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Berlin.
Gedruckt bei Julius Sittenfeld
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Frau Paula Dolberg.
Frau von Brühl, deren Mutter.
Herr von Teppin.
Tucie von Leppin. 5
Anton Meerveld, deren Bruder.
Frau von Heide.
Alma, deren Tochter.
Frau Schwarzenbeck.
Ulrich Eckard.
Felir Eckard, deſſen Bruder.
Oskar, des Letzteren Sohn.
Arenberg.
Müller, Reſerveleutnant.
Frau Molly Berger.
Küthchen, deren Nichte.
Fräulein Hannchen.
Frau Regine, Ulrich Eckards Haushälterin.
Wiencke, ein Arbeiter.
Ein Diener der Frau Paula Dolberg.
Ein Diener Ulrich Eckards.
Herren und Damen. Diener.
Die Handlung ſpielt in der Gegenwart, in der Hauptſtadt.
Anmerkung. Paula ijt einige dreißig, Molly einige vierzig Jahre
alt gedacht; Ulrich Eckard höchſtens fünfundvierzig.
Meerveld iſt zu ſprechen: Meerfeld.
Der Verfaſſer hat auf ein natürlich-raſches Tempo, wo es
angeht, gerechnet; er erſucht die Herren Bühnenleiter und Regiſſeure
angelegentlich und herzlich, in dieſem Sinne auf die Darſtellung ein—
zuwirken.
Erſter Aufzug.
Saal in der Wohnung der Frau Paula Dolberg. Reiche und geſchmack—
volle Ausſtattung. Rückwärts ein kleinerer Saal, durch offene Thüren mit
dem vorderen verbunden; an der Hinterwand des kleineren Saals der
Eingang vom Vorplatz. Vorne rechts Eingang in ein Spielzimmer,
durch einen ſchweren Vorhang geſchloſſen; links Mitte eine Thür zu
anderen Geſellſchaftsräumen, mit geöffnetem Vorhang. Alles iſt feſtlich
erleuchtet.
Erſter Auftritt.
Paula, Frau von Brühl, Frau von Heide, Frau Schwarzenbeck, Fräulein
Alma, Fräulein Hannchen, Meerveld, Arenberg, Oskar und andere
Gäſte; Lucie von Leppin. (Die Geſellſchaft iſt im vorderen Saal ver—
ſtreut, ſtehend oder ſitzend, plaudernd. Lucie tritt eben von rückwärts
in den hinteren Saal, kommt dann nach vorne.)
Paula (zu Meerveld). Ah, da kommt Ihre Schweſter.
(Geht ihr entgegen.) Guten Abend, liebe Lucie.
Lucie. Es iſt wirklich komiſch, wie oft ich mich ver—
ſpäte. Ich wollte eine Stunde früher — — unterbricht ſich,
Paulas Anzug muſternd.) Ah! Heute wollen Sie einmal durch
Einfachheit glänzen. Aber wie poetiſch. Eine griechiſche
Göttin —
Paula. Spotten Sie doch nicht. Neben Ihnen ſeh'
ich heute aus wie Aſchenbrödel. Dieſe Pracht! Wie eine
Königin!
Lucie. Nein, ſagen Sie das nicht; ich komme mir
neben Ihnen ſo überladen vor. Das einfach cremeweiße
Kleid, der goldene Gürtel, die Sappho-Friſur . . . Exquiſit!
(lächelnd, mit verhaltenem Groll) Sie ſind recht perfid, Paula:
immer eine Ueberraſchung, durch die Sie uns Andere ſchlagen!
Paula. Um Gottes willen; ich will niemand ſchla—
gen; ich will nur an meinem Mittwoch zufriedene Gäſte
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haben, denen bei mir wohl wird. (zu Frau von Brühl) Liebe
Mutter, da iſt ſie, du kannſt ſie nun ausfragen.
Frau von Brühl. Meine liebe Frau von Leppin,
wollen Sie ſo gut ſein und mir über den geplanten Wohl—
thätigkeits-Bazar etwas Auskunft geben?
Lucie. Ach du lieber Gott! Nach ſo langweiligen
Dingen müſſen Sie meinen Mann fragen. Er wird auch
noch kommen; ſpäter; wie gewöhnlich. (Wendet ſich zu Frau
von Heide und Frau Schwarzenbeck, beginnt mit ihnen zu plaudern.)
Alma (vorne ſeitwärts, halblaut zu Meerveld). Ach ja, Ihre
Schweſter hat Recht: Frau Dolberg iſt wieder am reizendſten
gekleidet; ſo diſtinguirt. Finden Sie nicht auch?
Meerveld (balblaut). Ihre Bemerkung iſt rührend
neidlos, Fräulein Alma; aber ich bin nicht Ihrer Anſicht.
Alma. Warum nicht? — Ach ſo! Sie meinen, Ihre
Schweſter —?
Meerveld. Nein, ſo ein Familien-Vorreiter bin ich
nicht. Lucie ſieht pompös aus, und Frau Paula klaſſiſch;
aber beiden Toiletten fehlt doch etwas; ſehen Sie das nicht?
Alma. Nein, ich wüßte nicht.
Meerveld. Sie haben es, Fräulein Alma.
Alma (jieht an ſich hinunter). Wo denn?
Meerveld. Ueberall. Die Jugend. Meine Schweſter
und Frau Paula ſind in den „beſten Jahren“; damit meint
man die minder guten. Eine reife Frau, eine reife Witwe;
alle Achtung; aber ich ziehe doch Ihre Toilette vor, Fräu—
lein Alma. Sie ſind hier Schneewittchen!
Alma (ihre Freude zu verbergen ſuchend). Ich weiß, Sie
ſagen das nur, um mich in Verlegenheit zu bringen und
dann zu verſpotten; denn ſo ſind Sie immer. Jugend!
Auch junge Hunde ſind jung!
Meerveld. Auch menſchliche Säuglinge; aber die
mein' ich nicht. Ich meine die ſchönſte Jugendblüthe eines
ſchönen Mädchens, und zwar eines ganz bejtimmten;
und ich bitte Sie, mir nicht mehr zu widerſprechen.
Alma Cut zu lächeln). Dann will ich des lieben
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Friedens wegen ſchweigen — und ſo thun, als glaubte ich
Ihnen. (für ſich) Ob er es wirklich ſo meint? — Ach,
das weiß man nie!
Meerveld. Sehen Sie, Fräulein Alma: ich gelte
für einen herzloſen Spötter, weil ich nicht ſentimental bin
und gern meine Witze mache; aber wie mein großes Vor—
bild Heinrich Heine hab' ich doch auch ein Herz — das
„dem Meere gleicht“ und ſo weiter — und es gehn darin
Dinge vor, von denen ſo eine ſanfte Mädchenſeele keine
Ahnung hat. Sie denken vielleicht, Meerveld kann nicht
lieben; aber wie ſagt Heine?
„Ich hab' mit dem Tod in der eigenen Bruſt
„Den ſterbenden Fechter geſpielet“ —
(Er ſieht ihr dabei feſt in die Augen; Alma, mit ihrer Bewegung
kämpfend, wendet ſich endlich ſeitwärts.)
Paula chat inzwiſchen mit den andern Frauen geſprochen).
Nun, da werden wir Herrn Meerveld fragen; der weiß
ja von Allem. Herr Meerveld!
Meerveld. Zu Befehl! (leiſe zu Alma) Ich hab'
Ihnen noch viel zu ſagen ... (Geht von ihr hinweg zu den
Frauen.) Womit kann ich dienen?
Lucie. Iſt es wahr, Bruder, daß die kleine Fried—
land, die ſchwarze, die kokette, ſich mit Bankier Lohmann
verlobt hat?
Meerveld. Er mit ihr, das weiß ich; aber ob auch
ſie mit ihm, das iſt mir noch unbekannt. Meine Damen,
da müſſen Sie die große Brautmutter fragen, die All—
verloberin! Ä
Frau von Brühl. Wen meinen Sie damit?
Meerveld. Nun, die Allerweltstante; die ſogenannte
Tante Molly. „Wo ſtill ein Herz in Liebe glüht“, da iſt
ja Tante Molly dabei. Wo noch keines glüht, da macht
ſie den Bolzen heiß. Die wird's doch wohl wiſſen!
Paula (ruhig ernſthaft) . So müſſen Sie von Tante
Molly nicht reden, Herr Meerveld. Die iſt eine Frau,
wie Sie keine zweite kennen. Für Ihre kleinen Scherze iſt
die Frau zu gut. 8
Meerveld (eine gereizte Bewegung unterdrückend). Ich
beuge mich in Ehrfurcht; erlaube mir aber doch unmaß—
geblich zu bemerken, daß ſie von aller Welt die Aller—
weltstante genannt wird — alſo doch wohl mit Recht. Da
es ſich aber bei ihren ſogenannten Nichten gewöhnlich um
Verlobung handelt, ſo habe ich mir erlaubt, ſie die
„Allverloberin“ zu nennen; alſo doch wohl auch mit Recht.
Bei Verlobungen Beiſtand leiſten wird ja auch durch keinen
Paragraphen des Strafgeſetzbuchs verfolgt —
Paula. Sie wiſſen offenbar nicht, warum die Frau
jo geliebt wird. Ich nenne ſie auch „Tante Molly“; ich
denke aber durchaus nicht mich nochmals zu verloben. Wir
hängen ſo an ihr, weil ſie für Jede von uns ein ſo
goldenes Herz hat — |
Hannchen (Hat fih während der letzten Reden mit Alma und
andern jungen Mädchen um Meerveld herumgeſtellt; eifrig, erregt). Und
wir lieben ſie alle, unſre Tante Molly — und wenn es
keine Männer gäbe, würden wir ſie darum nicht ſo viel
weniger lieben —
Alma. Wir vergöttern ſie!
Die anderen jungen Mädchen (erregt durcheinander).
Wir laſſen ſie nicht angreifen! — Wir leben und ſterben
für die Tante Molly!
Meerveld (Hält ſich ſcherzend die Ohren zu). Wenn die
Damen fertig ſind, bitte ich um's Wort. (Läßt feine Ohren
frei.) Großer Gott! Auf ein ſo gefährliches Weſpenneſt
war ich nicht gefaßt. Vor ſolchen Neſtern, meine Damen,
müßten Warnungstafeln aufgehängt werden —
Paula. Das geſchieht auch, Herr Meerveld. Sie
haben ſie nur nicht geſehn.
Meerveld. Wo befindet ſich dieſe Warnungstafel,
wenn ich fragen darf?
Paula. Auf dem guten Geſicht unſerer Tante Molly.
Mit großer, deutlicher Schrift!
Meerveld. Ich werde alſo künftig zum Monocle
greifen, wenn ich das „gute Geſicht“ der Tante Molly
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anſehe. (im Kreis der jungen Damen umherblickend) Das hoch⸗
verehrte Weſpenneſt wird mir aber wohl die devoteſte Be—
merkung geſtatten, daß dieſe allgemeine Muſtertante doch
auch ihre — nun, ſagen wir: ihre Eigenthümlichkeiten
hat —
Hannchen. So? Welche, welche?
Meerveld. Erſtens — wenn Grobſein eine Tugend iſt,
ſo iſt fie ſehr tugendhaft; mehr als alle Damen zuſammen⸗
genommen, die ich das Glück habe zu kennen. Zweitens
erzählt ſie gern Geſchichten, aber die der andern: Jemand
fängt eine Anekdote an, ſie kennt ſie — natürlich, denn ſie
kennt alle Anekdoten der gemäßigten Zone — was thut
ſie? Mit einem geſchickten Griff wirft ſie den Erzähler
aus dem Sattel, ſchwingt ſich ſelber hinein und erzählt die
Geſchichte zu Ende. (zu Paula) Erlauben Sie: darum
ſollte man noch eine Warnungstafel aufhängen, in der
Nähe des „guten Geſichts“: „Fange keine Anekdoten an,
hier kommt Tante Molly!“ (Lucie, Frau Schwarzenbeck und die
jungen Männer lachen.)
Paula. Das iſt gewiß eine kleine Schwäche; aber
doch ſo unſchuldig —
Hannchen. Und ſie erzählt die Geſchichten ſo gut,
wie keiner von den Andern!
Die jungen Mädchen durcheinander). Und das iſt
die Hauptſache! — Und es lebe Tante Molly!
Meerveld (nachdem er ſich wieder die Ohren zugehalten).
Meine Damen, ich werde alſo nichts mehr ſagen, ſondern
mir nur noch was denken. Oder iſt auch das in der
Nähe dieſes hochverehrten Weſpenneſtes verboten? Ich
fühle mich ſchon ähnlich eingeſchüchtert wie mein kleiner
Neffe, der ein fünfjähriger Knirps war, als er (auf Lucie
deutend) mit meiner Schweſter und mit dieſer Tante Molly
zum erſten Mal in eine katholiſche Kirche kam. Eine Weile
ſah er ſich die leere, ſtille, feierliche Kirche in feierlichem
Schweigen an —
Zweiter Auftritt.
Die Vorigen; Tante Molly (iſt ſchon etwas früher von rückwärts in
den hinteren Saal eingetreten, ſteht jetzt auf der Schwelle zwiſchen
beiden Sälen; hinter ihr folgt) Käthchen.
Alma (halblaut). Da iſt Tante Molly!
Molly. Ja, ich war dabei; ein allerliebſtes Kinder⸗
geſchichtchen. Endlich zupft er ſeine Tante am Arm und
flüſtert mit ſeinem zwitſchernden Stimmchen: „Tante Lucie,
darf man hier etwas Drolliges denken?“ (Allgemeiner, lauter
Ausbruch der Heiterkeit. Molly blickt die Geſellſchaft verwundert an,
tritt näher.) Ja, iſt denn das ſo komiſch? Ich finde es
mehr rührend als komiſch —
Lucie. Entſchuldigen Sie, meine Gute: wir lachen
nicht über die Geſchichte, ſondern über Sie.
Meerveld. Ich hatte mir eben erlaubt, zu bemerken,
daß Sie gern fremde Geſchichten annektiren —
Lucie. Und mit dem bekannten Talent haben Sie
das ſogleich beim Eintreten gethan!
Molly (ruhig). Na ja, natürlich: Herr Meerveld iſt
ja gar nicht im Stande, einen fünfjährigen Jungen in einer
Kirche zu ſprechen. Guten Abend, Paula. Allerſeits guten
Abend. Ich hab' mich mit Käthchen unterwegs verſpätet;
es war eine gar zu traurige, rührende Geſchichte!
Meerveld. Eine Anekdote, wenn ich fragen darf?
Molly. Ach, gehn Sie mir mit Ihren „Anekdoten“;
Sie haben ja gar nicht Spriet genug im Kopf, um mich
lächerlich zu machen. (mehr zu den Andern gewendet) Vor
dem Kriminalgericht, oder wie das Ding jetzt heißt, hatte
ſich ein ganzer Haufe Frauen und Kinder verſammelt; zum
Theil die richtigen Schmierfinken, aber auch ein paar aller⸗
liebſte Rothkäppchen dabei; — nach Beefſteak und Pudding
ſahen ſie alle nicht aus. Ich gab den Rothkäppchen was,
da erzählten die Alten mir: ihre Männer ſind heut im
Schwurgericht verurtheilt, ſie haben bei dem großen Strike
einen boͤſen Krawall gemacht, auf die Polizei mit Steinen
geworfen —
Käthchen. Auch mit Stöcken geſchlagen —
EN.
Molly (mit einer entſchiedenen unterbrechenden Geberde). Mein
gutes Kind, meine Geſchichten erzähle ich allein! — Auch
mit Stöcken geſchlagen; — kurz, ſie müſſen brummen. Die
Frauen mit den Kindern wollten nun dieſe Uebelthäter noch
einmal ſehn; aber es hieß dann: ſie ſind ſchon fort. Da
verfielen ſie denn in ein allgemeines Schluchzen; und ich
fragte ſie: wovon lebt ihr denn, wenn eure Männer ſitzen?
— Dh! ſagten die Frauen und ſchluchzten noch eine Strecke
weiter; aber ſo ein nettes, naſeweiſes Ding von zehn, elf
Jahren, dünn und lang aufgeſchoſſen, die ſagte ſo im leiſen
Weinen: „Die Männer, die ſie verurtheilt haben, daß ſie
ſitzen müſſen, das ſind nicht alles böſe Männer, es ſind
auch gute darunter; und die haben Geld geſammelt, davon
ſollen wir leben!“ — — Kurz — (in unterdrückter Bewegung
lächelnd) die Pointe von der Geſchichte iſt, daß wir recht
abgebrannt herkommen; (zu Paula) leih mir zwei Mark, nach—
her für die Droſchke. Mein letztes Zweimarkſtück wollt' ich
eigentlich behalten; dann gab ich es aber doch noch hin
und ſagte: Dafür kauft Seife für euch alle, zum Abſeifen!
Meerveld (mit kühlem, ſpöttiſchem Lächeln). Diele Ges
ſchichte iſt gewiß ſehr rührend — und am Schluß ſehr
reinlich; ich kann Ihnen dazu die Ergänzung und den
Schlüſſel geben, denn ich hab' einen Theil davon ſelbſt mit
angeſehen. Ich war heute dabei, als die Kerle verdonnert
wurden —
Molly. Sie waren im Schwurgericht?
Meerveld. Ja; wohl ein paar Stunden lang. Ich
wollte mir doch einmal dies Geſindel anſchauen, das uns,
weil wir Geld haben, maſſacriren möchte und die ganze
Geſellſchaft auf den Kopf ſtellen will! — Es kam dann
aber anders: ich hab' weniger dieſe Steinwerfer als die
Geſchworenen angeſehn — oder vielmehr ihren Ob—
mann; eine wunderbare Pflanze. Mir wird immer nicht
gut, wenn ich den zu Geſicht bekomme —
Lucie. Wer war's denn?
Meerveld. Nun, der große Mann, der Menſchen—
freund — der Herr Eckard. Der da draußen die große
Fabrik hat — Maſchinen — und außerdem einen Sack
— ae
Geld — und jtatt des Gehirns noch ein Herz, wie mein
Freund Landauer ſagt. Ich hatte keine Ahnung, daß der
große Mann die Sache ſo komiſch beenden würde: denn
er ſaß furchtbar ernſt und bedeutend da — als wäre er
der Gerichtshof und die Geſchworenen alles in Einer
Perſon —
Paula. Ich bitte, Herr Meerveld, laſſen Sie Ihrer
guten Laune nicht zu ſehr die Zügel ſchießen. Es ſind hier
Leute, die dieſen Herrn Eckard hoch ſchätzen —
Käthchen (halblaut). Und da ſteht ſein Neffe. (Deutet
nach hinten, ſeitwärts, auf Oskar, der, an dem Geſpräch nicht theil—
nehmend, ſcheinbar in ein Photographien-Album vertieft, Paula oft und
mit ſichtbarer Bewunderung betrachtet.)
Meerveld. Ich bin heute offenbar dazu angeſtellt,
in Weſpenneſter zu ſtoßen! — Richtig, Herr Oskar
Eckard . .. (Oskar, ſeinen Namen hörend, horcht auf, tritt näher.)
Ein Mißverſtändniß, Herr Eckard: ich rief Sie nicht, ich
nannte nur Ihren Namen. Alſo Ihr Onkel, der alte
Eckard, den wir ja alle hochſchätzen — für ſein vieles
Geld und auch für ſein großes Herz — er ſaß da
wie ein alter Römer; wie der Caſſius oder Brutus, der
ſeine eigenen Söhne verurtheilte; mit jeder Minute wurde
er um einen Schatten düſterer und um einen Straftag
ſtrenger. Ich war wie hypnotiſirt, mußt' ihn immer⸗
fort anſehn; endlich kriegt' ich das Lachen — — bitte
tauſendmal um Vergebung; wir ſchätzen ihn ja alle!
Die Verhandlung war aus, die Geſchworenen zogen ab,
zur Berathung; und ich aß Chofolade. Als ſie wieder:
kamen, tritt Herr Eckard als Obmann vor, noch um eine
Nuance verdüſtert; aber er hatte zugleich ſo etwas wie
Niobe in ſeinem verſteinerten Geſicht. Ich erſchrak ordent—
lich, als dieſe Statue den Mund aufthat und zu reden an—
fing; es kam aber auch heraus, wie wenn ſeine Zunge von
Erz wäre: alle Angeklagten ſchuldig! alle! — — Aber,
meine Herrſchaften, was geſchieht darauf? Das erräth kein
Menſch! Während der Gerichtshof ſich zurückzieht, über
das Strafmaß zu berathen, wendet ſich Herr Eckard an
ſeine Kollegen, die Geſchworenen, und fängt an zu ſammeln;
il
für wen ſammelt er? Für die Verurtheilten; das heißt,
für die Frauen und Kinder . .. Da fiel mir doch wieder
ein, was mein Freund Landauer über ihn geſagt hatte —
obwohl wir alle ihn hoch ſchätzen — und ich machte, daß
ich wieder an die freie Luft kam ... (zu Molly gewendet)
Und nun haben Sie den Schlüſſel zu Ihrer rührenden
Geſchichte mit der grünen Seife!
Oskar. Ich kann Ihnen nicht verwehren, Herr Meer—
veld, das Benehmen meines Onkels etwas — ſonderbar zu
finden; nur weiß ich nicht, warum Sie in dieſem Ton —
Molly. Mein guter Oskar, das ſollten Sie doch
wohl wiſſen: Herr Meerveld hat nur dieſen einen Ton,
alſo ſpricht er in ihm. Was ſoll er denn anders thun?
Meerveld. Gnädige Frau, ich glaube, Sie miß—
brauchen ein bischen die Vorrechte Ihres Geſchlechts
Molly. Ich glaub's nicht, Herr Meerveld. Sobald
Sie einmal über eine ernſte Sache ohne alle Späße ſprechen,
werd' ich ebenſo ehrlich ſagen: Herr Meerveld hat zwei
Töne! (zu Oskar) Uebrigens, wieſo „ſon derbar“? Was
iſt dabei ſonderbar, junger Herr, daß Ihr Onkel die Kerle
verurtheilt und für ihre Familien ſammelt? Sie haben in
der Leidenſchaft große Dummheiten gemacht — die Kerle,
mein ich — dafür müſſen ſie ſitzen; und weil das eine ſehr
ernſte Sache iſt, jo ſah Herr Eckard senior ſehr ernſt dabei
aus; das hätte ich auch gethan. Aber ſie ſind unſchuldig
und ſollen nicht verhungern — die Frauen und die
Würmer, mein ich — darum muß man ſich ihrer an—
nehmen; und weil das eine reine Menſchenſache iſt, ſo hat
Herr Eckard den Richter ausgezogen und den Menſchen an
— das hätte ich auch gethan! (zu Meerveld) Uebrigens
können Sie ſich heute durch den alten „Brutus“ noch ein—
mal Hypnotifiren laſſen: er kommt ſelber hierher. -
Oskar (überrajht). Wie? Mein Onkel?
Paula. Herr Eckard? — Wirklich, Tante Molly?
Molly (nid). Er hat mir's geſchrieben. Ich hatte
ihm gemeldet, daß Du ihn gern einmal ſprechen würdeſt;
und heute Abend wäre Dein Empfangstag. Darauf kam
ein Billet von ihm: „Alſo gut, ich komme. Eckard.“
Meerveld. Kurz wie ein Spartaner!
Lucie. Ich kann es noch gar nicht faſſen, meine
Damen: Herr Eckard giebt uns die Ehre. Der Herr iſt
ſonſt ſo abwehrend und ſo menſchenſcheu —
Molly. Menſchenſcheu wohl nicht; aber leute—
ſcheu. Unſern Jourfixes und Routs und Diners geht er
aus dem Wege, da ſind zu viel „Leute“. Die Menſchen
hat er ſehr gern!
Lucie (gezwungen lächelnd). Wirklich, ich muß ſagen,
gnädige Frau, mein Bruder hat Recht: Sie ſind manch—
mal reichlich grob. Sie befinden ſich doch eben auf ſo
einem „Jourfixe“ .. . Uebrigens, was Sie mit Ihrer
ſchon bekannten Unterſcheidung von „Menſchen“ und „Leuten“
eigentlich ſagen wollen, das verſteh' ich nicht recht!
Molly. Nun, je nachdem. Auf unſere Kreiſe an—
gewendet mein ich mit „Leuten“ Solche, die nur etwas
haben, und mit „Menſchen“ Solche, die auch etwas ſind.
Das iſt meine Logik; wenn Sie eine andere haben —
Paula (legt ihr ſcherzend und zart die Hand auf den Mund).
Um Gottes willen keine Logik, Tante Molly! (für fi, raſch)
Sie wird wirklich zu grob. Ich werf ihr eine Anekdote
hin, um ſie abzuſteuern! (laut) Meine Herrſchaften, bei
„Logik“ fällt mir der Brief eines kleinen Provinzſchuſters
ein, den mein Bruder Alfred bekam, als er noch ein grüner
Junge und bei der Landwirthſchaft war. Er hatte ſeine
Stelle gewechſelt, ohne vorher den Schuſter zu bezahlen
oder ihm ſonſt eine Kunde von ſich zu geben; darauf erhielt
er folgenden Brief —
Molly. Ja, einen gelungenen Brief! Der Schuſter,
der offenbar ſo langſam ſchrieb, daß ſeine Gedanken nicht
ſo lange warten konnten, begann mit folgendem Satz:
„Geehrter Herr! Wenn ich einen Ort verlaſſe — ſo müſſen
Sie mir doch wenigſtens melden — wo ich geblieben bin!“
(Lachen der Geſellſchaft. Molly zu Paula, ihre Wange ſtreichelnd)
an)
Verzeih; es war Deine Geſchichte. Du biſt eine prächtige
Frau, aber Anekdoten erzählſt Du nicht gut!
Paula (ihr das Streicheln zurückgebend, lächelnd). Ich fühle
mich durchaus nicht gekränkt. — Meine Herren und Damen,
nun aber, bitte, auf zur Muſik! (Sie deutet nach links.) Fräulein
Käthchen will uns etwas ſingen, und Herr Arenberg will
begleiten. Nach der Muſik bekommen Sie auch zu eſſen
und zu trinken. Bitte, treten Sie an!
Arenberg (zu Käthchen). Erlauben Sie, mein Fräu⸗
lein: ich führe Sie zum Klavier. (Giebt ihr ſeinen Arm.)
Meerveld (leije zu Lucie, während die Geſellſchaft ſich nach
links entfernt). Mit Tante Molly werde ich noch abrechnen;
wir ſind noch nicht fertig —
Lucie (leiſe). Wir auch nicht! Ich ſchreibe an! (Beide
ab nach links. Nur Molly und Alma ſind noch auf der Bühne; Alma
hält Molly zurück.)
Alma (cchüchtern, zärtlich). Ach bitte, Tante Molly,
bleiben Sie noch einen Augenblick. Oder — wollen Sie
doch lieber hören, wie Käthchen —
Molly. Ihren Schumann ſingt? Das hör' ich ja
alle Tage. Und dann iſt Käthchen meine Blutsnichte, Sie
ſind eine Wahlnichte. Da bin ich immer auf dem Platz,
wie die Feuerwehr. Nu, was giebt's denn, Kind?
Alma (verlegen). Geben? Geben gar nichts. Ich wollt'
Sie nur — fragen, Tante Molly, ob Sie über dieſen Herrn
Meerveld auch jo empört ſind wie ich; (weicher, den Thränen
nahe) ob es Ihnen auch ſo leid thut, daß er das Witzeln
gar nicht laſſen kann und Einem dann ſo kalt, ſo lieblos
vorkommt — jo — Verſtummt.)
Molly (für ſich). Aha! (laut, ruhig) Nu, er iſt ja noch
jung; noch nicht dreißig, glaub' ich. Da ſpielt man noch
gern mit ſeinen Witzen, wie kleine Mädchen mit Puppen.
(indem ſie Alma heimlich beobachtet) Das thut nichts; darum
kann man doch das Herz auf dem rechten Fleck haben.
Ich war auch mal witzig!
Alma. Meinen Sie, Tante Molly? daß er doch —
Molly. Ein Herz hat? Warum ſollt' er nicht.
.
(ſcheinbar harmlos) Hat er ſich gegen Dich noch nie darüber
ausgeſprochen? Dir noch nie zu verſtehen gegeben, wie es
unter ſeiner Weſte ausſieht?
Alma. Unter feiner Weſte? — Nein. (mit einem An⸗
lauf) Doch. Einmal. (leiſe) Heute Abend. — Das heißt — —
(Verſtummt.)
Molly (für ſich). Ich dacht mir's. — Von dem will
ich Dich wohl loseiſen, Kind! (laut, indem fie gemüthlich Alma's
Arm nimmt und ſie langſam, mit gelegentlichem Stehenbleiben, auf
und nieder führt) Sehn Sie, meine gute Alma, dieſer Meer—
veld gehört wohl auch zu den verkannten Männern — weil
er eben „witzig“ iſt. Man traut ihm nicht viel Gemüth
zu, weil er gerne ſpottet; weil er etwas Heine'ſches hat —
Alma (überrafcht, dann lebhaft mit dem Kopfe nickend). Ja,
ja, ja! Das iſt es!
Molly (wieder heimlich beobachtend). Ich weiß zum Bei—
ſpiel, Deine Mutter will nicht viel von ihm wiſſen —
Alma (wie betrübt). Ach nein!
Molly (für ſich). Aha! (laut) Na, und da kommt es
denn leicht zu kleinen Differenzen — wie man das ſo kennt.
Die Mutter macht ihre Bemerkungen über den ſpöttiſchen
Herrn; die Tochter widerſpricht. Die Mutter wird unge—
halten und will nun ſchon gar nichts von ihm wiſſen;
die Tochter wird trotzig und will deſto mehr von ihm
wiſſen. Die Familienluft wird dick, wird trüb, wird ſchwül,
endlich kommt ein Donnerwetter — mit naſſen Schauern.
Die Tochter flüchtet auf irgend einem Jourfixe an die Bruſt
ihrer Tante Molly —
Alma (ftarrt Molly erſchrocken an). Nein — wie iſt das
möglich. Wie unheimlich klug Sie ſind, Tante Molly.
Alles zu errathen! Alles!
Molly. Mein gutes Herzchen, die Uebung! Ich war
auch einmal dumm; aber allmählich, da merkt man: es
giebt eigentlich nur ein halb Dutzend Sachen, die kommen
immer wieder. (fie ſtreichelnd) Alma's Mutter, die mag ihn
nicht, aber die Tochter von Alma's Mutter, die mag ihn —
— 15 —
Alma (an Molly's Bruſt. Ach, Tante Molly!
Molly. Na, da iſt ja noch nichts verloren — wenn
ſich nur ſonſt Alles fügt. Wenn der verkannte junge Mann
ſich und ſein Herz zu dem Mädchen wendet —
Alma (leiſe, noch an Molly's Bruſt). Vielleicht thut er
das, Tante Molly. — Er hat ſo was geſagt. — Sie
weiß nur noch nicht, ob er — — ob er es wirklich ſo
nee
Molly. Das wird man erfahren, Kind! (für ſich)
Armes, dummes Herz! (laut) Ich weiß einen ähnlichen
Fall, da erfuhr man's bald. Ein junges Mädchen —
auch ſo eine Wahlnichte von mir — die intereſſirte ſich
auch gar ſehr für den Anton Meerveld (Alma blickt überraſcht
zu Molly auf); na ja, mein Kind, die Erſte biſt Du da
nicht. Und ſie wußte auch nicht, wie es in ſeiner Männer—
bruſt ausſehe — und ging ſo verträumt und ungewiß
herum. Aber da waren ſie einmal allein, und er ſagte
ihr; „Ich gelte oft für herzlos, wie der große Heine; aber
glauben Sie mir, mein Herz gleicht dem Meere, wie Hein—
rich Heine ſagt, und manche ſchöne Perle“ — — Na,
was haben Sie, Alma? Was machen Sie für ein Geſicht?
Alma (ſtammelnd). Das ſagte er ihr? der Andern?
Molly. Nun ja; mir hat er's nicht geſagt. Und
dann ſah er ihr ſo recht von innen heraus ins Geſicht
und demaskirte ſich in folgenden Verſen:
„Ich hab' mit dem Tod in der eigenen Bruſt
„Den ſterbenden Fechter geſpielet!“
Alma. Das iſt nicht möglich — nicht möglich —
oder er iſt ein Teufel!
Molly. Ein Teufel? Ach nein. Nur ein recht
moderner junger Mann, der viel zu viel Geld hat — und
der einen Theil ſeiner vierundzwanzig Mußeſtunden damit
ausfüllt, jungen Mädchen was vorzuſäuſeln —
Alma (wirft ſich wieder an Mollvp's Bruſt, ihr Geſicht daran
verbergend). O wie ſchäm' ich mich, Tante Molly! O wie
ſchäm' ich mich!
u mE
— 1
Molly (rückt fie ſanft an ſich, ſtreichelt ihr Haar; weich).
Hat er Dir das alles auch vorgeſäuſelt, Kind? (Alma, ihr
Geſicht wie vorhin verbergend, nickt.) Und Du haſt gedacht:
vielleicht meint er's ehrlich? (Sie nickt.) Na, dann ſchäm'
Dich ein bischen, wenn Du willſt, aber nicht zu viel. Daß
— —
wir Andere für beſſer halten, als ſie ſind, weil wir beſſer
ind, das iſt nicht das Schlimmſte. — Alſo dieſelben
Verſe ... Ich dacht' mir's. Warum ſollt' er ſich auch
immer neue ſuchen; dieſe hatten ſich ja bewährt —
—
Alma (ſchluchzend.. O Tante Molly!
Molly. Still, ſtill! Hier nicht weinen, Kind. Wenn
nun Jemand käme! — Ein junges Mädchen muß ſein
Herz ſo wenig vor den Leuten enthüllen, wie ſonſt was.
Wird's Dir einmal gar zu eng da herum, komm' zu Tante
Molly: vor der kannſt Du Dich immer zeigen, wie Du biſt,
das iſt keine Schande. Die kann noch immer jede Dumm—
heit mitmachen, wenn ſie auch ziemlich geſcheit iſt; (Alma
wieder an ſich drückend) und die unſchuldigen Irrthümer eines
jungen Herzens ſind ihr heilig, Kind!
Alma. O, wie ſind Sie gut, ſüße Tante Molly!
Molly. Ich möcht' gern helfen, o ja — weil ich
weiß, das fehlt oft. Mir hat man einſt nicht geholfen,
und ich hab's gebüßt. War mit meinem Mann gar nicht
glücklich, Kind; — davon erzähl' ich Dir einmal, wenn
ſich's beſſer paßt; nur damit Du was lernſt. Ach, wir
jungen Dinger, wir fliegen wie Vögel, die erſt dreiviertel
flügge ſind, unter dem Himmel herum. Da finden wir
denn oft nicht wieder ins Neſt zurück — und kommen in
ein falſches — und fürs ganze Leben! — — Du ſollſt
noch einmal ins rechte kommen; da ſei ohne Sorge. Gräm'
Dich nicht um den Meerveld . .. (Sieht hinten Eckard und
Felix eintreten. Leiſer) Und nun zeig' den Leuten wieder Dein
helles, munteres Geſicht, und flieg' ruhig weiter!
Alma giebt ihr ſchnell einen Kuß). Das will ich thun,
ſüße Tante Molly. Ich liebe Sie! Ich liebe Sie! Gaſch
ab, nach links.)
Dritter Auftritt.
Molly; Eckard und jein Bruder Felix. (Felix iſt älter, ſchon angegraut,
aber ſo elegant und auf Zierlichkeit der äußeren Erſcheinung bedacht,
wie der Andere einfach und derb iſt. Sie kommen aus dem hinteren
Saal in den Vordergrund, während Molly der Alma nachſieht.)
Felix. Guten Abend, „Tante Molly“ — wenn ein
Jüngling in meinen Jahren auch ſo ſagen darf. Hier
bringe ich meinen Bruder —
Molly (achdem fie Felix die Hand gegeben). Ah, Herr
Eckard, wirklich! Alſo Sie halten Wort!
Eckard (trocken). Was ſollte ich ſonſt thun? es brechen?
— — Mein Bruder Felix hörte, daß ich meinen Wagen
beſtellte, um hierher zu fahren; da warf er ſich ſchnell in
ſeinen Frack und fuhr mit, denn Kronleuchter mit allerlei
Leuten darunter hat er gar zu gerne. Nun, wo iſt denn
die Hausfrau, die mich ſprechen will? |
Molly (nach links deutend). Dort im zweiten Zimmer
machen ſie noch Muſik. Wenn vielleicht die Herren —
Felix. Muſik? Ich hab' heut eine förmliche Sehn⸗
ſucht nach Muſik. Ich ſchließe mich an! (Links ab.)
Molly. Wollen Sie nicht auch? Ihr Liebling, meine
Käthe, ſingt.
Eckard. Ich danke. Ich hör' den kleinen Vogel ſehr
gern, wenn er mich beſucht und ſich an mein Klavier ſetzt;
vor einem ſo auserleſenen Publikum wie hier hör' ich ſie
nicht ſo gern. — Uebrigens, ich danke Ihnen!
Molly. Wofür?
Eckard. Daß Sie mich aus meiner Einſamkeit ſo
unter die Leute gebracht haben. Sie hatten wohl im Augen—
blick nichts zu thun — und irgendwas müſſen Sie ja immer
thun. Da ſetzten Sie ſich denn hin und ſchrieben mir dies
Billet: „Frau Paula Dolberg hat ſchon lange den drin—
genden Wunſch, Sie einmal zu ſprechen!“
Molly. Sie konnten ja antworten: ich will nicht.
Eckard. Das iſt eine richtige Frauenzimmer-Ent⸗
gegnung. Wenn Sie wußten, wie ungern ich mich unter
2
die Leute miſche — und beſonders unter die Leute, Die
man Damen nennt — ſo thaten Sie doch wohl beſſer,
mir weder das Mißvergnügen zuzumuthen, noch die
Unhöflichkeit. Denn ich gelte allerdings für grob, aber
es macht mir doch kein Vergnügen, es zu ſein.
Molly. Es ſcheint doch, nach dem, was Sie mir
jetzt ſagen!
Eckard. Werden Sie doch nicht ſpitz; das iſt damen⸗
haft, das paßt nicht zu Ihnen. Ich bin nun einmal hier
— weil Frau Paula's Mann mein Freund war und weil
Sie mich an die Wand genagelt hatten; — und auch weil
mir ein Gedanke kam — — aber davon ſpäter. Hab'
aber ſchon die größte Luſt, wieder fortzugehn. Es riecht
hier ſo fad, ſo ſüß, nach all dem falſchen Zeug, womit die
ſchönen Damen ſich anſpritzen; es legt ſich Einem ſo 'ne
dicke, niederdrückende Wolke von Luxus, von Redensarten,
von Zeit- und Wort- und Geld-Verſchwendung ums Herz.
Was thun Sie nur hier, Frau Molly? Mit all Ihren
ungeſunden Einfällen ſind Sie doch eigentlich eine vernünf—
tige Frau (fie verneigt ſich dankend); wie kann es Ihnen ein
Vergnügen machen, in dieſem Froſchteich zu ſchwimmen?
Molly. Es giebt auch ganz hübſche Fiſche drin —
Eckard. Gold- und Silberfiſche, o ja. Sehr viel
Gold und Silber! — Wenn jeden Mittwoch die Geld—
ſchränke der Herrſchaften hier zuſammenkämen und ihr
verſperrtes Mundwerk vor einander aufmachten, ſo wär's
ein ebenſo amüſanter Jourfixe. Wer führt denn hier das
große Wort? Dieſe Frau von Leppin, die nicht ſo viel,
Geiſt hat wie ihre Coupons, und nicht ſo viel Herz wie
ihr Wagentritt; aber ſie trägt die koſtbarſten Goldfiſch—
Toiletten, und ihr Mann iſt ein kleiner Rothſchild! Der
kommt dann ſpäter, allein, auf ein Viertelſtündchen, wie
der Großſultan; ſäet ſein behagliches Lächeln auf allen
Fußböden aus, beehrt den Einen mit einem cyniſchen
Späßchen, bietet dem Andern eine Cigarre an aus ſeiner
Hintertaſche, einen Dollar das Stück. Dann wackelt er
wieder hinaus, denn er hat noch andere Pflichten: während
ſeine Gemahlin hier als Pfau ihr abendliches Rad ſchlägt,
genießt er mit guten Freunden die Freuden der Häus—
lichkeit bei einem reizend eingerichteten Schätzchen —
Molly. Laſſen Sie mich damit in Ruh!
Eckard. Wer erſetzt ihn hier unterdeſſen, den großen
Mann? Wer kann das? Niemand als ſein Schwager,
dieſer Anton Meerveld; denn der iſt ein Witzbold. Der hat
ſeine Witze nur gleich ſo in Klumpen bei ſich, wie der
Hering den Rogen; freilich gehen davon auch hundert auf's
Pfund. — Das ſind Ihre „hübſchen Fiſche“!
Molly. Nein, das ſind die Fröſche. Sie vergeſſen
vor Allem die Hausfrau —
Eckard. Frau Paula Dolberg? Die iſt die Aller—
ſchlimmſte: denn in ihr ſteckt mehr, und ſie will's nicht
wiſſen. Für was lebt ſie denn? Für die große Ehre, unter
dieſen Goldfiſchen die Toilettenkönigin zu ſein; ſo wird
ſie ja wohl genannt!
Molly (etwas kleinlaut). Mein Gott — ſie hat mehr
Geſchmack als die Andern, und das muß ſie zeigen. Sie
hat ihren Mann nicht mehr, und hat keine Kinder; von
den Männern will ſie nichts mehr wiſſen —
Eckard. Darum läßt ſie ſich von den Frauen be—
wundern und beneiden!
Molly. Sie ſollten Sonntags auf der Kanzel predi—
gen, Herr Eckard. Wenn Frau Paula von den Frauen
beneidet wird — was mich gar nicht wundert — ſo wird
ſie von den jungen Mädchen geliebt. Die drängen ſich
um ſie, weil ſie graziös und vornehm, weil ſie warm und
gut iſt. Und dieſe jungen Mädchen, das ſind meine
„hübſchen Fiſche“ —
Eckard. Ah ja! Ich verſteh' ſchon. „Tante Molly“.
Dieſe jungen Mädchen ſind Ihr Geſchäft; Sie bringen ſie
an den Mann!
Molly. Es iſt doch merkwürdig, daß ein kluger
Mann und ein dummer ſo oft ganz daſſelbe ſagen. „Ich
bringe fie an den Mann“. .. Und es iſt grade unge:
kehrt!
25
3
Eckard. Wieſo umgekehrt? Sie bringen ſie nicht an
den Mann?
Molly (mach kurzem Zögern). Wozu verrath' ich Ihnen
eigentlich mein Geſchäftsgeheimniß . . . Aber weil Sie mich
ärgern — — Zählen Sie doch einmal nach! Wie viele
von den jungen Dingern, die mich Tante Molly nennen,
hab' ich denn wohl verlobt? Ja, ſie kommen alle, wenn
ihnen ein Mannsbild im Kopf ſteckt; und ſie glauben alle,
daß ich ihnen helfen will, an den Mann zu kommen; aber
ein paar Wochen ſpäter, wie iſt's dann geworden? Dann
iſt das Mannsbild gewöhnlich aus dem Kopf heraus —
und das Mädel klüger. Ich hab' wieder Eine vor ihrer
unerfahrenen Dummheit gerettet, und vor irgend einem
albernen oder ſchlechten Kerl behütet; — die klugen und
die dummen Leute aber bleiben bei ihrem Kehrreim: „Tante
Molly bringt ſie an den Mann!“
Eckard (nach einer Weile). Hm! — Aber wie machen
Sie denn das? Sie müſſen alſo die jungen Dinger doch
täuſchen, müſſen Ihren Ruf als Verlobungstante tapfer
aufrechthalten —
Molly. Ja, ich ſpiel' meine Rolle, ich heuchle, ich
lüge, ſo lange wie es Noth thut; ſür die gute Sache.
Daraus mach' ich mir nichts. Gott ſieht in mein Herz!
Eckard. Nun, am jüngjten Tage werden wir ja
hören, wie er darüber denkt. Ich präparire mich etwas
anders für dieſen Tag, muß ich Ihnen ſagen; ich hab' nicht
viel Sinn für die „frommen Lügen“. Aber — Sie ſind
ein Frauenzimmer, und ich bin ein Mannsbild; darauf
läuft's denn doch immer wieder hinaus. — Da kommt
Paula Dolberg!
Vierter Auftritt.
Molly, Eckard; Paula und Hannchen (von links).
Paula. Guten Abend, Herr Eckard; ich danke Ihnen
ſehr, daß Sie die Freundlichkeit hatten, zu kommen. (Er
verneigt ſich ſtumm; ſie reicht ihm die Hand.) Ihre junge Freun⸗
din, das Käthchen, hat allerliebſt geſungen; jetzt iſt man
beim Eſſen. |
BL N ar
Molly. Gott ſei Dank! Ich hab' einen göttlichen
Appetit!
Hannchen (ſchmiegt ſich etwas ſchüchtern an Molly; leiſe).
Hätten Sie doch noch einen Augenblick Zeit, himmliſche
Tante Molly? Ich ſehne mich ſchon den ganzen Abend,
Sie zu ſprechen; (beklommen lächelnd)b es geht mir jo wun—
derbar —
Molly (leiſe). Eine Fortſetzung?
Hannchen. Ja; ganz unerwartet —
Molly. Nun, dann kommen Sie, Hannchen. (für ſich,
mit einem leiſen Seufzer) Siebentes Kapitel!
Hannchen. Aber Ihr göttlicher Appetit —
Molly. O, der wartet gern. Sprich dich aus,
mein Herz! (mit ihr nach hinten gehend, für ſich) Ich krieg' nichts
zu eſſen! (Sie gehn während des Folgenden eine Weile im hintern
Saal auf und ab, Arm in Arm; verſchwinden dann langſam nach links.)
Paula (hat inzwiſchen mit Eckard geſprochen). Alſo Sie wol—
len nichts, gar nichts genießen?
Eckard (ſchüttelt den Kopf). Zu Hauſe ſchon abgethan.
— Sie hatten mir alſo etwas mitzutheilen, gnädige Frau.
Paula. Mitzutheilen! Das iſt nicht das Wort. Ich
hab' etwas auf dem Herzen, das — das mich ſchon lange
drückt, aber ich ſah Sie nie, weil Sie — ſo anders leben.
Um es Ihnen kurz zu machen: Sie waren der liebſte
Freund meines Mannes, eh' ich ſeine Frau ward; nach
unſrer Verheirathung kamen Sie noch von Zeit zu Zeit —
immer ſeltener — endlich blieben Sie fort. Meinen Mann
bekümmerte das, ging ihm ſehr zu Herzen; er wußte offen—
bar nicht, weshalb Sie ihm ſo fremd wurden; zuweilen,
wenn er darüber klagte, ſah er mich ſo an, als hätte er
ſagen mögen: biſt etwa Du daran Schuld? — End—
lich — — nun, endlich konnte er nicht mehr klagen; ich
hatte ihn nicht mehr. Daß Sie nun nicht wiederkamen,
konnte mich nicht wundern. Aber vor einiger Zeit —
ziemlich langer Zeit — ſagte man mir, Sie hätten ſich
gleichfalls beklagt, und zwar über mich. Ich hätte
Ihnen nach Ihrer Meinung meinen Mann entfremdet, Sie
5
„
aus dem Hauſe gedrängt... Sehen Sie, das bedrückt
mich. Ich wollte Ihnen ſagen: darin irren Sie. Ich habe
nie irgendwas gethan, um die Freundſchaft zwiſchen Ihnen
und meinem Mann weniger innig zu machen; ich habe nie
ein Wort geſprochen, das auf ihn — auf Richard — in
dieſem Sinn hätte wirken können. Ich hatte vor Ihnen
ſtets eine Hochachtung, die — — kurz, ich bin daran ſo
unſchuldig, wie an meinem Daſein. Glauben Sie mir
das!
Eckard. Ich glaub' es, gnädige Frau, natürlich, da
Sie es mir ſagen; — aber man hat Sie belogen — wie
das manchmal vorkommt. Ich hab' mich nie mit einer
Silbe über Sie beklagt; konnte das auch nicht, da an
meinem Fortbleiben aus Ihrem Hauſe Niemand Schuld
war als ich.
Paula (etwas unſicher). Sie wollen ſagen: freiwillig?
aus eignem Antrieb?
Eckard. Ja.
Paula. Ohne daß Sie ſich in unſerm Hauſe kühler,
unherzlicher aufgenommen fühlten?
Eckard. Davon hab' ich nichts geſpürt.
Paula (ihmeigt eine Weile. Mit Mühe). Darf ich dann
fragen: warum —? (Berjtummt.)
Eckard. Warum wollen Sie das wiſſen, gnädige
Frau. Ich bin ein „Sonderling“, wie die Leute ſagen;
geh' ſo meine Wege. Weshalb ich damals fortblieb?
Sagt ich das jo kurz heraus, jo klänge es grob, was
ich natürlich nicht wünſche; wollt' ich es gründlicher machen,
ſo würde es Sie langweilen. Denn meine „werthe
Perſon“ —
Paula. Ganz und gar nicht, Herr Eckard. Ich
fürchte mich weder vor der Grobheit, noch vor der Lange—
weile. Bitte, ſagen Sie's.
Eckard (für ſich). Ja, ja, die weibliche Neugier; die
kennt keine Furcht! (laut) Wie Sie wünſchen; ich will's
alſo verſuchen ... Sehen Sie, gnädige Frau: ich hab'
immer mit Männern und nicht mit Frauen gelebt. Ich
RR
2
bin ſachlich, gradezu, haſſe die Umſchweife und die Förm—
lichkeiten; wer es ebenſo macht, mit dem komm' ich raſch
vom Fleck; wer anders iſt, mit dem weiß ich nicht zu
reden. Da merkte ich denn natürlich bald: Du taugſt
nicht für die Frauen! Ich ſah zu, wie's die Andern
machten; ja, wie machten fies! So ein Mann, der mit
mir ſchlicht und natürlich und ehrlich und zur Sache ſprach,
vor den Damen kriegte er auf einmal ſo was Weiches,
Zierliches, Lächelndes, Gemachtes; er kriegte ſogar ein
anderes Geſicht; es war, als wenn er im Theater wäre.
Dazu ſchüttelte ich lange den Kopf; endlich wurde ich
klüger und merkte: Menſch, Du machſt es auch ſo! Und
wenn Du es nicht ſo machſt, können Dich die Frauen
nicht leiden, ſehn Dich für nen Bauer an, fühlen ſich be—
ledig! — — Kurz — ich gab's endlich auf. Ich ſah
ein: das iſt nicht meine Sache — und hielt mich zu den
Männern. Ich wurde der „Sonderling“, als den man
man mich nun gehn läßt. — — Das iſt die Geſchichte!
Paula (nach kurzem Schweigen). Sie blieben alſo aus
unſerem Hauſe fort, weil mein Mann eine Frau hatte;
weil es Sie langweilte, mit mir zu reden.
Eckard. Das iſt nicht das Wort. Weil ich nicht
dazu taugte; immer aus mir heraus ſollte, ſtatt in mich
hinein. Das macht dumm, ungeſchickt, verdrießlich; endlich
bleibt man fort. Ich verlor darüber freilich meinen lieben
Freund aus dem Geſicht; — aber was will man machen
— Jeder ſtreckt ſich zuletzt doch nach ſeiner Natur!
Paula (beißt ſich auf die Lippe; lächelt). Das iſt alſo
aufgeklärt. — Ich danke Ihnen, Herr Eckard; obwohl ich
nur eine Frau bin, hab' ich doch viel Sinn für Aufrichtig—
keit. — Ich begreife nur nicht: Sie verkehren doch noch
immer, ſeit ſo vielen Jahren, mit der „Tante Molly“!
Eckard. Das iſt 'ne andere Gattung; — verzeihen
Sie. Die verlangt nicht, daß ich vor ihr meine Mätzchen
mache; mit der red' ich ſo gradezu wie mit einem Mann.
Und ihre Nichte, die Käthe, das junge Ding, wächſt ihr
darin nach. Die Käthe und ich, wir ſprechen miteinander
(herzlich lächelnd) wie zwei alte Männer. Ich nenne fie Vetter
3
und fie nennt mich Onkel. (nach links auf die offene Thür
blitend) Da ſeh' ich ſie; mit Frau von Brühl. Sie winkt
mir. Muß ſie doch begrüßen. — Gnädige Frau — nichts
für ungut! (Macht eine etwas ſteife und ungeſchickte, doch artige
Verbeugung; links ab.)
Paula (nach einer Weile, mit ſpöttiſch-bitterem Lächeln).
Er ſtrebte recht von mir fort. — Mich verachtet er. Mit
mir kann er nicht reden . . . (Blickt ihm nach.) Hm! Warum
hat er's dann doch gethan? Warum ſetzte er mir ſo geiſt—
reich auseinander, weshalb er — — weshalb er es da—
mals nicht mehr aushielt, mich zu ſehn? — — Wie das
der Eitelkeit ſchmeichelt: jo ein rauſchender Erfolg. Man
ſteckt ſich in ſein edelſtes Gewand, macht ſich die ſchönſte
Friſur — und dann kommt ſo ein Ehrenmann, ſieht über
Einen hin, als wär' man 'ne Vogelſcheuche, und jagt
Einem in dieſe ſchönſte Friſur hinein: ich mußte mir damals
die Wohlthat verſchaffen, Dich nicht mehr zu ſehn!
Fünfter Ruftritt.
Paula; Molly (von hinten links).
Molly (kommt aus dem hinteren Saal zurück, von links).
Ah, Du biſt ſchon allein. — Mit dieſem Hannchen wär'
ich für heute fertig; jetzt will ich mit Dir eſſen. Nun?
wie hat der Bär gebrummt?
Paula. O, er war ſehr artig. Er hat die Pfote ge—
geben, und ſein Tänzchen gemacht, und ſeine Reverenz! —
— Bitte, nimm mir die Spangen aus dem Haar; ich will
mir einen Pudelkopf machen — oder ſonſt was Schönes.
Und dann bind' mir 'ne Schürze vor! eine Küchenſchürze!
Molly. Kind, Du biſt wohl verrückt. — Was hat
Dir der Eckard gethan?
Paula. Nichts. Nur ein paar gute Lehren hat er
mir gegeben: ich ſoll nur ſo fortmachen, mich aufs eleganteſte
kleiden, mich in den Salons herumtreiben, Konverſation
machen; das ſei die beſte und würdigſte Exiſtenz, die man
haben könnte. Was hab' ich Dir immer geſagt? Geht es
mir nicht herrlich, leb' ich nicht wie ein Gott?
ER Bin.
Molly. Ach du lieber Götze! Da haben wir fie
wieder im großen Katzenjammer. Er hat Dich geärgert,
und nun ſchlägſt Du Dir aus Verdruß ſelber ins Geſicht.
— Kind! Mach's auf der Welt wie ich! Mach Dir was
zu ſchaffen! e
Paula. Als „Tante Paula“, wie die „Tante Molly“?
Dazu bin ich noch zu jung; — und zu allem Andern zu
alt. Ich ſchweb' in der Luft. Dieſes gottverwünſchte Mittel-
alter, das zu gar nichts gut iſt; ſo ein weiblicher Jung—
geſell . . . Mach mir 'nen Pudelkopf!
Molly. Nein, ich führ' Dich zum Hummer; ich hab'
da ein Prachtexemplar von einem norwegiſchen Hummer
geſehen, mit dem ich mir ein Rendezvous abgeſprochen habe.
Paula Dolberg, die Welt iſt recht unvollkommen; aber wer
einen ſo guten Magen hat wie Du und ich, der wird nie
ganz unglücklich. Komm zum Rendezvous!
Sedister Auftritt.
Paula, Molly; Herr von Leppin, dann Felix, Meerveld, Müller und
noch zwei Herren. Zuletzt Arenberg.
Paula (mit dem Kopf nach hinten deutend). Da haſt Du's:
der ſüße Leppin ſteuert auf uns zu —
Molly (für ſich). Der „Großſultan“. — Na, er bleibt
nicht lange!
Leppin (it hinten eingetreten und nach vorne gekommen;
behaglich⸗ſchwerfälligen Ganges, ſelbſtzufrieden lächelnd). Meine liebe
Frau Dolberg, Sie ſehen, es iſt mir unmöglich, einen Ihrer
gemüthlichen Mittwochs zu verſäumen; — immer ſpät, aber
ſicher. (Durch den hinteren Saal von links kommen Felix und noch
zwei Herren; von vorne links kommen Meerveld und Müller.) Ich
freue mich, Sie ſo geſund und ſo ſchön zu ſehn!
Paula (giebt ihm die Hand). Ich begrüße Sie. (für ſich)
Seine Anerkennung thut doch noch weher als Herrn
Eckard's Schweigen!
Leppin chat Molly ſtumm begrüßt). Ah, Herr Felix
Eckard. Sieht man Sie auch einmal bei der „Königin“?
Freut mich ſehr, freut mich ſehr. (leiſe zu Felix) Gehn Sie
nur nicht fort; will Ihnen noch was jagen. (eächelt ihm
verſchmitzt zu, ein Auge ſchließend; begrüßt dann die anderen Herren.)
Guten Abend, Schwager!
Meerveld (leife). Wo kommſt Du her, alter Sünder?
Leppin (leiſe). Ein Glas Sekt; weiter nichts! (Sprechen
weiter.)
Molly (leiſe zu Paula). Du ſiehſt, er hat ſeine Leute;
gehen wir zum Hummer. Es lagen da auch ein paar
Lachsforellen, wie die Liebesgötter. Ich ſag' Dir, ich hab'
einen Hunger — — wenn ich nicht bald was kriege, ſo
ei ich Herrn von Leppin! (Zieht Paula mit fort, links ab.)
Meerveld (vorftellnd). Herr Müller; Reſerveleutnant.
Leppin. Freut mich ſehr; freut mich ſehr. — Kann
ich den Herren eine gute Cigarre anbieten? Eben friſch
von der Negerin weg für mich angekommen. (Greift in
die Hintertaſche ſeines Fracks, zieht ein paar große Cigarren hervor.
Müller zögert, zu nehmen.) Faſſen Sie nur Proviant, Herr
Reſerveleutnant. Ich hab' mehr davon. (Müller nimmt eine
Cigarre, Meerveld desgleichen.) Wohin wollten die Herren?
Zum Spiel?
Meerveld (mach vorne rechts deutend). Ja, ein kleines
Jeu. Hältſt Du mit?
Leppin. Ich danke; wäre ſehr gemüthlich; aber eine
Verabredung ... (leiſe zu Felix) Lieber Herr Felix Eckard,
begleiten Sie mich. Die Jenny würde Sie gern einmal
wieder ſehen. Wir machen eine Bowle —
Felix (leiſe). Ich danke. Ich will heute bei Zeiten
nach Hauſe.
Leppin. Werden Sie tugendhaft?
Felix (lächelnd, auf ſeine angegrauten, ſtark geſchwundenen Haare
deutend). Nu, es wäre wohl Zeit!
Meerveld (zu Felix). Laſſen Sie den alten Sünder
und gehn Sie mit uns zu den Karten. Ich geb' Ihnen
Revanche.
RE NL
Felix. Nein, mein Guter, heute verführen Sie mich
nicht. Eine ehrbare Partie Whiſt würd' ich mit Ihnen
ſpielen; aber mit dem Hazard iſt's vorbei!
Meerveld. Unſinn. Sträuben Sie ſich nicht ſo opern⸗
haft, wie der Max im Freiſchütz. Ich verführ' Sie ja doch.
Felix. O nein; heute nicht!
Meerveld. Hat Ihr Bruder es Ihnen verboten?
Felix. Sie bemühen ſich ganz umſonſt, mein guter
Meerveld, meine Feſtigkeit zu erſchüttern; geben Sie es
auf, Sie blamiren ſich.
Meerveld. Gut, dann geb' ich es auf!
Leppin. Ich bewundre Sie, Felix Eckard; ſo un⸗
heimlich charakterfeſt hab' ich Sie nie geſehn. Sie leben
nicht mehr lange! — — Meine Herren, ich mache noch
meinen Durchgang bei der Venus; bei den Damen, mein!
ich. (ſchmunzelnd, nach hinten links deutend) Da hinten geh'
ich dann hinaus! — Bon soir! Links ab.)
Meerveld. Der weiß auch zu leben. — Nun, alter
Knabe, wollen Sie ſich durchaus von Ihrem fleckenloſen
Bruder einen Tugendpreis holen? Oder kommen Sie mit?
Felix (ſich elegant verneigend). Ich danke.
Meerveld zuckt geringſchätzig die Achſeln). Alſo an die
Gewehre, meine Herren! (Mit Müller und den beiden Herren
vorne rechts ab.)
Felix. Ich war wie ein Fels. Ich bin mit mir zu⸗
frieden. — — Man muß nie verzweifeln. Manchmal dacht'
ich ſchon: es iſt aus, der Kartenteufel hat mich, Widerſtand
iſt unnütz! — Heute zeigt ſich: es geht! (vergnügt lächelnd)
Wie Bruder Ulrich ſtaunen wird, daß ich mein Verſprechen
halte —
Arenberg (kommt von links, ſehr heiter, ein Studentenlied
pfeifend oder ſummend; bei Felix vorbeikommend hängt er ſich in deſſen
Arm und zieht ihn mit fort). Kommen Sie, alter Herr!
Felix (widerſtrebend),. Zu den Karten? Nein, nein!
Arnberg (heiter, wie ſelbſtverſtändlich). Kommen Sie!
(Zieht ihn weiter fort, das „Kommen Sie“ im Geſang, nach einer
luſtigen Melodie, immer wiederholend.)
RR de
Felix (unterdeſſen, für fih). Der iſt verrückt. — Ob ich
will oder nicht, das iſt ihm einerlei! — Er zieht mich ruhig
jo weiter. — Ganz toll . .. Aber er imponirt mir! —
Darin ſteckt eine gewiſſe Größe ... Nachdem er dies alles
ſtoßweiſe, und mit neuen Verſuchen, ſtehen zu bleiben oder ſich loszu—
machen, geſagt hat, ſieht er ſich mit Arenberg rechts in der Thür. Er—
ſchrocken, laut) Junger Herr! Arenberg zieht ihn mit über die
Schwelle; rechts ab.)
Siebenter Auftritt.
Oskar und Käthchen (von links).
Oskar (ein wenig vom Wein erregt, aber in der angenehmſten,
liebenswürdigſten Weiſe). Nein, Sie haben vorhin ſehr ſchön
geſungen, Fräulein Käthchen. Ausdrucksvoll und ſchön!
Käthchen (eine heimliche Wehmuth hinter lebhafter Munter-
keit oder ehrenfeſtem Ernſt, je nachdem es ſich fügt, zu verbergen
ſuchend). Warum heucheln Sie jo, Herr Oskar. Sie haben
ja gar nicht zugehört, Sie ſahen die ganze Zeit auf Frau
Paula Dolberg.
Oskar. So? — Aber doch nur mit den Augen;
mit den Ohren hört ich. — — Werfen Sie mir das vor,
daß ich Frau Paula anſah? Fühlen Sie mir das nicht
nach, daß ſie heute wie eine Statue von Praxiteles oder
Begas iſt? Sind Sie kleinlich, Fräulein Käthchen?
Käthchen. Nein, ich bin nicht kleinlich. Ich bewun—
dre dieſe Frau ja ebenſo wie Sie —
Oskar. Ebenſo? Das iſt wohl nicht möglich. Ich
vergöttere ſie; ich halte ſie für die bedeutendſte Frau, die
ich kenne; ich glaube, ich könnte für ſie ſterben — gewiß
weiß ich es nicht — aber ich glaub' es. Gutes Fräulein
Käthchen, ich muß Ihnen das alles ſagen, ich hab' zu
Ihnen ein ſo wunderbares Vertrauen — täuſchen Sie es
nicht. Verrathen Sie mich nicht. Die Welt würde meine
Gefühle nicht verſtehen, würde drüber lachen; die Welt iſt
jo kleinlich .. . Sie ſind nicht kleinlich, Fräulein Käth—
chen; Sie nicht!
„„
Käthchen. Nein, ich bin nicht kleinlich. Aber etwas
viel Champagner haben Sie doch getrunken —
Oskar. Was hat der Champagner mit meinen
Gefühlen für Frau Paula zu thun. Das iſt eine große
Frau; eine erhabene Frau! Erkennen Sie das neidlos
an, gutes Fräulein Käthchen; vergöttern Sie ſie wie ich,
lieben Sie ſie wie ich, ſeien Sie groß!
Käthchen. O ja, ich bin groß. Gögernd) Nur daß
mich doch wundert — — ich dachte, eine Frau in Frau
Paula's Jahren liebte man nicht mehr. Sie will's ja
auch gar nicht. Und ein ſolcher Jüngling wie Sie —
Oskar. Was gehn mich die Jahre an? ihre oder
meine? Eine große Liebe fragt nicht nach den Jahren; die
überfliegt die Zeit. (mit dem Finger gegen ſeine Bruſt ſtoßend)
Dies iſt eine große Liebe, Fräulein Käthchen!
Käthchen. Das hör' ich. (ſucht zu lächeln) Dann hab'
ich wahrſcheinlich auch eine große Liebe: zu Ihrem Onkel
Ulrich Eckard. Der iſt eben ſo zu alt für mich, wie Frau
Paula für Sie; und gewiß ein ebenſo herrlicher Mann,
wie ſie eine herrliche Frau!
Oskar. O ja, alle Achtung; ein ſtrebſamer, denken—
der, ehrenwerther Mann. Er und Ihre Tante Molly, zwei
Charakterköpfe; — aber die liebt man doch nicht. Wenn
Sie meinen Onkel liebten, ſo wären Sie ein engliſcher
Kupferſtich. Seien Sie doch das nicht!
Käthchen. Ich bin das auch nicht. Aber ich halte
ihn für den beſten Menſchen —
Oskar. Warum? So oft ich ihn anpumpe, giebt er
mir erſt eine gute Lehre, und dann erſt das Geld!
Käthchen. Er giebt Ihnen alſo doppelt. — Uebri⸗
gens, warum pumpen Sie ihn ſo oft an?
Oskar. Merkwürdig — ſachlich ſind Sie, Fräulein
Käthchen; das haben Sie von meinem Onkel gelernt.
Warum ich ihn anpumpe? Weil mein unbegreiflicher Vater
mir ſo wenig Taſchengeld giebt; mein Vater, der doch
offenbar ein wohlhabender Mann iſt — und ſonſt doch
das Geld nicht ſchont — aber darin ein Harpagon. So
u ER.
wird mein männlicher Stolz gezwungen, ſich vor dem rei—
chen Onkel zu beugen —
Käthchen. Und er giebt Ihnen das Gold aus ſeiner
Taſche und aus ſeinem Kopf. — Ich lieb' ihn doch, Herr
Oskar!
Oskar bblickt fie herzlich lächelnd an). Wie reizend trotzig
Sie das ſagen; — und wie gut Ihnen das ſteht. Dieſe
ehrlichen, feuchten Augen — — Aber wovon ſind ſie denn
plötzlich feucht?
Käthchen. Wovon? — Von den vielen Flammen,
denk' ich — die blenden —
Oskar. Das weiß ich nicht; ich bin ſchwach in der
Phyſik; aber es ſteht Ihnen gut. Sehn Sie, Fräulein
Käthchen — und lachen Sie darüber nicht —: ich würde
mich in Sie verlieben, auf Ehre, wenn ich nicht dieſe große,
einzige Liebe zu Frau Paula hätte. Aber Sie verſtehen
mich. Sie fühlen mir das nach. Darum ſtell' ich Sie
hoch; ich ſchätze Sie wie einen Mann; ich hab' ſehr viel
Achtung vor Ihnen! (Schüttelt ihr die Hand.) Proſit!
Käthchen (für ſich, traurig). Ach, ich wollte, er hätte
nicht ſo viele Achtung vor mir, und er hätte mich lieb!
Achter Ruftritt.
Die Vorigen; Eckard, ſpäter Felix.
Eckard (dem während Käthchens letzter Rede Oskar entgegen—
geht). Ich ſuch' Deinen Vater, Oskar. Er iſt doch nicht
ſchon fort?
Oskar. Das ſäh' ihm nicht ähnlich. Irgendwo wird
er wohl noch ſein. (Während Eckard langſam gegen die Thür vorn
rechts geht, im Vorbeigehen Käthe anlächelnd und ihr zunickend,
kehrt Oskar raſch zu Käthchen zurück; leiſe) Liebes Fräulein
Käthchen! Wenn Sie mich eine Minute mit meinem Onkel
——
allein laſſen wollten —
Käthchen (leiſe). Anpumpen?
— 31 —
Oskar. Schon wieder ſo furchtbar ſachlich. —
Vielleicht! (Käthchen entläßt ihn durch eine ſtumme, elegiſche Ge-
berde, geht langſam links ab. Oskar geht zu Eckard, der rechts bei
der Thür ſteht. Halblaut) Heute Nachmittag hätt' ich Dich
gern geſprochen, Onkel; Du warſt aber ausgegangen.
Eckard (für fih). Er braucht alſo wieder Geld. (laut)
Ich erlaube mir, zu errathen, was Dich zu mir führte.
(Oskar verneigt ſich. Eckard ſieht ihm ſcharf ins Geſicht.) Du willſt
doch nicht ſpielen? Wie? |
Oskar. Gott bewahre. Warum meinſt Du —
Eckard. Warum? Weil — — richt ab. Auf die
verhängte Thür rechts blickend, für ſich) Ich wette, ſein Vater
hält wieder auf ſe ine Weiſe Wort und ſitzt bei den Karten.
(Lüftet vorſichtig den Vorhang. Niet traurig.) Richtig. Da ſitzt
er. An dem bekannten Weg, den die guten Vorſätze pflaſtern.
(Hebt den Vorhang noch einmal, weiter. Laut) Felix! Bitte,
auf ein Wort!
Oskar. Ah! Mein Vater iſt da?
Eckard. Ja. (Kommt zu Oskar zurück, nimmt aus einer
Brieftaſche zwei Kaſſenſcheine) Mein guter Junge, ich ſage
Dir nur, ſo ernſt wie ich kann: wenn Du dem Spielteufel
begegneſt, dem geh' auf fünfzig Schritt aus dem Wege,
denn ich fürchte, er will was von Dir. Und hier lihm die
Kaſſenſcheine gebend) überreiche ich Dir eine kleine Auffriſchung.
Oskar. Allerbeſten Dank!
Felix (kommt von rechts, feine Verlegenheit hinter einem jugend—
lich heiteren Pfeifen verbergend). Mein theurer Bruder? Du
wünſcheſt?
Eckard. Dich um eine kleine Gefälligkeit zu bitten —
Felix (raſch, herzlich). Nun, Du weißt doch, Ulrich, ich
bin immer bereit!
Eckard. Aber ich entziehe Dich Deinem Vergnügen.
(ſcheinbar harmlos) Du ſpielteſt.
Felix. Ein Parthiechen Whiſt!
Eckard. Du mit Meerveld allein?
Felix (ſehr verlegen). Nein — das war — das war
natürlich nicht Whiſt. Sondern — ſo zu jagen — die
Ouverture zum Whiſt: ich machte ein paar Taillen, um
zu ſehen, ob ich heute Glück hätte. (lächelnd) So ein Aber—
glaube —
Eckard. Ja, ja. (für ſich) Wie das alte Kind mich
belügt; ſeinen einzigen Bruder. (laut) Alſo Du hätteſt ein
wenig Zeit?
Felix. So lange wie Du willſt! Das Whiſt hat
noch nicht begonnen!
Eckard (Felix' Arm nehmend; halblaut). Mein lieber
Felix, wir ſprachen heute Abend von dieſen Frauen und
Kindern, für die ich gern auch hier noch etwas ſammeln
möchte — da ich einmal hier bin. Man muß den Reich⸗
thum da beſteuern, wo er ſich zur Schau trägt, wo er ſich
genießt. Mein beſonderer Wunſch wäre nun, Du über:
nähmſt das, Bruder!
Felix. Ich?
Eckard. Ja, Du. In Deiner anmuthigen Weiſe,
mit Deiner liebenswürdigen Beredſamkeit —
Felix. Sammeln? Dafür ſprechen?
Eckard. Nun ja —
Felix (zerknirſcht, leije). Bruder, das kann ich nicht!
Eckard (leiſe). Warum nicht? Schämſt Du Dich?
Etwas Gutes thun —
Felix (leiſe). Eben das kann ich nicht. In einer
ſolchen Sache vor die Leute treten — das darf nur ein
untadelhafter — höchſt ehrenwerther — — (in wachſender
Erregung, mit faſt zitternder Stimme) nicht ein Mann, der eben
vom Spieltiſch kommt. — Ich hab' geflunkert, Ulrich. (nach
der Thür rechts blickend) Hab' mich wieder dem Teufel ergeben
— mein Wort nicht gehalten ... (ſeufzend, dem Weinen nahe)
Ich verachte mich! Es iſt nicht zu ſagen, wie ich mich
verachte!
Eckard dei). Ruhig! Halt an Dich, Bruder! Dort
ſteht Dein Junge — uud da kommen Leute. Felix will
reden; Eckard hält ihm ſanft den Mund zu.) Wenn Du Dich ſo
— 33 —
aufregſt, (lächelnd)d jo kommen wir ins Morgenblatt. Alſo
Käthchen ſoll ſammeln — und Du ſollſt Sodawaſſer
trinken. Komm! Zieht ihn mit janfter Gewalt nach hinten.)
Felix. Es iſt zu verächtlich, Bruder —
Eckard. Wir werden es überſtehen, wie immer.
(für ſich) Zum hundertſten Mal. Nicht zum letzten Mal!
(Führt ihn in den hinteren Saal, und dann links ab.)
Neunter Auftritt.
Oskar; Arenberg, Müller, zwei Diener; dann Molly.
Arenberg chat während Eckards vorletzter Rede durch den
Vorhang der Thür rechts hereingeblickt, ſich dann wieder zurückgezogen;
kommt jetzt mit Müller). Sehen Sie, der Saal iſt leer. Nur
Oskar Eckard. (Spricht nach rechts zurück:) Bringen Sie den
Tiſch, und Cigarren und Wein!
Oskar (bat inzwijchen vorne links in ſeinem Taſchenbuch ge—
blättert, geſchrieben, mit Bewegung der Lippen leiſe gerechnet; für ſich).
Von dieſer „Auffriſchung“ bleibt mir nicht viel übrig; ich
muß bald wieder an die Pumpe! Von rechts kommen zwei
Diener in Livree, einen kleinen Tiſch tragend, auf dem eine ſilberne
Schale mit einer Flaſche Wein und vier Gläſern, ein Cigarrenkiſtchen,
eine Cigarettenſchachtel und Aſchenſchalen ſtehen; ſetzen ihn vorne rechts
nieder, gehen dann auf einen Wink Arenbergs wieder ab. Oskar wendet
ſich zu den jungen Männern.) Was entwickelſt Du da, Aren—
berg? Willſt Du Dich hier häuslich niederlaſſen? (Molly
kommt von hinten links, aus der Hand kleine Süßigkeiten naſchend;
bleibt im Hintergrund ſtehen.)
Arenberg (mit Müller Stühle an den Tiſch rückend). Ja;
im Spielzimmer iſt zu dicke Luft; und Meerveld iſt zu
witzig. Hier darf man ja rauchen. (zu Müller, der ſich ſetzt
und eine Cigarre nimmt) Das iſt gemüthlich; was?
Müller. Erheblich! (Schenkt ein.)
Molly (für jih). Chokolade, mit Marzipan gefuttert,
iſt doch auch eine ſeelenvolle Erfindung!
Oskar. Wünſchen die Herren jo im traulichen täte-
a-téte zu bleiben? 5
De —
„5
Arenberg. O nein. Schließ' Dich an. (Erhebt ſich.
Mit etwas gezierter Feierlichkeit) Geſtatten mir die Herren, daß
ich ſie mit einander bekannt mache. (Müller erhebt ſich; ſteht
gleichfalls in feierlichem Ernſte da.) Herr Eckard, Hörer des
Polytechnikums. (Oskar und Müller verneigen ſich würdevoll.)
Herr Müller, Reſerveleutnant, Studiosus juris. (Verneigung
wie vorhin.) Meine Herren, ich glaube, wir gehen zur Tages—
ordnung über. (Setzt ſich.)
Molly chat den Vorgang beobachtet; für ſich). Da werden
ja wohl zwei Großmächte mit einander bekannt gemacht.
O Gott, welche Würde!
Müller (ſteht noch). Ich geſtatte mir, Herr Eckard,
Ihnen ein Stück vorzukommen. (Nimmt ſein bereits gefülltes
Glas, erhebt es, macht eine leichte Verneigung gegen Oskar, trinkt.)
Oskar (tritt an den Tiſch, Müller gegenüber, ſchenkt ein).
Ich geſtatte mir, Herr Reſerveleutnant, Ihnen nachzukommen.
(Thut es mit derſelben Feierlichkeit wie Müller. Darauf ſetzen ſie ſich.)
Molly (für ſich). Zwei „wirkliche geheime Räthe“.
(nachahmend) „Ich geſtatte mir“ ... Und der Eine, der
Oskar, iſt ſonſt ein reizender dummer Junge. — O Gott,
wie mich's kitzelt, dieſen jungen Germanen ein bischen in
die Perrücken zu fahren und ſie aufzumuntern!
Oskar (bat fich inzwiſchen eine Cigarre angezündet und leiſe
geplaudert). Meine Herren, ich glaube — — (Bemerft Molly,
die ſich etwas nähert.) Ah, Tante Molly. Ziehen Sie ſich
auch aus den Feſſeln der Kultur in die Freiheit zurück?
Molly. Ich fühle mich überall frei, mein guter
Oskar. (Ißt noch eine Süßigkeit.)
Oskar (lacht). Sehr wahr, ſehr wahr! Das thun
Sie, Tante Molly! (leiſe zu Müller, harmlos heiter) Ein famoſes,
etwas verrücktes Frauenzimmer . .. Mit der ſollten wir
eigentlich ein bischen Ulk machen; wie? (ohne die Antwort
abzuwarten, laut) Ich glaube, Tante Molly, von Ihnen können
die freieſten, fidelſten Burſche doch noch etwas lernen. Sie
ſollten unſer Kollegium durch Ihre Konkneipanz verſchönern,
mit uns rauchen und trinken!
Molly (für ſich). J Du bekneipter Schwerenöther, willſt
wohl eine alte Frau hänſeln. — Na warte! (lau) Wenn
mir die Herren die Ehre geben, mich dazu einzuladen, ſo
mache ich gerne mit. Wir ſind ja im Karneval.
Oskar. Wie graziös fie das ſagt! Famos! CFordert
die Andern durch ſein Mienenſpiel auf, zuzuſtimmen.) Nehmen Sie
Platz, Tante Molly. Hier ſind Cigaretten —
Arenberg. Ja, nehmen Sie Platz! (gemüthlich vorſtellend)
Herr Reſerveleutnant Müller; Frau Berger, genannt Tante
Molly. (Müller erhebt ſich ein wenig, mit leichter Verbeugung, ſitzt
gleich wieder nieder.) Ich komme Ihnen ein Ganzes! (Schenkt ein.)
Molly (für ſich). Das iſt drollig: mit mir ſind ſie
nicht halb jo feierlich wie mit ſich ſelbſt! (laut, zu Arenberg)
Ich trinke immer nur Ganze, natürlich; aber erſt muß ich
etwas rauchen: ſo bin ich's gewohnt. Gündet eine Cigarette
an, nimmt ſie aber nicht in den Mund, ſondern bewegt ſie nur unter
der Naſe langſam hin und her, den aufſteigenden Rauch bei zuweilen
geſchloſſenen Augen riechend.) Ah, das Kraut iſt gut!
Oskar (lacht). Aber wie rauchen Sie denn, Tante
Molly. Sie nehmen das Ding gar nicht zwiſchen die Lippen!
Molly. Mein guter Oskar, das iſt das Neueſte: ſo
fein, wie die jungen Herren jetzt mit einander umgehen, ſo
geht man auch mit der Cigarette um. Uebrigens ſoll
ja auch die Naſe rauchen, und nicht —
Oskar (der ihr bewundernd zuſieht, luſtig). Sie macht das
ſehr gut. Meine Herren, eine Idee! Rauchen wir auf
dieſe Weiſe ein Quartett! (Wirft ſeine Cigarre auf eine Aſchen—
ſchale, nimmt eine Cigarette.) Ergreift die Waffen; ſteckt an!
Müller. Die Idee iſt erheblich gut. Ouartett!
(Sie rauchen alle Vier ſo, wie Molly.)
Molly. Und man kann dabei ſingen, meine Herren;
das iſt auch ein Vortheil! — Das neueſte Rauchlied nach
alter Melodie: (ſingt)
So rauchen wir, ſo rauchen wir,
So rauchen wir alle Tage,
In der allerſchönſten
Rauchkompagnie!
—
5 30
Oskar (lacht. Zu Müller). Was jagen Sie? Iſt fie
nicht famos? — Tante Molly, noch einmal, im Chor!
(ſingt) So rauchen wir — Molly fällt ein, die Andern auch; fie
ſingen die Strophe zuſammen.)
Zelinter Auftritt.
Molly, Oskar, Arenberg, Müller; Paula und Alma; ſpäter, nach und nach,
Lucie, Frau von Heide, Frau Schwarzenbeck, Hannchen, Damen und
junge Mädchen, Meerveld und andere Herren, Eckard und Käthchen.
Paula kerſcheint mit Alma im hinteren Saal, von links. Sehr
verwundert, halblaut). Tante Molly ſingt mit den Jünglingen?
— Ich hab' ſchon viel von ihr geſehn, aber das noch
nicht!
Oskar. Meine Herren, ich proponire, wir trinken
auf Tante Mollys Wohl und erklären ſie für einen
Biedermann!
Arenberg. Tante Molly hoch! (Sie lachen, ſtoßen an,
trinken.)
i Molly. Ich danke Ihnen, meine Herren; — ſo laß
ich mirs gefallen: das iſt doch gemüthlich. Als ich die Herren
vorhin ſo grauſam feierlich mit einander Bekanntſchaft
machen ſah, da dachte ich mir gleich: die verſtellen ſich
nur; dieſe jungen Exzellenzen werden bald Menſchen werden.
Sind ja friſches und deutſches Blut!
Oskar (wie die Andern etwas verblüfft, unſicher). Wie —
— wie meinen Sie das?
Molly. Daß Sie mir jetzt Pe, meine jungen
Herren, weil Sie natürlich ſind; und daß ich mir denke:
wenn Sie mit einer luſtigen Frau in Jahren ſo wenig
Umſtände machen, ſo gewöhnen Sie ſichs wohl noch ab,
mit luſtigen jungen Männern ſo viel mehr zu machen.
Das wollt' ich Ihnen gerne jagen; darum „geſtattete ich
mir“, bei Ihnen Platz zu nehmen. Steht auf.) Und wenn
Ihnen wieder einmal die Feierlichkeit zu ſehr in den Rücken
ſteigt, dann denken Sie, bitte, an die „fidele Alte“, mit der
Sie Ihren Spaß hatten, an die Tante Molly!
e
Oskar (ſieht Arenberg und Müller eine Weile verdutzt und
ſchweigend an, wie ſie ihn. Dann, mit Anſtrengung). Ich glaube,
Tante Molly, Sie machen ſich über uns luſtig —
Molly. Gott bewahre. (Nimmt ihr Glas.) Ich erkläre
Sie alle gleichfalls für Biedermänner und trinke auf Ihr
Wohl! (Trinkt.)
Meerveld (ift rechts mit den beiden andern Herren in die
Thür getreten; halblaut). Es ſcheint, Tante Molly geht noch
auf die Univerſität, oder ins Polytechnikum! (Durch den
hintern Saal, von links, ſind inzwiſchen Eckard und Käthchen erſchienen;
von links kommen nach und nach Lucie, Frau von Heide, Frau
Schwarzenbeck, Hannchen, die andern Damen und jungen Mädchen.)
Käthchen (tritt von rückwärts vor, eine ſilberne Schale in der
Hand, etwas verlegen lächelnd; wendet ſich zunächſt an die jungen
Herren am Tiſch). Entſchuldigen Sie, wenn ich ſtöre, meine
Herren. Ich bitte um eine kleine Gabe.
Oskar. Für wen, wenn ich fragen darf?
Käthchen. Für die Frauen und Kinder der Ver—
urtheilten, von denen Sie vorhin hörten.
Meerveld (laut). Ah, das muß ich ſagen! Tante
Molly hat Einfälle . . . Jetzt ſchickt ſie hier den Klingel-
beutel herum!
Eckard (tritt raſch vor, in die Mitte; ſeine Erregung unter—
drückend, ruhig). Sie irren da, Herr Meerveld. Frau Molly
Berger ſchickt Niemand und nichts herum; ich nahm mir
die Freiheit. Ich dachte mir, den Bevorzugten, den Be—
ſitzenden wird es Freude machen, von ihrem Ueberfluß ab—
zugeben an die unſchuldigen Opfer einer bewegten Zeit.
(ih mehr und mehr an die ganze Geſellſchaft wendend) Dieſe
Unglücklichen leiden darum, weil der Unterſchied zwiſchen
Reich und Arm oft ſo grell und grauſam iſt, und ein be—
rechtigter, bitterer Neid ſich dagegen auflehnt. Dieſen Neid
durch Wohlthun abzuſtumpfen, ihm den Stachel zu nehmen,
das iſt unſere Aufgabe, deucht mir; ſagen wir: unſere
Pflicht!
Meerveld. Und darum wollen Sie uns hier alle
beſteuern —
—
Eckard. Hätten Sie es doch lieber abgewartet,
Herr Meerveld. Sie konnten ja gar nicht wiſſen, ob ich
nicht Fräulein Käthchen ausdrücklich anempfohlen habe, an
Ihnen vorbeizugehn. Ob ſich die Andern gern „be—
ſteuern“ laſſen, iſt ja ihre Sache.
Meerveld. Es handelt ſich nicht um das bischen
Steuer, auf die mir's wohl auch nicht ankommt, ſondern
um die äußere Form. Ich glaube, ſo ein Salon iſt wohl
nicht der Ort, um milde Beiträge zu ſammeln!
Eckard. Es iſt faſt drollig, Herr Meerveld, wie ent—
gegengeſetzt da unſere Anſichten ſind. Ich meine, grade
da, wo wir uns als Glückskinder fühlen, unſeren Reich-
thum auskramen, uns in unſerm Behagen ſonnen, grade
da ſchadet es uns gar nicht, wenn wir eine Minute lang
auch an die Andern denken. Vielleicht wär' es ſehr gut,
wenn wir nie aus dem großen Glücksbecher tränken, ohne
auch ein kleines Trankopfer darzubringen; nicht den
„Göttern“, ſondern den Stiefkindern der Götter. Ob ich
heute und hier Recht oder Unrecht habe, das hat Nie—
mand als die verehrte Hausfrau zu entſcheiden; an die
wend' ich mich. Bitte, gnädige Frau, ſagen Sie mir ganz
ſachlich, ohne Salon-Höflichkeit, ob ich Ihr Gaſtrecht miß—
brauche.
Paula. Durchaus nicht, Herr Eckard. Kommen Sie,
Fräulein Käthchen, laſſen Sie mich anfangen. (Käthchen
tritt zu ihr, Paula nimmt aus ihrer Geldbörſe drei Goldſtücke, legt
ſie auf die Schale.) Was ich bei mir habe!
Oskar (bat, etwas näher tretend, mit geſpannter Aufmerkſam—
keit zugeſehen; für ſich). Die Göttliche hat ſechzig Mark ge—
geben. Ich opfere einen Hundertmarkſchein! Gieht einen
der beiden von Eckard empfangenen Scheine hervor, legt ihn auf die
Schale.) Erlauben Sie, daß ich folge!
Molly (lächelnd). Ich bin ſchon abgebrannt!
Lucie (vorne links, wie Meerveld vorne rechts; Eckard in der
Mitte). Das bin ich nicht; aber auf die Gefahr, für
ſchlimmer als abgebrannt zu gelten, erlaube ich mir doch
zu bemerken, Herr Eckard: ich verſtehe Ihren Eifer nicht.
„
Sie ſammeln für unſere Feinde — und zwar für die
ſchlimmſten. Für die Leute, die das Kapital verdammen
und verfolgen, die uns kein Seidenkleid gönnen, die uns
die Diamanten aus den Ohren nehmen möchten — die ſich
gegen die Obrigkeit empören —
Eckard. Nicht für die, gnädige Frau: für ihre hun—
gernden Kinder!
Lucie. Damit aus denen große Leute werden, die
es dann ebenſo machen. Wohin kommen wir denn? Ich
hab' von einer Verſammlung gehört, in der gegen den
Reichthum gezetert und einige von den Reichſten mit ihren
Namen genannt und als prahleriſche, herzloſe Ver—
ſchwender gebrandmarkt wurden; unter ihnen mein Mann
— und ſogar ſeine Frau: ich, Lucie von Leppin. Man
hat ſich erfrecht, mir da vorzuwerfen, daß ich Hundert—
tauſende ausgebe und mir „auf den Leib hänge“, während
ich das Volk ruhig hungern laſſe. Und für ſolches Ge—
ſindel und ihre Nachkommen ſchicken Sie hier ein kleines
unbewußtes Mädchen mit dem Teller herum!
f Eckard erregt, doch ſich beherrſchend, mit ſachlicher Kälte“.
Ich habe die Gewohnheit, gnädige Frau, mich in Andre
hineinzudenken; ſo auch in dieſes „Geſindel“, wie Sie es
nennen. Da begreif ich denn, daß ſo ein Mann aus dem
Volk, der ſeine Kinder zuweilen hungern ſehen muß, ſeinen
ſtruppigen Kopf ſchüttelt, wenn er dieſe oder jene Dame
— gleichviel, wie ſie heißt — die Hunderttauſende auf ſich
herumtragen ſieht, während ſie vergißt, wenigſtens die Zehn—
tauſende als eine Art von Entſchädigung oder Schmerzens—
geld an die darbenden Zuſchauer hinwegzugeben. Denn
ſo eine Selbſtbeſteuerung des Ueberfluſſes hält er offenbar
für eine Menſchenpflicht; und ich th’ es auch. Und wenn
eine Dame aus unſrer Welt ſich darüber hinwegſetzt —
Lucie. Mein Herr! Ich muß bitten! So zu einer
Dame zu ſprechen, iſt — impertinent!
Eckard Guckt zuſammen; tritt etwas näher; faßt ſich). „Im⸗
pertinent!“ Was heißt das? — „Impertinent“ — das iſt
ein ebenſo gemachtes, künſtliches Salon-Wort wie „Dame“;
beide bedeuten nicht viel. Eine „Dame“ kann eine aus—
—
„ Nr =
gezeichnete, hochzuverehrende Frau voll weiblicher Tugend
ſein; ſie kann auch eine eitle, hochmüthige, leere, prunkende
und gemüthloſe Frau ſein, die ihrem Geſchlecht keine Ehre
macht. Sie kann eine von dieſen gefährlichen, ver—
derblichen Frauen ſein, die durch ihr ganzes Gebahren
das Volk empören und aufreizen, gegen uns erbittern, zum
Neid und zum Haß erziehen; die furchtbar mitſchuldig ſind,
wenn wir zwiſchen Oben und Unten keinen Frieden haben,
wenn es gährt und brodelt. Gegen ſolche „Damen“ iſt
man nie „impertinent“, höchſtens offenherzig. Auf jede
ſolche Dame kommen tauſend Scozialiſten, oder hundert—
tauſend; und wenn man ſie anſieht, iſt man in Gefahr,
ſelber einer zu werden!
Meerveld (tritt vor; mühſam vor Zorn). Mein Herr —!
Eckard (mit einer Geberde). Bitte; ſchon gut, ſchon gut.
(zu Paula, wieder ruhig) Ich bitte ſehr um Entſchuldigung,
gnädige Frau, wenn ich Ihnen die Behaglichkeit dieſes
Abends ſtörte. Es — wurde mir zu warm. Zum Glück
laufen Sie keine Gefahr, daß es wieder geſchieht. Ver—
zeihen Sie. Gute Nacht! (Wendet ſich zum Gehn.)
Meerveld (neben Eckard, halblaut). Sie werden begreifen,
mein Herr —
Eckard (ſieht ihm kalt ins Geſicht; halblau). Morgen,
wenn es beliebt. Ich wohne Invalidenſtraße Nummer
achtundvierzig. (Nach hinten, ab.)
Oskar chat die letzten Reden gehört; tritt zu Meerveld; halb—
laut). Wenn Sie etwas wünſchen — ich wohne in derſelben
Nummer. (Bleibt ſtehn.)
(Der Vorhang fällt.)
Zweiter Aufzug.
Bibliothekzimmer in der Wohnung der Frau Paula Dolberg. Ein
großer runder Tiſch in der Mitte, mit weißem Papier, Tintenfäſſern
und Schreibfedern, von Stühlen umgeben. Vorne links ein Fenſter,
daneben ein Lehnſtuhl. Thüren rechts und hinten. Es iſt Tag.
Erſter Ruftritt.
Paula (liegt im Lehnſtuhl am Fenſter, in ihre Gedanken verſunken).
Ein Diener in Livree (tritt von rechts ein). Dann Regine.
Diener. Gnädige Frau, es iſt die Frau Becker da
und fragt, ob ſie Sie ſprechen kann.
Paula. Was für eine Frau Becker? — Ah! die
alte Regine. Laſſen Sie ſie herein. (Diener ab.) Schickt er
die zu mir?
Regine (von rechts; ein Briefchen in der Hand). Guten
Morgen, meine liebe, verehrte gnädige Frau. Wollte mir
gerne die Freiheit nehmen, den Brief des Herrn Eckard
ſelber zu überbringen, um meine liebe gnädige Frau einmal
wieder zu ſehn. (Paula, im Lehnſtuhl bleibend, giebt ihr die Hand.)
Hab' die Freude ſo ſelten!
Paula. Alſo Sie bringen mir Herrn Eckards Ant—
wort? — Setzen Sie ſich, gute Regine; ſeien Sie mir
willkommen. (Hat den Brief genommen, liest ihn. Für ſich)
Ah, wirklich! Er kommt!
Regine. Und wie ſtehts mit der werthen —
Paula (ihr ins Wort fallend). Geſundheit. Gut. Wie
leben Sie, Regine?
Regine. Ich danke der freundlichen Nachfrage; man
muß Gott ja für Alles danken; es geht. So wirds
freilich nicht wieder, wie's beim Seligen war, bei Ihrem
Herrn Gemahl — das heißt, als er noch nicht die Ehre
hatte, Ihr Gemahl zu ſein. Das war ein Junggeſell, den
giebts wohl nicht wieder!
Paula (blidt wieder in den Brief; für ſich). Kühl und trocken
— —
„ ra
ſchreibt er. Aber er kommt! (laut) Nun, ich denke, auch
bei Ihrem jetzigen Herrn geht es Ihnen gut.
Regine. Ich klag' auch nicht, gnädige Frau; man
muß Gott für Alles danken; und für Herrn Eckard wirth—
ſchaftet ſichs leicht, iſt ein ſehr beſcheidener und ordentlicher
Mann. Aber Sie wiſſen ja, die Beiden leben zuſammen,
die Brüder; und mit dem Herrn Felix Eckard — da iſt
allerlei. Man ſollt's gar nicht ſagen; aber mit ſeinem
grauen Kopf hat er doch noch ſo manche Beſtrebungen,
wie ein Schwerenöther —
Paula (mit einer wortabſchneidenden Geberde). Laſſen Sie
das, Regine. Sie ſagen ja ſelbſt: „man ſollt's gar nicht
ſagen.“ Alſo dann ſchweigen Sie!
Regine. Ganz richtig; da haben Sie auch ganz Recht.
Aber ich hab ja beinah auf dem Kopf geſtanden, gnädige
Frau, als vorgeſtern Abend mein Herr Eckard in die
Kutſche ſtieg, um hierher zu fahren. Sonſt ſitzt er ja alle
Abend zu Haus; am Klavier, oder ein Kartenſpielchen,
oder bei den Büchern. Und ich freute mich noch beſonders,
daß er in ein ſo gutes Haus fuhr, zu Ihnen 3
(etwas näher rückend) Aber, gnädige Frau! Nehmen Sie ſich
nur vor der „Schlange“, wie man zu ſagen pflegt, vor der
Frau von Leppin in Acht! Die begegnete mir geſtern;
denn ſie kennt mich ſchon lange, aus den alten Zeiten; und
ſie wurde doch roth wie ein Krebs, indem ſie mir das
ſagte. Und in ihrem beleidigten Selbſtgefühl fing ſie immer
wieder an —
Paula. Was fing ſie an? und was hat ſie Ihnen
geſagt?
Regine. Sagt ich das noch nicht? — Nein; richtig.
O, wie ſchimpfte ſie, gnädige Frau, über dieſen Mittwoch
Abend, bei Ihnen; und über Herrn Eckard, und auch über
Sie —
Paula (wieder mit Geberde)h. Laſſen Sie das auch,
Regine. Ich danke. Wenn Sie Jemand über mich ſchimpfen
hören, brauch' ich's nicht zu wiſſen. — Ah, da kommt
Tante Molly! Steht auf.)
N
Zweiter Auftritt.
Paula, Regine; Molly und Käthchen (von rechts, nachdem der Diener
ihnen die Thür geöffnet hat, worauf er wieder verſchwindet!.
Regine. Dann empfehl' ich mich —
Molly (tränt ein kleineres Packet, Käthchen ein größeres).
Guten Tag, mein Schatz. Guten Tag, Frau Regine.
(Regine grüßt reſpektvoll.) Da bring’ ich Dir was! (Wirft ihr
Packet auf den großen Tiſch.)
Paula. Damit haſt Du Dich ſelbſt geſchleppt?
Molly. Im Wagen. — Gut ſehn Sie aus, Frau
Regine. Sie wollen gehn? Adieu!
Regine ddie unſchlüſſig und bedauernd dafteht). Wäre wohl
gern noch ein bischen geblieben — aber man muß nicht
ſtören — immer, was ſich ſchickt. Ich hatte doch einmal
wieder die Ehre; und man muß Gott —
Molly. Für Alles danken; ſehr richtig.
Paula (giebt Regine die Hand). Meinen Gruß an Herrn
Eckard; und auf Wiederſehn!
Regine. Das iſt ein ſchönes Wort. Auf Wiederſehn
allerſeits! Empfehle mich Ihrem freundlichen Gedenken!
(Rechts ab.)
Molly (gat inzwiſchen die Packete geöffnet). Das iſt eine
Schwätzerin. — Da ſieh her, mein Herz!
Paula. Kinderhäubchen —
Molly. So iſt es.
Paula. Und Servietten —
Molly. Nein; das ſind „Schlappbörtchen“, wie man
bei mir zu Hauſe ſagt: die bindet man kleinen Kindern vor,
wenn fie eſſen. (es an ſich zeigend) So! — — Du wollteſt
für unſer Kinderhoſpiz etwas thun, wie Du neulich ſagteſt.
Ich hab' für Dich eingekauft; dieſe Vorräthe kannſt Du
ſtiften — natürlich auch mehr, wenn Du willſt. Kannſt
Dir auch in deinem Minerva⸗-Kopf noch etwas Aehnliches
ausdenken. Dies zum Vorbild, mein Herz!
u
„ AR
Paula (lächelnd, halblaut). Du willſt mich beſchäftigen.
Ich danke Dir, Tante Molly. — — Mein Billet haſt Du
doch erhalten?
Molly. Richtig! Dein Billet! Ich ſoll mich um
zwölf Uhr hier bei Dir verſammeln .. . Kind, was geht
denn vor? Dieſe feierlichen Stühle um den Tiſch, wie in
einem Verwaltungsrath? Die weißen Bogen Papier?
Willſt Du etwas „gründen“?
Paula (geheimnißvoll lächelnd). Vielleicht. — Lies dieſes
Billet; — und Sie, meine liebe Käthe, laſſen Sie ſich nieder,
machen Sie ſich's bequem!
Molly (liest), Ah! Von Herrn Ulrich Eckard! —
„Gnädige Frau, Sie ſetzen mit Recht voraus, daß ich mich
nicht verſage, wenn es ſich um ein gemeinnütziges Unter—
nehmen handelt. Da Sie bei einem ſolchen meine Mit-
wirkung zu wünſchen ſcheinen, ſo werde ich die Ehre haben,
mich bei Ihnen einzufinden, pünktlich um elf Uhr.“ —
Was heißt das?
Paula. Nun — daß er um elf kommt, und ihr
Andern um zwölf.
Molly. Iſt das eine Antwort? — Was haſt Du
überhaupt für ein ausgetauſchtes, ſonderbares, heimliches
Geſicht? Schelm um den Mund und Ränder um die
Augen — feierliche Bläſſe — und doch nichts Betrübtes . ..
Was iſt denn mit Dir geſchehn?
Dritter Ruftritt.
Paula, Molly, Käthchen; der Diener, dann Oskar.
Diener (von rechts, bringt auf einer ſilbernen Schale eine
Viſitenkarte). Gnädige Frau —
Paula (erregt). Sit das ſchon Herr Eckard? (Nimmt
die Karte.) Nein. Sein Neffe, der Oskar. (verwundert) Was
will der bei mir? — — Ich laſſe bitten. — Kommt dann
Herr Ulrich Eckard, ſo führen Sie ihn ſogleich herein! (Diener
rechts ab.)
5
Molly. Jetzt wünſch' ich aber ganz entſchieden zu
wiſſen, was dies alles vorſtellt; und wenn die Andern
dabei zu viel ſind, ſo ſchick ſie gefälligſt hinaus!
Oskar (tritt von rechts ein; mit aufgeregter Befangenheit
kämpfend). Gnädige Frau — Sie entſchuldigen. Ein Auf—
trag meines Onkels —
Paula (jehr freundlich). Sie nannten mich doch früher
„Frau Paula“; warum jetzt ſo förmlich. Was für ein
Auftrag, mein lieber Oskar?
Oskar (für fih). „Lieber Oskar“! Das ſtärkt! (laut)
Mein Onkel wollte um elf Uhr hier ſein — und es iſt ſchon
elf. Er wird aufgehalten. Als einer der pünktlichſten
Männer, welche die Erde trägt, nimmt er das ſehr ſchwer
und ſchickt mich voraus, um ihn zu entſchuldigen. Er wird
gleich erſcheinen!
Paula (ächelnd). Als eine der unpünktlichſten Frauen,
welche die Erde trägt, nehm’ ich das nicht jo ſchwer. gu
Molly gewendet) Wir haben bis zwölf Uhr Zeit; alſo noch
ſehr viel!
Molly. „Bis zwölf Uhr“ ... Jetzt geh' ich aber
bald auseinander, wenn ich nicht höre, was los iſt. Bis
Herr Eckard senior kommt, muß ich Alles wiſſen —
Käthchen (am Fenſter, blickt hinaus). Frau Paula! Da
kommt er ſchon! Sein Wagen; ich kenn' ihn.
Paula (für ſich). Ho! Wie ſchlägt mir das Herz!
(zu Molly) Nun, da mußt Du warten —
Molly. Ich? Das fiele mir ein. Du vor mir Ge—
heimniſſe haben — nein, mein Kind, das giebt's nicht!
Laß ihn hier nur eintreten; (nach hinten deutend) ich führ'
Dich ins Boudoir; bis das Frauenzimmer Alles weiß,
muß das Mannsbild warten. Die Zwei unterhalten ihn!
(Nimmt Paula's Arm, zieht ſie fort.)
Paula (lien). Du biſt unausſtehlich! — — Sie
ſehen, mein guter Oskar, ich weiche der Gewalt; lihre
Hand auf die ſeine legend) empfangen Sie ihn für mich. Sagen
Sie ihm — ö
re
„
Molly. Sagen Sie ihm, Tante Molly iſt eine neu⸗
gierige alte Urſchel; aber die brave Paula Dolberg iſt bald
wieder hier! (Paula mit fortziehend hinten ab.)
Oskar (der die von Paula berührte Hand betrachtet). Haben
Sie das geſehn, Fräulein Käthchen?
Käthchen. Was?
Oskar. Wie hier ihre Hand lag? Ihre vornehme,
weiche Hand ... (für ſich) Oh! Und ihr nie zu jagen,
was ich für ſie fühle — das halt' ich nicht aus! (laut) Und
wie ſie ſagte: „mein guter Oskar“ — haben Sie das gehört?
Käthchen. Ja, Herr Oskar, ich hab's gehört.
Oskar. Sie jagen das jo unheiter, Fräulein Käth-
chen. Iſt es Ihnen doch nicht recht, daß ich Ihnen in dieſer
Sache ſo volles Vertrauen ſchenke? Ich war wohl aller—
dings vorgeſtern Abend etwas angenektart, als es aus mir
herausbrach —
Käthchen. O nein. Schenken Sie mir's nur weiter.
Es — es ehrt mich ja —
Oskar. Das dacht' ich! Denn nur weil Sie ein
ſo famoſes — — verzeihn Sie — ein ſo kernhaftes, ſeelen⸗
gutes Mädchen ſind —
Vierter Auftritt.
Oskar, Käthchen; Eckard (von rechts).
Eckard (dem der Diener die Thür öffnet und dann wieder
verjchwindet). Der junge Herr alſo auch noch hier. (Giebt
Käthchen, die ihm entgegengeht, herzhaft die Hand.) Guten Morgen,
Vetter. Wie ſteht's? Wann ſpielen wir denn einmal
wieder vierhändig, unſre alten Sonaten?
Käthchen. Wann Sie wollen, Onkel. Ich hab'
immer Zeit.
Eckard. Das kann ich von mir nicht ſagen. Machen
Sie ſich denn gar nichts zu thun, Vetter?
Käthchen. O ja: jeden Vormittag wiederhol' ich mir
aus dem Kopf Ihre Strafpredigten und weiſen Grobheiten
u a lee
aus der letzten Woche; damit vergehn immer zwei Stunden.
(Eckard lacht.)
Oskar (für jih). Wirklich, ein famoſer Kerl, dieſes
Käthchen Berger! — — Aber ich muß ihn ja anpumpen
. (gu Eckard, der mit Käthchen ſpricht) Lieber Onkel, verzeih
einen Augenblick. (leiſe) Wollen Sie mir einen überlebens—
großen Gefallen thun, Fräulein Käthchen? und auf eine
Minute — (nad rechts blicken) ins andere Zimmer gehn?
Käthchen (leiſe). Anpumpen? Schon wieder? (Er zuckt
die Achſeln, nickt.) Ich gehe. (laut) Sie entſchuldigen, Onkel;
wir ſollen Ihnen eigentlich Geſellſchaft leiſten, bis Frau
Dolberg kommt, die — grade noch verhindert iſt —
Eckard. Das thut nichts; ſchon gut!
Käthchen. Ich möcht' aber im andern Zimmer —
etwas anſehn, Onkel. (Eckard nickt freundlich.) Auf Wiederſehn.
(für ſich, wehmüthig) Das wird auch nicht vielen Mädchen ſo
ergehn, wie mir: Der, den ich gern habe, ſchickt mich
immer fort, weil er pumpen muß! (Rechts ab.)
| Eckard. Es ſcheint, Du willſt was von mir. Auf
Deinem Geſicht ſchwebt ſo eine Wolke.
Oskar. Eine Wolke? — — Ich bin allerdings in
einer — merkwürdigen Lage, Onkel —
Eckard (errathend, mit trockenem Ernſt). So, ſo! — Er—
laube mir erſt eine Bemerkung, lieber Oskar.
Oskar (für fih). Aha! Die gute Lehre!
Eckard. Draußen im Vorzimmer ſah ich einen Pelz
hängen; der gehört wohl Dir. (Ostar nickt.) Wirklich! Der
junge Herr Oskar Eckard trägt ſchon einen Pelz! Das
kann den Kürſchnern gefallen!
Oskar. Im Sommer trag ich ihn nicht; aber wenn
Winter iſt —
| Eckard. Ich kenn' keinen Winter. Ich weiß nur von
einer kühleren Jahreszeit, wo ich etwas wärmere Stoffe
trage; und auch das nur ſo ſo. An meine Füße kommt
nie was Warmes; Handſchuhe ſchon gar nicht. In einem
Pelz mag man mich begraben, aber lebendig wird man
mich nicht drin ſehn. — Das wollt' ich nur ſagen!
5
N
Oskar werneigt ſich). Ich danke. Du wirſt mich in
meinem Pelz auch nicht wieder ſehn, Onkel. (für fih) Der
wird verklopft!
Eckard. Das iſt doch einmal männlich geſprochen;
gefällt mir. Aber da kommt mir in den Sinn — — Junge!
Las haſt Du angeſtellt? Dich für mich geſchlagen?
Oskar. Ich?
Eckard. Ja, Du. Vorhin hab' ich's gehört. Mit
dieſem Anton Meerveld.
Oskar (zögernd). Nun ja. Muß das auch gleich wieder
unter die Leute kommen .. . Es iſt nicht der Rede werth!
Eckard. Ich wunderte mich ſchon geſtern, daß nichts
von ihm kam, da er mich doch ſo martialiſch angeblitzt
hatte. Jetzt hör' ich, Du haſt Dir kurzweg erlaubt, ihn
mir abzunehmen —
Oskar. Weil es ſich für Dich nicht mehr paßt, Dich
um ſo was zu ſchlagen; nun gar mit einem Witzbold wie
Meerveld. Mir aber war's eine Wolluſt, Onkel. Ich bitte
alſo ganz ergebenſt um Entſchuldigung; es iſt gern ge—
ſchehn.
Eckard (fein Wohlgefallen zu verbergen bemüht). Vorſchnelles
junges Volk. — Auf Säbel?
Oskar. I, der kann ja nicht. Piſtolen. Er ſchoß
vorbei. Ich traf ſeinen rechten Arm. Er trägt ihn jetzt in
der Binde —
Eckard. Knochen?
Oskar. Nein. Ach nein. Eine ſchlichte Abfuhr.
— Mich ärgert nur, daß Du davon gehört haſt. Eine
Knallerei!
Eckard. Dann wollen wir alſo nicht mehr davon
reden, Oskar. Wir kommen aber ganz von der Hauptſache
ab: von Deiner „merkwürdigen Lage“. Wenn ich Dich
errathe —
Oskar. Natürlich!
Eckard. So erlaube, daß ich Dich aus dieſer Lage
zu befreien ſuche. Meinen Beitrag von vorgeſtern Abend
*
haſt Du ja ohnehin auf Käthchens Teller gelegt; oder doch
die Hälfte. (Giebt ihm aus der Brieftasche einen Kaſſenſchein.)
Halt' nur Haus damit, wenn ich bitten darf!
Oskar (überragt). Onkel! Tauſend Mark!
Eckard. Nur um Dir anzudeuten, daß ich Deine
Entſchuldigung angenommen habe. Jetzt ſtill: Jemand
kommt!
Fünfter Auftritt.
Eckard, Oskar; Paula (von hinten).
Paula. Ich hoffe, Sie ſind nicht böſe, Herr Eckard,
daß ich Sie warten ließ; es iſt nicht meine Schuld —
Eckard. Bitte, laſſen Sie das. Ein Pedant bin ich
nicht. (halblaut) Jetzt empfiehl Dich, Raufbold!
Oskar. Leben Sie denn wohl, verehrteſte — Frau
Paula. Ich bin —
Paula (in ihrer Bewegung und Verlegenheit gefliſſentlich herzlich).
Leider hab' ich Sie kaum geſehn; kommen Sie doch wieder.
Ich bin viel zu Haus! (Giebt ihm die Hand.)
Oskar (vor Freude mühſam). Wie — wie Sie befehlen.
Adieu! (an der Thür, für ſich) Ein göttliches Weib. — Tauſend
Mark. — Ich trinke etwas Edles — und dann komm' ich
wieder! (Rechts ab.)
Paula chat inzwiſchen die Packete vom runden Tiſch nach hinten
getragen und auf einen kleineren Tiſch gelegt; nöthigt Eckard zum Nieder—
ſitzen). Wie ſoll ich Ihnen ſagen, Herr Eckard, wie — ver—
legen ich bin. Ich hätte ja nie gewagt, Sie noch einmal
zu bitten — um Ihr Kommen, mein' ich — wenn ich nicht
gedacht hätte: es gilt einer guten Sache. Bitte,
werden Sie nicht ungeduldig, wenn ich vielleicht etwas ver—
worren ſpreche; (offenherzig lächelnd) ich hab' mir jo viel über⸗
legt, was ich und wie ich es Ihnen ſagen wollte — daß
ich nun gar nichts mehr weiß!
Eckard. Es wird wiederkommen. (freundlich) Nehmen
Sie ſich nur Zeit. Ich habe Geduld.
4
55
Pe;
Paula. Ich danke Ihnen. — Seit vorgeſtern Abend
nämlich — — Ihre Reden, Ihre Gedanken haben mich
tiefer getroffen, mir mehr zu ſchaffen gemacht, als Sie ahnen
können. Ich bin jo erhoben — und zugleich jo beſchämt . . .
Es gährte ſchon Manches in mir — ſchon ſeit einiger
Zeit . .. Kurz, es iſt eine Veränderung mit mir vor—
gegangen; eine große, mein' ich. Sie haben mir die Er—
ſchütterung gegeben, die ich brauchte — mir gezeigt, was
ich ſoll, was ich muß — und vielleicht auch kann — und
ich danke Ihnen!
Eckard. Ich bin ſehr überraſcht, gnädige Frau. An
ſolche Wirkungen — iſt man nicht gewöhnt. Und, um
ehrlich zu ſein —
Paula. O ja; darum bitt' ich —
Eckard. Eine ſolche Wirkung auf Frau Paula
Dolberg hatt' ich nicht erwartet.
Paula. Ich weiß. Was war ich in Ihren Augen?
Eine elegante Frau; weiter nichts. Warum blieben Sie
damals aus unſerm Hauſe fort? Weil Sie für den Um—
gang mit Frauen nicht taugen — ſo ſagen Sie — und ſo
meinen Sie's — aber das allein war es ja doch nicht.
(mit halb unterdrücktem Schmerz) Jetzt verſteh' ich Sie: es er—
müdete Sie der Umgang mit einer Frau, die doch eigent—
lich nur an ſich ſelber dachte; die nicht Belehrung ver—
langte, ſondern Unterhaltung, nicht Wahrheit, ſondern Ga—
lanterie; die es für überflüſſig hielt, auch der Welt zu
nützen. Ich war eine Salondame nach dem modernen Re—
zept; nicht ſchlecht für meinen Mann, freundlich gegen die
Menſchen, aber gleichgültig gegen die großen, idealen
Pflichten, die wir zugleich mit dem Reichthum erben!
Eckard (lächelnd). Bitte, hören Sie auf. In dem Eifer,
ſich ſchlecht zu machen —
Paula. Nein, ich übertreibe nicht; ſo war's. Den
Leuten, die mich umgaben, denen gefiel ich ſo; Niemand
ſagte mir: laß das! — Nach meines Mannes Tod kam zwar
ein brütender Ernſt über mich; ich mißfiel mir ſelbſt; aber
für meinen unbeſtimmten, unklaren Drang fand ich keinen
Führer, und jo ſchwankte ich meines Weges weiter. (fich
jelber einwendend) Tante Molly .. . O ja, Tante Molly gab
mir ja ein großes, herrliches Beiſpiel; aber ich wußte nichts
damit anzufangen, ihr nachäffen konnt' ich nicht .. . Sie
haben mir die feſten, beſtimmten, leuchtenden Gedanken ge—
geben, die mir fehlten. „Dem Neid der Armen ihren
Stachel nehmen“, durch unabläſſiges Wohlthun . . . „Nie
aus dem großen Glücksbecher trinken, ohne auch ein Opfer
zu bringen“ . .. „Selbſtbeſteuerung des Ueberfluſſes“, als
heilige Menſchenpflicht ... Ja, ich danke Ihnen. Das
will ich thun; dafür will ich leben!
Eckard. Sie machen mich wirklich — ganz verwirrt,
gnädige Frau. Eine ſolche Veränderung — ein ſo ge—
waltiger, heiliger Ernſt in einer ſo eleganten Dame —
verzeihen Sie — — es ergreift mich ſehr. Wie muß es
in Ihrem Herzen gegährt haben, daß ſo ſchlichte Ge—
danken —
Paula (den Kopf jhüttend). Himmliſche Gedanken —
Eckard. Sie ſo überwältigen konnten! — — Aber
ich glaube, ſolche Wunder thut der Geiſt dieſer Zeit.
In meiner Jugend lebte ich auch ſo in den Tag hinein;
genoß mein Erbtheil für mich, kaufte Bilder und Bücher,
machte weite Reiſen, bildete an mir herum; dachte nicht viel
an die „Stiefbrüder“, die das Schickſal im Thal der Noth
angeſiedelt hatte. Die aber rührten ſich endlich — und die
Zeit ward anders; und ſo nach und nach merkte ich auf
die Zeichen der Zeit, und ſo nach und nach gingen ſie mir
zu Herzen. Ich fühlte es endlich bis ins Mark hinein:
das iſt eine große Epoche, in die wir geſtellt ſind! Die
hat ſich ein Ziel gefunden, das die Welt noch nicht hatte;
durch allerlei thörichte Theorien hindurch geht ſie auf ein
mögliches, geſundes, menſchenliebendes Ideal, auf die
ſoziale Ausgleichung zu; ſie erzieht ihre Menſchen zu
den höchſten Pflichten, ſie wäſcht ihnen die Augen klar und
legt ihnen die Hand aufs Herz. Wohl Denen, die jetzt
beſtehn; weh Denen, die jetzt nichts lernen! — Und ſo
geh' ich nun meinen Weg, (lächelnd) dem Geiſt der Zeit auf
den Ferſen, ſo fix wie ich kann — und hoffe zu beſtehn!
4 *
—
*
Paula (ergreift jeine Hand). Ich danke Ihnen für jedes
Wort, das Sie mir da ſagten; — aber vor Allem für das
Bekenntniß, daß Sie auch einſt ſo hinlebten, ohne das große
Ziel. Dann bin ich ja auch noch nicht verloren, nicht wahr;
kann auch noch meinen Zweck und mein Leben finden —
und die Achtung vor mir — und ein inneres Glück!
Eckard (ſehr bewegt). Gute, theure Frau! — — Darf
ich das ſagen —
Paula. O ja. Alles, was Sie wollen!
Eckard. Ich bin — ſo ſonderbar glücklich; ich weiß,
daß dies alles wahr iſt, daß ich Sie wirklich ſehe — und
doch könnt's ein Traum ſein — — und doch iſt es keiner.
Alſo eine Frau wie Sie find' ich doch auf der Welt! (auf
eine ſchmerzlich ſchamhaft ablehnende Bewegung Paula's) Nein, ſeien
Sie ruhig, ich will Ihnen nicht ſchmeicheln — will Sie
auch nicht rühmen ... Nur zur Sache, liebe gnädige
Frau, laſſen Sie mich noch ſagen: ſo ein Gleichmacher
bin ich nicht, der die perſönliche Freiheit umbringen, den
Reichthum abſchaffen, den Luxus des Schönen aus unſerer
armen Welt hinausjagen will. Die großen Künſtler ſind
die größten Wohlthäter der Menſchheit; und auch ein
ſchönes Kleid, wenn's ein guter Menſch trägt, iſt wie ein
Sonnenſtrahl mehr. Es kann gar nicht genug Schönes
auf Erden geben; es ſoll Schönes für Alle geben; — die
Engländer mit ihren großen und vollen Händen faſſen auch
das ſchon an, ſie bauen Volkspaläſte, Millionen werth,
in denen der letzte Mann für einen Penny edle Bilder ſieht,
reizende Muſik hört, gute Bücher lieſt, ſchwimmen und
ſpielen kann. Solche Werke der Menſchenliebe kann nur
der Reichthum ſchaffen; und der ſoll ſie ſchaffen. Aber
zwei Gebote ſtehn auf meiner Tafel, und ich glaube, der
Geiſt der Zeit hat fie auch auf ſeiner: „es ſoll keine
Nichtsthuer geben“ und „der Reichthum ſoll helfen,
nicht beleidigen“!
Paula. O wie fühl' ich das. Nur ſo in Worte
konnt ich es nicht faſſen. Ja, für dieſe Gebote zu leben
— das iſt mein Gedanke; das fange ich heute an. (auf
den Tiſch und die Stühle deutend, mit weichem Lächeln) Sie ſehn.
u
Mein erſter Verſuch; — mir brennt jo das Herz, auch
meine Pflicht zu thun, auch etwas zu ſchaffen. Sie haben
mir noch den rechten Geiſt, die rechten Worte gegeben; nun
bin ich ganz bereit!
Eckard. Was für ein „erſter Verſuch“?
Paula (herzlich lächelnd. Gönnen Sie mir mein Ge—
heimniß noch für eine Stunde; N ‚möchte ganz, ganz
aus mir — — Morgen hören Sie's. Darf ich Ihnen
ſchreiben, lieber beſter Meiſter, wenn's geſchehen iſt? heute
Nachmittag?
Eckard. Ich komme und hör's von Ihnen ſelbſt,
wenn Sie es erlauben. (lächelnd) Bis morgen kann ich
nicht warten: mir brennt auch das Herz — aber vor Be—
gierde, zu wiſſen, was ſo eine Frau ſo im Stillen ſchafft.
(Sieht nach ſeiner Uhr.) Bald zwölf. Ihr Unternehmen wird
wohl jetzt beginnen ... (Sie nickt.) Hm! — Viel jünger
ſehen Sie heute aus als vorgeſtern Abend. — Und auch
wieder viel älter. — Sie machen mich ſehr konfus. — —
Alſo Glück zu Ihrem Werk, und auf Wiederſehn! (Nimmt
ihre Hand, ſieht ſie an; küßt ſie.) 7
Paula (einen Ton der Ueberraſchung ausſtoßend). Ah!
Eckard (etwas verlegen lächelnd). Sie erlauben
Ich hab' das ſonſt nie gethan. Nur um Ihnen anzu⸗
deuten — wie hoch ich Sie achte ... Adieu! (Rechts ab.)
Paula blickt abwechſelnd auf ihre Hand und auf die Thür,
durch welche Eckard abging). War das wirklich Herr Ulrich
Eckard? — Er hat mir die Hand geküßt? — — Wie be-
wegt er war. (Legt die rechte Hand auf ihr Herz.) Und ich
bins wohl nicht? — — Ich hab' einen richtigen Nebel
vor den Augen. Wie das ſo ſonderbar, ſo anders iſt: der
Handkuß — und Alles. — Ein wunderlicher Mann ..
Ein Mann!“
Sechſter Auftritt.
Paula; Molly.
Molly (öffnet hinten leiſe die Thür, zeigt zunächſt nur die
halbe Geſtalt). Ja, Du biſt allein. Es war hier ganz ſtill
geworden —
Paula. Ja, er iſt fort.
Molly. Es war auch Zeit: zwölf Uhr! — Ich bin
in einer himmliſchen Aufregung, hab' ganz heiße Backen.
Es muß was werden, es muß!
Paula. Ja, Tante Molly, es muß!
Molly (bebt ein beſchriebenes kleines Blatt empor, das ſie in
der Hand hält). Hier iſt ſchon der Kriegsplan, eben von mir
aufgeſetzt. Es ſind ja wackere Frauen, die Du hergebeten
haft — zu allem Guten zu bringen — aber wir mũſſen
doch klug ſein wie die Schlangen, Paula; zur Politik ge⸗
hört ein Kilo teufliſche Schlauheit, und dies iſt Politik.
Beſonders da Lucie von Leppin dabei iſt; — muß das
wirklich ſein? ü
Paula. Sie darf nicht ſagen, man habe ſie aus⸗
geſchloſſen; ſie ſoll ihre Farbe hier zeigen —
Molly. Und Du meinſt, ſie kommt?
Paula (nit). Sie hat zugeſagt. Ich ſchrieb ihr
geſtern einen ſehr artigen, bedauernden Brief — der mir
grauſam ſchwer wurde — und ſie wird nun kommen.
Molly. Das iſt alles eins: die Hauptperſon bleibt
immer Frau von Heide; vor der haben ſie alle einen
wunderbaren Reſpekt. Sie würde uns aber in ihrem
Güterzugs⸗Tempo langſam zu Tode reden; darum iſt mein
Kriegsplan: Du und ich, wir machen die ganze Debatte
allein! So oft die Heide oder ſonſt Jemand reden will,
fall ich ihr ins Wort; ſage alles Dumme und Unpaſſende,
was man ſagen kann — und Du 5 mich. Bei
jedem neuen Paragraphen daſſelbe. Um Dir's leicht zu
machen, hab' ich meine dummen Einwände und Deine
höhere Weisheit (auf das Blatt deutend) hier in großen Zügen
entworfen; lies es durch und merk Dir's — haſt ja einen
raſchen Kopf! (Horcht.) Deine Damen kommen. Ich werd'
ſie im Saal empfangen: ſtudir Du unterdeſſen geſchwind
unſere Debatte. (ziebt Paulas Hand an ihre Wange) Fühl',
wie ich hier brenne. Aber ich zittere vor Wonne über
meine Paula. Ich hab's immer gewußt: unter ihren ſchönen
Kleidern wachſen ihr ſo ganz im Stillen ein paar große
SL 1
Flügel, mit denen fliegt fie noch Hoch! (fie ſchnell küſſend)
Da! (Eilt rechts hinaus.)
aula. Gute Tante Molly. (lächelnd) So eine ruch—
)
loſe Intrigantin — und jo ein reines Herz! — Daß das jo
beiſammen ſein kann . .. (Blickt auf Molly's Blatt.) Mit
welcher diaboliſchen Geſchwindigkeit hat ſie das entworfen!
Und wie überſichtlich; wie klug. (Fährt ſich mit einer Hand über
die Augen.) Aber der Nebel kommt wieder; die Buchſtaben
laufen durcheinander wie beim Bäumchen-Verwechſeln.
Nein, ich kann's nicht leſen. — Ich will mich auf die
Stimme in meinem Herzen verlaſſen, die wird mir's ſchon
eingeben; und du wirſt mir deine Worte leihen, guter
Meiſter Eckard; für einen Zweck, der nach deinem Sinn
iſt, darf ich ſie ja brauchen!
Siebenter Auftritt.
Paula; nach und nach, von rechts, Molly, Frau von Heide, Lucie, Frau
Schwarzenbeck und noch zwei Damen.
Molly. Da ſind wir, Hausfrau; alle ſchon bei—
ſammen. Der Reichstag kann von uns lernen!
Paula (jeder die Hand gebend). Meine lieben und werthen
Damen, herzlich, herzlich willkommen. Sie haben meine
dringende Bitte freundlich aufgenommen; ich danke Ihnen
aufs wärmſte!
Frau von Heide. Sie ſchrieben von einem „edlen,
gemeinnützigen Werk“, das wir berathen ſollten; Sie wiſſen,
liebe Frau Dolberg, dem entzieh' ich mich nie.
Molly (für ſich). Langſam, aber gut. (laut) Frau
von Heide ſagt, wie immer, das rechte Wort. Und nun,
denk' ich, ad loca! wie die Studenten ſagen. Gehn wir
friſch an's Werk! (Nimmt einen Stuhl, ſtellt ſich hinter ihn.)
Paula. Bitte, meine Damen, rund um den Tiſch! (Sie ſetzen
ſich; Paula den Zuſchauern grade gegenüber, rechts von ihr Frau
von Heide, links Frau Schwarzenbeck; neben dieſer Molly, neben Frau
von Heide Lucie; die beiden Andern auf der Vorderſeite des Tiſches.)
Molly während ſie ſich ſetzen). Und da es ſich
um eine parlamentariſche Berathung handelt, ſo brauchen
wir auch ein geordnetes Verfahren und einen Präſidenten.
Ich ſchlage vor: die Hausfrau präſidirt!
Frau von Heide. Ich glaube, meine Damen, wir
ſollten uns dieſem Vorſchlag anſchließen: denn —
Molly (ihr ins Wort fallend). Alſo angenommen. Frau
Dolberg iſt Präſident!
Paula (ſteht auf). Ich danke Ihnen für die Ehre, die
Sie mir erweiſen; und ohne weitere Förmlichkeiten —
(ächelnd)bp von denen ich auch keine Ahnung hätte — geh'
ich gleich zur Sache. Ich habe mir erlaubt, Sie hierher
zu bitten, (indem ſie vermeidet, Lucie anzuſehen) weil ich Ihre
gute Herzen kenne und darauf vertraue; und weil Sie, wie
ich, (lächelnd) noch in dem unternehmenden Mittelalter ſind;
die Aelteren, zum Beiſpiel meine Mutter, ſind darum nicht
hier. Wir gehören zu den ſogenannten reichen Frauen,
meine Damen; zu den beneideten. Der Neid iſt ſchmeichel—
haft, ſagt man — aber auch gefährlich; und uns allen
wär's wohl nicht recht, wenn es uns wie jenen Frauen auf
einer fernen Inſel erginge, von denen eine Geſchichte er—
zählt. (mit einem flüchtigen Seitenblick auf Lucie) Es war da eine
beſonders Reiche, der es in ihrem Uebermuth gefiel, Perlen
zu verbrennen; und als einmal ein alter Mann aus dem
Volk dazukam und die Hände rang und ihr vorhielt: „von
ſo einer einzigen Perle könnte eine arme Familie ganze
Jahre leben!“ da erwiderte die reiche Frau: „eben weil ich
das weiß, verbrenne ich ſie gern; darin liegt der Reiz, das
iſt mein Vergnügen!“
Molly (iteht im Eifer auf). Ja, aber ein Jahr darauf
kam ein Reiſender auf dieſelbe Inſel, und fand Alles in
Aufruhr; und ſah vor der Stadt eine lange Reihe von
Scheiterhaufen, die ſehr luſtig brannten. Und als er fragte,
was das bedeute, erhob ſich ein alter Mann aus dem
Volk und ſagte: „Wir verbrennen alle reichen Frauen, da—
mit ſie keine Perlen mehr verbrennen; das iſt unſer Ver—
gnügen!“
Paula (ächelnd). Ich danke Dir, Tante Molly. Wenn
Du auch meine Rede halten willſt, jo ſag' es; dann mach'
ich Dir Platz!
Molly (zerknirſcht). Ich bitte tauſendmal um Vers
gebung, Herr Präſident. Ich will's nicht mehr thun!
(Setzt ſich.)
Paula. Meine Damen, auch bei uns giebt es
ſolche Frauen, die gerne Perlen verbrennen; Sie willen,
wie ich's meine. Sie ſehen ja jeden Tag, wie zwecklos,
wie ſinnlos, wie herzlos von ſo Manchen geprunkt und
vergeudet wird, während ſo viele Andre in Noth und
Elend vergehn. Und auch bei uns rührt ſich mancher
fromme Wunſch, alle die reichen Frauen, alle, gründlich
zu verbrennen! Zuſtimmende Bewegungen.) Schon die Ver—
nunft, die Furcht ſollten uns zuſammentreiben, daß wir
uns bemühn, die hoffährtigen und herzſchwachen unter
unſern Schweſtern an dieſem Perlen-Verbrennen zu hindern,
das das Volk erbittert. (Lucie ſteht auf; bezwingt ſich, jest ſich
wieder. Paula fährt ruhig fort, mit ſchlichter, wachſender Wärme.)
Aber nicht nur die Furcht — auch das gute Herz, auch
die Menſchenliebe, alles Edle in uns! Sollen die Bevor—
zugten nicht den Andern zeigen, daß ſie ſich ihnen brüder—
lich und ſchweſterlich verpflichtet fühlen, daß ſie über allen
Unterſchied hinweg in Gemeinſchaft leben, daß ſie in
jedem Glück auch der Noth gedenken? — Kurz, daß ich
Ihnen gleich meinen Gedanken ſage: laſſen Sie uns einen
Verein guter Frauen gründen — zunächſt in unſerer Stadt
— die ſich zur Selbſtbeſteuerung ihres Luxus ver—
pflichten; damit finge es an!
Lucie (mit etwas ſpöttiſchem Lächeln). Meine liebe Paula,
ich verſtehe noch nicht —
Paula. Sie werden ſogleich — — Hören Sie,
bitte, den erſten Paragraphen meines vorläufigen Entwurfes
an. (Nimmt ein Blatt, das vor ihr auf dem Tiſch liegt; liest vor.)
„Jedes Mitglied dieſes Vereins verpflichtet ſich, bei jedem
größeren Genuß ſeines Ueberfluſſes — ſei es eine Reiſe,
oder ein Feſt, oder ein andrer Luxus irgend welcher Art
— einen näher zu beſtimmenden Prozentſatz der ausge—
—
— 58 —
gebenen Summe für Zwecke der Menſchenliebe zu ver⸗
wenden.“
Lucie (für ſich). Ah! Das fängt gut an!
Frau von Heide. Hm! — Ein überraſchender,
aber zum Herzen ſprechender Gedanke. Nur wäre doch
wohl auch allerlei zu bedenken —
Molly ſſteht raſch auf). Eben das wollt' ich jagen,
und ich bitte ums Wort!
Paula. Frau Molly Berger hat das Wort. (Setzt ſich.)
Molly. Wie Frau von Heide richtig bemerkt: gegen
dieſen gewiß vortrefflichen Gedanken ſprechen doch auch
ſtarke Bedenken! Denn erſtens: „bei jedem größeren
Genuß ſeines Ueberfluſſes“ ſoll man ſich beſteuern; wo
fängt aber der größere an, wo hört der kleinere auf? Und
zweitens: wer ſoll kontrolliren, ob Jeder das auch thut,
wozu er ſich verpflichtet? Und drittens: „Zwecke der
Menſchenliebe“ — alſo meiſt doch Almoſen — — er—
ziehen wir nicht ſo die Menſchen mehr und mehr zu Bett—
lern? Und endlich viertens: ſind denn auch alle guten
Frauen wohlhabend genug, um jede größere Ausgabe
noch durch ſo eine freiwillige Steuer zu vermehren?
Dixi! Setzt ſich.)
Frau Schwarzenbeck. Da haben Sie wohl
Recht —
Paula (ſteht auf). Ich erſuche Frau Molly Berger,
mich nur recht zu verſtehn; dann hat ſie nicht Recht. Ich
will ja nicht einen Verein der armen Frauen gründen,
ſondern der reichen; dieſe reichen — wie wir — ſollen
ſich beſteuern, und zwar nur wenn ſie Luxus treiben, und
zwar nur wenn es ein handgreiflicher Luxus iſt.
Wann und wo er das iſt, das ſoll Jede nach Einſicht und
Ehrgefühl entſcheiden; wir wollen ja ein freier Verein von
ehrliebenden, gebildeten, denkenden Frauen ſein; wir wollen
uns ſelber, durch gegenſeitiges Beiſpiel und einen edlen
Wetteifer, zu Vorbildern für die Uebrigen erziehn und eine
neue Zeit mitbegründen helfen. Darum brauchen wir
auch keine Vereinspolizei, die uns „kontrollirt“; unſer
„
Ehrgefühl wird uns überwachen. Wenn aber die geehrte
Vorrednerin von Almoſen ſprach, — giebt es denn nichts
als das? Sind nicht unzählige Stiftungen und Häuſer
für das Volk zu ſchaffen, für ſeine Waiſen, ſeine Schwäch—
linge, ſeine Fortbildung, ſeine äſthetiſche Erziehung, ſeine
edlen Vergnügungen — denn auch Schönes ſoll es ja
für Alle geben — das ganze Volk ſoll empor, empor
— dafür leben wir. Dafür ſollen vor Allen wir, die von
Gott Geſegneten, leben. Das iſt unſre Pflicht! f
Frau von Heide (iteht auf; bewegt). Sie haben Recht,
meine liebe Frau Dolberg. (Giebt ihr die Hand.) Das iſt
unſre Pflicht. Und „das ganze Volk ſoll empor“; „es ſoll
Schönes für Alle geben“; das ſind gute Gedanken. Ich
bin dabei! bin dabei!
| Molly. Frau Paula Dolberg hat mich ſchmählich
widerlegt; ich gebe mich überwunden. Vorwärts zu
Paragraph Zwei!
Frau Schwarzenbeck. Dann habe ich auch keine
Bedenken mehr. Vorwärts zu Paragraph Zwei!
Lucie (mit einem böſen, unklaren Lächeln). Ja, hören wir
Paragraph Zwei!
Paula. Hier it er. (Liest) „Wird ein Mitglied
dieſes Vereins dem Zweck deſſelben ſo untreu, daß es wegen
Unwürdigkeit ausgeſtoßen wird, ſo ſind alle Mitglieder ver—
pflichtet, den geſellſchaftlichen Verkehr mit der Ausgeſtoßenen
völlig aufzugeben.“
Lucie (unwillkürlich). Ah!
Frau von Heide. Ah! das iſt — wieder über—
raſchend. Da kommen wir aber doch auf ein bedenkliches
Gebiet —
Molly (ſteht raſch auf). Das meine ich auch, und ich
bitte ums Wort!
Paula. Frau Berger hat das Wort. (Setzt ſich.)
Molly. „Den geſellſchaftlichen Verkehr völlig auf—
zugeben“ — das iſt ja die heilige Vehme. Da ſchüttelt
ſich mein Kopf. — Und wie ſoll man das durchführen?
— Und mit wem ſollen dieſe Verfehmten dann noch umgehn,
u
.
wenn wir ſie aus unſern Jours fixes und Salons ver—
ſtoßen?
Paula (ſteht auf; Molly ſetzt ſich). Die geehrte Vor—
rednerin hat von der „heiligen Vehme“ geſprochen; ich fürchte,
das war ein unglücklicher Vergleich. Wer durch das
heilige Gericht verfehmt war, den waren alle Eingeweihten
verpflichtet an einem Baum aufzuhängen, oder ſonſt zu
tödten. Ein ſo gründliches Verfahren beantrage ich ja nicht.
Wie man aber das durchführen ſoll, das was ich be—
antrage? Ja, meine Damen, etwas Konſequenz und auch
etwas Muth gehört zu jeder ernſten Sache; will man nichts
unternehmen, als was bequem und gemüthlich iſt, dann
mache man ſich nur lieber gleich ſeine Wiege zum Sarg
zurecht. Mit wem dieſe ausgeſtoßenen, ſchlechten Frauen
dann noch umgehen ſollen? Nur mit Ihresgleichen; —
es wird ihnen leider nicht fehlen. Von uns aber ſollen
ſie nur den Rücken ſehn; der iſt für ſie gut genug!
Lucie (ſteht auf). Und wie, meine liebe Paula, denken
Sie es mit den Andern zu halten, die von vornherein
verweigern, in Ihren Verein zu treten?
Paula (erwidert ruhig und feſt Luciens etwas herausfordern-
den Blick). Von denen handelt Paragraph Drei. (Liest.)
„Es iſt ſelbſtverſtändlich, daß gegen diejenigen Frauen, die
den Eintritt in den Verein ablehnen, keine Art von Zwang
oder Gehäſſigkeit ausgeübt werden ſoll. Dagegen ver—
pflichten ſich die Mitglieder, Frauen aus ihrer Welt, die
durch ihre auffallende, ſelbſtſüchtig verſchwenderiſche Lebens—
führung ein unwürdiges und gefährliches Beiſpiel geben,
von ihrem geſellſchaftlichen Umgang auszuſchließen.
Lucie. Ah! Alſo wirklich! Denen, die ihr Leben
anders führen als Sie, erklären Sie den Krieg!
Paula. Was nennen Sie „Krieg“? Wenn ich mit
Ihnen oder irgendwem das Handſchütteln aufgebe, weil es
mir mißfällt, ſchieß'b ich ihm damit eine Kugel vor den
Rapi? Und ſoll ich nicht den Muth k haben, einem uns
würdigen Menſchen zu zeigen, daß er mir mißfällt? —
Sehen Sie mich nicht ſo bedenklich an, liebe Frau von Heide;
wie wollen wir denn erreichen, daß das Gute durchdringt,
wenn wir uns nicht herausnehmen wollen, das Schlechte
zu verachten? wenn wir es nicht einſchüchtern und bei Seite
drücken, bis es ſich vor der Welt und zuletzt vor ſich ſelber
ſchämt, und herüberkommt? — Man ſoll keine Perlen
mehr verbrennen; der Reichthum ſoll helfen, er ſoll nicht
beleidigen; ſo will's unſre Zeit, dem muß man ge—
horchen. Wer durch ſeinen Reichthum beleidigt, der ſoll
ſo lange von uns verleugnet, ausgeſchieden werden, bis er
ſich bekehrt. Fühlen Sie das nicht? Sie alle? Stimmen
Sie mir nicht zu?
Frau von Heide (fteht auf). Ja, ja, ja, meine Beſte
— ja, ich ſtimm' Ihnen zu. „Der Reichthum ſoll helfen“
— „er ſoll nicht beleidigen“ — ja, darin liegt's. Ich
unterſchreib' Ihnen alles; ich bin mit dabei!
Molly (für fih). Langſam, aber wieder gut! (laut)
Frau von Heide geht, wie immer, den rechten Weg. Meine
Damen, die Hand hoch, wer ihr folgen will! (Ale heben die
rechte Hand, außer Lucie.)
Paula glücklich). Alle! — — Nur Sie, Lucie, nicht?
Lucie (ſteht auf). Nein, meine Liebe, ich nicht. Ich
bin ſeit zwölf Jahren mündig, ich laſſe mich nicht mehr be—
vormunden; weder durch Sie, noch durch Ihren Verein.
Was ich mit meinem Gelde thun will, das iſt meine Sache;
zwingen laſſ' ich mich nicht! |
Paula. Ich verſtehe nicht. (auf ihren Entwurf deutend)
Sie ſollen ja freiwillig —
Lucie. Freiwillig! Ach, die liebe Unſchuld. Sie
wollten mich zwingen, mitzumachen, oder wegen „unwür—
diger Lebensführung“ mir den Stuhl vor die Thür ſetzen;
darum haben Sie dieſen Paragraph Drei erdacht — Sie
oder Ihr Helfershelfer!
Paula. Was für ein Helfershelfer?
Lucie. Heucheln Sie doch nicht. Ihr Herr Ulrich
Eckard; er ſtieg ja da unten in ſeinen Wagen, als ich kam;
er kam ja von Ihnen. Mit dieſem feinen Herrn, der ſo
bezaubernd galant gegen die „Damen“ iſt, haben Sie ſich
verbündet, um auch einmal auf dieſe Weiſe intereſſant zu
u —
une
jein und um mich klein zu machen. Mit Lucie von
Leppin, meine Liebe, werden Sie ſo nicht fertig! Ver—
fehmen Sie mich nur, weil ich zu viel Geld verbrauche und
zu wenig verſchenke; ſpielen Sie die Duleinea dieſes Don
Quixote; den Ritter gönn' ich Ihnen. Ich werde doppelt
jo viel verbrauchen, Paragraph Drei zum Trotz. Adieu!
(Rechts ab.)
Frau Schwarzenbeck (aach kurzem Schweigen). Das
bedaur' ich ſehr. Wenn die Leppin nicht mitthut —
Frau von Heide. Ei was! Dann erſt recht! Nun
grade! — Frau Schwarzenbeck, wackeln Sie nicht, bleiben
Sie feſt. Von einer „Dulcinea” zu ſprechen — das iſt
ja empörend. Die ſoll uns kennen lernen ... Da haben
Sie meine Hand, Frau Dolberg. Ich bin feſt dabei; und
die andern auch!
Frau Schwarzenbeck. Nun ja doch. Da iſt meine
Hand! (Die Andern folgen.)
Paula. Sie machen mich glücklich, meine Damen;
ſo glücklich —
Frau von Heide. Wenn Sie uns ein Glas Wein
angeboten hätten, ſo tränk' ich gleich auf Ihr Wohl!
Paula. Das ſollen Sie morgen thun, meine Beſte,
wenn Sie dann noch wollen: zu morgen Abend bitte ich
Sie alle (lächelnd) auf einen feſtlichen Trunk; da machen
wir dann unſern feierlichen Bund, feilen unſere Satzung
fertig, ſchreiben die Frauen auf, an die wir uns wenden
wollen, daß ſie zu uns treten. Alſo morgen im Rütli,
liebe Eidgenoſſen!
Frau von Heide. Werden nicht ermangeln. So
ziehn wir denn ab, meine Damen; um einige gute Gedanken
klüger, als wir gekommen ſind. (zu Paula) Sie gefallen mir
ſehr; — Adieu. (ihre Begleitung ablehnend; Bleiben Sie nur
hier. Uebrigens, Frau von Leppin iſt bedeutend länger
als zwölf Jahre mündig; iſt kaum jünger als ich! —
Adieu! (Rechts ab, mit Frau Schwarzenbeck und den beiden Andern;
nur Molly bleibt bei Paula.)
e
Molly. Sie iſt doch ein guter Kerl, dieſe Frau
von Heide. — Nun muß ich mich aber an Deine Helden—
bruſt werfen, meine theure Paula. (umarmt fie.) Dieſe erſte
Schlacht haſt Du ſchön gewonnen! Die Leppin wird's
merken . . . (fie noch umſchlungen haltend) Ich war Dir aber
eine gute Folie; wie? Für die gute Sache hab' ich ein
bischen geteufelt, das thut nichts; Gott ſieht in mein Herz!
Paula. Tante Molly, ich bin in einem Himmel —
in dem war ich noch nie! (Klopfen an der hinteren Thür.)
Molly (verwundert). Wer klopft da? aus Deinem
Boudoir? — Herein!
Achter Auftritt.
Paula, Molly; Eckard (von hinten).
Eckard (öffnet die Thür, im Ueberrock; bleibt ſtehn. Mit etwas
erregtem Lächeln). Verzeihen Sie: ich bin ſchon da. Muß
in meine Fabrik, hatte nur noch ein paar Minuten Zeit;
da dacht' ich: Verſuch's! — Weil aber die Damen heraus—
kamen, bin ich (mit Geberde jo herumgegangen, um ihnen
nicht in den Weg zu laufen; Sie entſchuldigen!
Paula glücklich lächelnd). Sie kamen zur rechten Zeit.
— Bitte, leſen Sie das! (Giebt ihm den Entwurf.)
Eckard (überfliegt das Blatt). Ah! Alſo das. Das
war's. — Ich ſtaune, gnädige Frau. Ein kühner Gedanke;
— aber er ſieht ein wenig wie das Ei des Columbus aus.
Und das ward hier beſchloſſen?
Paula. Ja; Alle gegen Eine. Gegen Frau von Leppin.
— Wünſchen Sie mir Glück?
Eckard. Ich? Sehr von Herzen. (lächelnd) Ich hab'
ein Gefühl, als wär' ich noch um einen Grad glücklicher
als Sie!
Molly (für ſich). Bei Gott, jo ſieht er auch aus.
Den hat man anders angeſtrichen, den kenn' ich nicht
wieder!
—
Paula (deren Hand Eckard inzwiſchen gedrückt hat, ihr warm
in die Augen blickende). Wie thun Sie mir wohl —
Eckard. Und nun muß ich gehn!
Paula. Bitte, nur noch ein Wort. Da Sie ſo gut
zu mir ſind — könnten Sie mir noch etwas zu Liebe thun?
(auf den Entwurf deutend); Dies da wollt' ich allein machen,
das war mein Stolz, mein Ehrgeiz; aber nun beginnen
erſt die Steine im Weg, all' die Schwierigkeiten; nun müßt'
ich den Kopf und die Erfahrung eines Mannes haben —
Eckard. Und da brauchen Sie mich. — Da bin ich!
Paula. Nein, ſagen Sie mir noch nichts zu — erſt
muß noch etwas aus der Welt ſein zwiſchen Ihnen und
mir: (mit bewegtem Lächeln) das „Unſachliche“, mein' ich, die
Förmlichkeit, die Galanterie. Ich ertrüg' es nicht, Sie bei
mir zu ſehen, Rath und Beiſtand und Güte von Ihnen
anzunehmen, wenn ich denken müßte: du biſt eine Dame
für ihn, vor der er ſeiner innerſten Natur Zwang anthun
muß. Wollen Sie mir verſprechen, Herr Eckard, mit mir
ſo zu ſein, wie mit Tante Molly und Ihrem „Vetter“, der
Käthe? immer wahr, ſachlich, rückſichtslos, gradezu?
Eckard (jieht ihr eine Weile ins Geſicht). Sie überraſchen
mich heute ſchon zum zweiten Mal. — Aber ich ſeh' Ihnen
an: Sie können das nicht nur ſagen, können es auch thun.
— Alſo gut. Ich danke Ihnen. Nimmt ihre Hand.) Das
iſt abgemacht.
Paula. Und wollen Sie nun heute Abend zu mir
kommen — Sie und Tante Molly — um mir für morgen
zu helfen? Morgen kommen die Andern —
Eckard. Heute Abend, gut. Um acht?
Paula. Wie Sie wollen.
Eckard. Alſo um acht Uhr. Und dann, ſo oft Sie
mich brauchen; (ſeine Bewegung hinter einem Lächeln verbergend)
ich ſag' das nur dieſes eine Mal, denn es gilt für immer.
Und nun muß ich fort!
ARE el
Neunker Auftritt.
Die Vorigen; Oskar (von rechts).
Oskar (dem der Diener öffnet, dann abgeht; wird überraſcht
und etwas verlegen, da er Eckard ſieht). Ah, mein Onkel noch
hier! — — Sie hatten freundlich geſtattet —
Eckard chat ihn gleichfalls verwundert angeſehn). Ich mache
Dir Platz, mein Junge, denn ich gehe fort. (zu Paula) Dieſer
kriegeriſche junge Menſch gehört gewiſſermaßen auch zu
Ihrem Bund: er hat ſich für ſeinen Onkel geſchlagen, gegen
den Bruder der Frau von Leppin. (zu Oskar) Dieſe kleine
Indiskretion wird Dir bei Frau Dolberg wohl nicht ſchaden,
denk' ich. — Leben Sie denn wohl!
Paula. Auf Wiederſehen! noch heut!
Molly (zu dem abgehenden Eckard). Ich bin ſo glücklich
— muß mir noch etwas Luft machen: ich begleite Sie bis
zur Thür! (Rechts mit Eckard ab.)
Oskar. Ich weiß nicht, warum mein Onkel — —
Er bringt mich ja in eine unwürdige, lächerliche Poſition.
Von ſo einer Kinderei zu reden —
Paula. Daß Sie mit Anton Meerveld —? Aber
mein guter Oskar, das ſteht Ihnen ja gut; (herzlich lächelnd)
das ſtreich' ich Ihnen ja roth in meinem Kalender an.
Hier im Herzen, mein' ich. Sich für Ihren Onkel zu
ſchlagen, für dieſen herrlichen — — Da haben Sie meine
Hand!
Oskar (vor Freude verwirrt). Frau Paula! (Küßt ihre
Hand.) Sie ſind zu gut. Das — das halt' ich nicht aus.
— Darf ich noch einmal —?
Paula lächelnd). Sie dürfen noch einmal; ja. Ich
bin Ihnen ſehr gut. (Er küßt ihre Hand nochmals.) Und nun
ſetzen Sie ſich!
Oskar. Setzen?
Paula. Ja. Hierher.
Oskar (für ſich). Sie iſt mir ſehr gut! (laut, mühſam)
Wie ſoll ich da ſitzen, Frau Paula; — ſitzen kann ich nicht.
Wenn Einem ſo zu Muth iſt wie mir, wie kann man da
—
9)
— 86 —
— — „In Ihrem Herzen“, ſagen Sie. Himmliſche Frau
Paula!
Paula (über Oskars Ton und Benehmen verwundert, ſucht zu
ſcherzen). Ja, in meinem Herzen; aber bei alledem ſtehe ich
nicht gerne. Wenn wir uns noch unterhalten wollen, nun
ſo nehmen wir Platz!
Oskar (für ſich). Nein. Dies iſt die Stunde. Wenn
ſie mir jo gut iſt, kann ich nicht mehr ſchweigen! (aut)
Göttlichſte der Frauen — nicht auf ſo einem Stuhl —
hier iſt mein Platz. (Kniet vor ihr nieder.) Mein ganzes Herz
liegt Ihnen hier zu Füßen. Ich bin ja Ihr Oskar! Ich
bete Sie ja an!
Paula. Sie ſind närriſch geworden, ſcheint mir.
Stehen Sie auf!
Oskar. Was iſt Anton Meerveld — und was iſt
mein Onkel — — Für Sie gegen alle Welt! Sagen
Sie mir, was ich für Sie thun ſoll —
Paula. Aufſtehen ſollen Sie. Hören Sie! Stehen
Sie auf!
Zelinter Auftritt.
Paula, Oskar; Molly (von rechts).
Molly. Alle guten Geiſter! (Oskar ſpringt auf.) Was
iſt denn geſchehn? (auf den Boden blickend, wo er kniete) Wie
kommt der dahin?
Paula. Frag' ihn das; laß Dir's von ihm ſagen;
ich hab' genug. Sag' ihm meine Meinung, Du; ich
wünſche dieſem Jüngling nichts mehr mitzutheilen. Sag's
ihm, daß er's verſteht! (Ungeſtüm nach hinten ab.)
Molly. I, dem will ich's wohl ſagen. Sieht im
Hintergrunde die Päckchen auf dem kleineren Tiſch.) Da liegen ja
noch meine — — Warten Sie einen Augenblick, mein ge⸗
liebter Oskar. (Läuft, nimmt eines der Kinderhäubchen und ein
Lätzchen; kommt zurück, bindet ihm hurtig das Lätzchen vor.) Wenn
Sie wieder einmal vor einer würdigen Dame knieen, ſo
r
vergeſſen Sie nicht, dies „Schlappbörtchen“ anzulegen; das
giebt Ihnen erſt die richtige Kindlichkeit. (ihm das Häubchen
aufſetzend) Und da! Nehmen Sie das! — Adieu! (Läuft
rechts hinaus.)
Oskar. Tante Molly! — Scheufal! — — O Gott!
Fürchterliche Rache!
(Der Vorhang fällt.)
Dritter Aufug.
Zimmer in der gemeinſchaftlichen Wohnung der Brüder Eckard, und
zwar das gemeinſame, als ſolches durch eine Möbelgruppe in der Mitte
gekennzeichnet: ein großer Tiſch, mit der Schmalſeite gegen die Zuſchauer
gerichtet, an beiden Langſeiten von Chaiſelongues begleitet. Auf der
Chaiſelongue zur Linken Decke und Kopfkiſſen. Auf dem Tiſch Bücher,
Zeitungen, Papier, Schreibmappen, ein großes Tintenfaß, Aſchbecher.
Vorn rechts ein Schachſpieltiſch, ein Spieltiſch für Karten links. An
den Wänden Familienbilder. Eine Thür in der Rückwand führt auf
den Vorplatz, eine Thür links zu Felix', eine Thür rechts zu Ulrich's
Wohnung.
Erſter Auftritt.
Ein Diener öffnet hinten und läßt Lucie und Frau Schwarzenbeck ein-
treten. (Frau Schwarzenbeck iſt verſchleiert.)
Diener (nicht in Livree; bei Jahren). Bitte, wollen die
Damen ſich eine kleine Weile gedulden; Frau Regine wird
gleich erſcheinen.
Lucie. Schon gut. (Diener ab. Lucie, mit etwas ſpöttiſchem
Lächeln) Ah, meine liebe Frau Schwarzenbeck, Sie haben
ſich dicht verſchleiert. — Sie wiſſen doch, Herr Ulrich Eckard
iſt nicht zu Hauſe!
Frau Schwarzenbeck. Aber die Haushälterin
könnte mich doch kennen. Sie müſſen doch begreifen —
5*
— 8
Lucie. Gewiß; der Umgang mit mir iſt Ihnen ja
verboten; die Dolberg hat's ja erreicht. Ich dachte nur,
Sie wären beſonders couragirt.
Frau Schwarzenbeck. So! — Früher hat Ihnen
öfter beliebt, mich einen Haſen zu nennen!
Lucie. Sie haben ein ſchreckliches Gedächtniß, liebe
Schwarzenbeck. Laſſen Sie es gut ſein; ich dank' Ihnen
ja von Herzen, daß Sie die Courage gehabt haben, mich
hierher zu begleiten. Sie thun es ja übrigens nicht mir
zu Liebe, ſondern für die Sache —
Frau Schwarzenbeck (nickt mehrmals; legt in der Er—
regung eine Hand auf Luciens Arm). Frau von Leppin! Wenn
ſich das bewährt, wenn Sie das beweiſen, daß Paula
Dolberg dieſem Herrn Eckard in ſkandalöſer Weiſe nahe
getreten iſt, dann bin ich mit ihr fertig! und mein erſter
Gang iſt zu Frau von Heide!
Lucie. Es wird ſich bewähren, und ich werd's
beweiſen. Dieſer Weiberfeind, dieſer Ulrich Eckard — ſeit
den zwei Monaten, daß euer edler Verein exiſtirt, den wir
Geächteten die „heilige Vehm“ nennen, — ſeitdem iſt er
beinahe jeden Tag bei der Präſidentin, der Paula. Wo:
für halten Sie das? Für gemeinſchaftliches Katechismus—
leſen?
Frau Schwarzenbeck. Es iſt uns ſchon lange auf—
gefallen, auch der Frau von Heide; aber wir dachten doch —
Lucie. Daß die Beiden zwei Engel wären. Nun,
Sie werden ja ſehn! — Nicht aus perſönlicher Rancune, ſon—
dern für die Sache — — Sie kommt!
Zweiter Kuftritt.
Lucie, Frau Schwarzenbeck; Regine.
Regine (tritt hinten ein; macht zwei tiefe Knixe). Bitte tau⸗
ſendmal um Entſchuldigung, meine hochverehrte Frau
von Leppin. Ich war nicht ſo ganz in Toilette, wie es ſich
gehörte ... Frau von Leppin waren ja immer jo gütig
zu mir, werden wohl vergeben —
RN Te a
Lucie. Laſſen Sie das; verſteht ſich. (Giebt ihr die
Hand.) Ich komme noch einmal, Regine — wollte doch
noch hören, ob bei unſerm guten Herrn Felix die Geneſung
ſo fortgeht —
Regine (verwundert). Hat er Ihnen das nicht ge—
ſchrieben? Geſtern wollte er ſchreiben; (nach links deutend)
in ſeinem Arbeitszimmer ſagte er mir's noch. Herr Felix
Eckard war ſehr gerührt, daß Sie ſich perſönlich nach
ſeinem Befinden erkundigt hatten; — und es geht ihm ja
wieder gut. Iſt ſchon ausgegangen. Es war ja auch
nicht ſo ſchlimm; (lächelnd); aber er klagt doch gern. Wie
die Herren ſind. Man muß ſie ſo nehmen. Ja, es geht
ihm recht gut!
Lucie. Ich komme auch nicht darum allein, meine
liebe Regine; ſondern weil wir eine Ueberraſchung für Herrn
Felix haben — ein kleines Geſchenk zur Geneſung — und
gerne an Ort und Stelle ſehen möchten, was er brauchen
kann. (mit dem Kopf auf Frau Schwarzenbeck deutend) Auch eine
Freundin des Herrn Felix. Aber Sie ſagen nichts! Eine
Ueberraſchung!
Regine. Verſteht ſich. (Hat ſchon mehrmals neugierige
Blicke auf Frau Schwarzenbecks Schleier geworfen. Für ſich) Die
iſt wohl beſonders ſtolz; will ſich vor ſo Einer, wie ich
bin, gar nicht ſehen laſſen. (laut, nach links deutend) In Herrn
Felix Zimmer kann ich nur leider die Damen jetzt nicht
führen; er iſt wieder zu Hauſe —
Lucie. Um Gottes willen! Dann wollen wir leiſer
ſprechen. Wo ſind wir denn hier?
Regine. Im Familienzimmer; das hat der Herr
Ulrich Eckard ſo einrichten laſſen, weil er darauf hält, daß
die Brüder am Abend oft beiſammen find. (auf die beiden
Spieltiſche deutend) Sehn Sie, da wird geſpielt — auch
mit dem jungen Herrn — (auf die Möbel in der Mitte deutend)
und da haben die Herren ihren Brüdertiſch, wie ihn
der Herr Ulrich nennt. Abends kommen zwei Lampen; (auf
die Chaiſelongue zur Rechten deutend) hier liegt dann mein Herr
Ulrich, (nach links deutend) und da drüben Herr Felix —
wenn ſie zu Hauſe ſind. Und dann leſen ſie, oder erzählen
„ 3 Kb
ſich was; und mein guter Herr Felix, der ſchläft manch—
mal ein — |
Lucie. Unter der Dede da, nicht wahr; und auf
dieſem Kiſſen!
Regine. Freilich, denn ein bischen weich muß er's
immer haben. Ich bin ein Athener, jagt er, und Du ein Spar⸗
taner. Wie die Herren ſchon find! Jeder hat ſeine Eigen⸗
heiten; man muß ſie ſo nehmen!
Lucie. Da hätten wir ja gleich das richtige Ge—
ſchenk: ein neues Kiſſen — denn das da wird ſchon recht
alt — und eine ſchönere Decke. Nicht wahr, meine
Liebe? (Frau Schwarzenbeck nickt.)
Regine (für fi, mißvergnügt). Sprechen thut ſie nicht!
Lucie. Ich hoffe, das wird dem armen Geneſenen
etwas Freude machen . . . (Regine, mit zuſtimmenden Geberden,
will ſprechen; Lucie faßt ſie am Arm, ihr das Wort abſchneidend.) In
dieſer Woche blieb der Herr Ulrich wohl Abends immer zu
Hauſe und bei ſeinem Kranken?
Regine. Er war ja nicht ſo krank, liebe gnädige
Frau; ihm fehlte ja gar nicht viel. Nein, Abends fuhr
Herr Ulrich gewöhnlich zur Frau Dolberg; denn mit der
ſind wir nun ſehr befreundet —
Lucie. Und Herr Felix?
Regine. Der aß ſeine Suppe und ging früh
zu Bett.
Lucie. Aber er kam natürlich bald wieder nach
Hauſe?
Regine. Wer? Der Herr Felix?
Lucie. Nein. Herr Ulrich.
Regine. Bald nach Hauſe? O nein. Vor zwölf
doch wohl nie. Daran ſind wir nun ſchon gewöhnt!
Lucie (leife zu Frau Schwarzenbeck '). Sie hören. Nicht
vor zwölf. Und die Mutter, Frau von Brühl, geht um
halb elf zu Bett! (laut) Er hat ſich hoffentlich nie darüber
beklagt?
Regine. Wer? Der Herr Ulrich?
Be
Lucie. Nein; Herr Felix. Daß ſein Bruder fait
jeden Abend — —
Regine. Aber im Gegentheil. Gewundert hat er
ſich wohl, beſonders in den erſten Wochen; aber noch
geſtern Abend ſagte er zu mir: Regine, das iſt mein Haupt⸗
ſpaß, daß mein Bruder ſich ſo verjüngt! Endlich kommt
er doch einmal auch auf meinen Weg!
Lucie (leife zu Frau Schwarzenbeck). Auf den Weg des
Laſters — na ja!
Regine. Und ich ſagte noch: Herr Eckard, man
muß Gott ja für Alles danken —
Lucie (die Hand wieder auf Regines Arm legend). Schon
gut. Und — kommt ſie auch zu ihm?
Regine. Zu Herrn Felix?
Lucie. Nein doch. Zum Herrn Ulrich!
Regine (für ſich). Sie macht mich noch ganz konfus!
(aut) O ja; aber nicht oft. Zweimal, daß ich weiß —
Lucie. Ah! (für ſich, triumphirend) Alſo wirklich! (leiſe)
Sie hören!
Frau Schwarzenbeck (leiſe). Ja. Ich bin ſtarr.
(laut, zu Regine) Frau Dolberg kommt auch hierher?
Regine (fait erſchrocken, für ſich). Jetzt ſpricht fie. (laut,
etwas beunruhigt und unſicher) Nun ja; aber in Ehren, ver—
ſteht ſich. Mit der „Tante Molly“, wie man zu ſagen
pflegt —
Lucie (leiſe). Mit der Kupplerin!
Regine. Und zu mir iſt ſie immer ſo freundlich und
ſo herzlich. Macht mir große Geſchenke!
Lucie (life. Sie hören! — Um dieſe alte Gans
blind und taub zu erhalten .. (laut) Meine liebe Regine,
Sie ſagten: „zweimal, daß ich weiß.“ Damit wollen
Sie wohl jagen: zweimal war ſie hier, als Sie zu Hauſe
waren; wie oft ſonſt noch, das iſt Ihnen unbekannt.
Regine (geängſtigt). Nun ja, freilich, jo mein’ ich's;
— aber warum fragen die Damen mich nur gar ſo viel.
Sie wollten ja eigentlich nur nach Herrn Felix fragen
—
, 5
. . . Immer „Frau Dolberg“ und „ſie“ — mir wird noch
ganz ſonderbar —
Lucie. Seien Sie ruhig, Regine; (lächelnd) wir ſind
ja ſchon fertig. (leiſe7) Nun ſchlägt ihr doch das Gewiſſen.
Sie hören! (Frau Schwarzenbeck nickt.) Hab' ich nun Recht
oder nicht? Faſt jede Nacht bis zwölf Uhr; bald dort
und bald hier!
Frau Schwarzenbed (eiſe). Ich fahre von hier zu
Frau von Heide; ſie muß Alles wiſſen. Von einem ſolchen
Skandal machen wir uns los; das verſteht ſich von ſelbſt!
Regine (für ſich). Mein Gott, was ſie nur jo heim—
lich mit einander reden —!
Lucie. Alſo ich dank' Ihnen, Regine; auf ſich und
Frau Schwarzenbeck deutend) wir ſind eben einig geworden:
Kiſſen und Decke, und noch was. Halten Sie reinen
Mund; verſchwiegen wie das Grab — ſo, wie ich Sie
kenne!
Regine. Natürlich; verſteht ſich. Danke der guten
Nachrede —
Lucie. Und nun guten Abend! (Geht mit Frau Schwar-
zenbeck nach hinten.)
Dritter Auftritt:
Die Vorigen; Eckard (von hinten).
Eckard (kommt, den Hut auf dem Kopf; nimmt ihn ab, als
er die Damen ſieht. Sehr erſtaunt, für ſich)ÿ. Damen? (verfinjtert)
Frau von Leppin? — Wie kommt die in mein Haus?
Lucie (im erſten Augenblick erſchrocken; leiſe). Der ſchon
wieder hier? — Wie 'ne Bombe! (im Vorbeigehen ſich höflich
verneigend, laut) Ich bitte, Herrn Felix Eckard zu grüßen.
Adieu! (Mit Frau Schwarzenbeck hinten ab.)
Eckard. Was heißt das? Was wollte dieſe Dame
hier?
Regine. Frau von Leppin? Sie kam, um nach
dem werthen Befinden Ihres Herrn Bruders zu fragen —
en
Eckard. Der iſt ja ganz geſund. Und die Andre?
Wer iſt das?
Regine (zuckt die Achſeln). Habe nicht die Ehre.
Eckard. Und weiter wollten ſie nichts?
Regine (mit ihrer wachſenden Beklommenheit kämpfend).
Doch, Herr Eckard; doch. Eine Ueberraſchung für den
Herrn Bruder — ich ſoll eigentlich nicht davon reden —
Eckard. Nun, ſo ſchweigen Sie. Zünden Sie lieber
das Gas bei mir an; es will dunkel werden.
Regine. Wird ſogleich geſchehn. (für ſich) Man muß
Gott ja noch danken, wenn man ſo davonkommt; nach einem
Gewitter ſah's aus! (Rechts ab.)
Eckard. Die Leppin bei mir. Das ſoll Einer ver⸗
ſtehn. „Eine Ueberraſchung“ für Felix — Unſinn! Ernſtlich
befreundet waren ſie ja nie; und ſeit Oskars Duell — —
(Blickt den Abgegangenen nach. Macht einige Schritte.) Mir ſcheint,
ich werde nervös. So 'ne Kleinigkeit, jo ein läppiſches
Räthſel legt ſich mir auf die Bruſt, wie 'ne Wetterwolke.
Was hat dies böſe Weib hier gewollt? — Wenn ich die
alte Schachtel, die Regine, aufs Gewiſſen fragte, die würde
— — Wendet ſich nach rechts. Bleibt wieder jtehn) Was für
ein Einfall! Das iſt nichts für mich. Sie ſoll meinet—
wegen ſchweigen, (lächelnd) bis ſie daran erſtickt!
Vierter Auftritt.
Eckard; der Diener von vorhin, dann Wiencke. (Langſames Dunkeln.)
Diener (tritt hinten ein). Herr Eckard, ein Mann iſt
da, der Sie zu ſprechen wünſcht; war ſchon heute Morgen
hier. Wiencke nennt er ſich.
5 Eckard. Ich kenn' keinen Wiencke. — Laſſen Sie ihn
eintreten. (Diener ab.) Ob ich Frau Paula heute Abend noch
ſehe? — — Käthchen kommt zum Klavierſpiel. — Es iſt ſo ein
warmer, verrückter, erſter Frühlingsabend — und doch iſt
mir ſo wenig nach unſern vierhändigen Sonaten zu Muth!
3
Wiencke (tritt hinten ein; ärmlich, doch ſauber gekleidet. Vor
Verlegenheit ungeſchickty. Guten Abend, Herr Eckard. Ich
habe doch wohl die Ehre, Herrn Ulrich Eckard zu ſprechen.
Eckard. Der bin ich. Sie wünſchen?
Wiencke. Ihnen zu danken, Herr Eckard —
Eckard. Bitte, treten Sie näher.
Wiencke (tritt näher). Ihnen ſehr zu danken; in unſer
aller Namen . . . Wegen der Unterſtützung, mein’ ich, für
unſre Frauen und Kinder. Wo Sie damals im Schwur—
gericht, und auch ſonſt noch, geſammelt haben —
Eckard. Ah, Sie find alſo einer von den Uebel⸗
thätern, die wir verdonnern mußten.
Wiencke (nickt). Einer davon bin ich.
Eckard. Und nun ſind Sie frei!
Wiencke (ickt). Seit geſtern. Zwei Monate. — Für
die Verurtheilung wollt' ich Ihnen nicht danken; das
verlangen Sie wohl auch nicht. Aber vor Bewegung ſeinen
Hut drehend) für das Andre; daß Sie unſern Familien jo
geholfen haben. Das hat uns ſehr gewundert, Herr
Eckard; denn es hätten das auch wohl Wenige gethan; ſo
ſind ja die Menſchen nicht. Und ich wollte nur, ich könnt's
Ihnen auch ſo ausſprechen, wie ich's fühle; (die Achſeln
zuckend, mit halb erſtickter Stimme) aber, Herr Eckard, ich
kann's nicht!
Eckard (herzlich). Nun, dann laſſen Sie's. Ich ver—
ſteh' Sie ſchon. — Wenn Sie fühlen, daß ich meine
Menſchenpflicht gegen Ihre Leute erfüllt habe, ſo erfüllen
Sie nun die Ihrige und kehren Sie als ein friedfertiger,
ordnungsliebender Bürger in die Geſellſchaft zurück!
Wiencke. Herr Eckard, das wollt' ich wohl. Wenn
nur wir Arbeiter nicht die Stiefkinder der Geſellſchaft
wären —
Eckard (ohne Härte). Laſſen Sie die Phraſen, Mann;
damit kommt man nicht weit. Laſſen Sie ſich von den
Volksverführern in Ihrem Gehirn keine Feuersbrunſt
machen: vor dem Qualm da drinnen ſehen Sie dann
nicht mehr, wie die Welt wirklich iſt. „Stiefkinder“!“
5
=
Iſt nicht mehr wahr; alle braven Leute, vom oberſten an,
fühlen jetzt mit euch; die Gelehrten, die Staatsmänner
arbeiten für euch, die Dichter dichten für euch, die
Maler malen für euch. Wer iſt jetzt das Stiefkind?
Das Kapital, dem ihr ſo ſpinnefeind ſeid; das
kämpft jetzt einen ſchweren Kampf — wenn ihr nur die
Augen aufmacht, müßt ihr ihn ja ſehn. Alle wirthſchaft—
lichen Kräfte und Verhältniſſe arbeiten ſo zuſammen, daß
der Unternehmergewinn ſinken muß und die Löhne ſteigen;
die neuen Millionen tragen nicht mehr ſo viel ein, wie die
alten; der Kapitaliſt, um zu beſtehn, muß den Arbeiter an
ſich feſſeln, muß ihm geben, was er begehrt — wenn er
mit Maß begehrt. Und ſo liegt's an euch —
Wiencke. Ja, wenn das ſo wäre, Herr!
Eckard. Herr, es wird jetzt ſo! Habt nur Ver⸗
nunft und Geduld, und ihr habt die Zukunft: gute, reich—
liche Löhne, die euch ſorgenfrei und behaglich machen, kurze
Arbeitszeit, bei der euer Geiſt ſich bilden, euer Körper ſich
pflegen kann. Laßt nur die Hände von den Steinen weg,
und den Kopf von den Hirngeſpinnſten, richtet euch nach
der Natur: da wächst Alles langſam; der Baum, der
Wald, die Erde — ſo auch euer Stand! Seht doch hin,
ihr Leute, was für euch geſchieht, das Eine durch den
Zwang der Dinge, das Andere freiwillig, wie gleich einer
Sonne der Gedanke aufgeht: jeder Arbeit ihr Lohn, jedem
Kranken ſeine Zuflucht, jedem Müden ſeine Ruheſtätte!
Eure Zeit iſt da; habt nur Vernunft und Geduld! |
Wiencke (nad) kurzem Schweigen, bewegt). Sie ſind ein
reicher Mann, Herr Eckard. Sie haben viele Thaler und
viele Gedanken; — und Sie geben von Allem, und gern.
uc halbem Lächeln) Nur die Hand geben Sie mir wohl
nicht —
Eckard. Warum nicht? Weil Sie ſitzen mußten? Sie
ſind ja doch nicht hergekommen, um ſo fortzumachen. Sie
wollen das ja beherzigen, was ich Ihnen ſagte; ich ſeh's
Ihnen ja an!
Wiencke. Ich will's auch, Herr Eckard. (Hält ihm die
Hand hin, die Eckard nimmt.) Was Sie da eben ſagten, ſo alles
—_
„
auf einmal geht das nicht in meinen Kopf hinein; — aber
daß Sie mir nichts vormachen, das ſeh' ich Ihnen ja an.
Könnt' man ſo einen Mann wie Sie nur auch öfter hören —
(an feine Stirn klopfend); von wegen des Kopfes, mein’ ich —
daß das alles hineingeht!
Eckard. Das können Sie ja; hier. Wenn Sie
Feierabend machen, bin ich meiſt zu finden. Brauchen Sie
was von meinen „Gedanken“, wie Sie ſagen, iſt Ihnen
nach Belehrung zu Muth, ſo kommen Sie nur zu mir!
Wiencke. Herr Eckard! Sie verſtehn's! Das Herz
im Leibe drehen Sie Einem um. Ich kam ja ſchon dank—
bar her — aber wie geh' ich nun. Das alles für einen
Mann wie ich — den Sie gar nicht kennen!
Eckard (lächelnd). Nun, ein wenig doch: hab' Sie ja
einſperren laſſen. — Alſo Sie kommen wieder. (Wiende nickt.)
Uebrigens, was eure Frauen und Kinder betrifft, da hat
ein Anderer mehr gethan als ich; eine Frau. Frau Dol-
berg. Beſonders in den letzten vier Wochen —
Wiencke. Hab' davon gehört, Herr Eckard. Und
ich möcht' ihr auch danken; nur daß ich nicht weiß —
Eckard. Wo fie wohnt. (Schreibt mit einem Bleiſtift auf
einem Blatt Papier, das auf dem großen Tiſch liegt; giebt ihm dann
das Blatt.) Das iſt ihre Adreſſe. Sie braucht keinen Dank;
aber ſie wird ſich freuen, Herr Wiencke, Sie auch zu ſehn.
Sagen Sie ihr nur, wie gut wir uns hier zuſammen—
geſprochen haben; das hört ſie gewiß ſehr gerne. Eine
gute Frau. Alſo auf Wiederſehn! Giebt ihm die Hand.)
Wiencke. Wenn Sie erlauben, werde ich ſchon kommen.
Und werde Ihnen auch keine Schande machen — wenn ich
auch damals — — damals — — (Bringt es nicht heraus;
legt nur den Finger an die Stirn.) Feuer im Kopf — wie Sie
ſagten. — Keine Schande machen. Guten Abend, Herr
Eckard!
Eckard. Adieu! (Wiencke hinten ab.) Der kann noch
werden. — Jetzt geht er wohl zu Frau Paula .. Was
ich auch denk' und treibe, immer komm' ich zu dieſer Frau.
Wie die in mein Leben eingewachſen iſt — wer hätte das
8
gedacht! — — Aber wer hätt' auch gedacht, daß ſie ſo
eine Frau wäre. Dieſes Herz und dieſer Kopf, wie haben
die ſich bewährt!
Fünfter Aufteitt.
Eckard; Oskar (von hinten); gleich nach ihm der Diener, der zwei
brennende Lampen trägt, auf dem großen Tiſch rechts und links neben
die Chaiſelonguen ſtellt und dann wieder abgeht.
Oskar (will nach links; ſieht Eckard). Ah, ſchon zu Haufe,
Onkel. Gott grüß' Dich.
Eckard. Ebenfalls, Herr Neffe. Wie geht's?
Oskar. Nun, wie ſoll mir's gehen? (mit etwas düſterem
Lächeln) Man muß ja dieſe ſchnöde Welt nehmen, wie ſie iſt!
Eckard. Sehr richtig. — Ueberhaupt bemerk' ich,
Du biſt ſeit einiger Zeit ſo bedeutend geworden; ſo ſchwer—
müthig⸗ſarkaſtiſch, jo 'ne Miſchung von Hamlet und Me—
phiſto, die wir noch nicht hatten.
Oskar. Du willſt mich verhöhnen, ſcheint mir.
Eckard. O nein.
Oskar. Du hätteſt auch keinen Grund: (zögernd, mit
einiger Anſtrengung) denn ich bin grade jetzt wieder im Be—
griff, Deine Sache zu führen — das heißt, auszufechten . . .
Erlaube mir nur eine Frage, Onkel — die mir auf der Seele
liegt, ſchon ſeit einigen Tagen. Sie iſt etwas heikel —
Eckard. Aber loswerden willſt Du ſie ja doch. Uebri—
gens: „auszufechten“ — was heißt das?
Oskar. Gleich! — (düſter) Ich bin in einer verdammt
ſchwierigen Lage, Onkel; bitte, hör mich an! Gegen dieſen
Meerveld hab' ich mich damals, ſo zu ſagen, für Dich ge—
ſchlagen; jetzt erdreiſten ſich ein paar nach Witz ſchnappende
Burſche, Anſpielungen und Späße über Dich zu machen,
die mir nicht gefallen — und auf die eine ſcharfe Abfuhr
die richtige Antwort iſt. Ich weiß aber ſelber nicht, wie
die Sache ſteht . . . Dieſe Herren behaupten, (mühſam) Frau
Paula Dolberg und Herr Ulrich Eckard wären ſich ſo nahe
getreten, daß man es mit Recht die vollkommene Nächſten—
7 =
C u
liebe nennen könne. Kannſt Du mich ermächtigen, Onkel,
den guten Leuten zu ſagen, daß ſie elende Lügner und Ver—
leumder ſind? (mit unſicherer Stimme) Oder — willſt Du
das nicht?
Eckard (it ſtark zuſammengezuckt; verfinſtert),. Was für
eine ſonderbare Frageſtellung — von meinem Neffen zu
mir. Und mit dieſem Geſicht. Hätt'ſt Du dieſen Geſellen
Deine Meinung geſagt, ohne mich zu fragen, ſo hätt'ſt Du
gethan, was ſich für Dich ſchickt!
Oskar. Ich bitte um Entſchuldigung, Onkel. Die
Sache liegt für mich nicht ſo furchtbar einfach; (mit großer
Anſtrengung) ich habe ſelbſt — — früher — — die ge—
nannte Dame hat mir — — (Legt unwillkürlich die Hand ans
Herz.) Kurz, ich ſage das nur, um Dir anzudeuten, daß
mir die Frage ſehr nah liegt; und Du thäteſt mir einen
großen Gefallen, wenn Du einfach ſagteſt, ſie iſt Deine Ge—
liebte nicht — wenn ſie es nicht iſt!
Eckard. Biſt Du von Sinnen, Burſch? Ein ſolches
Wort nimmſt Du in den Mund? mir ins Geſicht?
Oskar. Verzeih —
Eckard. Von einer ſolchen Frau wagſt Du ſo zu
ſprechen? Du, Oskar Eckard? Biſt Du ſo verkommen,
daß Du mir die Gemeinheiten Eures Kneipengeträtſches ſo
friſchweg ins Haus trägſt? Sind das Deine Sitten?
Oskar. Du biſt außer Dir. — Mein Gott, ich ahnte
ja nicht —
Eckard. Was ahnteſt Du nicht? Daß ich von einer
Frau, die Ehrfurcht verdient, nicht ſo reden laſſe? Und
Du Knabe Du — wenn Du ihr die Ehre angethan haſt,
ihr Dein Herz zu ſchenken — das deuteſt Du ja wohl
an — ſo verſagt Dir die Zunge nicht, ſo ein Wort zu
ſprechen? Was iſt das für ein Umgang, der Dich ſo in
den Schmutz zieht? Und was giebt Dir den Muth, mit
mir zu reden wie mit Deinesgleichen?
Oskar. Ah! Das iſt zu viel. In Deiner raſenden
Aufregung, die ich nicht begreife, überſchütteſt Du mich mit
Beleidigungen — die ich nicht verdiene. Ich war vielleicht
en
dumm — gemein bin ich nicht. Aber mündig bin ich.
Niemand giebt Dir das Recht, mich ſo zu beſchimpfen. Ich
werde meinen Vater bitten, in ein anderes Haus zu ziehen,
wo ich nicht in Gefahr bin —
Eckard. Toller Junge Du! Beinahe verdienteſt Du,
ich ließe Dich weiterziehn, und zöge die Hand von Dir —
daß Deine Mündigkeit verſuchen müßte, ſich allein zu helfen!
Oskar Eckard anſtarrend). Ich verſteh' Dich nicht. Ich
hab' meinen Vater ... Worüber lächelſt Du? Bin ich
denn Dein Kind? Leb' ich nicht von ihm? — Du ziehſt
die Brauen ſo hoch, machſt ſo ein Geſicht. Wenn Du auch
reicher biſt, hat mein Vater nicht auch — — (Eckard wirft
ihm einen düſtern Blick von der Seite zu, ſieht dann in ſteinerner Un—
beweglichkeit vor ſich hin.) Was ſoll dieſer Blick? (unſicher wieder—
holend) Hat denn mein Vater nicht auch —
Eckard (wieder äußerlich ruhig). Nein. — — Um Deines
Vaters willen hab' ich Dir's nie gejagt, aber um Deinet—
willen, ſcheint mir, muß es nun doch heraus. Es thut
Dir gut, wenn Du klar ſiehſt; Du fliegſt ſonſt zu hoch. —
Ja, er hatte, Dein Vater; aber er hat nicht mehr; weil
er es verſpielt hat. (Oskar fährt zuſammen.) Das iſt —
einige Jahre her.
Oskar (mach einer Weile, ſtammelnd). Nichts mehr? —
Nichts?
Eckard (langſam, ſchonend). Mein guter Oskar, es war
wohl noch etwas weniger als nichts. Aber das iſt —
gereinigt. Brauchſt Dich Deines Vaters darum nicht zu
ſchämen; nur daß Du weißt, wie es iſt. Und daß Du dem
Spielteufel keinen Finger hingiebſt —
Oskar. O mein Gott! — Du — ernährſt uns
ganz?
Eckard. Dafür bin ich der Bruder; das verſteht ſich
von ſelbſt. Oskar wirft ihm von der Seite einen ſchmerzlich dank—
baren, ſcheuen Blick zu; ſtarrt dann zu Boden.) Da wir ſchon ſo
weit ſind, ſo will ich Dir noch ein Geſtändniß machen:
es war abgemacht zwiſchen Deinem Vater und mir, Du
ſollteſt Dein Taſchengeld nur durch mich bekommen; denn
BERN
— Du kennſt Deinen Vater: ein ſeelenguter Mann, aber das
Geld klebt ſchlecht in ſeiner Hand. Darum gewöhnt' ich
Dich an meine gelegentliche „Großmuth“, (mit faſt gemüth—
lichem Lächeln) die eigentlich keine war: denn am Jahresende
hatt ich Dir ungefähr jo viel „gelegentlich“ zugeſteckt, als
ich Dir von vornherein in meinem Buch zugeſchrieben hatte.
Für dieſe kleine Komödie bitte ich um Nachſicht; von nun
an beziehſt Du, was Dir von Rechtswegen zukommt, ohne
Bitte und ohne Dank.
Oskar. Onkel Ulrich! — Heiliger Gott! — (wühlt ſich
in den Haaren) Was für eine Enthüllung — — ſchlägt fi in
der Zerknirſchung mit der Fauſt auf die Bruft) und wie ſprichſt Du
zu mir. Wie gut. Nachdem ich Dich ſo empört und be—
leidigt habe — ohne Abſicht, Onkel — aus verfluchter
Dummheit . . . (ſich wieder mit der Hand in die Haare gerathend
und vor ſich Barren) Und wir haben nichts!
Eckard. Doch; ihr habt Ulrich Eckard —
Oskar. Ja — wir haben Dich. Einen Mann
— — Onkel Ulrich! Ergreift Eckards Hand, ſchüttelt ſie ſtark.)
Wie ſteh' ich vor Dir da. Wie haſt Du mich geknickt.
Wie ſeh ich zu Dir hinauf. Aber — glaube mir — ich
bin Es ein Eckard — und dieſe ſchreckliche Stunde ift
an mir nicht verloren — nein — ſie thut mir gut. Ich
werde den Ernſt des Lebens —
Eckard (leiſe)ß. Still! Dein Vater kommt! — Vor
ihm nicht ein Wort; er ſoll's nicht erfahren!
Sechster Aufteitt.
Die Vorigen; Felix (von links).
Felix (kommt, den Hut auf dem Kopf, den Inhalt ſeiner Brief-
taſche unterſuchend; ſchüttelt endlich mit unzufriedener Miene den Kopf,
blickt auf). Ihr beide hier. — Guten Abend.
Eckard. Guten Abend, Felix. Willſt Du noch aus—
gehn?
Felix (etwas unſicher). Ich — dachte. (mit einem Blick
auf die Brieftaſche, die er wieder einſteckt) Vielleicht laſſ' ich's
— 81 —
auch; genieße den Abend hier bei der „freundlichen Lampe“.
(Stellt den Hut auf den Tiſch.) Und Du?
Eckard. Ich habe noch was zu thun — eh Vetter
Käthchen kommt. Später ſeh' ich Dich wohl noch hier.
Alſo auf Wiederſehn!
Felix. Ich hoffe! „(Eckard rechts ab.) Nun, und Du,
mein Junge? Du ſtehſt ja ſo umwölkt und verdüſtert da,
(heiter) als wäre der Mai des Lebens ſchon für Dich vor:
über. Haſt Du was begangen? Hat Onkel Ulrich Dich
heruntergemacht?
Oskar (ſchüttelt den Kopf. Er hat mich — in die
Höhe gebracht; hat mir die Augen — das Herz — —
(abbrechend) Ich bin nur ernſt, Vater; ſonſt iſt mir nichts.
— Und ich freu' mich ſehr — Dich wieder ſo geſund
zu ſehn!
Felix. Ja, mein guter Oskar, ich fühle mich wieder
wohl und wählig wie ein junger Fiſch. Darum dacht'
ich auch, (eine leichte Verlegenheit hinwegſcherzend) dieſen Abend
noch durch eine kleine Zerſtreuung zu verſchönern; aber ich
ſehe da eben in meiner Brieftaſche, daß — daß ich mich
über meinen Vermögensſtand getäuſcht habe. Biſt denn
Du bei Kaſſe? Könnteſt Du Deinem Vater eine Kleinig—
keit leihen?
Oskar (betroffen, eine Weile ſtumm; dann wie aufwachend).
Leihen? O ja. Viel hab' ich zwar ſelber nicht —
Felix. Gieb nur etwas her. (lächelnd) Nur damit
die Herren Taſchendiebe ſich nicht an mir ärgern. (Nimmt
eine Banknote, die Oskar hervorgeholt hat.) Danke. (etzt ſeinen
Hut wieder auf.) Der Abend iſt ſo mild — und der Tag
auch noch viel zu jung. Ich fliege noch ein bischen aus.
Adieu! (Hinten ab.)
Oskar. Der Sohn leiht dem Vater das Geld ſeines
Onkels. — — Wie mir die Welt auf einmal anders
vorkommt — — oh! — Und ich hab' einen „Moraliſchen“,
der iſt unausſprechlich!
—
ee
Siehenter Auftritt.
Oskar; Käthchen (von hinten).
Käthchen (kommt mit einer Muſikmappe, geht gegen die Thür
rechts; ſieht den in ſich verſunkenen Oskar, der ſie nicht bemerkt, bleibt
ſtehn; geht dann wieder weiter. Bleibt, nah an der Thür rechts,
nochmals ſtehn; mit Anftrengung). Guten Abend, Herr Oskar.“
Oskar ſſich höflich und kalt verneigend,. Guten Abend,
mein Fräulein.
Käthchen (nach einer Stille). Grollen Sie mit mir,
Herr Oskar?
Oskar blickt ſie an; herzlicher). Nein. Mit Ihnen nicht.
— Wie käm' ich dazu. — Es giebt eine Dame, der ich
grolle — ewig grollen werde — an der ich mich auch
gerächt hätte, wenn mir nicht mein Stolz — — (Bricht ab.)
Aber das intereſſirt Sie nicht. Und mich auch nicht mehr.
Mein Onkel erwartet Sie. Sie wollen mit ihm ſpielen?
Käthchen. Ja. auf ihre Muſikmappe deutend) Vielleicht
auch Neues. (mühſam) Es — intereſſirte mich wohl — —
aber Sie wollen wohl lieber nicht darüber ſprechen.
Tante Molly hat mir erzählt —
Oskar. Natürlich! Und Sie haben gewiß recht von
Herzen gelacht! Sie lächelt, ſchüttelt aber den Kopf.) Was
haben Sie denn da? Naſſes in den Augen? (verwirrt) Sie
lächeln — und haben dabei Thränen in den Augen. Fräu⸗
lein Käthchen — was heißt das?
Käthchen. Fragen Sie doch nicht. Wozu: ein junges
Mädchen darf ja doch ſo ſelten die Wahrheit ſagen; (mit
erzwungenem Lächeln) das iſt uns verboten. Mir thut nur ſo
Leid, daß wir uns jener Dame wegen nun gar nicht mehr
ſehn. (leiſer) Und daß Sie nun zu Frau Paula — —
(Oskar macht eine haſtige Bewegung und verfinſtert ſich.) Ach, ver—
zeihen Sie. Es iſt Ihnen nicht recht, daß ich davon ſpreche.
— Ich dachte, weil Sie mich — mit Ihrem Vertrauen
beehrt hatten —
Oskar (düfter lächelnd). Ja, ja. — Das liegt nun alles
— Jahrhunderte hinter mir. Ich bin ein Anderer ge—
Se a
worden, gutes Fräulein Käthchen; ein ganz Anderer. Ueber
meine Illuſionen von damals lächle ich, wie ein alter Mann
über die Thorheiten ſeiner Knabenjahre; und mein Herz
— das iſt glücklich todt. (lächelnd, wie vorhin) Ungeheuer
todt. Wenn Sie ſich mein Herz vorzuſtellen wünſchen, ſo
denken Sie ſich eine wüſte Inſel — ein verlaſſenes Wrack
— einen auf den Strand geworfenen Walfiſch — oder
ſonſt eine verfaulende Größe aus der Naturgeſchichte. Da—
mit ſind wir fertig!
Käthchen (ſucht zu lächeln). Ich denke mir, es iſt noch
ziemlich jung und lebt wieder auf —
Oskar. Für ſolche Dummheiten nicht mehr. Für
den Ernſt des Lebens — o ja! (mach rechts deutend) Sehn
Sie, dort, Fräulein Käthchen: dort wohnt ein Mann, dem
ich jetzt mein Herz ſchenke — den ich nicht ſo gekannt habe
— — den verehr' ich jetzt. Der iſt was Anderes als ſo
eine Frau. Geben Sie nur Acht, und glauben Sie, was
ich Ihnen ſage: dem will ich nach, und an dem richt' ich
mich doch noch wieder auf; und wer mich verhöhnt und
verachtet hat, ſoll ſich einſt noch wundern über Oskar Eckard!
Käthchen (mit ihrer wachſenden Bewegung kämpfend). Aber
wie reden Sie denn. Wer verachtet Sie. Und von „Wieder—
aufrichten“ müſſen Sie doch zu mir nicht ſprechen: ich hab'
ja doch immer gewußt, was für ein Menſch Sie ſind.
Beſſer und ehrlicher und tapferer und aufrichtiger als die
Andern; (lächelnd) und wenn Sie auch von „Dummheiten“
ſprechen — klüger ſind Sie auch. Und wenn Sie etwas
noch ſo Großes werden, werd' ich mich nicht wundern.
Sehn Sie: Onkel Ulrich — — das hat Ihnen noch ges
fehlt, daß Sie den begriffen; nun werden Sie ihm nach—
gehn, mit Siebenmeilenſtiefeln, und wenn Sie das thun,
holen Sie ihn auch ein!
Oskar (ftarıt fie eine Weile an). Sie find aber ein merk—
würdiges — — Ich danke Ihnen für Ihre gute Meinung.
Sie machen ja aus mir einen — — Ach was, Unſinn —
danken! Ich bin ganz verwirrt, verweht: wie Sie reden
können. Wie Sie fühlen — denken. Und mit was für
einem guten, klugen, himmliſchen Geſicht . .. Nein —
6 EI
—
„
ſehn Sie nicht weg. Jetzt muß ich Sie ſehn; jetzt thut
mir das ſo gut — Sie ahnen ja nicht, wie gut. Käthchen!
Fräulein Käthchen! Warum hatten Sie vorhin die Thrä—
nen in den Augen? Und nun wieder — da! da! —
Fräulein Käthchen! Warum?
Käthchen. Fragen Sie mich nicht mehr. Ach, es
iſt ſo ſchrecklich, immer zu lügen, weil man ein Mädchen
iſt. Ich will nicht mehr lügen. Es iſt eine Schande!
Oskar. Dann ſagen Sie mir die Wahrheit, Fräulein
Käthchen; wie Onkel Ulrichs „Vetter“, „ſachlich“, grade—
heraus! Warum kam Ihnen das in die Augen?
Käthchen. Warum? Weil mich das gekränkt hat,
daß Tante Molly Ihnen — damals — nun, Sie wiſſen
ja. Und weil mir leid that, daß Sie um Frau Paula
ſolchen Kummer hatten. Und weil ich Ihnen viel zu gut
bin . .. So, nun hab' ich's heraus. Nun denken Sie
von mir, was Sie wollen. Sie haben mich „geachtet“,
davon wurd’ ich nicht glücklich . .. Nun ſehen Sie mich
nie, nie wieder! Stürzt hinaus, nach rechts.)
Oskar. Heiliger Gott! Mir „viel zu gut“. Dieſes
Käthchen — mir. Und das jagt fie mir in dem Augen-
blick, wo ich ihr — — wo mein Herz — — (laut) Fräulein
Käthchen! Käthchen! (Eilt zur Thür rechts. Man hört einen
Schlüſſel im Schloß ſich drehn.) Sie ſperrt zu! (Faßt den Drücker,
ſchüttelt ihn.) Fräulein Käthchen! Laſſen Sie mich hinein!
Oder kommen Sie wieder! (nach kurzem Warten) Hören Sie
mich an! Ich bin Ihnen ja gut! Die Binde iſt mir
von den Augen — ſehen Sie denn nicht . .. Nein, das
ſieht fie nicht ... (feine Stimme ſteigernd) Es iſt ja alles
nicht wahr! Mein Herz iſt kein todter Walfiſch — es
ſchlägt — es will zu Ihnen — es liebt Sie — nur Sie!
Es iſt Ihnen ja lange gut — nur daß dieſe Schwärmerei,
dieſe Seelenſtörung — — Käthchen, kommen Sie doch!
hören Sie mich doch an!
N
Achter Auftritt.
Oskar; Molly (von hinten).
Molly (tritt hinten in die Thür). O weh! Iſt das
Oskar? — Ich kneife wieder aus! (Will fort.)
Oskar. Wer iſt da? Wendet ſich. Zuſammenzuckend,
für ſich) Tante Molly!
Molly (refignirt, für ſichj. Hat mich ſchon geſehn!
Oskar (aufdie Thür rechts blickend, bewegt, für ſich). Käthchens
Tante! (laut, ſich mit Würde faſſend, doch mit etwas unſicherer
Stimme) Gnädige Frau, Sie haben mich vor einiger Zeit
— mäcchenhaft beleidigt; — aber fürchten Sie nichts. Ich
bin nicht mehr der Mann, den Sie damals kränkten; (wieder
nach rechts blickend)p es haben ſich Dinge ereignet — es haben
ſich Gefühle entwickelt — plötzlich vor Freude lachend und auf ſeine
Bruſt ſchlagend, mit voller Stimme) ich bin glücklich! Glücklich!
War blind! Hab' ſie nicht gekannt —
Molly. Mich?
Oskar (nach rechts deutend). Nein — ſie. Die da
drinnen. Ich dachte nur immer, das iſt dem Onkel ſein
Vetter ... Jetzt iſt Klarheit! Klarheit! Und der Tag
wird kommen, wo ich ſie von Ihnen — — Jetzt muß ich
hinaus. Luft. Sternenſchein. Ich verzeihe Ihnen! —
Bringen Sie ihr das! (Umarmt und kußt fie. Im Sturm hinten ab.)
Molly. Der hat entweder den Verſtand verloren
— oder iſt zu Verſtand gekommen. (die Achſeln zuckend) Man
muß abwarten, was es iſt!
Neunter Auftritt.
Molly; Eckard (von rechts).
Eckard (tritt in die Thür; etwas unwillig). Aber ich bitte
Dich, Oskar — man hört Dich im dritten Zimmer. Was
haſt Du denn deklamirt? (Bemerkt Molly, die näher tritt.) Sie
hier! Tante Molly! |
Molly. Ja. — Oskar iſt fort. — Ich komme, meine
Käthe wieder abzuholen —
1
Eckard. Käthe? Die iſt ja noch gar nicht hier!
Molly. Was? Noch nicht hier? |
Eckard. Ich Hab’ fie noch nicht geſehn. Ich ſaß in
meinem Arbeitszimmer und ſchrieb; ſie iſt nicht gekommen.
Molly (auf die Thür rechts deutend). Aber da im Kla—
vierzimmer?
Eckard. Ich ging ja eben durch; hab' ſie nicht
geſehn.
Molly (für ſich). Ah! Sie hat ſich verſteckt! — —
Jetzt verſteh' ich Alles! (laut) Ich wollte mit ihr zu Frau
von Heide gehn, um zu gratuliren; dort hat ſich etwas er—
eignet: Alma hat ſich verlobt.
Eckard (lächelnd). Eine Ihrer „Nichten“.
Molly. Ja.
Eckard. Alſo doch die „Verlobungstante“!
Molly. Nach meiner Weiſe, Herr Eckard. Alma
hat ſich mit einem vortrefflichen jungen Mann verlobt,
nachdem ich ihr krankes Herzchen geheilt und von einem
mauvais sujet losgeriſſen hatte.
Eckard. Ah! Wünſche alſo Glück!
Molly Gögernd). Sie jagen, Käthe iſt noch nicht hier.
Kann ich ein Wort mit Ihnen ſprechen, während ich auf
ſie warte? Haben Sie ein wenig Zeit?
Eckard (ächelnd). Für Verlobungsgeſchichten nicht;
aber für wichtige Sachen, ja.
Molly. Es handelt ſich um Paula.
Eckard. Ja, dann hab' ich Zeit.
Molly. Fällt Ihnen nicht auf, Herr Eckard — daß
Paula zurückgeht? daß ſie abnimmt? ſehr?
Eckard. Ich verſtehe nicht. Ich denke, im Gegen—
theil —! -
Molly. Ah, Sie denken, wie immer, an den Geiſt;
das Andre geht Sie nichts an. Nun, die geiſtige Paula,
die florirt ja mächtig; — und hat viel erreicht, in der
kurzen Zeit. Dieſer Verein der reichen Frauen, der ſo
— ⁵˙ .
N en
viel befrittelt und bewitzelt wurde, er iſt lebendig geworden,
er wächst, er behauptet ſich; mit Ihrer Hilfe hat er ſich
vernünftig organiſirt, ein großer Fonds wird gegründet
für die freiwilligen Luxusſteuern, ein Volkspalaſt iſt in
Sicht; — und dieſe merkwürdige Paula ſchwimmt in dem
allen herum, als wär' es ihr Element. Ich bewundre ſie.
— Aber ich bewundre ſie lange nicht ſo ſehr, als ich um
ſie ſorge!
Eckard. „Sorge“! Was heißt das?
Molly. Ich glaube wirklich, Herr Eckard, Sie haben
keine Augen. Paulas Haut iſt ja faſt ſchon durchſichtig
wie Seidenpapier. Sie hat nichts als Nerven. Sie ſieht
oft jo aus, als wär fie im Traum. Manchmal iſt ſie's
auch — phantaſirt faſt im Wachen — weil ſie Nachts
nicht ſchläft. Das alles in zwei Monaten; ein jo geſundes
Geſchöpf! Das iſt ja ein Unſinn. Da denk' ich doch
ſchon zuweilen: zum Teufel mit der ganzen Menſchenliebe
und mit den großen Ideen und mit Ulrich Eckard!
Eckard. Ich danke Ihnen. Alſo jetzt kommen Sie
zu mir. Dahin wollten Sie ja. — Alſo ich bin daran
Schuld, daß Frau Paula Dolberg nicht ſchläft und daß
ihre Nerven nicht gut ſind!
Molly. Nun ja, gewiß: Sie ſind daran Schuld.
Sie benehmen ſich ja wie ein junger Menſch in der
ganzen Sache; (da er erwidern will) bitte! Sie ſprechen immer
ſo furchtbar ſachlich zu mir, ich bin heute ſo frei und nehme
auch kein Blatt vor den Mund! — Es iſt plötzlich ein
großes Erſtaunen über Sie gekommen, daß die Frauen —
die Sie ſo wenig kannten — doch auch nicht ſo übel ſind;
und als müßten Sie bei Paula Dolberg in Einem Viertel—
jahr Alles nachholen, was Sie bei dem ganzen ſchwachen
Geſchlecht in dreißig Jahren verſäumt haben, ſchließen, Sie
ſich ſo herzhaft und ſo jugendlich naiv an, als wär' die
Paula ein Mannsbild — oder als kümmerte ſich auf der
Welt kein Menſch um den Verkehr zwiſchen Mann und
Frau. Die Welt thut aber beinah nichts, als ſich drum
bekümmern. Na, und ſo auch hier. Es giebt ja gar
keinen Kopf mehr in der ganzen Stadt, der nicht geſchüttelt
er
ee
wird. Und wer irgend kann, der ſchüttelt ihn jo, daß
Paula es merkt. Davon wird ſie nervös. Davon ſchläft
ſie nicht. Und ſie wird noch krank — oder närriſch. (mit
zornig hervorbrechendem Schmerz) Und ich hab' ſie lieb wie ein
Kind!
Eckard (nach kurzem Schweigen). Sie ſind nur her—
gekommen, um mir das alles zu ſagen. — — Ich mag
Schuld haben; gut. Ich war zu oft bei Frau Paula —
Molly. Und zu ſpät, zu lange —
Eckard. Hätte das nicht thun ſollen — weil die Welt
auf dem Schein beſteht. Aber hab' ich mich denn auf-
gedrängt? War Frau Paula nicht —
Molly. Ebenſo unvernünftig wie Sie: o ja! Die
ſtürzte ſich auch wie toll in die „gute Sache“ — und vergaß,
daß Herr Ulrich Eckard keine Sache iſt, ſondern doch auch
ein Menſch. Und nun, wo ſie's ſpürt, wie all die Nadeln
ſtechen, nun iſt ſie zu ſtolz. Ich rede mich ja wund: ſie
ſieht mich an und geht ab, und es bleibt beim Alten.
Darum komm' ich zu Ihnen. Der Mann muß diesmal
klüger ſein als die Frau — was ſonſt ſelten vorkommt.
Bleiben kann es ſo nicht! Sie haben doch auch ein Herz,
wenn auch mehr für Sachen — Sie meinen es der Paula
doch gut — Sie wollen ja doch nicht, daß ſie zu Grunde
geht, und ſie geht zu Grunde — ſo oder ſo!
Eckard. Das — will ich freilich nicht. (mit finſterem
Lächeln) Es iſt nur erſtaunlich, daß mir die Welt auf einmal
die Ehre erweiſt, mich für gefährlich zu halten. Auch
durch Oskar hör' ich — — (richt ab.) Sonſt galt ich ja
doch für ein völlig harmloſes Geſchöpf —
Molly. Die dumme Welt bildet ſich wohl ein, Sie
wären in dieſem Punkt zur Vernunft gekommen; ſie kennt
Sie nicht ſo gut wie Sie oder ich!
Eckard (etwas bitter lächelnd). Hm! — — Mag wohl
ſein. — — Alſo — was ſoll ich thun?
Molly. Was Ihnen möglich iſt. Wären Sie nicht
der Eckard, ſo würd' ich mir ein Herz faſſen und Ihnen
a
offen jagen: heirathen Sie ſie! — Aber Sie willen ja
jelbft, dazu taugen Sie nicht. Alſo müſſen wir —
Eckard (wie vorhin). Und wenn ich auch dazu taugte
— aber Sie haben ja Recht — ſo würde doch immer der
Andere fich bedenken; Paula Dolberg, mein ich.
Molly. Darauf ſchwör' ich nicht! (ihre innere Angit
offenherzig verrathend) Die kennen Sie doch noch nicht. Die
würde aus Stolz, aus Kränkung, aus Verrücktheit vielleicht
beide Augen zumachen und ins Waſſer ſpringen — in
dieſe Ehe, mein’ ich; nehmen Sie es nicht übel. Wenn's
aber geſchehn wäre — nun, dann würde ſie ſehn: der iſt
mit ſeinen Ideen verheirathet, aber nicht mit mir. Eine F Frau,
Herr Eckard, kann ſich für Ideen begeiſtern, o ja, wie ein
Mann; kann auch ſachlich ſein; aber in der Liebe, da
will fie einen Menſchen haben; da verhungert jie ohne
etwas Poeſie der Form — nehmen Sie's nicht übel.
Und jo ginge die Paula dann erſt recht zu Grunde ..
Ich ſage das ja nicht, um Sie zu kränken, Herr Eckard;
nur daß Sie mich verſtehn!
Eckard. Ein wunderbares Geſpräch zwiſchen einem
Mann und einer Frau. — Ja, Sie haben doch Recht:
(ſucht zu lächeln) Ihr Talent iſt weniger das Verloben als
das Gegentheil. — — Alſo, wenn wir denn nun die Ehe
glücklich hinter uns haben: was ſoll ich thun?
Molly. Paula Dolberg muß fort. (FJähe Bewegung
Edard’s.) Ja, ſie muß fort; und Sie müſſen ihr zureden,
denn ſonſt thut ſie's nicht! — Sie reibt ſich auf, wenn ſie
bleibt, ſie begeht noch Tollheiten, wenn die Welt ſie ärgert;
ſie bringt ihren guten Namen um — und zuletzt ſich ſelbſt.
Ich kenn' ſie, Herr Eckard. Keine gewöhnliche Frau; —
ach mein Gott, gar zu wenig gewöhnlich; darum ver—
göttr' ich ſie — und darum ſchimpf' ich ſie aus — und
kann ihr nicht helfen. Sie müſſen das; Sie. Ihnen
folgt ſie, ſonſt Keinem. Sie ſind ihr wie ein heiliges Buch!
Eckard. Ein Nachſchlagebuch, nicht wahr, aus dem
man ſich Raths erholt. Dazu bin ich gut. — Und doch
ſo gefährlich! — — Sie entſchuldigen, das alles ſteigt mir
aber doch zu Kopf; macht mir einen Wirrwarr — ein To—
re
Be
huwabohu. Das Zimmer thut mir nicht gut; jo was muß
ich in der Luft — in der kühlenden Abendluft — durch—
denken . . . Sie entſchuldigen! (Will gehn.)
Molly. Sie ſehen aber doch ein, Paula muß fort?
— Zunächſt nach dem Süden, um ihre Geſundheit zu
beſſern — das iſt ja ein guter Grund. Ich begleite ſie.
Das Weitere findet ſich —
Eckard. Findet ſich; natürlich. — Gewiß muß ſie
fort — wenn fie ſonſt zu Grunde geht, „jo oder jo“!
Molly. Darf ich ihr das ſagen?
Eckard. Freilich. Alles, was Sie wollen. Sie nehmen
aber nicht übel, wenn ich Sie verlaſſe —
Molly. Was denken Sie. Gute Nacht!
Eckard. Danke! — Gute Nacht! (Hinten ab.)
Molly. Armer, lieber Freund! — Ich hab' ihm ſo
mit der großen Laterne geleuchtet — es hat ihn gekränkt.
Aber was hilft's? Was nicht zuſammen taugt, muß ja
auseinander; und der und Paula — was für ein Ge—
danke! (Geht zur Thür rechts; öffnet, ruft.) Käthchen! Wo
biſt Du?
Käthchen (draußen). Hier!
Molly. Komm; wir wollen fort, zu Heide's!
Zehnter Auftritt.
Molly; Käthchen (von rechts); ſpäter Paula.
Molly. Hatteſt Du Dich verſteckt?
Käthchen. Verſteckt? Ich?
Molly. Ja, Du.
Käthchen. Nein; eigentlich nicht. Ich ſtand nur —
— (Wirft ſich plötzlich an Molly's Bruſt, das Geſicht verbergend.)
O Tante Molly!
Molly (weich). Ich weiß ſchon. Oskar Eckard.
Käthchen (hebt den Kopf, ſtarrt ſie an). Du weißt?
AR
Molly (lächelnd). Bin ja Tante Molly. — Wie's in
Dir ausſah, du ſtummer Fiſch, das hab' ich längſt ge—
merkt; und Oskar — der hat mich vorhin, auf dieſer
Stelle, geküßt. — Ja, ja! (Käthchen ſanft ans Herz; drückend)
Dabei könnt's wohl eine Weile bleiben; bis ihr etwas
älter werdet: das werdet ihr ja gewiß. Jetzt zur Andern,
zur Alma! Komm! (Paula tritt hinten ein, blaß, ſehr erregt, ver-
ſtört. Molly, erſchrocken) Großer Gott! Du hier! (Geht raſch
auf ſie zu. Leiſe) Paula! Biſt Du närriſch?
Paula (balblaut). Das iſt nun ſchon alles eins ...
(laut) Ich war bei Dir. Man ſagte mir, Du ſeiſt hier.
(leiſe) Schick die Kleine fort! fort! Ich muß mit Dir ſprechen!
Molly (ach einem Blick auf Paula's Geſicht, für ſich). Ach
du guter Gott! (laut, zu Käthchen) Geh voraus, mein Herz.
Nimm Dir einen Wagen; ich komme nach.
Käthchen (für ſich). Fortgeſchickt werd' ich immer. —
Aber heute thut's nichts: (die Hand am Herzen, glücklich lächelnd)
Oskar geht mit! (Hinten ab.)
Paula chat ein offenes Briefchen hervorgezogen. Da! Lies
dies Billet. Von der Frau von Heide!
Molly (lieſt), „Da mir die Verlobungsanzeige, die
ich von Ihnen erwarten zu dürfen glaubte, bis heute nicht
zugekommen iſt, ſo muß ich Ihnen mit gewohnter Offenheit
geſtehn, daß ich mit andern Mitgliedern Ihres Vereins
befürchte, es möchte uns übel ausgedeutet werden, wenn
wir die bisher gepflogenen Beziehungen unverändert fort—
ſetzen. Mittheilungen, die mir ſoeben zugehn, nöthigen mich
vollends, Sie auf die Konſequenzen aufmerkſam zu machen,
die ſich zu meinem Bedauern aus Ihrem Verhalten er—
geben werden. — Mit Hochachtung“ — — Gerdrückt das
Billet.) Da haſt Du's. Der Skandal iſt fertig! (Faßt ſie
am Arm.) Aber komm, Paula, komm! Beſprechen wir das
anderswo — nicht hier!
Paula (reift ſich los. Nach dieſem Billet ſoll ich wohl
noch fragen, ob ſich etwas ſchickt oder nicht. (mit einem wilden
Auflachen) Ich hab's nicht mehr nöthig! — — (auf das Brief—
chen klopfend) „Mittheilungen“ ... Was für Mittheilungen?
u
„
Und was will ſie? Was wollen ſie? Sich aus dem
Verein zurückziehn, oder mich hinauswerfen? (wieder auf das
Billet ſchlagend) Ein ſchöner Stil, nicht wahr?
Molly (ihren Schmerz zu unterdrücken juchend). Du biſt
wirklich ziemlich — — (Bewegt, ergänzend, die Hand nach der
Stirn.) Ich hab' Dir's geſagt! Ich hab' Dich gewarnt!
Eure langen Abende — in die Nacht hinein —
Paula. Bei Frau von Heide's Großmutter war ich
nicht ſicherer als bei dieſem Mann!
Molly. Danach fragt die Welt nicht. Und daß Du
ihn durchaus hier beſuchen wollteſt —
Paula. Zweimal! und mit Dir! — Um doch zu
ſehn, wie ſo ein Mann wohnt und lebt —
Molly. Und das zweite Mal, um ihm all' ſeine
Tiſche mit Blumen zu bedecken —
Paula. Nun ja! Sein Geburtstag!
Molly. Danach fragt auch die Welt!
Paula. Ich bitte Dich — hämm're nicht auf mir.
Ich kann nichts vertragen. Ich ſchlief eben auf einem
Stuhl vor Erſchöpfung ein, als ihre Jungfer mit dieſem
allerliebſten Brief kam. Ich bin ſterbensmüde. Kann nur
nicht ſchlafen, weil die Wuth, weil der Schimpf mich wach—
hält. Zank und ſchilt nicht mehr; ſag' lieber: was nun
thun?
Molly. O ich möcht' ſie ja alle umbringen, dieſe
lieben Damen. Aber die Achſelnd zuckend) „was nun thun?“
Was auch Eckard meint. Fort!
Paula (war auf einen Stuhl geſunken, ſteht auf). Fort?
— Was auch Eckard meint? — Du haſt ihn geſprochen?
Molly (niet, etwas befangen). Vor einer Stunde; hier.
All' meine Sorgen um Dich ließen mir keine Ruhe —
Paula. Was auch Eckard meint? — Er räth mir,
zu gehn?
Molly. Zu Deinem Beſten, ja. Damit Du Dich
nicht zerſtörſt; denn das thuſt Du ja. Damit die böſen
F
Zungen nicht mehr um Dich ziſchen. Darum ſollſt Du
fort!
Paula. Ich ſoll ihn — — (fi) verbeſſernd) unſer ge—
meinſchaftliches Werk, das ſoll ich verlaſſen? Durch meine
Feigheit ſoll das wieder vergehn? Dazu räth er mir?
Molly. Nicht doch. Wo denkſt Du hin. Den kennſt
Du noch nicht. Du biſt ja doch nicht die Sache — nur
eine Perſon. Wenn die Sache nur bleibt, das iſt ihm
genug; und ſie wird auch ohne Dich bleiben, dafür wird
er ſorgen!
Paula (beißt ſich auf die Lippe). Meinſt Du. — Wie
unendlich beglückend und — ſchmeichelhaft für mich. — —
Nein. Es iſt nicht ſo. Wie lieblos Du von ihm ſprichſt!
Molly. Lieblos? Das iſt ſein Charakter; das iſt
ſeine Größe!
Paula ſcchließt die Augen). Eine vernichtende Größe.
— Allgütiger Gott! — — Nein, nein, nein. Du ver—
leumdeſt ihn. So iſt Ulrich Eckard nicht! Ich hab' in ſein
Herz geſehn — in ſeine Seele, mein' ich — da iſt Wärme,
iſt Feuer, Alles!
Molly. Den lehr' Du mich kennen! Da iſt Feuer,
gewiß; da iſt Alles, was gut und was edel iſt; — aber,
geliebtes Kind, was iſt ihm ein einzelner Menſch; er lebt
für die Menſchheit. Was man ſo ein eigentliches Manns—
bild nennt, das iſt er ja garnicht; er kann nicht thöricht
werden, er kann nicht knien, kann ſich nicht verlieben. Er
iſt ſo mehr der verkörperte Begriff einer guten Sache!
Paula (ſtarrt fie lange an. Tonlos). Meinſt Du? (Geht,
leiſe ſchwankend, zuweilen die Augen ſchließend, von ihr hinweg; kommt
langſam zu der Chaiſelongue links vom großen Tiſch, ſitzt dort, vom
Tiſch abgewendet, in Ermattung nieder.)
Molly (unterdeſſen, für fih). Er ſaß ihr richtig irgend—
wo im Herzen. — Gott ſei Dank, jetzt krieg' ich ihn da
heraus! (Geht zu Paula. Laut) Komm. Wir müſſen fort.
Paula ſſchüttelt den Kopf). Ich will ihn hier erwarten.
Ich will mit ihm ſprechen. Er ſoll es mir ſelber ſagen
1
— ſachlich, gradezu, ohne Form, ohne Rückſicht — daß
er meint, ich ſoll fort!
Molly. Du ſollſt mit ihm ſprechen, ja — aber doch
nicht hier. Komm, Paula, komm ... plötzlich) O du
großer Gott! Ich muß die Käthe ja abholen; die iſt bei
Frau von Heide —
Paula. Frau von Heide!
Molly. Ja. Ich ahnte ja noch nichts! — Nun iſt
das Kind da allein .. . Und ich muß hinauf — muß
thun, als wüßt' ich von nichts — geſchwind die Alma um:
armen — und mit der Käthe nach Haus!
Paula. Nun, ſo thu das; geh. Du findeſt mich
dann ſchon bei Dir; lin die Luft ſtarrend) denn allein kann
ich jetzt nicht ſein. Ich will ihm ſchreiben, er ſoll zu Dir
kommen; heute Abend noch; er ſoll mir dann ſagen, was
ich thun ſoll, er ſoll dann entſcheiden!
Molly. Da iſt doch endlich Vernunft. So iſt Alles
gut. Ich ſtürme alſo fort ... Wo willſt Du ihm das
ſchreiben, Kind?
Paula. Wo? (matt, hinter ſich deutend); Hier; da liegt
ja Alles. Und dann eil' ich zu Dir. Und auf Deinem
Sofa Hoff ich einzuſchlafen — endlich — bei Dir. So geh!
Molly (weich). Ja, ich gehe, mein Herz. Wie Du
vernünftig biſt. Du kommſt gleich — gleich ... (Paula
nickt.) Alſo auf Wiederſehen bei mir! (für ſich) Ach, es iſt
hart: Jeder für ſich jo ein herrliches, ausgeſuchtes Weſen ...
Aber ich that meine Pflicht! (Hinten ab.)
Paula (ich aufraffend). Alſo ſchreiben — oder ich ſchlafe
ſo im Sitzen ein. (Setzt ſich auf derſelben Chaiſelongue an den
Tiſch, nimmt einen kleinen Bogen Briefpapier, legt ihn auf eine der
Schreibmappen. Beginnt zu ſchreiben.. „Sie haben mir“ — —
(Hebt den Bogen gegen ihr Geſicht.) Was für ein ſtarker Par—
füm; jo ſchwül. — Ah! hier liegt ja Herr Felix; das iſt
ſein Papier. Der hat ja in Allem, was klein iſt, ſeine
Art für ſich! (Schreibt.) „Sie haben mir damals verſprochen
und gelobt, mir immer die Wahrheit zu jagen, rückſichts⸗
los und ſachlich; das beanſpruche ich auch heut, wo mein
Er NO
Schickſal ſich entſcheiden ſoll. Sachlichen Gründen werde
ich mich fügen; aber von meiner perſönlichen Schwäche —
des Körpers oder der Seele — von der will ich nichts
hören“ ... (Läßt die Feder fallen.) Schwäche! Und indem
ich das ſchreibe, wird mir gar ſo ſchwach. Und dieſer
Parfüm — wie iſt der betäubend. Als hätt' ich getrunken.
Ich ſehe ja die Welt nicht mehr; nicht einmal das Papier.
Ich fühle nicht einmal mehr, daß das Herz mir weh
thut ... Ach, einen Augenblick dieſen Rücken ruhn. (Legt
ſich gegen die Lehne der Chaiſelongue zurück, die Füße am Boden.)
Und dann weiterſchreiben — (ſchlaftrunken) an Ulrich ...
Warum ſag' ich denn „Ulrich“. — Und dann weiterſchrei—
ben — Schläft ein.)
Elfter Auftritt.
Paula; Eckard (von hinten).
Eckard. In dieſer ſchwülen Frühlingsluft ſo herum—
zulaufen — das thut auch nicht gut. Da wird Einem ganz
aprilmäßig thöricht, gymnaſiaſtenhaft aufgeregt zu Muth;
es melden ſich ganz unmögliche Gedanken ... (Kommt auf
der rechten Seite des Zimmers langſam in den Vordergrund.) Dieſe
gute Frau, dieſe Tante Molly hat mir Sachen ge—
gt (lcgzlopft einmal mit der Fauſt auf ſeine linke Bruſt.)
Ich hab' ein Gefühl, als hätte ſie ſo mit ihrer klei—
nen Fauſt eine Stunde lang auf dieſelbe Stelle ge—
ſchlagen — hier. Es thut ganz richtig weh! — —
Alſo aus. Alſo wieder allein. (nach rechts blidend) Mit
dem Andern da! Die langen Abende wieder hier am
„Brüdertiſch“; Jeder auf ſeiner Chaiſelongue wie auf einer
Inſel, (näher tretend) ich hier und er da . . . (Erblickt Paula.
Iſt vor Ueberraſchung eine Weile ſtumm.) Heiliger —! Wie
kommt Die hierher! (Erſchrickt über ſeine Stimme, legt ſich eine
Hand auf den Mund; mit leiſem, ängſtlichem Ton) Hm! — —
Nur nicht aufwecken. Sie liegt ja da wie ein Traum. So
blaß; jo ſchön; und fo unbegreiflich . .. In meinem
Zimmer; Paula. Auf der andern Chaiſelongue; als lebten
wir jo; als wären wir Mann und Frau... (ie Hand
an ſeiner Stirn, tief athmend) Unſinn. Verrückt. Ich will
——
en ie
ſie doch wecken; fie macht mich verrückt. .. Bewegt ſich;
ſteht wieder ſtill) Nein, nein. Noch nicht wecken; dann ift
Alles vorbei. Paula! Wie kommſt Du hierher! zu mir!
— Ach, wenn Du aufwachſt, wirſt Du wieder gehn —
natürlich: (mit ſich entladendem Gefühl, doch leiſe, wie verſchämt)
Du biſt ja der Frühling — die Blume — mein
Schönſtes — die Poeſie meines Lebens — und die bleibt
ja nicht ... (fie anſtarrend, mechaniſch wiederholend) Und die
bleibt ja nicht! — — Ach, dieſe Frau hat Recht: Du
ſchönes Bild kannſt mich ja nicht lieben — und ich kann
Dich ſchönes Bild ja nicht glücklich machen. Aber ein
Schmerz, ein Schmerz — — So alt mußt' ich werden,
um das jo zu fühlen ... (Es ſchüttelt ihn; er ſchluchzt laut.)
Paula (erwacht plötzlich; ſchlaftrunken). Wer ſtöhnt da?
Tante Molly — — (Erblickt Eckard. Ganz verwirrt) Sie ſind's.
(um ſich blickend) Und ich hier. — Ich bitte jehr um — — (Steht
auf.) Sie alſo — Sie ſeufzten eben. Gott im Himmel, warum?
Eckard (lacht raſch und kurz auf). Nicht doch. Ein Irr—
thum. Sie waren noch im Schlaf, haben falſch gehört.
Paula (betrachtet ihn eine Weile forſchend). Sie haben
Recht: Seufzen war es nicht. Es war Schluchzen —
Eckard. Wirklich! Immer beſſer! — Sie hören ja, im hal⸗
ben Traum haben Sie geirrt. — Wie komm' ich zu der Ehre —?
Paula. Ich — ſuchte hier Tante Molly; dann
wollte ich an Sie ſchreiben; da liegt's. In einer verrückten
Müdigkeit bin ich eingeſchlafen —
Eckard. Sie ſehen elend aus. Ich bedaure ſehr.
Paula. Tante Molly hat mir geſagt, Sie ſeien der Mei—
nung, daß ich — fortgehen ſollte. Iſt das Ihre Meinung?
Eckard. Wohl möglich. — Ich will ſagen: vielleicht
hab' ich zu dieſer Dame ſo etwas geſagt. Vorhin —
Paula. Ich verſtehe nicht. Iſt es Ihre eigene, aus—
drückliche Meinung, oder nicht?
Eckard. Meine Meinung? — Ich weiß es nicht.
Paula. Verzeihen Sie: ich — ſtaune. Sonſt ſehen
Sie mit Ihrem klaren Verſtand alles deutlich, en
und nun „willen Sie's nicht“?
97 —
Eckard. Und nun weiß ich's nicht. — Aber ſie wird
wohl Recht haben, Ihre Tante Molly; eine ſo kluge Frau.
Die Welt, um die es ſich hier handelt, kennt ſie beſſer als
ich. plötzlich, faſt rauh) Sie müſſen nun von hier fort!
Paula. Von hier fort — ?
Eckard (hart). Ja. Aus dieſer Wohnung. Ich bin
zwar nur der Eckard — (mit halbem Lächeln) aber doch ge—
fährlich. So weit doch gefährlich. Darum müſſen Sie
fort. — Und dann — aus der Stadt!
Paula (nad einer Weile). Sie haben mir weiter nichts
zu ſagen?
Eckard. Nein.
Paula. Es iſt Ihnen recht, daß ich die Stadt verlaſſe?
Eckard. Ja.
Paula. Und daß wir uns trennen?
Eckard. Ja.
Paula. Leben Sie wohl. (Sie geht nach hinten. Eckard
ſinkt auf dem Ende ſeiner Chaiſelongue in ſich zuſammen; ein krampf—
haftes Schluchzen befällt ihn. Sie bleibt aufhorchend ſtehn.) Was
it das? — Was iſt Ihnen? (Er antwortet nicht, mit ge:
ſchloſſenen Augen vergebens gegen das Schluchzen ankämpfend. Sie
kommt zurück.) Herr Eckard! — — Wenn ſo ein Mann
weint, wie Sie, das iſt ja entſetzlich. — Warum —?
Eckard. Weinen iſt das nicht. Nur ſo ein Krampf,
verſtehn Sie — |
Paula. Eckard!
Eckard. Ja, ich höre. So heißt der unglücklichſte
Menſch, den Sie kennen. Ich kann ohne Sie nicht — —
Ich bin wie ein Knabe. Sie ſollen fort, und ich kann
nicht mehr ohne Sie leben!
Paula (vor Freude bebend). Wie? Sie können nicht —
Eckard. Nein. (vor ihr aufs Knie ſinkend) Wie können
Sie fortgehn, Paula! — Spät und grauſam iſt's über
mich gekommen. Eine Frau wie Sie — — Alles in Ihnen
wie zu meiner Wonne geſchaffen — und mein Herz ſo jung
— und nun wollen Sie fort!
7
—
98
Paula (hält ſich vorn am großen Tiſch aufrecht; die Augen
geſchloſſen, matt lächelnd). Ich will ja nicht fort —
Zwölfter Ruftritt.
Die Vorigen; Molly (von hinten).
Molly (in der Thür; wie erſtarrt, für fih). Großer Gott!
Er kann knien! |
Paula (hwad). Aber jtehn Sie auf; daß Sie mich
halten: ich taumle —
Eckard (springt auf; hält fie in feinen Armen). Paula! —
Was geſchieht Ihnen?
Paula. Nichts. Mir ward nur das Herz ſo ſtill.
Die Ueberraſchung — die Freude —
Eckard. Freude! — Paula!
Paula (langjam wieder zu ſich kommend). Ja, die Freude.
Das Glück. (Sucht ſeinen Mund, ſeinen Kopf zwiſchen den Händen
haltend.) Da! (Küßt ihn.)
Eckard. Paula! — Das iſt kein Traum — und
doch nicht zu faſſen. Du, Du — ſo an meiner Bruſt —
Paula. Und Dein! wenn Du willſt!
Eckard. O Paula! (Küßt ſie.)
Molly (die noch, gerührt und andächtig, im Hintergrunde ſteht).
Amen! |
Eckard (wie erwachend, wendet den Kopf). Wer iſt das?
— Sie hier?
Molly (weich). Ja; verzeihen Sie. Da ich Paula
bei mir nicht fand — — Aber es thut ja nichts: nun finde
ich ſie ja hier! (Paula nickt und lächelt ihr zu.)
Eckard (langſam und mehrmals über Paula's Hand ſtreichend,
noch halb wie im Traum). Gute Tante Molly. Sie gaben ſich ſo
redlich Mühe, mich und ſie zu trennen — und nun kam es ſo!
Molly (tritt näher). Ich hab' mich ja wohl unaus⸗
ſprechlich dumm in dieſer Sache benommen. — Gott ſei
Dank, Ihr nicht!
(Der Vorhang fällt.)
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