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Full text of "Neue Zeiten : Schauspiel in drei Aufzügen"

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Schauſpiel in drei Aufzügen 


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Adolf Wilbrandt, 


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—3 Bübnen: Manufkript. > 


Berlin. 
Gedruckt bei Julius Sittenfeld 


1800. 


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Frau Paula Dolberg. 
Frau von Brühl, deren Mutter. 
Herr von Teppin. 
Tucie von Leppin. 5 
Anton Meerveld, deren Bruder. 
Frau von Heide. 
Alma, deren Tochter. 
Frau Schwarzenbeck. 
Ulrich Eckard. 
Felir Eckard, deſſen Bruder. 
Oskar, des Letzteren Sohn. 
Arenberg. 
Müller, Reſerveleutnant. 
Frau Molly Berger. 
Küthchen, deren Nichte. 
Fräulein Hannchen. 
Frau Regine, Ulrich Eckards Haushälterin. 
Wiencke, ein Arbeiter. 
Ein Diener der Frau Paula Dolberg. 
Ein Diener Ulrich Eckards. 
Herren und Damen. Diener. 


Die Handlung ſpielt in der Gegenwart, in der Hauptſtadt. 


Anmerkung. Paula ijt einige dreißig, Molly einige vierzig Jahre 
alt gedacht; Ulrich Eckard höchſtens fünfundvierzig. 

Meerveld iſt zu ſprechen: Meerfeld. 

Der Verfaſſer hat auf ein natürlich-raſches Tempo, wo es 
angeht, gerechnet; er erſucht die Herren Bühnenleiter und Regiſſeure 
angelegentlich und herzlich, in dieſem Sinne auf die Darſtellung ein— 
zuwirken. 


Erſter Aufzug. 


Saal in der Wohnung der Frau Paula Dolberg. Reiche und geſchmack— 

volle Ausſtattung. Rückwärts ein kleinerer Saal, durch offene Thüren mit 

dem vorderen verbunden; an der Hinterwand des kleineren Saals der 

Eingang vom Vorplatz. Vorne rechts Eingang in ein Spielzimmer, 

durch einen ſchweren Vorhang geſchloſſen; links Mitte eine Thür zu 

anderen Geſellſchaftsräumen, mit geöffnetem Vorhang. Alles iſt feſtlich 
erleuchtet. 


Erſter Auftritt. 


Paula, Frau von Brühl, Frau von Heide, Frau Schwarzenbeck, Fräulein 

Alma, Fräulein Hannchen, Meerveld, Arenberg, Oskar und andere 

Gäſte; Lucie von Leppin. (Die Geſellſchaft iſt im vorderen Saal ver— 

ſtreut, ſtehend oder ſitzend, plaudernd. Lucie tritt eben von rückwärts 
in den hinteren Saal, kommt dann nach vorne.) 

Paula (zu Meerveld). Ah, da kommt Ihre Schweſter. 
(Geht ihr entgegen.) Guten Abend, liebe Lucie. 

Lucie. Es iſt wirklich komiſch, wie oft ich mich ver— 
ſpäte. Ich wollte eine Stunde früher — — unterbricht ſich, 
Paulas Anzug muſternd.) Ah! Heute wollen Sie einmal durch 
Einfachheit glänzen. Aber wie poetiſch. Eine griechiſche 
Göttin — 


Paula. Spotten Sie doch nicht. Neben Ihnen ſeh' 
ich heute aus wie Aſchenbrödel. Dieſe Pracht! Wie eine 
Königin! 

Lucie. Nein, ſagen Sie das nicht; ich komme mir 
neben Ihnen ſo überladen vor. Das einfach cremeweiße 
Kleid, der goldene Gürtel, die Sappho-Friſur . . . Exquiſit! 
(lächelnd, mit verhaltenem Groll) Sie ſind recht perfid, Paula: 
immer eine Ueberraſchung, durch die Sie uns Andere ſchlagen! 


Paula. Um Gottes willen; ich will niemand ſchla— 
gen; ich will nur an meinem Mittwoch zufriedene Gäſte 


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haben, denen bei mir wohl wird. (zu Frau von Brühl) Liebe 
Mutter, da iſt ſie, du kannſt ſie nun ausfragen. 

Frau von Brühl. Meine liebe Frau von Leppin, 
wollen Sie ſo gut ſein und mir über den geplanten Wohl— 
thätigkeits-Bazar etwas Auskunft geben? 

Lucie. Ach du lieber Gott! Nach ſo langweiligen 
Dingen müſſen Sie meinen Mann fragen. Er wird auch 
noch kommen; ſpäter; wie gewöhnlich. (Wendet ſich zu Frau 
von Heide und Frau Schwarzenbeck, beginnt mit ihnen zu plaudern.) 

Alma (vorne ſeitwärts, halblaut zu Meerveld). Ach ja, Ihre 
Schweſter hat Recht: Frau Dolberg iſt wieder am reizendſten 
gekleidet; ſo diſtinguirt. Finden Sie nicht auch? 

Meerveld (balblaut). Ihre Bemerkung iſt rührend 
neidlos, Fräulein Alma; aber ich bin nicht Ihrer Anſicht. 

Alma. Warum nicht? — Ach ſo! Sie meinen, Ihre 
Schweſter —? 

Meerveld. Nein, ſo ein Familien-Vorreiter bin ich 
nicht. Lucie ſieht pompös aus, und Frau Paula klaſſiſch; 
aber beiden Toiletten fehlt doch etwas; ſehen Sie das nicht? 

Alma. Nein, ich wüßte nicht. 

Meerveld. Sie haben es, Fräulein Alma. 

Alma (jieht an ſich hinunter). Wo denn? 

Meerveld. Ueberall. Die Jugend. Meine Schweſter 
und Frau Paula ſind in den „beſten Jahren“; damit meint 
man die minder guten. Eine reife Frau, eine reife Witwe; 
alle Achtung; aber ich ziehe doch Ihre Toilette vor, Fräu— 
lein Alma. Sie ſind hier Schneewittchen! 

Alma (ihre Freude zu verbergen ſuchend). Ich weiß, Sie 
ſagen das nur, um mich in Verlegenheit zu bringen und 
dann zu verſpotten; denn ſo ſind Sie immer. Jugend! 
Auch junge Hunde ſind jung! 

Meerveld. Auch menſchliche Säuglinge; aber die 
mein' ich nicht. Ich meine die ſchönſte Jugendblüthe eines 
ſchönen Mädchens, und zwar eines ganz bejtimmten; 
und ich bitte Sie, mir nicht mehr zu widerſprechen. 

Alma Cut zu lächeln). Dann will ich des lieben 


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Friedens wegen ſchweigen — und ſo thun, als glaubte ich 
Ihnen. (für ſich) Ob er es wirklich ſo meint? — Ach, 
das weiß man nie! 

Meerveld. Sehen Sie, Fräulein Alma: ich gelte 
für einen herzloſen Spötter, weil ich nicht ſentimental bin 
und gern meine Witze mache; aber wie mein großes Vor— 
bild Heinrich Heine hab' ich doch auch ein Herz — das 
„dem Meere gleicht“ und ſo weiter — und es gehn darin 
Dinge vor, von denen ſo eine ſanfte Mädchenſeele keine 
Ahnung hat. Sie denken vielleicht, Meerveld kann nicht 
lieben; aber wie ſagt Heine? 

„Ich hab' mit dem Tod in der eigenen Bruſt 
„Den ſterbenden Fechter geſpielet“ — 
(Er ſieht ihr dabei feſt in die Augen; Alma, mit ihrer Bewegung 
kämpfend, wendet ſich endlich ſeitwärts.) 

Paula chat inzwiſchen mit den andern Frauen geſprochen). 
Nun, da werden wir Herrn Meerveld fragen; der weiß 
ja von Allem. Herr Meerveld! 


Meerveld. Zu Befehl! (leiſe zu Alma) Ich hab' 
Ihnen noch viel zu ſagen ... (Geht von ihr hinweg zu den 
Frauen.) Womit kann ich dienen? 

Lucie. Iſt es wahr, Bruder, daß die kleine Fried— 
land, die ſchwarze, die kokette, ſich mit Bankier Lohmann 
verlobt hat? 


Meerveld. Er mit ihr, das weiß ich; aber ob auch 
ſie mit ihm, das iſt mir noch unbekannt. Meine Damen, 
da müſſen Sie die große Brautmutter fragen, die All— 
verloberin! Ä 

Frau von Brühl. Wen meinen Sie damit? 


Meerveld. Nun, die Allerweltstante; die ſogenannte 
Tante Molly. „Wo ſtill ein Herz in Liebe glüht“, da iſt 
ja Tante Molly dabei. Wo noch keines glüht, da macht 
ſie den Bolzen heiß. Die wird's doch wohl wiſſen! 


Paula (ruhig ernſthaft) . So müſſen Sie von Tante 
Molly nicht reden, Herr Meerveld. Die iſt eine Frau, 
wie Sie keine zweite kennen. Für Ihre kleinen Scherze iſt 
die Frau zu gut. 8 


Meerveld (eine gereizte Bewegung unterdrückend). Ich 
beuge mich in Ehrfurcht; erlaube mir aber doch unmaß— 
geblich zu bemerken, daß ſie von aller Welt die Aller— 
weltstante genannt wird — alſo doch wohl mit Recht. Da 
es ſich aber bei ihren ſogenannten Nichten gewöhnlich um 
Verlobung handelt, ſo habe ich mir erlaubt, ſie die 
„Allverloberin“ zu nennen; alſo doch wohl auch mit Recht. 
Bei Verlobungen Beiſtand leiſten wird ja auch durch keinen 
Paragraphen des Strafgeſetzbuchs verfolgt — 


Paula. Sie wiſſen offenbar nicht, warum die Frau 
jo geliebt wird. Ich nenne ſie auch „Tante Molly“; ich 
denke aber durchaus nicht mich nochmals zu verloben. Wir 
hängen ſo an ihr, weil ſie für Jede von uns ein ſo 
goldenes Herz hat — | 

Hannchen (Hat fih während der letzten Reden mit Alma und 
andern jungen Mädchen um Meerveld herumgeſtellt; eifrig, erregt). Und 
wir lieben ſie alle, unſre Tante Molly — und wenn es 
keine Männer gäbe, würden wir ſie darum nicht ſo viel 
weniger lieben — 

Alma. Wir vergöttern ſie! 

Die anderen jungen Mädchen (erregt durcheinander). 
Wir laſſen ſie nicht angreifen! — Wir leben und ſterben 
für die Tante Molly! 

Meerveld (Hält ſich ſcherzend die Ohren zu). Wenn die 
Damen fertig ſind, bitte ich um's Wort. (Läßt feine Ohren 
frei.) Großer Gott! Auf ein ſo gefährliches Weſpenneſt 
war ich nicht gefaßt. Vor ſolchen Neſtern, meine Damen, 
müßten Warnungstafeln aufgehängt werden — 

Paula. Das geſchieht auch, Herr Meerveld. Sie 
haben ſie nur nicht geſehn. 

Meerveld. Wo befindet ſich dieſe Warnungstafel, 
wenn ich fragen darf? 

Paula. Auf dem guten Geſicht unſerer Tante Molly. 
Mit großer, deutlicher Schrift! 

Meerveld. Ich werde alſo künftig zum Monocle 
greifen, wenn ich das „gute Geſicht“ der Tante Molly 


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anſehe. (im Kreis der jungen Damen umherblickend) Das hoch⸗ 
verehrte Weſpenneſt wird mir aber wohl die devoteſte Be— 
merkung geſtatten, daß dieſe allgemeine Muſtertante doch 
auch ihre — nun, ſagen wir: ihre Eigenthümlichkeiten 
hat — 

Hannchen. So? Welche, welche? 


Meerveld. Erſtens — wenn Grobſein eine Tugend iſt, 
ſo iſt fie ſehr tugendhaft; mehr als alle Damen zuſammen⸗ 
genommen, die ich das Glück habe zu kennen. Zweitens 
erzählt ſie gern Geſchichten, aber die der andern: Jemand 
fängt eine Anekdote an, ſie kennt ſie — natürlich, denn ſie 
kennt alle Anekdoten der gemäßigten Zone — was thut 
ſie? Mit einem geſchickten Griff wirft ſie den Erzähler 
aus dem Sattel, ſchwingt ſich ſelber hinein und erzählt die 
Geſchichte zu Ende. (zu Paula) Erlauben Sie: darum 
ſollte man noch eine Warnungstafel aufhängen, in der 
Nähe des „guten Geſichts“: „Fange keine Anekdoten an, 
hier kommt Tante Molly!“ (Lucie, Frau Schwarzenbeck und die 
jungen Männer lachen.) 


Paula. Das iſt gewiß eine kleine Schwäche; aber 
doch ſo unſchuldig — 


Hannchen. Und ſie erzählt die Geſchichten ſo gut, 
wie keiner von den Andern! 


Die jungen Mädchen durcheinander). Und das iſt 
die Hauptſache! — Und es lebe Tante Molly! 


Meerveld (nachdem er ſich wieder die Ohren zugehalten). 
Meine Damen, ich werde alſo nichts mehr ſagen, ſondern 
mir nur noch was denken. Oder iſt auch das in der 
Nähe dieſes hochverehrten Weſpenneſtes verboten? Ich 
fühle mich ſchon ähnlich eingeſchüchtert wie mein kleiner 
Neffe, der ein fünfjähriger Knirps war, als er (auf Lucie 
deutend) mit meiner Schweſter und mit dieſer Tante Molly 
zum erſten Mal in eine katholiſche Kirche kam. Eine Weile 
ſah er ſich die leere, ſtille, feierliche Kirche in feierlichem 
Schweigen an — 


Zweiter Auftritt. 


Die Vorigen; Tante Molly (iſt ſchon etwas früher von rückwärts in 
den hinteren Saal eingetreten, ſteht jetzt auf der Schwelle zwiſchen 
beiden Sälen; hinter ihr folgt) Käthchen. 

Alma (halblaut). Da iſt Tante Molly! 

Molly. Ja, ich war dabei; ein allerliebſtes Kinder⸗ 
geſchichtchen. Endlich zupft er ſeine Tante am Arm und 
flüſtert mit ſeinem zwitſchernden Stimmchen: „Tante Lucie, 
darf man hier etwas Drolliges denken?“ (Allgemeiner, lauter 
Ausbruch der Heiterkeit. Molly blickt die Geſellſchaft verwundert an, 
tritt näher.) Ja, iſt denn das ſo komiſch? Ich finde es 
mehr rührend als komiſch — 

Lucie. Entſchuldigen Sie, meine Gute: wir lachen 
nicht über die Geſchichte, ſondern über Sie. 

Meerveld. Ich hatte mir eben erlaubt, zu bemerken, 
daß Sie gern fremde Geſchichten annektiren — 

Lucie. Und mit dem bekannten Talent haben Sie 
das ſogleich beim Eintreten gethan! 

Molly (ruhig). Na ja, natürlich: Herr Meerveld iſt 
ja gar nicht im Stande, einen fünfjährigen Jungen in einer 
Kirche zu ſprechen. Guten Abend, Paula. Allerſeits guten 
Abend. Ich hab' mich mit Käthchen unterwegs verſpätet; 
es war eine gar zu traurige, rührende Geſchichte! 

Meerveld. Eine Anekdote, wenn ich fragen darf? 

Molly. Ach, gehn Sie mir mit Ihren „Anekdoten“; 
Sie haben ja gar nicht Spriet genug im Kopf, um mich 
lächerlich zu machen. (mehr zu den Andern gewendet) Vor 
dem Kriminalgericht, oder wie das Ding jetzt heißt, hatte 
ſich ein ganzer Haufe Frauen und Kinder verſammelt; zum 
Theil die richtigen Schmierfinken, aber auch ein paar aller⸗ 
liebſte Rothkäppchen dabei; — nach Beefſteak und Pudding 
ſahen ſie alle nicht aus. Ich gab den Rothkäppchen was, 
da erzählten die Alten mir: ihre Männer ſind heut im 
Schwurgericht verurtheilt, ſie haben bei dem großen Strike 
einen boͤſen Krawall gemacht, auf die Polizei mit Steinen 
geworfen — 

Käthchen. Auch mit Stöcken geſchlagen — 


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Molly (mit einer entſchiedenen unterbrechenden Geberde). Mein 
gutes Kind, meine Geſchichten erzähle ich allein! — Auch 
mit Stöcken geſchlagen; — kurz, ſie müſſen brummen. Die 
Frauen mit den Kindern wollten nun dieſe Uebelthäter noch 
einmal ſehn; aber es hieß dann: ſie ſind ſchon fort. Da 
verfielen ſie denn in ein allgemeines Schluchzen; und ich 
fragte ſie: wovon lebt ihr denn, wenn eure Männer ſitzen? 
— Dh! ſagten die Frauen und ſchluchzten noch eine Strecke 
weiter; aber ſo ein nettes, naſeweiſes Ding von zehn, elf 
Jahren, dünn und lang aufgeſchoſſen, die ſagte ſo im leiſen 
Weinen: „Die Männer, die ſie verurtheilt haben, daß ſie 
ſitzen müſſen, das ſind nicht alles böſe Männer, es ſind 
auch gute darunter; und die haben Geld geſammelt, davon 
ſollen wir leben!“ — — Kurz — (in unterdrückter Bewegung 
lächelnd) die Pointe von der Geſchichte iſt, daß wir recht 
abgebrannt herkommen; (zu Paula) leih mir zwei Mark, nach— 
her für die Droſchke. Mein letztes Zweimarkſtück wollt' ich 
eigentlich behalten; dann gab ich es aber doch noch hin 
und ſagte: Dafür kauft Seife für euch alle, zum Abſeifen! 
Meerveld (mit kühlem, ſpöttiſchem Lächeln). Diele Ges 
ſchichte iſt gewiß ſehr rührend — und am Schluß ſehr 
reinlich; ich kann Ihnen dazu die Ergänzung und den 
Schlüſſel geben, denn ich hab' einen Theil davon ſelbſt mit 
angeſehen. Ich war heute dabei, als die Kerle verdonnert 
wurden — 

Molly. Sie waren im Schwurgericht? 

Meerveld. Ja; wohl ein paar Stunden lang. Ich 
wollte mir doch einmal dies Geſindel anſchauen, das uns, 
weil wir Geld haben, maſſacriren möchte und die ganze 
Geſellſchaft auf den Kopf ſtellen will! — Es kam dann 
aber anders: ich hab' weniger dieſe Steinwerfer als die 
Geſchworenen angeſehn — oder vielmehr ihren Ob— 
mann; eine wunderbare Pflanze. Mir wird immer nicht 
gut, wenn ich den zu Geſicht bekomme — 

Lucie. Wer war's denn? 

Meerveld. Nun, der große Mann, der Menſchen— 
freund — der Herr Eckard. Der da draußen die große 
Fabrik hat — Maſchinen — und außerdem einen Sack 


— ae 


Geld — und jtatt des Gehirns noch ein Herz, wie mein 
Freund Landauer ſagt. Ich hatte keine Ahnung, daß der 
große Mann die Sache ſo komiſch beenden würde: denn 
er ſaß furchtbar ernſt und bedeutend da — als wäre er 
der Gerichtshof und die Geſchworenen alles in Einer 
Perſon — 


Paula. Ich bitte, Herr Meerveld, laſſen Sie Ihrer 
guten Laune nicht zu ſehr die Zügel ſchießen. Es ſind hier 
Leute, die dieſen Herrn Eckard hoch ſchätzen — 

Käthchen (halblaut). Und da ſteht ſein Neffe. (Deutet 
nach hinten, ſeitwärts, auf Oskar, der, an dem Geſpräch nicht theil— 
nehmend, ſcheinbar in ein Photographien-Album vertieft, Paula oft und 
mit ſichtbarer Bewunderung betrachtet.) 


Meerveld. Ich bin heute offenbar dazu angeſtellt, 


in Weſpenneſter zu ſtoßen! — Richtig, Herr Oskar 
Eckard . .. (Oskar, ſeinen Namen hörend, horcht auf, tritt näher.) 


Ein Mißverſtändniß, Herr Eckard: ich rief Sie nicht, ich 
nannte nur Ihren Namen. Alſo Ihr Onkel, der alte 
Eckard, den wir ja alle hochſchätzen — für ſein vieles 
Geld und auch für ſein großes Herz — er ſaß da 
wie ein alter Römer; wie der Caſſius oder Brutus, der 
ſeine eigenen Söhne verurtheilte; mit jeder Minute wurde 
er um einen Schatten düſterer und um einen Straftag 
ſtrenger. Ich war wie hypnotiſirt, mußt' ihn immer⸗ 
fort anſehn; endlich kriegt' ich das Lachen — — bitte 
tauſendmal um Vergebung; wir ſchätzen ihn ja alle! 
Die Verhandlung war aus, die Geſchworenen zogen ab, 
zur Berathung; und ich aß Chofolade. Als ſie wieder: 
kamen, tritt Herr Eckard als Obmann vor, noch um eine 
Nuance verdüſtert; aber er hatte zugleich ſo etwas wie 
Niobe in ſeinem verſteinerten Geſicht. Ich erſchrak ordent— 
lich, als dieſe Statue den Mund aufthat und zu reden an— 
fing; es kam aber auch heraus, wie wenn ſeine Zunge von 
Erz wäre: alle Angeklagten ſchuldig! alle! — — Aber, 
meine Herrſchaften, was geſchieht darauf? Das erräth kein 
Menſch! Während der Gerichtshof ſich zurückzieht, über 
das Strafmaß zu berathen, wendet ſich Herr Eckard an 
ſeine Kollegen, die Geſchworenen, und fängt an zu ſammeln; 


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für wen ſammelt er? Für die Verurtheilten; das heißt, 
für die Frauen und Kinder . .. Da fiel mir doch wieder 
ein, was mein Freund Landauer über ihn geſagt hatte — 
obwohl wir alle ihn hoch ſchätzen — und ich machte, daß 
ich wieder an die freie Luft kam ... (zu Molly gewendet) 
Und nun haben Sie den Schlüſſel zu Ihrer rührenden 
Geſchichte mit der grünen Seife! 


Oskar. Ich kann Ihnen nicht verwehren, Herr Meer— 
veld, das Benehmen meines Onkels etwas — ſonderbar zu 
finden; nur weiß ich nicht, warum Sie in dieſem Ton — 


Molly. Mein guter Oskar, das ſollten Sie doch 
wohl wiſſen: Herr Meerveld hat nur dieſen einen Ton, 
alſo ſpricht er in ihm. Was ſoll er denn anders thun? 


Meerveld. Gnädige Frau, ich glaube, Sie miß— 
brauchen ein bischen die Vorrechte Ihres Geſchlechts 


Molly. Ich glaub's nicht, Herr Meerveld. Sobald 
Sie einmal über eine ernſte Sache ohne alle Späße ſprechen, 
werd' ich ebenſo ehrlich ſagen: Herr Meerveld hat zwei 
Töne! (zu Oskar) Uebrigens, wieſo „ſon derbar“? Was 
iſt dabei ſonderbar, junger Herr, daß Ihr Onkel die Kerle 
verurtheilt und für ihre Familien ſammelt? Sie haben in 
der Leidenſchaft große Dummheiten gemacht — die Kerle, 
mein ich — dafür müſſen ſie ſitzen; und weil das eine ſehr 
ernſte Sache iſt, jo ſah Herr Eckard senior ſehr ernſt dabei 
aus; das hätte ich auch gethan. Aber ſie ſind unſchuldig 
und ſollen nicht verhungern — die Frauen und die 
Würmer, mein ich — darum muß man ſich ihrer an— 
nehmen; und weil das eine reine Menſchenſache iſt, ſo hat 
Herr Eckard den Richter ausgezogen und den Menſchen an 
— das hätte ich auch gethan! (zu Meerveld) Uebrigens 
können Sie ſich heute durch den alten „Brutus“ noch ein— 
mal Hypnotifiren laſſen: er kommt ſelber hierher. - 


Oskar (überrajht). Wie? Mein Onkel? 
Paula. Herr Eckard? — Wirklich, Tante Molly? 
Molly (nid). Er hat mir's geſchrieben. Ich hatte 


ihm gemeldet, daß Du ihn gern einmal ſprechen würdeſt; 
und heute Abend wäre Dein Empfangstag. Darauf kam 
ein Billet von ihm: „Alſo gut, ich komme. Eckard.“ 


Meerveld. Kurz wie ein Spartaner! 

Lucie. Ich kann es noch gar nicht faſſen, meine 
Damen: Herr Eckard giebt uns die Ehre. Der Herr iſt 
ſonſt ſo abwehrend und ſo menſchenſcheu — 


Molly. Menſchenſcheu wohl nicht; aber leute— 
ſcheu. Unſern Jourfixes und Routs und Diners geht er 
aus dem Wege, da ſind zu viel „Leute“. Die Menſchen 
hat er ſehr gern! 

Lucie (gezwungen lächelnd). Wirklich, ich muß ſagen, 
gnädige Frau, mein Bruder hat Recht: Sie ſind manch— 
mal reichlich grob. Sie befinden ſich doch eben auf ſo 
einem „Jourfixe“ .. . Uebrigens, was Sie mit Ihrer 
ſchon bekannten Unterſcheidung von „Menſchen“ und „Leuten“ 
eigentlich ſagen wollen, das verſteh' ich nicht recht! 

Molly. Nun, je nachdem. Auf unſere Kreiſe an— 
gewendet mein ich mit „Leuten“ Solche, die nur etwas 
haben, und mit „Menſchen“ Solche, die auch etwas ſind. 
Das iſt meine Logik; wenn Sie eine andere haben — 

Paula (legt ihr ſcherzend und zart die Hand auf den Mund). 
Um Gottes willen keine Logik, Tante Molly! (für fi, raſch) 
Sie wird wirklich zu grob. Ich werf ihr eine Anekdote 
hin, um ſie abzuſteuern! (laut) Meine Herrſchaften, bei 
„Logik“ fällt mir der Brief eines kleinen Provinzſchuſters 
ein, den mein Bruder Alfred bekam, als er noch ein grüner 
Junge und bei der Landwirthſchaft war. Er hatte ſeine 
Stelle gewechſelt, ohne vorher den Schuſter zu bezahlen 
oder ihm ſonſt eine Kunde von ſich zu geben; darauf erhielt 
er folgenden Brief — 

Molly. Ja, einen gelungenen Brief! Der Schuſter, 
der offenbar ſo langſam ſchrieb, daß ſeine Gedanken nicht 
ſo lange warten konnten, begann mit folgendem Satz: 
„Geehrter Herr! Wenn ich einen Ort verlaſſe — ſo müſſen 
Sie mir doch wenigſtens melden — wo ich geblieben bin!“ 
(Lachen der Geſellſchaft. Molly zu Paula, ihre Wange ſtreichelnd) 


an) 


Verzeih; es war Deine Geſchichte. Du biſt eine prächtige 
Frau, aber Anekdoten erzählſt Du nicht gut! 

Paula (ihr das Streicheln zurückgebend, lächelnd). Ich fühle 
mich durchaus nicht gekränkt. — Meine Herren und Damen, 
nun aber, bitte, auf zur Muſik! (Sie deutet nach links.) Fräulein 
Käthchen will uns etwas ſingen, und Herr Arenberg will 
begleiten. Nach der Muſik bekommen Sie auch zu eſſen 
und zu trinken. Bitte, treten Sie an! 

Arenberg (zu Käthchen). Erlauben Sie, mein Fräu⸗ 
lein: ich führe Sie zum Klavier. (Giebt ihr ſeinen Arm.) 

Meerveld (leije zu Lucie, während die Geſellſchaft ſich nach 
links entfernt). Mit Tante Molly werde ich noch abrechnen; 
wir ſind noch nicht fertig — 

Lucie (leiſe). Wir auch nicht! Ich ſchreibe an! (Beide 
ab nach links. Nur Molly und Alma ſind noch auf der Bühne; Alma 
hält Molly zurück.) 

Alma (cchüchtern, zärtlich). Ach bitte, Tante Molly, 
bleiben Sie noch einen Augenblick. Oder — wollen Sie 
doch lieber hören, wie Käthchen — 

Molly. Ihren Schumann ſingt? Das hör' ich ja 
alle Tage. Und dann iſt Käthchen meine Blutsnichte, Sie 
ſind eine Wahlnichte. Da bin ich immer auf dem Platz, 
wie die Feuerwehr. Nu, was giebt's denn, Kind? 

Alma (verlegen). Geben? Geben gar nichts. Ich wollt' 
Sie nur — fragen, Tante Molly, ob Sie über dieſen Herrn 
Meerveld auch jo empört ſind wie ich; (weicher, den Thränen 
nahe) ob es Ihnen auch ſo leid thut, daß er das Witzeln 
gar nicht laſſen kann und Einem dann ſo kalt, ſo lieblos 
vorkommt — jo — Verſtummt.) 

Molly (für ſich). Aha! (laut, ruhig) Nu, er iſt ja noch 
jung; noch nicht dreißig, glaub' ich. Da ſpielt man noch 
gern mit ſeinen Witzen, wie kleine Mädchen mit Puppen. 
(indem ſie Alma heimlich beobachtet) Das thut nichts; darum 
kann man doch das Herz auf dem rechten Fleck haben. 
Ich war auch mal witzig! 

Alma. Meinen Sie, Tante Molly? daß er doch — 

Molly. Ein Herz hat? Warum ſollt' er nicht. 


. 


(ſcheinbar harmlos) Hat er ſich gegen Dich noch nie darüber 
ausgeſprochen? Dir noch nie zu verſtehen gegeben, wie es 
unter ſeiner Weſte ausſieht? 


Alma. Unter feiner Weſte? — Nein. (mit einem An⸗ 
lauf) Doch. Einmal. (leiſe) Heute Abend. — Das heißt — — 
(Verſtummt.) 


Molly (für ſich). Ich dacht mir's. — Von dem will 
ich Dich wohl loseiſen, Kind! (laut, indem fie gemüthlich Alma's 
Arm nimmt und ſie langſam, mit gelegentlichem Stehenbleiben, auf 
und nieder führt) Sehn Sie, meine gute Alma, dieſer Meer— 
veld gehört wohl auch zu den verkannten Männern — weil 
er eben „witzig“ iſt. Man traut ihm nicht viel Gemüth 
zu, weil er gerne ſpottet; weil er etwas Heine'ſches hat — 


Alma (überrafcht, dann lebhaft mit dem Kopfe nickend). Ja, 
ja, ja! Das iſt es! 


Molly (wieder heimlich beobachtend). Ich weiß zum Bei— 
ſpiel, Deine Mutter will nicht viel von ihm wiſſen — 
Alma (wie betrübt). Ach nein! 


Molly (für ſich). Aha! (laut) Na, und da kommt es 
denn leicht zu kleinen Differenzen — wie man das ſo kennt. 
Die Mutter macht ihre Bemerkungen über den ſpöttiſchen 
Herrn; die Tochter widerſpricht. Die Mutter wird unge— 
halten und will nun ſchon gar nichts von ihm wiſſen; 
die Tochter wird trotzig und will deſto mehr von ihm 
wiſſen. Die Familienluft wird dick, wird trüb, wird ſchwül, 
endlich kommt ein Donnerwetter — mit naſſen Schauern. 
Die Tochter flüchtet auf irgend einem Jourfixe an die Bruſt 
ihrer Tante Molly — 


Alma (ftarrt Molly erſchrocken an). Nein — wie iſt das 
möglich. Wie unheimlich klug Sie ſind, Tante Molly. 
Alles zu errathen! Alles! 


Molly. Mein gutes Herzchen, die Uebung! Ich war 
auch einmal dumm; aber allmählich, da merkt man: es 
giebt eigentlich nur ein halb Dutzend Sachen, die kommen 
immer wieder. (fie ſtreichelnd) Alma's Mutter, die mag ihn 
nicht, aber die Tochter von Alma's Mutter, die mag ihn — 


— 15 — 


Alma (an Molly's Bruſt. Ach, Tante Molly! 


Molly. Na, da iſt ja noch nichts verloren — wenn 
ſich nur ſonſt Alles fügt. Wenn der verkannte junge Mann 
ſich und ſein Herz zu dem Mädchen wendet — 


Alma (leiſe, noch an Molly's Bruſt). Vielleicht thut er 


das, Tante Molly. — Er hat ſo was geſagt. — Sie 
weiß nur noch nicht, ob er — — ob er es wirklich ſo 
nee 


Molly. Das wird man erfahren, Kind! (für ſich) 
Armes, dummes Herz! (laut) Ich weiß einen ähnlichen 
Fall, da erfuhr man's bald. Ein junges Mädchen — 
auch ſo eine Wahlnichte von mir — die intereſſirte ſich 
auch gar ſehr für den Anton Meerveld (Alma blickt überraſcht 
zu Molly auf); na ja, mein Kind, die Erſte biſt Du da 
nicht. Und ſie wußte auch nicht, wie es in ſeiner Männer— 
bruſt ausſehe — und ging ſo verträumt und ungewiß 
herum. Aber da waren ſie einmal allein, und er ſagte 
ihr; „Ich gelte oft für herzlos, wie der große Heine; aber 
glauben Sie mir, mein Herz gleicht dem Meere, wie Hein— 
rich Heine ſagt, und manche ſchöne Perle“ — — Na, 
was haben Sie, Alma? Was machen Sie für ein Geſicht? 


Alma (ſtammelnd). Das ſagte er ihr? der Andern? 
Molly. Nun ja; mir hat er's nicht geſagt. Und 
dann ſah er ihr ſo recht von innen heraus ins Geſicht 
und demaskirte ſich in folgenden Verſen: 
„Ich hab' mit dem Tod in der eigenen Bruſt 
„Den ſterbenden Fechter geſpielet!“ 
Alma. Das iſt nicht möglich — nicht möglich — 
oder er iſt ein Teufel! 


Molly. Ein Teufel? Ach nein. Nur ein recht 
moderner junger Mann, der viel zu viel Geld hat — und 
der einen Theil ſeiner vierundzwanzig Mußeſtunden damit 
ausfüllt, jungen Mädchen was vorzuſäuſeln — 

Alma (wirft ſich wieder an Mollvp's Bruſt, ihr Geſicht daran 
verbergend). O wie ſchäm' ich mich, Tante Molly! O wie 
ſchäm' ich mich! 


u mE 


— 1 


Molly (rückt fie ſanft an ſich, ſtreichelt ihr Haar; weich). 
Hat er Dir das alles auch vorgeſäuſelt, Kind? (Alma, ihr 
Geſicht wie vorhin verbergend, nickt.) Und Du haſt gedacht: 
vielleicht meint er's ehrlich? (Sie nickt.) Na, dann ſchäm' 
Dich ein bischen, wenn Du willſt, aber nicht zu viel. Daß 


— — 


wir Andere für beſſer halten, als ſie ſind, weil wir beſſer 


ind, das iſt nicht das Schlimmſte. — Alſo dieſelben 
Verſe ... Ich dacht' mir's. Warum ſollt' er ſich auch 
immer neue ſuchen; dieſe hatten ſich ja bewährt — 


— 


Alma (ſchluchzend.. O Tante Molly! 


Molly. Still, ſtill! Hier nicht weinen, Kind. Wenn 
nun Jemand käme! — Ein junges Mädchen muß ſein 
Herz ſo wenig vor den Leuten enthüllen, wie ſonſt was. 
Wird's Dir einmal gar zu eng da herum, komm' zu Tante 
Molly: vor der kannſt Du Dich immer zeigen, wie Du biſt, 
das iſt keine Schande. Die kann noch immer jede Dumm— 
heit mitmachen, wenn ſie auch ziemlich geſcheit iſt; (Alma 
wieder an ſich drückend) und die unſchuldigen Irrthümer eines 
jungen Herzens ſind ihr heilig, Kind! 

Alma. O, wie ſind Sie gut, ſüße Tante Molly! 

Molly. Ich möcht' gern helfen, o ja — weil ich 
weiß, das fehlt oft. Mir hat man einſt nicht geholfen, 
und ich hab's gebüßt. War mit meinem Mann gar nicht 
glücklich, Kind; — davon erzähl' ich Dir einmal, wenn 
ſich's beſſer paßt; nur damit Du was lernſt. Ach, wir 
jungen Dinger, wir fliegen wie Vögel, die erſt dreiviertel 
flügge ſind, unter dem Himmel herum. Da finden wir 
denn oft nicht wieder ins Neſt zurück — und kommen in 
ein falſches — und fürs ganze Leben! — — Du ſollſt 
noch einmal ins rechte kommen; da ſei ohne Sorge. Gräm' 
Dich nicht um den Meerveld . .. (Sieht hinten Eckard und 
Felix eintreten. Leiſer) Und nun zeig' den Leuten wieder Dein 
helles, munteres Geſicht, und flieg' ruhig weiter! 

Alma giebt ihr ſchnell einen Kuß). Das will ich thun, 
ſüße Tante Molly. Ich liebe Sie! Ich liebe Sie! Gaſch 
ab, nach links.) 


Dritter Auftritt. 


Molly; Eckard und jein Bruder Felix. (Felix iſt älter, ſchon angegraut, 

aber ſo elegant und auf Zierlichkeit der äußeren Erſcheinung bedacht, 

wie der Andere einfach und derb iſt. Sie kommen aus dem hinteren 
Saal in den Vordergrund, während Molly der Alma nachſieht.) 


Felix. Guten Abend, „Tante Molly“ — wenn ein 
Jüngling in meinen Jahren auch ſo ſagen darf. Hier 
bringe ich meinen Bruder — 

Molly (achdem fie Felix die Hand gegeben). Ah, Herr 
Eckard, wirklich! Alſo Sie halten Wort! 

Eckard (trocken). Was ſollte ich ſonſt thun? es brechen? 
— — Mein Bruder Felix hörte, daß ich meinen Wagen 
beſtellte, um hierher zu fahren; da warf er ſich ſchnell in 
ſeinen Frack und fuhr mit, denn Kronleuchter mit allerlei 
Leuten darunter hat er gar zu gerne. Nun, wo iſt denn 
die Hausfrau, die mich ſprechen will? | 

Molly (nach links deutend). Dort im zweiten Zimmer 
machen ſie noch Muſik. Wenn vielleicht die Herren — 
Felix. Muſik? Ich hab' heut eine förmliche Sehn⸗ 
ſucht nach Muſik. Ich ſchließe mich an! (Links ab.) 

Molly. Wollen Sie nicht auch? Ihr Liebling, meine 
Käthe, ſingt. 

Eckard. Ich danke. Ich hör' den kleinen Vogel ſehr 
gern, wenn er mich beſucht und ſich an mein Klavier ſetzt; 
vor einem ſo auserleſenen Publikum wie hier hör' ich ſie 
nicht ſo gern. — Uebrigens, ich danke Ihnen! 

Molly. Wofür? 

Eckard. Daß Sie mich aus meiner Einſamkeit ſo 
unter die Leute gebracht haben. Sie hatten wohl im Augen— 
blick nichts zu thun — und irgendwas müſſen Sie ja immer 
thun. Da ſetzten Sie ſich denn hin und ſchrieben mir dies 
Billet: „Frau Paula Dolberg hat ſchon lange den drin— 

genden Wunſch, Sie einmal zu ſprechen!“ 

Molly. Sie konnten ja antworten: ich will nicht. 

Eckard. Das iſt eine richtige Frauenzimmer-Ent⸗ 
gegnung. Wenn Sie wußten, wie ungern ich mich unter 


2 


die Leute miſche — und beſonders unter die Leute, Die 
man Damen nennt — ſo thaten Sie doch wohl beſſer, 
mir weder das Mißvergnügen zuzumuthen, noch die 
Unhöflichkeit. Denn ich gelte allerdings für grob, aber 
es macht mir doch kein Vergnügen, es zu ſein. 

Molly. Es ſcheint doch, nach dem, was Sie mir 
jetzt ſagen! 

Eckard. Werden Sie doch nicht ſpitz; das iſt damen⸗ 
haft, das paßt nicht zu Ihnen. Ich bin nun einmal hier 
— weil Frau Paula's Mann mein Freund war und weil 
Sie mich an die Wand genagelt hatten; — und auch weil 
mir ein Gedanke kam — — aber davon ſpäter. Hab' 
aber ſchon die größte Luſt, wieder fortzugehn. Es riecht 
hier ſo fad, ſo ſüß, nach all dem falſchen Zeug, womit die 
ſchönen Damen ſich anſpritzen; es legt ſich Einem ſo 'ne 
dicke, niederdrückende Wolke von Luxus, von Redensarten, 
von Zeit- und Wort- und Geld-Verſchwendung ums Herz. 
Was thun Sie nur hier, Frau Molly? Mit all Ihren 
ungeſunden Einfällen ſind Sie doch eigentlich eine vernünf— 
tige Frau (fie verneigt ſich dankend); wie kann es Ihnen ein 
Vergnügen machen, in dieſem Froſchteich zu ſchwimmen? 

Molly. Es giebt auch ganz hübſche Fiſche drin — 

Eckard. Gold- und Silberfiſche, o ja. Sehr viel 
Gold und Silber! — Wenn jeden Mittwoch die Geld— 
ſchränke der Herrſchaften hier zuſammenkämen und ihr 
verſperrtes Mundwerk vor einander aufmachten, ſo wär's 
ein ebenſo amüſanter Jourfixe. Wer führt denn hier das 
große Wort? Dieſe Frau von Leppin, die nicht ſo viel, 
Geiſt hat wie ihre Coupons, und nicht ſo viel Herz wie 
ihr Wagentritt; aber ſie trägt die koſtbarſten Goldfiſch— 
Toiletten, und ihr Mann iſt ein kleiner Rothſchild! Der 
kommt dann ſpäter, allein, auf ein Viertelſtündchen, wie 
der Großſultan; ſäet ſein behagliches Lächeln auf allen 
Fußböden aus, beehrt den Einen mit einem cyniſchen 
Späßchen, bietet dem Andern eine Cigarre an aus ſeiner 
Hintertaſche, einen Dollar das Stück. Dann wackelt er 
wieder hinaus, denn er hat noch andere Pflichten: während 
ſeine Gemahlin hier als Pfau ihr abendliches Rad ſchlägt, 


genießt er mit guten Freunden die Freuden der Häus— 
lichkeit bei einem reizend eingerichteten Schätzchen — 


Molly. Laſſen Sie mich damit in Ruh! 


Eckard. Wer erſetzt ihn hier unterdeſſen, den großen 
Mann? Wer kann das? Niemand als ſein Schwager, 
dieſer Anton Meerveld; denn der iſt ein Witzbold. Der hat 
ſeine Witze nur gleich ſo in Klumpen bei ſich, wie der 
Hering den Rogen; freilich gehen davon auch hundert auf's 
Pfund. — Das ſind Ihre „hübſchen Fiſche“! 


Molly. Nein, das ſind die Fröſche. Sie vergeſſen 
vor Allem die Hausfrau — 

Eckard. Frau Paula Dolberg? Die iſt die Aller— 
ſchlimmſte: denn in ihr ſteckt mehr, und ſie will's nicht 
wiſſen. Für was lebt ſie denn? Für die große Ehre, unter 
dieſen Goldfiſchen die Toilettenkönigin zu ſein; ſo wird 
ſie ja wohl genannt! 

Molly (etwas kleinlaut). Mein Gott — ſie hat mehr 
Geſchmack als die Andern, und das muß ſie zeigen. Sie 
hat ihren Mann nicht mehr, und hat keine Kinder; von 
den Männern will ſie nichts mehr wiſſen — 

Eckard. Darum läßt ſie ſich von den Frauen be— 
wundern und beneiden! 

Molly. Sie ſollten Sonntags auf der Kanzel predi— 
gen, Herr Eckard. Wenn Frau Paula von den Frauen 
beneidet wird — was mich gar nicht wundert — ſo wird 
ſie von den jungen Mädchen geliebt. Die drängen ſich 
um ſie, weil ſie graziös und vornehm, weil ſie warm und 
gut iſt. Und dieſe jungen Mädchen, das ſind meine 
„hübſchen Fiſche“ — 

Eckard. Ah ja! Ich verſteh' ſchon. „Tante Molly“. 
Dieſe jungen Mädchen ſind Ihr Geſchäft; Sie bringen ſie 
an den Mann! 

Molly. Es iſt doch merkwürdig, daß ein kluger 
Mann und ein dummer ſo oft ganz daſſelbe ſagen. „Ich 
bringe fie an den Mann“. .. Und es iſt grade unge: 
kehrt! 


25 


3 


Eckard. Wieſo umgekehrt? Sie bringen ſie nicht an 
den Mann? 

Molly (mach kurzem Zögern). Wozu verrath' ich Ihnen 
eigentlich mein Geſchäftsgeheimniß . . . Aber weil Sie mich 
ärgern — — Zählen Sie doch einmal nach! Wie viele 
von den jungen Dingern, die mich Tante Molly nennen, 
hab' ich denn wohl verlobt? Ja, ſie kommen alle, wenn 
ihnen ein Mannsbild im Kopf ſteckt; und ſie glauben alle, 
daß ich ihnen helfen will, an den Mann zu kommen; aber 
ein paar Wochen ſpäter, wie iſt's dann geworden? Dann 
iſt das Mannsbild gewöhnlich aus dem Kopf heraus — 
und das Mädel klüger. Ich hab' wieder Eine vor ihrer 
unerfahrenen Dummheit gerettet, und vor irgend einem 
albernen oder ſchlechten Kerl behütet; — die klugen und 
die dummen Leute aber bleiben bei ihrem Kehrreim: „Tante 
Molly bringt ſie an den Mann!“ 


Eckard (nach einer Weile). Hm! — Aber wie machen 
Sie denn das? Sie müſſen alſo die jungen Dinger doch 
täuſchen, müſſen Ihren Ruf als Verlobungstante tapfer 
aufrechthalten — 

Molly. Ja, ich ſpiel' meine Rolle, ich heuchle, ich 
lüge, ſo lange wie es Noth thut; ſür die gute Sache. 
Daraus mach' ich mir nichts. Gott ſieht in mein Herz! 

Eckard. Nun, am jüngjten Tage werden wir ja 
hören, wie er darüber denkt. Ich präparire mich etwas 
anders für dieſen Tag, muß ich Ihnen ſagen; ich hab' nicht 
viel Sinn für die „frommen Lügen“. Aber — Sie ſind 
ein Frauenzimmer, und ich bin ein Mannsbild; darauf 
läuft's denn doch immer wieder hinaus. — Da kommt 
Paula Dolberg! 


Vierter Auftritt. 
Molly, Eckard; Paula und Hannchen (von links). 

Paula. Guten Abend, Herr Eckard; ich danke Ihnen 
ſehr, daß Sie die Freundlichkeit hatten, zu kommen. (Er 
verneigt ſich ſtumm; ſie reicht ihm die Hand.) Ihre junge Freun⸗ 
din, das Käthchen, hat allerliebſt geſungen; jetzt iſt man 
beim Eſſen. | 


BL N ar 


Molly. Gott ſei Dank! Ich hab' einen göttlichen 
Appetit! 

Hannchen (ſchmiegt ſich etwas ſchüchtern an Molly; leiſe). 
Hätten Sie doch noch einen Augenblick Zeit, himmliſche 
Tante Molly? Ich ſehne mich ſchon den ganzen Abend, 
Sie zu ſprechen; (beklommen lächelnd)b es geht mir jo wun— 
derbar — 

Molly (leiſe). Eine Fortſetzung? 

Hannchen. Ja; ganz unerwartet — 

Molly. Nun, dann kommen Sie, Hannchen. (für ſich, 
mit einem leiſen Seufzer) Siebentes Kapitel! 

Hannchen. Aber Ihr göttlicher Appetit — 

Molly. O, der wartet gern. Sprich dich aus, 
mein Herz! (mit ihr nach hinten gehend, für ſich) Ich krieg' nichts 
zu eſſen! (Sie gehn während des Folgenden eine Weile im hintern 
Saal auf und ab, Arm in Arm; verſchwinden dann langſam nach links.) 

Paula (hat inzwiſchen mit Eckard geſprochen). Alſo Sie wol— 
len nichts, gar nichts genießen? 

Eckard (ſchüttelt den Kopf). Zu Hauſe ſchon abgethan. 
— Sie hatten mir alſo etwas mitzutheilen, gnädige Frau. 

Paula. Mitzutheilen! Das iſt nicht das Wort. Ich 
hab' etwas auf dem Herzen, das — das mich ſchon lange 
drückt, aber ich ſah Sie nie, weil Sie — ſo anders leben. 
Um es Ihnen kurz zu machen: Sie waren der liebſte 
Freund meines Mannes, eh' ich ſeine Frau ward; nach 
unſrer Verheirathung kamen Sie noch von Zeit zu Zeit — 
immer ſeltener — endlich blieben Sie fort. Meinen Mann 
bekümmerte das, ging ihm ſehr zu Herzen; er wußte offen— 
bar nicht, weshalb Sie ihm ſo fremd wurden; zuweilen, 
wenn er darüber klagte, ſah er mich ſo an, als hätte er 
ſagen mögen: biſt etwa Du daran Schuld? — End— 
lich — — nun, endlich konnte er nicht mehr klagen; ich 
hatte ihn nicht mehr. Daß Sie nun nicht wiederkamen, 
konnte mich nicht wundern. Aber vor einiger Zeit — 
ziemlich langer Zeit — ſagte man mir, Sie hätten ſich 
gleichfalls beklagt, und zwar über mich. Ich hätte 
Ihnen nach Ihrer Meinung meinen Mann entfremdet, Sie 


5 


„ 


aus dem Hauſe gedrängt... Sehen Sie, das bedrückt 
mich. Ich wollte Ihnen ſagen: darin irren Sie. Ich habe 
nie irgendwas gethan, um die Freundſchaft zwiſchen Ihnen 
und meinem Mann weniger innig zu machen; ich habe nie 


ein Wort geſprochen, das auf ihn — auf Richard — in 
dieſem Sinn hätte wirken können. Ich hatte vor Ihnen 
ſtets eine Hochachtung, die — — kurz, ich bin daran ſo 


unſchuldig, wie an meinem Daſein. Glauben Sie mir 
das! 

Eckard. Ich glaub' es, gnädige Frau, natürlich, da 
Sie es mir ſagen; — aber man hat Sie belogen — wie 
das manchmal vorkommt. Ich hab' mich nie mit einer 
Silbe über Sie beklagt; konnte das auch nicht, da an 
meinem Fortbleiben aus Ihrem Hauſe Niemand Schuld 
war als ich. 

Paula (etwas unſicher). Sie wollen ſagen: freiwillig? 
aus eignem Antrieb? 

Eckard. Ja. 

Paula. Ohne daß Sie ſich in unſerm Hauſe kühler, 
unherzlicher aufgenommen fühlten? 

Eckard. Davon hab' ich nichts geſpürt. 

Paula (ihmeigt eine Weile. Mit Mühe). Darf ich dann 
fragen: warum —? (Berjtummt.) 

Eckard. Warum wollen Sie das wiſſen, gnädige 
Frau. Ich bin ein „Sonderling“, wie die Leute ſagen; 
geh' ſo meine Wege. Weshalb ich damals fortblieb? 
Sagt ich das jo kurz heraus, jo klänge es grob, was 
ich natürlich nicht wünſche; wollt' ich es gründlicher machen, 
ſo würde es Sie langweilen. Denn meine „werthe 
Perſon“ — 


Paula. Ganz und gar nicht, Herr Eckard. Ich 
fürchte mich weder vor der Grobheit, noch vor der Lange— 
weile. Bitte, ſagen Sie's. 


Eckard (für ſich). Ja, ja, die weibliche Neugier; die 
kennt keine Furcht! (laut) Wie Sie wünſchen; ich will's 
alſo verſuchen ... Sehen Sie, gnädige Frau: ich hab' 
immer mit Männern und nicht mit Frauen gelebt. Ich 


RR 


2 


bin ſachlich, gradezu, haſſe die Umſchweife und die Förm— 
lichkeiten; wer es ebenſo macht, mit dem komm' ich raſch 
vom Fleck; wer anders iſt, mit dem weiß ich nicht zu 
reden. Da merkte ich denn natürlich bald: Du taugſt 
nicht für die Frauen! Ich ſah zu, wie's die Andern 
machten; ja, wie machten fies! So ein Mann, der mit 
mir ſchlicht und natürlich und ehrlich und zur Sache ſprach, 
vor den Damen kriegte er auf einmal ſo was Weiches, 
Zierliches, Lächelndes, Gemachtes; er kriegte ſogar ein 
anderes Geſicht; es war, als wenn er im Theater wäre. 
Dazu ſchüttelte ich lange den Kopf; endlich wurde ich 
klüger und merkte: Menſch, Du machſt es auch ſo! Und 
wenn Du es nicht ſo machſt, können Dich die Frauen 
nicht leiden, ſehn Dich für nen Bauer an, fühlen ſich be— 
ledig! — — Kurz — ich gab's endlich auf. Ich ſah 
ein: das iſt nicht meine Sache — und hielt mich zu den 
Männern. Ich wurde der „Sonderling“, als den man 
man mich nun gehn läßt. — — Das iſt die Geſchichte! 

Paula (nach kurzem Schweigen). Sie blieben alſo aus 
unſerem Hauſe fort, weil mein Mann eine Frau hatte; 
weil es Sie langweilte, mit mir zu reden. 

Eckard. Das iſt nicht das Wort. Weil ich nicht 
dazu taugte; immer aus mir heraus ſollte, ſtatt in mich 
hinein. Das macht dumm, ungeſchickt, verdrießlich; endlich 
bleibt man fort. Ich verlor darüber freilich meinen lieben 
Freund aus dem Geſicht; — aber was will man machen 
— Jeder ſtreckt ſich zuletzt doch nach ſeiner Natur! 

Paula (beißt ſich auf die Lippe; lächelt). Das iſt alſo 
aufgeklärt. — Ich danke Ihnen, Herr Eckard; obwohl ich 
nur eine Frau bin, hab' ich doch viel Sinn für Aufrichtig— 
keit. — Ich begreife nur nicht: Sie verkehren doch noch 
immer, ſeit ſo vielen Jahren, mit der „Tante Molly“! 

Eckard. Das iſt 'ne andere Gattung; — verzeihen 
Sie. Die verlangt nicht, daß ich vor ihr meine Mätzchen 
mache; mit der red' ich ſo gradezu wie mit einem Mann. 
Und ihre Nichte, die Käthe, das junge Ding, wächſt ihr 
darin nach. Die Käthe und ich, wir ſprechen miteinander 
(herzlich lächelnd) wie zwei alte Männer. Ich nenne fie Vetter 


3 


und fie nennt mich Onkel. (nach links auf die offene Thür 
blitend) Da ſeh' ich ſie; mit Frau von Brühl. Sie winkt 
mir. Muß ſie doch begrüßen. — Gnädige Frau — nichts 
für ungut! (Macht eine etwas ſteife und ungeſchickte, doch artige 
Verbeugung; links ab.) 

Paula (nach einer Weile, mit ſpöttiſch-bitterem Lächeln). 
Er ſtrebte recht von mir fort. — Mich verachtet er. Mit 
mir kann er nicht reden . . . (Blickt ihm nach.) Hm! Warum 
hat er's dann doch gethan? Warum ſetzte er mir ſo geiſt— 
reich auseinander, weshalb er — — weshalb er es da— 
mals nicht mehr aushielt, mich zu ſehn? — — Wie das 
der Eitelkeit ſchmeichelt: jo ein rauſchender Erfolg. Man 
ſteckt ſich in ſein edelſtes Gewand, macht ſich die ſchönſte 
Friſur — und dann kommt ſo ein Ehrenmann, ſieht über 
Einen hin, als wär' man 'ne Vogelſcheuche, und jagt 
Einem in dieſe ſchönſte Friſur hinein: ich mußte mir damals 
die Wohlthat verſchaffen, Dich nicht mehr zu ſehn! 


Fünfter Ruftritt. 
Paula; Molly (von hinten links). 


Molly (kommt aus dem hinteren Saal zurück, von links). 
Ah, Du biſt ſchon allein. — Mit dieſem Hannchen wär' 
ich für heute fertig; jetzt will ich mit Dir eſſen. Nun? 
wie hat der Bär gebrummt? 

Paula. O, er war ſehr artig. Er hat die Pfote ge— 
geben, und ſein Tänzchen gemacht, und ſeine Reverenz! — 
— Bitte, nimm mir die Spangen aus dem Haar; ich will 
mir einen Pudelkopf machen — oder ſonſt was Schönes. 
Und dann bind' mir 'ne Schürze vor! eine Küchenſchürze! 

Molly. Kind, Du biſt wohl verrückt. — Was hat 
Dir der Eckard gethan? 

Paula. Nichts. Nur ein paar gute Lehren hat er 
mir gegeben: ich ſoll nur ſo fortmachen, mich aufs eleganteſte 
kleiden, mich in den Salons herumtreiben, Konverſation 
machen; das ſei die beſte und würdigſte Exiſtenz, die man 
haben könnte. Was hab' ich Dir immer geſagt? Geht es 
mir nicht herrlich, leb' ich nicht wie ein Gott? 


ER Bin. 


Molly. Ach du lieber Götze! Da haben wir fie 
wieder im großen Katzenjammer. Er hat Dich geärgert, 
und nun ſchlägſt Du Dir aus Verdruß ſelber ins Geſicht. 
— Kind! Mach's auf der Welt wie ich! Mach Dir was 
zu ſchaffen! e 

Paula. Als „Tante Paula“, wie die „Tante Molly“? 
Dazu bin ich noch zu jung; — und zu allem Andern zu 
alt. Ich ſchweb' in der Luft. Dieſes gottverwünſchte Mittel- 
alter, das zu gar nichts gut iſt; ſo ein weiblicher Jung— 
geſell . . . Mach mir 'nen Pudelkopf! 

Molly. Nein, ich führ' Dich zum Hummer; ich hab' 
da ein Prachtexemplar von einem norwegiſchen Hummer 
geſehen, mit dem ich mir ein Rendezvous abgeſprochen habe. 
Paula Dolberg, die Welt iſt recht unvollkommen; aber wer 
einen ſo guten Magen hat wie Du und ich, der wird nie 
ganz unglücklich. Komm zum Rendezvous! 


Sedister Auftritt. 


Paula, Molly; Herr von Leppin, dann Felix, Meerveld, Müller und 
noch zwei Herren. Zuletzt Arenberg. 


Paula (mit dem Kopf nach hinten deutend). Da haſt Du's: 
der ſüße Leppin ſteuert auf uns zu — 

Molly (für ſich). Der „Großſultan“. — Na, er bleibt 
nicht lange! 

Leppin (it hinten eingetreten und nach vorne gekommen; 
behaglich⸗ſchwerfälligen Ganges, ſelbſtzufrieden lächelnd). Meine liebe 
Frau Dolberg, Sie ſehen, es iſt mir unmöglich, einen Ihrer 
gemüthlichen Mittwochs zu verſäumen; — immer ſpät, aber 
ſicher. (Durch den hinteren Saal von links kommen Felix und noch 
zwei Herren; von vorne links kommen Meerveld und Müller.) Ich 
freue mich, Sie ſo geſund und ſo ſchön zu ſehn! 

Paula (giebt ihm die Hand). Ich begrüße Sie. (für ſich) 
Seine Anerkennung thut doch noch weher als Herrn 
Eckard's Schweigen! 

Leppin chat Molly ſtumm begrüßt). Ah, Herr Felix 
Eckard. Sieht man Sie auch einmal bei der „Königin“? 


Freut mich ſehr, freut mich ſehr. (leiſe zu Felix) Gehn Sie 
nur nicht fort; will Ihnen noch was jagen. (eächelt ihm 
verſchmitzt zu, ein Auge ſchließend; begrüßt dann die anderen Herren.) 
Guten Abend, Schwager! 

Meerveld (leife). Wo kommſt Du her, alter Sünder? 

Leppin (leiſe). Ein Glas Sekt; weiter nichts! (Sprechen 
weiter.) 

Molly (leiſe zu Paula). Du ſiehſt, er hat ſeine Leute; 
gehen wir zum Hummer. Es lagen da auch ein paar 
Lachsforellen, wie die Liebesgötter. Ich ſag' Dir, ich hab' 
einen Hunger — — wenn ich nicht bald was kriege, ſo 
ei ich Herrn von Leppin! (Zieht Paula mit fort, links ab.) 


Meerveld (vorftellnd). Herr Müller; Reſerveleutnant. 


Leppin. Freut mich ſehr; freut mich ſehr. — Kann 
ich den Herren eine gute Cigarre anbieten? Eben friſch 
von der Negerin weg für mich angekommen. (Greift in 
die Hintertaſche ſeines Fracks, zieht ein paar große Cigarren hervor. 
Müller zögert, zu nehmen.) Faſſen Sie nur Proviant, Herr 
Reſerveleutnant. Ich hab' mehr davon. (Müller nimmt eine 
Cigarre, Meerveld desgleichen.) Wohin wollten die Herren? 
Zum Spiel? 

Meerveld (mach vorne rechts deutend). Ja, ein kleines 
Jeu. Hältſt Du mit? 


Leppin. Ich danke; wäre ſehr gemüthlich; aber eine 
Verabredung ... (leiſe zu Felix) Lieber Herr Felix Eckard, 
begleiten Sie mich. Die Jenny würde Sie gern einmal 
wieder ſehen. Wir machen eine Bowle — 

Felix (leiſe). Ich danke. Ich will heute bei Zeiten 
nach Hauſe. 

Leppin. Werden Sie tugendhaft? 

Felix (lächelnd, auf ſeine angegrauten, ſtark geſchwundenen Haare 
deutend). Nu, es wäre wohl Zeit! 


Meerveld (zu Felix). Laſſen Sie den alten Sünder 
und gehn Sie mit uns zu den Karten. Ich geb' Ihnen 
Revanche. 


RE NL 


Felix. Nein, mein Guter, heute verführen Sie mich 
nicht. Eine ehrbare Partie Whiſt würd' ich mit Ihnen 
ſpielen; aber mit dem Hazard iſt's vorbei! 

Meerveld. Unſinn. Sträuben Sie ſich nicht ſo opern⸗ 
haft, wie der Max im Freiſchütz. Ich verführ' Sie ja doch. 

Felix. O nein; heute nicht! 

Meerveld. Hat Ihr Bruder es Ihnen verboten? 

Felix. Sie bemühen ſich ganz umſonſt, mein guter 
Meerveld, meine Feſtigkeit zu erſchüttern; geben Sie es 
auf, Sie blamiren ſich. 

Meerveld. Gut, dann geb' ich es auf! 

Leppin. Ich bewundre Sie, Felix Eckard; ſo un⸗ 
heimlich charakterfeſt hab' ich Sie nie geſehn. Sie leben 
nicht mehr lange! — — Meine Herren, ich mache noch 
meinen Durchgang bei der Venus; bei den Damen, mein! 
ich. (ſchmunzelnd, nach hinten links deutend) Da hinten geh' 
ich dann hinaus! — Bon soir! Links ab.) 

Meerveld. Der weiß auch zu leben. — Nun, alter 
Knabe, wollen Sie ſich durchaus von Ihrem fleckenloſen 
Bruder einen Tugendpreis holen? Oder kommen Sie mit? 

Felix (ſich elegant verneigend). Ich danke. 

Meerveld zuckt geringſchätzig die Achſeln). Alſo an die 
Gewehre, meine Herren! (Mit Müller und den beiden Herren 
vorne rechts ab.) 

Felix. Ich war wie ein Fels. Ich bin mit mir zu⸗ 
frieden. — — Man muß nie verzweifeln. Manchmal dacht' 
ich ſchon: es iſt aus, der Kartenteufel hat mich, Widerſtand 
iſt unnütz! — Heute zeigt ſich: es geht! (vergnügt lächelnd) 
Wie Bruder Ulrich ſtaunen wird, daß ich mein Verſprechen 
halte — 

Arenberg (kommt von links, ſehr heiter, ein Studentenlied 
pfeifend oder ſummend; bei Felix vorbeikommend hängt er ſich in deſſen 
Arm und zieht ihn mit fort). Kommen Sie, alter Herr! 

Felix (widerſtrebend),. Zu den Karten? Nein, nein! 

Arnberg (heiter, wie ſelbſtverſtändlich). Kommen Sie! 


(Zieht ihn weiter fort, das „Kommen Sie“ im Geſang, nach einer 
luſtigen Melodie, immer wiederholend.) 


RR de 


Felix (unterdeſſen, für fih). Der iſt verrückt. — Ob ich 
will oder nicht, das iſt ihm einerlei! — Er zieht mich ruhig 
jo weiter. — Ganz toll . .. Aber er imponirt mir! — 
Darin ſteckt eine gewiſſe Größe ... Nachdem er dies alles 
ſtoßweiſe, und mit neuen Verſuchen, ſtehen zu bleiben oder ſich loszu— 
machen, geſagt hat, ſieht er ſich mit Arenberg rechts in der Thür. Er— 
ſchrocken, laut) Junger Herr! Arenberg zieht ihn mit über die 
Schwelle; rechts ab.) 


Siebenter Auftritt. 
Oskar und Käthchen (von links). 


Oskar (ein wenig vom Wein erregt, aber in der angenehmſten, 
liebenswürdigſten Weiſe). Nein, Sie haben vorhin ſehr ſchön 
geſungen, Fräulein Käthchen. Ausdrucksvoll und ſchön! 

Käthchen (eine heimliche Wehmuth hinter lebhafter Munter- 
keit oder ehrenfeſtem Ernſt, je nachdem es ſich fügt, zu verbergen 
ſuchend). Warum heucheln Sie jo, Herr Oskar. Sie haben 
ja gar nicht zugehört, Sie ſahen die ganze Zeit auf Frau 
Paula Dolberg. 

Oskar. So? — Aber doch nur mit den Augen; 
mit den Ohren hört ich. — — Werfen Sie mir das vor, 
daß ich Frau Paula anſah? Fühlen Sie mir das nicht 
nach, daß ſie heute wie eine Statue von Praxiteles oder 
Begas iſt? Sind Sie kleinlich, Fräulein Käthchen? 

Käthchen. Nein, ich bin nicht kleinlich. Ich bewun— 
dre dieſe Frau ja ebenſo wie Sie — 

Oskar. Ebenſo? Das iſt wohl nicht möglich. Ich 
vergöttere ſie; ich halte ſie für die bedeutendſte Frau, die 
ich kenne; ich glaube, ich könnte für ſie ſterben — gewiß 
weiß ich es nicht — aber ich glaub' es. Gutes Fräulein 
Käthchen, ich muß Ihnen das alles ſagen, ich hab' zu 
Ihnen ein ſo wunderbares Vertrauen — täuſchen Sie es 
nicht. Verrathen Sie mich nicht. Die Welt würde meine 
Gefühle nicht verſtehen, würde drüber lachen; die Welt iſt 
jo kleinlich .. . Sie ſind nicht kleinlich, Fräulein Käth— 
chen; Sie nicht! 


„„ 


Käthchen. Nein, ich bin nicht kleinlich. Aber etwas 
viel Champagner haben Sie doch getrunken — 
Oskar. Was hat der Champagner mit meinen 
Gefühlen für Frau Paula zu thun. Das iſt eine große 
Frau; eine erhabene Frau! Erkennen Sie das neidlos 
an, gutes Fräulein Käthchen; vergöttern Sie ſie wie ich, 
lieben Sie ſie wie ich, ſeien Sie groß! 
Käthchen. O ja, ich bin groß. Gögernd) Nur daß 
mich doch wundert — — ich dachte, eine Frau in Frau 
Paula's Jahren liebte man nicht mehr. Sie will's ja 
auch gar nicht. Und ein ſolcher Jüngling wie Sie — 
Oskar. Was gehn mich die Jahre an? ihre oder 
meine? Eine große Liebe fragt nicht nach den Jahren; die 
überfliegt die Zeit. (mit dem Finger gegen ſeine Bruſt ſtoßend) 
Dies iſt eine große Liebe, Fräulein Käthchen! 
Käthchen. Das hör' ich. (ſucht zu lächeln) Dann hab' 

ich wahrſcheinlich auch eine große Liebe: zu Ihrem Onkel 
Ulrich Eckard. Der iſt eben ſo zu alt für mich, wie Frau 
Paula für Sie; und gewiß ein ebenſo herrlicher Mann, 
wie ſie eine herrliche Frau! 

Oskar. O ja, alle Achtung; ein ſtrebſamer, denken— 
der, ehrenwerther Mann. Er und Ihre Tante Molly, zwei 
Charakterköpfe; — aber die liebt man doch nicht. Wenn 
Sie meinen Onkel liebten, ſo wären Sie ein engliſcher 
Kupferſtich. Seien Sie doch das nicht! 

Käthchen. Ich bin das auch nicht. Aber ich halte 
ihn für den beſten Menſchen — 

Oskar. Warum? So oft ich ihn anpumpe, giebt er 
mir erſt eine gute Lehre, und dann erſt das Geld! 

Käthchen. Er giebt Ihnen alſo doppelt. — Uebri⸗ 
gens, warum pumpen Sie ihn ſo oft an? 

Oskar. Merkwürdig — ſachlich ſind Sie, Fräulein 
Käthchen; das haben Sie von meinem Onkel gelernt. 
Warum ich ihn anpumpe? Weil mein unbegreiflicher Vater 
mir ſo wenig Taſchengeld giebt; mein Vater, der doch 
offenbar ein wohlhabender Mann iſt — und ſonſt doch 
das Geld nicht ſchont — aber darin ein Harpagon. So 


u ER. 


wird mein männlicher Stolz gezwungen, ſich vor dem rei— 
chen Onkel zu beugen — 

Käthchen. Und er giebt Ihnen das Gold aus ſeiner 
Taſche und aus ſeinem Kopf. — Ich lieb' ihn doch, Herr 
Oskar! 

Oskar bblickt fie herzlich lächelnd an). Wie reizend trotzig 
Sie das ſagen; — und wie gut Ihnen das ſteht. Dieſe 


ehrlichen, feuchten Augen — — Aber wovon ſind ſie denn 
plötzlich feucht? 
Käthchen. Wovon? — Von den vielen Flammen, 


denk' ich — die blenden — 

Oskar. Das weiß ich nicht; ich bin ſchwach in der 
Phyſik; aber es ſteht Ihnen gut. Sehn Sie, Fräulein 
Käthchen — und lachen Sie darüber nicht —: ich würde 
mich in Sie verlieben, auf Ehre, wenn ich nicht dieſe große, 
einzige Liebe zu Frau Paula hätte. Aber Sie verſtehen 
mich. Sie fühlen mir das nach. Darum ſtell' ich Sie 
hoch; ich ſchätze Sie wie einen Mann; ich hab' ſehr viel 
Achtung vor Ihnen! (Schüttelt ihr die Hand.) Proſit! 

Käthchen (für ſich, traurig). Ach, ich wollte, er hätte 
nicht ſo viele Achtung vor mir, und er hätte mich lieb! 


Achter Ruftritt. 
Die Vorigen; Eckard, ſpäter Felix. 


Eckard (dem während Käthchens letzter Rede Oskar entgegen— 
geht). Ich ſuch' Deinen Vater, Oskar. Er iſt doch nicht 
ſchon fort? 

Oskar. Das ſäh' ihm nicht ähnlich. Irgendwo wird 
er wohl noch ſein. (Während Eckard langſam gegen die Thür vorn 
rechts geht, im Vorbeigehen Käthe anlächelnd und ihr zunickend, 
kehrt Oskar raſch zu Käthchen zurück; leiſe) Liebes Fräulein 
Käthchen! Wenn Sie mich eine Minute mit meinem Onkel 


—— 


allein laſſen wollten — 
Käthchen (leiſe). Anpumpen? 


— 31 — 


Oskar. Schon wieder ſo furchtbar ſachlich. — 
Vielleicht! (Käthchen entläßt ihn durch eine ſtumme, elegiſche Ge- 
berde, geht langſam links ab. Oskar geht zu Eckard, der rechts bei 
der Thür ſteht. Halblaut) Heute Nachmittag hätt' ich Dich 
gern geſprochen, Onkel; Du warſt aber ausgegangen. 

Eckard (für fih). Er braucht alſo wieder Geld. (laut) 
Ich erlaube mir, zu errathen, was Dich zu mir führte. 
(Oskar verneigt ſich. Eckard ſieht ihm ſcharf ins Geſicht.) Du willſt 
doch nicht ſpielen? Wie? | 

Oskar. Gott bewahre. Warum meinſt Du — 

Eckard. Warum? Weil — — richt ab. Auf die 
verhängte Thür rechts blickend, für ſich) Ich wette, ſein Vater 
hält wieder auf ſe ine Weiſe Wort und ſitzt bei den Karten. 
(Lüftet vorſichtig den Vorhang. Niet traurig.) Richtig. Da ſitzt 
er. An dem bekannten Weg, den die guten Vorſätze pflaſtern. 
(Hebt den Vorhang noch einmal, weiter. Laut) Felix! Bitte, 
auf ein Wort! 

Oskar. Ah! Mein Vater iſt da? 

Eckard. Ja. (Kommt zu Oskar zurück, nimmt aus einer 
Brieftaſche zwei Kaſſenſcheine) Mein guter Junge, ich ſage 
Dir nur, ſo ernſt wie ich kann: wenn Du dem Spielteufel 
begegneſt, dem geh' auf fünfzig Schritt aus dem Wege, 
denn ich fürchte, er will was von Dir. Und hier lihm die 
Kaſſenſcheine gebend) überreiche ich Dir eine kleine Auffriſchung. 

Oskar. Allerbeſten Dank! 

Felix (kommt von rechts, feine Verlegenheit hinter einem jugend— 
lich heiteren Pfeifen verbergend). Mein theurer Bruder? Du 
wünſcheſt? 

Eckard. Dich um eine kleine Gefälligkeit zu bitten — 

Felix (raſch, herzlich). Nun, Du weißt doch, Ulrich, ich 
bin immer bereit! 

Eckard. Aber ich entziehe Dich Deinem Vergnügen. 
(ſcheinbar harmlos) Du ſpielteſt. 

Felix. Ein Parthiechen Whiſt! 

Eckard. Du mit Meerveld allein? 

Felix (ſehr verlegen). Nein — das war — das war 


natürlich nicht Whiſt. Sondern — ſo zu jagen — die 
Ouverture zum Whiſt: ich machte ein paar Taillen, um 
zu ſehen, ob ich heute Glück hätte. (lächelnd) So ein Aber— 
glaube — 

Eckard. Ja, ja. (für ſich) Wie das alte Kind mich 
belügt; ſeinen einzigen Bruder. (laut) Alſo Du hätteſt ein 
wenig Zeit? 

Felix. So lange wie Du willſt! Das Whiſt hat 
noch nicht begonnen! 

Eckard (Felix' Arm nehmend; halblaut). Mein lieber 
Felix, wir ſprachen heute Abend von dieſen Frauen und 
Kindern, für die ich gern auch hier noch etwas ſammeln 
möchte — da ich einmal hier bin. Man muß den Reich⸗ 
thum da beſteuern, wo er ſich zur Schau trägt, wo er ſich 
genießt. Mein beſonderer Wunſch wäre nun, Du über: 
nähmſt das, Bruder! 

Felix. Ich? 

Eckard. Ja, Du. In Deiner anmuthigen Weiſe, 
mit Deiner liebenswürdigen Beredſamkeit — 

Felix. Sammeln? Dafür ſprechen? 

Eckard. Nun ja — 

Felix (zerknirſcht, leije). Bruder, das kann ich nicht! 

Eckard (leiſe). Warum nicht? Schämſt Du Dich? 
Etwas Gutes thun — 

Felix (leiſe). Eben das kann ich nicht. In einer 
ſolchen Sache vor die Leute treten — das darf nur ein 
untadelhafter — höchſt ehrenwerther — — (in wachſender 
Erregung, mit faſt zitternder Stimme) nicht ein Mann, der eben 
vom Spieltiſch kommt. — Ich hab' geflunkert, Ulrich. (nach 
der Thür rechts blickend) Hab' mich wieder dem Teufel ergeben 
— mein Wort nicht gehalten ... (ſeufzend, dem Weinen nahe) 
Ich verachte mich! Es iſt nicht zu ſagen, wie ich mich 
verachte! 

Eckard dei). Ruhig! Halt an Dich, Bruder! Dort 
ſteht Dein Junge — uud da kommen Leute. Felix will 
reden; Eckard hält ihm ſanft den Mund zu.) Wenn Du Dich ſo 


— 33 — 


aufregſt, (lächelnd)d jo kommen wir ins Morgenblatt. Alſo 
Käthchen ſoll ſammeln — und Du ſollſt Sodawaſſer 
trinken. Komm! Zieht ihn mit janfter Gewalt nach hinten.) 
Felix. Es iſt zu verächtlich, Bruder — 
Eckard. Wir werden es überſtehen, wie immer. 
(für ſich) Zum hundertſten Mal. Nicht zum letzten Mal! 


(Führt ihn in den hinteren Saal, und dann links ab.) 


Neunter Auftritt. 


Oskar; Arenberg, Müller, zwei Diener; dann Molly. 


Arenberg chat während Eckards vorletzter Rede durch den 
Vorhang der Thür rechts hereingeblickt, ſich dann wieder zurückgezogen; 
kommt jetzt mit Müller). Sehen Sie, der Saal iſt leer. Nur 
Oskar Eckard. (Spricht nach rechts zurück:) Bringen Sie den 
Tiſch, und Cigarren und Wein! 

Oskar (bat inzwijchen vorne links in ſeinem Taſchenbuch ge— 
blättert, geſchrieben, mit Bewegung der Lippen leiſe gerechnet; für ſich). 
Von dieſer „Auffriſchung“ bleibt mir nicht viel übrig; ich 
muß bald wieder an die Pumpe! Von rechts kommen zwei 
Diener in Livree, einen kleinen Tiſch tragend, auf dem eine ſilberne 
Schale mit einer Flaſche Wein und vier Gläſern, ein Cigarrenkiſtchen, 
eine Cigarettenſchachtel und Aſchenſchalen ſtehen; ſetzen ihn vorne rechts 
nieder, gehen dann auf einen Wink Arenbergs wieder ab. Oskar wendet 
ſich zu den jungen Männern.) Was entwickelſt Du da, Aren— 
berg? Willſt Du Dich hier häuslich niederlaſſen? (Molly 
kommt von hinten links, aus der Hand kleine Süßigkeiten naſchend; 
bleibt im Hintergrund ſtehen.) 

Arenberg (mit Müller Stühle an den Tiſch rückend). Ja; 
im Spielzimmer iſt zu dicke Luft; und Meerveld iſt zu 
witzig. Hier darf man ja rauchen. (zu Müller, der ſich ſetzt 
und eine Cigarre nimmt) Das iſt gemüthlich; was? 

Müller. Erheblich! (Schenkt ein.) 

Molly (für jih). Chokolade, mit Marzipan gefuttert, 
iſt doch auch eine ſeelenvolle Erfindung! 

Oskar. Wünſchen die Herren jo im traulichen täte- 
a-téte zu bleiben? 5 


De — 


„5 


Arenberg. O nein. Schließ' Dich an. (Erhebt ſich. 
Mit etwas gezierter Feierlichkeit) Geſtatten mir die Herren, daß 
ich ſie mit einander bekannt mache. (Müller erhebt ſich; ſteht 
gleichfalls in feierlichem Ernſte da.) Herr Eckard, Hörer des 
Polytechnikums. (Oskar und Müller verneigen ſich würdevoll.) 
Herr Müller, Reſerveleutnant, Studiosus juris. (Verneigung 
wie vorhin.) Meine Herren, ich glaube, wir gehen zur Tages— 
ordnung über. (Setzt ſich.) 


Molly chat den Vorgang beobachtet; für ſich). Da werden 
ja wohl zwei Großmächte mit einander bekannt gemacht. 
O Gott, welche Würde! 


Müller (ſteht noch). Ich geſtatte mir, Herr Eckard, 
Ihnen ein Stück vorzukommen. (Nimmt ſein bereits gefülltes 
Glas, erhebt es, macht eine leichte Verneigung gegen Oskar, trinkt.) 


Oskar (tritt an den Tiſch, Müller gegenüber, ſchenkt ein). 
Ich geſtatte mir, Herr Reſerveleutnant, Ihnen nachzukommen. 
(Thut es mit derſelben Feierlichkeit wie Müller. Darauf ſetzen ſie ſich.) 


Molly (für ſich). Zwei „wirkliche geheime Räthe“. 
(nachahmend) „Ich geſtatte mir“ ... Und der Eine, der 
Oskar, iſt ſonſt ein reizender dummer Junge. — O Gott, 
wie mich's kitzelt, dieſen jungen Germanen ein bischen in 
die Perrücken zu fahren und ſie aufzumuntern! 


Oskar (bat fich inzwiſchen eine Cigarre angezündet und leiſe 
geplaudert). Meine Herren, ich glaube — — (Bemerft Molly, 
die ſich etwas nähert.) Ah, Tante Molly. Ziehen Sie ſich 
auch aus den Feſſeln der Kultur in die Freiheit zurück? 

Molly. Ich fühle mich überall frei, mein guter 
Oskar. (Ißt noch eine Süßigkeit.) 


Oskar (lacht). Sehr wahr, ſehr wahr! Das thun 
Sie, Tante Molly! (leiſe zu Müller, harmlos heiter) Ein famoſes, 
etwas verrücktes Frauenzimmer . .. Mit der ſollten wir 
eigentlich ein bischen Ulk machen; wie? (ohne die Antwort 
abzuwarten, laut) Ich glaube, Tante Molly, von Ihnen können 
die freieſten, fidelſten Burſche doch noch etwas lernen. Sie 
ſollten unſer Kollegium durch Ihre Konkneipanz verſchönern, 
mit uns rauchen und trinken! 


Molly (für ſich). J Du bekneipter Schwerenöther, willſt 
wohl eine alte Frau hänſeln. — Na warte! (lau) Wenn 
mir die Herren die Ehre geben, mich dazu einzuladen, ſo 
mache ich gerne mit. Wir ſind ja im Karneval. 

Oskar. Wie graziös fie das ſagt! Famos! CFordert 
die Andern durch ſein Mienenſpiel auf, zuzuſtimmen.) Nehmen Sie 
Platz, Tante Molly. Hier ſind Cigaretten — 

Arenberg. Ja, nehmen Sie Platz! (gemüthlich vorſtellend) 
Herr Reſerveleutnant Müller; Frau Berger, genannt Tante 
Molly. (Müller erhebt ſich ein wenig, mit leichter Verbeugung, ſitzt 
gleich wieder nieder.) Ich komme Ihnen ein Ganzes! (Schenkt ein.) 

Molly (für ſich). Das iſt drollig: mit mir ſind ſie 
nicht halb jo feierlich wie mit ſich ſelbſt! (laut, zu Arenberg) 
Ich trinke immer nur Ganze, natürlich; aber erſt muß ich 
etwas rauchen: ſo bin ich's gewohnt. Gündet eine Cigarette 
an, nimmt ſie aber nicht in den Mund, ſondern bewegt ſie nur unter 
der Naſe langſam hin und her, den aufſteigenden Rauch bei zuweilen 
geſchloſſenen Augen riechend.) Ah, das Kraut iſt gut! 

Oskar (lacht). Aber wie rauchen Sie denn, Tante 
Molly. Sie nehmen das Ding gar nicht zwiſchen die Lippen! 

Molly. Mein guter Oskar, das iſt das Neueſte: ſo 
fein, wie die jungen Herren jetzt mit einander umgehen, ſo 
geht man auch mit der Cigarette um. Uebrigens ſoll 
ja auch die Naſe rauchen, und nicht — 

Oskar (der ihr bewundernd zuſieht, luſtig). Sie macht das 
ſehr gut. Meine Herren, eine Idee! Rauchen wir auf 
dieſe Weiſe ein Quartett! (Wirft ſeine Cigarre auf eine Aſchen— 
ſchale, nimmt eine Cigarette.) Ergreift die Waffen; ſteckt an! 

Müller. Die Idee iſt erheblich gut. Ouartett! 

(Sie rauchen alle Vier ſo, wie Molly.) 

Molly. Und man kann dabei ſingen, meine Herren; 
das iſt auch ein Vortheil! — Das neueſte Rauchlied nach 
alter Melodie: (ſingt) 


So rauchen wir, ſo rauchen wir, 
So rauchen wir alle Tage, 

In der allerſchönſten 
Rauchkompagnie! 


— 


5 30 


Oskar (lacht. Zu Müller). Was jagen Sie? Iſt fie 
nicht famos? — Tante Molly, noch einmal, im Chor! 
(ſingt) So rauchen wir — Molly fällt ein, die Andern auch; fie 
ſingen die Strophe zuſammen.) 


Zelinter Auftritt. 


Molly, Oskar, Arenberg, Müller; Paula und Alma; ſpäter, nach und nach, 
Lucie, Frau von Heide, Frau Schwarzenbeck, Hannchen, Damen und 
junge Mädchen, Meerveld und andere Herren, Eckard und Käthchen. 


Paula kerſcheint mit Alma im hinteren Saal, von links. Sehr 
verwundert, halblaut). Tante Molly ſingt mit den Jünglingen? 
— Ich hab' ſchon viel von ihr geſehn, aber das noch 
nicht! 

Oskar. Meine Herren, ich proponire, wir trinken 
auf Tante Mollys Wohl und erklären ſie für einen 
Biedermann! 

Arenberg. Tante Molly hoch! (Sie lachen, ſtoßen an, 

trinken.) 
i Molly. Ich danke Ihnen, meine Herren; — ſo laß 
ich mirs gefallen: das iſt doch gemüthlich. Als ich die Herren 
vorhin ſo grauſam feierlich mit einander Bekanntſchaft 
machen ſah, da dachte ich mir gleich: die verſtellen ſich 
nur; dieſe jungen Exzellenzen werden bald Menſchen werden. 
Sind ja friſches und deutſches Blut! 

Oskar (wie die Andern etwas verblüfft, unſicher). Wie — 
— wie meinen Sie das? 


Molly. Daß Sie mir jetzt Pe, meine jungen 
Herren, weil Sie natürlich ſind; und daß ich mir denke: 
wenn Sie mit einer luſtigen Frau in Jahren ſo wenig 
Umſtände machen, ſo gewöhnen Sie ſichs wohl noch ab, 
mit luſtigen jungen Männern ſo viel mehr zu machen. 
Das wollt' ich Ihnen gerne jagen; darum „geſtattete ich 
mir“, bei Ihnen Platz zu nehmen. Steht auf.) Und wenn 
Ihnen wieder einmal die Feierlichkeit zu ſehr in den Rücken 
ſteigt, dann denken Sie, bitte, an die „fidele Alte“, mit der 
Sie Ihren Spaß hatten, an die Tante Molly! 


e 


Oskar (ſieht Arenberg und Müller eine Weile verdutzt und 
ſchweigend an, wie ſie ihn. Dann, mit Anſtrengung). Ich glaube, 
Tante Molly, Sie machen ſich über uns luſtig — 

Molly. Gott bewahre. (Nimmt ihr Glas.) Ich erkläre 
Sie alle gleichfalls für Biedermänner und trinke auf Ihr 
Wohl! (Trinkt.) 

Meerveld (ift rechts mit den beiden andern Herren in die 
Thür getreten; halblaut). Es ſcheint, Tante Molly geht noch 
auf die Univerſität, oder ins Polytechnikum! (Durch den 
hintern Saal, von links, ſind inzwiſchen Eckard und Käthchen erſchienen; 
von links kommen nach und nach Lucie, Frau von Heide, Frau 
Schwarzenbeck, Hannchen, die andern Damen und jungen Mädchen.) 

Käthchen (tritt von rückwärts vor, eine ſilberne Schale in der 
Hand, etwas verlegen lächelnd; wendet ſich zunächſt an die jungen 
Herren am Tiſch). Entſchuldigen Sie, wenn ich ſtöre, meine 
Herren. Ich bitte um eine kleine Gabe. 

Oskar. Für wen, wenn ich fragen darf? 


Käthchen. Für die Frauen und Kinder der Ver— 
urtheilten, von denen Sie vorhin hörten. 


Meerveld (laut). Ah, das muß ich ſagen! Tante 
Molly hat Einfälle . . . Jetzt ſchickt ſie hier den Klingel- 
beutel herum! 

Eckard (tritt raſch vor, in die Mitte; ſeine Erregung unter— 
drückend, ruhig). Sie irren da, Herr Meerveld. Frau Molly 
Berger ſchickt Niemand und nichts herum; ich nahm mir 
die Freiheit. Ich dachte mir, den Bevorzugten, den Be— 
ſitzenden wird es Freude machen, von ihrem Ueberfluß ab— 
zugeben an die unſchuldigen Opfer einer bewegten Zeit. 
(ih mehr und mehr an die ganze Geſellſchaft wendend) Dieſe 
Unglücklichen leiden darum, weil der Unterſchied zwiſchen 
Reich und Arm oft ſo grell und grauſam iſt, und ein be— 
rechtigter, bitterer Neid ſich dagegen auflehnt. Dieſen Neid 
durch Wohlthun abzuſtumpfen, ihm den Stachel zu nehmen, 
das iſt unſere Aufgabe, deucht mir; ſagen wir: unſere 
Pflicht! 

Meerveld. Und darum wollen Sie uns hier alle 
beſteuern — 


— 


Eckard. Hätten Sie es doch lieber abgewartet, 
Herr Meerveld. Sie konnten ja gar nicht wiſſen, ob ich 
nicht Fräulein Käthchen ausdrücklich anempfohlen habe, an 
Ihnen vorbeizugehn. Ob ſich die Andern gern „be— 
ſteuern“ laſſen, iſt ja ihre Sache. 

Meerveld. Es handelt ſich nicht um das bischen 
Steuer, auf die mir's wohl auch nicht ankommt, ſondern 
um die äußere Form. Ich glaube, ſo ein Salon iſt wohl 
nicht der Ort, um milde Beiträge zu ſammeln! 

Eckard. Es iſt faſt drollig, Herr Meerveld, wie ent— 
gegengeſetzt da unſere Anſichten ſind. Ich meine, grade 
da, wo wir uns als Glückskinder fühlen, unſeren Reich- 
thum auskramen, uns in unſerm Behagen ſonnen, grade 
da ſchadet es uns gar nicht, wenn wir eine Minute lang 
auch an die Andern denken. Vielleicht wär' es ſehr gut, 
wenn wir nie aus dem großen Glücksbecher tränken, ohne 
auch ein kleines Trankopfer darzubringen; nicht den 
„Göttern“, ſondern den Stiefkindern der Götter. Ob ich 
heute und hier Recht oder Unrecht habe, das hat Nie— 
mand als die verehrte Hausfrau zu entſcheiden; an die 
wend' ich mich. Bitte, gnädige Frau, ſagen Sie mir ganz 
ſachlich, ohne Salon-Höflichkeit, ob ich Ihr Gaſtrecht miß— 
brauche. 

Paula. Durchaus nicht, Herr Eckard. Kommen Sie, 
Fräulein Käthchen, laſſen Sie mich anfangen. (Käthchen 
tritt zu ihr, Paula nimmt aus ihrer Geldbörſe drei Goldſtücke, legt 
ſie auf die Schale.) Was ich bei mir habe! 

Oskar (bat, etwas näher tretend, mit geſpannter Aufmerkſam— 
keit zugeſehen; für ſich). Die Göttliche hat ſechzig Mark ge— 
geben. Ich opfere einen Hundertmarkſchein! Gieht einen 
der beiden von Eckard empfangenen Scheine hervor, legt ihn auf die 
Schale.) Erlauben Sie, daß ich folge! 

Molly (lächelnd). Ich bin ſchon abgebrannt! 

Lucie (vorne links, wie Meerveld vorne rechts; Eckard in der 
Mitte). Das bin ich nicht; aber auf die Gefahr, für 
ſchlimmer als abgebrannt zu gelten, erlaube ich mir doch 
zu bemerken, Herr Eckard: ich verſtehe Ihren Eifer nicht. 


„ 


Sie ſammeln für unſere Feinde — und zwar für die 
ſchlimmſten. Für die Leute, die das Kapital verdammen 
und verfolgen, die uns kein Seidenkleid gönnen, die uns 
die Diamanten aus den Ohren nehmen möchten — die ſich 
gegen die Obrigkeit empören — 

Eckard. Nicht für die, gnädige Frau: für ihre hun— 
gernden Kinder! 

Lucie. Damit aus denen große Leute werden, die 

es dann ebenſo machen. Wohin kommen wir denn? Ich 
hab' von einer Verſammlung gehört, in der gegen den 
Reichthum gezetert und einige von den Reichſten mit ihren 
Namen genannt und als prahleriſche, herzloſe Ver— 
ſchwender gebrandmarkt wurden; unter ihnen mein Mann 
— und ſogar ſeine Frau: ich, Lucie von Leppin. Man 
hat ſich erfrecht, mir da vorzuwerfen, daß ich Hundert— 
tauſende ausgebe und mir „auf den Leib hänge“, während 
ich das Volk ruhig hungern laſſe. Und für ſolches Ge— 
ſindel und ihre Nachkommen ſchicken Sie hier ein kleines 
unbewußtes Mädchen mit dem Teller herum! 
f Eckard erregt, doch ſich beherrſchend, mit ſachlicher Kälte“. 
Ich habe die Gewohnheit, gnädige Frau, mich in Andre 
hineinzudenken; ſo auch in dieſes „Geſindel“, wie Sie es 
nennen. Da begreif ich denn, daß ſo ein Mann aus dem 
Volk, der ſeine Kinder zuweilen hungern ſehen muß, ſeinen 
ſtruppigen Kopf ſchüttelt, wenn er dieſe oder jene Dame 
— gleichviel, wie ſie heißt — die Hunderttauſende auf ſich 
herumtragen ſieht, während ſie vergißt, wenigſtens die Zehn— 
tauſende als eine Art von Entſchädigung oder Schmerzens— 
geld an die darbenden Zuſchauer hinwegzugeben. Denn 
ſo eine Selbſtbeſteuerung des Ueberfluſſes hält er offenbar 
für eine Menſchenpflicht; und ich th’ es auch. Und wenn 
eine Dame aus unſrer Welt ſich darüber hinwegſetzt — 

Lucie. Mein Herr! Ich muß bitten! So zu einer 
Dame zu ſprechen, iſt — impertinent! 

Eckard Guckt zuſammen; tritt etwas näher; faßt ſich). „Im⸗ 
pertinent!“ Was heißt das? — „Impertinent“ — das iſt 
ein ebenſo gemachtes, künſtliches Salon-Wort wie „Dame“; 
beide bedeuten nicht viel. Eine „Dame“ kann eine aus— 


— 


„ Nr = 


gezeichnete, hochzuverehrende Frau voll weiblicher Tugend 
ſein; ſie kann auch eine eitle, hochmüthige, leere, prunkende 
und gemüthloſe Frau ſein, die ihrem Geſchlecht keine Ehre 
macht. Sie kann eine von dieſen gefährlichen, ver— 
derblichen Frauen ſein, die durch ihr ganzes Gebahren 
das Volk empören und aufreizen, gegen uns erbittern, zum 
Neid und zum Haß erziehen; die furchtbar mitſchuldig ſind, 
wenn wir zwiſchen Oben und Unten keinen Frieden haben, 
wenn es gährt und brodelt. Gegen ſolche „Damen“ iſt 
man nie „impertinent“, höchſtens offenherzig. Auf jede 
ſolche Dame kommen tauſend Scozialiſten, oder hundert— 
tauſend; und wenn man ſie anſieht, iſt man in Gefahr, 
ſelber einer zu werden! 

Meerveld (tritt vor; mühſam vor Zorn). Mein Herr —! 

Eckard (mit einer Geberde). Bitte; ſchon gut, ſchon gut. 
(zu Paula, wieder ruhig) Ich bitte ſehr um Entſchuldigung, 
gnädige Frau, wenn ich Ihnen die Behaglichkeit dieſes 
Abends ſtörte. Es — wurde mir zu warm. Zum Glück 
laufen Sie keine Gefahr, daß es wieder geſchieht. Ver— 
zeihen Sie. Gute Nacht! (Wendet ſich zum Gehn.) 

Meerveld (neben Eckard, halblaut). Sie werden begreifen, 
mein Herr — 

Eckard (ſieht ihm kalt ins Geſicht; halblau). Morgen, 
wenn es beliebt. Ich wohne Invalidenſtraße Nummer 
achtundvierzig. (Nach hinten, ab.) 

Oskar chat die letzten Reden gehört; tritt zu Meerveld; halb— 
laut). Wenn Sie etwas wünſchen — ich wohne in derſelben 
Nummer. (Bleibt ſtehn.) 


(Der Vorhang fällt.) 


Zweiter Aufzug. 
Bibliothekzimmer in der Wohnung der Frau Paula Dolberg. Ein 
großer runder Tiſch in der Mitte, mit weißem Papier, Tintenfäſſern 
und Schreibfedern, von Stühlen umgeben. Vorne links ein Fenſter, 
daneben ein Lehnſtuhl. Thüren rechts und hinten. Es iſt Tag. 


Erſter Ruftritt. 

Paula (liegt im Lehnſtuhl am Fenſter, in ihre Gedanken verſunken). 
Ein Diener in Livree (tritt von rechts ein). Dann Regine. 
Diener. Gnädige Frau, es iſt die Frau Becker da 

und fragt, ob ſie Sie ſprechen kann. 

Paula. Was für eine Frau Becker? — Ah! die 
alte Regine. Laſſen Sie ſie herein. (Diener ab.) Schickt er 
die zu mir? 

Regine (von rechts; ein Briefchen in der Hand). Guten 
Morgen, meine liebe, verehrte gnädige Frau. Wollte mir 
gerne die Freiheit nehmen, den Brief des Herrn Eckard 
ſelber zu überbringen, um meine liebe gnädige Frau einmal 
wieder zu ſehn. (Paula, im Lehnſtuhl bleibend, giebt ihr die Hand.) 
Hab' die Freude ſo ſelten! 

Paula. Alſo Sie bringen mir Herrn Eckards Ant— 
wort? — Setzen Sie ſich, gute Regine; ſeien Sie mir 
willkommen. (Hat den Brief genommen, liest ihn. Für ſich) 
Ah, wirklich! Er kommt! 

Regine. Und wie ſtehts mit der werthen — 

Paula (ihr ins Wort fallend). Geſundheit. Gut. Wie 
leben Sie, Regine? 

Regine. Ich danke der freundlichen Nachfrage; man 
muß Gott ja für Alles danken; es geht. So wirds 
freilich nicht wieder, wie's beim Seligen war, bei Ihrem 
Herrn Gemahl — das heißt, als er noch nicht die Ehre 
hatte, Ihr Gemahl zu ſein. Das war ein Junggeſell, den 
giebts wohl nicht wieder! 

Paula (blidt wieder in den Brief; für ſich). Kühl und trocken 


— — 


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ſchreibt er. Aber er kommt! (laut) Nun, ich denke, auch 
bei Ihrem jetzigen Herrn geht es Ihnen gut. 


Regine. Ich klag' auch nicht, gnädige Frau; man 
muß Gott für Alles danken; und für Herrn Eckard wirth— 
ſchaftet ſichs leicht, iſt ein ſehr beſcheidener und ordentlicher 
Mann. Aber Sie wiſſen ja, die Beiden leben zuſammen, 
die Brüder; und mit dem Herrn Felix Eckard — da iſt 
allerlei. Man ſollt's gar nicht ſagen; aber mit ſeinem 
grauen Kopf hat er doch noch ſo manche Beſtrebungen, 
wie ein Schwerenöther — 

Paula (mit einer wortabſchneidenden Geberde). Laſſen Sie 
das, Regine. Sie ſagen ja ſelbſt: „man ſollt's gar nicht 
ſagen.“ Alſo dann ſchweigen Sie! 

Regine. Ganz richtig; da haben Sie auch ganz Recht. 
Aber ich hab ja beinah auf dem Kopf geſtanden, gnädige 
Frau, als vorgeſtern Abend mein Herr Eckard in die 
Kutſche ſtieg, um hierher zu fahren. Sonſt ſitzt er ja alle 
Abend zu Haus; am Klavier, oder ein Kartenſpielchen, 
oder bei den Büchern. Und ich freute mich noch beſonders, 
daß er in ein ſo gutes Haus fuhr, zu Ihnen 3 
(etwas näher rückend) Aber, gnädige Frau! Nehmen Sie ſich 
nur vor der „Schlange“, wie man zu ſagen pflegt, vor der 
Frau von Leppin in Acht! Die begegnete mir geſtern; 
denn ſie kennt mich ſchon lange, aus den alten Zeiten; und 
ſie wurde doch roth wie ein Krebs, indem ſie mir das 
ſagte. Und in ihrem beleidigten Selbſtgefühl fing ſie immer 
wieder an — 


Paula. Was fing ſie an? und was hat ſie Ihnen 
geſagt? 

Regine. Sagt ich das noch nicht? — Nein; richtig. 
O, wie ſchimpfte ſie, gnädige Frau, über dieſen Mittwoch 
Abend, bei Ihnen; und über Herrn Eckard, und auch über 
Sie — 


Paula (wieder mit Geberde)h. Laſſen Sie das auch, 
Regine. Ich danke. Wenn Sie Jemand über mich ſchimpfen 
hören, brauch' ich's nicht zu wiſſen. — Ah, da kommt 
Tante Molly! Steht auf.) 


N 


Zweiter Auftritt. 


Paula, Regine; Molly und Käthchen (von rechts, nachdem der Diener 
ihnen die Thür geöffnet hat, worauf er wieder verſchwindet!. 
Regine. Dann empfehl' ich mich — 

Molly (tränt ein kleineres Packet, Käthchen ein größeres). 
Guten Tag, mein Schatz. Guten Tag, Frau Regine. 
(Regine grüßt reſpektvoll.) Da bring’ ich Dir was! (Wirft ihr 
Packet auf den großen Tiſch.) 

Paula. Damit haſt Du Dich ſelbſt geſchleppt? 

Molly. Im Wagen. — Gut ſehn Sie aus, Frau 
Regine. Sie wollen gehn? Adieu! 

Regine ddie unſchlüſſig und bedauernd dafteht). Wäre wohl 
gern noch ein bischen geblieben — aber man muß nicht 
ſtören — immer, was ſich ſchickt. Ich hatte doch einmal 
wieder die Ehre; und man muß Gott — 

Molly. Für Alles danken; ſehr richtig. 

Paula (giebt Regine die Hand). Meinen Gruß an Herrn 
Eckard; und auf Wiederſehn! 

Regine. Das iſt ein ſchönes Wort. Auf Wiederſehn 
allerſeits! Empfehle mich Ihrem freundlichen Gedenken! 
(Rechts ab.) 

Molly (gat inzwiſchen die Packete geöffnet). Das iſt eine 
Schwätzerin. — Da ſieh her, mein Herz! 

Paula. Kinderhäubchen — 

Molly. So iſt es. 

Paula. Und Servietten — 

Molly. Nein; das ſind „Schlappbörtchen“, wie man 
bei mir zu Hauſe ſagt: die bindet man kleinen Kindern vor, 
wenn fie eſſen. (es an ſich zeigend) So! — — Du wollteſt 
für unſer Kinderhoſpiz etwas thun, wie Du neulich ſagteſt. 
Ich hab' für Dich eingekauft; dieſe Vorräthe kannſt Du 
ſtiften — natürlich auch mehr, wenn Du willſt. Kannſt 
Dir auch in deinem Minerva⸗-Kopf noch etwas Aehnliches 
ausdenken. Dies zum Vorbild, mein Herz! 


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Paula (lächelnd, halblaut). Du willſt mich beſchäftigen. 
Ich danke Dir, Tante Molly. — — Mein Billet haſt Du 
doch erhalten? 


Molly. Richtig! Dein Billet! Ich ſoll mich um 
zwölf Uhr hier bei Dir verſammeln .. . Kind, was geht 
denn vor? Dieſe feierlichen Stühle um den Tiſch, wie in 
einem Verwaltungsrath? Die weißen Bogen Papier? 
Willſt Du etwas „gründen“? 


Paula (geheimnißvoll lächelnd). Vielleicht. — Lies dieſes 
Billet; — und Sie, meine liebe Käthe, laſſen Sie ſich nieder, 
machen Sie ſich's bequem! 

Molly (liest), Ah! Von Herrn Ulrich Eckard! — 
„Gnädige Frau, Sie ſetzen mit Recht voraus, daß ich mich 
nicht verſage, wenn es ſich um ein gemeinnütziges Unter— 
nehmen handelt. Da Sie bei einem ſolchen meine Mit- 
wirkung zu wünſchen ſcheinen, ſo werde ich die Ehre haben, 
mich bei Ihnen einzufinden, pünktlich um elf Uhr.“ — 
Was heißt das? 

Paula. Nun — daß er um elf kommt, und ihr 
Andern um zwölf. 

Molly. Iſt das eine Antwort? — Was haſt Du 
überhaupt für ein ausgetauſchtes, ſonderbares, heimliches 
Geſicht? Schelm um den Mund und Ränder um die 
Augen — feierliche Bläſſe — und doch nichts Betrübtes . .. 
Was iſt denn mit Dir geſchehn? 


Dritter Ruftritt. 
Paula, Molly, Käthchen; der Diener, dann Oskar. 


Diener (von rechts, bringt auf einer ſilbernen Schale eine 
Viſitenkarte). Gnädige Frau — 

Paula (erregt). Sit das ſchon Herr Eckard? (Nimmt 
die Karte.) Nein. Sein Neffe, der Oskar. (verwundert) Was 
will der bei mir? — — Ich laſſe bitten. — Kommt dann 
Herr Ulrich Eckard, ſo führen Sie ihn ſogleich herein! (Diener 
rechts ab.) 


5 


Molly. Jetzt wünſch' ich aber ganz entſchieden zu 
wiſſen, was dies alles vorſtellt; und wenn die Andern 
dabei zu viel ſind, ſo ſchick ſie gefälligſt hinaus! 

Oskar (tritt von rechts ein; mit aufgeregter Befangenheit 
kämpfend). Gnädige Frau — Sie entſchuldigen. Ein Auf— 
trag meines Onkels — 


Paula (jehr freundlich). Sie nannten mich doch früher 
„Frau Paula“; warum jetzt ſo förmlich. Was für ein 
Auftrag, mein lieber Oskar? 


Oskar (für fih). „Lieber Oskar“! Das ſtärkt! (laut) 
Mein Onkel wollte um elf Uhr hier ſein — und es iſt ſchon 
elf. Er wird aufgehalten. Als einer der pünktlichſten 
Männer, welche die Erde trägt, nimmt er das ſehr ſchwer 
und ſchickt mich voraus, um ihn zu entſchuldigen. Er wird 
gleich erſcheinen! 

Paula (ächelnd). Als eine der unpünktlichſten Frauen, 
welche die Erde trägt, nehm’ ich das nicht jo ſchwer. gu 
Molly gewendet) Wir haben bis zwölf Uhr Zeit; alſo noch 
ſehr viel! 

Molly. „Bis zwölf Uhr“ ... Jetzt geh' ich aber 
bald auseinander, wenn ich nicht höre, was los iſt. Bis 
Herr Eckard senior kommt, muß ich Alles wiſſen — 

Käthchen (am Fenſter, blickt hinaus). Frau Paula! Da 
kommt er ſchon! Sein Wagen; ich kenn' ihn. 

Paula (für ſich). Ho! Wie ſchlägt mir das Herz! 
(zu Molly) Nun, da mußt Du warten — 

Molly. Ich? Das fiele mir ein. Du vor mir Ge— 
heimniſſe haben — nein, mein Kind, das giebt's nicht! 
Laß ihn hier nur eintreten; (nach hinten deutend) ich führ' 
Dich ins Boudoir; bis das Frauenzimmer Alles weiß, 
muß das Mannsbild warten. Die Zwei unterhalten ihn! 
(Nimmt Paula's Arm, zieht ſie fort.) 

Paula (lien). Du biſt unausſtehlich! — — Sie 
ſehen, mein guter Oskar, ich weiche der Gewalt; lihre 
Hand auf die ſeine legend) empfangen Sie ihn für mich. Sagen 
Sie ihm — ö 


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„ 


Molly. Sagen Sie ihm, Tante Molly iſt eine neu⸗ 
gierige alte Urſchel; aber die brave Paula Dolberg iſt bald 
wieder hier! (Paula mit fortziehend hinten ab.) 

Oskar (der die von Paula berührte Hand betrachtet). Haben 
Sie das geſehn, Fräulein Käthchen? 

Käthchen. Was? 

Oskar. Wie hier ihre Hand lag? Ihre vornehme, 
weiche Hand ... (für ſich) Oh! Und ihr nie zu jagen, 
was ich für ſie fühle — das halt' ich nicht aus! (laut) Und 
wie ſie ſagte: „mein guter Oskar“ — haben Sie das gehört? 

Käthchen. Ja, Herr Oskar, ich hab's gehört. 

Oskar. Sie jagen das jo unheiter, Fräulein Käth- 
chen. Iſt es Ihnen doch nicht recht, daß ich Ihnen in dieſer 
Sache ſo volles Vertrauen ſchenke? Ich war wohl aller— 
dings vorgeſtern Abend etwas angenektart, als es aus mir 
herausbrach — 

Käthchen. O nein. Schenken Sie mir's nur weiter. 
Es — es ehrt mich ja — 

Oskar. Das dacht' ich! Denn nur weil Sie ein 
ſo famoſes — — verzeihn Sie — ein ſo kernhaftes, ſeelen⸗ 
gutes Mädchen ſind — 


Vierter Auftritt. 
Oskar, Käthchen; Eckard (von rechts). 


Eckard (dem der Diener die Thür öffnet und dann wieder 
verjchwindet). Der junge Herr alſo auch noch hier. (Giebt 
Käthchen, die ihm entgegengeht, herzhaft die Hand.) Guten Morgen, 
Vetter. Wie ſteht's? Wann ſpielen wir denn einmal 
wieder vierhändig, unſre alten Sonaten? 

Käthchen. Wann Sie wollen, Onkel. Ich hab' 
immer Zeit. 

Eckard. Das kann ich von mir nicht ſagen. Machen 
Sie ſich denn gar nichts zu thun, Vetter? 

Käthchen. O ja: jeden Vormittag wiederhol' ich mir 
aus dem Kopf Ihre Strafpredigten und weiſen Grobheiten 


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aus der letzten Woche; damit vergehn immer zwei Stunden. 
(Eckard lacht.) 

Oskar (für jih). Wirklich, ein famoſer Kerl, dieſes 

Käthchen Berger! — — Aber ich muß ihn ja anpumpen 

. (gu Eckard, der mit Käthchen ſpricht) Lieber Onkel, verzeih 
einen Augenblick. (leiſe) Wollen Sie mir einen überlebens— 
großen Gefallen thun, Fräulein Käthchen? und auf eine 
Minute — (nad rechts blicken) ins andere Zimmer gehn? 

Käthchen (leiſe). Anpumpen? Schon wieder? (Er zuckt 
die Achſeln, nickt.) Ich gehe. (laut) Sie entſchuldigen, Onkel; 
wir ſollen Ihnen eigentlich Geſellſchaft leiſten, bis Frau 
Dolberg kommt, die — grade noch verhindert iſt — 

Eckard. Das thut nichts; ſchon gut! 

Käthchen. Ich möcht' aber im andern Zimmer — 
etwas anſehn, Onkel. (Eckard nickt freundlich.) Auf Wiederſehn. 
(für ſich, wehmüthig) Das wird auch nicht vielen Mädchen ſo 
ergehn, wie mir: Der, den ich gern habe, ſchickt mich 
immer fort, weil er pumpen muß! (Rechts ab.) 
| Eckard. Es ſcheint, Du willſt was von mir. Auf 
Deinem Geſicht ſchwebt ſo eine Wolke. 


Oskar. Eine Wolke? — — Ich bin allerdings in 
einer — merkwürdigen Lage, Onkel — 
Eckard (errathend, mit trockenem Ernſt). So, ſo! — Er— 


laube mir erſt eine Bemerkung, lieber Oskar. 

Oskar (für fih). Aha! Die gute Lehre! 

Eckard. Draußen im Vorzimmer ſah ich einen Pelz 
hängen; der gehört wohl Dir. (Ostar nickt.) Wirklich! Der 
junge Herr Oskar Eckard trägt ſchon einen Pelz! Das 
kann den Kürſchnern gefallen! 

Oskar. Im Sommer trag ich ihn nicht; aber wenn 
Winter iſt — 
| Eckard. Ich kenn' keinen Winter. Ich weiß nur von 
einer kühleren Jahreszeit, wo ich etwas wärmere Stoffe 
trage; und auch das nur ſo ſo. An meine Füße kommt 
nie was Warmes; Handſchuhe ſchon gar nicht. In einem 
Pelz mag man mich begraben, aber lebendig wird man 
mich nicht drin ſehn. — Das wollt' ich nur ſagen! 


5 


N 


Oskar werneigt ſich). Ich danke. Du wirſt mich in 
meinem Pelz auch nicht wieder ſehn, Onkel. (für fih) Der 
wird verklopft! 

Eckard. Das iſt doch einmal männlich geſprochen; 
gefällt mir. Aber da kommt mir in den Sinn — — Junge! 
Las haſt Du angeſtellt? Dich für mich geſchlagen? 

Oskar. Ich? 

Eckard. Ja, Du. Vorhin hab' ich's gehört. Mit 
dieſem Anton Meerveld. 

Oskar (zögernd). Nun ja. Muß das auch gleich wieder 
unter die Leute kommen .. . Es iſt nicht der Rede werth! 

Eckard. Ich wunderte mich ſchon geſtern, daß nichts 
von ihm kam, da er mich doch ſo martialiſch angeblitzt 
hatte. Jetzt hör' ich, Du haſt Dir kurzweg erlaubt, ihn 
mir abzunehmen — 

Oskar. Weil es ſich für Dich nicht mehr paßt, Dich 
um ſo was zu ſchlagen; nun gar mit einem Witzbold wie 
Meerveld. Mir aber war's eine Wolluſt, Onkel. Ich bitte 
alſo ganz ergebenſt um Entſchuldigung; es iſt gern ge— 
ſchehn. 

Eckard (fein Wohlgefallen zu verbergen bemüht). Vorſchnelles 
junges Volk. — Auf Säbel? 

Oskar. I, der kann ja nicht. Piſtolen. Er ſchoß 
vorbei. Ich traf ſeinen rechten Arm. Er trägt ihn jetzt in 
der Binde — 

Eckard. Knochen? 

Oskar. Nein. Ach nein. Eine ſchlichte Abfuhr. 
— Mich ärgert nur, daß Du davon gehört haſt. Eine 
Knallerei! 

Eckard. Dann wollen wir alſo nicht mehr davon 
reden, Oskar. Wir kommen aber ganz von der Hauptſache 
ab: von Deiner „merkwürdigen Lage“. Wenn ich Dich 
errathe — 

Oskar. Natürlich! 

Eckard. So erlaube, daß ich Dich aus dieſer Lage 
zu befreien ſuche. Meinen Beitrag von vorgeſtern Abend 


* 


haſt Du ja ohnehin auf Käthchens Teller gelegt; oder doch 
die Hälfte. (Giebt ihm aus der Brieftasche einen Kaſſenſchein.) 
Halt' nur Haus damit, wenn ich bitten darf! 

Oskar (überragt). Onkel! Tauſend Mark! 


Eckard. Nur um Dir anzudeuten, daß ich Deine 
Entſchuldigung angenommen habe. Jetzt ſtill: Jemand 
kommt! 


Fünfter Auftritt. 
Eckard, Oskar; Paula (von hinten). 


Paula. Ich hoffe, Sie ſind nicht böſe, Herr Eckard, 
daß ich Sie warten ließ; es iſt nicht meine Schuld — 

Eckard. Bitte, laſſen Sie das. Ein Pedant bin ich 
nicht. (halblaut) Jetzt empfiehl Dich, Raufbold! 

Oskar. Leben Sie denn wohl, verehrteſte — Frau 
Paula. Ich bin — 

Paula (in ihrer Bewegung und Verlegenheit gefliſſentlich herzlich). 
Leider hab' ich Sie kaum geſehn; kommen Sie doch wieder. 
Ich bin viel zu Haus! (Giebt ihm die Hand.) 

Oskar (vor Freude mühſam). Wie — wie Sie befehlen. 
Adieu! (an der Thür, für ſich) Ein göttliches Weib. — Tauſend 
Mark. — Ich trinke etwas Edles — und dann komm' ich 
wieder! (Rechts ab.) 

Paula chat inzwiſchen die Packete vom runden Tiſch nach hinten 
getragen und auf einen kleineren Tiſch gelegt; nöthigt Eckard zum Nieder— 
ſitzen). Wie ſoll ich Ihnen ſagen, Herr Eckard, wie — ver— 
legen ich bin. Ich hätte ja nie gewagt, Sie noch einmal 
zu bitten — um Ihr Kommen, mein' ich — wenn ich nicht 
gedacht hätte: es gilt einer guten Sache. Bitte, 
werden Sie nicht ungeduldig, wenn ich vielleicht etwas ver— 
worren ſpreche; (offenherzig lächelnd) ich hab' mir jo viel über⸗ 
legt, was ich und wie ich es Ihnen ſagen wollte — daß 
ich nun gar nichts mehr weiß! 

Eckard. Es wird wiederkommen. (freundlich) Nehmen 
Sie ſich nur Zeit. Ich habe Geduld. 
4 


55 


Pe; 


Paula. Ich danke Ihnen. — Seit vorgeſtern Abend 
nämlich — — Ihre Reden, Ihre Gedanken haben mich 
tiefer getroffen, mir mehr zu ſchaffen gemacht, als Sie ahnen 
können. Ich bin jo erhoben — und zugleich jo beſchämt . . . 
Es gährte ſchon Manches in mir — ſchon ſeit einiger 
Zeit . .. Kurz, es iſt eine Veränderung mit mir vor— 
gegangen; eine große, mein' ich. Sie haben mir die Er— 
ſchütterung gegeben, die ich brauchte — mir gezeigt, was 
ich ſoll, was ich muß — und vielleicht auch kann — und 
ich danke Ihnen! 


Eckard. Ich bin ſehr überraſcht, gnädige Frau. An 
ſolche Wirkungen — iſt man nicht gewöhnt. Und, um 
ehrlich zu ſein — 

Paula. O ja; darum bitt' ich — 


Eckard. Eine ſolche Wirkung auf Frau Paula 
Dolberg hatt' ich nicht erwartet. 


Paula. Ich weiß. Was war ich in Ihren Augen? 
Eine elegante Frau; weiter nichts. Warum blieben Sie 
damals aus unſerm Hauſe fort? Weil Sie für den Um— 
gang mit Frauen nicht taugen — ſo ſagen Sie — und ſo 
meinen Sie's — aber das allein war es ja doch nicht. 
(mit halb unterdrücktem Schmerz) Jetzt verſteh' ich Sie: es er— 
müdete Sie der Umgang mit einer Frau, die doch eigent— 
lich nur an ſich ſelber dachte; die nicht Belehrung ver— 
langte, ſondern Unterhaltung, nicht Wahrheit, ſondern Ga— 
lanterie; die es für überflüſſig hielt, auch der Welt zu 
nützen. Ich war eine Salondame nach dem modernen Re— 
zept; nicht ſchlecht für meinen Mann, freundlich gegen die 
Menſchen, aber gleichgültig gegen die großen, idealen 
Pflichten, die wir zugleich mit dem Reichthum erben! 


Eckard (lächelnd). Bitte, hören Sie auf. In dem Eifer, 


ſich ſchlecht zu machen — 


Paula. Nein, ich übertreibe nicht; ſo war's. Den 
Leuten, die mich umgaben, denen gefiel ich ſo; Niemand 
ſagte mir: laß das! — Nach meines Mannes Tod kam zwar 
ein brütender Ernſt über mich; ich mißfiel mir ſelbſt; aber 
für meinen unbeſtimmten, unklaren Drang fand ich keinen 


Führer, und jo ſchwankte ich meines Weges weiter. (fich 
jelber einwendend) Tante Molly .. . O ja, Tante Molly gab 
mir ja ein großes, herrliches Beiſpiel; aber ich wußte nichts 
damit anzufangen, ihr nachäffen konnt' ich nicht .. . Sie 
haben mir die feſten, beſtimmten, leuchtenden Gedanken ge— 
geben, die mir fehlten. „Dem Neid der Armen ihren 
Stachel nehmen“, durch unabläſſiges Wohlthun . . . „Nie 
aus dem großen Glücksbecher trinken, ohne auch ein Opfer 
zu bringen“ . .. „Selbſtbeſteuerung des Ueberfluſſes“, als 
heilige Menſchenpflicht ... Ja, ich danke Ihnen. Das 
will ich thun; dafür will ich leben! 


Eckard. Sie machen mich wirklich — ganz verwirrt, 
gnädige Frau. Eine ſolche Veränderung — ein ſo ge— 
waltiger, heiliger Ernſt in einer ſo eleganten Dame — 
verzeihen Sie — — es ergreift mich ſehr. Wie muß es 
in Ihrem Herzen gegährt haben, daß ſo ſchlichte Ge— 
danken — 

Paula (den Kopf jhüttend). Himmliſche Gedanken — 


Eckard. Sie ſo überwältigen konnten! — — Aber 
ich glaube, ſolche Wunder thut der Geiſt dieſer Zeit. 
In meiner Jugend lebte ich auch ſo in den Tag hinein; 
genoß mein Erbtheil für mich, kaufte Bilder und Bücher, 
machte weite Reiſen, bildete an mir herum; dachte nicht viel 
an die „Stiefbrüder“, die das Schickſal im Thal der Noth 
angeſiedelt hatte. Die aber rührten ſich endlich — und die 
Zeit ward anders; und ſo nach und nach merkte ich auf 
die Zeichen der Zeit, und ſo nach und nach gingen ſie mir 
zu Herzen. Ich fühlte es endlich bis ins Mark hinein: 
das iſt eine große Epoche, in die wir geſtellt ſind! Die 
hat ſich ein Ziel gefunden, das die Welt noch nicht hatte; 
durch allerlei thörichte Theorien hindurch geht ſie auf ein 
mögliches, geſundes, menſchenliebendes Ideal, auf die 
ſoziale Ausgleichung zu; ſie erzieht ihre Menſchen zu 
den höchſten Pflichten, ſie wäſcht ihnen die Augen klar und 
legt ihnen die Hand aufs Herz. Wohl Denen, die jetzt 
beſtehn; weh Denen, die jetzt nichts lernen! — Und ſo 
geh' ich nun meinen Weg, (lächelnd) dem Geiſt der Zeit auf 
den Ferſen, ſo fix wie ich kann — und hoffe zu beſtehn! 

4 * 


— 


* 


Paula (ergreift jeine Hand). Ich danke Ihnen für jedes 
Wort, das Sie mir da ſagten; — aber vor Allem für das 
Bekenntniß, daß Sie auch einſt ſo hinlebten, ohne das große 
Ziel. Dann bin ich ja auch noch nicht verloren, nicht wahr; 
kann auch noch meinen Zweck und mein Leben finden — 
und die Achtung vor mir — und ein inneres Glück! 

Eckard (ſehr bewegt). Gute, theure Frau! — — Darf 
ich das ſagen — 

Paula. O ja. Alles, was Sie wollen! 

Eckard. Ich bin — ſo ſonderbar glücklich; ich weiß, 
daß dies alles wahr iſt, daß ich Sie wirklich ſehe — und 
doch könnt's ein Traum ſein — — und doch iſt es keiner. 
Alſo eine Frau wie Sie find' ich doch auf der Welt! (auf 
eine ſchmerzlich ſchamhaft ablehnende Bewegung Paula's) Nein, ſeien 
Sie ruhig, ich will Ihnen nicht ſchmeicheln — will Sie 
auch nicht rühmen ... Nur zur Sache, liebe gnädige 
Frau, laſſen Sie mich noch ſagen: ſo ein Gleichmacher 
bin ich nicht, der die perſönliche Freiheit umbringen, den 
Reichthum abſchaffen, den Luxus des Schönen aus unſerer 
armen Welt hinausjagen will. Die großen Künſtler ſind 
die größten Wohlthäter der Menſchheit; und auch ein 
ſchönes Kleid, wenn's ein guter Menſch trägt, iſt wie ein 
Sonnenſtrahl mehr. Es kann gar nicht genug Schönes 
auf Erden geben; es ſoll Schönes für Alle geben; — die 
Engländer mit ihren großen und vollen Händen faſſen auch 
das ſchon an, ſie bauen Volkspaläſte, Millionen werth, 
in denen der letzte Mann für einen Penny edle Bilder ſieht, 
reizende Muſik hört, gute Bücher lieſt, ſchwimmen und 
ſpielen kann. Solche Werke der Menſchenliebe kann nur 
der Reichthum ſchaffen; und der ſoll ſie ſchaffen. Aber 
zwei Gebote ſtehn auf meiner Tafel, und ich glaube, der 
Geiſt der Zeit hat fie auch auf ſeiner: „es ſoll keine 
Nichtsthuer geben“ und „der Reichthum ſoll helfen, 
nicht beleidigen“! 

Paula. O wie fühl' ich das. Nur ſo in Worte 
konnt ich es nicht faſſen. Ja, für dieſe Gebote zu leben 
— das iſt mein Gedanke; das fange ich heute an. (auf 
den Tiſch und die Stühle deutend, mit weichem Lächeln) Sie ſehn. 


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Mein erſter Verſuch; — mir brennt jo das Herz, auch 
meine Pflicht zu thun, auch etwas zu ſchaffen. Sie haben 
mir noch den rechten Geiſt, die rechten Worte gegeben; nun 
bin ich ganz bereit! 

Eckard. Was für ein „erſter Verſuch“? 

Paula (herzlich lächelnd. Gönnen Sie mir mein Ge— 
heimniß noch für eine Stunde; N ‚möchte ganz, ganz 
aus mir — — Morgen hören Sie's. Darf ich Ihnen 
ſchreiben, lieber beſter Meiſter, wenn's geſchehen iſt? heute 
Nachmittag? 

Eckard. Ich komme und hör's von Ihnen ſelbſt, 
wenn Sie es erlauben. (lächelnd) Bis morgen kann ich 
nicht warten: mir brennt auch das Herz — aber vor Be— 
gierde, zu wiſſen, was ſo eine Frau ſo im Stillen ſchafft. 
(Sieht nach ſeiner Uhr.) Bald zwölf. Ihr Unternehmen wird 


wohl jetzt beginnen ... (Sie nickt.) Hm! — Viel jünger 
ſehen Sie heute aus als vorgeſtern Abend. — Und auch 
wieder viel älter. — Sie machen mich ſehr konfus. — — 


Alſo Glück zu Ihrem Werk, und auf Wiederſehn! (Nimmt 
ihre Hand, ſieht ſie an; küßt ſie.) 7 
Paula (einen Ton der Ueberraſchung ausſtoßend). Ah! 
Eckard (etwas verlegen lächelnd). Sie erlauben 
Ich hab' das ſonſt nie gethan. Nur um Ihnen anzu⸗ 
deuten — wie hoch ich Sie achte ... Adieu! (Rechts ab.) 
Paula blickt abwechſelnd auf ihre Hand und auf die Thür, 
durch welche Eckard abging). War das wirklich Herr Ulrich 


Eckard? — Er hat mir die Hand geküßt? — — Wie be- 
wegt er war. (Legt die rechte Hand auf ihr Herz.) Und ich 
bins wohl nicht? — — Ich hab' einen richtigen Nebel 


vor den Augen. Wie das ſo ſonderbar, ſo anders iſt: der 
Handkuß — und Alles. — Ein wunderlicher Mann .. 
Ein Mann!“ 


Sechſter Auftritt. 
Paula; Molly. 
Molly (öffnet hinten leiſe die Thür, zeigt zunächſt nur die 
halbe Geſtalt). Ja, Du biſt allein. Es war hier ganz ſtill 
geworden — 


Paula. Ja, er iſt fort. 
Molly. Es war auch Zeit: zwölf Uhr! — Ich bin 


in einer himmliſchen Aufregung, hab' ganz heiße Backen. 
Es muß was werden, es muß! 


Paula. Ja, Tante Molly, es muß! 

Molly (bebt ein beſchriebenes kleines Blatt empor, das ſie in 
der Hand hält). Hier iſt ſchon der Kriegsplan, eben von mir 
aufgeſetzt. Es ſind ja wackere Frauen, die Du hergebeten 
haft — zu allem Guten zu bringen — aber wir mũſſen 
doch klug ſein wie die Schlangen, Paula; zur Politik ge⸗ 
hört ein Kilo teufliſche Schlauheit, und dies iſt Politik. 
Beſonders da Lucie von Leppin dabei iſt; — muß das 
wirklich ſein? ü 

Paula. Sie darf nicht ſagen, man habe ſie aus⸗ 
geſchloſſen; ſie ſoll ihre Farbe hier zeigen — 

Molly. Und Du meinſt, ſie kommt? 


Paula (nit). Sie hat zugeſagt. Ich ſchrieb ihr 
geſtern einen ſehr artigen, bedauernden Brief — der mir 
grauſam ſchwer wurde — und ſie wird nun kommen. 


Molly. Das iſt alles eins: die Hauptperſon bleibt 
immer Frau von Heide; vor der haben ſie alle einen 
wunderbaren Reſpekt. Sie würde uns aber in ihrem 
Güterzugs⸗Tempo langſam zu Tode reden; darum iſt mein 
Kriegsplan: Du und ich, wir machen die ganze Debatte 
allein! So oft die Heide oder ſonſt Jemand reden will, 
fall ich ihr ins Wort; ſage alles Dumme und Unpaſſende, 
was man ſagen kann — und Du 5 mich. Bei 
jedem neuen Paragraphen daſſelbe. Um Dir's leicht zu 
machen, hab' ich meine dummen Einwände und Deine 
höhere Weisheit (auf das Blatt deutend) hier in großen Zügen 
entworfen; lies es durch und merk Dir's — haſt ja einen 
raſchen Kopf! (Horcht.) Deine Damen kommen. Ich werd' 
ſie im Saal empfangen: ſtudir Du unterdeſſen geſchwind 
unſere Debatte. (ziebt Paulas Hand an ihre Wange) Fühl', 
wie ich hier brenne. Aber ich zittere vor Wonne über 
meine Paula. Ich hab's immer gewußt: unter ihren ſchönen 
Kleidern wachſen ihr ſo ganz im Stillen ein paar große 


SL 1 


Flügel, mit denen fliegt fie noch Hoch! (fie ſchnell küſſend) 
Da! (Eilt rechts hinaus.) 


aula. Gute Tante Molly. (lächelnd) So eine ruch— 
) 


loſe Intrigantin — und jo ein reines Herz! — Daß das jo 
beiſammen ſein kann . .. (Blickt auf Molly's Blatt.) Mit 


welcher diaboliſchen Geſchwindigkeit hat ſie das entworfen! 
Und wie überſichtlich; wie klug. (Fährt ſich mit einer Hand über 
die Augen.) Aber der Nebel kommt wieder; die Buchſtaben 
laufen durcheinander wie beim Bäumchen-Verwechſeln. 
Nein, ich kann's nicht leſen. — Ich will mich auf die 
Stimme in meinem Herzen verlaſſen, die wird mir's ſchon 
eingeben; und du wirſt mir deine Worte leihen, guter 
Meiſter Eckard; für einen Zweck, der nach deinem Sinn 
iſt, darf ich ſie ja brauchen! 


Siebenter Auftritt. 


Paula; nach und nach, von rechts, Molly, Frau von Heide, Lucie, Frau 
Schwarzenbeck und noch zwei Damen. 


Molly. Da ſind wir, Hausfrau; alle ſchon bei— 
ſammen. Der Reichstag kann von uns lernen! 


Paula (jeder die Hand gebend). Meine lieben und werthen 
Damen, herzlich, herzlich willkommen. Sie haben meine 
dringende Bitte freundlich aufgenommen; ich danke Ihnen 
aufs wärmſte! 

Frau von Heide. Sie ſchrieben von einem „edlen, 
gemeinnützigen Werk“, das wir berathen ſollten; Sie wiſſen, 
liebe Frau Dolberg, dem entzieh' ich mich nie. 


Molly (für ſich). Langſam, aber gut. (laut) Frau 
von Heide ſagt, wie immer, das rechte Wort. Und nun, 
denk' ich, ad loca! wie die Studenten ſagen. Gehn wir 
friſch an's Werk! (Nimmt einen Stuhl, ſtellt ſich hinter ihn.) 


Paula. Bitte, meine Damen, rund um den Tiſch! (Sie ſetzen 
ſich; Paula den Zuſchauern grade gegenüber, rechts von ihr Frau 
von Heide, links Frau Schwarzenbeck; neben dieſer Molly, neben Frau 
von Heide Lucie; die beiden Andern auf der Vorderſeite des Tiſches.) 


Molly während ſie ſich ſetzen). Und da es ſich 
um eine parlamentariſche Berathung handelt, ſo brauchen 
wir auch ein geordnetes Verfahren und einen Präſidenten. 
Ich ſchlage vor: die Hausfrau präſidirt! 


Frau von Heide. Ich glaube, meine Damen, wir 
ſollten uns dieſem Vorſchlag anſchließen: denn — 


Molly (ihr ins Wort fallend). Alſo angenommen. Frau 
Dolberg iſt Präſident! 


Paula (ſteht auf). Ich danke Ihnen für die Ehre, die 
Sie mir erweiſen; und ohne weitere Förmlichkeiten — 
(ächelnd)bp von denen ich auch keine Ahnung hätte — geh' 
ich gleich zur Sache. Ich habe mir erlaubt, Sie hierher 
zu bitten, (indem ſie vermeidet, Lucie anzuſehen) weil ich Ihre 
gute Herzen kenne und darauf vertraue; und weil Sie, wie 
ich, (lächelnd) noch in dem unternehmenden Mittelalter ſind; 
die Aelteren, zum Beiſpiel meine Mutter, ſind darum nicht 
hier. Wir gehören zu den ſogenannten reichen Frauen, 
meine Damen; zu den beneideten. Der Neid iſt ſchmeichel— 
haft, ſagt man — aber auch gefährlich; und uns allen 
wär's wohl nicht recht, wenn es uns wie jenen Frauen auf 
einer fernen Inſel erginge, von denen eine Geſchichte er— 
zählt. (mit einem flüchtigen Seitenblick auf Lucie) Es war da eine 
beſonders Reiche, der es in ihrem Uebermuth gefiel, Perlen 
zu verbrennen; und als einmal ein alter Mann aus dem 
Volk dazukam und die Hände rang und ihr vorhielt: „von 
ſo einer einzigen Perle könnte eine arme Familie ganze 
Jahre leben!“ da erwiderte die reiche Frau: „eben weil ich 
das weiß, verbrenne ich ſie gern; darin liegt der Reiz, das 
iſt mein Vergnügen!“ 


Molly (iteht im Eifer auf). Ja, aber ein Jahr darauf 
kam ein Reiſender auf dieſelbe Inſel, und fand Alles in 
Aufruhr; und ſah vor der Stadt eine lange Reihe von 
Scheiterhaufen, die ſehr luſtig brannten. Und als er fragte, 
was das bedeute, erhob ſich ein alter Mann aus dem 
Volk und ſagte: „Wir verbrennen alle reichen Frauen, da— 
mit ſie keine Perlen mehr verbrennen; das iſt unſer Ver— 
gnügen!“ 


Paula (ächelnd). Ich danke Dir, Tante Molly. Wenn 
Du auch meine Rede halten willſt, jo ſag' es; dann mach' 
ich Dir Platz! 

Molly (zerknirſcht). Ich bitte tauſendmal um Vers 
gebung, Herr Präſident. Ich will's nicht mehr thun! 
(Setzt ſich.) 

Paula. Meine Damen, auch bei uns giebt es 
ſolche Frauen, die gerne Perlen verbrennen; Sie willen, 
wie ich's meine. Sie ſehen ja jeden Tag, wie zwecklos, 
wie ſinnlos, wie herzlos von ſo Manchen geprunkt und 
vergeudet wird, während ſo viele Andre in Noth und 
Elend vergehn. Und auch bei uns rührt ſich mancher 
fromme Wunſch, alle die reichen Frauen, alle, gründlich 
zu verbrennen! Zuſtimmende Bewegungen.) Schon die Ver— 
nunft, die Furcht ſollten uns zuſammentreiben, daß wir 
uns bemühn, die hoffährtigen und herzſchwachen unter 
unſern Schweſtern an dieſem Perlen-Verbrennen zu hindern, 
das das Volk erbittert. (Lucie ſteht auf; bezwingt ſich, jest ſich 
wieder. Paula fährt ruhig fort, mit ſchlichter, wachſender Wärme.) 
Aber nicht nur die Furcht — auch das gute Herz, auch 
die Menſchenliebe, alles Edle in uns! Sollen die Bevor— 
zugten nicht den Andern zeigen, daß ſie ſich ihnen brüder— 
lich und ſchweſterlich verpflichtet fühlen, daß ſie über allen 
Unterſchied hinweg in Gemeinſchaft leben, daß ſie in 
jedem Glück auch der Noth gedenken? — Kurz, daß ich 
Ihnen gleich meinen Gedanken ſage: laſſen Sie uns einen 
Verein guter Frauen gründen — zunächſt in unſerer Stadt 
— die ſich zur Selbſtbeſteuerung ihres Luxus ver— 
pflichten; damit finge es an! 

Lucie (mit etwas ſpöttiſchem Lächeln). Meine liebe Paula, 
ich verſtehe noch nicht — 

Paula. Sie werden ſogleich — — Hören Sie, 
bitte, den erſten Paragraphen meines vorläufigen Entwurfes 
an. (Nimmt ein Blatt, das vor ihr auf dem Tiſch liegt; liest vor.) 
„Jedes Mitglied dieſes Vereins verpflichtet ſich, bei jedem 
größeren Genuß ſeines Ueberfluſſes — ſei es eine Reiſe, 
oder ein Feſt, oder ein andrer Luxus irgend welcher Art 
— einen näher zu beſtimmenden Prozentſatz der ausge— 


— 


— 58 — 


gebenen Summe für Zwecke der Menſchenliebe zu ver⸗ 
wenden.“ 


Lucie (für ſich). Ah! Das fängt gut an! 
Frau von Heide. Hm! — Ein überraſchender, 


aber zum Herzen ſprechender Gedanke. Nur wäre doch 
wohl auch allerlei zu bedenken — 


Molly ſſteht raſch auf). Eben das wollt' ich jagen, 
und ich bitte ums Wort! 

Paula. Frau Molly Berger hat das Wort. (Setzt ſich.) 

Molly. Wie Frau von Heide richtig bemerkt: gegen 
dieſen gewiß vortrefflichen Gedanken ſprechen doch auch 
ſtarke Bedenken! Denn erſtens: „bei jedem größeren 
Genuß ſeines Ueberfluſſes“ ſoll man ſich beſteuern; wo 
fängt aber der größere an, wo hört der kleinere auf? Und 
zweitens: wer ſoll kontrolliren, ob Jeder das auch thut, 
wozu er ſich verpflichtet? Und drittens: „Zwecke der 
Menſchenliebe“ — alſo meiſt doch Almoſen — — er— 
ziehen wir nicht ſo die Menſchen mehr und mehr zu Bett— 
lern? Und endlich viertens: ſind denn auch alle guten 
Frauen wohlhabend genug, um jede größere Ausgabe 
noch durch ſo eine freiwillige Steuer zu vermehren? 
Dixi! Setzt ſich.) 

Frau Schwarzenbeck. Da haben Sie wohl 
Recht — 

Paula (ſteht auf). Ich erſuche Frau Molly Berger, 
mich nur recht zu verſtehn; dann hat ſie nicht Recht. Ich 
will ja nicht einen Verein der armen Frauen gründen, 
ſondern der reichen; dieſe reichen — wie wir — ſollen 
ſich beſteuern, und zwar nur wenn ſie Luxus treiben, und 
zwar nur wenn es ein handgreiflicher Luxus iſt. 
Wann und wo er das iſt, das ſoll Jede nach Einſicht und 
Ehrgefühl entſcheiden; wir wollen ja ein freier Verein von 
ehrliebenden, gebildeten, denkenden Frauen ſein; wir wollen 
uns ſelber, durch gegenſeitiges Beiſpiel und einen edlen 
Wetteifer, zu Vorbildern für die Uebrigen erziehn und eine 
neue Zeit mitbegründen helfen. Darum brauchen wir 
auch keine Vereinspolizei, die uns „kontrollirt“; unſer 


„ 


Ehrgefühl wird uns überwachen. Wenn aber die geehrte 
Vorrednerin von Almoſen ſprach, — giebt es denn nichts 
als das? Sind nicht unzählige Stiftungen und Häuſer 
für das Volk zu ſchaffen, für ſeine Waiſen, ſeine Schwäch— 
linge, ſeine Fortbildung, ſeine äſthetiſche Erziehung, ſeine 
edlen Vergnügungen — denn auch Schönes ſoll es ja 
für Alle geben — das ganze Volk ſoll empor, empor 
— dafür leben wir. Dafür ſollen vor Allen wir, die von 
Gott Geſegneten, leben. Das iſt unſre Pflicht! f 

Frau von Heide (iteht auf; bewegt). Sie haben Recht, 
meine liebe Frau Dolberg. (Giebt ihr die Hand.) Das iſt 
unſre Pflicht. Und „das ganze Volk ſoll empor“; „es ſoll 
Schönes für Alle geben“; das ſind gute Gedanken. Ich 
bin dabei! bin dabei! 
| Molly. Frau Paula Dolberg hat mich ſchmählich 
widerlegt; ich gebe mich überwunden. Vorwärts zu 
Paragraph Zwei! 

Frau Schwarzenbeck. Dann habe ich auch keine 
Bedenken mehr. Vorwärts zu Paragraph Zwei! 

Lucie (mit einem böſen, unklaren Lächeln). Ja, hören wir 
Paragraph Zwei! 

Paula. Hier it er. (Liest) „Wird ein Mitglied 
dieſes Vereins dem Zweck deſſelben ſo untreu, daß es wegen 
Unwürdigkeit ausgeſtoßen wird, ſo ſind alle Mitglieder ver— 
pflichtet, den geſellſchaftlichen Verkehr mit der Ausgeſtoßenen 
völlig aufzugeben.“ 

Lucie (unwillkürlich). Ah! 

Frau von Heide. Ah! das iſt — wieder über— 
raſchend. Da kommen wir aber doch auf ein bedenkliches 
Gebiet — 

Molly (ſteht raſch auf). Das meine ich auch, und ich 
bitte ums Wort! 

Paula. Frau Berger hat das Wort. (Setzt ſich.) 

Molly. „Den geſellſchaftlichen Verkehr völlig auf— 
zugeben“ — das iſt ja die heilige Vehme. Da ſchüttelt 
ſich mein Kopf. — Und wie ſoll man das durchführen? 
— Und mit wem ſollen dieſe Verfehmten dann noch umgehn, 


u 


. 


wenn wir ſie aus unſern Jours fixes und Salons ver— 
ſtoßen? 

Paula (ſteht auf; Molly ſetzt ſich). Die geehrte Vor— 
rednerin hat von der „heiligen Vehme“ geſprochen; ich fürchte, 
das war ein unglücklicher Vergleich. Wer durch das 
heilige Gericht verfehmt war, den waren alle Eingeweihten 
verpflichtet an einem Baum aufzuhängen, oder ſonſt zu 
tödten. Ein ſo gründliches Verfahren beantrage ich ja nicht. 
Wie man aber das durchführen ſoll, das was ich be— 
antrage? Ja, meine Damen, etwas Konſequenz und auch 
etwas Muth gehört zu jeder ernſten Sache; will man nichts 
unternehmen, als was bequem und gemüthlich iſt, dann 
mache man ſich nur lieber gleich ſeine Wiege zum Sarg 
zurecht. Mit wem dieſe ausgeſtoßenen, ſchlechten Frauen 
dann noch umgehen ſollen? Nur mit Ihresgleichen; — 
es wird ihnen leider nicht fehlen. Von uns aber ſollen 
ſie nur den Rücken ſehn; der iſt für ſie gut genug! 

Lucie (ſteht auf). Und wie, meine liebe Paula, denken 
Sie es mit den Andern zu halten, die von vornherein 
verweigern, in Ihren Verein zu treten? 

Paula (erwidert ruhig und feſt Luciens etwas herausfordern- 
den Blick). Von denen handelt Paragraph Drei. (Liest.) 
„Es iſt ſelbſtverſtändlich, daß gegen diejenigen Frauen, die 
den Eintritt in den Verein ablehnen, keine Art von Zwang 
oder Gehäſſigkeit ausgeübt werden ſoll. Dagegen ver— 
pflichten ſich die Mitglieder, Frauen aus ihrer Welt, die 
durch ihre auffallende, ſelbſtſüchtig verſchwenderiſche Lebens— 
führung ein unwürdiges und gefährliches Beiſpiel geben, 
von ihrem geſellſchaftlichen Umgang auszuſchließen. 

Lucie. Ah! Alſo wirklich! Denen, die ihr Leben 
anders führen als Sie, erklären Sie den Krieg! 


Paula. Was nennen Sie „Krieg“? Wenn ich mit 
Ihnen oder irgendwem das Handſchütteln aufgebe, weil es 
mir mißfällt, ſchieß'b ich ihm damit eine Kugel vor den 
Rapi? Und ſoll ich nicht den Muth k haben, einem uns 
würdigen Menſchen zu zeigen, daß er mir mißfällt? — 
Sehen Sie mich nicht ſo bedenklich an, liebe Frau von Heide; 
wie wollen wir denn erreichen, daß das Gute durchdringt, 


wenn wir uns nicht herausnehmen wollen, das Schlechte 
zu verachten? wenn wir es nicht einſchüchtern und bei Seite 
drücken, bis es ſich vor der Welt und zuletzt vor ſich ſelber 
ſchämt, und herüberkommt? — Man ſoll keine Perlen 
mehr verbrennen; der Reichthum ſoll helfen, er ſoll nicht 
beleidigen; ſo will's unſre Zeit, dem muß man ge— 
horchen. Wer durch ſeinen Reichthum beleidigt, der ſoll 
ſo lange von uns verleugnet, ausgeſchieden werden, bis er 
ſich bekehrt. Fühlen Sie das nicht? Sie alle? Stimmen 
Sie mir nicht zu? 

Frau von Heide (fteht auf). Ja, ja, ja, meine Beſte 
— ja, ich ſtimm' Ihnen zu. „Der Reichthum ſoll helfen“ 
— „er ſoll nicht beleidigen“ — ja, darin liegt's. Ich 
unterſchreib' Ihnen alles; ich bin mit dabei! 

Molly (für fih). Langſam, aber wieder gut! (laut) 
Frau von Heide geht, wie immer, den rechten Weg. Meine 
Damen, die Hand hoch, wer ihr folgen will! (Ale heben die 
rechte Hand, außer Lucie.) 


Paula glücklich). Alle! — — Nur Sie, Lucie, nicht? 

Lucie (ſteht auf). Nein, meine Liebe, ich nicht. Ich 
bin ſeit zwölf Jahren mündig, ich laſſe mich nicht mehr be— 
vormunden; weder durch Sie, noch durch Ihren Verein. 
Was ich mit meinem Gelde thun will, das iſt meine Sache; 
zwingen laſſ' ich mich nicht! | 

Paula. Ich verſtehe nicht. (auf ihren Entwurf deutend) 
Sie ſollen ja freiwillig — 

Lucie. Freiwillig! Ach, die liebe Unſchuld. Sie 
wollten mich zwingen, mitzumachen, oder wegen „unwür— 
diger Lebensführung“ mir den Stuhl vor die Thür ſetzen; 
darum haben Sie dieſen Paragraph Drei erdacht — Sie 
oder Ihr Helfershelfer! 

Paula. Was für ein Helfershelfer? 

Lucie. Heucheln Sie doch nicht. Ihr Herr Ulrich 
Eckard; er ſtieg ja da unten in ſeinen Wagen, als ich kam; 
er kam ja von Ihnen. Mit dieſem feinen Herrn, der ſo 
bezaubernd galant gegen die „Damen“ iſt, haben Sie ſich 
verbündet, um auch einmal auf dieſe Weiſe intereſſant zu 


u — 


une 


jein und um mich klein zu machen. Mit Lucie von 
Leppin, meine Liebe, werden Sie ſo nicht fertig! Ver— 
fehmen Sie mich nur, weil ich zu viel Geld verbrauche und 
zu wenig verſchenke; ſpielen Sie die Duleinea dieſes Don 
Quixote; den Ritter gönn' ich Ihnen. Ich werde doppelt 
jo viel verbrauchen, Paragraph Drei zum Trotz. Adieu! 
(Rechts ab.) 


Frau Schwarzenbeck (aach kurzem Schweigen). Das 
bedaur' ich ſehr. Wenn die Leppin nicht mitthut — 


Frau von Heide. Ei was! Dann erſt recht! Nun 


grade! — Frau Schwarzenbeck, wackeln Sie nicht, bleiben 
Sie feſt. Von einer „Dulcinea” zu ſprechen — das iſt 
ja empörend. Die ſoll uns kennen lernen ... Da haben 


Sie meine Hand, Frau Dolberg. Ich bin feſt dabei; und 
die andern auch! 


Frau Schwarzenbeck. Nun ja doch. Da iſt meine 
Hand! (Die Andern folgen.) 


Paula. Sie machen mich glücklich, meine Damen; 
ſo glücklich — 


Frau von Heide. Wenn Sie uns ein Glas Wein 
angeboten hätten, ſo tränk' ich gleich auf Ihr Wohl! 


Paula. Das ſollen Sie morgen thun, meine Beſte, 
wenn Sie dann noch wollen: zu morgen Abend bitte ich 
Sie alle (lächelnd) auf einen feſtlichen Trunk; da machen 
wir dann unſern feierlichen Bund, feilen unſere Satzung 
fertig, ſchreiben die Frauen auf, an die wir uns wenden 
wollen, daß ſie zu uns treten. Alſo morgen im Rütli, 
liebe Eidgenoſſen! 


Frau von Heide. Werden nicht ermangeln. So 
ziehn wir denn ab, meine Damen; um einige gute Gedanken 
klüger, als wir gekommen ſind. (zu Paula) Sie gefallen mir 
ſehr; — Adieu. (ihre Begleitung ablehnend; Bleiben Sie nur 
hier. Uebrigens, Frau von Leppin iſt bedeutend länger 
als zwölf Jahre mündig; iſt kaum jünger als ich! — 
Adieu! (Rechts ab, mit Frau Schwarzenbeck und den beiden Andern; 
nur Molly bleibt bei Paula.) 


e 


Molly. Sie iſt doch ein guter Kerl, dieſe Frau 
von Heide. — Nun muß ich mich aber an Deine Helden— 
bruſt werfen, meine theure Paula. (umarmt fie.) Dieſe erſte 
Schlacht haſt Du ſchön gewonnen! Die Leppin wird's 
merken . . . (fie noch umſchlungen haltend) Ich war Dir aber 
eine gute Folie; wie? Für die gute Sache hab' ich ein 
bischen geteufelt, das thut nichts; Gott ſieht in mein Herz! 
Paula. Tante Molly, ich bin in einem Himmel — 
in dem war ich noch nie! (Klopfen an der hinteren Thür.) 


Molly (verwundert). Wer klopft da? aus Deinem 
Boudoir? — Herein! 


Achter Auftritt. 
Paula, Molly; Eckard (von hinten). 


Eckard (öffnet die Thür, im Ueberrock; bleibt ſtehn. Mit etwas 
erregtem Lächeln). Verzeihen Sie: ich bin ſchon da. Muß 
in meine Fabrik, hatte nur noch ein paar Minuten Zeit; 
da dacht' ich: Verſuch's! — Weil aber die Damen heraus— 
kamen, bin ich (mit Geberde jo herumgegangen, um ihnen 
nicht in den Weg zu laufen; Sie entſchuldigen! 

Paula glücklich lächelnd). Sie kamen zur rechten Zeit. 
— Bitte, leſen Sie das! (Giebt ihm den Entwurf.) 

Eckard (überfliegt das Blatt). Ah! Alſo das. Das 
war's. — Ich ſtaune, gnädige Frau. Ein kühner Gedanke; 
— aber er ſieht ein wenig wie das Ei des Columbus aus. 
Und das ward hier beſchloſſen? 

Paula. Ja; Alle gegen Eine. Gegen Frau von Leppin. 
— Wünſchen Sie mir Glück? 

Eckard. Ich? Sehr von Herzen. (lächelnd) Ich hab' 
ein Gefühl, als wär' ich noch um einen Grad glücklicher 
als Sie! 

Molly (für ſich). Bei Gott, jo ſieht er auch aus. 


Den hat man anders angeſtrichen, den kenn' ich nicht 
wieder! 


— 


Paula (deren Hand Eckard inzwiſchen gedrückt hat, ihr warm 
in die Augen blickende). Wie thun Sie mir wohl — 


Eckard. Und nun muß ich gehn! 


Paula. Bitte, nur noch ein Wort. Da Sie ſo gut 
zu mir ſind — könnten Sie mir noch etwas zu Liebe thun? 
(auf den Entwurf deutend); Dies da wollt' ich allein machen, 
das war mein Stolz, mein Ehrgeiz; aber nun beginnen 
erſt die Steine im Weg, all' die Schwierigkeiten; nun müßt' 
ich den Kopf und die Erfahrung eines Mannes haben — 


Eckard. Und da brauchen Sie mich. — Da bin ich! 


Paula. Nein, ſagen Sie mir noch nichts zu — erſt 
muß noch etwas aus der Welt ſein zwiſchen Ihnen und 
mir: (mit bewegtem Lächeln) das „Unſachliche“, mein' ich, die 
Förmlichkeit, die Galanterie. Ich ertrüg' es nicht, Sie bei 
mir zu ſehen, Rath und Beiſtand und Güte von Ihnen 
anzunehmen, wenn ich denken müßte: du biſt eine Dame 
für ihn, vor der er ſeiner innerſten Natur Zwang anthun 
muß. Wollen Sie mir verſprechen, Herr Eckard, mit mir 
ſo zu ſein, wie mit Tante Molly und Ihrem „Vetter“, der 
Käthe? immer wahr, ſachlich, rückſichtslos, gradezu? 

Eckard (jieht ihr eine Weile ins Geſicht). Sie überraſchen 
mich heute ſchon zum zweiten Mal. — Aber ich ſeh' Ihnen 
an: Sie können das nicht nur ſagen, können es auch thun. 
— Alſo gut. Ich danke Ihnen. Nimmt ihre Hand.) Das 
iſt abgemacht. 

Paula. Und wollen Sie nun heute Abend zu mir 
kommen — Sie und Tante Molly — um mir für morgen 
zu helfen? Morgen kommen die Andern — 


Eckard. Heute Abend, gut. Um acht? 
Paula. Wie Sie wollen. 


Eckard. Alſo um acht Uhr. Und dann, ſo oft Sie 
mich brauchen; (ſeine Bewegung hinter einem Lächeln verbergend) 
ich ſag' das nur dieſes eine Mal, denn es gilt für immer. 
Und nun muß ich fort! 


ARE el 


Neunker Auftritt. 
Die Vorigen; Oskar (von rechts). 


Oskar (dem der Diener öffnet, dann abgeht; wird überraſcht 
und etwas verlegen, da er Eckard ſieht). Ah, mein Onkel noch 
hier! — — Sie hatten freundlich geſtattet — 

Eckard chat ihn gleichfalls verwundert angeſehn). Ich mache 
Dir Platz, mein Junge, denn ich gehe fort. (zu Paula) Dieſer 
kriegeriſche junge Menſch gehört gewiſſermaßen auch zu 
Ihrem Bund: er hat ſich für ſeinen Onkel geſchlagen, gegen 
den Bruder der Frau von Leppin. (zu Oskar) Dieſe kleine 
Indiskretion wird Dir bei Frau Dolberg wohl nicht ſchaden, 
denk' ich. — Leben Sie denn wohl! 

Paula. Auf Wiederſehen! noch heut! 

Molly (zu dem abgehenden Eckard). Ich bin ſo glücklich 
— muß mir noch etwas Luft machen: ich begleite Sie bis 
zur Thür! (Rechts mit Eckard ab.) 

Oskar. Ich weiß nicht, warum mein Onkel — — 
Er bringt mich ja in eine unwürdige, lächerliche Poſition. 
Von ſo einer Kinderei zu reden — 

Paula. Daß Sie mit Anton Meerveld —? Aber 
mein guter Oskar, das ſteht Ihnen ja gut; (herzlich lächelnd) 
das ſtreich' ich Ihnen ja roth in meinem Kalender an. 
Hier im Herzen, mein' ich. Sich für Ihren Onkel zu 
ſchlagen, für dieſen herrlichen — — Da haben Sie meine 
Hand! 

Oskar (vor Freude verwirrt). Frau Paula! (Küßt ihre 
Hand.) Sie ſind zu gut. Das — das halt' ich nicht aus. 
— Darf ich noch einmal —? 

Paula lächelnd). Sie dürfen noch einmal; ja. Ich 
bin Ihnen ſehr gut. (Er küßt ihre Hand nochmals.) Und nun 
ſetzen Sie ſich! 

Oskar. Setzen? 

Paula. Ja. Hierher. 

Oskar (für ſich). Sie iſt mir ſehr gut! (laut, mühſam) 
Wie ſoll ich da ſitzen, Frau Paula; — ſitzen kann ich nicht. 
Wenn Einem ſo zu Muth iſt wie mir, wie kann man da 


— 


9) 


— 86 — 


— — „In Ihrem Herzen“, ſagen Sie. Himmliſche Frau 
Paula! 

Paula (über Oskars Ton und Benehmen verwundert, ſucht zu 
ſcherzen). Ja, in meinem Herzen; aber bei alledem ſtehe ich 
nicht gerne. Wenn wir uns noch unterhalten wollen, nun 
ſo nehmen wir Platz! 

Oskar (für ſich). Nein. Dies iſt die Stunde. Wenn 
ſie mir jo gut iſt, kann ich nicht mehr ſchweigen! (aut) 
Göttlichſte der Frauen — nicht auf ſo einem Stuhl — 
hier iſt mein Platz. (Kniet vor ihr nieder.) Mein ganzes Herz 
liegt Ihnen hier zu Füßen. Ich bin ja Ihr Oskar! Ich 
bete Sie ja an! 

Paula. Sie ſind närriſch geworden, ſcheint mir. 
Stehen Sie auf! 

Oskar. Was iſt Anton Meerveld — und was iſt 
mein Onkel — — Für Sie gegen alle Welt! Sagen 
Sie mir, was ich für Sie thun ſoll — 

Paula. Aufſtehen ſollen Sie. Hören Sie! Stehen 
Sie auf! 


Zelinter Auftritt. 
Paula, Oskar; Molly (von rechts). 


Molly. Alle guten Geiſter! (Oskar ſpringt auf.) Was 
iſt denn geſchehn? (auf den Boden blickend, wo er kniete) Wie 
kommt der dahin? 

Paula. Frag' ihn das; laß Dir's von ihm ſagen; 
ich hab' genug. Sag' ihm meine Meinung, Du; ich 
wünſche dieſem Jüngling nichts mehr mitzutheilen. Sag's 
ihm, daß er's verſteht! (Ungeſtüm nach hinten ab.) 

Molly. I, dem will ich's wohl ſagen. Sieht im 
Hintergrunde die Päckchen auf dem kleineren Tiſch.) Da liegen ja 
noch meine — — Warten Sie einen Augenblick, mein ge⸗ 
liebter Oskar. (Läuft, nimmt eines der Kinderhäubchen und ein 
Lätzchen; kommt zurück, bindet ihm hurtig das Lätzchen vor.) Wenn 
Sie wieder einmal vor einer würdigen Dame knieen, ſo 


r 


vergeſſen Sie nicht, dies „Schlappbörtchen“ anzulegen; das 
giebt Ihnen erſt die richtige Kindlichkeit. (ihm das Häubchen 


aufſetzend) Und da! Nehmen Sie das! — Adieu! (Läuft 
rechts hinaus.) 
Oskar. Tante Molly! — Scheufal! — — O Gott! 


Fürchterliche Rache! 
(Der Vorhang fällt.) 


Dritter Aufug. 


Zimmer in der gemeinſchaftlichen Wohnung der Brüder Eckard, und 
zwar das gemeinſame, als ſolches durch eine Möbelgruppe in der Mitte 
gekennzeichnet: ein großer Tiſch, mit der Schmalſeite gegen die Zuſchauer 
gerichtet, an beiden Langſeiten von Chaiſelongues begleitet. Auf der 
Chaiſelongue zur Linken Decke und Kopfkiſſen. Auf dem Tiſch Bücher, 
Zeitungen, Papier, Schreibmappen, ein großes Tintenfaß, Aſchbecher. 
Vorn rechts ein Schachſpieltiſch, ein Spieltiſch für Karten links. An 
den Wänden Familienbilder. Eine Thür in der Rückwand führt auf 
den Vorplatz, eine Thür links zu Felix', eine Thür rechts zu Ulrich's 
Wohnung. 


Erſter Auftritt. 


Ein Diener öffnet hinten und läßt Lucie und Frau Schwarzenbeck ein- 
treten. (Frau Schwarzenbeck iſt verſchleiert.) 

Diener (nicht in Livree; bei Jahren). Bitte, wollen die 
Damen ſich eine kleine Weile gedulden; Frau Regine wird 
gleich erſcheinen. 

Lucie. Schon gut. (Diener ab. Lucie, mit etwas ſpöttiſchem 
Lächeln) Ah, meine liebe Frau Schwarzenbeck, Sie haben 
ſich dicht verſchleiert. — Sie wiſſen doch, Herr Ulrich Eckard 
iſt nicht zu Hauſe! 

Frau Schwarzenbeck. Aber die Haushälterin 
könnte mich doch kennen. Sie müſſen doch begreifen — 

5* 


— 8 


Lucie. Gewiß; der Umgang mit mir iſt Ihnen ja 
verboten; die Dolberg hat's ja erreicht. Ich dachte nur, 
Sie wären beſonders couragirt. 

Frau Schwarzenbeck. So! — Früher hat Ihnen 
öfter beliebt, mich einen Haſen zu nennen! 

Lucie. Sie haben ein ſchreckliches Gedächtniß, liebe 
Schwarzenbeck. Laſſen Sie es gut ſein; ich dank' Ihnen 
ja von Herzen, daß Sie die Courage gehabt haben, mich 
hierher zu begleiten. Sie thun es ja übrigens nicht mir 
zu Liebe, ſondern für die Sache — 

Frau Schwarzenbeck (nickt mehrmals; legt in der Er— 
regung eine Hand auf Luciens Arm). Frau von Leppin! Wenn 
ſich das bewährt, wenn Sie das beweiſen, daß Paula 
Dolberg dieſem Herrn Eckard in ſkandalöſer Weiſe nahe 
getreten iſt, dann bin ich mit ihr fertig! und mein erſter 
Gang iſt zu Frau von Heide! 

Lucie. Es wird ſich bewähren, und ich werd's 
beweiſen. Dieſer Weiberfeind, dieſer Ulrich Eckard — ſeit 
den zwei Monaten, daß euer edler Verein exiſtirt, den wir 
Geächteten die „heilige Vehm“ nennen, — ſeitdem iſt er 
beinahe jeden Tag bei der Präſidentin, der Paula. Wo: 
für halten Sie das? Für gemeinſchaftliches Katechismus— 
leſen? 

Frau Schwarzenbeck. Es iſt uns ſchon lange auf— 
gefallen, auch der Frau von Heide; aber wir dachten doch — 

Lucie. Daß die Beiden zwei Engel wären. Nun, 


Sie werden ja ſehn! — Nicht aus perſönlicher Rancune, ſon— 
dern für die Sache — — Sie kommt! 


Zweiter Kuftritt. 
Lucie, Frau Schwarzenbeck; Regine. 


Regine (tritt hinten ein; macht zwei tiefe Knixe). Bitte tau⸗ 
ſendmal um Entſchuldigung, meine hochverehrte Frau 
von Leppin. Ich war nicht ſo ganz in Toilette, wie es ſich 
gehörte ... Frau von Leppin waren ja immer jo gütig 
zu mir, werden wohl vergeben — 


RN Te a 


Lucie. Laſſen Sie das; verſteht ſich. (Giebt ihr die 
Hand.) Ich komme noch einmal, Regine — wollte doch 
noch hören, ob bei unſerm guten Herrn Felix die Geneſung 
ſo fortgeht — 

Regine (verwundert). Hat er Ihnen das nicht ge— 
ſchrieben? Geſtern wollte er ſchreiben; (nach links deutend) 
in ſeinem Arbeitszimmer ſagte er mir's noch. Herr Felix 
Eckard war ſehr gerührt, daß Sie ſich perſönlich nach 
ſeinem Befinden erkundigt hatten; — und es geht ihm ja 
wieder gut. Iſt ſchon ausgegangen. Es war ja auch 
nicht ſo ſchlimm; (lächelnd); aber er klagt doch gern. Wie 
die Herren ſind. Man muß ſie ſo nehmen. Ja, es geht 
ihm recht gut! 

Lucie. Ich komme auch nicht darum allein, meine 
liebe Regine; ſondern weil wir eine Ueberraſchung für Herrn 
Felix haben — ein kleines Geſchenk zur Geneſung — und 
gerne an Ort und Stelle ſehen möchten, was er brauchen 
kann. (mit dem Kopf auf Frau Schwarzenbeck deutend) Auch eine 
Freundin des Herrn Felix. Aber Sie ſagen nichts! Eine 
Ueberraſchung! 

Regine. Verſteht ſich. (Hat ſchon mehrmals neugierige 
Blicke auf Frau Schwarzenbecks Schleier geworfen. Für ſich) Die 
iſt wohl beſonders ſtolz; will ſich vor ſo Einer, wie ich 
bin, gar nicht ſehen laſſen. (laut, nach links deutend) In Herrn 
Felix Zimmer kann ich nur leider die Damen jetzt nicht 
führen; er iſt wieder zu Hauſe — 

Lucie. Um Gottes willen! Dann wollen wir leiſer 
ſprechen. Wo ſind wir denn hier? 

Regine. Im Familienzimmer; das hat der Herr 
Ulrich Eckard ſo einrichten laſſen, weil er darauf hält, daß 
die Brüder am Abend oft beiſammen find. (auf die beiden 
Spieltiſche deutend) Sehn Sie, da wird geſpielt — auch 
mit dem jungen Herrn — (auf die Möbel in der Mitte deutend) 
und da haben die Herren ihren Brüdertiſch, wie ihn 
der Herr Ulrich nennt. Abends kommen zwei Lampen; (auf 
die Chaiſelongue zur Rechten deutend) hier liegt dann mein Herr 
Ulrich, (nach links deutend) und da drüben Herr Felix — 
wenn ſie zu Hauſe ſind. Und dann leſen ſie, oder erzählen 


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ſich was; und mein guter Herr Felix, der ſchläft manch— 
mal ein — | 

Lucie. Unter der Dede da, nicht wahr; und auf 
dieſem Kiſſen! 

Regine. Freilich, denn ein bischen weich muß er's 
immer haben. Ich bin ein Athener, jagt er, und Du ein Spar⸗ 
taner. Wie die Herren ſchon find! Jeder hat ſeine Eigen⸗ 
heiten; man muß ſie ſo nehmen! 

Lucie. Da hätten wir ja gleich das richtige Ge— 
ſchenk: ein neues Kiſſen — denn das da wird ſchon recht 
alt — und eine ſchönere Decke. Nicht wahr, meine 
Liebe? (Frau Schwarzenbeck nickt.) 

Regine (für fi, mißvergnügt). Sprechen thut ſie nicht! 

Lucie. Ich hoffe, das wird dem armen Geneſenen 
etwas Freude machen . . . (Regine, mit zuſtimmenden Geberden, 
will ſprechen; Lucie faßt ſie am Arm, ihr das Wort abſchneidend.) In 
dieſer Woche blieb der Herr Ulrich wohl Abends immer zu 
Hauſe und bei ſeinem Kranken? 

Regine. Er war ja nicht ſo krank, liebe gnädige 
Frau; ihm fehlte ja gar nicht viel. Nein, Abends fuhr 
Herr Ulrich gewöhnlich zur Frau Dolberg; denn mit der 
ſind wir nun ſehr befreundet — 

Lucie. Und Herr Felix? 

Regine. Der aß ſeine Suppe und ging früh 
zu Bett. 

Lucie. Aber er kam natürlich bald wieder nach 
Hauſe? 

Regine. Wer? Der Herr Felix? 

Lucie. Nein. Herr Ulrich. 


Regine. Bald nach Hauſe? O nein. Vor zwölf 
doch wohl nie. Daran ſind wir nun ſchon gewöhnt! 

Lucie (leife zu Frau Schwarzenbeck '). Sie hören. Nicht 
vor zwölf. Und die Mutter, Frau von Brühl, geht um 
halb elf zu Bett! (laut) Er hat ſich hoffentlich nie darüber 
beklagt? 


Regine. Wer? Der Herr Ulrich? 


Be 


Lucie. Nein; Herr Felix. Daß ſein Bruder fait 
jeden Abend — — 

Regine. Aber im Gegentheil. Gewundert hat er 
ſich wohl, beſonders in den erſten Wochen; aber noch 
geſtern Abend ſagte er zu mir: Regine, das iſt mein Haupt⸗ 
ſpaß, daß mein Bruder ſich ſo verjüngt! Endlich kommt 
er doch einmal auch auf meinen Weg! 

Lucie (leife zu Frau Schwarzenbeck). Auf den Weg des 
Laſters — na ja! 

Regine. Und ich ſagte noch: Herr Eckard, man 
muß Gott ja für Alles danken — 

Lucie (die Hand wieder auf Regines Arm legend). Schon 
gut. Und — kommt ſie auch zu ihm? 

Regine. Zu Herrn Felix? 

Lucie. Nein doch. Zum Herrn Ulrich! 

Regine (für ſich). Sie macht mich noch ganz konfus! 
(aut) O ja; aber nicht oft. Zweimal, daß ich weiß — 

Lucie. Ah! (für ſich, triumphirend) Alſo wirklich! (leiſe) 
Sie hören! 

Frau Schwarzenbeck (leiſe). Ja. Ich bin ſtarr. 
(laut, zu Regine) Frau Dolberg kommt auch hierher? 

Regine (fait erſchrocken, für ſich). Jetzt ſpricht fie. (laut, 
etwas beunruhigt und unſicher) Nun ja; aber in Ehren, ver— 
ſteht ſich. Mit der „Tante Molly“, wie man zu ſagen 
pflegt — 

Lucie (leiſe). Mit der Kupplerin! 

Regine. Und zu mir iſt ſie immer ſo freundlich und 
ſo herzlich. Macht mir große Geſchenke! 

Lucie (life. Sie hören! — Um dieſe alte Gans 
blind und taub zu erhalten .. (laut) Meine liebe Regine, 
Sie ſagten: „zweimal, daß ich weiß.“ Damit wollen 
Sie wohl jagen: zweimal war ſie hier, als Sie zu Hauſe 
waren; wie oft ſonſt noch, das iſt Ihnen unbekannt. 

Regine (geängſtigt). Nun ja, freilich, jo mein’ ich's; 
— aber warum fragen die Damen mich nur gar ſo viel. 
Sie wollten ja eigentlich nur nach Herrn Felix fragen 


— 


, 5 


. . . Immer „Frau Dolberg“ und „ſie“ — mir wird noch 
ganz ſonderbar — 

Lucie. Seien Sie ruhig, Regine; (lächelnd) wir ſind 
ja ſchon fertig. (leiſe7) Nun ſchlägt ihr doch das Gewiſſen. 
Sie hören! (Frau Schwarzenbeck nickt.) Hab' ich nun Recht 
oder nicht? Faſt jede Nacht bis zwölf Uhr; bald dort 
und bald hier! 

Frau Schwarzenbed (eiſe). Ich fahre von hier zu 
Frau von Heide; ſie muß Alles wiſſen. Von einem ſolchen 
Skandal machen wir uns los; das verſteht ſich von ſelbſt! 

Regine (für ſich). Mein Gott, was ſie nur jo heim— 
lich mit einander reden —! 

Lucie. Alſo ich dank' Ihnen, Regine; auf ſich und 
Frau Schwarzenbeck deutend) wir ſind eben einig geworden: 
Kiſſen und Decke, und noch was. Halten Sie reinen 
Mund; verſchwiegen wie das Grab — ſo, wie ich Sie 
kenne! 

Regine. Natürlich; verſteht ſich. Danke der guten 
Nachrede — 


Lucie. Und nun guten Abend! (Geht mit Frau Schwar- 
zenbeck nach hinten.) 


Dritter Auftritt: 


Die Vorigen; Eckard (von hinten). 


Eckard (kommt, den Hut auf dem Kopf; nimmt ihn ab, als 
er die Damen ſieht. Sehr erſtaunt, für ſich)ÿ. Damen? (verfinjtert) 
Frau von Leppin? — Wie kommt die in mein Haus? 

Lucie (im erſten Augenblick erſchrocken; leiſe). Der ſchon 
wieder hier? — Wie 'ne Bombe! (im Vorbeigehen ſich höflich 
verneigend, laut) Ich bitte, Herrn Felix Eckard zu grüßen. 
Adieu! (Mit Frau Schwarzenbeck hinten ab.) 

Eckard. Was heißt das? Was wollte dieſe Dame 
hier? 

Regine. Frau von Leppin? Sie kam, um nach 
dem werthen Befinden Ihres Herrn Bruders zu fragen — 


en 


Eckard. Der iſt ja ganz geſund. Und die Andre? 
Wer iſt das? 

Regine (zuckt die Achſeln). Habe nicht die Ehre. 

Eckard. Und weiter wollten ſie nichts? 


Regine (mit ihrer wachſenden Beklommenheit kämpfend). 
Doch, Herr Eckard; doch. Eine Ueberraſchung für den 
Herrn Bruder — ich ſoll eigentlich nicht davon reden — 


Eckard. Nun, ſo ſchweigen Sie. Zünden Sie lieber 
das Gas bei mir an; es will dunkel werden. 


Regine. Wird ſogleich geſchehn. (für ſich) Man muß 
Gott ja noch danken, wenn man ſo davonkommt; nach einem 
Gewitter ſah's aus! (Rechts ab.) 


Eckard. Die Leppin bei mir. Das ſoll Einer ver⸗ 
ſtehn. „Eine Ueberraſchung“ für Felix — Unſinn! Ernſtlich 
befreundet waren ſie ja nie; und ſeit Oskars Duell — — 
(Blickt den Abgegangenen nach. Macht einige Schritte.) Mir ſcheint, 
ich werde nervös. So 'ne Kleinigkeit, jo ein läppiſches 
Räthſel legt ſich mir auf die Bruſt, wie 'ne Wetterwolke. 
Was hat dies böſe Weib hier gewollt? — Wenn ich die 
alte Schachtel, die Regine, aufs Gewiſſen fragte, die würde 
— — Wendet ſich nach rechts. Bleibt wieder jtehn) Was für 
ein Einfall! Das iſt nichts für mich. Sie ſoll meinet— 
wegen ſchweigen, (lächelnd) bis ſie daran erſtickt! 


Vierter Auftritt. 
Eckard; der Diener von vorhin, dann Wiencke. (Langſames Dunkeln.) 


Diener (tritt hinten ein). Herr Eckard, ein Mann iſt 
da, der Sie zu ſprechen wünſcht; war ſchon heute Morgen 
hier. Wiencke nennt er ſich. 

5 Eckard. Ich kenn' keinen Wiencke. — Laſſen Sie ihn 
eintreten. (Diener ab.) Ob ich Frau Paula heute Abend noch 
ſehe? — — Käthchen kommt zum Klavierſpiel. — Es iſt ſo ein 
warmer, verrückter, erſter Frühlingsabend — und doch iſt 
mir ſo wenig nach unſern vierhändigen Sonaten zu Muth! 


3 


Wiencke (tritt hinten ein; ärmlich, doch ſauber gekleidet. Vor 
Verlegenheit ungeſchickty. Guten Abend, Herr Eckard. Ich 
habe doch wohl die Ehre, Herrn Ulrich Eckard zu ſprechen. 

Eckard. Der bin ich. Sie wünſchen? 

Wiencke. Ihnen zu danken, Herr Eckard — 

Eckard. Bitte, treten Sie näher. 

Wiencke (tritt näher). Ihnen ſehr zu danken; in unſer 
aller Namen . . . Wegen der Unterſtützung, mein’ ich, für 
unſre Frauen und Kinder. Wo Sie damals im Schwur— 
gericht, und auch ſonſt noch, geſammelt haben — 

Eckard. Ah, Sie find alſo einer von den Uebel⸗ 
thätern, die wir verdonnern mußten. 

Wiencke (nickt). Einer davon bin ich. 

Eckard. Und nun ſind Sie frei! 

Wiencke (ickt). Seit geſtern. Zwei Monate. — Für 
die Verurtheilung wollt' ich Ihnen nicht danken; das 
verlangen Sie wohl auch nicht. Aber vor Bewegung ſeinen 
Hut drehend) für das Andre; daß Sie unſern Familien jo 
geholfen haben. Das hat uns ſehr gewundert, Herr 
Eckard; denn es hätten das auch wohl Wenige gethan; ſo 
ſind ja die Menſchen nicht. Und ich wollte nur, ich könnt's 
Ihnen auch ſo ausſprechen, wie ich's fühle; (die Achſeln 
zuckend, mit halb erſtickter Stimme) aber, Herr Eckard, ich 
kann's nicht! 

Eckard (herzlich). Nun, dann laſſen Sie's. Ich ver— 
ſteh' Sie ſchon. — Wenn Sie fühlen, daß ich meine 
Menſchenpflicht gegen Ihre Leute erfüllt habe, ſo erfüllen 
Sie nun die Ihrige und kehren Sie als ein friedfertiger, 
ordnungsliebender Bürger in die Geſellſchaft zurück! 

Wiencke. Herr Eckard, das wollt' ich wohl. Wenn 
nur wir Arbeiter nicht die Stiefkinder der Geſellſchaft 
wären — 

Eckard (ohne Härte). Laſſen Sie die Phraſen, Mann; 
damit kommt man nicht weit. Laſſen Sie ſich von den 
Volksverführern in Ihrem Gehirn keine Feuersbrunſt 
machen: vor dem Qualm da drinnen ſehen Sie dann 
nicht mehr, wie die Welt wirklich iſt. „Stiefkinder“!“ 


5 


= 


Iſt nicht mehr wahr; alle braven Leute, vom oberſten an, 
fühlen jetzt mit euch; die Gelehrten, die Staatsmänner 
arbeiten für euch, die Dichter dichten für euch, die 
Maler malen für euch. Wer iſt jetzt das Stiefkind? 
Das Kapital, dem ihr ſo ſpinnefeind ſeid; das 
kämpft jetzt einen ſchweren Kampf — wenn ihr nur die 
Augen aufmacht, müßt ihr ihn ja ſehn. Alle wirthſchaft— 
lichen Kräfte und Verhältniſſe arbeiten ſo zuſammen, daß 
der Unternehmergewinn ſinken muß und die Löhne ſteigen; 
die neuen Millionen tragen nicht mehr ſo viel ein, wie die 
alten; der Kapitaliſt, um zu beſtehn, muß den Arbeiter an 
ſich feſſeln, muß ihm geben, was er begehrt — wenn er 
mit Maß begehrt. Und ſo liegt's an euch — 

Wiencke. Ja, wenn das ſo wäre, Herr! 

Eckard. Herr, es wird jetzt ſo! Habt nur Ver⸗ 
nunft und Geduld, und ihr habt die Zukunft: gute, reich— 
liche Löhne, die euch ſorgenfrei und behaglich machen, kurze 
Arbeitszeit, bei der euer Geiſt ſich bilden, euer Körper ſich 
pflegen kann. Laßt nur die Hände von den Steinen weg, 
und den Kopf von den Hirngeſpinnſten, richtet euch nach 
der Natur: da wächst Alles langſam; der Baum, der 
Wald, die Erde — ſo auch euer Stand! Seht doch hin, 
ihr Leute, was für euch geſchieht, das Eine durch den 
Zwang der Dinge, das Andere freiwillig, wie gleich einer 
Sonne der Gedanke aufgeht: jeder Arbeit ihr Lohn, jedem 
Kranken ſeine Zuflucht, jedem Müden ſeine Ruheſtätte! 
Eure Zeit iſt da; habt nur Vernunft und Geduld! | 

Wiencke (nad) kurzem Schweigen, bewegt). Sie ſind ein 
reicher Mann, Herr Eckard. Sie haben viele Thaler und 
viele Gedanken; — und Sie geben von Allem, und gern. 
uc halbem Lächeln) Nur die Hand geben Sie mir wohl 
nicht — 

Eckard. Warum nicht? Weil Sie ſitzen mußten? Sie 
ſind ja doch nicht hergekommen, um ſo fortzumachen. Sie 
wollen das ja beherzigen, was ich Ihnen ſagte; ich ſeh's 
Ihnen ja an! 

Wiencke. Ich will's auch, Herr Eckard. (Hält ihm die 
Hand hin, die Eckard nimmt.) Was Sie da eben ſagten, ſo alles 


—_ 


„ 


auf einmal geht das nicht in meinen Kopf hinein; — aber 
daß Sie mir nichts vormachen, das ſeh' ich Ihnen ja an. 
Könnt' man ſo einen Mann wie Sie nur auch öfter hören — 
(an feine Stirn klopfend); von wegen des Kopfes, mein’ ich — 
daß das alles hineingeht! 

Eckard. Das können Sie ja; hier. Wenn Sie 
Feierabend machen, bin ich meiſt zu finden. Brauchen Sie 
was von meinen „Gedanken“, wie Sie ſagen, iſt Ihnen 
nach Belehrung zu Muth, ſo kommen Sie nur zu mir! 

Wiencke. Herr Eckard! Sie verſtehn's! Das Herz 
im Leibe drehen Sie Einem um. Ich kam ja ſchon dank— 
bar her — aber wie geh' ich nun. Das alles für einen 
Mann wie ich — den Sie gar nicht kennen! 

Eckard (lächelnd). Nun, ein wenig doch: hab' Sie ja 
einſperren laſſen. — Alſo Sie kommen wieder. (Wiende nickt.) 
Uebrigens, was eure Frauen und Kinder betrifft, da hat 
ein Anderer mehr gethan als ich; eine Frau. Frau Dol- 
berg. Beſonders in den letzten vier Wochen — 

Wiencke. Hab' davon gehört, Herr Eckard. Und 
ich möcht' ihr auch danken; nur daß ich nicht weiß — 

Eckard. Wo fie wohnt. (Schreibt mit einem Bleiſtift auf 
einem Blatt Papier, das auf dem großen Tiſch liegt; giebt ihm dann 
das Blatt.) Das iſt ihre Adreſſe. Sie braucht keinen Dank; 
aber ſie wird ſich freuen, Herr Wiencke, Sie auch zu ſehn. 
Sagen Sie ihr nur, wie gut wir uns hier zuſammen— 
geſprochen haben; das hört ſie gewiß ſehr gerne. Eine 
gute Frau. Alſo auf Wiederſehn! Giebt ihm die Hand.) 

Wiencke. Wenn Sie erlauben, werde ich ſchon kommen. 
Und werde Ihnen auch keine Schande machen — wenn ich 
auch damals — — damals — — (Bringt es nicht heraus; 
legt nur den Finger an die Stirn.) Feuer im Kopf — wie Sie 
ſagten. — Keine Schande machen. Guten Abend, Herr 
Eckard! 

Eckard. Adieu! (Wiencke hinten ab.) Der kann noch 
werden. — Jetzt geht er wohl zu Frau Paula .. Was 
ich auch denk' und treibe, immer komm' ich zu dieſer Frau. 
Wie die in mein Leben eingewachſen iſt — wer hätte das 


8 


gedacht! — — Aber wer hätt' auch gedacht, daß ſie ſo 
eine Frau wäre. Dieſes Herz und dieſer Kopf, wie haben 
die ſich bewährt! 


Fünfter Aufteitt. 


Eckard; Oskar (von hinten); gleich nach ihm der Diener, der zwei 
brennende Lampen trägt, auf dem großen Tiſch rechts und links neben 
die Chaiſelonguen ſtellt und dann wieder abgeht. 


Oskar (will nach links; ſieht Eckard). Ah, ſchon zu Haufe, 
Onkel. Gott grüß' Dich. 

Eckard. Ebenfalls, Herr Neffe. Wie geht's? 

Oskar. Nun, wie ſoll mir's gehen? (mit etwas düſterem 
Lächeln) Man muß ja dieſe ſchnöde Welt nehmen, wie ſie iſt! 

Eckard. Sehr richtig. — Ueberhaupt bemerk' ich, 
Du biſt ſeit einiger Zeit ſo bedeutend geworden; ſo ſchwer— 
müthig⸗ſarkaſtiſch, jo 'ne Miſchung von Hamlet und Me— 
phiſto, die wir noch nicht hatten. 

Oskar. Du willſt mich verhöhnen, ſcheint mir. 

Eckard. O nein. 

Oskar. Du hätteſt auch keinen Grund: (zögernd, mit 
einiger Anſtrengung) denn ich bin grade jetzt wieder im Be— 
griff, Deine Sache zu führen — das heißt, auszufechten . . . 
Erlaube mir nur eine Frage, Onkel — die mir auf der Seele 
liegt, ſchon ſeit einigen Tagen. Sie iſt etwas heikel — 

Eckard. Aber loswerden willſt Du ſie ja doch. Uebri— 
gens: „auszufechten“ — was heißt das? 

Oskar. Gleich! — (düſter) Ich bin in einer verdammt 
ſchwierigen Lage, Onkel; bitte, hör mich an! Gegen dieſen 
Meerveld hab' ich mich damals, ſo zu ſagen, für Dich ge— 
ſchlagen; jetzt erdreiſten ſich ein paar nach Witz ſchnappende 
Burſche, Anſpielungen und Späße über Dich zu machen, 
die mir nicht gefallen — und auf die eine ſcharfe Abfuhr 
die richtige Antwort iſt. Ich weiß aber ſelber nicht, wie 
die Sache ſteht . . . Dieſe Herren behaupten, (mühſam) Frau 
Paula Dolberg und Herr Ulrich Eckard wären ſich ſo nahe 
getreten, daß man es mit Recht die vollkommene Nächſten— 


7 = 
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liebe nennen könne. Kannſt Du mich ermächtigen, Onkel, 
den guten Leuten zu ſagen, daß ſie elende Lügner und Ver— 
leumder ſind? (mit unſicherer Stimme) Oder — willſt Du 
das nicht? 

Eckard (it ſtark zuſammengezuckt; verfinſtert),. Was für 
eine ſonderbare Frageſtellung — von meinem Neffen zu 
mir. Und mit dieſem Geſicht. Hätt'ſt Du dieſen Geſellen 
Deine Meinung geſagt, ohne mich zu fragen, ſo hätt'ſt Du 
gethan, was ſich für Dich ſchickt! 

Oskar. Ich bitte um Entſchuldigung, Onkel. Die 
Sache liegt für mich nicht ſo furchtbar einfach; (mit großer 
Anſtrengung) ich habe ſelbſt — — früher — — die ge— 
nannte Dame hat mir — — (Legt unwillkürlich die Hand ans 
Herz.) Kurz, ich ſage das nur, um Dir anzudeuten, daß 
mir die Frage ſehr nah liegt; und Du thäteſt mir einen 
großen Gefallen, wenn Du einfach ſagteſt, ſie iſt Deine Ge— 
liebte nicht — wenn ſie es nicht iſt! 

Eckard. Biſt Du von Sinnen, Burſch? Ein ſolches 
Wort nimmſt Du in den Mund? mir ins Geſicht? 

Oskar. Verzeih — 

Eckard. Von einer ſolchen Frau wagſt Du ſo zu 
ſprechen? Du, Oskar Eckard? Biſt Du ſo verkommen, 
daß Du mir die Gemeinheiten Eures Kneipengeträtſches ſo 
friſchweg ins Haus trägſt? Sind das Deine Sitten? 

Oskar. Du biſt außer Dir. — Mein Gott, ich ahnte 
ja nicht — 

Eckard. Was ahnteſt Du nicht? Daß ich von einer 
Frau, die Ehrfurcht verdient, nicht ſo reden laſſe? Und 
Du Knabe Du — wenn Du ihr die Ehre angethan haſt, 
ihr Dein Herz zu ſchenken — das deuteſt Du ja wohl 
an — ſo verſagt Dir die Zunge nicht, ſo ein Wort zu 
ſprechen? Was iſt das für ein Umgang, der Dich ſo in 
den Schmutz zieht? Und was giebt Dir den Muth, mit 
mir zu reden wie mit Deinesgleichen? 

Oskar. Ah! Das iſt zu viel. In Deiner raſenden 
Aufregung, die ich nicht begreife, überſchütteſt Du mich mit 
Beleidigungen — die ich nicht verdiene. Ich war vielleicht 


en 


dumm — gemein bin ich nicht. Aber mündig bin ich. 
Niemand giebt Dir das Recht, mich ſo zu beſchimpfen. Ich 
werde meinen Vater bitten, in ein anderes Haus zu ziehen, 
wo ich nicht in Gefahr bin — 

Eckard. Toller Junge Du! Beinahe verdienteſt Du, 
ich ließe Dich weiterziehn, und zöge die Hand von Dir — 
daß Deine Mündigkeit verſuchen müßte, ſich allein zu helfen! 

Oskar Eckard anſtarrend). Ich verſteh' Dich nicht. Ich 
hab' meinen Vater ... Worüber lächelſt Du? Bin ich 
denn Dein Kind? Leb' ich nicht von ihm? — Du ziehſt 
die Brauen ſo hoch, machſt ſo ein Geſicht. Wenn Du auch 
reicher biſt, hat mein Vater nicht auch — — (Eckard wirft 
ihm einen düſtern Blick von der Seite zu, ſieht dann in ſteinerner Un— 
beweglichkeit vor ſich hin.) Was ſoll dieſer Blick? (unſicher wieder— 
holend) Hat denn mein Vater nicht auch — 

Eckard (wieder äußerlich ruhig). Nein. — — Um Deines 
Vaters willen hab' ich Dir's nie gejagt, aber um Deinet— 
willen, ſcheint mir, muß es nun doch heraus. Es thut 
Dir gut, wenn Du klar ſiehſt; Du fliegſt ſonſt zu hoch. — 
Ja, er hatte, Dein Vater; aber er hat nicht mehr; weil 
er es verſpielt hat. (Oskar fährt zuſammen.) Das iſt — 
einige Jahre her. 

Oskar (mach einer Weile, ſtammelnd). Nichts mehr? — 
Nichts? 

Eckard (langſam, ſchonend). Mein guter Oskar, es war 
wohl noch etwas weniger als nichts. Aber das iſt — 
gereinigt. Brauchſt Dich Deines Vaters darum nicht zu 
ſchämen; nur daß Du weißt, wie es iſt. Und daß Du dem 
Spielteufel keinen Finger hingiebſt — 

Oskar. O mein Gott! — Du — ernährſt uns 
ganz? 

Eckard. Dafür bin ich der Bruder; das verſteht ſich 
von ſelbſt. Oskar wirft ihm von der Seite einen ſchmerzlich dank— 
baren, ſcheuen Blick zu; ſtarrt dann zu Boden.) Da wir ſchon ſo 
weit ſind, ſo will ich Dir noch ein Geſtändniß machen: 
es war abgemacht zwiſchen Deinem Vater und mir, Du 
ſollteſt Dein Taſchengeld nur durch mich bekommen; denn 


BERN 


— Du kennſt Deinen Vater: ein ſeelenguter Mann, aber das 
Geld klebt ſchlecht in ſeiner Hand. Darum gewöhnt' ich 
Dich an meine gelegentliche „Großmuth“, (mit faſt gemüth— 
lichem Lächeln) die eigentlich keine war: denn am Jahresende 
hatt ich Dir ungefähr jo viel „gelegentlich“ zugeſteckt, als 
ich Dir von vornherein in meinem Buch zugeſchrieben hatte. 
Für dieſe kleine Komödie bitte ich um Nachſicht; von nun 
an beziehſt Du, was Dir von Rechtswegen zukommt, ohne 
Bitte und ohne Dank. 

Oskar. Onkel Ulrich! — Heiliger Gott! — (wühlt ſich 
in den Haaren) Was für eine Enthüllung — — ſchlägt fi in 
der Zerknirſchung mit der Fauſt auf die Bruft) und wie ſprichſt Du 
zu mir. Wie gut. Nachdem ich Dich ſo empört und be— 
leidigt habe — ohne Abſicht, Onkel — aus verfluchter 
Dummheit . . . (ſich wieder mit der Hand in die Haare gerathend 
und vor ſich Barren) Und wir haben nichts! 

Eckard. Doch; ihr habt Ulrich Eckard — 

Oskar. Ja — wir haben Dich. Einen Mann 
— — Onkel Ulrich! Ergreift Eckards Hand, ſchüttelt ſie ſtark.) 
Wie ſteh' ich vor Dir da. Wie haſt Du mich geknickt. 
Wie ſeh ich zu Dir hinauf. Aber — glaube mir — ich 
bin Es ein Eckard — und dieſe ſchreckliche Stunde ift 
an mir nicht verloren — nein — ſie thut mir gut. Ich 
werde den Ernſt des Lebens — 

Eckard (leiſe)ß. Still! Dein Vater kommt! — Vor 
ihm nicht ein Wort; er ſoll's nicht erfahren! 


Sechster Aufteitt. 


Die Vorigen; Felix (von links). 


Felix (kommt, den Hut auf dem Kopf, den Inhalt ſeiner Brief- 
taſche unterſuchend; ſchüttelt endlich mit unzufriedener Miene den Kopf, 
blickt auf). Ihr beide hier. — Guten Abend. 

Eckard. Guten Abend, Felix. Willſt Du noch aus— 
gehn? 

Felix (etwas unſicher). Ich — dachte. (mit einem Blick 
auf die Brieftaſche, die er wieder einſteckt) Vielleicht laſſ' ich's 


— 81 — 


auch; genieße den Abend hier bei der „freundlichen Lampe“. 
(Stellt den Hut auf den Tiſch.) Und Du? 

Eckard. Ich habe noch was zu thun — eh Vetter 
Käthchen kommt. Später ſeh' ich Dich wohl noch hier. 
Alſo auf Wiederſehn! 

Felix. Ich hoffe! „(Eckard rechts ab.) Nun, und Du, 
mein Junge? Du ſtehſt ja ſo umwölkt und verdüſtert da, 
(heiter) als wäre der Mai des Lebens ſchon für Dich vor: 
über. Haſt Du was begangen? Hat Onkel Ulrich Dich 
heruntergemacht? 

Oskar (ſchüttelt den Kopf. Er hat mich — in die 
Höhe gebracht; hat mir die Augen — das Herz — — 
(abbrechend) Ich bin nur ernſt, Vater; ſonſt iſt mir nichts. 
— Und ich freu' mich ſehr — Dich wieder ſo geſund 
zu ſehn! 

Felix. Ja, mein guter Oskar, ich fühle mich wieder 
wohl und wählig wie ein junger Fiſch. Darum dacht' 
ich auch, (eine leichte Verlegenheit hinwegſcherzend) dieſen Abend 
noch durch eine kleine Zerſtreuung zu verſchönern; aber ich 
ſehe da eben in meiner Brieftaſche, daß — daß ich mich 
über meinen Vermögensſtand getäuſcht habe. Biſt denn 
Du bei Kaſſe? Könnteſt Du Deinem Vater eine Kleinig— 
keit leihen? 

Oskar (betroffen, eine Weile ſtumm; dann wie aufwachend). 
Leihen? O ja. Viel hab' ich zwar ſelber nicht — 

Felix. Gieb nur etwas her. (lächelnd) Nur damit 
die Herren Taſchendiebe ſich nicht an mir ärgern. (Nimmt 
eine Banknote, die Oskar hervorgeholt hat.) Danke. (etzt ſeinen 
Hut wieder auf.) Der Abend iſt ſo mild — und der Tag 
auch noch viel zu jung. Ich fliege noch ein bischen aus. 
Adieu! (Hinten ab.) 

Oskar. Der Sohn leiht dem Vater das Geld ſeines 
Onkels. — — Wie mir die Welt auf einmal anders 
vorkommt — — oh! — Und ich hab' einen „Moraliſchen“, 
der iſt unausſprechlich! 


— 


ee 


Siehenter Auftritt. 
Oskar; Käthchen (von hinten). 


Käthchen (kommt mit einer Muſikmappe, geht gegen die Thür 
rechts; ſieht den in ſich verſunkenen Oskar, der ſie nicht bemerkt, bleibt 
ſtehn; geht dann wieder weiter. Bleibt, nah an der Thür rechts, 
nochmals ſtehn; mit Anftrengung). Guten Abend, Herr Oskar.“ 

Oskar ſſich höflich und kalt verneigend,. Guten Abend, 
mein Fräulein. 

Käthchen (nach einer Stille). Grollen Sie mit mir, 
Herr Oskar? 

Oskar blickt ſie an; herzlicher). Nein. Mit Ihnen nicht. 
— Wie käm' ich dazu. — Es giebt eine Dame, der ich 
grolle — ewig grollen werde — an der ich mich auch 
gerächt hätte, wenn mir nicht mein Stolz — — (Bricht ab.) 
Aber das intereſſirt Sie nicht. Und mich auch nicht mehr. 
Mein Onkel erwartet Sie. Sie wollen mit ihm ſpielen? 


Käthchen. Ja. auf ihre Muſikmappe deutend) Vielleicht 
auch Neues. (mühſam) Es — intereſſirte mich wohl — — 
aber Sie wollen wohl lieber nicht darüber ſprechen. 
Tante Molly hat mir erzählt — 


Oskar. Natürlich! Und Sie haben gewiß recht von 
Herzen gelacht! Sie lächelt, ſchüttelt aber den Kopf.) Was 
haben Sie denn da? Naſſes in den Augen? (verwirrt) Sie 
lächeln — und haben dabei Thränen in den Augen. Fräu⸗ 
lein Käthchen — was heißt das? 

Käthchen. Fragen Sie doch nicht. Wozu: ein junges 
Mädchen darf ja doch ſo ſelten die Wahrheit ſagen; (mit 
erzwungenem Lächeln) das iſt uns verboten. Mir thut nur ſo 
Leid, daß wir uns jener Dame wegen nun gar nicht mehr 
ſehn. (leiſer) Und daß Sie nun zu Frau Paula — — 
(Oskar macht eine haſtige Bewegung und verfinſtert ſich.) Ach, ver— 
zeihen Sie. Es iſt Ihnen nicht recht, daß ich davon ſpreche. 
— Ich dachte, weil Sie mich — mit Ihrem Vertrauen 
beehrt hatten — 

Oskar (düfter lächelnd). Ja, ja. — Das liegt nun alles 
— Jahrhunderte hinter mir. Ich bin ein Anderer ge— 


Se a 


worden, gutes Fräulein Käthchen; ein ganz Anderer. Ueber 
meine Illuſionen von damals lächle ich, wie ein alter Mann 
über die Thorheiten ſeiner Knabenjahre; und mein Herz 
— das iſt glücklich todt. (lächelnd, wie vorhin) Ungeheuer 
todt. Wenn Sie ſich mein Herz vorzuſtellen wünſchen, ſo 
denken Sie ſich eine wüſte Inſel — ein verlaſſenes Wrack 
— einen auf den Strand geworfenen Walfiſch — oder 
ſonſt eine verfaulende Größe aus der Naturgeſchichte. Da— 
mit ſind wir fertig! 

Käthchen (ſucht zu lächeln). Ich denke mir, es iſt noch 
ziemlich jung und lebt wieder auf — 


Oskar. Für ſolche Dummheiten nicht mehr. Für 
den Ernſt des Lebens — o ja! (mach rechts deutend) Sehn 
Sie, dort, Fräulein Käthchen: dort wohnt ein Mann, dem 
ich jetzt mein Herz ſchenke — den ich nicht ſo gekannt habe 
— — den verehr' ich jetzt. Der iſt was Anderes als ſo 
eine Frau. Geben Sie nur Acht, und glauben Sie, was 
ich Ihnen ſage: dem will ich nach, und an dem richt' ich 
mich doch noch wieder auf; und wer mich verhöhnt und 
verachtet hat, ſoll ſich einſt noch wundern über Oskar Eckard! 

Käthchen (mit ihrer wachſenden Bewegung kämpfend). Aber 
wie reden Sie denn. Wer verachtet Sie. Und von „Wieder— 
aufrichten“ müſſen Sie doch zu mir nicht ſprechen: ich hab' 
ja doch immer gewußt, was für ein Menſch Sie ſind. 
Beſſer und ehrlicher und tapferer und aufrichtiger als die 
Andern; (lächelnd) und wenn Sie auch von „Dummheiten“ 
ſprechen — klüger ſind Sie auch. Und wenn Sie etwas 
noch ſo Großes werden, werd' ich mich nicht wundern. 
Sehn Sie: Onkel Ulrich — — das hat Ihnen noch ges 
fehlt, daß Sie den begriffen; nun werden Sie ihm nach— 
gehn, mit Siebenmeilenſtiefeln, und wenn Sie das thun, 
holen Sie ihn auch ein! 

Oskar (ftarıt fie eine Weile an). Sie find aber ein merk— 
würdiges — — Ich danke Ihnen für Ihre gute Meinung. 
Sie machen ja aus mir einen — — Ach was, Unſinn — 
danken! Ich bin ganz verwirrt, verweht: wie Sie reden 
können. Wie Sie fühlen — denken. Und mit was für 
einem guten, klugen, himmliſchen Geſicht . .. Nein — 


6 EI 


— 


„ 


ſehn Sie nicht weg. Jetzt muß ich Sie ſehn; jetzt thut 
mir das ſo gut — Sie ahnen ja nicht, wie gut. Käthchen! 
Fräulein Käthchen! Warum hatten Sie vorhin die Thrä— 
nen in den Augen? Und nun wieder — da! da! — 
Fräulein Käthchen! Warum? 


Käthchen. Fragen Sie mich nicht mehr. Ach, es 
iſt ſo ſchrecklich, immer zu lügen, weil man ein Mädchen 
iſt. Ich will nicht mehr lügen. Es iſt eine Schande! 


Oskar. Dann ſagen Sie mir die Wahrheit, Fräulein 
Käthchen; wie Onkel Ulrichs „Vetter“, „ſachlich“, grade— 
heraus! Warum kam Ihnen das in die Augen? 


Käthchen. Warum? Weil mich das gekränkt hat, 
daß Tante Molly Ihnen — damals — nun, Sie wiſſen 
ja. Und weil mir leid that, daß Sie um Frau Paula 
ſolchen Kummer hatten. Und weil ich Ihnen viel zu gut 
bin . .. So, nun hab' ich's heraus. Nun denken Sie 
von mir, was Sie wollen. Sie haben mich „geachtet“, 
davon wurd’ ich nicht glücklich . .. Nun ſehen Sie mich 
nie, nie wieder! Stürzt hinaus, nach rechts.) 


Oskar. Heiliger Gott! Mir „viel zu gut“. Dieſes 
Käthchen — mir. Und das jagt fie mir in dem Augen- 
blick, wo ich ihr — — wo mein Herz — — (laut) Fräulein 
Käthchen! Käthchen! (Eilt zur Thür rechts. Man hört einen 
Schlüſſel im Schloß ſich drehn.) Sie ſperrt zu! (Faßt den Drücker, 
ſchüttelt ihn.) Fräulein Käthchen! Laſſen Sie mich hinein! 
Oder kommen Sie wieder! (nach kurzem Warten) Hören Sie 
mich an! Ich bin Ihnen ja gut! Die Binde iſt mir 
von den Augen — ſehen Sie denn nicht . .. Nein, das 
ſieht fie nicht ... (feine Stimme ſteigernd) Es iſt ja alles 
nicht wahr! Mein Herz iſt kein todter Walfiſch — es 
ſchlägt — es will zu Ihnen — es liebt Sie — nur Sie! 
Es iſt Ihnen ja lange gut — nur daß dieſe Schwärmerei, 
dieſe Seelenſtörung — — Käthchen, kommen Sie doch! 
hören Sie mich doch an! 


N 


Achter Auftritt. 
Oskar; Molly (von hinten). 


Molly (tritt hinten in die Thür). O weh! Iſt das 
Oskar? — Ich kneife wieder aus! (Will fort.) 

Oskar. Wer iſt da? Wendet ſich. Zuſammenzuckend, 
für ſich) Tante Molly! 

Molly (refignirt, für ſichj. Hat mich ſchon geſehn! 

Oskar (aufdie Thür rechts blickend, bewegt, für ſich). Käthchens 
Tante! (laut, ſich mit Würde faſſend, doch mit etwas unſicherer 
Stimme) Gnädige Frau, Sie haben mich vor einiger Zeit 
— mäcchenhaft beleidigt; — aber fürchten Sie nichts. Ich 
bin nicht mehr der Mann, den Sie damals kränkten; (wieder 
nach rechts blickend)p es haben ſich Dinge ereignet — es haben 
ſich Gefühle entwickelt — plötzlich vor Freude lachend und auf ſeine 
Bruſt ſchlagend, mit voller Stimme) ich bin glücklich! Glücklich! 
War blind! Hab' ſie nicht gekannt — 

Molly. Mich? 


Oskar (nach rechts deutend). Nein — ſie. Die da 
drinnen. Ich dachte nur immer, das iſt dem Onkel ſein 
Vetter ... Jetzt iſt Klarheit! Klarheit! Und der Tag 
wird kommen, wo ich ſie von Ihnen — — Jetzt muß ich 


hinaus. Luft. Sternenſchein. Ich verzeihe Ihnen! — 
Bringen Sie ihr das! (Umarmt und kußt fie. Im Sturm hinten ab.) 

Molly. Der hat entweder den Verſtand verloren 
— oder iſt zu Verſtand gekommen. (die Achſeln zuckend) Man 
muß abwarten, was es iſt! 


Neunter Auftritt. 
Molly; Eckard (von rechts). 

Eckard (tritt in die Thür; etwas unwillig). Aber ich bitte 
Dich, Oskar — man hört Dich im dritten Zimmer. Was 
haſt Du denn deklamirt? (Bemerkt Molly, die näher tritt.) Sie 
hier! Tante Molly! | 

Molly. Ja. — Oskar iſt fort. — Ich komme, meine 
Käthe wieder abzuholen — 


1 


Eckard. Käthe? Die iſt ja noch gar nicht hier! 

Molly. Was? Noch nicht hier? | 

Eckard. Ich Hab’ fie noch nicht geſehn. Ich ſaß in 
meinem Arbeitszimmer und ſchrieb; ſie iſt nicht gekommen. 

Molly (auf die Thür rechts deutend). Aber da im Kla— 
vierzimmer? 

Eckard. Ich ging ja eben durch; hab' ſie nicht 
geſehn. 

Molly (für ſich). Ah! Sie hat ſich verſteckt! — — 
Jetzt verſteh' ich Alles! (laut) Ich wollte mit ihr zu Frau 
von Heide gehn, um zu gratuliren; dort hat ſich etwas er— 
eignet: Alma hat ſich verlobt. 

Eckard (lächelnd). Eine Ihrer „Nichten“. 

Molly. Ja. 

Eckard. Alſo doch die „Verlobungstante“! 

Molly. Nach meiner Weiſe, Herr Eckard. Alma 
hat ſich mit einem vortrefflichen jungen Mann verlobt, 
nachdem ich ihr krankes Herzchen geheilt und von einem 
mauvais sujet losgeriſſen hatte. 

Eckard. Ah! Wünſche alſo Glück! 

Molly Gögernd). Sie jagen, Käthe iſt noch nicht hier. 
Kann ich ein Wort mit Ihnen ſprechen, während ich auf 
ſie warte? Haben Sie ein wenig Zeit? 

Eckard (ächelnd). Für Verlobungsgeſchichten nicht; 
aber für wichtige Sachen, ja. 

Molly. Es handelt ſich um Paula. 

Eckard. Ja, dann hab' ich Zeit. 

Molly. Fällt Ihnen nicht auf, Herr Eckard — daß 
Paula zurückgeht? daß ſie abnimmt? ſehr? 

Eckard. Ich verſtehe nicht. Ich denke, im Gegen— 
theil —! - 

Molly. Ah, Sie denken, wie immer, an den Geiſt; 
das Andre geht Sie nichts an. Nun, die geiſtige Paula, 
die florirt ja mächtig; — und hat viel erreicht, in der 
kurzen Zeit. Dieſer Verein der reichen Frauen, der ſo 


— ⁵˙ . 


N en 


viel befrittelt und bewitzelt wurde, er iſt lebendig geworden, 
er wächst, er behauptet ſich; mit Ihrer Hilfe hat er ſich 
vernünftig organiſirt, ein großer Fonds wird gegründet 
für die freiwilligen Luxusſteuern, ein Volkspalaſt iſt in 
Sicht; — und dieſe merkwürdige Paula ſchwimmt in dem 
allen herum, als wär' es ihr Element. Ich bewundre ſie. 
— Aber ich bewundre ſie lange nicht ſo ſehr, als ich um 
ſie ſorge! 

Eckard. „Sorge“! Was heißt das? 

Molly. Ich glaube wirklich, Herr Eckard, Sie haben 
keine Augen. Paulas Haut iſt ja faſt ſchon durchſichtig 
wie Seidenpapier. Sie hat nichts als Nerven. Sie ſieht 
oft jo aus, als wär fie im Traum. Manchmal iſt ſie's 
auch — phantaſirt faſt im Wachen — weil ſie Nachts 
nicht ſchläft. Das alles in zwei Monaten; ein jo geſundes 
Geſchöpf! Das iſt ja ein Unſinn. Da denk' ich doch 
ſchon zuweilen: zum Teufel mit der ganzen Menſchenliebe 
und mit den großen Ideen und mit Ulrich Eckard! 

Eckard. Ich danke Ihnen. Alſo jetzt kommen Sie 
zu mir. Dahin wollten Sie ja. — Alſo ich bin daran 
Schuld, daß Frau Paula Dolberg nicht ſchläft und daß 
ihre Nerven nicht gut ſind! 

Molly. Nun ja, gewiß: Sie ſind daran Schuld. 
Sie benehmen ſich ja wie ein junger Menſch in der 
ganzen Sache; (da er erwidern will) bitte! Sie ſprechen immer 
ſo furchtbar ſachlich zu mir, ich bin heute ſo frei und nehme 
auch kein Blatt vor den Mund! — Es iſt plötzlich ein 
großes Erſtaunen über Sie gekommen, daß die Frauen — 
die Sie ſo wenig kannten — doch auch nicht ſo übel ſind; 
und als müßten Sie bei Paula Dolberg in Einem Viertel— 
jahr Alles nachholen, was Sie bei dem ganzen ſchwachen 
Geſchlecht in dreißig Jahren verſäumt haben, ſchließen, Sie 
ſich ſo herzhaft und ſo jugendlich naiv an, als wär' die 
Paula ein Mannsbild — oder als kümmerte ſich auf der 
Welt kein Menſch um den Verkehr zwiſchen Mann und 
Frau. Die Welt thut aber beinah nichts, als ſich drum 
bekümmern. Na, und ſo auch hier. Es giebt ja gar 
keinen Kopf mehr in der ganzen Stadt, der nicht geſchüttelt 


er 


ee 


wird. Und wer irgend kann, der ſchüttelt ihn jo, daß 
Paula es merkt. Davon wird ſie nervös. Davon ſchläft 
ſie nicht. Und ſie wird noch krank — oder närriſch. (mit 
zornig hervorbrechendem Schmerz) Und ich hab' ſie lieb wie ein 
Kind! 

Eckard (nach kurzem Schweigen). Sie ſind nur her— 
gekommen, um mir das alles zu ſagen. — — Ich mag 
Schuld haben; gut. Ich war zu oft bei Frau Paula — 


Molly. Und zu ſpät, zu lange — 

Eckard. Hätte das nicht thun ſollen — weil die Welt 
auf dem Schein beſteht. Aber hab' ich mich denn auf- 
gedrängt? War Frau Paula nicht — 

Molly. Ebenſo unvernünftig wie Sie: o ja! Die 
ſtürzte ſich auch wie toll in die „gute Sache“ — und vergaß, 
daß Herr Ulrich Eckard keine Sache iſt, ſondern doch auch 
ein Menſch. Und nun, wo ſie's ſpürt, wie all die Nadeln 
ſtechen, nun iſt ſie zu ſtolz. Ich rede mich ja wund: ſie 
ſieht mich an und geht ab, und es bleibt beim Alten. 
Darum komm' ich zu Ihnen. Der Mann muß diesmal 
klüger ſein als die Frau — was ſonſt ſelten vorkommt. 
Bleiben kann es ſo nicht! Sie haben doch auch ein Herz, 
wenn auch mehr für Sachen — Sie meinen es der Paula 
doch gut — Sie wollen ja doch nicht, daß ſie zu Grunde 
geht, und ſie geht zu Grunde — ſo oder ſo! 

Eckard. Das — will ich freilich nicht. (mit finſterem 
Lächeln) Es iſt nur erſtaunlich, daß mir die Welt auf einmal 
die Ehre erweiſt, mich für gefährlich zu halten. Auch 
durch Oskar hör' ich — — (richt ab.) Sonſt galt ich ja 
doch für ein völlig harmloſes Geſchöpf — 

Molly. Die dumme Welt bildet ſich wohl ein, Sie 
wären in dieſem Punkt zur Vernunft gekommen; ſie kennt 
Sie nicht ſo gut wie Sie oder ich! 

Eckard (etwas bitter lächelnd). Hm! — — Mag wohl 
ſein. — — Alſo — was ſoll ich thun? 

Molly. Was Ihnen möglich iſt. Wären Sie nicht 
der Eckard, ſo würd' ich mir ein Herz faſſen und Ihnen 


a 


offen jagen: heirathen Sie ſie! — Aber Sie willen ja 
jelbft, dazu taugen Sie nicht. Alſo müſſen wir — 

Eckard (wie vorhin). Und wenn ich auch dazu taugte 
— aber Sie haben ja Recht — ſo würde doch immer der 
Andere fich bedenken; Paula Dolberg, mein ich. 

Molly. Darauf ſchwör' ich nicht! (ihre innere Angit 
offenherzig verrathend) Die kennen Sie doch noch nicht. Die 
würde aus Stolz, aus Kränkung, aus Verrücktheit vielleicht 
beide Augen zumachen und ins Waſſer ſpringen — in 
dieſe Ehe, mein’ ich; nehmen Sie es nicht übel. Wenn's 
aber geſchehn wäre — nun, dann würde ſie ſehn: der iſt 
mit ſeinen Ideen verheirathet, aber nicht mit mir. Eine F Frau, 
Herr Eckard, kann ſich für Ideen begeiſtern, o ja, wie ein 
Mann; kann auch ſachlich ſein; aber in der Liebe, da 
will fie einen Menſchen haben; da verhungert jie ohne 
etwas Poeſie der Form — nehmen Sie's nicht übel. 
Und jo ginge die Paula dann erſt recht zu Grunde .. 
Ich ſage das ja nicht, um Sie zu kränken, Herr Eckard; 
nur daß Sie mich verſtehn! 

Eckard. Ein wunderbares Geſpräch zwiſchen einem 


Mann und einer Frau. — Ja, Sie haben doch Recht: 
(ſucht zu lächeln) Ihr Talent iſt weniger das Verloben als 
das Gegentheil. — — Alſo, wenn wir denn nun die Ehe 


glücklich hinter uns haben: was ſoll ich thun? 

Molly. Paula Dolberg muß fort. (FJähe Bewegung 
Edard’s.) Ja, ſie muß fort; und Sie müſſen ihr zureden, 
denn ſonſt thut ſie's nicht! — Sie reibt ſich auf, wenn ſie 
bleibt, ſie begeht noch Tollheiten, wenn die Welt ſie ärgert; 
ſie bringt ihren guten Namen um — und zuletzt ſich ſelbſt. 

Ich kenn' ſie, Herr Eckard. Keine gewöhnliche Frau; — 
ach mein Gott, gar zu wenig gewöhnlich; darum ver— 
göttr' ich ſie — und darum ſchimpf' ich ſie aus — und 
kann ihr nicht helfen. Sie müſſen das; Sie. Ihnen 
folgt ſie, ſonſt Keinem. Sie ſind ihr wie ein heiliges Buch! 

Eckard. Ein Nachſchlagebuch, nicht wahr, aus dem 
man ſich Raths erholt. Dazu bin ich gut. — Und doch 
ſo gefährlich! — — Sie entſchuldigen, das alles ſteigt mir 
aber doch zu Kopf; macht mir einen Wirrwarr — ein To— 


re 


Be 


huwabohu. Das Zimmer thut mir nicht gut; jo was muß 
ich in der Luft — in der kühlenden Abendluft — durch— 
denken . . . Sie entſchuldigen! (Will gehn.) 

Molly. Sie ſehen aber doch ein, Paula muß fort? 
— Zunächſt nach dem Süden, um ihre Geſundheit zu 
beſſern — das iſt ja ein guter Grund. Ich begleite ſie. 
Das Weitere findet ſich — 

Eckard. Findet ſich; natürlich. — Gewiß muß ſie 
fort — wenn fie ſonſt zu Grunde geht, „jo oder jo“! 

Molly. Darf ich ihr das ſagen? 

Eckard. Freilich. Alles, was Sie wollen. Sie nehmen 
aber nicht übel, wenn ich Sie verlaſſe — 

Molly. Was denken Sie. Gute Nacht! 

Eckard. Danke! — Gute Nacht! (Hinten ab.) 

Molly. Armer, lieber Freund! — Ich hab' ihm ſo 
mit der großen Laterne geleuchtet — es hat ihn gekränkt. 
Aber was hilft's? Was nicht zuſammen taugt, muß ja 
auseinander; und der und Paula — was für ein Ge— 
danke! (Geht zur Thür rechts; öffnet, ruft.) Käthchen! Wo 
biſt Du? 

Käthchen (draußen). Hier! 

Molly. Komm; wir wollen fort, zu Heide's! 


Zehnter Auftritt. 

Molly; Käthchen (von rechts); ſpäter Paula. 
Molly. Hatteſt Du Dich verſteckt? 
Käthchen. Verſteckt? Ich? 

Molly. Ja, Du. 


Käthchen. Nein; eigentlich nicht. Ich ſtand nur — 
— (Wirft ſich plötzlich an Molly's Bruſt, das Geſicht verbergend.) 
O Tante Molly! 

Molly (weich). Ich weiß ſchon. Oskar Eckard. 

Käthchen (hebt den Kopf, ſtarrt ſie an). Du weißt? 


AR 


Molly (lächelnd). Bin ja Tante Molly. — Wie's in 
Dir ausſah, du ſtummer Fiſch, das hab' ich längſt ge— 
merkt; und Oskar — der hat mich vorhin, auf dieſer 
Stelle, geküßt. — Ja, ja! (Käthchen ſanft ans Herz; drückend) 
Dabei könnt's wohl eine Weile bleiben; bis ihr etwas 
älter werdet: das werdet ihr ja gewiß. Jetzt zur Andern, 
zur Alma! Komm! (Paula tritt hinten ein, blaß, ſehr erregt, ver- 
ſtört. Molly, erſchrocken) Großer Gott! Du hier! (Geht raſch 
auf ſie zu. Leiſe) Paula! Biſt Du närriſch? 

Paula (balblaut). Das iſt nun ſchon alles eins ... 
(laut) Ich war bei Dir. Man ſagte mir, Du ſeiſt hier. 
(leiſe) Schick die Kleine fort! fort! Ich muß mit Dir ſprechen! 

Molly (ach einem Blick auf Paula's Geſicht, für ſich). Ach 
du guter Gott! (laut, zu Käthchen) Geh voraus, mein Herz. 
Nimm Dir einen Wagen; ich komme nach. 

Käthchen (für ſich). Fortgeſchickt werd' ich immer. — 
Aber heute thut's nichts: (die Hand am Herzen, glücklich lächelnd) 
Oskar geht mit! (Hinten ab.) 


Paula chat ein offenes Briefchen hervorgezogen. Da! Lies 
dies Billet. Von der Frau von Heide! 


Molly (lieſt), „Da mir die Verlobungsanzeige, die 
ich von Ihnen erwarten zu dürfen glaubte, bis heute nicht 
zugekommen iſt, ſo muß ich Ihnen mit gewohnter Offenheit 
geſtehn, daß ich mit andern Mitgliedern Ihres Vereins 
befürchte, es möchte uns übel ausgedeutet werden, wenn 
wir die bisher gepflogenen Beziehungen unverändert fort— 
ſetzen. Mittheilungen, die mir ſoeben zugehn, nöthigen mich 
vollends, Sie auf die Konſequenzen aufmerkſam zu machen, 
die ſich zu meinem Bedauern aus Ihrem Verhalten er— 
geben werden. — Mit Hochachtung“ — — Gerdrückt das 
Billet.) Da haſt Du's. Der Skandal iſt fertig! (Faßt ſie 
am Arm.) Aber komm, Paula, komm! Beſprechen wir das 
anderswo — nicht hier! 


Paula (reift ſich los. Nach dieſem Billet ſoll ich wohl 
noch fragen, ob ſich etwas ſchickt oder nicht. (mit einem wilden 
Auflachen) Ich hab's nicht mehr nöthig! — — (auf das Brief— 
chen klopfend) „Mittheilungen“ ... Was für Mittheilungen? 


u 


„ 


Und was will ſie? Was wollen ſie? Sich aus dem 
Verein zurückziehn, oder mich hinauswerfen? (wieder auf das 
Billet ſchlagend) Ein ſchöner Stil, nicht wahr? 

Molly (ihren Schmerz zu unterdrücken juchend). Du biſt 
wirklich ziemlich — — (Bewegt, ergänzend, die Hand nach der 
Stirn.) Ich hab' Dir's geſagt! Ich hab' Dich gewarnt! 
Eure langen Abende — in die Nacht hinein — 

Paula. Bei Frau von Heide's Großmutter war ich 
nicht ſicherer als bei dieſem Mann! 

Molly. Danach fragt die Welt nicht. Und daß Du 
ihn durchaus hier beſuchen wollteſt — 

Paula. Zweimal! und mit Dir! — Um doch zu 
ſehn, wie ſo ein Mann wohnt und lebt — 

Molly. Und das zweite Mal, um ihm all' ſeine 
Tiſche mit Blumen zu bedecken — 

Paula. Nun ja! Sein Geburtstag! 

Molly. Danach fragt auch die Welt! 

Paula. Ich bitte Dich — hämm're nicht auf mir. 
Ich kann nichts vertragen. Ich ſchlief eben auf einem 
Stuhl vor Erſchöpfung ein, als ihre Jungfer mit dieſem 
allerliebſten Brief kam. Ich bin ſterbensmüde. Kann nur 
nicht ſchlafen, weil die Wuth, weil der Schimpf mich wach— 
hält. Zank und ſchilt nicht mehr; ſag' lieber: was nun 
thun? 

Molly. O ich möcht' ſie ja alle umbringen, dieſe 
lieben Damen. Aber die Achſelnd zuckend) „was nun thun?“ 
Was auch Eckard meint. Fort! 

Paula (war auf einen Stuhl geſunken, ſteht auf). Fort? 
— Was auch Eckard meint? — Du haſt ihn geſprochen? 

Molly (niet, etwas befangen). Vor einer Stunde; hier. 
All' meine Sorgen um Dich ließen mir keine Ruhe — 

Paula. Was auch Eckard meint? — Er räth mir, 
zu gehn? 

Molly. Zu Deinem Beſten, ja. Damit Du Dich 
nicht zerſtörſt; denn das thuſt Du ja. Damit die böſen 


F 


Zungen nicht mehr um Dich ziſchen. Darum ſollſt Du 
fort! 


Paula. Ich ſoll ihn — — (fi) verbeſſernd) unſer ge— 
meinſchaftliches Werk, das ſoll ich verlaſſen? Durch meine 
Feigheit ſoll das wieder vergehn? Dazu räth er mir? 


Molly. Nicht doch. Wo denkſt Du hin. Den kennſt 
Du noch nicht. Du biſt ja doch nicht die Sache — nur 
eine Perſon. Wenn die Sache nur bleibt, das iſt ihm 
genug; und ſie wird auch ohne Dich bleiben, dafür wird 
er ſorgen! 


Paula (beißt ſich auf die Lippe). Meinſt Du. — Wie 
unendlich beglückend und — ſchmeichelhaft für mich. — — 
Nein. Es iſt nicht ſo. Wie lieblos Du von ihm ſprichſt! 


Molly. Lieblos? Das iſt ſein Charakter; das iſt 
ſeine Größe! 


Paula ſcchließt die Augen). Eine vernichtende Größe. 
— Allgütiger Gott! — — Nein, nein, nein. Du ver— 
leumdeſt ihn. So iſt Ulrich Eckard nicht! Ich hab' in ſein 
Herz geſehn — in ſeine Seele, mein' ich — da iſt Wärme, 
iſt Feuer, Alles! 


Molly. Den lehr' Du mich kennen! Da iſt Feuer, 
gewiß; da iſt Alles, was gut und was edel iſt; — aber, 
geliebtes Kind, was iſt ihm ein einzelner Menſch; er lebt 
für die Menſchheit. Was man ſo ein eigentliches Manns— 
bild nennt, das iſt er ja garnicht; er kann nicht thöricht 
werden, er kann nicht knien, kann ſich nicht verlieben. Er 
iſt ſo mehr der verkörperte Begriff einer guten Sache! 


Paula (ſtarrt fie lange an. Tonlos). Meinſt Du? (Geht, 
leiſe ſchwankend, zuweilen die Augen ſchließend, von ihr hinweg; kommt 
langſam zu der Chaiſelongue links vom großen Tiſch, ſitzt dort, vom 
Tiſch abgewendet, in Ermattung nieder.) 

Molly (unterdeſſen, für fih). Er ſaß ihr richtig irgend— 
wo im Herzen. — Gott ſei Dank, jetzt krieg' ich ihn da 
heraus! (Geht zu Paula. Laut) Komm. Wir müſſen fort. 

Paula ſſchüttelt den Kopf). Ich will ihn hier erwarten. 
Ich will mit ihm ſprechen. Er ſoll es mir ſelber ſagen 


1 


— ſachlich, gradezu, ohne Form, ohne Rückſicht — daß 
er meint, ich ſoll fort! 

Molly. Du ſollſt mit ihm ſprechen, ja — aber doch 
nicht hier. Komm, Paula, komm ... plötzlich) O du 
großer Gott! Ich muß die Käthe ja abholen; die iſt bei 
Frau von Heide — 

Paula. Frau von Heide! 

Molly. Ja. Ich ahnte ja noch nichts! — Nun iſt 
das Kind da allein .. . Und ich muß hinauf — muß 
thun, als wüßt' ich von nichts — geſchwind die Alma um: 
armen — und mit der Käthe nach Haus! 

Paula. Nun, ſo thu das; geh. Du findeſt mich 
dann ſchon bei Dir; lin die Luft ſtarrend) denn allein kann 
ich jetzt nicht ſein. Ich will ihm ſchreiben, er ſoll zu Dir 
kommen; heute Abend noch; er ſoll mir dann ſagen, was 
ich thun ſoll, er ſoll dann entſcheiden! 

Molly. Da iſt doch endlich Vernunft. So iſt Alles 
gut. Ich ſtürme alſo fort ... Wo willſt Du ihm das 
ſchreiben, Kind? 

Paula. Wo? (matt, hinter ſich deutend); Hier; da liegt 
ja Alles. Und dann eil' ich zu Dir. Und auf Deinem 
Sofa Hoff ich einzuſchlafen — endlich — bei Dir. So geh! 

Molly (weich). Ja, ich gehe, mein Herz. Wie Du 
vernünftig biſt. Du kommſt gleich — gleich ... (Paula 
nickt.) Alſo auf Wiederſehen bei mir! (für ſich) Ach, es iſt 
hart: Jeder für ſich jo ein herrliches, ausgeſuchtes Weſen ... 
Aber ich that meine Pflicht! (Hinten ab.) 

Paula (ich aufraffend). Alſo ſchreiben — oder ich ſchlafe 
ſo im Sitzen ein. (Setzt ſich auf derſelben Chaiſelongue an den 
Tiſch, nimmt einen kleinen Bogen Briefpapier, legt ihn auf eine der 
Schreibmappen. Beginnt zu ſchreiben.. „Sie haben mir“ — — 
(Hebt den Bogen gegen ihr Geſicht.) Was für ein ſtarker Par— 
füm; jo ſchwül. — Ah! hier liegt ja Herr Felix; das iſt 
ſein Papier. Der hat ja in Allem, was klein iſt, ſeine 
Art für ſich! (Schreibt.) „Sie haben mir damals verſprochen 
und gelobt, mir immer die Wahrheit zu jagen, rückſichts⸗ 
los und ſachlich; das beanſpruche ich auch heut, wo mein 


Er NO 


Schickſal ſich entſcheiden ſoll. Sachlichen Gründen werde 
ich mich fügen; aber von meiner perſönlichen Schwäche — 
des Körpers oder der Seele — von der will ich nichts 
hören“ ... (Läßt die Feder fallen.) Schwäche! Und indem 
ich das ſchreibe, wird mir gar ſo ſchwach. Und dieſer 
Parfüm — wie iſt der betäubend. Als hätt' ich getrunken. 
Ich ſehe ja die Welt nicht mehr; nicht einmal das Papier. 
Ich fühle nicht einmal mehr, daß das Herz mir weh 
thut ... Ach, einen Augenblick dieſen Rücken ruhn. (Legt 
ſich gegen die Lehne der Chaiſelongue zurück, die Füße am Boden.) 
Und dann weiterſchreiben — (ſchlaftrunken) an Ulrich ... 
Warum ſag' ich denn „Ulrich“. — Und dann weiterſchrei— 
ben — Schläft ein.) 


Elfter Auftritt. 
Paula; Eckard (von hinten). 


Eckard. In dieſer ſchwülen Frühlingsluft ſo herum— 
zulaufen — das thut auch nicht gut. Da wird Einem ganz 
aprilmäßig thöricht, gymnaſiaſtenhaft aufgeregt zu Muth; 
es melden ſich ganz unmögliche Gedanken ... (Kommt auf 
der rechten Seite des Zimmers langſam in den Vordergrund.) Dieſe 
gute Frau, dieſe Tante Molly hat mir Sachen ge— 
gt (lcgzlopft einmal mit der Fauſt auf ſeine linke Bruſt.) 
Ich hab' ein Gefühl, als hätte ſie ſo mit ihrer klei— 
nen Fauſt eine Stunde lang auf dieſelbe Stelle ge— 
ſchlagen — hier. Es thut ganz richtig weh! — — 
Alſo aus. Alſo wieder allein. (nach rechts blidend) Mit 
dem Andern da! Die langen Abende wieder hier am 
„Brüdertiſch“; Jeder auf ſeiner Chaiſelongue wie auf einer 
Inſel, (näher tretend) ich hier und er da . . . (Erblickt Paula. 
Iſt vor Ueberraſchung eine Weile ſtumm.) Heiliger —! Wie 
kommt Die hierher! (Erſchrickt über ſeine Stimme, legt ſich eine 
Hand auf den Mund; mit leiſem, ängſtlichem Ton) Hm! — — 
Nur nicht aufwecken. Sie liegt ja da wie ein Traum. So 


blaß; jo ſchön; und fo unbegreiflich . .. In meinem 
Zimmer; Paula. Auf der andern Chaiſelongue; als lebten 
wir jo; als wären wir Mann und Frau... (ie Hand 


an ſeiner Stirn, tief athmend) Unſinn. Verrückt. Ich will 


—— 


en ie 


ſie doch wecken; fie macht mich verrückt. .. Bewegt ſich; 
ſteht wieder ſtill) Nein, nein. Noch nicht wecken; dann ift 
Alles vorbei. Paula! Wie kommſt Du hierher! zu mir! 
— Ach, wenn Du aufwachſt, wirſt Du wieder gehn — 
natürlich: (mit ſich entladendem Gefühl, doch leiſe, wie verſchämt) 
Du biſt ja der Frühling — die Blume — mein 
Schönſtes — die Poeſie meines Lebens — und die bleibt 
ja nicht ... (fie anſtarrend, mechaniſch wiederholend) Und die 
bleibt ja nicht! — — Ach, dieſe Frau hat Recht: Du 
ſchönes Bild kannſt mich ja nicht lieben — und ich kann 
Dich ſchönes Bild ja nicht glücklich machen. Aber ein 
Schmerz, ein Schmerz — — So alt mußt' ich werden, 
um das jo zu fühlen ... (Es ſchüttelt ihn; er ſchluchzt laut.) 
Paula (erwacht plötzlich; ſchlaftrunken). Wer ſtöhnt da? 
Tante Molly — — (Erblickt Eckard. Ganz verwirrt) Sie ſind's. 
(um ſich blickend) Und ich hier. — Ich bitte jehr um — — (Steht 
auf.) Sie alſo — Sie ſeufzten eben. Gott im Himmel, warum? 
Eckard (lacht raſch und kurz auf). Nicht doch. Ein Irr— 
thum. Sie waren noch im Schlaf, haben falſch gehört. 
Paula (betrachtet ihn eine Weile forſchend). Sie haben 
Recht: Seufzen war es nicht. Es war Schluchzen — 
Eckard. Wirklich! Immer beſſer! — Sie hören ja, im hal⸗ 
ben Traum haben Sie geirrt. — Wie komm' ich zu der Ehre —? 
Paula. Ich — ſuchte hier Tante Molly; dann 
wollte ich an Sie ſchreiben; da liegt's. In einer verrückten 
Müdigkeit bin ich eingeſchlafen — 
Eckard. Sie ſehen elend aus. Ich bedaure ſehr. 
Paula. Tante Molly hat mir geſagt, Sie ſeien der Mei— 
nung, daß ich — fortgehen ſollte. Iſt das Ihre Meinung? 
Eckard. Wohl möglich. — Ich will ſagen: vielleicht 
hab' ich zu dieſer Dame ſo etwas geſagt. Vorhin — 
Paula. Ich verſtehe nicht. Iſt es Ihre eigene, aus— 
drückliche Meinung, oder nicht? 
Eckard. Meine Meinung? — Ich weiß es nicht. 
Paula. Verzeihen Sie: ich — ſtaune. Sonſt ſehen 
Sie mit Ihrem klaren Verſtand alles deutlich, en 
und nun „willen Sie's nicht“? 


97 — 


Eckard. Und nun weiß ich's nicht. — Aber ſie wird 
wohl Recht haben, Ihre Tante Molly; eine ſo kluge Frau. 
Die Welt, um die es ſich hier handelt, kennt ſie beſſer als 
ich. plötzlich, faſt rauh) Sie müſſen nun von hier fort! 

Paula. Von hier fort — ? 

Eckard (hart). Ja. Aus dieſer Wohnung. Ich bin 
zwar nur der Eckard — (mit halbem Lächeln) aber doch ge— 
fährlich. So weit doch gefährlich. Darum müſſen Sie 


fort. — Und dann — aus der Stadt! 
Paula (nad einer Weile). Sie haben mir weiter nichts 
zu ſagen? 


Eckard. Nein. 

Paula. Es iſt Ihnen recht, daß ich die Stadt verlaſſe? 

Eckard. Ja. 

Paula. Und daß wir uns trennen? 

Eckard. Ja. 

Paula. Leben Sie wohl. (Sie geht nach hinten. Eckard 
ſinkt auf dem Ende ſeiner Chaiſelongue in ſich zuſammen; ein krampf— 
haftes Schluchzen befällt ihn. Sie bleibt aufhorchend ſtehn.) Was 
it das? — Was iſt Ihnen? (Er antwortet nicht, mit ge: 
ſchloſſenen Augen vergebens gegen das Schluchzen ankämpfend. Sie 
kommt zurück.) Herr Eckard! — — Wenn ſo ein Mann 
weint, wie Sie, das iſt ja entſetzlich. — Warum —? 

Eckard. Weinen iſt das nicht. Nur ſo ein Krampf, 
verſtehn Sie — | 

Paula. Eckard! 

Eckard. Ja, ich höre. So heißt der unglücklichſte 
Menſch, den Sie kennen. Ich kann ohne Sie nicht — — 
Ich bin wie ein Knabe. Sie ſollen fort, und ich kann 
nicht mehr ohne Sie leben! 

Paula (vor Freude bebend). Wie? Sie können nicht — 

Eckard. Nein. (vor ihr aufs Knie ſinkend) Wie können 
Sie fortgehn, Paula! — Spät und grauſam iſt's über 
mich gekommen. Eine Frau wie Sie — — Alles in Ihnen 
wie zu meiner Wonne geſchaffen — und mein Herz ſo jung 
— und nun wollen Sie fort! 


7 


— 


98 


Paula (hält ſich vorn am großen Tiſch aufrecht; die Augen 
geſchloſſen, matt lächelnd). Ich will ja nicht fort — 


Zwölfter Ruftritt. 
Die Vorigen; Molly (von hinten). 

Molly (in der Thür; wie erſtarrt, für fih). Großer Gott! 
Er kann knien! | 

Paula (hwad). Aber jtehn Sie auf; daß Sie mich 
halten: ich taumle — 

Eckard (springt auf; hält fie in feinen Armen). Paula! — 
Was geſchieht Ihnen? 

Paula. Nichts. Mir ward nur das Herz ſo ſtill. 
Die Ueberraſchung — die Freude — 

Eckard. Freude! — Paula! 

Paula (langjam wieder zu ſich kommend). Ja, die Freude. 
Das Glück. (Sucht ſeinen Mund, ſeinen Kopf zwiſchen den Händen 
haltend.) Da! (Küßt ihn.) 

Eckard. Paula! — Das iſt kein Traum — und 
doch nicht zu faſſen. Du, Du — ſo an meiner Bruſt — 

Paula. Und Dein! wenn Du willſt! 

Eckard. O Paula! (Küßt ſie.) 

Molly (die noch, gerührt und andächtig, im Hintergrunde ſteht). 
Amen! | 

Eckard (wie erwachend, wendet den Kopf). Wer iſt das? 
— Sie hier? 

Molly (weich). Ja; verzeihen Sie. Da ich Paula 
bei mir nicht fand — — Aber es thut ja nichts: nun finde 
ich ſie ja hier! (Paula nickt und lächelt ihr zu.) 

Eckard (langſam und mehrmals über Paula's Hand ſtreichend, 
noch halb wie im Traum). Gute Tante Molly. Sie gaben ſich ſo 
redlich Mühe, mich und ſie zu trennen — und nun kam es ſo! 

Molly (tritt näher). Ich hab' mich ja wohl unaus⸗ 
ſprechlich dumm in dieſer Sache benommen. — Gott ſei 
Dank, Ihr nicht! 

(Der Vorhang fällt.) 


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