen Zeit, des Pri-
vilegs Otto I. für die Römische Kirche und der Dotalurkunde
Otto II. für seine Gemahlin Theophanu, in der That hierfür
den Beweis erbrachte, hat er aus diesen Ergebnissen des
Weiteren geschlossen, dass auch in den folgenden Jahrhun-
derten diejenigen, welche Diplome in Goldschrift zu haben
wünschten, sich ihrer eigenen Kalligraphen bedient haben'.
Aber gegen dieses von Sickel gewonnene Resultat ist ein
Widerspruch erhoben worden. Während Sickel mit Recht
verlangte, dass die Entstehung dieser Purpururkunden von
Fall zu Fall zu untersuchen sei und dass die Frage, ob sie
Elaborate der Kanzlei seien oder nicht, nur durch die Fest-
stellung ihres Verhältnisses zu den gleichzeitigen Präcepten
beantwortet werden könne, hat von Pflugk- Harttung eine
Theorie aufgestellt, welciie in diesen wenigen durch drei Jahr-
hunderte verstreuten Prachturkunden eine eigene von Laien,
zumal von den Kaisern und den süditalienischen Fürsten an-
gewandte Urkundengruppe erblickt und welche aus gewissen
zufälligen Uebereinstiramungen folgert, dass sie sammt und
ßonders aus der kaiserlichen Kanzlei hervorgegangen seien'.
Für Jeden, der mit dem Urkundenwesen der Ottonen
vertraut ist, kann über den Werth jener Pflugk -Harttungschen
Theorie, insofern sie die beiden Ottonischen Purpururkunden
1) Privilegium Otto I. S. 10. 2) Das Privilegium Otto I. für die
Römische Kirche, Forschungen zur Deutschen Geschichte XXIV, S. 567
—581.
366 P. Kehr.
betrifft, kein Zweifel bestehen, und es ist in der That, nach-
dem Sickel selbst diese neue Lehre von den Purpururkunden
als haltlos zurückgewiesen hat', kein Grund vorhanden, noch
einmal auf diese Frage zurückzukommen. Dagegen hat bis-
her noch nicht festgestellt werden können, welche Bewandtnis
es mit den beiden späteren uns erhaltenen Purpururkunden,,
der Lothar IIL für Stablo (Stumpf, Reg. 3353) und der Kon-
rad in. für Corvei (Stumpf, Reg. 3543), habe, ob dieselben
aus der Kanzlei hervorgegangen seien oder nicht ^.
Um eine solche Untersuchung anstellen zu können, be-
dürfte es einer umfassenden Vergleichung der Schrift in diesen
beiden Prachtstücken mit der in den gleichzeitigen Präcepten
Lothars und Konrads, Dieser Aufgabe, so erwünscht ihre
Lösung auch wäre, um die letzten Zweifel über die Unrichtig-
keit der Theorie v. Pflugk-Harttungs zu beseitigen, habe ich
mich leider nicht unterziehen können. Doch glaube ich,
wenigstens was die Urkunde Konrad IIL anlangt, aus inneren
Gründen wahrscheinlich machen zu können, dass sie schwer-
lich aus der Kanzlei hervorgegangen ist. Indem ich die
inneren Merkmale dieser Urkunde untersuchte und ihrer Ent-
stehung sowie ihrem Verhältnis zu den gleichzeitigen Prä-
cepten Konrad III. nachging, ward mir nicht allein wahr-
scheinlich, dass jene lediglich ein Duplicat sei; ich erkannte
ausserdem, dass es mit den Urkunden Konrad III. für Corvei
überhaupt besondere Bewandtnis habe und dass sie ein für
den Diplomatiker sehr lehrreiches Beispiel anomaler oder
wenigstens nicht gewöhnlicher Beurkundung darböten. Und
da sie auch sonst für die Geschichte Wibalds nicht ohne
Interesse sind, glaube ich hier den Sachverhalt kurz darlegen
zu sollen.
Ueberdies ist, was v. Pflugk-Harttung über unser Diplom
bemerkt 3, unzureichend. Auch die anderen neueren Benutzer
desselben haben so gut wie nichts für die Kritik desselben
gethan und sind in der Erkenntnis der wirklichen Sachlage
weit hinter den älteren Herausgebern zurückgeblieben.
Es handelt sich um eine Schenkung Konrad III. an Corvei,
welche in inhaltlich verschiedener Ausdehnung und in ver-
schiedenen Ausfertigungen vorliegt. In der einen Urkunde
schenkt Konrad die beiden Reichsklöster Kemnade und Fisch-
beck (Stumpf, Reg. 3544, welche Urkunde ich mit A bezeich-
nen will), in der anderen ist nur von der Schenkung von
Kemnade an Corvei die Rede (Stumpf, Reg. 3543 ^ B). Ab-
gesehen von anderen Abweichungen, auf welche ich noch
1) Bella diplomatica ohne Ende? in Mitth. des österr. Institut»
VI, S. 325—374; insbesondere S. 366 ff. 2) Vgl. auch Bresslau, ür-
kuüdenlehre I, S. 903. 3) Forschungen XXIV, S. 575.
l
Die Purpururkunde Konrad in. für Corvei. 367
später werde eingehen müssen, ist B, welches übrigens ganz
die gleichen Daten wie A trägt, demnach die Schenkung
minderen Inhalts. Aber gerade diese geringere Schenkung ist
in mehrfachen Ausfertigungen auf uns gekommen und ist durch
Purpur und Gold verewigt worden. Hat man aber früher die
sehr bedeutenden Abweichungen und Differenzen zwischen A
und B wohl beachtet, wenn auch nicht zu erklären gewusst,
so hat sich keiner der Neueren bemüssigt gefunden, dieser
Frage näher zu treten. Meint Bernhardi: 'Beide Diplome
(St. 3543 und 3544) sind im Wesentlichen gleichlautend' ', so
können wir uns nur über seine Auffassung von Wesentlichem
und Unwesentlichem verwundern, denn wir finden, dass die
beiden Urkunden gerade im Wesentlichen zweien. Auch der
neueste Herausgeber Phihppi* hat die beiden Diplome so
unübersichtlich abgedruckt, dass der Benutzer mehr verwirrt
als aufgeklärt wird und gut thut, sich in den älteren Aus-
gaben zu orientieren 3. Dagegen hatte schon Baring, der nur
ß kannte und von A nur durch den Druck bei Schaten
wusste, an den Abweichungen der beiden Diplome von ein-
ander so sehr Anstoss genommen, dass er Schaten vorwarf:
'videtur illum studio omisisse ea quae fortasse pro praesenti
rerum statu minus grata fuerunt'*. Und ähnlich urtheilte
1) Jahrbücher der Deutschen Geschichte. Konrad III. S. 557 Anm. 53.
2) Die Kaiserurkunden der Prov. Westfalen II, 302 n. 225. Obendrein
hat Philipp! an den Kopf dieses Diploms ein Regest gesetzt, das die
Verwirrung noch erhöht. Er redet von einer Privilegienbestätigung der
Klöster Corvei und Herford, aber in der Urkunde ist weder von einer
Privilegienbestätigung noch von Herford die Rede. 3) Ich führe daher
die Drucke hier an: Stumpf, Reg. 3544 = A (Originaldiplom im k. Geh.
Staatsarchiv zu Berlin): Schaten, Ann. Paderbr. ed. 1, I, 177 aus Orig. =
ed. 2, II, 536 = Paullini, Hist. Visbecc. 61 — Lünig, RA. XVIIP, 91
aus Orig. — Martene, Coli. II, 602 aus Orig. — Falke, Cod. trad. Corb.
906 n. 410 aus Orig. — Chron. Gotwic. I, 345 Facsimilefragment.
Stumpf, Reg. 3543 = B (Originaldiplom im k. Staatsarchiv zu Berlin (B ');
Fragment einer zweiten Ausfertigung ebenda (ß*); Ausfertigung auf Pur-
purpergament mit Goldschrift ebenda (B 3), so nach Stumpf, während
H. Hofrath von Sickel, welcher seiner Zeit in Berlin eine Untersuchung
dieser Exemplare anstellen wollte, die Güte hatte mir mitzutheilen, dass
sich zur Zeit bloss die Purpururkunde im Berliner Staatsarchiv befände):
Paullini, Hist. Visbecc. 57 aus B^ = Paullini, Diss. hist. 104. — Lünig,
RA. XIX, 908 n. 4 aus B». — Ludewig, Rel. VII, 511 n. 50 aus B 3.
— Baring, Clavis dipl. 25 aus Abschrift und CoUation. — Falke, Cod.
trad. Corb. 907 n. 411 aus B'. — Erhard, CD. Westf. II, 46 n. 259
aus B' mit den Varianten von A. — v. Heinemann, CD. Anhalt. I, 248
n. 332 aus B ». — Wilmans, Westf. KU. 11, 302 n. 225 aus B^ mit den
Varianten von A und B^. 4) In der That hat in der Mitte des 18 Jh.
zwischen Braunschweig und Corvei wegen Kemnade ein bis in den An-
fang des 17. Jh. hinaufreichender Prozess gespielt, in dem Job. Stephan
Pütter gegen eine Corveyache Deduction von 1765: Gründlicher Unter-
368 P. Kehr.
V. Wersebe (Ueber die niederländischen Colonien II, S. 534),
der in einer sehr ausführlichen Anmerkung die Echtheit unserer
Urkunden angreift: 'Ueberhaupt können diese zwei Urkunden
als an einem Tage ausgefertigte OriginaHen nicht wohl be-
stehen''.
In der That ergeben die Abweichungen der Texte der
beiden Urkunden A und B, abgesehen von dem verschiedenen
Umfange der Schenkung, dass sie unmöglich zu gleicher Zeit
ausgestellt sein können, obwohl sie mit gleichen Daten ver-
sehen sind. An drei Stellen zeigt nämlich ß Bestimmungen
und Zusätze, welche zum Theile dem Wortlaute in A zuwider-
laufen oder ihm fehlen.
Zunächst weichen die beiden Texte in der Bestimmung
ab, welche die Pflichten Corveis an das Reich regelt. Wäh-
rend es in A heisst: 'Sane ad prefata duo loca (Kerainada et
Visbike'; in B: 'Sane de prefato loco sc. Keminada) neque
milicia neque ullum servitium nobis aut regno debebatur et
quoniam Corbeiensi monasterio tam in milicia quam in ser-
vitio ad honorem regni et defensionem sanct^ ecclesi^ dignitas
coUata est, nos iudicio principum ad coron^ nostr§
augmentum, sicut prescriptum est, manere dece mi-
ni us' — ist in B der gesperrt gedruckte Nachsatz wie folgt
verändert: 'ex con sensu fratrum et ministerialium
ipsius ^ccclesi^ statu iraus, utproaugmento prefati
monasterii, quod ecclesi^ Corbeiensi in perpetu am
possessionem tradidimus, ad debitum regis servi-
tium VI marc^ aut servitium VI marcarum regno
de abbatia Corbeiensi persolvantur. Atque hanc
nostr^ auctoritatis donationem ex iudicio princi-
pum regni nos tri, sicut prescriptum est, manere in
Perpetuum decernimus'. Offenbar wird in B das völlige
Gregentheil der in A getroffenen Bestimmung angeordnet. In
A wird bestimmt, dass Corvei auch nach der Unterwerfung
von Kemnade imd Fischbeck unter dasselbe in dem alten Ver-
hältnisse zum Reiche bleiben solle, dass also durch die Schen-
kung die Lasten Corveis in keiner Weise vermehrt werden
sollten; in ß wh'd dagegen Corvei zur Zahlung einer be-
stimmten Geldsumme verpflichtet. Wie will man einen solchen
rieht über die hochfürstlich Corveyische Gerechtsame auf Kemnaden u. s.w.
(Höxter 1765 in fol.) im braunschweigischen Auftrage eine Schrift hat
erscheinen lassen: Ungrund der Corveyischen Ansprüche auf das ehe-
malige Kloster Kemnade u. s. w. (Braunschweig 1769), auch in Pütters
Rechtsfälle II*», S. 277—307, ebenda S. 307—326 auch eine Sextuplik
an das Kammergericht aus Pütters Feder. Die Corveysche Deduction
habe ich leider nicht einsehen und feststellen können, ob auch auf unser
Diplom darin Rücksicht genommen igt. 1) Im Uebrigen sind seine
Einwendungen belanglos.
Die Purpururkunde Konrad III. für Corvei. 369
Widerspruch bei der Annahme gleichzeitiger Ausfertigungen
erklären?
Doch bevor ich auf diese Frage eingehe, erledige ich die
beiden andern Zusätze. In A heisst es: — 'quoniam sepe
nominata monasteria Keminada et Visbeke non iam mona-
steria, sed Omnibus pretereuntibus viam in peccatis communia,
corrigi post multos labores non potuerunt et quoniam Cor-
beiensi monasterio vicina sunt' — dagegen wird in B, indem
natürlich überall statt der beiden Klöster nur Kemnade ge-
nannt wird, vor das zweite 'et quoniam' eingeschoben: 'si qui-
dem multis religiosis et precipue Mindensi epi-
scopOjincuiusparrochiasitumest, idem monaste-
rium iianc operam iniunxeramus, ut inibi divina
religio et sacr^ conversationis cultus instituere-
turetrite observaretur' — . Von Beziehungen des Königs
zum Bischof von Minden, dem Diözesanbischof von Kemnade
beluifs Reorganisation desselben vor dem J. 1147 wissen wir
nichts. Vor allem aber, warum fehlt dieser Zusatz in A?
Dass diese Einschaltung keine zufällige sein kann, sondern
sich auf ganz bestimmte Verhältnisse und Ereignisse beziehen
muss, liegt auf der Hand. Ist demnach an Gleichzeitigkeit
der beiden Schenkungsurkunden nicht zu denken^ so taucht
die Frage auf, wann die mit diesen Zusätzen versehene Ur-
kunde entstanden ist.
Vor deren Beantwortung erwähnen wir noch den dritten
und wichtigsten Zusatz. In der zweiten Hälfte von B findet
sich folgender selbständiger Satz eingeschoben, welcher in A
gänzlich fehlt: 'Advocatiam vero sepe fati loci, id
est Keminada, et omnium prediorum ibidem per-
tinentium, quam vir illustrisHeinricusduxSaxo-
ni§ a nostra et predecessorum nostrorum, regum
videlicet seu imperatorum, manu habuerat, tra-
didimus iam dicto Corbeiensi monasterio nee non
prenominato abbati Wiboldo suisque successori-
bus canonice et regula riter ordinatis in perpe-
tuum, ipso duce consentiente et annuente et ean-
dem advocatiam de manu ipsius abbatis^ hominio
prius ei cum iuramento fidelitatis propter id
ipsum facto, sponte et [ultro] recipiente'. Von der
Vogtei aber ist in A überhaupt nirgends die Rede.
Um den Nachweis zu führen, dass in der That zwischen
der Ausfertigung der beiden Urkunden A und B geraume Zeit
felegen, dass ferner ganz bestimmte Ereignisse zur Aufnahme
er eben angeführten Zusätze in ß veranlasst haben, dass
endlich A das frühere und B das spätere Diplom ist, muss
ich auf die Geschichte der Beurkundung, über weL he uns der
gleichzeitige Bericht des Chronographus Corbeiensis und die
370 P. Kehr.
Briefe des Abtes Wibald (ed. JafFe, Monumenta Corbeiensia)
unterrichten, zurückgreifen.
Vielleicht würde eine paläographische Untersuchung dieser
Urkunden auf kürzerem AVege diesen Nachweis erbringen
können, wenn sie zu erweisen vermöchte, dass der Ingrossator
von St. 3543 im Jahre 1147 noch nicht in der Kanzlei thätig
war. Aber bisher steht nur fest, dass A und ß von ver-
schiedenen Männern geschrieben sind (nach Philippi, Westf.
KU. II, S. 306). Ich glaube diesen Umstand besonders hervor-
heben zu sollen, da er indirect meine Beweisführung unter-
stützt. Denn es ist immerhin auffallend, dass zwei für den-
selben Empfänger bestimmte Urkunden, welche am gleichen
Tage ausgestellt sein sollen, von verschiedenen Ingrossatoren
mundiert worden sind.
Wenn nun meine Annahme, welche ich im Folgenden zu
erweisen versuche, dass die beiden Urkunden trotz der gleichen
Daten nicht gleichzeitig sein können, dass vielmehr B später
als A entstanden sein muss, richtig ist, so könnte B nur als
Neuausfertigung erklärt werden. In der That sind die
Fälle, in denen die Kanzlei dem gleichen Empfänger zwei
oder mehrere inhaltlich verschiedene Ausfertigvmgen einer und
derselben Schenkung oder Verleihung hat zukommen lassen,
nicht selten. Dass sie der späteren Urkunde dann die Datie-
rung der älteren gab, die jüngere also rückdatierte, lässt sich
auch sonst als dem Brauche der Kanzlei nicht widersprechend
mit Beispielen belegen ». In der Regel war allerdings der
Grund zu einer Neuausfertigung, dass in dieser über die erste
Urkunde hinausgehende Rechte verliehen wurden. In unserem
Falle verhält es sich freilich umgekehrt, die Neuausfertigung
B hat nicht eine Besserung des ursprünglichen Präcepts A,
sondern eine Minderung zum Inhalt.
Der Chronographus Corbeiensis (Jaffe S. 54 ff.) erzählt,
dass Abt Wibald Ende Januar 1147 in Fulda beim Könige
die von den Corveiern längst gewünschte Schenkung der beiden
Reichsklöster Kemnade und Fischbeck durchsetzte. Doch han-
delte es sich zunächst nur um einen vorläufigen Akt, indem
der König die rechtskräftige Beurkundung auf den Tag zu
Frankfurt, welcher Mitte März die deutschen Fürsten um den
König versammeln sollte, verschob. Der Vorakt selbst bestand
in der Belehnung per anulum^.
1) Vgl. Ficker, Beiträge zur Urkundenlehre I, S. 179 ff. Bresslau,
Urkundenlehre I, S. 664 ff. — • Als besonders lehrreiche Beispiele führe
ich, ausser den von Bresslau erwähnten, DDO. I. 241* und 241b und
DDO. IL 35a und 35b an. 2) Chron. Corb. S, 55: 'abbaciolas duas
Kymenaden et ei vicinam Visbike coucessit ac per anulum gemmario
lapide condecorosum ad nos transmisit'. Auf dem Tag zu Frankfurt,
berichtet der Chron. S. 59 : 'iterabant ergo reges hanc tradicionem per
Die Purpururkunde Konrad III. für Corvei. 371
Jedoch der Ausführung der Schenkung stellten sich mannich-
fache Hindernisse entgegen. Zwar gelang es Wibald noch vor
dem Frankfurter Tag auf Grund eines königlichen Mandates,
das ein Gesandter Konrads überbrachte, von Kemnade Besitz
zu nehmen. Dagegen vereitelten die Ministerialen des Herzogs
Heinrich von Sachsen und des Grafen Adolf von Schauenburg
Wibalds Versuch, sich auch in Fischbeck festzusetzen.
Günstiger gestalteten sich für Wibald die Dinge in Frank-
furt. Die Fürsten stimmten bis auf Graf Adolf von Schauen-
burg dem Plane des Königs zu; das Fürstengericht entschied,
dass kleinere Reichsklöster, Avelche dem Reiche nichts zu
leisten hätten, rechtmässig einem grösseren Reichskloster ver-
liehen werden könnten, und so ward bestimmt, dass durch die
Schenkung der beiden Reichsklöster an Corvei das Pflicht-
verhältnis desselben zum Reiche unverändert bleiben und dem-
selben durch die Vergrösserung keine neuen Lasten entstehen
sollten 1.
So ward die Schenkung trotz der Intriguen der abgesetzten
Aebtissin von Kemnade und trotz des Widerstandes ihres Ver-
wandten, des Grafen Adolf von Schauenburg, vollzogen. Die
Schenkungsurkunde selbst beschreibt ausführlich den Akt der
Uebergabe ^. Sie trägt die Daten : 'Actum anno dominic^ in-
carnationis MCXLVII, indictione X, anno vero domni Cuon-
radi secundi regis invictissimi VHH; data Frank enewort ; in
Christo feliciter amen^.
anulum'. Ausführlicher noch berichtet die Schenkungsurkunde selbst über
den Akt der Uebergabe: 'de nostro atque regni iure — transegimus et
firmavimus super reliquias corporis s. Viti m. per aureum donationi»
nostrae anulum'. 1) Chron. S. 58: ' — si posseut dari legitime cellule
regales regali et maiori ecclesie, de qua et regnum sumeret nonnuUa
obsequia, cum et de minoribus preter nominis solam gloriam nulla pro-
venirent regno profutura'. Der lückenhafte Bericht des Chronographus
deutet die Entscheidung des Fürstengerichtes nur an, dagegen belehrt
uns die Urkunde A selbst über dieselbe : 'Sane ad prefata duo loca ne-
que milicia neque ullum servitium nobis aut regno debebatur et quoniam
Corbeiensi monasterio tarn in milicia quam in servitio ad honorem regni
et defensionem sanctae ecclesiae dignitas collata est, nos iudicio princi-
pum ad coronae nostrae augmentum, sicut prescriptum est, manere de-
cernimus'. 2) Ganz analoge Vorgänge finden sich auch bei andern
Schenkungsurkunden an Bischöfe oder Aebte. Ich verweise auf St. 3392
(Beyer, Mittelrhein. ÜB. I, S. 565), St. 3571 (Origin. Guelf. III, S. 438
nr. 16), St. 3681 (Mon. Boica XXIXa, S. 311 nr. 485), St. 4075 (Heine-
mann, CD. Anhalt. I, S. 360 nr. 497). Vgl. auch Bresslau, Urkunden-
lehre I, S. 699. 3) Auffallend ist die Umstellung des actum und data
in A, während in B die übliche Reihenfolge hergestellt ist (vgl. Ficker»
Beitr. I, S. 155). Auch die Zahl der Königsjahre IX statt X ist be-
merkenswerth, da die gleichzeitigen Präcepte für Corvei resp. Herford
(St. 3541, 3542) die richtige X aufweisen. Möglicherweise deuten beide
Anomalien auf die bereits Ende Januar zu Fulda ßtattgefundene Hand-
lung hin.
372 P. Kehr.
Die Uebereinstimmung des Berichtes des Chronographus
mit dem Inhalte von A verbürgt, dass diese die ursprüngliche,
Mitte ]\Iärz 1147 zu Frankfurt ausgestellte Urkunde ist. Von
Kemnade allein ist nirgends die Rede. Ist somit die nur die
Schenkung von Kemnade enthaltende Urkunde B zweifellos
die spätere, so entsteht die Frage, welcher Zeit und Avelchen
Verhältnissen diese ihre Entstehung verdankt. Darüber giebt
freilich der Chronographus, der bald darauf in seinem Bericht
abbricht, ohne noch einmal auf diese Verhältnisse zurück-
zukommen und den weiteren Verlauf der Dinge anzudeuten,
keine Auskunft. Aber er giebt uns noch einige für die Stel-
lung Heinrichs des Löwen zu dieser Frage werthvolle Auf-
schlüsse, welche für die spätere Entwickelung sehr wichtig sind.
Herzog Heinrich, welcher vom Reiche die Obervogtei
über Kemnade und Fischbeck innehatte, scheint mit der In-
corporation der beiden Klöster nicht einverstanden gcAvesen
zu sein. Schon als Wibald sich nach der Abmachung von
Fulda in Kemnade und Fischbeck festzusetzen versuchte,
setzten ihm die Ministerialen des Herzogs offenen Widerstand
entgegen. Dass der Vogt von Fischbeck, Adolf von Schauen-
burg, auf dem Tage zu Frankfurt alles aufbot, die Schenkung
zu verhindern, wird schwerlich ohne Zustimmung des Herzogs
geschehen sein. Unter den Namen der Mitglieder des Fürsten-
gerichts suchen wir endlich den des Sachsenherzogs vergeblich.
AVälirend man aber in Frankfurt verhandelte, geschahen in
Kenniade Dinge, welche im Zusammenhang mit den früheren
Ereignissen betrachtet, die Absicht Heinrichs, die Ausführung
der Schenkung um jeden Preis zu vereiteln, deutlich erkennen
lassen. Dietrich von Ricklingen, welcher schon vorher den
Corveiern alle möglichen Schwierigkeiten und Hindernisse in
den Weg gelegt und den Liten von Kemnade verboten hatte,
den Befehlen des von Wibald daselbst eingesetzten Propstes
zu gehorchen, befahl jetzt unter Berufung auf einen Befehl
seines Herzogs dem Propste und den Corveiern Mönchen, das
Kloster sofort zu räumen. Nicht nur Fischbeck, auch Kemnade
drohte so der Herzog den Corveiern streitig zu machen.
]\Iit diesem Vorgehen der Ministerialen des Herzogs steht
freilich in Widerspruch, dass, wie der Chronographus weiter
berichtet, die von Frankfm-t unter der Führung des Propstes
Ad albert zurückkehrenden Mönche behaupteten, Herzog Hein-
rich habe in Frankfurt auf die Vogtei über Kemnade und
Fischbeck verzichtet und sie dann vom Abte Wibald zu Lehen
erhalten. Ob nun Heinrich ein Doppelspiel getrieben oder ob
die Corveier dieses Gerücht nur verbreiteten, um ihre Erwer-
bung zu sichern und ihren Bedränger Dietrich von Ricklingen
zu entwaffnen, lässt sich nicht mehr entscheiden; aber den
Thatsacheu entspricht der Bericht des Chronographus nicht.
Die Purpururkunde Konrad Ell. für Corvei. 373
Noch liegt das Mandat vor, in welchem der König den Herzog
auffordert, auf die Vogtei über Kemnade und Fischbeck zu
Gunsten von Corvei zu verzichten'. In demselben heisst es:
'Cuius (Wibaldi) ob insigne meritura quod fideli servitio de
regno meruit, secundum peticionem predecessoris sui et ob-
secrationem Corbeiensis ecclesiae duo monasteria feminarum,
in quibus monastica religio iara defecerat, Kaminade scilicet
et Visbike, ad reformandam in eis divini cultus religionem ex
iudicio principum sibi et Corbeiensi ecclesiae iure pro-
prietario in perpetuam possessionem contulimus, salvo iure
tuae advocationis quod habes in eisdem locis'. Da der König
auf den Spruch der Fürsten Rücksicht nimmt, kann das Mandat
nicht in den Januar 1147 gesetzt werden, wie Jaffe vorschlug,
sondern es kann erst während oder nach dem Frankfurter Tag,
gleichzeitig mit der Beurkimdung der Schenkung oder bald
nach derselben erlassen sein. Wahrscheinlich ist es sogar erst
nach dem Tage zu Frankfurt und, wie die Natur des Mandats
bedingt, als Herzog Heinrich bereits in die Heimath zurück-
gekehrt war, an diesen erlassen worden.
Heim-ich fügte sich jedoch nicht völlig dem Befehl des
Königs, Er verzichtete keineswegs auf die Vogtei über beide
Klöster, sondern nur auf die über Kemnade. Er stellte in
Braunschweig ein Document aus, in welchem er diesen Ver-
zicht auf die Vogtei über Kemnade beurkundete und in der-
selben bezeugte, dass er sie dann vom Abte Wibald wieder
zu Lehen genommen habe 2. Die Urkunde trägt als Datum
das zehnte Jahr der Regierung Konrads, weist somit ebenfalls
auf die dem Reichstag zu Frankfurt folgende Zeit hin.
Auf diese Urkunde Heinrichs nimmt, wie wir sahen, der
dritte Zusatz in B über die Vogtei Rücksicht, die Neuausferti-
gung kann mithin erst nach dem Frankfurter Tag aus-
gestellt sein.
Ihre Entstehung jedoch fällt in noch spätere Zeit, wie
die Briefe Wibalds ergeben. Wie ein rother Faden zieht sich
durch diese die leidige Klage um die beiden Klöster; Jahre
1) Jaffe, Ep. Wibaldi S. 107 n. 30, auch bei Martene, Coli. II S. 207,
Orig. Guelf. III, S. 427 n. 5, Wilmans, Westf. KU. U, S. 295 n. 222.
2) Schalen, Ann. Paderbr. I, S. 722, auch Falke, Cod. trad. Corb. S. 909
n. 412; Orig. Guelf. III, S. 428 n. 6; Lacomblet, Niederrhein. ÜB.
II, S. 49 n. 262. Auf diese Urkunde Heinrichs nimmt das Mandat Kon-
rads vom J. 1150 Bezug, in welchem er Heinrich au seine Wibald gegen-
über eingegangenen Verpflichtungen mahnt. 'Volumus etiam industriam
tuam meminisse, quoniam advocatiara Kaminatensem, quam a nobis hacte-
nus habueras, ex nostra peticione de manu Corbeiensis abbatis recepisti'
(Ep. Wib, S. 370 n. 247). Also auch hier ist nur von dem Verzichte
auf die Vogtei über Kemnade, nicht aber auch auf die über Fischbeck
die Rede.
374 P. Kehr.
lang war das ganze Streben des bedeutenden Mannes darauf
gerichtet, seine Rechte auf jene geltend zu machen und seine
Ansprüche durchzusetzen.
Wibald hatte mit seinem LiebHngswunsch nirgends Glück.
Das Schlimmste war, dass Papst Eugen III. sich keineswegs
geneigt zeigte, ihn in dieser Angelegenheit zu unterstützen.
Gereizt durch die ohne sein Wissen erfolgte Uebernahme der
Abtwürde von Corvei zu der von Stablo, verweigerte er
Wibald, als dieser gleich nach dem Frankfurter Hoftage im
Frühjahr 1147 als Gesandter Konrads an den damals in Frank-
reich weilenden päpstlichen Hof ging, trotz lebhafter Empfeh-
lung des Königs rundwegs die nachgesuchte Bestätigung der
Schenkung, und Wibald musste froh sein, dass der Papst sie
nicht geradezu cassierte*. Ebenso erfolglos blieb auch das
Gesuch der Corveier Mönche an den Papst und dessen Kanzler
Guido'. Oefter noch hat Wibald seine Bitte um Bestätigung
der beiden Klöster wiederholt. So Ende 1147, wie aus den
zahlreichen Empfehlungsschreiben einiger befreundeter Geist-
lichen und weltlicher Grossen hervorgeht*. Trotzdem ist auch
auf diesen energischen Bittsturm Wibalds die erhoffte Be-
stätigung nicht erfolgt. Der Papst begnügte sich in einem
Mandat vom 5. April 1148 dem Erzbischof von Bremen und
den Bischöfen von Minden und Verden einzuschärfen, dass sie
für die Zurückgabe der dem Kloster Kemnade entzogenen
Güter Sorge tragen sollten-*. Noch Jahre lang scheint es bei
diesen unklaren Verhältnissen geblieben zu sein*. Aber
schliesslich siegte doch die Zähigkeit Wibalds, zumal als seine
diplomatische Thätigkeit dem päpstlichen Stuhl immer mient-
behrlicher wurde. AVie es scheint hat Wibald seine Wünsche
erreicht, als er als könighcher Gesandter Ende 1151 am päpst-
lichen Hofe weilte. Im Februar 1152 schrieb er seinen Cor-
1) Der Empfehlungsbrief des Königs mit der Bitte um Bestätigung
der Schenkung bei Jaff^, Ep. Wibaldi S. 113 n. 34. Die Entscheidung
Eugens s. ebenda S. 125 n. 46 und 47: 'sufficere nobis dicentes (die Car-
dinäle) et hoc esse ex magna domni papae gratia, quod nobis non inter-
dicebat ipsa loca, quod sicut non confirmabat, sie nee, quod factum
fuerat, infirmabat'. 2) Ep. Wib. S. 116 n. 36; S. 118 n. 37. 3) Ep.
Wib. S. 144 — 151 n. 68—75. 4) Ep. Wib, S. 157 n. 83 (Jafife-L.
6412). 5) Im Frühjahr 1150 beklagte sich Wibald von Neuem beim
Papste, dass die Güter von Kemnade verloren gegangen seien und dass
der Bischof von Minden sogar die Ausübung des Gottesdienstes daselbst
verhindere (Ep. Wib. S. 374 n. 251). Er erreichte, dass der Papst dar-
auf von Neuem Mandate an den Bischof von Minden und den Erzbischof
von Bremen, wahrscheinlich auch an Heinrich den Löwen und Bischof
Hermann von Verden erliess, in denen er seine früheren Befehle wieder-
holte (Ep. Wib. S. 397-399 n. 269—271 (Jaffe-L. 6525 — 6528). Aber
auch hier hören wir nichts von einer Bestätigung oder auch nur Anerkeu-
nung der Schenkung.
Die Purpururkunde Konrad III. für Corvei. 375
veiem: 'Sicut enim rerum ipsarum consequentia manifestabit,
in omni petitione nostra tarn privatarum quam publicarum
renim clementer exauditi sumus, ita ut neque in privilegiis
neque in epistolis pro nostra oportunitate impetrandis ullam
difheultatem sustinuerimus''. Bereits am 9. Januar 1152 hatte
Eugen auf Wibalds Ansuchen nochmals Mandate an den Erz-
bischof Hartwig von Bremen und die Bischöfe von Verden
und Minden und einen Empfehlungsbrief an Herzog Heinrich
von Sachsen gerichtet 2. In dem Mandat an den Bischof von
Verden finden wir den ersten Hinweis auf die Anerkennung
der Zugehörigkeit von Kemnade zu Corvei*.
Dass Eugen III. in der That schHesslich die Schenkung
von Kemnade an Corvei bestätigt hat, geht aus den späteren
Urkunden der Nachfolger Eugen III. und aus der Bestätigungs-
urkunde Friedrich I. (St, 3626) hervor, in der es heisst: 'Kemi-
nade quemadmodum et a reverendo patre nostro papa Eugenio
per auctoritatis sue Privilegium eidem Corbeiensi ecclesie
confirmatum esse dinoscitui''^. Aber es ergiebt sich auch zu-
gleich aus diesen Nachurkunden, dass Eugen III. nur die
Schenkung von Kemnade bestätigt hat, nicht aber auch die
von Fischbeck. Diesem werden vielmehr wenige Jahre später
von Hadrian IV. seine Freiheiten als einem freien Kloster,
das nur unter päpstlichem und kaiserlichem Schutz stehen solle,
bestätigt 5.
Fast ebenso langer Mühen bedurfte es, ehe es Wibald
gelang, den Widerstand seiner mächtigen Nachbaren zu über-
winden. In Wibalds Briefen spiegelt sich der unerfreuliche
Zustand Deutschlands in den letzten Jahren Konrad III. deut-
lich wieder. Wie tief war die königliche Gewalt gesunken,
dass sie nicht einmal im Stande w^ar, die Ausführung einer
durch ein feierliches Privileg verliehenen Schenkung durch-
l)Ep. Wib. S. 492 n. 364. Die privilegia weisen deutlich auf die
Bestätignngsurkunde hin, während unter den epistolae wohl die gleich-
zeitigen Mandate zu verstehen sind. 2) Ep. Wib. S. 485 n. 352;
S. 489. 490 n. 359—360; S. 488 n. 358 (Jaffe-L. 6603, 6606, 6609—
6611). 3) Ep. Wib. S. 489 n. 359: 'Kaminatensis ecclesiae quae ad
ius ipsius (Wibaldi) spectare dinoscitur'. 4) In Hadrian IV. Urkunde
für Corvei vom J. 1155 (Jafte-L. 6842) werden die Corvei unterworfenen
Klöster aufgezählt: 'Monasterium quoque in Groninge et monasterium in
Kemnade numquara ab eodem Corbeiensi alienentur coenobio, sed per
ipsius loci abbatem semper regantur et salubriter sub monasticae dis-
ciplinae ordinentur regula'. 5) Jaffe-L. 7043: 'Sanximus quoque ut
ipsum monasterium nuUi omnino personae in beneficium quibuslibet occa-
sionibus aliquando concedatur, sed semper sub protectione Romanorum
pontificum atque imperatorum vel regum defensione permaneat'. [Nach
dem Druck bei Finke, Papsturkunden Westfalens I, 43 n. 117 und den
zugehörigen Anmerkungen unterliegt allerdings die Echtheit dieses Pri-
vilegs für Fischbeck schweren Bedenken. H. B.]
376 P. Kehr.
zusetzen! Welch ein unheilvolles Schauspiel schildern Wibalds
Briefe, wie die zähe und rastlose Erwerbungssucht der Geist-
lichkeit mit der rohen und gewaltthätigen Habsucht der welt-
lichen Grossen in erbittertem Kampfe rang, und wie auch
die geistlichen Mächte uneins unter einander und neidisch auf
die Erwerbung des Andern sich gegenseitig bekämpften! Nicht
allein bei den weltlichen Territorialherren stiess Wibald auf
den heftigsten Widerstand, der mächtigste Gegner erwuchs
ihm unter seinen Standesgenossen, in dem Bischof Heini-ich
von Minden,
So lange König Konrad im Orient weilte, war Wibald
des schützenden Rückhaltes bar und seinen Gegnern noch
weniger als sonst gewachsen. Von einer Behauptung seiner
Ansprüche konnte zu dieser Zeit keine Rede sein. Als dann
Konrad von seiner Kreuzf^ihrt heimkehrte, füllte sich Wibalds
Herz mit neuen Hoffnungen. Von ihm erwartete er Hülfe und
Unterstützung. In einem langen Schreiben, in welchem er den
zurückkehrenden König begrüsste, führte er über die ihm
widerfahrene Unbill Klage. Dieser Brief ist lehrreich, insofern
er die thatsächliche Lage der Dinge um die Mitte des Jahres
1149, also zwei Jahre nach der Schenkung erkennen lässt.
Wibald beschAverte sich, dass er in Kemnade sich nur müh-
sam habe behaupten können, und dass ihm dort besonders der
Bischof von Minden Hindernisse in den Weg gelegt habe. Er
klagte ferner, dass er in Fischbeck in Folge des Widerstandes^
welchen ihm derselbe Bischof und der Klostervogt Adolf von
Schauenburg dort entgegensetzten, noch nicht einen Fussbreit
habe in Besitz nehmen können '. Die Antwort des Königs
aber war kühl, wenn er auch seine Schenkung in ihrem vollen
Umfange aufrecht erhielt und Wibald seinen Schutz versprach 2.
In der That ist es auch trotz allen Drängens des Abtes zu
keinem energischen Eingreifen seitens des Königs gekommen.
Zwar erliess er ein Mandat an den Bischof von Minden, aber
das hatte keinen Erfolgt. Auch ein zweites Mandat machte
keinen Eindruck^. Trotz dreimaliger Citation vor den König
und trotz päpstlicher Intervention * gab der hartnäckige Bischof
1) E. Wib. S. 301 n. 180: 'Conquerimur autem serenitati vestrae,
quod Mindensis episcopus plurimum nos gravat et hactenus impedivit de
his rebus quas Corbeiensi aecclesiae attribuistis, Kaminatam videlicet et
Visbick. Et in Kaminata quidem, ubi fratres nostros iussu vestro ordina-
veramus, divinum officium celebruri prohibuit; de cuius possessionibus
mediam fere partem amisimus. In loco vero Visibick nun quam
intravimus nee passum pedis de tota possessione ibi per-
tinente adhuc obtinuimus, prohibente hoc Mindensi episcopo et
comite Adulfo de Scowenborch ; ubi etiam ipse Mindensis episcopus res
monasterii per fratres Cappenbergenses ordinavit'. 2) Ep. Wib. S. 302
n. 181. 3) Ep. Wib. S. 307 n. 187. 4) Ep. Wib. S. 311 n. 191.
5) Ep. Wib. S. 310 n. 190 und S. 398 n. 270 (Jaff^-L. 6527).
Die Purpururkunde Konrad III. für Corvei. 377
erst nach längeren Verhandlungen nach'. Aber auch Wibald
musste sich zu theilweisem Verzicht auf seine bislang so zäh
festgehaltenen Ansprüche verstehen. Nach einem Briefe Wibalds,
den er im Herbste 1 149 an seinen Vertrauten, den Fredesloher
Mönch lohannes, schrieb, hat der König den Abt zu Weih-
nachten 1149 zur endgültigen Entscheidung über Fischbeck
nach Aachen beschieden, ' — ut ibi de obtinenda aecclesia de
Visbick mandatura ipsius accipiamus' 2. Was für eine Ent-
scheidung dort getroffen worden ist, ist uns nicht überliefert
worden. Aber es kann keinem Zweifel unterliegen, dass sich
Wibald zum Verzichte auf Fischbeck hat entschliessen müssen.
Denn seit dem Ende des Jahres 1149 ist von diesem EJoster
keine Rede mehr, die Klagen Wibalds gelten fortan nur noch
Kemnade. Jenes war der am heissesten umstrittene Gegen-
stand des langjährigen Streites gewesen. Heinrich der Löwe
hatte wohl auf die Vogtei über Kemnade, nicht aber auf die
über Fischbeck verzichtet ; sein Untervogt Adolf von Schauen-
burg und Dietrich von Ricldingen setzten den Corveiern ge-
waltthätigen Widerstand entgegen, der Bischof von Minden
bekämpfte mit allen Mitteln Wibalds Versuche dort ein-
zudringen, der Papst endlich erkannte bloss die Incorporation
von Kemnade an; solchen Hindernissen gegenüber konnte
Wibald auf der Behauptung seiner Ansprüche nicht bestehen.
So mag er in der Hoöhung, wenigstens die Anerkennung des
Besitzes von Kemnade zu erhalten, auf Fischbeck verzichtet
haben 3. Bald darauf schloss auch der langjährige Gegner
Wibalds, Bischof Heinrich von Minden, mit ihm Frieden-*.
Der Bischof erkannte um die Mitte des Jahres 1150 Wibald
im Besitze von Kemnade an.
Bis zum Ausgange des Jahres 1149 lässt sich so der Streit
um die Schenkung vom Jahre 1147 verfolgen und frühestens
zu dieser Zeit kann die neue Urkunde, welche Wibald die
definitive Anerkennung von Kemnade brachte, entstanden sein.
Doch sprechen manche Andeutungen in den Briefen Wibalds
dafür, dass der König nicht sofort die Schenkung in ihrem
minderen Umfange erneuert hat und den Wünschen Wibalds
nicht allzusehr entgegenkam. Zwar erinnerte Konrad den
Sachsenherzog an seine Corvei gegenüber übernommenen Ver-
pflichtungen und ermahnte ihn. den Abt zu schützen*. Er
trat ferner persönlich gegen Wibalds ärgsten Bedränger unter
1) Ep. Wib. S. 303 n, 183; S. 308 n. 188; S. 386 n. 260; S. 389
n. 262; S. 391 — 393 n. 263 — 265. 2) Ep. Wib. S. 318 n. 200.
3) Vielleicht ist Wibald damals für den Verzicht auf Fischbeck vom
König' dadurch entschädigt worden, dass dieser ihm eine Schuld von
300 Mark erliess, vgl. Ep. Wib. S. 341 n. 222. 4) Ep. Wib. S. 404
n. 278. 5) Ep. Wib. S. 370 n. 247.
Neues Archiv etc. XV. 25
378 P. Kehr.
den sächsischen Grossen Dietrich von Eicklingen ein ' ; aber
diese Gunstbezeugungen waren immer abhängig von dem
jeweiHgen Einflüsse AVibalds am königlichen Hofe. Als dieser
während der Verhandlungen des Königs mit Wibald behufs
Uebemahme der römischen Gesandtschaft stiegt, und als Wibald
sich bereit erklärte, als Gesandter an den päpstlichen Hof zu
gehen, konnte er energischer seine Forderungen wiederholen.
Ende 1150 schrieb er dem Könige, dass er von ihm Abstellung
seiner Klage erwarte'; im Frühjahr 1151 traf er am könig-
liehen Hofe ein. Auf dem Hoftage zu Nürnberg — 1151
März 18, gerade 4 Jahre nach jenem Tage zu Frankfurt — ist
dann auch über die Corveier Angelegenheiten berathen worden.
Fehlt uns nun auch jede genauere Nachricht über den Gegen-
stand dieser Verhanalungen, so glaube ich doch sie auf die
endgültige Entscheidung und auf die urkundliche Erneuerung
der Schenkung von Kemnade beziehen zu dürfen*, um so
mehr als sich dann an diese unmittelbar die päpstliche Be-
stätigung angeschlossen hat. Noch im Herbste desselben Jahres
ging Wibald als Gesandter Konrads an die Curie, ausgerüstet
mit einem Empfehlungsschreiben des Königs, in welchem dieser
um Bestätigung der Corveier Privilegien bat — 'ut . , . tam
in privilegiis suis confirmandis quam in aliis petitioni-
bus benigne exaudiatis*. Ich habe bereits festgestellt, dass
die Bestätigung der erneuerten Schenkung durch Eugen HI.
in der That bald darauf, wahrscheinlich im Januar 1152, statt-
gefunden hat.
So misslich es auch ist, über die Entstehung eines Diploms
ohne eine Untersuchimg seiner äusseren Merkmale zu urtheilen,
in unserem Falle verbürgen meines Erachtens die Widersprüche
zwischen A und B und die Nachrichten, welche uns Wibald
selbst in seinen Briefen bietet, vollauf das von mir gewonnene
Ergebnis, dass St. 3543 eine erst im Jahre 1151 zu
Stande gekommene Neuausfertigung des bereits
1) Ep. Wib. S. 404 n. 277. 2) Ende August 1150 schrieb Konrad
an Wibald (Ep. Wib. S. 408 n. 280) : 'Mullas iniurias et gravia damna,
quae non solum toto anno preterito, set etiam ad presens in con-
tumeliam regni et nostram sustines, cappellano tuo H. referente, ad ple-
num intelleximus; et tempore oportuno in bis complanaudia pro debito
nostro tibi assistemus'. 3) Ep. Wib. S. 428 n. 300. 4) Wibald
schreibt 1151 März an den Prior Heinrich von Corvei (Ep. Wib. S. 452
n. 323): 'Quid de causa nostra in curia (Nurenbergensi) sit actum, tam
ex litteris domini nostri regis ad conventum missis quam
ex viva legatorum nostrorum voce plenius poterls addiscere'. Ich hebe
die 'litterae regis' mit Absicht hervor, wenngleich sich nicht mit Sicher-
heit behaupten lässt, dass unter den 'litterae' die neuen Ausfertigungen
des Präceptes über Kemnade zu verstehen seien; aber es ist dem Zu-
sammenhange und der Lage der Dinge nach nicht unmöglich. 6) Ep.
Wib. S. 480 n. 346.
Die Purpururkunde Konrad EH. für Corvei. 379
im März 1147 zu Frankfurt ausgestellten St. 3544
ist. In der That entsprechen auch die inhaltlichen Bestim-
mungen der Neuausfertigung vollkommen der Lage der Dinge
in den Jahren 1150 und 1151. Hatte sich der Rechtstitel,
welcher die ursprüngliche Schenkung Wibald auch auf Fisch-
beck gewährte, trotz aller Zähigkeit einem Widerstände gegen-
über, wie ihn die Grossen des Landes und der Bischof von
Minden den Ansprüchen Corveis entgegensetzten, bei der lauen
Unterstützung, welche der König gewährte, endlich bei der
Weigerung des Papstes, den Corveiern beide Klöster zu be-
stätigen, schliesslich nicht aufrechterhalten lassen, so musste
es Wibald unter diesen Umständen bereits als einen grossen
Gewinn betrachten, dass er sich wenigstens in dem Besitze
Kemnades hatte behaupten können. Doch mag dem ehrgeizigen
und zähen Manne der Verzicht auf Fischbeck schwer genug
geworden sein, wenn auch ihn zuweilen bittere Reue über seine
Pläne beschlichen hat'.
Der Lage der Dinge nach war es in der That immer
noch ein grosser Gewinn, dass es Wibald gelang, durch eine
nochmalige Beurkundung des Aktes von Frankfurt, die freilich
den veränderten Verhältnissen Rechnung tragen musste, sich
den Besitz von Kemnade zu sichern. So allein finden die Zu-
sätze, welche die neue Ausfertigung erhielt, ihre Erklärung.
Dass sie zum Theil Corvei nicht sonderlich günstig waren,
kann uns jetzt nicht Wunder nehmen. Der erste Zusatz in
der Neuausfertigung hob zunächst die Bestimmung, welche
Corvei von einer Erhöhung seiner Lasten an das Reich be-
freite, auf und ordnete statt dessen die Zahlung einer Geld-
summe an den König an. Dass man ferner mit offenbarer
Beziehung auf den langjährigen Streit Wibalds mit seinem
Rivalen, dem Bischof von Minden, der Mandate des Königs an
den Bischof in der neuen Ausfertigung Erwähnung that, dass
man endHch den Verzicht Heinrichs von Sachsen auf die Reichs-
vogtei über Kemnade und seine Belehnung mit derselben durch
Wibald ausdrücklich aufnahm, lag im Hinblick auf die dar-
über gepflogenen Verhandlungen nahe. Ihre Erwähnung ge-
währte Wibald gewissermassen eine grössere Bürgschaft und
vertrat eine Art Anerkennung des Besitzes von Kemnade
seitens der beiden ehemaligen Gegner.
Nach diesen Ausführungen wird auch die Entstehung der
Purpururkunde in anderem Lichte erscheinen. Musste es bei
1) So schreibt er einmal, Ende 1149, an seinen Vertrauten Johannes
von Fredesloh (Ep. Wib. S. 317 n. 200): 'Veruna in quantas miserias, in
quantas vexationes animi et corporis, in quanta rerum nostrarum detri-
menta per hoc consiliura inciderimus, non solum tua intelligentia, quae
rebus propinqua est, set etiam tota regni Theutonici universitas clamore
super nos famosissimo cognovit'.
25*
380 P. Kehr.
der Annahme der Gleichzeitigkeit beider Ausfertigungen un-
verständlich bleiben, dass Wibald die mindere, ungünstigere
Schenkung in Purpur und Gold verewigen Hess und nicht die
umfangreichere, werthvollere, so wird man jetzt anerkennen
müssen, dass er nach so -säelen und langen Kämpfen zum Ziele
gelangt allen Grund hatte, durch jenes Prachtstück den end-
lichen Sieg zu feiern.
Ich komme nun, nachdem ich die Entstehung der Ur-
kunden St. 3544 und St. 3543 und ihr Verhältnis zu einander
dargelegt habe, auf den Kernpunkt der eigentlichen Streitfrage
zurück, ob die Purpururkimde als Kanzleiausfertigung zu be-
trachten sei oder nicht. Dass in dieser Frage das letzte Wort
nur eine paläographisch - diplomatische Untersuchung der be-
treffenden Stücke sprechen kann, sagte ich schon. Aber Avir
können wenigstens eine Reihe schwerwiegender Wahrscheinlich-
keitsgründe gegen die Auffassung v. Pflugk-Harttungs geltend
machen, aus denen sich ergiebt, dass jene Purpururkunde
nur auf den Charakter einer kalligraphischen Ausfertigung
Anspruch machen kann. Zunächst ist zu wiederholen, dass
St. 3543 in mindestens drei Ausfertigungen erhalten ist. Zwei
von diesen (ß ' und B ^) sind in der regelmässigen Form der
Präcepte ausgestellt, die eine ist allerdings nur fragmentarisch
erhalten und von den Herausgebern nicht weiter berücksichtigt
worden. Jene vollständig erhaltene Ausfertigung (B') ist vöUig
kanzleigemäss, trägt das am rechten Rande stark beschädigte
Königssiegel Konrad III. (Heffner, S. 45 Taf. 3 n. 32 — Philippi
in 'Westf. KU.' II, Taf. 2 n. 22) und ist zAveifellos als die erste
Ausfertigung zu betrachten. Neben diesen beiden in gewöhn-
licher Präceptform ausgestellten Urkunden ist jetzt noch die
Purpururkunde B^ erhalten, deren Abweichungen von den
anderen Exemplaren lediglich orthographischer Natur sind,
während ein zweites unbesiegeltes Exemplar mit Goldschrift
auf Purpur verloren gegangen sein soll '.
Dass die Kanzlei Konrad III. von einer und derselben
Urkunde vier Ausfertigungen, davon zwei in so prachtvoller
Ausstattung, ausgestellt haben soll, ist doch zum mindesten
unwahrscheinlich. Können wir uns auf Stumpfs Angaben in
den Regesten verlassen, so ist kein zweiter Fall bekannt, dass
die Kanzlei Konrads III. zwei oder mehrere Ausfertigungen
eines und desselben Diploms einem Empfänger ausgefolgt hat 2.
1) Wattenbach, Schriftwesen S. 216. 2) Nur St. 3563 liegt nach
Stumpf in zwei Originalen vor. Aber hier handelt es sich um einen
Gütertausch zwischen Würzburg und Ebrach, über den jede der inter-
essierten Parteien ein Diplom erhielt. Ganz derselbe Fall liegt bei
St. 3425 für Basel und S. Blasien vor, den Stumpf übersehen hat
(s. Bresslau, Dipl. centum S. 119 n. 79 und S. 187). Vgl. auch Bresslau,
Urknndenlehro I, S. 664 Anm, 4.
Die Pixrpurnrkimde Konrad III. für Corvei. 381
Wir werden ferner mit der Unwahrscheinlichkeit rechnen
müssen, dass die Kanzlei sich besondere Chrysographen ge-
halten habe; wir werden vielmehr mit Wattenbach und Sickel
annehmen müssen, dass die Kanzlei kaum in der Lage war,
solche Kunstproducte herzustellen. Allerdings steht die Schrift
der Purpururkunde der diplomatischen Schrift der gewöhn-
lichen Präcepte Konrads sehr nahe, wie insbesondere eine
Vergleichung derselben mit dem Facsimile von St. 3544 im
Chron. Gotwic. ergiebt. Aber daran ist kein Anstoss zu
nehmen, da der Chrysograph sich selbstverständlich eines der
Präcepte Konrads III. als Vorlage bedienen musste. Kurz,
alles spricht dafür, dass die Purpururkunde in Corvei oder
wenigstens ausserhalb der Kanzlei angefertigt worden ist. Ob
dieselbe dann von der Kanzlei beglaubigt und damit als
Originalexemplar anerkannt worden ist, vermögen wir freilich
nicht mehr zu entscheiden ». Der Ueberlieferung nach soll
allerdings die Purpururkunde eine Goldbulle gehabt haben.
Aber keiner der Herausgeber hat sie mehr gesehen und die
Nachricht selbst ist nicht ohne Bedenken 2.
1) Philippi bemerkt nur, dass das Monog'ramm in der Purpururkunde
nicht eigenhändig vollzogen sei, worauf natürlich gar kein Gewicht zu
legen ist. 2) Die Seidenfäden sind übrigens noch erhalten (nach
Philippi). Die Nachricht geht auf Kleinsorgen zurück. Er will (Kirchen-
gesch. von Westfalen II, S. 38) die Bulle mit der Legende 'Conradus
rex Romanorum. Roma caput mundi tenet orbis froena rotundi' noch
gesehen haben. Aber Kleinsorgen ist ein schlechter Gewährsmann. Denn
er erzählt (ebenda II, S. 44), dass das Privileg Friedrich I. für Corvei
(St. 3626) mit goldenen Buchstaben geschrieben und mit einem anhän-
genden goldenen Siegel bestätigt gewesen mit der Legende: 'Fridericus
Roraanorum rex. Roma caput mundi tenet orbis froena rotundi'. Wenn
wir nicht geradezu annehmen, jene Prachturkunde Friedrich I. sei ver-
loren gegangen, so muss uns die Beschreibung Kleinsorgens, da uns das
Original von St. 3626 erhalten ist, sehr bedenklich erscheinen (vergl.
Bresslau, Urkundenlehre I, S. 903 Anm. 2). Heineccius, De veter. sigill.
S. 34 zweifelt die Nachricht nicht mit Unrecht an. Noch verdächtiger
wird die Erzählung von der Goldbulle Konrad III. durch das Gesehichtchen,
das uns Paullini, Hist. Visb. S. 57 auftischt, die Bulle sei 1634 bei der
Eroberung von Höxter verloren gegangen, wogegen schon v. Wersebe,
Niederl. Colon. II, S. 352 sehr triftige Einwände erhebt. Ich erwähne
noch, dass Wibald beim Regierungsantritte Friedrieh I. die Anfertigung
des Stempels für goldene Bullen übertragen wurde (Ep. Wib. S. 505
E. 376 und S. 506 n. 377; vgl. auch S. 589 n. 456 und Bresslau, Ur-
kundenlehre I, S. 926).
X.
Miscellen.
Handschriften der vormaligen königlichen Hand-
bibliothek in Stuttgart.
Nachlese zu N. A. X, 600.
Von L. Weiland.
Durch die Güte der Herren Oberbibliothekar Dr. Heyd
und Bibliothekar Prof. Dr. Schott, denen ich an dieser Stelle
meinen wärmsten Dank ausspreche, war es mir im September
1889 vergönnt, den trefflichen handschriftlichen Catalog jener
werthvoUen Sammlung einzusehen und eine Anzahl Hand-
schriften zu untersuchen.
Für die Zwecke der Monumenta kommen ausser den
Bd. X, 600—602 aufgeführten Handschriften etwa noch fol-
gende in Betracht.
Hist. nr. 1 — 17 (20 vol.) Werke und Sammlungen Bucelins.
In nr. 3 sub V: Vita s. Gerardi ep. et martiris Hungariae
apostoli nuncupati. Nr. 5 enthält besonders Weingarten be-
treffende Sachen und wäre vielleicht noch genauer nach Eesten
alter Stücke zu untersuchen.
*Hist. nr. 18 folim Weingart.) mbr. 4» saec. X— XI.
fol. 1: losephus in antiquitatum libri primi cap. VI. dicit
Abraham autem habuit u. s. w. fol. 1' der Canon des Hiero-
nymus: Regnum Assyriorum. Primus omnis Asiae u. s. w.
bis zum Tode des Valens: sepulturaque caruit. Dann die Be-
rechnung bis_: Fiunt ab Adam usque XIIII. Valentis annuna
omnes anni VDLXXVIIII. Item secundum Africanum — qui
Antoninus cognominatus est anni CLXXXIIII. — Darauf noch
2 Blatt Canones: Papst Coelestin L, Leo I., Concil. Carthag.
Neocaesar., Augustin; ohne Werth.
Hist. nr. 47 saec. XV. et XVI. Literae emtionum, trans-
actionum, donationum monasterii Schamhaupt in Bavaria.
Hist. nr. 59 eh. Necrologium monasterii S. Johannis Bapt.
in Veldkirch.
Hist. nr. 95 saec. XIV. in. Nicolaus de leroschin.
Jur. et polit. nr. 48 saec. XV. Schwabenspiegel.
*Jur. et polit. nr. 105 (Weingart.) mbr. saec. XI. Pseudo-
isidor. Brief des P. Damasus = Jaffe -Kaltenbrunner 243.
Darauf auf 31 Blatt 32 Briefe Gregors d. Gr.; erster: Bacaudo
386 L. WeUand.
episcopo Formiensi, Et temporis necessitas = Jaff^- Ewald
1075; zweiter: Anthemio subdiaeono. Insinuatum nobis est
= J. -E. 1091 ; letzter: Syagrio, Hetherio etc. episcopis Galliae.
Caput nostrum quod = J. -E. 1747.
*Jur. et polit. nr. 108 saec. X — XI. Reginonis libri de
synodalibus causis, beschrieben von v. Schulte in Wiener S. B.
CXVII, 29, conform dem von mir in Ztschr. für Kirchenrecht
XX, 455 beschriebenen älteren cod. jur. et polit. 114, aber
nicht von diesem, sondern von einer gemeinsamen Vorlage
abgeschrieben.
Patres nr. 1 saec. X. Recognitiones S. Clementis.
Patres nr. 59 saec. XII. Homiliae Leonis M. fol. 1 Verse
auf Friedrich I. (s. unten S. 394.)
Zu Petrus de Ebulo.
Von Ernst Sackur.
Ed. Winkelmann hat in der Einleitung zu seiner Ausgabe
des Petrus de Ebulo * mit genügender Sicherheit nachgewiesen,
dass die in Bern befindliche Bilderhandschrift des italienischen
Poeten als die ursprüngliche zu betrachten ist, die zwar von
der Hand eines wenig gebildeten Schreibers geschrieben ^, doch
von ihm selbst durchcorrigiert und ergänzt wurde. Der Heraus-
geber hat femer angesichts der zahlreichen Correcturen, der
nicht seltenen unvollständigen Verse, der nur bis fol. 25 vor-
handenen Capitelüberschriften mit Recht den unfertigen Cha-
racter des Codex hervorgehoben*. Derselbe ist uns aber auch
nicht vollständig erhalten. Sind einige Blätter, wie das Lagen-
verhältnis lehrt, noch während der Arbeit herausgenommen*,
so sind andere erst nach der Vollendung verloren gegangen
oder gewaltsam zerstört worden, wie sich aus dem Umstände
ergiebt, dass mehrere Bilder, deren jedes sonst in der Handschrift
einer Textseite entspricht, zu der vorhergehenden Dichtung
nicht mehr passen. Hieraus ist eine Reihe von Unregelmässig-
keiten, die heute aufi'allen, zu verstehen. Anderes harrt jedoch
noch der Erklärung, wie die Ueberlieferung des IH. Buches,
welches im Gegensatz zu den vorhergehenden, Thatsächliches
berichtenden Theilen, der Apotheose Heinrichs VI. gewidmet
sein sollte, wie es denn auch allein überschrieben ist: Incipit
über tercius ad honorem et gloriam magni imperatoris.
Während der Bestand des bis fol. 36 incl. reichenden
I. Buches in der Folgezeit anscheinend nicht gelitten hat, so
sind uns das H. und HI. in mangelhaftem Zustande erhalten.
Bereits zwischen fol. 38 und fol. 39 fehlt ein Blatt, welches
auf der Bildseite die Illustration zu fol. 38', der Anrede des
Archidiacon Aldrisius von Salerno an seine Mitbürger, und im
Text die Schilderung der Zerstörung Salernos durch Hein-
rich VI. im September 1194 enthalten haben muss^. Zwischen
fol. 42 und 43 wird das Blatt vermisst, welches im Text die
1) Leipzig 1874, S. 8 ff. 2) Das ersieht man aus den ziemlich
zahlreichen vom Corrector übersehenen Fehlern. 3) Winkelmann S. 7,
4) Winkelmann S. 6. 5) Vgl. Toeche, Jahrb. Heinr. VI, S. 335.
388 Ernst Sackur.
Verschwörung der Grossen von Salerno darstellte, zu der wir
die Illustration haben '. Der Schluss des Buches ist der Ver-
herrlichung der am 26. December 1194 zu Jesi in der Mark
Ancona erfolgten Geburt Friedrichs II. ge^\^dmet. Das ist
das letzte im Text erwähnte, sicher zu datierende Ereignis,
und Winkelmann hat mit Rücksicht darauf den Abschluss der
ersten beiden Bücher, welche das Werk anfangs anscheinend
nur enthielt, auf ungefähr Ostern 1195 angesetzte Auf dem
Bilde des fol. 45 findet sich jedoch die Inschrift: 'Imperatrix
Siciliam repetens benedictum filium suum ducisse dimisit' als
Erklärung zu einer Illustration, welche die Kaiserin zu Pferde
darstellt, einer Frau ein Wickelkind reichend. Constanze er-
hielt nun erst auf dem Ostern 1195 zu Bari abgehaltenen
Reichstage die Regentschaft über Sicilien übertragen und erst
in Folge dieser Festsetzung nahm sie, nachdem sie den Knaben
der Herzogin von Spoleto, der Gemahlin Konrads von Urs-
lingen, überlassen, ihren Aufenthalt in Palermo'. Auf der
Textseite desselben Blattes wird eine Geschichte aus dem
frühesten Jugendleben des königlichen Kindes erzählt, wie ein
iberischer Fischer demselben einen Fisch überbringt, den der
Knabe — bene dispensante magistro — so theilte, dass er
sich zwei Drittel zurückbehielt, dem Vater das letzte über-
1) Toeche S. 343. 2) Ausgabe S. 13. 3) Toeche, Jahrb.
Heinr. VI, S. 350. 352. Vgl. die Regesten der Kaiserin S. 694, Winkel-
mann, Philipp von Schwaben, S. 497. Ders., Forsch, z, D. Gesch. XVIII,
S. 480. Toeche verwechselt nur Konrad von UrsHngen mit Markward
von Anweiler. Vgl. Gesta Innoc. III, c. 21. Ficker, Forsch, z. Reichs-
u. Rechtsgesch. Italiens II, S. 245, meint, dass Konrad eine Italienerin
geheirathet habe. Aus dem 'repetens' der Inschrift könnte man vielleicht
den Schluss ziehen, dass Constanze von Unteritalien heraufkam: es würde
das der Thatsache entsprechen, dass sie selbst am 2. April 1195 in Bari
war. Sie würde dann im Sommer noch einmal nach Mittelitalien zurück-
gekehrt sein, um ihren Sohn unterzubringen. In Palermo ist sie erst
von Oct./Nov. 1195 an nachzuweisen. Vgl. Toeche S. 694. Auf fol. 44
wird in dem Verse: 'Ex hinc Rogerius, hinc Fredericus eris' deutlich auf
die beiden Namen des Prinzen Friedrich Roger hingewiesen. Bekanntlich
erhielt er zuerst den Namen Constantin; er wurde unter diesem Namen
noch Ende 1196 in Frankfurt zum Könige gekrönt (Winkelmann, Phil,
von Schwaben, S. 11; Toeche S. 444). Winkelmann, Ausg. d. Petrus
S. 15, meint nun, unser Dichter habe durch sein Gedicht bestimmend
auf die angeblich erst 1197 bei der Taufe erfolgte Namensänderung ein-
gewirkt. Mir scheint so viel sicher, dass Friedrich II. bei den Italienern
schon viel früher Roger oder Roger Friedrich genannt worden ist. Hätte
Petrus, der eine ganz besondere Vorliebe für Wortspiele und Wort-
auslegungen zeigt (vgl. I, 24, 49, 428), den Namen Constantin gekannt,
er würde gewiss nicht verfehlt haben , ihn in Beziehung auf die Mutter
Constantia und seine etymologische Bedeutung dichterisch zu verwerthen.
In der That werden für den Namen Constantin nur die Ann. Stadenses
und Reinhardbr,, keine italienische Quelle angeführt.
Zu Petrus de Ebulo. 389
sandte. Die Frühreife des jungen Prinzen noch so hoch an-
geschlagen, so kann man einen derartigen Vorgang doch un-
möghch in die allerersten Lebensmonate setzen, in denen man
ihn auch kaum schon mit Fischen tractierte. Was endlich für
eine spätere Fertigstellung des zweiten Buches spricht, ist auch
der Umstand, dass auf dem dasselbe beschliessenden Dedi-
cationsbild fol. 46, dem merkwürdigerweise kein entsprechender
Text vorangeht, 'Corradus cancellarius' den Dichter offenbar
bei Heinrich einführt. Als Kanzler erscheint Koni'ad nun erst
am 30. März 1195 1; im Sommer desselben Jahres erhält er
die Legation des Reiches über Sicilien und in dieser hervor-
ragenden amtlichen Eigenschaft Konrads scheint Petrus dessen
Gunst sich erworben zu haben. Ich meine also, alles in allem
genommen, die Abfassung dieser Schlussstücke des IL Buches
doch später als Winkelmann ansetzen zu müssen, in das Ende
1195 oder den Anfang des folgenden Jahres.
Schon der Umstand, dass stets eine Textseite einem pas-
senden Bilde entspricht, würde zwischen fol. 45 und fol. 46
wieder einen Ausfall vermuthen lassen: wie aber, wenn wir
im III. Buche, und zwar an ganz ungeeigneter Stelle^ die Dedi-
cationsverse wirklich finden?
Das III. Buch beginnt auf fol. 46' mit der Anrufung der
'summa sapientia patris': dem entspricht das Bild, welches diese
mit der 'mappa mundi', der Weltkarte, darstellt. Sodann besingt
Petrus in vergilischer imd ovidischer Art die Zeit, 'que sextum
sexto tempore cernit herum', d. h. 1196 (fol. 47' j. Auch hier
ist das passende Bild vorhanden. Nun (fol. 48') stellt der
Dichter an die Muse verschiedene Fragen:
Die mea Musa, precor, genuit qui nobihs alvus
Henricum vel que dextra cubile dedit?
Que superum nutrix dedit ubera, quis dedit artes?
Quis puero tribuit scire vel arma viro?
Quave domo genitus fuerit puer, aurea proles,
Quis pater, unde parens, die mea Musa, precor!
Die folgenden Abschnitte sind der Beantwortung dieser
Fragen gewidmet. Zwar scheint es noch nicht dahin zu ge-
hören, wenn Petrus unmittelbar nach den angeführten Versen
fortfährt :
Est domus etherei qua ludunt tempora veris,
um darauf die Amtsthätigkeit des Kanzlers Konrad und Mark-
walds von Anweiler in diesem Hause zu feiern. Man müsste
denn annehmen, der Dichter habe Heinrichs Wiege nach Sicihen
1) Toeche S. 599; L. v. Borch, Gesch. d. kais. Kanzlers Konrad,
Innsbruck 1882, S. 15, 63. Bei St, 4910a mit XIV. Kl. Jul. ist die
Datierung unsicher. Vgl. Winkelmann, Forsch, z. D. Gesch. XVIII, S. 479,
Boehmer-Ficker, Reg. imp. V, p. 2, Bresslau, Urkundenlehre I, S. 380.
390 Ernst Sackur,
verlegt, worauf die Erwähnung der Tons Arethuse' hinweist.
Jedenfalls muss aber auf dem folgenden fol. 49 die Schilderung
des Palastes mit seinen Gemälden — vielleicht spricht der
Dichter noch von dem vorerwähnten, es wird dies nicht ganz
klar — auf die Frage nach dem Vaterhause bezogen werden,
denn fol. 50' fährt Petrus fort:
lllic diva parens, superum sapientia mater
Uberis Henrico munera digna dabat,
worauf er dann als die Erzieherinnen des Kaisers die sieben
freien Künste und die Tugenden in allegorischer Weise ein-
führt, um Heinrich schhesslich mit Alexander und Cäsar zu
vergleichen. Mit den Worten:
Dicitur Henricus; latet hac in voce triumphus,
Quod latet, in partes littera ducta parit
deutet er auf ein fol. 52' stehendes Akrostichon auf Heinrich.
Das Folgende passt nun ganz und gar nicht mehr. Ein
Blatt felJt ottenbar vollständig und von fol. 51 ist nur ein
Fetzen vorhanden. Das hier zum Theil noch erhaltene Bild,
welches einen Notar mit einer Pergamentrolle darstellt, hat
auf keinen Fall Bezug zu dem vorhergehenden Text. Das
Textfragment auf fol. 51' enthält, nach dem gegenüberstehenden
Bilde auf fol. 52 zu urtheilen, eine Anrede des Kanzlers Konrad
an die 'proceres regni', während die Verse fol. 52 die Dedi-
cation an den Kaiser, in der Heinrich wieder mit Salomo,
Alexander und Cäsar verglichen wird, nebst dem erwähnten
Akrostichon enthalten, das übrigens bereits vor dem zweiten
Zuge Heinrichs VI. von 1194 gedichtet zu sein scheint. Beide
Blätter fol. 51 und 52 gehören der Hand des Verfassers an.
Diesen Dedicationsversen steht nun fol. 53 ein ganz unpassendes
Bild gegenüber: der Kaiser ist von den virtutes umgeben; die
Inschrift ist: 'Fortuna rogat virtutes esse in consorcio eorum,
set repulsam passa est'. Unzweifelhaft hat es ein Stück ge-
geben, welches das Ansuchen der Fortuna und die Antwort
der Virtutes in Versen zum Ausdruck brachte, denn auf der
Rückseite des fol. 53 haben ^^^r das Seitenstück dazu:
Inclita regales crispans sapientia vultus
Aspera fortune talia vei^ba dedit,
dem entsprechend man auf dem dazugehörigen Bilde liest:
'Sapientia convicians fortune'. Der ganze Zusammenhang würde
dunkel bleiben, wenn wir nicht annähmen, es habe einen Ab-
schnitt gegeben, in welchem dargestellt wurde, wie zu den
Künsten und Tugenden sich auch Fortuna an Heinrich heran-
drängt, um sowohl von jenen, als von der göttlichen Weisheit
zurückgewiesen zu werden. Man sieht aber ferner, wie die
allegorische Apotheose des Herrschers bis zu Ende durchgeführt,
in ganz überraschender Weise durch die von der Hand des
Dichters geschriebenen Blätter fol. 51 und 52 unterbrochen wird.
Zu Petrus de Ebulo. 391
Angesichts der Thatsache nun, dass sowohl Dedieations-
bild, als der dazugehörige Text sich an verschiedenen und
zwar unpassenden Stellen finden, angesichts des gekennzeich-
neten Zusammenhangs im III. Buch, der durch die angeführten
Stücke zerrissen wird, kommt man mit dem Hinweis, dass
das ganze III. Buch einem Concept gleiche, in welchem der
Dichter die gerade fertigen Stücke, wie sie der Zeit nach
folgten, eintrug, nicht aus, wie auch das Akrostichon erwähnt
wird, bevor es im Texte sich findet. Hier hat eine Ver-
schiebung der Lagen stattgefunden, wie ich sofort darlegen
werde.
Das dritte Buch nimmt die siebente und achte Lage ein,
und zwar stellt der Bestand nach Winkelmanns Angabe sich
folgendermassen dar:
Siebente Lage: Achte Lage;
1. fol. 51 4. fol. 54
2. fol. 52 3. fol. 53
1. fol. 46 (6.)
2. fol. 47 5. fol. 50
3. fol. 48 4. fol. 49
UrsprüngKch war nun meines Erachtens das Verhältnis
ein anderes: beide Lagen bildeten nämlich eine einzige, und
zwar war die letzte um die vorhergehende so herumgelegt,
dass wir nachstehende Keihenfolge der Blätter erhalten:
1. fol. 51 10. fol 54
2. fol. 52 9. fol. 53
3. fol. 46 (8.)
4. fol. 47 7. fol. 50
5. fol. 48 6. fol. 49
Nach diesem Schema stellt sich folgende Ordnung her:
An den Schluss des zweiten Buches gelangen noch die
Blätter 51, 52. Auf diese Weise bringen wir die Widmungsverse
mit dem dazugehörigen Bilde (fol. 46) zusammen und entfernen
zugleich die störenden Stücke zwischen fol. 50 und 53, so dass
das III. Buch ein einheithches Gepräge gewinnt. Dem ein-
zelnen Blatte 46 entspricht das fehlende Blatt 8 dieser Lage.
Nun hatten wu' schon oben constatiert, dass zu dem Bilde auf
fol. 53 der Text fehle: durch dieses Zusammentreffen erhalten
wir eine Bestätigung für unsei'e Anordnimg. Indem die Dedi-
cationsverse noch ins II. Buch gerückt werden, wird die zuerst
von Winkelmann ausgesprochene Vermuthung, dass das Gedicht
des Petrus de Ebulo anfänglich nur die beiden ersten Bücher
umfasste, zur Gewissheit. Aber noch etwas anderes ergiebt
sich daraus. Die Widmung kann, wie aus dem Verse:
Sextus ab equivocis sexto quod scriberis evo
hervorgeht, erst 1196 geschrieben sein: somit folgt, dass das
zweite Buch vor diesem Jahre nicht zum Abschluss gelangte.
Wir haben schon oben nachgewiesen, dass Winkelmanns An-
setzung auf Ostern 1195 als zu früh angenommen werden muss.
392 Ernst Sackur.
Sehr characteristisch ist nun die auf fol. 51' fragmentarisch
erhaltene Rede des Kanzlers Konrad an die Grossen des Reichs.
Seine Erwähnung geht jetzt dem besprochenen Dedicationsbilde
voran; höchst "wahrscheinlich waren die verlorenen Partieen ge-
eignet, über sein Verhältnis zu Petrus näher Aufschluss zu geben.
In dem erhaltenen Fragment ermahnt der Kanzler die sici-
lischen Barone, dem Kaiser die Treue zu halten, damit die
vernarbte Wunde nicht noch einmal aufbreche. Niemand möge
wegen der erduldeten Verbannung den ^Mitbürgern lästig fallen,
womit allem Anschein nach auf die von Heinrich in Folge der
Verschwörung von 1194 verfügten Verbannungen hingewiesen
wird '. Man wird diese Rede ohne Zweifel in Konrads Amts-
periode vom Sommer 1195 bis zum Herbst 1196 setzen müssen.
Bei welcher Gelegenheit oder zu welchem Zwecke sie jedoch
gehalten Avurde, entzieht sich unserer Kenntnis. Sicher ist,
dass vorher ein Blatt fehlt, also zwischen der sechsten und
siebenten Lage, das noch der ersteren angehört haben dürfte.
Hier sind die Blätter folgendermassen vertheilt:
1. fol. 40 8. fol. 45
2. fol. 41 7. fol. 44
3. fol. 42 (6.)
(4.) 5. fol. 43
Die Lage besteht also aus vier Bogen; da nun die vierte
und fünfte, sowie die siebente je fünf zählen, so wäre von
vornherein auch bezüglich der sechsten die Präsinn ption dafür.
Aber selbst für den Fall, dass fol. 4G gleich auf fol. 45 folgte,
wie in der bisherigen Anordnung, müsste ja nach fol. 45 ein
Ausfall angenommen werden. Allerdings fehlt an der ent-
sprechenden Stelle, zwischen fol. 39 und fol. 40, nichts, aber
wenn man annimmt, dass, wie dies bei unserer Handschrift
einige Male der Fall, schon während der Arbeit ein Blatt heraus-
geschnitten Avurde, so ist der spätere Verlust des damit zu-
sammenhängenden um so leichter zu erklären.
Wir dürfen nun eine Vermuthung bezüglich des Inhaltes
des zwischen fol. 45 und 51 fehlenden Blattes Avagen. Das
folgende Bild, von dem nur ein Fragment vorhanden, zeigt
eine Person auf erhöhtem Sitze, unter der der 'populus' und
ein 'notarius' zu sehen ist, welcher eine Pei'gamentrolle mit den
Worten : *dux. comes. princeps' hält 2. Vermuthlich stellte es
die Neuordnung der sicilischen Verhältnisse auf dem Reichstage
von Bari dar, nach welchem Heinrich das Königreich verliess.
Die Legation des Kanzlers Konrad wäre dann etwa das letzte,
das dieses Buch erwähnt haben dürfte.
Der Dichter schrieb die letzten Blätter des H. Buches mit
eigener Hand. Hatte er das Frühere einem Schreiber in die
1) Vgl. Toeche S. 345, .352. 2) Winkelmann S. 81.
Zu Petrus de Ebulo. 393
Feder dictiert bis zu jenen jubelnden Hymnen auf die Geburt
des jungen Friedrich, so fühlte er sich vielleicht nachträglich
noch selbst veranlasst, die genannten Zusätze zu machen, um
namentlich auch seinen Gönner, den Kanzler Konrad, nicht
zu vergessen. Inzwischen war der Kaiser im Juni 1196 von
Deutschland gen Italien aufgebrochen. Mit Schrecken sahen
ihn die Sicilianer sich dem Süden des Landes nähern i. Da-
mals in der allgemeinen Angst war es anscheinend, dass der
Poet die Musen abdankte und die göttliche Weisheit für seine
widerlichen Dithyramben zu Hülfe rief, 'damit die Muse
ihrem Kaiser gefalle' 2. Hatte er dem III. Buche den Titel ge-
geben; 'ad honorem et gloriam magni imperatoris', so war es
ganz eonsequent, wenn er in der prosaischen Widmung und
Subscriptio bemerkte : 'hunc librum ad honorem augusti com-
posui'3, was sich aber eben nur auf das III. Buch bezog, da
er die beiden ersten Bücher schon mit der poetischen Dedi-
cation geschlossen hatte.
Ob Petrus dem deutschen Herrscher unsern Codex wirk-
lich überreichte, muss zweifelhaft bleiben. Wohl aber können
wir begreifen, wie jemand darauf kommen konnte, die letzte
Lage auseinanderzunehmen. Vielleicht der Dichter selbst,
vielleicht ein Anderer mochte es nun unpassend finden , dass
die Zueignungsverse sich nicht am Schluss des ganzen Werkes,
sondern am Ende des II. Buches vorfanden. Und wenn dann
wieder Jemand bemerkte, dass die vor der Dedication stehen-
den Stücke nicht in den Rahmen passten, warum sollte er
nicht, an dem Wirrwar verzweifelnd, seine Zuflucht zu einem
radicalen Mittel genommen und ärgerlich, was ihn befremdete,
zerrissen haben?
1) Toeche S. 451. 2) v. 1462: 'Possit ut augusto Musa placere
suo'. 3) Winkelmann hätte daraus also nicht den Titel für das ganze
Carmen herleiten sollen, wie Wilh. Arndt bereits in der Jen. Litteratur-
zeitung 1874, S. 743 mit Recht bemerkte.
Neues Archiv etc. XV 26
Verse auf Kaiser Friedrich I.
Mitgetheilt von L. Weiland.
Auf fol. 1 der Handschrift Patres nr. 59 der ehemaligen
königlichen Handbibliothek in Stuttgart (jetzt der Öffentlichen
Bibliothek einverleibt), welche die Homilien Leos des Gr. von
einer Hand des 12. Jh. enthält, hat ein Schreiber dei-selben
Zeit folgende Verse eingetragen:
Ortu Teutonicus Komanus rex Fridericus
Augusti nomcn pacis possedit et omen.
Pollens consilio cessit ' certaniine nullo ;
Dissona compegit, dum prelia plura peregit.
Discordes^ stravit, quia tempora pacis amavit.
Huius honore boni non impar erat Salomoni.
Felix felicem plantavit ad astra radicem.
More rose vernans, bene subdita regna gubernans,
Largus erat dando, depressos quosque levando.
Clerum dilexit, raonitis hunc optime rexit.
O quam dementem monachi sensere parentem !
Hunc deus elegit, per cum miranda peregit.
Ut dicam breviter, summum vite subit iter:
Signum namque crucis tollendo fit assecla lucis.
Bellator fortis adiit Christi loca mortis,
ßarbaricam gentem iam dudura cuncta tenentem
Exstirpare volens; sed summa potentia nolens
Id per eum fieri nee nomen tale mereri,
Hunc rapit ut stultum, quod mirandum puto multum.
Milleno cum centeno novies quoque deno
Anno migravit, animam deus ipse beavit.
Etwa in der Mitte der Hds. findet sich nachfolgender
Hymnus auf den hl. Georg mit Neumen:
Versus sancto Georgio.
Martir egregie, deo dilecte, ad te clamantium voces tuo-
rum propicius audi, sancte Georgi. Tu per innumera mortis
tormenta triumpho nobili promeruisti martyria militie signifer
1) cesit cod. 2) disscordes cod.
Verse auf Kaiser Friedrich I. 395
esse. Vana iudicasti gaudia mundi et transitorie dulcia vite
memor Christi tui mente liquisti. Unde pro meritis fulges in
celis ut inter sydera sol atque luna certus premii pro quo
certasti. Ora pro famulis tibi devotis et coram iudice veniam
posce, ne nos iudieio dampnet extremo. (T)rinitati decus
honor et virtus inseparabili laus unitati consors imperium omne
per evum. Amen.
26'
Lateinische Gedichte des XII. Jahrhunderts.
Mitgetheilt von J. Werner.
Ausser schon bekannten Versen von Hildebert und Mar-
bod ' enthält die Hs. C 58/275 auf der Wasserkirche in Zürich
eine Anzahl ähnlicher, bisher wohl ungedruckter Gedichte.
Die gegen das Ende des XII. Jahrhunderts mit vielen Ab-
kürzungen in Frankreich geschriebene Hs. umfasst in ihrem
jetzigen lückenhaften Zustande noch 370 Seiten mit Doppel-
coluranen. Die ersten 4 Lagen fehlen völlig, so dass die Hs.
mit der V. Lage beginnt, die wie die übrigen (bis zur XXX.)
auf dem untern Rande des ersten Blattes mit der Zahl be-
zeichnet ist. Aber auch im Folgenden ist kaum eine Lage
vollständig. Von der XXX. Lage an erscheint eine andere
Hand, die bis zum Schlüsse reicht und den Text besonders
gegen das Ende durch Abkürzungen zusammendrängt.
Man könnte geneigt sein, die folgenden Gedichte, soweit
dieselben unter solchen von Hildebert und Marbod stehen,
diesen beiden Dichtern zuzuschreiben, umsomehr als sie in
der Anlage und im Versbau mit jenen Achnlichkeit haben.
Obwohl unter diesen Versen auch zwei Grabschriften auf Abä-
lard stehen, deren eine von ihm selbst verfasst sein soll, so
wird man doch nicht so weit gehen dürfen, die Liebesgedichte
auf sein Verhältnis zu Ileloise zu beziehen ^.
Unter dem anderweitigen Inhalt der IIs. ist zu nennen:
Ein Bruchstück des Carmen de pondcribus (Riese, Anth. 1.
nr. 486 vv. 69—163), ein grösseres Stück (vv. 1 — 949) der
Periegesis von Priscian mit dem Titel: Incipit periegesis.
Prisciani gratici (= grammatici). translata de aliis libris or-
mistarum (= orbis terrarum) feliciter; Florilegien aus Persius,
Ovidius und Horatius. Nicht zu vergessen sind die von Graff,
Wackernagel, Pfeiffer und Hofmann herausgegebenen deutschen
Stücke, die von Wackernagel herausgegebenen Vagantenlieder
(Haupt Zs. V). Daneben lesen wir das 13. der von Mone
(Anzeiger VII. p. 111) herausgegebenen Gedichte: Latebat in
scriptura. Auch haben wir darin ein weitläufiges Glossarium,
1) Vgl. Bd. XIV, S. 421. 2) Vgl. Hubatscb, Die lat. Vaganten-
lieder S. 8.
Lateinische Gedichte des XII. Jahrhunderts. 397
zum Theil Auszug aus Isidor und längere Partieen aus dem
Carmen de aequivocis, ein kurzes Carmen de figuris, einige
Epitaphien, die bekannten Verse über den Nuramus (vgl. No-
vati, Carmina medii aevi p. 39—41) und über die Weiber
(vgl. Anzeiger f. K. d. d. V. 1878, XX, Sp. 257) nebst werth-
losen Dingen.
Es folgt nun der Text der Gedichte:
I.
Audi, faex iuvenum, cuius sunt verba venenum,
Cuius opus caenum, cuius cor stercore plenum.
Quis sis, ipse vide: mala sie tua, non mea, ride,
Vel potius plora, meliorarique labora.
5 Tempore nocturno vigilas, dormisque diurno,
Laudas incestos et detestaris honestos,
Paucis contentos contemnis, amas opulentos,
Infortunatos premis, extollisque beatos;
Tristis laeta vides et cernens tristia rides;
10 Mens in momento duplici tua concita vento
Vult quod nolebat, non vultque, quod ante volebat.
Pransus te iuras gustasse nihil, neque curas,
Cum sis ipse satur, quicumque fame moriatur.
Frangeris adversis, et prosperitate superbis;
15 Nuptas corrumpis, scortis data foedera rumpis;
Ut fera concumbis, solitus non parcere lumbis;
Mavis stuprari quam quae solet inde lucrari;
Mentiri mavis quam portum längere navis,
Deditus usuris es non sine crimine furis,
20 Adiunctus scurris cum fenore parta ligurris.
Convivas ambis, semesaque fercula lambis.
Vina prius potas et faeces postea totas.
Inde comesta vomis, ac vina recondita promis.
Ecce tuae sordes: alios qua fronte remordes?
II.
Obiurgatio amatoris puerorum.»
Sordidus et foedus nimis est, et foetet ut hoedus,
Cuius amas tactus, turpis sibi culcitra factus,
Quem quotiens audes digitis emungere, gaudes.
Et quasi munus habes, cum te maculat sua labes.
I. fol. 1 u. col. II. 1: fex. 2: zenum. 9: Ifta. 12: prans-
sus — nichil. 15: federa. 19: Detitus. 19: crumine. 20: liguris
(per compend.). 22 : feces.
II. fol, 2 r. col. I. 1: Sorditus et fedus. 1: fetet ut hedus.
3: quociens.
1) Vgl. Neues Arch. XIII, S. 358.
398 J. Werner.
5 Cum quo dum flumen petis, ut lavet unda bitumen,
Non undis mundas te, sed tu polluis undas.
Non inpune feres, quod sordibus eius adhaeres
Nee metuas dorsum, quia tendo minas aliorsum.
Sis lieet inberbis, utar pro verbere verbis:
10 Verbera cessabunt, sed plus te verba gravabunt;
Fies infamis nostris per saecula grammis,
Dum nox atque dies durabunt, fabula fies.
Exponam, quare te nullus debet amare:
Pinguior es vaeca, foetes ut mota cloaca,
15 Estque tibi vultus nimio pallore sepultus,
Vertex inplumis, plenum caput undique strumis,
Obsita frons rugis, in lumine laerima iugis,
Aures expansae, ceu vasis fictilis ansäe,
Nasus culpandus, quoniam brevis atque repandus,
20 Os dilatatum, dens livens, putre palatura,
Est in gingivis tineis caro saucia vivis,
Nigrescunt scabra rubigine pallida labra,
Barbatura mentum vastant aniraalia centum,
De silva colli possunt pascentia toUi,
25 Demissis humeris non vir, sed virgo videris,
Dortis confertos cubitos geris atque lacertos
Brachia sive manus quales vel qualia nanus,
In nodis spinae veteris stant signa ruinae.
Sectus subtile nil constat habere virile.
30 Aequas ventre nates, laterum turnet utraque crates,
Sic tua pinguedo turget quadramine foedo
Dicere quäle femur, quam foeda verenda veremur.
In genibus grossis gibbus protuberat ossis,
Cruribus in macris ignis rubet inpetus acris
35 Erraatus talis, pes osseus est bipedalis.
Turpia cuncta foris, intus pars nulla decoris:
Nullus enim morum fuit unquam deteriorum.
Ergo cum sit ita, beilos attingere vita,
lam propter bellos perdes quandoque gemellos.
III.
Dissuasio imtempestivi amoris sub assumpta
p a r a b 0 1 a.
Mens mea tristatur, virtus raea debilitatur,
Corpus tabescit, flet vena, medulla liquescit.
Feste mutatur, facies mea flendo rigatur.
7: adheres. 11: scta. 14: fetes, 18: anse. 26: confertas.
27: llillnanus. 30: Equas. 31: fedo. 32: feda. 33: J gnib;
— gybbus.
m. fol. 41. r. col. IL Tit.: pata. 3: ma.
Lateinische Gedichte des XII. Jahrhunderts. 399
Nec satis effundo lacrimas, quibiis intus abundo,
5 Cum via nuUa datur, qua quo volo perveniatur.
Prorsus despero rem, quam contingere quaero :
Nec desisto tamen, nec habet mea cura levamen,
Claudus agens leporem frustra consumo laborem,
Inproba testudo cervum sequor et mihi ludo.
10 Sed neque sie cesso, nec dat furor otia fesso.
O ! si quid nossem, per quod desistere possem,
Quam felix fierem, si quod volo nolle valerem ;
Nolle sed ex toto, nequaquam dupHce voto.
Langueo quippe volens, medieinam cogito nolens.
15 Sed quod nolo volo, rursura quoque quod volo nolo*.
In me divisus, de me mihi concito risus,
Risus exosos, risus tristes lacrimosos.
Numquid in hoc tabo putrescens semper amabo?
Aut quis erit finis tantis, bone Christe, ruinis?
20 Num semper prisco cupiam me tradere visco,
Et semel egressus rursus laqueis dare gressus?
Dilexi multas parvas puer et vir adultas;
Dilexi multos parvos puer et vir adultos.
Quodquod dilexi falso conamine flexi.
25 Aetas conslmilis^ decor et risus puerilis,
Aspectus laetus, vox dulcis, sermo facetus
Quas affectabat facile sibi conciliabat.
Nunc dispar aetas cogit viciis dare metas:
Nec bene, si cupiam, quod eram, tunc denuo fiam.
30 Lascivum pectus non debet habere senectus
Et contemptibilis solet esse libido senilis.
IV.
Omine felici te Musa salutat amici,
Te mea musa canit, tibi soli ludere gestit.
Ludere cum gestit, te mea Musa canit.
Te cantare paro, laudans te carmine raro.
5 Ludere si cupiat, te, mea Musa, canat:
Es nam digna coli, quia nescis cedere soli.
Ergo si sapiat, te mea Musa canat.
Non puto, mortalis quod vivat femina talis:
Hanc tu iure canis, si, mea Musa, sapis.
10 Crederis aut Phyllis fore, vel Venus, aut Amaryllis,
4: habundo. 6: quero. 8: Claudens. 10: ocia. 15: rüsum.
17: Rirus aus Risus corr. 19: bne xpe 25 — 27: auch fol. 4 r.
col. II. als Schluss des Epitaphium Achillis (Meyer 1614, Riese 630).
30 sq. : auch fol. 4 u. col. II.
IV. fol. 5 r. col. I. 10: phillis — amarillis,
1) Vgl. oben I, v. 11.
400
J. Werner.
Ergo si quid amo ludere, te resono.
Tu Ledae vultum, dignum quoque Pallade cultum
Induis, et si quid Leda natura reliquit,
Pulcrius hoc totum geris, o dulcissima, tecum.
15 Ergo tuum vultum laudans saepissime, multum
Carmine te nostro, dulcis amica, cano
Forma tibi,
Cum Paridis
quasi luno sibi
dea iudiciis
fore tunc voluisset,
nimis indoluisset.
te semper adornat,
colit atque reformat.
tua forma relucet.
se saepe remiscet.
trahit, urit et angit,
sinit esse quod angit.
quam mente requiro
quam mente requiro.
carmine scribo,
corde recondo.
quia cura latenter
patiturque frequen-
ter.
Nam crucior mihi quando sopor dat habere quietem,
Et vigilat, modicamque negat mihi cura quietem.
Cor lacerat, raentemquegravat, mihi pervigil hostis,
Saevus amor qui cuncta, reor, sibi subdit ut hostis.
Forma decens
20 Quam miro
Purpureis
Cui niveus
His aniraum
Nee laetum
25 Et pereo
Et doleo
Mente requiro
Carmine laudo,
Nocte, die
30 Corda raovet
cultusque recens
tua caro modo
ornata notis
color, et nitidus
vaga cura meum
cor cura meum
quia te careo
cum non video
te, cui miro
teque sub irao
careo requie
mens unde dolet
35 Sic moritur
Tunc animo
Namque sibi
Et nolens
cum sol oritur,
stat cura meo,
mens, utque dies fit,
mihi nulla quies fit.
mens maesta mei te plangit abesse,
fit saepe dolens, quia te seit abesse.
Ergo veni, nostroque redi solamen amori
40 Inpositura gravi finem requiemque labori.
18 : iudiis. 20 : mirä.
dolet, aestuat ardet et angit.
Nach V. 24 noch: Cor patitur, plangit,
37: mesta.
i
Lateinische Gedichte des XII. Jahrhunderts. 401
V.
Dulcis araica mea, specio.sior es Galathea,
Gloria, flos, speculum, lux atque decus nmlierum,
Unica spes vitae, dulcis amica^ meae,
Unica dilecta, praecellis araoena virecta > ;
5 Pulcrior es flore, plus omni suavis odore,
Pulcrior ac Chrysis, plus omnibus antea visis,
Plus Helena pulcra, plus quam Venus esset et ultra,
Et plus quam Phyllis, luno, Venus aut Amaryllis ^
Plus etiam Dana, plus quam foret ipsa Diana.
10 In terra nulla fuit unquam pulcrior illa,
Immo nee qualis nee abhinc erit altera talis.
Quae modo sunt vel erunt, cedunt tibi, quaeque fuerunt.
Testeque Fortuna tu pulchrior omnibus una,
Lucifer ut stellis, sie es praelata puellis^.
15 Testor et est verum, quod sis pulcherrima rerum.
Euge decus mundi, sexus regina secundi,
Cura meae mentis, tocius gloria gentis,
Femina regalis, maiestas imperialis,
Nynpha salutaris merito fore diva putaris,
20 Gemma puellarum, splendor generalis earum,
In media plebe splendens velut aurea Phebe,
Nobilior lauro, puro rutilitantior auro,
Mollior es pluma, matura mitior uva.
Et, si concedis, teneris lascivior (h)edis.
25 Elegi solam totam sine labe decoram.
Non habitura parem, nisi fugitura sodalem,
Haec, tibi succincte quae scripsi, mente relinque
Atque memor pro me semper sub corde repone;
Gaudia neque vafer nostri subducat adulter;
30 Sisque memor dulcis, mea bella puella, sodalis,
Hec tu ne vento tradas, dilecta, memento :
Vive vale semper^ te plus me non colit alter.
VI.
Vivere non possum sine te, neque vivere tecum,
Istud namque timor inpedit, illud amor.
O ! utinam sine te vel tecum vivere possem.
V. fol. 5 r. col. II. 1: galatea. 4: amena. 6: crisis. Nach
V. 6 ist V. 5 wiederholt: Phis etiam flore, pl. 7: phillis — amarillis.
Nach V. 9 sind wiederholt v. 7 (aber 'Thais') für 'Venus' und v. 6 : Plus
quoque quam grisis pl. 16: ^ ^ 27: Hae. 31: dilecta.
VI. fol. 6 r. col. I.
1) Vgl. Verg. Aen. VI, 638. 2) Vgl. oben IV, 10. 3) Ovid,
Metam. IV, 56.
402 J. Werner.
Sed mallem tecum vivere quam sine te.
5 Instar solis ave! toeius luminis atque
Ut flos cum lauro, sicut cristallus in auro,
Sic luces forte mulierum sola cohorte.
Sol superat lunam, mulierum tuque figuram.
Corpore nunc absum, sed sensu sedulus adsum,
10 Qui tibi sit fidus, non hospes, sed sit amicus,
Utque patet, levis est aut tua nuUa fides.
Nara tibi si qua fides, amor aut mens ullus inesset
Esset mox aliquo cognitus indicio.
Die mihi, num poteris aliquod mihi dicere factum,
15 Unde tuus verus esse probetur amor.
Si pignus verbis bene conmendatur amoris,
A te multa qui dem sunt data verba mihi.
Sed certe solis stultum puto credere verbis,
Vera solet veris rebus inesse fides.
20 Saepe tibi scripsi, si quid scripsisse valeret,
Et tibi si prosit, scribere dulce putem.
Saepe tibi scripsi, semel et tua scripta recepi:
Te precor, ut nobis non levis esse velis;
Aut si versus amor tuus est in taedia nostri,
95 Et breviter scribas tu mihi, quid cupias.
Ulterius animum noli suspendere nostrum.
Si te vis ut amcm, fateor, te semper amabo,
Et quamvis nolis cura perennis eris.
VII.
Ad fugitivum.
Omnia vilescunt, artusque dolore liquescunt,
Non opus exponi, tolercnt quae dura coloni,
Sensus marcescit, corpus, vox, atque tabescit:
Ergo revertaris, ne mortem promerearis.
5 Mors a te fugiat, optata reversio fiat,
Quae mentem reparet conversio sola placeret;
Hanc dominus donet, ne mens aegrota laboret.
Oro.deum, vivum quod te mihi reddat amicum,
Insanae menti tu consule iam pereunti.
10 NuUus erit finis ubi pessima regnat Erinis,
Et vere finis non est, ubi regnat Erinis,
Scripta mihi desunt, quia cordi tristia praesunt.
Quid loquar absenti, me, pro dolor! et fugienti?
Quid iuvat absentes lacescere versibus aures?
15 Durior es lapide factus, dum quaereris a me:
Non te saxosum valeo superare remotum.
16: conmendantur. 18: soH'. 24: tedia.
VII. fol. 11 u. col. II. 7: egrota. 13: doror.
Lateinische Gedichte des XII. Jahrhunderts. 403
Convenias mecum, faciam te non fore tecum;
Multa loqui vellem tecum, si tempus haberem
Et loca, quae nostris congruerent lacrimis.
20 Haec quia non dantur, pro me mea scripta loquantur,
Et sit pro viva kartula voce mea.
Ei mihi, quid merui^ quod nuUa licencia fandi
Tecum secretis est habitura locis.
Si mihi privatim non vis concedere, saltim
25 Concedas kartae dicere pauca meae :
Flava prius Rhenum sua flumina rebar in Histrum
Vertere, quam soli te mihi nolle loqui.
Qua ratione tibi modo sim magis ipse pudori
Quam prius, omnino dicere non potero.
30 Venerat hoc ex te^ quicquid tibi displicet in me:
Nonne probasti mea? cur modo carpis ea?
Tunc ego gemma fui, tunc flos, tunc lilia campi;
Tunc quoque nulla fuit orbe mei similis.
Illud idem, quod eram, modo sum, nisi virgo; nee umquam
35 Id fieri potero: quod sine fine fleo.
Hoc ego nocte die fleo, quod non fata tulere
Cum dulci vitam virginitate meam.
Fraude triumphare nihil est nisi laude carere
Pollicitando mihi bona plurima saepe dedisti,
40 Proque bonis sumpta sunt mihi multa mala.
Saepe tui causa mihi sunt data verbera plura
Mollibus et membris vix pacienda meis.
Verbera quam membris nocuit plus fama pudoris,
Verbera sunt levius quam mihi verba pati.
« Quod dedit ante iocum modo dat mihi fundere fletum.
VIII.
Conpar nulla tibi me teste valet reperiri:
Lucifer ut Stellas > superatve Diana puellas,
Sic tu consocias superas probitate catervas.
Praestas vicinis, praestant ut lilia spinis
5 Virtutes in te posuerunt munia cunctae:
Verum fata bene tua tempora disposuere;
Nox sine te longa, lucetque dies odiosa,
Si processisses, stellarum prima fuisses.
Conveniant medici terra quacumque periti
10 Et medicinarum expandent iura suarum.
Tu dabis antidotum, sanabis me quoque totum.
28: ipsae. 31: prob. Omnia facta mea? 38: nichil.
VIII. fol. 12 r. col. I. 3: consotias. 5: menia.
1) Vgl. oben V, v. 14.
404 J. Werner.
Sed forsan dices: 'herbarum non mihi vires
Sufficiunt, pla^ae per quae sopiantur amarae'.
Non sunt quaerendae silvis aut montibus herbae,
15 Sed geris intra te medicamina congrua; quare
Ne peream, propera; pereundi tu mihi causa.
Nura tibi divitias mea mors praestabit opimas?
Numquid morte mea caeli penetrabis amoena
Gaudia, cum vitae verae perdant homieidae?
20 Numquid legisti, vel ventis lecta dedisti,
Poenas inmites homicidis esse perennes?
IX.
'Avertat poenas deus et tibi donet amoenas
Sedes, sed mecum : qnia volo vivere tecum',
Dicebat quidam moribundani questus araicam.
'Aut moriar tecum, vel debes vivere mecum.
5 Stet tibi mens eadem, mihi stare scias et eandem,
Tempus prolixum nee certo cardine fixum.
Hoc decernatur, decretum perficiatur.
Laeticiae flores facient cessare dolores.
Ex hoc verbo spem, veram nondum teneo rem.
10 Sed qui spe gaudet, ipsam rem denique prendet.
Sum laetus de spe, reddar laetissimus ex re.
Quae sit res illa, non est opus edere lingua;
Dulcior est omni, poterit quod dulce vocari.
Dulcior ista re si res extet, meditare,
15 Dulcior in terra res non conprenditur illa,
Dulcedo cuius hnmanos edoraat artus:
Saepius haec repetens, nimium me vulnero demens'.
X.
Si cuiquam capto vel taetro carcere clauso
Proximus illius vel quis dixisset amicus:
Gras dimitteris, haec ultra non patieris,
Annorum mille noctem fore diceret ille,
5 Ac pro spe nimia, nox insomnis foret illa.
Si fuerit verbis amor aut medicabilis herbis,
Omnia portarem, quo tela cruenta fugarem.
Non est quo fugiam vel cuius munere vivam,
Corpore laxatus, graviter sum corde ligatus.
10 Non horresco iugum nee pondus id est mihi durum.
XI.
Omnia postpono, te pectore diligo toto,
Tu mundanarum fons vivus deliciarum.
IX. fol. 12 r. col. I. 15: conprehenditnr.
X. fol. 12 r. col. IL 7: t?la.
XI. fol. 12 u. col. I. 11: sydera. — Nach 17 folgt der aus Mar-
bod bekannte Vers: Missa tibi soli multis ostendere noli.
Lateinische Gedichte des XII. Jahrhunderts. 405
Te colo, te cupio, peto te, lassatus anhelo,
Ad te suspiro moribundus^ teque requiro,
5 Concite succurre ruituro, dicque : 'resurge,
Nunc ego sanabo morbum, maestumque levabo,
Tantum convaleas, sospes, laetus quoque vivas!'
Verum praecellis nectar me iudice mellis
Est potus nullus tanto duleedine fultus.
10 Qui non vilescat illi, quem semper inescat
Omnis factura Christi: sol, sidera, luna^
Celles et montes, valles, mare, flumina, fontes,
Tempestas, pluviae, nubes, ventique, proceliae,
Cauma, pruina, gelu, glacies, nix, fulgura, rupes,
15 Prata, nemus, frondes, arbustum, gramina, flores
Exelamando vale mecum praedulce sonate.
Non precor extremum, sed quod perduret in aevum.
XII.
Carmina misisti: quod amat mea Musa dedisti;
Aes, aurum squalent, carmina sola valent.
Carmine leniti tenet Orpheus antra Cociti,
Dantque locum Manes Cerbereique canes.
5 Carmine placavit, quod quisque mali toleravit;
Fit, quod erat rabies, carmine summa quies.
Nulli . . res nulli metuere dolores.
Nulla furente domo verbera sensit homo.
Inmemores poenae, quos constrinxere catenae^
10 Inmemores irae fecit amore lyrae.
Multis multa modis, dum carmina copulat odis
Orpheus ante deos, carmine vicit eos.
Dum sua fila regit, mortem ridere coegit:
Miraque res fuerat, quod sibi risus erat.
15 Arte lyraeque sonis mutatur et ira Plutonis,
Mutat iura dei, dum miseretur ei.
Quasque timent misere Furias simulacra videre,
Viderunt Furias tunc simulacra pias.
Nullam mente fera respexit iniqua Megera,
20 Miranturque rei, quod pavor absit ei.
Ad Ijricos cantus ita conticuit Radamantus,
Quod, cum vox sonuit, quaestio nulla fuit.
Obstupuit Cloto fusoque coloque remoto,
Nee dat laeva coli vivere sive mori.
25 Interea rores nuUos hausere sorores:
Dum lyra concrepuit, poena remissa fuit.
Inmemor ad cytharae modulamina pestis amarae
XII. fol. 12 u. col. I. 7: do lo. 9: penf — katenf. 13: fila
über der Linie zugesetzt. 17: timet. 17: simulachra.
406 J. Werner,
Vultur dat Tytio vivere dente pio.
Ixionisque rota, montis de vertice mota,
30 Carmen ut audierat, volvi destiterat.
Tuque, propinquarura male quem fuga Fallit aquarum,
Tantale, si speres, flumina nou peteres.
Sisiphus auscultat modo nee sua saxa volutat,
Sed stupet, Orphei quid lyra dicat ei.
35 Ergo per umbriferos saitus Rodopeius heros
Carminibus Stigiam non pavet ire viam.
Ergo per horrentes populos umbrasque sileutes
Carminibus vadit regnaque mortis adit.
Per loca concessum tenuit duce carmine gressum,
40 In quibus est fletus, nox, labor atque metus.
Non pavet obscuras facies turpesque figuras,
Sed magis arridet, cum fera monstra videt:
Intuitus mutant torvos, blandeque salutant;
Dat rota Tartarei signa favoris ei.
45 NuUus eum terret, sed ei, ne devius erret,
Significant pariter, qua teneatur iter.
Undique funduntur et ad Orphea quoque feruntur:
Utque Plutona deum, sie comitantur eum;
Nara dum concineret, cava dum loca voce repleret,
50 Quemlibet a propriis traxerat officiis:
Milia iunguntur modulataque verba sequuntur,
Nee strepitu vocum praepediere iocum;
Sed, nostro more, psallentis vatis ab ore
Quisquis ibi stabat, murmura nulla dabat;
55 Nee lovis ante thorura tantus magis ordo deorum
Suscipit aetherei seria verba dei.
Sic infernorum tenet Orpheus ora deorum,
Sic rabiem demit, sie fera corda premit:
Eurydicen tutus per inania regna secutus,
60 Terra quibus finit, stagna Karonis init.
Carminibus sociis transuavit stagna Karonis
Imperioque dei redditur uxorei.
XIII.
Versus de duobus languentibus.
Roma duos habuit; res est, non fabula vana,
Auetores perhibent et pagina Quintiliana.
Fugerat non geminos labor unus percutiendi,
Sic fuerant similes forma specieque videndi.
29: Yxionisque. 48: conmitantur. 49: uoce loca. 55: anto.
69 : Euriden.
Xni. fol. 15 r. col. II. Eine Hs. dieses Gedichtes weist Pertz, Archiv
VIII, p. 410 nach. Tit.: languntib;
Lateinische Gedichte des XII. Jahrhunderts. 407
5 Et sie miscuerat color unus utrumque decorum,
Quod vox sola foret discretio sola duorum.
Quos ita naturae manus ingeniosa potentis
Finxerat ex anima vel corporeis elementis,
Ut meminisse queat nihil in rerum genitura,
10 Cui sit tantus nonos, vel tarn speciosa figura.
Hos tarnen exeoluit elementis sie moderatis,
Ut nihil esset eis de labe superfluitatis.
Turpis ad hos puer ante lovem qui pocula ponit,
Turpis eris Memnon, et tu quoque turpis Adonis.
15 Feliciterque diu vixisset uterque iuventa,
Ni foret ante diem sibi lux vitalis adempta.
Sed rota fortunae^ numquam rarove fidelis,
Non sinit, ut vivat homo longo tempore felix.
Cum velit humanae pacem turbare quietis,
20 Invehit infirmis mala corporis, invida laetis.
Sic igitur sicut similes parilesque fuere,
Sic paribus fatis incepit utrumque movere
Una mali species, eadem natura doloris,
Unus quippe modus et eisdem scilicet horis.
25 Qui nunc ergo genas et nunc ornaverat ora,
Et color et sanguis secessit ad interiora.
Quinque iacent sensus in corpore mortificati,
Cernere vix possunt oculi languore gravati.
Non valet escarum guttur sentire sapores,
30 Non sentit tractanda manus, neque naris odores.
Surdae sunt aures et deficit usus earum ;
Sic ablita iacet rerum natura suarum.
At pater, inde dolens, inplorat opem medicorum;
Et venere duo: Graecus fuit alter eorum.
35 Ergo per urinas et venis saepe notatis
Quaerunt, unde fluant tantae mala debilitatis.
Sed nee in urinis vel pulsibus inspicientes
Morborum causas potuerunt scire latentes.
Falluntur medici, perit et sollertia Graeca:
40 Saevit adhuc morbusque latens et passio caeca.
'Quis modus his morbis? quis finis ad hos cruciatus?'
Sic pater ad medicos; respondet uterque rogatus:
'Cum simili morbo videamus utrumque gravari,
Causa latet morbi, neuterque potest relevari,
45 Ni prius alterius in visceribus videamus,
Quis sit et unde fluat dolor, unde modo dubitamus'.
Tunc pater haec fieri cernens opus atque necesse,
9. 12: nichil. 14: mnon. 20: letis. 23: Vna mala mali.
25: 'ergo' compendio Script, supr. lin. add. 28: längere. 33: iplorat.
34: uene. 35: sepe. 36: Qverü. 39: gca. 40: Sevit ceca.
44: neutq; pse.
408 J. Werner.
Maluit unius quam nullius pater esse.
Ergo de quo medici quemcumque magis voluerunt
50 Membra secant, sedemque mali per viscera quaerunt.
Inveniunt causamque mali morburaque latentem
Sic alium curant simili languore iacentem.
At raater gavisa parum de sospite nato
Semper in alterius nati dolet anxia fato,
55 Et plangens alium velut a genitore necatum,
Iuris in causam patrem trahit ante senatum.
Femina, sicut erat magis ad lites animata,
Sic prior inquit: *Eram geminorum prole beata;
Nunc peto, quod minus est mihi de numero geminorum,
60 Quem pater extinxit et iniqua manus medicorum.
Ferro, non morbo periit puer ille peremptus,
Cum sua fortassis curaret utrumque iuventus.
Aeger erat, dicunt; tamen ex hoc non morietur,
Cum suus ex ipso frater morbo relevetur.
65 Responsurus ad haec surgit pater atque profatur,
Seque parat verbis legaliter ut tueatur,
Femineae sortis satis ostendens levitatem.
Dum modo damua videns uec tendit ad utilitatem.
*Ni videant medici prius unius interiora,
70 Curarent neutrum, sed utrumque trahat gravis hora.
Arguor, unde magis posset laus nostra venire:
Nam minus est unum quam duos velle perire.
Si duo contingant aliquando pericula dura,
Ex Ulis facimus minus et levius nocitura.'
75 Res nimc facta fuit et disceptatio talis,
Difinivit eam sententia iudicialis.
XIV.
Contra Romanorum avariciam.
Vae tibi, Roma vorax! absorbens cuncta Charybdis,
NuUaque, cum numquam sis saturanda, vomens!
Quod Caput ecclesiae te constituere priores,
Provida cura minus, sed pia forte fuit.
5 Idolatras Paulus cunctos profitetur avaros:
Non es avara quidem tu, sed avaritia.
Venalem sapiens animam testatur avari,
Atque scelestius hoc asserit esse nihil.
Vendere nulla timet, qui vendere sustinet illam,
10 Qua nihil in cunctis carius esse docet.
Hoc a principio morbo semperque laboras.
49: medicis. 50: querüt. 52: curat — langore. 63: Eger.
70: uterque. 72: minoris.
XIV. fol. 3 r. col. I. 1: caribdis. 5: Ydolatras. 8: nichil.
11 : i)cipio.
Lateinische Gedichte des XII. Jahrhunderts. 409
Tales rectores sunt populusque tuus.
Strata frequens est hospitibus Romana dolosis,
ßoma dolis plena est, experiendo scio.
15 Si tibi quid remanet, quod non rapuere dolosi,
Subripiet dolus hoc: experiendo scio.
Illic invenies oracula Delpnica semper,
Ambiguosque deos, experiendo scio.
Quisquis habet causam: det munera, scripta requirat,
20 Ad firmamentum suscipit arabigua.
Ut facile infirmet quicquid firmaverat ante
Scriptor, ab adversa munera parte ferens.
-Proh dolor atque pudor ! pudor omnis religionis !
Omnibus in tanto Roma fit obprobrio.
25 Ut clament cuncti: Romae venalia cuncta,
Pervertique illic omnia muneribus.
Dicat idolatram cum Babilon tibi Paulus avarum
Non es avarä quidem tu, sed avaricia.
Et sapiens perhibet nil esse scelestius illo,
30 Venalem qui habet seque animamque suam.
XV.
Mos est Romanis in causis cottidianis,
Si sonat ante fores bona vita, scientia, mores,
Non exauditur; si nummus, mox aperitur.
Audito nummo, quasi viso principe summo,
5 Dissiliunt valvae, nihil auditui' nisi: 'salve!'
Accurrunt turbae, tota fit plausus in urbe,
Papa simul plaudit, quia nemo libencius audit.
Nummus procedit, loquitur, pater audit, oboedit,
Omnia concedit, sine testibus omnia credit,
10 Quicquid vult, praestat, tamen haec distinctio restat,
Ut bene pensetur, nummatus in igne probetur,
Ignibus exustus colitur pro martyre iustus;
Sique rogarentur, Pauli prius ossa darentur.
Gratior est Petro, redit omnis gratia retro
15 Ne petat abscessum, pater hunc vocat ilico fessum.
Atque manu captat, captum vicinius aptat,
Parte locat dextra; sed pauper ti'uditur extra.
'Accipe!' 'sume!' *cape!' ti-ia sunt gratissima papae.
'Nil do', *nil praesto', nequeunt succurrere maestoi.
16: h— 17: delfica. 25: rome. 27: ydolatram.
XV. foL 3 r. col. II. 5: nichil. 8: obedit. 10: distincio.
12: martire. 16: captatü.
1) Verse 18 und 19 auch in Carm. bur. XXIa, v. 4. 5 , nnd 18 bei
Zingerle, Sitzungsber. d. Wien. Akad. 1866, Bd. 54, S. 315.
Neues Archiv etc. XV. 27
Eine ungedruckte Urkunde Konrads IV.
Mitgetheilt von Ernsl Pricdlaender.
In einer vor einigen Jaliren als Depositum in das König-
liche Geheime Staats -Archiv gelangten Siegelsamnilung be-
iinden sich eine Anzahl Originalurkunden, darunter atich
mehrere königliche und päpstliche, die allerdings grösstentheils
bereits gedruckt sind. Zu den Königsurkunden gehören u. a.
die beiden Diplome Adolfs vom 7. März und 14. April 1296
für die Klöster Schillen und Buch, Avelche jetzt nach Dresdener
Originalen — Avr.hrscheinlich doch zweiten Ausfertigungen —
bei Böhmer -Ficker, Acta imp. sei. S. 385 und bei Winkel-
mann, Acta imp. ined. II, 168 herausgegeben sind. Unediert
scheint dagegen noch der folgende Brief (epistola clausa) Kon-
rads IV. zu sein, av elcher zwar verstümmelt ist, doch zum
grösseren Theile noch entziflert werden konnte. Er steht im
Zusammenhang mit dem Briefe vom April 1243 bei Herquet,
Urkundenbuch der Reichsstadt Mühlhausen, S. 29, Nr. 98.
König Konrad empfiehlt die Brüder des Deutschen Ordens in
der Neustadt bei Mühlhausen der Stadtgemeinde.
Museums - Urkunden Nr. 3. Orig. Perg.
Augsburg, März [1244].
Conradus divi augusti imperatoris Fr. filius Dei gracia
ßomanorum in regem electus semper augustus et heres regni
lerusalem [scultetoj et universis civibus de Mulhusen fidelibus
suis graciam suam et omne bonum. Katam et inconvulsam ab
Omnibus imperii fidelibus servari volentes graciam, quam do-
minus et pater noster Romanorum Imperator simul et nos
fecimus [de] ecclesia nove civitatis |apud] Mulhusen [erga]
fratres domus Theutonieorura dilectos fideles nostros, prout in
paterno ac nostro privilegio plenius continetur, man-
damus et districte devotioni vestre precipimus per graciam
domini et patris nostri quatinus prefatis fratribus,
circa quos tam ipse dominus et pater noster quam nos spe-
cialem bcnivolenciam gerimus et affectum, quod in ea parte
factum esse dinoscitiu', studeatis firmiter observare. Alias ha-
bentes eosdem fratres prout apud vos requisierunt ex parte
nostra ob honorem paterni nominis atque nosti'i in suis negociis
propensius commendatos. Datum apud Augustam , mense
Marcii, 11^ indictione.
Fragmeute des rückwärts aufgedrückten Siegels sind eriialten.
Zur Chronologie der Briefe Gregors I.
Von L. M. Hartmann.
J. Weise hat in seiner Schrift: 'Italien und die Lango-
hardenherrscher von 568 bis 628' (Halle 1887) » Untersuchungen
über eine Anzahl von Briefen Gregors I. angestellt, hinsichtlich
deren chronologischer Ansetzung er mehrfach zu Ergebnissen
gelangt ist, welche von denjenigen P. Ewalds abweichen. Als
Fortsetzer der von Ewald begonnenen Ausgabe des Registi-um
Gregorii I. liegt es mir ob, mich mit diesen Untersuchungen
und Ergebnissen kurz auseinanderzusetzen, ohne dass ich dabei
die Absicht verfolgte, Weises ganzes Buch einer Besprechung
und Beurtheilung zu unterziehen.
Ewald ging von der handschriftlichen Ueberlieferung der
Briefe aus und stellte zunächst fest, dass drei von einander
unabhängige Sammlungen existieren, von denen je zwei theil-
weise dieselben Briefe enthalten, während andere jeder von
ihnen eigenthümlich sind. Die Reihenfolge der übereinstim-
menden Briefe ist in jeder der Sammlungen im Wesentlichen
die gleiche, so dass es keinem Zweifel unterliegen kann, dass
die drei Sammlungen auf eine gemeinsame Quelle zurückgehen,
die, wie aus handschriftlichen und sonstigen Beweisen hervor-
geht, das päpsthche Register sein muss. Ewald konnte daher,
indem er die übereinstimmenden Briefe als feste Punkte ansah
und zwischen diese die drei Reihen der jeder der drei Samm-
lungen eigenthümlichen, in jeder zwischenliegenden, Briefe ein-
schob, die Ordnung des Registers bis zu einem gewissen Grade
reconstruieren. Zur genaueren zeitlichen Fixierung dienten
dann die nicht wenigen handschriftlich überlieferten Tages- und
Monatsdaten, deren Bedeutung Ewald zuerst untersuchte und
feststellte.
Eine solche — ich möchte sagen mechanische — Unter-
suchung schliesst natürlich Irrthümer im Einzelnen nicht aus.
Die Möglichkeit, dass hier oder da der Zufall sein Spiel ge-
trieben, dass der Abschreiber ein Versehen begangen hat, muss
immer im Auge behalten werden. Eine fernere Fehlerquelle
1) Vgl. im allgemeinen über dieselbe die Recension Holder -Eggers,
D. Litt.-Z. 1888, S. 520 ff.
27*
412 L, M. Hartmann.
könnte aber bei einer Registerbenutzung auch entstehen, wenn
man das Eintragedatum und das Datum der Ausstellung gleich-
setzen wollte. Eine Ausgabe, die sich die Aufgabe stellt, das
Register Gregors, soweit es die Ueberlieferung zulässt, wieder-
herzustellen, muss sich viel genauer an die Ewaldschen Unter-
suchungen halten, als eine historische Darstellung, die mög-
licher Weise in einem oder dem anderen Falle nachweisen
kann, dass die Ordnung der Eintragung von der der Aus-
stellung abweicht. Wie weit diese Abweichungen gehen können,
dafür haben wir für das gregorianische Register nur wenige
Anhaltspunkte % und es wäre gewiss verkehrt, wollte man auf
dieses ohne Weiteres anwenden, was für die Register der
späteren Zeit gilt. Ein Unterscliied der Daten von mehr als
einigen Wochen, eine Vermengimg von Briefen aus mehreren
Monaten wird sicherlich nicht regelmässig, sondern nur die
Ausnahme gewesen sein, und die ßeweislast wird zu tragen
haben, wer die Eini'ede gegen den allgemeinen Grundsatz der
Anordnung geltend macht.
Ganz verschieden von Ewalds Verfahren ist das Verfahren
Weises. In dem sicherlich richtigen Bestreben, die einzelnen
überlieferten Thatsaehen ursächlich zu verketten imd die fehlenden
Verbindungsglieder aufzuhnden, geht Weise so weit, dass ihm
die Erklärung, die er aufstellt, als nothwcndig erscheint, die
Möglichkeit zur Gewissheit wird, ohne dass er alle übrigen
IMöglichkeiten, die vorliegen, bedenkt. Ich will es dahingestellt
sein lassen, ob es geschmackvoll ist, zu sagen, dass Rosimunde,
als sie sich dem Perideus hingab, ihn 'nur durch ausserordent-
liche Selbstverleugnung' gewann (S. 24) — aber es scheint
mir durchaus verkehrt, wenn Weise behauptet, Romanus habe
Perusia genommen, bevor er in Rom eintraf, während die
Quellen die entgegengesetzte Reihenfolge bezeugen, auf Grund
dessen, dass dies jeder behaupten müsse, 'der Romanus als
tüchtigen Feldherrn anerkennt' (S. 173). Wir können aus
Wallensteins Fähigkeiten und Charakter auf die Wahrschein-
lichkeit einer oder der anderen geheimen Unternehmung schliessen
und vermuthen, warum er diese oder jene TruppenbcAvegung
ausführen Hess, — aber auf Grund des vermutheten Feldherrn-
genies des Romanus, eines Mannes, von dem wir nicht mehr
wissen, als Avas sich auf einer Seite zusammenstellen lässt,
und auf Grund von militärischen Verhältnissen, die Avir nur
1) S. Ewald, N. A. III, 595: zwei wahrscheinliche Abweichungen,
da zwei Briefe, deren Tag^csdaten uns als 17. und 22. Juni überliefert
sind, zum Monate Juli eingetragen sind. — Dagegen spricht die nach-
trägliche Eintragung einiger Briefe mit ihrem wirklicheu älteren Datum
und auch ein ausdrücklicher Vermerk des Registrators, der einen Brief
später einschiebt, für das Streben nach Ordnung.
Zur Chronologie der Briefe Gregors I. 413
in äusserst lückenhafter Weise kennen, die einzige Quellen-
nachricht abzuändern, die wir über eine Thatsache besitzen,
das ist doch etwas zu gewagt.
Aehnlicher Art sind manche Gründe, die W. gegen
Ewaldsche Datierungen vorbringt. Ein Brief an den Exarchen
von Afrika (J. -E. 1785) darf nicht, wie Ewald gemäss den
Handschriften annimmt, im Juli geschrieben sein, weil Gregor
sonst 'auch die damals in Afrika wüthende Pest hätte erwähnen
müssen' (S. 221). Von den Briefen J.-E. ^J06-7 sagt W.:
^Nimmer konnte er (Gregor) damit bis in den Juli warten,
wie die Herausgeber der Briefe durchM'eg wollen. Es handelte
sich doch dabei um die Beantwortung bezw. Erfüllung kaiser-
licher Sendungen bezw. Wünsche vom April.' (S. 238.) Es
ist nicht nothwendig, zu erwähnen, dass es eine Unzahl von
Ursachen, z. B. Reisevorbereitungen desUeberbringers, des neuen
Nuntius, giebt, die möglicher Weise eine Verzögerung herbei-
führen konnten. — Noch schlimmer erscheint mir die Argu-
meutierung, durch die W. die Ewaldsche Ordnung (Ew. S. 528)
der drei auf den Abschluss des Waffenstillstandes vom Herbste
598 bezüglichen Briefe anficht und die Ordnung der Mauriner,
die sich auf keinen handschriftlichen Nachweis stützen kann^
aufrecht zu erhalten sucht. Der Grvmd für W.'s Ansicht ist,
'dass sich der Papst mehr und eher dem Königspaare zu Dank
verpflichtet fühlte, als dem Curator , und dass er deshalb auch
ohne Zweifel zuerst an jenes und dann erst an diesen ge-
schrieben habe!' (S. 211.) Gleichwohl kann man gerade hier
auch aus dem Inhalte der Briefe nachweisen, dass die Ewaldsche
Anordnung die richtige ist. Zur Zeit der Abfassung von
J.-E. 1568 nämlich ist der Vertrag zwischen dem Exarchen
und dem Langobardenkönige zwar schon abgeschlossen; der
König hatte aber auch Gesandte nach Rom und Benevent ge-
schickt, die den Papst zum Beschwören des Vertrages und den
Herzog von Benevent zum Anschlüsse bewegen sollten. Gregor
schreibt den Brief u. a. deshalb nach Ravenna, damit der
König von dort aus bestimmt werde^ von dem Verlangen, dass
der Papst persönlich schwören solle, abzustehen. In J.-E. 1591,
an Agilulf, dagegen heisst es schon: 'ducibus vestris per diversa
loca et maxime in his partibus (d. h. Spoleto und Bene-
vent) constitutis vestris praecipiatis epistolis, ut hanc pacem,
sicut promissum est, sumraopere custodiant'. Also hat
sich der Herzog von Benevent schon angeschlossen, und die
Ueberbringer der Briefe an den König und die Königin sind
offenbar dieselben, die einige Wochen vorher von Rom nach
Benevent gereist waren, um dann wegen der endgültigen Ver-
handlungen mit Gregor wieder nach Rom zurückzukehren (daher
'antequam homines ipsi ab Arogis revertantur' J.-E. 1568).
Weises Auffassung der besprochenen Briefe zwingt ihn auch
414 L. M. Hartmann,
J. -E. 1650 fF., Briefe, die eine Waffenruhe zwischen Arogis
von Benevent und den Kaiserlichen bezeugen, um 3 Jahre zu
verschieben (S. 232). Alles, -weil Gregor zuerst an den König
und dann erst an den Curator schreiben musste!
Man hat wohl das Recht, sich zu wundern, wenn Ewalds
schlagenden Argumentationen Einwände von der Art, wie die
beispielsweise angeführten, entgegengestellt werden. Das Er-
staunen wächst, wenn man bei Weise liest, dass E"vvald seine
nach den Handschriften vorgenommene Einordnung von J. -E.
1576-9 'ohne Grund' (S. 217), die von J.-E. 1821 'willkür-
lich' (S. 230), die von J.-E. 1677. 1679 'ohne stichhaltigen
Grund' (S. 193) vorgenommen habe. Auf S. 218 Anm. 35
sagt Weise: 'weshalb Ewald dieses Schreiben (J.-E. 1642)
nicht vom Herbst, sondern vom Frühling 599 datierte, bleibt
dunkel', obwohl Ewald seine Gründe dafür auf S. 523 ff. und
529 seiner Abhandlung darlegt. Eben so wenig Aveiss Weise
(S. 218 Anm. 32j, warum Ewald den Brief J.-E. 1668 anders
eingeordnet hat, als die Mauriner, obwohl er sich in der Ab-
handlung Ewalds dai'über hätte belehren können. Schon diese
auch nur beispielsweise angeführten Thatsachen, vollends aber
seine schneidigen Ausführungen gegen Ewald auf S. 209 — 211,
die sonst beinahe unverständlich wären, beweisen, dass Weise
die Beweisführung Ewalds nicht derjenigen eindringenden Be-
achtung gewürdigt hat, die sie wohl von einem Gegner ver-
dient hätte. Wenn Weise (S. 210) 'speciell' auf Cap. VI. der
Ewaldschen Abhandlung verweist, so hat er überseiien, dass
das Capitel eigentlich nur die Resultate der Abhandlung ent-
hält und ohne die vorausgehende Argumentation (Cap. I — V,
namentlich Cap. V.) nahezu unverständlich bleiben muss.
Hätte er diese ersten Capitel genauerer Untersuchung gewür-
digt, so zAveifle ich nicht, dass er nicht von Ewald in jedem
einzelnen Falle, in dem die j\Iauriner die Ordnung der alten
Handschriften umstiessen, noch einen Gegenbeweis verlangt
hätte. Er hätte auch nicht die Coditication des 15. Jahrhunderts
und die Versuche der Benedictiner als Autoritäten angerufen,
sondern versucht, seine historische Darstellung mit der von
Ewald hergestellten Quelle in Einklang zu bringen.
Die angeführten Stellen sind natürlich nicht die einzigen,
in denen Weises aprioristische Vermuthimgen und die Ver-
nachlässigung von Ewalds begründeter Neuordnung Unheil an-
zurichten drohen. So verschiebt er die Ordnung der Briefe
J.-E. 1408. 1411 — 14 auf Grund der Betrachtung, dass es
nicht wahrscheinlich ist, dass der Papst seinem Nuntius in
Ravenna, bald nachdem er abgereist ist, eine Instruction nach-
sendet; auf Grund der Vermuthung, dass mit den Worten
'partes istae — in gravi periculo sunt positae' das Unglück
'erst in Aussicht genommen' wird, das in J.-E. 1413 schon
Zur Chronologie der Briefe Gregors I. 415
geschehen ist, nämlich die Gefangennehmung vieler Bewohner
Canipaniens ; und auf Grund dessen, dass er Ewalds Nachweis
(S. 561 ff.) vernachlässigte , dass das Datum , das in den Hs.
auf J.-E. 1412 folgt, nicht zu diesem Briefe gehört, sondern
Ueberschrift für die folgenden Briefe ist.
Auch wenn man den Satz liest (S. 212): ^So lange er
(Ewald) nicht irgend einen Beweis dafür bringt, dass ep.
42 und 43 aus ihrer bisherigen Umgebung zu nehmen
und in den Anhang ihrer 2. Indiction, Oct. bezw. Nov.^ 598,
zu setzen sind, soll er sie an der alten Stelle belassen', ist
es nicht möglich, Weises Ansicht auf andere Ursachen zurück-
zuführen. Denn Ewald hat seine Gründe für die Datierung
auf S. 528 seiner Abhandlung dargelegt, während für die bis-
herige Anordnung nichts als die Tradition der Ausgaben spricht.
Alles lässt sich sehr gut mit dem EAvaldschen Datum ver-
einigen: der erste Waffenstillstand dauerte bis Herbst 599;
Gregor mahnte daher im Juli zur Vorsicht für den Fall, dass
er nicht verlängert werden sollte; J.-E. 1785 spricht von einem
neuen Stillstande bis März 601.
Vor dem Abschlüsse des ersten Waffenstillstandes war ein
neuer Exarch, CaUinicus, nach Italien gekommen. Seine An-
kunft ist nach der Ewaldschen Briefordnung 596 oder späte-
stens in den Anfang 597 anzusetzen. Weise setzt den Tod
seines Vorgängers auf Grund der Angabe des Rubeus, eines
Schriftstellers des ausgehenden 16. (sie!) Jahrhunderts, nicht
vor den April 598 und meint dann, dass die Kenntnisnahnie
von der Erledigung des Postens in Constantinopel und die
Ankunft des CaUinicus in Italien vor Ende Mai erfolgt sei,
obwohl wir wissen, dass ein Bote von Ravenna nach Constan-
tinopel und zurück mindestens 3 Monate brauchte (Agnell.
c. 132). Eben so verfehlt ist natürlich eine andere Berechnung
Weises (S. 193 Anm. 98), in der angenommen wird, dass ein
Brief in 14 Tagen von Rom nach Constantinopel gelangen konnte,
während er anderswo (S. 226 Anm. 85) eine viel zu lange
Reisedauer von Rom nach Ravenna annimmt. Nicht Averth-
voller sind die Argumente, die V/eise an verschiedenen Orten
(S. 207. 211.) aus der numerisch ungleichen Vertheilung
der Briefe gegen Ewald zu gewinnen sucht. Denn wenn es
anerkannt ist, dass wir nicht das vollständige Register Gregors,
sondern wahrscheinlich nur den kleineren Theil der in dem-
selben enthaltenen Briefe vor uns haben, wenn Ewald ferner
nachgewiesen hat, dass vier Indictionen in zwei Sammlungen,
die übrigen nur in einer Sammlung vertreten sind — so ist
das Erklärungsgrund genug für eine ungleiche Vertheilung.
Noch anderer Art sind die Einwendungen, die W. gegen
die Einordnung des Briefes J.-E. 1356 unter die Briefe vom
1. Juni 595 vorbringt (S. 189). Da er die formellen Gründe,
416 L. M. Hartmann.
die Ewald dazu bewogen, wie er selbst eingesteht, nicht kennt,
hält er es für möglich, diesen Brief als im Januar, die anderen
als im Juni geschrieben anzusehen. Sein Grund ist, dass
Gregor nicht im Juni an einen hohen Geistlichen in Constan-
tinopel schreiben konnte, ohne des in den anderen Briefen
lebhaft besprochenen Streites über den Titel des Patriarchen
von Constantinopel zu erwähnen. Aber es hätte W. doch auf-
fallen soUen, dass Gregor sagt. Alles, was ihn bedrücke, könne
er nicht in einem kurzen Briefe darlegen; der Diacon Sabi-
nianus werde alles Nähere zu des Adressaten Kenntnis bringen.
Ebenfalls zum 1. Juni sind von Ewald eine Keihe von Brief-
paaren angesetzt worden, die Weise auseinanderreissen möchte,
weil er es für unmöglich hält, dass zur gleichen Zeit je zwei
Briefe verschiedenen Inhalts an dieselben Personen geschrieben
worden sind. Man wird zugeben müssen, dass die Erscheinung
überall, avo sie vorkommt, auffallend ist, wenn auch ein solches
Verfahren durchaus nicht als unmöglich angesehen werden
kann. Allein die gleichzeitige Eintragung in das Register lässt
sich auch erklären, wenn einige Tage zwischen der Abfassung
von zwei Briefen liegen, wenn es aber derselbe Bote war, der
die verschiedenen Briefe zu überbringen hatte. Es wäre mög-
lich, dass man die Briefe erst registrieren liess, nachdem man
sie dem Boten übergeben hatte. (S. Ew. S. 602 ff.) — An-
dererseits finden wir die zwei Briefe 1666 und 1674, die, wie
Weise (S. 219) richtig bemerkt, zusammengehören, im Register
zwar beide unter dem Monate Mai eingetragen, aber durch
mehrere andere Briefe von einander getrennt. Schon Ewald
wies in der 2. Auflage der Jaffeschen Regesten auf diese Un-
regelmässigkeit der Eintragung hin, liess sie aber getrennt,
weil die handschriftliche Ueberlieferung es wahrscheinlich macht,
dass das Versehen schon im Originalregister begangen worden
ist. Das Verdienst, dies Versehen nochmals betont zu haben,
wollen wir Weise gern zugestehen.
Auch in Bezug auf den Adressaten des Briefes J. -E. 1459
können wir Weise beistimmen, der annimmt (S. 201), dass
dieser nicht ein nicht bekannter und wenig wahrscheinlicher
Fortunatus, Bischof von Fano, gewesen sein dürfte, sondern
der bekannte Fortunatus, Bischof von Neapel. Diese Conjectur
wird unterstützt von der Handschrift Rl, die blos: Fortunato
epo. ohne Ortsbezeiclmung über den Brief setzt. Dass der
Adressat von J. -E. 1620, wie Weise (S. 209) meint, der ero-
gator Domnellus war, ist möglich, lässt sich aber nicht be-
weisen; denn die Anrede, die W. als Beweis anführt, pflegte
verschiedenen Persönlichkeiten höheren Ranges gegenüber ge-
braucht zu Averden.
Die vorstehenden Bemerkungen hatten nicht den Zweck,
jede einzelne der von Weise vorgebrachten Ansichten zu prüfen
Zur Chronologie der Briefe Gregors I. 417
oder zu widerlegen. Es wäre vielleicht noch der Mühe werth
hervorzuheben, dass W. ganz entgegen alledem, was wir wissen
und muthmassen können, annimmt, dass schon 'bald nach dem
Ableben des Papstes, jedenfalls vor dem Jahre 641 , 'einzelne
Theile des Briefregisters jenes Papstes ob ihres die damaligen
Verhältnisse klärenden Inhaltes als Sammlungen veröffentlicht
wurden' (S. 1 65) ; dass er der eigenthümlichen Meinung ist,
dass Gregor nur zu Lebzeiten des Exarchen Romanus über
die 'perversitas iudicum' habe klagen können (S. 205). Aber
es sollte hier nur betont werden, dass die von Ewald diesen
Angriffen gegenüber eingenommene Position zu stark ist, als
dass sie durch die Watfen seines Gegners gefährdet werden
könnte.
Bruchstücke aus dem 'Liber Cancellariae Aposto-
licae' nach einer bisher unbekannten Handschrift.
Von H'ilh. AUmann.
Von der Universitäts- Bibliothek zu Basel ist mir im
Sommer 1 889 zu Studien über d.as Baseler Concil u. a. die Hand-
schrift A IV. 20 auf das Breslaucr Staatsarchiv gesandt worden.
In derselben erregte ein mit der nicht ganz zuti-effenden Ueber-
schrift: 'Taxe litterarum apostolicamm lo/iannis pape XXII.*
versehenes Stück (fol. 264'"— 266'') meine Aufmerksamkeit.
Nachdem ich mich davon überzeugt hatte, dass dasselbe in
dem Buche E. von Ottenthals: 'Die päpstlichen Kanzleiregehi
von Johannes XXII. bis Nicolaus V.' (Innsbruck 1888) nicht
enthalten sei, sah ich darauf hin den von G. Erler' heraus-
gegebenen 'Liber Cancellariae Apostolicae vom Jahre 1380'
(Leipzig 1888) näher an und fand daselbst jenes Stück auf
S. 172 ff. Eine nähere Vergleichung beider Texte ergab, dass
der Baseler nicht aus der von Erler zu Grunde gelegten
Pariser Handschrift (Cod. lat. 4160) stammen kann, sondern
einer anderen, von der Pariser abweichenden Fassung des
'Liber cancellariae apostolicae' entnommen sein muss. Be-
stätigt wurde dies durch den Umstand, dass das sogenannte
Provinciale ^, welches den ältesten Bestandtheil des 'Liber can-
cellariae apostolicae' bildet und auch in unserer Baseler Hand-
schrift (auf fol. 349'" — SöS"") sich vorfindet, gleichfalls von der
Fassung der Pariser Handschrift (Erler S. 19 ff.) abweicht,
und zwar nicht blos in Aeusserlichkeiten ».
Das schon mehrfach gedruckte und in vielen Handschriften
überlieferte ' Provinciale' nach unserer Baseler Hs. zum Abdruck
1) Das vortreffliche Register, welches Ottenthai seiner Publication
beigegeben hat, lässt ein Register bei Erler um so mehr vermissen; auch
erklärende Anmerkungen wären vielfach sehr erwünscht. 2) Vgl. darüber
Bresslau, Handbuch der Urkundenlehre I, 253 ff. Das Provinciale war
ursprünglich nur ein nach Provinzen geordnetes Verzeichnis sämmtlicher
Erzbischöfe und Bisthümer der katholisclien Christenheit. 3) Auch von
der durch Weidenbach, ' C.ilendarium liistorico - christianum medii et novi
aevi' (Regen.sburg 1855), Ö. 264 ff., mitgetheilten , von der Pariser ver-
schiedenen Fassung des Provinciale weicht der Text der Baseler Hs.
vielfach ab.
Bruckstücke aus dem 'Liber Cancellariae Apostolicae'. 419
zu bringen, erscheint indessen unnölhig^; ich möchte nur die
Zusammenstellung der geistlichen Orden, welche sich am
Schlüsse (fol. 3b3^) befindet, mittheilen, da dieselbe, so viel
ich sehe, den bisher bekannten Texten des 'Provinciale' nicht
angehängt ist und auch sonst nicht bekannt zu sein scheint.
Aus dem Bruchstück der Constitution Johanns XXII.
gebe ich eine Anzahl von Varianten zu Erlers Abdruck; die
Zusätze und die den Sinn ändernden Lesarten vollständig, von
den anderen und den Auslassungen eine Auswahl, welche zur
Charakterisierung der Hs. ausreichen wird.
I. Verzeichnis der geistlichen Orden.
Sequitur modo convenienter videre de ordinibus et reli-
gionibus cristianitatis et eorura nominibus per Romanam ec-
clesiam approbatis et qui ex eis dicuntur mendicantes et
qui non.
1. Primo denen mendicantibus:
Ordo sancti Blasii; et Caput vocatur archimandrita
Ordo sancti Benedicti
Ordo sancti Cisterciensis
Ordo Cluniacensis
Ordo P^'emonstratensis
Ordo sancti Augustini
Ordo cruciferorum cum Stella
Ordo sancte Marie cruciferorum
Ordo sancti Petri confessoris de Magella
Fratres dominici sepulcri ordinis sancti Augustini
Ordo Cartusiens/s
Ordo Vallis umbrose [Vallombrosa in Tosca7ia]
Ordo Camaldulensz«
Ordo Grandimontenszs
Ordo fontis Ebrandi [Fontevrauld, östl. v. Saumur]
Ordo vallis scolarum
Ordo vallis Caulium [Val des Choux]
Ordo Florentinns
Ordo humiliatorum
Ordo sancti Guilrelmi
Ordo sancti Victoris
Ordo Montis oliveti
Ordo Sempnigani [?]
Ordo sancte trinitatis et redempcionis captivorum.
2. Mendicancium ordines sunt hi.i vi de licet:
Ordo fratrum predicatorum
Ordo fratrum minorum
Ordo fratrum heremitarum sancti Augustini
1) Vgl. hierzu auch Bresslau a. a. O., S. 253 A. 3.
420 W. Altmann.
Ordo beate Marie de monte Carmelo
Ordo fratrum servorura beate Marie ordinis Angustini.
3. De ordinibus miliciarum:
Ordo sancti lohannis lerosoliwitani
Ordo sancte Marie Theotonicorum
Ordo milicie sancti lacobi de spata in Ispania
Ordo milicie Calatranensj's sub regula Cisterciensi
Ordo milicie lesu (Jristi
Ordo milicie beate Marie virginis gloriose, quem appro-
bavit papa Urbanus IV. \126'1—126'4\.
II. Varianten zu der Constitution Johanns WH. 'Pater Familias'.
Erler: S. 172 Z. 12: dirigens familiam.
S. 172 Z. 17 : devient. Nos sane
S. 182 letzte Textzeile: preparatis opus est.
S. 183 Z. 13: priventur perpetuo scriptorie. Et super hoc.
S. 183 Z. 20: statim rescribant eciam ante quascunque
alias, nisi pro litteris curie fuerint occupati.
S. 183 Z. 28: scriptorum litterarum ipsarum sine distri-
butione.
S. 183 Z. 34: scribere et illas impetranti eas.
S. 184 Z. 1 : ipsas remitiere sibi teneantur. Et qui
hoc non servaverit per unum mensem ab officio sus-
pendatur.
S. 184 Z. 17: se in aliis negociacionibus occupandi.
S. 184 Z. 18: nimis festinanter vel nimis inordinate.
S. 184 Z. 19: rescribi mandentur (verbessert aus re-
scribende).
S. 184 Z. 22: datum diei.
S. 184 Z. 23: datum apponere teneatur.
S. 184 Z. 26: sine dato restituerit, per unum mensem
ab officio suspendatur.
S. 185 Z. 2 : simpliciter vel additorie.
S. 185 Z. 25: hinter 'mandantes' folgt folgender in der
Pariser Hs, fehlender Absatz: Litera que incipit
'dignum arbitrium' taxatur ad 20 Turonenses item
narracio vacacionis beneficii vel permutacio in dicta
littera expriraatur.
S. 185 Z. 27: beneficio regulari eciam cum translacione.
S. 185 Z. 29: si tempore datum (!) non sit alteri ius
quesitum 16 Turonenses, nisi exprimatur modus vo-
cacionis et tunc usque ad 'volentes' computantur cen-
tum dicciones pro uno grosso Turonensi. De eligendo
confessore etc.
S. 185 Z. 33: statt des Abschnitts 'de indulgentia ple-
naria' so : de absolucione in mortis articulo pro una
Bruchstücke aus dem 'Liber Cancellariae Apostolicae'. 421
persona Turonenses 14. De eodem pro viro et uxore
Turonenses 16.
De altari portatili pro una persona Turonenses 10.
De eodem pro viro et uxore Turonenses 10.
S. 185 Z. 36: ante diem.
S. 185 Z. 37: per confessorem.
S. 186 Z. 2: recedendi de curia concessa prelato.
S. 186 Z. 4: <nobilis' -fehlt.
S. 186 Z. 14: carnes concessa religiosis.
S. 186 Z. 23: Romana curia Turonenses 12. Et si fiat
executoria Turonenses 18. Der folgende Absatz: 'de
concessione officii' etc. fehlt.
S. 186 Z. 28: de visitandis per se Turonenses 12. De
manus porrigentibus adiutriees per se Tm-onenses 10.
S. 186 Z. 36: addantur duo Turonenses.
S. 187 Z. 3: quod minus f!) consecracionis impendatur.
S. 187 Z. 5: et quod inpendatur munus benediccionis
eciam in partibus pro abbate Turonenses 10.
S. 187 Z. 6: addantur pro quolibet ordine.
S. 187 Z. 9: 'ponatur seu' fehlt.
S. 187 Z. 16: singiüis aliorum tantidem addatur^ et sie
secundum magis et minus huiusmodi litterae taxa-
buntur.
Littera super defectu natalium videlicet quod de
presbyterorum ad ordines et beneficia promovendi
simpliciter Turonenses 12.
S. 187 Z. 25: procuratores.
S. 187 Z. 28: vor 'de dispensatione' steht noch^ was im
Parisinus fehlt : pro archiepiscopo vero graciosa Turo-
nenses 20, et executoria taxatur Turonenses 22.
S. 187 Z. 29: prohibito Turonenses 12. Et si fuerint
excommunicati racione matrimonii iam contracti (so
zu lesen statt 'contractorum') , absolvantur seu com-
mittatur eorum absolucio, adduntur Turonenses 8.
S. 187 Z. 31: 'vel' bis 'Turonenses' fehlt.
S. 187 Z. 36: prioratu Turonenses 12, et quandoque
Turonenses 18.
S. 188 Z. 2: vor 'de conservatoria' steht noch: de quo-
cumque beneficio simplici Turonenses 12.
S. 188 Z. 4: vor 'pro archiepiscopo' steht noch: et si
pro pluribus pro qualibet persona duo Turonenses
addantur. Pro episcopo et diocesi süa Turonenses 40.
S. 188 Z. 5: concilii Biennensis Turonenses 30. 'Ad
hoc nos Dens' etc. vel 'militanti ecclesie' si fuerit per-
petua Turonenses 50. Et si conservatoria pro toto
ordine et omnibus membris eins Turonenses centum.
S. 188 Z. 8 : Die beiden Absätze 'Quod episcopus' und
Il
422 W. Altmann.
'De dando' fehlen; ebenso der Absatz 'De patiente
defectum' und der Absatz 'De habilitatione illius'.
S. 188 Z. 32: pallii adduntur io taxacionibus predictis
duo Turonenses. — Auf diesen Absatz folgt der oben
fehlende: 'De paciente defectum'.
S. 188 Z. 36: vel colleetas seu alias execuciones Turo-
nenses 12. De subsidio moderato Turonenses 16.
Et pro executoria si fiat Turonenses 18.
S. 189 Z. 3: pro forma communi pauperum qua incipit
'eonstitutus'.
S. 189 Z. 7: hnearum et non ultra.
Mit den "Worten : 'pro qualibet linearum' schliesst der Text
der Baseler Hs.
Nachrichten.
102. Die Centi-aldirection der M. G. hat einen schmerz-
lichen Verlust erlitten. Am 3. September 1889 starb auf einer
Badereise in Kissingen, avo er Erholung von längerem Leiden
suchte, unser College Julius Weizsäcker. Geboren zu
Oehringen im Württembergischen Franken am 28. Februar
1828, zu Tübingen und BerHn gebildet mit frühzeitiger Hin-
neigung zum Deutschen Norden, wirkte er nach einander an
den Hochschulen München, Erlangen, Tübingen, Strassburg,
Göttingen, Berhn als ein eifriger und gern gehörter Lehrer der
Deutschen Geschichte, vorzugsweise des ]\Iittelalters. Mitglied
der Centraldirection an Stelle von Nitzsch seit Ostern 1885,
nahm er an unsern Verhandlungen lebhaften und verständnis-
vollen Antheil, ohne sich je unmittelbar an unsern Arbeiten
zu betheiligen. Mittelbar gehörte er jedoch zu unseren wirksam-
sten Mitarbeitern, insofern seine Lebensaufgabe, die grossartige
Sammlung der Deutschen Reichstagsakten seit König AVenzel,
die er im Auftrage der Münchener historischen Commission
übernommen hatte, ja eigentlich auch in den Kreis der Monu-
menta Germaniae fallen würde. Diese entsagungsvolle Thätig-
keit nahm ihn so vollständig in Anspruch, dass ihm zu dar-
stellenden Arbeiten oder Untersuchungen kaum irgend welche
Müsse übrig blieb, wie auch seine ursprüngliche vielver-
sprechende Beschäftigung mit Karolingischer Kirchengeschichte
dagegen völHg hatte in den Hintergrund treten müssen. Ob-
gleich ein Freund heiterer und zwangloser Geselligkeit, war er
doch häufig eine Beute düsterer Stimmungen und musste die
Freudigkeit zm" Ai'beit einem oft siechen Körper abringen.
Vgl. über ihn R. Reuss in der Revue Historique XLI, 371 ff.
E. D.
103. Von der Abtheilung Leges ist erschienen die Schluss-
lieferung des V. Bandes, enthaltend: Lex Romana Rae-
tica Curiensis ex editione Karoli Zeumer. Die Folio-
424 Nachrichten.
Serie der Leges ist damit abgeschlossen. Von der Abtheilung
Antiquitates ist erschienen: Necrologia Germaniae II.
Dioecesis Salisburgensis. Pars prior. Edidit Sigis-
mundus Herzberg-Fraenkel.
104. Von den Geschichtsschreibern der deutschen
Vorzeit sind in neuer, von W. Wattenbach besorgter
Bearbeitung erschienen: die Vita Anskarii et Rimberti
(in erster Auflage von Laurent, mit Vorwort von Lappenberg),
die Annales Fuldenses et Xantens es (in erster Auflage
von Rehdantz) und die Auswahl aus Liudprands Werken
(in erster Auflage von Osten-8acken). Weitergeführt ist die
Sammlung durch zwei neue Uebersetzungen : die der Jahr-
bücher Vincenz' von Prag und Gerlachs von Mühl-
hausen von G. Grandaur und, was ganz besonders will-
kommen ist, die der Geschichte Friedrichs III. des
Aeneas Sylvius von Th. Ilgen. Von der letzteren ist
in einem stattlichen Bande bis jetzt die erste Hälfte erschienen ;
der üebersetzung ist die Ausgabe Kollars zu Grunde gelegt;
die Einleitung handelt lichtvoll über die verschiedenen Re-
dactionen der Schrift und gelangt zu Ergebnissen, welche mehr-
fach über diejenigen V. Bayers hinausgehen, besonders durch
Herbeiziehung des Cod. Chisianus J. VII, 248.
105. Von den Jahresberichten der Geschichts-
wissenschaft, die jetzt unter J. Jastrows alleiniger Re-
daction mit erfreulichster Schnelligkeit gefördert werden, sind
der IX. und X. Jahrgang (1886 und 1887) erschienen.
106. Im Jahrbuch des Vereins für Alterthumsfreunde im
Rheinlande 87, 207 steht ein Bericht über die von der Bel-
gischen Regierung erworbenen Hss. der Bibliothek von
Cheltenham.
107. Auf die Anregung E. von Ottenthals hat die k. k.
Centralcommission zur Erforschung und Erhaltung der Kunst-
und historischen Denkmale eine Inspection der kleineren, noch
unerforschten, insbesondere der Kirchen- und Gemeinde-
archive Tirols durch E. v. Ottenthai und O. Redlich
vornehmen lassen und die bis jetzt gewonnenen Ergebnisse in
einer neuen periodischen Publication u. d. T. 'Mittheilungen der
dritten (Archiv-) Section der k. k. Centralcommission u. s. w.
veröfi'entlicht, von welcher uns der erste Band (Wien, Kabasta
& Voigt, 1889) vorliegt. Ist auch der Inhalt, wie man begreift,
grösstentheils localgeschichtlicher Natur, so bietet die fleissige
und sehr sorgfältige Arbeit doch auch manches von allgemeinem
Interesse, auf das hier hingewiesen sei: so eine Or.-Urkunde
Gebhards von Trient von 1113 (in Telfs, n. 53)^ ein Transsumpt
des sog. Vigiliusbriefs für Kaltem (n. 974), ein Verzeichnis der
Nachrichteu. 425
im 12. Jh. beginnenden Papstprivilegien von Gries (n. 462 ff.),
Regesten nngedruckter Kaiserurkunden (Heinrieh VII, 1311
Febr. 11, n. 850, Ludwig der Baier 1322 Mai 3, n. 860), dazu
Notizen über einzelne tirolische Necrologien.
108. Den N. A. XIV, 437 n. 99 erwähnten, in einer Würz-
burger Hs. überlieferten Dialogus super auctoribus des Konrad
von Hir schau hat jetzt G. Schepss in einer sorgfältigen
Ausgabe (Würzburg, Ötuber, 1889) publiciert.
109. In den Studien und Mittheilungen aus dem Bene-
dictiner- und Cisterzienserorden X, 248 ff. 454 ff. veröffentlicht A.
Goldmann interessante Briefe Mabillons an den Cardinal
Leander Colloredo.
110. In der Wiener Ausgabe der Kirchenväter (Corpus
scriptorum ecclesiasticorum latinorum) vol. XX. ist erschienen
der erste Theil der Werke des Tertullian. Auf dem Titel-
blatt werden der verstorbene August Reifferscheid und
G. Wissowa als Herausgeber genannt; nach der Vorrede
haben ausserdem Alexander Reifferscheid, Wilhelm Hartel und
Adolf Harnack an der Vollendung des von dem erstgenannten
fast druckfertig hinterlassenen Manuscripts mitgewirkt.
111. Als Separatdruck aus Archeografo Triestino Bd. XV.
ist uns zugegangen eine sehr eingehende Untersuchung von
Carlo Tanzi über die Chronologie der Schriften des En-
no dius. Im Anhang dazu weist der Vf. aus Tristano Calchi
einen verlorenen Papyrus aus der Zeit 0 dovakars nach:
ausgestellt ist die Urkunde von Flavius Paulus Andreas vicarius
Mediolani.
112. Im Anzeiger für schweizer. Gesch. 1889, S. 377 hält
G. Meyer von Knonau gegen G. Heer an seinem früheren
Standpunkt hinsichtHch der Vita Fridolini fest. Vgl.
N. A. XIV, 627 n. 177.
113. Im N. A. I, 413 wurde berichtet, dass Herr Dr.
Holder im Kloster St. Paul in Kärnten den einst von Pertz
vergebhch gesuchten Cod. Sanblasianus der Annales Laures-
hamenses wieder aufgefunden habe. Dieser ist nun in dem
Jahresbericht des Stifts (Sep.-Abdr. St. Paul, im Selbstverlage
des Stifts, 1889) herausgegeben von P. Eberhard Katz als
'Annalium Laureshamensium Editio emendata secundum codicem
S. Paulensem XXV —.' Die aus Reichenau stammende
Hs. ist peinlich genau abgedruckt, mit den Varianten des
Wiener Fragments und des Fragm. Chesnianum der Vat. Biblio-
thek. Mehr als erforderlich eingehende paläographische und
grammatische Bemerkungen werden wenig Leser finden, die
Neue» Archiv etc. XV. 28
426 Nachrichten.
Erörterungen über das Verhältnis zum Fragm. Chesn. nicht
ohne Widerspruch bleiben. W. W.
114. In derZeitschr. f. Geschichtswissensch. II, 156 f. kommt
H. Ulmann auf die zuletzt von v. Bippen (s. N. A. XIV, 629
n. 191) besprochene Stelle der Ann. Lauriss. und Ein-
hardi über die Hinrichtung der Sachsen 782 zurück; er inter-
pretiert die Ann. Lauriss. dahin, dass nur die Rädelsführer Karl
ausgeliefert Avären, deren unmöglich 4500 gewesen sein könnten.
Nicht glücklich ausgedrückt aber ist es, wenn er die
Vermuthung ausspricht, der Vf. der Ann. Lauriss. habe in
Folge falschen Lesens -seiner Vorlage ein paar Nullen zu viel
entnommen'. Wer Ulmann nicht kennt, könnte dabei auf den
Gedanken kommen, er glaube an die Anwendimg arabischer
Ziffern in karolingischen Annalen. — ■ In Ann, Lauriss. 774
will Ulmann statt 'foederatione' lesen 'foide (oder foidae) ratione'.
115. Nur dem Titel nach bekannt geworden sind uns bis
jetzt die folgenden Schriften: Colini Baldeschi, Liudprando
vescovo di Cremona (Giarre 1889). — G. Cavriani, Nuovi
schiarimenli alla vita di S. Anselmo vescovo di Lucca
desunti dal manoscritto di Rangerio recentemente pubblicato dal
Dr. Vincenzo de la Fuente (Torino 1889) — L. Zdekauer,
Studi pistoiesi (^^Siena 1889; soll ein Beitrag zur Kritik der
I storie pistolesi sein).
116. Eine um das Jahr 1000 entstandene Schrift 'Die
Heiligen Englands' hat F. Lieb ermann in musterhaft
sorgfältiger Ausgabe (Hannover, Hahn 1889) in angelsächsischem
Text und alter lateinischer üebersetzung ediert. Die Ein-
leitung handelt über die Entstehungsgeschichte und Zusammen-
setzung der Schrift, deren erster Theil aus der kentischen
Königslegende stammt, während der zweite auf Wessex weist.
117. 'Untersuchungen zur Geschichte Kaiser Konrads IL'
von J. V. P fl ugk- IIa r ttung sind hier zu erwähnen, weil
der Verfasser darin im Anschluss an seine früheren Erörte-
rungen für die Glaubwürdigkeit des Ademar vonChabannes
in dem, was er über deutsche Dinge berichtet, und die geringe
Vertrauenswürdigkeit des Wipo, als höfischen Geschichts-
schreibers, eintritt. Das Buch ist voll der wüthendsten per-
sönlichen Polemik gegen H. Bresslau, den zeitigen Redacteur
dieser Zeitschrift, einer Polemik, die nur geeignet ist, dem
Verfasser in der Beurtheilung der Leser zu schaden, selbst,
wenn man etwa geneigt sein sollte, in diesem oder jenem der
von ihm vertheidigten Punkte ihm beizustimmen. O. H.-E.
118. Die Beilage zum Jahresbericht des Gymnasiums zu
Offenburg (1889 Progr. n. 580) enthält von Prof. J. May: Ij eine
Untersuchung über Abfassungszeit und Glaubwürdigkeit von
Nachrichten. 427
Wiberts Vita Leonis IX. mit Nachweisimg der benutzten
Bibel stellen und einzelnen Beiträgen zur Textkritik, 2) Bei-
träge zur Kritik von Paul von Bernrieds Vita Gregorii VII.,
3) kurze Bemerkungen zu Wipo, welche auf Halbverse in
den Gesta Chuonradi aufmerksam machen und einige Emen-
dationen zum Tetralogus vorschlagen, die nur z. Th. annehmbar
erscheinen.
119. Im Archiv des Vereins f. Gesch. des Herzogthums
Lauenburg II, 100 ff. giebt Handelmann einen neuen Com-
mentar zu der vielberufenen Stelle über den limes Saxonicus,
Adam Brem. II, 15.
120. In den 'Bijdragen voor vaderlandsche geschiedenis
en oudheidskunde' 3. reeks 5. deel wird die Discussion über
die Geschichtsquellen vonKlosterEgmond durch J. Kappeyne
van de Capello, R. Fruin und S. Pols fortgesetzt. Fruin publi-
ciert bei dieser Gelegenheit die holländische Grafenliste aus
dem Adalbertsbuch der Abtei Egmond nach dem Codex des
Balduinus de Haga (saec. XVI.).
121. Eine kurze Uebersicht über die Hersfelder H isto-
riographie giebt die erste Beilage zu der fleissigen Schrift
von Ph. Hafner 'Die Reichsabtei Hersfeld bis zur Mitte des
13. Jahrhunderts' (Hersfeld, Schmidt, 1889). Die dritte Bei-
lage enthält eine ungedruckte Urkunde des Abtes Heinrich
von Hersfeld für Markgraf Friedrich den Freidigen vom
23. Juli 1292.
122. Von Anonymi Ges ta Francorum et aliorum
Hi erosolymitanorum. Mit Erläuterungen herausgegeben
von H. Hagenmeyer' ist die erste Hälfte (Heidelberg 1889)
erschienen, mit ausführlicher, das TVerk in allen Beziehungen
erörternder Einleitung. Der Text beruht auf zahlreichen, bis-
her grösstentheils unbenutzten Handschriften, deren Collationen
Graf Riant dem Herausgeber zur Verfügung stellte. Die Er-
läuterungen überschreiten aber leider derart alles Mass, dass
die Benutzung des Werkes durch sie mehr erschwert als ge-
fördert wird. O. H.-E.
123. Von Paul Mitzschke ist jetzt Sigebotos Vita
Paulinae (Gotha, F. A. Perthes, 1889. Auch unter dem
Titel: Thüringisch-sächsische Geschichtsbibliothek. Band I.
Paulinzelle) aus einer Handschrift saec. XV. der Grossherzog-
lichen Bibliothek zu Weimar herausgegeben und durch viele
Anmerkungen, sowie durch beinahe zu ausführliche Excurse
erläutert. Das bisher für verloren gehaltene Werk ist eine
wichtige Bereicherung für die Geschichte des quellenarmen
Thüringer Landes. 0. H.-E.
28*
428 Nachrichten.
124. Im Hist. Jahrbuch X, 748 setzt G. Hüffer seine
gegen Druffel polemisierenden Erörterungen über die Glaub-
würdigkeit des Liber miraculorum des h. Bernhard
von Ölairvaux fort.
125. In einer Studie über das Chronicon Hanoniense des
Gislebert von Mons erweist K. Huygens (Revue de
rinstruction publique en Belgique. T. äXXII, Gand 1889,
Livr. 5), dass Gislebert Dinge, die für das Interesse seines
Herrn, des Grafen Balduin V, ungünstig sind, verschweigt
oder in falschem Lichte darstellt. O. H.-E.
126. In der Zeitschr. f. Gesch. des Oben-heins N. F. VI,
456 ff. behandelt P. Scheffer-ßoichorst den Notar Frie-
drichs I. Burchard, von dem die Chron. regia Colo-
niensis zwei Briefe mittheilt. Mit Waitz imd Lehmann
erklärt er sich gegen die Annahme, dass Burchard der Vf. der
Kölner Königschronik sei, hält dagegen für möglich, dass in
der ersten Fortsetzung derselben eine von ihm herrührende
Kreuzzugsgeschichte benutzt worden sei. Demnächst führt
Scheffer aus, dass dieser Notar Burchard von dem mehrfach
mit ihm für identisch erklärten Strassburger Vitzthum gleichen
Namens, der 1175 als Friedrichs Gesandter an den Hof Sala-
dins geschickt wurde, zu unterscheiden sei.
127. Eine scharfsinnige Untersuchung von J. Marx
(Berlin, Speyer & Peters, 1889) behandelt dieVi ta GregoriilX.
Der Vf. zeigt, dass der erste grössere Theil der Schrift bis
zur Belagerung Fienevents gegen Ende 1239, der Schluss nicht
vor Ende Juni 1240 geschrieben ist; der Autor muss Mitglied
der päpstlichen Kammer gewesen sein, wahrscheinlich war es
der Kämmerer Johann von Ferentino selbst. Bemerkenswerth
ist der Nachweis, dass in der Schrift die rhythmischen Gesetze
des Cursus beobachtet worden sind.
128. Bei Successori le Monnier in Florenz ist von I s i d o r o
del Lungo eine biUige Schulausgabe der Chronik und der
Canzone morale des Dino Compagni erschienen; der Text
der Chronik nach der Ashburnham-Hs. Vorrede und Com-
mentar sind ein Auszug aus der grossen Ausgabe del Lungo's.
129. Im 'Anzeiger f. Schweiz. Geschichte' 1889 S. 381 ff.
veröffentlicht Th. von Liebenau nach Cod. D IV. 10
der Universitätsbibliothek Basel Mittheilungen über die
Chronica cuiusdam fratris Minorum Heinrici.
Der grössere Theil ist Copie der Flores temporura, Redaction
A, SS. XXIV, 230 ff., dann folgt eine Fortsetzung von 1292
bis 1475. Ein Einschiebsel über Rudolf von Rheinfelden als
Ahnherrn der Habsburger, ein anderes über Konrad IV., ein
drittes über Rudolf von Habsburg und seine Nachfolger wer-
Nachrichten. 429
den mitgetheilt, ebenso eine Origo ducum Austriae nunc tem-
poris existentium von 1475.
130. In der Biliotheque de l'ecole des chartes L, 245
bespricht Fu nck-Brenta no Heycks Ausgabe des Nico-
laus von Bitronto mit Berichtigung einer Anzahl von
Versehen nach der Pariser Hs.
131. E. Maunde Thompson, Principal librarian of
the British Museum, hat in einem Quartband von 340 S.
(Oxford Clarendon Press, 1889) das Chronicon Galfridi le
Baker de Swinburne von 1303 bis 1356 herausgegeben
nach den beiden einzig bekannten Hss. Bodley 761 und
Cotton App. LH. ; nach jenem hat Dr. Giles 1847 einen
fehlerhaften Abdruck gegeben. Hier finden wir die bekannte
Genauigkeit und Sorgfalt T.'s, in der Einleitung eine Unter-
suchung über den Verfasser und Widerlegung der früheren
Ansicht von einem französischen Original und der Autorschaft
des Thomas de la More, nach dem Text einen ausführlichen
Commentar und ein Register. Für deutsche Geschichte kommen
die Berührungen mit Ludwig dem Baier und mit Flandern
in Betracht. W. W.
132. Eine sehr ausführliche Anzeige von Erlers Bio-
graphie des Dietrich von Nie heim giebt K. V. Sauer-
land in den 'Mittheilungen des Instit. f. österr. Geschichts-
forschung', X, 637—658.
133. Eine umfangreiche und sehr wichtige Publication
sind die 'Quellen und Forschungen zur Gesch. des
Konstanzer Konzils' von H. Finke (Paderborn, Schö-
ningh 1889). Unter den Quellen ist wohl das werthvollste
Stück das in zwei vaticanischen Hss, überlieferte Tagebuch
des Cardinais Fiilastre, aber auch im übrigen verdienen die
neuen Quellen, sowie die sorgfältigen kritischen Erörterungen
des Vf. vollste Beachtung. Hier mag nur noch darauf hin-
gewiesen werden, dass auch Finke gegen Erler an der Autor-
schaft Di e trieb s von Nieheim für die Tractate 'De modis
uniendi' und 'De necessitate reformationis' festhält und dieselbe
mit neuen sehr ins Gewicht fallenden Gründen stützt.
134. H. Delehaye veröffentlicht in der 'Revue des
Questions Historiques' XLVI, 5 ff. eine eingehende Studie
über Wibert von Gembloux. S. 12 ff. sind die Hss.
seiner Briefe zusammengestellt.
135. Von einer Incunabel der Königlichen Universitäts-
Bibliothek zu Halle (Kr. 1030 fol. Johannes de Imola, super
Clementinas, Venetiis 1480) sind kürzlich zwei Doppelblätter
einer in Italien Ende des 13. Jahrhunderts geschriebenen Hand-
430 Nachrichten.
Schrift der Briefe des Petrus de Vinea flib. I. ep. 11 —
18,21 — 24) abf^elöst worden, welche auf dem inneren vorderen
und hinteren Deckel aufgeklebt waren. Die Per-amentblätter,
24 Cm. hoch, 18 (resp. 23) Cm. breit, enthalten 46 Zeilen
auf der Seite, rothe Üeberschriften und Initialen : zwischen
S. 4 und 5 fehlt ein drittes Blatt (ep. 19, 20 u. Anfang der
grossen Encyclica ep. 21). Ep, 16 und 17 befinden sich in
umgekehrter Reihenfolge als in den Drucken. Das Fragment
reicht von pa]ci provideat in ep. 11, p. 125 der Ausgabe von
1566 bis quam vos ep. 18, 143, 4 v. u., sowie von prejteri-
torum stipendiorum ep. 21 1. c. 162, 4 bis leviter elevatus
ep, 24 (die Kaiser Friedrich zugeschrieben ist, nicht Manfred)
1. c. 180, 1 V, u. Die Handschrift war in Bücher getheilt
und die einzelnen Briefe gezählt, die Nummern XXII. und
XXIII. sind noch erhalten. M. Perlbach.
136. E. von Ottenthai untersucht in den 'Mitthei-
lungen des Instituts f. österr. Geschichtsforschung' X, 611 ff.
die Quellen der angeblichen Urkunde Johanns XIII. für
Meissen (Jaffe-L. 3724) und führt aus, dass dieselbe nicht nur
interpoliert, sondern nach dem Muster der Hersfelder Urkunde
JafFe-L. 3723 gänzlich gefälscht sei.
137. In der Zeitschrift für Kircheprecht XXII. (N. F.
VII), 400 fF. vertheidigt K. Panzer seine Ansicht, dass
Nicolaus II. nach Erlass des Papst wahldecrets von
1059 im folgenden Jahre aufs neue über die Papstwahl de-
crctiert und das Recht des Königs stillschweigend eliminiert
habe, gegen Scheffer-Boichorst und v. Pflugk-Harttung mit
neuen eingehenden Erörterungen.
138. Von der beachtenswertlien Schrift M. Souchons
'Die Papstwahlen von Bonifaz VIII. bis Urban VI. und die
Entstehung des Schismas 1378' C Braunschweig, Goeritz 1888)
sind für unsere Zwecke besonders einige Beilagen zu er-
wähnen. Die erste giebt eine dankenswürdige Zusammen-
stellung der Cardinäle von Coelestin V. bis zum Tode
Gregors XL, die zweite ein bisher unbekanntes Schreiben
des Cardinais Napoleone Orsini an Philipp von
Frankreich über den Zustand der römischen Kirche beim
Tode Clemens V. Ein Excurs erweist — in Uebereinstim-
mung mit Hinschius u. A. — die Unechtheit der angeblichen
Professio fidei Bonifaz' VIII.
139. In den Mittheilungen des Inst. f. österr. Geschichts-
forsch. X, 587 ff. veröffentlicht W. Lipper t im Anhang zu
einer Abhandlung über die bisher imbekannte Thätigkeit des
Ritterordens von Santiago für das heilige Land eine Reihe
von Papst- und anderen Urkunden über die auch in Deutsch-
Nachrichten . 43 1
land und dessen östlichen Nachbarländern veranstalteten Samm-
lungen zu Gunsten des Ordens.
140. Der erste Band des ^Jahrbuchs der Gesellschaft für
lothringische Geschichte und Alterthumskunde' (Metz, Scriba,
1889), mit welchem dieser neu gegründete Verein sich aufs
beste eingeführt hat, enthält eine Reihe diplomatisch wichtiger
Beiträge von Archivdirector Dr. Wolfram: 1) kritische Be-
merkungen zu den merovingischen und karolingi sehen
Urkunden des Arnulfsklosters mit Abdruck der Urkunden
Hugos, des Sohnes Drogos, von 715, der Königin Hildegard
von 783 und Ergänzungen zu den mangelhaften Drucken
anderer Stücke und einer Untersuchung über die Unechtheit
der ältesten Stücke ; 2) eine Untersuchung über die Urkunden
der Gräfin Eva (950) und ihres Sohnes Udalrich (958), aus der
sich u. a. ein Beitrag zur Datierung der Vita S. Arnulfi
ergiebt ; 3) eine Untersuchung über die ältesten Papsturkunden
für das Arnulfskloster mit Abdruck der Privilegien Calixts II. und
Innocenz' II; 4) ungedruckte Kaiser Urkunden Ottos III.
für Mouzon 997 Apr. 6; Heinrichs III. für St. Magdalena zu
Verdun 1056 (Extract); Friedrichs I. für das Leprosenhaus zu
Metz 1160 Febr. 12; Ottos IV. für St. Nicolaus zu Metz 1210
Mai 4; Friedrichs II. für die Leute von Hui 1214 Dec. 19;
desselben Mandat an die Stadt Metz 1215 Aug. 22 (fran-
zösische Uebersetzung) ; 5) Regesten der im Bezirks- und
Hospitalarchiv zu Metz befindlichen Papsturkunden von
1049 — 1399, darunter zahlreiche inedita, das erste von 1147.
141. W. Erben bespricht in den Mittheilungen des Inst.
für Österr. Geschichtsforschung X, 607 ff. die Urkunde Ar-
nolfs für Salzburg (Mühlb. 1801), weist nach, dass der Kanzlei
Ottos IL eine jetzt verlorene Fassung derselben vorgelegen
hat (wonach in dem Druck von DO II, 165, Mon. Germ. DD II,
185, die Entlehnungen anders, als geschehen ist, hätten be-
zeichnet werden sollen), zeigt aber, dass auch diese Fassung
unecht war und erst unter Erzbischof Friedrich angefertigt
worden ist.
142. P. Kehr behandelt in einem umfangreichen Werke
nach allen Seiten hin 'Die Urkunden Ottos HL' (Inns-
bruck, Wagner, 1890). Ueber viele Einzelheiten der Aus-
führungen Avird sich erst nach dem Erscheinen der neuen Aus-
gabe jener Diplome von Sickel urtheilen lassen; was die
allgemeinen Erörterungen des Vf. betrifft, so möchte ich hier
nur den Bemerkungen S. 265 ff. über den Begriff der Fälschung
entschieden widersprechen, die mir schon deshalb nicht zutreffend
erscheinen, weil sie das juristische Moment, das in diplomatischen
Dingen so grosse Beachtung verdient, allzuwenig berück-
sichtigen. Ich behalte mir vor, auf diese nicht nur methodo-
432 Nachrichten.
logisch, sondern auch für die praktische Kritik wichtige Frage
gelegentlich eingehender zurückzukommen.
143. In der Westdeutschen Zeitschr. VIII, 232 handelt
P, Joerres über die falschen Urkunden Heinrichs II.
für St. Maximin und zeigt, dass die Angabe von einer
Einziehung von 6656 Hufen Klostergutes durch den Kaiser auch
sachlich unglaubwürdig ist. Seinen übrigen Ausführungen kann
ich nicht zustimmen, insbesondere nicht denen über die Zeit
der Fälschung; Joerres hat meine Beweisführung, obwohl er
sie 'unwiderleglich' nennt, doch nicht ganz richtig verstanden:
sie steht und fällt mit dem Nachweis, dass die gefälschten
Urkunden des II. Jahrhunderts und der Text der echten Ur-
kunde von 1116 von einer Hand herrühren; darum und
nicht um ein Hervorgegangensein aus der gleichen diploma-
tischen Schule, oder wie Joerres es sonst nennt, handelt es
sich in Wirklichkeit.
144. Der fleissigen Untersuchung von R. K allmann über
die Beziehungen des Königreichs Burgund zu Kaiser und Reich
von Heinrich III. bis auf die Zeit Friedrich I. (Jahrbuch f.
schweizer. Geschichte) ist ein Excurs beigegeben, welcher mit
gewichtigen Gründen — denen freilich Meyer von Knonau
nicht zustimmt — ausführt, dass der verfälschten Rüggisberger
Urkunde Heinrichs IV. St. 2788 eine echte Vorlage zu
Grunde gelegt sein muss.
145. Im Anhang (Beilage V.) zu seiner Schrift 'Fehm-
gericht imd Inquisition' (Giessen , Ricker, 1889) versucht
F. T hu dich um die Unechtheit der vielberufenen Urkunde
Friedrichs 1. über die Verleihung eines Theiles des Herzog-
thums Westfalen und Engern an Köln vom 13. April 1180
zu erweisen. Die durchaus misslungene Beweisführung steht
auf einem Boden, den die neuere diplomatische Kritik längst
überwunden hat ; es mag zur Charakteristik derselben genügen,
hier anzuführen, dass der Verfasser schreibt 'ob es im 12. Jahrh.
auch sonst noch vorkam, dass solche unbedeutende Ministerialen
(er meint den Schenk Konrad von Schipf, den Marschalk Hein-
rich von Pappenheim und den Kämmerer Sigebod von Groitsch)
in kaiserlichen Urkunden von solcher Wichtigkeit als Zeugen
genannt werden, kann ich nicht beurtheilen; jedenfalls verdient
es eine Prüfung, ob im 12. Jahrhundert die Ritter von Pappen-
heim bereits Marschalke wai-en,'
146. In, einer Ideinen Schrift 'Due documenti greci inediti
della Certosa di S. Stefano del Bosco' (Napoli, Detken, 1889)
veröfFenthcht Nicola Parisio zwei griechische Schenkungs-
urkunden des Malgerius de Altavilla von 1116 und 1156 für
jenes Kloster und vertheidigt im Anschluss daran die Echtheit
Nachrichten. 433
des Privilegs Friedrichs IL von 1212 (BF. 667), in
welchem jene Schenkungen bestätigt werden.
147. In derZeitschr. für Geschichte der Juden in Deutsch-
land III, 302 ff. veröffentlicht H. Bresslau eine Anzahl un-
gedruckter Kaiserurkunden, Rothenburger Juden betreffen d :
Karl IV. 1355 Dec. 31 ; Wenzel 1382 Juni 4 und 1395 Jan. 14;
Sigmund 1414 Aug. 27, 1434 April 14; Maximilian 1517 JuK 7.
148. Im Anhang zu der Schrift von V. Domeier, Die
Absetzung Adolfs von Nassau (Berlin, Mayer & Müller, 1889)
werden die Quellen der Absetzungsurkunde Adolfs
nachgewiesen , wobei zwar nicht alle von dem Vf. hervor-
gehobenen Anklänge beweisend sind, jedenfalls aber, Avas von
erheblichem Interesse ist, gezeigt wird, dass namenthch das
Decret Innocenz' IV. über die Absetzung Friedrichs IL, und
zwar in der Form, wie es in den über VI. der Decretalen
Bonifaz' VIII. aufgenommen war, als Vorlage gedient hat.
149. Neue Urkundenbücher: 1) G. Schmidt,
Urkundenhuch des Hochstifts Halberstadt und seiner Bischöfe.
IV. Band (1362—1425), Leipzig, Hirzel, 1889. — 2) Wirtem-
bergisches Urkundenhuch Bd. V, Stuttgart, Köhler, 1889, ent-
hält die Fortsetzung der Urkunden von 1252 — 1260 und eine
erhebliche Anzahl Nachträge, darunter ein Fuldaer Stück von
835 und ein Kirchberger von 1028.
150. Zum Wettin-Jubiläum hat O. Posse u. d. T. 'Die
Hausgesetze der Wettiner bis zum Jahre i486' (Leipzig 1889)
die wichtigsten Urkunden zur Geschichte des Hauses
Wettin auf 109 prächtigen Lichtdruck-Tafeln nach seinen
eigenen Photographien herausgegeben.
151. Vom Registrum Farfense von J. Giorgi und
N. Balzani ist der 4. Band (1009 — 1069) erschienen.
152. Von Mühlbachers Regesten des Kaiserreichs
unter den Karolingern ist die Schlusslieferung des ersten
Bandes erschienen; sie enthält ausser dem Schluss der Regesten
(bis 918) eine vortreffliche und sehr reichhaltige Einleitung,
dann eine Vergleichungstabelle mit Böhmer und Sickel und die
Nachträge und Berichtigungen zu dem ganzen Bande.
153. Von Ladewigs Regesten zur Geschichte der Bischöfe
von Constanz ist die dritte Lieferung (bis 1264), von Aronius'
Regesten zur Geschichte der Juden in Deutschland gleichfalls
die dritte Lieferung (bis 1226) erschienen.
154. In den Mittheilungen aus dem Stadtarchiv in Köln,
Heft 17, wird die Registrierung des Inhalts der stadtköl-
nischen Copialbücher für die Jahre 1435—1440, ebenda
434 Nachricliten.
Heft 18 das Inventar des Urkunden archivs der Stadt
Köln für die Jahre 1421 — 1430 fortgesetzt.
155. Die Biblioteca storica italiana Bd. V enthält Re-
gesten der Grafen von Savoyen von 902 — 1253 von
J. Carutti. Leider kehrt der unglückselige Irrthum^ durch
welchen Humbert Weisshand von Savoyen zum Connetable
des Reiches von Burgund gemacht wird — ein Amt, das es
nie gegeben hat — auch hier wieder.
156. Das Istituto storico italiano hat auf den Antrag
Monaci's die Herstellung eines grossen italienischen
Regesten Werks, eines 'Repertorio diplomatico italiano', in
Aussicht genommen. Vgl. den Bericht über die Verhandlungen
im Archivio storico ital. V. 4, 134 f.
157. In der Ztschr. f. Gesch. des Oberrheins N. F. IV,
392 veröffentlicht Baumann eine Urkunde des Reichs-
hofgerichts von c. 1276. Das Siegel hat auch hier schon
eine deutsche Legende.
158. C Cipolla behandelt in den 'Miscellanea di storia
italiana II, 12 in umfangreicher Erörterung die Verhältnisse
von Asti unter Bischof Audax um die Wende des 9, und
10. Jahrhunderts. Den Anlass zu dieser Erörterung geben
zwei bisher ungedruckte Notariatsurkunden, aber auch
einige italienische Diplome (BRK 1329. 1374. 1465 und
ein D. Rudolfs IL von 924) gelangen dabei zur Besprechung.
159. In der Westdeutschen Zeitschr. f. Gesch. u. Kunst
VIII, 81 ff. geben J. Priesack und J. Schwalm eine
genaue Uebersicht über den Inhalt des für die Geschichte
des 14, Jahrhunderts so wichtigen Conceptbuchs des
Trierischen Officials, späteren Mainzer Dekans und Rathes
Karls IV., Rudolf Losse, das im Darmstädter Archiv
beruht.
160. M. Conrat hat einen kurzen Bericht über einzelne
Ergebnisse seiner Revision der die Exceptiones des Petrus
bezw. seine Quellen enthaltenden Hss. als Manuscript drucken
lassen.
161. In den Wiener Sitzungsberichten Bd. 118 nimmt
L. von Rockinger seine Berichterstattung über die Unter-
suchung von Hss. des Schwabenspiegels wieder auf.
162. In der Revue Historique XLI, 241 ff. veröffent-
licht Ch. Nisard einen gut geschriebenen literarhistorischen
Essai über Venantius Fortunatus.
163. Im Rheinischen Museum f. Philologie XLIV, 540 ff.
finden sich Bemerkungen von M. Manitius über späte
Nacliricliten. 435
lateinische Dichter, darunter auch zu Fortunatus und
Columban.
164. Weitere Besprechungen von Manitius' Amarcius-
Ausgabe liefern Wattenbach, Deutsche Literaturzeitung
1889, Sp. 1381, und G. Voigt in der Wochenschr. f. klass.
Philologie' 1889 n. 11.
165. In den Atti e memorie della R. deput. di storia
patria per le provinc, di Romagna 3, VII, 130 ff. veröffentlicht
F. Bertolini aus einer Hs. des Escorial O. III. 17 drei
Gedichte saec. XIII. zur Geschichte des grammatischen
Studiums in Bologna. Alle drei beziehen sich auf den Tod
eines mag. Ambrosius, dessen Nachfolger ein mag. Gerardus
ist. Dem Ambrosius wird ein Werk u. d. T. 'Margarita' zu-
geschrieben. Der Text der rhythmischen und gereimten Ge-
dichte ist stark verderbt. I, 88 hat der Herausgeber gegen
Rhythmus und Sinn ein 'non' eingeschoben, auch v. 65 ist
die von ihm vorgenommene Umstellung unnöthig.
166. Im Archeografo Triestino XV, 1 flf. giebt A. Hortis
ein im Jahre 1330 von einem Venetianer verfasstes Gedicht
über den Frieden von Venedig heraus.
167. Der zweite Band von J. v. Döllingers Beiträgen
zur Sektengescliichte des Mittelalters (München, Beck, 1890)
enthält eine grosse Anzahl höchst interessanter Traktate und
Aufzeichnungen über Albigenser, Waldenser, Katharer u. s. w.,
die nur z. Th. bisher bekannt waren.
168. Marcel Fournier, La nation allemande ä l'universite
d'Orleans au XIV. siecle (Nouvelle Revue bist, du droit frangais
et etranger 1888, S. 386—431). — Werthvolle Erläuterungen
und Anmerkungen zu den hier mitgetheilten Documenten von
Loersch und Höhlbaum geben die Mittheilungen aus dem
Stadtarchiv von Köln, Heft 17, S. 123 ff.
169. In den Wiener Sitzungsberichten Bd. 118 berichtet
Luschin von Ebengreuth über seine Untersuchungen in
bolognesischen Archiven zur Geschichte deutscher Rechtshörer
in Italien.
170. Als VI. Publication der Gesellschaft für Rheinische
Geschichtskunde ist erschienen: Die Trierer Ada-Handschrift,
bearbeitet und herausgegeben von K. Menzel, P. Corssen,
H. Janitschek, A. Schnütgen, F. Hettner, K. Lamprecht.
(Leipzig, Dürr, 1889.) In einem kurzen Vorwort begründet
Lamprecht_, der die Leitung des grossartigen Unternehmens
übernommen hat, den Standpunkt der Herausgeber. Um ein
sicheres Resultat zu erhalten, mussten sich eine paläographische,
eine textkritische und eine kunsthistorische Untersuchung in
436 Nachrichten.
ihren Ergebnissen ergänzen und bestätigen. Um der Ada-Hs.
den richtigen Platz anweisen zu können, musste man auch
andere wichtige karolingische Hss. in den Kreis der Betrach-
tung ziehen. So kam es, dass Abschnitt 11. — der ßibeltext,
von Corssen — und Abschnitt IIL — die künstlerische
Ausstattung: 1) Charakter der karolingischen Buchmalerei, 2) die
hervorragendsten Schulen karolingischer Buchmalerei, 3) Be-
schreibung der künstlerischen Ausstattung der Ada-Hs. von
Janitschek — zu zusammenfassenden Abhandlungen über
die karolingischen Bibelhss. ausgestaltet wurden. Die Art, wie
die Resultate dieser beiden Capitel einander bestätigen, ist
höchst interessant. — Mittelpunkt des Abschnitt I. — Codex
und Schrift von Menzel — bildet die Ada-Hs. selbst. Für
eine zusammenfassende Darstellung fehlte es hier noch zu sehr
an Vorarbeiten. Der kunsthistorisch interessante Einband-
deckel ist von Schnütgen und Hettner in einem IV. Capitel
behandelt. Bei der Auswahl der Tafeln war man, dem Texte
entsprechend, bemüht, ein möglichst grosses Vergleichungs-
material zu liefern. Tafel 1 — 17 führen uns den ganzen künst-
lerischen Sclunuck der Ada-Hs. in vorzüglicher Nachbildung
vor. 4 Tafeln sind in Farbendruck. Abbildungen nach anderen
Hss., die ebenso wie die Ada-Hs. der Schule von Metz ange-
hören, nach dem Godesscalc-Evangelistar (Paris), dem Harley-
Evangeliar (London), dem Evangeliar von Abbeville und dem
zu Soissons bringen die Tafeln von 25 — 34, während Tafel
18 — 23 Hss. der Schola Palatina — dem Evangeliar der
Wiener Schatzkammer und dem im Domschatz zu Aachen — ,
Tafel 24 einer Hs. der Schule von Tours, der Bamberger
Bibel, geA\ddmet sind. Die Schule von Rheims (das Ebo-
Evangeliar zu Epernay) ist uns durch 2 Tafeln vergegenwär-
tigt, ebenso der Codex millenarius zu Kremsmünster, der
keiner bestimmten Schule einzuordnen ist. R. St.
171. Während des Druckes dieser Blätter geht uns die
Trauerkimde von dem Tode Wilhelms von Giesebrecht
zu, der in der Nacht vom 17. auf den 18. December d. J. in
München verschieden ist. Wir behalten uns vor, auf das
schmerzliche Ereignis, durch das die Centraldirection nun
schon zum zweiten Male in diesem Jahre schwer getroffen
worden ist, im nächsten Heft zurückzukommen.
XI.
Reise nach Nord- Frank reich
im Frühjahr 1889.
Von
Ernst Sackur.
Neues Archiv etc. XV. 29
Als gegen Ende vorigen Jahres von der Leitung der
Scriptoresabtheilung der Monumenta Germaniae die Herausgabe
der Annales Hannoniae des Franciscaners Jacques de Guise
beschlossen wurde, stellte sich die Nothwendigkeit heraus, auch
die in Valenciennes befindliche, lauge für das Original gehaltene
Handschrift dieser grossen Compilation zur Herstellung des
Textes heranzuziehen. Da die städtische Bibliothek von Va-
lenciennes Handschriften nicht versendet, wurde mir der Auf-
trag ertheilt, die Vergleiclmng an Ort und Stelle vorzunehmen.
Bei der grossen Anzahl von Bibliotheken im nördlichen Frank-
reich und der Reichhaltigkeit derselben an werthvollen Manu-
scripten bot sich auch die Gelegenheit, für die anderen Ab-
theilungen der Monumente nothwendige Arbeiten zu erledigen.
Am letzten Tage des April verliess ich des Abends Berlin,
um mich zunächst über Aachen nach Maastricht zu begeben,
wo ich am Nachmittage des 1. Mai eintraf. Es galt hier eine
Nachvergleichung einer in sehr zerstörtem Zustande über-
lieferten Urkunde Ottos III., (Stumpf n. 885), die auf dem
dortigen Provinzialarchiv bewahrt wird, für die Abtheilung
der Diplomata zu besorgen. Das Archiv liegt in der St. Pieter-
straat in der ehemaligen Franziscanerkirche, wo für die reichen,
wohlgeordneten Schätze desselben, sowie für ihre Benutzer
sehr schöne Räume vorhanden sind. Von 9 — 3 Uhr täglich
geöffnet, wird es von Sr. Hochwürden Herrn Pastor em. Jos.
Habets geleitet. Herr Habets empfing mich mit grosser Freund-
lichkeit, räumte mir einen Platz in seinem Privatarbeitszimmer
ein und stand mir während mehrerer Stunden mit Rath und
That zui' Seite. Es sei mir hier verstattet, dem genannten
Herrn, der an jener Urkunde ein besonderes Interesse nahm,
Aveil er sie in einem demnächst erscheinenden Werke über
die Archive der Reichsabtei Thorn veröffentlichen wird, meinen
wärmsten Dank für seine Hülfe auszusprechen.
Am selben Tage noch verliess ich Maastricht und reiste
über Brüssel nach Valenciennes. Hier langte ich während
der Nacht zum 3. Mai an und konnte am folgenden Morgen
sofort meine Arbeiten beginnen. Noch in demselben Gebäude
gelegen, als zur Zeit, da Herr Dr. Holder-Egger sie benützte ',
1) Vgl. Neues Archiv II, S. 215.
29
440 Ernst Sackur.
steht die Bibliothek jetzt des Morgens von 10 — I2V2, des
Abends von 5— TVaUnr den Besuchern offen. Seit dem Tode
des letzten Bibliothekars, des auch um die Monumenta ver-
dienten Herrn Cromback, d.h. seit etwa 2 Jahren, Avird die Biblio-
thek provisorisch von einem jüngeren Herrn, M. Maurice
Henault, ancien eleve de l'ecole des chartes, geleitet, ein
Zustand, der voraussichtlich demnächst in einen definitiven
übergehen wird. Herr Henault zeigte mir alsbald das freund-
lichste Entgegenkommen. Auf meine Klagen über die kurze
Arbeitszeit, die freihch für die Bedürfnisse der Stadt voll-
kommen ausreicht, bemühte er sich selbst bei dem Herrn
Maire und dem Herrn Administrator der Bibliothek für mich
um die Erlaubnis, ausserhalb der Bibliothekstunden im Stadt-
hause Handschriften benutzen zu dürfen. Hier arbeitete ich
denn in den Nachmittagsstunden vom ersten Tage ab, erst
im Bureau eines höheren Magistratsbeamten, des Herrn Four-
nier, dessen Gefälligkeit ich nicht genug rühmen kann, dann
in dem ein Stockwerk höher gelegenen Stadtarchiv. Diese
Erlaubnis war mir gleich in den ersten Tagen um so werth-
voller, als die Schliessung der Bibliothek vom 5. — 7. Mai aus
Anlass der hundertjährigen Wiederkehr des Tages, an welchem
durch Ludwig XVI. die Generalstände zusammenberufen wurden,
die kaum begonnenen Arbeiten in unliebsamer Weise miterbrach.
So war ich die nächsten fünf Wochen in Valenciennes thätig.
Gehörte der lange Aufenthalt in der wenig Abwechslung
bietenden Fabrikstadt nicht zu den angenehmsten während
meiner Reise, so bin ich Herrn Henault, sowie den städtischen
Behörden, zu um so grösserem Dank verpflichtet, dass sie mir
Gelegenheit verschafften durch verlängerte Arbeitszeit ihn nach
Möglichkeit abzukürzen. Vor allem benützte ich hier die aus drei
Bänden bestehende Handschrift des Jacques de Guise n. 784
(Mangeart n. 578)", die wahrscheinlich noch zu Lebzeiten des
Verfassers, der 1399 starb, bei den Recollecten zu Valenciennes
geschrieben* und vielleicht von ihm selbst noch durchgesehen
wurde'. Leider ist der letzte Band auf furchtbare Weise von
den Ratten zerfressen*, so dass hier die Bücher 16 — 18 nur
1) Herr Dr. Holder-Egger hat N. Arch. X, S. 216 bereits darauf
aufmerksam gemacht, dass in der Valencienner Bibliothek diejHand-
schriften neu geordnet sind und dass in dem Handexemplar des Man-
geart'schen Catalogs daselbst die neuen Nummern mittelst Handpresse
beigesetzt sind. 2) So glaube ich den Schreiber der beiden letzten
Bände in demjenigen einer Urk. vom 22. Mai 1393 unter den im Valen-
cienner Stadtarchiv befindlichen Urkunden der Minderbrüder sicher erkannt
zu haben (G. 215). 3) Allerdings finden sich kleine Nachträge, unge-
■wiss ist freilich, ob sie vom Verfasser herrühren. 4) Und nicht ver-
brannt, wie Heller, N. Arch. H, S. 314 angiebt. Auch ist es der obere
Theil, und nicht der untere der Blätter, der zerstört ist.
Reise nach Nord-Frankreich. 441
ganz fragmentarisch erhalten sind. Ich collationierte sodann
Milos Gedicht 'de sobrietate' mit der Handschrift n. 564
(M. n. 395), in der das Gedicht von zwei verschiedenen Hän-
den geschrieben und von einem späteren Leser durchcorrigiert
wurde. Für eine Abschrift davon muss die etwas jüngere
Handschrift n. 518 (M. n. 396) gelten, die in allen Aeusser-
lichkeiten der erstgenannten entspricht ' xmd nur einige wenige
Randnoten mehr hat^. Hugbalds Gedicht 'de laude calvorum'
Avurde mit dem aus St. Amand stammenden Codex saec. X
n. 354 (M. n. 288) verglichen, wobei sich herausstellte, dass
•der Herausgeber Desilve die zahllosen Verbesserungen und
Umstellungen einer modernen Hand einfach in den Text gesetzt
hatte. Aus derselben Handschrift schrieb ich ein Gedicht,
bestehend aus 386 Hexametern ab, dessen Verfasser ein Mönch
von St. Amand, wahrscheinlich der in dem Werke genannte
Fulquin ist, und auf das ßethmann bereits aufmerksam gemacht
hatte'. Es ist ein Zwiegespräch zwischen dem Dichter und
der Muse, in dem der erstere unter reuevollen Anklagen sich
beschuldigt, sein Kloster heimlich verlassen zu haben. Ferner
verglich ich die 'Vita S. Amandi' des Milo nebst den Versen
des Vulfagus mit den beiden Valencienner Handschriften
n. 564 (M. n. 395) und 607 (M. n. 461) und ebenso Baude-
munds älteste Vita des Heiligen sammt den 'suppletiones Milonis'
mit dem durch zahlreiche Bilder gezierten Cod. von St. Amand
saec. XI ■* und theilweise mit dem daraus geflossenen saec. XII,
der mit noch grösserer Bilder- und Farbenpracht ausgestattet
ist. Aus dem grossen Legendär der Valencienner Bibliothek
saec. XII n. 667 ff. (M. n. 471) verglich ich die Vita
S. Bavonis mit dem Texte Mabillons und die eben auszugs-
weise in den M. G. SS. XV, p. 796 ff. herausgegebene Vita
S. Humberti Maricolensis nachträglich, während die eben dort
befindliche Vita S. Aldegundis * sich als die spätere des Hug-
bald , sowie die Passio S. Salvii martiris " als die des
Valencienner Märtyrers herausstellte. Schliesslich unterzog ich
die von Arndt edierte älteste Vita S. Hugberti einer Nach-
vergleichung mit dem ältesten vorhandenen Codex, n. 640
(M, n. 469) und schrieb die in n. 191 (M. n. 152) auf die
Vita S. Launomari folgenden Miracula des Heiligen ab. Auch
1) Unrichtig ist jedoch, wie N. Arch. IV, S. 523 bemerkt ist,
dass der Vers 'Si bene te tua laus taxat sua laute tenebis' auf die beiden
poetischen Wi'Imungen folge; er steht in beiden Handschriften nach dem
ersten Gedicht: 'Karolo imperatori Augusto Hucbaldus Aurea lux etc.'
2) Aber sie fehlen «uch in Nr. 564 nicht, wie nach N. Arch. IV,
S. 524 scheinen könnte. 3) Archiv XI, S. 523. 4) n. 607 (M. n. 461)
fol. 1. 5) Fol. 39' ohne die 'epist. dedicat.' beginnt: 'Miseratio divine
bonitatis etc.' 6) Fol. 74. Die in n. 668 (M. n. 471, II) fol. 186'
befindliche Vita Hugonis ist eine Vita des Hugo von Grenoble.
442 Ernst Sackixr.
für die Epistolaeabtheilung war einiges zu erledigen: so die
CoUation der in alten Handschriften des 8. und 9. Jahrhunderts
n. 253 (M. n. 337), 242 (M. n. 187) und 76 (M. n. 74) i
befindlichen Alcuinbriefe, sowie die in moderner Abschrift des
17. Jahrhunderts (n. 176, M. n. 238) erhaltenen beiden
Briefe des Lupus an Hinkmar von Rheims und Karl den
Kahlen. Endlich collationierte ich aus n. 66 (M. n. 44) ein
kurzes Fragment und einen Brief Sigwalds von Aquileja an
Karl den Grossen, beides für ßethmann bereits abgeschrieben,
von neuem. Von bisher unbekannten kleineren Stücken
copierte ich ausser dem Gedicht des Fulquin ein Verzeichnis
der im Jahre 1 132 nach St. Amand transferierten Reliquien
und einen Brief des Abtes Absalon von St. Amand an die
Chorherren von St. Servatius in Maastricht, in welchem den
letzteren für die Pflege eines Elnoner Mönches, der bei ihnen
gestorben, gedankt und den Adressaten ein Confraternitäts-
bündnis vorgeschlagen wird. Ich untersuchte endlich einige
Handschriften im Interesse Jacques de Guise, über dessen
Person oder Familie ich etwas zu erfahren hoffte, leider erfolg-
los, konnte jedoch aus zwei Urkunden des Valencienner
Communalarcliivs (G. 212 und 213) wenigstens feststellen,
dass sein Bruder Johann ebenfalls Magister der Theologie,
Curatus an der Kirche St. Gery und Canonicus von Antoing
und Soignies, und im Jahre 1392 nicht mehr am Leben war.
Die Thatsache, dass ein Bürger Jean Wafflars von Fresne-
sur l'Escaut zum Seelenheil der beiden Brüder urkundet, lässt
vielleicht an eine Verwandtschaft mütterlicherseits denken.
Nach Beendigung der Arbeiten in Valenciennes fuhr ich
am 6. Juni nach Douai, wo ich mich während der Bibliothek-
stunden — täglich von 11—5 Uhr — des liebenswürdigsten
Entgegenkommens der Herren Riviere und Abbe Horoy zu
erfreuen hatte. Ich collationierte hier ein paar Stücke der Vita
Amandi des Baudemund mit dem Cod. n. 857, während die
1) Diese Handschrift saec. IX ex. oder X in. enthält Alcuins 'expositio
S. Joh.' auf 102 fol. Die beiden Briefe der Gisela und Rotrud von und
an Alcuin und die 'Capitula in expos. 8. Joh.' bilden eine Lage aus vier
Blättern bestehend, die zu allerletzt geschrieben und dann angeheftet
wurde. Man sieht das an dem flüchtigen Charakter der Schrift, welche
den letzten Seiten des Werks mehr als den ersten ähnelt. Sehr lange
Zeilen, je 31 auf der Seite, bräunliche Tinte, kleine Schrift. Merkwürdig
ist das Monogramm Kisela, das der Schreiber fol. 2 (hier bis auf den
äusseren Rand und die Querlinien ausradiert) fol. 23, 37, 53, 71, 85, 101
immer an dieselbe Stelle, in die Mitte des unteren Siitenrandes hinmalt.
Vgl. das Facsimile bei Mangeart. Auf fol. 74 steht ganz unten auf der
Seite, von derselben Hand, aber nachträglich eingetragen, der Brief
Alch. Opp. 1617, col. 589 und 590. Fol. 5 beginnt das Werk, sehr
schöne Initiale I, schwarz und braun.
Reise nach Nord-Frankreich. 443
Vita des Milo sich nicht in der Handschrift fand, wie man
nach Arndts Angabe annehmen musste*. Meine besondere
Aufmerksamkeit erregte der aus Marchiennes stammende
Cod. 850 saec. XUI in., der neben andern auf das Kloster
der hl. Rictrud bezüglichen, bereits bekannten Stücken einige
bisher ungedruckte enthält, so eine Translation des hl. Jonatus,
die ich excerpierte, eine Chronik von Marchiennes, die ich
abschrieb und ein Polyptichum der Abtei, aus dem ich ebenfalls
Auszüge machte. Ueber alle diese Stücke folgen weiter unten
nähere Nachrichten. Ich verglich sodann ein paar Theile der
Vita Autberti, deren von Surius nur ganz verstümmelt wieder-
gegebenen Schluss, die Translation der hl. hl. Gaugericus
und Autbertus nach Magdeburg, sowie den Bau einer neuen
Kirche in Cambrai betreffend, ich abschrieb. Endlich copierte
ich einen fragmentarischen Bericht über Translationen von
Reliquien nach Marchiennes.
Nach einem kurzen Aufenthalt in Paris während der Pfingst-
feiertage, den ich benützte, um mich über die dortige Guise-
handschrift und ihre Versendung zu informieren, reiste ich
am 11. Juni über Douai und Lille nach St. Omer. Die dor-
tige in der Rue Gambetta gelegene Bibliothek ist nur fünf-
mal in der Woche je drei Stunden geöffnet und zwar Montag
und Dienstag von 11 — 2, Mittwoch, Donnerstag und Freitag
von 9 — 12. Es wurde mir jedoch von Herrn Bibliothekar
Lauwereyns de Rosendaele dankenswerther Weise gestattet,
auch die übrige Zeit unter Aufsicht des Appariteurs die reichen
Schätze von St. Bertin zu benützen, sodass ich die Arbeiten
rasch fördern konnte. Hier war ich namenthch für die Sammlung
der Heiligenleben aus der Merovingerzeit thätig : ich coUationierte
die Viten der hl. hl. Ansbertus (n. 764), Wulframnus (n. 765) ^
1) Vgl. Neues Archiv II, S. 268 und IV, S. 524. Anscheinena nur
Abschrift von Valenciennes n. 607. Die Vita des Milo ist allerdings
im Inhaltsverzeichnis aufgeführt, steht aber in der Handschrift nicht.
Was Arndt a. a. O. aus fol. 14' abdruckt: 'Prolato libello — militavit' ist
nichts als der Anfang der 'Suppletiones Milonis', hinzugefügt ist nur der
Schluss 'regnante domino nostro lesu etc.' — Was sonst das Inhaltsver-
zeichnis ankündigt, fehlt bis auf das fol. 15 — 17 stehende 'Argumentum
etc.' völlig. Ueber den weiteren Inhalt s. 'Catalogue des man. des dep.'
VI, p. 608. 2) Der Cod. enthält auf fol. 7 und 101 zwei Initialen, I
und L, die dem Charakter nach dem I des Alcuincod. von Valenciennes
n. 76 entsprechen. Namentlich scheint das I mit seinen eigentümlichen
Verschlingungen dasselbe zu sein und auf eine Schule zurückzugehen.
Charakteristischer Weise enthält die Handschrift von St. Bertin zahlreiche
auf Tours und den hl. Martin bezügliche Stücke. Der Inhalt derselben
ist im 'Catal. des man. des dep.' HI, p. 345 nicht vollständig angegeben.
Ich ergänze hier: fol. 1 'Incipit de gestis Severi presbiteri. Severus
presbiter cognomento Sulpicius Aquitaniae provinciae — sanguine Christi
tuo solvuntur prisca piacla'. Fol. 132 — 135 Verse und Inschi'iften aus
444 Ernst Sackur.
Winocus und die kostbar geschriebene des hl. Audomarus,
die ich, durch ßethmann irregeführt, leider erst spät als die
dritte der bei den ßollandisten gedruckten Viten des Heiligen
erkannte, ferner ein paar Stücke der 'Vita S. Petri Tarant.'
und der in derselben Randschrift befindlichen Fortsetzung der
'Flandria Generosa'. Endlich schrieb ich aus einer Sammlung
von Canones (n. 194) den dort befindlichen *sermo synodalis',
die Acten des Conzils von Seligenstadt, und eine am Schluss
der Handschrift eingetragene Aufzeichnung, den Friedensab-
schluss zwischen Heinrich V. und Paschalis H. betreffend, ab
und unterwarf die schon von Bethraann gedruckten 'Capitula
conc. Tribur.' und die Genealogie Ottos von Hammerstein einer
Revision'. Von St. Omer machte ich am 20. Juni einen Aus-
flug nach dem nahen ßoulogne, um die dortige Uebersetzung
des Jacques de Guise (n. 149) in Augenschein zu nehmen.
Es ist dies die im Jahre 1446 auf Veranlassung des Simon
Nokart für den Herzog Philipp von ßurgund, Grafen vom
Hennegau angefertigte Uebertragung, die, wenn auch unvoll-
ständig, schon 1531 im Druck erschien. Dieselbe schliesst
mit dem 1244 erfolgten Tode der Johanna von Constantinopel,
da der Uebersetzer sich offenbar scheute, die nur theilweise
im Original noch behandelte Regierung ihrer Schwester Mar-
garethe in die französische Bearbeitung erst hineinzuziehen.
Die ßoulogner Handschrift ist prächtig geschrieben, mit zahl-
reichen vlämischen Miniaturen von hohem Kunstwerth ausge-
stattet, besteht aber leider nur aus dem ersten (ßuch I — VII)
und dem dritten Theil (ßuch XV— XXI). Am nächsten Tage
kehrte ich von St. Omer noch einmal nach Douai zurück,
um daselbst den folgenden Sonnabend, an welchem die Bibliothek
von St. Omer geschlossen ist, noch auszunützen. Von da aus
der Basilica St. Martin in Tours. Fol. 135 'De mensura basilicae. Ba-
silica sancti Martini abest a civitate — hege, ut credas, crede, ut
vivas in ^ternum'. Fol. 142' u. 143 wieder Verse aus St. Martin. Fol.
165 der Hymnus auf den hl. Wulframnus. Beginnt:
Audite pantes monachi
Exempla aiidros fervidi
Qui de Francorum principe
Poli conscendit atria etc.
Bemerkenswert!! sind nur die zahlreichen eingefloehtenen g-riechischen
Worte. Auf dem Schlussblatt fol. 174' allerlei Feder- und Schriftproben.
1) Ich bemerke hier gelegentlich, dass n. 731 nicht, wie in N. Arch. II,
S. 320 wohl nur verdruckt ist, dem XIV., sondern dem XVI. Jahrhundert
angehört. Die Handschrift enthält auf 42 beschriebenen Blättern eine bis
ans Ende des XV. Jahrhunderts reichende Geschichte von Flandern. Es
folgen 7 leere Blätter mit Buchstabenzählung. Auf fol. c' Brief Clemens VII.
an Karl V.: 'Aliqua sunt, quae nobis' v. 25. Juni 1526 Rom. Fol. h'
Clemens VII. an Erasmus von Rotterdam : 'Ex litteris tuis et ex eo libro,
quem ad nos' etc. Rom 1522.
Reise nach Nord-Frankreich. 445
trat ich am 24. die Rückreise an, auf der ich mich nur noch
einen Tag in Mons aufhielt. Es galt hier in der Stadtbibliothek,
die in der Rue des Gades gelegen, früh von 9V2 — 12, Nach-
mittags von 3 — 7 ülu' geöifnet ist, die vorhandenen Hand-
schriften, Uebersetzungen und Auszüge des Hennegauischen
Annalisten zu untersuchen '. Ich sah und verglich einige
Stücke des ersten Theils der 'Annales Hannoniae' (Bch, I— VH)
in n. 121/289 2, geschr. 1453, untersuchte die von Reiffenberg
aufgeführte, von Bethmann aber übersehene (vgl. Archiv IX,
S. 297) Handschrift n. 120/145 saec. XVII, welche einen
Auszug aus der oben bezeichneten franz. Uebersetzung sämmt-
licher drei Theile enthält, femer die franz. Uebersetzung des
2. Theils (Bd. VIH— XIV), 1450 geschr.', sowie die späteren,
Bearbeitungen und Auszüge enthaltenden franz. Codices saec.
XVI, n. 167/155 und 174/144. Von Mons reiste ich am 25.
Abends über Brüssel nach Berlin, wo ich am folgenden Tage
wieder eintraf.
Beilagen.
1. Douai n. 795 saec. XII. Heber den Inhalt vgl.
'Catal. des manusc. des dep.' VI, p. 484. Auf fol. 139—140
steht eine unvollständige Chronik der franz. Könige. Beginnt:
'Franci origine Troiani' und endet fol. 140: 'Anno dominice
incarnationis MXXX defuncto rege Roberto Henricus , iilius
eius, regnavit annis fere XXV. Huius mater Constantia maxi-
1) In dem alten geschriebenen und theilweise grossen Unsinn ent-
haltenden Catalog, den man mir in Mons vorlegte, sind die alten und
neuen Zahlen bemerkt, die man bei der Bestellung beide angiebt. Ich habe
die alte Bezeichnung zuerst genannt. 2) Die Hs. wurde mir nachher
dankenswerther Weise nach Berlin gesandt. 3) Ueber diese drei Hand-
schriften vgl. auch 'Meraoires et publications de la societe du Hainaut',
VII (aunee 1846—1847) p. 198 ff. In der zuletztgenannten n. 122/290
ist zu lesen: 'Toutes les corrections de ce livre ont estes faictes de et
par le main de Jehan Waukelin translateur de tous les trois volumes'.
Somit kennen wir den Namen des für Philipp von Burgund arbeitenden
Uebersetzers. Wauquelin ist auch sonst bekannt. Ein Bürger von Mons,
wurde er von den burgundischen Herzögen häufig zu Compilationen oder
Uebersetzungen herangezogen, die P. Meyer, 'Girart de Roussiilon', Paris
1884, p, CXLII aufzählt. Diese Thätigkeit fällt in die vierziger und den
Anfang der fünfziger Jahre. Hachez führt in den 'Annales du cercle
archdol. de Mons' (1887) p. 186 aus einer Rechnung von 1445 die Summe
von 12 Pfd. an 'k Jean Wacquelin demeurant k Mons eii Haynault pour
don k luy fait, quant yl est venu devers Monseigneur k Lille pour
aucunes affaires touchant la translacion de pluseurs hystoires des pays
de mon dit seigneur'. Dass er Guise übersetzt hat, blieb beiden unbe-
kannt: es ist um so interessanter, als seine 1447 verfasste prosaische Be-
arbeitung des Girart de Roussiilon Bekanntschaft mit Guise verräth, was
Meyer richtig bemerkte.
446 Ernst Sackur.
mam regni positionem in suam post fimus mariti . . .' Eine
weitere Benutzung dürfte unnöthig sein, da das Fragment aus
Hugo von Fleury, Andreas von Marchiennes und Sigebert ^
compiliert ist. Die zwei folgenden Blätter sind herausgeschnitten.
Auf dem letzten fol. 141 liest man noch folgende Translations-
geschichten: reliquiis.] quibus locus ille fixiget insignis, secum
asportare desiderans, suis et suorum precibus amicorum, abbate
scilicet sancti Medardi Ingranno * interveniente, qui nionachus
inibi et prior extiterat et ecclesi^ Marcianensi aliquandiu
honeste prefuerat, sed precepto domini pap(^ Eugenii III.
ad occlesiam Suessionensem sancti Medardi regendam vel potius
restaurandam assuniptus est. Divina favente gi'atia tam abba-
tem, quam fratres omnes valde benignes invenit miro et inef-
fabili modo sue petitioni annuere gestientes. Mane igitur
facto post missas abbas ipse eiusdem loci, lohannes* nomine,
in sancta sanctorum per se ipsum ingressus, ipso dispensante,
ipso distribuente, nobis presentibus divite gaza nostras replevit
manus, dans incomparabilem thesaurum certis tvtulis assigna-
tum, quod cuius esset, sicut subscriptum est: Digitum unius
Innocentis, qui adhuc cum corio apparet et ungue, qui videlicet
recens natus et percussus, sicut ab ore eins audivimus, nimi-
rum mox aruit, quia non habebat humorem, Digitum sancti
Gentiani martyris. Tres dentes trium martyrum Cypriani, Cris-
pini et Crispiniani. De ossibus Sebastiani martyris. De ossi-
Dus Theodori martyris cum sociis suis. De ossibus Panchratii
martyris. De ossibus Vitalis et Marcialis martyrum. De ossi-
bus Leodegarii episcopi et martyris. De ossibus Lamberti
episcopi. De fascia sancti Pauli apostoli. De vestimentis
sancti lohannis evangeliste. De ossibus sancti Nicholai epi-
scopi et confessoris. De digito sancti Eligii Noviomensis epi-
scopi, in quo insolitum aliquid valde apparuit, quia, cum inte-
grum illum nobis dare nolens partiri vellet abbas, per medium
fracto inter manus post sexcentos et eo amplius annos depo-
sitionis ipsius adhuc medulla in osse erat. Cuius in testi-
monium, sicut et ossis, pia largitate participes nos fecit. De
ossibus sancti Lupi episcopi et confessoris , qui caducum
morbuni habentibus et ipsum requirentibus integram sanitatem
Erestare solet. De ossibus sancti Evremundi confessoris. De
rachio sancti Ratberti Paschasii cardinalis [levite^] urbis Rome
et abbatis Corbeic, qui luculentum librum de corpore et san-
guine Domini et alia volumina insignis auctoritatis edidit. De
ossibus sancte Cristin§! virginis et martyris. Quod autem
1) Hier sind die Jahre 1006, 1023, 1026, Roberts Beziehungen zu
Deutschland betreffend, ausgeschrieben. 2) 1148 — 1177. 3) I. von
Marchiennes 1158 — 1182 nachzuweisen. Gallia christ. III, 397. 4) Ueber
der Zeile von andrer Hd.; auf der Zeile Rasur.
Keise nach Nord-Frankreich. 447
favore divino, non humano, et certo miraculo nobis thesaurus
iste collatus fuerit, ex hoc liquido constat, quod post discessum
nostrum mox dolor ingens et meror magnus fratres invasei'it,
ineffabiliter p^nitentes supei' dono, quod dederant et quod
die eadem prompta et alaeri voluntate nobis feeerant. Recept^
sunt autem sancte reliqui^ pridieKal. Octobris in festivitate sancti
Michahelis et apud nos condite cum sollempni processione et
gaudio universorum, sicut qui letantur in messe vel sicut
exultant victores capta preda, quando dividunt spolia.
Anno Domini MCLXXII. temporibus predicti abbatis
allate sunt a Colonia reliqui^ sanctorum martyrum et sancta-
rum virginum a duobus istius ^cclesi§ monacliis, Martino vide-
licet et Andrea', quas ex dono Philippi archiepiscopi^ et decani
seu prepositi ecclesi^ sancti Petri et abbatis sancti Heriberti
Tuicii» acceperunt. De sancto Ignatio episcopo et martyre,
de sancto Vincentio martyre, de sancto Ciriaco papa et mar-
tyre, de sancto lacobo episcopo Antiocheno martyre, de sancto
Simplicio Ravennate episcopo martyre. Digitum sancti Traiani
martyris ex legione Tebea. De sancto Pantulo episcopo et
martyre. De sancto ■*. . . .
2. Douai n. 850 (früher 799). Pgmt. -S» saec. XIII in.
Beschreibung der Handschrift von Bethmanu* und im Catal. des
depart. VI, p. 596. FoL 87' 'Prologus super miracukimß, quo do-
minus illustravit confessorem suum lonatum abbatem sanctissi-
mura'. Beginnt: 'Assurgat unanimis in laudibus conditoris sacr^
reHgionis concentus Martianensis — per sancti lonati pretiosi con-
fessoris Christi et abbatis merita designaverit, dihgentius per-
videamus'. Das ganze Stück schhesst fol. 99' 4n resolabile domi-
cilium hie et in evuni permanet, id est in secula seculorum.
Amen.' Es handelt sich nicht, wie ßethmann meint, um eine
Geschichte des Klosters kurz nach dem Tode des Grafen Karl
(1127) unter dem Abt Jonatus, sondern um die Translation des
ersten Abtes von Marchiennes, Jonatus, nach dem Dorfe Salia-
cus, 'ubi sciebant affuturum maiorem impetum hostium'. Den
Schwulst und die Weitschweifigkeit des Werkes rügten bereits
die Bollandisten ', die auch hervorhoben, dass der wesentliche
Inhalt des Stückes in den Miracula S. Eictr., Acta SS. Mai
III, p. 106, zu weit klarerer Darstellung gelangt sei. Sie
1) Wohl der bekannte Andreas von M. 2) 116.7—1197. 3) Hier
steht am Eand von deis. Hd.: 'Tiiicium dicitur castellum ultra Reuum,
eo quod ab liostibus tueatur Coloniam'. 4) Uie nächste Zeile halb
•weggeschnitten und radiert. Dagegen liest man noch auf den Rand
hinausgeschoben: 'Foillani episcopi et mr(!) . . Gaii Albanensis mr. epo
et . .' 5) Archiv VIII, S. 427. 6) Vom Rubricator verbessert in
'miraculo'. 7) Acta SS. Aug. I, p. 75.
448 Ernst Sackur.
citierten einiges Wenige 'ex grandi Ms, pag. 24 in fol., quod
annexum dicitur operi Gualberti monachi de vita et miraculis
S. Rictrudis'. In den Mirac. S. Rictr. II, § 32 ist aber der
Name des hl. Jonatus nicht genannt; es wird nur von den
Reliquien der hl. Rictrud und ganz allgemein denen anderer
Heiligen gesprochen. An die Ermordung des Grafen Karl
wird auch hier angeschlossen. Das kleine Werk, von dem
wir hier sprechen, steht aber sicher in keiner Abhängigkeits-
beziehung zu den Miracula; es hat die deutliche Aufgabe, die
Verehrung für den hl, Jonatus in Fluss zu bringen und dürfte
nicht gar zu lange nach dem Ereignis zu Brügge entstanden
sein, unter dessen Eindruck der Verfasser oßenbar schreibt.
Ob ihm jedoch die Vita Karoli a. Waltere ' ganz fremd ge-
blieben ist, kann man mit Sicherheit nicht behaupten^ da sich
trotz des Mangels wörtlicher Uebereinstimmungen , doch ge-
wisse Annäherungen constatieren lassen. In einer sehr schwül-
stigen Einleitung beklagt der Autor die Ermordung Karls und
die dadurch hervorgerufenen Wirren: diesen Abschnitt und
aus der Mitte heraus ein Stück von allgemeinerem Interesse,
Klagen über die Bedrücker des Klosters enthaltend, habe ich
excerpiert.
Fol. 88. Tractatus ipsius miraculi de candelis ex-
tinctis, sed c^Iesti lumine reaccensis'.
Sub ea igitur tempestate, qua miserabili fraude suo-
rum seu proditione cecidit"', periit subiitque repentinum
ictum, quasi reus capitalis sententiat^, Karolus illustris comes
Flandri?, necessitate ingenti fratres compulsi Marcenienses,
sevientes bellon^ *, sanctum de secretioribus abditis eduxei-unt
lonatum eumque cum honore decenti premiserunt ad tute-
lam possossionum sustentationi corpore? viris Dei necessa-
riarum, ne forte paterent ex toto pred§ faucibusque luporum
avidius incendiis, rapinis, exuviis bonorum inhiantium, virga,
baculo^ immo columpna immobili, non tarn patri^, quam sancte
matris ^cclesi?, videlicet Karolo, utriusque sexus qui erat re-
fugium et maxime pauperum, nusquam apparente, non iam
latenter, sed aperte sevientium. Contendebant enim ac miseri
misere congaudebant, se licenter ac cupide exire de cavernis
suis, in quibus hactenus et diu latuerant, quoad viveret rector
et amator bonorum, terror et violentus oppressor malorum,
cuius probitati, liberalitati, animositati viri sanguinum et dolosi
nimis invidebant, quo subsistente longeque manus porrigente
1) Sie ist unmittelbar nach dem Tode des Grafen geschrieben. Vgl.
Wattenbach, Deutschi. Geschichtsquellen 5. Aufl. II, S, 288. 2) Ueber-
schrift roth. 3) 1127, 2. März. 4) So! Dass der Tod des Grafen
zu grossen Unruhen und Räubereien Anlass gegeben, berichtet auch die
Vita Karoli c. 43, SS. XII, p. 557.
Reise nach Nord-Frankreich. 449
et male agere oppido timuerant. Quem cum alio modo, alio
tempore, alio conamine persequi non auderent, in tempore
pacis sacrat^ et a sanetis patribus Institut? in soUempnibus
ieiuniis, in quadragesimalibus observantiis, in monasterialibus
insigniis sancti Donatiani ßrugensis viri iniqui et coniurati
insurrexerunt non tam in egregium Karolum comitem, quam
in suam suorumque pernitiem, obprobrium in proprium et
confusionem. Dum enim pro more suo idem non sine luctu
nominandus comes Karolus misse sacramentis interesset, dum
psalmos p^nitentiales in codicello sibi familiari preeineret*,
dum etiam devote orando cor suum Domino effunderet et In-
terim ^lemosinam cum distributione numraorum fratribus
pauperibus oportune inportune se ingerentibus perficeret*, ex
inproviso a suis non tam famulis, quam traditoribus perversis
et Flamingis ferocissimis pro iustitia p^nam excepit. Quodque
est absurdum et nimis § natura dictum, ne dicam factimi,
nimium, inquam, ac monstruosum, acsi in ultionem pacis,
quam tuebatur omnimodis, cervix eius perpulchra cruore sui
pro dolor ! ferrum ^ audacis pre aliis cuiusdam ßulcardi * et
insanientis ad mortem usque infeliciter sibi etiam ipsi, qui hoc
idem scelus perpetravit, sicut non longe postea claruit, illinuit.
Sed quoniam non est nostri propositi per singula evolvere,
quomodo propter iniquitatem facti in stuporem et sibilum et
in omnimodam plebis abiectionem condigna et exquisita mul-
tati sunt ultione, quidam confixi in pariete abstracta prius
cute, continuato a capitis vertice usque ad inguina vulnere,
quidam in altum erecti, extensi et depressi totum corpus rota-
rum vertigine^, pars maxima horribili saitu de eadem, qua
conspiraverant, conglobati factiones suas contueri, inmensa
Brugensis arcis altitudine «, quomodo etiam plerique eorum
mancis sive truncatis manibus cum lacertis, tibiis cum pedibus
perforatis, poplitibus traiectis, sudibus suspensi in immundis
locis capite deorsum verso turpi morte periere', iccirco rem
in medio derelinquimus, necnon de substitutione subsequentis
comitis Guuillelmi *, videlicet filii Eoberti predecessoris comitis
Normannie, a Ludovico rege Francie facta, Flandigenarum
climata post mortem Karoli sub ditione sua cuncta redigente,
conatu frustrato Henrici regis Angli^^, qui felicibus actibus
1) Vgl. Walteri Vita Karoli comitis c. 25, SS. XII, p. 549; Gnal-
berti passio Karoli c. 12, ib. p, 568, und c. 15, p. 569; AnoDymi vita
c. 6, ib. p. 621. 2) Seine Freigebigkeit und Wohithätigkeit rühmt
auch die Vita Walters c. 11 a. a. O. , p, 544. 3) undeutlich ge-
schrieben. 4) In der Vita des Walterus Bnrehardus genannt, in der
Passio Karoli comitis des Gualbertus heisst er Borsiardus, in der Vita
des Anonymus Borchardus. 5) Vgl. Vita Karoli c. 42 a. a. O. p. 556.
6) Vgl. Vita Karoli c. 50 a. a. O. p. 559. 7) Vita Karoli c. 33 a. a. O.
p. 352 'partim patibulis appensi, partim in cloacas iactati*. 8) Wilhelm
Clinton. 9) Heinrich I.
450 Ernst Sackur.
nepotis a se exheredati, ut iniquus patruus ' , non cessabat
invidere, cuius patrem eundemque fratrem suum diuruis nexi-
bus captivitatis addictum regnique sui iura seu monarchiam
Normannicam nietuebat amittere. H§c. inquam, et similia non
enodamus, potius aliis tractanda proponimus. Sed et quomodo
sustinuerit idera iuvenis, scilieet Wilelmus coraes substitutus
non solum tinitimas, verum etiara alienas congressiones et tarn
procul positas, quam proximas et crebras phalanges, tiu-mas
atque legiones in subversionem sui suorumque ae totius pro-
vintie sibi commissi properantes, concertantes et absque fere
intermissione novis rebus insistentes, reticemus. Non tamen
preterire debuimus casum non tarn rectoris principisque ex-
cellentis, quam casum amiei familiaris nostrique protectoris. qui
ex quadam industria et singulari diligentia nichil ferme detri-
menti patiebatur inesse rebus, quas noverat famulari beate
Kictrudi eiusque lili^, Deo consecrate virgini Eusebie. Qui
prudens vir atque disertus, ut nichil supra tam pie tamque
benigne responsa prociamantium religiosorum virorum rebus
ipsis prefectorum aceipiebat, quod sine gemitu ac merore
possunt et ipsi referre, multociens oecupatus militia, stipatus
armis latera, properans et intendens ad aiia cognita seu visa,
fratrum ]\Iarceniensium presentia ilico subsistebat, atque auditis
querelis decursisque alternatim privatis causis iudiciariis ^ vel
statin! iustitiam exercebat^ vel certam iustitiam dieraque certum
iusticir determinabat. Sepenumero etiam presentiam suam
ipsis militibus subtrahebat* atque cum eisdem fratribus se
medium innectens fainiliariter de necessariis negotiis sermonem
conserebat, vitasque necuon origines ac progenies vel merita
sanctorum ]\Iarcenis quiescentium et precipue beate llictrudis
sancteque Eusebie, eius videlicet nat^, inquirebat, quarum
nobilitatem nobilis et ipse avido pectore reponebat et tenaci
memorie conmendabat sueque sollerti inquisitioni de precipuo
et primo fundatore nostri cenobii sub beato Amando, de sancto
videlicet lonato confessore Chi'isti egregio et monialibus sibi
subrogatis pro castigat§ vit§ merito in abbatem ministro sibi
satis fieri deposcebat. Demum omnem diligentiam suam abbati
nostro, tunc temporis venerabili atque amabili Amando ^, quem
valde venerabatur et diligebat, pariterque fratribus sub eodem
karissimo patre operam religioni dantibus affuturam procul
dubio spondebat. Igitur simulac breviter attigimus vel potius
1) Vgl. V. Karoli c. 44 'a patruo suo Henrico Änglorum rege —
impie exheredatum'. 2) Von der Hand des Schreibers über der Zeile
nachgetragen. 3) 'exerebat' hs. 4) Vgl. Walteri Vita c. 12: 'In qui-
bus hunc ordinem sepius observabat, ut, si quando clerici vel monachi
liergiosi necessitate aliqua cogente in sua curia causas agere haberent,
aornm ante alia et querelas audiret et causas terminaret, et sie demum
ad alia ae tractanda converteret". 5) 1116 — c. 1133.
Reise nach Nord-Frankreich. 451
deflevimus casum inmeritura, repentinum interitura patroni ac
defensoris nostri, Karoli videlicet comitis excellentissimi, reflec-
tamus interius ad merita sancti lonati gloriosi confessoris Christi
exequenda, nobis a Domino pio previsore nostro vice Karoli
protectoris nostri vigilantissimi ad tutelam rerum nostrarum
deputati, quem Deus, ut crediraus, ad maiorem terrorem incu-
tiendum hostibus undique sevientibus declaravit signo subse-
quenti.
Fol. 97'. Nee bis tarnen contenti, pro dolor! pessima
pestis bomo homini, bomines, non ut bomines, immo ut apri,
tauri vel leones seu qu§libet fer§ insan^ et silvestris aggressi
quosdara illorum compedibus alligandos, manicis ferreis astrin-
gendos pro suramula rerum sine niiseratione patibulis affigen-
dos a suis natis, coniugibus et parentum complexibus submo-
verunt et dolentes desolatosque captivaverunt , quosdam
vulneribus inflictis crudeliter affecerunt et terram de cruore
eorum effuso infecerunt, quosdam vero verberibus diutinis
vexatos, stilla sanguinis artus perfusos multisque debonesta-
mentis certamini male addictos, viriliter tamen agentes ac tarn
pro animabus, quam pro rebus fortiter dimicantes longo a se
non sponte tamen abiecerunt. Qui vero non fuerunt, licet
amissis rebus, detractati et captivati Saliacensium equ§ sub-
clamabant se reos satis infelices et miseros omnique calamitate
iuste substratos ac substernendos, quia dimiserant a se sanctas
inconsulte reliquias, conterentes nimirum atque obsistentes
malignorum maligno capiti, que repellebant nee sinebant calca-
neum inimici sibi appropinquare ' vel usquequaque obesse. Pro-
inde iterum atque iterum inclamabant conquerentes, flentes atque
eiulantes auxilium Domini et sanctissimi confessoris sui lonati,
sed praecipue sanctissime virginis Eusebie, cuius familiäre
contubernium babebant in villa Saliacensi ex antiqua prede-
cessorum regum donatione, eorum scilicet, qui sacram sacra
baptismatis unda virginem sponsamque spetiosissimam Deo
initiavere. Dicebantque ad alterum : 'Quid igitur faciemus?
Paulo ante dapifero Balduino vices patrocinii usurpante super
nos, pondera argenti probati igneque examinati §qua trutina
marcarum bissena libravimus, nunc de preda reducenda eidem
forsitan maiore parte iara consumpta centenarium numeram
in bis quinquagenis solidis integrum exsolvemus et totidem aut
eo amplius patrono antecessori Hugoni scilicet Hoisgiensi, ad
hoc nos in sua cogenti, facturum pacem in proximo cum Willelmo
recens comite Substitute, velimus nolimus, nee, ut remur, accep-
turo, immo dedignaturo parva de nostris sumere deferemus.
Minatur enim tormenta, cruces et verbera, si non remetiamur *
quantocius eandem et maiorem summara, quam et dapifero,
1) 'appropaire' hs, 2) Ueber der Linie.
452 Ernst Sackur.
cupide locatam in interiori cordis eius arca. Si sie futurum
est, c^lorum Rex et Domine, cur vit§ reservamur? Unde
nobis alimenta et parvulis nostris? lam fere ad nichilum
redacti sumus. Sea cur frustra conquerimur? Omni hora de
vita periclitabimur, nisi nobis sacrarura protectio reliquiarum
ac tutum referatur'. Verum enimvero rector Marcenensium
coenobitarum precavens sibi de futuris casibus et maxime de
alternatione sui coraitatus Flandrigenitarum commotionibus
ac seditionibus, non consensit ulterius de sacris referendis ossi-
bus tarn supplicibus quam simplicibus, devotis quamvis, pre-
cibus, ne forte sevitia nostium ac temeritate alias transferretur
aut rainoris diligentia detrimento coUideretur lonatus confessor
sanctissimus, qui tarn pio favore non sinebat vexari suos supra
modum mundanis turbinibus, Si, qu? vero inferuntur hiper-
bolice vel tropica dictione, figura scilicet, qu^ excedit fidem,
ad exaggerandara ' utique fit nimiam, quam patitur conventus
fidelium de morte et pro morte Karoli victoriosi principis et
incliti comitis Flandri^, de cuius casu iniusto, teraerario et in-
proviso pauca prelibavimus, desolationem, cuius a suis iniuste
necati vice velut functus legatione apud Saliacensem provin-
tiam depellendo hostium inquietudinem sanctus confessor Christi
lonatus consulti iuris per aliquod spatium temporis §quam
executus est rationem : quocirca supraraemorati Saliacenses
magis et magis instabant et a precibus sanctum invocantes
lonatum, ut ad se referretur, non cessabant. Crescebant enim
mala cotidie, quibus ultra modum resolvebatur cor eorum,
presertim cum quosdam neque indulgere quadragesime ceme-
rent, quin arma contra se et in sui perniciem deferrent, bella
seditiose atque insidiose comraoverent, trin? quoque parti troni
male 2 divisi climatis Flandrig trium comitum dominationem
pr^ter solitum instituercnt. Verum h§c et alia mortis stipen-
dia, malorum dispendia, incommoda perplurima consecuta
sunt de iniusta nece Karoli Flandriarum comitis egregii, cuius
meminisse continua pr§ce, summo cum favore decet conventura,
quacumque diffusus est per orbem terrarum fidelis populi.
Sed de nis hactenus, que implendis fastis pr§ multitudine sui
gestorum melius reserv^antur scriptoribus'.
Buzelin in der Gallo-Flandria » und ßeauchamps in seiner
Dissertation 'De antiquitate Marcianensi' eitleren häufig für
die Anfänge von Marchiennes ein Chron. Marehianense *. Dieses
1) 'exag-gerandum' lis.; über 'dum' steht '1 a = vel a*. Der Schreiber
hat wahrscheinlich nicht deutlich lesen können; in der That muss '-dam*
emendiert werden. 2) 'cronimale' hs. 3) Douai 1624. Diebetreffenden
Citate stehen und sind entnommen: lib. I, c. 41, p. 203 (aus c. 7), p. 205
(c. 18 XL. c. 10), p. 219 (aus dem Epilogus); lib. II, c. 20, p. 334 u. 336
(c. 2), p. 337 (c. 7), p. 338 (c. 5), 4) Gedr. in seiner Ausgabe des An-
dreas von Marchiennes, Douai 1633 u. zwar p. 482 (c. 2), p. 501/602 (c.7).
Reise nach Nord-Frankreich. 453
Werk, aus dem auch die BoUandisten ein paar kleine Stücke
druckten', bildet in dem genannten Codex der Bibliothek von
Douai^ den Anfang einer Gruppe von Marcianensischen Ge-
schichtsquellen (fol. 103'), die in der Handschrift auf einander
folgen und von einander nicht getrennt werden können. Nach
der Vorrede, die von Buzelin schon theilweise wiedergegeben,
fragte der Abt Simon, der von 1199 — 1202 die Abtei leitete,
einst in der Fastenzeit, nach einer Geschichte oder einem Ver-
zeichnis der Aebte. Als ein Mönch — wie sich aus dem
Folgenden ergiebt, der bekannte Chronist Andreas — das Vor-
handensein einer derartigen Aufzeichnung verneinte, aber hin-
zufügte, dass er aus Chroniken, Geschichten und Berichten
manches auswendig wisse, Hess sich der Abt einen Vortrag
halten, nach dessen Beendigung er dem Andreas zum Vorwurf
machte, dass er nicht lieber dies, anstatt der Thaten der
Könige und Kriege der Kaiser niedergeschrieben habe. Ob
nun Andreas selbst, was mir wahrscheinhch ist 3, oder ein
anderer den Wunsch des Abtes zu erfüllen sich vornahm, geht
aus der Vorrede zu dem Werkchen nicht ganz deutlich hervor.
Der Verfasser bemerkt aber, dass er aus Annalen, Chroniken,
Heihgenleben und der Bisthumsgeschichte von Cambrai ge-
schöpft, das letzte sogar mit eigenen Augen gesehen habe.
Wir müssen somit annehmen, dass er sein Werk weiter habe
führen wollen, als es geschehen ; es schliesst nämlich mit dem
Ende der Merovinger und die geplante Geschichte von Mar-
chiennes ist abgesehen von ein paar Bemerkungen, die sich
auf eine spätere Zeit beziehen, eigentlich nichts anderes, als
eine Gründungsgeschichte geworden ■*. Ist damit der historische
1) Aus c. 2 und 6 in den Acta SS. Febr. I, p. 303. 2) Die BoUan-
disten hatten anscheinend denselben Codex zur Verfügung. Auch in dem
ihren folgte nämlich das 'Poleticum Marceniensis coenobii' auf die Chronik
und war unvollständig, wie es auch in dem unseren nicht ganz erhalten
ist. (Vgl. Acta SS. Mai III, p. 80). In demselben ist jedoch die Ueber-
schrift 'Chronicon March.' modern. 3) Und was Buzelin annimmt. Die
BoUandisten entscheiden sich dagegen, weil in der Vorrede der Autor, nach-
dem er zuerst in dritter Person von Andreas und dessen Unterredung mit
dem Abte gesprochen, alsdann in der ersten weiter fortfährt. Das ist jedoch
in keiner Weise durchschlagend, während anderes dafür spricht. Man ver-
gleiche nämlich die logische Verbindung der Sätze: 'Multi ex fratri-
bus nostris iam ante (d. h. vor dem Abte) id ipsum petierant non
ferventer, sed tepide, unde et ille segnis fuit in operis executione.
Igitur secundum abbatis venerabilis imperium — aliqua dicemus
etc' Danach scheint derjenige, welcher den Bitten der Brüder nicht
Gehör gab, doch identisch mit dem Autor, der den Befehlen des Abtes
wich. Sodann weist die Beherrschung der Frankengeschichte und die
Anlehnung an Andreas auf diesen selbst als Verfasser hin, während wir
doch keine Veranlassung haben, anzunehmen, es habe damals in Mar-
chiennes zwei so geschichtskundige Mönche gegeben. 4) Ebensowenig
weiss ich, was er aus den Gesta episc. Camerac. entnommen haben
Neues Archiv etc. XV. 30
454 Ernst Sackur.
Werth der Arbeit auf ein Mininuim reduciert*, da für die
ältesten Zeiten um das Jahr 1200 eben auch nur die Viten
der heiligen Rictrud, Eusebia, Amandus und Amatus, die
Miracula S. Rictrudis und S. Eusebiae, die uns noch vorliegen,
benutzt wurden, so überrascht doch, abgesehen von der Be-
nützung der Wunder der hl. Eusebia, die wörtlich aufge-
nommen sind, die immerhin selbständige Form, in der die Er-
zählung fortläuft. Der Verfasser beherrschte den Stoff an-
scheinend frei, und da bis auf die angeführte Ausnahme die
wörtlichen Anlehnungen an die Quellen nicht gerade stark
sind, auf der andern Seite diese wieder von einander abhängig,
so ist es nicht immer leicht mit Bestimmtheit zu sagen, woher
gerade die eine oder andere Nachricht geflossen. Die frän-
kische Königsgeschichte bis zu dem letzten Merovinger ist
mit den Anfängen des Klosters verflochten, dessen Begründer,
wie die hl. Rictrud und deren Gemahl Aldebakl, der Ueber-
lieferung nach mit dem Fürstenhause verwandt waren. Hier
zeigt sich ganz deutliche Verwandtschaft mit der Chronik des
Andreas, den ich um so eher auch für den Verfasser des
kleineren Werkes halten möchte, als die selbständige Be-
handlung des Stoffes auch hier auf einen Verfasser schliessen
lässt, der mit der politischen Geschichte dieser Zeit gut ver-
traut war. Später, wahrscheinlich erst im XIV. Jahrhundert,
wurde unsere Gründungsgeschichte von ]\[archiennes von neuem
compiliert mit der Vita und den Mirac. S. Rictr., der Vita
Amati, namentlich Sigebert und Andreas. Der Bearbeiter
hatte natürlich nicht erkannt, dass ein Theil dieser Quellen
schon einmal hineingearbeitet war und schob jetzt dafür ganze
Stücke fast wörtlich ein. Diese Schrift ist uns, wenigstens zum
grossen Theil erhalten bei Jacques de Guise, Annales Hanno-
niae XI, c. 10 — 16, c. 18 — 22, der sie als Historia Marchia-
nensis einführt. Dass diese Compilation aber nicht erst von ihm
herrührt, geht deutlich daraus hervor, dass Guise seine latei-
nischen Quellen stets wortgetreu mit dem Herkunftsvermerk an-
führt * tmd so mosaikartig aneinanderreiht; ferner aber kehren
die Sigebertstellen wörtlich nach dem Urtext an andern Orten
könnte; höchstens die aus der Vita S. Amati entlehnte Stelle, die sich
auf die Beziehungen des Amatus und des Maurontus erstreckt. Aber
diesen Abschnitt fand er ja in der Vita S. Amati, die er auch sonst
benutzt. 1) Die Acta SS. Mai III, p. 80 urtheilen: 'In hoc autem
chronieo nihil relatu dignum reperimus, quod ab Hucbaldo (in der Vita
S. Rictrudis) et dicto auctore anonymo (seil. Miraculorum S. Rictr.) sive
Gualberto non fuerit accuratius deductum.' 2) Es will nichts sagen,
dass er auch in dieser Geschichte von Marchiennes einige Mal den Namen
Sigeberts voranstellt. Er, der den Sigebert ganz ausschrieb, hatte ein-
fach in der Compilation diesen Autor wiedererkannt.
Reise nach Nord-Frankreich. 455
bei ihm wieder^, so dass man klar erkennt, dass sie ihm das
eine Mal anderweitig überliefert wurden. In diese Compilation
gingen dann einige der Zusiltze und Interpolationen über, die
sich in dem Marchienner Codex des Sigebert saec. XIV (Cod.
Duac. n. 798) entsprechend der von Guise erhaltenen Hist.
Marchian. finden.
Brevis epilogus sequentis opusculi^.
Cum quadam die in diebus quadragesime post lectionem
collationis dumnus abbas Symon huius Marcianensis ecclesie
abbas XXI"* cum quibusdam fratribus de rebus necessariis
haberet colloquium, fortuitu interrogavit, si haberemus abba-
tum huius monasterii gesta vel scriptum cathalogura. Cui
unus respondit, hec in scriptis non haberi, tamen ex relatione
antiquorum et quibusdam cronicis ac historiis de ecclesie prima
constructione, de beate Rictrudis adventu, de sanctimonialium
regimine, de monasterii conbustione a Northmannis tunc paga-
nis facta et inhabitantium interfectione, de sanctimonialium^
erectione et monachorum restitutione cordetenus aliqua se
scire. Cumque aliqua inde pro tempore retulisset, domnus
abbas illi, qui hec narrabat^ mansueta voce dixit: Magis hec
eum scribere debuisse ad utilitatem filiorum huius ecclesie,
quam gesta regum et bella imperatorum in chronicis compo-
nere. Hoc vespere, hoc mane facto idem pater secundo repe-
tiit. Multi ex fratribus nostris iam ante id ipsum petierant
non ferventer, sed tepide, unde et iile segnis fuit in operis
executione. Igitur secundum abbatis venerabilis imperium licet *
inculto sermone de statu ecclesie nostre aliqua dicemus, sed et
de temporibus regum aliquid interseremus et de vita specia-
lium sanctorum nostrorum pauca scribemus. Quod si quis-
quam istud opusculum rusticanum oblique oculo reprehenderit
forsitan aut riserit, compositionis istius auctor hoc parvipendit,
quia nee laudem minis aftectat^ nee vituperationem curat, nee
lucrum inde requirit. Collegimus autem hec prima, que scri-
bimus, ex annalibus et chronicis ac sanctorum gestis et ponti-
ficum Cameracensium actis. Postrema perspeximus oculis
nostris. Nunc igitur quod venerabilis patris iniungit sagacitas,
implere debet humilis monachi obedientia sancti spiritus ad-
iuvante gratia.
Fol. 104. Capitulum I. De ortu beati Amandi fundatoris
ecclesie Marcianensis ^.
Fol. 104'. II. Quo tempore et sub quo rege fundata sit
ecclesia Marcianensis.
Fol. 105. Quomodo beata Rictrudis venerit in Gallias. III.
1) XI, 18 zu 661, 657, 658, 662, 666 (sämmtlich schon XI, 9),
679 (= XI, 22) ; XI, 19 zu 679 (= XI, 22), 685 (XI, 40). 2) Roth
wie sämmtliche Ueberschriften. 3) Von hier andere Hand. 4) 'Lias'
Hs.; vgl. S. 462. 5) Von hier wieder Hand 1.
30*
456 Ernst Sackur.
Fol. 105'. Habitabant tunc in ea ^ Gethe^ qui alio nomine
Gotbi dicuntur, gens bellicosissima et militari exereitatione
egregia. Et qui vult plenius scire, hec gens que fuerit, librum
legat de actibus Getharum, quem Jordanis episcopus Ravenna-
tis scripsit .... Dux igitur Adalbaldus in Wasconiam pro-
fectus beatam Rietrudem puellam alto sanguine ortam vidit,
dilexit, legitimam uxorem duxit et in bis ultimis Gallie finibus
secum adduxit. Fuit ai;tem filia Hernoldi clarissimi et for-
tissimi, cognomento Nobilis, de gente Getharum. Cuius gesta
militaria rithmice composita et eius fratrum ^ adhuc decan-
tantur in f)alaciis regum et theatris populorum.
De reedificatione Duacensis castri et liberis, quos beata
Rictrudis genuit. IUI.
Fol. 106'. De ducis Adalbaldi interfeetione et beate Rictru-
dis conversione. V.
Fol. 107'. De situ Mareianensi et constructione ^ cenobii
et dedicatione ecclesie. VI.
Marcianensis igitur locus circumfluentibus aquis et palustri
harundine circumdatur, tellus arenosa et in reducto sinu pau-
lulum eminentior. Ad aquilonarem eius plagam extenditur
grandis silva liguorum gerrainantium hinc et inde abilis mate-
riei ad quecumque volueris clausure, abilis ad conficiendos
rogos, utillima usibus divcrsis. Ad australem partem fluvius
Scarpi per tiues contiguos orientem versus mediterraneus labi-
tur. Ex utraque parte huius fluminis prata adiacent larga et
undique diffusa et satis superque abundantissime palustris
herba. Omnis circuraiacens terra licet colentibus angusta et
rara, quia fluminis alveus moUi lapsu dcfluens atque molendi-
norum sclusis obsistentibus pigrior efFectus frequenti alluvione
redundans quondam humum tructiferam nunc in amnem pro-
ducit et generat paludera. Ad orientalem Marcianensis ville
partem cenobio rite composito et a duobus venerabilibus episco-
f)is Autberto videlicet et Amando monasterio in honore aposto-
orum Petri et Pauli sexto Kl. Novenbris soUempniter dedicato
nobilis matrona Rictrudis voti corapos uni versa, que sibi residua
videbantur esse, testamentum legitimum faciens perpetuo iure
possidenda liberaliter sanctis Dei et eidem contulit monasterio.
Obtulit quoque secum tres filias suas virgines infantulas regi
Christo celesti sponso fore carissimas.
Fol. 108. Quot beate Rictrudis causa in loco monachorura
sanctimoniales Substitute* sint. VII.
Fol. 108'. De conversione beati Mauronti et exilio beati
Amati archiepiscopi. VIII.
1) Seil. Wasconia. 2) In dem Hernold und seinen Brüdern haben
wir wohl den Ernaud de Gironde und dessen Brüder zu verstehen, die in
den 'Geste de Gariu de Monglane' mit dem Sagenkreis des Wilhelm von
Orange verschmolzen sind. Vgl G. Paris, La litte'rature franfaise au
moyen age (Paris 1888), S. 62. 3) 'construtione' Hs. 4) 'austitute' Hs.
1
Reise nach Nord-Frankreich. 457
Fol. 109'. De situ Hamaticensi et antiqua dignitate eius-
dem loci. IX.
Fol. 110. De transitu beati Amati, qui est Idus Sept., et
sepultura eins in Meurivilla. X.
Fol. 110'. Cur beatus Maurontus possessionem matris
sibi relictam detruncaverit et beatum Amatum inde heredem
fecerit. XL
De obitu sancte Gertrudis et promotione beate Eusebie
virginis. XII.
Fol. 111'. De obitu beate Rictrudis et sepultura. XIII.
Fol. 112. De testamento, quod fecit ecelesie Marcianensi.
XIIII.
Fol. 112'. De transitu beate Eusebi§ virginis. XV.
Fol. 114. De edificatione ^cclesi^ sancte Marie in loco
Hamaticensi et translatione sancte Eusebie prima. XVI.
Fol. 114'. De secunda translatione secunda (sie!). XVII.
Fol. 115. De transitu beati Mauronti abbatis et sepultura.
XVIII.
Fol. 115', luxta sepulchrum eius > extitit puteus, quem
suis manibus fodisse traditur et usque hodie puteus sancti
Mauronti vocatur. Antiquis temporibus, ut scriptum invenimus ^,
aqua huius putei intirmis illis, qui morbo scroellarum detur-
pabantur, salubris fuisse perliibetur. Kam ex eadem aqua
bibebant et ulcera lavabant et ex ulceribus vermes cadebant.
Tempore etiam abbatis Amandi^ quidam monachus nomine
Folquinus, qui illo tempore scriptor erat satis bonus, infirmitate
unius pedis valde affligebatur. Qui fide plenus aqua liuius
putei pedem infirmum abluit et statim convaluit. Et ne ali-
quis hec legens putet hoc esse falsum, ego qui scribo, vidi
monachum predictum et domnum Widonem liuius loci sub-
priorem hoc ipsum testantem. Igitur post predictorum sanc-
torum in Christo dormitionem lonati videlicet atque Mauronti
et beate matrone Rictrudis prima prefuit abbatissa in cenobio
Marcianensi filia eius Clothsendis. Cui successerunt alle,
quarum nomina preter unius nescimus, per CCC et XXII annos
monasterii regimen optinentes, ab anno V° Hildeberti regis
usque ad XXVIIII Roberti, filii Hugonis Capet*.
Nomina quorundam sanctorum, qui fuerunt beate
Rictrudis tempore in regno Francorum. XIX.
Dignum duximus indicare posteris nomina quorundam
sanctorum, qui beate Rictrudis tempore regnum Francorum
illustrarunt sua sanctitate.
1) Des MauroDtus. 2) Vgl. Mirac. S. Rictr. § 25 a, a. O. p. 95.
3) 1116 — c. 1133. 4) Vgl. Ann. March. 1024. Bei Andreas von
Marchiennes (SS. XXVI, p. 207) wird die Zahl bestimmt: 'Anno XXVIII
Roberti regis' etc.
458
Ernst Sackur.
S. Livinus ep. et martyr.
S. Foillanus ep. et martyr.
S. Leodegarius Augustudunensis
ep. et martyr.
S. Theodardus Treiectensis ep.
et martyr.
S. Lambertus eiusdem urbis
ep. et martyr.
S. Genesius Liigdunensis ar-
chiep.
S. Audoenus Rothomagensis
archiep.
S. Ansbertus eiusdem urbis
archiep.
S. Amatus Senonensis archiep.
S. Wlfrannus eiusdem urbis
archiep.
S. Austregisilus Bituricensis
archiep.
S. Amandus Treiectensis ep.
S. Hubertus eiusdem urbis ep.
S. Wilbrordus Ultraiectensis ep.
S. Autbertus Cameracensis ep.
S. Vindicianus eiusdem urbis
ep.
S. Audomarus Moi'inensis ep.
S. Aicharius Noviomensis et
Toniacensis ep.
S. Eligius et
S. ]Mummolenus earundem urbi-
um epp.
S. Ursmarus ep.
S. Erininus ep.
S. Drausius Suessionensis ep.
S. Sulpitius Bituricensis ep.
S. Faro Meldensis ep.
S. Salvius Anbianensis ep.
S. Arnulfus Mettensis ep.
S. Feriolus Uticensis ep.
S. Modericus Aridensis ep.
S. Vigor Baiocensis ep.
S. Eucherius Aurelianensis ep.
S- Bavo quondam comes.
Ö. Cohimbanus abbas Luxo-
viensis.
S. Eustasius abbas eiusdem
loci.
S, Agilus abbas Resbacensis.
S. Philibertus abbas Gimegi-
ensis.
S. Aichardus abbas ibidem.
S. Wandregisilus abbas Fonta-
nellensis.
S. Waningus confessor.
S. Gislenus abbas Cellensis.
S. Landelinus abbas Crispinii.
S. Wlmarus abbas Altimontis.
S. Humbertus abbas Maricolis.
S. lonatus abbas Marcianensis.
S. Maurontus abbas Broilensis.
S. ßertinus abbas Sithiensis.
S. Richarius abbas Centule.
S. ludocus abbas.
S. Winnocus abbas.
S. Walcricus abbas.
S. Killianus ex episcopo abbas,
S. Vltanus abbas Montis sancti
Quintini.
S. Furseus confessor.
S. Etto confessor.
S. Eurardus confessor.
S. Vincentius conf. de Songeiis '.
Eodem tempore floruit vene-
rabihs presbiter et monachus
Beda in Anglia doctor egre-
gius et vita sanctissimus.
S. Eusebia virgo Hamaticensis.
S. Gertrudis virgo Nivialensis,
S, Aldegundis virgo Malbodi-
ensis.
S. Ragenfledis virgo Donini-
ensis.
S. Hunegimdis virgo Humo-
lariensis.
S. Maxelendis virgo Camera-
censis.
S. Balthildis regina, uxor C]o-
dovei regis Francorum.
S. Itta mater sancte Gertrudis
Nivialensis.
1) Undeutl. verbess. durch einen Strich in 'Songeiis'.
i
Reise nach Nord-Frankreich.
459
S. Waldetrudis, soror sancte dis Nivialensis, Andelennsis,
Aldegundis, uxorS.Vincentii. uxor Ansigisi ducis'.
S. Gertrudis vidua Marcia- S. ßerta Blanziacensis, uxor
nensis. Sigefridi comitis.
S. ßegga, soror sancte Getru-
Horum sanctorum nomina, vitas et gesta auetor huius
opusculi legit et neminem sanctum descripsit, quem in sanc-
torum gestis sanctum scriptum non invenerit.
Nomina pontificum Romanorum et Regum.
Et quia Salomon dicit ^ ^gloria patris filius sapiens', iustum
est, ut pontiiices Romanos et Francorum reges, qui tempore
beate Rictrudis fuerunt, posteris indicemus.
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1) So zu lesen an der etwas unleserlichen Stelle, wie mir Herr
Riviere nachträglich noch freundlichst mittheilte. 2) Cf. Prov. 10, 1.
3) Diese Bemerkung von anderer, etwas späterer Hand mit dunklerer
Tinte zugefügt an derselben Stelle.
460 Ernst Sackur.
Fol. 117'. Quod post transitum sancte Rictrudis
eius filie sanctimoniales prefuerunt. XX.
Clothense» igitur filia sancte Rictrudis abbatissa Marcia-
nensi defuncta, [ecclesiaj^ ab anno Domini septingentesimo
usque ad raillesimura XXIIII per sanctimoniales est admini-
strata. Per tam longa temporum spacia magnam rerum sua-
rum iacturam pertuHt Marcianensis ecclesia per ferainarum
mollitiem^, per barbarorum et Northmannorum incursionem,
per principum et tyrannorura avaritiam, qui ^cclesi^ agros
iniuste et violenter suis agris copulaverunt. Cernit hoc et
sentit in presenti ^cclesia, cum in castro Duacensi sibi proximo
nichil preter V solidos et I denariura ad marsupium compa-
randum de turre coraitis*, qu§ quondam fuit domus beate
Rictrudis, accipit, et quod servi et ancille eius a theloneo sunt
liberi. Quamvis profectus nobis nullus sit modo, si inter cetera
compouamus, quod de Orceis s assertione certissiraa refertur,
tarnen nichil obstat, si presentium futui'orumque noticie insi-
nuamus non solum, que veraciter constant, vel que ipsi con-
spexisse potuimus, verum etiam que ab aliis fideli narratione
audivimus. Sunt adhuc hodie longevi temporis persone non
contempnende, que narrant et veraciter profitentur, quod non-
dum centenarius annorum numerus evo evolutus est, quam
beate faraule Dei Rictrudis ecclesia Marcianensis Orceiarura
predium sicut et cetera supradicta iure legittimo possidebat^,
nuUo resistente, nuUo penitus refragante, sed abbatissa, que
tunc locum regere videbatur, potens erat tribuere et auferre et
ad omnes ecclesiasticos usus eiusdem predii cuncta secundura
nutum suum redigere et disponere. Nunc vero amissionis
huiusce dispendium dolens ecclesia sustinet et longanimiter
ferens prestolatur humiliter misericordiam Dei et consolationem
Spiritus sancti. Aliud quoque infortunium huic simile quadam
ex parte, sed isto gravius suimet quantitate in anteriori ali-
quanto iam contigit etate. Referunt namque, qui hoc optime
noverunt quod in comitatu Flandrens! pagus opulentissimus
sit cum appenditiis suis, quem Rinengas' forte lingua eorum
1) 'Clothense — certissima refertur' v. Hd. 2, bis 'antiquitas' wieder
eine andere, dann bis zum Schluss wieder Hd. 2. 2) Fehlt. So oder
'abbatia' nothwendig' zu ergänzen. 3) Vgl. Mir. S. Rictrudis I, § 14,
Acta SS. Mai III, p. 92. 4) Vgl. Mir. S. Riet. I, § 14: 'Supersedeo
narrare propter fastidium legentium innuraera, quae Marchianensi eccle-
siae per harum tam longam inhabitationem acciderunt, scilicet amissionem
Orchiensis villae, Duacensis redditus, silv§ de Rinengis'. 5) Orchies
(arr. de Douai, cant. d'Orchies). 6) Bis hierher v. Buzelin, Gallo-
Flandria p. 340 citiert. 7) Mir. S. Rictr. II, § 75 (Mai III, p. 116):
'Rinenga, ut supradictum est, villa fuit eiusdem sanctae: ubi de ilia sub
magna veneratione non solum ab incolis loci illius, sed a vicinis quoque
memoria iugiter retinetur'. Im J.ahre 1046 besass March. 'decima de
I
Reise nach Nord-Frankreich. 461
nominavit antiquitas. Hunc domine nostre Rictrudis asserimt
fuisse et iureiurando confirmant, qiiod ab antiquis diebus in
usibiis famulantium ecclesie universi consuetudinarii redditus
exinde huc deferebantur plenoque copia cornu ministrans hila-
riter stipendariis necessaria diffundebat. Procedente vero tem-
poi'e potestatum dominantium violentie g-ravi cupiditatis spiri-
tu afflatorum primum istud, postmodum illud de abbatie honore
ac venustate utcumque resecantes miserabili perditionis sue
facinore omnia subripuere.
Fol. 118. De fine regni Merovingorum et successione
Karlensium. XXI.
Endet fol. 118' mit den Worten 'Pipinus, filius Karoli
Martelli, maior domus unctus est in regem et Merovingorum
regnum fecit iinem'. Auf fol. 119 folgt von andrer Hand eine
kurze Aufzeichnung über Einkünfte des Stifts.
Wie schon bemerkt, hat der Verfasser seinen ursprüng-
lichen Plan, eine Geschichte der Abtei bis auf seine Zeit zu
schreiben, nicht ausgeführt, vielleicht aus Mangel an Quellen,
da er von den späteren Zeiten nichts anderes zu berichten
wusste, als die Reform vom Jahre 1024. Wenn er im vor-
letzten Capitel nun gerade auf die wirthschaftliche Lage des
Klosters eingeht, so mochte auch sein Interesse schon eine
Richtung genommen haben, die er in einem andern Werke
weiter verfolgte. Vielleicht lag hierin der Grund, wenn er
seine Geschichte abbrach und sich einem andern Gegenstande
zuwandte. Der Abt befiehlt wieder, dass ein Werk über die
Lage und den Status der Abtei geschrieben werde, um Strei-
tigkeiten über Besitzungen, wie sie häufig entstehen, entschei-
den zu können. Es ist derselbe Mönch, der gehorcht, aber
er hält es für nothwendig, einen Theil des früher Geschriebenen
wieder aufzunehmen, und so bemerken wir denn, dass der
Autor mit einigen Auslassungen die ganze Gründungsgeschichte
von Marchiennes nochmals wiederholt. Neu ist dabei nur ein
Abschnitt auf fol. 126', in dem auf die schlechten Menschen
und Bedrücker der Klöster gescholten wird, ein Abschnitt,
der sich aber als wörtlich aus den Mirc. S. Eusebiae, § 7 ge-
nommen erweist; ferner die Einleitung, welche die Noth-
wendigkeit des neuen Werkes motiviert, wie das daraus
excerpierte und weiter unten abgedruckte Stück zeigen wird.
Rinenga' nach einer Urk. Balduins des Bärtigen im Cart. de Marchiennes
(Bibl. nat. lat. Nouv. acq. 1204), p, 145. 1123 bestätigt Calixt II. dem
Kloster Marchiennes u. a.: 'De villa Rinenga omnem decimationem'.
Duvivier, Recherches sur le Hainaut ancien II, p. 529. — Reninghe (arr.
d'Ypres, cant. d'Elverdinghe).
462 Ernst Saekur.
Dieser eben charakterisierte Theil sehliesst fol. 130 mit den
Worten : M'n omni tempore desei'viant' mit dem Testament der
hl. Eictrud. Dann aber beginnt fol. 130' das Polyptichum,
welches das Vorhergehende offenbar nm' einleitete. Das Poly-
ptichiim ist kein trockenes systematisches Güterverzeichnis
nebst den Angaben der Leistungen und Pflichten der Kloster-
leute, sondern eine eingehende Beschreibung des früheren und
augenblicklichen Besitzes der Abtei nach Lage und Verhält-
nissen, nach eigener Kenntnis, Urkunden und andern Quellen,
wie den Mirac. S. Rictrudis, geschildert. Auch hier ist die
Gründungsgeschichte benützt worden. Etymologien, alte Tradi-
tionen und Legenden werden gelegentlich angeknüpft, ein-
mal sogar über archäologische Funde berichtet, dazwischen
werden allerdings die Rechtsverhältnisse und Abgaben der
Frohnder und hospites, sowie die Rechte der klösterlichen
Hofbeamten aufgeführt. Leider sehliesst das interessante Werk
unvollständig. Diese ausführlicheren Beschreibungen und ge-
legentlichen Anknüpfungen habe ich excerpiert. Eine voll-
ständige Ausgabe hat Herr Riviere', Bibliothekar in Douai,
in Aussicht genommen.
Fratribus Marceniensis coenobii congruum visum est, ut
suggererent abbati, quatinus de positione loci, de constitutione
abbatie et de his, que ad eam pertinere videntur, de quibusdam
etiam, qu^ aliquando per seriem preteriti temporis forte contige-
rant, aliqua iuberet conscribi et nescientibus ea patefieri, ut con-
tentiones sepius obort§, qu?, sicut ait apostolus, ^ad nichil utiles
sunt*', possent funditus exterminari. Igitur secundum abbatis
imperium licet inculto serraone de his aliquantulum collectum
est, sed et de vita et actibus specialium sanctorum ^ nostrorum
succincte commemoratum est. Nam in alio opere plenius ac
diffusius cuncta inveniri fas est. Noverit ergo prudens lector
nos non h^c assumpsisse fastu eloquenti§ facundioris, sed
oboedientia et studio communis utilitatis. Qnod si quis piam
istud opusculum rusticanum ohliquo oculo reprehenderit forsitan aut riserit,
compositionis istius auctor penitus hoc parvipendit, quia nee laudem nee
vituperationem nee lucriim nec pecuniam inde exigit vel requirit *. Verum
si quis eorum, ad quos pertinet, deposito superciho quod scriptum
est legere curaverit et emolumenti quippiam vel commodi inve-
nire potuerit, scriptor inde valde gavisus erit, quoniam eius in-
tentio in hoc maxime fuit, quando primum animum ad scribendum
appulit. Nullus ergo succenseat, si antiquiora aliqua recentiori
1) Der mich durch einige nachträgliche Mittheilungen noch zu beson-
derem Dank verpflichtete. 2) 2. Thim. 2, 14. 3) 'sanctorum nostro-
rum' aus der ersten Vorrede zu ergänzen. 4) Vgl. die Vorrede zur
Chronik,
Reise nach Nord-Frankreich. 463
stilo comprehensa sint, nichil enim frivolum, nicliil ' fallaciter
commentatum, nichil fictum digestuni est hie, nisi quocl ex
annaHbus, ex chronicis, ex excerptione eorum, qii§ in descrip-
tionibus de vita quorundam sanctorum, vel in gestis Cameracen-
sium pontificum repperiimtur, seu quod personarum fideHum
idonea relatione et veraci assertione compertiim est.
Oritur etiam frequenter contentio et grandis rixa de agro-
rum Hmitibus, de decimis ecclesiarun), de censuali conditione
ab altero, de possessione loci sub manu finna ad prefixum
terminum constituta, de cansis communibus in beneficio ali-
quibus traditis vel ceteris huiiismodi. Ad h§c omnia sedanda
ac rite coraponenda veritas, iustitia et eorum, qu^ fuerunt vel
qu9 contigit forte evenisse, recordatio certissima plurimum
valent. Oportet itaque, ut universi, quibus sua defendere et
tueri iustissimum constat, annales veteres gestaque antiquorum
diligenter et memoriter recolant, quatinus contra causidicos et
violentos alienorum appetitores validum defensionis murum
opponere queant.
Fol. ]30'. Poleticum Marceniensis cenobii.
In primis est situs eiusdem loci cum habitationibus et
mansionibus suis regularibus et ecclesiasticis arboretum proxi-
mum pomorum, pirorum et aliorum fructuum hortus amplissi-
mus ....
Omnis circumiacens terra licet colentibus angusta et rara, quia
fluminis alveus molli lapsu defluens atque molendinorum sclusis obsisten-
tibus pigrior effectus frequenti alluvione redundans qnondam humum
fructiferam nunc in amnem producit et generat paludem. At vero
ipsius fluminis meatus a Brachiorum 2 luco usque ad Wasconis
curvam, cuiuscumque sit littus ex utraque parte, proprie est
Marceniensis gcclesi§, excepto quod contra Warlennii» angu-
lum domino, cuius est, tres tantummodo piscium lacunas palis
et viminibus componere, statuere et habere licet*. A predieta
quoque curva, qu§ est in confinio Labennii usque ad prefixum
limitem talis iuris aqua probatur, ut sagenarum et retiorum
piscatio et sacci piscatorii über sit cursus. Huic fluvio*, qui
per fines contiguos orientem versus mediterraneus labitui-, SCriptores,
qui pridem fuerunt, ultimam sillabam detraxerunt.
1) 'nichi' Hs. 2) Les Bocquiaux bei Marchiennes? 3) Warlaing
östl, von Marchiennes. 4) Vgl. Urk. Balduins d. Bärtigen v. 1046 für
Marchiennes: 'Seiendum, quod piscatio fluminis Scarpi a "Wasconis curva
usque ad Brachiorum locum propria sit eiusdem ecclesi^, cuiuscumque sit
litus ex utraque parte, excepto quod domno Warlennii in angulo suo licet
habere tres tantummodo lacunas palis et viminibus compositas'. (Bibl.
nat. Nouv. acq. 1204, p. 145). 5) La Scarpe.
464 Ernst Sackur.
Fol. 131'. Si propter hostium incursus populus terrf
nocivos aditus et irruptiones periculosas roborea saltus con-
gestione sepire voluerit, nisi per licentiara abbatis hoc fieri
non licet. Concessa autem potestate et forti mnnitione com-
posita omnis regio a latrunculorum infestatione tuebitur. Si
autem post aliquot tempus pacis requies divinitus provenerit,
terrore sublato et securitate reddita, moles illa omnisque con-
geries neque villici neque aliorum aliquorum erit, sed in
dominicos usus redigetur.
Fol. 133. Hoc etenim diligenter considerandum firmi-
terque conservandum est, quod neque comes neque advocatus
neque aliquis potens neque aliqua iudiciaria potestas locum
habet in universis, que utcumque superius collecta sunt inferi-
usque colligenda. Non licet eis infra h§c convivia pr?parare
nee j)lacita teuere nee denariorum vel pecuni^ collectionem
ab incolis exigere neque uUam violentiam inferre. Omnes
forenses caus§ vel si aliqua qu^rela repente oborta fuerit, per
vilicum, per constitutos iuratosque iudices iuste legittimeque
finietur. Si necessitas fuerit ad abbatis audientiam referetur.
Qui nunc advocatus > inmerito nuncupatur, honorifico nomine
olim defensor ^cclesif laudabiliter vocabatur, quoniam sapien-
tia, ratione, armis etiam, si ita res exegisset, omnia, qu§
erant ccclesi?, viriliter defendebat et vigilanter protegebat.
Rapax non erat nee inferiorum expoliator, sed qui ad sui
tutelam pertinere videbantur, quecumque habere poterant,
sine auferendi ^ timore secure possidebant. De his vero, qui
modo sunt, ideo dictum est 'advocatus inmerito nuncupatur',
quia nee nominis proprietas admittit, ut huius appellatione
vocabuli fungatur, donec ad adiuvandum et succurrendum ab
his, qui inferius iniuriam patiuntur, fuerit invitatus, hoc est
advocatus. Administrationis istius utilis profectus his tempo-
ribus, heu! in contrarium versus est. Nam afflictis et meren-
tibus, facultatula sua expoliatis, inclamantibus auxilium, nuHum
omnino confertur solatium. Voces invocantium is, qui advo-
catus dicitur, dissimulat audire, quem herum districtissimum
vindicem celerrime oportuerat esse. Non eripit inopem de
manu fortiorum eius, egenum et pauperem a diripientibus
eum. Post tantam autem sui desidiam in subveniendis paupe-
ribus irruunt subito nimia inpudentia officiales eius, lupi
vespertini, repentini raptores in desolatos subditos, denariorum
1) Einen Vopt hatte Marchiennes seit dem Jahre 1038, Vgl, die
Urk. Balduins IV. von Flandern bei Warnkönig, Flandr. Staats- und
Rechtsffeschichte III, 2, Nachtrag S. (5). 2) So von ders. Hd. corr.
aus 'offerendi'.
Reise nach Nord-Frankreich. 465
collectionem exigunt in servitio domini sui ad bibendum vinum
et ad miscendam ebrietatem »,
Nunc^ vero ad supradictum Amagiensem' locum, quid
iure pertineat, convertamus explicandum. Silva de Giuro,
Silva de Erleverceis *, Gisloldi saltus ^ adiacet, unicuique sibi
adherens usque ad extremum confinium aquosa et peue invia
palus. Sciendum vero est, quod silva de Giuro pertinet tan-
tum ad custodiam viliei, de qua nee vendere nee dare ei
conceditur, sed rusticis ad domos construendas et ad ignem
concedimus faciendum. Hec autem omnia sub tutela Ama-
giensis prepositi permaneant semper. Trans fluvium est
viculus Alnus « nuneupatus ad alendos greges cuiuscumque
generis aptissimus, de lignis et materie nundinarum portus
indeficiens, Duacense castrum et provintialia loca in eircuitu
lignorum copia et domorum culminibus indesinenter adimplens.
Non solum hune viculum, sed et Marceniensem et Amagiensem
situm sie natura protulit, ut in eircuitu eorum undam super-
fluam pariter gigneret et lutosum bitumen.
Fol. 134'. Erat etiam Warlennium supradictum quoddam
vicinum pr^diolum ad sanctos pertinens iuxta quod, ut fama
est, minoris prudentie minusque provida qu^dam abbatissa''
cuidam militi de genere suo, quod non oportuerat, inconsulte
donavit et exinde sibi §cclesi^que dampnum non modicum
insipienter ingessit. Idem vero locus modo quidem desertus
et sine habitatore inanis videtur et vacuus. Porro, si rursus
incol^ redeuntes ibi degerent, ^cclesi^ Amagiensis, sicut iam
fuerant, parroechiani essent de vivis et mortuis, de decimis
c^terisque istiusmodi. Si autem de forensibus causis inibi
forte quippiam contingeret, videlicet de banno, de furto, de
teloneo, de iuvento vel de bis similibus ad prepositum mona-
sterii et ad eins vilicum nichilorainus pertineret. — —
Fol. 135 leider Vs unten mit der Scheere abgeschnitten.
Auf fol. 135' liest man:
1) Ueber die Vögte wird in mittelalterlichen Quellen fortwährend
geklagt. Vgl. besonders Abbonis Coli. can. c. 2. Charakteristische Bei-
spiele für die Raubsucht und Rücksichtslosigkeit der Advocati bieten
Mirac. S. Benedicti (ed. Certain) VI, c. 3; bez. Corbies eine Urk. Ro-
berts II. V. 1016 b. Marlene, Collect, ampl. I, p. 379, bez. Senones eine
solche Adalberos II. von Metz v. Jahre 1000 in Gallia ehr. XIII, instr.
461. 2) Von 'Nunc — semper' andere Hand. 3) Heute 'Wandig-
nies-Hamage'. 4) Statistique archeolog. du De'p. du Nord (1867) II,
S. 650: 'La cour et le vivier de Eleverchies sur le fosse de Riulai
venant de la Scarpe jusqu'ä, ce vivier'. 5) Wohl der Wald, der in der
S. 463 N. 4 angeführten Urk. 'Gislaufait' genannt wird. 6) Alnes.
7) Judith. Vgl. Mir. S. Rictr. c. 14, a. a. O. p. 92.
466 Ernst Sackur.
multij plicia et grandia^ sub terris inventa satis evidens
ostendunt indicium, licet superne non appareant ruine raoeni-
orum. Inveniuntur quoque in profundo telluris sepe urceoli
fictiles, scutul^ rubri coloris fuco vermiculate, necnon et am-
puU^ vitre^, in quibus aliquantis quidam liquor continetur ita
perspieuus, sicut lacrima, in aliquantis vero crematorum cada-
verum cineres et ossillula, sed et erroris sui et superstitionis
eon'. . . .
Folgt fol. 136' — 137' c. 20 der Gründungsgeschichte von
'Quamvis profectus — — subripuere'.
Fol. 137'. In Remegiis^ Iterum possessionis, de qua
agitur, terre ac silv^ portio non adeo modica continetur,
quam unus de mansionaticis saneti Amandi quinque solidorum
annuo censu sibi retinere videbatur. Hie census raro aut vix
aut nunquam persolvebatur ex integro. Erat ergo maioris
pr^tii sine utilitate talis conditio ignominiosa. Insuper et in
circuitu degentes viam publicam a suis finibus arcobant et
per istius terrg nostr? medium contentiose intorquebant. Suam
terram undique finetenus studiose excolebant, istam vero ad
animalium suorum pastum violenter sine pretio usurpabant.
Hinc querimonie, illinc sepius contentiones et rix^. Fateban-
tur, quibus tiebat iniuria, commodius ac satius fore rem peni-
tus non haberi, quam cum tali dedecore aliquid possideri.
Castellani, id est advocati, auctoritas neque terror neque patro-
cinium neque sufFragium his incommoditatibus nuUatenus opi-
tulabatur. Inter hgc quidam Godefridus vir seculo satis
idoneus, iustitiarum comitis et causarun) fiscalium infra pro-
vintia praepositus et procurator strenuus. 'Si h^c', inquit, 'terra,
quando vobis neque honori neque utilitati c^dit, miclii in
beneficio daretur, Homo abbatis efficerer manibus et sacra-
raento et fidelitate suus essem, tam de me, tarn de equis meis
famulatum condignum presto haberet maximeque cuncta, qu^
ecclesi^. esse noscuntur et undecumque contigua sunt et ad-
herent comitatui, fideliter protegerem, supportando etiara for-
tuitas incursiones et incolarum offensiones auxiliando semper
adessem'. Itaque inito communi consilio et super hoc corro-
borato ab omnibusque laudato ita factum est et, qu^ hinc
dicta sunt, eo tenore beneficiata sunt ei. De his ita dixisse
sufficiat.
In eminentiori pene loco Austrovantensis •* pagi a longe
conspicabilis posita est viila tempore belli armatorum advers^
partis utrinque quasi specula cotidiana Asconium ^, vel magis
1) Wohl 'saxa' zu ergänzen. Wie aus fol. 136 hervorg-elit, war zu-
letzt von 'beuruii municipio' (Beuvry, cant. d'Orchies) die Rede. 2) 'con-
ditoria'? 3) Reumegys bei St. Amand. 4) 'Austrevantensi' Hs.
5) Abscon (arrond. de Valenciennes, cant. de Bouchain).
Beise nach Nord-Frankreich. 467
Absconditum, ut fertur, olim nuncupata huiusmodi videlicet
causa. Romanorum exercitus virtutis su^ robore Gallia occu-
paverat, et qu^dam pars eorum optima qu^que et precipua
sibi eligens incolendo terras gentium possidebat. Postquam
vero lulio C^sari sors obtigisset, ut occidentalis orbis piagas
Roman^ reipublie^ pugnando atque domando penitus subige-
ret, marinos etiam fines contingens triumphando oeceanum
transfretaret, quamvis cum ingenti labore et diversis preliorum
certaminibus universa perdomuit. Cumque orbe subacto om-
nibusque superatis et rite compositis vexilla victricia retor-
quens Romam cum triumpho iam redire decrevisset, electam
iuventutem et strenuam pugnatorum militiam ex omni Gallia
cum duodecim legionibus suis collegit et precipue propter
futuram Thessalici belli congressionem, ad quam anxius toto
conamine mentis festinare videbatur. Qui vero ex supradicto
pago in Lac expeditione assignati sunt, ex militaribus stipen-
diis sufficientes copias habentes, domesticas aut privatas pecu-
nias in sapradicta villa terra curaverunt abscondere et Abscon-
diti nomen eidem vill^ signanter imponere, ut in reditu sui »
in hanc fortasse patriam seu ipsi seu posteri eorum ex signi-
ficatione norainis recti tramitis linea ad occulta reconditarum
pecuniarum latibula sine errore valerent attingere. H^c est
ethimologia nominis, quod Abscon corrupto modo appellunt.
Ita esse, ut dicimus, quorundam, qui ante nos fuerunt, relatione
didicimus, qui etiam hoc scriptum se invenisse fatebantur.
Fol. 140'. Quid inter h^c animadvertis, quid, inquam,
censes, huius opusculi lector, opidulorum, viculorum villarumque
proportiones significare? Noveris utique domin§ RICTRVDIS
generaliter quondam universa fuisse, unde hec residua sibi
particulariter adhuc conprobantur^ esse. Verum autem ipsamet
et in vita sua more suo hilariter ea distribuit aliis, liec^ proce-
dente tempore de ^cclesia abstracta quibusdam causis exigen-
tibus beneüciata sunt militibus viris. Quicumque enim gesta
Francorum legere voluerit et ea diligentius scrutatus fuerit,
inveniet procul dubio Francorum regni virtutem quasi aliqua-
tenus degeneratam aliquando extitisse inpotentem ad superan-
dum vel resistendum aliorum regnorum viribus aliarumque
nationum gravibus et crebris incursionibus. Danorum siqui-
dem barbara gens aquilonaris, scilicet populus ferocissimus,
cum valida manu et grandi robore ac bellico apparatu olim
de sedibus suis egressi vastos pelagi gurgites et magnos unda-
rum cumulos inperterrito animo superantes infinita navium
multitudine oeceanum undique pertexerunt. Qui procellosum
equor motu instabile, cunctis pr^ter eos nimium terribile,
1) So Hs. 2) 'conprobante' Hs. 3) 'hoc' Hs.
468 Eirost Sackur.
velut cognatam sibi terram confidenter ingressi, ventorum in-
cursu, velis tumentibus longe lateque laxata classe pervagantes,
cum fuisset in animo Stationen! figere post laborem, ubi volun-
tas vel magis oportunitas prestabat, dente tenaci anchora fun-
dabant naves.
Hinc frequenter irruptione feroci Gallorum fines hostiliter
penetrantes, modo Morinorum urbem^ usque ad fundamenta
diruunt, civibusque ferro peremptis, suburbana illius igne
penitus consuraunt, modo Ambianis per Sumnam^j Novioni^
per Isam*, modo per Sequanara Parisius appulsi urbes,
castella ^cclesiasque subvertunt, predis ac rapinis nocte dieque
insistunt, strages innumeras sine eessatione perpetrant nullique
parcentes etati vel sexui, multa milia horainum ferro diverso-
que modo interficiunt et omnia usque ad consuraptionem de-
populantur. His cladibus tantisque mortium generibus Gallo-
rum reges et palatii proceres impares ad consulendum seu ad
arcendum de regno malum publicum * ruine istius et intole-
rabilis desolationis patrie pertesi pessimum iniunt consilium
su^que anim^ mortiferura. Persuadent etenim regibus, ut,
quoniam infinitus hostiura numerus fines suos violenter irru-
perat et qu^que preeipua regni usque inliabitantium necem
sibi oecupaverat, militum atics et numero et fortitudine ad
prelium longe inferiores [congregent^J, subtrahant interim de
possessionibus ecclesiarum, quod superat, et virisfortissimis'' per
beneficiadividant, distinctis ordinibus novusopponaturexercitus,
tribunis, centurionibus, cohortibus cunctisque ad bella promptis-
simis, quatinus adaucta pugnatorum militia bestes prostrati viri-
liter superentur et regnum deinceps ab extraneis nationibus
valido prcsidio tueatur. Nefand? huius occasionis causa, sicut
retulerunt, qui hoc ita opinati sunt, de heriditate sanctorum Dei
non formidaverunt plurima impudenter auferre et fidelium
Christi victualia ausi sunt dampnabiliter imminuere.
Fol, 142. Battingeiarum * prediolum non est pretere-
undum, quod in Hainaunensi comitatu situm constat et con-
fine est Montensis comitis fisco, qui Waldreacus» nuncupatur. . .
Fol. 142'. In supradicta silva quernas arbores natura
prius non protulerat, sed humilis com§ passim silvestria vir-
gulta aliarumque diversarum frondium densitatem. Ut autem
rusticorum simplicitas audet asserere, una dierum beata Eusebia
virgo superveniens vestisque pelliti^ manicam collecta glande
pleuam gestans visa est aptissime serere et locis nemorosis
1) Boulogne. 2) Somme fl. 3) So Hs. ; Noyon. 4) Oise fl.
5) 'puplicum' Hs. 6) Fehlt Hs. 7) Darüber von derselben Hand,
wie scheint: 'robustissimis'. 8) Battignies-lez-Binehe (Belg., arr. de
Charleroi, cant. de Binche). 9) Waudrez (Belg., arr. de Charleroi, cant.
de Binche).
Reise nach Nord-Frankreich. 469
simulque infra limites suos in patentibus campis. Quod semen
oportunum virginali pugillo satum tellus fidelis suscipiens et
natural! gremio confovens in modico tempore recentem silvam,
qu§ prius non fuerat, divinitus protulit et innumerabiles quer-
cus giandiferas vasto robore ad aeris alta sustulit. Hac de
causa, hoc est de sanct^ virginis pellitia, sicut ferunt, inditum
sibi nomen esse, ut diceretur eadem silva in pellitiis de pellitiis,
quod nomen ^ternum adhue possidet et in reliquum semper
pos[sidebitij.
3. Douai n. 864, Pgmt. saec. XII/XIII 4». 217 fol.
enthält eine Sammlung von Heiligenleben. Fol. 113: 'Incipit
prologus in Vita sancti Auberti episcopi Cameracensis.' Fol. 114:
'Explicit prologus. Incipiunt capitula.' Fol. 114': 'Incipit
Vita sancti Autberti Cameracensis episcopi.' Die Vita ist be-
deutend reichhaltiger als der Druck des Surius, mit dem sie
bis c. 12 incl. übereinstimmt. Es folgt dann fol. 120 ein Ab-
schnitt über den hl. Vincentius, die hl. Waldetrud u. s. w.
mit den Worten beginnend: 'Erat tunc temporis vir quidam
nobilis Maldegarius nomine usura dominici talenti adqui-
sivit'. Vermuthlich, weil er das dort berichtete schon ander-
weitig, nämlich im Leben des hl. Vincentius abgedruckt, hatte
Surius den Theil fortgelassen. An c. 13 (nach Surius' Zählung)
wird dann fol. 123 angeschlossen: 'Sed quia nos ex antiquis
scripturis vetus prophetice visionis exemplum huic operi intro-
duximus, hoc fortasse auditoris sollertia a nobis exigit, qua
rerum similitudine he due sibi visiones altrinsecus responde-
ant etc.' Folgen eine Reihe mystischer Betrachtungen bis
fol. 124' : 'de terrenis ad celestia transire. Sed nos ad pro-
positum revertamur'. Hier kommt die Handschrift wieder mit
Surius zusammen: 'Beatus itaque pontifex tali revelatione
deputavit' c. 14, worauf nach der handschriftlichen Ueberlie-
ferung wieder ein neuer Abschnitt mit den Worten beginnt:
'Verum expleto aliquo tempore colloquentes reversi sunt
in sua', der kirchenrechtliche Erörterungen gegen die Aus-
übungen geistlicher Rechte durch Laien und ein Citat aus
der Vita Fursei enthält, Stücke, die Surius wohl deshalb
unterdrückt hat, weil sie für das Leben des hl. Autbertus
nichts Neues eintrugen i. Nach dem mit Surius c. 14 überein-
stimmendem Schluss enthält die Handschrift nun noch den
1) Bis 'pos.' fol. 142' unten; das Uebrige fehlt. 2) Im Wesentlichen
mit dieser Handschrift stimmt St. Omer n. 698 membr. 8<> saec. XII.
Doch fehlen die oben erwähnten mystischen Erörterungen nach c. 13 von
'Sed quia nos ad propositum revertamur', ferner nach den Worten :
'interdicere videantur' die kirchengeschichtliche Begründung 'Quod nimi-
rum in veteri testamento — — divine dispositionis offerre presumpsit'.
Der Anhang über die Translation etc. fehlt ganz.
Neues Archiv etc. XV. 31
470 Ernst Sackur.
vollständigen Anhang zur Vita über die Translation der hl.
hl. Gaugericus und Autbert nach Magdeburg und die Restau-
ration des St. Autbertklosters in Cambrai unter den Bischöfen
Erluin und Gerard, sicher den werthvollsten Abschnitt des
ganzen Werkes, den Surius nur ganz kurz wiedergegeben
hatte. Ein Auszug daraus findet sich in den Gesta episc. Came-
rac. I, c. 77 (78), SS. VII, p. 430. Einen Theil hatte aber
Jacques de Guise wörtlich nach seiner Art IX, c. 46 u. 47
(ed. Fortia Bd. VIII, S. 38 — 44) aufgenommen, ohne dass er
hier die verdiente Beachtung gefunden hätte.
Fol. 126. Evoluto autem aliquo temporum spatio, post-
quara Otto, gloriosus princeps atque pacificus Imperator,
Heinrici regis filius, regnum ', quod a patre minus pacatum
acceperat, sedatis hostibus multa in pace composuisset necnon
orientalium rex Francorum ac patricius Romanorum appella-
tus esset, cepit animosius circa ecclesiastice dispensationis
officia pio sollicitudinis excrcitio occupari ecclesiasque Dei,
ubi deerant, construere, ubi vero aut vetustate conlapse aut
gentium infestatione destructe fuerant, datis ex proprio erario
pecuniis, reparare adeo, ut preter opera, que plurima ad regni
decorem et commoditatem pertinentia diversis in locis exple-
verat, quatuordeciui pontificalis magnificentie sedes^ constru-
eret, inter quas urbcm quandam metropolim condidit, que
usitato vocabulo Magadaburc nuncupatur. Que civitas Sclavos
a Saxonibus, qui illi conterraini sunt, disparat. In qua cum
multos gentilium a cultura idolatrie ad fidera catholicam con-
verti compelleret, et totam pene provintiam raonasteriis et
ecclesiis refertam nobilitaret, atque, statutis per singula loca
ministris, res in usus famulantium regia raunificentia donaret,
hoc tandem indigere videbatur, ut ex sanctorum pigneribus
aliunde requireret, quibus locus ipse et adversus gentium in-
festationes et spirituales inquietudines muniretur et ad pro-
merenda divina beneticia aptaretur. Que cum multa ab epi-
scopis suis impetrasset et plurima ex reraotis provintiis anxius
exposceret, audivit Fulbertum venerande memorie episcopum,
qui eo tempore Cameracensis ecclesie plebem cura pervigili
regebat*, super hac re maxime regis desiderium pusse implere,
felicem eins sedis civitatem , que duorum confessorum , Aut-
berti videlicet atque Gaugerici, presentibus patrociniis sufFulta
nulla imminentis iacture pericula formidabat, felicem Magada-
burc urbem, si horum corpora divina Dei voluntate habere
contigisset. Id autem licet ad optinendum regi facile videretur,
suberat tamen causa raaior, que episcopi animum erga regem
ad prestanda, que vellet, attencius inclinaverat, ea scilicet, quod
1) 'regü' Hs. 2) Zehn Bisthümer und ein Erzbisthum. Vgl.
Dümmler, Otto der Grosse I, S. 551. 3) 934—956.
Reise nach Nord-Fr ankr eich. 471
ipse domniis Imperator inter multa alia; que ei regia libera-
litate dona concesserat, abbatiam beati Gaugerici, que ante
consularis potentie dominatu male tenebatur, liberam episcopo
habendam donaverat^, que usque in hodiernum pontificali se
gaudet faveri gracia, que barbarico vexabatur imperio. Igitur
licet regis potentia hoc facile impetrare potuisset, tamen beni-
volentiam episcopi potius experiendam arbitratus predicta sibi
Corpora dari poposcit. Episcopus vero regis petitionem gra-
tanter excipiens, sed peticionis effectum multa argumentatione
dissimulare querens, tandem ne ingratus beneficiis superioribus
videretur, licet invitus se facturum, quod tantus princeps po-
stulaverat, pollicetur. Verum inexperta sanctorum voluntate
periculosum sibi et provincie sue pernitiosum fore metuebat,
si sanctos Christi confessores a suis sedibus removere presu-
meret, per quos Cameracensis civitas felix in propagine, fer-
tilis in gramine, et temporalem meruerat salutem et supernam
sperabat beatitudinem. Itaque inter amorem regis et timorem
divine offensionis anxius episcopus paucos, quos secretiores
consilii adiutores elegerat, sibi adhibuit et ceteris ignorantibus
duorum corpora sacerdotum, Theoderici videlicet venerabilis
urbis ipsius episcopi et alterius, cuius nomen memorie non
occurrit, detectis sepulchris, accepit, qu§ regi donanda esti-
mavit, cum quibus et aliquos articulos beati de corpore
Auberti preciosas reliquias ei concessit provida consilii ratione,
ne et civitas Cameracensis suis patronis viduaretur neve epi-
scopus mendacii culpam in se transfudisse videretur. Letus
igitur imperator, rebus ad votum succedentibus, gloriosas
reliquias suscepit easque in monasterio, quod ipse miro arti-
ficio construxerat, in supra memorata urbe locavif^, sane non
sine nutu divini consilii, scilicet ut et Cameracensis civitas,
que confinium imperii eius a Francis disterminat, et Magada-
burc, que alio confinio sub regno eius Sclavos a Germania
eliminat, beati viri munite presidio tamquam forti circumdate
rauro tuerentur. lam vero fama huiusmodi tocius Germanie
fines occupaverat, que sanctos confessores a finibus Galileis
evectos adeo affirmabat, ut nuUi incredibile videretur, quod
tarn celeberrime opinionis nuntia testabantur. Sed illis aliud
opinio favebat, nobis aliud veritas servabat. Nam nostris
temporibus contigit quendam vite venerabilis urbis ipsius
archidiaconum , nomine Auffridum, inter multa, que per loca
sanctorum distribuerat, beato Gaugerico scrinium unum auro
vel argento manu artificis decoratum fabricasse , in quo con-
fessoi'is menbra nobilius reconderentur. Superveniente igitur
die, quo mutationis ministerium expleri debuisset, venerabilis
1) Gesta ep. Camer. I, c. 73, SS. VII, p. 427. 2) Bis hierher
von Jacques de Guise aufgenommen.
31*
472 Ernst Sackur.
presul Erluinus, qui tunc Camerace plebis curam agebat^,
non adeo ociosus, preciosi menbra corporis diligenter perscru-
tatus, preciosum corpus maxima ex parte invenit.
Sed et tempus advenerat, quo vetusta templi edificia, in
quo beatum Autbertum tumulatum fuisse supra narravimus,
renovari atque amplificari rerum oportuna necessitas commo-
nebat, qua videlicet tempestate idem episcopus Erluinus adhuc
ipsius statum regebat. Hie procurante Godefrido quodata
suo archidiacono et ex censu proprio sumptus operis suppe-
ditante monasterium ipsum maiori arabitu edificii nobilitare
studuit^ et ministros, qui ibi cotidiano officio deservirent,
deputavit piurimaque rebus ecclesie in usus famulantium
ipse superaddidit. Sed cum in eo esset, ut sacrum corpus
sedibus suis restituere deberet, morte preventus inperfec-
tum opus reliquit. Post cuius transitura domnus Gerardus
episcopus ecclesie ipsius gubernacula suscepit^. Qui peractis
Omnibus, que minus ante parata fuerant, monasterium ipsum
cum magna cleri ac populi raultitudine in honorem domini
et memoriam beati Pauli apostoli die Kalendarum Octobrium
consecravit sanctumque corpus suis sedibus decenter restituit
anno dominice incarnationis millesimo quintodecimo, ordina-
tionis vero ipsius tercio, indictione tercia decima, regnante im-
peratore Henrico. Sed inter agendum domno episcopo visum
fuit, quod scrinium, in quo sanctum corpus iacebat quodque
sui vetustate resolutum erat, renovare sanctumque thesaurum
in eo recondere deberet. Quod cum sollicitius expleret, inve-
nit quosdam ab integro corpore articulos defuisse, quos mul-
torum testimonio et insuper rei ipsius manifesto indicio
intelleximus per Fulbertum episcopum regi poscenti donatos.
Est autem locus ille haud longe ab ecclesia beate et gloriose
genitricis Marie intra muros urbis ipsius situs, in quo recta
tide petentibus beato ac venerabili Christi confessore Autberto
intercessore beneficia prestantur divina, regnante Deo et salva-
tore nostro lesu Christo, cui est cum eterno Patre et Spiritu
sancto virtus et honor, gloria et imperium, laus et potestas
per infinita secula seculorum Amen.
St. Omer. n. 698 membr. S» saec. XII 67 fol. (Vgl.
Archiv VIII, S. 414; Catalogue des man. des dep. III, p. 305 u.
oben p. 492, N. 2), Auf dem ersten Blatt (Schmutzblatt)
steht folgendes Reliquienverzeichnis manu saec. XIII.:
He reliquie continentur in capsa sancte Austraberte vir-
ginis. De sancto Cosma martyre. De sancto Ciriaco martyre.
1) 995—1012. 2) Vgl. Gesta episc. Camerac. c. 113 (SS. VII,
p. 450): 'Huius praeceptione Godefridus suus quidam archidiaconus mona-
sterium sancti Autberti, quod intra muros urbis est, amplioravit'. 3) 1012.
Reise nach Nord-Frankreich. 473
De kasula sancti Wlframmi et dalmadice. De [vela'Jmine
sancte Austraberte virginis. De legione Tebeorum. Sancti
Ansberti episcopi. De cilicio sancte Amalberge virginis.
Teodori martyris. Reliquie de sepulcro Domini et de sepulcro
Epenilde et reliquie sancti Bertini abbatis et de sancto Urbano
et de sancta Margarete. De sancta Ursula. De virginibus
Colonie. Reliquie sancti Petri. Celestini pape. Item reliquie
sancti Petri. De sancto Bertino. De sancto Folquino. Deus
sancte Austraberte virginis. De sancta Cecilia, De barba
sancti Macharii archiepiecopi. De sepulcro sancte Marie vir-
ginis. De sancto Maximo episcopo. De sancto Geronimo.
De sancto Daniele propheta. De sancto Severino episcopo.
De sancto velamine sancte Aldegundis virginis. De sancto
Georgio martyre. De sancto Brictio episcopo. De corpore
sancti Wlframmi archiepiscopi. De Hgno Domini. De oleo
sancti Demetrii. De capillis apostolorum Petri et Pauli. Et
reliquie plurimorum sanctorum , quorum nomina apud nos
ignorantur ^.
Fol. 48' ist am Rande unten (saec. XIII) eingetragen:
Leiardis
Gyvederd de Quene. Leuardis, filia sua. Ermiard filia.
Godehild et Ermeniard, filia sua. Fredesindis, matertera Ermen-
de Bikene filia sua
iardis, Leyiard cognata sua. Fraborg. Humborg. Isborg,
filius eius. filius eius filius Leyardis. filius
Adam. Adam. Bodinus. luwain. Ingeliard. Eusta-
eius
eius. Ermeniard et Boinus filius eius et Ermeniard et Matildis
sorores. Christiana, filia Fresendis. VI. Idus Mai. obiit
Lamrainus de Rubrue; et Merzman et Christiana uxor eius
recepti sunt in beneficiis et orationibus ecclesie quasi fratres
et sorores VI. Kl. Augusti per manum Walteri cantoris.
1) Loch im Pergament. 2) Auf derselben Seite steht von einer
Hand des XIV. Jahrh. noch Verschiedenes geschrieben, ohne historischen
Werth.
XII.
Bericht
über
einig'e Reisen nach Italien,
Von
H. Simonsf'eld.
Um für die Geschichtschreiber Venetiens aus dem 13.
Jahrhundert, welche in unseren Monumenten noch Aufnahme
finden sollen, die nöthigen Nachforschungen und Vergleichun-
gen vorzunehmen, trat ich Anfangs September 1887 eine Reise
nach Friaul an, die durch einen häuslichen Unfall eine bedau-
erliche Unterbrechung erfuhr. Erst am 11. October langte
ich in Udine an, wo ich für die bei De Rubels, Monum.
eccl. Aquil. veröfi'entlichten Aquilejer Patriarchen -Chroniken
nach alten Handschriften fahnden wollte. Denn Dr. Joppi, der
bekannte Bibliothekar der Biblioteca Comunale zu Udine,
hatte mir auf meine vorherige Anfrage geantwortet, die von
Rubeis benützten 'alten' Handschriften müssten seiner Ansicht
nach allerdings noch vorhanden und wohl in Cividale zu
finden sein, wie dort auch das Original der Annales Foroiu-
lienses abbreviati noch existiere.
Leider war Dr. Joppi bei meiner Ankunft in Udine nicht
anwesend, die Communalbibliothek nicht zugänglich, so be-
schloss ich sogleich in Cividale selbst mein Glück zu ver-
suchen. Bibliothek und Archiv des Capitels sind nun städtisch
geworden, und der Zugang war — in Abwesenheit des Biblio-
thekars — nur durch die Freundlichkeit eines eigens herbei-
geholten jüngeren Magistrats-Beamten möglich, der mir dann
gerne die Durchsicht der Handschriften gestattete. Von jenen
Chroniken war nichts zu sehen, hingegen fand ich in der That
am Ende eines alten Nekrologiums s. XIV (n. 43) die Ann.
Foroiul. abbrev., die ich an diesem und dem folgenden Tage
zu collationieren nicht unterlassen wollte, da ich mich bald
überzeugte, dass Rubeis den Abdruck keineswegs, wie Beth-
mann behauptet hat (cf. SS, t. XIX, p. 194) correct besorgt
hat, sich vielmehr mancherlei Lesefehler hat zu Schulden
kommen lassen. Einige durch Schmutz unleserliche Stellen
konnte ich mit Hülfe eines Sudes gekochter Galläpfel entzifi"ern.
In Venedig habe ich dann (wie auch später Weihnachten
desselben Jahres) noch ein paar Tage auf der Markus-
Bibliothek gearbeitet und hier die Sammelhandschriften
Gl. X lat. n. 132; Gl. XIV lat. n. 46, 49, 81 für die
Aquilejer Chroniken durchgenommen und verglichen. Denn
auch hier hatte es sich bald herausgestellt, dass Rubeis durch-
aus nicht zuverlässig ediert hat. Es lässt sich leicht nach-
478 H. Simonsfeld.
weisen, dass er sogar einzelne Sätze aus Parteirück-
sichten auf die Republik Venedig ausgelassen
hat, worin dieser Nachtheiliges enthalten war. Da ältere Hand-
schriften mir bis dahin nicht bekannt waren, schien es nöthig, die
bezeichneten jüngeren, so schlecht und fehlerhaft sie auch sind,
zu coUationieren. Auch die bei der Ausgabe in den Monu-
menten auffallenderweise gar nicht benutzten Handschriften
der Annales Foroiulenses in Cod. X lat. 132 und XIV, 46
habe ich dann noch verglichen und feststellen können, dass
sie keineswegs die vom Notar Antonius Bellonus geschriebe-
nen Copien der Ann. Foroi. sein können, sondern nur Ab-
schriften nach seiner Abschrift.
Erst im Frühjahr des folgenden Jahres 1888 konnte ich
meine Arbeiten auf einer neuen Reise fortsetzen, die mich
zuerst wieder nach Udine führte. Ich fand hier bei Dr.
Joppi die freundlichste Aufnahme und durfte trotz der Ferien
in der Charwoche nach Belieben auf der Communal-
Bibliothek arbeiten. Joppi brachte mir sogleich alle auf
der Bibliothek vorhandenen (leider nicht mit Signaturen ver-
sehenen) meist jüngeren Handschriften der Aquilejer Chroniken,
darunter besonders einen grossen Sammelband: 'Anecdota
Foroiuliensia collecta (1730) a loh. los. Liruti', der für seine
Copien alte Handschriften s. XIII und XIV benutzt haben
will.
Durch die Vermittlung Joppi's erhielt ich dann auch Zu-
tritt zu Archiv und Bibh'othek des Domkapitels und fand
hier unter Beihiilfe Joppi's zwei ältere Handschriften saec. XV
in dem Codex 'Miscellanea' n. 23 und 'Rerum Foroiuliensium
Collectio n. 29', in dem letzteren überdies das Autograph der
Annal. Foroiul. des Bellonus, das ich, auch hier den ganzen
Tag arbeiten dürfend, zu collationieren nicht versäumte. Ich
werde darüber weiter unten noch ausführlicher berichten.
Nach den Osterfeiertagen habe ich dann zwei Tage in
Padua mit der Vergleichung der 'Chronica patriarch. Aquil,'
s. XVI Cod. n. 98 auf der Universitätsbibliothek und
mit der Abschrift der kleinen von Cipolla im Archivio Veneto
tom. XVII pag. 195 citierten 'Cronica illorum de la Scala' (1250
bis 1341) in der Bibliothek des Seminario n. 403 (A5)
verbracht, um hierauf vom 5. — 10. April auf der Comraunal-
bibliothek (Bertoliana) zu Vicenza zu arbeiten.
Hier sichei'te mir schon meine frühere Bekanntschaft mit
dem Bibliothekar (Don Bortolan) und Professor Morsolin die
beste Aufnahme, und ich konnte die Arbeitsstunden von 10 — 3
auf 9 — 6 Uhr ausdehnen. Es galt hier die schon früher an
dieser Stelle (Neues Archiv Bd. XII, S. 218 ff.) verzeichneten
Handschriften des Gerardus Maurisius, Antonius Godi und
Nicolaus Smereghus näher zu untersuchen und zu vergleichen,
Bericht über einige Reisen nach Italien. 479
WOZU dann noch (aus dem handschriftlichen Katalog) drei
andere kamen: 1) G. 7. 5. 27 chart. 4° saec. XVII (XVIII)
die Chronik des Godi etc. enthaltend, wahrscheinlich Abschrift
von 2) G. 6. 8. 8. chart. 4° s. XVI (von der Hand Giberto's
de Cavalcabobus), worin ausser der Chronik Godi 's noch
das 'Compendium Rerum Vicentinai'um', das auch in G. 7.
9. 15 steht, und zuletzt 'Historia Translationis Coronae Do-
mini de Regno Constantinopolitano ad regem Franciae' und
3) G. 6. 8, 9 Chart. 4» s. XVII (von der Hand Silvestro
Castellini's) wiederum die Chronik Godi's, vielleicht Abschrift
von G. 7. 9. 15.
Am 11. April habe ich alsdann auf der Communal-
bibliothek in Verona einen Tag gearbeitet und die von
CipoUa im Archivio Veneto t. XVII verzeichneten Veroneser
Chroniken eingesehen, die in Cod. 815 überlieferten Stücke
'Syllabus potestatum' und die Chronik des Romano abzu-
schreiben begonnen, da beide — bisher ungedruckt — in die
Monumenta gehören. Der Verfasser der letzteren Chronik
meldet übrigens den Tod seines Bruders Matheus de Romano
nicht, wie Cipolla angibt, zum Jahre 1302, sondern 1303.
Von der völligen Abschrift musste ich wegen der Kürze der
mir zugemessenen Zeit Abstand nehmen.
Den folgenden Tag verweilte ich in Brescia, da mir
Bibliothekar Bortolan in Vicenza gesagt hatte, er glaube, dass
auch auf der Stadt-Bibliothek zu Brescia ('Quiriniana') Hand-
schriften der Vicentiner und Aquilejer Chroniken vorhanden
seien — was sich aber als irrig erwies, F. III. 4 misc. 2
'Indicazioni dei Patriarchi d'Aquileia' beginnt erst nach Lodo-
vicus de Tech. Aus dem Handschriftenkatalog notiere ich
hier noch:
A. in. 13. Raymundus de Pennafort. Summa.
B. II. 13 memW. s. XI. Mercator Isidorus. Collectio
epistolarum et decretorum summorum pontificum et
patrum.
B. VI. 28, C. VI. 24, G. VI. 4. Chronik des Jacobus
Malvezzi mit Fortsetzungen.
Wegen der Notiz in Bd. XII des alten Archivs S. 628:
'Bisthum- Archiv mit vielen noch nicht untersuchten Hand-
schriften' Hess ich mich auch dorthin geleiten und durfte
trotz Abwesenheit des Bibliothekars in den Schränken nach-
sehen, fand aber lauter Lehensbücher des Bisthums und der-
gleichen und keine anderen Handschriften.
In Mailand war es meine erste Sorge, Schritte zu thun,
um in die Bibliothek des Fürsten Trivulzio zu gelangen,
in welcher ich für die Abtheilung der Scriptores die Handschrift
n. 1339 s. XV der Annales Cremonenses vergleichen sollte.
Der Fürst war gerade nach Rom verreist, und da seit dem Tode
480 H. Simonsfeld.
des Conte Porro, eines Verwandten des Fürsten (der den trefflichen
Katalog der Bibliothek veröffentlicht hat), kein Bibliothekar
mehr angestellt worden war, sagte mir der Verwalter, es sei
ganz unmöglich die Bibliothek zu benützen; nicht einmal der
Sohn des Fürsten könne die Erlaubnis dazu geben. Ich Hess
mich dadurch nicht abschrecken und wandte mich sogleich
brieflich an den Fürsten selbst, ihm Zweck und Absicht meiner
vorzunehmenden Arbeit auseinandersetzend.
Auf der Ambrosiana collationierte ich dann die beiden
Handschriften (s. N. Arch. Bd. Xu S. 219) des Antonius Godi
und Nicolaus Smereghus D. 223. P. inf. und I. 211 und in
ersterer noch die von Muratori SS. t. XVI veröffentlichte
Recension der Aquilejer Chronik. Ausserdem waren hier auf
der Ambrosiana einige kleinere Sachen für die Abtheilung
Epistolae und der Leges zu besorgen und dann für die letztere
auf Wunsch des Herrn Prof. Weiland in dem Archiv der Kirche
S. Ambro gio eine Canones-Samralung aufzusuchen und zu
untersuchen, was dank der Empfehlung des Präfekten der
Ambrosiana, Herrn Ceriani, und der Freundlichkeit des Archi-
vars in den Stunden vor und nach der Ambrosiana erledigt
werden konnte.
Inzwischen war auch von dem Fürsten Trivulzio Antwort
eingetroffen, der mir in der liebenswürdigsten Weise die Er-
laubnis ertheilte, die bezeichnete Handschrift nach meinem
Belieben einzusehen, was schliesslich nach einigen unliebsamen
Erörterungen mit dem Herrn Verwalter, der neue Schwierig-
keiten wegen der Zeit erheben wollte, dank dem Entgegen-
kommen eines jüngeren Bediensteten ebenfalls in den Stunden
vor und nach der Ambrosiana ausgeführt werden konnte.
So konnte ich mit einiger Befriedigung Donnerstag den
12. April Abends Älailand verlassen, um mich nach Gubbio
zu begeben, wo ich auf der dortigen Stadtbibliothek
(Sperelliana) die alte Handschrift des Petrus Cantinelli, des
Fortsetzers des Tolosanus, vergleichen wollte.
Ich muss hier einfügen, dass ich für die Neu-Ausgabe
des letzteren, welche mir Geh. Reg.-Rath Waitz nach Beendigung
des 'Chronicon Venetum vulgo Altinate' übertrug, bereits
früher im Jahre 1881 in Italien gearbeitet hatte. Es war mir
damals darum zu thun, eine oder die alte Handschrift des
Tolosanus aufzufinden, welche nach Mittarelli, Rerum Faven-
tinarum Scriptores im Besitze der Familie Ferniani in Faenza
gewesen war und nach meiner Ueberzeugung dort noch sich
befinden musste. Zwar gab der damalige städtische Biblio-
thekar von Faenza mir auf meine diesbezügliche Anfrage eine
verneinende Antwort, aber ich beschloss doch selbst in Faenza
nachzusehen. Als ich im September 1881 dorthin kam, war
die Familie Ferniani verreist, eine Durchsicht der Bibliothek,
Bericht über einige Reisen nach Italien. 481
soweit sie offen zugänglich war, nicht von dem gewünschten
Erfolg begleitet. Hingegen habe ich damals in dem Kapitel-
Archiv die in dem sogenannten 'Liber Rubens' des Bernardo
Azzurini überlieferten Bruchstücke aus Tolosanus nicht ohne
Vortheil verglichen und ebenso alsdann in Bologna auf der
Universitätsbibliothek die Handschrift n. 81 (früher
Aula n. B. Caps. 91) s. XVIII des Tolosanus. Von Venedig
aus, wohin ich mich wegen anderer Arbeiten begeben hatte,
schrieb ich nochmals an den Grafen Ferniani in Faenza wegen
jener alten Handschrift und erhielt bald darauf die frohe
Nachricht, sie sei gefunden und stehe mir zur Verfügung,
sobald ich komme. Und wie wurde ich dann aufgenommen!
Der Graf (Annibale Ferniani) nahm die Handschrift und mich
selbst mit auf seine in der Nähe der Stadt gelegene Villa, wo
ich mich mit derselben beschäftigen konnte, wie ich wollte.
Dank der Intervention des jetzigen Direktors des Staats-
archives in Bologna, des bei uns ja wohlbekannten C Mala-
gola, durfte ich sogar auch mit dem Sud gekochter Galläpfel
operieren, und so gelang es mehrere Lücken bei Mittarelli
und in der neuen Ausgabe (in den Documenti di storia ita-
liana tom. VI) zu ergänzen und manche Lesarten zu verbessern.
Aehnliche Unterstützung ward mir diesmal in G u b b i o zu
Theil. Der Bibliothekar (Can. L. Banchetti) nahm die Hand-
schrift III. XVIII. A 14 in seine Wohnung, und so konnte ich,
von Früh bis Abend (freilich angestrengtest) arbeitend, innerhalb
5 Tage meine Aufgabe erledigen. Leider ist der Zustand der
Handschrift, wie ihn schon Mittarelli geschildert, ein höchst be-
dauernswerther : es sind halbe und ganze Blätter weggerissen,
andere wegen der darüber geschütteten Galläpfeltinktur (bei
Baumwollenpapier!) absolut unlesbar. Einige Stellen konnte
ich durch Anwendung einer leichteren Tanninlösung entziffern,
wie überhaupt auch hier manche Correcturen an dem Druck
vornehmen.
Unter diesen Umständen schien es wünschenswerth, auch
die jüngeren Handschriften des Cantinelli heranzuziehen. Erst
auf einer neuen Reise im Herbst des Jahres 188 9 konnte
dies geschehen, da meine Stellung an der hiesigen Bibliothek
mir nur einen Monat Urlaub im Jahr gewährt.
Ich begann meine Arbeiten am 2. September auf der
Communalbibliothekzu Verona (geöffnet von 9—4 Uhr)
mit der Fortsetzung und Vollendung (siehe oben) der Abschrift
des 'Syllabus potestatum' und der Chronik des Romano aus
Cod. n. 815, der auch die von Cipolla früher im Archivio
Veneto tom. IX veröffentlichten, von mir nochmals verglichenen
'Annales Veronenses veteres' enthält. Cipolla ist gerade mit
dem Druck dieser und anderer Veroneser Chroniken für die
'Monumenti' der Deputazione Veneta di storia patria beschäftigt.
482 H. Simonsfeld.
In der Chronik des Romano hat er eine Stelle übersehen oder
früher nicht mitgetheilt, wo der Verfasser schon zum Jahre
128Ü von seinem Bruder Matheus spricht: fol. 31: (1286) 'Item
eodem anno et die Dominico 4. exeunte lulio Johanna, filia
domini Mathei de Romano fratris mei, ivit ad maritum scilicet
ad Manfredinum, filium domini Egidii de Piis'. Ferner habe
ich aus Cod. n. 827 andere kurze Veroneser Annalen und die
'Cronachetta Guarienti' (vgl. CipoUa a. a. O.) abgeschrieben.
Vom 11. bis 18. September habe ich hierauf in Bologna
gearbeitet theils auf der Municipal-Bibliothek (Biblio-
thekar Fratij, theils auf der Universitäts-Bibliothek
(Bibliothekar Guerini), wo ich überall, hier besonders auch
durch die Vermittlung meines Freundes Malagola, der liebens-
würdigsten Förderung und Erleichterung meiner Studien mich
erfreuen durfte. Auf der Universitätsbibliothek fand sich
ausser der von Bethmann (Archiv XII, 574) citierten Hand-
schrift n. 379 des Cantinelli noch eine zweite n. 3838(1),
ebenso auf der Municipalbibliothek ausser der bei Luigi Frati,
Opere della bibliogrutia Bolognese, che si conservano nella
biblioteca municipale di Bologna (1888) vol. I col. 393 auf-
geführten (n. 3143'*^) 17. K. II. 48 eine weitere in 17. G. I.
26. Zwar gehören alle diese Handschriften erst dem vorigen
Jahrhundert und einer Zeit an, wo das Original in Gubbio bereits
verderbt war; aber die Vergleichung derselben war doch inso-
fern von Vortheil und wichtig, weil ich hier manche Lesarten
bestätigt fand, die ich bei dem schlechten Zustand des Origi-
nals fast mehr nur ahnen als entziffern hatte können.
In Padua widmete ich einen Tag der Durchsicht einiger
Handschriften der Universitäts-Bibliothek: 1) n. 1151
membr. s. XV, zuerst einen Martinus Polonus bis Albrecht
und Benedict XL (mit späterer Fortsetzung — 1494), dann
den 'tractatus de statu et mutatione Romani imperii per domi-
num Landulfum de Columpna', ferner einen kurzen Riccobal-
dus 'Incipit Cronica extracta de archivo ecclesie Ravenne
compilata a Ricobaldo Ferrariensi. Dum derelicta non sponte . .'
und endlich die Veroneser Chronik des Parisius von Cereta
mit Fortsetzung enthaltend, wovon mir der Anfang beachtens-
werth scheint: 'Nota quod in quodam libro qui est in
ecclesia s. Andree de Mantua inveni sie fore scriptum etc.',
wo also wahrscheinlich das Original der Annales Veronenses et
Mantuani (cf. SS. t. XIX p. 19) zu suchen. 2) n. 114 chart.
s. XVII (XVIII) 'Liber regiminum Paduae', aber in italienischer
Uebersetzung, daher für uns nicht in Betracht kommend. Eine
Nachforschung im städtischen Archiv (im Museo Civico) nach
einer alten Handschrift des 'Liber regiminum' (Muratori Antiqui-
tates medii aevi tom. IV col, 1121 ff.), aus welcher nach einer
früher von mir gemachten Notiz eine spätere Abschrift in 'Rerum
Bericht über einige Reisen nach Italien. 483
Foroiuliensium collectio n. 29' des Domkapitels zu Udine
(s. oben) genommen sein sollte (ex Pergameno emisso ex
Archyvo Paduae exemplavi ego Johannes Vanni de Honistis?)
— blieb erfolglos.
Hingegen ist der Codex der Markusbibliothek in
Venedig CI. X lat. n. 69 membr. s. XIV ex. oder XV in.
eine alte vollständigere Handschrift des 'Liber regiminum',
den ich am Schluss meiner Reise noch verglichen habe, wie
auch Cl. X lat. n. 287 chart. s. XV für das Verzeichnis der
Podestä von Padua, das Muratori SS. t. VIII col. 365 ff. ver-
öffentlicht hat. Cl. X lat. 280 'Annales Paduae' erwies sich
als eine spätere Compilation.
Endlich fand sich im Staatsarchiv (ai Frari) zu
Venedig auch noch das Original der von Verci, Storia della
Marca Trivigiana VII, 152 veröffentlichten Veroneser anna-
listischen Notizen in 'Mani Morte. Monasterio dl S. Zaccaria.
Busta n. 2, Fase. n. 8 Catastico dei Beni in Ronco' tom. I
fol. 66. ^ ^
Indem ich mir vorbehalte, über eine und die andere Hand-
schrift später genauere Mittheilung zu machen, erübrigt mir
hier nur mehr, allen denen, die mich bei diesen Nachfor-
schungen so eifrig und thätig unterstützt haben, nochmals
auch an dieser Stelle öffentlich herzlichsten Dank abzustatten.
Beilage:
Bemerkungen zu den Annales Foroiulienses.
Wie ich bereits oben angedeutet habe, hat man bei der
Ausgabe der Annales Foroiulienses in unseren Monumenta
Germ, histor. es leider unterlassen, auf die Handschriften
zurückzugehen. In der Meinung, De Rubels habe seine Aus-
gaben zuverlässig besorgt, hat man sich begnügt, seinen Ab-
druck der Annales in den Monumenta ecclesiae Aquileiensis
hauptsächlich zu Grunde zn legen, obwohl man von dem
Original oder der Handschrift, welche Rubeis selbst benutzte,
Kenntnis hatte oder zu haben glaubte. Rubeis hatte nämlich
angegeben 1, er habe die Annalen aus einer eigenhändigen
Abschrift des Notars Antonius Bellonus entnommen ^ (der in
der Mitte des 16. Jahrhunderts in Udine lebte), und auf Grund
der Angaben Valentinelli's im Archiv für Kunde österreichischer
Geschichtsquellen * nahm man an, dieses Autograph des Bello-
nus sei noch auf der Markusbibliothek in Venedig vorhanden,
ohne dass man aber, wie es scheint, über dasselbe nähere
1) Monum. eccl. Aq. Appendix p. 4. 2) 'exseripsimus ex Codice
propria Antonii Belloni Notarii Utinensis manu exarato'. 3) Bd. XVIH
S. 331 ff.
484 H. Simonsfeld.
Erkundigung eingezogen hätte. Sogar zwei Handschriften
der Mareiana wurden dafür angeführt': Cl. X lat. n. 132
c. 90—109 und Cl. XIV lat. n. 46 c. 234—59—3262.
Aber, wie ich mich zu überzeugen Gelegenheit hatte,
diese Annahme ist irrig: keine der beiden eben genannten
Handschriften enthält das Autograph des Bellonus. Cl. X,
132 enthält c. 90 — 109 eine Abschrift der Annal. Foroiul.
von der Hand des Rubeis; XIV, 46 c. 234 — 259 nur eine
Copie des Autographes des Bellonus. Es fehlen hier die
Schlussworte (M. (i. SS. XIX pag. 222 lin. 39) : 'Descriptum
per me Antonium Bellouum notarium'; beim Beginn der Ab-
schrift heisst es ausdrücklich: 'Exemplum'. Was Valentinelli
zu seiner falschen Ansicht verleiten konnte, ist nur der Um-
stand, dass das auch hier (in XIV, 46) überlieferte Vorwort
des Bellonus mit den Worten schliesst : 'Antonius Bellonus
notarius''. Hätte aber Valentinelli die Handschrift mit dem
Druck bei Rubeis verglichen, so würde er leicht gefunden
haben, dass der Passus 'Constantinus Savorgnanus etc. —
Prato d'Attirais', welchen Rubeis am Rand des Codex des
Bellonus fand*, hierin der Handschrift XIV, 46 ganz fehlt,
in X, 132 aber (der eigenhändigen Abschrift des Rubeis) gar
nicht am Rande, sondern im Text steht.
Das von Rubeis benutzte Autograph des Bellonus habe
ich, wie oben (S. 478) erwähnt, vielmehr in einer Hand-
schrift des Kapitelarchivs zu Udine 'Rerum Foroiulien-
sium collectio n. 29' gefunden — nur leider nicht voll-
ständig, sondern nur denjenigen Theil, der (in der Ausgabe der
Monumente) von p. 213 lin. 21 bis zum Schluss reicht. Rubeis
hat aber auch selb st nicht mehr von dem Autograph
des Bellonus gehabt! und es entspricht nicht der Wahr-
heit, wenn er bei seiner Ausgabe der Ann. For, in den Mon.
Eccl. Aq. (s. oben) den Schein zu erwecken sucht, als habe
er sie ganz aus dem Autograph des Bellonus entnommen.
Denn in eben jener seiner Abschrift Cl. X lat. 132 der Mar-
kusbibliothek findet sich (in der Ausgabe der Mon. SS. pag. 213
1) Cf. Mon. Gem. SS. t. XIX pag. 195. 2) Eine Vergleichung
mit Valentinelli's Aufsatz ergiebt, dass das Citat nicht ganz richtig ist,
indem bei Cl. XIV lat. n. 46 dort nur angegeben ist c. 234 — 59. Da
in den Mon. a. a. O. ein paar Zeilen weiter unten für das sogenannte
'Compendium chronicae Passerinae' (ein von Petrus Passerinus verfasster
Auszug) die nämliche Handschrift Cl. XIV lat. n. 46 c. 200—210—3 28
(also die gleiche Seitenzahl) angeführt wird, muss jeder aufmerksame Leser
stutzig werden und Verdacht über die Richtigkeit des Citates schöpfen, 3) Ich
notiere hier gleich zwei Differenzen zu diesem Vorwort. Statt SS. XIX
pag. 195 lin. 22 'insculptam' steht hier XIV, 46: 'inscriptum', statt (lin. 23)
'forsan' 'forsam'. 4) Monum. Eccl. Aquil. App. p. 28 n. a) 'In m argine
haec habentur'; cf. Mon. Germ. bist. SS. t. XJX pag. 208 n. a.
Bericht über einige Reisen nach Italien. 485
lin. 21) am Rand der verrätherische Passus: 'quae sequun-
tur, propria manu Belloni descripta sunt!' — völlig ent-
sprechend also dem oben geschilderten heutigen Umfange des
Autographs des Bellonus im Codex des Capitelarchives zu
üdine.
Eben dieser Codex des Capitelarchives enthält nun aber
ferner vor dem Autograph des Bellonus noch ein weiteres
Bruchstück der Ann. For. in Abschrift von ziemlich alter
Hand, d. h. saec. XV, und eben diese Abschrift hat Rubeis
für den ersten Theil der Ann. For. benützt. Denn hier
(fol. 15') findet sich jene oben angeführte Randbemerkung
'Constantinus Savorgnanus etc.' (cf. Mon. Germ. XIX, 208 N. a).
Das Fragment, das also hier im Codex des Capitel-
archives steht, geht bis pag. 215 lin. 2 (der Monumentenaus-
gabe) Varete (st. Warettae). Ich war aber zuletzt noch so
glücklich, in einer anderen (nicht näher bezeichneten) Hand-
schrift der Communalbibliothek zu Udine » auch den Schluss
dazu zu finden, und gerade dieser Schluss hier ist von nicht
zu unterschätzender Bedeutung, denn er enthält einige wich-
tige Bemerkungen.
Zu dem Passus (Monumentenausgabe pag. 220 lin. 48)
'De briga facta in Civitate. Anno 1315 etc.' ist nämlich hier
(fol. 34') von alter Hand am Rande bemerkt: 'Ex libro
anni versariorum capituli Civitaten(sis)'. Und in
derThat stimmt alles Folgende (wie weit, werden wir
sogleich sehen) was man bisher nicht bemerkt hat, wörtlich
mit den Annales abbreviati (bei Rubeis), die bekannt-
lich am Ende des noch erhaltenen, in Cividale befindlichen
liber anniversariorum oder Nekrologiums 2 stehen. Dadurch
wird aber die, wie ich nachträglich sehe, schon von O. Lorenz^
geäusserte Vermuthung, dass die Arbeit der beiden
Brüder Julian und Johannes vielleicht schon 1315
abbreche, meines Erachtens vollauf bestätigt und zur Ge-
wissheit erhoben — wie denn in der That der Charakter der
Aufzeichnungen hier sich ändert, kürzer wird und überdies
gerade vor 1315 der vorausgehende Satz unvollständig ist*.
Von 1315 ab haben wir also nur die Ann. abbrev. vor
1) Wie mir Herr Bibliothekar Joppi inzwischen mittheilt, sind die
lateinischen Handschriften der Communalbibliothek von Udine nun in
zwei 'buste' aufgestellt, von denen die erste alle 'Cronache patriarcali' ent-
hält. Nr. 1 ist das obig-e Fragment der Annales Foroiulienses. 2) Cf.
oben meinen Bericht S. 477. 3) Deutschlds. Gesch. Qu. 11, 261. 4) Zu
allem Ueberfluss sehe ich endlicli noch, dass auch bei Muratori SS.
t. XXIV col. 1227 dieser letzte Theil als 'Ex libro anniversariorum etc.'
entnommen deutlich bezeichnet ist ! Offenbar ist der von Muratori benutzte
Codex des Abtes losephus Binius unsere Udineser Handschrift (cf. folgende
Seite N. 2).
Neues Archiv etc. XV. 32
486 H. Simonsfeld.
uns und einzelne Differenzen, die sich etwa jetzt noch bei
einer Vergleichung des betreffenden Stückes der Monumenten-
ausgabe mit der Ausgabe der Ann. abbr. bei Rubeis ergeben,
verschwinden, wenn man nach Einsicht des Nekrologiums
selbst einen verbesserten Text der Ann. abbr. vor sich hat.
I^ui' bei dem (letzten) Jahre 1331 geht das Original der Ann.
abbr. weiter, hat einige Sätze mehr, als es hier der Fall ist.
Hingegen sind aber auch die folgenden Nachrichten,
die in der Monumentenausgabe fpag. 222) als 'Notae Passe-
rinae', bei Rubeis aber (pag. 37 j als aus dem 'libretto D. lo-
hannis lacobi de Venustis' stammend bezeichnet sind, zum
grösseren Theil lediglich entnommen aus jenem alten Nekro-
logium in Cividale.
Zum besseren Verständnis und zur grösseren Deutlich-
keit will ich hier genau -wiedergeben, wie diese letzten Nach-
richten in dieser Udineser Handschrift und besonders in welcher
Reihenfolge sie überliefert sind. Nach 'intraverunt' (Monu-
mentenausgabe pag. 222 lin. 2) folgt hier sogleich:
1348 (lin. 28) Erdbeben und Pestilenz = Rubeis pag. 42
n. X (Anfang) und pag. 43 Spalte 1 (Mitte) aus dem
Xekrologium ; dann
1364 Tod des Franciscus de Vrauspergo = Rubeis pag. 42
n. X, 2 (Spalte 2, untere Hälfte) aus demselben
Nekrologium'.
1364 Zerstörung des Castells Zuccula durch Ludwig della
Torre = Schiuss von n. X, 2 bei Rubeis pag. 44
nach dem zweiten Absatz (von Rubeis weggelassen, im
Nekrologium aber noch erhalten).
Und nun erst folgen hier in dieser Udineser Handschrift ^ die
Worte: 'In libreto Ser lo. lac'. de Venustis' und dann
1345 Plures de Utino — peccatis (lin. 26),
1345 Domnus patriarcha — comiti (lin 27). De morte et
sepultura domini lacobi lilii Pelegrini (fehlt ganz
in der Monumentenausgabe); dann
1343 Combustio Canipae — domorum (lin 22).
1344 Domnus patriarcha — Civitatem (lin. 23 — 25).
Diese letzten Notizen aber sind durch eine Klammer ura-
sclilossen und ein dazugesetztes b) und a) deutet an, dass
die Notizen umzustellen sind. Dies ist von späteren
Benutzern dieser Handschrift nicht gesehen oder nicht richtig ver-
standen worden. Denn in dem Autograph des Bellonus'' steht
1) Wobei auch zu bemerken ist, dass hier im Nekrologium eine
andere Hand einsetzt, als die, welche noch den vorausgehenden Passus
aus dem Jahre 1348 schrieb. 2) Dieselbe Reihenfolge hat Muratori
a. a. O. col. 1229—30. 3) Cf. auch Rubeis pag. 37; in der Monu-
mentenausgabe ist dies durch die Herstellung der chronologischen Reihen-
folge verwischt.
Bericht über einige Reisen nach Italien. 487
nach den Worten 'In libretto etc,' noch an erster Stelle die
Notiz 'Flures de Utino etc.' aus dem Jahre 1345 (wie in der.
üdineser Handschrift) und dann folgen die Nachrichten aus
den Jahren 1343 (—1345).
Aus eben dieser Reihenfolge in der Üdineser Handschrift
erhält nun aber auch die Bemerkung des ßellonus ' erst ihre
p]rklärung und wird erst verständlich: 'Hucusque Passerinus
seu quisquis fuerit (nicht fuit) alius' ^ — bis hierher, d. h. eben
bis 1364 (entsprechend der üdineser Hdschr.), und dann erst
folgen noch die paar Notizen aus dem 'libretto des lo. lac.
de Venustis' (die ßellonus nur ungeschickterweise in seinem
Autograph der chronologischen Reihenfolge zuliebe auch an
unrechter Stelle eingeschoben hat). Es ist also ganz unrich-
tig, wenn Arndt aus den Worten 'in libretto etc.' gefolgert
hat, es sei einleuchtend, dass Bellonus seine Abschrift der Ann.
For. aus diesem libretto des lo. lac. de Venustis entnommen
habe. Nach den obigen Auseinandersetzungen wird man vielmehr
sagen dürfen, die Vorlage des ßellonus sei eben dieser Codex
Utinensis oder ein demselben ganz nahe verwandter gewesen.
Was die übrigen Handschi'iften betrifft, so ist jedenfalls
zunächst der Codex des Bellonus Vorlage für Rubeis (Codex der
Marciana Cl. X lat. 132) gewesen, der daneben ja aber auch
(cf. oben S. 485) den Cod. Utinensis benutzt hat. Am schwierig-
sten ist es, über den Codex der Marciana Cl. XIV lat. 46 und
sein Verhältnis zu den übrigen Handschriften ins Reine zu
kommen. Bezeichnend ist, dass auch ihm bei 1345 die Worte :
'De morte — Pellegrini' fehlen und überhaupt am Schluss die
Ordnung dieselbe verkehrte ist^ wie bei ßellonus, so dass man
annehmen möchte, auch er gehe auf des Bellonus Autograph
(und damit wenigstens indirect auf den Codex Utinensis) zu-
rück. Daneben scheint er aber auch das Original selbst oder
eine aus demselben geflossene andere Handschrift noch benutzt zu
haben, da ein paar Worte und Lesarten allein hier überliefert
sind*. Oder sein Autor — Passerinus? — hat aus anderen
Quellen noch Einiges hinzugefügt, wie in der That sich leicht
nachweisen lässt, dass einzelne Ausdrücke und Wendungen
ohne allen Zweifel von dem Autor der Handschrift selbst nach
eigenem Gutdünken umgewandelt wurden, so z. B. vitam age-
rent st. ducerent, ut fatebatur st. dicebatur, viam st. stratam
u. s. w.
Nehmen wir also an, der Codex Utinensis (= 1) sei abge-
schrieben von dem uns unbekannten Original x, das Autograph
1) Monumentenausg. p. 222 n. c ; cf. Eubeis p. 28. 2) Die Worte
'seu — alius' sind (im Autograph des Bellonus) mit hellerer Dinte bei-
gesetzt und mit eben dieser dann auch die Worte 'Descriptum per me
A. Belionum notarium' geschrieben. 3) Cf. unten zu p. 213 1. 27,
217 1. 14.
32*
488 H. Simonsfeld.
des ßellonus (= 2) sei eine directe oder indirecte Abschrift
von 1, während es selbst wieder Vorlage war soAvohl für Rubeis
(= 3), der daneben 1 direct benutzt, als für die Abschrift
im Cod. Marcianus XIV, 46 (= 4), der daneben eine auf
das Original direct zurückgehende Vorlage y vor sieh gehabt
oder aus anderer Quelle Einzelnes hinzugefügt zu haben
scheint, dann ergiebt sich folgender Stammbaum :
X (Original)
(1) Cod. Utin.
Ant. Bellonus (2) Rubeis {o)
Rubeis (3) Cod. Marcianus (4)
Wiederholen wir also das Ergebnis dieser Untersuchung:
die Arbeit der Brüder lulianus und Johannes reicht bis 1315
(excl.) ; von da an hat die Nachrichten bis 1331 imd dann von
1348 — l364Passerinus ^seu quisquis fuerit alius' (am wahrschein-
lichsten aber doch Passerinus) aus dem Cividaleser Nekrolo-
gium hinzugefügt und dieser schliesslich aus einer anderen
Handschrift (des lo. lac. de Venustis) noch ein paar Notizen
aus den Jahren 1343 — 1345 beigegeben.
Auch textlich in Bezug auf die einzelnen Lesarten ergiebt
nun eine Vergleichung aller dieser Handschriften mit dem
jetzigen Druck mancherlei Differenzen. Vieles was in den
Noten als bei Rubeis fehlend angeführt wird, findet sich über-
all; um ein recht bezeichnendes Beispiel anzuführen: p. 208
lin. 18—21: der Passus über die den Venetianern von den
Genuesen beigebrachte Niederlage im September 1298 steht
sowohl in allen übrigen Handschriften, wie auch insbesondere
in der Abschrift von der Hand des Rubeis im Cod. 132 Cl. X
lat. der ]\Iarkusbibliothek fol. 99 und ist von Rubeis beim
Druck gewiss nur aus Rücksicht auf die Venetianer unter-
drückt Avorden. Ungerecht hingegen ist die Beschuldigung,
Avelche Arndt gegen Rubeis erhebt, dass er die Reihenfolge
der Jahre gestört habe, die im Codex autographus zweifels-
ohne richtig gewesen sei, da auch die Ann. abbrev. überall
die richtige aufzeigten. Alle Handschriften weisen dieselbe
Unordnung in der Reihenfolge der Jahre auf, wie der Druck
bei Rubeis, der das übrigens selbst auch wohl gemerkt. Denn
in dem Autograph des Rubeis (== 3) findet sich zweimal eine
darauf bezüghche Randbemerkung: 'redit scriptor in seriem
chronol.' und: 4terum series chronol(ogica) interrump(itur) et
infra saepius'. Aus welchem Grunde dieses chronologische
Bericht über einige Reisen nach Italien. 489
Durcheinander entstanden ist, vermag ich nicht anzugeben und
wird sich bei dem Fehlen des Originals auch nicht mehr fest-
stellen lassen. Vielleicht waren spätere Eintragungen oder
Versehen der Abschreiber daran Schuld, eine sachliche Ver-
theilung des Stoffes gab dazu wohl kaum Veranlassung.
Uebrigens kommen auch in den Ann. abbrev. einzelne Ab-
weichungen von der Reihenfolge vor und die bessei'e Ordnung
in diesen beweist insofern nichts, als der Verfasser der Ann.
abbr. ja leicht selbst die ihm nöthig scheinenden Umstellungen
vornehmen konnte. In Cod. 4 sind übrigens dabei einige
Sätze (p. 209, 7 — 24 und 211, 18 — 27) ganz verloren gegangen!
Es ist hier nicht der Platz, nun etwa alle Varianten der
Handschi'iften oder Correkturen an dem Druck wiederzugeben,
nur die Avichtigeren sollen hier im Folgenden mitgetheilt
Averden, wobei ich die jetzige Ordnung in der Monumenten-
ausgabe beibehalte.
p. 196 1. 32 ist zu lesen: infra viginti dies initium st. dies.
Initium.
p. 196 1. 38 quidam st. quibusdam.
p. 197 1. 5 dieDominico tercio intrante Aprili st. decimo
tercio, was vollkommen richtig ist und auch
mit den Ann. abbr. übereinstimmt.
p. 197 1. 14 procurato tarnen prius per.
p. 197 1. 17 postea Civit. confirmatum.
p. 198 1. 2 die 4. lulii.
p. 198 1. 11 arborum atque frondes cum plantibus (1;
plantis 4).
p. 198 1. 12 ut fatebatur st. ferebatur.
(p. 198 1. 28 sicut burgus pontis st. cum.).
p. 199 1. 17 potente Cormons comiti (was ganz richtig).
p. 199 1. 25 inter domnum R.
p. 200 1. 2 destruxit indifferenter.
Ueber die Theuerung 1276/77 hat Cod. 4 eine von allen
anderen Handschriften abweichende Lesart: (p. 200 1. 8: et
tantum silligo et pluris, surcum 24 et 26 denariis. Item die
sabbati 15. Februarii i silligo et faba 42 et 44, milium 37, sur-
cum 28 et quia ascendebat iinaliter positum fuit (etc. = p. 200
l U).
p. 200 1. 15 communiter et concorditer (st. generaliter).
p. 200 1. 24 que tunc cudebatur, differret (4).
p. 200 1. 29 diesmannis (st. diocesanis in allen Hand-
schriften).
p. 200 1. 40 habiturus (hiturus st. habendum 1 ; habita-
turus 4).
1) Dieses Datum stimmt aber nicht; denn der 15. Februar 1277
fiel auf einen Montag.
490 H. Simonsfeld.
p. 201 1. 17 1279 falle Handschriften).
p. 201 1. 30 De verra Istriae cum Venetis.
p. 201 1.33 Veneti detinebant iniuste» lustinopolim.
p. 202 1. 1 plures conventus Civitatis . . . Francisci vene-
runt (st. convenerimt Civitatem .... Fran-
cisci. Venerunt) 4 = Ann. abbrev.
p. 202 1. 17 Florem st. Florendam.
p. 202 1. 19 Lenardinam st. ßemardinam.
p. 202 1. 24 die sabbati 7. intrante Oct. (st. 6, richtig). De
morte sonescalchi R(aimundi) patriarche (st.
Rubei son.)
p. 202 1. 27 Merquarducii(Marquardusii4st.Merquanducii).
p. 202 1. 36 nach missam in 4 eingeschoben : et qu, (Lücke,
Dominicus?) 1246 fuit in santos (sie) rela-
tus ab Innocentio P. IUI.
p. 203 1. 5 Quae curia duravit octo diebus ludi et curia-
les 4 ; diebus. Lutrici et curiales 1 und 3 (st.
diebus. ßurgenses et curiales),
p. 203 1. 19 usque ad XXV seu XXVI 1, usque ad
annum XXVII 4, usque ad XXV 3.
p. 203 1. 26 debuerint st. debuerunt.
p. 203 1. 30 voce praeconia st. preconis.
p. 203 1. 45 castrum Mucou 1, Muceu 4 (st. Mucon).
p. 204 1. 26 fulungi (st. fulugni).
p. 204 1. 34 curtina (st. cortina).
p. 204 I. 35 Cirvignani (st. Cerv.) und so später.
p. 204 1. 38 Istrie cum Venetis per d. R(aymundum st.
reverendissimum).
p. 204 1. 49 per se (zweimal st. pro se).
p. 205 I. 1 millia (zweimal st. mille).
p. 205 1. 1 1 ut Tergestinis (st. Tergestum).
p. 205 1. 15 8. die intrante lunio (st. 7).
p. 2Ö5 1. 24 pre nimia festinatione et solicitudine (st. per
nimiara etc.).
p. 205 1. 26 que orania quasi . . . (Lücke) Tergestini.
p. 205 1. 37 quasi decem.
p. 205 1. 40 deinde inceperunt (st. cep.).
p. 205 1. 45 terrae predictae.
p. 205 1. 46 acceperunt (st. ceperunt),
p. 206 1. 8 Muquou 1, Muchou 4 (st. Muquon).
p. 206 1. 20 qui elegerat (st. elegit).
p. 206 1. 51 quoniam domnus Odolricus (st. qua).
p. 207 1. 2 Art. fil. dom. Francisci de Favulis, Vidottum
de Fagedis et alios 1, Art. fil. d. Fedrici de
Varmo, . . . (Lücke) filium d. Francisci de
Favulis, Vidottum de Fagedis 4.
1) Fehlt bei Rabeis wieder aus Rücksicht auf die Yenetianer.
Bericht über einige Keisen nach Italien. 491
p. 207 1. 16 Girardo (st. Gerardo).
p. 207 1. 25 esse concordes (st. se concordare).
p. 207 1. 32 ripaCormou 1 (und 3), Cormori4(8t. Cormor).
p. 207 1. 39 Neapoli et Bonifatius papa electus fuit 4.
p. 208 1. 3 die 10. exeunte (st. 5) lunio (st. lanuario) 4,
ebenso 1. 6.
p. 208 1. 12 supra Utinura (st. super).
p. 208 1. 18 lanuensium (st. Gen.) und so später.
p. 208 1. 21 plurimi per lanuenses predictos.
p. 208 1. 27 versus occidentem und darüber: meridiem 1. 3.
p. 208 1. 35 Oymg (st. Oyng).
p. 208 1. 36 Basalgella 1. 3, Basalgiela 4, Basaldella 3 am
Rand.
p. 208 1. 50 Buia cum st. Buianum.
p. 209 1. 6 qui confirmatus.
p. 209 1. 21 de cuua (curia?) maiori 1 (st. cruce).
p. 209 1. 27 eo quod dicebatur (st. dicebat).
p. 209 1. 46 castra destrui (st. dirui).
p. 209 1. 47 Domini currente.
p. 209 l. 48 continuis diebus (st. continue).
p. 210 1. 18 die 5 intrante lulio (st. lunio alle Hdschr. !).
p. 210 1. 22 curtina (st. cort.), extunc (st. tunc).
p. 211 1. 15 Rosaciis (st. Rosacis).
p. 211 1. 39 Ortumburch 1. 3, Ortumburg 4.
p. 211 1. 45 die 6. Augusti (st. 4. Aug.).
p. 211 1.48 domini . . . (Lücke) ducis.
p. 212 1. 11 Miduna (st. Meduna).
p, 212 1. 24 quod relaxaret (st. qui) 1.
p. 212 1. 42 Nicolaus de ßudrio.
p. 212 1. 45 in qua etiam combusti fuerunt (st. in qua
ecclesia combusserunt),
p. 213 1. 27 recludi (st. retrudi) 1. 2. 3. 4; et Lupum
Pessimum nepotem d. Asquini fecit recludi 4.
p. 214 1. 5 diei hoc modo 1 (ohne Lücke).
p. 214 1. 6—9 De grandi tempestate — damnum, vorhan-
den in 1 und 3; fehlen in 2 und 4.
p. 214 1. 15 de Glemona (st. Glemonae).
p. 214 1. 28 cum Paulo Boyani (st. Boyano).
p. 214 1. 38 indicavit (st. denunciavit).
p. 214 1. 41 de Neuuas (st. de treuvis) 1. 2. 4; Neuuis
und am Rand: an? Neuuas 3 (Neuhaus?).
p. 215 1. 2 domini (st. dominae) 1.4.
p. 215 1. 17 ivit Glemonam (st. fuit Glemone),
p. 215 1. 23 Gramoulanum (st, Grammolanum).
p. 215 1. 25 videlicet die sabb. (st. ipso).
p. 215 1. 29 Domno vero patriarcha.
p. 215 1. 34 Tolanum (st. Troianum).
492 H. Simonsfeld.
p. 215 1, 42 ipsam habuerunt (st. ipsum).
p. 215 1. 42 et ipsa depredata (st. ipsam depredantes).
p. 216 1. 2 ille (st. iUi) 1.
p. 216 1. 4 in Castro Montrial (st. castrum).
p. 216 1. 11 ivit Aquileiam (st. fuit Aquilegiae) 1 und 4.
p. 216 1. 16 Aq. ecclesie (st. curie).
p. 216 1. 21 Babanic 1. 2, Bubaniz 4 (st. Babanich).
p. 216 1. 22 ivit Placentiam (st. fuit Placentie).
p. 216 1. 24 facta concordia (st, conventione).
p. 216 1. 28 De locustis 1 = 2 (längere Redaktion), 2. 3. 4
= 1 (kürzerer Passus).
p. 216 1. 29 maximo (st. magno) 2.
p. 216 1. 45 et etiam volebat.
p. 216 1. 50 Grazani (st. Grezani) 1. 4.
p. 217 1. 4 quis suus erat 1. 2. 4.
p. 217 1. 14 die 6. exeunte Novembri (st. Septembri) 4
(scheint das Richtige, da im Vorhergehenden
auch Ereignisse des Novembers 1309 erzählt
werden),
p. 217 1. 15 Artencam (st Artiniam) 1. 4, Arth» 2.
p. 217 1. 16 dimisit (st. demisit ) 2. 3 ; permisit 4.
p. 217 1. 21 quam pecuniam (st. cui pec).
p. 217 1. 29 licet (st. cum).
p. 217 1. 31 iuvaret quilibet (st. iuvare quemlibet).
p. 217 1. 46 Pertestang 1. 2. 4 (st. Pertestans).
p. 218 1. 11 iverunt (st. fuerunt) 1. 2; ivit 4.
p. 218 1. 15 exierunt (st. recesserunt) 1. 2. 4.
p. 218 1. 21 Arisperch (st. Ansperch) 1. 2. 4.
p. 218 1. 32 CO quod (st. quia).
p. 218 I. 36 illustris dominus 1. 4.
p. 218 1. 39 Susayns (st. Susanis) 1. 2; Susans 4.
p. 218 1. 41 die 20. Nov. (st. 2. Nov.) 4 (irrig entstanden
aus 2^* Nov., wie z. B. in 1 geschrieben),
p. 218 1.48 terminis fst. taxis) 1. 2.
p. 219 1. 15 rediit inde (st. enhn = 2) d. comcs die 1,
rediit tarnen d. comes die 4.
p. 219 1. 20 quia (st. quin),
p. 219 1. 22 Arquat (st. Arquar) 1. 2. 4.
p. 219 1. 27 commode interesse(st, commode.Interea)1.2.4.
p. 219 1.39 et etiam precibus (st. et ex parte) 1. 2. 4;
et ex partibus 3.
p. 219 1. 43 bene (benevole 4) et gratiose.
p. 220 1. 5 factum fuit in Civ.
p. 220 1. 12 Artencam (st. Arteniam) 1, Arthencani 2,
Artheneam 4.
p. 220 1. 15 ivit ante Gl. (st. fuit) 1. 2. 4.
p. 220 1. 23 prescripto (st. predicto).
p. 220 1. 30 lulio et liberata fuit tali 4.
\
Bericht über einige Reisen nach Italien. 493
p. 220 1. 32 steterunt (st. debuerunt) 1. 2, statiierunt 4.
p. 220 L 32 pro damnis habitis 1. 2. 3.
p. 220 1. 36 Uli domini de Mui-ucio 1. 2, Morutio 4.
p. 220 1. 41 Cumpice 1, Zumpite (?) 2, Zumpis (corr.) 3,
Zumpittae 4.
p. 221 1. 1 filii (St. filiis) 1.
p. 221 1. 1 Grisimpach 1, Grisipach 2. 4.
p, 221 1. 6 super turrim (st. supra) 1. 3. 4.
p. 221 1. 8 EberstajTi 1. 2. 4.
p. 221 1. 8 cum dominorum (st. dominis) 1. 2. 4.
p. 221 1. 15 strassinatus (st. strascin.).
p. 221 1. 26 die 2. Nov. (st. 12) 4.
p. 221 1. 28 u. 33 Dintilinum, Dintilini (st. Vintil.) 1.
p. 221 1. 30 Daynesius (st. Dionysius) 1. 2. 4 = Annal.
abbrev.
p. 221 1. 37 tripud 1, tripud. 2, tripudiando 4 (st. tripudii).
p. 221 1. 45 die 5. intr. (st. 15) 4.
p. 221 1. 46 ßartholomeus 1 (bth'eus), 2 (undeutlich) 4
(st. Petrus) = Ann, abbrev.
p. 221 1. 47 furtive (st. furtim) 1. 2. 4.
p. 222 1. 1 et hi (st. ii) 1. 4.
p. 222 1. 23 Pinzanura et eodem anno secuta est deditio
Pinzani 4.
p. 222 1. 23 Celano 1, Colano 2. 4 (st. Colacio),
p. 222 1. 24 accipiendum (st. accipiendam) 1.
p. 222 1. 29 scripturis (st. scriptis) 4,
p. 222 1. 30 Vrauspergo (st. Urauspergo).
p. 222 1. 32 Matheusius (st. Matthiusius) 1 = Necrol. Ci\dd.
(Eubeis p. 43").
p. 222 1. 34 accipiebant (st. accipientes) 4.
p. 222 1. 35 princeps dominusque serenus dominus 1 =
Necrol. Civid. (cf. unten).
* *
Im ÄDschluss hieran mochte ich noch mehrere der wich-
tigeren Varianten und Ergänzungen zu dem Abdruck der
Annales abbreviati bei Rubeisi aus dem Original im
Cividale hier beifügen, das sich, wie oben 2 erwähnt, am Schluss
des mehrerwähnten alten Nekrologiums (Nr. 43) findet,
p. 37^^ 1267 (st. 1257): impositus fuit primus lapis domina-
rum Cellarum.
1268 (3. Juli) : per insidias ei impositas (st. interp.)
1269 (letzte Zeile): Wodoh-icus (st. Woldoricus).
p. 38» 1270: ut fatebatur (st. ferebatur).
1272: dirrui fecit pontem.
p. 38^ 1276: deferendo queque (st. quidquid).
1) Monum. Eccl. Aq. Appendix p. 37 ff. 2) Cf. S. 477.
494 H. Simonsfeld.
p. 38^ 1276: et tarnen (st. tantum).
1277 (die lovis 5. ex. Maio): cum prelatis, diesmannis
et nunciis.
1277 (die 11. intr. Sept.): amputari sententialiter.
1278: afflictu (st. confl.)
1283 (vorletzte Zeile) : Venetos qui detinebant iniuste
lustinopolim et alias terras Istrie et iura spec-
tantia ad ecclesiam Aquilegense m.
p. 39« 1283: solvi deberentur 20 solidi (st. debere 20 solidos).
1284 (die lov. ex. lan.): conventus Civitatis . . . vene-
runt (st. convenerunt Civitatem . . . Vener,),
emerant st. eraerunt; ipsi st. tunc.
1284 (die 4. lun.): S. Clarae primo (st. Dominae), soro-
ribus olira de Poloneto (st. consororibus alias de
dicto Pol.), et eas consecravit.
1287: equitum st. equorum, patrera episcopum st. p.
Dominum,
p. 40* 1294: apud Aquilam st. Apuliam.
1299 (in m. Maii): pro ampliando quod erat par-
vum nimis.
1299 (in f. S. loh. ßapt.) : et proieeit ad terram crucem
(st. pervenit ad tertiam crucem); dixerant (st.
dixerunt).
1300: peccatorum suoinim excepto peccato usure.
1301: grossis st. grossa.
p. 40'' 1305 (in f. S. Blas.): pomiferis st. pro miseris.
1305 (ult. lunii) : extrinseci fecerant (st. extrinsece
fecerunt) ; armatorum st. armati.
1306: Ouinstain st. Ouystain; obsedit st. obsederunt;
ante terciam st. auroram ; et fratres de ßudrio;
nach et plures nur Platz für wenige Worte: et
fuerunt Ütinum ducti; dann sogleich: illos de
Budrio; den Passus Deinde Dominus — in Ka-
rinthiam hat Rubeis, da er die verblassten Worte
nicht lesen konnte, aus den grossen Annalen er-
gänzt; carcerari st. recludi; die Dominico ver-
blasst, ich lese: maximo.
(letzte Zeile): Porpeti qui tamen . . .
p. 41* 1308: Walterpertoldo st. Wartp.; Luvisini st. Luisini;
Thomasutus st. Thomasinus ; proieci fecit st. per-
cuti f.
1309: statim obsedit Zucculam; proiciebatur st. percu-
tiebatur (vorletzte Zeile),
p. 41'' (3. Zeile): in de recessit.
(5. Absatz): ille de Parisio st. illi de Sacillo.
1309 (de m. hm.): ubi etiam (st. et) ; dampnum blada
corredendo, fenum etherbas inmomento.
Bericht über einige Reisen nach Italien. 495
p. 41'» 1309 (die 2 post f. S. Mart.) : intravit (st. intraverunt)
Utinum per portam Grazani (st. Grez.); omnibus
portis terre excepta illa Grazani quam (st.
quia) — d. d. N. proiecerat (st. perexerat) timens
quod advenit (st. advenire), omnes conversi
sunt in fugam . . . remanserunt XIII mortui.
1309: sunt (st. fuerint) ditati.
p.42ä (1315): die quarto decimo (st. quintodec.) intrante April.
1315: (die 13. intr. lul.): apud domum (st. ad); Eber-
stayn st. Erbest.
1320 : Vintilinum st. Vincil. ; preliari st. preliare ; Hermo-
lianus et Daynesius (st. Hermolaus et Daynetius);
keine Lücke vor patriarcha.
p. 42*» 1323: hora vespertina tripudii; in Tervisio.
1327: in dicto burgo et fregit hostia ecclesie et
duxitbancum cumlibris, calice et para-
mentis et omnia;
revoluta sunt et pons Civitatis ex saxis et
lapidibus confectus dirruitur, unde
magnum fuit dampnum; et tamen Dei
gratia nullus mortuus est nisi mulier
una bene LX annorum et ultra, quam
aqua conduxit (ein Wort unlesbar) super
monumentum sancti Marci(?) in eccle-
sia supradicta.
1331: Pogna st. Progna; hü (st. ii) qui primo; extrinseci
(st. extrinsece) ballistabant; proieientes vasa
(? st. praecipitantes casas); posita (st. positae);
terga verterunt.
Der bei Rubeis App. p. 44 vor n. X, 3 ausgelassene Passus
vom Jahre 1364» lautet:
Egregius princeps dominusque serenus dominus Ludovicus
de la Turri divino auxilio fultus cum suorum fidelium solicita
cura fecit ruinari funditus castrum Cucule dominorum de Speg-
numbergo vigente nobili fortitudine illustrissime Civitatis Austrie
generosorum grandis probitatis virorum. Cum eorum commu-
nitatis gente audaci primopili quoque semper ferientes omnium
aliarum terrarum et locorum virtutis ac gloriose fidelitatis
triumphale perpetuum ' obtinent principatum, dum christianorum
natalicius domini milesimus trecentesimus sexagesimus annus
probaretur et quartus, inditio secunda ac mensis Novembris
lux esset vigesiraa quarta.
1) Cf. oben S. 486 nnd Monumentenausgabe p. 222 lin. 35. 2) Un-
deatlich.
XIII.
Ueber die Columban-Briefe.
Von
Wilhelm Gundlach.
I.
Die prosaischen Briefe.
A. Die Leberlieferung.
Als Briefe des Begründers der Klöster Luxeuil und Bobbio,
des Abtes Columba oder Columbanus, sind zuerst in den
^CoUectanea sacra', welche von dem Minoriten Patrik Fleming
herrühren, aber erst nach seinem Tode von einem Ordensbruder,
Thomas Sirin, im Jahre 1667 herausgegeben sind (p. 108—164) ',
die folgenden fünf Schreiben veröffentlicht worden:
1. an einen ungenannten Papst: 'lam diu omnes',
2. an Bischöfe und Geistliche Galliens, welche zu einer
Synode zusammengetreten sind: 'Gratias ago Deo',
3. an die in Luxeuil zurückgelassenen Mönche und ihren
Leiter Attala: 'Pax vobis sicut',
4. an Papst Bonifatius IV. und seine Geistlichkeit : *Quis
poterit glaber',
5. an Papst Gregor I. : 'Gratia tibi et'.
Dazu hat Bruno Krusch in dieser Zeitschrift (X, 84) einen
in der Pariser Handschrift 16361 gefundenen Brief hinzugefügt :
1) Ausführlicher lautet der Titel des mir von der Königlichen
Bibliothek in München gütigst nach Berlin übersandten Werkes : *R. p. f.
Patricii Flemingi Hiberui ordinis fratrum minorum strictioris observantiae
olim sacrae theologiae lectoris Collectanea sacra seu sancti Columbani
Hiberni abbatis, magni monachorutn patriarchae, monasteriorum Luxo-
viensis in Gallia et Bobiensis in Italia aliorumque fundatoris et patroni,
necnon aliorum aliquot e veteri itidem Scotia seu Hibernia antiquorum
sanctornm acta et opuscula, nusquam antehac edita, partem ab ipso bre-
vibus notis, partem fusioribus commentariis ac speciali de monastica
sancti Columbani institutione tractatu illustrata . . . per v. a. p. f.
Thomam Sirinum in Lovaniensi collegio sancti Antonii de Padua eiusdem
ordinis et provinciae Hiberniae s. theologiae lectorem iubilatum recens
castigata et aucta'. Aus der 'Brevis notitia de collectore' geht hervor,
dass Fleming die Collectanea schon im Jahre 1631 druckfertig hatte.
Die Maxima bibliotheca veterum patrum (Lugduni 1677) liefert im XII.
Bande p, 24 — 32 einen Nachdruck, welcher um die erläuternden An-
merkungen verkürzt ist.
500 Wilhelm Gundlach.
6. an einen Papst, wahrscheinlich Bonifatius IV.: 'De
soUempnitatibus et*';
und endlich möchte ich ein von Fleming (p. 77) als ein Kapitel
der Instructio Columbans geführtes Stück als reinen Brief in
Anspruch nehmen, also noch aufzählen:
7. an einen ungenannten Schüler : 'Cum iam de' '.
Um das zur Herausgabe der ersten fünf Briefe und des
siebenten erforderliche handschriftliche Material zu beschaffen,
habe ich mich zunächst an eine von Krusch (N. A. IX, 147
Anm.) gemachte Angabe gehalten: 'Die Handschrift der Briefe
Columbans Avar ehemals in Bobbio und ist jetzt wohl in Turin:
Univers. Bibl. n. 78 in 8" s. X. ; eine Abschrift enthält der
Sangall. 1346 s. XVII.' Aber die Güte des Herrn Professors
Grafen Carlo Cipolla in Turin, welcher mit rühmenswerther
Geneigtheit sich der Wünsche der MG. annahm, hat mich
darüber belehrt, dass nur eine einzige Handschrift der Turiner
Universitäts -Bibliothek, der aus dem zehnten Jahrhundert
stammende Codex G. V. 38 — so lautet die neue Bezeichnung
der von Krusch angeführten Handschrift — in Betracht kommen
kann, dass darin die ersten fünf Briefe aber nicht enthalten
sind. Denn obgleich die Ueberschrift (fol. 90) : 'In nomine
sancte trinitatis über epistolarum sancti Columbae abbatis
1) Dass dieses ohne Verfassernamen überkommene Schreiben in
Wahrheit von Columban herrührt, dafür hat Krusch (a. a. O. S. 88) sich
schon mit Recht auf das ähnliche irische Latein der Columban-Briefe
berufen und weiter geltend gemacht, dass die Worte 'hanc scribiciunculam
diviti pauper, peregrinus tibi scribere non timui' mit der Aufschrift des 4. an
Papst Bonifatius gerichteten Briefes Columbans verglichen werden darf,
wo es heisst: 'extremus primo, peregrinus indigenae, pauperculus prae-
potenti . . . scribere audet Bonifacio patri Palumbus'. Ausserdem kann
aber wohl noch angeführt werden, dass der Gedanke, welcher das Prius
der 'veritas' zum Gegenstande hat und in die Worte gekleidet ist: 'ut
veritas figuram . . . praecedat', auch am Schlüsse des 5. Briefes begegnet:
'semper antiquior est veritas, quae illum (sc. errorem) reprehendit', ferner
dass die Bezeichnung 'umbralis observancia' der falschen Auffassung in
der Osterfrage etwa dem in 'tenebrosum' zusammengefassten Urtheil d^
5, Briefes entspricht, dass endlich in einer Erörterung über die Kirchen-
feste auf die 'octava beatitudo' verwiesen wird und ihre Erwähung auch
in dem 2. der Osterfrage gewidmeten Briefe begegnet. 2) Krusch hat
gemeint (N. A. X, 84), in der Pariser Handschrift 13440 noch einen
andern, bisher unbekannten Columban-Brief gefunden zu haben, welcher
mit den Anfangsworten: 'O tu vita humana fragilis et mortalis' auf das
fünfte Kapitel der Instructio verweise; da indessen Krusch die Identität
beider Stücke ausdrücklich in Abrede gestellt hat, indem er bemerkte:
'Der Inhalt scheint sich mit dem fünften Sermo des Columban bei Rossetti,
Bobbio illustrato II, 38 de vanitate humanae vitae : 'O tu vita quantos
decepisti, quantos seduxisti etc.' ungefähr zu decken' und 'dürfte noch
unbekannt sein', so habe ich mir von Herrn A. Molinier eine Abschrift
des fraglichen Stückes verschafft, aber wahrnehmen müssen, dass bis auf
geringfügige Verschiedenheiten das Stück eben das fünfte Kapitel der
Instructio Columbans ist.
Ueber die Columban-Briefe. 501
incipit' dreizehn briefähnliche Abschnitte einführt und (foL 124)
die Nachschrift : 'Finiunt epistolae. Ora pro me quicumque
legeris, iit Domini misericordiam habere merear' sie gegen die
folgenden Stücke abgrenzt, so behält doch ein vor der erwähnten
Ueberschrift stehender Vermerk: 'Incipit instructio sancti
Columbani abbatis ad monachos de sede' Recht: es sind die
dreizehn Kapitel der Instructio. Daran schliesst sich (fol. 124),
angekündigt durch: 'Incipit de octo vitiis principalibus', das
von Fleming (p. 104) abgedruckte Stück: 'Octo sunt vitia
principalia', dann (fol. 125) nach der Bemerkung: 'Incipit de
penitentia' der erste Theil des von Fleming (p. 91) so genannten
'Liber seu ti-actatus de modo seu mensura poenitentiarum' :
'Poenitentia vera est', darauf ohne Vorwort der siebente Columban-
Brief: 'Cum iam de' und endlich (fol. 128) gleichfalls ohne
Einleitung der zweite Theil der Schrift de modo seu mensura
poenitentiarum : 'Diversitas culparum' ohne Abschluss, da fol. 130
jetzt das letzte der Handschi'ift ist, die folgenden aber verloren
gegangen sind.
Unter diesen Umständen war ich für die ersten fünf Binefe
auf die späte Sanct- Galler Handschrift und auf die wenig-
jüngere Editio princeps angewiesen.
Zuerst von der Ausgabe Flemings zu reden, so sind dafür
von ihm selbst zwei Handschriften des Klosters Bobbio benutzt
worden: die eine enthielt die dreizehn Kapitel der Instructio
und die vier aus der Turiner Handschrift angeführten Stücke,
die andere die unter 1 — 4 aufgezählten Briefe ^
Die Verwandtschaft, welche die erste Handschrift in der
Zahl der Abschnitte mit dem Turiner Codex bekundet, erstreckt
1) In der Maxima bibl. Lugd. ist (XII, 2) wahrscheinlich aus einem
Briefe Flemings eine Mittheilung angeführt, welche die Ergiebigkeit der
Bibliothek des Klosters Bobbio an Columban-Schriften und -Schriftstücken
zum Gegenstande hat: 'Commentaria . . . sancti Columbani in evangelia
extitisse non ita pridem, si recte memini, intellexi ex ipso Bobiensis
coenobii bibliothecario sene, qui et alia plura sancti Columbani monu-
menta sub Paulo V. partim Romam, partim Mediolanum ex eodem mona-
sterio transportata conquestus fuit; ex quibus pro memoria tanti patris et
fundatoris tantum remansit — illius senis industria — codex ille, in
quo . . . Sermenes continentur cum Regula monastica et Libro poeniten-
tiarum, item alius liber, in quo ipsius sancti epistolae aliquot collectae
extant'. Das Schreiben Pauls V. (1618 Nov. 3), in welchem dem Kloster
Bobbio der Dank des Papstes für die übersandten Codices ausgesprochen,
aber auch die Mahnung enthalten ist: 'ut, si qui alii restant, ad nos
mittatis, vel, si ex aliis monasteriis nobis curare alibs valetis, omnino
curetis', hat Peyron in seiner Schrift Ciceronis oratt. fragm. p. XXIV und
auch Rossetti im dritten Bande seines Werke Bobbio illustrato p. 132
abgedruckt; aus dem angehängten Verzeichnis der nach Rom verschenkten
Handschriften ist leider nicht zu ersehen, ob auch Columban-Briefe in
einer enthalten waren.
Keues Archiv etc. XV. OO
502 Willielm Gundlach.
sich aber nicht auch auf die Reihenfolge; denn aus den Be-
merkungen, welche Fleming den einzelnen Stücken voran-
geschickt hat, geht hervor, dass den dreizehn Kapiteln der
Instructio als 14. Stück 'Octo sunt vitia', als 15. 'Cum iam de'
und endhch an 16. und 17. Stelle, freilich von einander
geschieden, 'Poenitentia vera est' und 'Diversitas culparum'
folgten. Es heisst nämlich (p. 77) : 'Relatis hactenus instructio-
nibus — die Kapitel der Instructio sind gemeint — in eodem
codice ßobiensi subditur tractatulus de octo principalibus
vitiis . . . , quem immediate sequitur . . . sermo sub exhor-
tationis titulo' ' — das ist der Brief 'Cum iam de'. Die 14.
Stelle wird dem tractatulus de octo vitiis mid die 15. Stelle
dem Briefe 'Cum iam de' auch durch die Bemerkung (p. 104)
bestätigt: 'canones illi poenitentiales — die Stücke 'Poeni-
tentia vera est' und 'Diversitas culparum' — hunc ipsum ti*acta-
tulum in dicto codice cum instructione decimaquarta praemissa
— in der Ausgabe Flemings beginnt das 14. Stück: 'Cum iam
de' — consequuntur'. Die Platzbestimmung wird vervollstän-
digt p. 92, wo von dem Schriftchen de modo seu mensura
poenitentiarum angegeben ist: 'sequitur in illo codice instructio-
nera supra positam ordine quintodecimam^ sub hac solum
inscriptione : 'Incipit de poenitentia . . . Dividitur autem prae-
sens Columbani opusculum in duos tractatus; primus incipit:
'Poenitentia vera est', secundus ibi : 'Diversitas culpanmi'. Dass
die Turiner Handschrift von der Vorlage Flemings verschieden
ist, wird auch durch die Fassung verbürgt, falls man die Ueber-
schrift: 'exhortatio' (des Briefes 'Cum iam de'), welche in dem
Turiner Codex fehlt, und z. B. (in demselben Stücke) die
Wendung: 'quibusdam perfectio efticitur', welche in der noch
vorhandenen Handschrift am Ende durch 'morum' verv'ollstän-
digt wird, als scheidende Besonderheiten ansieht,
Ueber die zweite von Fleming benutzte Handschrift heisst
es (p. 108) nur: 'Quae sequuntur . . . sancti Columbani epi-
stolae ... ex pervetusto, sed mendoso satis bibliothecae
1) Indem er dann weiter von dem Sermo sagt: 'videtur awtem ad
instar epistolae fuisse directus a Columbano ad quendam ministrum suum',
erkennt er richtig die wahre Eigenschaft des Stückes, welche von Gallandi
(Bibl. vet. patr. XII, 342), dem Nachtreter der Maxima bibl. Lugd., und
von Migne (Patrol. lat. LXXX, 256), dem Nachahmer Gallandis, dadurch
verwischt worden ist, dass das Stück ohne weiteres als vierzehntes Kapitel
der Instructio geführt wird. 2) Die Zahl muss offenbar in 'quartam
decimam' umgewandelt werden, denn die von Fleming als 'Instructio XV.'
(p, 82) gebrachte Auseinandersetzung: 'In ecclesia Dei' steht in keiner
Bobienser Handschrift ('nee eins exemplar in codicibus Bobieusibus repe-
rire potui'). Hertel (Zeitschrift für die bist. Theol. XLV, 425) erwähnt,
dass diese Predigt schon für unecht gehalten worden ist, 'da sie in
keinem Codex eich findet, sondern nur von Lucas Wading mitgetheilt ist'.
Ueber die Columban-Briefe. 503
Bobiensis codice transsumptae sunt, cuius mendas abstergere
nos prohibet correctiorum exemplarium penuria' *. Es ist
dabei zu bemerken, dass wenigstens die vier ersten Briefe
wohl nach ihrer Folge in der Handschrift angeordnet sind 2,
dass aber der 5. Brief 'Grratia tibi et' gar nicht von Fleming
veröffentlicht, sondern von dem Herausgeber seiner nachge-
lassenen Collectanea, Sirin, aus einer anderen Handschrift hin-
zugefügt worden ist 3.
Die dem siebzehnten Jahrhundert angehörende Papier-
handschrift der Stiftsbibliothek zu Sanct-Gallen n. 1346* ent-
hält in der Abschrift des Jodocus Metzler nach acht leer
gelassenen Blättern auf den ersten 58 Seiten die dreizehn
Kapitel der Instructio Columbans, eingeführt durch die Be-
merkung: 'Incipiunt instructiones seu epistolae sancti Colum-
bani abbatis transcriptae ex manuscripto codice monasterii
1) Fleming' hat aber Nachricht von dem Vorhandensein noch anderer
Columban-Briefe; denn er fahrt alsbald weiter fort: 'Porro praeter iam
memoratas et hie subiectas epistolas extant aliae plures eiusdem sancti
tum ad Gregorium Magnum, tum ad praefatum Bonifaeium (IV.) trans-
missae, quarum omnium non est adhuc nobis facta copia'. 2) 'CoUec-
tor ... in iis collocandis spectasse videtur ordinem, quo eas in manu-
scripto invenit', sagt Sirin p. 160. 3) Sirin bemerkt über den 5. Brief
p. 157: 'Ceterum epistolae, ut hie iacet, sensum in multis evertunt mendae
crebrae et fere inemendabiles nisi collatione melioris manuscripti, quae
causa fuisse videtur P. Flemingo eam in sua collectione
praetereundi; verum ego seorsim repertam, quia nimis sero
ceteris epistolis iam tunc imprimi coeptis adiungendam
resolvi, eam malui . , . prodire etc.' — Einige wenige Stellen in der
Editio princeps könnten zu der Annahme verleiten, dass der Herausgeber
für den 2. 3. und 4. Brief noch andere als die eine Handschrift, zu
welcher er sieh bekennt, gehabt und nachträglich aus ihnen am Rande
Lesarten vermerkt habe: es heisst nämlich zu der Wendung des 2. Briefes
*ut omnes mundum horremus' am Rande 'al. horreamus' und im
3. Brief zu 'licet materiae magnitudine protendi longius compellitur'
an der Seite 'al. compellatur' — zumal in dieser Weise in früheren
Jahrhunderten Lesarten eingeführt zu werden pflegten. Aber da 'hor-
reamus' und 'compellatur' die regelrechten von 'ut' und 'licet' erforderten
Conjunctive sind, so wird schon dadurch der Verdacht erregt, dass es
lediglich Verbesserungsvorschläge des Herausgebers sind. Befestigt wird
man in dieser Auffassung durch eine andere Stelle des 3. Briefes; indem
hier nämlich dem Spruche: 'Qui enim non congregat, ait Dominus maus,
dispergit' ein 'al. mecum' an die Seite gegeben ist, wird damit nur die
Lesart der Vulgata (Luc. XI, 23) zum Ausdruck gebracht. Sicher aber
handelt es sich nur um eine Emendation im 4. Briefe, wo man zu 'in
diebus . . . ante etenim ac retro ineomparabilibus' am Rande 'al. et iam'
liest; denn in der Note ww bemerkt Fleming 'ita — ■ etenim — codex
manuscriptus ; sed putarem per mendam irrepsisse etenim pro etiam'.
Unter diesen Umständen wird man auch in dem nämlichen Briefe 'al.
tamen', 'al. nuncupato' und 'al. nitar' nur als Aenderungsvorschläge
für 'tantum', 'nancto' und 'inter' ansehen dürfen. 4) Die Handschrift
habe ich selbst hier in Berlin verglichen.
33*
504 Wilhelm Gundlach-
Bobiensis, litteris Hibernicis confecto' und abgeschlossen mit:
'Hie finiunt sermones sive epistolae sancti Columbani'. Dann
folgt noch auf p. 58 die Angabe: 'Scripsit praeterea sermonera
de caritate Dei et proximi', und daran schliessen sich, wenn
ich die einzelnen Stücke mit Nummern bezeichnen darf, an
15. 16. 18. 19. 20. 21. Stelle die Briefe 'Fax vobis sicut'
(p. 60), 'Cum iam de fp. 70), 'lani diu omnes' (p. 74), 'Gratias
ago Deo' (p. 77), 'Quis poterit glaber' (p. 88) und 'Gratia tibi
et' (p. 109): ihr Anschluss an die Instructio ist durch das 14.
Stück 'In ecclesia Dei' (p. 58) und ihre Reihe nur dm'ch das
17. Stück 'Octo sunt vitia' (p. 73) unterbrochen, und nach
diesem Stück für die vier letzten Briefe die gemeinsame Ueber-
schrift eingeschoben: 'Sequuntur epistolae quaedam sancti
Columbani scriptae ad diverses'.
p]s ist nicht wahrscheinlich, dass alle diese Stücke in der-
selben Handschrift gestanden haben, aus welcher Metzler die
dreizehn Kapitel der Instructio abgeschrieben hat. Dass aber
die Handschrift, in welcher er die letzten Briefe fand, auch
dem Kloster Bobbio angehörte, sagt er wiederholt selbst in
einer Anzahl von Randbemerkungen: so oft er nämlich etwas
erheblich anderes in den Text aufnalmi, als seine Vorlage ihm
darbot '. Diese Vorlage dürfte, da Metzler im ganzen einen
1) In dem Briefe 'Quis poterit plaber' glaubt Metzler zu einem
Satze 'homo', zu einem andern 'iudicio', zu einem dritten 'conipetit' er-
gänzen zu müssen: er thut es im Texte, bemerkt aber am Rande: 'In
Bob. omissum bomo', 'In Bob. omissa vox iudicio', 'In Bob. non babetur
haec vox competit'; oder in demselben Briefe scbeiiit ibm das Wort
'acuta' überflüssigf zu sein: er lässt es im Texte fort und sagt dazu am
Rande: 'In Bob. inserebatur acuta'; er treibt dies Verfahren so weit, dass
er in dem nämlichen Briefe sogar eine mehrere Zeilen umfassende Stelle,
welche er nicht verstand, im Texte einfach übergeht und sie an den
Rand mit der Vorbemerkung setzt: 'In Bob. inserebantur haec omnia
absque sensu'. Wenn er nun auch einfache Aenderungen angiebt — so hat er
noch immer in demselben Briefe im Texte 'audent', 'nescio', am Rande
'Bob. audere', 'Bob. nesciens' etc. — , so ist er doch nicht über dem Ver-
dachte erhaben, dass er bisweilen stillschweigend den ihm überlieferten
Wortlaut geändert hat ; er lässt z.B. im 2. Briefe 'ad computa arcta', das
ebenso entbehrlich wie nicht gleich verständlich ist, ohne weiteres fort,
ferner im 3. Briefe den von Fleming unvollständig gebotenen Satz : 'Id-
circo et tu, si me istorum persecutio' und in der Wendung 'minime repu-
tatur' das Wort 'minime' über welclies Fleming sagt: 'posui minime loco
alicuius vocabuli similis ita mendose exarati, ut legi aut intelligi facile
nequeat'. Dringend ist auch der Ärgwohn, dass Metzler willkürlich
geändert habe, im 2. Briefe bei der Wendung 'austeriore vita, quae
maiorem haberet mercedem', da Fleming hier 'licet' — also 'Heere'
feil sein — mit dem ungewöhnlichen Accusativ des Preises hat, und im
3. Briefe bei den Worten 'per Studium nostrum, officii nimirum legi-
timi', weil Fleming hier für 'nimirum' ein auffallendes 'rem' bietet, dieser
Ausdruck aber durch eine andere Stelle (im 6. Briefe): 'Roma sui iterum
Ueber die Columban-Briefe. 505
etwas besseren Wortlaut überliefert als Fleming, mit der von
Fleming benutzten zweiten Handschrift zwar nicht identisch,
aber doch namentlich auf Grund einiger ebenmässig verderbter
Stellen nahe verwandt sein. Nur nahe Verwandtschaft, nicht
Identität mit Metzlers Vorlage möchte auch der ersten Hand-
schrift Flemings — Metzler hat z.B. auch wie Fleming die
nicht um 'morum' ergänzte Redensart 'quibnsdam perfectio
efficitur' — und der Handschrift Sirins zu erkennen sein.
Die besondere Hoffnung, an dem 1795 veröffentlichten
Werke Benedetto Rossettis 'ßobbio illustrato' eine Stütze für
die Ausgabe der Columban-Briefe zu finden, Avird getäuscht;
denn die Berührungen, welche zwischen dem von Rossetti
gebotenen Wortlaut des Briefes 'Cum iam de' und dem der Turiner
Handschrift statthaben — unter anderem heisst auch die mehr-
fach berührte Wendung bei Rossetti vollständig 'quibusdam
perfectio efficitur morum' — beweisen, dass Rossetti den erwähnten
Turiner Codex benutzt hat, wenn auch die vier auf die In-
structio folgenden Stücke stillschweigend in der Weise umge-
stellt sein mögen, dass die beiden innerlich zusammengehörenden
Ausführungen, welche bei Fleming die kleine Abhandlung de
modo poenitentiarum bilden: 'Poenitentia vera est' und 'Diver-
sitas culparum', den Beschluss machen. Fällt also schon für
den einen hier in Betracht kommenden Brief 'Cum iam de'
eine Hülfeleistung Rossettis darum aus, weil die von ihm benutzte
Handschrift noch selbst zur Verfügung steht, so lässt er es
vollends bei den fünf anderen Briefen an sich fehlen; denn
schon die Fassung seiner Anmerkungen bezeugt es, dass er
nur einen — durch zahlreiche Fehler entstellten — Nachdruck
rem sustineret contemptus' — also 'res' = Aeusserung, Bethätigung,
Probe — sich stützen lässt. Vollends deutlich aber wird die Willkür
Metzlers im 4. Briefe, da Fleming hier hat: 'deleat Dens tale semen et
nutriat grege suo' (verbessert in 'greges suos'), Metzler aber zuerst
auch 'nutriat' niederschreibt, dann aber das Wort ausstreicht und dahinter
ein zu dem folgenden Ablativ passendes 'arceat a' aufnimmt. Dass
Metzler aber dabei doch einen besseren Text vor sich gehabt hat als
Fleming, dürfte daraus zu erschliessen sein, dass er in den ausgedehnten
Stellen, welche Columban im 5. Briefe aus dem vorgeblich von Anatolius
verfassten Canon paschalis und dem auch Gennadius beigelegten (vgl.
Krusch im N. A. IX, 124) Liber de dogmatibus ecclesiasticis anführt,
genauer mit den von Columban benutzten Vorlagen übereinkommt, als
Fleming. — Bei dieser Gelegenheit möchte ich darauf aufmerksam machen,
dass der unter dem Namen des Anatolius bekannte Canon paschalis als
untergeschoben angefochten worden ist (Ideler, Handbuch der Chronol.
II, 230, Krusch im N. A. IX, 145); wie dem auch sein mag, da Columban
den Canon in seinem frühesten Briefe am Ende des sechsten Jahrhunderts
bereits benutzt — was schon Krusch (Studien zur christl. mittelalterl,
Chronol. S. 319) bemerkt hat — , so kann unmöglich, wie man gemeint
hat (vgl. Ideler a. a. O.), der Canon erst in der ersten Hälfte des siebenten
Jahrhunderts entstanden sein.
506 Wilhelm Gundlach.
der Bibliotheca veterum patrum Gallandis geliefert hat, der
seinerseits wieder durch Vermittehing der Maxima bibliotheca
Lugdunensis auf Fleming zurückgeht.
Da nun Rossetti schwerlich ohne Noth zu einem Nachdruck
eich verstanden hat, so dürfte die Folgerung annehmbar sein,
dass zu seiner Zeit in Bobbio bez. in Turin auch diejenige
Handschrift nicht mehr vorhanden war, welche nach der unter
Paul V. erfolgten Verzettelung der Klosterbibliothek noch
Fleming für vier Columban-Briefe benutzt hat. Wann die
Handschrift abhanden gekommen ist, wo sie sich jetzt befindet,
bez. ob sie zu Grunde gegangen ist, habe ich nicht in Erfah-
rung bringen können.
Bei dieser Sachlage gestaltet sich der Plan für die Her-
ausgabe der Briefe so, dass für die ersten fünf die von Metzler
gefertigte Abschrift eines Bobbienser Codex zu Grunde zu
legen und dazu die Editio princeps Fleming-Sirins heranzu-
ziehen, für den 7. Brief die Turiner Handschrift G. V. 38 *
und für den 6. die Pariser 16361 zu benutzen ist.
ß. Die Enlstehungszeit.
Um zu erkennen, zu welcher Zeit die nicht datierten
Briefe Columbans entstanden sind ^, ist es nöthig, die Lebens-
geschichte des Heiligen, wie sie von Jonas aufgezeichnet worden
ist', in kurzen Zügen vorzuführen.
Nach einer in Irland verbrachten Jugend fuhr Columban,
neunzehn oder neunundzwanzig Jahre alt*, mit zwölf Genossen
nach der Bretagne hinüber und betrat bald darauf ^ den Boden
des austrasisch-burgundischen Reiches 8. Von dem Könige dieses
1) Wie die Nachrichten üher diese Handschrift, so verdanke ich
auch ihre Vergleichung mit dem Briefe 'Cum iam de' der Güte des
Herrn Professors Grafen Carlo Cipolla in Turin. 2) Bei diesen und
den Ausführungen des nächsten Abschnitts habe ich mich mit G. Hertels
Arbeit: 'lieber des heiligen Columba Leben und Schriften, besonders über
seine Klosterregel' in der nach Illgen und Niedner von Kahnis heraus-
gegebenen 'Zeitschrift für die historische Theologie', 45. Band, Jahrgang
1875, S. 396 ff, auseinanderzusetzen. 3) Mabillon Acta SS. saec. II,
5 — 29. 4) 'Vicesimum ergo aetatis annum agens' (p. 9); in der Ueber-
setzung der Vita (Geschichtschreiber der deutschen Vorzeit XI, 113
Anm. 2) wird die Lesart 'tricesimum' bevorzugt. 5) 'Paullisper ibidem
— in der Bretagne — morantes' (p. 9). 6) Die Nachricht der Vita, dass
Sigebert damals König gewesen sei ('Pervenit . . . Sigeberti regis ad
aulam, qui eo tempore duobus regnis Austrasiorum Burgundionumque in-
clitus regnabat Francis'), wird durch die Angabe, dass er über Austrasien
und Burgund geherrscht habe, als falsch hingestellt: entweder war e»
Sigebert, dann herrschte der König aber nicht auch über Burgund, oder
es war derjenige austrasische König, welcher seit 593 auch Burgund in
seiner Gewalt hatte, dann war es Childebert II., der Sohn Sigeberts.
Ueber die Columban-Briefe. 507
Reiches zum Bleiben aufgefordert, Hess er sich zunächst im
Wasgenwalde in Anegray nieder; er gründete dann, als die Zahl
seiner Mönche wuchs % etwa acht Meilen von der ersten Stiftung
entfernt das Kloster Luxeuil und, als auch das sich unzulänglich
erwies ^, ein drittes in Fontanae. Als nach dem Tode Chil-
deberts 11. (596/597) das aiistrasisch-burgundische Reich unter
die beiden Söhne des abgeschiedenen Königs vertheilt wurde
und Austrasien an Theodebert II. kam, gerieth Columban unter
die Herrschaft Theoderichs II., welchem ßurgund zugefallen
war 3. Die Heftigkeit, mit welcher Columban gegen die Aus-
schweifungen des jungen Königs auftrat und auf ein Ehebündnis
mit einer ebenbürtigen Gemahlin drang*, brachte ihn aber
nicht nur mit Theoderich, sondern auch mit des Königs Gross-
mutter Brunhilde in Streit, welche durch eine rechtmässige
Gemahlin ihres Enkels aus ihrer Stellung Verstössen zu werden
fürchtete 5. Schon durch die entschiedene Weigerung Colum-
bans, die unehelichen Söhne Theoderichs zu segnen*, auf das
höchste erzürnt, machte sich Brunhilde ein Schreiben Colum-
bans, welches den rückfälligen König mit dem Bann bedrohte ',
zu Nutze, um gegen den anmasslichen Abt die Würdenträger
des Reiches, insbesondere die Bischöfe aufzubringen *. Es kam
zu der Entscheidung, dass Columban entweder das Land zu
räumen oder seine Rechtgläubigkeit zu beweisen habe ®. Als
ihn der König persönHch davon in Kenntnis setzte, vergass
Columban so weit jede Rücksicht, dass er drohte, Theoderich
und sein ganzes Haus werde in Kürze vernichtet werden '" ;
er verstand sich nur zu der Erklärung, dass er einzig der
Gewalt weichen würde. Daraufhin wurde er auf Befehl des
1) 'Cumque iam multorum monachorum societate densaretur' (p. 12).
2) 'cernens . , . uiiius — eines neuen ist wohl zu verstehen — coe-
nobii septa tantam conversantium cohortem absque difficultate non teuere'
(p. 13). 3) 'Theodericus ergo, qiiia in termino regni sui beatum Colum-
banum haberet, gratulabatur' (p. 18). 4) 'cur concubinarum adulteriis
misceretur et non potius legitimae coniugis solamine frueretur' (p. 18).
5) 'Verebatur enim, ne, si, abiectis concubinis, reginam aulae praefecisset,
dignitatis atque honoris sui modum amputassel' (p. 18). 6) 'filios
Theodorici, quos de adulterinis permixtionibus habebat, ad virum Dei
adducit' (p. 18). 7) 'Columbanus litteras ad eum verberibus plenas
direxit comminaturque excommunicationem, si emendare dilatando non
vellet' (p. 18). 8) 'episcoposque sollicitare aggressa est, ut eins reli-
gionem detrahendo et statum regulae, quem suis custodienduna monachis
indiderat, macularent' (p. 18). 9) 'Obtemperantes igitur auliei . . .
regis animum contra vinim Dei perturbant cogentes, ut aut cederet aut
religionem probaret' (p. 18. 19). 10) Bezeichnend ist die Erwiderung
Theoderichs: 'Martyrii coronam me tibi illaturum speras: non esse me
tantae dementiae scias, ut hoc tantum perpetrem scelus ; sed potioris
consilii tibi scias utilia paraturum, ut, qui ab omnium saeculariuin more
desciscis, qua veneras, ea via repedare studeas' (p. 19).
508 Wilhelm Gundlach.
Königs von Baudulf verhaftet und bis auf weiteres nach ße-
san9on in Gewahrsam gebracht». Dass Columban sich seiner
leichten Gefangenschaft 2 durch die Flucht entzog, musste seine
Lage nur verschlimmern. Zwar scheint man zuvörderst, wenn
Columban gutwiUig sich gefügt hätte, nur die Gefangenschaft
haben wiederherstellen wollen ' ; da er aber aufsessig blieb,
ward er festgenommen, um unter sicherer Bedeckung bis an
die natürliche Grenze des Reiches, bis nach Nantes geführt
und dann in sein Vaterland zurückbefördert zu werden*. Das
geschah, Avie Jonas erzählt, nachdem Columban neunzehn volle
Jahre im Wasgenwalde gehaust hatte*. In Nantes, wo Colum-
ban sich eine Zeit lang aufhielt«, gelang es ihm, seinen auf-
gezwungenen Begleitern zu entkommen; er begab sich zu
König Chlothar, dessen Gebiet im Norden des burgundischen
an der Seeküste belegen war', und erhielt, in der Absicht,
durch das Reich Theodeberts über die Alpen nach Italien zu
ziehen, von dem Könige sicherndes Geleit 8. Aber bei Theode-
bert angelangt«, Hess Columban sich bewegen, unter der heid-
nischen Bevölkerung des austrasischen Reiches das Christen-
thum zu predigen : er wählte Bregenz zu seinem Aufenthalts-
orte und reiste über Mainz rheinaufwärts dahin ab. Dass
Columban diesen Aufenthalt nothgedrungen verlängerte und
dann nothgedrungen abbrach, ist aus den Worten des Jonas
zu entnehmen, welcher trotz aller Erfolge und Pläne seinen
1) '(Baudulfus Columbanum) penes Vesontionense oppidum ad exsu-
landum perducit, quoadusque renalis sententia, quod voluisset, decerneret'
(p. 19). 2) Dass sie leicht war, ist darum anzunelimen, weil niemand
die Flucht hinderte und der fliehende Columban einige seiner Mönche
um sich hatte: 'cum nullus contrarius exsisteret, ipse per
mediam urbem cum suis ad monasterium regreditur' (p. 20). 3) Es
wird ausdrücklich berichtet, die nach Luxeuil entsandte Schaar habe den
Auftrag gehabt, 'ut rursum virum Dei ... ad pristinum revocent prorsus
eiilium', und forner, als Columban im Widerstände zu beharren erklärte,
sei der eine Führer der Schaar, der Graf Bertar, zum Könige zurück-
gekehrt. 4) 'custodibus, qui, quousque ditionis regno pelleretur, non
eum relinquerent; inter quos Ragamundus erat primus, qui eum Namnetis
usque perduxit' (p. 20). 'SuflFronius, Namnetensis urbis episcopus, una
cum Theudoaldo comite iuxta regis imperium beatum Columbanum navi
ßusceptum ad Hiberniam destinare praeparabat' (p. 24). 5) 'Egressus
ergo vir sanctus cum suis vicesimo anno post incolatum eremi illius'
(p. 21). 6) Es wird zweimal berichtet: 'ibi aliquantisper moratus'
(p. 23) und 'Moratus ergo ibi paullulura' (p. 24). 7) 'ad Chlotharium,
Hilperici filium, qui Neustrasiis Francis regnabat ... ad Oceanura posi-
tis, pergit' (p. 24). 8) 'ut per Theodeberti regnum, si valeret, ad Ita-
liam, Alpium iuga transcendens, perveniret. Datis ergo comitibus, qui
eum usque ad Theodebertum perducerent' (p. 24). 9) Wir hören, dass
Theudebert auch gegen andere Flüchtlinge aus Luxeuil sich hülfreich
bewies: 'lam enim,' sagt Jonas p. 25, 'multi fratrum post eum ex Luxo-
vio venerant, quos velut ex hostium praeda recipiebat'.
Ueber die Columbau-Briefe, 509
Heiligen doch Italien nicht vergessen lässt ' und die endliche
Uebersiedelung mit erneuerter von Theoderich drohender Ge-
fahr in Verbindung bringt ^r als nämlich der Gönner Colum-
bans, Theudebert, sein Leben und an seinen Bruder sein Reich
verloren hatte. Von dem Langobarden-König Agilulf freund-
lich empfangen und zunächst am Hofe zurückbehalten 3, ward
Columban durch die Schilderung der anmuthigen Lage des
Ortes ßobbio dem klösterlichen Leben Avieder zugeführt: er
begründete das vielberufene Kloster und starb hier nach einem
Jahre* am 21. November*.
Mit diesem Lebenslaufe lässt nun die erste deutliche Be-
rührung der 2. der oben S. 499 aufgezählten Briefe erkennen,
in welchem Columban die zu einer Synode zusammengetretenen
Bischöfe und Geistlichen bittet, ihn doch 'in his silvis', wo er
zwölf Jahre zugebracht habe, zu dulden, der Vorladung aber
die Folge verweigert und schriftlich seine Rechtgläubigkeit in
der Osterfrage vertheidigt. Es leuchtet danach sofort ein, dass,
wenn auch Jonas über die Osterfrage, als den hauptsächlichsten
Streitpunkt, in befremdliches Schweigen sich hüllt«, die er-
wähnte Synode die Gemeinschaft der Bischöfe ist, welche auf
Betreiben Theoderichs und Brunhildens gegen Columban ein-
schritt. Die Ablehnung Columbans, zur Verantwortung sich
zu stellen, erklärt dabei das Urtheil der nach anderer Art
Ostern feiernden Bischöfe, entweder 'religionem probare', d. h.
zu ihrer Auffassung sich zu bekennen oder das Land zu ver-
lassen. Der hartnäckige Columban verfällt somit der weltlichen
Gewalt. Die Zeit der Synode zu bestimmen, dafür liefert
sowohl Jonas als auch Columban selbst in seinem Briefe An-
haltspunkte. Da nämlich der Vita zufolge das Unglück erst
über Columban hereinbricht, nachdem er sich geweigert, des
Königs uneheliche Söhne zu segnen, von Söhnen Theoderichs
1) 'quievitque in loco illo, donec aditus ad Italiam panderetur'
(p. 27); Hertel (S. 421) glaubt, dass der Alamannen-Einfall, von welchem
Fredegar c. 137 berichtet, die Sperrung verursachte. 2) 'Columbanus
cum vidisset . . . devictum a Theoderico Theodebertum, redacta Gallia
atque Germania sub Theoderico, Italiam ingreditur' (p. 28). 3) 'dum
ille penes Mediolanum urbem moraretur' (p. 28). 4) 'expleto anni cir-
culo in antedicto monasterio Bobiense' (p. 29). 5) Worauf sich Hertel
stützt, um mit vollendeter Sicherheit zu behaupten S. 405. 422, dass der
Tod Columbans im Jahre 615 erfolgt sei, weiss ich nicht. 6) Von
den Streitpunkten handelt eingehend Hertel S. 412 ff. Dass die Bischöfe
gegen Columban dem Hofe sogleich zu Willen waren, begründet Hertel
treffend mit der Ausnahmestellung der irischen Klöster: 'Die alte irische
Sitte' sagt er S. 416, 'kannte keine bischöfliche Hierarchie, sondern das
Kloster, welches die Bekehrung begonnen hatte, hatte auch die Gewalt
über alle anderen Klöster'; er gedenkt dabei auch der Anfeindungen,
welche später um desselben Grundes willen Bobbio von dem Bischof von
Tortona zu erdulden hatte.
510 Wilhelm Gundlach.
aber frühestens nach der Geburt seines zweiten Sohnes zu
reden ist, -welche Fredegar im 24. Capitel zum achten Jahre
seiner Herrschaft (602/603) berichtet, so muss das Jahr 602
als terminus a quo angesehen werden. Der terminus ad quem
ist aus Columbans eigenen Worten zu entnehmen. Indem er
nämlich der Synode seine Meinung über die Osterberechnung
in derselben Weise entwickelt wie in dem 5. an Gregor den
Grossen gerichteten Briefe und ausserdem erwähnt, dass er
darüber dem Papste 'tres tomos' gesandt habe, giebt er zu
verstehen, dass der Papst Gregor und noch am Leben ist:
weil nun Gregor im Anfang^ März des Jahres 604 gestorben
ist, hat man die fragliche Synode in die Zeit von 602 bis
Ende März 604 zu setzen. Noch genauer zu sein verstattet
vielleicht die Bemerkung Columbans, dass er gleichfalls in der
Osterfrage 'brevi hbello' dem Bischof Arigius gegenüber sich
gerechtfertigt habe; denn dieser Arigius ist ohne Zweifel der-
jenige Bischof, in dessen Provinz die Klöster Columbans lagen,
der Bischof von Lyon ', dessen Bisthum die Jahre 603 bis 614
umfasst. Wird sonach die Synode in das Jahr 603 verlegt
— demi die drei ersten Wintermonate des Jahres 604 kommen
schwerlich in Betracht — dann stellt sich die Identität der
gegen Columban vorgehenden Synode mit der in Chrdons sur
Saone 603 abgehaltenen mindestens als wahrscheinlich heraus,
zumal nach Fredegars Bericht (c. 24) auch hier Aridius ' von
Lyon im Bunde mit der K(inigin Brunhilde handelt, um einen
geistlichen Würdenträger des burgundischen Reiches, den Desi-
derius von Vienne, seines Amtes entsetzen zu lassen 3.
1) Nicht der Bischof gleiclien Namens von Gap, auf welchen Fleming
(p. 127) verfallen ist. Uebrigeiis hat schon Krusch die richtige Be-
stimmung gegeben: N. A. IX, 146. 2) Das Schwanken der Namens-
form zwischen Arigius und Aridius kann nicht beirren, da z. B. bei Remi-
gius und Remedius ähnliches zu beobachten ist. 3) Wenn Fredegar
hier von Columban nicht spricht, so beweist das nichts gegen die Rich-
tigkeit der vorgetragenen Auffassung; dagegen dürfte es Beachtung ver
dienen, dass Jonas ohne einen rechten Zusammenhang — sein Heiliger
ist nämlich bereits im Reiche Theodeberts vor den Nachstellungen Theo-
derichs in Sicherheit — erzählt (p. 26) : 'Eo itaque tempore Theodericus
atqne Brunechildis non solum adversum Columbannm insaniebant, verum
etiam et contra sanctissimum Desiderium Viennensis urbis episcopum ad-
versabantur, quem primum exilio damnatum multis iniuriis affligere nite-
bantur, ad postremum vero glorioso martyrio coronarunt'. Dazu kommt,
dass die Vita Desiderii (Acta SS. Mai. V, 253) denselben Grund, welcher
für die Vertreibung Columbans entscheidend war, auch bei Desiderius
erkennen lässt; sie berichtet nämlich: 'Veniens itaque (Desiderius) inter-
rogatur a principe (Theoderico), si melius esset coniugium sortiri quam
carnis miseriam bacchari'; und, als der Heilige zur Heirath räth, und
Brunhilde davon erfährt: 'protinus nimio inflammata furore ardenti con-
silio servum Dei conatur occidere'. Schon Baillet und Hertel haben
Ueber die Columban-Briefe. 511
In engem Zusammenhang mit dem besprochenen (2.)
Briefe steht das 1. Sehreiben, welches einem ungenannten
Papste gewidmet ist. Columban übersendet nämlich damit die
'apices', in welchen er dem abgeschiedenen ('beatae memoriae')
Papste Gregor dem Grossen die Berechtigung seiner Oster-
berechnung klar gelegt hatte ; er beschwert sich über das Urtheil
der S}Tiode und legt Berufung ein an den Papst, auf dass er
imd seine Mönche — 'laborantes' nennt er sie — 'cum iudicio'
in Gallien bleiben dürfen. Es ist klar, dass bei der Abfassung
dieses Briefes das Urtheil der Synode gesprochen war und
vollstreckt wurde — daher das 'laborare' — und dass die Be-
rufung dem unmittelbaren Nachfolger Gregors L, mochte auch
Columban \nelleicht seinen Namen noch nicht kennen, dem
Papste Sabinianus galt, welcher schon im Februar 606 starb '^
dass der Brief also in das Jahr 604 gehört.
Aelter als diese beiden Briefe ist der als 5. oben aufge-
führte, weil aus seinem Inhalt — Columban wünscht von
Gregor I. ein Urtheil in der Osterfrage zu hören — sich ergiebt,
dass damit vielleicht zum ersten Male der Papst im Osterstreite
angegangen wurde. Jedenfalls ist in diesem Briefe keines der
Schriftstücke zu erkennen, welche von Columban in dem (2.)
an die Synode gerichteten Schreiben erwähnt werden: weder
die 'tres tomi', welche an Gregor gesandt sind, noch der 'tomus
responsionis', den er der Synode einschickte, nachdem er ihn
drei Jahre zuvor dem Papst Gregor unterbreitet hatte 2. Hat
nach Krusch (N. A. IX, 146) die über Columban urtheilende Synode mit
der in Chälons sur Saone gleichgesetzt. 1) Wenn Hertel annimmt
(S. 424), dass der Brief an Bonifatius IV. gerichtet ist, so scheint er hier
Fleming ohne weiteres zu folgen; Fleming aber nimmt (p. 111) nach
Baronius noch an, das Sabinianus, 'quinque solum mensibus et undevi-
ginti diebus ad annum Christi 604 in pontificatu vixerit', 'quo permodici
temporis intervallo', meint er, 'vix bene ad Columbanum in remotissima
eremo cum suis segregatum novi pontificis faraa perferri poterat'. Die
Triftigkeit bat auch Krusch schon (N. A. IX, 147) der Begründung abge-
sprochen. 2) In dem 2. Briefe heisst es von dem 'tomus responsionis':
'quem vobis — den auf der Synode versammelten — nunc misi, licet
ante triennium scriptum'; in dem 1. an Sabinian gerichteten Briefe gedenkt
Columban 'nostrorum ad beatae memoriae papam conscriptorum Grego-
rium olim apicura in subiectis positorum' und redet dann davon noch
einmal: 'sive ad vos, ut dixi, apostolicos patres, — Gregor und Sabinian
— sive ad istos nostros vicinos fratres, nostros in Christo patres — die
auf der Synode versammelte gallicanische Geistlichkeit — scripsimus
istas, quas haec cartula tibi commendat, epistolas'. Daraus folgt mit
Nothwendigkeit, dass die 'epistolae' gleich den 'apices' und gleich dem
'tomus responsionis' zu setzen sind. Hertel dürfte über das Ziel hinaus-
schiessen, indem er sich S. 404 zu der Meinung bekennt, dass sowohl
'tres torai' und die Briefe an Gregor, als auch der 'tomus responsionis'
und der Brief an die 'fratres' dieselben sind. Auch Krusch scheint mir
512 Wilhelm Gundlach.
aber Columban schon drei Jahre vor der Synode, d. h. im
Jahre 600 eine ausführlichere Schrift über die Osterfrage ver-
fasst, so muss der Brief, welcher die, wie es scheint, erste
Anfrage darüber an den Papst gelangen lässt, nothwendig vor
600 geschrieben sein. Die Bitte, welche Columban in dem-
selben Briefe dem Papste zu erkennen giebt, ihm den zweiten
Theil seines Ezechiel-Comraentars zu übersenden, beschränkt
aber die Entstehungszeit des Briefes auf die fünf Jahre von
595-600, wofem Ewald (Jaffe-E., Reg. pont. Rom. R. 1401)
das VorAvort der erwähnten Gregor-Schrift richtig dem Jahre
596/597 zugewiesen hat'.
Wenn dieser Brief in der Erzählung des Jonas nicht unter-
zubringen ist, so deutet wieder auf eine Stelle der Vita das
3. Schreiben hin, da der vertriebene Columban darin seine in
Luxeuil zurückgelassenen Mönche vermahnt und ihnen niittheilt :
^Nunc mihi scribenti nuncius superveuit narrans, mihi navem
parari, qua invitus vehar in meam regionem ; sed si fugero,
nullus vetat custos; nam hoc videntur velle, ut ego fugiam'.
Damit ist ausgemacht, dass der Brief in Nantes geschrieben
ist, kurz bevor sich Columban seinem Zwangsgeleite durch die
Flucht entzog. Auch das Jahr, in welches der Brief fällt, lässt
sich sicher feststellen, Avenn man der Erzählung der Vita den-
selben Glauben schenken darf, wie den eigenen Worten Colum-
bans. Da nämlich dieser in seinem (2.) an die Synode gerich-
teten Schreiben sagt, dass er nunmehr — im Jahre 603 —
zwölf Jahre in der Einöde lebe, und Jonas berichtet, dass
sein Heiliger nach einem neunzehnjährigen Aufenthalt * im
Wasgenwalde vertrieben worden sei, so muss Columban sieben
Jahre nach 603, d. h. im Jahre 610 aus dem burgundischen
Reiche ausgewiesen sein ^. Die etwas lange Zeit, welche zwischen
zu irreu, iadem er (N. A. IX, 146) annimmt, dass unter *tres tomi' das
(5.) an Gregor gerichtete Schreiben sammt den 'apices' und einem dritten
(verlorenen) zu verstehen seien, 1) Da sich Columban am Schlüsse
des Briefes auf eine 'a sancto Candido tuo' erhaltene Mittheilung be-
zieht, Candidus aber als neu ernannter rector patrimonii in Gallien von
Gregor bei Childebert II. und Brunhilde durch die Briefe J. -E. 1385
und 1384 im September 595 beglaubigt v?ird, so folgt auch daraus, dass
der Columban -Brief nicht vor dem .Jahre 595 entstanden sein kann,
2) S. oben S. 508 Anm. 5. 3) Hertel ist auf diese einfachste Berechnung
nicht gekommen ; er bezieht sich S. 424 allein auf die dreifache Weissagung,
welche Jonas (p. 21. 23. 24) seinem Heiligen in den Mund legt, dass
nach drei Jahren alle Merowinger- Reiche unter Chlothar vereinigt sein
würden: Hertel meint, 'dass ein Mann, der wie Columba den Hof so
genau kannte, mit soviel angesehenen Männern in Berührung kam, unschwer
voraussagen konnte, dass ein solches Regiment (Theodeberts und Theo-
derichs) ohne Bestand sein musste, dass Jonas aber die Zeitangabe hin-
zugesetzt haben möchte,' Da nun 613 Chlothar in der That der Herr
des gesammten Galliens wurde, so sei daraus zu schliessen, dass Jonas
die Ausweisung Columbans in das Jahr 610 setzte.
lieber die Columban-Briefe. 513
dem Urtheil der Synode und der endlichen Vollstreckung liegt,
dürfte dabei durch die Gefangenschaft Oolumbans in Besangon,
deren Dauer uns Jonas verschweigt, ausgefüllt werdend
Durch die Vita Columbani wird für den 4. Brief, welcher
dem Papst Bonifatius IV. gilt, wenigstens der terminus a quo
gewonnen. Da Columban nämlich zu verstehen giebt, dass er
auf Veranlassung des Langobarden-Königs Agilulf und seiner
Gemahlin schreibe, so muss das nach der Vernichtung Theo-
deberts durch Theoderich 2, wodurch die Uebersiedelung Oolum-
bans nach Italien veranlasst wurde ', d. h. nach dem Jahre
612 stattgefunden haben: ob noch in diesem Jahre oder einem
der nächsten, ist darum nicht zu entscheiden, weil wir nicht
wissen, ob Columban den Brief von dem Hoflager Agilulfs
oder von Bobbio aus schrieb*, und ob, wäre das erstere auch
der Fall, Columban sich nach seiner Ankunft in Italien ein
Jahr oder längere oder kürzere Zeit bei Agilulf aufgehalten
hat; aber über 615 den Brief hinauszurücken, geht darum
nicht an, weil der Empfänger in diesem Jahre starb.
Noch weniger scharf begrenzbar ist die Entstellungszeit
des 6. wahrscheinlich gleichfalls an Bonifatius IV. gerichteten
und darum vor 615 geschi'iebenen Briefes, wenngleich auch
die ruhigere Auffassung der Osterfrage für ein höheres Alter
des Verfassers, für eine Abfassung in Italien spricht.
Das Ermahnungsschreiben endlich, welches als 7. oben
verzeichnet worden ist, bietet keine Handhabe, um das Datum
zu ermitteln. Man wird sich hier mit der allgemeinen Er-
wägung begnügen müssen, dass Columban erst in reiferem
Alter, also wohl nicht, so lange er in Irland weilte, einen Schüler
haben mochte, welcher die in dem Briefe enthaltenen Ermah-
nungen verstand.
Die sieben prosaischen Briefe sind also nach ihrer Ent-
stehungszeit also zu ordnen: 5 (595—600), 2 (603), 1 (604),
3 (610), 4 (612-615), 6 (c. 612-615), 7 (c. 590— c. 615).
1) Die unbestimmten Zeitangaben der Vita, welche ich oben in den
Anmerkungen mit Fleiss hervorgekehrt habe, gewähren keinerlei Anhalt.
2) Man kann die Worte Columbans: 'Ecee conturbantur gentes, inclinan-
tur regna', wenn sie auch, was bisher noch nicht erkannt ist, sich an eine
Bibelstelle (Ps. XLV, 7: 'Conturbatae sunt gentes et inclinata sunt regna')
anlehnen, wie schon Hertel S. 424 gethan hat, auf die Umwälzungen be-
ziehen, welche mit der Vereinigung aller Merowinger-Reiche in der Hand
Chlothars II. endeten. 3j Vgl. oben S. 509 Anm. 2. 4) Dass der
Brief geschrieben sei, 'während Columban am Hofe Agilulfs weilte', wie
Hertel S. 424 meint, ist aus dem Auftrag des Königs nicht zu erschliessen;
denn auch in Bobbio hat Columban schwerlich jede Verbindung mit dem
Langobardischen Königshofe abgebrochen.
514 Wilhelm Gundlach.
II.
Die poetischen Briefe.
Die vier poetischen unter dem Namen Columbans gehen-
den Briefe, welche Goldast in seinem Buche Paraeneticorum
veterum pars I (p. 47. 48. 52. 146 1) im Jahre 1604 zuerst
vollständig veröffentlicht hat:
1. an Hunaldus: 'Casibus innumeris',
2. an Setlms: 'Suscipe Sethe'^,
3. an Fedolius: 'Accipe quaeso'.
4. an einen jungen Freund: 'Mundus iste''
sind besser überliefert als die prosaischen Schreiben. Die
Berliner Handschrift Diez B. Sant. 66, welche dem Ausgang
des achten Jahrhunderts angehört*, enthidt nämlich (p. 277),
freilich in verkürzter Fassung den 3. Brief; in der Züricher
1) Der 4. poetische Brief ist, wie der Satz beweist, von Goldast und
Gallandi (Bibl. vet. patr. XII, 356) gar nicht als Gedicht erkannt worden;
für die Art, wie die Patrologia latina von Migne zusammengestellt ist,
dürfte es bezeichnend sein, dass (tom. LXXX) col. 283 der Brief als
Prosastück und zehn Spalten danach als Dichtung abgedruckt ist. 2) Die
Annahme, dass der 2. Brief auch an Hunald gerichtet ist — und das ist
in dem ältesten mir bekannten Drucke : G. Fabricius, Poetarnm vet. eccl.
opp. (Basileae 1562) p. 779 und bei Canisius Lect. ant. App. I, p. 10 der
Fall und vielleicht auf eine Ueberlieferungsform, welche den 1. und 2.
Brief zu einem einzigen Stücke vereinigt, zurückzuführen, wie sie bei
Sirmond (Eugenii Toletani episcopi opuscula: Opera Sirmondi II, 655)
ersichtlich ist — weist Hertel S. 428 mit, wie mir scheint, triftigen
Gründen als fehlerhaft zurück. 3) Auf die anderen dem Columban
zugeschriebenen Gedichte: ein Epigramm 'In mulieres' (Goldast p. 59) und
eine als 'Monosticha' bezeichnete Sprüchwörter-Sammlung (ibid.), wozu
Ernst Dümmler noch ein Rnderlied hinzugefügt hat (N. A. VI, 191) gehe
ich nur soweit ein, als es die Besprechung der Briefe erfordert. Was
insbesondere das letztere betriflft, welches von Wilhelm Meyer in einer
Leydener Handschrift des zehnten Jahrhunderts entdeckt worden ist, so
liegt es allerdings sehr nahe, die Ueberschrift '-banus', wie schon Meyer
wollte, in 'Columbanus' zu vervollständigen. Die Meinung, dass dieser
Columban der Stifter der Klöster Luxeuil und Bobbio sei, wird, wie Dümmler
geltend gemacht hat, dadurch gestützt, dass in der Berliner Handschrift
der Brief an Fedolius einem ähnlichen Liede unmittelbar voraufgeht, und
wie in den anderen Gedichten Columbans Horaz, so hier Vergil benutzt
ist. Die letzte Beobachtung gewinnt noch an Werth, weil auch in den
übrigen poetischen Columban-Briefen, wie ich nachgewiesen zu haben
glaube, Vergil weit ausgiebiger nachgeahmt ist, als man den Nachwei-
sungen Goldasts zufolge bisher angenommen hatte. Endlich ist die Mög-
lichkeit, dass der bekannte Columban der Verfasser ist, geradezu, worauf
ich noch zurückkomme, von dem Biographen des Heiligen durch die An-
gabe bezeugt, dass Columban in jüngeren Jahren sangbare Weisen gedichtet
habe. Berührungen in der Form mit den anderen von Columban über-
lieferten poetischen und prosaischen Stücken sind leider nicht vorhanden.
4) Vgl. über die Handschrift Dümmler MG. Poetae lat. I, 32.
lieber die Columban-Briefe. 515
Handschrift C. 78. 451, welche am Ende des neunten oder
Anfang des zehnten Jahrhunderts geschrieben ist, findet sich
(fol. 159) der 4. Brief > ; die Sanct-Galler Handschriften 273 aus
dem neunten (p. 38. 39. 45) und 899 aus dem zehnten Jahr-
hundert (p. 109. 109. 111)2 und die Pariser Handschrift 8303
1) lieber diese Handschrift s. Orelli, Helperici sive ut alii arbitran-
tur Angilberti Karolus M. et Leo papa p. 2 — 6; die Vergleichung' des
Briefes verdanke icli der Freundlichkeit des Herrn Professors G. Meyer
von Knonau in Zürich. — Goldast hat den 4. Brief nach zwei Hand-
schriften herausg-egeben ; denn er bemerkt p. 153. 154: 'Vidimus duo epi-
stolae huius exempla, utrumque in nostri bibliotheca monasterii — sc.
Sancti Galli — : unum bene antiquum, sed av6vv\iov, alterum haud magis
vetustatis expers, at eo praestabilius, quod suo nobis indice auctorem
ostendat. Cetera tarn videas inter se congruere concorditer, ut alterum
ex altero descriptum videatur'. Dass eine dieser in St. Gallen nicht mehr
vorhandenen Handschriften die Züricher ist, dürfte eine Vergleichung des
von beiden überlieferten Wortlautes lehren. Bei Goldast (G) und in der
Züricher Handschrift (Z) ist zuvörderst die Fassung an einigen Stellen
ebenmässig verderbt; so heisst es z.B. (45) 'Omnis enim caro foenum',
wo der Rythmus est statt enim erfordert, und (105. 106) *Ubi aula regia
. . . caelestis pascitur': die beiden letzten Worte sind in diesem
Zusammenhange unverständlich und nichts als eine fehlerhafte Wieder-
holung des 102. Verses: 'Plebs caelestis pascitur'. Bei dem weitergehen-
den Versuche, mit Hülfe des von G. gebotenen Apparates zu ermitteln,
ob die ältere oder jüngere der ehedem St. Galler Handschriften Z ist,
hat man vor allem die geringe Sorgfalt in Anschlag zu bringen, mit welcher
G. seinen Druck eingerichtet hat; so liest man (38) 'Quid postea obitum
restat' und (63) 'Quas mors ingreditur', während schon der Rythmus
'poet' und 'Per quas' erheischt, und (97, 98) 'Ubi laudes (laudis?)
Domini NuUa vox retinet', während Rythmus und Reim 'retinetur'
nöthig machen, und zu 54 vermisst man, ohne dass G. eine Lücke ange-
merkt hätte, den auf das Schlusswort 'delabitur' passenden Reim. Wenn
nun Z die angegebenen Berichtigungen des 38. 63. 98. Verses enthält
und auch zu dem 54. den reimenden Vers ('Omnis decor pristinus Cum
dolore eraditur') bringt, G. aber davon nichts sagt, so möchte aus diesem
Schweigen nicht zu folgern sein, dass er Z nicht vor sich gehabt haben
kann; denn die fünf Abweichungen von seinem Texte, welche er p. 153
— 156 überhaupt seinem 'alter ms.' zuschreibt, treffen genau auf Z zu:
Z hat (26) 'conantur' statt 'conantes', (33) 'regnant' statt 'regnent', (34)
'Iftentur' statt 'laetantur', (61) 'Cavete filioli' statt 'Caveto filiole' und
(112) 'Metu consumptura' statt 'Metus consumpturus'. Die unzulängliche
Bezeichnung 'alter ms.' lässt nun freilich allein nicht erkennen, ob damit
die ältere oder die jüngere Hs. gemeint ist; da aber G. ausdrücklich
angiebt, dass seine ältere Hs. im Gegensatz zu der andern den Columban in
der Ueberschrift nicht als Urheber nennt, und an dieser Eigenschaft auch Z
Theil hat, so ist darin ihre Identität mit der älteren ehemals St. Galler Hs.
gegeben. 2) Vgl. (Scherrer) Verz. der Handschriften der Stiftsbibl. in
St. Gallen S. 103. 315. Beide Handschriften sind in Berlin von mir verglichen
worden. — Da Goldast (p. 89) zu dem 39. Verse des 3. Briefes über das
Adjectivum des Ausdrucks 'aurea pellis' bemerkt: 'Intribuslibrismanuscrip-
tis constantissime legebatur ariete; quod ab sciolo correctore est, ne igno-
jasse videretur, pellem fuisse arietis', eo dürfte er noch zwei Handschriften
516 Wilhelm Gundlach.
gleichfalls aus dem zehnten Jahrhundert (fol. 18 — 20') » über-
liefern die drei ersten Briefe, und die Münchener Handschriften
6404 (Fris. 204) aus dem zehnten (fol. 50) und 17208 (Schefl.
208) aus dem zwölften Jahi'hundert ^ (fol. 69) "wie die Wiener
Handschrift 806 auch aus dem zwölften Jahrhundert (fol. 55)»
die ersten beiden Briefe-*. Wenn nun auch der Inhalt der
Briefe zu Bemerkungen keinen Anlass bietet — die Vergäng-
lichkeit dieser Welt zu beherzigen und ewiger Seligkeit nach-
zustreben, mahnt überall der, ^v^e es scheint, hochbetagte
Columban ; denn wenigstens in dem dritten Briefe erwähnt er,
dass er, von Krankheit bedrückt, zwei und siebzig Jahre alt
sei* — , so darf doch nicht unerörtet bleiben, ob denn wirklich
der Verfasser der prosaischen Briefe auch die poetischen
gedichtet haben kann, weil in jüngster Zeit Hertel diese Mög-
lichkeit in Abrede gestellt hat.
Indem Hertel den 4. Brief, welchen er S. 430 'Hymnus
sancti Columbani de vanitate et miseria vitae mortalis' nennt,
von den anderen absondert und es unentschieden lässt, ob
Columban der Verfasser ist«, macht er geltend, dass die drei
Briefe, wozu er gleich das Epigramm auf die Frauen und
die Monosticha hinzunimmt, wegen gleichartiger Wendungen
zusammengehören ' ; er urtheilt weiter S. 429 : 'Die in diesen
mehr, als jetzt vou dem Briefe in St. Gallen bewahrt werden, benutzt
haben; denn nur die ältere der noch vorhandenen St. Gallcr Handschriften
hat 'ariete'. 1) Herr Professor H. Sucliier aus Halle, zur Zeit in Paris,
war so gütig", für mich die Handschrift zu vergleichen. 2) S. Catalog.
codd. latiu. Libl. reg. Monac. I, 3, p. 105, II, 3, p. 87. Die Vergleichung
der beiden Handschriften hat mir Herr Dr. H. Simonsfeld in München
geliefert. 3) S. darüber Denis, Codd. manuscr. theologici bibl. palat.
Vindobon. I, 1 col. 986 und Huemer in v. Hartel-Schenkls Wiener Studien
VI, 324. Die Handsclirift hat mir Herr Dr. S. Herzberg-Fränkel in
Wien verglichen. 4) Jüngerer Handschriften habe ich geglaubt ent-
rathen zu können. 5) Dieser Umstand veranlasst mich, da wenigstens
die ersten drei Gedichte inhaltlich zusammengehören und auch in den
St. Galler Handschriften und der Pariser zusammen überliefert sind, zu
der Vermuthung, dass Columban die uns erhaltenen poetischen Briefe in
höherem Alter erst in Italien verfasst habe. 6) Vielleicht hat ihn dazu
die Wahrnehmung vermocht, 'dass weder der Reim genau, noch überhaupt
eine andere metrische Regel beobachtet ist.' 7) Wenn Hertel S. 428
von dem 2. Briefe mit Beziehung auf den 1. sagt, dass 'sich hier die-
selben Wendungen fast wörtlich wiederholen', so dürfte in der That 1, 3
'Labitur in Senium momentis omnibus aetas' mit 2, 7 'momentis
labitur aetas' (vgl. Ovid. Art. amat. III, 65), 1, 7 'caecaque cupi-
dine pectus' mit 2,45 'caecaque cupidine rerum' (vgl. Horat.
1. Epist. I, 33 und luvenal. Sat. X, 351) und wohl auch 1, 2 'Omnia prae-
tereunt' mit 2, 72 'Omnia cum redeunt' (vgl. Riese, Antholog. lat. pars
prior, II p. 138 oder Baehrens, Poetae lat. min. V, 350) zu vergleichen
sein. Die Folgerung hinsichtlich des 3. Briefes (ebenda): 'In den sechs
Hexametern, die den Brief schliessen, finden sich wieder Anklänge an
Ueber die Columban-Briefe. 517
poetischen Werken ausgesprochene Lebensanschauung ist viel
freier, als in den anderen Columbaischen Schriften, und auch
die Sprache ist reiner und klarer', und erläutert die sprach-
liche Besonderheit der poetischen Schriften durch die Bemer-
kung S. 430: 'Den von den übrigen Schriften abweichenden
Charakter dieser Gedichte ersieht man daraus, dass in jenen nur
die beiden vorigen Briefe, sodass auch dieser demselben Verfasser ange-
hören wird', ist aber ungenügend begründet, denn aus den sechs Schluss-
Hexametern lässt sich kaum etwas anderes als Vers 164 'Omnia prae-
t ereunt' beibringen und mit 1, 2 'Omnia praetereunt' belegen. Hertel
scheint übersehen zu haben, dass das eigentliche in Adoneischem Vers-
mass gehaltene Gedicht eine ganze Anzahl von Berührungen mit dem
2. und eine auch mit dein 1. ergießt: man beachte 3,21 'quod avarus
Semper egendo Congregat' und 2, 37 'Semper avarus eget'
(Horat. 1. Epist. II, 56); 3, 76 'Haec reserari Munere certo Nigra
feruntur Limina Ditis' und 2,55 'Divitibus nigri reseranturliniina
Ditis (vgl. Verg. Aen. VII, 613 und Ovid. Met. IV, 438); 3,90 'Desine,
quaeso, Nunc animosos Pascere pingui Farre caballos' und 2,49
'Pasc er e non pingui procurat fruge cavallos* (vgl. Horat. 1, Sat.
VI, 103 und Verg. Aen. VI, 654); 3,94 'Lucraque lucris Accumn-
lan d o Desine nummis Addere nummos' und 2,40 'nummos abscon-
dit in arca Divitias cumulans' in Verbindung mit 2,47 'Non lucri
ciipiflus nummis marsuppia replet' (vgl. Horat. 1. Sat. I, 67 und 2. Sat.
111,109); 3,104 'Haec s ap ie nti Dispicienda Qui fugitivae Atque
caducae Cernere debet Tempora vitae' und 2, 8 'Di spiee quae
pereunt fugitivae gaudia vitae' zusammen mit 2, 18 'Ultima iam
sapiens meditatur tempora vitae' (vgl. Verg. Aen. XI, 180 und Fortun.
Carm. IV, 26,1); zwischen dem 3. und 1. Briefe kann als Bindemittel
betrachtet werden, dass in den Worten, welche den ersten Theil des
3. Briefes schliessen 3,110 'Sufficit autem Ista loquaci Nunc cecinisse
Carmina versu' das Wort 'loquax' erscheint, welches der nur siebzehn
Verse lange 1. Brief gleichfalls am Schlüsse hat 1, 16: 'Da veniam dictis,
fuimus fortasse loquaces'. — 'Die Wiederkehr derselben Verse und
Redensarten', welche den Zusammenhang der Monosticha mit den drei
Briefen bezeugt, belegt Hertel nur mit den beiden, allerdings schlagend-
sten Beispielen: M 7 'Vive Deo fidens Christi praecepta secu-
tus' und 2, 5 'Vive Deo fidens Christi praecepta sequendo' und
M8 'S int tibi divitiae divinae dogmata legis', was buchstäblich so
in 2,11 erscheint. Die Belege lassen sich aber noch vermehren; so
dürften M86 'Pauperibus iustis caelestis gloria restat' und 2,56
'Pa u p eri b u s qu e piis caelestia regna patescuut' einander entsprechen,
ferner wenigstens Anklänge wahrzunehmen sein in M 130 'Semper ava-
rus amat' und 2,37 'Semper avarus eget', in M 159 'Dum tibi vita
viget' und 2,6 'Dum modo vita manet' (vgl. Verg. Aen. V. 724; VI,
608, 661); und dem Sinne nach ist verwandt M 145 'Nee redit unda
fluens, nostrum nee tempus in annis' mit 2, 72 'Omnia cum redeunt,
homini sua non redit aetas'. In M5 'Atque Deo Christo socius sine
fine videri' möchte eine Berührung mit 3, 156 '(Christus) Qui sine fine
(regnat)' (vgl. Verg. Aen. I, 279) statthaben. — Zwischen den drei Briefen
und den Monosticha einerseits und dem Epigramm auf die Frauen ande-
rerseits weiss Hertel keinerlei Beziehung in der Form aufzuzeigen; ich
auch nicht.
Neues Archiv etc. XV 34
518 Wilhelm Gundlach.
Kirchenväter, nicht andere citiert werden ; hier ist es umgekehrt' '.
Es ist klar, dass nun. nachdem die poetischen Schriften, welche
dem Columban angehören sollen, als ein Ganzes gekennzeichnet
sind, die Bemerkungen über einzelne Stücke eine auf alle sich
erstreckende Wirkung haben; so kehrt Hertel hervor, dass
die im 1. und 2. Briefe gebrauchte Namensform 'Columbanus'
niemals von Columba, wie Hertel den Heiligen nach den Auf-
schritten der Prosabriefe stets nennt, auf sich selbst angewandt
worden sei; dass der 3. in Adoneischen Versen gedichtete
Brief nichts ist als eine Spielerei, wie sie dem ernsten Sinne
Columbans nicht zuzutrauen ist; dass die beiden Distichen,
aus welchen das Epigramm auf die Frauen besteht, ein Compli-
ment für die Frauen enthalten, wie es von Columba, der schon
das blosse Sprechen mit einem Weibe streng bestrafte, sich
nicht erwarten lässt: 'Der Frauen Zunge ist das stärkste Gift
und daher zu fliehen; die Frauen zerstören das erworbene
Glück, aber sie verschönern das Leben'; dass endlich gegen
die Verfasserschaft Columbans in der Freisinger Handschrift
die Monosticha überschrieben sind: 'Libellus cuiusdam sapien-
tis et, ut fertur, beati Columbani', 'eine Angabe', meint Hertel,
'die gewiss zu kritischen Bedenken anregen muss'. Unter
diesen Umständen hält es Hertel für wahrscheinlich, 'dass,
wie Delrius annimmt, diese Werke dem Aldhelm angehören '•,
dessen beide Gedichte 'de laude virginum' und 'de octo vitiis
principalibus' in dem Manuscript gleich auf die Monosticha
folgen ; er widerlegt schliesslich noch einen Beweisgrund
Knottenbelts', welcher die poetischen Briefe wirklich von
Columban verfasst sein lässt, weil Jonas (p. 9) von dem jugend-
lichen Columban sagt: 'multaque alia quae vel ad cantum
digna vel ad docendum utilia condidit dicta' — er widerlegt
das mit den Worten: 'Nun passt aber das Epigramm und der
Brief an Fedolius in keine der beiden Kategorien, und ausser-
dem sagt ja der Verfasser in dem letzteren, er sei zweiund-
siebzig Jahre alt. Wir erfahren aber nur, dass Columba in
der Jugend dergleichen schrieb; nachher hatte er wichtigere
Sachen zu thun'.
Um mit der letzten Ausführung Hertels zu beginnen, so
scheint mir die ausdrückliche Angabe der Vita: Columban
habe sangbare und lehrhafte Gedichte verfasst, das will-
kommenste Zeugnis zu sein für die Meinung, welche die vier
1) Hertel merkt zu den drei Briefen an, dass Horaz in ihnen benatzt
ist. 2) Bahr (Gesch. der röm. Litt. I, Suppl. S. 80) hat sie dem Alknin
beigelegt, 'wozu ihn wohl', was Hertel S. 429 vermuthet, 'die vielfache
Benutzung des Horaz geführt haben mag'. 3) Disputatio historico-
theologica de Columbano (Lugd. Batav. 1839) p. 12.
Ueber die Columban-Briefe. 519
in Rede stehenden Briefe dem Heiligen beilegt ^ Die Auf-
fassung Hertels: 'dass Columba nur in der Jugend dergleichen
schrieb; nachher hatte er wichtigere Sachen zu thun', kann
dabei nicht im mindesten stören; denn das immer heikle
argumentum ex silentio, dessen Hertel sich hier bedient, kann
sofort in seiner Haltlosigkeit dadurch aufgedeckt werden, dass
man dem wissenden Gegner die Frage vorlegt: Hatte Colum-
ban in Wirklichkeit später wichtigeres zu thun, oder hatte
nur sein Biograph über dem Berichte der ihn werthvoll
dünkenden Wunder keine Zeit, auch auf eine unbedeutende
wissenschaftliche Liebhaberei seines Helden einzugehen ?
Was die Verfasserschaft Aldhelms anlangt, an welche der
Jesuit Delrius gedacht hat, so ist diese Möglichkeit schon von
Canisius widerlegt worden. Delrius, welcher die Monosticha
herausgegeben hatte, ohne in seiner Handschrift über den Ver-
fasser eine Andeutung zu finden, ist auf Aldhelm einzig des-
halb verfallen, weil dieser auch von 'octo vitia statt von den
landläufigen sieben handelt, und unter den Monosticha die 24.
Zeile lautet: 'Octenas studeas vitiorum vincere turmas'.
Canisius macht mit Recht darauf aufmerksam, dass die Zahl
acht der 'vitia' gar keine Besonderheit des Aldhelm ist, dass
z. B. auch Theodulf von Orleans von achten spricht; er hätte
hinzufügen können, dass selbst unter den prosaischen Stücken
Columbans eines sich findet, welches: 'De octo vitiis prin-
cipalibus' überschrieben ist.
Weiter beweist die Ueberschrift der Monosticha in der
Freisinger Handschrift: 'Libellus cuiusdam sapientis et, ut
fertur, beati Columbani' nichts gegen Columban als den Urheber;
sie zeigt nicht einmal, wäre sie auch auf einen Schreiber
zurückzuführen, bei diesem Schreiber mit Sicherheit 'kritische
Bedenken; denn schon von ihm könnte ja der Libellus erst
als 'cuiusdam sapientis' bezeichnet und dann auf die Kunde,
dass in anderen Handschriften die Monosticha unter dem Namen
Columbans überliefert würden, lediglich diese Erfahrung durch
den Zusatz 'et, ut fertur, beati Columbani' zum Ausdruck
gebracht worden sein 2.
1) Stützend kommt hinzu, was Jonas über den Bildungsgang- seines
Helden erzählt (p. 8): 'in pueritiae aetate pubescens liberalium litterarum
doctrinis et graramaticorum studiis ingenio capaei dare operam coepit'
und (ibid.) 'quem potissimo ingenio desudaverat in grammatica, rhetorica,
geometrica vel divinarum scripturarum serie'. 2) Eine genauere Be-
kanntschaft mit dieser Sprüchwörter-Sammlung hat uns Ernst Dümmler
dadurch vermittelt, dass er im ersten Bande der Poetae latini p. 275 — 281
nach acht Handschriften des neunten, zehnten und elften Jahrhunderts
die Monosticha herausgegeben hat: sie haben hier unter den Gedichten
Alkuins eine Stelle gefunden, weil Dümmler sie zunächst zwar mit Frobenius
als eine untergeschobene Alkuin-Sehrift betrachtet" (N. A. IV, 138), dann
34*
520 Wilhelm Gundlach.
Dass ferner das Epigramm auf die Frauen, bei welchem
der Name Columbans nirgends genannt ist, den gestrengen
aber (Poetae lat. I, 164) sie dem Alkuin zuschrieb auf das Zeugnis des
Servatus Lupus hin, welcher in seinem zwanzigsten Briefe die 88, Zeile
der Monosticha mit den Worten einführt: 'In versibus moralibus, quos
Alcuinus dicitur edidisse, statera sie posita est' (Opp. ed. Baluze p. 40).
Mit dieser Auffassung war die Beobachtung wohl zu vereinen, dass die
Sprüche der Monosticha auch in anderen Alkuin-Schriften häutig begegnen
(vgl. Poetae lat. I, 165, II, 157 und die Nachweisungen zu den Versen
10. 17. (26). 19. 22. 60. 107. 146. 154); und die Berührungen, welche
zwischen den Monosticha und den poetischen Columban-Briefen (vgl. oben
S. 517 Anm. ) zu erkennen waren, Hessen sich durch die Annahme er-
klären, dass Alkuin diese Briefe gekannt habe (N. A. VI, 191). Gegen
die Verfasserschaft Alkuins sprach sich dann Rudolf Peiper in der Vor-
rede zu den Werken des Avitus aus (Auct. antiq. VI, 2), indem er
p. LIII sich zu der Ueberzeugung bekannte : 'Columbani sine dubio fuerunt
praecepta vivendi sive monosticlia'. Um seine Meinung zu begründen,
erklärte er es, wie die Monosticha zu dem Namen des Alkuin gekommen
sind. Er führte p. LXXII eine auf die Monosticha ('quae utique ab . . .
Alcimi . . . ingenio prorsus abhorrebant') zu beziehende Aeusserung
Notkers des Stammlers an: 'Alcwinus (Alcimus) vero nomine Avitus
. . . librum . . . descripsit ... de institutione mortaliuni (moralium)',
und sah die Angabe: Avitus sei der Verfasser, darin begründet, diiss in
den St. Galler Handschriften unmittelbar vor den Monosticha die Gedichte
des Avitus stehen. So entwerthete er den Ausspruch des Lupus, auf
welchen Dümmler sich berufen hatte; er meinte, dass Lupus gar nicht
'Alcuinus', sondern, in Notkers Ansciiauung befangen, 'Alcimus' geschrieben
habe — zwei Namen, die, wie Peiper mehrfach belegt, häufiger ver-
wechselt worden sind — , zumal von Lupus zu erwarten gewesen wäre,
dass er seinen theuren Lehrer Alkuin in ganz anderer Weise als mit dem
blossen Namen bezeichnet hätte. Endlich aber machte Peiper geltend
(p. LXXIII), dass die Monosticha vor dem Zeitalter Alkuins entstanden
seien, und dass das gerade aus dem von Lupus angezogenen Verse her-
vorgehe: 'Nam is (versus) in Exemplis poetanim Vaticanis legitur (v. 804),
quae poetarum Eugenio Toletano (ob. a. 657) minorum vcrsiculos non
habere videntur'. Wenn ich nun mit Peiper an Columban als dem Ver-
fasser der Monosticha festhalte, so stütze ich mich dabei nicht so sehr
auf die förmlichen Berührungen, welche zwischen ihnen und den poetischen
Briefen Columbans statthaben — denn ausser Alkuin hat auch Hraban
die Monosticha recht ausgiebig benutzt; vgl. Poetae lat. II. 157 not. 4
und die siebzehn Nachweisungen Dümmlers zu dem XIV. und XV. Ge-
dichte Hrabans : ibidem p. 177. 178 — als auf die Angabe der Hand-
schriften: vier (B, P, M, C) kennen keinen Verfasser, bleiben also neutral;
fünf (Gl, G 2, L, T und die von Dümmler nicht benutzte Handschrift des
Britischen Museums Cotton. lulius BII) haben: 'Incipit libellus cuiusdam
sapientis et ut fertur beati Columbani'; T beschliesst die Monosticha mit
den Worten: 'Explicit libellus beati Columbani' und ausserdem führt, wie
Dümmler erwähnt, die Handschrift der Universitäts-Bibliothek zu Cambridge
1567 Gg. 5. 35 s. XI. die Sprüchwörter ein: 'Incipiunt versus Columbani
abbatis de bonis moribus observandis' ; allerdings in Anbetracht, dass,
wie Dümmler dargethan hat, auch Sprüche des Alterthums, das Gemein-
gut der ganzen Folgezeit, unter den Monosticha sich finden, verschliesse
ich mich nicht der Möglichkeit verschiedener Redactionen — sodass nur
Ueber die Columban-Briefe. 521
Urheber der 'Regula monastica zum Verfasser haben sollte,
ist auch mir im höchsten Grade unwahrscheinlich; aber der
innere Zusammenhang dieses Stückes mit den poetischen Briefen
und den Sprüchwörtern ist auch von Hertel nicht erwiesen
und nicht zu erweisen: bei der geringen Ausdehnung des
Epigramms, welches vier Verse umfasst, ist es vielmehr möglich,
dass es als anderes Eigen unter die Stücke Columbans sich
eingeschlichen hat.
Den 3. Brief eine Spielerei, wie sie dem ernsten Sinne
Columbans nicht zuzutrauen ist, darum zu nennen, weil versus
Adonei zur Anwendung kommen, ist doch ein unbilliges Urtheil;
denn es läuft doch wohl in eine Frage des Geschmackes aus,
ob man den aus einem Dactylus mit folgendem Spondeus oder
Trochäus bestehenden Vers oder den aus denselben Bestand-
theilen gebauten Hexameter als eines heihgen Mannes würdiger
bezeichnen will.
Von grösserem Belang scheint der Eimvand Hertels zu
sein, dass im 1. und 2. Briefe der Verfasser sich 'Columbanus'
nennt, der Abt von Luxeuil und Bobbio aber niemals dieser
Form, sondern der Form 'Columba sich bediene. Dagegen
ist aber anzuführen, dass auch die Selbstbezeiclmung Colum-
bans in den prosaischen Briefen keineswegs nur 'Columba' ist;
so nennt er sich in seinem frühesten Briefe 'Bar-Iona'^ und
übersetzt diesen chaldäischen, junge und daher imansehnliche
Taube bedeutenden Ausdruck durch das immittelbar folgende
'vilis Columba'; ja er scheint auf den hebräisch -chaldäischen
Namen Jonas getauft zu sein, wenn ich eine Stelle in seinem
4. prosaischen Briefe richtig auffasse: 'mihi lonae hebraice,
Peristerae graece, Columbae latine, potius tantum vestrae idio-
mate linguae nuncupato^, licet prisco utor' hebraeo
nomine, cuius et paene naufragium subivi, veniam . . . date';
und damit noch nicht genug, dass Columban eigentlich den
hebräischen Namen führt und nur mit lateinischem benannt
die älteste dem Colamban anzugehören braucht, jede weitere um Aende-
rungen willen, welche zumeist in Vermehrungen bestehen mochten, mit
einem Sehein des Rechten einem anderen Urheber beigelegt werden
konnte — um so weniger, als mir die Handschrift M diese Auffassung
zum Theil zu empfehlen scheint; denn von den neunzehn Versen, welche
die Handschrift weniger als die vollständigsten hat, sind siebzehn von
Dümmler als Entlehnungen aus den Distichen Catos und der lateinischen
Anthologie angesprochen worden. 1) So ist das von Fleming überlieferte
'Bargoma' ('Bargma' in der St. Galler Handschrift) aufzufassen, wie mir
ein des Hebräischen kundiger Freund, Herr Rechtsanwalt Hugo Levy,
mitgetheilt hat. 2) So lese ich mit Benutzung einer Emendation
Flemings statt des handschriftlichen 'nacto' oder 'nancto'. 3) So habe
ich nach dem von Metzler und Fleming gebotenen 'inter' emendiert:
Columban verbindet 'licet' gewöhnlich mit dem Indicativ.
522 Wilhelm Gundlach.
wird, er selbst heisst sich in der Aufschi-ift des Briefes, aus
welchem die mitgetheilte Stelle stammt, 'Palumbus' nach der
scheuen Holztaube 'palumbis''. Man wolle dazu beachten,
dass der Verfasser der Vita Columbani, den man als einen
jüngeren Zeitgenossen des Heiligen betrachten darf, zwar auch
die Namensform 'Columba kennt ^ und anwendet^, aber doch
an den weitaus meisten Stellen 'Columbanus' gebraucht, ein
Verfahren, zu welchem er sich schwerlich verstanden hätte,
wenn nicht auch die zuletzt erwähnte Namensform eine wohl-
berechtigte, durch seinen Helden selbst beglaubigte gewesen
wäre *.
Hertel sucht einen allgemeinen Scheidungsgrund gegen
die prosaischen Briefe in der freieren Lebensanschauung und
der grösseren Reinheit und Klarheit der Sprache zu gewinnen,
welche in den poetischen Stücken zu erkennen sind; er führt
die Sprachverschiedenheit dann noch genauer dahin aus, dass
in den prosaischen Briefen nur Kirchenväter, in den poetischen
andere Musterschriftsteller angezogen werden*. Darauf ist zu
erwidern, dass, wenn man das Epigramm auf die Frauen
aussondert, schwerlich noch in den poetischen Briefen ein Zug
ersichtlich ist, welcher nicht mit der strengen Lebensanschauung
Columbans in seinen anderen Briefen und Schriften in Ein-
klang zu bringen wäre, und dass, ob auch wirklich der ange-
gebene Unterschied in der Sprache besteht, Hertel nicht befugt
ist, daraufliin die poetischen Stücke dem Columban abzu-
sprechen, weil er selbst vortrefflich die unterscheidenden Stil-
eigenthümlichkeiten der drei Arten Columbanischer Prosa-
scnriften entwickelt hat, ohne deshalb eine derselben zu ver-
dächtigen. Er sagt nämlich S. 427: 'In allen drei Arten hat
Columba eine besondere Schreibart. In den Briefen schreibt
er lebendig, feurig: man fühlt das Vibrieren seines sanguini-
schen Temperaments; seine ganze Persönlichkeit legt er in
1) Der Schluss der Aufschrift: 'mirum dictu, nova res — rara avis
scribere audet Bonifacio patri Palumbus' ist eine seltsame Ausdrucks-
weise. 2) Die Firzählung beginnt (p. 7) mit den Worten: 'Columbanus
igitur, qui et Columba dicitur'. 3) Im Prologe (p. 6) ist von 'beati
Columbae gesta' die Rede ; ausserdem habe ich die Form, ohne auf eine
genaue Zählung auszugehen, noch p. 22 bemerkt. 4) Auch von dem
heiligen Gallus sind mehrere andere Namensformen bezeugt: Gallon,
Gallun, Gilian; vgl. MG. SS. II, 5 n. 3. 5) Zu diesem Urtheil scheint
mir in unversöhnlichem Gegensatze zu stehen, was Hertel S. 402 sagt:
'In seinen (Columbas) Schriften zeigt sich eine grosse Belesenheit in der
klassischen Litteratur und eine genaue Kenntnis der Kirchenschriftsteller';
denn wie anders könnte wohl eine grosse Belesenheit in der klassischen
Litteratur sich zeigen, als dadurch dass Columban viele Wendungen der
Klassiker anführt! Oder sollte Hertel hier, im Anfang seiner Abhand-
lung, noch die poetischen Columban-Briefe als Erzeugnisse des Heiligen
ansehen, und sie ihm erst am Ende seiner Arbeit absprechen?
Ueber die Columban-Briefe. 523
diese Zeilen ... In den paränetischen Schriften wendet er
einen frommen, salbungsvollen Ton an: sich stützend auf die
Autorität der Bibel, sucht er mit liebevollen, schmeichelnden
Worten die Herzen zu gewinnen, sodass man in diesen Werken
keine Spur jenes so starken, eigenwilligen Geistes zu entdecken
vermöchte. In dem Bussbuch und der Regel ist er kurz und
einfach, den Gesetzesstil nachahmend.' Aber der Gegensatz
zwischen den poetischen Briefen und den prosaischen Schriften
Columbans ist gar nicht so gross, als man nach Hertels Worten
annehmen könnte. Zwar in einem poetischem Schreiben ist
die ausdrückliche Anführung eines Kirchenvaters nicht zu
belegen, man müsste denn gerade im 2. Briefe den 71. Vers:
*Ver, aestas, autumnus, hiems, redit annus in annum'
dahin rechnen, von welchem Goldast a. a. O. anmerkt, dass
ihn Hieronymus im Ezechiel-Commentar 'quasi ex veteri poeta'^
eitlere; aber in dem 7. prosaischen Schreiben heisst es *ut ait
quidam, etiam tuta timeo' und dieser 'quidam' dürfte kein
anderer als Vergil, der Ausspruch der Aeneide (IV, 298:
'Omnia tuta timens') entnommen sein. Ausserdem zeigen aber
noch eine ziemliche Anzahl von Stellen, dass Columban wie
in den poetischen^, so auch in den prosaischen Briefen, so
wenig man es nach dem behandelten Gegenstande erwarten
sollte, seine Gedanken in die Worte römischer Dichter kleidet;
so ist z. B. im 1. Briefe die Wendung 'acsi marina trabe
interclusus' vielleicht von Vergil (Aen. IV, 566: 'lam mare
turbari trabibus') oder Horaz (1. Carm. I, 13: 'ut trabe
Cypria . . . nauta secet mare') bestimmt, im 2. Briefe 'Capiat
nos simul, oro, Gallia' wohl auf Vergil (Aen. IX, 644: 'Nee
te Troia capit') oder Juvenal (X, 148: 'quem non capit
Africa') zurückzuführen und für 'unusquisque quod arri-
puit servet' das bestimmende Muster bei Horaz (Ars poet.
475: 'Quem vero arripuit tenet') zu erkennen. Im 3. Briefe
1) Es heisst in den Opp. Hieronymi (ed. Vallarsi) V, 11: '(annus)
ab eo, quod semper . . . in se redeat, nomen acceperit; de quibus
pulchre uno versiculo dictum est: Ver, aestas, autumnus, hiems et
mensis et annus'. Die Ermittelung des 'vetus poeta' verdanke ich Herrn
Geheimrath Dümmler; die Verse 62 — 72 sind nämlich wortgetreu einem
Gedichte entnommen, welches Riese in der Anthologia latina (n. 676, Pars
prior, II, p. 137) und Baehrens unter den Poetae latini minores (V, 349. 350)
herausgegeben haben. 2) Der genaue Nachweis, dass Horaz, Vergil,
Juvenal, Ovid, Ausonius, Prudentius u. a. in den poetischen Briefen
benutzt sind, wird in der Ausgabe geführt werden; an dieser Eigenheit
hat, wenn auch in geringerem Grade, der 4. Brief, welcher von Hertel
gesondert behandelt wird, Antheil, wie denn wenigstens eine Stelle auch
für seinen förmlichen Zusammenhang mit dem 1. Briefe beigebracht
werden kann: 'Lubricum quod 1 a bitur' und 'senescens delabitur'
(4, 26. 54) lässt sich wohl mit 'Labitur in Senium' und 'Lubrica
mortalis cito transit gloria vitae' (1, 3. 15) in Verbindung bringen.
524 Wilhelm Gundlach.
könnte 'nolo subeas tantum onus, sub quo ego sudavi'
an die Aussprüche des Horaz (1. Sat. IX, 21) 'Cum gravius
dorso subiit onus' und (2. Epist. I, 169) 'sudoris nimium,
sed habet comoedia tanto Phis oneris' erinnern. In der Auf-
schrift des 4. Briefes ist der Ausdruck 'rara avis' zweifellos
der römischen Dichtersprache entlehnt : er begegnet zuerst bei
Horaz (2. Sat. II, 26) und ist dann auch bei Juvenal (VI, 165)
und Persius (I, 46) zu belegen. Aus dem Briefe selbst ist
die ganze Schilderung: 'mare procell o suni est . . . , quia
non a sola minax unda, quae etiam permota pontum
semper cautis spuraosis concavat vorticibus ... de
longo turgescens extollitur et ante se carbasa sulcatis
Orco » molibus trudit' aus dichterischen Redensarten zusammen-
gesetzt: Prudentius trägt etwa dazu bei (Cathera. VII, 108)
'fit procellosum mare' und (ibid. V, 72) 'Audet se pelago
credere concavo . . . Sed confusa dehinc unda revolvitur
In semet revolans gurgite contiuo', Ovid (Met. I, 569) 'spu-
mosis volvitur undis', Horaz (2. Carm. X, 2) 'dum pro-
cellas Cautus horrescis' und (1. Carm. XII, 31) 'Et minax
cum sie volvere ponto Unda recumbit' und Vergil (Aen. V, 127)
'imraotaque attollitur unda', (ibid. X, 196) 'saxumque
undis immane minatur Arduus et longa sulcat maria
alta carina; weiter hat in demselben Briefe 'hie tota stat
causa' bei Vergil an (Aen. VII, 553) 'Stant belli causae'
oder bei Horaz an (1. Carm. XVI, 19) 'Stetere causae' ein
Muster; für 'qui unica spes ... es' ist bei Vergil (Aen.
XII, 57) 'spes tu nunc una' und für -per mare gentium
equitans turbavit aquas multas' bei Horaz (4. Carm. IV, 43)
'eurus Per Siculas equitavit undas' und bei Ovid (Met.
III, 473) 'turbavit aquas' anzuziehen. In dem 5. Briefe
kann man 'contra ius fasque' mit Vergils (Ge. I, 269) 'Fas
et iura sinunt', besser noch mit Persius' (II, 73) 'ius fasque'
vergleichen, ferner 'sacri ingenii diffusa sunt lumina' mit
Vergils (Cu. 176) 'Lumina diffundens' in Verbindung
bringen und die Stelle 'ut illam spiritualem vivi fontis venam
vivamque undam scientiae caelitus fluentis ac in aeternam
vitam sal lentis haurirem' beeinflusst sein lassen von
Vergils (Ge. III, 460) 'salientem sangiüne venam', (Cu. 146)
'manans ex fontibus unda', (Ge. IV, 262) 'refluentibus
undis' und (Aen. IX, 22) 'ad undam processit summoque
hausit de gurgite lymphas'.
Indem endlich Hertel an den nämlichen oder ähnlichen
Wendungen in den poetischen Schriften Columbans die Ein-
heit ihrer Verfasser erkennt, indem er also zugiebt, dass auf
diesem Wege die Identität der Urheber erwiesen werden kann,
1) So glaube ich für das 'octo' der Ueberlieferung lesen zu sollen.
Ueber die Columban-Briefe. 525
liefert er eine Waffe zur Bekämpfung seiner Meinung. Wie
nämlich Hertel die poetischen Schriften Columbans behandelt
hat, so können ja auch zu diesen die prosaischen Schriften Colum-
bans in Beziehung gebracht werden: es ergiebt sich auch so
an mehrfachen Belegen ihre Zusammengehörigkeit i. Dafür
will ich nur anführen, dass im vierten Kapitel der Instructio
(Rossetti II, 36) der Satz 'ut aeteraam immensae gloriae vitam
adprehendamus' fast genau mit dem 4. Verse des 1. poetischen
Briefes 'Ut tibi perpetuam liceat comprendere vitam' (vgl.
luvenc. III, 502) übereinkommt, dass aus der Instructio (ibid.
p. 37) ^Respuamus mundi honores' im 2. Briefe dem 34. Verse
'vanosque refutat honores' (vgl. Verg. Aen. XI, 52) und aus dem
dritten Kapitel (ibid. p. 33) 'qui nudus natus, nudus sepeliris'
dem 54. Verse des 2. Briefes : 'Nudi nascuntur, nudos quoque
terra receptat' entspricht, dass insbesondere auch noch aus
dem dritten Kapitel (ibid. p. 29) 'Mundus enim transibit et
quotidie transit' der klare Anfang des 4. Briefes ist: 'Mundus
iste transibit 2, Cotidie decrescit'; ferner kann wohl im 4.
prosaischen Briefe '(Christum) sine fine laudare' mit dem
156. Verse des 3. poetischen Briefes '(Christus) Qui sine fine
(regnat)' verglichen werden s. Eine durchgehende Eigenheit
bildet aber der Umstand, dass, wie es bei dem 1. ('Du veniam
dictis; fuimus fortasse loquaces') und 3. poetischen Briefe
(^Ista loquaci Nunc cecinisse Carmina versu) schon erwähnt
ist, Columban sich der 'loquacitas' zeiht, selbst da, wo er, wie
bei dem kurzen ersten Gedichte, gar keinen Anlass dazu hat;
das findet sich nämlich im 2. prosaischen Briefe ('Ego scio,
quod multis superflua videbitur haec mea loquacitas'
und 'Date, quaeso, veniam meae loquacitati') und im
4. ('Date, quaeso, veniam mihi . . . cuidam loquaci')*;
es findet sich aber auch schon zweimal in der Instructio
(Rossetti II, 23: 'Plus seit pietas tacens, quam impia loqua-
citas'und ibid. p. 64: 'et licet forte superflua aliis videa-
tur ista nostra loquacitas').
Mit diesen Auslassungen glaube ich den poetischen Columban-
Briefen die Anerkennung, dass sie von dem Stifter der Klöster
1) Der zuletzt aus dem 5. Briefe angeführte Satz ist z. B. deutlich
auch im dreizehnten Kapitel der Instructio in den Worten 'fönte m
aquae vivae . . . ut bibamus aquam vivam et salientem in vitam
aeternam . . . vivam undam . . . semper hauriendus est nobis'
wiederzuerkennen. 2) Nach dem angeführten Vorbilde ist meine Aen-
derung 'transibit' statt des von Goldast g-ev^'äblten 'transit et' — die
Handschriften haben 'transivit' — g-erechtfertigt. 3) Eine Berührung
der Monosticha damit ist oben S. 517 Anm. erwähnt worden. 4) In
demselben Briefe beisst es später noch einmal: 'veniam, quaeso sicut
saepe rogavi, date'.
526 Wilhelm Gundlach.
Luxeuil und Bobbio herrühren i, erwirkt zu haben, zumal es
sich ja gar nicht darum handelt, etwa ohne Verfassernamen
überlieferte Briefe einem anderweitig bekannten Autor zuzu-
weisen, sondern einzig und allein die Angabe alter Handschriften
— die älteste aus dem achten Jahrhundert nennt schon den
im siebenten Jahrhundert verstorbenen Columban als Urheber
— wieder zu Ehren zu bringen ist.
1) 'Noch zwei andere Männer kennen wir unter diesem Namen: den
sogenannten älteren Columba, den Gründer der Klöster Dearmach und
Hy, Apostel der Picten; der andere ist ein Verwandter unseres Heiligen,
der ihn nach Gallien begleitete und im Kloster Luxeuil starb' (Hertel
S. 400 Anm. 8). Obwohl dem älteren Columban ein noch vorhandenes
Gedicht de fabrica mundi (vgl. Dümmler, Poetae lat. II, 157 n. 2 bei-
gelegt wird — Peiper hat freilich die auf einen 'Vetus Catalogus codicum
sancti Nazarii Laurissensis' zurückgehende Anschauung bekämpft, indem
er (Auct. antiq. VI, 2, p. LIII) die Angabe Mais (Spicil. Rom. V, 192):
'. . . 22 de virginitate metrum Dracontii. 23 de fabrica mundi metrum
Columbani. alii versus quam plurimi in uno codice' für falsch abgetheilt
erklärt und also berichtigt: '. . . de virginitate. 22 metrum Dracontii de
fabrica mundi. 23 metrum Columbani. alii versus quam plurimi in uno
codice' — , so scheint es mir doch in Anbetracht der inneren Zusammen-
gehörigkeit allor Columban- Schriften und -Schriftstücke ausgeschlossen,
dass ein anderer als der Abt von Bobbio der Verfasser der poetischen
Columban-Briefe ist.
XIV.
Ueber die
Orthographie Papst Gregors I.
Von
L. M. Hartmann.
J_/a ich für die Monumenta Germaniae mit der Fortsetzung
der durch Ewalds Tod unterbrochenen Ausgabe der Briefe
Papst Gregors I. betraut wurde, erschien es mir nothwendig,
mir ein Urtheil darüber zu verschaffen, in welcher Orthographie
diese Briefe ursprünglich geschrieben worden sind '. Die
Handschriften der ßriefsaramlungen, deren archetypi, wie Ewald
nachgewiesen hat, nicht vor dem letzten Viertel des 8, Jahr-
hunderts aus dem päpstlichen Register ausgezogen worden sind^
lassen in orthographischer Beziehung natürlich keine sicheren
Rückschlüsse zu. Das Material, aus dem ich schöpfen konnte,
um die Orthographie des ausgehenden 6. und beginnenden
7. Jahrhunderts kennen zu lernen, ist auch nicht in gleicher
Weise verwendbar um zu erkennen, wie ein römischer Papst
dieser Zeit seine Briefe geschrieben hat. Allerdings sind uns
Originalquellen aus jener Zeit in den Marini'schen Urkunden
und in Inschriften erhalten; von vornherein wird es aber,
kämen auch die örtHchen Verschiedenheiten nicht hinzu, nicht
als wahrscheinlich gelten können, dass in der päpstlichen Kanzlei
bei den Schreibern des Registers dieselbe elende Orthographie
herrschte, welche die Schreiber von Kauf- oder Miethcontracten
von Privaten oder auch die Notare der ravennatischen Kirche
anwendeten. Es ist mir nur eine Urkunde dieser Zeit bekannt,
die möglicher Weise Original ist und auf einen im Auftrage
des Papstes handelnden Beamten der römischen Kirche zurück-
geht und daher allenfalls herangezogen werden kann ; leider
enthält dieselbe aber fast nur Namen. Bei den Inschriften,
deren nicht gerade eine grosse Zahl mit Bestimmtheit auf
unsere Zeit zurückgeführt werden kann, ist gleich grosse Vor-
sicht geboten, sowohl wegen der territorialen Verschiedenheiten,
als wegen des Vulgär- oder Mischlateins, dessen Einflüssen
sie gewiss mehr ausgesetzt waren, als die Erzeugnisse der
päpstlichen Kanzlei.
Schon geringere Fehlerquellen hat man bei einem anderen
Theile des Materiales zu besorgen, bei Handschriften von
Schriftstellern der Zeit, die im 6.-7. Jahrhundert geschrieben
1) Für die Unterstützung bei diesen meinen orthographischen Unter-
suchungen bin ich namentlich Herrn Prof. Mommsen zu grossem Danke
verpflichtet.
530 L. M. Hartmann.
sind. Am meisten Annäherung an die Orthographie der
Gregorbriefe müssen gleichzeitige oder fast gleichzeitige Hand-
schriften anderer Werke desselben Papstes bieten. Eine Hand-
schrift der ersten Art, die noch dazu in ihrem Ursprünge auf
die päpstliche Umgebung zurückgehen muss, ist die Handschrift
der Papstleben aus Neapel (früher Bobbio), die Duchesne ver-
glichen und mit B 1 bezeichnet hat. Leider enthält diese Hand-
schrift, da sie am Schlüsse verstümmelt ist, die Biographien
nur derjenigen Päpste, welche vor dem Ende des 5. Jahr-
hunderts gestorben sind, ist aber selbst im 7, Jahrhundert
geschrieben J. Eine Handschrift der Dialoge Papst Gregors,
die aus der Mitte des 8. Jahrhunderts stammt, hat Waitz
benutzt; es ist ein codex Ambrosianus^ der aus ßobbio stammt'.
Um ausser diesem durchaus ungenügenden Materiale
anderes kennen zu lernen, das mich meinem Ziele näher bringen
konnte, ging ich im Auftrage der Monumenta auf Reisen.
In München erlaubte mir in liebenswüi'digster Weise Herr
Prof. Th. Stangel, an den ich durch Herrn Prof. v. Hartel
empfohlen war, seine Collation der Veroneser Handschrift s. Vll.
von Cassiodors Complexiones einzusehen und einen grossen
Theil derselben nach orthographischen Gesichtspunkten zu
excerpieren ^.
Mehr als 14 Tage brachte ich in Troyes zu, dessen reich-
haltige Bibliothek mir durch die unvergleichliche imd echt
französische Liebenswürdigkeit des Bibliothekars der Stadt
Troyes, Herrn S. Det, lange über die gewohnlichen Bibliotheks-
stunden hinaus oifcn stand. Abgesehen von einigen kleineren
Collationen, mit denen mich Herr Prof, Dümmler und Herr
Dr. Krusch beauftragt hatten, bestand meine Arbeit in der
Collation des Cod. 504, der die regula pastoralis Papst Gregors L
enthält*. Es ist allgemein angenommen worden, dass der
1 ) Duchesne, Ausgr. des Lib. pont., p. CLXXVI. Die Handschrift
reicht in ihrer gegenwärtigen Gestalt bis 498; wie weit sie ursprünglich
reichte, ist unbestimmbar. 2) MG., Scr. rer. Lang., S. 624 ff.: Ambro-
sianus B 159 sup. (= 1). Waitz sagt: 'quamvis de vera Gregorii ortho-
graphia ex his fragmentis iudicare vix ausim'. 3) S. Reifferscheidt,
ßibl. patr. Lat. : Verona. 4) Vgl. die Beschreibung der Handschrift
im Catalogue ge'n. des Mss. des bibl. publ. des departements, tome II,
Paris 1855. Die Handschrift bestand aus 13 Quaternionen, denen
noch der Index auf zwei Doppelblättern, von denen jetzt das eine fehlt,
vorgesetzt ist. Der 2. Quaternio, sowie der Schluss des letzten fehlen
jetzt. Jeder vollständige Quaternio mit Ausnahme des vorletzten, der
um 2 Blätter grösser ist, besteht aus 12 Blättern. Jetzt sind die Blätter
des Codex von 1 — 155 numeriert, wobei nach f. 138: f. 138 bis folgt.
— Die einzelnen Seiten sind liniert und auch die Seitenränder durch
Linien abgegrenzt. An den verstümmelten Randbemerkungen sieht man,
dass die Blätter oben und an der Seite grösser gewesen und dann
beschnitten worden sein müssen. — Die Anfänge der Kapitel, ebenso
Ueber die Orthographie Papst Gregors I. 531
Codex spätestens aus dem Anfange des 7. Jahrhunderts stammt
und man wird jedenfalls nicht daran zweifeln, dass er in dieses
Jahrhundert gehört. Die erste Hand, die den Text geschrieben
hat, ist uncial: sie schreibt b noch durchaus in Majuskelform,-
e ist regelmässig uncial und capital nur, wenn es aus i corri-
giert ist ; f reicht unter die Zeile, h und 1 überragen ; m ist
durchaus uncial; r reicht nicht unter die Zeile. Regelmässig
abgekürzt werden nur, und zwar in der gewöhnlichen Weise:
Christus, deus, dominus, lesus, sanctus, spiritus. Abkürzungen
der Endungen und Ligaturen kommen nur wegen Raummangels,
namentlich am Ende der Zeilen, vor. Auch ae wird regel-
mässig getrennt geschrieben. Die Wortabtheilung ist nicht
correct.
Auch die m. 2 ist uncial ; sie hat die Evangeliencitate
an den Rand geschrieben und zugleich den Text corrigiert,
indem sie in ihn oder am Rande Einschiebungen vornahm.
Auch diese Hand schreibt noch durchaus das Majuskel-b, ist
aber kleiner, als die m. 1, und hat, wohl wegen des häufigen
Raummangels, auch häufigere Ligaturen. — Eine dritte alte
Hand kann noch unterschieden werden, die namentlich einzelne
Buchstaben corrigiert und insbesondere aus u:b gemacht hat;
diese schreibt b nicht mehr in JMajuskelform. — Die Geschichte
der Handschrift kann man nicht über die Bibliothek des
Fran9ois Pithou zurück verfolgen'. Mabillon soll gemeint
haben, dass man in ihr möglicher Weise ein Autographon
Gregors des Grossen vor sich habe. Allein abgesehen von
allem Anderen scheint es mir nicht zAveifelhatt, dass der
Codex von Troyes aus einer anderen Handschrift abgeschrieben
ist, vielleicht einer solchen, die der Papst an irgend einen
gallischen Bischof geschickt hat.
Eine gewisse Aehnlichkeit mit der Hs. von Troyes hat
der Pariser Codex 2206, in den ich auf der Pariser National-
bibliothek Einsicht nahm. Er enthält die 5 letzten Bücher von
Gregors Moralia in lob. Der Katalog aus dem 18. Jahrhundert
setzte den Codex in das 8. Jahrhundert. Aber die Mauriner
hatten gemeint, dass er 'Gregorii aetatem paene attingere
die den Kapiteln vorstehenden Zahlen sind mit rother Schrift geschrieben,
manchmal auch mit grün oder gelb verziert. Die Dinte des Textes da-
gegen ist schwarz. Manche Stellen, die in Folge der Durchlöcherung
des Pergamentes schwer leserlich geworden sind, sind später über der
Linie wiederholt worden; an solchen, an denen die Dinte verblasst war,
scheint später nachgefahren worden zu sein. — Aus einem Vergleiche
mit Reg. Gregorii ed. Ewald I, 24 a ergiebt sich mir, dass der Trecensis
der von Ewald für diesen Brief benutzten Handschrift der reg. past. von
Ivrea (nach Reifferscheidt: s. VIII, nach Ewald : s. VII, in merow. Schrift)
vorzuziehen ist. Der Trec. hat S. 38 Z. 3 thatsächlich in statt ut.
1) Grosley, Vie des Pithou, t. II, p. 278.
532 L. M. Hartmann.
videtur'; auch mir erschien es wahrscheinlich, dass die Hand-
schrift aus dem 7. Jahrhundert stamme. Um jedoch ein mass-
gebendes Urtheil einzuholen, wendete ich mich an H. Leop.
Dehsle mit der Bitte, mir seine Ansicht mittheilen zu wollen.
L. Delisle, der meine Bitte mit der grössten Liebenswürdigkeit
erfüllte, meint, dass die Handschrift jedenfalls nicht jünger
sei als der Anfang des 8. Jahrhunderts, eher aber noch ins
7. Jahrhundert gehöre. Das b hat noch regelmässig Majuskel-
form. Die Evangeliencitate sind nicht, wie in dem Codex von
Troyes, an den Kand geschrieben, sondei'n nur durch gewisse
an den Rand gesetzte Zeichen bezeichnet. Correcturen sind
sehr häufig und, wie Herr L. Delisle die Güte hatte mir zu
bestätigen, ungefähr gleichzeitig'.
In Paris verglich ich noch einen kleinen Theil der wich-
tigen Handschrift der Gregorbriefe, die Ewald mit r 1 bezeichnet
hat (Par. Lat. 2279), mit Ewalds Collationen, Aveil Ewald
genöthigt war, diese Handschrift in der grössten Eile zu ver-
gleichen. — Femer reiste ich für einen Tag nach Chartres,
wo zwei Briefe Gregors in einer Handschrift des 8. Jahrhun-
derts erhalten sind ^. Es ist dies einer der wenigen Fälle, in
denen uns vorliegende Handschriften von Gregorbriefen nicht
auf das Register, sondern auf das Original zurückgehen. Die
Orthographie dieser Briefe ist jedoch durch den fränkischen
Schreiber derart entstellt, dass die Handschrift auf Gregors
Orthographie keine Schlüsse zulässt.
Ich will hier die wichtigsten orthographischen Abweichungen
zusammenstellen, die in den erwähnten Handschriften vor-
kommen'.
1) Herr Delisle bemerkt mir, dass er bei rascher Durchsicht keine
Correcturen gesehen habe, die ihm jünger, als der Anfang des 9. Jahr-
hunderts, 7,u sein scheinen. Wegen der Aehnlichkeit der Correcturen,
scheint mir dies auch eine Bestätigung dafür zu sein, dass die Correcturen
von Troyes mindestens nicht jünger sein können. 2) Cod. von Chartres 3.
Vergl. Bethmann im Archive VIII, 385. Auch der Berner Codex, den
Ewald benutzt hat, zeigt nur, mit welcher Willkür spätere Schreiber
Gregors Orthographie behandelten. 3) Der Index von Herrn Dr. Bruno
Krusch im 1. B. der Script, rer. Merov. hat mir bei der ersten Zusammen-
stellung als Grundlage gedient. — Ich kürze ab: P. = Codex der Reg.
past. in Troyes; I. = Pariser Cod. der Moralia ; D. = Cod. Ambrosianus
der Dialogi nach der Ausg. von Waitz und der Beschreibung von ReifFer-
scheidt; C. = Veroneser Codex der Complexionen Cassiodors nach der
Collation von Herrn Prof. Stangel; L. p. = Neapol. Codex der Papst-
leben (B l) nach der Ausg. von Duchesne. Ferner habe ich noch als
Hier, an einigen Stellen die Codices A und B aus Schoene's Hieronymus-
Ausg. herangezogen. Einige Parallelstellen habe ich aus dem von Ewald,
Reg. Greg. I, 24 a benutzten Stücke der Pastoral-Codices von Ivrea
Ueber die Orthographie Papst Gregors I. 533
e statt ae: Ausnahmslos wird herere und heresis geschrie-
ben in P., I., D., ebenso in C. und heresis auch im L. p.
Querere für qua er. kommt in P., I. und in C vor, was auf
Wort\^erwechselung beruhen mag. Häufig ist ferner derselbe
Fehler in den Vorsilben prae und praeter, bei der
Endung -aeus, bei Dechnationsendungen auf ae (auch qua
für quae), sowie auch bei Wortanfängen mit ae: in allen
Handschriften, doch in keiner regelmässig. P. pflegt zu corri-
gieren; doch bleiben uncorrigiert namentlich: celibatus; ceru-
lei; lesus, lesit (aber m. 2: inlaesus); leva (auch L. p.);
palestrarum; pene; prestat (einmal, auch C); sphera. —
Das geschwänzte e kommt in P. und I. vor, aber nicht häufig.
ae statt e: praemere, praessus (und Composita) ist sehr
häufig in den Gregorhandschriften, doch nicht durchaus und
in P. manchmal corrigiert. — Die Adverbialendung auf
ae kommt vor in I., C, L. p. und ist häufig, jedoch regel-
mässig corrigiert in P. Auch quae statt angehängtem que
kommt vor und wird von P. corrigiert. Dasselbe gilt von
Ablativen der 3. und 5. Declination. — Ferner kommen in
P. vor: aepulatus (auch richtig); aesus; interpr a e tatur (auch
C. und Hier.); piaetatis (corr. ; ebenso C.) ; praeces, deprae-
catio; praetium (auch C, aber richtig D.); taenacibus (corr.);
ferner einmal: spraebit für sprevit. — D. schreibt faeminae
(so auch Past. von I\Tea), einmal quinquaennium.
b statt p: I.: abte (corr.); L. p. hat babtisterium.
p statt b: L. p. hat einmal rempuplicam.
b statt V : Diese Verwechslung ist selten in anderen Hand-
schriften, häufiger, wenn auch meist corrigiert in P. Von
demselben Worte kommen corrigierte und uncorrigierte Formen
vor. Die m. 2. schreibt häufig proberbiis. Durch diese Ver-
wechslung werden aus Perfecten scheinbare Futura, z. B. P.:
adamabit, creabit (wohl auch exibit, aber corr.); ebenso
D.: liberabit, adiubante und Hier.: mutabero. Neben ein-
ander kommen in P. corrigierte und nicht corrigierte Formen
vor, z.B. von brebis (so auch C), elebare, sublebare, fabor,
iubare, libor, nobissimus, binum; bolutabrum neben vol.
Meist corrigiert sind die Formen von cabere, cur bare,
labare, solbere, volbere, vobere. Uncorrigiert bleiben z.B.
abidus, grabat; conserbent, obserbandi. Es scheint aber sogar
auch umgekehrt aus iuvenes: iubenes gemacht worden zu sein.
(s. VII oder VIII) und Berlin (s. IX) genommen. — Ich muss bemerken,
dass ich I. und C. nur theilweise durchgesehen habe, dass auch D. in den
Scr. Lang, nur theilweise abgedruckt ist. — Die Schreibung der Eigen-
namen habe ich meist nicht berücksichtigt. — Die Grundlage bildet
natürlich durchaus der Trecensis, den ich ganz verglichen und ausge-
zogen habe.
Neaea Archiv etc. XV. 35
534 L. M. Hartmaun.
V statt b: Auch dieser Fehler ist wohl am häufigsten in
P., aber wiederum meistens corrigiert. Nicht immer corrigiert
ist er, wenn er im Fut. der 1. oder 2. Conj. begangen wird,
z.B. davo, carevit und öfter. Ebenso I.: adpropinquavit
im Fut. (Analog C.) Corrigiert ist in P. derselbe Fehler
im Imperf., z.B.: reverevamur. Bald corrigiert, bald
richtig ist die Adjectivendung -bihs (-vilis). Es kommt vor
varatro, vonis neben den richtigen Formen. Corrigiert
sind z.B.: adhivita, amvit, devita (so auch mitunter C),
guvernator, (h)evetes, iuvente, laviorum, livertas, lividinis,
movilitate, praeves (so auch C), provare etc. (so auch C);
supervia, tavernaculum, traves. Nicht comgiert sind z. B.,
je einmal lavore und scaviem. — 1. corrigiert cuvilia, C.
hat mitunter civos, civo, sivi.
c vor X eingeschoben: je einmal in P. : extincxit (cor-
rigiert) und D.: construcxi.
c ausgelassen: P. hat einmal autor, das wohl noch von
derselben Hand corrigiert ist, sonst stets auctor. C. hat ein-
mal cunta. (D. setzt einmal discentus für discinctus).
e statt qu und der umgekehrte Fehler sind selten. P.
schreibt gewölmlich locutus etc. Doch kommt einmal loquu-
turi vor, viermal loquutio und regelmässig quur statt cur.
In I. bemerkte ich einmal loquotus und einmal secuntur;
dagegen findet sich in D. regelmässig locutus.
e vorausgestellt: das später häutige 's impura' findet sich
von den Gregorhandschriften nur in D., wo expectaculum
(Wortverwechslung Vj und exenia vorkommt. (Vielleicht wurde
exspoliare mit spoliare vei'wechselt).
ti statt ci: Past. III, 9 (Trec. f. 62): sie enim conditi
miserabiliter sumus — custodem igitur conditionis nostr§
patientiam düs esse monstravit; sonst wird condicio in P.
immer richtig geschrieben, überhaupt ti und ci nicht verwechselt.
Auch an dieser Stelle ist das t auf Kasur; das Wort wurde
Avegen des Wortspiels corrigiert. — In D. kommt conditione
schon vor (p. 537 der SS. Lang. : ea c. interpositaj und pro-
vintia neben provincia. Auch in I. habe ich emmal con-
ditioni bemerkt; ebenso umgekehrt cicius, das aber cor-
rigiert ist. (Hier, schreibt noticia). (D. schreibt Bone-
fatius, was nicht als Fehler angesehen werden kann).
e statt i: Dieser Fehler kommt sehr häufig in I. und
häufig auch in P. vor, doch ist er in diesen beiden Hand-
schriften fast durchgehends corrigiert, während er in D.
stehen geblieben ist. Namentlich bei folgenden Wortgruppen
wird der Fehler begangen: bei Compositis von tenere; bei
addedit, crededit, perdedit, reddedit, subdedit — in beiden
Fällen mag die Form des Stammverbums die Verwechslung
erleichtert haben. Ferner bei der Endung -is der 3. Decl. ;
lieber die Orthographie Papst Gregors I. 535
auch der Ablativendung -i, z. B. P.: viro forte, in altare (neben
altari, beides f. 61 Trec, III c. 9); I.: caeleste, corrigiert;
C: a fidel e. Ferner bei der Endung des passiven Infin. praes.,
aus der die des activen wird; ferner mitunter bei den Vor-
silben di- und dis-. Verwechslung der Perfectform und der
Praesensform , wenn sich beide nur durch den Wechsel der
Vocale e und i unterscheiden, kommt öfters vor, z. ß. accipit-
accepit; in D. auch aecepiens und ebenda z. B. exegente,
receperentur. P. schreibt auch intrensecus und Formen auf
-escere, statt -i score, corrigiert sie aber; corrigiert auch
legare, (Wortverwechslung?) was D. stehen lässt, und vigelat,
was auch I. corrigiert. I. schreibt und corrigiert ferner:
exhebuisse, fedehs, inlecitus, iudecare (so auch D.), iubelo,
nemis, puretatis und dgl. (so auch D.), sengula, vesebele.
In D. kommt vor z. B. : cometatu, egitur, praestetit und dgl.
(s. ob. Comp, von dare), tetig esset und dgl., trebunus. Ganz
ähnliche Fehler machen auch L. p. und — aber nicht sehr
häufig — C. (Auch Hier., D. Der Cod. von Ivrea hat: d e dicit).
i statt e: Was die Correcturen angeht, so gilt im Wesent-
lichen dasselbe, wie in der vorigen Rubrik. Auf Wortver-
wechslung kann es beruhen, wenn in P. : all i gationibus zwei-
mal (ebenso an der einen betr. Stelle in den Codices von
Berlin und Ivrea) nicht corrigiert ist, obwohl es offenbar für
alleg. gesetzt ist. — Kegligere ist in P. und, wie es scheint,
auch in I. noch selten, überdies in P. meist corrigiert; auch
intelligere kommt in beiden Handschr. vor und wird in P.
regelmässig corrigiert. Sonst sind die vorkommenden Fehler
die umgekehrten wie in der vorigen Rubrik: Endung -is statt
-es in der 3. Decl., Endung -i statt -e (z. B. P. : semin i im
Abi., corr.); passiver Infinitiv statt des activen (zwei nicht
corrigierte Fälle in P. könnten auch auf verschiedene gramma-
tische Auffassung zurückgehen); Endung -it statt et. Auch
di- statt de-. Häufig sind diese und ähnliche Fehler auch
in D., sowie in C. und L. p. (Desgl. Hier. B.)
oe statt e und umgekehrt: P. hat zweimal fedare für
foedare geschrieben, aber corrigiert (in einem Falle wurde
vielleicht an fetare gedacht). Wenn in P. einmal coeperit,
in D. einmal coeperant statt cep. vorkommt, so ist das auf
Wortverwechslung zurückzuführen. Einmal finde ich in P.
auch cepta. jedoch corrigiert, für coepta, während auf dem-
selben Blatte einige Male richtig coept. vorkommt.
f statt v: fertice einmal in D. (Verwechslung von pro-
vectus und profectus in P.).
Falsche Gemination der Consonanten oder der umgekehrte
Fehler: P. schreibt den Praesensstamm von reperire mit pp;
femer kommt vor: gluttientes; modullationem (corr.);
Thessall onicenses (m. 1 und 2; L. p.: Thesallonic). D. hat
35*
536 L. M. Hartmann.
einmal und L. p. öfters sepellire. Dagegen schreibt P, durch-
aus tintin abulum, corrigiert molescunt und hat einmal aus-
nahmsweise pecata. Meist wohl auf Schreiberversehen zurück-
gehende Fehler derart auch in den anderen Handschriften. In
C. fand ich je einmal animtiat und reperisse.
g: P. hat stagnum statt stannum (Wortverwechslung?),
corrigiert pimentum in pigmentum.
h ausgelassen: P. und D. schreiben asta, aurire, exor-
tationes, doch corrigiert P. dies letztere Wort in vielen
Fällen, ebenso wie häufig, wenn am Wortanfange oder nach
c : h ausgelassen war. Per o rrescere ist in P. öfters uncorrigiert
gebUeben; ferner ausser den schon angeführten Wörtern: cla-
mis, corda, ebetes, incoare. D. hat je einmal ausnahmsweise
abuisse und ortus statt hortus. I. hat inchoare neben incoare
und perorrescens. Auch C. und L. p. lassen h mitunter am
Anfange des Wortes und nach c imd t aus.
h hinzugefügt: P, schreibt regelmässig himum; I. mit-
unter, corrigiert es aber mitunter. P. und D. haben mit-
unter hisdera (nom. sing.), was P. ebenso wie his statt is
corrigiert. So corrigiert P. auch sein ursprüngliches:
habundantia, hac (statt ac), exhistimare, honus (jedes je ein-
mal so vorkommend), perhimere, schreibt hypochritis neben
hypocritis. D. hat je einmal Helba und exhorta. Aehnlich
L. p., z. ß. hisdem, cohartatur, Anthiochenus.
i statt y und der umgekehrte Fehler: in P., D., C, L. p.
(u. Hier.) mitunter in Fremdwörtern. Ausserdem schreibt
P. einmal: pygmentorum und D. einmal cogytabant.
i hinzugefügt: In P. stand ursprünglich diu-chaus hü,
doch ist überall ein i fort corrigiert, während in D. hii
noch häufig steht. Ferner schrieb P. ursprünglich guila,
corrigierte das Wort aber meistens, ebenso wie das einmal
vorkommende stranguiletur; pusillanimes ist gewöhnlich richtig
geschrieben, nur einmal pusillianimes und hier corrigiert;
uncorrigiert blieben je einmal lacessiens und unianimitate
(m. 2). D. hat zweimal fugierunt, L. p. je einmal praesen-
tialiter und intira statt intra.
m ausgelassen: durch Auslassung des Schluss-m kann
das Accusativ-Object scheinbar zu einem Nomin. oder Abi.
werden, wenn es nach der 1. Decl. abgewandelt wird. Fünf
derartige Fälle lassen sich in P. nachweisen, von denen vier
corrigiert sind. Dass hier nicht Casus Verwechslung vor-
liegt, beweisen Fälle, wie ipsa (corrigiert ipsam) veniam,
besonders aber der analoge Fall: iugu, eine Form, die corri-
giert ist. Einmal finde ich auch so manu, das dann in manum
corrigiert ist. Dergleichen Fälle fand ich in D. gar nicht,
dagegen in C. bei Wörtern der 1. Decl.; und in L. p, kommt
sogar öfters in diesen Fällen die Endung -u statt -um vor.
Ueber die Orthographie Papst Gregors I. 537
Ich ziehe es vor, die Fälle in denen i n mit dem Ablative statt
mit dem Aecusative eonstruiert ist, unten bei den Constructions-
fehlem anzuführen. Dagegen scheinen hierher zu gehören: P.:
ad sponsa (m. 2, corr,), ad scientia; iuxta voce (m. 2).
D.: ad cura; intra ecclesia. C: per iustitia, ad fidem
Christiana, ad correptionem nostra, i n t e r scienti a et prophe-
tiam. Solche Fälle kommen auch in L. p. nach ad, inter,
iuxta, propter vor.
m hinzugefügt: dieser Fehler ist seltener, als der eben
besprochene. In P. finden sich 8 Fälle, in denen durch diese
Hinzufügung aus einem Ablativ ein scheinbarer Accusativ
wird; in 6 von diesen ist aber das m fortcorrigiert;
ein siebenter Fall: in montem stare steht neben: in monte
Stare. Einmal bleibt stehen: in eam figitur, vielleicht in Folge
grammatischer Zweifel des Correctors. In D. kommt dieser
Fehler in vereinzelten Fällen nach Praepositionen (ex, in, pro),
ganz selten ohne diese vor. (Einmal orationem petita als abl.
absoL, einmal Arriani causam, wo causa praepositional gebraucht
ist). Am häufigsten ist dieser Fehler in L. p. (Auch in
Hier. ß.).
n hinzugefügt oder umgekehrt: es ist in den Handschr.
ein häufiges Versehen, dass an Stelle der 3. Pers. Plur. die
3. Pers. Sing, steht. P. schreibt einmal fälschlich adamans,
Avas wohl aus dem Genet. zu erklären sein dürfte. L. p. schreibt
je einmal: Clondia, occansionem, singillata.
n statt m scheint in C. manchmal vorzukommen: circun-
cisio, contenpsit, senpiternae, jedoch nur ausnahmsweise; dazu
auch: debean punire.
o statt u: P. schreibt je einmal: copiunt, tonsi (von tun-
dere). Letzteres kann auf Wortverwechslung beruhen. Ferner
fructos im Acc. Plur. (neben dem regelmässigen fructus) imd
reato. Ebenso D.: curso (corr.), exito; ferner im Nom.
Sing.: suos (corr.), Langobardos (C: conversos); multora;
ferner im Stamme einzelner Wörter, z. B. foror, insola, iocun-
dus, nomero. Desgleichen I., namentlich vor 1: adminicola-
tur, discipolus, lectolus, paulolum, postolavit, saecola, stimo-
los, aber auch compotant, loquotns; doch corrigiert hier
I. in allen Fällen. C. hat einmal illod. In L. p. ist diese
Verwechslung namentlich in den Endungen nicht selten.
u statt o: -US statt -os im Accus. Plur. der 2. Decl. masc.
kommt in D., L. p., I. und einmal (populus) in P. vor; doch
in den beiden letzteren corrigiert. Im Abi. der 2. Decl.:
flexu genu (D.), hoc auditu (L. p.), beides erklärlich. In ein-
zelnen Wortstämmen : abuminabilis (corr., P.), agricula (corr.,
P.), apostvilus (mitunter in I. und C, in ersterem corrigiert),
custus (D., L. p.), punere (einmal in P., corrigiert, und
in C), putio (corr., P.), rubustius (corr., I.), sulius (corr.
538 L. M. Hartmann.
I.). Dazu noch einige fehlerhafte Schreibungen in L. p., nament-
lich die Endung -urium statt -orium, custus statt custos.
o statt um: wegen der Verbindung mit in verweise ich
wieder auf die Constructionsfehler. Sonst kommt diese Ver-
wechslung in P. nicht vor. Dagegen inD.: colloquio habere;
quem dispecto (Acc); succenso chbanum (Acc); ad me posito.
In I. kommen ähnUche Fehler vor (ludaico populum, ad domo),
werden aber corrigiert. In L. p.: propter quodam presbi-
tero, was doch schon mehr Constructionsfehler ist, und ad
oleo.
um statt o: auch diese Verwechslung kommt in P. nur
in Verbindung mit in vor. (Wenn einmal ursprünglich stand:
populum conversum exprobrat und dies dann in: populo
converso corrigiert wurde, so wurde offenbar ein Con-
structionsfehler corrigiert. Vgl. Reg. past. III c. 13). In D.
finde ich einmal (p. 531 Z. 2) sign um als Ablat. instrum.
gebraucht. In L. p.: sine dalmaticam aut colobium, in eodem
locum (Ablat.), in palatio Sessorianum (Ablat.).
p ausgelassen: scrituras finde ich in C. einmal; in P.
einmal, aber corrigiert, abru ta statt abru p ta.
p hinzugefügt : Dieser Fehler findet sich in P. nicht, und
in I. stiess ich auch auf kein Beispiel. Dagegen schreibt D.
einmal: sollempnia, L. p.: medempnos neben medeninos.
X statt s: In C. finde ich einmal die Form dextruxit.
Für die Assimilationen der verschiedenen Hand-
schriften lassen sich so gut wie keine Regeln aufstellen ; höchstens
dass ein oder das andere Wort in den einzelnen Handschriften
consequent geschrieben ist. Ich führe daher nur Beispiele an :
ad: P. hat durchaus ammonere, assimiUert auch sonst
regelmässig vor m, sowie vor r, schreibt appetitus, apparere,
sowie aspicere, astringere, ist aber sonst schwankend^ nament-
lich vor t, Avährend es vor s häufig nicht assimiliert. D. und
I. : adra. ; D.: assumpsit, adponentes; I.: adsumta, appo-
suit etc.
con: wird in den Gregorhandschriften vor r regelmässig
assimiliert; schwankend vor 1, m, p; in sehr vereinzelten Fällen
kommt auch cum vor. — In P. sogar conmunis.
in: Nicht-Assimilation wiegt vor vor 1 und r, ist auch
sehr häufig vor m und p.
ob: P. schreibt regelmässig opponere, opprimere, einmal
obprobrii (imd regelmässig oportunus). Vgl. unten bei b.
Pronomina: eundem etc. durchaus in P., L, D. — D.
schreibt auch: tan diu, wogegen P., I., D. : um quam etc. In
P. wiegt quid quid vor, dagegen hat D. einmal quicquid.
Ueber die Orthograjihie Papst Gregors I. 539
8ub: bei den einzelnen Wörtern und Handschriften schwan-
kend. P, hat einmal sogar ausnahmsweise subrectura, aber,
wie es scheint, regelmässig sufficere.
Neben die eigentlichen Sprachfehler stelle ich hier eine
Liste von orthographischen Eigenthümlichkeiten, die man nicht
als falsch bezeichnen kann, die aber doch für die Orthographie
von Interesse sind und die ich nicht in die obige Zusammen-
stellung aufgenommen habe:
ae: D. schreibt depraehensi (ebenso der Codex von Ivrea:
repraehendis). Moerere zweimal in D. P. regelmässig: cae-
lum^ paenitentia und saeculum etc.
a statt e: consparsio, nach dem Grundworte gebildet,
in P. und D.
b statt p: in P. kommt ausnahmsweise einmal, in C. (und
Hier.) öfters: scribtum vor; ferner einmal in P. : labsis.
p statt b: in P. ist optulit, optinere regelmässig; doch
kommt einmal ob tinuit vor. In D. beide Schreibweisen neben
einander. P. hat regelmässig suptiliter, einmal sogar optura-
bis. (Auch in L. p. regelmässig: optulit).
c: P. hat einmal parsimonia. P. und D. schreiben richtig:
artus, coartare.
d und t: P. und D. haben nur ausnahmsweise: aliut;
dagegen ist in P. : aput sehr häufig, ja es wird sogar einmal
aus apud: aput corrigiert, während D. durchaus apud hat.
Einmal in P. auch illut. D. hat einmal quatragisimo. (Hier.:
aliut, aput, illut). Umgekehrt kommen in P. (meist corrigiert)
und D. Verwechslungen von ad für at, quod für quot vor;
ferner adque ausnahmsweise in I. und C. (In L. p.: capud).
e und i: in P. finde ich calci amentum. Die Schreibung
von saltem — saltim und den mit tenus (tinus) zusammen-
gesetzten Wörtern ist in P. ganz schwankend. P. (und der
Codex von Berlin, nicht der von Ivrea) hat delitiscendo. D.
setzt -isco bei einigen anderen Inchoativen, die sonst auf -esco
auszugehen pflegen.
Gemination: P. schreibt meist: rennuere, corrigiert aber
an zwei Stellen in renuere und schreibt durchaus richtig:
sollers und sollicitus. P. und C. haben tritticum. P. hat
durchaus cotidie.
h: P. und D. haben sepulchrum. P. schreibt regelmässig
palphebrae (ß^icpaQor).
n: P. schreibt quoties; es kommt aber auch totiens —
quotiens vor.
o und u: P. schreibt ad ulescens; epistula neben epistola
(m. 2: epistula, ebenso C), ferner utrobique und soboles;
corrigiert: bubus in bobus.
p: P. schreibt gewöhnlich contemsit, contemtus, prae-
sumftio rauch Cod. von Ivrea), redemtor, temtatio, corri-
540 L. M. Hartmann.
giert aber regelmässig ein p hinein. D. schreibt mit p, I. auch
meist mit p. (C. verschieden).
ph: schon angeführt wurde das sonst ungewöhnliche, in
P. gebräuchliche : palp h ebrae. P. schrieb an einer Stelle
spera (öcfcuoa), corrigierte aber ein h hinein. In P. kommt
auch z.B. blasphemia, Ephesii, propheta vor neben Sofo-
nias (m. 2: ph), Fariseus, colafos. (L. p, setzt sehr häufig f,
einmal: porfhireticas. C, : Efesioi'um, Faraonis).
s wird nach x ausgelassen regelmässig, aber nicht durch-
gehends in P. und in D., mitunter in I. und C. und L. p.
r: ich finde in P. einmal exprobans, in D. einmal percre-
b uit.
u: P. schreibt arguere, extinguere etc., aber je einmal
extingunt und langor. In D. finde ich extingue, in I. urgentem.
Von mehr grammatischen Fehlem merke ich die
folgenden an:
C onjugationsfehler: als solcher muss es gelten, wenn
P. einmal censeunt statt censent, einmal prodeest statt pro-
dest, zweimal tondant statt tondeant schreibt. D. hat: redie-
bat und inclausus, C. : ut consequentur.
Declination: vielleicht auf blosses Verschreiben zurück-
zuführen ist das in P. einmal vorkommende: ossuum (Gen.
Plur.). Ob man die zwei in P. vorkommenden falschen Abi.
Sing, (s. e statt i) hier anführen sollte, ist zweifelhaft. Hierher
gehören aber jedenfalls die Pronominalformen: isdem (Nom.
Sing.), was in P. dreimal vorkommt und in D. regelmässig
ist, und hii, was in P., niclit aber in D. comgiert wird ; ferner
kommt in D. einmal: hoc iumento als Dativ vor. (In L. p.
Genitive, wie omni ecclesiae, lohanni). Declinationswechsel :
arbitri s als Genitiv in P. ; ebenda wird Ezechiel u m meist in Eze-
chielem corrigiert. D. schreibt: diaconum (Acc), L. p.: dia-
con e s neben diacon i ; diacon o s ; diaconi b u s.
Genus: P. hat: cubitum, Gen. cubiti, und den Acc. Plur.:
angula neben angulos. Einmal finde ich: ab ipsa fönte;
und hierher gehört wohl auch salubre potum (Acc). Die
üebereinstimmung des Relativpronomens im Genus mit dem
Substantive, auf das es sich bezieht, wird vereinzelt schon nicht
in C. (z. B. gentes, qui) beachtet und häufig nicht in L. p.
Doch finden sich solche Fehler in den Gregorhandschriften
nicht.
Praepositionen : ich verweise auf das bei m und bei
der Verwechslung von o und um Gesagte. Häufig lässt sich
nicht sagen, ob ein Constructionsfehler oder ein Schreibfehler
vorliegt. Sehr häufig Avird in scheinbar oder wirklich mit
dem Ablat. statt mit dem Accus, verbunden; dass in P.
lieber die Orthographie Papst Gregors I. 541
gerade diese Fälle der Auslassung von m und der Verwechs-
lung von 0 und um häufig vorkommen und nicht corrigiert
sind, scheint mir doch darauf hinzuweisen, dass diese Fälle
anders aufzufassen sind. Oft lässt sich auch für diese Con-
struction eine logische Rechtfertigung denken, namentlich
dann, wenn schon an das erreichte Ziel statt an die Richtung
gedacht werden kann; deshalb sind es keineswegs sämmtliche
Verba, nach denen diese Construction zugelassen wird. P.
schreibt: in nece anhelare; confodere in terra; se in favore
declinare; incidere in manu; intinguere in aqua; in culpa
lapsus; mittere in terra; in Christo peccata; in medio proferre;
in elatione sublevari; in regno se unxerat; in mente venisse ;
vertere in usu, in exercitation e. Verhältnismässig häufiger
in D., namentlich nach Participien des Perf., z. B. : ductus,
deductus, transductus ; erectus; raptus ; reversus ; versus — aber
auch nach cadere ; concludere ; ingredi ; levare : mittere, remittere ;
tradidisse; venisse; advenisse (auch Narniis auf die Frage:
wohin? und in partibus). I. schreibt z. B.: adsumere in
argumento, discendere in corruptione. (L. p. hat sogar prop-
ter quodam presbitero). Für scheinbare oder wirkliche
Setzung des Accus, statt des Ablat. verweise ich wieder
auf oben. Entschieden auf einer anderen Auffassung, als der
gewöhnlichen, beruhen folgende Constructionen in P : sub vela-
men abscondunt; gaudium erit super unum paenitentem;
in quod vigilare; dazu kommt: in terrena negotia versatur;
ferner z, B, : in paradisum conditus, in laqueum comprehen-
dit, in exsilium positus; auch einfach: in medium, in servi-
tium esse auf die Frage: wo? — hier dürfte eher Fehlschrei-
bung anzunehmen sein. In L. p. ist auf Casusvertauschung
namentlich die häufige Verbindung von cum mit dem Accus,
zurückzuführen, z. B. cum litteras, cum possessiones, cum
balneum, cum turrem.
Man kommt also zu dem Resultate, dass die Fehlerarten
in den verglichenen Handschriften grossentheils dieselben sind,
dass sich aber die Handschriften durch die Anzahl der Fehler,
die sie begehen, und durch den sehr wichtigen Umstand, dass
eine grosse Menge von Fehlern in den einen corrigiert, in
den anderen nicht corrigiert sind, von einander unterscheiden.
Von der Handschr. der Dialoge sagt Waitz mit Recht, dass
sie in der Orthographie des 8. Jahrhunderts geschrieben ist
und dass man von dieser nicht auf die Gregors zurückschliessen
kann. Sie ist weniger correct, als die beiden Gregorhand-
schriften des 7. Jahrhunderts, obwohl diese sehr viele Fehler
enthalten, die sich in der Handschrift der Dialoge wiederfinden.
Doch erkennt man sowohl in der Handschr. der Regula pasto-
542 L. M. Hartmann.
ralis, als auch in der der Moralia das deutliche Bestreben, die
orthographischen Fehler zu verbessern, sei es nun, was wahr-
scheinlich ist, nach einem correcteren Originale, von dem die
Abschrift genommen war, oder nach den orthographischen
Regeln, die der Corrector für die richtigeren hielt und die
auch thatsächlich die richtigeren waren. Dass man diejenigen
Fehler der beiden Handschriften, welche fortcorrigiert sind,
nicht auf Rechnung der gregorischen Orthographie setzen
kann, geht schon daraus hervor, dass die beiden wieder von
einander abweichen; die Pariser Handschrift war die fehler-
haftere — vielleicht war sie die später geschriebene — und
zeichnete sich namenthch durch die auffallend häufige, fast
regelmässige Verwechslung von e und i aus (namentlich e
statt i), wälirend der Codex von Troyes in vielen Fällen beson-
ders b und V nicht auseinander zu halten weiss (was in I.
nicht häufig zu sein scheint). Umgekehrt ist aber die Gleich-
mässigkeit der Correctur beider Handschriften hervorzuheben".
— Was nach der Correctur noch von Fehlem übrig blieb —
es sind ihrer nicht gar viele — muss theilweise, z. ß. wenn
dasselbe Wort bald corrigiert, bald nicht corrigiert ist, auf
Nachlässigkeit des Correctors zurückgeführt werden, ist also
in diesem Theile auch sicher nicht gregorisch; so bleibt nur
ein kleiner Rest, von dem man nicht mit Sicherheit behaupten
kann, dass er nicht der Schreibweise Gregors angehört.
In orthographischer Beziehung reduciert sich dieser kleine
Rest auf die Vertauschung von ae und e im Stamme einiger
weniger Wörter, auf die ebenfalls seltene Auslassung von h
nach c und am Anfange einiger Wörter, auf die Hinzufügung
von h im Worte himum und auf die falsche oder sonst nicht
sehr gebräuchliche Schreibung einiger Ausdrücke. Dagegen
sucht der Corrector zu vermeiden die Endung der Adver-
bien und Ablative auf -ae, soA\'ie die Verwechslung von b und
v; p und b, ti und ci, c und g werden auseinander gehalten;
s irapura findet sich nicht; Verwechslung von e und i wird
corrigiert; Verwechslung von e und oe kommt nur begün-
stigt durch Wortverwechslung vereinzelt vor; Schluss-m wird
im Texte des Originales nicht ausgelassen, noch hinzugefügt,
ebenso wenig o und u m verwechselt (ausser nach in), oder
o und u; p wird zwischen m und n nicht eingeschaltet, x
und s nicht verwechselt.
In grammatischer Beziehung werden die Genusregeln noch
eingehalten. Ganz vereinzelte Wörter werden falsch decliniert
1) Als Bestätigung^ könnte man anführen, dass der Text des Briefes
Reg. I, 24 (Ew.) nach den Briefhandschriften in orthographischer Be-
Biehnng an den gleichlautenden Stellen eher mit dem corrigierten
Trecensis übereinstimmt.
Ueber die Orthographie Papst Gregors I. 543
oder conjugiert. Nicht ganz selten ist die Construction von
in mit dem Ablative, wo es den Accus, regieren sollte, und
umgekehrt, namentlich wenn dieser Fehler zusammenhängt
mit der Vertauschung von o und um oder mit der Hinzu-
fugung oder Auslassung des Schluss-m. In syntaktischer Be-
ziehung will ich noch hinzufügen, dass die Verwendung der
tempora und modi keineswegs immer den strengen Regeln
entsprechen dürfte. Doch das gehört nicht zur Kritik der
Handschriften, sondern zu der des Autors.
Eigentlich ist ft^eilich nur bewiesen, dass die so definierte
Schreibweise einem Corrector des 7. oder Handschriften des
ausgehenden 6. oder des 7. Jahrhunderts, die unseren zur
Vorlage dienten, angehörte. Aber das wird man jedenfalls zu-
geben, dass, wenn man Mittelglieder zwischen unseren Hand-
schriften und direct von der römischen Curie stammenden
annimmt, die Orthographie, die uns vorliegt, höchstens weniger
correct geworden sein kann, als die der Curie; und dass
andererseits die Fehlerquelle, die für unseren auf die grego-
rische Orthographie gezogenen Schluss aus den Mittelgliedern
entspringen könnte, bei dem Alter unserer Handschriften nicht
als sehr erheblich vermuthet werden kann.
Man kann also sagen, dass es in der gre gor i sehen
Orthographie jedenfalls keine Gruppe von Fehlern giebt, die
consequent durchgeführt wäre. Vielmehr herrscht im Allge-
meinen die alte grammatische Ti'adition, die ja im 5. Jahr-
hundert in Rom gerade von den 'Romani di Roma' gepflegt
wurde: man darf nicht vergessen, dass Gregor einem alten
römischen Geschlechte angehörte. Desshalb drangen vulgär-
lateinische Formen, vulgärlateinische Orthogi-aphie, so weit sie
auch schon sonst ihre Herrschaft ausgedehnt haben mochten,
nur langsam und vereinzelt in die Schriften der Päpste oder
sagen wir: Gregors ein. Erst in Folge der Stürme des aus-
gehenden 6. und des 7. Jahrhunderts, die Rom in mehr als
einer Beziehung von der alten Tradition losrissen, ist dann
auch die sprachliche Tradition immer mehr geschwunden.
Eine Aeusserung Papst Gregors selbst widerlegt nicht
unsere Folgerungen. In einer oft angeführten und zu weit
interpretierten Stelle des Widmungsbriefes der Moralia' sagt
Gregor, nachdem er ausdrücklich auf seine Krankheit ver-
wiesen hat, die ihn verhindere sein Werk auszufeilen: ^ipsam
loquendi artem, quam magisteria disciplinae exterioris insinu-
ant, servare despexi; nam sicut huius quoque epistolae tenor
enuntiat, non metacismi (1. myotacismi) collisionem fugio,
non barbarismi confusionem devito, hiatus motusque (modos-
que corr. Maur.) etiam et praepositionum casus servare con-
1) J-E. 1368.
544 L. M. Hartmann.
temno, quia indignum valde existimo, ut verba caelestis ora-
culi substringain sub regulis Donati'. Dass die modi nicht
nach strengen syntaktischen Regehi von Gregor gebraucht
wurden, habe ich schon oben angeführt; bei -praepositionum
casus' kann man an die oben erwähnte Vertauschung von
Accus, und Ablat. nach in denken. Das sind grammatische
Fehler. Alles Andere, was Gregor erwähnt, bezieht sich auf
den Stil, die schöne Wortverbindung, das Rhetorische etc.;
über diesen Sinn des myotacismus imd des hiatus kann man
nach einem Blicke in einen alten Grammatiker nicht zweifeln',
und dass barbarismus hier in dieselbe Klasse von Fehlern
gehört, beweist die Stellung. Von Orthographie ist also über-
haupt nicht die Rede. Aber noch nach einer anderen Seite
hin ist die Auffassung dieser Stelle abzugrenzen. Gregor
wünschte gerade von den Moralia 'ut non longo a coUoquentis
sermone discreparent' ; er wünschte ferner gerade von seinen theolo-
gischen wSchriften, für die 'infructuosae loquacitatis levitas' nicht
passe, dass sie nicht durch äussere Mittel zu wirken suchten.
Damit ist keineswegs gesagt, dass er dieselben Mittel im
praktischen Leben verschmähte oder sich Nachlässigkeiten
gestattete, wenn er ein feierliches Actenstück ausstellte oder
an den Kaiser schrieb. Man \\ard also auch die in der an-
geführten Stelle Avirklich ausgesprochenen Grundsätze nicht
ohne Weiteres auf das Register ausdehnen können.
Man kann aber auch natürlich nicht annehmen, dass jeder,
der mit der Curie zusammenhing, eine gleich gute Orthographie
schrieb, wie die Privatschreiber Gregors. Erklärlich ist dess-
halb ein Unterschied in der Orthographie zwischen der Schen-
kungsurkunde, die Gregor als Papst seinem Kloster S. An-
drea in clivo Seauri ausstellte und die uns nur abschriftlich
erhalten ist' imd der notitia, die Reliquien aufzählt, die Gregor
an Theodelinde geschickt hat 3. Jene Abschrift setzt e statt
ae und begeht sonst nur wenige Fehler; jedoch kann man
sich auf die überlieferte Orthographie bei ihr natürlich nicht
verlassen. Unter der notitia steht: 'quas olea scä temporibus
domni Gregorii papae adduxit lohannis indignus et peccator
domnae Theodelindae reginae de Roma'. Hier spricht die
Bezeichnung: temporibus etc. entschieden dagegen, die Be-
zeichnung des lohannis als: indignus et peccator dafür, dass
die notitia von dem von Rom ausgesandten Ueberbringer aus-
gestellt ist. Vielleicht ist das, was uns vorliegt, eine ungenaue
1) Vpl. Servil comment. in artem Donati p. 444 f. Keil. 2) Marini,
Pap. dipl., n. 2; hier kommt vor: abbati monasterii S. Andreae, qui
appellatur in clivo Seauri. Ferner: in monasterio condonare; in locum
constitutus; dilictissime. Ich wiederhole, dass auf die Abschrift natür-
lich kein Verlass ist. 3) Marini n. 143. Vgl. ebenda S. 377 f.
i
Ueber die Orthographie Papst Gregors I. 545
Copie, so dass auch hier keine sicheren Schlüsse gezogen
werden können. In der notitia, wie sie uns vorliegt, ist die
Orthographie, wie es auch einem flüchtig angelegten Inventare
entsprechen würde, schlechter, als in jener Urkunde : e steht
häufig statt a e ; V für b in Sevastiani ; i öfters statt e ; h wird
im Anfange oder nach c oft ausgelassen, in: apostholi zuge-
fügt; i und y werden vertauscht; Orbani steht statt Urbani;
oleo statt oleum; de, cum imd in werden fälschHch mit dem
Accus, verbunden etc. ^
Was das Verhältnis der gregorisehen Handschriften zu
anderen aus denselben Jahrhunderten betrifft, so weise ich
zunächst auf L. p. hin, dessen Vergleichung ergab, dass Ortho-
graphie und Sprache dieser Handschrift aus der zweiten Hälfte
des 7. Jahrhunderts an Fehlerhaftigkeit die Gregorhandschriften
sogar in xmcorrigiertem Zustande übertrifft. C. dagegen ist
zwar nicht in demselben Masse fehlerhaft, wie L. p., aber doch
auch nicht so correct, wie die von uns angenommene grego-
rische Orthographie. Aber schon das Privileg des Papstes
Honorius für ßobbio (J-E. 2017) vom Jahre 628 ist, wenigstens
wie es uns vorliegt, in Satzbau und Orthographie viel barbari-
scher, als die Schriften Gregors; freilich besitzen wir das
Privileg nur in einer Copie, die etwa 3 Jahrhunderte jünger
ist, als das Original. — In der Handschrift des lateinischen
Pentateuches aus Lyon, die U. Robert herausgegeben und
Delisle ins 6. Jahrhundert gesetzt hat, kommen Fehler der-
selben Art, wie in den Gregorhandschriften vor, aber in viel
mehr Fällen. Die Uebereinstimmungen in einzelnen Verwechs-
lungen und Formen (z. B. scheinbare Futur- statt Perfectformen
oder umgekehrt; hii, depraecatio, aepulas, praessura, ad-
h erebis etc.) werden überwogen durch das Plus an Fehlern
(auch Casus- und Genusfehlern) in der Handschrift des Penta-
teuchs. Am meisten nähert sich die gregorische Orthographie
der des fragmentum Laurentianum 2, das Duchesne (auf S. XXX f.
seiner Ausgabe des Liber pontif.) bespricht und (S. 43 ff.)
abdruckt; dies Bruchstück ist im 6. Jahrhundert, vielleicht in
der ersten Hälfte desselben, geschrieben und hat sehr wenige
1) Vollends die Urkunde Marini n. 89, die ebenfalls nur abschriftlich
überliefert ist, kann für die gregorische Orthographie nicht herangezogen
werden, zumal sie nur auf Veranlassung Gregors, als er noch nicht Papst
war, von einem Stadtnotare geschrieben ist. Auch dieser schrieb: donatio
facta in monasterio, sowie: transscribo in iure dominioque; ferner steht
in unserer Abschrift regelmässig e statt ae, ti statt ci, oft -um statt -o.
Es findet sich sogar: sub stipulation e (statt -is) et spontion e (statt -is)
Bolemnitate. 2) Auf das fragm. Laur. hat mich Mommsen aufmerksam
gemacht.
546 L. M. Hartmann.
orthographische Eigenthümlichkeiten : antistis (Nom.); aliquod
annos; delatione statt dilatione; dissentione; extiterit; opti-
nere (zweimal) ; praes e deret^ res edere ; quindec e ra, undec e m ;
schismatae (einmal); scribturarum; septa; in der Assimi-
lation ist der Gebrauch schwankend: adserens, co n luctatione,
conlisione neben coUidunt; merkwürdig ist quodadmodo für
quodammodo, offenbar aus Furcht vor falscher Assimilation.
Duchesne nennt also mit Recht 'l'orthographe presque toujours
correcte'.
Da sich die römische Curie von den Barbarismen der
meisten Documente jener Zeit noch um die Wende des 7. Jahr-
hmiderts frei zu halten wusste, muss man die Frage aufwerfen,
ob sie allein im Gegensatze zu allen Uebrigen die sprachliche
Tradition aufrecht erhielt oder ob sie Bundesgenossen hatte?
In der That macht sich derselbe Unterschied in der Ortho-
graphie unzweifelhaft in den römischen Inschriften seit der
zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts — wahrscheinlich auch
schon früher — geltend. Die grosse Narses- Inschrift vom
Jahre 565 und die Inschrift der Phocas-Säule, die der Exarch
kSmaragdus im Jahre 608 aufstellen Hess ', sind im Wesent-
lichen correct. Man sieht, dass, ebenso wie die Curie, auch
das höhere Beamtenthura versuchte, in feierlichen Actenstücken
wenigstens, an der gutlateinischen Sprachtradition festzuhalten.
Vergleicht man aber die übrigen datierten stadtrömischen In-
schriften aus den Jahren 540 — 600 *, so ist das Resultat ein
ganz anderes. In diesen ist häufig:
e für 86, z, B.: hec, que, penetens, sce Romane, sexte,
seculo, presumserit, longeva etate; umgekehrt kommt
vor: diae;
b für v: comparabit (statt Perf.), ob ans, octaba, biro
(vero), bioletur, biba, bibum, bixit;
c vor X eingeschoben: . . . , sucxi, coniuncxit;
(con statt cum: einmal in n. 1099; co n paravit öfters) ;
e statt i: penetens, requiescet (Praes.), visse (? statt
vixit), deposeta; imd umgekehrt: criscere, dipo-
situs ;
h ausgelassen: in Eigennamen: Boetius, Yppolitus, lo-
annne; auch orti; (sepulchrum neben sepulcrum);
n statt m: ponpae;
o statt u: consolatu; häufig umgekehrt: im Ablat.
Sing, der 2. Decl. : quartu, undecimu; im Accus.
Plur. : annus; ferner: custus, nepus. Lumin usus;
8 statt x: öfters visit statt vixit.
1) C. I. L. VI», 1199. 1200. Ich finde nur: distructum; curbati;
Narsim. 2) De Rossi, Inscr. christ. I, n. 1072—1126.
Ueber die Orthographie Papst. Gregors I. 547
Es kommt femer vor, dass einzelne Buchstaben ausgelassen
werden: Agust, coiugi, doctiloqum, iace(t?), presumserit;
dazu kommen genus-Fehler beim Relativpronomen: qui wird
auch als Feminin gebraucht, femer q u o d in der Verbindung :
uncias fundi, quod est constitutum. Wirkliche oder schein-
bare Casusfehler nach Praepositionen sind: ad oblatione
(a. 578), deputavimus in ista sepultura nostra (a. 578), sub
indicionem (a. 584); auch: sumere morte kommt vor. — Man
sieht also, dass die überwiegende Mehrzahl der stadtrömischen
Inschriften weit entfernt ist von der Correctheit jener zwei
gleichzeitigen. Wenn aber diese noch das Vulgärlatein ver-
mieden, so ist kein Grund einzusehen, warum sich die päpst-
liche Brief-Orthographie nicht ebenfalls bis zu einem gewissen
Grade hätte rein erhalten können.
Vergleichen wir nun mit der Orthographie, die wir für
Gregor festzustellen versuchten, einige der wichtigeren Brief-
handschriften.
Die älteste uns bekannte Handschrift, welche die grösste der
drei Sammlungen der Gregorbriefe vollständig enthält, ist nach
Ewald der Casin. 71 = Rl ', aus dem Ausgange des 11. Jahr-
hunderts ; Ewald sagt, sie sei von drei Schreibern geschrieben,
die vielfach von einander abweichen, und im 13. Jahrhundert
corrigiert worden; trotzdem habe die Handschrift viel Alter-
thümliches bewahrt. Das Eigenthümliche eines jeden Schreibers
darf man natürlich nicht der Vorlage anrechnen. Ebenso
constatiert Ewald, dass in der Vorlage ae noch richtig ange-
wendet wurde. 'Die später auffällige (und daher corrigierte)
Verwechslung von v und b', sowie die 'ständige Verwechslung
von Perfect und Futurum' dagegen mögen allerdings in der
unmittelbaren Vorlage des Casinensis gestanden haben, werden
aber schwerlich im Register selbst gebräuchlich gewesen sein.
Formen wie 'adtendere, ammonere, inlicitus' werden in der
That noch aus dem Register herrühren. — Der ursprüngliche
Text scheint also in dieser Handschrift durch das Nichtwissen
eines früheren Schreibers und durch das Besserwissen eines
späteren Correctors wenigstens theilweise verändert worden zu
sein. — Das Fragment (R 2) einer Handschrift derselben
Gattung aus dem 10. Jahrhundert 'bietet weit weniger Eigen-
thümHchkeiten, besonders in orthographischer Hinsicht 2',
Orthographisch eine bessere Tradition haben die beiden
ältesten Handschi'iften der ersten Hälfte der grossen Samm-
1) In dieser Zeitschr. III, 445 ff. 2) Ebenda S. 449 f. Es Ist
vom Trevirensis 171 die Rede.
548 L. M, Hartmann.
lung, rl und r2>, zwei Pariser Codices, die aus dem 9. bis
10. Jahrhundert stammen und also nicht durch einen so grossen
Zeitraum, wie der Casinensis, von der Anlegung der Samm-
lung (Ende des 8. Jahrhunderts) getrennt sind. Diese beiden
Codices unterscheiden sich zwar auch unter einander durch
Verschiedenheiten der Schreibart — und zwar ist rl meist
correcter — doch sind die Abweichungen nicht sehr erheblich.
Die wenigen Fehler imd Eigenthümlichkeiten, die sich auch
in den ältesten Gregorhandschi'iften aus dem 7. Jahrhundert
finden, finden sich auch in rl und r2: sie schreiben z. B.
herere, heresis, ledere; verwechseln manchmal Formen von
quaerere und queri, aber b und v regelmässig nicht; die
durch Vertauschung von e und i entstandene scheinbare Ver-
wechslung von Futur und Praes. kommt vor; negligere ist
vereinzelt; repperiri lässt sich nachweisen; h wird fälschlich
ausgelassen oaer hinzugefügt öfters am Anfange des Wortes
und meist in denselben Wörtern, wie in jenen Codices des
T.Jahrhunderts. Die falsche Form i s dem kommt vor. Wenn
in nicht vorausgeht, ist die Verwechslung von -a und -am
selten; dagegen kommt vor in penitentia deputare, sowie in
monasterio recipere, revocari, deputatus. Dazu ist aber auch
noch ein Plus von Fehlern zu verzeichnen, nicht nur innerhalb
derselben Fehlergattungen, sondern auch in früher gar nicht
vorkommender Art; z. B. schreiben rl und r2: natalitius;
r 2 auch: provintia, Mauritio, sowie proemium, contempnit.
— In manchen Eigenthümlichkeiten stimmen rl und r2 mit
den alten Handschriften überein, wenn sie z. B. s nach x nicht
setzen, optinere, optulit, saltim etc. schreiben.
Der älteste Codex von Gregorbriefen, den wir besitzen,
enthält die beiden kleineren Sammlungen und stammt aus dem
Ende des 8. Jahrhunderts. Ewald bezeichnete ihn mit Cl
bezw. Pbl; es ist der Coloniensis 92. Ewald bemerkt, dass
'der Text in Form und Orthographie vielfach an die Casineser
R-Handschrift erinnert' 2. Eine theilweise Durchsicht der
Ewald'schen Collationen zeigte mir auch thatsächlich, dass in
dieser sonst sehr werthvollen Handschrift orthographische Fehler
vorkommen, die man durchaus nicht auf llechnung des Registers
setzen kann. Mag auch der Kölner Corrector sehi' genau
gewesen sein, so können sich doch diese Fehler schon in seiner
Vorlage gefunden haben, die irgend ein römischer Schreiber
direct aus dem Register abgeschrieben haben mag. Den römi-
schen Schreibern aber, denen der Diurnus als Muster diente,
kann man nur grossen sprachlichen Barbarismus zutrauen.
1) Ebenda S. 456 f.; doch ist die Reihenfolge von Par, 11674 und
2279 umzukehren, so dass der letztere r 1, der erstere r 2 heisst. 2) Ewald
a. a. O. S. 483 f. Dazu Wattenbach, D. Geschichtsqu., I (5. Aufl.) S. 247.
Ueber die Orthographie Papst Gregors I. 549
Da unsere ganze Ueberlieferung der Briefe Gregors besten
Falls auf solche römischen Abschriften aus dem Ende des
8. Jahrhunderts direct zurückgehen kann, so war ihr gegen-
über gewiss das grösste Misstrauen in Bezug auf ihre ortho-
graphische Genauigkeit gerechtfertigt. Wir waren in der Lage
zur Gorrectur der ßrieftradition auf die ältere Tradition anderer
Werke Gregors zurückzugehen, und ich glaube, dass die Unter-
suchung ergeben hat, dass diese bessere Tradition im Wesent-
lichen auf die Regeln der alten Grammatiker zurückweist.
Neues Archiv etc. XV. 36
Zusatz über einen Gregor I. zugeschriebenen
Brief (Original auf Papyrus in Monza).
Von Harry Bresslau.
Wie Hartmann oben S. 529 und S. 544 ausführt, giebt
es im Schatz der Kirche zu Monza eine Notitia über *OIea
sanctoruui martyrum', welche zur Zeit des Papstes Gregor I.
der Königin Theudehnde überbracht worden sind. Lässt
Hartmann die Frage, ob diese Notitia von dem römischen
Boten selbst aufgesetzt oder in ]\Ionza, beziehungsweise am
Hof der Theudelinde geschrieben ist, ungelöst, so möchte auch
ich eine Entscheidung derselben nicht wagen: ich habe zwar
in Monza Gelegenheit gehabt, das Papyrusblatt, auf welchem
dieselbe steht, zu sehen, eine genauere Untersuchung desselben
aber nicht vorgenommen.
Dagegen habe ich bei diesem Aufenthalt eine andere
Papyrusurkunde kennen gelernt, welche Hartmann nicht erwähnt,
und über die hier doch ein Wort zu sagen ist, da man sie
noch neuerdings als einen Originalbrief Gregors I. bezeichnet
hat. Das Stück ist erwähnt von Frisi, Memorie della chiesa
Monzese Diss. II, S. 67 als 'un notabile avanzo di papiro
scritto . . • con carattere longobardo, il quäle da alcune lettere
che ancora appajono ci da un idea di breve apostolico'. Heraus-
gegeben ist es zuerst von Marini, Papiri n. 53 und neuerdings
von Barbier de Montault in dessen bemerkenswerther Arbeit
*Le tresor de la basilique royale de Monza (in dem 'Bulletin
monumental ou recueil de documents et de memoires relatifs
aux diff^rentes branches de l'archeologie public sous les auspi-
ces de la societe frangaise d'archeologie . . . dirige par Leon
Palustre Bd. 48 [5 ser. tome lOJ, Paris und Tours 1882)
S. 462 f. Barbier de Montault stützt sich in dem, was er über
die Urkunde sagt, ganz auf die Mittheilungen des Herrn Achille
Varisco in Monza; ihm schreibt er das Verdienst zu, dieselbe
'au milieu des liasses des archives capitulaires' aufgefunden
zu haben. Er selbst hält sie für 'inedit', und ihm mag denn
auch der Abdruck Marini's entgangen sein; dass aber Varisco,
obAvohl er Marini nicht erwähnt, dessen Edition gekannt hat,
ergiebt sich m. E. sowohl aus seiner Entzifferung wie aus den
von Barbier de Montault wiederholten Bemerkungen, mit
Zusatz über einen Gregor I. zugeschriebenen Brief etc. 551
welchen er dieselbe begleitet, mit voller Bestimmtheit; letztere
sind wenig mehr als eine Umschreibung der Ausführungen
Marinis S. 242, und es hätte sich wohl geziemt, das nicht zu
verschweigen.
Ich habe versucht den Papyrus zu lesen, bin aber dabei
nur an wenigen Stellen weiter, meistens weniger weit gekommen
als meine Vorgänger. Es ist möglich, dass sich bei gün-
stigeren Beleuchtungsverhältnissen und wiederholter, längerer
Betrachtung auch jetzt noch mehr entziffern lassen würde,
möglich aber auch, dass selbst dann nicht mehr so viel lesbar
wäre als in Marinis Tagen. Leider ist mir eine Photographie,
welche der Mailänder Photograph Giulio Rossi von dem Docu-
ment angefertigt haben soll, bis jetzt nicht zugänglich gewesen ;
vielleicht würde sie noch das eine oder das andere ergeben,
wie denn ja photographische Reproduction nicht ganz selten
die Lesung schwieriger Documente erleichtert. Unter diesen
Umständen wiederhole ich hier im wesentlichen den Text Ma-
rinis (M), nur mit denjenigen Ergänzungen und Verbesserungen,
welche sich mir aus meiner eigenen Lesung (B) und derjenigen
Variscos (V) zu ergeben scheinen :
1 uestra
2. primum omnium salutem et <ran^M^llitatem uestram optamus
3. domini potentes misericorc^mm prec wt de uita
uestra sem
4. per gaudere uel raulta bona in perpetuum
illuc? enim
5. rogamus ce^situdinem uestram, ut de causa nostra unde tibi
6. semper ut a re nde
neces
7. se nobis fuit ut tibi deberemus scribere quia ve corde
1) uest . . B. uestram V. 2) salutem M. Ich glaube wie V noch
das ganze Wort gelesen zu haben. 3) . . . ni M B, domni V. Die
Ergänzung zu domini scheint mir vorzuziehen zu sein. — miseri M, mi-
sericor B, misericordiam V. — prec . . . B, preeantes V. Das Wort fehlt M.
Vielleicht precamur? — . t de M, ut de V. Ich habe hier nichts mehr
ganz sicher erkennen können. 4) gauderet V. — uel multa B , ut et
multa V, uti mu(a)l . . M. — traderet illum enim V, ^?-adere illum enim M.
Ich habe nur illu . enim lesen zu können geglaubt, was ich, voraus-
gesetzt, dass diese Lesung überhaupt zutrifft, lieber zu illud ergänzen
möchte. Eine andere Lesung dieser Stelle, von dem Druck bei Barbier
de Montault abweichend, hat Varisco an Pflugk- Harttung mitgetheilt,
s. dessen 'Iter italicum' S. 763. Sie lautet hier: optamus [dom]ni pe-
tentes miseri[cordiam preeantes u]t de vita vestra semper gaudere[ra et]
mul[ta] bona in perp[etuum trajderem. Ein befriedigender Sinn kommt
auch dabei nicht heraus. 6) Hinter ut habe ich a und ein auf
. . re endigendes Wort erkannt. — ende neces M V. Ich habe nur
. nde neces erkannt und möchte dies zu unde ergänzen. 7) debere-
mus, quia ve . . V, ohne Lücke vor quia, wohl nur aus Versehen; debere-
mus . . ribere quia ve B, deberemus scribere quia ve . . . M. — corda M,
corde B V. 36*
552 Harry Bresslau.
8. . . . omni .... uol mittas proiude
9 eo onm .... te ex
Eine zehnte Zeile ist unlesbar. Auf einem anderen kleinen
Papyrusfetzen, von dem ich nicht weiss, ob er zu demselben
Document gehört, lese ich -f- dorn . . . rimo omn . . ., Ma-
rini S. 242 ■-\- Domno proprio primo omnium per,
ebenso Varisco.
Die Schriftzüge des Papyrus entsprechen nicht denjenigen,
welche wir aus den ältesten uns in originaler Ausfertigung
erhaltenen Papsturkunden des 8. und 9. Jahrhunderts — dem
Briefe Hadrians I. und dem Privileg Paschais I. für Ra-
venna (JafFe-E. 2462. 2551) — kennen; sondern sie ge-
hören jener jüngeren römiscnen Cursive an, welche aus den
ravennati sehen Papyri bekannt ist, ein Umstand, der sich
freilich weder für noch gegen die Vermuthung ihrer Herkunft
aus der Kanzlei Gregors I. sicher verwerthen lässt. Denn
es fehlt uns ja an allen näheren Anhaltspunkten, um zu ent-
scheiden, wann jene im 8. und 9. Jahrhundert übliche Schrift-
art, die wir päpstliche Curiale nennen, sich so ausgebildet hat,
wie wir sie in jenen Stücken kennen lernen'. Das Alter der
Schrift genau zu bestimmen, ist bei dieser jüngeren Cursive
bekanntlich nicht leicht; doch sehe ich nichts, was der An-
setzung unserer Urkunde um die Wende des 6. und 7. Jahr-
hunderts widersprechen könnte; nahe steht ihr namentlich in
einzelnen Ligaturen der bei Marini tab. V. abgebildete Papyrus
n. 75 vom Jahre 575; nur ist die Schrift unserer Urkunde
gleichmässiger und kalligraphischer.
Was nun jene oben erwähnte Vermuthung angeht, so ist
sie zuerst von einem ]\Ionzeser Archivar des vorigen Jahrhun-
derts ausgesprochen worden, der auf die Rückseite der Urkunde
folgende Bemerkung geschrieben hat: 'Pars brcvis apostolici
transmissi a B. Gregorio Magno PP. regibus Theodelindae et
Agilulpho eins marito, regni Langobardorum possessoribus,
in papiro exarati, et de anno 1717 huic cartae afiixi eo meliori
modo, quo potuit archivista, dum in plurima frustula redactus
repertus fuit in archivio ecclesiae collegiatae S. lohannis Bapti-
stae Modoetiae'*. Natürlich ist in Monza jetzt diese Vermuthung
officiell adoptiert; im Katalog des Kirchenschatzes findet sich
die unter Glas und Rahmen ausgestellte Urkunde mit dem
entsprechenden Vermerk eingetragen, und Barbier de Montault
bezeichnet sie schlechtweg als 'Lettre de saint Gregoire'.
Bereits Marini hat demgegenüber bemerkt, dass der
8) uol . . B, uel M V. 9) te ex fehlt M V.
1) Die Möglichkeit wenigstens, dass der Brief von Gregor eigenhändig
und also überhaupt nicht in der Kanzlei geschrieben wäre, würde überdies
noch in Betracht zu ziehen sein. 2) Barbier de Montault S. 463.
Zusatz über einen Gregor I. zugeschriebenen Brief ete, 553
Inhalt des Briefes keinen näheren Anhaltspunkt für diese An-
nahme bietet. Er erinnert allerdings an eine Stelle des Mori-
gia, eines Monzeser Geschichtschreibers des XIV. Jahrhunderts,
der berichtet, dass Gregor die oben erwähnten Reliquien 'cum
epistola gratiosa' durch den Cleriker Johannes an Theudelinde
gesandt habe; aber er wird sich gewiss nicht verhehlt haben,
dass dies späte Zeugnis jeder Beweiskraft entbehrt. Auch
hebt er selbst hervor, dass in den uns erhaltenen Briefen an
Theudelinde und an Könige (a quella regina ed ai re) Papst
Gregor nicht den Titel 'eelsitudo', sondern 'gloria' oder 'excel-
lentia' anwende, während er selbst allerdings von Reccared mit
'tua celsitudo' angeredet werde.
In Bezug auf den letzteren Punkt will ich kein Gewicht
darauf legen, dass ich in Monza in unserer Urkunde nur noch
die Silben '. . . tudinem uestram' habe deutlich erkennen
können. Da Marini vorher noch die Buchstaben 'si' gelesen
hat, so wird an eine andere Ergänzung als die zu 'celsitudo'
kaum gedacht werden können, und die Worte, auf die man
sonst etwa rathen könnte ('beatitudo', Anrede an einen Bischof»,
'magnitudo', Anrede an einen Laien minder hohen Ranges =»)
bleiben ausser Betracht. Auch die weitere Beobachtung Ma-
rini's, dass die Anrede 'celsitudo' in Briefen Gregors an lango-
bardische Herrscher nicht gebraucht werde, ist zutreffend: man
kann hinzufügen , dass auch in seinen Briefen an die Königin
Brunichilde nur die Prädicate 'excellentia' und 'gloria' begegnen.
Allein eine zwingende Schlussfolgerung würde ich darauf doch
nicht aufzubauen wagen. W. Gundlach weist mir freundlichst
nach, dass auch in den Briefen Pelagius I. (555 — 560) an den
Frankenkönig Childebert I. die Wendung 'excellentia vestra'
durchaus vorherrsche, daneben aber doch zweimal (in Jaffe - K.
942. 948, MG. Epp. III, 712% ygs) 'celsitudo vestra' vorkommt;
im Hinblick hierauf dürfte die Möglichkeit, dass auch in einem
Briefe Gregors an den Langobardenkönig oder seine Gemahlin
einmal diese Anrede gebraucht sei, nicht bestimmt in Abrede
gestellt werden können.
Im übrigen würden die Formalien des Brieffragments
mit Gregor als Absender und Theudelinde als Empfängerin
wohl vereinbar sein. Dass der Absender ein Geistlicher ist,
wird aus der Wendung [domijni potentes misericor[diam]
prec .... ut de vita vestra semper gaudere vel multa bona
in perp . . . u. s. w. gewiss zu schliessen sein ; ich will doch
auf die ganz ähnliche Wendung gerade in einem Brief Gregors
an Theudelinde (Reg. Greg. ed. Maur. IX, 43: 'Dei nostri
misericordiam deprecamur, ut bonorum vobis vicem in corpore
1) Vgl. z. B. Ueg. Greg. I, 7. 27. II, 45. III, 62. 2) Vgl. z. B.
Reg. Greg. II, 29. IV, 41.
554 Harry Bresslau.
et in anima hie et in futuro compenset) aufmerksam machen.
Wie der Absender ein GeistHcher, so ist der Adressat, der
mit 'celsitudo' angeredet wird, wahrscheinUeh ein Laie; der
Rang des Absenders, der von sich stets den Pkiralis maie-
statis gebraucht, muss ein hoher gewesen sein. Dem Adressaten
kommt gleichfalls der Plural zu, er wird aber auch zweimal
in der Einzahl (tibi) angeredet. Und ich will wiederum darauf
verweisen, dass gerade dieser Wechsel zwischen Mehrzahl und
Einzahl in der Bezeichnung des Adressaten sich zweimal auch
in Briefen Gregors an Theudeünde findet (Reg. Greg. ed.
Maur. IX, 43. XIV, 12).
Dies alles beweist natürlich höchstens, dass die Monzeser
Archivüberlieferung, welche den Brief Gregor I. zuschreibt und
an Agilulf oder Theudelinde gerichtet sein lässt, nicht noth-
wendig falsch zu sein braucht, aber keineswegs, dass sie richtig
oder auch nur wahrscheinlich ist. Immerhin aber schien mir,
wenn auch nur um zu genauerer Untersuchung anzuregen, die
kurze P^rwähnung des merkwürdigen Documentes, das in der
neueren deutschen Literatur, so viel ich sehe, niemals ein-
gehender besprochen worden ist ' , bei dieser Gelegenheit an-
gemessen. Ilüchst wahrscheinlich haben wir einen Brief eines
höheren Geistlichen aus einer Zeit vor uns, die der Gregors I.
kaum sehr fern steht. Und es stimmt gut zu den Ergebnissen,
zu welchen oben Hartmann gelangt ist, dass die Ortnographie
der uns erhaltenen Bruchstücke dieses Briefes von Barbarismen
durchaus frei zu sein scheint.
1) Pflagk - Harttung, 'Itcr italicum' S. 763 giebt nur eine Mittheilung-
Variscos darüber wieder, der er kurze Bemerkungen hinzufügt.
XV.
Kritische Erörterungen.
Von
Bernhard von Simson.
Zu der Vita Dagobert! III. und den Annales
Mettenses.
Ijruno Krusch hat im 2. Bande der Scriptores rerum
Merovingicarum, S. 509 — 524, auch eine Vita Dagoberti III.
regis Francorum neu herausgegeben. Die Schrift ist auf Ver-
anlassung der Brüderschaft des Klosters Stenay an der Maas
von einem Verfasser geschrieben, der seine Anonymität wahren
wollte ', jedoch nach der Vermuthung von Henschen vielleicht
im Kloster Gorze lebte. Stenay wurde nämlich 1069 durch
Herzog Gottfried den Bärtigen von Lothringen an Gorze, dem
damals Abt Heinrich vorstand, übertragen. Indessen bleibt
die Zeit der Abfassung der Schrift ganz unbestimmt. Nur
sehr Aveite Grenzen lassen sich dafür stecken; die Schrift muss
zwischen dem 9. und 12. Jahrhundert entstanden sein, da ein-
mal (c. 14, S. 521) erwähnt wird, dass eine neue Kirche des
h. Dagobert auf Befehl Karls des Kahlen erbaut worden sei,
und andererseits die vorhandenen Handschriften dem 12. Jahr-
hundert angehören. Es ist ein ziemlich werthloses Erbauungs-
büchlein. Der Verfasser verwechselt Dagobert III. mit Dago-
bert II.; fast Alles was er erzählt ist falsch oder mindestens
verdächtig, die Schreibart wenig lobenswerth. Als benutzte
Quellen Aveist Krusch u. a. den Fredegar, die Gesta Dagoberti I,
und Einhards Vita Kai'oli M. nach.
Bei den zum Theil noch immer ungelösten Fragen, welche
die Annales Mettenses darbieten, verdient es jedoch m. E.
Beachtung, dass die Vita Dagoberti III. auch mit diesen Jahr-
büchern Aehnlichkeiten aufweist, welche nicht zufällig sein
können. In zwei Fällen wenigstens, soviel ich sehe, wendet
der Autor der Vita in seiner Erzählung über Dagobert fast
genau dieselben Ausdrücke an, deren sich die Ann. Mett. in
ihren Berichten über Pippin den Mittleren bedienen:
1) Prolog. S. 512: 'In hoc siqiiidem opnsculo nemo legentium expi-
scetur rnstici nomen dictatoris, quoniam, ut est ingenio artis gramma-
ticae parvus, maluit scedam emittere absque autoris vocabulo mutam
quam in hominum iactando venire noticiam'.
558
Bernhard von Simson.
Ann. Mett.
691. SS. I, 320, 16-17. Dis-
p o s i t i s autem prudenter
Omnibus in occidente regni
gubernaculis, ad Orientalen!
Franciam, imperii (orien-
talis» imperii Chesn.)
sui sedes cum summa
gloria et exultatione
r e V e r t i t u r.
692. S. 320, 26-29. . . syno-
dum adunare praecepit,
in quo (qua Cnesn. ') uti-
litatibus ecclesiarum,
orphanorum ac vidua-
rum consideratis . . .
Singulis vero annis in Ka-
lendis Martii generale
cum Omnibus Francis
secundum priscoruni consue-
tudinem conciliuin agebat . . .
Allerdings finden sich die betreffenden Stellen der Ann.
Mett. auch in dem von M. Freher herausgegebenen Fragmen-
tum de Pippino duce, von welchem man wieder zweifelhaft
geworden ist, ob es nur ein Auszug und nicht vielmehr eine
Quelle der ]\Ietzer Jahrbücher sei ■*. Allein, wie unsere Ver-
gleichung zeigt, stimmt die Vita Dagoberti da, wo der Wort-
laut differiert, mit dem von Duchesne nach der Handschrift
gegebenen Texte der Ann. ]\Iett. überein, den erst Pertz, hier
nicht mit Recht, nach dem Freherschen Fragment abgeändert
hat. — Wenn Krusch* das Citat der Vita Dagoberti III.,
c. 3: 'Hildebertus ergo, pater ipsius, regum fortissimus, per
sedecim annorum curricula, ut legitur in gestis illius,
regno Francorum nobiliter ac fortiter gubernato . . .' auf Fre-
degar, cont. c. 7 (S. 172) beziehen möchte, so darf im Zu-
sammenhange mit den vorstehenden Bemerkungen hinzugefügt
werden, dass auch die Ann. Mett. 711 S. 322, ebenfalls nach
Vita Dagoberti III.
c. 11. SS. rer. Merov. II, 518.
D i s p 0 s i t i s itaque rex Da-
gobertus prudenter, pro
quibus Fresiara perrexerat,
navim cum suis ingressus,
ad orientalesi imperii
sui sedes cum summa
gloria et exultatione
Coloniam revertitur.
c. 8. S. 516. Idem ergo glorio-
sissiinus rex Dagobertus
Kalendis Martii sino-
dum cum omnibus Fran-
cis in civitate Rotomagensi
adunare praecepit, in
qua de u t i 1 i t a t i b u s
ecclesiarum, orphano-
rum ac viduarum consi-
d er ans . . .
1) Sic; vg-l. auch 717 S. 324, 27 — 28 'cum mag:na laetitia et prospe-
ritate ad orientales partes sui imperii est reversus Coloniamque urbem
ingressus'; dazu Bonneil, Die Anfänge des karolingischen Hauses S. 173.
(In der Hs. steht: 'in occidentis regni gubernaculis. ad orientalis imperii
sui sedes' etc. Wattenbaoh). 2) Die Hs. hat: 'in qua de utilitatibus'. W.
3) L. V. Ranke, Weltgeschichte V, 2, 294; Wattenbach, Deutschlands
Geschichtsqu. 5. Aufl. I, 406. Der Cod. Arundel. 376 des Brit. Museums,
welcher das Fragment enthält, stammt nach Pertz, Archiv VIII, 759 ans
dem 11. Jahrhundert, ist also älter als die Originalhs. der Ann. Mett. —
Folgen vielleicht beide einer gemeinsamen Vorlage? 4) S. 609. 513 N. 3.
Kritische Erörterungen. 559
der Fortsetzung des Fredegar, die 16jährige Regierimgszeit
Childeberts erwähnen (Qui gubernante Pippino regnaverat
annis 16)'.
Die von Krusch (S. 510) mit 2 bezeichnete Handschrift
der Vita Dagoberti, Cod. Paris. latin. n. 9422 (Suppl. lat.
n. 563), membr. saec. XIT. ex., früher dem Marienkloster in
Orval gehörig (beatae Mariae Aureaevallis), enthält vor der
Vita u. a, einen Stammbaum König Dagoberts (fol. 131). Er
beginnt : 'Incipit commemoratio genealogie domni ac sanctissimi
martyris Christi Dagoberti regis Francorum incliti ac strenu-
issimi. Igitur temporibus Tustiniani . , .' und endigt: 'Post
hec Karolus misericorditer erga Hilpericum agens,
sedem illi regalem sub sua ditione concessit'. Die
letzteren Worte stimmen wieder überein mit Ann. Mett. 718,
S. 324, 42— 43 : 'Suscepto autem rege, Karolus misericor-
diter erga ipsum egit sedemque illi regalem sub
sua ditione concessit' 2. Darauf folgt in der Handschrift
(fol. 132) ein Stammbaum Pippins: 'Incipit textus genealogie
Pipini, de cuius prosapia ortus est prefatus Dagobertus rex
gloriosissimus. Ansbertus, qui fuit — suscepit prin-
cipatum'. Der Anfang 'Ansbertus, qui fuit (ex genere
senatorum') stimmt mit dem der SS. II, 308 — 309 und SS. XIII,
245 — 246 herausgegebenen karolingischen Genealogieen ttberein.
Von dem Ende vermuthete ich, dass es den Worten der Ann.
Mett. 687 S. 316, 1 — 4: 'Pippinus — suscepit principa-
t um' entsprechen würde'. Jedenfalls schien es mir von Inter-
esse, festzustellen, ob diese Vermuthung zuträfe, und überhaupt
den ganzen Wortlaut der in jener Pariser Hs. enthaltenen
Genealogieen, welche anscheinend noch nicht gedruckt sind,
kennen zu lernen. Gelegenheit dazu erhielt ich durch freund-
liche Vermittlung meines Herrn Collegen F. Neu mann, auf
dessen Veranlassung Herr Gaston Raynaud die Güte gehabt
hat, die betreffenden Blätter des erwähnten Pariser Codex für
mich abzuschreiben. Der Text jener Genealogieen zeigt nun
in der That umfassende Uebereinstimmungen mit Ann. Mett.
687. 688. 690. 693. 711. 714. 718*. Er trifft fast durchweg
mit den Duchesneschen, nicht mit den Freherschen Lesarten
(des Fragmentum) überein, jedoch nicht ohne Ausnahme. So
liest die Genealogia Pipini: 'inter primeve potestatis gaudia'
(Ann. Mett. 687 S. 316, 41), wie Freher, nicht 'i. p. aetatis
g.', wie Duchesne. In einigen wenigen Fällen dürften^die hier
1) Zu vergleichen ist auch die unten erwähnte' Gerealog:ia Dag-oherti
(foL 131'). ,2) Wie Bonneil S. 169 bemerkt, die letzte Erwähnung
eines Merovingers in den Ann. Mettenses. 3) Thatsächlich entspricht
es dagegen Ann. Mett, 688 S. 317, 4 — 6. 4) Selbst das 'ut ita dixerim'
A. M. 687 S. 316, 42 findet sich in der Gen. Pipini wieder.
560 Bernhard von Simson.
vorliegenden Lesarten ßeachümg verdienen. So hat Gen.
Dagobert! : 'ne tyrannicam videretur exereere sevieiam' (A. M.
690, S. 320, 2; Freh. 'tyrannidem . . saevitiam'; Chesn. 'tyran-
nidem'). Hier mag allerdings die eigentlich richtige Lesart
'tyrannidem . . vel saevitiam' sein, vgl. ^.. M. S. 318, 24—25:
'me tyrannidem . . . exereere velle vel saevitiam'. Beachtens-
werther ist es jedoch, wenn Gen, Dagob. ferner hat: 'Anno
deinde incarnationis dominice DC""" XC"'° 111°, Pipini vero
singularis principatus III" \ Theodorici quoqne antequam vin-
ceretur a Pipino anno XIV"'^, qni victus sub eodem regnavit
annis tribus sicque mortuus est (A. M. S. 321, 4 — 6: Anno
dominicae incarnationis [doniini nostri lesn Christi] 693. Pippini
vero singularis principatus super Theodericum, qui antequam
vinceretur a Pippino annis 14, victus vero sub eodem regna-
vit 3 annis, moritur'-''). Wenigstens in der Vorlage der Ann.
Mett. Avcrden die Worte gelautet haben: 'principatus 3. Theo-
dericus* ... moritur'. Auch Gen. Dag.: 'Ulis quidem
nomina regum imponens, ipse tocius regni abenas (= habenas)
cum summa gloria et honore tractabat' scheint mir correcter
als A. M. 693 S. .321, 10—11: 'I. qu. n. r. i. ipse totius regni
habens Privilegium, cum summa gloria et honore tracta-
bat'; vergl. die Parallelstelle A. M. 714 S. 322, 32—33: 'tanti
regni habenas tractare pracsumcbat'. Man wird nicht fehl-
gehen, wenn man annimmt, dass Miabens' aus 'habenas' corrum-
piert und das auf diese Weise ausgefallene Object dann
durch das wenig passende 'privilegium' ergiinzt ist. Es ist
ähnlich, wie wenn Ann. Mett. 743 S. 328, 4 — 5 statt Fredegar.
cont. 26 (112), SS. rer. Merov. II, 180, 20: 'per loca . . palu-
stria haben: 'per loca per quae plaustra ducebantur'. Auch
hier eine falsche Lesung, welche eine willkürliche Ergänzung
veranlasst'. — Ob freilich diese und andere derartige Stellen
der A. M. auch Avirklich in der Handschrift (Cheltenh. 1853,
jetzt in der nach Berlin gekommenen Meermannschen Bibliothek
n. 746) so lauten oder etwa die Verderbnisse aus der ersten
Ausgabe von Duchesne herrühren, bin ich nicht in der Lage
festzustellen 8. Im Ganzen soll ja aber Duchesnes, von Pertz
benutzter Abdruck sich bei der Vergleichung mit der Hand-
schrift durch R. Pauli als sehr getreu erwiesen haben (N. Archiv
IV, 590).
Auch ob die Verwandschaft der Vita Dagoberti III. mit
1) Vgl. A. M. 691 S. 320, 6 — 7: Tippinus singularem Francorum
obtinuit principatum'. 2) Dies ist allerdings unsinnig. 3) So hat
auch die Hs. mit 'dorn. n. I. Christi'. W. 4) Vgl, SS. I, 321 a).
5) Vgl. Hahn, Jahrbücher des fränk. Reichs 741—752, S. 46 N. 2.
6) Die Hs. hat diese Stellen ebenso, nur ist 'que' über 'perplaustra' nach-
getragen. W.
J
Kritische Erörterungen. 561
den Ann. Mett. auf Benutzung der letzteren in jener beruht,
lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, da die von Krusch mit
1 bezeichnete Handschrift der Vita, Cod. Paris, lat. n. 6263
(Colbert. n. 63'20, reg. n. 10o03) bereits aus dem Anfange des
12. Jahrhunderts stammt und das Autograph der Annalen
auch nicht älter ist'. — Bei den Stammbäumen ist es zwar
auf den ersten Blick noch wahrscheinlicher, dass in ihnen die
Ann. Mett. ausgeschi-ieben sind 2; die Möglichkeit besteht indessen
sehr wohl auch hier, dass sie auf die Vorlage der letzteren
zurückgehen. Sahen wir doch, dass die Gen. Dagoberti ein
paar Stellen, die in den Ann. Mett. corrumpiert sind, correcter
wiederzugeben scheint; vergl. ausserdem die unten (S. 563)
angeführten Nachrichten über Grimoald, wo diese Genealogie
nicht mit den Ann. Mett., sondern mit der Quelle derselben
übereinstimmt.
Dass ich den Annales Mettenses ihre herkömmliche Be-
nennung gewahrt habe, bedarf gegenwärtig kaum einer weiteren
Rechtfertigung, wenn auch ßonnell ^ ihren Ursprung nicht in
Metz, sondern in der Gegend von Laon suchte. Nicht nur
dass der einzige Codex in St. Arnulf zu Metz geschrieben ist,
sondern dieser scheint, wie berührt, auch unfraglich die Origi-
nalhandschrift zu sein. Ausserdem fällt der beachtenswerthe
Umstand ins Gewicht, dass diese Jahrbücher eine Ueberein-
stimmung mit gefälschten Diplomen für St. Arnulf zeigen.
Schon Mühlbacher 4 hat auf diesen Zusammenhang hingewiesen;
desgleichen — worauf der Redakteur des N. Archivs Herr
Prof. Bresslau die Güte gehabt hat mich aufmerksam zu machen
— neuerdings Wolfram ^. Pippins des Mittleren Sohn Drogo,
welcher nach dem Lib. bist. Francorum c. 48 S. 323 ^ und
Fredegar, cont. c. 101 S. 172' von seinem Vater das Herzog-
thum Champagne empfing, wird nach den Ann. Mett. von
ihm zum Herzog der Burgunder eingesetzt (693 S. 321, 13:
'Igitur Drogonem, primogenitum suum, ducem posuit Bur-
gundionum's). Aehnlich heisst Drogo in einer gefälschten
Urkunde für St. Arnulf vom 20. Febr. 691 (Mühlbacher n. 22;
1) Waitz, N. Archiv IV, 589; SS. XXIV, 492 N. 1; Kurze, N. Archiv
XV, 310; Wattenbach II, 113. 2) Vgl. besonders o. S. 559 N. 4.
3) A. a. O. S. 176 fF. ; ihm schliesst sich an Wolfram S. 57 (vgl. unten
N. 5). S. dagegen Wattenbach II, 113. 4) Forschungen zur Deutschen
Geschichte XIX, 461 N. 3 ; vgl. Regesten des Kaiserreichs unter den
Karolingern I, S. 8 n. 21d. 22. 5) Jahrbuch der Gesellsch. für lothring.
Gesch. und Altertumskunde I. Jahrg. (1888 — 89), S. 54 ff. 6) Drocus
ducatum Campaniae accepit (vgl. auch Chron. Moissiac. SS. I, 289,
18 etc.). 7) Drocus vero a Pippino genitore suo eruditus, ducatum
Campaninse accepit. 8) Vgl. Bonnell S. 174; Breysig, Karl Martell
S. 1 N. 4, H. d'Arbois de Jubainville, Hist. des ducs et des comtes de
Champagne I, 46 N. 5. 51 N. 1.
562 Bernhard von Sirason.
DD. I, 212 n. 5): <Ego Drogo dux Burgundiorum, filius
Pipini ducis Aquitaniae (dux Aquitaniae' v. 1,); desgleichen
sein Sohn Arnulf in einer ebenfalls gefälschten Schenkung an
St. Arnulf vom 27. Juni 706 (Mühlbacher n. 23; DD. I, 213
n. 6) : 'ego Arnulphus, gratia Dei post genitorem meum Dro-
gonem, dono avi mei gloriosi principis Pipini, ßurgundio-
num dux' '.
Sowohl Mühlbacher wie Wolfram sind der Ansicht, dass der
Fälscher die Ann. Mett. gekannt und benutzt habe *. Diese
Auffcissung erscheint jedoch nicht haltbar, wenn jene gefälschten
Urkunden, wie Wolfram meint, wirklich bereits der zweiten
Hälfte des 10. Jahrhunderts zuzuweisen sind. Denn die Metzer
Annalen gehören nicht, wie er noch mit Bonneil annimmt,
ebenfalls dieser Zeit, sondern, nach Ausweis ihrer Urschrift,
erst dem Anfange des 12. Jahrhunderts an. Wenn wir also,
wie auch ich glaube, hier einen Zusammenhang anzunehmen
haben, so kann das Verhältnis, jenes Alter der gefälschten
Urkunden vorausgesetzt, nur das umgekehrte sein. Der Metzer
Annalist muss die falschen Urkunden gekannt haben, gerade so
wie sich auch ergeben hat, dass die Chronik des Regino ihm
in einer Hs. von St. Arnulf (aus dem 11. Jahrh.) vorlag'.
Weiter heisst es in demselben Jahrberichte der Ann. Mett.
über 693, S. 321, 23 — 25: 'Remorum vero sei licet et Senonum
ceterarumque urbium ad ipsum ducatum pertinentium
Pippinus iuniorem lilium suum, nomine Grimoaldum, maiorem
domus cum flildeberto rege constituit'. Bonnell* glaubt, es
sei bei diesem 'ducatus' an das Herzogthum Francien zu denken,
indem er darauf hinweist, dass die Erzbischöfe von Reims und
von Sens später jeder für sich das Recht in Anspruch nahmen,
den König zu krönen. Der Metzer Annalist habe ein Ereignis
des zehnten Jahrhunderts, die Begabung der Söhne Hugos
des Grossen mit Burgund und Francien (960), auf das Ende
des siebenten Jahrhunderts und die Söhne Pippins des Mittleren
übertragen. Bonneils Beweisführung erscheint jedoch hier, wie
oft. überscharfsinnig und in keiner Weise bündig. Sie fällt
überdies mit der Annahme, dass die Abfassung der Ann. Mett.
schon gegen Ende des 10. Jahrhimderts erfolgt sei. Wie mir
scheint, ist unter dem 'ducatus' nach dem Zusammenhange
1) Vgl. auch Mühlbacher, Nachtr. S. 770; Hist. s. Arnalfi Mett.
SS. XXIV, 534. 2) Mühlbacher, Forsch, a. a. O.: 'Diese Angabe der
Ann. Mett. dürfte mit den Fälschungen von St. Arnulf in Zusammenhang
stehen; wahrscheinlich waren jene dem Fälscher bekannt'. Wolfram ist
der gleichen Meinung und hat Mühlbacher nur missverstanden, wenn er
(S. 56 — 57) sagt: 'Dass der Annalenschreiber, wie Mühlbacher will, auf
Grund der gefälschten Urkunde seinen Eintrag machte, ist nicht anzu-
nehmen'. 3) N. Archiv XV, 309— 310. 4)8.174—175.128. Auch
dieser Vermuthung stimmt Wolfram (S. 66) zu.
Büritische Erörterungen. 563
derjenige zu verstehen, welcher dem Drogo übertragen war,
der fälschlich als 'burgundisch' bezeichnete, d. h. die Cham-
pagne, in welcher Reims und Sens ja auch liegen '. Darauf
deutet auch das 'scilicet'. Uebrigens hat der Metzer Annalist
vermuthlich hier, wie öfters^, ungeschickt compiliert. In der
Fortsetzung des Fredegar (c. 101, S. 172) heisst es lediglich:
'Grimoaldus iunior cum Childeberto rege maior domus palatii
super Francos electus est''; desgleichen auch in der erwähn-
ten Commemoratio genealogiae Dagoberti (fol. 131') nur: 'Ju-
niorem vero filium suum Grimoaldum omni domui sue pre-
fecit'*. Von Reims und Sens ist auch hier, trotz der sonstigen
Uebereinstimmung mit den Ann. Mett.^, keine Rede.
Die Genealogia Dagoberti citiert in Bezug auf die
Bekehrung Chlodovechs zum Christenthum die Vita Hemigii
und Vita Vedasti«. Von Pippin dem Mittleren erzählt sie,
was sonst nirgends berichtet zu werden scheint, aber auch
schwerlich zuverlässig sein wird: seine Gattin Plektrud nebst
vielen Franken habe ihn in der Marienkirche zu Chevremont,
wo er ein grosses Castell erbaut hatte, bestattet: 'Reliquit vero
superstitem filium vocabulo Karolo, sepultusque est a coniuge
sua Plectrude cum multitudine Francorum Capremontis in
ecclesia sancte Dei genitricis Marie, ubi castellum magnum
vivens construxerat'. Vgl. über das Marienkloster in Chevre-
mont oder Novum castellum — der Name Capremons tritt
erst gegen Ende des 9. Jahrhunderts auf — und Pippins
Schenkungen an dasselbe die Urkunde Karls d. Gr. vom
3. Mai 779, Mühlbacher n. 215; Rettberg, Kirchengeschichte
Deutschlands I, 568 — 569; Friedrich II, 1, 353; Dümmler,
Otto der Grosse S. 87 N. 1; Bonnell a. a. O. S. 71. - Die
Bestattung Dagoberts III. in einer St. Remigiuskapelle in
Stenay meldet diese Genealogie übereinstimmend mit der
1) Dies muss natürlich auch Bonnell anerkennen (S. 174). — Später
strebt Graf Odo I. von der Champagne — derselbe, welcher Konrad IL
Burgund streitig machte — nach dem Besitz dieser Städte (s. Lands-
bergers Dissertation über ihn, Gott. 1878, S. 30. 62; Bresslau, Jahrbücher
Konrad II. Bd. 2, S. 75—76; d'Arbois de Jubainville 1. c. I, 249 f. 310 ff.
II, 33 — 34). 2) Vgl. Forschungen zur Deutschen Geschichte XX,
404—405. 3) Vgl. auch Lib. bist. Francor. c. 50 S. 324. 4) Vgl.
o. S. 561. 5) Der Satz folgt in Gen. Dag. unmittelbar auf den oben
S. 660 erwähnten 'Ulis quidem — tractabat' (A. M. 693 S. 321, 10—11);
darauf folgt weiter die Nachricht über Tod und Bestattung des Königs
Childebert (vgl. A. M. 711 S. 322, 4 ff.). Die Stelle über die Verleihung
eines Herzogthums an Drogo gehört leider zu den ausgelassenen, so dass
man nicht sehen kann, ob hier in der Vorlage der Gen. Dag. die Cham-
pagne oder Burgund genannt war. 6) Quod quomodo acciderit, vita
(sie) beatissimi Remigii atque Vedasti qui legerit, cognoscere poterit.
Gemeint sind die betr. Viten von Hinkmar und Alkuin (vgl. AA. SS. BolL
Febr. I, 795).
564 Bernhard von Simson.
V. Dagobert! c. 14 S. 520: 'eodem quippe tempore rex in-
clitus Dagobertus per martyrium vitam finivit innocens sepul-
tusque est Satanaco in horatorio beatissimi Remigii archi-
episcopi, qui omnipotenti Deo gubernante regnavit felieiter
annis quinque'. Auch die Gesta Dagoberti I. (vgl. c. 1.2. 39.
42—44, 8. 401. 416. 421—422) sind hier benutzt
Die in jenem Pariser Codex enthaltene Genealogia
Pipini stimmt im wesentlichen mit der SS. II, 308 — 309 in
der Columne rechts abgedruckten überein, die in St. Vandrille
interpoliert zu sein scheint'. Sie lautet:
'Ansbertus, qui fuit ex genere senatorum, vir nobilis et
multis diviciis pollens, accepit filiam Lotharii regis Francorum
noraine Blithildem et habuit ex ea tres filios et unam tiliam.
Primogenitus eius Arnoldus, secundus Feriolus, tercius Mode-
ricus, quarta puella Tharsicia. E quibus Feriolus episcopus
in Utecia ordinatu3 est ibique martyrio coronatus quiescit in
pace, ubi multa per eum miracula fiunt. Modericus frater
eius similiter episcopus in Arisido ordinatus est atque re-
quiescit in pace. Tharsicia virgo Dei atque in virginitate
perseverans Redonis requiescit. Que etiam fertur mortua mor-
tuum suscitasse. Porro Arnoldus genuit Arnulf'ura episcopum.
Arnulfus, antequam clericatus honore sublimatus,
genuit Flodulfum, Waltgisum et Ansigisum. Walgisus quoque
genuit Wandregisilum confessorem et abbatem Fontanel-
lensi cenobio sanctissiraura. Flodulfus vero genuit
Martinura, quem interfecit Ebroinus in Ercriaco palatio. An-
sigisus itaque dux sortitus est', in coniugio accepit uxorera
[»nomine Beggam, filiam Pipini precellentissimi quondam prin-
cipis, qui populum inter Carbonariam silvam et Rlosam fluvium
et usque ad Fresionum lines vastis limitibus habitantem iustis
legibus gubernabat' etc.
Auffallend ist, dass diese Genealogia Pipini, obwohl sie
Pippin d. Ae. als den mütterlichen Grossvater, Ansegisel als
den Vater Pippins d. M. und Begga als Ansegisels Gemahlin
nennt, letztere dennoch nicht als Pippins leibliche Mutter an-
zusehen scheint. Sie schreibt: 'Predicta autem matrona repleta
omni prudentia quasi filium suum cotidie Pipinum salutaribus
alloquiis ammonebat — Ipse vero gracia divina preditus cunctas
salubres u t sue genitricis ammonitiones strenuis perveniebat
(1. preveniebat) moribus' (vgl. A. M. 687 S.316, 22—23. 25-26).
1) Vgl. Bonnell S. 7 N. 2. 2) Sic. 3) Hier beginnt die Ueber-
einstimmung mit den Ann. Mett. (SS. I, 316, 18 ff.) — In der Genealogia
Dagoberti beginnt sie mit den Worten: 'Post hec vero anno ab incarnatione
domini nostri Ihesu Christi 688" Pipinus filius Ansigisi nobilissimi quon-
dam Francorum principis post plurima prelia magnosque triumphos a Deo
sibi concessos' (vgl. A. M. 687 S. 316, 1 — 3), worauf es jedoch sogleich
weiter heisst: 'predictum regem Theodoricum superavit in prelio iuxta opi-
dum Virumandorum' . . .
Kritische Erörterungen. 565
n.
Ueber die verschiedenen Texte des Widukind.
Das Verhältnis der theilweise von einander abweichenden
Fassungen, welche die Handschriften des Widukind von Korvei
darbieten, ist in verschiedener Weise aufgefasst Avorden.
Darin stimmt man zwar überein, dass die Dresdner Hand-
schrift (A) den ältesten Text enthalte. Während dagegen
nach Waitz und Joh. Raase » demnächst der Text der Stein-
felder, jetzt im britischen Museum befindlichen Hs. (2) und
erst auf diese derjenige der Hs. von Montecasino (1) folgen
würde, hält Köpke ^ den Text 1 für älter als 2. Die letztere
Ansicht theilte früher auch Wattenbach , der sie dann dahin
modificiert hat, dass sowohl 1 wie 2 auf A zurückgingen'.
Eine weitere Differenz besteht darin, dass die Zusätze, Avelche
2 von A und 1 unterscheiden, nach der Meinung von Waitz
von Widukind selbst herrühren, während die anderen genannten
Forscher sie ihm absprechen.
Keine dieser Auffassungen, nach denen das Verhältnis
A oder A oder A
12
wäre, vermag ich mir anzueignen. Ich erlaube mir ihnen eine
Ansicht gegenüberzustellen, die sich in der Formel ausdrückt:
2
/\
A 1
Dabei mag indessen zwischen 2 und den späteren Texten
noch ein Mittelglied anzunehmen sein, in welchem Einzelnes,
z. B. die Stelle I, 34 (Gebet des Vitus), schon geändert war.
Wie mir scheint, bietet 2, abgesehen von Fehlern im Ein-
zelnen, den eigentlichen Widukind, A und 1 dagegen Bear-
beitungen*, in denen zwei Stellen (I, 22 und U, 3) wesent-
liche Veränderungen erfahren haben. Die eine Stelle enthält
schwere Anklagen gegen den Erzbischof Hatto von Mainz,
welche offenbar anstössig erschienen ; daher sind sie in 1 ab-
gekürzt und abgeschwächt, in A sogar fast radical getilgt.
1) Widukind von Korvei, Inaug. -Diss. Rostock 1880, S. 16 ff.
2) Widukind S. 25 ff. 3) Deutschlands Geschichtsquellen, 5. Aufl.,
I. 312; Vorrede zu Schottins Uebers., 2. Aufl., S. XIII. 4) In Bezug-
auf 1 ist dies schon bisher allgemein zugestunden; selbst nach Köpke
(S. 27) trägt dieser Text 'den Charakter der nachbessernden Hand'. Auch
in Betreff von A ist schon erkannt worden, dass diese Hs. an der Stelle
I, 22 nicht die ursprüngliche Fassung giebt; vgl. unten.
Nenea Arohiv etc. XV. 37
566
Bernhard von Simson.
An der andern Stelle findet sich eine Episode über mehrere
Aebte von Korvei, die vielleicht weil sie den Zusammenhang
zu sehr stört und als von zu localem Interesse in den Um-
arbeitungen weggelassen ist. Dass auch die späteren Recen-
sionen von Widukind selbst herrühren, wird, namentlich bei 1,
der Gleichartigkeit des JStils wegen nicht zu bestreiten sein.
Weitere Verbreitung fanden diese umgearbeiteten Redactionen
jedoch nicht. Eine verlorene Eberbacher Handschrift, auf
welcher die Frechtsche Ausgabe (3) hauptsächlich beruht,
stimmte an den vorzüghch charakteristischen Stellen mit 2
überein, und auch Ekkehard und dem Annalista Saxo hat der
Text in dieser Gestalt vorgelegen.
Unbedingt abzulehnen ist Köpkes Ansicht. Dass 2 nicht
auf 1 als seine Vorlage zurückgeführt werden kann, steht
ausser allem Zweifel. Dies beweisen mehrere Uebereinstim-
mungen mit A im Gegensatz gegen 1. Die Einthcilung des
Werkes in Capitel und die Inhaltsübersichten derselben vor
jedem Buche, mit denen 1 versehen ist, kennt 2 so wenig
wie A. In II, 16 hat A: 'Imperium, inquit, regale tibi facio
presente populo', ebenso 2, nur dass hier 'tibi' vor 'inquit' steht;
dagegen 1: 'Imperio, inquit, tibi regali denuntio, teste
populo'. Ebenso theilt 2 in III, 49 mit A den Zusatz: 'Nam
ipsi hello Ungarico aberant, Slavanico certamini reservati', der
in 1 fehlt '. Sehr klar tritt das Verhältnis auch III, 2 hervor,
wo 2 gleichfalls A näher steht als dem offenbar gefeilten
Texte 1
A.
sibi vero fore tan-
tam multitudinem
pilleorura foenino-
rum — fere non
est inventus , qui
f 0 e n i n 0 non utere-
tur p i 1 1 e 0.
sibi vero fore tan-
tam multitudinem
pilleorum foenino-
rum — non est in-
ventus qui foenino
non uteretur pilleo,
n i 8 i Corbeius abbas
etc.
1.
sibi vero fore tan-
tam multitudinem
piUeorum ex cul-
mis contextorum
— non est inventus,
qui huiusmodi non
uteretur tegumen-
to, nisi rarissimus
quisque.
Nur in 1 folgt hier sodann der ungeschickt eingeschaltete
Satz: 'Certus autem factus de adventu regis Huga, timore
quoque perterritus, dimisit Hluthowicum' (vgl. Waitz, 3. Schul-
ausg. S. 60 N. 2).
Allerdings stimmt 2 in anderen Beziehungen wieder mit
1) Waitz meint, es sei vielleicht eine Glosse. Dagegen spricht jedoch,
dass dieser Zusatz gerade in 1 fehlt; 1 liess ihn vielleicht fort, weil im
wesentlichen dasselbe auch schon früher erwähnt ist, III, 44 ('suraptis
secum paucis admodum ex Saxonibus, eo quod iam bellum Slavanicum
urgeret'); Dümmler, 'Otto d. Gr.', S. 251 N. 6. Stilistisch ähnlich III, 44:
'nam ipse hello Interim aberat'.
i
Kritische Erörterungen. 567
1 überein. So in der Erzählung von dem hinterlistigen An-
schlage Hattos gegen Heinrich (I, 22), in dem Ortsnamen
Gana (I, 35), der in A Kietni heisst, ferner darin, dass in
beiden am Schluss von III, 69 die Worte Spätrem tuum' fehlen,
dagegen dann die Schlusscapitel III, 70 — 76 folgen, welche A
nicht bringt. Indessen diese Uebereinstimmungen sind nicht
daraus zu erklären, dass 2 auf 1 zurückginge. In der Stelle
I, 22 scheint mir die Darstellung in 2 vor der in 1 den Vor-
zug zu verdienen. In 2 weiss der Leser bei dem Bescheide
Heinrichs 'die Hathoni, quia durius Collum non gerit Hein-
ricus quam Adelberhtus' aus dem Vorhergehenden, was damit
gemeint ist. In 1 ist dies nicht der Fall, Denn hier ist der
Verrath Hattos an Adalbert vorher nicht erzählt, sondern es
wird erst jetzt die Erläuterung eingeschoben: 'Is, ut ferunt,
Adelberhtus, ab ipso quondam pontitice in fide susceptus, eius
est consilio deceptus, quod quia non probamus, numquam
adfirmamus, sed vulgi rumore magis fictum crediraus'. Diese
nachhinkende Erklärung wirkt störend, in sachlicher und for-
meller Hinsicht. Sachlich , insofern sie Heinrichs Worten
eigentlich den Boden entzieht'; formell, weil sie den Zusam-
menhang so sehr unterbricht, dass der Herausgeber, Waitz,
sich veranlasst sieht, darauf hinzuweisen, dass das folgende
ipsius sich auf Hatto beziehe. Auch Waitz hielt diesen Satz
daher für später — wenn auch vom Verfasser selbst — ein-
geschaltet 2.
Noch entschiedener macht, wie schon Watteubach ^ mit
Recht bemerkt hat, die Fassung dieser Stelle in A den Ein-
druck der Abkürzung; sie wird erst verständlich, wenn man
sie mit den anderen Texten zusammenhält. Während in diesen
der Erzbischof Hatto von Mainz als der Urheber des Mord-
plans gegen Heinrich genannt wird, umgeht A die Nennung
dieses Namens und spricht unbestimmt von 'amici regii'. Dort
betritt Hatto die Werkstatt des Goldschmieds, hier 'quidam
insidias tendentium'. Dort lässt Heinrich dem Erzbischof
sagen, er habe keinen härteren Nacken als Adalbert und wolle
ihm mit seinem Gefolge nicht zur Last fallen ; hier lässt er
sich bei den 'Herren' des Boten entschuldigen, wenn er wegen
plötzlicher Einfälle der Wenden ihrer Einladung nicht Folge
leisten könne. Dennoch verräth auch A hinterher, indem er
sich den anderen Fassungen wieder nähert, dass es Hattos
Ränke waren, welche durch Heinrich gerächt wurden, und
dass der Erzbischof in Kummer über sein Missgeschick starb.
1) Er hätte sich danach ein leeres Volksgerede angeeignet, was
Widukind gewiss eigentlich von seinem Helden nicht sagen wollte.
2) 3. Schulausg. S. 20 N. 2. 3) Geschichtsquellen I, 312; Ueber-
setzung 2. Aufl. XIII.
37*
568 Bernhard von Simson.
*Ad orientem autem versus cum suo comitatu, collecta manu,
omnia quae erant pontificis, qui eo tempore Maguntiae prae-
erat, Hathonis', in omni Saxonia vel Thuringorum terra oc-
cupavit . . . Hatho autem videns suis artibus ^ finem imposi-
tum. . .' Dabei scheint durchzublicken, dass A den Text 2
vor sich hatte. Wenn A von Hatte rühmt: 'multas discordias
in regno reconciliabat', so gründet sich dies wahrscheinlich auf
die Worte 'Et quid melius eo consilio, quo discordia dissol-
veretur et pax redderetur?' in 2, die sich auf Hattos erfolg-
reiche Hinterlist gegen Adalbert von Babenberg beziehen».
Seiner Tendenz gemäss verallgemeinert A den Erfolg, der
dort Hatte in einem bestimmten Falle zuerkannt wird, und
verschweigt, dass er durch ein höchst verwerfliches Mittel er-
reicht wurde. Endlich scheint hier selbst die Schreibart in A
kaum ganz der Widukinds zu entsprechen*. Zu den Worten
'Ad orientem autem versus cum suo comitatu, collecta manu'
ist nämlich zu bemerken, dass Widukind die Worte 'comitatus'
und 'manus' sonst gleichbedeutend gebraucht (H, 11; Köpke
S. 98; Waitz, DVG. VI, 258 N. 1). Auch in den Worten 'et
qui tempore Ludewici adolescentis super imperio Francorum
acri cura vigilabat, multas discordias in regno recon-
ciliabat, templum Maguntiae nobili structura illustrabat'
fallen die Indicative 'vigilabat' etc. auf. Widukind gebraucht
in dieser Construction sonst stets den Conjunctiv, wendet sie
auch nur an, um eine Persönlichkeit nach ihren Eigenschaften
oder Gewohnheiten zu schildern, nicht um ihre Thaten anzu-
führen (vgl. unten S. 571).
Den Vorzug, für die erste Recension zu gelten, verdankt
die Hs. A weder ihrem Alter noch ihrer Güte. Sie ist jünger
als 1, wahrscheinlich auch als 2* und incorrecter als beide*.
Sie verdankt dies Ansehen nur dem Umstände, dass ihr der
Schluss des Werkes (HI, 70—76) fehlt, von dem man an-
nimmt, dass der Autor ihn erst später hinzugefügt habe '.
1) Cod. 1 : 'Et statim omnia quae iuris ipsius erant'; 2: 'sui iuris' (bei
Ekkehard und Annalista Saxo, SS. VI, 179, 593, dagegen auch 'iuris
ipsius', was jedenfalls die bessere, vielleicht auch die ursprüngliche Les-
art ist). 2) Die anderen Hss. haben den stärkeren Ausdruck 'callidi-
tatibus'. 3) Vgl. auchA: 'tempore Ludewici adolescentis' mit 2: 'regi
a pontifice presentatus Ludwico'. 4) Anders Köpke S. 25. 5) Die
Hs. 1 stammt aus dem Ende des 11. oder dem Anfang des 12., 2 aus
der Mitte des 12. Jh. (SS. III, 413). A, welche Ebert (Pertz, Archiv
III, 605) erst in den Anfang des 14. Jh. verweisen wollte, wird von Pertz
und Waitz gleichfalls ins 12. gesetzt. Nach der Schriftprobe SS. III.
tab. IV. scheint sie jedoch jünger als 2. Die Schrift ist eckiger.
6) Waitz, SS. III, 412 f.; 3. Schulausg. S. XIL 7) So auch Ad. Ebert,
'AUgem. Gesch. der Literatur des Mittelalters im Abendlande' III, 432,
nach welchem diese Fortsetzung besser als 'Nachwort' zu bezeichnen wäre.
Kritische Erörterungen. 569
Nun ist es allerdings unzweifelhaft, dass Widukinds Werk ur-
sprünglich nicht so weit reichte wie jetzt. Es brach aber
nicht da ab, wo die Hs. A aufhört, sondern bereits an einer
früheren Stelle (III, 63). Ganz unverkennbar Hess der Ver-
fasser anfänglich hier den Schluss eintreten*. Er schreibt
hier ausdrücklich (in Bezug auf Otto d. Gr.)*
'Ergo qualiter regem Longobardorum Bernharium duo-
bus annis obsessum, cum coniuge et filiis captum in exilium
destinaverit, Romanos duobus proeliis vicerit Romamque
expugnaverit, duces Beneventorum subiecerit, Graecos in
Calabria Apuliaque superaverit, terra Saxonia venas argenti
aperuerit imperiumque cum filio quam magnifice dilataverit,
nostrae tenuitatis non est edicere, sed, ut
initio historiae praedixi, in tantum fideli devo-
tione laborasse sufficiat.'
Er wendet sich dann nochmals an die Tochter des Kaisers,
Mahthilde, welcher er das Werk gewidmet hat und die er im
Eingange jedes Buches begrüsst:
'Caeterum erga tuam claritatem serenitatemque, quam patris
fratrisque celsitudo patriae ad omnem honorem nobisque
ad solatium reliquit, magna devotio opus humile magnificet.'
Er fügt endlich hinzu:
*At finis civilis belli terminus sit libelli.'
Wie mir scheint, liegt kein zwingender Grund vor, an-
zunehmen, dass dies nicht der wirkliche Schluss, sondern nur
die Ankündigung eines später folgenden Schlusses gewesen
sei. Ganz ähnlich wie hier Widukind sein Werk schloss,
bezeichnen andere mittelalterliche Autoren den Schluss ein-
zelner Bücher, so Nithard II, 10. III, 7 ('Qua finem primi
certaminis dedit Lodharius, terminetur Über secundus —
Qua finem secundi certaminis dedit Lodharius, terminetur
liber tercius') ; der Monachus Sangallensis (Notker der Stammler)
I, 34 ('hie fiat terminus libelli istius'). Ausserdem erinnert
dieser frühere Schluss Widukinds, wie man mit Recht be-
merkt hat 2, sehr an denjenigen der Hrotsuit in ihren Gest.
Oddonis (v. 1483 fi". SS. IV, 334-335).
Andere' meinen freilich, der 'finis civilis belli' werde erst
mit dem Tode des jüngeren Wichmann (III, 69), d. h. mit
dem Ende der Handschrift A, erreicht, welche schliesst: 'Is
finis Wichmanno, talisque omnibus fere qui contra imperatorem
arma sumpserunt patrem tuum'. Allein, wenn auch in den
vorhergehenden Capiteln mehr von Kämpfen gegen auswärtige
1) Vgl. auch Waitz, SS. in, 411; Schulausg. S. IX. Offenbar un-
richtig will Köpke (S. 32. 69) eine früheste Grenze schon vor diesem
Capitel, am Ende von III, 62, erkennen. 2) Vgl. Waitz in 'Forschungen
zur Deutschen Geschichte' IX, 339. 341. 3) Köpke S. 34 ; Eaase S. 16, 19,
570 Bernhard von Sirason.
Feinde als von inneren Kämpfen die Rede ist, so bildet doch
den Hauptinhalt des 3. Buches der grosse Liudolfinische Auf-
stand. Dieser ist das nunmehr beendigte bellum civile >.
Dem entsprechend heisst es auch im Eingange des betreffenden
Capitels III, 63, vor den angeführten Schlussworten: 'Rebus
igitur rite compositis per omnem Franciam Saxoniamque
(d. h. im ganzen deutschen Reich *) et vicinas circumquaque
gentes, Romara statuens proficisci, Longobardiam perrexit'.
Wichmann dagegen kam in einem Kampfe zwischen Wenden
und Polen um. .Jedenfalls glaube ich, dass die in Uncialen
geschriebenen 3 Schlussworte von A: 'patrem tuum' auch nicht
zum ursprünglichen Texte gehören, sondern nur hinzugefügt
sind, um noch eine an die Adressatin der Schrift, Mahthilde,
gerichtete Schlusswendung, wenn auch dürftigster Art^ zu ge-
winnen. Man sieht nicht ein, weshalb sie sonst in den anderen
Texten fortgelassen worden sein sollten*. Weit mehr Grund
hätte hier jedenfalls vorgelegen, die Schiusswendungen in
III, 63 zu tilgen.
Es mag immerhin sein, dass der Text A verfasst wurde,
als die Fortsetzung des Werkes noch nicht über III, 69 hinaus-
gelangt war, vielleicht auch, dass er so Mahthilde überreicht
wurde, aber die ursprüngliche Fassung enthält er nicht, son-
dern, wie besonders die Stelle I, 22 beweist, eine Bearbeitung.
Dagegen lUsst sich meines Erachtens nicht absehen, warum
der Text 2 nicht die ursprüngliche Fassung bieten, warum
insbesondere die ihm eigenthümlichen Stellen erst nachträglich
eingeschaltet oder sogar unecht sein sollten. Man hat be-
hauptet*, dass die Schreibweise, wenigstens in I, 22, auf
einen anderen Verfasser deute. Ich erlaube mir das Gegen-
theil zu behaupten. Betrachten wir zunächst die Stelle I, 22,
so finden wir in Widukinds Stil den Gebrauch von 'urbs' und
'oppidum' fiir Burg und Vorstadt, die Bezeichnung 'summus
pontifex' für den Erzbischof von Mainz«; ferner Ausdrücke
wie 'tarn ingens bellum — tam ingentem discordiam' (I, 5 'tarn
ingens aurum', IT, 11 'tam ingens periculum' u. s. w.); 'emi-
nentes viros' (III, 51. 72. 69. 16, Köpke S. 112); 'civitatem
Adelberti' (Köpke S. 155); 'incolumem loco suo restituturum
1) Vgl. III, 44. 52 ('eventum belli civilis considerantes' — 'civili
hello urgente'). 2) Giesebrecht, 'Kaiserzeit' I, 5. Aufl., S. 815; Waitz,
'DVG.' V, 131 N. 4. VI, 135 N. 3. 3) SS. III, tab. IV. 4) Andere
ähnliche Stellen lassen sie nicht weg, wie I, 19 ('cum qualibus avo tuo
patrique certandum fuerit'). 34 ('ut videmus in amore mundi et totius orbis
capite, patre tuo' — 'tuum scilicet patrem atque fratrem'). 5) Köpke
S. 26: 'Für die Steinfelder Handschrift 2 lässt sich eine gleiche Ueberein-
stimmung' (nämlich mit dem Stil Widukinds, wie bei A und 1) 'nicht nach-
weisen'. 27: 'Auch die Schreibweise ist abweichend'. Raase S. 16 — 17,
mit nicht stichhaltigen Gründen. 6) Vgl. SS. III, 920; Köpke S. 153
— 154. 169.
I
Kritische Erörterungen. 571
— eo quod incolumem eum loco suo constituisset (III, 69
quatinus incolumem imperatori restituat); aliquid gustare —
gustandi gratia (III, 75 paululum gustavit); multorum capita
populorum i salvantur (I, 25 ipse enim vere rex erit et im-
perator multorum populorum'. 34 'Populis eum visitantibus
puer praedicat Christum'. 37 'meritoque oranibus populis
carum'. III, 57 'cum luctu et planctu multorum populorum').
Aehnliche Comparative, wie hier 'longioris viae tardiorisque
horae', gebraucht Widukind öfter (I, 9 'iam tardior hora
proelium diremit'. 111,54. 111,69 'leiunio autem et longiori
via . . . fessus'. I, 11 'qua solet sopor gravior occupare mor-
tales'. 16 'quasi iam gravior'. 34 'iam gravior paedagogus etc.').
Parallelstellen in grosser Anzahl bieten sich dar zu 'Post haec
regi a pontifice praesentatus Ludwico' (1,34 'Quem pater
praesidi provinciae Valeriano praesentavit'. II, 16 'tribunali
regis . . praesentari'. 17 'regi sese praesentavit'. 40 'quos po-
pulo rex praesentari iussit'. III, 2, in allen Hss. , 'quos ei
praesentari oporteret'. 48, 55. 69. 71). Zu 'Et quid melius
eo consilio, quo discordia dissolveretur' vgl. II, 15 'consilium,
quo facilius bellum solveretur' ^. Ein gewöhnlicher Fehler
Widukinds ist, dass er statt des accus, cum inf. blos den In-
finitiv setzt; so steht auch hier: 'sub iureiurando spopondit,
aut ei pacem cum rege facturum aut incolumem loco restitu-
turum'. Endlich enthalten auch die Worte 'Hie obscuro genere
natus ingenioque acutus, ut qui difficile discerneretur, melior
consilio foret an peior' eine Wendung, die bei unserem Autor
nicht selten ähnlich wiederkehrt, vgl. I, 24 'vir disciplinae
militaris peritissimus, varius consilioque magnus et qui calli-
ditate ingenita raultos mortales superaret'^. II, 36 'habitus
patrius, et qui numquam sit peregrino usus — 'Erat corpore
praestanti et qui in adolescentia omnem hominem egregia
forma ad se inclinaret'. III, 7 'homo ferus et avarus et qui
omnem iustitiam pecunia venderet'. 54 'Erant quippe in Gerone
multae artes bonae, bellandi peritia, in rebus civilibus bona
consilia ... et qui prudentiam suam opere ostenderet quam
ore'. Allerdings steht an unserer Stelle nicht 'et qui', sondern
'ut qui'; wir dürfen aber vielleicht 'ut' in 'et' emendieren; auch
die Frechtsche Ausgabe (3) hat 'et'.
1) Schottin (2, Aufl. S. 30) übersetzt zutreffend 'vielen Volkes' (nicht
vieler Völker); vgl. besonders Wid. I, 14: 'in orientales scilicet populos
(Osterliudi), Angarios atque Westfalos' ; Waitz V, 172 N. 5. 2) Der
Sinn dieser Stelle, welche Dümmler, 'Otto d. Gr,' S. 81 N. 3 nicht ganz
richtig ausgelegt hat, ist durchaus entsprechend. Widukind will nicht
sagen, dass die schnelle Beendigung des Krieges die Absicht der Rath-
geber, sondern dass sie die Folge ihres Rathes gewesen sei; vgl. H. Kohl
in Richters 'Annalen der deutschen Geschichte im Mittelalter' III, 1,
S. 38 N. 1. 3) Vgl. auch cod. 1 in I, 22: 'acutus consilio, acer in-
genio et qui varietate sibi consueta multos mortales precederet'.
572 Bernhard von Simson.
Mindestens in gleichem Grade zeigt sich diese Ueberein-
stimmung mit Widukinds so charakteristischer Schreibweise
in der anderen dieser Redaction eigenthümlichen Stelle III, 2.
Man vergleiche *ut natu maior, omni virtute ac sapientia potior'
mit I, 16 'fratri natu quidem minori, sed omni virtute multo
potiori — 'pretiosi martiris Viti' mit I, 33 *pretiosi martiris
Dyonisii'. 34 'pretiosi martiris — 'Corbeius abbas nomine Bovo'
mit 'Corbeius Widukindus', Hb. I. praef. — 'a Deo nobis osten-
sus, non concessus' mit I, 22, wo wenigstens auch 1 hat: 'virum
nobis proprie a summa dementia concessum'.
Der Stil dieser Stellen gestattet es also vollkommen, sie
Widukind zuzuschreiben, wenn er uns nicht sogar dazu nöthigt.
Ein anderer konnte wenigstens nur so schreiben, wenn er Widu-
kinds Stil sehr aufmerksam studiert hatte und geflissentlich
nachahmte. Was den Inhalt betrifft, so scheint es allerdings
unrichtig zu sein, wenn I, 22 Ilatto als 'obscuro genere natus'
bezeichnet wird K Allein Widukind begeht auch sonst Irr-
thümer, und weit stärkere. Dagegen steht es fest, dass die
hier gegebene Ueberlieferung über Hattos Verrath an Adalbert
bereits vorhanden war, als Widukind schrieb. Dies wird
durch Liudprands Antapodosis (II, 6) bewiesen, mit welcher
Widukind sich auch an einzelnen anderen Stellen berührt'.
Ebenso fehlt es der Erzählung III, 2 nicht an Bestätigung.
Dass König Konrad I. zur Zeit des Abts Bovo II. von Korvei
das Kloster besuchte, wird durch eine Urkunde Konrads vom
3. Februar 913^, dass der Abt griechische Schrift lesen konnte,
durch seinen Commentar zu einer Stelle des Boethius, der
griechisch geschriebene Wörter enthält, bezeugt*.
Das schöne, allem Anschein nach wirklich empfundene
Wort über den Abt Bovo III. von Korvei: 'vir — a Deo nobis
ostensus, non concessus' wurde gewiss von einem Korveier
Mönch geschrieben, der unter der nur zu kui'zen Verwaltung
dieses Abts (942 — 948) Mitglied der Brüderschaft gewesen
war — d. h. von W^idukind, welcher gerade in den letzten
Zeiten vor Bovo, unter Folkmar, in das Kloster eintrat (Catal.
et nom. fratr. Corb. SS. XIII, 276 N. 2; vgl. auch Waitz, praef.
p.V N. 3; Raase S. 17).
Endlich flillt, wie ich bereits im N. Archiv XII, 597 her-
vorgehoben habe, für die Priorität des Textes 2 ins Gewicht,
dass dieser an der einzigen Stelle, wo Widukind fast wörtlich
einer Vorlage folgt — in dem Gebet des Vitus, I, 34 — sich
dieser Vorlage enger anschliesst als die übrigen Redactionen,
mit denen hier freilich auch 3 übereinstimmt. —
1) Dümmler, 'Gesch. d. ostfränk. Reiches', 2. Aufl. III, 343 N. 4;
Böhmer -Will, 'Regest, archiepp. Maguntin.' I, p. XXVII. 2) Vgl. auch
Waitz, 3. Schulausg. p. VII N. 12. 3) Mühlbacher n, 2025; DD. I, 14
n. 14, 4) Wattenbacb, 'Geschichtsqu.' I, 240.
i
Kritische Erörterungen. 573
Hierzu auch bei dieser Gelegenheit ein paar Bemerkungen
über einzelne schwierige Stellen des Widukind. Hinsichtlich
einer anderen Steile (H, 10) habe ich die herrschende Aus-
legung in den 'Forschungen zur Deutschen Geschichte' (XXV,
369 ff.) zu widerlegen versucht'.
I, 12. *Ex hoc apparet aestimationem illorum utcumque
probabilem, qui Saxones originem duxisse putant de Graecis,
quia Hirmin vel Hermis Graece Mars dicitur; quo vocabulo
ad laudem vel ad vituperationem usque hodie etiam ignorantes
utimur' (vgl. I, 2).
Hier stehen sich bekanntlich eine Erklärung von J. Grimm
und eine andere von Pertz gegenüber. Grimm bezieht das
Relativ 'quo vocabulo' auf 'Hirmin'. Der Sinn ist nach seiner
Meinung: wir verwenden das verstärkende Präfix 'irmin' —
ohne seinen Sinn zu verstehen — noch heute bei Wörtern
guter oder übler Bedeutung — oder, wie er später meinte:
noch heute wird bei uns mit diesem Namen ein hervorragender,
verwegner Mann, lobend oder tadelnd belegt. Pertz dagegen
bezog 'quo vocabulo' auf 'Mars' und denkt an das Wort 'märi',
'mar', welches in gutem Sinne so viel wie 'clarus', im Übeln
einen 'incubus' (Alp, der den Schlafenden drückt) bedeute.
Obschon Grimms Erklärung (und zwar die zuerst von ihm
gegebene) auch Waitz als die zweifellos richtige erschien, bin
ich der Meinung, dass die Auslegung von Pertz den Vorzug
verdient. Er vertritt wohl mit Recht die Ansicht, dass sich
'quo vocabulo' auf das, überdies unmittelbar vorhergehende,
Fremdwort 'Mars' beziehe, 'nam Hirmin minime ignorabanf, die
Bedeutung von 'Hirmin' kannten die Sachsen wohl. Auch will
Widukind ja ein Argument für die Ansicht anführen, dass die
Sachsen von den Griechen abstammen. Es besteht darin, dass
sie früher bei der Benennung des von ihnen errichteten Heilig-
thums und auch noch jetzt, ohne es zu wissen, den, wie er in
seiner confusen Gelehrsamkeit meint, griechischen Namen 'Mars'
anwenden». Nur scheint mir die Auslegung von Pertz einer
Modification zu bedürfen. Die Beziehung auf den 'incubus'
müssen wir fallen lassen; was hat dieser mit einem Ausdruck
des Tadels zu thun? Auch ist 'mar' ein anderes Wort als
'märi'. Letzteres bedeutet allerdings soviel wie 'clarus' oder
'famosus'; in dieser Bedeutung kommt es auch in vielen Männer-
namen vor». Es scheint nicht, dass es, wie 'famosus', auch
1) Vgl. dazn v. Planck in 'Münchner S.-B." 1886, S. 155 ff.
2) Vgl. zu 'quo vocabulo' vorher: 'nomine Martern, effigie colnmpnarum
imitantes Herculem'; ferner die Parallelstelle I, 38: 'angelum — hoc enim
vocabulo effigieque signum maximum erat insignitum'. 3) Graff, 'Alt-
hochdeutscher Sprachschatz' II, 281; Schade, 'Altdeutsches Wörterbuch'
(1866) S. 387; J, Grimm, 'Deutsche Grammatik' II, 571; Papencordt,
'Gesch. der vandalischen Herrschaft in Afrika', S. 290. — Widukind ge-
braucht 'clarus' als Steigerung von 'famosus' II, 11 ('Ea pugna Tamma
pincerna, multis aliis rebus bene gestis olim famosus, factus est clarus').
574 Bernhard von Simson.
im Übeln Sinne gebraucht wurde. Aber, war das vielleicht
doch Widukinds Meinung?
I, 30. 'Indicavitque abstinere quidem ab armis, verum
potius arte superaturos speravit Lotharios, quia gens varia
erat et artibus assueta, bellis prompta mobilisque ad rerum
novitates'. Hier fällt zunächst der Widerspruch mit einer spä-
teren Stelle auf, wo die Lothringer als ein unkriegerischer
Menschenschlag bezeichnet werden (II, 15 'Lothariis, generi
hominura inbelli'»). Dümmler, der dies bemerkt*, meint, man
würde auch an der zweiten Stelle vielmehr ein Lob der Streit-
barkeit der Lothringer erwarten. Umgekehrt glaube ich, dass
die zweite Stelle (II, 15) ganz in Ordnung ist, dagegen die
erste (I, 30) der Emendation bedarf. Es stimmt vollkommen
zu der Bezeichnung der Lothringer als eines unkriegerischen
Stammes, wenn es dort weiter heisst: 'et ita factum est, ut
primo impetu eos^ rex devinceret et uno certamine fatigaret'.
Es stimmt ebenso dazu, wenn nachher (II, 17) erzählt wird,
wie die Lothringer im Treffen bei Birten , trotz ihrer grossen
Uebermacht, auf den Ruf sich zu retten, die Flucht ergreifen,
mochte auch einer von ihnen, Gottfried genannt der 'Schwarze',
rühmlich kämpfen. Der Ausdruck 'bellis promptus' findet sich
sonst bei Widukind nicht; er schreibt 'ad bellandum prompte'
(I, 8) oder 'bellis aptum' (II, 3). Ich schlage vor, zu lesen:
'quia gens varia erat et artibus assueta, inbellis, prompta
mobilisque ad rerum novitates'-». Die Worte 'verum potius
arte superaturos speravit Lotharios' werden gewöhnlich so
verstanden: der König hoffte, eher durch List die Lothringer
besiegen zu können*. Allein diese Auslegung erscheint selbst
bei Widukind grammatikalisch unmöglich*. Wie oft und
stark er auch gegen die Grammatik verstösst, so ungeheuer-
lich versündigt er sich an ihr sonst kaum. Auch ist es un-
logisch, dass Heinrich deshalb gehoflft haben soll, diesen Volks-
stamm durch List zu überwinden, weil derselbe listig und
verschlagen war. Der Sinn ist vielmehr: er hoffte, dass die
Lothringer, weil sie nicht kriegerisch, aber listig waren, durch
List siegen, d. h. die westfränkische Herrschaft abschütteln
würden. Gleich darauf wird erzählt, Avie ein Lothringer sich
durch List der Person des dortigen Herzogs Giselbrecht be-
1) Dass der Verf. sie anderwärts ein unbändiges Volk nennt (II, 36
'genti iudomitae Lothariorum') , steht hiermit nicht in Widerspruch.
2) 'Otto d. Gr.' S. 81 N. 3. 3) Dümmler bezweifelt mit Unrecht, dass
dies auf die Lothringer gehe. 4) Das Wort 'inbellis' gebraucht Widu-
kind auch III, 2 ('super Saxones loquendo, quia inbelles essent'). 5) Vgl.
Schottins Uebers., 2. Aufl. S. 35; Waitz, 'Heinrich I.', 3. Aufl. S. 69
(auch Giesebrecht, 'Kaiserzeit', 5. Aufl. I, 214). 6) Die von Waitz an-
gezogene Parallelstelle (I, 39) 'ut etiam ludenti non crederent . . . se
dissolvendum' passt sehr wenig.
Kritische Erörterungen. 575
mächtigt ('cepitqne eum arte'), wodurch Heinrichs Hoffnung
ihrer Erfüllung entgegengeführt wird. In demselben Sinne
heisst es H, 23 von dem lothringischen Grafen Immo : 'Sciens
autem comitem Isilberhti versutum et callidum nimis, nomine
Immonem, artibus illius melius arbitratus est pugnare quam
armis'; ähnlich auch HI, 71 von den Griechen: 'et quos vir-
tute nequibant, artibus superabant' ».
in.
Zum Privilegium Ottonianum für die römische
Kirche.
K. Lamprecht ('Die römische Frage von König Pippin
bis auf Kaiser Ludwig den Frommen' S. 65 N. 2) nimmt an,
dass der Passus des Ottonianum (§ 7) 'itemque a Lunis etc.'
einschliesslich des Zusatzes 'una cum ecclesia sancte Cristine
posita prope Papiam iuxta Padum quarto miliario' aus dem
Pactum von 824 herrühre; auch dieser Zusatz erkläre sich
zum J. 824 weit besser als bei der Annahme irgend einer
anderen Zeit. Alle Wahrscheinlichkeitsrechnung weise auf
dies Jahr hin; denn 822 habe noch Ludwig der Fromme jenem
Kloster der h. Christina bei Corte Olona, nach dem Vorgange
Karls des Grossen, einen Schutzbrief ertheilt, während eine
Urkunde Kaiser Widos von 892 beweise, dass die Abtei da-
mals der römischen Kirche bereits wieder entfremdet war.
Mithin hätten wir die Schenkung von S. Cristina an den
päpstlichen Stuhl zwischen 822 und 892, und zwar möglichst
bald nach 822 zu setzen. Das Material zur Geschichte dieser
Abtei entlehnt Lamprecht aus Ficker, 'Forschungen zur Reichs-
und Rechtsgeschichte Italiens' II, 361, der es 'anscheinend ab-
schliessend' zusammengestellt habe. Hatte doch auch Sickel
('Das Privilegium Otto I. für die römische Kirche' S. 139) sich
vergeblich bemüht, weitere Aufschlüsse über die Geschichte
der Abtei aus gedruckten Quellen oder den Urkunden und
Handschriften des Vaticans zu erlangen; nirgends stiess er
auf ihren Namen.
Mehr hätte Lamprecht schon erfahren können, wenn er
auch nur die Notizen nachgeschlagen hätte, welche Mabillon
in seinen 'Annales o. s. Benedicti' (II, 478. III, 223) über die
gedachte Abtei zusammengestellt hat. Man ersieht daraus
zunächst, dass die dem Kloster S. Cristina von Ludwig dem
1) Vgl. lordan. Get. XXXVI, 186, Auct. antiquiss. V, 1, S. 107:
'homo subtilis, ante quam bella gereret, arte pug-nabat' (Agnell. c. 37
SS. rer. Lang-ob. S. 302: 'unde de eo ia proverbiis dicitur: Attila rex,
priusquam arma sumeret, arte pugnabat'; dazu ebd. N. 2. Bekanntlich
ist Jordanis bei Widukind (I, 18) benutzt.
576 > Bernhard von Simson.
Frommen bestätigte Immunität von seinem Sohne Lothar am
4. Februar 838 abermals bestätigt wurde (Mühlbacher n. 1025;
Baluze, 'Capp. reg. Francor.' II, 1438 n. 53). Derselbe Abt
Petrus, welcher die Iramunitätsurkunde Ludwigs erhalten hatte,
legte sie Lothar zur Bestätigung vor; ebenso wie in der Ur-
kunde Ludwigs von derjenigen Karls, heisst es hier von der
Ludwigs: — ^et eius auctoritate immunitatis hactenus ab in-
quietudine iudiciariae potestatis idem munitum atque defen-
satum fuisset monasterium. Sed pro firmitatis studio postu-
lavit idem Petrus abba, ut paternae auctoritati nostram quoque
superadiiceremus'. Lamprecht wird hierin vielleicht eine Be-
kräftigung seiner Ansicht erblicken und die Schenkung von
5. Cristina an den Papst im Jahre 824 um so wahrschein-
licher finden, da sie mithin nicht nur vor 892, sondern sogar
vor 838 fallen müsse. Mir scheint dagegen jene Urkunde
Lothars entschieden dafür zu sprechen, dass das Kloster in
der Zeit von 822 bis 838 in keinen anderen Besitz über-
gegangen war und folglich Lamprechts mit grosser Zuversicht
aufgestellte Vermuthung als verfehlt zu betrachten ist.
Eine fernere, von Lamprecht gleichfalls nicht erwähnte
Urkunde für S. Cristina datiert vom 24. April 879 und ist
dem Abt Trasoald von König: Karlmann ertheilt (Mühlbacher
n. 1498; Baluze, 'Capp.' II, 1504 n. 111; Dümmler, 'Gesch. des
ostfränk. Reiches' 2. Aufl. III, 97 N. 3). In demselben Jahre
schrieb Papst Johann VIII. an den dortigen Abt Gisulf, welcher
inzwischen auf Trasoald gefolgt zu sein scheint, und übertrug
ihm die Aufsicht über das von der Kaiserin Engelberga, der
Gemahlin Ludwigs II. , gestiftete Kloster San Sisto in Pia-
cenza (Jaffc, 'Reg. pont.' ed. 2» n. 3301; Mansi XVII, 176;
auch Migne, 'Patrol. lat.' CXXVI, 899; Dümmler II, 385.
III, 65) «.
Durch Gregor XIII., im Jahre 1581, wurde jenes Kloster
der h. Christina dem Collegium Germanicum zu Rom, welches
dieser Papst wiederherstellte, ja gewissermassen neu begrün-
dete und auf alle Weise begünstigte*, zugewiesen'. Daher
mögen auch die Acten des Collegium Germanicum noch am
ehesten weiteres Material über die Geschichte des Klosters
enthalten. —
Die Stelle des Ottonianum (§ 15): 'Et ut ille qui ad hoc
sanctum atque apostolicum regimen eligitur nemine consentiente
1) Auch die Bestätigung der Schenkung von S. Cristina an den
Bischof Wido von Piacenza durch König Hugo, 926 Nov. 28 (Böhmer,
'Regest. Karol.' n. 1375; Campi , 'Dell' historia ecclesiastica di Piacenza'
I, 483 n. 46) ist von Ficker nicht erwähnt. 2) Theiner, 'Gesch. der
geistlichen Bildungsanstalten' S. 93 ff.; O. Mejer, 'Die Propaganda' S. 79;
Herzog und Plitt, 'Realencyklopädie für protestant. Theologie', 2. Aufl.
IIT, 314. 3) Mabillon 1. c; Campi I, 255.
1
K^ritische Erörteruügeti. 577
consecratus fiat pontifex priusquara talem in presentia mieso-
rum nostrorum vel filii nostri seu univers^ generalitatis faciat
promissionem qualem domnus et venerandus spiritalis pater
noster Leo sponte fecisse dinoseitur' bezieht man jetzt gewöhn-
lich auf ein vom Papst Leo IIL Karl dem Grossen geleistetes
Versprechen. So Sickel, 'Das Privilegium Otto 1', S. 159;
Dümmler, 'Otto d. Grosse', S. 335; Lamprecht, 'Die röm. Frage',
S. 16 N. 1; H. Kohl in Richters 'Annalen der deutschen Ge-
schichte' III, 1, S. 89 N. 1, dem Siekels Beweisführung zwingend
erscheint. Andere haben an Leo IV. (-]- 855) gedacht; so
zuletzt noch Dopffel, 'Kaiserthum und Papstwechsel unter den
Karolingern', S. 96 ff.
Wie ich gestehe, sind mir jedoch beide Auslegungen
wenig wahrscheinlich. Bei einem Papste, welchen der Kaiser
als 'domnus et venerandus spiritalis pater noster' bezeichnet,
denkt man zunächst an einen Zeitgenossen des Kaisers,
den gegenwärtig lebenden und regierenden Papst, wie es
auch im Ottonianum vorher (§ 12) von Johann XII. heisst:
'spiritali patri nostro domno lohanni summo pontifici et uni-
versali pap§'. Die Bezeichnung setzt eine persönliche, und
zwar noch bestehende Beziehung zwischen Kaiser und Papst
voraus. Ein Papst, der ein bis zwei Jahrhunderte früher gelebt
hatte, konnte vom Kaiser nicht so genannt werden. Auch
der Einwand, dass dieselben Worte auch im Heinricianum
(LL. IP, 176) wiederkehren, ist nicht durchschlagend. Sie
sind hier mechanisch aus dem Ottonianum wiederholt, während
sich eine solche wörtliche Benutzung einer Vorlage an der be-
treffenden Stelle des letzteren wenigstens nicht beweisen lässt.
Ficker (II, 354) glaubt zwar behaupten zu dürfen, das Privileg
Ottos I. gehe hier in seiner wörtlichen Fassung auf ein Pactum
zwischen Lothar und Eugen II. vom J. 824 zurück. Die Mög-
lichkeit ist nicht zu bestreiten, wohl aber die Wahrscheinlich-
keit». Auch 824 war nicht Leo III, sondern eben Eugen II.
der lebende Papst gewesen; Leo war schon 816 gestorben,
zwischen ihm und Eugen hatten Stephan IV. und Paschalis I.
auf dem römischen Stuhle gesessen. Wenn Lothar ihn gleich-
wohl 824 als 'domnus et spiritalis pater noster' bezeichnete,
so hätte er wohl wenigstens ein 'beatae memoriae' oder dergl.
hinzugefügt. Es kommt hinzu, dass in dem Ottonianum vorher
lediglich auf das Versprechen Eugens und seiner Nach-
folger verwiesen wird: 'secundura quod in pacto et consti-
tutione ac promissionis firmitate Eugenii pontificis succes-
sorumque illius continetur', ganz ebenso wie in dem Eide
der Römer von 824: 'priusquam tale sacramentum faciat in
1) Auch Dopffel a. a. O, S. 100 N. 1 wendet sich gegen diese Aus-
führung Fickers. In Lothars Pactum konnten auch nicht die Worte 'vel
filii nostri' vorkommen.
578 Bernhard von Simson.
praesentia missi domni imperatoris et populi, cum iuramento,
quale dominus Eugenius papa sponte pro conservatione om-
nium factum habet per scriptum' (Capitularia ed. Boretius I,
324j. Auf einen früheren Eid Leos III. ist weder hier noch
dort Bezug genommen.
Daher liegt es meines Erachtens am nächsten, bei 'dora-
nus et venerandus spiritalis pater noster Leo' weder au Leo III.
noch an Leo IV, sondern an den Zeitgenossen Ottos, Leo VIII,
zu denken. Diese Möglichkeit ist zwar scheinbar ausgeschlossen,
weil die Urkunde vom 13. Februar 962, noch aus der Zeit
Johanns XII. datiert; allein das Räthsel könnte vielleicht seine
Lösung darin finden, dass in der Urkunde zwei verschiedene
Bestandtheile sich unterscheiden lassen. Dass dies Privileg
Ottos I. in zwei Haupttheile zerfällt und der zweite Theil
gerade mit § 15, welcher die in Rede stehende Stelle enthält,
beginnt, hat Sickel (S. 103. 149. 158) klar erwiesen. Der
erste Theil deckt sicn im wesentlichen mit dem angeblichen
Privileg Ludwigs des Frommen von 817; der zweite schliesst
sich an die römische Constitution Lothars von 824 an. Dem
entsprechend bezeichnet sich der erste Theil als 'hoc pactum
confirmationis nostr^ — hoc nostr^ delegationis pactum —
hoc nostr§ confirmationis pactum' (§ 1. 13. 14). Im zweiten
Theil heisst es dagegen: 'Preterea alia minora huic operi(!)
inserenda previdimus — hanc nostram institutionem — Huic
enim institutioni — hanc imperialem constitutionem' (§ 16. 19).
Erst der Schluss von § 20 an nebst den Unterschriften und
dem Datum gehört wieder mit dem ersten Theile zusammen ',
wie uns hier auch abermals der Ausdruck 'hoc pactum con-
firmationis» nostr§ — h^c pactio' begegnet. Zu diesen Ver-
schiedenheiten tritt, wie ich glaube, eben noch die hinzu, dass
im ersten Theil Johann XII, im zweiten dagegen Leo VIII.
als gegenwärtig regierender Papst erscheint, beide Theile sich
demnach auch auf verschiedene Zeitpunkte, jener auf den Fe-
bruar 962, dieser auf das Ende des Jahres 963 beziehen.
Nicht sowohl nach seiner Kaiserkrönung durch Johann XII,
als nach der Absetzung Johanns und der Wahl Leos VIII.
— damals, als die Römer, wie Liudprand' angiebt, ihm von
1) Vgl. auch DD. reg. et imp, Germ. I, 323—324 und Lamprecht
a. a. O. S. 141, dessen Vermuthuiig, dass das Ottonianum im ersten Theil
auf das Pactum von 816 zurückgehe, ich hier beiseite lasse, da sie für
die oben erörterte specielle Frage ohne Belang ist. Vielleicht darf ich
aber andeuten, dass ich Laraprechts Argumentation auch in dieser Hin-
sicht nicht beipflichten kann, namentlich nicht den Bemerkungen über die
nach seiner Meinung richtigen Lesarten des Ottonianum S. 88. 106.
2) So ist nach dem Facsimile zu lesen; 'confirmationes' im Text wird
Druckfehler sein. 3) Hist. Ottonis c. 8: 'hoc addentes et firmiter iurantes,
numquam se papam electuros aut ordinaturos preter consensum et electio-
nem domni imperatoris Ottonis cesaris augusti filiique ipsius regis Ottonis'.
Kritische Erörterungen. 579
neuem Treue versprochen und die eidliche Verpflichtung über-
nommen hatten^ niemals einen Papst ohne seine und seines
Sohnes Zustimmung zu wählen oder zu weihen — hatte Otto
Veranlassung, die Verordnungen über die Papstwahl zu treffen
bezw. zu erneuern, welche der zweite Haupttheil dieses Docu-
ments enthält.
Hat freilich eine solche Verschmelzung zweier verschiedener
Verfügungen Ottos in dem uns vorliegenden Schriftstücke
stattgefunden, so wird die Authenticität desselben, welcher
auch unsere Ermittelungen über S. Cristina nicht günstig waren,
doch noch weiterer Untersuchung bedürfen.
i
XVI.
Miscellen.
Neues Archiv etc. XV. uo
Zwei ostgothische Miscellen.
Von F. Wrede,
Theoderich der Ostgothe suchte seinen genialen Plan,
unter den germanischen Reichen einen politischen Zusammen-
hang herzustellen und innerhalb desselben seinen Ostgothen
die Hegemonie zu sichern, in erster Linie durch eheliche Ver-
bindungen zu erreichen. Er selbst führte die Frankin Aude-
fleda heim, seine Tochter Thiudigoto vermählte er mit dem
Westgothen Alarich II, seine Tochter Ostrogotho mit dem Bur-
gunder Sigismund, seine Schwester Amalafrida mit dem Wan-
dalen Thrasamund, deren Tochter Amalaberga mit dem Thü-
ringer Ermenfrid. Im Anschluss hieran folgende zwei Kleinig-
Coste (Proc, 'Gothenkrieg', GSddV. 6. Jahrb., Bd. III,
S. 39) nennt Amalaberga die Tochter der Amalafrida und des
Wandalenkönigs Thrasamund (vgl. auch die ostgothische Stamm-
tafel zu Martens' 'Jordanes', ebd. Bd. I). Letzteres scheint
unrichtig zu sein, Amalaberga vielmehr einer früheren Ehe
Amalafridas zu entstammen. Denn andernfalls würde ihr könig-
licher Vater Thrasamund, nicht ihr Oheim Theoderich über
ihre Hand zu verfügen gehabt haben. Ferner heisst sie in
den Quellen nur Tochter der Amalafrida , nicht auch des
Thrasamund (Anon. Vales. § 70; Proc. 'Goth.' I, 12, p. 65,
7 bonn.). Endlich erscheint ihre Vermählung mit dem Thü-
ringer etwa gleichzeitig der ihrer Mutter mit dem Wandalen.
Sie wird mithin ebensowenig als Kind des letzteren gelten
dürfen, wie ihr Bruder Theodahad, der spätere ostgothische
König, und das 'eins' bei Jord. § 299 ('.... Amalafridam
coniuge dirigit Thrasamundo filiamque eius . . . .
Amalabergam .,..', und demgemäss das ^eiusdem' bei Paul,
'bist, rom.' XV, 20) geht auf Amalafrida, nicht auf Thrasa-
mund. —
Die westgothische Königin, welche nach Jörd. (§ 297) und
Proc. (1. c.) den Namen 'Thiudigoto' führt, nennt der Anon.
Vales. (§ 63) 'Areuagni', während 'Theodegotha bei ihm Name
der Burgunderin ist, welche bei Jord. 'Ostrogotho' heisst. Bei
der Uebereinstimmung zwischen Jord. und Proc. ist der Fehler
bei dem Anon. zu suchen: er hat die beiden Töchter Theode-
38*
584 F. Wrede.
richs verwechselt, seine Theodegotha ist die Westgothin und
Areuagni ein anderer Name für die Ostrogotho des Jordanes.
Areuagni ist leicht verbessert in Ariagne (schon bei Schaedel,
'Plin. d. Jung, und Cass. Sen.', Darmst. Progr. 1887, S. 23, 3).
So hiess aber auch die gleichzeitige Kaiserin in Byzanz, die
Gemahlin des Zeno und Anastasius (Jord. 'Rom.' §§ 339. 342.
349. 354): ihr zu Ehren hatte also Theoderich seiner noch in
Moesien geborenen Tochter (Jord. 'Get' § 297) diesen Namen
gegeben. Und daher später der unterscheidende Zuname:
'Ariagne die Ostgothin' im Gegensatz zur 'Ariagne Augusta'.
'Ostrogotho' ist das normale gothische Femininum zum Älascu-
linura 'Ostrogotha', wie der ebenso mit dem Volksnamen be-
nannte Ahnherr des Amalergeschlechts heisst (vgl. MüllenhofF
im Index zu Mommsens Jordanes S. 143, 6).
Topographische Erklärungen
zu einigen Stellen in den Monumenta Germaniae.
Von A. Chroust.
1. Zu Paulus Diaconus, 'historia Langobardorum* IV, 38
('MG, SS. rer. Langob.', p. 132).
Paulus berichtet an der angegebenen Stelle von den Schick-
salen der Söhne des Friauler Herzogs Gisulf und erzählt: 'hi
suo tempore Sclavorum regionem, quae Zellia appellatur
usque ad locum qui Medaria dicitur possiderunt; unde usque
ad tempora Ratchis ducis idem Sclavi pensionem Foroiulianis
ducibus persolverunt'. Den einen der beiden Orte hat schon
Bethmann als Cilli in Untersteiermark angesprochen, den an-
deren erklärt der Herausgeber, G. Waitz, als Windisch -Matrai
in Tirol.
Durch diese Ortsbestimmungen wird dem Herzogthum
Friaul ein Machtgebiet zugemessen, das im Nordwesten we-
nigstens den Oberlauf der Drau überschritt und im Nordosten
den Mittellauf der Save mit dem Flussgebiet der steier-
märkischen Sann in sich fasste. Es wäre demnach anzu-
nehmen, dass neben Oberkärnthen auch das ganze Gebiet des
heutigen Herzogthums Krain und die Südsteiermark etwa bis
zur Wasserscheide zwischen Mur und Drau seit dem Anfang
des siebenten Jahrhunderts einen Bestandtheil des allerdings
sehr mächtigen Grenzherzogthums Friaul gebildet habe, das
durch diesen Gebietszuwachs alle anderen langobardischen
Herzogthümer, auch Spoleto und Benevent, weit überragt hätte.
Was uns aber sonst vom Herzogthum Friaul berichtet
wird, lässt sich mit jener Annahme nicht in Einklang bringen;
eine Ausdehnung der Langobardenherrschaft über die Drau
und Sau müsste irgendwelche Spuren zurückgelassen haben,
darf wenigstens aus zwei Ortsnamen allein nicht gefolgert
werden. Die vielen Bedenken haben zu erneuten Versuchen
Anlass gegeben, die beiden Ortsnamen zu erklären; zu be-
friedigenden Ergebnissen hat aber meines Erachtens nur einer
geführt, der, an wenig zugänglicher Stelle veröffentlicht, den
allermeisten Fachgenossen unbekannt geblieben zu sein scheint;
es ist eine kleine Untersuchung von Dr. V(alentin) P(ogatsch-
586 A. Chroust.
nigg), 'zur historischen Topographie des oberen Gailthales',
in der 'Carinthia', 1888. P. geht von der richtigen Ansicht
aus, es sei die 'regio Zellia' zunächst doch in der nächsten
Nachbarschaft des Herzogthums zu suchen; ein solches Gebiet
an der Nordgrenze, denn nur diese und die Ostgrenze Friauls
kommen in Betracht, ist das Gaihhal, aus dem die im Mittel-
alter viel begangene Heerstrasse über den Pleckenpass (Monte
Croce) nach dem Friaulischen führte'; das Gailthal heisst im
Mittelalter bei den Italienern 'valle Giglia', aber auch 'valle
Zelia', eine Bezeichnung, die sich von 'Zila', der slavischen
Bezeichnung des Gailflusses, herleitet. Auch der Berg, der
der Ausmündung jenes Passes gegenübersteht und dem in das
Gailthal Hinabsteigenden zuerst sichtbar wird, hiess bei den
Italienern 'Zelon' (slav. 'Zelan' = Gailberg).
Die dadurch wahrscheinlich gemachte Identität der 'regio
Zellia' mit dem Gailthal erleichtert die zweite Aufgabe , die
Erklärung des Ortes Medaria. P. macht auf den Markt
Mauthen aufmerksam , der an der Ausmündung des Plecken-
passes ins Gailthal gelegen ist; der Name deutet auf das Vor-
handensein einer Zollstätte an diesem Ort, die auch urkundlich
nachweisbar ist (vgl. den Aufsatz Fickers); im Slavischen wird
eine solche bezeichnet als 'mytarja' oder 'mytarje', woraus
durch Lautwandel die Form 'meterja sich gebildet hat. Das
'Medaria' des Paulus ist demzufolge nichts als die slavische
Bezeichnung für einen Ort, an dem eine Wegmauth erhoben
wurde; da dieser aber zunächst im Gailthal zu suchen ist, so
liegt es am nächsten, 'Medaria' als den alten Namen für Mauthen
zu betrachten. Dazu kommt noch, dass die ältere Bezeich-
nung dieses Marktes noch näher an die altslavische Form
trifft, denn der kärntlmische Chronist Megiser berichtet, es
habe der Markt Mauthen in älterer Zeit 'Windisch-Matrey'
geheissen (,Chronica des Ertzherzogthums Chärndten' I, S. 32).
Die angezogene Stelle des Paulus Diaconus, IV, 38, be-
sagt daher nur, dass die beiden Söhne Gisulfs ihre Herrschaft
nordwärts, und zwar über einen Theil des Gailthals aus-
gebreitet haben; ob das von Mauthen thaiauf oder thalab be-
legene Gebiet gemeint sei, bleibt offen.
Dieses Ergebnis darf aber nicht dazu verführen, jedes
Zellia, das in einer mittelalterlichen Quelle aufstösst, in das
Gailthal zu verlegen; nach meinem Ermessen hat Mühlbacher
ganz Recht gehabt, wenn er in einer Urkunde Ludwigs des
Frommen von 824, Januar 21', wodurch dem Patriarchen von
Aquileja Königsgut geschenkt wird: 'et in finibus Sclavinie
in loco qui dicitur Zellia', diesen Ort auf Cilli bezieht. Er
1) Vgl. Ficker, 'Die Alpenstrassen per Canales und per Montem
Crucis' (Mitth. d. Instit. f. öster. Gesch. I, p. 298). 2) B. M. n. 761.
Topographische Erklärungen. 587
hat dabei zwar den Widerspruch Zahns erfahren müssen, der
in den seither eingegangenen 'Steiermärkischen Geschichts-
blättern' (I, S. 128) erklärt, es könne mit dem 'locus Zellia'
nur das Gailthal, nicht aber Cilli gemeint sein, schon deshalb,
weil weder damals noch heute die 'fines Sclavinie' um Cilli
gesucht werden könnten; dass der Ausdruck 'in iinibus Scla-
vinie' nicht gerade nur auf die Grenzen bezogen werden muss,
sondern recht häufig das von denselben eingeschlossene Gebiet
bezeichnet, hat Z. dabei ganz vergessen.
2. Zu den 'Annales Altahenses maiores' (ad 1053, 1054,
MG, SS. XX, p. 806).
An zwei Stellen gedenkt die genannte Quelle einer Episode
des bayrischen Aufstandes, die sich an der südöstlichen Reichs-
grenze zutrug.
ad 1053: 'Ipse (sc. Chuono) vero adiunctis sibi Ungris
Charionas invadit et plurima loca vastans urbem quandam
Hengistiburg dictara occupavit ibique praesidio imposito in
üngariam se recepit'.
ad 1054: 'Quibus diebus hi, qui in urbe Hengistiburc
praesidio relicti erant a Chuonone, fatigati crebra provincialium
incursione ipsi sua sponte urbem diripiunt et clam inde in
Üngariam aufugiunt'.
SteindorfF ('Jahrbücher des deutschen Reichs unter Hein-
rich III.' II, S. 230) beschränkt sich darauf, den zweimal ge-
nannten Ort als 'das Bollwerk der Karantanermark' zu be-
zeichnen, ohne die Lage des Ortes, bezüglich dessen weiterer
Schicksale er auf Wahnschaffe ('Das Herzogthum Kärnten und
seine Marken im XI. Jahrhundert', Klagenfurt, 1878) verweist,
näher zu bestimmen. — Ziemlich eingehend hat sich aber, wie
begreiflich, die Localforschung mit der Frage befasst, eine all-
seitig befriedigende Lösung aber nicht gefunden. Zahn, der
Herausgeber des steiermärkischen ürkundenbuchs , hat sich
schon im Jahre 1874 und vor Kurzem wieder dahin aus-
gesprochen, es sei die Hengstburg auf dem Schlossberg von
Wildon (drei Meilen südlich von Graz, am Südrande des Grazer-
feldes) zu suchen, welcher Anschauung nun auch Krones bei-
getreten ist ('Die deutsche Besiedlung der östlichen Alpen-
länder, insbesondere Steiermarks, Kärntens und Krains', S. 62),
der früher mit Ilwof und den meisten anderen dem Ergebnis
der Untersuchung Felicettis zugestimmt hatte ('Steiermark im
Zeitraum vom achten bis zwölften Jahrhundert' in den 'Bei-
trägen zur Kunde steiermärkischer Geschichtsquellen' X, S. 75),
welcher die Hengstburg auf dem Graz er Schlossberg zu
finden vermeinte.
Schulgerechte Ausnutzung des vorhandenen Quellenstofi'es
wird aber kaum einem dieser Ergebnisse beistimmen können,
vielmehr zu einer anderen Ortsbestimmung gelangen.
588 A. Chroußt.
Darüber ist wohl kein Streit, dass die Hengstburg in der
Mittelsteierraark, und zwar in jener Grafschaft 'Heingist' zu
suchen sei, deren allein die Urkunde Heinrichs IH. von 1042,
November 8 (St. 2233), als im Besitz des Markgrafen Gotfried
(von Wels - Lambach) befindlich gedenkt; über ihre Ausdehnung
lässt sich mit Sicherheit nur feststellen, dass sie die Orte
Gösting (eine Stunde nordöstlich von Graz) und Leitersdorf
bei Preding (an der Kainach, östlich von Wildon) in sich
ßchloss und im Osten mindestens an die Mur reichte. In
diesem Gebiete, das zum griissten Theile, in älterer Zeit vielleicht
sogar ganz, dem mächtigen Hernigeschlecht der Eppensteiner
als freies Eigenthum zustand, erwarben allgemach durch Schen-
kung und Tausch die Kirchen von Salzburg und Brixen nam-
haften Besitz. In den Salbüchern der beiden Hochstifte, die
seit dem neunten und zehnten Jahrhundert deren Gtttererwerb
verzeichnen, findet sich seit der ]\Iitte des elften ein Ort II en-
gist wiederholt genannt, der, wie aus dem Zusammenhang
hervorgeht, nicht anderswo als zwischen Mur, Kainach und
Lassnitz gesucht werden kann (vgl. 'Steierm. Urk. -Buch' I,
n. 58, Redlich, 'Die Traditionsbücher des Hochstiftes Brixen'
I, n. 281 und 302). Ungefähr um dieselbe Zeit wird in einer
undatierten Tausch -Urkunde des P^ppensteiners Markwart für
den Erzbischof Gebhard von Salzburg (Tangl, 'Die Grafen,
Markgrafen und Herzöge aus dem Hause Eppenstein' im
'Archiv f. Kunde österr. Geschichtsquellen' VI, S. 355 und
S. 392, setzt sie ins Jahr 1066) der Kirche in der Burg Hein-
gist gedacht ('ecclesia que est in Castro Heingist'), von welcher
Markwart seinen Antheil an das Hochstift Salzburg vertauscht.
Dass 'castrum Heingist' wohl nur die Uebersetzung von Hen-
gistburg ist, bedarf keines Nachweises. Die Erwähnung der
Kirche im castrum Heingist bietet aber die Handhabe, die Lage
des in Frage stehenden Ortes mit einiger Sicherheit zu bestim-
men, denn durch eine Anzahl von Urkunden werden wir über
das fernere Geschick dieser Kirche unterrichtet. Sie wechselt
noch im 11. Jahrhundert ihren Herrn und kommt durch Tausch
an einen sonst nicht bekannten Grafen Odalskalk und durch
Erbgang an dessen Sohn Altmann, den Bischof von Trient,
der im Jahre 1136 damit das oberösterreichische Kloster Suben
ausstattet ('Steierm. Urk.-Buch', n. 117, 173 und 353). In
einer Urkunde Eugens III, der 1146, Januar 4, dem Kloster
seine Besitzungen bestätigt (J. -L. n. 8837, 'Urk.-Buch des
Landes ob der Enns' II, n. 149) wird diese Kirche genauer
bezeichnet als 'ecclesia sanctae Margarethae virginis ad Henngst',
und ebenso heisst sie acht Jahre später in einer Urkunde des
Erzbischofs Eberhard von Salzburg (1153, December 20), durch
die ein Streit zwischen dem Kloster Suben und dem Pfarrer
von Leibnitz, der sich einiger Güter eben dieser Kirche be-
Topographische Erklärungen, 589
mächtigt hatte, ausgetragen wird (HJrk.-Buch des Landes ob
der Enns' II, n. 177).
Die Kirche im castrum Heingist ist demnach identisch
mit der noch heute existierenden von St. Margarethen zwischen
Wildon und Lebring; in einer Urkunde von 1219 ('Steierm.
Urk.-Buch' II, n. 163) Avird überdies dieselbe Kirche als 'ecclesia
sancte Margarete iuxta Wildoniam' erwähnt. Das castrum
Hengist selbst ist daher in der unmittelbaren Nähe des Ortes
St. Margarethen, der eine kleine Wegstunde südlich von Wildon
gelegen ist, zu suchen.
Durch dieses Ergebnis gerathe ich freilich in Widerspruch
mit jeuer älteren Ansicht, welche die citierte Stelle der Ann.
Altah. für die Geschichte der Stadt Graz in Anspruch nimmt,
ohne darauf Rücksicht zu nehmen, dass auch nicht eine Oert-
Jichkeit in der näheren Umgebung dieser Stadt irgendwie an
deren angeblich älteren Namen Hengstburg gemahnt, ohne die
UnWahrscheinlichkeit zu scheuen, dass ein deutscher Ortsname,
der im elften Jahrhundert nachweislich im Gebrauch war, im
zwölften, da zuerst der Stadtname Graz auftaucht, dauernd
einem slavischen (denn Graz bedeutet 'kleine Burg') unterlegen
sei, zu einer Zeit, wo die Wenden, die einst das Grazer Feld
besiedelt hatten, bis auf ganz spärliche Reste von den seit
dem neunten Jahrhundert eingewanderten Bayern gegen die
Drau gedrängt worden waren.
Aber auch im heutigen Wildon die Hengstburg zu suchen,
ist kein glücklicher Gedanke, trotzdem die nächste Vermuthung
gern dahin leiten wird. Der Schlossberg von Wildon, der das
sich plötzlich verengende Murthal beherrscht, war ein passender
Platz für eine ßurganlage; hier setzte sich in der zweiten
Hälfte des zwölften Jahrhunrlerts das mächtige Ministerialen-
geschlecht der Herren von Wildon fest, aus dem der Minne-
sänger Herrand spross, endlich verschwindet um dieselbe Zeit
für immer der Name Hengist — kein Wunder, wenn schlank-
weg angenommen wurde, es sei Wildon nur der neue Name
für Hengist.
Richtig ist, dass die Burg oder das 'castrum Hengist'
ungefähr seit 1066 nicht mehr erwähnt wird, was wohl mit
der von den Altaicher Annalen berichteten Plünderung oder
Zerstörung der Burg (der Ausdruck 'diripere' lässt dies offen)
zusammenhängen wird; sie mag bis dahin, ihrem Namen nach
zu schliessen, die ansehnlichste der Grafschaft gewesen sein.
Aber Avenigstens ein kleiner Burgbau muss auch im zwölften
Jahrhundert noch an jener Stelle bestanden haben, denn bis
1164 lässt sich ein Ministerialengeschlecht nachweisen, das sich
'de Hengist' nannte ('Steierm. Urk.-Buch' I, n. 482), das aber
zu den Wildonern, die etwa zehn Jahre später auftreten, in
keinen verwandtschaftlichen Beziehungen gestanden hat. Denn
590 A. Chroust.
die Wildoner sind ein Zweig des Geschlechtes der Herren von
Riegersburg und haben nicht ihren Namen an die neue Heim-
stätte gebracht, sondern sich, Avie dies überhaupt üblich war,
nach ihrem neuen Wohnsitz genannt, an dem seit uralter Zeit
der keltische Name Wildon haftete, der, im Munde der Be-
völkerung fortlebend, die gegen das Grazer Feld vorspringende,
heute speciell 'Wildoner Schlossberg' genannte Höhe bezeich-
nete, während der kleine Bergzug, der diese überragt und
heute als 'Buchkogel' erscheint, damals den Namen 'Hengst-
berg' geführt hat, Avie dies namentlich aus einem noch un-
gedruckten Urbar des Stiftes Renn von 1395 hervorgeht, in
dem ein zum Stiftsgut Stangersdorf (eine halbe Stunde süd-
westlich von St. Margarethen) gehöriger Forst und Steinbruch
als 'in monte Hengsperg' gelegen aufgeführt wird. Heute noch
haftet dieser Name an dem Pfarrort St. Lorenzen am Hengst-
berg (zwischen Proding und AVildon), der um dieser Bezeich-
nung willen gleichfalls für die Stätte der Hengstburg gehalten
worden ist, obgleich, wie schon Felicetti (a. a. 0.) hervorhob,
die Lage des Ortes, abseits von der Verkehrsstrasse, eine
solche Annahme ausschliesst, wogegen eine Burganlage bei
St. Margarethen die an der I^fur nordwärts führende Strasse
zu sperren vermochte.
3. Zu den 'Annales Fuldenses' ad 892 (I\IG, SS., I, p. 408).
Der Annalist berichtet über die Verhandlungen, die in
Folge der feindseligen Haltung Swatopluks zwischen König
Arnulf und dem Slavenfürsten Brazlnw gepflogen wurden:
*Inde rex irato animo in Hengistfeldon cum Brazlawone
duce colloquium habuit, ibi inter alia quaerens tempus et locum,
quomodo possit terram ]\roravorum intrare'.
Der Ort der Verhandlungen ist von jeher in der Mittel-
steiermark gesucht worden (vgl. Kopitar, 'Glagolita Clozianus',
p, LXXH.), und wenigstens die Locatforschung hat es nicht
versäumt, denselben mit der Hengstburg wenigstens insoweit
in Zusammenhang zu bringen, dass sie ihn im Grazer Felde
suchte. Eines geht schwerlich an: jenes Hengistveldon einfach
mit der Hengstburg zu identificieren , wie dies neuerdings
Dümmler, ('Geschichte des ostfränkischen Reiches', 2. Aufl.,
3. Bd , S. 354) gethan hat, der die Zusammenkunft 'zu Hengst-
berg (bei Wildon)' stattfinden lässt. Dass in einer Grafschaft,
die Hengist genannt wird, verschiedene Ortsnamen mit dem
Stammwort 'Hengist' vorkommen, ist zu erwarten; aber der
Umstand , dass ausser jenem Hengstberg keine einzige solche
Ortsbezeichnung uns erhalten geblieben ist, lässt doch die
Frage als naheliegend erscheinen, muss an jener Stelle der
Fuldaer Annalen an einen Ort im engern Wortsinn gedacht
werden? kann nicht die Ebene, auf der die Zusammenkunft
stattfand, ebenso bezeichnet werden?
Topographische Erklärungen. 591
Wir haben gesehen, dass jener Höhenzug südlich von
Wildon, der ganz nahe an die Mur herantritt, im Mittelalter
den Namen Hengstberg führte, wie zu vermuthen ist, von
seiner Form, die der eines liegenden Pferdes gleicht. Dieser
ßergzug, der als eine rechte Laudmarke dem Thal der Kainach,
der Grazer und der Leibnitzer Ebene und den umrandenden
Höhen seine charakteristische Form Aveist, mag einer der beiden
letzteren Ebenen, vielleicht auch beiden zusammen, schon im
neunten Jahrhundert ebenso seinen Namen gegeben haben,
wie später der Grafschaft.
Ich glaube, dass man sich wird begnügen müssen, jene
Zusammenkunft auf einer dieser beiden Ebenen, nord- oder
südwärts vom alten Hengstberg, stattfinden zu lassen; es sei
dabei bemerkt, dass ein klein wenig mehr Wahrscheinlichkeit
vorhanden ist, Hengistveldon mit dem Grazer Feld zu identi-
ficieren, weil die Zugehörigkeit des Leibnitzer Feldes zur
späteren Grafschaft Hengist zweifelhaft ist.
Die älteren Diplome für das Kloster Brogne und
die Abfassungszeit der Vita Gerardi.
Von Lothar von Heinemann.
In der Einleitung zur Ausgabe der Vita Gerardi abb.
ßroniensis (SS. XV, p. 654) habe ich die Abfassungszeit dieses
Heiligenlebens etwa auf das Jahr 1045 angesetzt. Bei genauerer
Betrachtung der mit jener Vita zusammenhängenden Urkunden
für das Kloster Brogne liisst sich, wie ich nunmehr mich über-
zeugt habe, der Entstehungstermin der Vita sowohl als jener
Urkunden genauer feststellen.
Die einzige echte ältere Urkunde für Brogne ist die
Schenkung des heil. Gerhard selbst vom J. 919'. Sie wird
schon in den um 935 geschriebenen Virtutes S. Eugenii er-
Avähnt* und ist auch in der auf uns gekommenen Gestalt
unverdächtig''. Die zeitlich darauf folgende Urkunde Karls
des Einfältigen vom J. 921 * ist eine Fälschung auf Grund
der Virtutes S. Eugenii, wie die folgende Zusammenstellung
zeigen mag:
Virtutes S. Eugenii
c. 1, SS. XV, p. ()47:
Tempore igitiu-, quo monar-
chiam tocius regni Francorum
Pippinus strenuae gubernabat,
filius utique Anssigysi, ....
erat quidam locus in pago
Lomaceusi super rivum Bor-
non .... (Pippinus) praecepit
D. Karls d. Einfältigen:
Notum sit Omnibus sanctae
Dei ecclesiae fidelibus et nostris
praesentibus atque futuris, quia
adeuntes nostram serenitatem
comites venerabiles Hagano et
Ermenfridus adduxerunt secum
virum venerabilem servum Dei
in eodem loco auditorium sibi | Gerardum, qui Bronium mona-
1) Ann. de la soc. archeol. de Namur V, p. 418. 2) C. 2, SS. XV,
p. 647: Completo itaque iam dicti loci aedificio, delegavit ibidem clericos,
qui Domino obsecundarent iuxta quantitatem alimoniae, quam consequi
potuissent, velut in scripto contiuetur, quod in eodem loco fore dinoscitur.
3) Das Königsjahr stimmt mit der Epoche der Erwerbung Lothringens
durch Karl d. Einf. ; ebenso passen die Zeugen, soweit wir dieselben
controlieren können, zur Zeitangabe. 4) Auf dieses Jahr weist wenig-
stens die Angabe der Königsjahre, und demgemäss hat auch Böhmer
Reg. Karol. 1972 diese Urkunde in jenes Jahr gesetzt.
Die älteren Diplome für das Kloster Brogne etc.
593
parari, eo quod esset idem
locus iuxta forestam Masliniam
. . . Postea vero .... iussit
eundem locum extirpari . adqiie
oratoriolum ibidem extrui suis
fidelibus. Deinde Lambertum,
eelebratissimum tunc temporis
eeclesiae Tungrensis episcopum
... ad SB venire mandavit,
et ut illud Oratorium de sancti-
ficacione insigniret, pia peti-
cione obtinuit . . . dedicavit
in honore beati Petri apostolo-
rum principis altare mediaesti-
num et reliqua dua, unum . . .
in honore perpetuae virginis
Mariae et alterura ... in venera-
cione beati lohannis baptistae,
15. Kalendarum Septembrium
. . . c. 2 ... Gerardus . . com-
pleto itaque iam dicti loci aedi-
ticio, delegavit ibidem clericos,
qui Domino obsecundarent . . .
adiit Parisiacensem territorium
. . et depostea ad preciosissi-
morum martyrum Dyonisii,
Rustici et Eleutherii monaste-
rium . est delatus . . . c. 3 . . .
impetravit quod diu desideravit
thesaurum, egregii scilicet mar-
tyris Eugenii corpus nobilissi-
mum.
Die Zeit der Fälschung kann ich nicht genau bestimmen.
Die Urkimde ist aber nach Abfassung der Virtutes S. Eu-
genii, welche etwa um das J. 935 geschrieben sein mag', und
vor der Entstehung des Privilegs Stephans VII. gefälscht.
Denn in diesem heisst es: 'privilegium quod de eodem loco
et monasterio iam regia magnificentia et imperialis sanxerat
auctoritas aliquatenus praesumeret infringere', und dann folgt
ein Satz, der wörtlich mit dem Diploma spurium Karls des
Einfältigen übereinstimmt, so dass diese Fälschung dem Ver-
fasser der BiJle Stephans schon vorgelegen haben muss. Für
ältere Abfassung des Diploms Karls spricht auch die Be-
nutzung der Virtutes S. Eugenii, während in den späteren
sterium in pago Lomacensi
super rivum Bornon situm,
ubi Pipinus, filius Ansigisi ius-
sit oratoriolum extrui suis fide-
libus et beatissimum Lamber-
tum eeclesiae Tungrensis epi-
scopum pia peroratione fecit
dedicare in honore perpetuae
virginis Mariae sanctique lo-
hannis atque clavigeri Christi
et apostolorum principis Petri
restruxit et amplificavit in
melius. Completo itaque iam
dicti loci aedificio, adiit vir
Dei Parisiacense territorium ad
monasterium sanctorum mar-
tyrum Dionysii sociorumque
eius, impetravit quod diu desi-
deravit thesaurum, egregii scili-
cet martyris Eugenii Toletanae
sedis episcopi corpus nobilissi-
mum cum aliorum multorum
pignoribus sanctorum et cum
magna exultatione asportavit
ad iam dictum locum.
1) S. die Einleitung zur Ausgabe der Virtutes, SS. XV, p. 646.
594 Lothar von Heinemann.
Brogner Urkunden die uns erhaltene Vita Gerardi benutzt
worden ist.
Das Privileg Stephans VII. ' ist nach dem J. 1038 ent-
standen, denn in diesem heisst es, das Kloster sei geweiht *in
honore S. Dei genetricis semper virginis Mariae sanctorumque
apostolorum Petri et Pauli et S. lohannis baptistae'. Nun
war aber vor dem J. 1038 der heilige Paulus nie Schutzheiliger
von Brogne. Erst im December dieses Jahres bei Gelegenheit
der Weihe der Kirche trat auch Paulus in die Reihe der
übrigen Heiligen des Klosters ein ^.
Die Zeit der Fälschung des Diploms Ottos III. vom
J. 987 * vermag ich nicht zu bestimmen.
Dagegen enthalt die zweite von Otto III. für Brogne aus-
gestellte Urkunde vom J. 992* einen echten Kern. Man ge-
langt mit Ausscheidung von zwei Sätzen : 'Comiti etiam Naum-
censi . . . valeant invocare' und 'Praeterea dominus Noth-
gerus .... cum regia auctoritate' zu einem völlig kanzlei-
gemässen Dictat mit tadelloser Kecognition * und Datierung.
Von diesen beiden später eingeschobenen Sätzen ist nun aber
der letzte auf Grund der Vita Gerardi gefiüscht. Man vergleiche :
Vita Gerardi c. 13*:
'Decreto', inquiens, 'pontifi-
cali coutirmatur, et haec sancta
synodus adiudicans tieri adsti-
pulatur, ut per totam in qua
quiescit decaniam solemnitas
eins acsi dominica observetur,
et aecclesia Broniensis ab omni
obsonio episcopis Leo-
diensibus debito ulterius
i m m u n i s h a b e a t u r.
DO. III. (St. 961.): ^
. . renovavit libertatem huius
ecclesiae , quam predecessor
suus dominus Stephanus epi-
scopus pie memorie ob vene-
rationem egregii martyris Eu-
genii in generali synodo con-
firmaverat auctentice, scilicet
ut ab omni obsonio epi-
scopis Leodiensibus de-
bito libera esset omni
tempore,
glich nach der Abfassung der
Die Urkunde Ottos III. ist fo
Vita entstanden.
Was schliesslich das Diplom Heinrichs I., DH. spur. 43,
anbetrifft, so muss dasselbe nach dem Privileg Stephans VII.,
welches der Verfasser der Urkunde Heinrichs bereits benutzte,
und nach Abfassung der Vita Gerardi gefälscht sein, aus
1) Ann, de la soc. arch^ol. de Namur 1. c. p. 420. 2) Nach An-
gabe eines alten Maityrologiums saec. XIII, Ann. de la soc. archdol. de
Namur 1. c. p. 258. 3) Ann. de la soc. arch^ol. de Namur p. 425,
Stumpf 900 a. 4) L. c. p, 426, Stumpf 961. 5) [Kehr, Die Urkunden
Ottos III. S. 272 N. 3 bemerkt, dass Ego in der Recognition der Urkunde
interpoliert sei. S, 273 N. 4 bezeichnet er auch den Schluss derselben
als überarbeitet, ohne genauer anzugeben, was er für interpoliert hält.
H. B.l 6) SS. XV, p. 664.
Die älteren Diplome für das Kloster Brogne etc. 595
welcher in DH. spur. 43 die Reise Gerhards nach Rom zu
stammen scheint. Ja, nach dem Verhältnis dieses Spuriums
zu der Urkunde des Bischofs Alexander von Lüttich vom
J. 1131 \ wie es Sickel^ klargelegt hat, müsste die Entstehung
des Diploms Heinrichs I. erst etwa in die zweite Haltte des
12, Jahrh. oder noch später fallen.
Wann ist nun schliesshch die Vita Gerardi selbst ver-
fasst worden?
Schnitze 3, auf die Autorität Sickels gestützt, welcher be-
hauptete, dass von den älteren Diplomen für Brogne keines
vor dem 12. Jahrh. entstanden sei, setzte die Entstehungszeit
der Vita in das J. 1131, da das gefälschte Privileg Stephans
in der Vita schon benutzt sei, diese also nach Sickels Urtheil
frühestens im 12. Jahrh. entstanden sein müsse, und weil in
dem erwähnten Jahre der Leib des heil. Gerhard in Gegen-
wart Alexanders von Lüttich feierlichst erhoben wurde, sich
also an dieses Ereignis leicht der Wunsch nach einer Neu-
bearbeitung der Lebensgeschichte des Brogner Heiligen knüpfen
konnte.
Dem stehen die gewichtigsten Bedenken entgegen. Zu-
nächst ist zu bemerken, dass die Vita nach eigener Angabe
des Verfassers auf Befehl des Abts Günther von Brogne ent-
standen ist*. Nach Eisen, Elores eccl. Leod. p. 446, regierte
dieser die Abtei vom J. 1031 — 1062. Dagegen wird er in
einer Traditionsurkunde vom J. 1070 * noch erwähnt, so dass
Avir seine Regierungszeit nicht genau feststellen können. Er
scheint jedoch ungefähr in der Zeit von 1038 — 1070 der Abtei
vorgestanden zu haben. An diesen Angaben zu zweifeln, liegt
kein Grund vor.
Ferner wird von den Nachkommen Arnulfs des Grossen
gesagt, dass sie noch jetzt in Flandern herrschten ß. Das muss
vor dem J. 1119 geschrieben sein, in welchem Jahre der
Mannstamm der Arnulfinger mit Balduin VIL in Flandern
erlosch. Da nun in der Vita die Miracula S, Gisleni von
Rainer, welche etwa um 1035 verfasst wurden', und das Pri-
vileg Stephans, welches nach dem Dec. 1038 entstanden ist,
schon benutzt sind, so würden wir die Abfassung der Lebens-
beschreibung des heiligen Gerhard etwa zwischen die Jahre
1038 und 1119 setzen; vermuthlich wurde sie aber noch im
11. Jahrh. verfasst, denn die diesem Jahrhundert fast ganz
1) Ann. de la soe. archdol. de Namur V, p. 430. 2) DD. imp.
et regum I, DH, spur. 43, p. 77. 3) Die Klosterreform in Flandern
und der heil, Gerhard, in den Forsch, z. D, Gesch. XXVI, S. 223 ff,
4) S. den Prolog der Vita SS, XV, p. 655. 5) Ann. de la soc. archeol.
de Namur. 1, c. p, 257. 6) Anfang vom c, 19, SS. XV, p. 669. Diese
Bemerkung verdanke ich Herrn Dr, Holder -Egger. 7) S, die Ein-
leitung zu der Ausgabe SS. XV, p. 579.
596 Lothar von Heinemann.
ausschliesslich eigenthümliche stilistische Form der Reimprosa
ist in unserer Vita ausserordentlich rein und consequent durch-
geführt.
Ist dieses richtig, so fällt die übrigens nicht bewiesene
Behauptung, dass die älteren Urkunden tür ßrogne alle nicht
vor dem 12. Jahrh. entstanden seien. Denn da das Privileg
Stephans VlI. schon in der Vita erwähnt wird, und das
Diplom Karls des Einmütigen, wie wir sahen, dem Verfasser
jenes päpstlichen Privilegs bereits vorlag, so müssen wenig-
stens diese beiden Urkunden schon vor dem 12. Jahrh. ent-
standen sein.
Wir werden aber die Abfassungszeit der Vita noch ge-
nauer bestimmen können; sie ist vermuthlich bald nach dem
December des J. 1038 niedergeschrieben worden. Denn da-
mals wurde auf Veranlassung des Abtes Günther, Avelchem
die Vita gewidmet ist, die Kirche zu Brogne von dem Bischof
Nithard von Lüttich geweiht'. Diese kirchliche Feier gab,
wie ich meine, die Veranlassung zur Neubearbeitung der Vita
des ersten Stifters. Zu gleicher Zeit ist auch wohl jenes Piü-
vileg Stephans entstanden. Es muss, wie wir bemerkten, nach
jener Weihe vom J. 1038 und vor der Abfassung der Vita
Gerardi gefälscht sein. Da sowohl das Privileg auf einen
'liber vitae', als auch die Vita auf ein 'ptongar Stephani papae'
Bezug nehmen, so ist zu vermuthen, dass oeide ungetahr zur
gleichen Zeit, nicht lange nach dem December des J. 1038,
entstanden sind.
Nach dieser Fixierung der Entstehungszeit der Vita und
des gefälschten päpstlichen Privilegs können wir nun auch
den Termin der übrigen urkundlichen Fälschungen annähernd
bestimmen. Das Diplom Karls des fc^infältigen muss etwa
zwischen 930 und 1038 verfasst worden sein. Die Urkunde
Ottos 111. vom J. 992 entstand nach dem J. 1038, nach der
Abfassung der Vita. Es liegt indessen die Verrauthung nahe,
dass alle diese Brogner Fälschungen zu einer Zeit und von
einer Person verfasst wurden. Das kann dann nur unter
dem Abt Günther vielleicht gegen Schluss des J. 1038 ge-
schehen sein, als auch die uns erhaltene Vita Gerardi nieder-
geschrieben ward.
1) Nach Angabe eines alten Martyrologiums saec. XIII, s. oben
S. 594, Anm. 2.
Zu den Legenden des hl. Franz von Assisi.
Von Ernst Sackur.
Nach dem Zeugnis der Chronik der vierundz wanzig Gene-
rale ' , des Bartholomeus von Pisa^ und des AnnaHsteu des
Franziscanerordens Wadding ^ schrieb der hl. Bonaventura
ausser seiner bekannten grossen Legende des lil. Franc! scus
eine kleinere, welche bestimmt war beim Officium des Heiligen
von Assisi vorgelesen zu werden. Diese Lebensbeschreibung,
aus der man ohnehin keine wesentliche Bereicherung unserer
historischen Kenntnisse erwarten durfte, kannten die Bollan-
disten zwar*, sie ist bis jetzt jedoch nicht nachgewiesen worden 5.
Indess lässt sich zeigen, dass sie nicht nur erhalten, sondern
sogar bereits gedruckt ist, allerdings an einer Stelle, an der
sie sich leicht den Blicken der Forschenden entziehen konnte.
1) Die noch unediert ist. Nach Panfilo da Magliano, 'Gescliichte
des hl. Franciscus und der Franciscaner', übersetzt und bearbeitet von
Q. Müller, I. Bd. (München 1883), S. 465 n. 3. Vgl. S. 16. 2) Liber
conformitatum (1385 geschr.) , lib. I. fruct. 8 fol. LXXV. (Ausg. des
XVI. Jlis. ohne Jahrangabe) : 'Hie postmodura rogatu capituli generalis
legendam maiorem et minorem b. Francisci composuit, quas modo habet
et tenet totus ordo'. Aehnlich a. a. O. fol. LXXX. 3) Annales Minor.
II, p. 240: 'Deinde breviorem concinnavit aliam, quae distribuitur per
officium recitandum in solemnitatibus sancti Francisci'. 4) Suyskens,
welcher die Franciscuslegenden herausgab, erwähnt gelegentlich fünf Ab-
schriften der kleineren des Bonaventura im Archiv von Assisi. (Acta
SS. Oct, II, p. 550.) Er selbst hatte jedoch nur eine Handschrift der
grösseren. Dagegen muss Sollerus , der die Vita S. Bonaventurae com-
mentierte, eine zur Verfügung gestanden haben. Wo er nämlich (Acta
SS. lul. III, p 815) die Stelle aus dem Prolog der grossen Legende
citiert, in der der Autor berichtet, dass er in seiner Kindheit durch
St. Franciscus dem Tode entrissen worden sei, fährt er fort: 'vel , ut ex
aliis ipsius verbis infra patebit, ex matris votoadeumdem sanctum
emisso', indem er hierbei auf Bonaventuras Worte in der kleinen Vita
zielt. Ich habe jedoch die spätere Stelle, auf welche Sollerus verweist,
nicht finden können. Er dachte vielleicht an die beabsichtigte, dann aber
unterbliebene spätere Ausgabe dieser Legende im 2. Octoberbande.
5) Vgl. über die ältesten Legenden Voigt in den 'Abhdlg. der Sachs.
Gesellschaft der Wissenschaften, Philol,- Histor. Klasse' V. (1870), S. 455 ff.
— Ehrle, 'Zur Quellenkunde der ältesten Franciscanergesch.' in der 'Zeit-
schrift f. kath. Theologie' von Geisar und Wieser, Bd. VII. (1883), S. 389 ff.
Neues Archiv etc. XV. ^'^
598 Ernst Sackur.
Unter den zahlreichen Quellen, die der Chronist des Henne-
gaus, der Minorit Jacques de Guise, ganz oder theilweise in
seine grosse Corapilation, die Annales Haunoniae aufnahm, be-
findet sich auch eine vollständige Vita des hl. Franciscus '.
Ein Vergleich dieser Arbeit mit den bekannten Viten ergiebt,
dass Avir es mit einer bedeutend kürzeren Bearbeitung der
Bonaventura - Legende zu thun haben. Die Annahme jedoch,
dass einfach hier ein Auszug aus dieser vielgerühraten Lebens-
beschreibung vorliegt, schliesst eine genauere Betrachtung der
ßehandlungsweise aus. Bald mehr, bald weniger sich voll-
ständig an den Text des grösseren Werkes anschliessend, weist
die Legende auf einen den Stotf vollkommen beherrschenden
Verfasser, der nicht nur die Anordnung vielfach änderte, son-
dern auch bei der Betrachtung einzelner Auecdoten hier und
da von einem andern (Gesichtspunkt ausging, als dem der
grösseren Vita, der, die deutliche Tendenz verrathend, das rein
Thatsächliche zu (junsten der panegyrischen und paränetischen
Abschnitte zu unterdrücken, diesen letzteren mitunter grösseren
Raum gewährte, als sie in der grösseren Vita einnahmen.
Daraus würde nun freihch noch nicht folgen, dass Bonaventura
der Verfasser dieser Legende ist. Wenn aber schon die That-
sache, dass der doctor seraphicus eine solche schrieb und dass
die freie Bearbeitung der älteren Legende, die in der unseren
zu Tage tritt, für eine derartige Annahme spricht, so fehlt
doch auch ein Anhaltspunkt nicht, Avelcher uns den sicheren
Beweis dafür zu bringen geeignet ist.
Im Prolog der grösseren Legende erzählt Bonaventura ^ :
'utpote qui per ipsius invocationem et merita in puerili aetate
(sicut recenti memoria teneo) a mortis taucibus erutus, si prac-
eonia laudis eius tacuero, sceleris timeo argui, ut ingratus'.
Bis auf wenige Sätze resp. Anlehnungen am Anfang der klei-
neren Vita des Guise ist der ganze Prolog fortgelassen. Am
Ende derselben steht aber ein kurzer allgemeiner Abriss der
Wunder des hl. Franciscus, gewissermassen nur ein Epitome
der von Bonaventura ausführlich berichteten JMirakel, und hier
heisst es: 'Innumera quoque per ipsum in diversis partibus
orbis exuberare non cessant beneticia Dei, sicut et ego
ipse qui super iora descripsi experiencia teste in me
ipso probavi. Voto enim pro me languente gravissime ad
beatum Franciscum emisso a matre, cum adhuc essera puer-
ulus, ab ipso sum mortis faucibus erutus et in robur
vite incolumis restitutus. Quod cum viva memoria
teneam, vera confessione nunc proiiteor, ne tantum beneficium
reticens sceleris arguor, ut ingratus'.
1) Lib. XIX, c. 35-62 (ed. Fortia XlII, S. 3G8 ff. c. 35 — 61).
2) Acta SS. Oct. II, p. 742.
Zu den Legenden des hl. Franz von Assisi. 599
Die gesperrten Worte finden sich fast ebenso im Prolog
der lungeren Legende. Man sieht aber, dass die kürzere Vita
hier ausführlicher ist, dass der betreffende Abschnitt an ganz
anderer Stelle, als in jener steht, also schwerlich von einem
beliebigen Bearbeiter herübergenommen wurde. Endlich, was
jeden Zweifel lösen muss, bemerkt der Verfasser der Legende
des (iuise: 'ego ipse, qui superiora descripsi — in me ipso
probavi', Worte, die nur von Bonaventura selbst herrühren
können, da sie in der Vorlage nicht standen'.
Ohne auf geringe Unterschiede zwischen den beiden
Legenden des Bonaventura eingehen zu wollen, erwähne ich
nur, dass die Stelle^: *Hic nimirum de vallis Spoletane parti-
bus, civitate Assisii trahens originem primumque lohannes
vocatus a matre, dehinc Franciscus a patre' sich am meisten
an die Vita der drei socii c. 1 ^ anlehnt: 'Franciscus de civi-
tate Assisii oriundus, quae in finibus Spoletanae vallis est
sita, loannes prius vocatus est a matre, a patre vero' etc.
Von der Bearbeitung der grösseren Legende blieb der Abschnitt,
der über die Canonisation und Translation des Heiligen handelt,
wie es scheint, ausgeschlossen, denn Jacques de Uuise giebt
diesen abgesondert *, und zwar genau entsprechend dem Druck
der Bollandisten , nachdem er zwischen dieses Stück und die
Vita jedenfalls wie seine Handschrift die Bulle Nicolaus IV.
vom '25. August 1279 (Potthast n. 21630) eingeschoben s. In
dem Druck der grösseren Legende geht die Canonisations-
geschichte den Mirakeln voraus, bildet also einen Theil der
Vita. Aber auch sonst muss dieser Abschnitt, wenn er über-
haupt als integrierender Bestandtheil derselben angesehen werden
darf, eine besondere Behandlung erfahren haben, wue in dem
Codex der Bonaventura -Legende der Bollandisten jenes Capitel
die Aufschrift führte: 'In festo translationis beati Francisci
Caput XV, lectio prima und demgemäss in drei Lectionen ge-
theilt war^.
Ij Von ÖoUerus werden, wie oben bemerkt, die .-lugeführten Worte
ausdrücklich als die eigenen des Bonaventura citiert. 2) Jacques de
Guise 1. XIX, c. 35. 3) Acta SS. Oct. II, p. 724. 4) A. a. O.
c. 64—67. 5) A. a. O. c. 63. 6) Vgl. Acta SS. Oct. II, p. 783 n. a.
39*
Ueber eine Handschrift der Briefe Gregors I.
Von Paul Maria Baum^artcn.
Kürzlich habe ich im British ^luseum eine von Euald
nicht erwähnte Handschrift der (jrregorbriete aus dem 11. bis
12. Jahrhundert durchgeblättert, und ich gebe einige Notizen
über den Codex.
Derselbe befindet sich in der Kings Library 6. C. X. und
hat als Ursprungszeugnis die Notiz: 'Liber de Claustro Kotl'ens.
per Alexandruni priorem'. Die Ueberschritten der einzelnen
Bücher sind reihenweise in rothen und grünen Majuskel -Buch-
staben geschrieben; liier und da finden sich verzierte Initialen
ohne künstlerische Bedeutung.
Auf fol. 2 beginnt die Hs. mit dem Credo, woran sich
unmittelbar die Ueberschrift anschliesst: 'Registri beati Gre-
gorii Papae Urbis Komae Liber Primus incipit mense Sep-
tembri indictione Villi'.
Die Ueberschrift des zweiten Buches ist wesentlich ein-
facher (fol. 23): '(Gregoriij Incipit liber II indictione Un-
decima.
Gleichlautend ist die dritte Aufschrift (fol. 32 v.) Die
Rubrica des 4. Buches (fol. 47 v.) verändert sich in folgender
Weise: 'Incipit IUI Mense Septembri PER Indictionem ^L"'»'"'.
In gleicher Weise lauten die Rubriken des 5. — 9. Buches
inclusive. Irrthümlich kommt die Indictio XIII, wie in der 5.,
so auch in der 6. Ueberschrift vor. Von den übrigen Buch-
anfängen greifen nur der 11. und 14. noch auf den eben an-
geführten zurück; die übrigen stimmen alle mit n. 2 überein.
Auf fol. 185 begimit das 14. Buch, dann folgen auf fol. 189 v.
noch eine Anzahl Briefe, die unter der Rubrik stehen: 'Epi-
stolae quae praetermissae sunt de superioribus indictionibus'.
Am Ende der Handschrift steht die Notiz: 'Hie desunt
du^- epistol^'.
Der ganze Codex ist buchweise von einer neueren Hand
recht genau durchnummeriert worden. Die Uebersicht der
Nummern ist die folgende: Buch I. enthält 82 Briefe, Buch II.
39, Buch III. 65, Buch IV. 43, Buch V. 53, Buch VL 61,
Ueber eine Handschrift der Briefe Gregors I. 601
Buch VII. 41, Buch VIII. 34, Buch IX. 85, Buch X. 34,
Buch XI. 43, Buch XII. 13, Buch XIII. 38, Buch XIV.
13 Briefe. Dazu konamen 32 epistolae praetermissae, so dass
die ganze Hs. 676 Briefe enthält. Ueber die Gruppe, zu der
sie gehört — R cum epistoh's praetermissis — , s. Ewald,
N. A. III, 499 ff.
Tironische Miscellen.
Von Wilhelm Schmitz.
I.
Vom lliminel g^efalleiie Briefe.
In der unter dem Vorsitze des Papstes Zacharias ab-
gehaltenen römischen Synode des Jahres 745 gelangte ein von
Deneardus als Legaten überbrachter Brief des h. ßonifatius
zm' Verlesung, in welchem er dem Papste u. a. mittheilt, dass
er bei Ausführung des päpstlichen Auftrages, 'in provincia
Francorum' auf einem Priesterconcil und in einer Synodal-
versammlung den Vorsitz zu führen, viele Ungerechtigkeiten
und Verfolgungen zu erleiden gehabt habe, 'maxime semper
a falsis sacerdotibus, ab adulteratis presbiteris seu diaconibus
et fornicariis clei'icis''. Die grösste Beschwerde jedoch sei
für ihn erwachsen 'contra duos hereticos pessimos et publicos
et blasphemos contra Deuni et contra catholicam üdem. Unus
qui dicitur Eidebert natione generis Gallus est, alter qui
dicitur (Jemens genere Scottus est'. Gegen diese möge die
apostolische Autorität sich angelegen sein lassen, seine schwache
Kraft zu vertheidigen und zu unterstützen und auf schrift-
lichem Wege 'populum Francorum et Gallorum corrigere, ut
hereticorum fabulas et vana prodigia et signa precursoris
antikristi non sectantur'. Zur Begründung der Anschuldi-
gungen gegen Aldebert gelangte ausser den brieflichen Dar-
legungen des h, Bonifatius ferner eine Biographie Aldeberts
zur Verlesung, und auf die Aeusserung des Papstes: 'Si quid
adhuc habet Deneardus, relegiosus presbiter, nobis porrigere
relegendum, porrigat', antAvortete der Gesandte : 'P^cce, domine,
epistolam, quam utebatur, et divulgabat esse lesu et
de caelo cecidisse'. Der Anfang des zur Verlesung ge-
langten Briefes lautet: In Dei nomine. Incipit epistola
domini nostri lesu Christi, filii Dei; qui in Hiero-
1) S. Jaflfe, *Bibl. rer. Germ.' III, 137 ff. Diese, sowie die folgenden
Nachweisimgen dieser Miscelle verdanke ich meist Herrn Professor Karl
Zeumer aus der Zeit unserer gemeinsamen Beschäftigung mit den 'For-
mulae imperiales'. S. Zeumer, 'Formulae' I, 286 ff. und meine 'Monu-
menta tachygraphica oodicis Parisiensis litini 2718, fasc. 1'.
Tironische Miscellen. 603
solima cecidit, et per Michael archangelum ipsa epistola
inventa est ad portam Effrem et cetera usque ad
finem perlecta. Pro certo, karissimi fratres , erklärte der
Papst, et praedictus in insaniam conversus Aldebertus ; et
omnis, qui hanc utitur scelere commentatam epistolam, par-
vulorum more ahsque memoria mentiuvi esse possunt et quibus-
dam mtilieris insaniimt sensihus. Sed ut ne leviores adhuc
amplius decipiant , indiscussam et ahsque sententia causam
haue in eum relinquere minime p)Ossumus. —
Leider ist in den Verhandlungen der Synode nur die vor-
her z. Th. angegebene Einleitung über Auffindung und Weiter-
beförderung, nicht aber der Text des Briefes selbst raitgetheilt.
Es ist aber ein anderes, wie nach der Einleitung und
trotz mehrfacher Lücken zu schliessen ist, wenig abweichendes
Exemplar überliefert, Avelches bei Baluze, 'Capitularia' II, col.
1396 ff. gedruckt ist: In nomine Domini. Incipit epistola
Salvatoris Domini nostri lesu Christi, Filii Dei, quae in
Hier osolymis cecidit, Michaelo ipsam deportavit; et in-
venta est ad poriam quem (l. Efrem) per manus sacerdotis
nomine Eros. . . .
Trotz der Verurtheilung jenes Aldebertschen Briefes durch
die Synode wurde von ähnlichen Schriftstücken auch später
noch Gebrauch gemacht, und sicher nicht in vereinzelten Fällen ;
denn noch Karl der Grosse sieht sich in der 'Admonitio gene-
ralis' vom Jahre 789, März 23, genöthigt, dagegen einzu-
schreiten»: 'Omnibus. Item et pseudografia et dubiae
narrationes vel quae omnino contra fidem catholicam sunt et
epistola pessima et falsissima, quam transacto
anno dicebant aliqui errantes et in errorem alios
mittentes quod de celo cecidisset, nee credantur nee
legantur sed conburentur, ne in errorem per talia scripta po-
pulus mittatur. Sed soll canonici libri et catholici tractatus
et sanctorum auctorum dicta legantur et tradantur'.
Wenn uns nun in der vaticanischen, aus der Bibliothek
der Königin Christina stammenden Handschrift 852, saec. X,
deren Gesammtinhalt bei Zeumer, 'Formulae' I, 132 A 2* an-
gegeben ist, auf fol. 6^ die Ueberschrift entgegenü'itt : TNCIPIT
EPISTOLA SALVATORIS DOMINI NOSTRI', so erwartet
man hier einem ferneren Exemplar eines solchen S'om Himmel
gefallenen' Briefes zu begegnen. Aber der weitere, z. Th. in
tironischen Noten geschriebene Text lautet folgendermassen ^ :
1 Deus meus et Pater et Filius et Spiritus sanctus,
2 cui omnia subiecta et omnis creatura deservit, et omnis
potest(as)
1) S. 'Capitularia' ed. Boretius I, 60, Z. 34 ff. 2) Die Worte für
die transscribierten Noten erscheinen in dem Texte der 'epistola' in
Cursivdruck.
604 Wilhelm Schmitz.
3 sibi subiecta est. Draco fugit, silit vipera et roveda'
4 illa qui dicitur rana; stirpiscit^ scorpio et extin-
5 guitur ; regulus * nihil spalangis * noxium operatur
6 et omnia venenata et adhuc ferociora repenti[n]a et ani-
7 malia noxia terebrant(ur), et omnes adver se salutls humane
8 radices arescunt. Tu extingue hoc venenosum
9 virus, extingue operationes eiusdem mortiferas et vires
10 quas in se habet evaeua, et da in nomine tue omnibus
iis quos tu creasti
11 oculos, ut videant, aures, ut audiant, et cor ut raagni-
tudinem
12 tuam admirentur •.• Et cum haec dixisset, os sitiim et
totum semetipsum ar-
13 mavit signo crucis et bibit totum quod erat in ealice,
et postea
14 quam bibit, dixit •.• peto ut propter quos bibi, conver-
tantur ad te, Domine, et salutem
15 quae apud te est, tamquam . . . . ria m . . .* adtendentes
ab ... .
Dieser Text hat, ausser der Ueberschrift, mit dem von
Baluze veröffentlichten nichts gemein; auch haben die von
Baluze angemerkten Lücken seiner Hs. schwerlich etwas Aehn-
liches enthalten. Kurz, unser Text passt nicht zu seiner Ueber-
schrift, und der letzte Theil nicht zum Anfang. Der erste
Theil enthält offenbar einen gegen Giftwirkung gerichteten
Segen, eine Formel, deren Gedankengang folgender ist: Gottes
Allmacht ist Alles unterworfen und gehorsam; auf Seinen
Willen hin ergreift daher der Drache die Flucht; die Natter
und die Kröte erheben sich zum Sprunge, der Scorpion er-
leidet eine Verküunnerung seines Stachels und geht zu Grunde,
der Basilisk fügt den Spinnen keinen Schaden zu, alle giftigen
und noch wilderen Kriech- und sonstige schädlichen Thiere
verlieren ihre Kraft, und es verdorren die der menschlichen
Wohlfahrt schädlichen Wurzeln. So möge auch das in dem
Becher befindhche Gift seine tödtlichen Wirkungen verlieren,
allen Menschen aber möge Auge und Ohr geöffnet und ein
Herz gegeben werden zur Bewunderung der Grösse Gottes.
Der zweite Theil regt zunächst die Vermuthung an, dass
mit den Worten: Et cum haec dixisset eine am Anfang weg-
gelassene Erzählung wieder aufgenommen werde. Möglich
1) rana rubeta auch in den tir. Noten, Grnter 182, col. 3. 2) Vgl.
Plin., 'nat. bist.' 11,8, 149: de asparago: nam si defringatur, stirpescere
et intermori. B) reguli et 8corpiones auch bei Hieronymus ep, 7, 3
zusammen erwähnt: Nos pristina contagione aordentes, quasi reguli et
scorpiones arentia quaeque sectamur. 4) spalangia, araneae species.
6) Zwei unverständliche Noten.
Tironische Miscellen. 605
daher, dass die Ueberschrift nur zufällig und irrthümlieh über
den Text gerathen ist. Denkbar wäre aber auch, und ich
halte dies für das Wahrscheinlichere, dass, im Gegensatz zu
der ursprünglichen Verbreitung und Verwendung ganzer vom
Himmel gefallener Briefe, später auch allein die Ueberschrift
eines solchen Schriftstückes benutzt wurde, um eigentlichen
Besprechungsformeln, wie hier, vorgesetzt zu werden und den-
selben dadurch ein höheres Ansehen zu geben.
II.
Ein Trostbrief Rir die in den Krieg" Ziehenden.
In den ^Studien zur lateinischen Tachygraphie' (s. Pro-
gramm des Kaiser Wilhelms- Gymnasiums zu Köln vom J. 1881,
S. 4, Anm. 7) habe ich bereits erwähnt, dass in der vaticani-
schen, ebenfalls der Bibliothek der Königin Christina ent-
stammenden Miscellan-Hs. 846, saec. IX, auf fol, 103'' ein fast
ganz in tironischen Noten geschriebener, bisher nicht gelesener
und nicht veröffentlichter 'Trostbrief für die in den Krieg
Ziehenden' beginne mit der Ueberschrift: 'fl) INCIPIT EPI-
STOLA CONSOLATORIA AD PERGENTES IN BELLUM'.
Während mir damals nur der auf fol. 103^ stehende Theil des
Briefes in photographischer Nachbildung bekannt war, bin ich
seitdem durch die zuvorkommende Hülfe meines hochwürdigen
Freundes Dom Jacques Christophe Gauthey, Abbe de Ste.
M. Magdeleine, O. S. ß., in Marseille, in den Besitz einer voll-
ständigen Photographie des ßrieftextes gelangt. Unseren ver-
einten Bemühungen ist folgende Lesung der tironischen Noten
gelungen :
2 Viriy fratres et patres^, qui christianum nomen hahetis
et vexiUum crucis in fronte portatis, attendite et
audite ! Considerate diligenter quäle pretio redempti
3 estis, cuius nomen super vos hahetis, quia vos Christus
sacro sanguine redemit [ut] vos ad hereditatem
aeternam , unde pjro peccatum primi parentis nostri
4 Adam expidsi fuistis; per redemptionem Salvatoris nostri
ihi genus humanum reparatiim est. Considerate hoc
diligenter uhi pergitis vel contra inimicos vestros ad
5 decertandum; amhidetis ut christianum nomen, Deo ad-
iuvante, defendatis. Et hoc cavete omni argutia et
astutia vestra
6 ut quod in vobis, Deo largiente , datum est, in vacuum
non portetis '.' Ahstinete vos a malis operibus, ab-
stinete vos a concupiscentia[e] karnale,
7 Deum amore et timore ante oculos ponite. Et in ora-
1) Vgl. Act. 7, 2: Viri, fratres et patres, audite.
606 Wilhelm Schmitz.
tionihus vesfras Deum semper in auxilium vestrum
invocate •." Taliter agite in isto itinere
8 qualiter Dens non deserat vos in die trihvlationis, et cum
omni sollicitudine intendite, ut non pro Incriim ter-
renum nee pro pomp>a saecidare
9 cupiatis hellumgerere , sed pro defensione christiani no-
minis et ecclesiarum Dei , et fidem quae accepistis
ipsa in vos integra permaneat •.•
10 TJbi fnim amhidatis , nolite rapinas facere neque apud
vos deducere nee contra legem christianam agere^
sed qtiod necessitas ad victii-
11 alia 2^''i't^net, ubi necesse est, cum omni reverentia et cum
omni timore tantum sumite, ut Deuvi non offendatis '.'
Si enim vos in ipso itinere,
12 quod modo amhidatis , certare jjro Deo vidtis , in hoc, ut
in lege Dei permaneatis , et taliter agite, ut Christo
delectet, apud vos
13 angelum suum dirigere, qui vos in fortitudine defendat
et kastra vestra auxilium^ pietatis sue protegat, ut
contra inimicos vestros ipse sit arma . . . .^;
14 protegat vos scutum pietatis sue et defendat vos de ad-
ver sariis vestris. Si hoc tantum vultis scire, quod
magna res est,
15 christianum nomen habere et hie cum summa disciplina
in Dei timore vivere et post in perpetuum cum Deo
in deliciis paradisi gaudere:
16 scitote, quia Dens non deserit vos, quia adversarii vestri,
qui contra vos pugnant, non tantum contra vos pu-
gnant, sed contra Deum,
17 quia persecutores christianorum et ecclesiarum et vexillum
sanctae crucis dispiciunt. Propterea si vos ßrmiter
vultis fidem vesfram servare
18 et Dei voliintatem implere, nolite timere adversarios vestros,
sed omni audacia et cum omni fortitudine hrachii
Dei sitis parati ad defendendum nomen christianitatis
19 vestre '.' Scitis, quia^ ibi corpus suum et aninntm propter
Deum tradiderit , absque dubio aut hie in praesenti
saecxdo, si vicerit, coronatur,
20 aut , quod multum melius est, si pro Deo animam suam
tradiderit aut corpus suum usque ad mortem, sciat
se sine dxibio hierum facere anime sue
21 [fol. MO""] et remunerationem de labore suo in aeternam
vitam* apud Dominum recipere et in paradiso cum
1) Im Sinne von auxilio. 2) Eine unverständliche Note. 3) Ver-
scliriebeu statt qui. 4) Statt des abl.
Tironische Miscellen. 607
ceteris Tieredihus requiescere. Tantum hoc cogitate,
ut in omni actu vesfro
22 et in omni opera vestra hoc faciatis quod Deo flacet, ut
Domino delectet vohiscum 'pergere et protegere vos
cum pietafe siia.
23 Sciatis, si cum tlmore et reverentia vvltis pergere et Deo ^
in auxilium invocare, erit Dominus vohiscum contra
inimicos vestros, sicut cum losue, quando certavit
24 confv'a Amalech 2. Praeparet sibi unusquisque contra con-
scientiam suam,, rememoret peccata sua , quae prius
fecit, non portet ea apud se in praelium Christi^
25 sed antea confiteatur sacerdote et coram Deo d . . . d^
peccata sua, et liher de ipsis tantis vulnerihus, se-
curus de praeteritis, propitiante Deo, sine uUa duhi-
tatione
26 et sine idlo peccato possitis stare in praelio in die Do-
mini •.' quia si vos mundi estis, dicente Domino,
habitaho vohiscum, et angelus meus praecedit vos
27 et ipse erit protectio vestra* •.' Sic agite, ut non trepidet
cor vestrum neque faciatis pretiosiorem corpus vestrum
quam anima vestra. Quidquid agitis
28 pro Deo agite, et Deus pugnat pro vohis. Finis. Amen.
Deo gratias '.'
Wer der Verfasser des Briefes sei, vermögen wir eben so
wenig anzugeben, als die Frage zu beantworten, ob bezw. auf
Avelche gleichzeitigen Kriegsverhältnisse Bezug genommen sei;
denken könnte man an Ereignisse der Völkerwanderung oder
an Kämpfe gegen den Islam.
1) Statt Deum. 2) Exod. 17, 9. 3) Unverständliche Note.
4) Exoil. 23, 20; 25, 8.
Zu dem Necrologium S. Vitoni Virdunensis.
Von U'oldemar Lippert.
Im vorletzten Hefte des 'Neuen Archivs' hat Ernst Sackur
in seinem Aufsatze 'Handschriftliches aus Frankreich' auch
einip;e Necrologien mitbehandelt, darunter das Necrolo<i;ium
des Klosters St. Vannes in der Diöcese von Verdun. Er er-
klärt in befriedigendster Weise die grosse Mehrzahl der da-
selbst aufgeführten Persönlichkeiten; einige Berichtigungen
sollen im Folgenden hierzu gegeben werden.
S. 127 ist aufgeführt unter dem Datum H. Id. Mart. (dem
14. März) ein 'Riquinus comes'. Sackur spricht dabei in der
Anmerkung 17 als Vermuthung aus, dass dies etwa ein Eich-
win von Niederlothringen, der Vater des Bischofs Udo von
Toul, sein könne». Näher hegt aber eine andere Ansicht, die
sich sogar zu ziemlicher Sicherheit erheben lässt. Das Necro-
logium nennt ja ausser der Hauptmasse von Leuten des elften
imd zwölften Jahrhunderts auch eine Anzahl solcher aus dem
neunten und zehnten. Im Anfange des zehnten Jahrhunderts
finden wir nun in der Tliat in Lothringen einen Grafen Rich-
win, der in den innern Angelegenheiten dieses Landes, besonders
auch in den Händeln , die damals das unglückliche Land be-
unruhigten, eine wichtige Rolle spielte. Dümmler stellt ('Otto
d. Gr.' 8. 96, 97) die Quellenzeugnisse zusammen, die wir über
Richwin haben. C. v. Kalckstein, 'Geschichte des französischen
Königthums unter den ersten Capetingern' I, 150, bezeichnet
ihn nicht bloss als Laienabt von Moyenmoutier und St. Peter
in Metz (s. hierfür Dümmler a. a. O.), sondern auch als Graf
von Toni und Verdun. Welches seine Grafschaft Avar, ist nicht
sicher; in Urkimden König Karls III. (des Einfältigen) er-
scheint er als Intervenient bei Angelegenheiten, die sowohl
den Gau von Toul, wie den von Verdun betreffen; gewiss ist,
dass er im oberen Moselgebiet begütert war, vgl. Vita S. lo-
hannis Gorziensis c. 12 (MG. SS. IV, 340), wo erzählt wird,
dass Johannes die Kirche seines Geburtsortes Vinderia (Ven-
1) Vg-1. hierüber Beuoit, 'bist, eccles. et polit. de la ville et du dioc.
de Toul" (Toul 1707) S. 376 und Anhang n. LXXVIII, wo auch ein
Bruder Udos mit Namen Richwin erscheint.
Zu dem Necrologium S. Vitoni Virdunensis. 609
diere bei Pont-ä-Mousson) von ihm geschenkt erhalten habe,
der als 'praestantissimus ea terapestate et in omni genere
agendarum rerum prudens et sagaeissimus vir' bezeichnet wird,
in dessen Hause auch Johannes einige Zeit, und zwar, wie
der Biograph sagt, zu seinem Vortheile gelebt hatte. Im Jahre
923 wurde er durch einen der schlimmsten Störenfriede dieser
Zeit, den gleichfalls in Lothringen und den angrenzenden fran-
zösischen (iebieten ansässigen Grafen Boso, den Bruder des
Königs Rudolf von Frankreich, in Ausübung einer Privatrache
(vgl. Dümmler S. 97) auf dem Krankenlager getödtet, s. Flo-
doard, Annal. ad a. 923 (MG. SS. III, 371 j. Als Datum
nahmen Dümmler a, a. O. und Kalckstein S. 164 den 15. No-
vember an, gestützt auf eine Angabe des Necrologium Roma-
ricense (bei Böhmer, 'Fontes' IV, 463), und ich hatte diese
Ansicht unter Vorbehalt, ob der dortige Riquinus dux wirklich
unser Richwin sei, erwähnt (s. 'König Rudolf von Frankreich'
[Leipzig 1886] S. 37 Anmerk. 4). Ich konnte die Annahme
nicht verwerfen, vermochte sie aber eben so wenig rückhaltslos
anzunehmen, da erstens das 'dux' nicht für unsern RichAvin
zu passen schien (obwohl darin wiederholt in jener Zeit sich
Schwankungen finden), und weil ferner die Stelle, an welcher
Flodoard den Mord erwähnt, der Verlegung in den November
widerspricht. P^lodoard ist ja, was auch von mir a. a. O.
S. 121 ff", auf das entschiedenste betont ist, einer der zuver-
lässigsten aller Chronisten, der selbst bei den innerhalb eines
Jahres aufgezählten Ereignissen möglichst die Zeitfolge wahrt;
diese Angabe des 15. Novembers umsste den Glauben an seine
Zuverlässigkeit in letzterer Hinsicht, betreffs der chronologischen
Folge innerhalb der einzelnen Jahre, erschüttern. Da kommt
uns nun das Necrologium von St. Vannes mit seiner Angabe
vom Tode Richwins am 14. März in der trefflichsten Weise
zu Hülfe; denn in den Frühling, vor den letzten Kriegszug
Karls gegen die Empörer unter dem Gegenkönig Robert,
d. h. vor den Juni 923, hat auch Flodoard in seiner Aufzählung
den Tod angesetzt. Eben deshalb ist ja das an und für sich
minder wichtige Datum vom Tode des Grafen Richwin von
höherer Bedeutung, weil es für einen speciellen Fall uns aufs
neue den bestimmten Beweis der ausserordentlichen Zuverläs-
sigkeit Flodoards erbringt, denn in Anbetracht aller der Um-
stände, dass dieser Richwin seiner Zeit eine hervorragende Per-
sönlichkeit und thatsächlich comes Avar, in Lothringen, den
oberen und mittleren Moselgegenden Besitzungen hatte, im
Gau von Verdun handelnd auftritt und im Frühjahr starb,
dürfen Avir den Riquinus comes des Necrol. S. Vitoni wohl
mit Bestimmtheit für den 923 ermordeten Richwin, den Vater
des Grafen (und seit 940 Herzogs von Lothringen) Otto, halten.
S. 130 ist unter X. Kl. Sept. (dem 23. August) 'Richardus
610 Woldemar Lippert.
comes' erwähnt, den Sackur Anmerkung 11 als den Herzog
Richard I. von der Xormandie fasst. Gegen den Titel ist nichts
einzuwenden; oben ist erwähnt, dass diese Bezeichnungen viel-
fach schwanken und ich habe selbst ('König Rudolf S. 20, 84, 85)
gerade für Frankreich solche Fälle angefülu't. Der hier ge-
nannte Richard ist aber nicht Ricliard I. (mit dem Beinamen
'Ohnefurcht' j, der seit 942 regierte, denn dieser starb zu Fe-
camp \)\HJ am 20. November: es ist vieliii'hr sein ihm folgender
gleichnamiger Sohn, Richard II. der Gute, der gleichtalls zu
Fccamp 10::'G (dies Jahr ist wahrscheinlicher als 1027) am
23. August nach der Angabe verschiedener Zeugnisse, am
22. August nach dem Necrologiura S. Germani Pratensis starb,
vgl. 'Art. de veritier les dates' (Octavausgabe, Paris 1818)
XIII, 10. Das Datum des Necrologinms von St. Vannes be-
stätigt und sichert also die Angabe des 23. Augusts.
Nachrichten.
172. x\m 18. Decembei- 1889 starb, wie bereits kurz ge-
meldet worden, Wilhelm von Gieseb recht in München,
durch Wahl der bairischen Akademie Mitglied unserer Central-
direction seit ihrer neuen Begründung in Berlin.
Geboren zu Berlin am ö. März 1814 gehörte er zu den
wenigen noch übrigen Schülern Rankes aus seiner Glanzzeit
und empfing durch ihn frühzeitig die seinen Gaben ent-
sprechende Richtung auf eine dichterisch angehauchte Dar-
stellung vaterländischer Geschichte. Seine Lebensarbeit war
daher die seit l^bb in fünf Auflagen veröÖentlichte Geschichte
der deutschen Kaiserzeit, nächst Raumers Hohenstaufen , die
sie an wissenschaftlichem Werthe weit überragt, dasjenige Werk
über die Thaten des jMittelalters, welches die weiteste Ver-
breitung gefunden und durch die liebe- und verständnisvolle
Auffassung jenes Zeitalters, die es bei allen Gebildeten ein-
bürgerte, unseren Studien zur wesentlichsten Empfehlung ge-
dient hat. Für die Gestaltung dieses Buches, dessen Scliluss
wir schmerzlich vermissen, war es vielleicht ein günstiger Um-
stand, dass Giesebrecht bis zum Jahre 1857, in welchem er
als Professor nach Königsberg berufen wurde, nur an der
Schule wirkte und sich dadurch auf populäre Behandlung der
Geschichte angewiesen sah. Während er die bei Waitz stark
vorwiegende Neigung für die Entwickelung von Recht und
Verfassung in minderem Maasse theilte und deshalb die Ur-
kunden mehr zurückti-eten Hess, zeigte er dagegen ein beson-
deres Verständnis für die herrschende Stellung und den Einfluss
der Kirche.
Die Beschäftigung mit den Quellen betrachtete G. nicht,
wie manche der jüngeren Fachgenossen, als Selbstzweck, viel-
mehr nur als eine Vorarbeit für die Darstellung, dennoch ver-
danken wir ihm in dieser Hinsicht eine Reihe der schätz-
barsten Forschungen, die z. Th. niedergelegt oder angedeutet
sind in den seinem grossen Werke hinzugefügten lichtvollen
Uebersichten über die Quellen jedes einzelnen Bandes. Indem
er namenthch schon auf einer grossen Studienreise nach Wien
und Italien (1843 — 45) viel handschi-iftliches Material sammelte
612 Nachrichten.
und dies später noch in Baiern gelegentlich vermehrte, ge-
langen ihm manche schöne Funde, so vor allem der glänzendste,
die Herstellimg der Altaicher Annalen aus Geschichtschreibern
des 16. Jahrh., später bestätigt durch das Auftauchen einer
Abschrift Aventins, femer des Bebo von Bamberg, einer alten
Vita Adalberti, des Dialogs Herbords u. s. w. Auf seinen
sorgsamen Vergleichungen beruht u. a. die Ausgabe des Dia-
conus Johannes von Venedig in den MG., des Registrum Gre-
gorii in Jaftes Bibliotheca u. s. av. Unter den Geschicht-
schreibern der deutschen Vorzeit übersetzte er Gregors von
Tours fränkische Geschichte in musterhafter Weise. Die frucht-
barste Anregung gaben einzelne Untersuchungen z. Th. mehr
literarhistorischer als eigentlich geschichtlicher Art, wie die
allbekannte 'De literarum studiis apud Italos', die Abhandlung
über die angebliche Weissagung von Lelinin, über die Vaganten
und Goliarden, über die fränkischen Königsannalen, über Mane-
gold von Lautenbach und die Gesetzgebung der römischen
Kirche u. s. vv. In den ^IG. hat er die neu entdeckten Altaicher
Jahrbücher in Gemeinschaft mit dem Frhrn. vou Oefele heraus-
gegeben und hatte er schon längst im Auftrage von Pertz die
Papstleben des 1 1 . Jahrh. übernommen und vorbereitet.
Besonders hervorheben müssen wir aber hier noch, dass
Giesebrecht, seit 1861 als Sybels Nachfolger nach München
versetzt, durch sein Schrifttühreramt die Seele der historischen
Commission daselbst wurde, deren Aufgaben mit den unsrigen
vielfach so eng zusammenhängen, dass er auch in dieser Eigen-
schaft mittelbar als einer unserer wirksamsten Förderer genannt
zu werden verdient. In der Centraldirection der MG. be-
thätigte er vor allem auch seine reiche Geschäftskenntnis und
Eraktische Erfahrung bei der Feststellung des jährlichen Haus-
altes.
Giesebrecht war eine durchaus harmonische Natur von
einem glücklichen Gleichmasse der Seele, mehr zur Vermitte-
lung aU zum Streite geneigt, in seinen Arbeiten fein und
sinnig, nicht unerbittlich scharf, mehr Darsteller als Kritiker,
aber ein besserer Philologe als manche seiner Mitstrebenden,
von echt christlicher Gesinnung und warmem patriotischem
Gefühle, wohlwollend und wohlthuend für andere auf Grund
eigener innerer Befriedigung, ein glücklicher Familienvater und
treuer Freund seiner Freunde und Schüler.
(Vgl. H. Prutz in der Berl. Nationalzeitung vom 5. Januar
1890 und S. Riezler in der Beilage zur (Münchener) Allgem.
Zeitung vom 18. Januar 1890).
Die bairische Akademie hat an Stelle Giesebrechts den
Geheimen Hofrath und Director des Reichsarchivs Dr. Lud-
wig von Rockinge r zu ihrem Vertreter in der Central-
direction gewählt. E. D.
Nachrichten. 6l3
173. In der Zlschr. f. Geschichtswissenschaft II, 327 ff.
veröffentlicht L. Quid de einen ausführlichen Nekrolog J. Weiz-
säckers.
174. Ein ßeferat über Scriptorum t. XIII. XIV. von
L. von Heinemann steht in der Historischen Zeitschrift 64,
141 — 156. Herr P. Albert Poncellet berichtete in La
Science catholique IV, 1, 60—66 über die in Scriptorum t. XV, 2
herausgegebenen hagiographischen Stücke.
175. Aus Utrecht ist der Redaction eine Klage darüber
zugegangen, dass von jeher in den Nachrichten des N. A. die
niederländische Literatur nur unvollständig berücksichtigt worden
sei. Die Thatsache ist leider zuzugeben; sie wird durch die
erstaunlich mangelhaft entwickelten buchhändlerischen Bezie-
Imngen zwischen Deutschland und den Niederlanden erklärt.
Allein die niederländischen Autoren haben es selbst in der
Hand, dem Uebelstand abzuhelfen: legen sie Werth darauf,
dass ihre Arbeiten im N. A. verzeichnet werden, so können
sie durch Einsendung derselben an die Redaction sich dessen
mit Leichtigkeit versichern.
176. Von den Handschriften der Bibliothek des
Sir Th. Phillipps zu Cheltenham soll nach Zeitungsmeldungen
der Theil, welcher nicht von Deutschland und ßelgieu an-
gekauft ist^ von der Universität Cambridge für den Preis von
5000 Pfd. Sterling erworben sein. Nach einer Notiz im Cor-
respondenzblatt der Westdeutschen Ztschr. 1890 S. 47 hat in-
dess die elsass- lothringische Regierung die Mittel bewilligt,
alle in Cheltenham liegenden lothringischen Hss., darunter
3400 Urkunden, für das Bezirksarchiv in Metz anzukaufen.
177. In den Münchener Sitzungsberichten 1889 Bd. II,
278—313 findet sich eine Abhandlung von v. Löher, 'Zur
Geschichte des Archivwesens im Mittelalter'. Die-
selbe besteht zum grossen Theil aus Excerpten aus neueren
Handbüchern und anderen bekannten Hilfsmitteln; leider sind
beim Excerpieren einige z. Th. schwer begreifliche Misver-
ständnisse untergelaufen. Neues von Erheblichkeit enthält die
Abhandlung nicht.
178. In der Bibhotheque de lEcole des chartes L (1889),
571 ff. veröffentlicht Ch. Kohl er den Katalog der Bibliothek
des Klosters Notre-Dame- De - Haut- Fontaine (Diöcese Chartres)
aus dem 12. und 13. Jahrhundert.
179. Im Arch. stör, italiano Ser. V, t. IV, 250 ff. theilt
Ubaldo Pasqui aus dem Testament eines aretinischen Notars
aus der ersten Hälfte des 14. Jh. dessen reichhaltigen Biblio-
thek skatalog mit. Darunter : Origo gentis Langobardorum ,
Neuus Archiv etc. XV. 40
614 Nachrichten.
Forinulae senatus Cassiodori, Cassiodorus variorum (!) et de
anima.
180. Zum Theil nachträglich haben wir zu berichten über
Analecta ßollandiana t. VII. und VIII. In Band VII.
gab Herr Albert Poncellet eine metrische Vita eines
13 lad in oder Blandin, der im 7. Jahrhundert in der Brie ge-
lebt haben soll, von Fulcoius, Subdiacon von Meaux (saec. XI.)
heraus. Es war keine Vita dieses Heiligen bisher bekannt,
die hier publicierte ist nur von litterarischem Interesse und
ohne historischen Werth. Herr Karl de Smedt edierte die
vollständige Vita des h. Winwaloeus (oder Winwaloc) von
Abt Wurdestin und noch eine spätere metrische Bearbeitung
dieser Vita. HeiT Hippolyt Delehaye publicierte einen
langen Brief Guiberts von (fembloux an einen Domherrn
von Laon über St. Martin, namentlich über diejenigen Schrift-
steller, die über ihn geschrieben haben, mit eingehenden Er-
läuterungen vornehmlich über das Leben Guiberts und Gedichte
zum Preise St. Martins von einem Mönch («uibert von Gem-
bloux, einem Zeitgenossen des Abtes, Die wichtigste neue
Publication dieses Bandes ist endhch für uns die älteste Vita
Gaugerichs, Bischofs von Cambrai, die nach sieben Hss.
herausgegeben wurde.
Aus Band VI 11. ist zu erwähnen das ausführliche be-
schreibende Verzeichnis der hagiographischen Handschriften
der Stadtbibliothek zu Chartres, aus dem eine grosse
Anzalil kleinerer unbekannter Stücke abgedruckt sind. Dann
vornehmlich der authentische, bisher nicht edierte Text der
Vita Emmerammi von iVi-ibo, den B. Sepp nach drei
Handschriften herausgegeben hat. Die Vita des Eremiten
Amantius, eines Schülers des h. Eparch von Angouleme, die
hier zum ersten Male veröffenthcht und wohl im 10. Jahrh.
geschrieben ist, hat keinen historischen Werth. Wenig grösseren
die schon bekannte, aber hier mit reichem handschriftlichem
Material publicierte Vita des Bischofs Gildard von Ronen.
Zahlreiche Kataloge der Erzbischöfe von Ronen ediert und
behandelt der Domherr E. P. Sau vage.
In den jedem Hefte beigefügten Beilagebogen ist der
zweite Band des 'Catalogus codicum hagiographicorum bibl.
regiae Bruxellensis' beendet. Auch die aus Cheltenham nach
Brüssel gekommenen Handschriften sind hier verzeichnet. Dar-
unter befindet sich auch die alte Hs. der Miracula S. Gen-
gulfi von Gonzo, die ich SS. XV, 2 ohne die Hs. abdrucken
musste, da ich wolü vermuthete, dass sie sich einst in der
Sammlung des Sir Th. Phillip ps finden würde, über die aber
damals nichts bekannt war. Fortan wird in den Beilagebogen
eine überaus dankenswerthe Publication geboten, nämlich ein
Verzeichnis sämmtlicher kirclilicher Hymnen nach alphabetischer
Nachrichten. 615
Folge mit Angabe der Druckorte und der Handschriften, in
denen sie sich vorfinden, eine Arbeit von staunenswerthem
Fleiss. 0. H.-E.
181. Eine weitere Publication von höchstem Werth der
Hennen ßollandisten ist der Catalogus codicum hagio-
graphicorum Latinorum antiquiorum saeculo XVI. qui
asservantur in bibliotheca nationali Parisiensi. Edi-
derunt hagiographi ßoUandiani. Tomus I. (Paris et Bruxelles
1889), in welchem in derselben mustergültigen Weise wie im
Brüsseler Katalog die Pariser Heihgenleben- Handschriften be-
schrieben werden. O. H.-E,
182. In der 'Germania' XXXIV. (N. R. XXII), 406 handelt
V. Grienberger über die Vorfahren des Jordan es. Die
Bezeichnung 'Alanoviiamuthis' für den Vater des Jordanes
(Getica 50, 266), hinsichtlich deren Deutung Mommsen und
Müllenhoff auseinandergehen, will er mit dem letzteren, aber
anders als dieser in zwei Worte trennen ; der eigentliche Name
sei 'Viiamuth' (goth. Veihamoths); 'Alano' aber sei in ALAN.D.
('Alanorum ducis') zu emendieren und auf Candaces zu be-
ziehen. Auch der Name des Grossvaters des Jordanes 'Paria
sei gothisch nicht zu erklären und vielleicht in 'Faria' (der
Ferge) zu emendieren. S. 410 giebt derselbe eine Notiz über
den Namen der Mutter Theodorichs, den er 'Eriliva' lesen will.
183. In der Revue des Questions Historiques 1890, Heft 1
S. 60 ff. behandelt G. Kurth die Geschichte Chlodwigs nach
Fredegar. Mit den Ergebnissen der Untersuchungen von
Krusch erklärt er sich im wesentlichen einverstanden; nur
weist er den Theil der originalen Chronik, welcher vom Tode
Chilperichs bis 613 geht, nicht wie Krusch dem ersten, sondern
dem zweiten Compilator zu, indem er bestreitet, dass der erste
Compilator überhaupt etwas originales geschrieben habe.
184. In den Bulletins de l'Academie royale de Belgique
3. ser. t. XVIII. n. 8 untersucht G. Kurth die von ihm noch
sog. Gesta Francorum, noch ohne die bezüglichen Aus-
führungen von Krusch zu kennen, mit denen er sich erst
im Anhang auseinandersetzt. Er nimmt als Abfassungsort
Kloster St. Denis an, sucht aber die Heimath des Verfassers
in dem Bereich von Laon und Soissons.
185. P. Del Giudice hat seine 1880 zuerst erschienene
Abhandlung über Paulus Diaconus jetzt in einer Samm-
lung seiner kleinen Schriften 'Studi di storia e diritto' (Mai-
land, Hoepli 1889) wieder abdrucken lassen.
186. Im vierten Band seiner 'Urgeschichte der germani-
schen und romanischen Völker' (Berlin, Grote 1889) behandelt
40*
616 Nachrichten.
Felix Dahn S. 300 ff. auch die Literatur der im Franken-
reich vereinigten Gebiete bis zum Tode Karls des Grossen.
Besonders eingehend wird S. 318 ff. die Frage der Karolin-
gischen Annalen besprochen, in welcher sich Dahn als ent-
schiedenen Anhänger der Reichs- oder Hofannalentheorie be-
kennt und es als 'keinen Zweifel leidend' bezeichnet, dass die
Schöpfung einer zeitgenössischen Reichsgeschichte unmittelbar
von Karl d. Gr. selbst ausgegangen sei. Beigegeben sind dem
Bande eine Anzahl von Facsimiles aus Urkmiden und Hand-
schriften, darunter ein Blatt (f. 45 recto und verso) aus der
Wiener Hs. (n. 510) von Einhards Vita Karoli und zwei
Blätter aus der Wiener Hs. (n. 2687) von Otfrieds Evan-
gelienbuch.
187. Von des Abbe L. Duchesne 'Liber pontificalis'
ist der 5. Fascikel erschienen. Er enthält die Fortsetzungen
nach dem Codex des Petrus Guillelmi, zum Theil mit Vari-
anten anderer Handschriften, von Johann VIU. bis Honorius H,
die von Pertz früher (SS. V.) edierten Annales Roman! , end-
lich die Papstleben des Cardinal Boso. Diese sind noch nicht
vollständig. 0. II. -E.
188. Von den 'Gesta Francorum et aliorum Hieroso-
lymitanorum' , herausgegeben von H. Hagenmeyer, ist die
letzte Hälfte mit ausfülu'lichem Register erschienen (Heidel-
berg 1890). O. H.-E.
189. Das Historische .Jahrbuch X, 748-806 enthält den
Schluss der Antikritik Hüffers gegen v. Druffel : eine ein-
gehende Untersuchung über die Wunder Bernhards von
Clairvaux und die Glaubwürdigkeit des Liber miracu-
lorum, an welcher H. unbedingt festhält.
190. Eine Berliner Dissertation von G, Gronau, 'Die
Ursperger Chronik und ihr Verfasser' (Berlin 1890) führt
den Nachweis, dass weder sachliche noch formale Gründe eine
Theilung der Chron. Urspergense unter zwei Verfasser aus-
reichend rechtfertigen, dass vielmehr mit grosser Wahrschein-
lichkeit der Propst Burchard als Verfasser des ganzen uns
vorliegenden Werkes angesehen werden darf: die Angabe des
— in zwei Münchener Hss. überlieferten — Katalogs der
Pröpste von Ursperg von J. Weissung, dass Burchard 1226
gestorben sei, erweist sich nicht als glaubwürdig. Auch gegen
die Annahme einer Interpolation der Chronik am Scliluss der
Erzählung von König Philipp spricht G. sich mit beachtens-
werthen Gründen aus. In oeiden Hinsichten war eine der
Redaction dieser Ztschr. eingesandte grössere Arbeit über die
Ursperger Chronik von Th. Lindner, z. Th. auf anderem
Wege, zu völlig gleichem Resultat gelangt: nachdem Herr
Nachrichten. 617
Prof. Lindner, wie im Vorwort von Gronaus Schrift berichtet
wird, die Zuvorkommenheit gehabt hat, aus Rücksicht auf den
jungen Doctoranden auf die VeröfFenthchung dieser Abschnitte
seiner Arbeit zu verzichten, hoffen wir den übrigen Theil der-
selben in einem der nächsten Hefte des N. A. mittheilen zu können.
191. Eine für die Geschichte der Kämpfe Friedrichs II.
in Cypern wichtige Quellenschrift, dieGestes des Chiprois
des Philippe de Nevaire (oder Novaire) behandelt eine
Berliner Dissertation von Paul Richter: ^Beiträge zur Histo-
riographie in den Kreuzfahrerstaaten, vornehmlich für die Zeit
Kaiser Friedrichs IL' (BerÜn 1890). Ueber die Herkunft des
Vf. der Schrift handelt gleichzeitig Gas ton Paris in der
'Romania XIX, 99 ff., und macht durch eine glückliche Con-
jectur sehr wahrscheinlich, was übrigens auch Richter schon
vermuthet hatte, dass er aus Novara stammt.
192. Im Bullettino dell' istituto storico italiano n. 7 ver-
öffentlicht L. A. Ferrai eine Abhandlung über den Minoriten
Benzo von Alessandria, der 1284 im heiligen Lande und
später Kanzler der Scaliger war. Von einem grossen histo-
risch-philosophischen Werke, das er geschrieben hat und das
mit dem Speculum des Vincenz von Beauvais vergHchen werden
kann, hat F. den ersten Theil in einer Ambrosianischen Hs.
aufgefunden.
193. Herr Funck- Brentano hat in einer Anzeige meiner
Ausgabe des Nicolaus von Butrinto (Bibl. de l'ec. des
chartes 1889 S. 245 ff., vgl. N. A. XV, 429) zehn bei einer
Probevergleichung meines Textes mit der Pariser Hs. gefundene
Lesefehler hervorgehoben. Von diesen Berichtigungen hat nur
eine Fug (diejenige, die ungefähr das schlimmste Versehen
trifft, vorausgesetzt, dass die anderen überhaupt zuzugeben
wären; F.-B. selbst sagt: ^Ces erreurs sont, assurement, sans
grande importance'), nämhch die zu S. 9 Z. 23 (meiner Aus-
gabe), wo 'quod' statt 'quos' ein Druckfehler ist, also durch-
aus mir zur Last Mit. Die Lesung des Recensenten S. 1 Z. 13
'petandum' (!) statt 'petendum' und S. 5 Z. 3 'quam' (als
Relativpronomen zu 'affectum'!) statt 'quem' beruht auf einer
Verkennung der eigenthümlichen e- Schreibung der Hs. , einer
graphischen Täuschung, die Jedem bei dieser Hs. anfanglich
passieren wird, bis längere Beschäftigung mit ihr von selbst
die Berichtigung giebt ; zu S. 1 Z. 15 und S, 2 Z. 24 fordert
F.-B. geradezu Unmöghches: so sei im letzteren Falle statt
'venit cum centum arm atis' zu lesen 'venit tarnen cen-
tum armatis' (das bekannte cü und tn!). Um mich gegen
die übrigbleibenden 5 Berichtigungen zu vertbeidigen, müsste
ich die Pariser Hs. noch einmal sehen, da ich sonst seiner Be-
hauptung nur meine, allerdings auf zweifacher Vergleichung
618 Nachrichten.
(Collation) und auf Nachzeichnungen gestützte Ueberzeugung
entgegenstellen kann. Doch tröstet mich eins: Bei dreien
dieser letzten 5 'Versehen hebt F. -B. hervor, hier habe Baluze
gegenüber meinem Text das Richtige. Nim trug ich aber
selber in einen Baluze'schen Text meine Vergleichung , also
auch die Abänderungen gerade dieser Stellen ein. So wird
man mir vielleicht Glauben schenken, dass sie nicht auf Flüch-
tigkeit beruhen, sondern vielmehr auf sorgfältigerem Aufmerken.
Ed. Heyck.
194. In den Mitth. des Instit. f. österr. Greschichtsforschung
XI, 121 f. bringt A. Schulte einige Zeugnisse über den Chro-
nisten Jacob von Mainz bei, der schon 1321 als »ifFentlicher
Notar in Speyer nachweisbar ist und noch 1360 am Leben war.
195. 'Theoderici de Nyem ('sive de Nieheim' heisst
es in der Einleitung), De scismate libri tres' hat G. Erler
aus der einzigen (einst Pegauer) Hs. der herzoglichen Bibho-
thek zu Gotha neu herausgegeben (Leipzig, Veit & Co., 1890).
Für die Herstellung des Textes sind ausserdem benutzt die
editio princeps von 1532, welche auf eine unbekannte, von der
Gothaer nicht allzusehr verschiedene Hs. zurückgeht, und eine
in Stuttgart beündliche Hs. Hermanns von der Hardt, welche
die ed. pr. copiert, daneben aber auch Lesarten des Gothaer
und eines verlorenen Paderborner Codex beibringt.
196. Eine Leipziger Dissertation von Robert Geerds,
das 'Chronicon Sundense' (Berlin 1889) handelt über eine
verlorene Stralsunder Stadtchronik, mit deren Resten sich Kopp-
mann früher beschäftigt hatte. Abweichend von diesem meint
der Verfasser, sie habe ursprünglich bis 1435 gereicht, habe
dann eine reichhaltige Fortsetzung bis 1458, und endlich zwei
weitere Fortsetzungen bis 1482 und 1534 erhalten. O. H.E.
197. Die umfangreiche und fleissige Arbeit von Karl
Koehne, 'Der Ursprung der Stadtverfassung in Worms, Speier
und Mainz' (Breslau, Koebner 1890) behandelt in ihrem zweiten
Anhang Benennung und Datierung des Gesetzes Bischof
Burchards von Worms, in welchem S. 15 ff. in scharf-
sinniger Ausführung Spuren eines in der Bildung begriflfenen
Kaufmannsrechts von Worms nachgewiesen werden. Als Ent-
stehungsjahr des Gesetzes wird 1024 festgestellt. Anhang V
bespricht die beiden oft untersuchten Urkunden K. Hein-
richs (VH.) für Worms vom August 1232 (B. -F. 4245. 4246)
und löst den zwischen beiden bestehenden Widerspruch durch
die Annahme, dass 4246 nur als ein von der bischöflichen
Partei entworfener, vom Kiinig aber nicht genehmigter Entwurf
anzusehen sei. Durch die Art der Ueberlieferung der Urkunden
wird diese Annahme sehr wahrscheinlich gemacht.
Nachrichteu. 619
198. Als Beilagen zu der sehr beachtenswerthen Arbeit
von E. Liesegang über Recht und Verfassung von Rees
(Westdeutsche Ztschr. Ergänzungsheft VI.) werden das älteste
ReeserStadtrecht und eine Anzahl ungedruckter Urkunden
des Reeser Stadtarchivs veröffentlicht.
199. Die in dieser Zeitschrift Bd. XIV. S. 251—342 und
Bd. XV. S. 9—102 und 233-292 veröffentHchten Aufsätze sind
soeben in Buchform, um etwa vier Druckbogen erweitert,
unter dem Titel 'Der Streit der Bisthümer Arles undVienne
um den Primatus GalHarum. Ein philologisch -diplomatisch-
historischer Beitrag zum Kirchenrecht' ausgegeben worden.
Ich bedauere, dass ich auch die Gelegenheit dieser Sonder-
ausgabe nicht dazu benutzt habe, da, wo ich von den Datie-
rimgen im Codex Carolinus und der Briefe Leos III. spreche
(S. 133 Anm. 5), den in vier Briefen des genannten Papstes
ersichtlichen Abfertigungsvermerk: 'Absoluta' mit folgendem
Monatstag zu erwähnen. W. Gundlach.
200. Im Anschluss an die obige Miscelle von W. Schmitz
(S. 608 f.) ist ein Aufsatz von R. Röhricht in der Ztschr. f.
Kirchengesch. XI, 436 ff. über einen vom Himmel ge-
fallenen Brief Christi zu erwähnen, indem über Hss. und
Drucke desselben gehandelt und eine griechische, sowie eine
lateinische Fassung desselben mitgetheilt wird. Die Aus-
führungen von Schmitz und Röhricht ergänzen sich gegenseitig.
201. In der Westdeutschen Ztsch. VIII, 335 ff. bespricht
H. V. Sauerland die ursprüngliche Fassung des Trierer
Silvester-Privilegs, indem er feststellt, dass der inBrowers
Antt. et Ann. Trevir. gedruckte Text dieser Fälschung gar
nicht von Brower herrührt, sondern ein Einschub von anderer
Hand ist, welche den ursprünglichen Text Browers, der in
seiner autographen Hs. in der Trierer Stadtbibliothek über-
liefert ist, beseitigt und dafür einen neuen, verkürzten Text
eingefügt hat.
202. N. Bubnow hat von seiner Monographie über Ger-
bert (vgl. N. A. XIV, 212) die erste Abtheilung des 2. Bandes
erscheinen lassen (Petersburg 1889), welche die chronologische
Untersuchung über Gerberts Leben von 982 — 987 enthält. W. W.
203. In der Bibliotheque de l'Ecole des Chartes L (1889),
567 ff. werden aus Hs. n. 1029 der Bibliothek von Chartres
zwei unedierte Briefe Silvesters II. an den Dogen von
Venedig und den Patriarchen von Grado abgedruckt, welche
in lebhaften Ausdrücken die Sittenverderbnis des venetianischen
Clerus anklagen und ein Concil zur Abhülfe derselben an-
ordnen. Auch zwei bisher unbekannte Briefe Paschais IL
620 Nachrichten.
an den Bischof von Torcello und den Patriarchen von Grado
werden abgedruckt.
204. Im Programm des Humboldt- Gymnasiums zu Berlin
Ostern 1890 (n. n8) veröffentlicht R. Röhricht: kleine Studien
zur Geschichte der Kreuzzüge. S. 9 Avird der Inhalt der päpst-
lichen Kreuzzugsbullen besprochen, S. 11 und 15 werden
die Quellen für die Kreuzzüge Ludwigs IX. zusammengestellt.
205. In den Sitzungsberichten der Berliner Akademie
1800, IX, S. 161 ff. behandelt W. Wattenbach die bisher
unbekannten, aber culturhistorisch recht interessanten Briefe
des Canonicus Guido vonBazoches, der in der zweiten
Hälfte des 12. Jhs. Cantor zu Chrdons war, 1190 aber den
Kreuzzug Philipp Augusts mitgemacht hat. Sie sind in einer
Luxemburger IIs. überliefert, und wir freuen uns, weitere
Mittheilungen aus denselben in einem der nächsten Hefte dieser
Zeitschrift in Aussicht stellen zu können.
206. Eine sehr wichtige Publication sind die 'Mittheilungen
aus dem vaticanischen Archiv', herausgegeben von der Wiener
Akademie (Wien, Tempsky 1889), deren erster von F. Kalten-
brunner bearbeiteter Band 780 grossentheils päpstliche
Urkunden zur Reichsgeschichte unter Rudolf I.
und Albrecht I. theils vollständig abdruckt, theils regestiert.
Zahlreichen Stücken sind ausführliche und sorgfältige Erläute-
rungen des Herausgebers beigegeben.
207. Ueber die Kl ad den bände des 14. Jhs. im va-
ticanischen Archiv handelt J. Donabaum in einem lehr-
reichen Aufsatz in den ]Mitth. d. Instituts f. österr. Geschichtsf.
XI, 101 ff., dem ein schönes Facsimile aus einem Concept-
bande Innocenz VI. beigegeben ist. Irrig ist es aber, wenn
S. 105 die auf der Rückseite der Concepte sich regelmässig
findende Sigle R, auf welche stets der Name des Grossators
im Vocativ folgt, nach dem Vorgange Werimskys mit 're-
scribere' gedeutet wird; die unzweifelhaft richtige Auflösung
'recipe' hätte Donabaum aus meiner Urkundenlehre I, 761 N. 4
ersehen können.
208. In den Mitth. des Instituts f. österr. Geschichtsforsch.
XI, 128 ff. bespricht Scheffer-Boichorst ausführlich die
Schrift Friedrichs über die Konstantinische Schen-
kung, deren von seiner eigenen Untersuchung abweichende
Ergebnisse er durchaus ablehnt. — Ebenda S. 119 ff. giebt
derselbe einen Nachtrag zu seiner Abhandlung über die Schen-
kung der Gräfin IVIathilde an den h. Stuhl, in welchem er aus-
führt, dass die Nichterwähnung dieser Schenkung in der Samm-
lung des Cardinais Deusdedit nicht dagegen zeugt, dass sie
bereits unter Gregor VII. erfolgt sei.
Nachrichten . 62 1
209. In den Mitth. des Instituts f. österr. Gesehichtsforsch.
XI, 1 fF. untersucht G. AVolfram die Urkunde Ludwigs
des Deutschen für das GlossindenkJoster in Metz (Mühl-
bacher n. 1474), welche in zwei Ausfertigungen erhalten ist,
von denen die eine bisher noch nicht gedruckt war. Das Er-
gebnis, welches unter Heranziehung anderer Metzer Urkunden
gewonnen wird, ist, dass beide Fassungen unter Benutzung
eines echten, jetzt verlorenen Diploms Ludwigs im Anfang
des 12. Jhs. gefälscht sind.
210. In den Mittheilungen aus dem Gerraan. National-
museum Jahrg. 1890 S. 1 ff. beginnt M. Ben d in er die Kais e r-
urkunden des Museums zu verzeichnen und zu beschreiben
und druckt S. 11 das Diplom Heinrichs IV. für Verdun von
1057, das er für unbekannt hält, während es doch schon in
den Mitth. des Inst. f. österr. Geschichtsforsch. VII, 459 —
und zwar wesentlich correcter — herausgegeben ist.
211. G. Tumbült bespricht in der Ztschr. f. Gesch. des
Oberrheins V, 121 ff. das Diplom Heinrichs IV. für Speyer
(St, 2682). Dass das angebliche Original eine Fälschung ist,
bestreitet er nicht, inhaltlich aber wül er die Echtheit des
Stückes aufrecht halten. Als vöUig erledigt kann die Frage
durch diese Untersuchung noch nicht gelten.
212. In der Ztschr. f. Gesch. des Oberrheins N. F. V,
11 9 ff. theilt A. Schulte aus einer Wiener Hs. eine unedierte
Urkunde Heinrichs V. von 1114 für Ebersheimmünster
mit. Bei dieser Gelegenheit erwähnt derselbe S. 120 N. 1 die
Auffindung einer Hs. des Chron. Ebers heimense im Strass-
burger Bezirksarchiv. Dieselbe Hs. enthält auch die Grab-
schrift der Mutter des Abtes Adelgaudus, welcher die Krone
des Gegenkönigs Rudolf von Rheinfelden in seinem Kloster
hatte schmieden lassen.
213. Bei einer Pariser Autographen - Versteigerung ist
nach der Voss. Zeitung vom 13. Dec. 1889 das Original einer
Urkunde Friedrichs II. vom Nov. 1250 für Uberto Palla-
vicini für 206 Franken verkauft worden. Abgedruckt ist die
bisher unbekannte Urkunde, die wohl auch für die Datierung
von B.-F. 3832 in Betracht kommt, in der Bibl. de l'Ecole
des chartes L (1889) S. 672.
214. A. Hub er hat ein Additamentum primum zu den
Regesten Kaiser Karls IV. herausgegeben, welches 1467
Nummern enthält (Innsbruck, Wagner 1889).
215. In den Mittheilungen des Vereins für Geschichte
der Deutschen in Böhmen XXVIII, 180 ff. theilt H. Gradl
aus dem Egerer Stadtarchiv eine Urkunde Karls IV. von
622 Nachrichten.
1347 und eine Anzalil von Urkunden König Wenzels mit,
die bisher unbekannt waren.
216. Ueber die Erwerbung des Siegelstempels eines
Landfriedensgerichtes aus der Zeit König Wenzels berichtet
A. S chulte in der Ztschr. f. Gesch. des Oberrheins N. F. V, 129.
Dem Könige selbst gehört er eigentlich nicht an, und schon
deshalb darf er nicht mit Schulte als der älteste erhaltene
Siegelstempel eines deutschen Königs bezeichnet werden, auch
abgesehen davon, dass wir ja bekanntlich die Siegelplatte
König Lothars II. besitzen.
217. Von dem Wormser Urkundenbuch von H. ßoos
ist der zAveite sehr umfangreiche Band erschienen, der bis 1400
geht. Beigegeben sind zahlreiche Nachträge und Berichtigungen
zum ersten Bande, in welchen auf die in verschiedenen Recen-
sionen erhobenen Ausstellungen gewissenhaft Rücksicht ge-
nommen worden ist.
218. Der 23. Band der Geschichtsquellen der Provinz
Sachsen enthält den ersten Theil eines Urkundenbuchs
der Stadt Erfurt (bis zum J. 1320), bearbeitet von Carl
Beyer.
219. Sonstige neue Urkundenbücher: E, An emulier,
Urkundenbuch des Klosters Pauliuzelle, Heft I, 1068—1314.
(Auch u. d. T. 'Thüring. Geschichtsquellen N. F. IV.') (Jena,
Fischer 1889). — Westfälisches Urkundenbuch IV. Bd., 3. Abth.,
1. Heft, bearbeitet von H. Finke (enthält die Paderborner
Urkk. von 1251 an), Münster, Regensberg 1889.
220. In der Ztschr. für Geschichtswissenschaft II, 341 flF.
giebt E. Sackur in einem Aufsatz über den Streit zwischen
den Klöstern Waulsort und Hastiere einen interessanten Bei-
trag zur Geschichte der mittelalterlichen Urkundenfäl-
schungen. Bemerkens werth ist, dass Wibald von Stablo
bei diesen Fälschungen die Hand im Spiele gehabt zu haben
scheint. Auch die Kritik der Vita S. Forananni und der
Historia Walciodorensis wird durch den Aufsatz erheb-
lich gefördert.
221. In der Ztschr. f. Gesch. des Oberrheins N. F. V,
29 ff. veröffentlicht H. Haupt eine Anzahl von Urkunden
(1377 ff.) aus dem Stadt- und Bezirksarchiv zu Cohnar als
Beilagen zu einer Abhandlung über das Schisma des aus-
gehenden 14. Jahrhunderts in seiner Einwirkung auf die ober-
rheinischen Landschaften.
222. Als XV. Band des Cod. dipl, Silesiae sind erschienen
Acta Nicolai Gramis. Urkunden und Actenstücke, be-
Nachrichten. 623
treffend die Beziehungen Schlesiens zum Baseler Konzile, her-
ausgegeben von W. Alt mann (Breslau, Max & Co., 1890).
223. Im Archiv f. österr. Gesch. LXXV, 290 ff. veröffent-
licht J. Loserth als weiteren Beitrag zur Geschichte der
hussitischen Bewegung die Streitschriften und Unions-
verhandlungen zwischen Katholiken und Hussiten in den Jahren
1412 und 1413.
224. Im Archiv f. österr. Gesch. LXXV, 1 ff. veröffent-
licht A. Bachmann eine Abhandlung über 'die deutschen
Könige und die kurfürstliche Neutralität (1438—1447)', welcher
aus Dresdener Archivalien eine Anzahl wichtiger Urkunden
und Actenstücke beigegeben sind.
225. Im Archiv für Literatur- und Kirchengeschichte V,
Heft 2 publiciert P. Heinrich Denifle zahlreiche Acten-
stücke zur Geschichte der Universitäten im Mittel-
alter. Derselbe ediert im 3. Heft desselben Bandes einen
Katalog der Pariser Magister der Theologie des Carmeliter-
ordens und ein Verzeichnis der Generalcapitel desselben Ordens,
beide bis 1361. Derselbe erweist aus der Unterschrift einer
Predigt, die er abdruckt, dass Meister Eckehart 'von Strass-
burg ein Thüringer, aus Hochheim bei Gotha gebürtig war.
Franz Ehrle gab ebenda die interessantesten Partieen der
Acten des 1408 von Papst Benedict XIII. zu Perpignan
abgehaltenen Konzils heraus, die für die Geschichte des
grossen Schismas von bedeutendem Werth sind. 0. H.-E.
226. Im Archivio storico della R. Societä Romana XII,
63 ff. veröffentlicht E. Stevenson als Vorarbeit zu dem er-
sehnten 'Codice diplomatico di Roma' eine Anzahl bisher gar
nicht oder mangelhaft gedruckter Urkunden des Capitel-
archivs zu Velletri seit dem 10. Jahrh. Ebenda S. 199 theilt
de Rossi eine interessante Schenkungsurkunde über römische
Besitzungen an St. Donat von Arezzo (1051) mit.
227. In derselben Zeitschrift XII, 241 ff. giebt G. Levi
eine Anzahl von bisher unbekannten Urkunden heraus, welche
werthvoUe Aufschlüsse über die Thätigkeit des Cardinais U g o -
lino von Ostia in Toscana und der Lombardei seit 1217 bieten.
228. Im N. A. XIII, 245 ist v. Druffeis abfälliges Urtheil
über Pastors Geschichte der Päpste und die darin enthaltenen
Urkundenbeilagen erwähnt worden. Gegen diesen Angriff hat
sich Pastor in einem — auch separat versandten — Nach-
wort zum 2. Band seines Werkes (38 S.) vertheidigt und
manche Ausstellungen Druffeis widerlegt.
229. Die 'Romanischen Forschungen V, 1 enthalten von
O. Brenner eine auch für die Diplomatik interessante Ab-
624 Nachrichten.
handliing 'Ein Capitel aus der Grammatik der deutschen Ur-
kunden'.
230. Eine eingehende und sorgfaltige Untersuchung über
den Codex traditionum Odalberti (archiep. SaUsburg.)
veröffentlicht W. Erben in den ^Mittheilungen der Gesellschaft
für Salzburger Landeskunde, ßd. XXIX.
231. In der Ztschr. des Aachener Geschichtsvereins XI,
96 ff. veröffentlicht und commentiert H. Loersch ein Ver-
zeichnis der Einkünfte der Katharinen- Kapelle
beim Aachener Münster aus dem Ende des 14. Jhs., das
für die Geschichte Aachens im späteren Mittelalter werthvolle
Beiträge giebt.
222. In den Mclanges d'archeologie et d'histoire T. IX.
berichtet Paul Fahre über ein für die Geschichte des Kirchen-
staats sehr wichtiges Registrum curiae patrimonii
b. Petri in Tuscia, das 1354 geschrieben ist, aber z. Th.
auf ältere Aufzeichnungen zurückgeht. Die Rubriken des Re-
gisters und Regesten einzelner in demselben copierten Urkunden
werden mitgetheilt.
233. H. Markgraf und J. W. Schulte publicieren u.
d. T. 'Liber fundationis episcop atus Vratislaviensis'
(Breslau, Max & Co, 1889) aus einer Leidener IIs. ein bisher
unbekanntes Einnahmeregister des Bisthums Breslau aus dem
Anfange des 14. Jahrhunderts.
234. B. Haur('au hat im weiteren Verfolg seiner so sehr
verdienstlichen Untersuchungen über mittelalterliche Dichtungen
jetzt alle die ausserordentlich zahlreichen Stücke, welche in
Handschriften und Drucken dem h. Bernhard zugeschrieben
werden, einer scharfen Kritik unterzogen, wobei er zu dem
Resultat kommt, dass gar nichts davon mit Recht für ihn in
Anspruch genommen werden kann. Positiv aber ist die Fülle
literarischer Nachweise über alle hier behandelte Dichtungen
von grossem Werth. Der Titel ist: 'Des poemes latins attri-
bues ;i Saint Bernard' (Paris, KHncksieck 1890). W. W.
235. In den Travaux et memoires des facult(5s de Lille
T. 1 n, 3 (Lille 1889) beschreibt Paul Fahre eine interessante
Hs. der Stadtbibliothek zu Cambrai (n. 512 s, XII.), welche
nach den Briefen Ivo's von Chartres das zwischen 1140 und
1143 geschriebene Polyp ti cum des Benedictus, Canonicus
von St. Peter zu Rom, in weniger unvollständiger Ueberliefe-
rung bietet, als diejenige der bisher bekannten Hss. ist. Voll-
ständig mitgetheilt werden das 'Curiosura urbis regio-
num XIV. cum breviariis suis' und eine Reihe ausserordent-
lich merkwürdiger Aufzeichmmgen über römische Volksfeste
Nachrichten. 625
des Mittelalters. Bei dem Fest der Cornomanie wurden vom
Papst nicht unerhebliche Geldbeträge ausgetheilt, ein Brauch,
der unter Gregor VII. abkam, 'postquam expendium guerre
crevit'5 wenn Fahre annimmt, das ganze P'est sei damals ausser
Uebung gekommen, so folgt das aus den Worten des Textes
nicht und ist deshalb unwahrscheinHch, weil noch der Name
Innocenz II, unter dem Benedict schrieb, in die Hymnen ein-
gefügt ist. Sehr interessant sind die bei diesem und anderen
Festen gesungenen lateinischen und griechischen Früh-
ling slieder; die griechischen Texte hat Benedict in starker
Verstümmelung transscribiert , Fahre aber, wenigstens zum
grössten Theil, wiederherstellen können. Ein Lied der Schüler
um Mittfasten erinnert, worauf schon F. hingewiesen hat, an
unser 'Gaudeamus igitur'.
236. Von erheblicher Wichtigkeit für die Kritik der
Necrologien und Confraternitätsbücher ist eine Mün-
chener theologische Dissertation von A. Ebner: 'Die klöster-
lichen Gebetsverbrüderungen bis zum Ausgange des karolin-
gischen Zeitalters' (ßegensburg, Pustet 1890). Die den weit-
schichtigen und zerstreuten Stoff mit grosser Gelehrsamkeit
beherrschende Arbeit soll fortgesetzt werden; hoffentlich er-
halten wir bei der Fortsetzung ein Register der besprochenen
libri vitae, Necrologien u. s. w. , das man bei dem jetzt vor-
liegenden Theile ungern vermisst.
237. In den Mitth. des Instit. f. österr. Geschichtsforsch.
XI, 123 ff. giebt A. Schulte einige Berichtigungen und Er-
gänzungen zu Pipers Ausgabe der Verbrüderungsbücher
von St. Gallen und Reichenau, wobei er die Frage auf-
wirft, ob nicht einzelne Blätter des St. Galler Verbrüderungs-
buches anderswo, im Elsass, entstanden sind.
238. Im Archiv f. Österreich. Geschichte LXXV, 237 ff.
veröffentlicht B. Seh roll Necrologien des Capitels der
regulierten Chorherren von Gurk.
239. In den (belgischen) Comptes rendus des seances de
la Commission royale d'Histoire IV. serie, t. XVI, 283—371
veröffentlicht G. Gelliordts van Severen das Obituaire
de St. Donatien zu Brügge.
240. In der Deutschen Stenographenzeitung 1889 S. 280 f.
bespricht W. Schmitz eine Abhandlung von F. Ruess über
die ti ronischen Endungen als einen werthvollen Beitrag
zur Systemkunde der tironischen Noten. Sie ist enthalten im
Programm des Münchener Luitpoldgymnasiums für das Studien-
jahr 1888/89.
241. Mit Unterstützung der Berliner Akademie der Wissen-
626 Nachrichten.
Schäften hat W. Schmitz aus dem Leidener Cod. Voss. lat.
fol. 94 den ursprünglichen Text von Chrodegangs Regula
canonicorum herausgegeben. Der Anfang, der in der Hs. fehlt,
ist aus dem Abdruck bei Migne 89, 1097 ff. ergänzt, und die
Varianten eines zweiten Leidener Codex (Bibl. Publ. lat. 81),
der einen nur wenig interpolierten Text bietet, sind beigefügt.
Dem vorti-efflich ausgestatteten Abdruck (Hannover, Hahn 1889)
sind 17 Lichtdrucktafeln beigegeben, was um so willkommener
ist, da der Vossianus zu gutem Theil in tironischen Noten ge-
schrieben ist, welche, wie Schmitz bemerkt, 'in der ausführ-
lichen Gestaltung der titula mancherlei Neues darbieten'.
242. In der 'Geschichte der deutschen Kunst' (Grotescher
Verlag) ist die Malerei von Prof. Janitschek bearbeitet, mit
sehr eingehender Behandlung der Miniaturen in Handschriften,
erläutert durch zahlreiche Nachbildungen. Viele davon sind
Handschriften der 'Hamilton -Erwerbung' im Berliner Kupfer-
stichkabinet entnommen, die sich leider nicht mehr dort be-
finden; dazu gehört auch die oben S. 208 erwähnte n. 120 mit
AViedcrholurjg des dort besprochenen Bildes, Leider findet
sich da S. lo3 auch der Irrthura wiederholt, dass die Verse
an den Papst Alexander III. gerichtet wären, und der Ursprung
wird ohne Andeutung eines Zweifels nach Ottobeuern gesetzt.
Es gab aber mehrere Klöster, deren Schutzpatron dieser
Alexander war. W. W.
24'^. Alle für die Kedjiction des N. A. bestimmten
Sendimijeii bitten wir von Jetzt nh zu adressieren an Prof.
H. Bresslau, Strassburg i. K., Nicolansring 1.
Nachträge und Berichtigungen.
N. A. Xni, 358. Zu den 2 Versen 'Dum tua bursa' habe ich
ebenfalls eine andere Ueberlieferung gefunden in dem von E. Voigt heraus-
gegebenen 'Florilegium Gottingense' ('Romanische Forsch.' III, 286) n. 37:
'Cum tua bursa sonat, comitem te turbajcoronat;
Exhausto sonitu fies comes ipse tibi tu'.
p, 359. Ebendaselbst findet sich auch das Verspaar 'Si oecus
eecum' mit geringen Abweichungen n. 241 (p. 303) :
'Si cecus cecum conatur ducere secum,
Ambo iure cadunt, quoniam sine lumine vadunt'. E. D.
N. A. XIV, 255 Z. 3 : statt Lupicius 1. Lupicinus.
N. A. XIV, 286 N. 5 ist irrthümlich die Fortsetzung der Anmerkung
abgestossen worden: 'eins zu niedrig bezeichnet: LIII und LIIII statt
LIV und LV. Auch in dieser Hs. wird der IV. Brief durch 'item alia
epistola' eingeführt und durch 'explicit' beschlossen; wie in Cod. 5537
ist ferner neben der Nummer des letzten Briefes 'exempla epistolae' zu
finden, was, wie ich oben S. 278 N. 2 schon vermuthet habe, vielleicht
aus 'expliciunt epistolae' verschrieben ist'.
N. A. XIV, 291 N. 1 Z 5 1. 5537 statt 5587.
„ „ 305 Z. 4 1. 3887 statt 3886.
„ 307 N. 1 1. XXVII statt XXVIII.
„ „ 308 N. Z. 6 v. u. 1. 'in der Hs.' statt 'in den Hss.'
„ „ 310 Z. 3 V. u. muss die Klammer (J. -K. 946) vor » ent-
fernt und zwei Zeilen höher vor ^ eingeschaltet werden.
„ „ 311 N. Z. 6 V. u. 1. 'legaris' statt 'legabis'.
„ „ 319 N. Z. 1 V. 0. 1. 'den' statt 'dem'.
„ „ 321 N. 2 Z. 6 V. u. sind die irrthümlich wiederholten
Wörter: 'fehlt!). 623. 624. Dens te praestet incolumem,
frater carissime' zu streichen.
„ „ 323 N. 1. 'unter Vigilius mit 932' statt 'unter Johann II.'
„ „ 324 letzte Zeile 1. 891 statt 892.
„ „ 325 Z. 3 V. u. 1. 553 statt 533.
N. A. XV, 25 Z. 6 V. u. und S. 44 Z. 16 1. 2059 statt 2051.
„ „ 33 Z, 11 1. 'Johann X.' statt 'Johann IX.'
„ „ 34 N. 4 1. 'Johanns IX.' statt 'Johanns X.'
„ „ 42 Z. 19 1. 5247 statt 5147.
„ „ 47 Z. 9 1. 'Leo III.' statt 'Hadrian'.
„ „ 52 Z. 6 1. 'Johann IX.' statt 'Johann X.'
„ „ 74 N. 1 1. 794 statt 799.
„ „ 81 N. 2 1. 5350 statt 5050.
„ „ 253 N. 1 1. 'zuerst von Leo VII.' statt 'Leo VIII.'
„ „ 268 Z. 5 1. 'zweite' statt 'dritte'.
Register.
A.
Absalon von St. Amand 442.
Acta Nicolai Graniis G62 f.
Adahandschrift 435.
Adalbold von Utrecht 229.
Adam von Bremen 427.
Ademar von Chabannes 427.
Adoni.s Martyrologium 316.
Adso von Montier- en - Der 195.
Aedelwulf 228.
Aeneas Sylviu.s 424.
Albericus von Monte Cassino 221.
Alcuin 442,
Altfrid von Münster 194.
Amarcius 229. 435.
Andreas von Marchiennes 453 ff.
Annales Alamannici 32G; Altahenses
maiores 587 ft'.; Augienses 324 flf.;
Colonienses 329; Cremonenses
479; Egmundani 427; Einhardi
426; Ellwangenses 215; Foro-
inlienses 478 ff. 483 ff. ; Fuldenses
330. 424. 590 ff.; Hersfeldenses
329; Karolingische 616; Lau-
bienses327; Laureshamenses425;
Laurissenses 211. 426; Magde-
burgenses 300; S. Maximini 326;
Mettenses 310. 557 ff.; Neres-
heimenses 215; von Orvieto 215;
Prumienses 318 f.; Romaci 616;
Sangallenses maiores 328; Stabu-
lenses 318 f.; Veronenses et Man-
tuani 482; Xantenses 424.
Aunalista Saxo 296. 299.
Ansegisi Coli. Capit. 209.
Auso von Lobbes 194.
Apollo von Vilbel 216.
Arnulf von Mailand 192.
Astronom! Vita Ludovici Pii 207.
B.
Baudemund 441.
Benzo von Alessandria 617.
r.crnhard von Clairvaux 230.428.61 C.
624.
Bernold 210. 214.
Beschwörungsformel 604.
Bibliotheken s. Handschriften und
Catalogi.
Bibliotheksordnung aus Klosterneu-
burg 208.
Bonifatius 7.
Boso, Cardinal 616.
Brescia, Liber confraternitatis 231.
Breslau, Liber fundationis 624.
Breviarium monasterii cuiusdam S.
Alexandri 208. 626.
Brügge, Necrolog 625.
Buoncompagno aus Florenz 221,
Burchard, Notar Friedrichs I. 428.
— Vitzthum von Strassburg 428.
Burchard von Ursperg 616.
c.
Cantinelli, Petrus 480 ff.
Carmina Aedelwulf] 228 f.; ex mon.
S. Amandi 441 ; S. Bernhardi 624;
Bononiensia 435; Fulquini 442;
de pace Veneta 435; Pauli Dia-
coni 201 ; Romana 625; de hello
Saxonico 3. 5. 213; codicis Tu-
ricensis 396 ff. s. auch Versus.
Cassiodorus 3. 182 ff. 211. 614.
Catalogus archiepp. Rothomagensium
614.
Catalogi bibliothecarum medii aevi
210. 613.
ChrodegangiRegulacanonicorum626.
Chronica Aquileiensia 477 ff. ; reg.
Register.
629
Coloniense 428; Ebersheimense
621; Elwacense 215; fratris Mi-
norum Heinrici 428; Galfridi le
Baker de Swinburne 429; illorum
de lä Scala 478; imperatorum
Regiense 145; Marchianense 443.
452 if.; Sundense 618; Turonerise
195; Urspergense 618; Viterbi-
ense 215.
Chronik des Antonius Godi 479 ; des
Franciscus de Rivo 209 ; des
Jacobus Malvezzi 479; des Ro-
mano 479 f.
Chronographus Corbeiensis 370 if.
Claudianus 3.
Codex Carolinus 28 ff.
Codex traditionum Odalberti archiep,
Salisburg. 624.
Cola di Rienzi 221.
Colleetio Avellana221 ; Hispana313.
Colurabanus 485. 498 ff.
Compendium rerum Vicentiuarum
479.
Conciliorum acta 61 ff. 210. 275 ff.
314. 320 f. 444. 623.
Constantinische Schenkung 222. 620.
Curiosum urbis Romae 624.
D.
Damiani, Petrus 209.
Dante 216.
Desiderius von Cahors 7.
Desiderius von M. Cassino 195.
Deutsche Urkunden 623 f.
Dialogus super auctores s. Konrad
von Hirschau.
Dicta Merlini de primo Friderico
et secundo 145 ff. 174 ff.
Dietrich von Nieheim (Niem) 221.
429. 618.
Dino Compagni 428.
Diplomata s. Kaiserurkundeu.
E.
Ebulo, Petrus de, 387 ff.
Edictum Theoderici 6.
Edictus Rothari 217.
Egbert von Lüttich 229.
Einhardus 426, 616.
Ellwangen, Necrolog 215.
Enikel 5.
Ennodius 425.
Epistulae Äbsalonis de S. Amando
441^; Alcuini 442; Arelatenses et
Neues Archiv etc. XV.
Viennenses 7. 11 ff. 235 ff. 619;
Bonifatii 7; de caelo lapsae 602 ff,
619; Colae di Rienzi 221; Colum-
bani 499 ff. ; Desiderii Cadurcen-
sis 7; Gerberti 223. 619; Gui-
donis de Bazoches 620; Leodi-
censium ad Traiectenses 196; Na-
poleonis Ursiui 430; Lupi 442
Petri Candiani 209; Petri Dami
ani 209; Petri de Vinea 430
Sigewaldi Aquileiensis 442; Wi-
baldi Stabulensis 373 ff.; Wibert
Gemblacensis 429. 614; s. auch
Papstbriefe; Registrum.
Epternach, Necrolog 132 ff.
Ermenrich von Elwangen 215.
Eutropius 153.
Evangeliarium Atrebatense 232; der
Hamiltonsammlung 231; s. auch
436.
Exceptiones Petri 434.
F.
Fecunda Ratis 229.
Fillastre, Cardinal 429.
Flodoard 609.
Formularbücher, italienische 221 ;
Rudolfs von Habsburg 222.
Fortunatus s. Venantius.
Francesco di Andrea di Viterbo 215.
Fredegar 615.
Fulquin von St. Amand 441.
Fundatio mon. Oetenbacensis 216.
G.
Galfridus le Baker de Swinburne 429.
Genealogia Dagoberti 559 ff. ; Karo-
lorum 559 ff.
Gerbert 223. 619.
Gerlach von Mühlhausen 424.
Gesta Dagoberti 313. 317; Fran-
corum et Hierosolymitanorum 427.
616; regum Francorum 615.
Gestes des Chiprois 617.
Gislebert von Mons 215. 428.
Godescalci Vita S. Lamberti 315.
Godi, Antonius 480.
Gonzo 615.
Gregorius Turonensis 184.
Guido von Bazoches 620.
Guise, Jacques de 4. 439 ff. 446 ff.
Gurk, Necrolog 625.
41
630
Register.
H.
Handschriften von Bologna 481;
Brescia 479; Brüssel 614; Char-
tres 614; Cheltenham 424. 614;
der Sammlung Desnoyers 209;
Douai 442 f.; Gubbio 480 f. ; der
Hamiltonsammlung 231; Mailand
479 f.; St. Omer 443; Padua 478.
482; Stuttgart 209. 385 f.; Udine
478; Valenciennes 439 ff. ; Vene-
dig 477f. 483; Verona 479. 481 f.;
Vicenza 478.
Heitonis Visio VVettini 318.
Hermann von Reichenau 215.
Hersfeldische Historiographie 427.
Hieronymus 3. 232. 385.
Historia translationis coronae Do-
mini 479.
Historia Walciodorensis 622.
Hrotsuit 569.
Hugbaldi carmen de laude calvorum
441.
Hugo von Flavigny 12.
I. J.
Jacob von Mainz 618.
Jacobus Mulvezzi 479.
Jacques de Guiae 4, 439 flf. 444 f.
Inquisitionshandbuch 231.
Joachim von Fiore 144 0".
lohannes Biclarensis 210.
Johannes von Bologna 209.
Johannes von Cermenate 216.
lonae Vita S. Columbani 315.
lordanes 583 f. 616.
lotsaldus 117 fl\ 209.
Istorie Pistolesi 117 flf.
E.
Kaiserchronik 5.
Kaiserurkunden 3. 6. 136 flf. 209.
224 flf. 338. 358. 365 flf. 408. 425.
431 flf. 575 ff. 592 flf. 618. 621 flf.
Karolingische Annalen 616.
Konrad von Hirschau 425.
L.
Lambert von Hersfeld 213.
Legendae S. Francisci 597 flf.
Leges Alamannorum 3. 5. 218;
BurchardiWormatiensis 618; Bur-
gundionum 6 ; Romana Curiensis
6. 202. 218. 423; Wisigothorum
6. 218.
Lex legum breviter facta 217.
Liber cancellariae apostolicae 221.
417 flf.
Liber censuum ecclesiae Romanae
230.
Libri confraternitatum 625; Sangal-
lensis et Äugiensis 625 ; Brixi-
ensis 231.
Liber diurnus 219 f.
Liber fundationis ep. Vratislaviensis
624.
Liber pontificalis 312. 616.
Liber regiminum Paduae 482.
Liudprand von Cremona 424. 426.
Lupi epistolae 442.
M.
Mabillons Briefe 425.
Martin von Troppau 153. 482.
Martyrologium Ädonis 316.
Merlini dicta 145 flf. 174 flf.
Mlco diaconus 229.
Milo von St. Amand 7. 441.
Miracula S. Gengulphi 614; S. Lau-
nomari 441; S. Maioli 117; S.
Rictrudis 447 f.
Monachus Sangallensis 569.
N.
Necrologia 625; S. Donatiani Bru-
gensis 625; Elwacense 215; Ep-
ternacense 132 flf. ; Gurcen8e625;
mon. S. lohannis Bapt. in Veld-
kirch 385 ; Salisburgensis dioe-
cesis 7. 424; Tirolensia 425;
S. Vitoni Virdunensia 126 flf. 608 flf.
Nicolaus von Butrinto 429. 617.
Nicolaus Gramis 622 f.
Nicolaus von Jeroschin 385.
Nicolaus Smereghus 480.
Nithard 207. 569.
Notae Tironianae 602 flf. 625.
Notitiae S. Georgii inNigraSilva216.
0.
Odalbert von Salzburg, Codex tra-
ditionum 624.
Odilo von Cluny 117. 195.
Origo gentis Langobardorum 613.
Orosius 209.
Otackers Reimchronik 5,
Othloh von St. Emmeram 336 flf.
Ottonianum Privilegium eccl. Ro-
manae 575 flf.
Register,
631
P.
Padua, Liber regiminum 482.
Papstbriefe und -Urkunden 7. 23 fif.
187 ff. 203 ff. 209. 223.225.313.
385. 430 ff. 479. 593 ff. 619 ff.
s. auch Eegistrum.
Parisius von Cereta 482.
Passio S. Salvii martyris 441.
Paul von Bernried 427.
Paulus Diaconus 199 ff. 211. 585 f.
615.
Petrus Candiani 209.
Petrus Cantinelli 480 ff.
Petrus Damiani 209.
Petrus de Ebulo 387 ff.
Petrus de Vinea 430.
Philippe de Novaire 617.
Pippinische Schenkung 223.
Planctus lotsaldi 117. 121. 209.
Polypticum Benedicti Romani 624;
Marchianense 443. 461 ff.
Professio fidei Bonifatii VIII. 430.
Prora et Puppis 229.
R.
Rangerius von Lucca 426.
Recognitiones S. Clementis 386.
Rechnungen des päpstlichen Hofes
230 ; des Halberstädter Dombaus
231.
Reeser Stadtrecht 619.
Regesten des Kaiserreichs 433. 621 ;
andere 433 f.
Reginbert von Reichenau 229.
Regino von Prüm 5. 296 ff. 386.
Registrum Clementis V. 223; Gre-
gorii I. 7. 207. 222. 409 ff. 529 ff.
600 f.; Gregorii VII. 35 ff.; Ho-
norii IV. 223; Urbani IV. 223.
Registrum curiae patrimonii Tusciae
624; proventuum Balduini Treve-
rensis 230; proventuum S. Catha-
rinae Aquensis 624.
Riccobaldus Ferrarieusis 482.
Rienzi 221.
Rodulfus Glaber 212.
Romano, Chronik des 479 f.
Rouen, Erzbischofskatalog 614.
Rudolfi et Meginhardi Translatio
S. Alexandri 207,
Rudolf Losse 434.
S.
Sächsische Stadtbücher 219.
Salimbene 144 ft'. 216.
Schwabenspiegel 219. 385. 434,
Scriptores historiae Augustae 210.
Sedulius Scotus 232.
Sibyllae 145 ff.
Siegel 228. 434, 622,
Sigebotonis Vita Paulinae 427.
Sigewald von Aquileja 442,
Statuta ord. Cisterciensium 209,
Sulpicius Severus 194 ff.
Summa notariae 209,
SyUabus potestat. Veronens. 479 f.
Synodalacten s. Conciliorum acta.
Syri Vita Maioli 17.
T.
Tertulliauus 425,
Thegan 207.
Thietmar von Merseburg 3. 5. 207.
Tolosanus 480 f.
Translatio S. Alexandri 207; S. Dio-
nysii 333 ff.; S. Eugenii 592 ff.;
S. lonati 443. 447 ff,; S. Sebasti-
ani 195.
Troparium Prumiense 232.
Trostbrief für in den Krieg Ziehende
605.
Tyrol, Necrologien 425.
u.
Universitäten 231. 435. 623.
Urkundenbücher und -Sammlungen
225 ff. 385. 424. 430, 433 f. 622 ff.
V.
Vaticinia Sibyllarum 145 ff,
Veldkirch, Necrolog 385.
Venantius Fortunatus 211. 434 f,
Verba Merlini s. Dicta,
Verdun, Necrolog 126 ff, 608 ff.
Versus in S. Alexandrum 208; in
Fridericum imperatorem394; Gui-
berti Gemblacensis 614; inS.Odi-
lonem 121 ff.; Treverenses 303;
Vulfagi 441; in S. Wulframmum
444; s, auch Carmina.
Victor Tunnunensis 210.
Vinea, Petrus de 430.
Vincentius Pragensis 424,
Visio Wettini 318,
Vita Albini et Paterni 318; Alde-
gundis 441; Amandi 441; Amantii
41*
632
Register,
614; Amati 454; Ansberti 443;
Anselmi Lucensis 426 ; Anskarii
etRimberti 424; Arnulfi 315. 431 ;
Audomari 444; Austrebertae 195;
Autberti 443. 469; Basoli 195;
Bavonis 441 ; Blandini 614 ; Colum-
bani 614; Dagobert! III. 557 ff.
EHgii 317; Emmerammi 614
Forananni 622; Fridolini 425
Gaugerici 614 ; Gerardi 385.592 ff.
Gildardi Eothomagensis 614
Goaris 315; Gregorii VII. 429
Gregorii IX. 428; Hadriani I
Nonantulana 219; Hariolfi 215
Hugonis Gratianopolitani 441
Humberti Maricolensis 441; Lam-
berti 315; Launomari 441; Leo-
nis IX. 427; Liudgeri 194; Lupi
317; Maioli 117; Martini 318;
Odilonis 117 ff.; Odonis Clunia-
censisl06ff. ; PauliDae427; Petri
abb. Cluniac. 195; Petri Tarant.
444; Salabergae Laudun. 195;
Severini 318; Theodori 318; Urs-
mari 194; Vedasti 318; Walfridi
318; Wilfridi 195; Winoci 444;
Winwaloei 614; Wulframmi 443.
W.
Wandalbertus 316.
Wazo von Lüttich 229.
Weihenotizen von St. Maximin 212.
Wibald von Stablo 373 ff, 622.
Wibert von Gembloux 429.
Wibert von Toul 427.
Widukind 565 ff.
Wipo 427. 428.
->^eG^c-
DD Gesellschaft für nter^
2 Deutsche Geschichtsloinde zur
G32 Beförderung einer Gesarnni-
Bd.l5 tausgabe der Quellenschriften
Deutscher Geschichten des
Mittelalters
Neues Archiv
PLEASE DO NOT REMOVE
CARDS OR SLIPS FROM THIS POCKET
UNIVERSITY OF TORONTO LIBRARY
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